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German Pages 1042 [1044] Year 2010
De Gruyter Studienbuch Ideen Band 1
Ideen Repräsentationalismus in der Frühen Neuzeit Band 1: Texte herausgegeben von
Dominik Perler und Johannes Haag
De Gruyter
ISBN 978-3-11-019542-2 e-ISBN 978-3-11-022368-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten/Allgäu ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degryuter.com
V
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Einleitung (Dominik Perler) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ideenbegriff – ein klarer und einfacher Begriff ? . . 2. Der spätscholastische Hintergrund der frühneuzeitlichen Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Theologische, naturphilosophische und metaphysische Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Ideendebatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rationalistische und empiristische Ideentheorien: eine angemessene Gegenüberstellung? . . . . . . . . . 5. Zur Textauswahl und Kommentierung . . . . . . . . .
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1 1
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82 83
1. René Descartes (Stefanie Grüne) . . . . . . . . . . . . 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Der systematische Hintergrund: Substanz-Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . 1.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . 1.2 Zentrale Passagen zu Descartes’ Ideentheorie . . . . . 1.2.1 Auszüge aus Abhandlung über den Menschen . . . . 1.2.2 Auszüge aus den Meditationen über die erste Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Auszüge aus Einwände verschiedener Gelehrter gegen die vorstehenden Meditationen, mit den Antworten des Verfassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Auszüge aus Brief an Mersenne (1641) . . . . . . . 1.2.5 Auszüge aus Brief an Hyperaspistes (1641) . . . . 1.2.6 Auszüge aus den Prinzipien der Philosophie . . . . 1.2.7 Auszüge aus den Bemerkungen zu einem gewissen Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.8 Auszüge aus dem Gespräch mit Burman . . . . . .
VI
Inhaltsverzeichnis
2. Pierre Gassendi (Maria Seidl) . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Der systematische Hintergrund: Atomismus . . . 2.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . . . 2.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . 2.2 Zentrale Passagen zu Gassendis Ideentheorie . . . . . . 2.2.1 Auszüge aus Syntagma Philosophicum. Pars I: Logica . 2.2.2 Auszüge aus Syntagma Philosophicum. Pars II: Physica . 2.2.3 Auszüge aus Disquisitio metaphysica . . . . . . . . .
. 85 . 85 . 85 . 86 . 88 . 89 . 90 . 90 . 100 . 105
3. Thomas Hobbes (Klaus Corcilius) . . . . . . . . . . . . 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Der systematische Hintergrund: eine mechanistische Theorie des Geistes . . . . 3.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . . 3.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . 3.2 Zentrale Passagen zu Hobbes’ Ideentheorie . . . . . . 3.2.1 Auszüge aus Leviathan . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Auszüge aus Einwände gegen Descartes’ Meditationen
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4. Baruch de Spinoza (Pedro Stoichita und Stephan Schmid) . . . . . . 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Der systematische Hintergrund: Substanzmonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . 4.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . 4.2 Zentrale Passagen zu Spinozas Ideentheorie . . . . 4.2.1 Auszüge aus Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Auszüge aus der Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . 119 . . 119 . . 119 . . . . . .
120 126 129 132 132 159
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166 168 169 172
. . . . 172 . . . . 179
5. Nicolas Malebranche (Paolo Rubini) . . . . . . . . . . . . 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Der systematische Hintergrund: Okkasionalismus
. . . .
197 197 197 199
VII
Inhaltsverzeichnis
5.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . . . 200 5.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . 202 5.2 Zentrale Passagen zu Malebranches Ideentheorie: Auszüge aus Die Suche nach der Wahrheit . . . . . . . . . . . 203 6. Antoine Arnauld (Julia Borcherding und Stephan Schmid) . . . . . . 6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Der systematische Hintergrund: Cartesianismus 6.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . 6.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . 6.2 Zentrale Passagen zu Arnaulds Ideentheorie . . . . . 6.2.1 Auszüge aus Die Logik oder Die Kunst des Denkens 6.2.2 Auszüge aus Über wahre und falsche Ideen . . . . . 7. John Locke (Martin Lenz) . . . . . . . . . . . . . 7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Der systematische Hintergrund: zwei Perspektiven . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . 7.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . 7.2 Zentrale Passagen zu John Lockes Ideentheorie: Auszüge aus Versuch über den menschlichen Verstand
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231 231 231 232 236 237 239 239 245
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8. Gottfried Wilhelm Leibniz (Christian Barth) . . . . . . . . 8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Der systematische Hintergrund: Perzeptionstheorie 8.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . . . 8.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . 8.2 Zentrale Passagen zu Leibniz’ Ideentheorie . . . . . . . . 8.2.1 Was ist eine Idee? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen . . . . 8.2.3 Auszüge aus Metaphysische Abhandlung . . . . . . . . 8.2.4 Auszüge aus Entwurf eines Briefes an Arnauld (1686) . 8.2.5 Auszüge aus Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702) 8.2.6 Auszüge aus den Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand . . . . . . . . . . . . .
299 299 299 300 302 304 309 309 311 317 320 323 327
VIII
Inhaltsverzeichnis
9. George Berkeley (Max Barkhausen und Johannes Haag) 9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Der systematische Hintergrund: Idealismus als Antwort auf den Skeptiker . . . . . 9.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . . . 9.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . 9.2 Zentrale Passagen zu Berkeleys Ideentheorie . . . . . . 9.2.1 Auszüge aus Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Einleitung . . . . . . . 9.2.2 Auszüge aus Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Teil I . . . . . . . . . . 9.2.3 Auszüge aus Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Auszüge aus Versuch über eine neue Theorie des Sehens . . . . . . . . . . . . . . . . 10. David Hume (Markus Wild) . . . . . . . . . . . . 10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Der systematische Hintergrund: Eindrücke und Ideen . . . . . . . . . . 10.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . 10.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . 10.2 Zentrale Passagen zu Humes Ideentheorie: Auszüge aus Abhandlung über die menschliche Natur und Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 331 . 331 . 331 . . . .
332 334 335 337
. 337 . 342 . 351 . 356
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11. Thomas Reid (Johannes Haag und Markus Wild) . . . . 11.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Kurzbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Der systematische Hintergrund: Kritik an der Ideentheorie . . . . . . . . . . . 11.1.3 Leitfragen und ihre Antworten . . . . . . . . . 11.1.4 Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . 11.2 Zentrale Passagen zu Reids Kritik an der Ideentheorie 11.2.1 Auszüge aus Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Prinzipien des Common Sense . . . . 11.2.2 Auszüge aus Versuche über die intellektuellen Vermögen des Menschen . . . . . . . . . . . . . .
. 395 . 395 . 395 . . . .
396 399 401 402
. 402 . 424
Inhaltsverzeichnis
IX
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 1. Literatur vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 2. Literatur nach 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Personenregister für Band 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 1. Personen vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 2. Personen nach 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Sachregister für Band 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Deutsche Fassungen der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
X
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
XI
Vorwort Il est bien triste d’avoir tant d’idées, et de ne savoir pas au juste la nature des idées. Je l’avoue; mais il est bien plus triste et beaucoup plus sot de croire savoir ce qu’on ne sait pas. Es ist wirklich traurig, so viele Ideen zu haben und nicht genau zu wissen, was die Natur der Ideen ist. Das gebe ich zu; aber es ist noch viel trauriger und viel törichter zu glauben, man wisse das, was man nicht weiß. Voltaire, Dictionnaire philosophique, „Idée“
Kaum ein Begriff prägte die philosophischen Debatten der Frühen Neuzeit so tiefgreifend wie der Ideenbegriff, kaum einer löste so viele kontroverse Debatten aus, kaum einer beeinflusste die späteren Diskussionen so nachhaltig und wird auch heute noch so intensiv diskutiert. In heutigen Debatten wird dieser Begriff häufig wie ein philosophisches Schlagwort gebraucht – angeblich allgemein bekannt, aber selten präzis erläutert. Wenn man ihn dann näher betrachtet und auch die Kritik genau verstehen möchte, die immer wieder an ihm geübt wird, wird er immer facettenreicher und schwerer zu fassen. Und dann muss man sich eingestehen, dass man – wie Voltaire schon scharfzüngig bemerkte – gar nicht genau weiß, wovon man wie selbstverständlich immer wieder spricht. Eine wesentliche Ursache für die Unsicherheiten im Umgang mit dem Ideenbegriff ist darin zu sehen, dass dieser Begriff von den Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts vielfältig verwendet wurde und je nach metaphysischem und erkenntnistheoretischem Kontext ganz unterschiedliche Funktionen hatte. Die frühneuzeitlichen Diskussionen rund um den schillernden Ideenbegriff müssen deshalb historisch rekonstruiert und systematisch analysiert werden, damit ein differenziertes Bild vom „way of ideas“ entsteht. Genau das soll der vorliegende Doppelband leisten. Folgende Ziele stehen im Vordergrund. Erstens soll eine breite Textgrundlage geschaffen werden, die es erlaubt, sich in Auseinandersetzung
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Vorwort
mit Primärquellen mit verschiedenen Ideentheorien zu befassen und dadurch die ganze Vielfalt der Debatten im 17. und 18. Jahrhundert in den Blick zu bekommen. Dabei werden neben klassischen, viel zitierten Texten bewusst auch solche berücksichtigt, die heute oft vernachlässigt werden, in der Frühen Neuzeit aber einflussreich waren. Die allermeisten Texte werden in einer neuen Übersetzung vorgestellt, einige sogar in einer ersten Übertragung aus dem Lateinischen, Französischen oder Englischen. Zweitens sollen die philosophischen Quellen durch detaillierte Kommentare erschlossen und einem heutigen Publikum zugänglich gemacht werden. Die Schwierigkeit bei einer Auseinandersetzung mit historischen Texten liegt ja darin, dass die Diskussionskontexte, die Fachterminologie und die impliziten Bezüge nicht mehr bekannt sind. Die kurzen Einleitungen zu jedem Text sowie die Einleitungen und die Stellenkommentare im zweiten Band sollen hier Klarheit schaffen. Drittens sollen die systematischen Essays im zweiten Band das Erklärungspotenzial der einzelnen Theorien aufzeigen und zu eigenen Analysen anregen. Sie zielen nicht auf eine umfassende Darstellung ab, sondern konzentrieren sich auf einzelne Thesen und Argumente, die eine besondere philosophische Brisanz haben. Und schließlich sollen viertens die Einleitung zum ersten Band und der Schlussessay im zweiten Band den gesamten Horizont abstecken, methodologische Probleme erörtern und einige besonders umstrittene Punkte näher beleuchten. Der Doppelband ist ein Gemeinschaftswerk der LeibnizpreisForschungsgruppe „Transformationen des Geistes: Philosophische Psychologie 1500–1750“ am Institut für Philosophie der HumboldtUniversität zu Berlin. Unser Dank gilt zunächst allen Mitgliedern dieser Gruppe. Ohne ihren Enthusiasmus, ihre kollegiale Zusammenarbeit und ihre fachliche Kompetenz wäre dieses Werk nicht zustande gekommen. Auf zwei Präsentationstagungen haben wir das Konzept und die entstehenden Beiträge Wolfgang Detel, Andreas Hüttemann, Katia Saporiti und Marcus Willaschek vorgestellt. Wir sind diesen Fachkollegen für hilfreiche Kommentare und Verbesserungsvorschläge dankbar. Hilfreich waren auch Diskussionen mit Marcelo Dascal, Michael Della Rocca, Michael Hampe, Nicholas Jolley, Steven Nadler und Pauline Phemister. Ebenso gilt unser Dank Simone Ungerer, die als administrative Assistentin die Gruppe begleitet und die Entstehung des Manuskripts in allen Phasen unterstützt hat – von der Mitarbeit an Übersetzungen bis zur Vorbereitung des Registers. Auch Sebastian Bender und Luz Christopher Seiberth, die mit großer Sorgfalt das Schlussmanuskript vorbereitet haben, sind wir für die tatkräftige Hilfe dankbar. Schließlich danken
Vorwort
XIII
wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mit Mitteln des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis-Programms die Gründung der Forschungsgruppe im Jahr 2006 ermöglicht hat. Berlin, im April 2009
D.P. & J.H.
XIV
Vorwort
Der Ideenbegriff – ein klarer und einfacher Begriff ?
1
Einleitung Dominik Perler
1. Der Ideenbegriff – ein klarer und einfacher Begriff ? Wer sich an einem klaren Spätsommertag auf eine Bergwanderung begibt, macht eine seltsame Erfahrung. Frühmorgens erscheint der zu erklimmende Berg mit deutlichen Konturen, von anderen Erhebungen in der Gebirgskette scharf abgegrenzt und eindeutig bestimmbar. Je mehr man sich dem Berg aber nähert, desto undeutlicher werden die Abgrenzungen. Wo fängt der Berg überhaupt an und wo hört er auf ? Was gehört noch zum Tal oder zum Vorgebirge und was zum Berg selbst? Steigt man dann hoch, wird es immer schwieriger, sich im Gestrüpp und in den Geröllhalden zu orientieren. Vielleicht verliert man sich ganz im unübersichtlichen Gelände und gelangt nie zum Gipfel. Vielleicht erreicht man doch noch eine Spitze und stellt mit Verblüffung fest, dass es ringsherum zahlreiche weitere Spitzen gibt. Mit philosophischen Begriffen verhält es sich ähnlich. Auf den ersten Blick erscheinen sie klar, verständlich und von anderen Begriffen scharf abgegrenzt. Je mehr man sich aber mit ihnen beschäftigt, desto schwieriger sind sie zu fassen. Es stellt sich heraus, dass sie eng mit anderen Begriffen verknüpft sind und ähnlich wie in einer Landschaft in einer ganzen Theorie angesiedelt sind. Prüft man einen Begriff, landet man wohl oder übel in einem ganzen Gestrüpp von Begriffen. Vielleicht gelingt die Begriffsklärung nie vollständig. Vielleicht führt sie auch dazu, dass plötzlich zahlreiche weitere Begriffe auftauchen, die es zu analysieren gilt. Der Begriff der Idee, der wie kaum ein anderer Begriff die philosophischen Debatten in der Frühen Neuzeit geprägt hat und bis heute einflussreich geblieben ist, wirft genau diese methodischen Probleme auf, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird er von den frühneuzeitlichen Autoren selbst als ein auf den ersten Blick einfacher, klarer und allgemein bekannter Begriff verwendet, der sich bei näherer Betrachtung jedoch als äußerst komplex und vieldeutig herausstellt. Zum anderen erscheint er auch aus heutiger Sicht zunächst klar und leicht verständlich,
2
Einleitung
erweist sich in einer systematischen Analyse aber als ein Begriff, der nur im Rahmen einer komplexen Theorie des Geistes fassbar wird. Dies wird deutlich, wenn man bei Aussagen frühneuzeitlicher Philosophen ansetzt und nach einer Erklärung des Ideenbegriffs sucht. So halten Antoine Arnauld und Pierre Nicole im ersten Kapitel ihrer einflussreichen Logique (1662 veröffentlicht) lapidar fest: Das Wort Idee gehört zu jenen, die so klar sind, dass man sie nicht durch andere erklären kann, da es keine gibt, die klarer und einfacher sind.1
Was ist hier ganz klar? Eine Idee, so könnte man sogleich erwidern, ist ein Objekt des Geistes, das Gegenstände repräsentiert und dadurch eine Erkenntnis ermöglicht. Genau so wurde der Ideenbegriff im 17. und 18. Jahrhundert aufgefasst, wie sich etwa in John Lockes Essay concerning Human Understanding (Erstauflage 1689) zeigt. Locke bemüht sich zunächst gar nicht um eine Begriffsanalyse, sondern hält kurz und bündig fest, unter einer Idee verstehe er das, „was auch immer das Objekt des Verstandes ist, wenn ein Mensch denkt.“2 Auch Leibniz setzt in seinen späten Schriften bei diesem scheinbar evidenten Ideenbegriff an. In den Nouveaux Essais (1703–1705 verfasst) lässt er, an Locke anknüpfend, einen der Dialogpartner das Gespräch mit der rhetorischen Frage beginnen: „Ist es denn nicht wahr, dass die Idee das Objekt des Denkens ist?“3 Auf den ersten Blick erscheint diese Aussage ganz unverfänglich. Ein Objekt des Denkens, so könnte man gleich erläuternd hinzufügen, ist einfach der Denkinhalt. Denn woran auch immer jemand denkt, es gibt immer etwas, das geistig präsent ist und erfasst wird, und zwar unabhängig davon, ob auch in der materiellen Welt etwas präsent ist. Selbst wenn ich an Chimären oder an Pegasus denke, hat mein Denken ja einen Inhalt. Betrachtet man die Rede von einem Objekt des Denkens etwas genauer, tauchen aber zahlreiche Fragen auf. Was ist ein solches Objekt:
1
2
3
La Logique ou l’art de penser I, 1 (ed. Marin 1970, 65): „Le mot d’Idée est du nombre de ceux qui sont si clairs qu’on ne les peut expliquer par d’autres, parce qu’il n’y en a point de plus clairs & de plus simples.“ An Essay concerning Human Understanding I, 1, § 8 (ed. Nidditch, 47): „ … I must here in the Entrance beg pardon of my Reader, for the frequent use of the Word Idea, which he will find in the following Treatise. It being that Term, which, I think, serves best to stand for whatsoever is the Object of the Understanding when a Man thinks …“ Nouveaux Essais sur l’entendement humain II, § 1 (Phil. Schriften III, 98; AA VI.6, 109): „N’est il pas vray que l’idée est l’objet de la pensée?“
Der Ideenbegriff – ein klarer und einfacher Begriff ?
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ein innerer Gegenstand, den man beim Denken irgendwie erfassen oder gar betrachten kann? Erfasse ich ein inneres, in meinem Geist irgendwie präsentes Fabeltier, wenn ich an Chimären denke? Und wie ist ein solches Erfassen überhaupt zu verstehen? Richte ich meinen inneren Blick auf etwas? Angenommen, es gibt auch einen äußeren Gegenstand, etwa wenn ich an die Sonne oder an einen Menschen denke. Wie verhält sich dann das innere Objekt zu dem äußeren Gegenstand: Bildet es ihn ab, steht es als sprachartiges Zeichen für ihn oder repräsentiert es ihn auf eine andere Weise? Was genau repräsentiert dann das innere Objekt: den materiellen Gegenstand, bloß dessen wahrnehmbare Eigenschaften oder andere Eigenschaften? Und wie wird mithilfe dieses Objekts eine Erkenntnis von dem äußeren Gegenstand gewonnen? Legt das Erfassen eines inneren Objekts die Grundlage für eine wahre Überzeugung von einem solchen Gegenstand? Diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man sich mit einem Gestrüpp von Begriffen befasst, etwa mit jenen von Geist, Repräsentation, Objekt, Erkenntnis und Überzeugung. Daher kann man sich in einer Analyse des Ideenbegriffs nicht auf ein klar begrenztes Problem beschränken, sondern muss sich auf das unübersichtliche Gelände der frühneuzeitlichen Philosophie des Geistes, Metaphysik und Erkenntnistheorie begeben und eine Fülle von Problemen in den Blick nehmen. Es stellt sich noch ein weiteres Problem. Sobald man davon ausgeht, dass primär ein inneres Objekt präsent ist und erfasst wird, scheint sich gleichsam etwas zwischen den Geist und den Gegenstand in der materiellen Welt einzuschieben. Donald Davidson hat diese Konzeption auf pointierte Weise charakterisiert: Es gibt ein Bild des Geistes, das so sehr in unserer philosophischen Tradition verwurzelt ist, dass es fast unmöglich ist, seinem Einfluss zu entkommen, nicht einmal dann, wenn seine schlimmsten Fehler erkannt und beseitigt worden sind. In einer kruden, aber vertrauten Version besagt es etwa folgendes: Der Geist ist ein Theater, in dem das bewusste Selbst ein vorbeiziehendes Schauspiel (die Schatten an der Wand) beobachtet. Das Schauspiel besteht aus ‚Erscheinungen‘, Sinnesdaten, Qualia, was in der Erfahrung gegeben ist. Was auf der Bühne erscheint, sind nicht die gewöhnlichen Objekte der Welt, die das äußere Auge registriert und das Herz liebt, sondern ihre angeblichen Vertreter. Was immer wir über die Welt draußen wissen, hängt von dem ab, was wir den inneren Anhaltspunkten entnehmen können.4
4
Davidson 1994, 675–676 (engl. 2001, 34). Ähnlich auch Putnam 1999, 100–102.
4
Einleitung
Gemäß diesem Bild haben wir keinen direkten epistemischen Zugang zu Bäumen, Tischen und anderen Dingen in der Welt, sondern höchstens einen indirekten. Wir erfassen dann primär unsere Ideen, also innere repräsentierende Objekte, und höchstens sekundär die äußeren repräsentierten Dinge. Von der Welt wissen wir nur durch das innere Schauspiel, das aus einer Abfolge von Ideen besteht. Je genauer und umfassender dieses Schauspiel die Welt darstellt, desto besser wird unser Wissen. Es ist leicht ersichtlich, dass dieses Szenario eine Reihe von Problemen aufwirft. Wir sind uns dann nämlich nur noch unserer Ideen gewiss und können höchstens annehmen oder vermuten, dass sie äußere Gegenstände korrekt repräsentieren. Doch was rechtfertigt diese Annahme? Es könnte ja sein, dass unsere Ideen die Gegenstände ganz anders repräsentieren, als sie tatsächlich beschaffen sind. Es könnte sogar sein, dass es gar keine äußeren Gegenstände gibt und wir nur eine Welt mit solchen Gegenständen fingieren. Wir sind nie imstande, von einem neutralen Standpunkt aus zu überprüfen, ob materielle Gegenstände existieren, da wir keinen direkten, von Ideen unabhängigen Zugang zu ihnen haben. Selbst wenn sie existieren, können wir nie feststellen, ob unsere Ideen sie korrekt repräsentieren, da wir die Gegenstände nie so, wie sie an sich sind, mit unseren Ideen vergleichen können. Bildlich gesprochen: Wir sind stets Gefangene unseres inneren Theaters und können nicht ausbrechen. Angesichts dieser fatalen Konsequenzen ist es nicht erstaunlich, dass der frühneuzeitliche Ideenbegriff lange Zeit negativ betrachtet wurde – als ein irreführender Begriff, den man um jeden Preis vermeiden muss, wenn man ein angemessenes Verständnis vom menschlichen Geist und dessen Verhältnis zur Welt gewinnen will. Die Kritik setzte bereits im 18. Jahrhundert ein. Schon Thomas Reid bemerkte polemisch, die Annahme von Ideen habe zur Folge, dass man die Welt nur noch in einem inneren Spiegel sehe, ja dass man nicht einmal mehr sicher sein könne, ob außerhalb dieses Spiegels etwas existiere.5 Diese Kritik wurde im 20. Jahrhundert wieder aufgenommen und weitergeführt. Wer Ideen annimmt, so lautete nun der Vorwurf, führt unweigerlich innere
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Vgl. Essays on the Intellectual Powers of Man, ch. 14 (ed. Beanblossom & Lehrer, 175/180); zur Wiederaufnahme in modernen Debatten vgl. Van Cleve 2003, 101/104. Zu Reids Kritik an der Ideentheorie vgl. die Einleitung und den Stellenkommentar von M. Wild & J. Haag in Bd. 2.
Der Ideenbegriff – ein klarer und einfacher Begriff ?
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Objekte ein – noch dazu Objekte, deren ontologischer Status höchst unklar ist.6 Das zunehmende Interesse an Repräsentationstheorien in den gegenwärtigen Kognitionswissenschaften löste aber auch eine Gegenbewegung aus. Der Ideenbegriff, so wird von heutigen Repräsentationalisten – prominenterweise von Jerry Fodor – betont, muss keineswegs im Sinne einer Objekttheorie verstanden werden, die innere Gegenstände zwischen den Geist und die Außenwelt einfügt. Eine Idee kann zunächst in einem ganz harmlosen Sinn als ein repräsentationaler Zustand verstanden werden. Wer ein „Objekt des Denkens“ erfasst, befindet sich dann einfach in einem bestimmten Zustand und erfasst einen Inhalt, der auf Gegenstände verweist – im einfachsten Fall auf Bäume, Stühle und andere Dinge in der materiellen Welt. Wie dieser Inhalt zustande kommt und wie er auf etwas verweisen kann, ist natürlich eine knifflige Frage, die es zu untersuchen gilt. Aber auf jeden Fall sind repräsentierende Zustände notwendig, damit sich ein Geist überhaupt auf etwas beziehen kann. Daher legt der Ideenbegriff nicht die Grundlage für einen Solipsismus und Skeptizismus, sondern ist der unverzichtbare Kernbegriff, mit dessen Hilfe das Intentionalitätsproblem und andere Probleme der Philosophie des Geistes geklärt werden können.7 Erst wenn die These akzeptiert wird, dass der kognitive Zugang zur Welt durch Repräsentationen vermittelt wird, und erst wenn die Struktur dieser Repräsentationen untersucht wird, lässt sich etwas Informatives darüber sagen, wie sich ein Lebewesen auf Dinge in der Welt beziehen kann. Zwar müssen Repräsentationen nicht auf Ideen eingeschränkt werden, aber Ideen stellen gleichsam einen Prototyp dar und eignen sich daher gut als Ausgangspunkt für eine Analyse von Repräsentationen.
6
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Besonders durch die einflussreiche Kritik Rortys, der im frühneuzeitlichen Ideenbegriff das Paradigma einer Abbildtheorie der Erkenntnis sah (vgl. Rorty 1980, 139–148), gerieten repräsentationalistische Theorien in das Schussfeld der Kritik. Rorty nahm explizit Reids Metapher vom Geist als einem „Spiegel der Natur“ auf. Auch Strouds Beurteilung, die Ideentheorie – prominent vertreten von Descartes – führe unweigerlich zu der Auffassung, dass sich ein Schleier zwischen den Geist und die materielle Welt lege, und sei deshalb „truly desastrous“ (vgl. Stroud 1984, 38), prägte nachhaltig die Forschungsdebatte. Beide Interpretationen sind freilich ihrerseits kritisch evaluiert worden. Vgl. Perler 1994; Ayers 1991; Hatfield 2001; Brown 2007. Fodor stützt sich vor allem auf Hume und behauptet, dessen Ideenbegriff antizipiere den Repräsentationsbegriff der gegenwärtigen Kognitionswissenschaften (vgl. Fodor 2003, 2).
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Einleitung
Angesichts dieser gegensätzlichen Stellungnahmen könnte man versucht sein, den frühneuzeitlichen Ideenbegriff ausschließlich mit Blick auf die heute umstrittenen Probleme zu betrachten. Führt der „way of ideas“, wie der ideentheoretische Ansatz häufig genannt wird, tatsächlich zu einem Skeptizismus und Solipsismus?8 Oder ist er unverzichtbar, wenn das kognitive Verhältnis von Menschen und anderen Lebewesen zur materiellen Welt erklärt werden soll? Diese Fragen werden häufig ins Zentrum einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Ideenbegriff gerückt. Es wäre jedoch gefährlich, die Debatten im 17. und 18. Jahrhundert ausschließlich mit Blick auf diese Problemstellungen zu betrachten und sie auf heutige Interessen zuzuschneiden. Mindestens drei Gründe sprechen gegen eine vorschnelle Verengung des Blickfeldes. Erstens ist zu beachten, dass sich die frühneuzeitlichen Autoren keineswegs darin einig waren, was unter einer Idee zu verstehen ist. Ob es sich dabei tatsächlich um ein inneres Objekt oder nicht eher um einen Zustand, einen Akt oder eine Disposition handelt, war eine umstrittene Frage. Ebenso strittig war, in welchem Geist (im göttlichen, im menschlichen oder vielleicht auch in jenem eines Tieres) Ideen vorkommen, was sie repräsentieren und wie sie repräsentieren. Es wäre irreführend, von einem einheitlichen Ideenbegriff auszugehen und den Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts lediglich unterschiedliche Ausformulierungen dieses einen Begriffs zuzuschreiben. Selbst bei Locke, der scheinbar eindeutig von einem „Objekt des Verstandes“ spricht, ist es keineswegs klar, auf welche Art von Entität er sich damit festlegt.9 Leibniz knüpft zwar an die gängige Redeweise von einem „Objekt des Denkens“ an, betont dann aber sogleich, dass er unter einer Idee eine Fähigkeit oder ein 8
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„Way of ideas“ war schon sehr früh ein Kampfbegriff und wurde bereits von Lockes Kritikern, prominenterweise von Stillingfleet, verwendet, um eine desaströse Theorie zu brandmarken (vgl. Yolton 1990). So fügt er der Aussage, Ideen seien Objekte des Verstandes, sogleich hinzu, damit meine er „whatever it is, which the Mind can be employ’d about in thinking“; vgl. Essay I, i, § 8 (ed. Nidditch, 47). Dies können auch einfach Akte oder Zustände des Geistes sein. Gelegentlich setzt er Ideen sogar ausdrücklich mit „appearances“ oder „perceptions“ gleich und betont, dass sie aktuelle geistige Zustände sind; vgl. Essay I, 4, § 20; II, 1, § 9; II, xxxii, § 1 (ed. Nidditch, 97, 108, 384). Betont man diese Stellen, kann man Locke als einen Autor verstehen, der unter Ideen nur kognitive Vehikel versteht und durchaus zugesteht, dass sich der Geist mithilfe dieser Vehikel auf Gegenstände in der Außenwelt (nicht auf Objekte in einem inneren Theater) bezieht. Darauf insistieren Yolton 1993, 88–93; Ayers 1991, 52–59; und Lowe 2005, 38–48. Vgl. auch den Stellenkommentar von M. Lenz in Bd. 2.
Der Ideenbegriff – ein klarer und einfacher Begriff ?
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Vermögen des Geistes versteht.10 Eine Idee zu haben heißt für ihn zunächst nichts anderes, als die Fähigkeit zu besitzen, einen geistigen Zustand mit einem bestimmten Inhalt hervorzubringen. Damit ist natürlich noch nicht geklärt, wie ein Inhalt entstehen kann, und noch viel weniger steht fest, welche Art von Fähigkeit oder Vermögen vorliegen muss, damit es überhaupt zu einem Akt mit einem bestimmten Inhalt kommen kann. Doch zumindest verdeutlicht Leibniz’ Aussage, dass er Ideen im Rahmen einer Dispositionstheorie zu erklären versucht: Wer ihre Genese und Funktion analysieren will, muss untersuchen, welche Fähigkeiten der Geist besitzt und wie er sie verwenden kann.11 Die in diesem Band versammelten Texte sollen verdeutlichen, dass es ganz unterschiedliche Ideenbegriffe gab und dass man eher von einem Bündel von Begriffen sprechen sollte, deren gegenseitiges Verhältnis erst geklärt werden muss. Um die Gebirgsmetapher wieder aufzunehmen: Es gilt, nicht einen einzigen Berg, sondern eine ganze Kette von Bergen in den Blick zu nehmen, die miteinander verglichen werden müssen. Zweitens ist zu betonen, dass ein Autor selbst dann, wenn er Ideen als Objekte des Denkens bestimmt, nicht unbedingt einen starken Repräsentationalismus vertritt, dem zufolge wir nur noch zu inneren Repräsentationen einen direkten Zugang haben und höchstens annehmen oder vermuten können, dass es äußere Ursachen für diese Repräsentationen gibt. Solange unter einem Objekt des Denkens nur der Inhalt eines geistigen Zustandes verstanden wird, lässt sich auch ein schwacher Repräsentationalismus vertreten, der davon ausgeht, dass wir sehr wohl einen kognitiven Zugang zu Bäumen, Tischen und anderen Gegenständen in der Außenwelt haben, aber nur indem wir uns mit unseren geistigen Zuständen auf sie beziehen und indem wir diesen Zuständen einen Inhalt geben. Das, worauf Bezug genommen wird (im Normalfall ein materieller Gegenstand) ist sorgfältig von dem zu unterscheiden, womit Bezug genommen wird (ein geistiger Zustand mit einem Inhalt). Natürlich ist damit noch nicht erklärt, wie wir überhaupt zu einem geistigen Zustand mit einem Inhalt kommen. Aber zumindest lässt sich der Vor10
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Vgl. konzis Quid sit idea (Phil. Schriften IV, 62; AA VI.4.b,1370) und ausführlich Nouveaux Essais sur l’entendement humain, Vorwort (Phil. Schriften III, XVII; AA VI.6, 51–53). Er richtet sich damit gegen zwei Erklärungsansätze, wie Jolley 1990, 153–172, verdeutlicht. Zum einen wendet er sich gegen Lockes Auffassung, Ideen seien innere Objekte, die durch Erfahrung erworben werden. Zum anderen kritisiert er Malebranches Ansicht, Ideen seien äußere Objekte, die im göttlichen Geist erfasst werden. Vgl. auch den systematischen Essay von Ch. Barth in Bd. 2, 8.3.
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wurf zurückweisen, eine Idee als Objekt des Denkens sei immer ein direktes Bezugsobjekt, das sich wie in einem inneren Theater präsentiere. Verschiedene Autoren der Frühen Neuzeit betonten gerade den Punkt, dass die Rede von einem solchen Theater irreführend ist und dass wir mit unseren geistigen Akten einen Zugang zur materiellen Welt haben – meist sogar einen zuverlässigen Zugang, der es uns ermöglicht, wahre Überzeugungen von Gegenständen in dieser Welt zu bilden. So bestritt Arnauld vehement, dass wir besondere Objekte erfassen, und plädierte für die These, dass Ideen ontologisch gesehen nichts anderes als Perzeptionen sind, d. h. geistige Zustände oder Akte, die sich auf etwas beziehen und dadurch einen Inhalt haben. Die für ihn entscheidende Frage lautete nicht so sehr, was wir erfassen (meist sind es simple Gegenstände in unserer Umgebung), sondern wie wir etwas erfassen.12 Auch Locke ging trotz der expliziten Rede von „Objekten des Verstandes“ davon aus, dass wir Gegenstände in der materiellen Welt erfassen und ein Wissen von ihnen gewinnen können. Ihn interessierte vornehmlich die Frage, wie wir die Gegenstände erfassen können, welche Art von Wissen wir erwerben und wie weit dieses Wissen reicht.13 Es wäre daher irreführend, jedem frühneuzeitlichen Denker, der von Ideen als Objekten spricht, gleich einen starken Repräsentationalismus zu unterstellen, der in einen Außenwelt-Skeptizismus mündet. Drittens schließlich gilt es auch, nicht vorschnell heutige Diskussionen auf die Frühe Neuzeit zu projizieren und in der Ideendebatte nur einen Vorläufer gegenwärtiger Positionen pro und contra Repräsentationalismus zu sehen. Es wäre sogar methodisch verfehlt, den Blick nur auf kognitionstheoretische Debatten zu richten und ausschließlich nach Antworten auf die Frage zu suchen, ob und wie Ideen kognitive Objekte sind. In der Frühen Neuzeit konzentrierte sich die Ideendebatte immer auch auf metaphysische Probleme. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Frage nach der Natur des Geistes. Ist der menschliche Geist eine
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Vgl. Des vraies et des fausses idées, ch. 5 (ed. Frémont, 44) und den systematischen Essay von S. Schmid und J. Borcherding in Bd. 2, 6.3. Bereits auf der ersten Seite des Essay concerning Human Understanding I, 1 (ed. Nidditch, 43) betont er, dass es ihm um diese Ziele geht. Er will also keineswegs bezweifeln, dass wir ein Wissen von der materiellen Welt haben, sondern vielmehr erläutern, wie wir es mithilfe von Ideen gewinnen. Skeptische Überlegungen, ob wir überhaupt einen Zugang zur materiellen Welt haben, sind ihm fremd. Vgl. zu diesem Kontext der Ideentheorie die Einleitung und den systematischen Essay von M. Lenz in Bd. 2, 7.3.
Der spätscholastische Hintergrund der frühneuzeitlichen Debatten
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Substanz, die Ideen hat? In welchem Sinne sind dann Ideen in einer Substanz? Oder gibt es nur Bündel von Ideen, die keiner Substanz als eines Trägers bedürfen? Wie können sich solche Bündel überhaupt konstituieren? Und wie können sie sich von anderen Bündeln abgrenzen? Spätestens seit Spinoza, der die Annahme einer individuellen Substanz für jeden Menschen ablehnte, waren diese Fragen ebenso virulent wie jene nach dem Objekt des Denkens.14 Daher sollen nicht einfach heutige kognitionstheoretische Deutungen als Leitfaden gewählt werden. Es gilt vielmehr, die Auseinandersetzungen rund um den Ideenbegriff im historischen Kontext zu verankern und zu rekonstruieren. Erst dann zeigt sich, von welchen Voraussetzungen diese Autoren ausgingen, welche Probleme sie mit ihrer jeweiligen Ideentheorie erklären wollten, welche Vorgängermodelle sie kritisierten und von welchen umfassenden kognitionstheoretischen, erkenntnistheoretischen und metaphysischen Überlegungen ihre jeweilige Theorie inspiriert war. Deshalb soll zunächst der historische Rahmen aufgezeigt werden, in dem verschiedene Ideenbegriffe entwickelt wurden.
2. Der spätscholastische Hintergrund der frühneuzeitlichen Debatten Der Ideenbegriff ist keine Erfindung der Frühen Neuzeit, sondern stammt aus der platonisch-augustinischen Tradition und war unter spätscholastischen Autoren des 16. und frühen 17. Jahrhunderts weit verbreitet.15 Sie verstanden unter einer Idee eine unveränderliche, ewig existierende Entität im göttlichen Geist, die als Vorlage für alle veränderlichen, zeitlich existierenden Gegenstände dient. Der Ausdruck ‚idea‘ wurde daher synonym mit ‚forma‘, ‚species‘ ‚ratio‘ und ‚exemplar‘ verwendet, wie sich in R. Goclenius’ Lexicon philosophicum (1613 veröffentlicht) zeigt,
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Daher manifestiert sich in den ideentheoretischen Debatten immer auch eine Auseinandersetzung mit substanztheoretischen Modellen, insbesondere mit jenen in der aristotelischen Tradition. Dabei wurde nicht nur das Verhältnis von Ideen und Substanzen, sondern auch jenes von Ideen und Eindrücken in metaphysischer Hinsicht diskutiert, prominenterweise bei Hume. Vgl. ausführlich den systematischen Essay von M. Wild zu Hume in Bd. 2, 10.3. Als besonders einflussreich erwies sich Augustins Quaestio de ideis, die während des ganzen Mittelalters bis in das 17. Jahrhundert hinein kommentiert wurde. Vgl. zur Rezeption Boulnois 2002.
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das den damals üblichen Sprachgebrauch dokumentiert.16 Damit schlossen sich die Spätscholastiker einer Ideentheorie an, die während des ganzen Mittelalters dominant war. Es empfiehlt sich, kurz auf eine klassische Ausformulierung dieser Theorie einzugehen, um zu verdeutlichen, von welcher Problemsituation sie ausging und welches Erklärungsmodell sie bereitstellte. Thomas von Aquin, dessen Summa theologiae im 16. und 17. Jahrhundert ausführlich kommentiert wurde,17 führt den Ideenbegriff folgendermaßen ein: Was nämlich auf Griechisch idea heißt, wird auf Lateinisch forma genannt. Daher werden unter den Ideen die Formen von anderen Dingen verstanden – die Formen, die außerhalb dieser Dinge existieren. Die Form eines Dinges, die außerhalb von ihm existiert, kann aber zweifach bestimmt werden: als Vorlage dessen, wovon sie ‚Form‘ genannt wird, oder als dessen Erkenntnisprinzip, dem gemäß man sagt, dass die Formen der erkennbaren Dinge im Erkennenden sind.18
Hier fällt auf, dass Thomas die Idee eindeutig als Form bestimmt, die außerhalb eines Dinges – sei dies nun ein Baum, ein Tier oder ein Mensch – angesiedelt ist, und sie dadurch von der Form unterscheidet, die in einem Ding existiert. Als Aristoteliker geht er davon aus, dass jedes natürliche Ding aus Form und Materie besteht: Die immanente Form macht es zu einem Ding einer bestimmten Art und verleiht ihm bestimmte wesentliche Eigenschaften. Doch damit eine solche Form von einer anderen unterschieden werden kann, braucht es so etwas wie ein allgemeines Muster oder eine Vorlage, die anzeigt, worin die typischen Merkmale einer bestimmten Form bestehen. Diese Vorlage existiert 16
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Vgl. Lexicon philosophicum, 196 und 208. Ähnliche Aussagen finden sich bei Eustachius a Sancto Paulo und anderen Spätscholastikern des frühen 17. Jahrhunderts. Vgl. Ariew & Grene 1999. Thomas war freilich nicht der einzige Referenzautor. Ebenfalls einflussreich war Johannes Duns Scotus; vgl. Ariew 1999 und Hoffmann 2002. Seit dem Konzil von Trient (1545–1563) war Thomas aber der Autor, der institutionell am meisten Gewicht hatte und nicht nur in katholischen, sondern auch in protestantischen Kreisen kommentiert wurde. Descartes schrieb, er habe Thomas’ Summa theologiae als eines der wenigen Bücher aus Frankreich mitgenommen; vgl. Brief an Mersenne vom 25. 12. 1639 (AT II, 630). Summa theologiae I, q. 15, art. 1, corp.: „Idea enim graece, latine forma dicitur: unde per ideas intelliguntur formae aliarum rerum, praeter ipsas res existentes. Forma autem alicuius rei praeter ipsam existens, ad duo esse potest: vel ut sit exemplar eius cuius dicitur forma; vel ut sit principium cognitionis ipsius, secundum quod formae cognoscibilium dicuntur esse in cognoscente.“ Vgl. auch Quaest. disp. De veritate, q. 3, art. 1, corp. (ed. Leonina, 99–100).
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außerhalb der Einzeldinge und ist nicht von ihnen abhängig. Selbst wenn alle Menschen ausgestorben sind und es somit keine immanente Form des Menschseins mehr gibt, bleibt die externe Form bzw. die Idee bestehen, und sie hat bereits existiert, bevor der erste Mensch geboren wurde. Doch wozu, so kann man gleich fragen, ist eine solche überzeitliche Entität überhaupt erforderlich? Warum reicht es nicht aus, dass es in den einzelnen Dingen Formen gibt, die sie strukturieren und von andersartigen Dingen unterscheiden? Aus mindestens drei Gründen sieht sich Thomas veranlasst, externe Formen anzunehmen und damit ein platonisches Element in seine aristotelische Konzeption einzufügen. Der erste Grund ist schöpfungstheologischer Natur.19 Wenn alle Dinge Bestandteile der Schöpfung sind und nicht chaotisch auftreten, sondern in einer Ordnung stehen, braucht es einen Plan für die gesamte Schöpfung. Gott als Schöpfer verfügt über einen solchen Plan, indem er Ideen von allen Gegenständen hat. Diese Ideen – die externen Formen – geben nicht nur an, welche wesentlichen Eigenschaften die einzelnen Dinge haben, sondern sie verdeutlichen auch, in welcher Ordnung die Dinge zueinander stehen, ja stehen müssen. Gäbe es keine Ideen, könnte man weder sagen, warum Dinge in bestimmten Relationen auftreten, noch könnte man erklären, warum sie wohlgeordnet existieren. Der zweite Grund ist modaltheoretischer Natur. Thomas zufolge muss man zugestehen, dass es neben den realen, wirklich existierenden Dingen auch mögliche Dinge gibt, die ihrerseits von den unmöglichen Dingen zu unterscheiden sind. So gibt es nicht nur die aktuell existierenden Pferde, sondern auch deren Nachkommen als mögliche Pferde. Es gibt aber keine Chimären, weder aktuelle noch mögliche. Doch was berechtigt uns zu der Behauptung, dass es mögliche Pferde gibt, mögliche Chimären aber nicht? Thomas’ Antwort ist eindeutig: Weil es eine Idee für Pferde gibt, und zwar unabhängig von der aktuellen Existenz von Pferden, gibt es auch mögliche Pferde. Sie sind gleichsam im Plan Gottes enthalten. Es gibt jedoch keine Idee für Chimären und damit auch keine möglichen Chimären. Eine derartige Idee wäre in sich widersprüchlich; sie würde wesentliche Eigenschaften miteinander verbinden, die gar nicht zusammen auftreten können.
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Von diesem Grund hängen alle weiteren ab, denn nur im Rahmen einer Schöpfungstheologie lässt sich Thomas zufolge eine Kausal- und eine Modaltheorie entwickeln. Vgl. zum Erklärungsrahmen Wippel 1993.
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Schließlich ist ein dritter Grund für die Annahme von Ideen kausaltheoretischer Natur. Würde man nur Dinge mit immanenten Formen annehmen, könnte man zwar erläutern, welche Dinge es gibt (und geben kann), wie sie sich voneinander unterscheiden und wie sie sich entwickeln. Aber man wäre nicht imstande zu erklären, warum sie überhaupt existieren und warum sie sich auf eine bestimmte Art und Weise entwickeln. Erst wenn man einsieht, dass es eine permanent wirksame Ursache braucht und dass diese in Gott liegen muss, kann man Thomas zufolge diese Fragen beantworten. Gott ist zwar ein einfaches Wesen und handelt deshalb auch als einfache Ursache, aber er kann nur dann bestimmte Dinge hervorbringen und sich entwickeln lassen, wenn er über Ideen verfügt – Ideen, die das kausale Potenzial Gottes ausdifferenzieren und Dinge auf bestimmte Weise existieren lassen. Diese drei Gründe verdeutlichen, dass für Thomas Ideen eine entscheidende metaphysische Funktion haben. Mindestens so wichtig ist für ihn aber auch eine erkenntnistheoretische Funktion. Er betont ja, eine Idee sei ein „Erkenntnisprinzip“, und erklärt, gemäß diesem Prinzip seien die Formen der erkennbaren Dinge im Erkennenden. Wie ist dies zu verstehen? Wenn Gott sich entscheidet, bestimmte Dinge zu erschaffen, muss er auch erkennen, was er erschaffen will. Da Gott aber unveränderlich ist, kann diese Erkenntnis nicht dadurch erfolgen, dass er irgendwie affiziert wird und plötzlich einen neuen Gedanken aufnimmt. Er muss schon immer über die erforderliche Erkenntnis verfügen, und zwar derart, dass das zu Erkennende immer schon als Denkobjekt in ihm ist. Konkret heißt dies: Gott erkennt die zu erschaffenden Pferde weder dadurch, dass plötzlich Dinge auf ihn einwirken und in ihm einen Gedanken an Pferde hervorbringen, noch dadurch, dass er selber einen neuen Gedanken bildet. Die Pferde sind mit einem „intelligiblen Sein“ (esse intelligibile) immer schon in ihm und werden im Schöpfungsakt lediglich mit einer neuen Existenzweise, nämlich einer realen, versehen. Dadurch verändert sich nichts in Gott, sondern nur in der materiellen Welt. Thomas vergleicht Gott mit einem Hausbauer, der das Haus mit einem „intelligiblen Sein“ bereits in seinem Geist hat und es lediglich mit einer neuen Existenzweise ausstattet, wenn er es aus Stein baut.20 Genau wie beim Hausbauer die Form des Hauses bereits im Geist ist, verfügt auch Gott bereits über die Form der Pferde. Daher gibt es streng genommen nicht zwei distinkte Formen, eine immanente und eine externe, wie es
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Vgl. Summa theologiae I, q. 15, art. 1, corp., und art. 2, ad 2.
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zunächst schien, sondern nur zwei Existenzweisen einer Form: eine intelligible in Gott und eine reale in der materiellen Welt. Es ist offensichtlich, dass diese erkenntnistheoretische Funktion der Ideen eng mit der metaphysischen verbunden ist; denn nur wenn Gott etwas erkennt, kann er es auch erschaffen. Allerdings wirft die Redeweise von einem „intelligiblen Sein“ Fragen auf. Was ist darunter zu verstehen? Und warum ermöglicht diese Existenzweise Erkenntnis? Es scheint auf den ersten Blick doch plausibel anzunehmen, dass eine Erkenntnis nur dann vorliegt, wenn ein Subjekt sich auf ein von ihm verschiedenes Objekt bezieht und es mit jenen Eigenschaften erfasst, die es tatsächlich hat. Nun wird aber behauptet, Erkenntnis komme dadurch zustande, dass ein Subjekt – paradigmatisch Gott – etwas erfasst, das gerade nicht von ihm verschieden ist, sondern in ihm selbst existiert. Um welche kognitive Relation handelt es sich dabei? Und was genau wird erfasst? Mit diesen Problemen befassten sich die Spätscholastiker des 16. und 17. Jahrhunderts, die Thomas’ Ideentheorie, aber auch die Weiterentwicklungen und kritischen Reaktionen bei Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham rezipierten. Sie konzentrierten sich vor allem auf die Frage, was es denn heißt, dass die Dinge nicht nur als kognitive Objekte für den Geist existieren, sondern sogar im Geist. Exemplarisch zeigt sich dies bei Francisco Suárez, der in seinen Disputationes metaphysicae (1597 veröffentlicht) betont, dass die Ausdrucksweise ‚in etwas sein‘ auf zweifache Weise verstanden werden kann.21 Zum einen kann damit eine subjektive Existenz gemeint sein, d. h. die Art und Weise, wie etwas in einem Subjekt existiert. Dies ist im Normalfall eine Inhärenz. So existiert etwa eine Farbe subjektiv in einem Gegenstand, weil sie als Akzidens einem Subjekt inhäriert. Ebenso existiert ein Denkakt, der ein Akzidens des Geistes ist, subjektiv in ihm. Zum anderen kann ‚in etwas sein‘ aber auch im Sinne einer objektiven Existenz verstanden werden, und zwar in zweifacher Weise.22 Man kann darunter erstens eine geistige Existenz verstehen. Dann existiert ein Pferd, das von Gott erkannt wird, im wörtlichen Sinn im göttlichen Geist. Genau dieses Pferd-im-Geist gibt dem subjektiv existierenden Denkakt einen bestimmten Inhalt und 21
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Vgl. Disputationes metaphysicae XXV, sect. 1, § 5 (Opera 25, 900); siehe auch II, sect. 1, § 1 (Opera 25, 65–66). Suárez führt damit freilich keine neue Differenzierung ein, sondern greift auf eine Unterscheidung zurück, die bereits Duns Scotus etabliert hatte. Vgl. zum terminologischen Hintergrund Hoffmann 2002, 109–148. Vgl. Disputationes metaphysicae XXV, sect. 1, § 6 (Opera 25, 901) und LIV, sect. 2, § 13 (Opera 26, 1021), wo Suárez vor einer Äquivokation warnt.
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unterscheidet ihn von anderen Akten. Zweitens kann man unter der objektiven Existenz auch eine relationale Existenz verstehen, d. h. die Art von Existenz, die ein äußeres Objekt in Relation zum Geist hat. Dann ist es nicht nur ein Pferd im göttlichen Geist, das objektiv existiert, sondern auch das reale Pferd, auf das sich Gott in seinem Denken bezieht. Mit diesen subtilen Unterscheidungen machte Suárez darauf aufmerksam, dass man bei einer Idee drei Aspekte unterscheiden muss: den Denkakt (mit subjektiver Existenz), den Inhalt des Denkaktes (mit objektiver Existenz im ersten Sinn) und das äußere Objekt, auf das sich der Denkakt bezieht (mit objektiver Existenz im zweiten Sinn). Wird etwa gefragt, wie denn Gott an ein Pferd denkt, muss die Antwort lauten: Da Gott immer aktiv ist, vollzieht er immer einen Denkakt. Dieser hat einen bestimmten Inhalt, nämlich das Pferdsein, und unterscheidet sich dadurch von allen anderen Denkakten. Vor der Schöpfung gab es nichts anderes als alle Akte mit ihrem jeweiligen Inhalt im Geist. Nach der Schöpfung existieren aber auch materielle Dinge, unter anderem Pferde. Daher gibt es auch außerhalb des Geistes intentionale Objekte. Diese Unterscheidung erwies sich für die ideentheoretischen Debatten im 17. Jahrhundert als folgenreich. Suárez wandte sie nämlich nicht nur auf die göttlichen Ideen an, sondern auch auf die menschlichen, die er freilich nicht ‚Ideen‘ nannte, sondern einfach ‚Kognitionen‘ (‚cognitiones‘) oder ‚Zustände des Intellekts‘ (‚intellectiones‘).23 Die Analyse der göttlichen Ideen bildete den Ausgangspunkt zur Entwicklung eines Modells, mit dessen Hilfe verschiedene Aspekte des Denkens – sei dies nun göttlicher oder menschlicher Natur – unterschieden werden konnten. Descartes, der aufgrund seiner Ausbildung im Jesuitenkollegium von La Flèche Suárez und andere spätscholastische Autoren kannte, war mit dieser Analyse gut vertraut.24 Er knüpfte explizit an die theologische Debatte über die Struktur der göttlichen Ideen an. Allerdings betonte er, dass er den Ausdruck ‚Idee‘, der traditionellerweise für Entitäten in Gott verwendet worden sei, nun ganz auf kognitive Entitäten im Menschen 23
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So nennt er in Disputationes metaphysicae LIV, 2, § 13 (Opera 26, 1021) die Liebe als Beispiel einer Kognition (cognitio), ohne sie auf die göttliche Liebe einzuschränken. Ebd. II, sect. 1, § 1 (Opera 25, 64) geht er sogar ausdrücklich von der Frage aus, welchen Status denn ein Gegenstand „in mente nostra“ hat. Freilich war er nicht der erste Autor, der die Ideenproblematik vom göttlichen auf den menschlichen Geist ausweitete. Bereits im 13. Jahrhundert unternahm Richard Rufus diesen Schritt in seinem Speculum Animae; vgl. Normore 2007, 128–129. Dies hat Gilson 1984 (Erstauflage 1930) in seiner Pionierstudie bereits gezeigt. Einen detaillierten Vergleich liefert Wells 1990. Vgl. auch Perler 1996, 100–112.
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anwende und damit das meine, „was unmittelbar vom Geist perzipiert wird.“25 Damit entfernte er sich natürlich von den spätscholastischen Vorlagen, denn er überging vollständig die Frage, wie Gott die Gegenstände erkennt, wenn er sie erschafft, und welche Wirkung er kraft seiner Ideen ausübt. Descartes interessierte einzig und allein die Frage, wie Menschen sich kognitiv auf etwas beziehen können. Doch ohne die theologisch inspirierten Debatten der Vorgänger wäre dieser Schritt kaum möglich gewesen.26 Überspitzt ausgedrückt könnte man sagen: Die spätscholastischen Diskussionen über göttliche Ideen lieferten ein Sprungbrett für die Analyse menschlicher Ideen. Descartes’ Anknüpfung an Suárez und andere spätscholastische Autoren zeigt sich freilich nicht nur darin, dass er ganz allgemein den Ideenbegriff von ihnen übernahm, sondern auch in inhaltlichen Thesen und Unterscheidungen. Genau wie Suárez hielt auch er fest, dass man bei einer Idee Denkakt und Inhalt unterscheiden muss, und er sprach diesem Inhalt in scholastischer Manier eine „objektive Existenz“ zu.27 Die genaue Bestimmung dieser Existenz wirft natürlich eine Reihe von Fragen auf. Ist darunter tatsächlich eine besondere Existenzweise zu verstehen, die Objekte im Intellekt haben? Oder sollte man darauf verzichten, etwas derart Mysteriöses anzunehmen, und einfach von materiellen, mathematischen und anderen Gegenständen sprechen, die in Relation zu einem erkennenden Geist stehen? Descartes’ Zeitgenossen erörterten ausgiebig diese Fragen und verdeutlichten damit, dass es hier nicht nur um ein terminologisches Problem geht, sondern vor allem um ein sach25 26
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Resp. III (AT VII, 181). Vor allem zwei Entwicklungen ermöglichten diesen Schritt (vgl. die Beiträge von Boulnois und Schmutz in Boulnois 2002). Erstens interessierten sich die spätscholastischen Autoren zunehmend für die Frage, wie Gott nicht nur Arten von Gegenständen, sondern auch Einzelgegenstände und deren akzidentelle Eigenschaften erkennen kann. Dadurch glichen sie die göttliche Erkenntnisweise immer mehr der menschlichen an. Zweitens lösten sie die erkenntnistheoretische Funktion immer mehr von der metaphysischen ab, denn sie fragten nicht mehr, wie Gott mit den Ideen etwas erschafft und wie er auf die materielle Welt einwirkt, sondern konzentrierten sich auf das Problem, wie er die ihm präsenten Ideen erfasst. Auch dadurch wurde der göttliche Geist mit seinen Ideen zunehmend dem menschlichen angeglichen, der ja keine kreative Kraft hat. Vgl. Vorrede zu den Med. (AT VII, 8) und Med. III (AT VII, 40). Allerdings grenzte sich Descartes auch von Suárez ab, indem er nur noch dem Inhalt des Denkaktes (und nicht in einem zweiten Sinn auch dem äußeren Gegenstand, der in einer Relation zum Geist steht) eine objektive Existenz zuschrieb. Vgl. Resp. I (AT VII, 102).
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liches. Wie kann man den Inhalt einer Idee fassen, wenn man ihn einerseits vom bloßen Denkakt unterscheiden will, andererseits aber auch von dem Gegenstand, auf den sich der Denkakt bezieht? Und wodurch erhält ein Akt überhaupt einen Inhalt? Genau an diesen Fragen entzündete sich die Debatte zwischen Descartes und Caterus,28 aber auch zwischen Arnauld und Malebranche.29 Selbst Spinoza, der sich bereits weiter von den scholastisch inspirierten Debatten entfernte, verwendete noch den Ausdruck ‚objektive Existenz‘, um den Inhalt zu charakterisieren.30 Die ideentheoretischen Debatten in der Frühen Neuzeit hatten noch einen weiteren spätscholastischen Ausgangspunkt. Ausgehend von Aristoteles’ De anima, diskutierten alle mittelalterlichen Interpreten bis weit in das 17. Jahrhundert hinein die Frage, wie der menschliche Intellekt Gedanken von aus Form und Materie bestehenden Gegenständen gewinnen kann. Sie orientierten sich dabei an einem Rezeptionsmodell, dem zufolge dies nur gelingen kann, wenn der Intellekt die jeweilige Form aufnimmt. Dabei stellten sie eine Analogie her: Genau wie das Wahrnehmungsvermögen sich zu den wahrnehmbaren Formen verhält, verhält sich der Intellekt zu den intelligiblen Formen.31 Da dem Wahrnehmungsvermögen die wahrnehmbaren Formen eingeprägt werden (so wird dem Sehvermögen die Farbe als eine Form eingeprägt und dem Hörvermögen der Ton), muss folglich auch dem Intellekt die intelligible Form irgendwie eingeprägt werden. Diese These gab sogleich zu zwei fundamentalen Fragen Anlass: Was ist eigentlich eine intelligible Form? Und wie kann sie eingeprägt werden? Auf die erste Frage gab es, grob gesprochen, zwei Antworten: Die intelligible Form ist eine universale Entität, die von den Einzeldingen abstrahiert wird, in denen sie instantiiert
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Vgl. Obj. I (AT VII, 92–93; Bd. 1) und Descartes’ Resp. I (AT VII, 102–103; Bd. 1, S. 74 f.); ausführlich dazu Perler 2004 und Brown 2007 sowie den systematischen Essay von S. Grüne in Bd. 2, 1.3. Arnauld greift in Des vraies et des fausses idées, Kap. 5 (ed. Frémont, 44) Descartes’ Unterscheidung zwischen Akt und Inhalt auf und charakterisiert den Inhalt folgendermaßen: „Je dis qu’une chose est objectivement dans mon esprit, quand je la conçois.“ Malebranche bestreitet genau diesen Punkt, indem er behauptet, dass nichts im menschlichen Geist eine objektive Existenz haben kann. Vgl. zu diesem Streitpunkt Nadler 1989, 79–100, und Nadler 1992, 98–140. Siehe auch die systematischen Essays von P. Rubini zu Malebranche (Bd. 2, 5.3) und von J. Borcherding & S. Schmid zu Arnauld (Bd. 2, 6.3). Vgl. Tractatus de intellectus emendatione, §§ 34 und 41. Vgl. De anima III, 4 (429a15–18).
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ist; oder sie ist selber eine individuelle Entität, die ein Einzelding zu einem besonderen Ding macht. Einig waren sich die Aristoteliker freilich darin, dass eine intelligible Form nur im Intellekt „nackt“ vorkommt; außerhalb des Intellekts ist sie immer mit Materie verbunden. Doch wie gelangt sie dann, gleichsam von der Materie befreit, in den Intellekt und wird ihm eingeprägt? In der Auseinandersetzung mit dieser zweiten Frage erörterten die Aristoteles-Interpreten in der Zeit zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert mindestens vier Erklärungsmodelle:32 1. Identitätsmodell: Die Form wird durch das Wahrnehmungs- und das Vorstellungsvermögen vom materiellen Gegenstand in den Intellekt transferiert. Ist dieser Transfer abgeschlossen, ist die Form im Intellekt mit jener im Gegenstand identisch, sie existiert an den beiden Orten aber auf unterschiedliche Weise: im Intellekt auf intelligible Weise, im Gegenstand auf reale Weise. 2. Abbildmodell: Auf der Grundlage der Wahrnehmung und der Vorstellung wird im Intellekt ein Abbild der Form hergestellt. Wenn der gesamte kognitive Prozess korrekt verläuft, passt das Abbild vollkommen auf die Form im Gegenstand, denn jedem Element im Abbild kann ein Element in der Form zugeordnet werden. 3. Objektmodell: Auf der Grundlage der Wahrnehmung und der Vorstellung wird im Intellekt ein besonderes Objekt hergestellt, das eine intentionale Existenz hat und sowohl von der Form im materiellen Gegenstand als auch von den Akten des Intellekts verschieden ist. Es ist der primäre Gegenstand, auf den sich der Intellekt bezieht. 4. Zeichenmodell: Auf der Grundlage der Wahrnehmung und der Vorstellung stellt der Intellekt ein Zeichen her, das sich auf den äußeren Gegenstand bezieht. Es hat eine sprachartige Struktur und ist daher ein mentaler Terminus, der mit anderen Termini zu mentalen Sätzen verknüpft werden kann. Alle mentalen Termini zusammen bilden eine mentale Sprache.
Diese Modelle schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können sich auch komplementär zueinander verhalten. So kann man das zweite und das vierte miteinander verbinden, indem man zunächst eine Abbildrelation annimmt, diese Relation dann aber nicht in einem engen Sinn als piktoriales Abbilden versteht, sondern die inneren Bilder als Zeichen auffasst, die alle Eigenschaften des Bezeichneten anzeigen. Jedes der vier Modelle wirft natürlich eine Reihe von Problemen auf und bedarf einer weiteren Erläuterung. Doch bereits auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass alle vier nicht nur die kausale Frage zu beantworten versuchen, wie dem Intellekt etwas eingeprägt werden kann, sondern auch die strukturelle Frage, über welchen Inhalt der Intellekt aufgrund dieses Einprägens 32
Vgl. konzis King 2007, ausführlich Pasnau 1997 und Perler 2002.
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verfügt. Was erfasst der Intellekt, wenn er einen Gedanken bildet, der sich auf einen Gegenstand bezieht? Wie unterschiedlich die Antworten ausfallen, lässt sich anhand des Pferde-Beispiels veranschaulichen. Ein Vertreter des Identitätsmodells (prominenterweise Thomas von Aquin) würde behaupten, dass der Intellekt nicht einen inneren Stellvertreter oder eine geistige Kopie des Pferdes erfasst, sondern genau die Form, die auch im materiellen Pferd existiert. Daher würde er darauf insistieren, dass es hier eine direkte Bezugnahme gibt. Ein Verfechter des Abbildmodells hingegen (etwa der frühe Ockham) würde darauf insistieren, dass Entitäten im Intellekt und außerhalb des Intellekts nicht miteinander identisch sein können; hier handelt es sich um ontologisch ganz unterschiedliche Bereiche. Entitäten in den beiden Bereichen können einander höchstens ähnlich sein. Das heißt nicht, dass es im Intellekt kleine Bilder von Pferden gibt, sondern lediglich, dass eine Strukturähnlichkeit vorliegt: Jedem Element im Pferde-Gedanken ist genau ein Element in den realen Pferden zugeordnet. Ein Verteidiger des Objektmodells (explizit Petrus Aureoli) würde behaupten, dass eine solche Zuordnung nur möglich ist, wenn neben den Pferde-Gedanken im Sinne von Akten auch Objekte angenommen werden. Die bloßen Akte sind ja lediglich zeitlich auftretende Zustände des Intellekts und als solche alle gleich. Entscheidend ist, dass diese Akte sich auf besondere Objekte – auf intentionale Pferde – beziehen, die ihnen unmittelbar präsent sind. Sie können selbst dann noch präsent sein, wenn die realen Pferde nicht mehr existieren. Ein Vertreter des Zeichenmodells schließlich (prominenterweise der späte Ockham) würde dagegen einwenden, dass es überflüssig ist, neben den Akten des Intellekts und den realen Gegenständen noch eine dritte Art von Entität einzuführen. Es reicht, die Akte selbst anzunehmen, diese aber nicht nur in ontologischer Hinsicht (nämlich als reale Zustände des Intellekts) zu betrachten, sondern auch in funktionaler. In dieser zweiten Hinsicht sind sie sprachliche Zeichen, die direkt auf Gegenstände in der materiellen Welt verweisen, mögen diese nun aktuell existieren oder nicht. So erfasst jemand, der an Pferde denkt, die Pferde selbst, indem er den mentalen Terminus ‚Pferd‘ bildet, der direkt auf diese äußeren Gegenstände verweist. Alle vier Erklärungsmodelle waren im 16. und frühen 17. Jahrhundert präsent und prägten die frühneuzeitlichen Ideentheorien.33 Sie eröffne33
Vor allem durch die Debatten über „species intelligibiles“, die in den De animaKommentaren geführt wurden, waren sie bis weit in das 17. Jahrhundert hinein gegenwärtig. Das Identitätsmodell ging nämlich mit der Annahme einher, dass der
Der spätscholastische Hintergrund der frühneuzeitlichen Debatten
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ten neben den theologisch motivierten Diskussionen über göttliche Ideen einen weiteren Zugang zur Kernfrage, wie ein Geist sich auf etwas beziehen kann, und stellten gleichzeitig verschiedene Antwortstrategien zur Verfügung – Strategien, die auch vom aristotelischen Hintergrund abgelöst und weiterentwickelt werden konnten. So ist es nicht erstaunlich, dass Descartes und Locke die Frage diskutierten, ob und in welchem Sinne Ideen denn Abbilder sein müssen, um sich auf Gegenstände beziehen zu können.34 Selbst Hobbes, der sich sonst polemisch von den Spätaristotelikern abgrenzte, griff diese Frage auf.35 Ebenso wenig erstaunt es, dass Spinoza das Problem erörterte, ob Ideen mit den Gegenständen, auf die sie verweisen, identisch sind, ja ob sie sogar identisch sein müssen, um auf sie verweisen zu können.36 Natürlich hatte sich Spinoza bereits vom aristotelischen Hylemorphismus verabschiedet und sprach folglich nicht mehr von identischen Formen. Aber als Erklärungsoption für das Verhältnis von intentionalem Zustand und intendiertem Gegenstand war das Identitätsmodell immer noch präsent. Das Interessante an der Entstehung neuer Theorien im 17. Jahrhundert liegt gerade darin, dass nicht einfach alte Modelle verworfen und gänzlich neue Modelle entworfen wurden, wie die häufig verwendete Redweise
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Intellekt besondere kognitive Entitäten, sog „species intelligibiles“, bilden muss, um die Formen der Gegenstände in sich aufnehmen zu können. Diese Annahme stellte sich in den spätscholastischen Debatten als besonders umstritten heraus. Es wurde ausgiebig diskutiert, ob solche Entitäten erforderlich sind (oder ob sie nicht überflüssig werden, wenn intellektuelle Akte als Zeichen aufgefasst werden), ob sie tatsächlich eigenständige Entitäten sind (oder nicht bei näherer Betrachtung mit intentionalen Objekten zusammenfallen) und ob sie in einer Abbildrelation zu den Gegenständen stehen. Vgl. zur Entstehung dieser Debatte Tachau 1988 und Spruit 1994, zu den Weiterentwicklungen im 16. und 17. Jahrhundert Spruit 1995. In Med. III (AT VII, 39) bestreitet Descartes, dass eine Abbildrelation vorliegen muss. Locke behauptet in Essay concerning Human Understanding II, viii, § 15 (ed. Nidditch, 137), dass nur die Ideen von primären Qualitäten diese Qualitäten (d. h. Eigenschaften wie Ausdehnung, Gestalt und Bewegung) als „resemblances“ abbilden. In Obj. III (AT VII, 179–180; Bd. 1, S. 160 f.) stimmt Hobbes dem Abbildmodell zu, indem er Ideen als Bilder (imagines) bestimmt. Er zielt damit freilich nur auf körperliche Bilder ab, die eher den aristotelischen Vorstellungsbildern (phantasmata) als immateriellen Abbildern vergleichbar sind. Vgl. zu seiner materialistischen Auffassung den systematischen Essay von K. Corcilius in Bd. 2, 3.3. In Ethica II, p7s, betont er, „dass ein Modus von Ausdehnung und die Idee dieses Modus ein und dasselbe Ding sind, aber in zwei Weisen ausgedrückt.“ Vgl. dazu den Stellenkommentar von S. Schmid & P. Stoichita in Bd. 2.
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von einer wissenschaftlichen Revolution suggeriert.37 Vielmehr wurden Elemente früherer Modelle aufgenommen, teilweise neu kombiniert und in einen neuen Kontext eingebettet. Durch diese Transformation entstand Innovation.
3. Theologische, naturphilosophische und metaphysische Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Ideendebatten Wie sich gezeigt hat, knüpften frühneuzeitliche Autoren nicht nur terminologisch, sondern auch inhaltlich an frühere Debatten über kognitive Bezugnahme an. Dies ist nicht nur dann von Bedeutung, wenn es darum geht, bestimmte terminologische Festlegungen (etwa die Rede von subjektiver und objektiver Existenz) zu verstehen, die im 17. Jahrhundert selbstverständlich waren. Ein Blick auf den historischen Kontext ist auch wichtig, um zu erkennen, welche systematischen Erklärungsansätze den frühneuzeitlichen Philosophen zur Verfügung standen. So wird deutlich, dass Lockes eingangs zitierte Erklärung der Ideen als „Objekte des Verstandes“ nicht notwendigerweise im Sinne eines starken Repräsentationalismus verstanden werden muss. Das heißt: Locke muss sich mit dieser Redeweise nicht unbedingt auf die These festlegen, dass wir in einem „geistigen Theater“ innere Objekte erfassen und die Existenz äußerer Gegenstände höchstens annehmen oder vermuten können. Er kann damit auch im Sinne des Zeichenmodells die These verteidigen, dass wir uns sehr wohl auf äußere Gegenstände beziehen und von deren Existenz auch ein zuverlässiges Wissen haben, aber eben nur, indem wir Ideen als innere Zeichen verwenden.38 Locke vertritt dann nur einen schwachen Repräsentationalismus, dem zufolge Ideen – traditionell scholastisch gesprochen – nicht der terminus ad quem der Bezugnahme sind, sondern 37
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Es ist grundsätzlich Vorsicht geboten, wenn (im Sinne Thomas Kuhns) von einer wissenschaftlichen Revolution in der Frühen Neuzeit die Rede ist. Wie Shapin 1996 kritisch aufzeigt, gab es im 17. Jahrhundert weder umsturzartige Veränderungen noch „Bekehrungen“ zu einer neuen wissenschaftlichen Theorie, sondern schleichende begriffliche Veränderungen und heterogene Entwicklungen, die zu einer Vielfalt von neuen Theorien führten. In Essay concerning Human Understanding IV, 21, § 4 (ed. Nidditch, 720–721) nennt er Ideen explizit Zeichen: „For since the Things, the Mind contemplates, are non of them, besides it self, present to the Understanding, ’tis necessary that something else, as a Sign or Representation of the thing it considers, should be present to it: And these are Ideas.“
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lediglich das medium quo. So lässt sich eine schroffe Gegenüberstellung von Repräsentationalismus und direktem Erkenntnisrealismus vermeiden.39 Ein Blick auf den historischen Hintergrund schärft das Bewusstsein für Alternativen zu diesen beiden Extrempositionen und macht deutlich, dass es nicht einfach darum ging, den Geist als ein Theater aufzufassen, in dem sich Ideen auf der Bühne tummeln. Ein solcher Blick verdeutlicht auch, dass das Ziel nicht darin bestand, den Geist als eine innere Leinwand aufzufassen, auf der irgendwie Bilder von äußeren Gegenständen gemalt sind. Selbst wenn spätscholastische Autoren (und an sie anschließend auch Autoren wie Descartes, Locke oder Leibniz) von einer Ähnlichkeit zwischen inneren und äußeren Entitäten sprachen, verstanden sie darunter nicht eine Abbildung im wörtlichen Sinn (etwa wie sich ein realistisch gemaltes Bild von einem Pferd auf ein Pferd bezieht), sondern eine Strukturentsprechung (jedem Element in der Struktur des geistigen Zustandes ist genau ein Element in der Struktur des äußeren Gegenstandes zugeordnet).40 Die entscheidende Frage, mit der sich bereits die Spätaristoteliker beschäftigt hatten und die den Ausgangspunkt für die frühneuzeitliche Debatten bildete, war ja gerade, wie Ideen aufgefasst werden müssen, wenn sie nicht in naiver Weise als innere Kopien der äußeren Dinge bestimmt werden. Doch was unterscheidet die frühneuzeitlichen Autoren von den spätaristotelischen Vorgängern? Wo weichen sie trotz aller Übernahme terminologischer und inhaltlicher Punkte von ihnen ab? Und wie konnte es zu Abweichungen und Transformationen, teilweise auch zu einem Bruch kommen? Mindestens drei einschneidende Veränderungen sind zu nennen. Die erste Veränderung betrifft den Gottesbegriff. Die meisten christlichen Spätaristoteliker gingen von der These aus, dass Gott als ein personales Wesen aufzufassen ist, das die Welt erschaffen hat und aufgrund eines unaufhörlichen Schöpfungsaktes (creatio continua) stets in Relation 39
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Sie lässt sich zudem vermeiden, wenn berücksichtigt wird, dass Ideen Gegenstände mit bestimmten Aspekten darstellen. Sie stellen sich dann nicht zwischen den Geist und die äußeren Gegenstände, sondern führen gleichsam zu ihnen hin, indem sie Aspekte deutlich machen. Lowe 2005, 44, schlägt daher vor, das Erfassen von Ideen als das Anwenden eines Aspektschemas zu verstehen. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Leibniz, der zwar immer wieder von einer Ähnlichkeit (similitudo) spricht, darunter aber nichts anderes als eine Form des Ausdrückens versteht: Jedem Element des ausdrückenden Zustandes ist gemäß einer Projektionsregel ein Element des ausgedrückten Zustandes zugeordnet. Vgl. Swoyer 1995.
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zu ihr steht.41 Die Ideen im göttlichen Geist sind die Vorlagen für die Gegenstände in der Welt, aber auch für die Gedanken, die Menschen von diesen Gegenständen bilden können. Es ist angesichts dieser Auffassung nicht verwunderlich, dass die Frage nach der Entstehung und Struktur menschlicher Gedanken meist im Rahmen eines Triangulationsmodells diskutiert wurde, d. h. einer Konzeption, die drei Punkte in Relation zueinander stellt. Solche Gedanken, so lautete die Grundannahme, sind nur möglich, wenn es (i) göttliche Ideen als Vorlagen für materielle Gegenstände und menschliche Gedanken gibt, (ii) materielle Gegenstände als Auslöser von Gedanken und (iii) geistige Fähigkeiten zur Bildung aktueller Gedanken. Entscheidend war für diese Konzeption, dass Gott als etwas Transzendentes von den materiellen Gegenständen und den geistigen Fähigkeiten der Menschen verschieden ist, gleichzeitig aber deren Existenz und gegenseitige Relation garantiert. Kurz gesagt: Nur weil Gott existiert, können materielle Gegenstände auf den Geist einwirken und genau jene Gedanken hervorbringen, die idealerweise den göttlichen Ideen entsprechen. Genau diese Konzeption wurde in der Frühen Neuzeit transformiert oder sogar vollständig aufgelöst, wie anhand dreier Beispiele kurz gezeigt werden soll. Malebranche hält an der traditionellen Vorstellung fest, dass es drei distinkte Instanzen gibt, nämlich Gott, materielle Gegenstände und den menschlichen Geist. Er bestreitet aber, dass materielle Gegenstände auf den Geist einwirken und in ihm Gedanken hervorbringen können. Dazu motivieren ihn vor allem zwei Überlegungen. Erstens geht er davon aus, dass die Präsenz materieller Gegenstände nur Sinneseindrücke hervorrufen kann. Diese geben keinen Aufschluss über die Beschaffenheit der Gegenstände, sondern nur über die Art und Weise, wie jemand sinnlich affiziert wird. So gibt etwa meine Braunwahrnehmung, die ich beim Anblick eines Pferdes habe, in keiner Weise Aufschluss über die Fellstruktur des Pferdes, sondern höchstens über die Art und Weise, wie meine Sehnerven gereizt werden und in mir den Eindruck von etwas Braunem erzeugen. Daher können materielle Gegenstände nie Gedanken erzeugen, die sich direkt auf Pferde beziehen und über ihre Eigenschaften informieren. Zweitens geht Malebranche von der Annahme aus, dass es streng genommen überhaupt keine Kausalrelation zwischen materiellen Gegenständen und dem Geist geben kann, ja nicht einmal zwischen ma41
So etwa Thomas von Aquin, Summa theologiae I, q. 8, art. 1 und 3. Auch frühneuzeitliche Autoren schließen sich teilweise dieser Ansicht an, prominenterweise Descartes in Med. III (AT VII, 49).
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teriellen Gegenständen und dem Körper. Materielle Gegenstände haben nämlich keine kausale Kraft; sie sind lediglich ausgedehnte Korpuskelhaufen. Daher können sie weder auf den Körper noch auf den Geist einwirken und somit auch keine Gedanken erzeugen. Die einzige wahre Ursache in jeder Kausalrelation ist Gott. Dies bedeutet, dass die Entstehung von Gedanken immer mit Bezug auf Gott zu erklären ist: Gott ermöglicht solche Gedanken, indem er jedem Menschen seine Ideen offenbart. Denken ist, verkürzt ausgedrückt, ein „Sehen in Gott“ und kommt einzig und allein durch die Verbindung zu Gott zustande.42 Bemerkenswert ist an dieser Konzeption, dass im traditionellen Dreieck die Kausalrelation zwischen zwei Punkten, nämlich zwischen den materiellen Gegenständen und dem menschlichen Geist, gekappt und gleichzeitig jene zwischen diesem Geist und Gott gestärkt wird. Dadurch erhält Gott kognitionstheoretisch eine viel gewichtigere Funktion. Er allein ist nun für den Inhalt menschlicher Gedanken direkt verantwortlich.43 Dies bedeutet natürlich, dass der Grund für diesen Inhalt (was die Spätaristoteliker und auch noch Descartes die „objektive Existenz“ nannten) in Gott zu suchen ist. Gott ist nun, wie Malebranche unmissverständlich festhält, „durch seine Gegenwart so eng mit unseren Seelen verbunden, dass man sagen kann, dass er der Ort der Geister ist.“44 Einen ganz anderen Weg verfolgt Spinoza. Er löst das Dreieck auf, indem er bestreitet, dass Gott von den materiellen Gegenständen und vom menschlichen Geist verschieden ist. Seiner Ansicht nach ist Gott nichts anderes als die gesamte Wirklichkeit, die unendlich viele Attribute hat. Materielle Gegenstände sind nichts anderes als Modi, die unter das Attribut der Ausdehnung fallen; Geister sind Modi, die unter das Attribut des Denkens fallen. Aus dem transzendenten Gott wird somit ein immanenter. Dies bedeutet natürlich, dass die Relation zwischen Gott und den 42
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Vgl. De la recherche de la vérité III, 2, 1 und 6 (Oeuvres I, 413–415 und 437–439; Bd. 1, S. 203 ff. u. S.206 ff.). Malebranche bestreitet freilich nicht, dass die materiellen Gegenstände auch eine Funktion im kognitiven Prozess haben. Aber sie spielen erstens keine direkte kausale Rolle, da sie nur „Gelegenheitsursachen“ und keine wahren Ursachen sind; und zweitens sind sie selbst in dieser eingeschränkten Funktion nur dafür verantwortlich, dass ein Mensch gewisse Sinneseindrücke hat, nicht aber Ideen. Vgl. De la recherche de la vérité III, 2, 6 (Oeuvres I, 445). De la recherche de la vérité III, 2, 6 (Oeuvres I, 437): „Il faut de plus sçavoir que Dieu est tres-étroitement uni à nos ames par sa présence, de sorte qu’on peut dire qu’il est le lieu des esprits …“ Zu dieser engen Verbindung vgl. den systematischen Essay von P. Rubini in Bd. 2, 5.3.
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materiellen Gegenständen, aber auch jene zwischen Gott und den einzelnen Geistern, ebenfalls nur immanent ist.45 Es stellt sich nicht mehr die Frage, wie Gott auf Materielles und Immaterielles einwirkt oder wie er sich entscheidet, kraft seiner Ideen Gegenstände und Gedanken in den Menschen hervorzubringen, sondern nur noch, wie er sich darin manifestiert oder „ausdrückt“. Dies hat eine unmittelbare Konsequenz für die Erklärung des Inhalts menschlicher Gedanken. Wenn etwa mein Gedanke an Pferde nicht real vom göttlichen Gedanken verschieden ist, sondern diesen Gedanken ausdrückt, muss erläutert werden, wie er ihn ausdrückt. Wie sind meine Ideen, aus denen mein Gedanke besteht, strukturiert? Spinoza beantwortet diese Frage, indem er betont, dass die Ideen in einem menschlichen Geist nur unvollständig verknüpft und daher inadäquat sind. In Gott hingegen sind alle Ideen perfekt verknüpft und somit adäquat.46 Entscheidend ist hier, dass das Besondere an den menschlichen Ideen nicht mit Rekurs auf besondere Entitäten erklärt wird, die (wie in der traditionellen Auffassung) von den göttlichen Ideen abgegrenzt werden. Die Erklärung erfolgt vielmehr mit Verweis auf eine besondere Verknüpfung der Ideen innerhalb eines einzigen Ideennetzes. Überspitzt ausgedrückt könnte man sagen, dass durch die Aufhebung eines transzendenten Gottes das Augenmerk auf die Ordnung der Ideen innerhalb des immanenten Gottes gelenkt wird. Nur durch eine Analyse dieser Ordnung lässt sich der Inhalt eines menschlichen Gedankens bestimmen. Noch einen anderen Weg schlägt Berkeley ein. Im Gegensatz zu Spinoza hält er an einem transzendenten Gott fest, den er dem menschlichen Geist gegenüberstellt. Er fasst aber den dritten Punkt im traditionellen Dreieck, nämlich die materiellen Gegenstände, auf eine radikal neue Weise auf. Seiner Ansicht nach gibt es keine solchen Gegenstände, die von den Ideen real verschieden sind. Materielle Gegenstände sind nichts anderes als das, was wir als den Inhalt der Ideen erfassen. Oder wie Berkeley in seiner berühmten Formel „esse est percipi“ sagt:47 Dass ein Gegenstand existiert, heißt nichts anderes, als dass er perzipiert wird und
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In Ethica I p18 wird Gott konsequenterweise die „immanente Ursache aller Dinge“ genannt. Vgl. Ethica II p31 und p32; zum Begriff der Adäquatheit vgl. Della Rocca 1996, 53–57. Vgl. Principles of Human Knowledge I, § 3 (ed. Dancy, 104). Zur zentralen Bedeutung dieser Formel vgl. den systematischen Essay von M. Barkhausen & J. Haag in Bd. 2, 9.3.
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somit als Inhalt einer Idee existiert. Bedeutet dies, dass Gegenstände wie etwa Pferde zu existieren aufhören, wenn kein Mensch mehr an sie denkt? Entstehen und vergehen Gegenstände mit den flüchtigen Gedanken? Keineswegs. Da Gott ununterbrochen denkt, existieren die Gegenstände ununterbrochen als Inhalte seiner Ideen.48 Und dass wir zu diesem oder jenem Zeitpunkt an bestimmte Gegenstände denken können, hängt ebenfalls von dieser ununterbrochenen göttlichen Aktivität ab. Bemerkenswert ist dabei, dass Gott nicht etwa (wie in der traditionellen Auffassung) garantiert, dass materielle Gegenstände permanent existieren und folglich permanent auf uns einwirken können. Es gibt ja keine distinkte materielle Welt, zu der wir in einer Kausalrelation stehen könnten. Gott erhält die materiellen Gegenstände vielmehr in Existenz, indem er die Ideen aufrechterhält und uns deren Inhalte als perzipierbare Gegenstände gleichsam zur Verfügung stellt. Einmal mehr wird hier die kausale Kraft Gottes gestärkt und damit auch die Erklärungsrichtung verschoben. Will man erläutern, warum wir Menschen Gedanken haben können, muss man nicht untersuchen, warum und wie materielle Gegenstände auf uns einwirken. Erklärungsbedürftig ist vielmehr, warum und wie die Ideen, die im göttlichen Geist permanent präsent sind, auch für unseren Geist erfassbar werden. Diese drei Beispiele können natürlich nur umrisshaft die Transformationen des Gottesbegriffs in der Frühen Neuzeit andeuten.49 Hier soll es aber nicht um eine vertiefte Analyse gehen, sondern nur um eine Verdeutlichung der Konsequenzen, die diese Transformationen für den Ideenbegriff haben. Wenn das klassische Dreieck aufgelöst oder die Relation zwischen den drei Punkten neu gedeutet wird, müssen die menschlichen Ideen neu bestimmt werden. Sie müssen in eine stärkere
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Vgl. Three Dialogues II (ed. Dancy, 97); dazu Saporiti 2006, 192–195. Berkeley baut darauf einen Gottesbeweis auf: Gott muss existieren, da nur so die permanente Existenz perzipierbarer Gegenstände gewährleistet werden kann. Wie Jolley 1998, 286, zu Recht bemerkt, bringt Berkeley damit die frühneuzeitliche Tendenz, die göttliche Kausalität zu verstärken, zu einem Abschluss. Eine weitere Transformation wurde durch den Voluntarismus ausgelöst, der im 17. Jahrhundert präsent war, prominenterweise bei Descartes. Er geht von der These aus, dass Gott in seinen Willensentscheidungen absolut frei ist und jederzeit andere Gesetze erlassen kann. Dies bedeutet, dass Gott auch die Gesetze, die das Entstehen von Ideen regeln, jederzeit ändern kann. Daher ist es unmöglich, aus göttlichen Ideen irgendwie die menschlichen Ideen herzuleiten oder Gesetzmäßigkeiten zu bestimmen, nach denen materielle Gegenstände Ideen im menschlichen Geist hervorbringen. Vgl. zum Voluntarismus Osler 1994 und Perler 2001.
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Kausalrelation zum göttlichen Geist gerückt werden, wie sich dies bei Malebranche und Berkeley exemplarisch zeigt, oder sie müssen sogar ganz in den göttlichen Geist verlegt werden, wie dies prominenterweise bei Spinoza der Fall ist. Auf jeden Fall gibt es in der Frühen Neuzeit nicht einfach eine zunehmende Säkularisierung, durch die der Gottesbegriff in den Hintergrund gedrängt wird, sondern gerade umgekehrt eine gewisse Form der Theologisierung. Durch die Betonung der unmittelbaren Relation Gott-Mensch und der umfassenden kausalen Rolle Gottes wird der Ideenbegriff eng mit dem Gottesbegriff verquickt. Eine zweite tief greifende Veränderung betrifft den naturphilosophischen Rahmen. Die meisten Spätaristoteliker gingen von den beiden bereits erwähnten Thesen aus, dass sich jeder Gegenstand aus Form und Materie zusammensetzt und dass ein Mensch nur dann einen Gedanken bilden kann, der sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, wenn er dessen substantielle Form aufnimmt.50 Diesen Thesen wurde ab dem frühen 17. Jahrhundert die Grundlage entzogen, indem der Hylemorphismus abgelehnt wurde. Natürliche Gegenstände, so behaupteten Boyle, Gassendi, Descartes und viele andere, sind nichts anderes als Materiestücke und als solche bereits vollständig. Sie benötigen keine Form, die sich mit der Materie verbindet und diese vervollständigt und strukturiert. Worauf gründet diese Kritik? Mindestens drei Argumente wurden immer wieder gegen den Hylemorphismus angeführt.51 Das erste könnte man das Obskuritätsargument nennen: Wer Formen annimmt, die sich irgendwie in den materiellen Gegenständen befinden und diese angeblich strukturieren, gleichzeitig aber behauptet, sie seien nicht sichtbar und nicht empirisch untersuchbar, nimmt etwas Obskures an. Das Einzige, was einer empirischen Untersuchung zugänglich ist, ist ein materieller Gegenstand, dessen geometrische und kinematische Eigenschaften beschrieben werden können. Formen sind, wie Descartes spöttisch bemerkte, „nichts als Chimären“, die keinen explanatorischen Wert besitzen.52 Will man nicht 50
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Diese Thesen wurden von Aristotelikern des 16. Jahrhunderts noch mit einer weiteren verbunden, nämlich dass die Form-Materie-Komposita auch reale Qualitäten haben, die als besondere (teilweise abtrennbare) Entitäten eine eigene kausale Kraft besitzen; vgl. Des Chene 1996, 81–121, und Menn 1995. Die Kritik der Antiaristoteliker richtete sich daher ebenso gegen die Annahme von realen Qualitäten wie gegen jene von Formen. Vgl. Garber 1992, 103–111; einen konzisen Überblick gibt Des Chene 2006. Vgl. Brief vom 28. 10. 1640 (AT III, 212). In einem Brief vom Januar 1642 (AT III, 507) behauptet er, wer auf Formen rekurriere, erkläre bloß das Obskure durch noch Obskureres.
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Zuflucht zum Obskuren nehmen, sondern sich auf das Evidente konzentrieren, muss man untersuchen, wie konkrete materielle Gegenstände beschaffen sind und in welcher Relation sie zueinander stehen. Ein zweites Argument könnte man als Aktualitätsargument bezeichnen. Gemäß der aristotelischen Auffassung ist die Materie etwas rein Potentielles, das erst durch die Form aktualisiert wird. Die Form ist somit nicht nur dafür verantwortlich, dass ein materieller Gegenstand bestimmte wesentliche Eigenschaften hat, sondern auch und sogar primär, dass er überhaupt ein aktueller Gegenstand ist. Genau diese Unterscheidung von Potentialität und Aktualität bestritten die frühneuzeitlichen Kritiker, wie sich ebenfalls bei Descartes exemplarisch zeigt. Für ihn ist die Materie sowohl in ihrer Gesamtheit als auch in den einzelnen Stücken, den Einzelgegenständen, bereits etwas aktuell Existierendes; sie bedarf keines Aktualisierungsprinzips. Und das Wesen oder die Natur der aktuellen Materie besteht in nichts anderem als in ihrer Ausdehnung, d.h. in den geometrischen Eigenschaften.53 Daher ist es überflüssig, Formen anzunehmen. Schließlich lässt sich noch das Kausalitätsargument als drittes Argument nennen. Der aristotelischen Auffassung zufolge ist die Form eines Gegenstandes dafür verantwortlich, dass dieser auf andere Gegenstände einwirken kann, auch dafür, dass er sich bewegen und verändern kann. Die Form ist ein kausales Prinzip. Descartes hält dies für unverständlich. „Wir können in keiner Weise verstehen“, hält er kurz und bündig fest, „wie diese Qualitäten oder Formen eine Kraft haben, in anderen Körpern Ortsbewegungen hervorzurufen.“54 Um eine Kausalrelation wie das Anstoßen und Verschieben eines materiellen Gegenstandes durch einen anderen Gegenstand zu erklären, muss man seiner Ansicht nach zum einen auf die spezifischen Eigenschaften dieser Gegenstände rekurrieren, zum anderen auf allgemeine Bewegungsgesetze, denen sie unterstehen. Es ist aber verfehlt, auf die Form als eine mysteriöse innere Kraft zu verweisen. Diese Kritik am Hylemorphismus hatte natürlich Auswirkungen auf die Erklärung von Naturprozessen. Was früher mit Verweis auf innere Formen (und damit auf Formursachen) erklärt wurde, wurde nun mit Rekurs auf ausgedehnte Körper und Gesetze der Mechanik erklärt. Mindestens so bedeutsam wie für die Naturphilosophie waren indessen die Konsequenzen für die Philosophie des Geistes. Da die Existenz von Formen bestritten wurde, konnte der Kognitionsprozess nicht mehr als 53
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In Principia philosophiae I, 53 (AT VIII-1, 25) behauptet er sogar, die Ausdehnung konstituiere die Natur der materiellen Substanz. Principia philosophiae IV, 198 (AT VIII-1, 322).
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das Aufnehmen oder Assimilieren von Formen erläutert werden. Und der Inhalt von Gedanken, der durch einen solchen Prozess zustande kommt, konnte ebenfalls nicht mehr mit Verweis auf Formen erklärt werden. Neue Erklärungsmodelle waren erforderlich. Doch wie lassen sich auf der Grundlage einer mechanistischen Naturphilosophie die Entstehung und der Inhalt von Gedanken erklären? Drei Beispiele sollen verdeutlichen, wie unterschiedlich die Antwort auf diese Frage ausfallen konnte. Eine radikale Antwort stammt von Hobbes. In kürzester Form lautet sie: In einer mechanistisch erklärbaren Welt können Gedanken ebenfalls nur mechanistisch erklärt werden. Gedanken entstehen dadurch, dass Gegenstände auf den Körper einwirken und Reizungen auslösen, die von den Sinnesorganen an das Gehirn und das Herz weitergeleitet werden. Der Druck, der dadurch in den inneren Organen entsteht, erzeugt einen Gegendruck. Dieser besteht in nichts anderem als in der Konfiguration von materiellen Partikeln in den inneren Organen. So entsteht eine sinnliche Repräsentation – eine Erscheinung (appearance) – des äußeren Gegenstandes, die durch die Verbindung mit anderen Repräsentationen zu Gedanken weiterverarbeitet werden kann.55 In diesem ganzen Prozess kommen nur materielle Entitäten vor, die wie alle anderen Körper den Gesetzen der Mechanik unterliegen. Dies läuft natürlich auf eine radikale Mechanisierung des Denkens hinaus.56 Will man erklären, worin Ideen bestehen und wie sie entstehen, muss man auf die gleichen Vorgänge rekurrieren, die auch für alle anderen Naturvorgänge verantwortlich sind: auf die lokale Veränderung und Interaktion von materiellen Partikeln. In diesem ganzen Prozess Formen anzunehmen, wäre nicht nur überflüssig, sondern auch unverständlich. Denn wie sollten Formen wirksam werden? Und wie sollten sie in einer physiologischen oder wahrnehmungspsychologischen Untersuchung zugänglich sein? Allerdings fällt auf, dass Hobbes’ mechanistischer Erklärungsansatz seinerseits Probleme aufwirft. Wie soll es möglich sein, dass ein rein kausaler Vorgang zu einem intentionalen Zustand führt, d. h. zu einem Zustand, der sich auf etwas bezieht und dadurch einen Inhalt hat? Angenommen, ein Pferd läuft an mir vorbei, Lichtstrahlen 55
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Vgl. konzis Leviathan I, 1 (ed. Tuck, 13–14), wo Hobbes ausdrücklich von „representation“ und „appearance“ spricht; Bd. 1, S. 132. Diese Mechanisierung betrifft nicht nur die Entstehung einzelner Gedanken, sondern auch deren Verbindung zu Schlüssen und Argumenten. Derartige Verkettungen sind nichts anderes als subpersonale komputationale Prozesse („reckoning“), die im Gehirn ablaufen. Vgl. Leviathan I, 5 (ed. Tuck, 32); Bd. 1, S. 153.
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treffen auf meinen Augen auf, reizen die Sehnerven und erzeugen einen „Gegendruck“ im Gehirn. Warum sollte ein solcher physiologischer Zustand bereits einen Inhalt haben? Er ist doch nichts anderes als eine Konfiguration kleiner materieller Partikel, die zunächst nichts anderes als materielle Eigenschaften haben. Wie sollen daraus intentionale Eigenschaften entstehen, sodass mir das Pferd als groß oder braun erscheint? Und wie soll ich in der Lage sein, einen kognitiven Zugang zu dieser „Erscheinung“ zu haben? Eine Partikelkonfiguration im Gehirn unterscheidet sich qualitativ doch nicht von einer in der Lunge oder in der Leber; auch dort wird durch Druck ein Gegendruck erzeugt. Offensichtlich muss noch etwas hinzukommen oder es muss eine qualitative Änderung eintreten, damit es einen kognitiv zugänglichen Inhalt gibt. Angesichts dieser Probleme ist es nicht erstaunlich, dass die radikal mechanistische Erklärung bereits in der Frühen Neuzeit Anlass zu Kritik gab.57 Ein zweiter einflussreicher Versuch, Ideen im Einklang mit der mechanistischen Naturphilosophie zu erklären, stammt von Descartes. Bekanntlich geht er von einem Substanz-Dualismus aus und behauptet, dass es neben der körperlichen Substanz, die nichts anderes als ein Stück ausgedehnter Materie ist und gemäß den Gesetzen der Mechanik funktioniert, auch eine geistige Substanz gibt. Ideen existieren streng genommen nur in der geistigen Substanz; sie sind Modi, d. h. Zustandsweisen, dieser Substanz.58 Descartes versucht, diesen dualistischen Ansatz mit dem mechanistischen zu kombinieren, indem er betont, dass Ideen im Geist nicht willkürlich oder zufällig auftreten, sondern nur dann, wenn es eine Grundlage in der körperlichen Substanz gibt. Konkret heißt dies, dass ich nur dann aktuell eine Pferde-Idee habe, wenn es in meinem Gehirn bestimmte Zustände (d. h. Konfigurationen von Partikeln) gibt, die auf mechanistische Weise durch Sinnesreize von Pferden ausgelöst worden sind. Dies bedeutet freilich nicht, dass die geistige Idee ihrerseits mechanistisch durch Gehirnzustände verursacht wird. Kausalrelationen, die den Gesetzen der Mechanik unterliegen, kann es nur innerhalb des 57
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So etwa bei Descartes, der Hobbes’ Reduzierung von Ideen auf körperliche Zustände zurückweist; vgl. Resp. III (AT VII, 178–179). Für eine ausführliche Erläuterung von Hobbes’ reduktionistischem Ansatz siehe den systematischen Essay von K. Corcilius in Bd. 2, 3.3. In frühen naturwissenschaftlichen Werken, etwa im Traité de l’homme (AT XI, 176–177), nennt Descartes auch die Gehirnzustände „Ideen“. In einem Brief vom Juli 1641 (AT III, 392–393) betont er aber, dass er den Ideenbegriff einschränkt und ausschließlich auf geistige Entitäten anwendet.
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Körpers sowie zwischen dem Körper und anderen materiellen Substanzen geben, jedoch nicht zwischen der geistigen und der körperlichen Substanz. Wie ist die Relation zwischen den beiden Substanzen dann zu verstehen? Genau diese Frage beherrschte nicht nur die allgemeinen Diskussionen über das Geist-Körper-Verhältnis im 17. Jahrhundert, sondern auch die spezielleren Debatten über das Verhältnis von geistigen Ideen und Gehirnzuständen. Wenn nämlich angenommen wird, dass eine Idee I nur auf der Grundlage des Gehirnzustandes Z zustande kommt, jedoch bestritten wird, dass zwischen Z und I ein Formtransfer stattfindet oder dass Z auf mechanische Weise I verursacht, muss eine alternative Erklärung angeboten werden. Wie könnte sie aussehen? Man könnte einfach darauf hinweisen, dass dies ein brutum factum ist, das nicht weiter erklärt werden kann, aber auch nicht erklärt werden muss. Oder man könnte vorschlagen, dass es hier eine besondere Art von Kausalität gibt, die weder im Sinne eines aristotelischen Formtransfers noch im Sinne einer mechanischen Wirkursache zu verstehen ist. Oder man könnte betonen, dass es besondere Gesetze gibt, die geistige und körperliche Substanz harmonisch aufeinander abstimmen, sodass immer dann, wenn Z auftritt, auch I auftritt. Oder man könnte sogar die These vertreten, dass weder Z noch I eine kausale Kraft hat, sondern dass Gott allein wirkt und die beiden Zustände zusammen auftreten lässt. In der Frühen Neuzeit ist jede dieser vier Optionen gewählt und zu einem Erklärungsmodell ausgebaut worden.59 Entscheidend sind hier nicht die Details dieser Modelle, sondern deren theoretischer Rahmen. Sobald der Erklärungsrahmen der mechanistischen Naturphilosophie gewählt wird, Ideen als geistige Zustände aber nicht (wie bei Hobbes) auf körperliche Zustände reduziert werden, taucht unweigerlich die Frage auf, wie sie in der natürlichen Welt überhaupt auftreten können. Die Verbindung von Mechanismus und Antireduktionismus erzeugt unweigerlich einen Erklärungsdruck. Einen dritten Versuch, im Rahmen der mechanistischen Naturphilosophie eine Ideentheorie zu entwerfen, unternimmt Spinoza. Er teilt mit Hobbes und Descartes die Überzeugung, dass sämtliche Vorgänge in der materiellen Welt mit Rekurs auf die Bewegung ausgedehnter Partikel zu erklären sind. Doch im Gegensatz zu Hobbes reduziert er Ideen nicht auf Konfigurationen derartiger Partikel. Und anders als Descartes schreibt er Ideen nicht einer gesonderten geistigen Substanz zu. Als Monist insis-
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Einen Überblick bietet Hatfield 2005; vgl. ausführlich Nadler 1993.
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tiert er darauf, dass Ideen genauso wie körperliche Zustände innerhalb einer einzigen Substanz auftreten. Er behauptet sogar, dass Ideen und körperliche Zustände identisch sind, aber unter unterschiedliche Attribute fallen; Ideen fallen unter das Attribut des Denkens, körperliche Zustände unter jenes der Ausdehnung.60 Wenn ich etwa vor einem Pferd stehe und von Sinneseindrücken affiziert werde, die einen Gehirnzustand auslösen, gibt es nicht diesen Zustand als eine Konfiguration von materiellen Partikeln und einen geistigen Zustand, in dem ich an das Pferd denke. Körperlicher und geistiger Zustand sind vielmehr ein und derselbe Zustand, der aber aufgrund der Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Attributen unterschiedliche Aspekte aufweist. Dieser Erklärungsansatz hat den Vorteil, dass er (anders als bei Hobbes) neben der materiellen auch eine intentionale Beschreibung erlaubt; unterschiedliche Aspekte ermöglichen unterschiedliche Beschreibungen. Der Ansatz hat auch den Vorteil, dass er (anders als bei Descartes) nicht eine erklärungsbedürftige Kausalrelation annimmt. Da es nur einen Zustand gibt, muss evidenterweise keine besondere Relation zwischen zwei Zuständen erklärt werden. Freilich hat auch dieses Modell seine Tücken. Die offensichtlichste Schwierigkeit besteht darin, genau zu erklären, was hier unter zwei Aspekten zu verstehen ist. Heißt dies, dass ein und derselbe Zustand zwei Arten von Eigenschaften hat, nämlich materielle und intentionale? Wie können diese Eigenschaften zusammen auftreten? Und vor allem: Wie wird die Präsenz dieser Eigenschaften festgelegt? Wie wird etwa die intentionale Eigenschaft des Sich-auf-das-Pferd-beziehens festgelegt – einfach durch die Tatsache, dass ich mich in einem bestimmten Gehirnzustand befinde, sobald Pferde in mir Sinnesreize auslösen, oder noch durch andere Faktoren? Auf jeden Fall muss hier mehr über die Genese und die Struktur von Ideen gesagt werden. Erst dann wird deutlich, wie Ideen innerhalb einer materiellen Welt Platz haben, ohne auf mechanisch erklärbare körperliche Zustände reduziert zu werden. Bemerkenswert ist freilich auch hier wiederum, dass erst der mechanistische Rahmen dieses Problem hervorgerufen hat. Sobald ein aristotelischer Ansatz zurückgewiesen und zugestanden wird, dass Erklärungen für die Entstehung geistiger Ideen mit mechanistischen Erklärungen kompatibel oder
60
Vgl. Ethica I p7s, II p21s, III p2s; Bd. 1, S. 188; zur Identitätsthese ausführlich Della Rocca 1993 sowie den systematischen Essay von P. Stoichita & S. Schmid in Bd. 2, 4.3.
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sogar in sie integrierbar sein müssen, muss dargelegt werden, wie die Integration erfolgen soll. Eine dritte Veränderung im theoretischen Rahmen, die für die Ideendebatte eine entscheidende Rolle spielte, betrifft die metaphysischen Annahmen bezüglich des menschlichen Geistes. Spätaristotelische Philosophen gingen davon aus, dass dieser Geist der Intellekt ist, der eines von verschiedenen Vermögen der Seele darstellt. Die Seele wiederum bestimmten sie als substantielle Form, die sich mit dem Körper zu einer Einheit verbindet. Zwar bestand Dissens darüber, wie sich die verschiedenen Vermögen zueinander verhalten und welche Funktion sie jeweils ausüben.61 Einig waren sich die Spätaristoteliker aber darin, dass der Intellekt immer zusammen mit den „niederen“ Vermögen – vor allem mit dem Vorstellungsvermögen – tätig wird und dass er eine Einheit bildet, die (zumindest im diesseitigen Leben) im Körper verankert ist. Durch die Ablehnung des Hylemorphismus geriet diese Auffassung ins Wanken. Wenn es in der Natur keine Formen gibt, kann auch die Seele keine Form sein. Folglich können auch die verschiedenen Vermögen nicht mit Rekurs auf eine Form erklärt werden.62 Die „niederen“ Vermögen sind nichts anderes als Körperfunktionen, die mechanistisch zu erklären sind. Doch was ist dann der Intellekt als das „höhere“ Vermögen? Welchen Status hat er, in welcher Relation steht er zu den Körperfunktionen und in welchem Sinne bildet er eine Einheit? Für die Ideendebatte spielen diese Fragen eine entscheidende Rolle. Wenn nämlich angenommen wird, dass ein Geist Ideen hat (seien dies nun Akte, Dispositionen oder innere Objekte), taucht sogleich das Problem auf, welche Instanz hier Ideen hat und nach welchen Gesetzen sie Ideen hervorbringt, wenn es sich nicht um mechanistische Gesetze handeln soll. Und natürlich stellt sich auch die Frage, ob es hier tatsächlich eine Instanz gibt. Was erlaubt uns, die zahlreichen Ideen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten auftreten, genau einem Geist zuzuschreiben, wenn es keine substantielle Form gibt, die eine Einheit stiftet? Angesichts dieses Problems sieht sich Leibniz veranlasst, trotz aller Kritik am aristotelischen Modell den Be61
62
Besonders umstritten waren im 16. Jahrhundert die Fragen, ob die verschiedenen Vermögen real oder nur formal voneinander verschieden sind und ob sie in einer Kausalrelation zueinander stehen. Vgl. Des Chene 2000, 155–169, und Michael 2000. Sie können schon gar nicht als innere Teile oder gar als Agenten aufgefasst werden, in denen sich die Form manifestiert. Konzis hält Locke in Essay concerning Human Understanding II, xxi, § 20 (ed. Nidditch, 243) fest: „But the fault has been, that Faculties have been spoken of, and represented, as so many distinct Agents.“
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griff der substantiellen Form zu rehabilitieren.63 Wenn unter einer solchen Form nicht ein Aktualisierungsprinzip verstanden wird, wie die Spätscholastiker noch meinten, sondern ausschließlich ein Einheits- und Kausalitätsprinzip, dann kann und muss man seiner Ansicht nach sogar annehmen, dass der Geist bzw. die Seele eine Form ist. Nur so lässt sich erklären, warum ein einziger Geist nicht nur zahlreiche Ideen hat, sondern sie auch selber hervorbringt – die substantielle Form bürgt für Einheit und kausale Kraft.64 Doch welche Optionen bieten sich an, wenn man nicht diesen Weg beschreiten möchte und nicht das aristotelische Modell in transformierter Weise wieder aufgreifen will? Verschiedene Erklärungsstrategien wurden in der Frühen Neuzeit entwickelt, wie wiederum anhand von drei Beispielen kurz gezeigt werden soll. Descartes räumt ein, dass der Geist bzw. Intellekt nicht einfach ein Vermögen unter anderen darstellt, hält aber gleichzeitig daran fest, dass er eine Instanz sein muss, dem alle Ideen eines Menschen zugeschrieben werden können: eine immaterielle Substanz, die von der körperlichen Substanz real verschieden ist.65 Zu dieser These veranlassen ihn nicht nur die berühmten Dualismus-Argumente, sondern auch ein weniger oft zitiertes, aber mindestens ebenso wichtiges Argument, das man das Einheitsargument nennen könnte. In kürzester Form lautet es: Ein menschlicher Körper besteht aus zahlreichen Teilen, verändert sich permanent durch eine Neuanordnung der Teile und geht zugrunde, wenn die Teile auseinander fallen. Er bildet höchstens eine funktionale Einheit, solange die Teile gut aufeinander abgestimmt sind und zusammen bestimmte Aufgaben (Ernährung, Bewegung usw.) wahrnehmen. Der Geist hingegen ist nicht eine funktionale, sondern eine genuine Einheit und bleibt immer ein Geist, wie sehr sich auch seine jeweiligen Zustände oder Akte ändern. Also kann er nichts Materielles sein, das aus Teilen besteht. Er muss, wie Descartes betont, eine immaterielle „reine Substanz“ sein, die 63
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65
Vgl. Discours de métaphysique, §§ 10–11 (Phil. Schriften I, 78–82). Die Rehabilitierung der Formen setzt bereits in früheren Schriften um 1671 ein, wie Mercer 2001, 339 und 380, nachweist. Wie Adams 1994, 309–320, detailliert zeigt, ist es primär diese Überlegung, die Leibniz schließlich dazu bringt, nicht nur den menschlichen Geist als substantielle Form zu bestimmen, sondern alles, was eine Einheit bildet und eine kausale Kraft hat – auch einen Körper. An einigen Stellen greift er sogar auf aristotelisches Vokabular zurück und charakterisiert den Geist als substantielle Form; vgl. Brief an Regius, Januar 1642 (AT III, 503). Damit verpflichtet er sich aber nicht einem Hylemorphismus, denn er bestimmt diese Form als vom Körper real verschieden.
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in sich stabil bleibt und nicht zugrunde geht, wenn die Körperteile zerfallen.66 Ideen des Geistes sind nichts anderes als Zustandsweisen (sog. Modi) dieser reinen Substanz. Diese Konzeption hat mindestens zwei Konsequenzen für die Ideentheorie. Zum einen können Ideen sicherlich nicht innere Objekte sein, die zusammen auftreten und sich irgendwie präsentieren, sondern sind eben nicht mehr als Zustandsweisen der einen Substanz. Dass der Geist beispielsweise an Pferde denkt, heißt dann nichts anderes, als dass die immaterielle Substanz sich in einem Zustand befindet, der einen bestimmten Inhalt hat und sich daher auf Pferde bezieht. Zum anderen hat diese Konzeption auch zur Folge, dass innerhalb des Geistes keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Teilen getroffen werden kann. Die „reine Substanz“ ist nicht in einen Intellekt, einen Willen und andere Vermögen unterteilbar, wie Descartes betont, sondern einfach und dadurch auch nicht zergliederbar.67 Diese Auffassung ermöglicht es natürlich, auf eine substantielle Form zu verzichten und trotzdem die Einheit des Geistes zu gewährleisten. Sie wirft aber gleichzeitig die Frage auf, warum es denn unterschiedliche Arten von Ideen geben kann, wenn es innerhalb des Geistes nicht verschiedene Arten von Vermögen gibt, die verschiedene Aufgaben haben. Warum kann ich Ideen von materiellen Gegenständen, von mathematischen und fiktiven Objekten, von Gott und anderen Dingen haben, wenn mein Geist eine einfache, in sich unstrukturierte Substanz ist?68 Hängt die Differenz zwischen den Ideen ausschließlich von den unterschiedlichen Gehirnzuständen ab, mit denen mein Geist koordiniert ist? Oder gibt es trotz einer fehlenden Pluralität von Vermögen im Geist selbst einen Grund dafür, dass verschiedene Arten von Ideen entstehen können? Kurz gesagt: Die Betonung der Einheit und Einfachheit 66 67
68
Vgl. Med., Synopsis (AT VII, 14). Vgl. Passions de l’âme II, 47 und 68 (AT XI, 364 und 379); ausführlich dazu Wagner 1984. Man könnte sogar fragen, warum ich verschiedene Ideen derselben Art haben kann, z. B. verschiedene Ideen von materiellen Gegenständen. Ist dies lediglich darauf zurückzuführen, dass mein Geist von verschiedenen Dingen bzw. Sinneseindrücken irgendwie affiziert wird? Doch wie kann eine einfache Substanz unterschiedlich auf verschiedene Affektionen reagieren und folglich unterschiedliche Ideen hervorbringen? Muss sie nicht in sich verschiedene Vermögen oder Dispositionen haben, damit sie unterschiedliche Affektionen unterschiedlich verarbeitet? Insistiert man auf einer absoluten Einfachheit, scheint der Geist eine Art „black box“ zu sein, die auf wundersame Weise verschiedene Outputs liefert.
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des Geistes wirft sogleich das Problem der Pluralität verschiedener Arten von Ideen auf. Diesem Problem entgeht Spinoza, indem er von Anfang an auf die Annahme einer immateriellen Substanz verzichtet, um die Einheit eines menschlichen Geistes zu erklären. Im Rahmen seines Monismus gibt es nur Bündel von Modi des Denkens, die zusammen einen menschlichen Geist bilden und allesamt Bestandteile der einen umfassenden Substanz sind. Damit kann Spinoza leicht die Pluralität von Ideen erklären. Wenn etwa gefragt wird, warum ich Ideen von Pferden, Dreiecken und Chimären haben kann, lautet die simple Antwort: weil mein Geist nichts anderes ist als ein Bündel derartiger Ideen, die auf der Grundlage körperlicher Zustände existieren, ja mit diesen sogar identisch sind. Sobald in meinem Körper Sinneseindrücke von Pferden entstehen, taucht auch die Idee von Pferden auf; und sobald Sinneseindrücke von Ziegen und Löwen miteinander verbunden werden, taucht die Idee von Chimären auf. Die Pluralität von Ideen ist auf die Pluralität von Körperzuständen zurückzuführen, die ihrerseits durch eine Pluralität von äußeren Gegenständen ausgelöst werden. Doch wie kann es dann einen einheitlichen individuellen Geist geben, der sich vom Geist einer anderen Person unterscheidet? Ein Erklärungsansatz könnte folgendermaßen aussehen: Da Ideen mit körperlichen Zuständen identisch sind, ist ein Bündel von Ideen mit Blick auf die jeweiligen körperlichen Zustände zu individuieren. Diese wiederum lassen sich mit Verweis auf ihre Anordnung und Bewegung individuieren. Das heißt: Wenn körperliche Zustände zusammen auftreten, sich zusammen in die gleiche Richtung bewegen und zusammen bestimmte Wirkungen (das Pumpen von Blut, das Verdauen von Nahrung usw.) erzielen, bilden sie einen Körper. Die mit diesen Zuständen identischen Ideen bilden dann einen Geist.69 Diese Erklärung wirft aber neue Probleme auf. Wenn nur die funktionale Anordnung der körperlichen Zustände ausschlaggebend ist, lassen sich innerhalb eines Menschen verschiedene Individuen und damit auch verschiedene Geister individuieren. Die körperlichen Zustände, aus denen sich das Gehirn oder die Leber zusammensetzt, treten ja auch zusammen auf, bewegen sich auch in die gleiche Richtung und erzielen zusammen eine bestimmte Wirkung. Warum sollten sie dann nicht ein körperliches Individuum konstituieren? Und warum sollten die mit ihnen identischen Ideen nicht einen Geist bilden? Überspitzt gefragt: Warum 69
Diese funktionale Individuation deutet Spinoza in Ethica II, def 7 und p13 lemma 3d an; vgl. ausführlich Garrett 1994 und Della Rocca 1996, 29–40.
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sollte es nicht einen Gehirn-Geist, einen Leber-Geist usw. geben? Es scheint unklar, wie sich allein mit einer funktionalen Erklärung eine Aufspaltung des Geistes in mehrere Teilgeister vermeiden lässt. Für Spinoza stellt sich somit gerade das umgekehrte Problem wie für Descartes: Die Annahme einer Pluralität von Ideen erfordert eine Erklärung der Einheit des Geistes. Noch einen Schritt weiter als Spinoza geht Hume. Auch er lehnt die Annahme einer individuellen Substanz als Trägerin geistiger Zustände ab. Ein individueller Geist ist nichts anderes als ein Bündel von Perzeptionen, d. h. von Eindrücken und Ideen.70 Im Gegensatz zu Spinoza behauptet Hume aber nicht, dass diese Zustände mit körperlichen Zuständen identisch sind. Er enthält sich jeder metaphysischen These bezüglich der Identität oder Verschiedenheit geistiger und körperlicher Zustände. Alles, was wir seiner Ansicht nach mit Sicherheit feststellen können, ist eine bestimmte Verkettung der geistigen Zustände. Daher kann ein Geist auch nur mit Bezug auf diese Verkettung individuiert werden: Von einem Geist zu sprechen heißt nichts anderes, als auf eine ununterbrochene Ideenkette Bezug zu nehmen. Dann stellt sich freilich die Frage, ob wir eine derartige Kette überhaupt feststellen können. Hume räumt ein, dass dies nicht der Fall ist; wir stellen immer nur einzelne Perzeptionen fest, die kommen und vergehen. Doch wir stellen gleichzeitig auch fest, dass diese punktuell auftretenden Perzeptionen in Ähnlichkeitsund Kausalrelationen zueinander stehen, und konstruieren auf dieser Grundlage eine ununterbrochene Kette. Diese Konstruktion führt uns dazu, so etwas wie einen einheitlichen, über die Zeit hinweg kontinuierlich existierenden Geist zu fingieren und ihn von einem anderen Geist zu unterscheiden.71 Dies ist natürlich eine radikale Antwort auf die Frage nach der Einheit des Geistes. Streng genommen sind wir dieser Auffassung nach nicht zu der Behauptung berechtigt, dass es eine solche Einheit tatsächlich gibt. Aber wir fingieren sie, ja müssen sie geradezu fingieren, um uns selber nicht bloß als eine lose Ansammlung von Perzeptionen, sondern als persistierende Individuen verstehen zu können. Natürlich stellt sich dann die Frage, was genau uns zu einer solchen Fiktion berechtigt, d. h. welche Relationen zwischen den einzelnen Eindrücken und Ideen wir feststellen 70 71
Vgl. Treatise of Human Nature I.4.2 (ed. Norton & Norton, 137). Treatise of Human Nature I.4.6 (ed. Norton & Norton, 166): „Thus we feign the continu’d existence of the perceptions of our senses, to remove the interruption; and run into the notion of a soul, and self, and substance, to disguise the variation.“
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müssen, um eine Kette herstellen zu können. Hier sollen jedoch nicht die Details der Humeschen Antwort auf diese Frage untersucht werden.72 Entscheidend ist an dieser Stelle die Stoßrichtung der ganzen Erklärung. Wie bereits Spinoza sieht sich auch Hume mit dem Problem konfrontiert, dass angesichts einer Pluralität von Ideen keineswegs klar ist, wie es einen einheitlichen, individuellen Geist geben kann. Bei Hume spitzt sich dieses Problem aber noch zu, weil er es nicht mehr mit Verweis auf eine funktionale Einheit der körperlichen Zustände lösen kann. Daher verweist er letztendlich nur noch auf eine epistemologische Basis, nämlich auf das Erfassen bestimmter Relationen zwischen den Ideen, um diese Einheit zu garantieren. Kurz gesagt: Die Pluralität der Ideen führt zur Auflösung einer metaphysischen Einheit des Geistes – diese Einheit ist gemacht, nicht gegeben. Wie die drei Beispiele verdeutlichen, ist die Ideenproblematik in der Frühen Neuzeit nicht auf die Intentionalitätsproblematik beschränkt. Sie erschöpft sich nicht in den Fragen, warum einzelne geistige Zustände sich auf etwas beziehen können, wie sie sich auf etwas beziehen und welchen Inhalt sie haben. Mindestens so wichtig sind metaphysische Fragen bezüglich der Einheit und Individualität des Geistes. Diese Fragen sind durch einen Bruch mit der aristotelischen Tradition ausgelöst worden. Sobald nämlich nicht mehr angenommen wird, dass es eine substantielle Form gibt, die Einheit und Individualität garantiert, muss entweder nach einem metaphysischen Ersatz gesucht werden (wie dies prominenterweise Descartes mit Verweis auf eine immaterielle Substanz unternimmt), oder eine solche Suche muss ganz aufgegeben und durch eine rein epistemologische Erklärung der Konstruktion von Einheit und Individualität ersetzt werden (wie dies Hume vorschlägt). Auf jeden Fall richtet sich das Interesse nicht nur auf die Genese und Struktur einzelner Ideen, sondern immer auch auf die Verkettung mehrerer Ideen zu einem ganzen Geist. Eng damit verknüpft ist ein weiterer Punkt. Wenn weder der Geist noch die Gegenstände, die er erfasst, durch eine substantielle Form eine Einheit und Individualität erhalten, kann nicht mehr angenommen werden, geistige Zustände hätten die Funktion, Gegenstände zu repräsentieren, die an sich bereits eine klar abgegrenzte Einheit bilden. Noch viel weniger darf angenommen werden, Gegenstände hätten so etwas wie einen „Wesenskern“, den es lediglich zu erfassen oder gar zu assimilieren
72
Vgl. ausführlich Garrett 1997, 163–186.
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gilt. In unterschiedlichen Wahrnehmungssituationen sind lediglich unterschiedliche Eigenschaften zugänglich, noch dazu Eigenschaften, die sich teilweise verändern. Aus der Fülle aller Eigenschaften, die mithilfe zahlreicher Ideen erfasst werden können, muss ein einheitlicher Gegenstand erst gebildet werden. Auch hier gilt wieder: Die Einheit eines Gegenstandes ist gemacht, nicht gegeben. Dies zeigt sich bereits bei Locke, der betont, dass wir angesichts der unbekannten Konstitution der Dinge nicht sagen können, was ihre reale Essenz ist. Auf der Grundlage der Sinneseindrücke können wir sie höchstens mit Verweis auf diverse Eigenschaften in Arten und Gattungen einteilen und so eine nominale Essenz bestimmen.73 Wie wir die jeweilige Essenz bestimmen, hängt entscheidend von den Eigenschaften und den Einteilungsmustern ab, die wir in Anschlag bringen. Da es unterschiedliche Einteilungsmuster gibt, können für ein und dieselbe Sache entsprechend unterschiedliche nominale Essenzen bestimmt werden. Daher sagt der Verweis auf einen einheitlichen Gegenstand nicht nur etwas darüber aus, worauf Bezug genommen wird, sondern auch darüber, wie – mit welchen Einteilungsmustern und welchen Ideen von sinnlichen Eigenschaften – überhaupt Bezug genommen wird. Noch ausgeprägter ist dieser Grundgedanke bei Hume. Er verzichtet ganz darauf, den Gegenständen ein für die Einheit und Individualität verantwortliches Wesen zuzuschreiben (sei dies nun eine reale oder eine nominale Essenz), und bestimmt Gegenstände nur noch als das, was uns in verschiedenen Bündeln von Eindrücken und Ideen präsent ist. Zu einheitlichen, von einander klar abgegrenzten Gegenständen werden sie nur dadurch, dass wir eine gewisse Konstanz und Kohärenz in diesen Bündeln feststellen.74 Daher stellt sich nicht mehr die Frage, ob unsere Ideen denn die Gegenstände so treffen, wie sie an sich sind und einen „Wesenskern“ haben. Es gilt nur noch zu untersuchen, ob unsere Ideen tatsächlich eine Konstanz und Kohärenz aufweisen und ob wir auf dieser Grundlage imstande sind, Gegenstände zu individuieren. Entscheidend ist dabei, dass wir die Ideen gleichsam in Bündel portionieren und dass wir somit einheitliche Gegenstände bilden. Natürlich können wir nicht beliebig Einheiten bilden. Es gibt bestimmte Gesetzmäßigkeiten, nach denen Ideen auftreten und uns einheitliche Gegenstände präsentieren. Trotzdem fällt uns die Aufgabe zu, aufgrund 73
74
Vgl. Essay concerning Human Understanding III, 3, § 15 und III, 6, § 2 (ed. Nidditch, 417 und 439). Zur nominalen Essenz vgl. ausführlich die Stellenkommentare zu Locke (K11) und zu Leibniz (K15). Vgl. Treatise of Human Nature I.4.2 (ed. Norton & Norton, 132).
Rationalistische und empiristische Ideentheorien
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der konstanten und kohärenten Ideenketten Gegenstände als Einheiten aufzufassen. Gegenstände sind nicht einfach gegeben, schon gar nicht aufgrund von Formen oder wesentlichen Eigenschaften, sondern werden auf der Ideenbasis erst als solche konstituiert. Damit ist die Ablösung vom aristotelischen Paradigma abgeschlossen. Ging es in den spätscholastischen Debatten bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein vornehmlich um die Frage, wie wir die Gegenstände, die aufgrund ihrer substantiellen Form bereits einheitliche Gegenstände sind, geistig erfassen und bestenfalls sogar assimilieren können, stehen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts die Fragen im Mittelpunkt, ob und wie wir ausgehend von unseren Ideen überhaupt einheitliche Gegenstände konstituieren können. Die Entwicklung der Ideendebatte in der Frühen Neuzeit verdeutlicht nicht zuletzt diesen Übergang von einer gegebenen zu einer von uns erfassten und strukturierten Welt.
4. Rationalistische und empiristische Ideentheorien: eine angemessene Gegenüberstellung? Wie sich gezeigt hat, gingen die frühneuzeitlichen Autoren zwar von einem gemeinsamen platonisch-augustinischen und aristotelischen Erbe aus, aber sie reagierten ganz unterschiedlich auf dieses Erbe und entwickelten entsprechend unterschiedliche Ideenbegriffe, um die Probleme zu lösen, die sich durch die Erosion des Aristotelismus ergaben. Es wäre daher unangemessen, von einem einheitlichen „way of ideas“ zu sprechen. Droht dann nicht die Gefahr, dass man sich in einem unübersichtlichen Gelände voller verschlungener Wege verirrt? Um dieser Gefahr zu entgehen, könnte man bei einem historiographischen Schema Zuflucht nehmen, das immer wieder verwendet wird, um die frühneuzeitliche Ideendebatte zu strukturieren: die Gegenüberstellung von rationalistischen und empiristischen Theorien. Trotz aller Differenzen bezüglich der Definition und Funktion von Ideen scheint es nämlich eine klare Aufspaltung in zwei Lager zu geben. Rationalistische Ideentheoretiker gehen von der Annahme aus, dass Ideen ihren Ursprung im Geist haben und daher angeboren sind, während empiristische Theoretiker sich auf die Prämisse stützen, dass Ideen von außen in den Geist gelangen und somit erworben sind. Dem ersten Lager sind gemäß der traditionellen Einteilung Descartes, Spinoza und Leibniz zuzuordnen, dem zweiten Gassendi, Locke, Berkeley und Hume.
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Dieses Einteilungsschema erscheint zunächst hilfreich, da es erlaubt, sämtliche Ideentheorien mit Blick auf ein einziges Grundproblem zu untersuchen: Wo haben Ideen ihren Ursprung? Je nach Antwort auf diese Frage lassen sich dann nicht nur rationalistische und empiristische Theorien, sondern auch verschiedene Typen rationalistischer oder empiristischer Theorien bestimmen. So lässt sich innerhalb des rationalistischen Lagers Descartes’ Erklärung der Angeborenheit der Ideen von jener Leibniz’ unterscheiden, ja sogar bei Descartes selbst lassen sich verschiedene Auffassungen von Angeborenheit und damit engere und weitere Formen des Rationalismus bestimmen.75 Das Einteilungsschema hat zudem den Vorteil, dass es die Differenzen zwischen den verschiedenen frühneuzeitlichen Autoren auf den Punkt bringt. So macht es deutlich, dass Locke in seinem Essay concerning Human Understanding vor allem das empiristische Ziel verfolgt, die cartesische Annahme angeborener Ideen und Prinzipien zurückzuweisen, während Leibniz in seinen Nouveaux Essais genau dieses Vorgehen kritisiert und darauf insistiert, dass eine bestimmte Form von Angeborenheit angenommen werden muss. Die Auseinandersetzung zwischen Descartes (und späteren Cartesianern), Locke und Leibniz erweist sich dann als ein philosophischer Streit, der sich auf die Angeborenheitsthese konzentriert. Das Einteilungsschema hat aber ein trügerische Klarheit und Einfachheit. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es eine Reihe von historiographischen und systematischen Problemen aufwirft. Ein erstes Problem liegt darin, dass es suggeriert, alle frühneuzeitlichen Autoren hätten Ideen entweder als dem menschlichen Geist angeboren oder als erworben bestimmt; eine dritte Möglichkeit scheint ausgeschlossen. Bereits ein flüchtiger Blick auf die in diesem Band versammelten Texte zeigt aber, dass es durchaus eine dritte Option gab. Malebranche lokalisierte die Ideen im göttlichen Geist und behauptete, dass sie nicht dem menschlichen Geist angeboren sind (Gott legt sie weder in dispositionaler noch in aktueller Form in unseren Geist), aber auch nicht erworben werden (Sinneseindrücke stellen höchstens eine „Gelegenheitsursache“ dafür
75
So wählt Descartes in den Notae in programma (AT VIII-2, 357–358) einen weiten Begriff. Er behauptet dort, dass alle Ideen (auch jene von sinnlichen Gegenständen) angeboren sind, wenn sie als Vermögen oder Fähigkeiten aufgefasst werden. In Med. III (AT VII, 37–38) wählt er einen engeren Begriff. Dort bestimmt er nur eine bestimmte Klasse von aktuellen Zuständen (nämlich jene, die ohne sinnliche Erfahrung zustande kommen), als angeborene Ideen und unterscheidet sie von den erworbenen sowie von den selbst gemachten Ideen.
Rationalistische und empiristische Ideentheorien
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dar, dass wir Zugang zu bestimmten Ideen im göttlichen Geist haben, aber sie ermöglichen nicht deren Erwerb). Die Pointe dieser Ideentheorie besteht darin, dass sie die Frage, wie Ideen in unseren Geist gelangen, als eine irreführende Frage zurückweist. Wenn man einsieht, dass Ideen aufgrund ihres besonderen Charakters als immaterielle, allgemeine Archetypen von Gegenständen nur im göttlichen Geist existieren können, hat man Malebranche zufolge auch verstanden, dass sie prinzipiell nicht in unseren Geist gelangen können – weder als angeborene noch als erworbene Entitäten.76 Würde man die Ideentheorien ausschließlich mit Blick auf die Opposition von Rationalismus und Empirismus betrachten, würde man diese Position von vornherein ausschließen. Ein zweites Problem taucht auf, wenn man sich den als „rationalistisch“ oder „empiristisch“ etikettierten Autoren zuwendet und den Ausgangspunkt ihrer Debatten genauer zu bestimmen versucht. Es zeigt sich dann, dass sie nicht von der Frage ausgingen, ob es angeborene Ideen gibt. Der Streitpunkt war vielmehr, ob angeborene Prinzipien angenommen werden dürfen oder gar angenommen werden müssen. Dies wird deutlich, wenn man das erste Buch des Essay concerning Human Understanding sorgfältig liest. Locke wendet sich dort nicht gegen die cartesische Annahme angeborener Ideen (Descartes wird an keiner Stelle erwähnt), sondern gegen die unkritische Postulierung spekulativer und ethischer Prinzipien, wie dies unter englischen Moralisten und Theologen seiner Zeit üblich war.77 Seine Kritik konzentriert sich auf zwei Punkte:78 Erstens verwahrt er sich dagegen, bestimmte Prinzipien (z. B. dass Versprechen eingehalten werden müssen oder dass die Eltern zu ehren sind), die in bestimmten Kulturkreisen anerkannt werden, gleich als universal gültige Prinzipien zu charakterisieren; was von den im 17. Jahrhundert bekannten Völkern und Stämmen akzeptiert wird, muss nicht notwendigerweise zu jeder Zeit von jedem Volk anerkannt werden. Zweitens betont Locke, dass universale Gültigkeit nicht einfach mit Angeborenheit gleichgesetzt werden darf. Es ist gut möglich, dass unterschiedliche Völker aufgrund ähnlicher Lebensbedingungen ähnliche Erfahrungen gemacht haben und deshalb die gleichen Prinzipien formu76 77
78
Vgl. dazu ausführlich den systematischen Essay von P. Rubini in Bd. 2, 5.3. Wie Yolton 1993, 100–101, nachweist, setzt sich Locke vornehmlich mit R. Carpenter, S. Sclater, M. Hale und anderen Zeitgenossen auseinander, die bestimmte Handlungsanweisungen und Glaubenssätze als angeboren bezeichneten. Descartes und Cartesianer spielen für Locke hier keine Rolle. Vgl. Essay I, ii-iii (ed. Nidditch, 48–84).
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liert haben. Selbst mit Bezug auf Prinzipien wie ‚Gott ist zu verehren‘, die in jeder bekannten Kultur anerkannt werden, darf nicht einfach angenommen werden, dass sie jedem Menschen unabhängig von der Erfahrung gleichsam eingeprägt sind. Auch sie sind innerhalb der jeweiligen Kultur festgelegt worden. Es sind vor allem Erziehung und überlieferte Sitten, die Individuen dazu bringen, sich bestimmte Prinzipien anzueignen.79 Beachtet man diese Stoßrichtung der Lockeschen Polemik, zeigt sich, dass sie vor allem kulturkritisch oder gar religionspolitisch motiviert ist und weniger auf eine These der theoretischen Philosophie abzielt: Die Entstehung und der Geltungsstatus moralischer Prinzipien müssen im jeweiligen Kontext betrachtet werden. Vorschnelle Verallgemeinerungen und fadenscheinige Begründungen mit Verweis auf eine angebliche Angeborenheit sind zurückzuweisen. Nun könnte man einräumen, dass die Auseinandersetzung zwischen Rationalisten und Empiristen in der Tat eine kulturkritische Komponente hatte oder sogar religionspolitisch motiviert war, gleichzeitig aber darauf insistieren, dass trotzdem ein entscheidender Punkt in der Ideentheorie zur Debatte stand. Locke verteidigte ganz unabhängig von seiner Polemik gegen zeitgenössische Moralisten die These, dass alle Ideen erworben sind, während Descartes die Position vertrat, dass es auch angeborene Ideen gibt. An einer prominenten Stelle behauptet Locke ja explizit, der menschliche Geist sei ein „leerer Raum“ (empty Cabinet ) und werde erst dadurch gefüllt, dass er auf der Grundlage von Sinneseindrücken Ideen aufnehme.80 Genau diese These, so könnte man argumentieren, markiert die Trennlinie zwischen einem Empiristen und einem Rationalisten. Doch wie leer ist der Geist gemäß Locke? Stammt alles, womit der Geist gefüllt wird, aus der Sinneserfahrung? Zunächst ist zu beachten, dass die berühmte These, das ganze „Material der Vernunft“ stamme aus der Erfahrung,81 auf einem differenzierten Begriff von Erfahrung beruht. Locke behauptet nicht, dass alles unmittelbar aus der Sinneserfahrung stammt. Neben dieser äußeren Quelle nimmt er auch eine innere an, indem er feststellt, dass jeder Mensch über eine Reflexionsfähigkeit verfügt. Jeder kann nämlich über die eigenen geistigen Aktivitäten nach79
80 81
Daher können diese Prinzipien durch mangelnde oder fehlerhafte Erziehung auch abgeschwächt oder ganz getilgt werden; vgl. Essay I, 3, § 20 (ed. Nidditch, 80). Vgl. Essay I, 2, § 15 (ed. Nidditch, 55). Essay II, 2, § 2 (ed. Nidditch, 104): „Whence has it all the materials of Reason and Knowledge? To this I answer, in one word, From Experience.“
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denken und dadurch die Ideen von Denken, Zweifeln, Wollen, Wissen usw. bilden. „Diese Quelle für Ideen“, so hält Locke unmissverständlich fest, „hat jeder Mensch ganz in sich selbst.“82 Locke vertritt also nicht die naive These, dass der Geist sich vollkommen passiv verhält und sämtliche Ideen direkt aus der visuellen, taktilen oder anderweitigen sinnlichen Erfahrung aufnimmt. Er verteidigt die subtilere These, dass es zwar einen sinnlichen Auslöser für geistige Aktivitäten braucht und dass Ideen wie jene von Farben oder Härte unmittelbar auf sinnlicher Erfahrung beruhen. Ist der Geist aber einmal aktiviert worden, kann er aus sich heraus höherstufige Ideen bilden. Warum ist er dazu in der Lage? Weil er über die rationale Fähigkeit verfügt, die Unterschiede zwischen verschiedenen geistigen Akten zu erkennen und dadurch aus sich heraus die Ideen von Denken, Zweifeln, Wollen, Wissen usw. zu bilden. Dies setzt natürlich voraus, dass es Klassifikationsschemata gibt, die der Geist aus sich heraus generieren kann; sie werden ihm nicht einfach durch die Sinneserfahrung eingeprägt. Er kann sogar verschiedene Klassifikationsschemata bilden – gröbere und feingliedrigere – und je nach Situation und Bedürfnis das eine oder das andere anwenden. Bereits hier zeigt sich, dass Locke auf eine Verbindung von empiristischen und rationalistischen Elementen abzielt. Der Erwerb sinnlicher Ideen ist zwar eine notwendige Voraussetzung für die Bildung von Reflexionsideen, die beiden Arten von Ideen haben aber einen unterschiedlichen Ursprung. Noch einen weiteren Punkt gilt es zu beachten. Streng genommen sind die unmittelbar erworbenen sinnlichen Ideen nur einfache Ideen von einzelnen Eigenschaften, etwa jene von Farbe, Härte oder Geruch. Diese werden zu komplexen Ideen zusammengesetzt. Wenn ich etwa vor einem Pferd stehe, habe ich unmittelbar die Idee von einem ganzen Pferd – eine Idee, die nur scheinbar einfach ist, sich in Tat und Wahrheit aber auf zahlreiche Ideen von einzelnen sinnlichen Eigenschaften zurückführen lässt und deshalb komplex ist. Warum bin ich zur Bildung einer solchen komplexen Idee fähig? Lockes Antwort ist eindeutig: Mein Geist kann von sich aus einfache Ideen miteinander verbinden, Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten oder Verträglichkeiten und Unverträglichkeiten feststellen und dadurch einheitliche komplexe Ideen herstellen.83 Es ist somit nicht die sinnliche Erfahrung, die meinen Geist gleichsam mit Ideen von Einzelgegenständen möbliert. Vielmehr muss ich auf 82
83
Essay II, 1, § 4 (ed. Nidditch, 105): „This Source of Ideas, every Man has wholly in himself.“ Vgl. Essay II, 12, § 1 (ed. Nidditch, 163).
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Klassifikations- und Assoziationsmuster zurückgreifen, die ich dank meiner rationalen Fähigkeiten bilden und in einer gegebenen Situation aktivieren kann. Nur so ist es mir möglich, aus der verwirrenden Vielfalt einfacher Ideen von Eigenschaften zu Ideen von ganzen Gegenständen zu gelangen. Hätte ich beispielsweise kein Assoziationsmuster, das es mir erlaubt, die Idee von etwas Braunem mit den Ideen von etwas Weichem, Warmem, Wieherndem zu verbinden, würde es mir nie gelingen, die Idee von einem Pferd zu bilden. Man könnte sogar sagen, dass für mich die Idee vom ganzen Pferd der Ausgangspunkt ist. Erst wenn ich diese komplexe Idee analysiere und mich frage, wie sie zustande gekommen ist, gelange ich zu einzelnen einfachen Ideen.84 Daher gibt es nicht so etwas wie eine nachträgliche Zusammensetzung der einfachen Ideen zu komplexen. Da der Geist spontan Assoziations- und Klassifikationsmuster anwendet, bildet er unmittelbar komplexe Ideen und zerlegt sie erst in einem zweiten Schritt in einfache Ideen. Auch hier zeigt sich wieder, dass Locke auf eine Verbindung von empiristischen und rationalistischen Elementen abzielt: Ideen von ganzen Gegenständen entstehen nur, wenn sinnliche Eindrücke mithilfe rationaler Fähigkeiten, die Klassifikationsmuster generieren, zusammengefasst und strukturiert werden. Angesichts dieser Berücksichtigung sinnlich erworbener und rationaler Anteile wäre es irreführend, Locke einfach dem Lager der Empiristen zuzuordnen und ihn radikal von Descartes abzugrenzen. Die entscheidenden Fragen lauten für ihn, (a) über welche rationalen Fähigkeiten wir verfügen müssen, damit wir in der Lage sind, Sinneseindrücke angemessen zu verarbeiten und (b) wie wir dadurch imstande sind, Ideen zu bilden, mit denen wir Gegenstände überhaupt als ganze Gegenstände erfassen und klassifizieren können. Vor allem aber wäre es irreführend, Locke die These zuzuschreiben, in der sinnlichen Erfahrung liege der einzige Ursprung für Ideen, und ihn damit vom Rationalisten Descartes abzugrenzen, der angeblich gerade umgekehrt behauptet, in der geistigen Aktivität liege der einzige Ursprung. Wie sich gezeigt hat, stellt die Erfahrung der äußeren Sinne für Locke nur eine Quelle dar.
84
Daher verläuft der Weg im Erkenntnisprozess nicht von den einfachen zu den komplexen Ideen, sondern gerade umgekehrt: Einfache Ideen werden erst durch einen Prozess des Zergliederns komplexer Ideen gewonnen und ostensiv festgelegt (vgl. Krüger 1973, 32–33). Erst wenn ich etwa auf das Fell des Pferdes zeige und „braun“ sage, lege ich eine einfache Idee fest und grenze sie von anderen einfachen Ideen ab.
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Würde man die Empiristen und die Rationalisten derart charakterisieren, dass man ihnen jeweils nur eine Quelle für die Erkenntnis zuschreibt, würde man auf ein Schema zurückgreifen, das nicht aus der Frühen Neuzeit stammt, sondern erst im 19. Jahrhundert im Rahmen der kantianischen Philosophiegeschichtsschreibung entwickelt wurde.85 Angeregt von Kants These, dass eine angemessene Erklärung von Erkenntnis zwei Quellen – Sinnlichkeit und Verstand – in gleicher Weise berücksichtigen muss, versuchten Friedrich Ueberweg, Kuno Fischer und andere Philosophiehistoriker zu zeigen, dass Kants Vorgänger einseitig eine der beiden Quellen betont hatten. Locke habe mit Verweis auf den „leeren Raum“ des Geistes, der mit sinnlichen Ideen gefüllt werden müsse, nur die Sinnlichkeit berücksichtigt. Descartes hingegen, der durch eine Reflexion auf das eigene Denken Ideen generiert habe, sei nur auf den Verstand als Quelle eingegangen. Erst Kant habe diese Einseitigkeit überwunden und dadurch Rationalismus und Empirismus zusammengeführt. So seien die beiden Hauptströmungen der modernen Philosophie in einen umfassenden erkenntnistheoretischen Ansatz integriert und gleichzeitig überwunden worden.86 Ein solches historiographisches Schema ist zum einen problematisch, weil es die frühneuzeitlichen Debatten ausschließlich aus kantianischer Sicht in den Blick nimmt und als bloße Wegbereiter für eine „kritische Philosophie“ betrachtet. Descartes, Locke und viele andere Philosophen sind dann nur insofern von Bedeutung, als sie Theorieelemente entwickelt haben, die Kant zu einer idealen Synthese zusammengeführt hat. Ein kontrastierendes Schema ist zum anderen aber auch gefährlich, weil es nicht auf die Frage eingeht, wie so genannte Empiristen auf angeborene rationale Fähigkeiten rekur85
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Zwar waren die entsprechenden Etikettierungen bereits im 17. Jahrhundert geläufig, sie bezeichneten aber ganz andere Gegensätze. Zum einen wurden sie in Anlehnung an die antike Medizin verwendet, um sog. „empirische Ärzte“, die alle Krankheiten nur aufgrund der Erfahrung heilen wollten und theoretische Forschung ablehnten, von den Anhängern einer „rationalistischen Medizin“ zu unterscheiden, die theoriegestützt arbeiteten. Zum anderen wurde das Etikett „Rationalist“ auch in religionsphilosophischen Debatten verwendet, um jene, die Glaubensfragen allein aufgrund der natürlichen Vernunft erörtern wollten, von den „Supernaturalisten“ zu unterscheiden, die noch auf andere Quellen – vor allem auf übernatürliche Offenbarung – zurückgriffen. Vgl. Engfer 1996, 19–29. Diese ursprünglich von deutschen Philosophiehistorikern entwickelte Interpretation wurde bereits im späten 19. Jahrhundert von englischsprachigen übernommen und setzte sich im frühen 20. Jahrhundert als Standardinterpretation durch, so etwa in der einflussreichen Darstellung von F. Copleston; vgl. Loeb 1981, 25–36.
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rierten, um die Entstehung komplexer Ideen zu erklären, und wie umgekehrt so genannte Rationalisten auf sinnliche Auslöser verwiesen, um die Aktivierung angeborener rationaler Fähigkeiten plausibel zu machen. Wie sich am Beispiel Lockes zeigt, liegt die Pointe eines ideentheoretischen Ansatzes gerade darin, die Unverzichtbarkeit zweier Quellen deutlich zu machen. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob zwei Quellen erforderlich, sondern welchen Beitrag sie zur Bildung komplexer Ideen leisten.87 Schließlich besteht ein Problem in der traditionellen Gegenüberstellung von Rationalismus und Empirismus darin, dass häufig unklar ist, worauf diese Opposition abzielt. Die Ausdrücke ‚Rationalismus‘ und ‚Empirismus‘ werden nämlich seit dem 19. Jahrhundert nicht nur mit Blick auf die Ideentheorie, sondern auch zur Charakterisierung einer metaphysischen Position verwendet. Rationalisten sind dann jene Philosophen, die nicht nur behaupten, dass wir über angeborene Ideen verfügen, sondern darüber hinaus auch die These vertreten, dass es in der Welt eine und nur eine rationale Ordnung gibt, die wir erfassen können, wenn wir die notwendigen Relationen zwischen den einzelnen Dingen und Sachverhalten erkennen.88 Als Empiristen sind im Gegenzug die Autoren zu verstehen, die nicht nur bestreiten, dass es angeborene Ideen gibt, sondern auch bezweifeln, dass eine notwendige Ordnung vorliegt; ihrer Ansicht nach gibt es höchstens kontingente Relationen zwischen einzelnen Dingen, die wir durch erworbene Ideen erfassen können. Wird die Gegenüberstellung so aufgefasst, stehen zwei Probleme zur Debatte: das metaphysische Problem, welche Art von Ordnung (notwendig oder kontingent) die Dinge miteinander verbindet, und das erkenntnistheoretische Problem, mit welcher Art von Ideen (angeborene oder erworbene) die
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Hinzu kommt, dass Locke nicht nur einzelne Ideen analysiert, sondern auch Urteile, die sich aus Ideen zusammensetzen. Dabei unterscheidet er zwischen analytischen Urteilen (paradigmatisch sind jene der Mathematik), die der Geist aus sich heraus bilden kann, und synthetischen, die einer sinnlichen Grundlage bedürfen; vgl. Essay IV, iii, § 3–5 (ed. Nidditch, 539). Genau wie Descartes insistiert auch Locke darauf, dass nicht alle Urteile unmittelbar auf der Sinneswahrnehmung beruhen und auch nicht alle mit Bezug auf sie gerechtfertigt werden können. Krüger 1973, 15–18, unterscheidet daher zu Recht zwischen einem „Empirismus der Ideen“, der mit Blick auf die komplexen Ideen bereits rationalistische Züge trägt, und einem „Empirismus der Aussagen“, der mit Bezug auf analytische Urteile rationalistische Anleihen macht. So charakterisiert Cottingham 1988, 7, die rationalistische Position, indem er bemerkt, die beiden Thesen seien „closely connected“.
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jeweilige Ordnung erkannt werden kann. Die Lösungsstrategie für das erste Problem ist aber unabhängig von jener für das zweite. Kurz gesagt: Nicht jeder metaphysische Nezessitarist muss auch ein erkenntnistheoretischer Innatist sein, und nicht jeder metaphysische Kontingenztheoretiker muss auch die These vertreten, dass alle Ideen erworben sein. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Spinoza hält unmissverständlich fest, dass es eine und nur eine Ordnung in der Welt gibt, die unveränderbar ist. „In der Natur gibt es nichts Zufälliges“, betont er, „sondern alles ist aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, in einer bestimmten Weise zu existieren und etwas zu bewirken.“89 Er behauptet aber keineswegs, dass jeder Mensch auf angeborene Ideen zurückgreifen muss, um die notwendige Ordnung zu erkennen. Vielmehr insistiert er darauf, dass jeder Mensch Ideen erwirbt, und zwar dadurch, dass der Körper sinnlich affiziert wird. Ideen sind im Rahmen seiner bereits kurz vorgestellten Doppelaspekt-Theorie ja nichts anderes als die mentalen Gegenstücke zu körperlichen Zuständen. Daher verweisen Ideen primär auf die jeweiligen körperlichen Zustände und sekundär auf die äußeren Gegenstände, die diese Zustände hervorgerufen haben.90 Wenn sie allerdings nur so aufgefasst werden, wie sie diese Gegenstände in konkreten Situationen repräsentieren, sind sie „verstümmelt und verworren“, denn sie stellen sie nur unvollständig und teilweise sogar irreführend dar.91 Erst wenn die einzelnen Ideen in Relation zueinander gestellt werden und erst wenn evaluiert wird, welche Eigenschaften der einzelnen Gegenstände sie jeweils darstellen, lässt sich ein umfassendes und möglichst genaues Ideennetz bilden. Erst dann ist es auch möglich, die mangelhaften und irreführenden Repräsentationen zu ergänzen und zu korrigieren. Idealerweise wird am Ende dieses Erweiterungs- und Korrekturprozesses das perfekte Ideennetz (oder wie Spinoza sagen würde: die Menge aller adäquaten Ideen) erreicht, das alle Gegenstände in allen ihren notwendigen Relationen darstellt. Entscheidend ist dabei, dass nicht ein Rückzug auf angeborene Ideen ein solches Erfassen der notwendigen Ordnung erlaubt. Es ist gerade umgekehrt das immer umfassendere und differenziertere Verfügen über schrittweise erworbene Ideen, das jedem Menschen einen Zugang zu dieser Ordnung ermöglicht. Kurz gesagt: Je besser unsere erworbenen Ideen werden, desto genauer können wir die notwendige Ordnung er89 90 91
Ethica I, p29; dazu ausführlich Perler 2006. Vgl. Ethica II, p16. Vgl. Ethica II, p35.
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kennen. Spinoza verbindet somit einen metaphysischen Nezessitarismus mit einem erkenntnistheoretischen Empirismus. Gerade umgekehrt verhält es sich bei Descartes. Er vertritt bekanntlich die These, dass jeder Mensch über angeborene Ideen verfügt, ja verfügen muss, um bestimmte Propositionen erfassen zu können. Seine Paradebeispiele sind mathematische Propositionen. Aufgrund der angeborenen Idee von einem Dreieck, so lautet seine Grundthese, können wir unabhängig von jeder Sinneserfahrung und von jeder bildlichen Vorstellung erkennen, dass die Innenwinkel eines Dreiecks zusammen zwei rechten Winkeln entsprechen. Allein die Analyse dieser Idee, die gleichsam in jedem Geist schlummert, erlaubt es uns, die „wahren und unveränderlichen Naturen“ mathematischer Gegenstände zu erfassen.92 Gleichzeitig behauptet Descartes aber auch, dass diese Naturen nicht uneingeschränkt unveränderlich sind. Gott hat sie nämlich erschaffen und könnte sie jederzeit ändern. Er könnte sich etwa entscheiden, dass die Innenwinkel eines Dreieckes nicht zwei rechten Winkeln entsprechen oder dass zwei und zwei nicht mehr vier ergeben.93 Ebenso könnte er auch die Naturen aller anderen Gegenstände – der logischen ebenso wie der materiellen – jederzeit ändern. Dies bedeutet freilich nicht, dass Gott sie tatsächlich ändert. Der cartesische Gott ist kein Willkürgott, der in die Schöpfung eingreift und alle Naturen ständig verändert. Entscheidend ist nur, dass Gott sie ändern könnte, weil er absolut frei ist. Daher gibt es für Descartes streng genommen nur eine kontingente Ordnung, d. h. eine Ordnung, die von der jeweiligen Willensentscheidung Gottes abhängt. Er vertritt also genau die Gegenposition zu Spinoza: einen Innatismus gepaart mit einer Verteidigung metaphysischer Kontingenz. Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass es gefährlich wäre, Rationalismus und Empirismus jeweils durch die Verbindung einer erkenntnistheoretischen mit einer metaphysischen These zu charakterisieren. Für jeden Autor muss gesondert untersucht werden, (a) ob er neben erworbenen Ideen auch angeborene postuliert und (b) ob er eine notwendige oder eine kontingente Ordnung annimmt. Und natürlich muss auch untersucht werden, in welchem Sinn von erworbenen oder angeborenen Ideen die Rede ist, welche Quellen für die Bildung dieser Ideen angegeben werden und wie ihre Entstehung erklärt wird. Ebenso muss geprüft werden, in welchem Sinn von einer notwendigen oder kontingen92 93
Vgl. Med. V (AT VII, 64). Vgl. Briefe an Mersenne vom 15. April 1630 (AT I, 145–146), vom 6. Mai 1630 (AT I, 149–150) und vom 27. Mai 1630 (AT I, 152).
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ten Ordnung gesprochen wird und welche metaphysischen Annahmen zur Erklärung der jeweiligen Ordnung in Anschlag gebracht werden. Angesichts dieser Anforderungen soll im vorliegenden Band auf die pauschale Verwendung der Etiketten ‚Rationalismus‘ und ‚Empirismus‘ verzichtet werden. Nicht einmal mit Blick auf die erste Problematik sollen diese traditionellen Bezeichnungen verwendet werden, da der bloße Verweis auf angeborene Ideen nicht sehr aussagekräftig ist. Entscheidend ist vielmehr, was unter derartigen Ideen verstanden wird und wie ihre aktuelle Verwendung erklärt wird. Zudem wäre es irreführend, den Blick von vornherein nur auf die angeborenen Ideen zu lenken. Zunächst muss grundsätzlich geklärt werden, welche Arten von Ideen ein Autor unterscheidet und wie er ihren jeweiligen ontologischen Status erläutert. Daher sollen an jeden einzelnen Autor vier Leitfragen herangetragen werden, die im Vorspann zu den einzelnen Texten knapp beantwortet werden: 1. Was sind Ideen? Diese Frage zielt auf den ontologischen Status von Ideen ab. Sind sie Dispositionen, Objekte, Zustände oder Akte des Geistes? Wie werden die verschiedenen Arten von Entitäten unterschieden? Nach welchen Kriterien werden Ideen einer bestimmten Kategorie von Entitäten zugeordnet? Und wie verhalten sich diese Kategorien zu jenen, die zur Beschreibung des Körpers verwendet werden? 2. Welche Arten von Ideen gibt es? Hier gilt es zu klären, wie die Ideen unterteilt werden. Werden einfache Ideen von komplexen unterschieden, konkrete von abstrakten, wahre von falschen? Nach welchen Kriterien werden diese Unterteilungen vorgenommen? Und wie explizit werden diese Kriterien formuliert? 3. Wie entstehen Ideen? Eine Beantwortung dieser Frage erfordert eine Untersuchung der kognitiven Prozesse, die jeweils erforderlich sind. Entstehen Ideen nur auf der Grundlage von Wahrnehmungsprozessen? Wenn ja, handelt es sich dabei um körperliche, um geistige oder um beide Arten von Prozessen? Können Ideen auch unabhängig von Wahrnehmungsprozessen entstehen? Welche Rolle spielen dabei angeborene Fähigkeiten oder Dispositionen? Wie werden sie aktualisiert? Und wie wird dadurch der Inhalt einer Idee festgelegt?
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4. Was erklären Ideen? Diese Frage bezieht sich auf die Funktion des ideentheoretischen Ansatzes. Soll mit Rekurs auf Ideen der kognitive Zugang zur materiellen Welt erklärt werden? Oder soll ein anderer Zugang, etwa zum eigenen Geist oder zum göttlichen Geist, erklärt werden? Soll mit Verweis auf Ideen zudem erklärt werden, wie Wissen – vielleicht sogar sicheres Wissen – von der materiellen Welt möglich ist? Welche Bedingungen werden diesbezüglich formuliert? Diese Fragen decken selbstverständlich nicht das ganze Problemfeld ab. Sie sollen lediglich zu den wichtigsten metaphysischen, kognitionstheoretischen und erkenntnistheoretischen Problemstellungen hinführen und möglichst unabhängig von historiographischen Schemata eine textbezogene Auseinandersetzung mit den einzelnen Theorieansätzen ermöglichen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass es unzulässig wäre, rationalistische Ansätze von empiristischen zu unterscheiden. Doch eine solche Klassifizierung sollte stets mit Blick auf konkrete Texte und Autoren vorgenommen werden, und zwar erst nachdem genau bestimmt worden ist, was genau unter einem rationalistischen oder empiristischen Ansatz zu verstehen ist.
5. Zur Textauswahl und Kommentierung Der vorliegende Doppelband umfasst Texte von elf einflussreichen Ideentheoretikern der Frühen Neuzeit sowie Einführungen und Kommentare. Drei Kriterien waren für die Textauswahl maßgeblich. Erstens sollen die verschiedenen Zugänge zur Ideenproblematik in ihrer ganzen Breite berücksichtigt werden, damit deutlich wird, dass es den Ideenbegriff nicht gibt. Um die eingangs erwähnte Gebirgsmetapher wieder aufzugreifen: Es soll ein ganzes Gebirgspanorama aufgezeigt werden, damit die einzelnen Bergspitzen in Beziehung zueinander gesetzt werden können, aber auch das verbindende Vorgebirge und die trennenden Schluchten sichtbar werden. Zweitens sollen neben den bekannten, immer wieder zitierten Texten auch weniger bekannte Schriften prominenter Autoren einbezogen werden, und die in der Frühen Neuzeit einflussreichen, heute aber seltener diskutierten Philosophen sollen ebenso vertreten sein wie die „klassischen“ Autoren. Konkret heißt dies, dass für Descartes nicht nur die Dritte Meditation, sondern auch Briefe sowie Auszüge aus den Notae in programma berücksichtigt werden, und dass neben Descartes gleichberechtigt auch Gassendi, Arnauld und
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Malebranche stehen. So werden Texte zugänglich, die bislang noch in keiner deutschen Übersetzung vorliegen. Drittens schließlich soll sichtbar werden, dass es in der Frühen Neuzeit eine kontroverse Debatte rund um die verschiedenen Ideenbegriffe gab. Daher sollen auch die Kritiker der Ideentheorie zu Sprache kommen, unter ihnen Hobbes und Reid. Angesichts der Textfülle ist es selbst bei einer ausgewählten Gruppe von Autoren nicht möglich, alle ihre Schriften in vollem Umfang zu berücksichtigen. Deshalb wurde eine Textauswahl getroffen, die einen raschen Zugang zu den ideentheoretisch relevanten Aussagen ermöglichen soll. Kurze biographische und doxographische Einführungen im ersten Teilband sollen zunächst jeden Autor und Text im historischen Kontext einordnen und anhand der vier bereits genannten Leitfragen eine erste Orientierung ermöglichen. Die knappen Angaben verfolgen nicht das Ziel, den jeweiligen Text umfassend zu strukturieren oder gar zu interpretieren. Sie sollen lediglich auf die wichtigsten Thesen aufmerksam machen und gleichzeitig einen Quervergleich ermöglichen. Verfügt man beispielsweise über eine knappe Antwort auf die Frage, was denn Descartes zufolge eine Idee ist, kann man diese mit Malebranches und Leibniz’ Kernthesen vergleichen und sogleich die markantesten Differenzen erkennen. Der Orientierung dient auch ein Glossar am Ende des zweiten Teilbandes, das die wichtigsten Begriffe, die in der Ideendebatte verwendet wurden, versammelt und auf die Fachausdrücke in der jeweiligen Originalsprache verweist. Die ausführlichen Kommentare im zweiten Teilband sollen eine vertiefte Beschäftigung mit den einzelnen Texten ermöglichen, indem sie zunächst in einer knappen Einführung die Ideentheorie eines jeden Autors in einem größeren Rahmen situieren und auf ihren systematischen Ort aufmerksam machen. In einem Stellenkommentar werden dann Begriffe erläutert, Gedankengänge strukturiert, implizite Prämissen aufgedeckt und Hintergrundinformationen geliefert. Das Augenmerk wird dabei weniger auf eine historisch möglichst vollständige Aufarbeitung der Texte als auf eine Erschließung der philosophischen Argumentation gelegt. Anschließend werden in einem systematisch angelegten Essay Kernthesen aufgegriffen und diskutiert. Dabei wird keine detaillierte Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur angestrebt; es sollen auch nicht möglichst vollständig alle Interpretationsansätze aufgezeigt werden. Das Ziel des Essays besteht vielmehr darin, eine Interpretationsrichtung aufzuzeigen und damit einen selbstständigen, philosophisch anregenden Umgang mit den Texten zu ermöglichen.
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Wie lassen sich die beiden Teilbände gewinnbringend lesen? Eine Lektüre sollte wenn möglich auf drei Ebenen ansetzen. Auf einer ersten Ebene sollten die Primärtexte mithilfe des Stellenkommentars erschlossen werden. Auf einer zweiten Ebene sollten ausgehend von den Kurzeinführungen im ersten und zweiten Teilband die wichtigsten Thesen und Annahmen rekonstruiert werden. Auf der Grundlage der systematischen Essays sollten schließlich auf einer dritten Ebene Interpretationslinien verfolgt und Konsequenzen ausgeleuchtet werden, die sich aus der jeweiligen Ideentheorie für eine umfassende Theorie des Geistes ergeben. Empfehlenswert ist es dabei, Autoren mit verschiedenen Erklärungsansätzen miteinander zu vergleichen, um den Blick für unterschiedliche theoretische Optionen zu schärfen. Der besondere Reiz bei einer Bergwanderung besteht ja nicht so sehr darin, einfach sturen Schrittes auf einen Gipfel zuzusteuern, sondern immer wieder innezuhalten, den Blick schweifen zu lassen und neue Sichtweisen auf den zu erklimmenden Gipfel zu gewinnen.
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1.1 Einleitung 1.1.1 Kurzbiographie René Descartes wurde am 31. März 1596 in La Haye (Frankreich) geboren. Seine Familie gehörte dem niederen Adel an, sein Vater war Berater im Parlament von Rennes. Von 1606 bis 1614 erhielt er eine humanistischscholastische Ausbildung am Jesuitenkollegium von La Fleche (Anjou). Anschließend studierte er an der Universität Poitiers Jura und erwarb 1616 seinen Abschluss. Nach seinem Studium plante Descartes zunächst eine Militärlaufbahn, entschied sich dann aber dafür, Wissenschaft zu betreiben. Einige Jahre reiste er durch Europa und ließ sich 1625 in Paris nieder. Dort beschäftigte er sich mit naturwissenschaftlichen Fragen, insbesondere mit Fragen der Optik, Algebra und Wahrnehmungstheorie. Zudem schrieb er an einem Werk zur Methode sicheren Wissenserwerbs, den Regulae ad directionem ingenii („Regeln zu Leitung des Verstandes“), das er allerdings nicht vollendete. 1628 zog Descartes von Frankreich nach Holland, wo er die nächsten zwanzig Jahre an verschiedenen Orten lebte. Dort arbeitete er zunächst an zwei Werken mit den Titeln Le Monde („Die Welt“) und Traité de l’Homme („Abhandlung über den Menschen“). Das erste enthält eine umfassende Erklärung der Natur auf der Grundlage der mechanistischen Physik, im zweiten werden Anatomie und Physiologie des Menschen untersucht. Aus Angst, er könne genau wie Galileo verurteilt werden, veröffentlichte Descartes jedoch keine der beiden Schriften. Dennoch beschäftigte er sich weiter mit naturphilosophischen Fragen und publizierte 1637 die drei Abhandlungen La Dioptrique („Die Optik“), Les Météors („Die Himmelskörper“) und La Géometrie („Die Geometrie“). Diesen drei Abhandlungen fügte er eine längere Einleitung bei: den Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérite dans les sciences („Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung“). Der Discours
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richtet sich an ein breites Publikum, enthält deswegen keinerlei Fachterminologie und wurde sehr einflussreich. 1641 erschienen die Meditationes de prima philosophia („Meditationen über die erste Philosophie“), deren Ziel es ist, eine zweifelsfreie Grundlage für die Wissenschaften zu finden. Ein Jahr zuvor hatte Descartes das Manuskript der Meditationen an verschiedene Philosophen und Theologen geschickt. Sieben von ihnen – darunter Caterus (ein scholastischer Theologe), Thomas Hobbes, Antoine Arnauld und Pierre Gassendi – schrieben Einwände, auf die Descartes wiederum in sieben Erwiderungen reagierte. Diese Einwände und Erwiderungen wurden zusammen mit dem Text der Meditationen publiziert (abgesehen von den siebten Einwänden und Erwiderungen, die erst in der zweiten Auflage hinzugefügt wurden). 1644 veröffentlichte Descartes die Principia Philosophiae („Prinzipien der Philosophie“). Angeregt durch einen Briefwechsel mit Prinzessin Elisabeth, der Tochter des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, schrieb Descartes 1646 Les Passions de l’Ame („Die Affekte der Seele“). Thema dieser Schrift ist die Erklärung der Affekte anhand einer dualistischen Leib-Seele-Theorie. Zwei Jahre später, 1648, verfasste er ein kurzes Werk mit dem Titel Notae in programma quoddam („Bemerkungen über ein gewisses Programm“), das gegen seinen Anhänger Henricus Regius gerichtet ist. Dieser hatte kurz zuvor eine Abhandlung zur Physik veröffentlicht, in der Descartes’ Position ungenau und verzerrt wiedergegeben wird. Im gleichen Jahr erhielt Descartes Besuch von Frans Burman, einem holländischen Studenten, der ihm Fragen zu seinen bisherigen philosophischen Schriften stellte. Burmans Aufzeichnungen über diese Unterhaltung sind unter dem Titel Entretien avec Burman („Gespräch mit Burman“) veröffentlicht worden. Auf Einladung der Königin Christina von Schweden verließ Descartes Holland 1649 und zog an den schwedischen Hof nach Stockholm. Dort starb er am 11. Februar 1650 an einer Lungenentzündung. 1.1.2 Der systematische Hintergrund: Substanz-Dualismus Die grundlegende Annahme der cartesischen Metaphysik lautet folgendermaßen: Die von Gott geschaffene Welt besteht aus genau zwei Arten von Substanzen, nämlich körperlichen und geistigen Substanzen. Die einzige wesentliche Eigenschaft körperlicher Substanzen ist die Ausdehnung, die einzige wesentliche Eigenschaft geistiger Substanzen ist das Denken. In anderen Worten: Körperliche Substanzen sind notwendigerweise ausgedehnt, geistige Substanzen haben notwendigerweise die
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Eigenschaft, zu denken. Neben ihren wesentlichen Eigenschaften kommen geistigen und körperlichen Substanzen auch kontingente Eigenschaften zu. Während dem Baum vor meinem Fenster die Eigenschaft, ausgedehnt zu sein, notwendigerweise zukommt, ist die Eigenschaft, 8 m hoch zu sein, eine kontingente Eigenschaft des Baums, die er nicht immer gehabt hat und auch wieder verlieren wird. Zwischen körperlichen und geistigen Substanzen kann man laut Descartes nicht nur begrifflich unterscheiden, sondern sie sind auch real voneinander verschieden. Beispiele für körperliche Substanzen sind Steine, Bäume und Hasen. Beispiele für geistige Substanzen sind Gott und die Engel. Der Mensch dagegen besteht aus einer körperlichen und einer geistigen Substanz. Descartes’ Annahme, dass es sich beim menschlichen Geist bzw. bei der menschlichen Seele um eine vom menschlichen Körper real verschiedene Substanz handelt, ermöglicht es ihm, die Unsterblichkeit der Seele zu behaupten. Denn wenn der Körper vergeht, kann die Seele ohne Körper weiterexistieren. Die Hauptschwierigkeit für die cartesische Dualismus-These besteht darin, dass schwer zu verstehen ist, wie Körper und Geist kausal aufeinander einwirken können, wenn es sich bei ihnen um grundlegend verschiedene Substanzen handelt. Dass mein Geist die sinnliche Idee der Sonne bildet, ist Descartes zufolge Resultat der Einwirkung der Sonne auf meine Sehnerven und daraus resultierenden Geschehnissen im Gehirn. Dementsprechend muss er annehmen, dass der Körper auf irgendeine Weise kausal auf meinen Geist einwirkt. Andersherum führen die Entscheidungen, die mein Geist trifft, dazu, dass sich mein Körper auf eine bestimmte Weise bewegt. Somit muss auch mein Geist auf irgendeine Weise kausal auf meinen Körper einwirken. Descartes selbst hat sich zu der Frage, wie eine solche Interaktion zwischen Körper und Geist erklärt werden kann, kaum geäußert. Seine Kritiker sind aber der Meinung, dass man einen Substanz-Dualismus nur dann behaupten kann, wenn man in der Lage ist zu erklären, wie Geist und Körper kausal interagieren. 1.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Was Ideen sind, erläutert Descartes auf unterschiedliche Weise. In der Abhandlung über den Menschen charakterisiert er Ideen als körperliche Entitäten, genauer als Formen oder Bilder auf der Oberfläche der Zirbeldrüse, einem Teil des Gehirns (vgl. AT XI 174–7). In seinen späteren
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Schriften dagegen beschreibt Descartes Ideen an verschiedenen Stellen als geistige Entitäten (Vorwort zu den Meditationen, Abschnitt [4.], AT VII 8; Dritte Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 36f.; Vierte Erwiderungen, AT VII 232). Es finden sich allerdings nach wie vor solche Passagen, in denen er auch körperliche Entitäten zu den Ideen zählt (Zweite Erwiderungen, AT VII 160f.; Fünfte Erwiderungen, AT VII 366; interessant, aber etwas weniger eindeutig sind in diesem Zusammenhang auch die Dritten Erwiderungen, AT VII 181 u. der Brief an Mersenne vom Juli 1641, AT III 392). An verschiedenen Stellen charakterisiert Descartes Ideen als Formen von Gedanken (Zweite Erwiderungen, AT VII 160f. u. Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 357f.) bzw. als Formen von Perzeptionen (Dritte Erwiderungen, AT VII 181). Des Weiteren beschreibt er Ideen als Gedanken, die gleichsam Bilder sind (Dritte Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 36f.), als das, was unmittelbar vom Geist perzipiert wird (Dritte Erwiderungen, AT VII 181; Dritte Erwiderungen, AT VII 189), als das, was in unserem Geist ist, wenn wir ein Ding begreifen (Brief an Mersenne vom Juli 1641, AT III 392), und schlicht als das, was gedacht wird (Fünfte Erwiderungen, AT VII 366). Ideen können auf mehrere Weisen betrachtet werden: Materialiter betrachtet sind sie Tätigkeiten bzw. Modi des Geistes (Vorwort zu den Meditationen, Abschnitt [4.], AT VII 8; Vierte Erwiderungen, AT VII 232), objektive betrachtet dagegen sind sie die Gegenstände, die durch diese Tätigkeiten repräsentiert werden und die ihrerseits in objektiver Seinsweise im Geist existieren (Vorwort zu den Meditationen, Abschnitt [4.], AT VII 8; Dritte Meditation, Abschnitt [14.], AT VII 41; Erste Erwiderungen, AT VII 102ff.). Des Weiteren kann man Ideen auch formaliter betrachten (Vierte Erwiderungen, AT VII 232); was genau unter dieser Betrachtungsweise zu verstehen ist, ist allerdings umstritten. b) Welche Arten von Ideen gibt es? Descartes unterscheidet in unterschiedlichen Hinsichten zwischen verschiedenen Arten von Ideen: Ontologisch gesehen unterscheidet er zwischen Ideen als körperlichen Entitäten (Abhandlung über den Menschen, AT XI 174–7; Zweite Erwiderungen, AT VII 160 f.) und Ideen als geistigen Entitäten (Vorwort zu den Meditationen, Abschnitt [4.], AT VII 8; Dritte Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 36 f.; Vierte Erwiderungen, AT VII 232). Unter Ideen als geistigen Entitäten versteht er in erster Linie Tätigkeiten des Verstandes, an einigen Stellen aber auch Tätigkeiten des Willens (Zweite Erwiderungen, AT VII 160; Dritte Erwiderungen, AT VII 181). Umstritten ist, welchen ontologischen Status Descartes Ideen objektive betrachtet zuspricht (Vor-
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wort zu den Meditationen, Abschnitt [4.], AT VII 8). Weiterhin ist fraglich, ob Descartes auch uns angeborene Dispositionen als Ideen bezeichnet (Fünfte Meditation, Abschnitt [11.], AT VII 67; Dritte Erwiderungen, AT VII 189; Brief an Hyperaspistes vom August 1641, AT III 423 f.; Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 357 f.). Hinsichtlich der Frage nach der Herkunft unterscheidet Descartes zwischen angeborenen, von außen hinzukommenden und selbst gemachten Ideen (Dritte Meditation, Abschnitt [7.], AT VII 37 f.; Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 357 f.). Diese drei Arten von Ideen unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf ihre Herkunft, sondern auch dahingehend, dass sie unterschiedliche Entitäten repräsentieren (Fünfte Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 64): Angeborene Ideen repräsentieren wahre und unveränderliche Naturen (Fünfte Meditation, Abschnitt [5.]f., AT VII 64 f.; Fünfte Meditation, Abschnitt [11.], AT VII 67 f.; Fünfte Erwiderungen, AT VII 381 f.), von außen hinzukommende Ideen repräsentieren materielle Gegenstände, selbst gemachte Ideen repräsentieren fiktive Dinge (Fünfte Meditation, Abschnitt [11.], AT VII 67 f.). Des Weiteren unterscheidet Descartes Ideen nach dem geistigen Vermögen, das bei ihrer Bildung beteiligt ist. An manchen Stellen unterscheidet er ausschließlich zwischen rein geistigen Ideen und Ideen der Einbildungskraft (Sechste Meditation, Abschnitt [2.]f., AT VII 72 f.; Brief an Mersenne vom Juli 1641, AT III 395). An anderen Stellen unterteilt er das, was er ansonsten als Ideen der Einbildungskraft bezeichnet, noch einmal in Einbildungen und Empfindungen (Abhandlung über den Menschen, AT XI 176 f.; Gespräch mit Burman, AT V 162). Zwar kommt formale Wahrheit und Falschheit laut Descartes nicht Ideen, sondern Urteilen zu (Dritte Meditation, Abschnitt [6.], AT VII 37; Dritte Meditation, Abschnitt [19.], AT VII 43), Ideen selbst aber sind entweder material wahr (z. B. die Idee Gottes) oder material falsch (z. B. Idee der Kälte) (Dritte Meditation, Abschnitt [19.]f., AT VII 43 f.; Vierte Erwiderungen, AT VII 232). Descartes unterscheidet Ideen anhand ihres Grades an Deutlichkeit und Klarheit (Dritte Meditation, Abschnitt [2.], AT VII 35; Prinzipien der Philosophie, AT VIII-1 21 f.) sowie danach, welchen Grad an objektiver Realität sie enthalten (den von Modi, von endlichen Substanzen oder von unendlichen Substanzen) (Dritte Meditation, Abschnitt [13.], AT VII 40)).
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c) Wie entstehen Ideen? Von außen hinzukommende Ideen, selbst gemachte Ideen und angeborene Ideen entstehen auf unterschiedliche Weise. Die Entstehung der ersten Art von Ideen erläutert Descartes in zwei Schritten. Zunächst wird auf mechanistische Weise das Entstehen von Figuren im Gehirn bzw. auf der Zirbeldrüse erklärt: Diese werden gebildet, wenn Gegenstände kausal auf unsere Sinne einwirken und verursachen, dass die Nerven, die die Sinne mit der Zirbeldrüse verbinden, angezogen werden, was wiederum bewirkt, dass Figuren auf der Oberfläche dieser Drüse geformt werden (Abhandlung über den Menschen, AT XI 174–7; Sechste Meditation, Abschnitt [20.]ff., AT VII 86ff.; Gespräch mit Burman, AT V 162). Diese Figuren bietet die Zirbeldrüse dann dem Geist dar, der die Figuren betrachtet (Abhandlung über den Menschen, AT XI 176f.; Sechste Meditation, Abschnitt [3.], AT VII 72f.). Während Descartes in seinen frühen Schriften die auf der Zirbeldrüse befindlichen Figuren als Ideen bezeichnet (Abhandlung über den Menschen, AT XI 176f.), charakterisiert er in seinen späteren Werken vorwiegend die Entitäten, die der Geist bildet, wenn er sich den Figuren auf der Zirbeldrüse zuwendet, als Ideen (Sechste Meditation, Abschnitt [3.], AT VII 72f.; Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 359). Dass der Geist, wenn er sich den Figuren auf der Zirbeldrüse zuwendet, Ideen mit einem bestimmten Gehalt bildet, liegt daran, dass Gott dies so eingerichtet hat (Sechste Meditation, Abschnitt [22.], AT VII 87f.) bzw. daran, dass uns die Fähigkeit angeboren ist, Ideen mit einem bestimmten Inhalt zu bilden, wenn bestimmte Figuren auf der Zirbeldrüse vorliegen (Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 358f.). Ideen von fiktiven Dingen werden von Menschen erfunden (Fünfte Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 64), indem sie Ideen von materiellen Dingen und Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen zu komplexeren Ideen verbinden (Erste Erwiderungen, AT VII 117; Fünfte Erwiderungen, AT VII 371). Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen entstehen, indem die uns angeborenen Dispositionen zur Bildung solcher Ideen aktivitiert werden (Brief an Hyperaspistes vom August 1641, AT III 423f.; Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 357f.). d) Was erklären Ideen? Durch seine Ideentheorie versucht Descartes, verschiedene Aspekte unserer intentionalen Bezugnahme auf die Welt zu erklären. Mit den Begriffen der Klarheit und Deutlichkeit von Ideen möchte er ein Kriterium für Wissen liefern (Dritte Meditation, Abschnitt [2.], AT VII 35; Prinzipien der Philosophie, AT VIII-1 21 f.). Die Theorie der unterschiedlichen Grade objektiver Realität und die Annahme über das Verhältnis der Grade von
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objektiver Realität einer Idee und formaler Realität ihrer Ursache erklärt – vermittelt durch den Beweis der Existenz Gottes –, wie wir gesicherte Erkenntnis von den außergeistigen Gegenständen unserer Ideen haben können (Dritte Meditation, Abschnitt [13.]-[23.], AT VII 40–45, Erste Erwiderungen, AT VII 103 f.). Die Unterscheidung zwischen erworbenen sinnlichen Ideen und angeborenen Ideen erlaubt es Descartes, zwischen verschiedenen Arten von Erkenntnis zu unterscheiden (Dritte Meditation, Abschnitt [7.], AT VII 37 f.; Fünfte Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 64; Bemerkungen zu einem gewissen Programm, AT VIII-2 357 f.). Indem Descartes zwischen formalem und objektivem Sein unterscheidet und annimmt, dass Dinge ausschließlich objektives Sein haben können, kann er erklären, wie Ideen einen Gehalt haben können, obwohl ihnen nichts in der Welt entspricht (Dritte Meditation, Abschnitt [14.], AT VII 40 f.; Erste Erwiderungen, AT VII 102 f.). 1.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die hier abgedruckten Textstellen stammen größtenteils aus den Meditationen sowie den Erwiderungen Descartes’ auf Einwände gegen die Meditationen. Die übrigen Texte sind der Abhandlung über den Menschen, den Prinzipien der Philosophie, den Bemerkungen zu einem gewissen Programm, dem Gespräch mit Burman sowie verschiedenen Briefen entnommen. Die Übersetzung der Passagen aus den Meditationen, den Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Erwiderungen, den Prinzipien, dem Brief an Mersenne vom Juli 1641, dem Gespräch mit Burman sowie einem Teil der Passagen aus den Fünften Erwiderungen (AT VII 366) folgt mit minimalen Änderungen der Übersetzung von Andreas Schmidt.1 Die restlichen Passagen sind von mir selbst übersetzt. Allen Übersetzungen liegt die von Adam und Tannery herausgegebene Gesamtausgabe zugrunde2, auch wird die von ihnen eingeführte Gliederung des Textes der Meditationen in Abschnitte übernommen. Referenzen finden sich am Ende jedes Textes und erfolgen durch Angabe des Bandes (in römischen Ziffern) und der Seite (in arabischen Ziffern) der von Adam und Tannery (AT) herausgegebenen Gesamtausgabe. Alle eckigen Klammern enthalten Angaben von Andreas Schmidt oder mir. Runde Klammern stammen entweder von Descartes selbst oder enthalten kursiviert die originalsprachlichen Ausdrücke wichtiger Fachterme. 1 2
Descartes 2004. Descartes 1897–1910.
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1.2 Zentrale Passagen zu Descartes’ Ideentheorie 1.2.1 Auszüge aus Traité de l’Homme / Abhandlung über den Menschen (1664)
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Aber damit diese Umwege Sie nicht daran hindern, klar zu sehen, wie das dazu dient, Ideen der Dinge, die auf unsere Sinne einwirken, zu bilden, betrachten Sie in der Figur (figure) [siehe Schaubild S. 61] die kleinen Fäden 12, 34, 56 und dergleichen, die den optischen Nerv bilden und sich vom Hintergrund des Auges bei 1, 3, 5 bis zur inneren Hirnoberfläche bei 2, 4, 6 erstrecken. Und denken Sie daran, dass diese Fäden auf eine solche Weise angeordnet sind, dass die Strahlen, wenn sie z.B. von Punkt A des Gegenstandes auf den Hintergrund des Auges Druck ausüben werden, auf diese Weise den ganzen Faden 12 anziehen und die Öffnung der kleinen mit Nummer 2 bezeichneten Röhre vergrößern. Und auf die gleiche Weise vergrößern die Strahlen, die von Punkt B kommen, die Öffnung der kleinen Röhre 4 und das gleiche gilt für die anderen. Deswegen ergibt sich Folgendes: So wie gemäß den verschiedenen Weisen, auf die die Punkte 1, 3, 5 durch die Strahlen gedrückt werden, auf dem Hintergrund des Auges eine Figur gezeichnet wird, die sich auf jene des Gegenstandes ABC bezieht – wie oben schon gesagt worden ist –, genauso ist offensichtlich, dass gemäß den verschiedenen Weisen, auf die die kleinen Röhren 2, 4, 6 durch die Fäden 12, 34, 56 etc. geöffnet werden, auch eine Figur auf der inneren Hirnoberfläche gezeichnet werden muss. Bedenken Sie als nächstes, dass die Partikel, die danach streben, in jede der kleinen Röhren 2, 4, 6 und dergleichen einzudringen, nicht gleichermaßen von allen Punkten kommen, die sich auf der Oberfläche der Drüse H [sc. der Zirbeldrüse] befinden, sondern nur von ganz bestimmten; dass es diejenigen Partikel sind, die z. B. von Punkt a dieser Oberfläche kommen, die danach streben, in die Röhre 2 einzudringen, und diejenigen von den Punkten b und c, die danach streben, in die Röhren 4 und 6 einzudringen, und dergleichen die anderen; so dass die Partikel in dem Augenblick, in dem die Öffnung dieser Röhren größer wird, beginnen, die sie betreffenden Stellen der Drüse H freier und schneller zu verlassen, als sie es vorher taten. So wie gemäß den verschiedenen Weisen, auf die die Röhren 2, 4, 6 geöffnet werden, auf der inneren Hirnoberfläche eine Figur gezeichnet wird, die sich auf jene des Gegenstandes ABC bezieht, genauso wird gemäß den Weisen, auf die die Partikel die Punkte a, b, c verlassen, eine Figur auf der Oberfläche dieser Drüse gezeichnet. Und beachten Sie, dass ich unter diesen Figuren hier nicht nur die Dinge verstehe (entendre), die auf irgendeine Weise die Position der Li-
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nien und Oberflächen der Gegenstände repräsentieren, sondern auch diejenigen, die, wie ich oben schon gesagt habe, der Seele (âme) Gelegenheit dazu geben, Bewegung, Größe, Distanz, Farben, Töne, Gerüche und andere derartige Qualitäten (qualité) zu empfinden (sentir); und selbst solche, die bewirken können, dass die Seele Kitzel, Schmerz, Hunger, Durst, Freude, Trauer und andere derartige Leidenschaften empfindet. Denn es ist leicht zu verstehen, dass die Röhre 2 z. B. auf eine andere Weise durch die Handlung (action) geöffnet werden wird, die, wie ich sagte, die Empfindung (sentiment)K1 der Farbe Rot oder die des Kitzels verursacht, als durch diejenige, die, wie ich gesagt habe, die Empfindung der Farbe Weiß oder die des Schmerzes verursacht. Und die Partikel, die von Punkt a kommen, werden auf unterschiedliche Weise zu dieser Röhre streben, je nach der Weise, auf die sie sich öffnet, und das gleiche gilt für die anderen. Von diesen Figuren sind es nicht jene, die sich den äußeren Sinnesorganen oder der inneren Hirnoberfläche einprägen, die als Ideen aufgefasst (prendre) werden müssen, sondern nur jene, die sich in den Partikeln auf der Oberfläche der Drüse H bilden, wo sich die Einbildungskraft (imagination) und der Gemeinsinn (sens commun) befinden.K2 Das heißt, als Ideen müssen die Formen oder Bilder aufgefasst werden, die die vernünftige Seele unmittelbar betrachten wird, wenn sie mit dieser Maschine verbunden ist und sich ein Objekt einbilden (imaginer) oder ein Objekt empfinden wird. Und beachten Sie, dass ich sage „einbilden oder empfinden“; denn ich möchte unter dem Ausdruck „Idee“ allgemein alle Empfindungen begreifen (comprendre), die die Partikel aufnehmen können, wenn sie die Drüse H verlassen. Diese werden dem Gemeinsinn zugesprochen wer-
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den, wenn sie von der Anwesenheit der Gegenstände abhängen; aber sie können auch von verschiedenen anderen Ursachen herrühren, wie ich später erklären werde, und dann müssen sie der Einbildungskraft zugesprochen werden. [AT XI 174–7]
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1.2.2 Auszüge aus den Meditationes de prima philosophia / Meditationen über die erste Philosophie (1641) Vorwort an den Leser
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[1.] Die Fragen über Gott und den menschlichen Geist (mens) habe ich schon früher in wenigen Worten berührt in der Abhandlung über die Methode, die Vernunft richtig zu leiten und die Wahrheit (veritas) in den Wissenschaften zu erforschen […]. […] [2.] Obwohl ich aber dort alle, denen in meinen Schriften etwas Tadelnswertes auffiel, gebeten hatte, so freundlich zu sein, mich darauf aufmerksam zu machen, wurden zu dem, was ich über diese Fragen berührt hatte, keine erwähnenswerten Einwände erhoben, außer zwei, auf die ich hier in wenigen Worten antworten werde […]. […] [4.] Der zweite Einwand ist, dass daraus, dass ich in mir die Idee eines Dinges (res) habe, das vollkommener ist als ich, nicht folgt, dass die Idee selbst vollkommener ist als ich, und viel weniger, dass das, was durch diese Idee repräsentiert wird, existiert. Aber ich antworte, dass hier eine Äquivokation im Wort „Idee“ vorhanden ist.K3 Es kann nämlich entweder material genommen werden für die Tätigkeit (operatio) des Verstandes (intellectus), und in diesem Sinn kann nicht gesagt werden, die Idee sei vollkommener als ich, oder objektiv für das Ding, das durch diese Tätigkeit repräsentiert wird, und dieses Ding kann – auch wenn nicht vorausgesetzt wird, dass es außerhalb des Verstandes existiert – dennoch aufgrund seines Wesens (essentia) vollkommener sein als ich. Wie aber daraus allein, das in mir die Idee eines Dinges ist, das vollkommener ist als ich, folgt, dass dieses Ding wirklich existiert, wird im Folgenden ausführlich dargelegt werden. [AT VII 7 f.] […]
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Dritte Meditation: Über Gott, dass er existiert […] [2.] […] Ich bin mir dessen gewiss, dass ich ein denkendes Ding (res cogitans)K4 bin. Weiß ich also nicht auch, was dazu erforderlich ist, damit ich irgendeiner Sache gewiss bin? Offenbar ist in dieser ersten Erkenntnis (cognitio) nichts anderes, als eine gewisse klare (clarus) und deutliche (distinctus) Perzeption (perceptio)K5 dessen, was ich behaupte; was sicherlich nicht ausreichen würde, um mich der Wahrheit der Sache gewiss zu machen, wenn es jemals geschehen könnte, dass etwas, das ich so klar und deutlichK6 perzipiere, falsch wäre; und daher scheine ich nun als allgemeine Regel aufstellen zu können, dass all das wahr ist, was ich sehr klar und deutlich perzipiere (percipere). [AT VII 35] […] [5.] Nun scheint aber die Ordnung zu fordern, dass ich zuerst alle meine Gedanken (cogitatio)K7 in gewisse Gattungen einteile und untersuche, in welchen von ihnen Wahrheit oder Falschheit streng genommen ihren Ort hat. Einige von diesen Gedanken sind gleichsam Bilder (imago) der DingeK8 und ihnen allein kommt der Name „Idee“ im eigentlichen Sinn zu: zum Beispiel wenn ich einen Menschen oder eine Chimäre oder den Himmel oder einen Engel oder Gott denke (cogitare). Andere Gedanken aber haben außerdem gewisse andere Formen (forma): zum Beispiel wenn ich will, wenn ich fürchte, wenn ich bejahe oder wenn ich verneine, erfasse (apprehendere) ich zwar immer irgendeine Sache als den Gegenstand meines Gedankens, aber ich umfasse mit dem Gedanken auch noch mehr als eine Abbildung dieser Sache; und von diesen Gedanken werden die einen Willensakte (voluntas) oder Affekte (affectus), die anderen aber Urteile (judicium) genannt.K9 [6.] Was nun die Ideen betrifft, so können sie im eigentlichen Sinn nicht falsch sein, wenn sie allein für sich betrachtet werden und ich sie nicht auf irgend etwas anderes beziehe; denn ob ich mir eine Ziege oder eine Chimäre einbilde (imaginari ), so ist es nicht weniger wahr, dass ich mir die eine wie die andere einbilde. Keine Falschheit ist auch zu fürchten beim Willen (voluntas) oder selbst bei den Affekten; denn wenn ich auch etwas noch so Schlechtes, wenn ich auch etwas, das nirgendwo ist, begehren kann, so ist es darum nicht weniger wahr, dass ich es begehre. Und daher bleiben allein die Urteile übrig, bei denen ich aufpassen muss, mich nicht zu täuschen. Aber der hauptsächliche und häufigste Fehler, der bei ihnen gefunden werden kann, besteht darin, dass ich urteile, die Ideen, die in mir sind, seien gewissen außerhalb von mir liegenden Dingen ähnlich (similis) oder konform (conformis); denn gewiss, wenn ich nur
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die Ideen selbst als gewisse Modi (modus )K10 meines Denkens betrachten und sie nicht auf etwas anderes beziehen würde, dann könnten sie mir kaum irgendein Material zum Irrtum geben. [7.] Von diesen Ideen aber scheinen mir die einen angeboren (innatus)K11, andere von außen hinzukommend (adventitius) und wiederum andere von mir selbst gemacht (a me ipso factus): Denn dass ich verstehe (intelligere), was eine Sache ist, was Wahrheit ist, was Denken ist, das scheine ich nicht von anderswoher zu haben als von meiner Natur (natura) selbst; dass ich nun aber ein Geräusch höre, die Sonne sehe, Feuer spüre, davon habe ich bislang geurteilt, es komme von gewissen außerhalb von mir liegenden Dingen; und schließlich sind Sirenen, Hippogryphen und Ähnliches von mir selbst erfunden. Oder vielleicht kann ich auch vermuten, dass alle mir von außen zukommen, oder dass alle angeboren sind oder alle gemacht sind: denn ich habe ihren wahren Ursprung noch nicht klar erkannt (cognoscere). [8.] Aber hier ist hauptsächlich in Bezug auf diejenigen Ideen, von denen ich annehme, sie seien gleichsam von den Dingen, die außerhalb meiner existieren, genommen, nachzufragen, welcher Grund mich denn veranlasst, zu meinen, sie seien diesen Dingen ähnlich. Sicherlich scheine ich von der Natur so belehrt worden zu sein. Und außerdem mache ich die Erfahrung (experiari ), dass diese Ideen nicht von meinem Willen und daher nicht von mir selbst abhängen; oft zeigen sie sich nämlich sogar gegen meinen Willen: so wie ich jetzt, ob ich will oder nicht, Wärme spüre und daher glaube, dass jene Empfindung (sensus)K12 oder Idee der Wärme mir von einer Sache her zukommt, die von mir unterschieden ist, nämlich von der Wärme des Feuers, bei dem ich sitze. Und nichts ist naheliegender als zu urteilen, dass diese Sache ihr Bild eher als irgendetwas anderes in mich schickt. [9.] Ob diese Gründe stark genug sind, werde ich nun sehen. Wenn ich hier sage, dass ich von der Natur so belehrt wurde, dann verstehe ich darunter nur, dass ich durch einen gewissen spontanen Impuls dazu gebracht werde, es zu glauben, nicht, dass mir durch ein natürliches Licht (lumen naturalis)K13 gezeigt wird, dass es wahr ist. Diese beiden sind sehr voneinander verschieden; denn was immer mir durch das natürliche Licht gezeigt wird – zum Beispiel, dass daraus, dass ich zweifle, folgt, dass ich bin, und Ähnliches –, kann auf keine Weise zweifelhaft sein, weil es kein anderes Vermögen (facultas) geben kann, dem ich in gleichem Maße vertraute wie diesem Licht und das mich lehren könnte, dass diese Dinge nicht wahr wären; was aber meine natürlichen Impulse betrifft, so habe ich in der Vergangenheit schon oft geurteilt, dass ich von ihnen in eine
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schlechtere Richtung gedrängt wurde, wenn es darum ging, das Gute zu wählen, und ich sehe nicht, warum ich ihnen bei irgendwelchen anderen Dingen mehr vertrauen sollte. [10.] Ferner, wenn auch jene Ideen nicht von meinem Willen abhängen, so steht deswegen doch nicht fest, dass sie notwendigerweise von Dingen herstammen, die außerhalb von mir liegen. Wie nämlich jene Impulse, von denen ich bald darauf sprach, obwohl sie in mir sind, dennoch von meinem Willen verschieden zu sein scheinen, so ist vielleicht in mir auch irgendein anderes Vermögen, das mir noch nicht genügend bekannt ist und das diese Ideen hervorbringt, so wie es mir bis jetzt immer schien, dass sie ohne irgendeine Mithilfe von äußeren Dingen in mir gebildet werden, während ich träume. [11.] Und schließlich, wenn sie auch von Dingen herstammten, die von mir verschieden sind, so folgt daraus nicht, dass sie diesen Dingen ähnlich sein müssen. Vielmehr scheine ich in vielen Fällen oft einen großen Unterschied entdeckt zu haben: So wie ich zum Beispiel zwei verschiedene Ideen der Sonne in mir finde, eine, die gleichsam aus den Sinnen (sensus) geschöpft wurde und die ganz besonders zu den Ideen zu zählen ist, von denen ich glaube, dass sie von außen kommen, durch die mir die Sonne sehr klein erscheint; eine andere dagegen, die aus den Beweisgründen der Astronomie entnommen wurde, das heißt, die abgeleitet wurde aus gewissen mir angeborenen Begriffen (notio) oder die auf irgend eine andere Weise von mir hervorgebracht wurde, durch die sie um ein Vielfaches größer als die Erde dargeboten wird; und sicherlich können nicht beide ein und derselben außerhalb von mir existierenden Sonne ähnlich sein und die Vernunft (ratio) überzeugt mich, dass jene Idee ihr am unähnlichsten ist, die am unmittelbarsten von ihr herzukommen scheint. [12.] Dies alles beweist zur Genüge, dass ich bis jetzt nicht durch ein sicheres Urteil, sondern aus einem blinden Impuls heraus geglaubt habe, dass gewisse von mir verschiedene Dinge existieren, die ihre Ideen oder Bilder durch die Sinnesorgane oder auf irgendeine andere Weise in mich übertragen. [13.] Aber es fällt mir noch ein anderer Weg ein, um zu untersuchen, ob einige von den Dingen, deren Ideen in mir sind, außerhalb von mir existieren. Sofern nämlich diese Ideen nur gewisse Modi des Denkens sind, erkenne ich keine Ungleichheit unter ihnen, und alle scheinen auf dieselbe Weise aus mir hervorzugehen, aber sofern eine diese, eine andere jene Sache repräsentiert (repraesentare), ist es klar, dass sie sich stark voneinander unterscheiden.K14 Denn die Ideen, die mir Substanzen
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(substantia) darbieten, sind ohne Zweifel etwas Größeres und enthalten in sich sozusagen mehr objektive Realität (realitas objectiva)K15 als jene, die nur Modi oder Akzidenzien (accidentia) repräsentieren; und wiederum jene, durch die ich einen höchsten Gott verstehe, der ewig, unendlich, allwissend, allmächtig und Schöpfer aller außer ihm seienden Dinge ist, hat sicherlich mehr objektive Realität in sich als jene, durch die endliche Substanzen dargeboten werden. [14.] Es ist nun aber manifest durch das natürliche Licht, dass es mindestens ebensoviel in der wirkenden und vollständigen Ursache (causa efficiens et totalis) wie in der Wirkung (effectus) dieser Ursache geben muss. Denn woher, so frage ich, könnte die Wirkung ihre Realität erhalten, wenn nicht von der Ursache? Und wie könnte die Ursache sie der Wirkung geben, wenn sie sie nicht besäße? Es folgt daraus sowohl, dass nicht etwas aus nichts entstehen kann, als auch, dass das, was vollkommener ist – das heißt, mehr Realität in sich enthält – nicht aus dem entstehen kann, das weniger vollkommen ist. Und das ist nicht nur auf transparente Weise wahr in Bezug auf die Wirkungen, deren Realität aktual (actualis) oder formal (formalis)K16 ist, sondern auch in Bezug auf die Ideen, in denen nur die objektive Realität betrachtet wird. Das heißt, es ist z. B. nicht nur unmöglich, dass irgendein Stein, der zuerst nicht war, jetzt zu sein beginnt, wenn er nicht hervorgebracht wird durch etwas, in dem entweder auf formale oder eminente Weise (eminenter )K17 alles das ist, was im Stein gesetzt ist, und unmöglich, Wärme in einen Gegenstand zu übertragen, der vorher nicht heiß war, wenn nicht durch etwas, das zumindest von einer ebenso vollkommenen Ordnung wie die Wärme ist, und so in Bezug auf das Übrige; sondern es ist außerdem unmöglich, dass in mir die Idee der Wärme oder des Steins ist, wenn sie nicht in mich hineingelegt wurde durch irgendeine Ursache, in der zumindest ebenso viel Realität ist wie ich in der Wärme oder im Stein begreife (concipere). Denn so sehr auch diese nichts von ihrer aktualen oder formalen Realität in meine Idee überträgt, so sollte deswegen doch nicht angenommen werden, dass sie weniger real sein dürfte, sondern dass die Natur dieser Idee so beschaffen ist, dass sie von sich aus keine andere formale Realität verlangt außer jener, die sie von meinem Denken, dessen Modus sie ist, entleiht;K18 dass aber diese Idee diese oder jene objektive Realität eher als eine andere enthält, dies muss sie sicherlich von irgendeiner Ursache haben, in der zumindest ebenso viel formale Realität ist wie die Idee an objektiver Realität enthält. Wenn wir nämlich annehmen, dass in einer Idee etwas gefunden wird, das nicht in ihrer Ursache war, dann muss sie das also von nichts herhaben; aber wie unvollkommen auch immer jene
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Seinsweise (essendi modus) sein mag, durch die eine Sache objektiv im Verstand durch eine Idee existiert,K19 so ist sie dennoch gewiss nicht ganz und gar nichts und daher kann sie auch nicht von nichts kommen. [15.] Ich darf auch nicht annehmen, dass, da die Realität, die ich in meinen Ideen betrachte, nur objektiv ist, es nicht nötig sei, dass dieselbe Realität formaliter in den Ursachen dieser Ideen ist, sondern dass es ausreiche, dass sie auch in ihnen objektiv ist. Denn wie diese objektive Seinsweise den Ideen ihrer Natur selbst nach zukommt,K20 so kommt die formale SeinsweiseK21 den Ursachen der Ideen – zumindest den ersten und vornehmlichsten – deren Natur nach zu. Und obwohl vielleicht eine Idee aus einer anderen entstehen könnte, so gibt es dennoch hier keinen Progress ins Unendliche, sondern man muss schließlich zu irgendeiner ersten Idee gelangen, deren Ursache wie ein Archetyp ist, in dem jede Realität formal enthalten ist, die in der Idee nur objektiv enthalten ist; so sehr, dass mir durch das natürliche Licht transparent ist, dass die Ideen in mir wie gewisse Bilder sind, die zwar leicht hinter der Vollkommenheit (perfectio) der Dinge, von denen sie genommen sind, zurückbleiben können, die aber nicht irgendetwas Größeres oder Vollkommeneres enthalten können. [AT VII 36–42] […] [19.] Was aber die Ideen von körperlichen Dingen (res corporalis) betrifft, so kommt in ihnen nichts vor, das so groß wäre, dass es, wie es scheint, nicht von mir selbst hätte herrühren können; denn wenn ich sie genauer betrachte und einzeln untersuche, auf dieselbe Weise, wie ich gestern die Idee des Wachses untersucht habe,K22 dann bemerke ich, dass es nur sehr weniges gibt, das ich an ihnen klar und deutlich perzipiere: nämlich die Größe oder Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe, die Gestalt, die sich aus der Begrenzung dieser Ausdehnung ergibt, die Lage, die verschiedene Gestalten zueinander einnehmen, und die Bewegung oder Veränderung dieser Lage; ihnen können die Substanz, die Dauer und die Zahl hinzugefügt werden: Das Übrige aber, wie Licht und Farben, Klänge, Gerüche, Geschmackseigenschaften, Wärme und Kälte und andere taktile Qualitäten (qualitas), wird von mir sehr verworren (confuse) und dunkel (obscure)K23 gedacht, so dass ich nicht einmal weiß, ob sie wahr oder falsch sind, das heißt, ob die Ideen, die ich von ihnen habe, Ideen von gewissen Dingen oder Nicht-Dingen (non res) sind. Obwohl ich nämlich oben bemerkt habe, dass Falschheit im eigentlichen Sinn, das heißt formale Falschheit (falsitas formalis), nur in Urteilen gefunden werden kann, gibt es dennoch sehr wohl eine gewisse andere Falschheit in den Ideen, eine materiale Falschheit (falsitas materialis), wenn die Ideen
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ein Nicht-Ding repräsentieren als sei es ein Ding: So sind zum Beispiel die Ideen, die ich von Wärme und Kälte habe, so wenig klar und deutlich, dass ich aus ihnen nicht lernen kann, ob Kälte nur eine Privation (privatio) der Wärme ist oder die Wärme eine Privation der Kälte, ob beides eine reale Qualität ist oder keines von beiden; und weil es keine Ideen gibt, die nicht gleichsam Ideen von Dingen wären, wird, wenn es tatsächlich wahr ist, dass die Kälte nichts anderes ist als eine Privation der Wärme, die Idee, die sie mir als etwas Reales und Positives repräsentiert, nicht unverdient falsch genannt werden, und so in den übrigen Fällen.K24 [20.] Es ist wirklich nicht notwendig, dass ich solchen Ideen irgendeinen von mir verschiedenen Autor zuweise; denn wenn sie falsch sind, das heißt, wenn sie keine Dinge repräsentieren, dann ist mir durch das natürliche Licht bekannt, dass sie aus dem Nichts hervorgehen,K25 das heißt, dass sie aus keinem anderen Grund in mir sind, als weil meiner Natur etwas fehlt und sie nicht ganz und gar vollkommen ist; wenn sie aber wahr sind, dann sehe ich nicht, warum sie nicht aus mir selbst stammen könnten, da sie mir trotz allem ein so geringes Maß an Realität darbieten, dass ich es nicht einmal von einem Nicht-Ding unterscheiden kann. [21.] Was aber das betrifft, was in den Ideen körperlicher Dinge klar und deutlich ist, so scheint es, dass ich einiges von der Idee meiner selbst hätte entleihen können, nämlich Substanz, Dauer, Zahl und was sonst von dieser Art sein mag; denn wenn ich denke, dass ein Stein eine Substanz ist oder ein Ding, das fähig ist, durch sich selbst zu existieren, und wenn ich ebenso denke, dass ich eine Substanz bin, dann scheint es – obwohl ich begreife, dass ich eine Sache bin, die denkt und nicht ausgedehnt ist, dass der Stein dagegen eine ausgedehnte und keine denkende Sache ist, und dass daher eine maximale Verschiedenheit zwischen beiden Begriffen besteht –, dass sie dennoch in der Kategorie „Substanz“ übereinstimmen; und ebenso, wenn ich perzipiere, dass ich jetzt bin, und mich erinnere, dass ich auch früher eine Zeit lang gewesen bin, und wenn ich verschiedene Gedanken habe, deren Zahl ich verstehe, dann erwerbe ich die Ideen der Dauer und der Zahl, die ich dann auf alle möglichen anderen Dinge übertragen kann. Alles Übrige aber, aus dem die Ideen körperlicher Dinge zusammengesetzt sind, nämlich Ausdehnung, Gestalt, Lage und Bewegung, ist sicherlich nicht auf formale Weise in mir enthalten, da ich nichts als eine denkende Sache bin; aber da sie nur gewisse Modi einer Substanz sind, ich aber eine Substanz bin, scheint es möglich, dass sie in mir auf eminente WeiseK26 enthalten sind. [22.] Also bleibt allein die Idee Gottes, bei der ich zu überlegen habe, ob sie etwas ist, das nicht von mir selbst hervorgebracht werden konnte.
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Unter der Bezeichnung „Gott“ verstehe ich eine gewisse Substanz, die unendlich, unabhängig, in höchstem Maße intelligent und in höchstem Maße mächtig ist und von der sowohl ich selbst als auch alles andere, das existiert – falls etwas anderes existiertK27 –, erschaffen wurde. All dies ist in der Tat so beschaffen, dass es mir, je sorgfältiger ich darauf achte, umso weniger möglich scheint, dass es von mir allein hervorgebracht sein kann. Und daher muss aus dem eben Gesagten geschlossen werden, dass Gott notwendigerweise existiert. [23.] Denn obwohl die Idee der Substanz in mir zwar aufgrund dessen ist, dass ich eine Substanz bin, so wäre das dennoch deswegen nicht die Idee einer unendlichen Substanz, da ich endlich bin – außer wenn diese Idee aus irgendeiner Substanz hervorginge, die wirklich unendlich wäre. [AT VII 43–45] […] Fünfte Meditation: Über das Wesen materieller Dinge (res materialis) und zum zweiten Mal über Gott, dass er existiert […] [5.] Und was, wie ich glaube, hier am meisten in Betracht zu ziehen ist, ist Folgendes: Ich finde in mir unzählige Ideen gewisser Dinge, von denen man, auch wenn sie außerhalb meiner vielleicht nirgendwo existieren, dennoch nicht sagen kann, sie seien nichts; und obwohl sie von mir in gewisser Weise nach Belieben gedacht werden, so werden sie dennoch nicht von mir erfunden, sondern haben ihre eigenen wahren und unveränderlichen Naturen (vera & immutabilis natura). Wenn ich mir zum Beispiel ein Dreieck einbilde, dann gibt es, auch wenn vielleicht eine derartige Gestalt außerhalb meines Denkens nirgendwo auf der ganzen Welt existiert und niemals existiert hat, dennoch wirklich eine gewisse bestimmte Natur oder Wesenheit oder Form des Dreiecks, die unveränderlich und ewig ist, und die weder von mir hervorgebracht wurde, noch von meinem Geist abhängig ist; was sich daran zeigt, dass verschiedene Eigenschaften (proprietas) von diesem Dreieck bewiesen werden können – zum Beispiel dass seine drei Winkel gleich zwei rechten sind, dass seinem größten Winkel die größte Seite gegenüberliegt und Ähnliches –, die ich nun klar anerkenne, ob ich will oder nicht, selbst wenn ich vorher in keiner Weise an sie gedacht habe, als ich mir das Dreieck einbildete, und daher wurden sie von mir auch nicht hervorgebracht.K28 [6.] Es tut auch nichts zur Sache, wenn ich sage, mir sei diese Idee des Dreiecks vielleicht von den äußeren Dingen durch die Sinnesorgane gekommen, da ich doch manchmal Körper (corpus) mit dreieckiger Gestalt
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gesehen hätte. Ich kann mir nämlich unzählige andere Gestalten ausdenken, bei denen keinerlei Verdacht bestehen kann, sie seien jemals durch die Sinne in mich hineingekommen, und doch kann ich verschiedene Eigenschaften von diesen Gestalten – nicht weniger als vom Dreieck – beweisen. Alle diese Eigenschaften sind sicherlich wahr, da sie nun einmal von mir auf klare Weise erkannt werden, und daher sind sie etwas und kein bloßes Nichts. [AT VII 64 f.] […] [11.] Denn obwohl es nicht notwendig ist, dass ich jemals auf irgendeinen Gedanken über Gott stoße, ist es doch notwendig, dass ich ihm – sooft ich mich entschließe, an das erste und höchste Seiende zu denken und die Idee Gottes gleichsam aus der Schatzkammer meines Geistes hervorzuholen – alle Vollkommenheiten zuschreibe, auch wenn ich sie in diesem Moment nicht alle aufzähle oder auf sie im Einzelnen meine Aufmerksamkeit richte.K29 Diese Notwendigkeit reicht völlig, dass ich später, wenn ich bemerke, dass Existenz eine Vollkommenheit ist, zu Recht schließe, dass das erste und höchste Seiende existiert. Ebenso ist es nicht notwendig, mir jemals irgendein Dreieck einzubilden; aber sooft ich eine geradlinige Figur, die nur drei Winkel besitzt, betrachten will, ist es notwendig, dass ich ihr die Eigenschaften zuschreibe, aus denen zu Recht geschlossen wird, dass seine drei Winkel nicht größer sind als zwei rechte Winkel, auch wenn ich eben das in diesem Moment nicht bemerke. Wenn ich aber untersuche, welche Figuren denn einem Kreis einbeschrieben werden können, ist es in keiner Weise notwendig, dass ich glaube, alle vierseitigen Figuren seien unter ihrer Zahl; ja ich kann mir eben dies nicht einmal ausdenken, solange ich nichts anderes zugeben will, als das, was ich klar und deutlich verstehe. Und daher gibt es einen großen Unterschied zwischen derartigen falschen Annahmen und den wahren, mir angeborenen Ideen, deren erste und herausragendste die Idee Gottes ist. Denn ich verstehe in der Tat auf viele Weisen, dass diese Idee Gottes nichts Fiktives (fictitius), von meinem Denken Abhängiges ist, sondern das Bild einer wahren und unveränderlichen Natur: zum Beispiel, erstens, weil keine andere Sache von mir ausgedacht werden kann, zu deren Wesen die Existenz gehörte, außer Gott allein;K30 dann, weil ich nicht zwei oder mehrere derartige Götter verstehen kann und weil, angenommen, dass nun einer existiert, ich klar sehe, dass es notwendig ist, dass er schon vorher seit Ewigkeiten existiert hat und in Ewigkeit bleiben wird; und schließlich, weil ich viele andere Dinge in Gott perzipiere, bei denen ich nichts abziehen oder verändern kann. [AT VII 67f.] […]
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Sechste Meditation: Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterschiedenheit (distinctio realis) des Geistes vom Körper […] [2.] Um das klar zu machen, untersuche ich zuerst den Unterschied, den es zwischen Einbildung (imaginatio) und reinem Verstehen (pura intellectio) gibt.K31 Wenn ich mir nämlich z. B. ein Dreieck einbilde, dann verstehe ich nicht nur, dass das eine Figur ist, die durch drei Linien umschlossen ist, sondern ich sehe zugleich auch diese drei Linien mit dem Blick des Geistes, als ob sie präsent wären; und das ist es, was ich Einbilden nenne. Wenn ich aber an ein Tausendeck denken will, dann verstehe ich zwar ebenso gut, dass das eine Figur ist, die aus tausend Seiten besteht, wie ich verstehe, dass ein Dreieck eine Figur ist, die aus drei Seiten besteht, aber ich bilde mir nicht auf dieselbe Weise jene tausend Seiten ein oder sehe sie, als ob sie präsent wären. Und obwohl ich dann vielleicht – wegen meiner Gewohnheit, mir immer etwas einzubilden, sooft ich an eine körperliche Sache denke – mir irgendeine Figur verworren repräsentiere, ist es dennoch offensichtlich, dass diese kein Tausendeck ist, weil sie in nichts verschieden ist von der, die ich mir auch repräsentieren würde, wenn ich an ein Zehntausendeck dächte oder an irgendeine andere Figur mit sehr vielen Seiten; sie hilft auch gar nichts, um die Eigenschaften zu erkennen, durch die sich ein Tausendeck von anderen Polygonen unterscheidet. Aber wenn es um ein Fünfeck geht, kann ich natürlich dessen Figur verstehen wie die Figur eines Tausendecks, ohne die Hilfe der Einbildung; aber ich kann sie mir auch einbilden, indem ich nämlich den Blick des Geistes auf ihre fünf Seiten und zugleich auf die Fläche, die durch sie eingeschlossen ist, richte; und hier bemerke ich auf manifeste Weise, dass zur Einbildung eine gewisse besondere Anstrengung des Geistes nötig ist, die ich beim Verstehen nicht brauche: Diese neue Anstrengung des Geistes zeigt klar den Unterschied zwischen Einbildung und reinem Verstehen. [3.] Außerdem überlege ich mir, dass diese Kraft der Einbildung, die in mir ist, sofern sie sich von der Kraft des Verstehens unterscheidet, nicht erforderlich ist für das Wesen meiner selbst, d. h. meines Geistes; denn auch wenn ich sie nicht hätte, bliebe ich ohne Zweifel nichtsdestoweniger derselbe, der ich jetzt bin;K32 daraus scheint zu folgen, dass sie von etwas abhängt, das von mir verschieden ist. Und ich verstehe leicht, dass ich – wenn es irgendeinen Körper gibt, mit dem der Geist so verbunden ist, dass der Geist sich nach Belieben auf ihn richtet, um ihn gleichsam anzuschauen (inspicere)K33 – mir möglicherweise gerade dadurch körperliche Dinge einbilde; so sehr, dass dieser Modus des Denkens sich
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nur darin vom reinen Verstehen unterscheidet, dass der Geist, solange er versteht, sich gewissermaßen auf sich selbst richtet und sich auf eine der Ideen bezieht, die in ihm sind; solange er sich aber etwas einbildet, sich auf den Körper richtet und etwas in ihm anschaut (intueri ), das mit einer Idee konform ist, die entweder von ihm selbst verstanden oder von einem Sinn perzipiert wird.K34 Leicht, sage ich, verstehe ich, dass die Einbildung so zustande kommen kann, wenn denn ein Körper existiert. [AT VII 72 f.] […] [20.] Dann bemerke ich, dass der Geist nicht von allen Teilen des Körpers unmittelbar affiziert (afficere) wird, sondern nur vom Gehirn oder vielleicht auch nur von einem winzigen Teil des Gehirns, nämlich von dem Teil, von dem gesagt wird, in ihm sei der Gemeinsinn (sensus communis)K35; welcher, sooft er in derselben Weise disponiert ist, dem Geist dasselbe darbietet, auch wenn die übrigen Teile des Körpers sich währenddessen auf verschiedene Weise verhalten können, wie unzählige Erfahrungen (experimentum) beweisen können, die hier aufzuzählen nicht nötig ist. [21.] Ich bemerke außerdem, dass die Natur des Körpers so beschaffen ist, dass keiner seiner Teile durch einen anderen Teil in größerer Entfernung bewegt werden kann, ohne dass er auf dieselbe Weise auch durch irgendeinen der dazwischenliegenden Teile bewegt werden könnte, auch wenn jener entferntere untätig ist. Wenn z. B. bei einem Seil A, B, C, D an dessen letztem Teil D gezogen wird, dann wird der erste Teil A genauso bewegt, wie er auch bewegt werden könnte, wenn an einem der dazwischenliegenden Teile B oder C gezogen würde und der letzte Teil D unbewegt bliebe. Und nicht unähnlich ist es im folgenden Fall: Wenn ich einen Schmerz im Fuß empfinde, dann hat mich die Physik gelehrt, dass das geschieht mittels der im Fuß verteilten Nerven, die – von dort bis zum Gehirn wie Seile gespannt –, solange sie im Fuß angezogen werden, auch an den inneren Teilen des Gehirns ziehen, bis zu denen sie sich erstrecken, und in ihnen eine gewisse Bewegung auslösen, die von der Natur so eingerichtet wurde, dass sie den Geist mit der Empfindung eines gleichsam im Fuß existierenden Schmerzes affiziert. Aber weil jene Nerven durch Schienbein, Schenkel, Lenden, Rücken und Hals hindurchgehen müssen, um vom Fuß bis zum Gehirn zu gelangen, kann es geschehen, dass, auch wenn der Teil der Nerven, der im Fuß ist, nicht berührt wird, sondern nur einer von den dazwischenliegenden Teilen, genau dieselbe Bewegung im Gehirn entsteht, wie wenn der Fuß auf üble Weise affiziert wird, weswegen es notwendig sein wird, dass der Geist
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denselben Schmerz empfindet. Und dasselbe ist von jedem beliebigen anderen Sinn anzunehmen.K36 [22.] Schließlich bemerke ich, dass – da nun einmal jede einzelne der Bewegungen, die in demjenigen Teil des Gehirns geschehen, der unmittelbar den Geist affiziert, ihm lediglich eine einzige Empfindung mitteilt (inferre) – in dieser Angelegenheit nichts Besseres erdacht werden kann, als wenn sie diejenige Empfindung mitteilt, die von allen, die mitgeteilt werden können, am besten und am häufigsten zur Bewahrung eines gesunden Menschen führt. Ferner bemerke ich, dass die Erfahrung (experientia) bezeugt, dass alle Empfindungen, die uns von der Natur verliehen wurden, von dieser Art sind; und dass daher überhaupt nichts an ihnen gefunden werden kann, das nicht die Macht und Güte Gottes bezeugt. Wenn z. B. die Nerven, die im Fuß sind, auf heftige und ungewohnte Weise bewegt werden, so breitet sich jene Bewegung der Nerven durch das Rückenmark bis zu den inneren Teilen des Gehirns aus und gibt dort dem Geist ein Zeichen (signum), etwas zu empfinden, nämlich einen gleichsam im Fuß existierenden Schmerz, von dem der Geist dazu angeregt wird, dessen Ursache als dem Fuß schädlich so weit er kann zu entfernen. Es ist wahr, dass die Natur des Menschen von Gott so hätte konstituiert werden können, dass dieselbe Bewegung im Gehirn dem Geist irgend etwas anderes darbieten würde: zum Beispiel entweder die Bewegung selbst, sofern sie im Gehirn ist oder sofern sie im Fuß ist, oder an irgendeiner der dazwischenliegenden Stellen oder schließlich irgend etwas anderes; aber nichts anderes wäre gleichermaßen nützlich zur Bewahrung des Körpers gewesen. In derselben Weise entsteht, wenn wir ein Getränk brauchen, daraufhin eine gewisse Trockenheit in der Kehle, die deren Nerven bewegt und mit ihrer Hilfe die inneren Teile des Gehirns; und diese Bewegung affiziert den Geist mit der Empfindung von Durst, weil nichts in dieser ganzen Angelegenheit für uns nützlicher ist als zu wissen, dass wir ein Getränk zur Bewahrung der Gesundheit brauchen, und so ist es in den übrigen Fällen. [AT VII 86 ff.]
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1.2.3 Auszüge aus Objectiones Doctorum Aliquot Virorum In Praecedentes Meditationes Cum Responsionibus Auctoris / Einwände verschiedener Gelehrter gegen die vorstehenden Meditationen, mit den Antworten des Verfassers (1641) (zitiert als: Erste, Zweite, Dritte, Vierte und Fünfte Erwiderungen) Erwiderung des Autors auf die ersten Einwände [von Caterus] […] Nun habe ich aber geschrieben, „dass die Idee die gedachte Sache selbst ist, sofern sie in objektiver Weise (objective) im Verstand ist“. Er [sc. Caterus] gibt nun vor, diese Worte ganz anders zu verstehen, als ich sie gesagt habe, um Gelegenheit zu geben, sie klarer zu erläutern. „Objektiv im Verstand sein“ sagt er, „heißt, den Akt (actus) des Verstandes selbst nach der Art und Weise des Objektes zu begrenzen (terminare), was nur eine extrinsische Bezeichnung (extrinseca denominatio) und nichts an der Sache ist etc.“ Dazu ist zu bemerken, dass er sich auf den Gegenstand selbst bezieht, als sei er außerhalb des Verstandes gesetzt, in Bezug worauf es in der Tat nur eine extrinsische Bezeichnung ist, dass er in objektiver Weise im Verstand ist; ich aber spreche von der Idee, die niemals außerhalb des Verstandes ist und in Bezug worauf „objektiv sein“ nichts anderes bedeutet als im Verstand in eben der Weise sein, in der Objekte in ihm zu sein pflegen. Wenn z. B. jemand fragen sollte, was der Sonne dadurch zustößt, dass sie objektiv in meinem Verstand ist, so könnte man sehr zu Recht antworten, dass ihr nichts zustößt als eine extrinsische Bezeichnung, weil sie nämlich die Tätigkeit meines Verstandes nach Art und Weise des Objektes begrenzt. Sollte aber gefragt werden, was die Idee der Sonne ist, und würde man antworten, dass sie die gedachte Sache ist, sofern sie objektiv im Verstand ist, so verstünde das wohl niemand so, dass es die Sonne selbst ist, sofern in ihr jene extrinsische Bezeichnung ist, und es wird dann „objektiv im Verstand sein“ nicht bedeuten, seine Tätigkeit nach Art und Weise des Objekts zu begrenzen, sondern im Verstand in der Weise zu sein, wie es seine Objekte zu sein pflegen, so dass die Idee der Sonne, die im Verstand – zwar nicht formaliter, wie am Himmel, aber objektiv, d. h. in der Weise, wie die Objekte im Verstand zu sein pflegen – existierende Sonne selbst ist. Diese Seinsweise ist allerdings weit unvollkommener als die, mit der die Dinge außerhalb des Verstandes existieren, aber darum nicht ganz und gar ein Nichts, wie ich schon vorher geschrieben habe.K37 Und wenn der hochgelehrte Theologe sagt, dass es eine „Äquivokation“ in jenen Worten gibt, dann scheint er die Absicht gehabt zu haben,
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mich auf das, was ich bald darauf bemerkt habe, hinzuweisen, damit ich es nicht vielleicht übersehe.K38 Er sagt nämlich erstens, dass eine Sache, die so durch eine Idee im Verstand existiert, nicht ein aktuell Seiendes (ens actu) ist, d. h. dass es nicht etwas außerhalb des Verstandes Gesetztes ist; was wahr ist. Zweitens sagt er auch, diese Sache „sei nicht etwas Fiktives (fictum) oder ein ens rationis, sondern etwas Reales, das deutlich begriffen wird“; mit diesen Worten gibt er alles das zu, was ich geltend gemacht habe. Aber dennoch fügt er hinzu: „Weil es nur begriffen wird und nicht aktuell ist“ (d. h. weil es nur eine Idee ist und nicht eine außerhalb des Verstandes gesetzte Sache) „könne es zwar begriffen, aber keineswegs verursacht werden“, d. h. es bedürfe keiner Ursache, um außerhalb des Verstandes zu existieren. Was ich zugebe, aber es bedarf allerdings einer Ursache, um begriffen zu werden, und nur darum geht es. So kann man, wenn jemand die Idee einer mit höchster Kunstfertigkeit ausgedachten Maschine im Verstand hat, in der Tat zu Recht fragen, was denn die Ursache dieser Idee ist. Und es würde uns nicht zufrieden stellen, wenn uns einer sagen würde, dass diese Idee außerhalb des Verstandes nichts sei und dass sie daher nicht verursacht, sondern nur begriffen werden könne; denn hier wird nach nichts anderem gefragt als nach der Ursache, wegen der sie begriffen wird. Und es würde uns auch nicht zufrieden stellen, wenn uns einer sagen würde, dass der Verstand selbst ihre Ursache sei, da sie eine seiner Tätigkeiten sei; denn darüber herrscht gar kein Zweifel, sondern nur über die Ursache des objektiven Kunstwerks, das in ihr liegt. Denn dass diese Idee einer Maschine ein solches objektives Kunstwerk eher enthält als ein anderes, das muss sie in der Tat aus irgendeiner Ursache haben; und das objektive Kunstwerk ist hinsichtlich dieser Idee dasselbe, was hinsichtlich der Idee Gottes die objektive Realität ist. Und zwar kann die Ursache dieses Kunstwerks verschieden angegeben werden. Die Ursache ist nämlich entweder irgendeine reale, früher gesehene Maschine dieser Beschaffenheit, nach deren Ähnlichkeit diese Idee gebildet worden ist, oder eine große Kenntnis der Mechanik in diesem Verstand oder vielleicht ein großer Scharfsinn seines Geistes, mit dessen Hilfe er auch ohne vorhergehende Kenntnis jene hat erfinden können. Und man muss bemerken, dass jedes Kunstwerk, das nur in objektiver Weise in jener Idee ist, notwendigerweise entweder in formaler oder in eminenter Weise in seiner Ursache sein muss, wie beschaffen diese Ursache auch letztlich sein mag. [AT VII 102 ff.] […] Um dann den zweiten Teil der Schwierigkeiten zu beseitigen,K39 muss man bemerken, dass jene Ideen, die keine wahren und unveränderlichen
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Naturen enthalten, sondern nur erdichtete und vom Verstand zusammengesetzte, durch diesen selben Verstand zerlegt werden können, nicht nur durch eine Abstraktion, sondern durch eine klare und deutliche Handlung (operatio), so dass die Dinge, die der Verstand so nicht zerlegen kann, ohne Zweifel nicht von ihm zusammengesetzt worden sind. Wenn ich z.B. ein geflügeltes Pferd oder einen aktuell existierenden Löwen oder ein einem Quadrat einbeschriebenes Dreieck denke, so verstehe ich leicht, dass ich mir auch umgekehrt ein Pferd ohne Flügel, einen Löwen, der nicht existiert, ein Dreieck ohne Quadrat und dergleichen denken kann und dass sie daher keine wahren und unveränderlichen Naturen haben. Wenn ich aber ein Dreieck denke oder ein Quadrat (über Löwe oder Pferd spreche ich hier nicht, weil deren Naturen uns nicht völlig transparent sind), dann werde ich sicherlich alles das, was ich in der Idee des Dreiecks enthalten finde, wie, dass seine drei Winkel gleich zwei rechten sind usw., von dem Dreieck mit Wahrheit behaupten, und vom Quadrat alles das, was ich in der Idee des Quadrates finden werde. Denn obwohl ich ein Dreieck verstehen kann, wenn ich davon abstrahiere, dass seine drei Winkel gleich zwei rechten sind, so kann ich dies dennoch nicht durch eine klare und deutliche Handlung von ihm negieren, d.h. wenn ich das, was ich sage, richtig verstehe […]. Wenn ich aber betrachte, dass in der Idee des höchst vollkommenen Körpers die Existenz enthalten ist, weil es nämlich eine größere Vollkommenheit ist, in der Wirklichkeit und im Verstand zu sein als nur im Verstand, kann ich daraus nicht schließen, dass jener höchst vollkommene Körper existiert, sondern nur, dass er existieren kann; denn ich bemerke hinreichend, dass diese Idee von meinem eigenen Verstand, der alle körperlichen Vollkommenheiten miteinander verbindet, ausgedacht worden ist und dass die Existenz aus den anderen körperlichen Vollkommenheiten nicht hervorgeht, weil sie ja von ihnen ebenso gut verneint wie bejaht werden kann.K40 [AT VII 117] […] Erwiderung auf die zweiten Einwände [von Mersenne] […] I. Unter dem Namen „Denken“ fasse ich alles das zusammen, was so in uns ist, dass wir uns seiner unmittelbar bewusst (conscius) sind. So sind alle Tätigkeiten des Willens, des Verstandes, der Einbildungskraft und der Sinne ein Denken. Das Wort „unmittelbar“ habe ich aber hinzugefügt, um das auszuschließen, was aus ihnen erfolgt, wie z.B. die freiwillige Bewegung zwar ein Denken als Prinzip hat, aber doch selbst kein Denken ist. II. Unter dem Namen „Idee“ verstehe ich die Form eines jedes beliebigen Denkens, durch deren unmittelbare Perzeption ich mir eben
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dieses Denkens bewusst bin;K41 so dass ich nichts mit Worten ausdrücken kann – wenn ich das, was ich sage, verstehe – ohne dass gerade dadurch gewiss ist, dass in mir eine Idee dessen ist, was durch jene Worte bezeichnet wird. Und so nenne ich nicht etwa die bloßen, in der Phantasie (phantasia)K42 abgebildeten Bilder Ideen; ja, ich nenne sie hier in keiner Weise Ideen, insofern sie in der körperlichen Phantasie (phantasia corporea), d. h. in irgendeinem Teil des Gehirns abgebildet sind, sondern nur insofern, als sie dem Geist selbst, der sich jenem Teil des Gehirns zuwendet, eine Form geben (informare).K43 III. Unter der objektiven Realität einer Idee verstehe ich die entitas der durch die Idee repräsentierten Sache, sofern sie in der Idee ist; auf dieselbe Weise kann man von einer objektiven Vollkommenheit oder von einem objektiven Kunstwerk usw. sprechen. Denn was auch immer wir perzipieren, als sei es in den Objekten der Ideen, ist in eben diesen Ideen auf objektive Weise. IV. Von demselben sagt man, dass es formal in den Objekten der Ideen vorhanden ist, wenn es in ihnen qualitativ so ist, wie wir es perzipieren, und eminentK44, wenn es zwar nicht so darin enthalten ist, aber in solcher Quantität, dass es ein qualitativ so Beschaffenes ersetzen kann. [AT VII 160 f.] […] Dritte Einwände mit Erwiderungen des Autors [Einwände von Hobbes] […] Hier möchte er [sc. Hobbes] unter dem Namen „Idee“ nur die Bilder der materiellen Dinge, die in der körperlichen Phantasie abgebildet sind, verstehen; dies vorausgesetzt, ist es für ihn leicht zu beweisen, dass es keine Idee im eigentlichen Sinn von einem Engel und von Gott geben kann. Doch habe ich durchgehend überall und vor allem an eben diesem Ort gezeigt, dass ich den Namen „Idee“ für alles verwende, was unmittelbar vom Geist perzipiert wird, so dass, wenn ich will und fürchte, dieses Wollen und Fürchten von mir zu den Ideen gezählt wird, da ich zugleich perzipiere, dass ich will und fürchte. Ich habe diesen Namen verwendet, weil er schon allgemein gebräuchlich war bei den Philosophen, um die Formen der Perzeptionen des göttlichen Geistes zu bezeichnen, auch wenn wir in Gott keine Phantasie gelten lassen; und ich hatte keinen passenderen Namen. [AT VII 181] […] Ich habe bereits des Öfteren bemerkt, dass ich als Idee eben das bezeichne, was durch Gründe erwiesen wird, wie auch alles andere, was in irgendeiner Weise perzipiert wird. [AT VII 185] […] Schließlich, wenn wir sagen, dass irgendeine Idee uns angeboren ist,
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meinen wir nicht, dass wir sie immer beachten. Dann nämlich wäre ganz und gar keine angeboren. Sondern wir meinen nur, dass wir in uns selbst das Vermögen haben, die Idee aufzurufen.K45 [AT VII 189] […]
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Erwiderungen auf die vierten Einwände [von Arnauld] […] Das Erste ist, „dass gewisse Ideen material falsch seien“, d. h., wie ich es interpretiere, dass sie so sind, dass sie dem Urteil Material zum Irrtum bieten; er [sc. Arnauld] behauptet, indem er die Ideen formal genommen betrachtet, dass keine Falschheit in ihnen sei. […] [W]o er sagt: „Wenn Kälte nur eine Privation ist, so kann es eine Idee der Kälte, die sie mir als ein positives Ding (res positiva) repräsentiert, nicht geben“, da ist es manifest, dass er von der Idee nur formal genommen handelt. Denn da die Ideen selbst gewisse Formen sind und sich auch nicht aus irgendwelcher Materie zusammensetzen, so werden sie, sooft sie betrachtet werden, insofern sie etwas repräsentieren, nicht material genommen, sondern formal. Würden sie dagegen betrachtet, nicht sofern sie dieses oder jenes repräsentieren, sondern nur sofern sie Tätigkeiten des Verstandes sind, so könnte man zwar sagen, dass sie material genommen werden, aber dann würden sie sich auf keine Weise auf die Wahrheit oder Falschheit der Objekte (objectus) beziehen.K46 Daher scheint mir nicht, dass sie in einem anderen Sinn als material falsch bezeichnet werden können als in dem, den ich schon erklärt habe; denn, sei nun die Kälte ein positives Ding oder eine Privation, so habe ich doch darum von ihr keine andere Idee, sondern sie bleibt in mir dieselbe, die ich immer gehabt habe und von der ich sage, dass sie mir Material zum Irrtum liefert, wenn es wahr ist, dass die Kälte eine Privation ist und nicht so viel Realität hat wie die Wärme. Denn wenn ich beide Ideen, die der Wärme und die der Kälte, betrachte, so wie ich sie beide von den Sinnen empfangen habe, dann kann ich nicht bemerken, dass mir durch die eine mehr Realität als durch die andere dargeboten wird. Und in der Tat habe ich nicht „das Urteil mit der Idee verwechselt“; denn ich habe gesagt, in dieser fände sich eine materiale Falschheit; im Urteil dagegen kann es nur eine formale geben. Und wenn der hochverehrte Herr sagt, „die Idee der Kälte sei die Kälte selbst, sofern sie objektiv im Verstand ist“, so glaube ich, dass eine Unterscheidung nötig ist: Dies kommt nämlich bei den dunklen und verworrenen Ideen, zu denen die der Kälte und Wärme zu zählen sind, häufig vor, dass sie auf etwas anderes bezogen werden als auf das, wovon sie tatsächlich Ideen sind. Wenn daher die Kälte nur eine Privation ist, so ist
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die Idee der Kälte nicht die Kälte selbst, sofern sie objektiv im Verstand ist, sondern etwas anderes, was fälschlich für jene Abwesenheit genommen wird; sie ist nämlich eine gewisse Empfindung, die außerhalb des Verstandes kein Sein hat. [AT VII 231 ff.] […] Erwiderung des Autors auf die fünften Einwände [von Gassendi] […] Alles, was Du hier über die Ideen erörterst, bedarf keiner Antwort, weil Du [Gassendi] den Namen „Idee“ allein auf die in der Phantasie abgebildeten Bilder beschränkst, ich sie aber auf alles, was gedacht wird, ausdehne. [AT VII 366] […] Die Idee repräsentiert nämlich das Wesen der Sache, und wenn ihr etwas hinzugefügt oder wenn etwas von ihr weggenommen wird, wird sie sogleich zu einer Idee von einem anderen Ding. Auf diese Weise werden Pandora und alle falschen Götter von denen, die den wahren Gott nicht richtig begreifen, vorgestellt. Aber nachdem die Idee des wahren Gottes einmal begriffen worden ist, wird dessen Idee, auch wenn neue Vollkommenheiten in ihm entdeckt werden können, die noch nicht bemerkt worden waren, trotzdem nicht erweitert; sondern sie wird nur deutlicher und expliziter gemacht. Alle Vollkommenheiten, die sie schon früher hatte, müssen nämlich in ihr enthalten sein, solange angenommen wird, dass sie wahr gewesen ist. Wie auch die Idee des Triangels nicht erweitert wird, wenn in diesem verschiedene Eigenschaften, die früher unbekannt waren, bemerkt werden. [AT VII 371] […] Ich gebe jedoch nicht zu, dass die Ideen dieser Figuren [sc. geometrischer Figuren] jemals durch die Sinne in uns gelangt sind, wie üblicherweise alle glauben. Obwohl nämlich solche Figuren, wie die Geometer sie betrachten, ohne Zweifel in der Welt dargeboten werden könnten, bestreite ich dennoch, dass in unserer Umgebung irgendwelche dargeboten werden, es sei denn, sie sind so klein, dass sie in keiner Weise unsere Sinne erreichen können. Denn sie bestehen zumeist aus geraden Linien; und niemals hat jener Teil einer Linie, der tatsächlich gerade ist, unsere Sinne bewegt; ja wenn wir jene Linien, die uns am geradesten erscheinen, mit einem Vergrößerungsglas untersuchen, entdecken wir, dass sie völlig unregelmäßig und überall gekrümmt sind. Als wir in unserer Kindheit einst zum ersten Mal eine auf einem Blatt gezeichnete Dreiecksfigur erblickten, konnte uns diese Figur nicht lehren, wie ein wahres Dreieck,
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so wie es von den Geometern betrachtet wird, begriffen werden muss; denn es war in ihr nicht anders enthalten als Merkur in unbearbeitetem Holz. Doch weil schon vorher die Idee des wahren Dreiecks in uns war und sie von unserem Geist leichter begriffen werden konnte als die eher zusammengesetzte Figur des gezeichneten Dreiecks, erfassen wir beim Anblick dieser zusammengesetzten Figur nicht sie, sondern vielmehr das wahre Dreieck. [AT VII 381 f.] 1.2.4 Auszüge aus Descartes à Mersenne / Brief an Mersenne (Juli 1641)
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[I]ch benenne mit dem Namen „Idee“ nicht einfach die in der Phantasie abgebildeten Bilder; im Gegenteil, ich benenne sie nicht mit diesem Namen, sofern sie in der körperlichen Phantasie sind; aber ich benenne im Allgemeinen mit dem Namen „Idee“ alles, was in unserem Geist ist, wenn wir ein Ding begreifen, auf welche Art wir es auch begreifen mögen. [AT III 392] […] Außerdem bin ich verpflichtet, Ihnen zu sagen, dass Ihr Freund keineswegs meinen Sinn verstanden hat, wenn er, um den Unterschied zwischen den Ideen in der Phantasie und den Ideen im Geist zu bezeichnen, sagt, dass jene durch Namen und diese durch Sätze ausgedrückt werden. Denn nicht, dass sie durch Namen oder durch Sätze ausgedrückt werden, macht, dass sie dem Geist oder der Einbildungskraft angehören; die einen wie die anderen können auf diese beiden Arten ausgedrückt werden; sondern es ist die Art, sie zu begreifen, die den Unterschied ausmacht; so dass alles, was wir ohne Bild begreifen, eine Idee des reinen Geistes, und alles, was wir mit Bild begreifen, eine Idee der Einbildungskraft ist.K47 [AT III 395] 1.2.5 Auszüge aus Responsio ad Hyperaspistem / Brief an Hyperaspistes (August 1641)
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Und ich habe auch nicht ohne Grund behauptet, dass die menschliche Seele, wo sie auch sei, sogar im Bauch der Mutter, fortwährend denkt. Denn was für einen sicheren oder evidenteren Grund kann man sich dazu wünschen, als dass ich bewiesen habe, dass die Natur oder das Wesen der Seele darin besteht, dass sie denkt, so wie das Wesen des Körpers darin besteht, dass er ausgedehnt ist? […] Dennoch glaube ich deswegen
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nicht, dass der Geist des Kindes im Bauch der Mutter über metaphysische Dinge nachdenkt (meditari ); ganz im Gegenteil. Wir erfahren, dass unser Geist mit unserem Körper so verbunden ist, dass letzterer fast immer auf ihn einwirkt (experiamur mentes nostras corporibus ita esse adiunctas, ut fere semper ab iisdem patiantur). Und wenn auch der Lebensgeist (animus), sofern er in einem erwachsenen und gesunden Körper herrscht, einige Freiheit genießt, an andere Dinge zu denken als an diejenigen, die ihm von den Sinnen dargeboten werden, gibt es dieselbe Freiheit bei den Kranken, Schlafenden und Jungen nicht. Und sie pflegt umso geringer zu sein, je jünger man ist. Falls es erlaubt ist, über so unbekannte Dinge Vermutungen anzustellen, so ist nichts der Vernunft entsprechender, als anzunehmen, dass der Geist, der erst kürzlich mit dem Körper eines Kindes vereinigt wurde, nur damit beschäftig ist, die Ideen des Schmerzes, des Kitzels, der Wärme, der Kälte und ähnliche Ideen, die aus dieser Vereinigung und gleichsam Vermischung entstehen, undeutlich zu perzipieren und zu empfinden. Dennoch hat der kindliche Geist die Idee Gottes, die Idee von sich selbst und von all diesen Wahrheiten, die als durch sich selbst bekannt (per se notae esse) bezeichnet werden, genauso in sich, wie die Erwachsenen diese Ideen haben, wenn sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf sie richten. Denn er erwirbt jene nicht später, wenn er älter wird. Und ich zweifle nicht, dass er, falls er sich von den Fesseln seines Körpers befreien würde, dieselben in sich finden würde. [AT III 423f.]
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1.2.6 Auszüge aus den Principia Philosophiae / Prinzipien der Philosophie (1644) 45. Was unter einer klaren und einer deutlichen Perzeption verstanden wird Ja sehr viele Menschen nehmen in ihrem ganzen Leben überhaupt nichts richtig genug wahr, um ein sicheres Urteil darüber zu fällen. Denn zu einer Perzeption, auf die ein sicheres und unzweifelhaftes Urteil gestützt werden kann, ist nicht nur erforderlich, dass sie klar ist, sondern auch, dass sie deutlich ist. Klar nenne ich die Perzeption, die dem aufmerksamen Geist präsent und offenkundig ist, wie man sagt, dass das klar von uns gesehen wird, was dem schauenden Auge präsent ist und es hinreichend stark und offenkundig erregt. Deutlich nenne ich aber die Perzeption, die, wenn sie klar ist, von allen anderen so getrennt und präzise ist, dass sie überhaupt nichts anderes in sich enthält als das, was klar ist.K48 Wenn z. B. jemand einen starken Schmerz fühlt, so ist zwar in
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ihm die Perzeption des Schmerzes ganz klar, aber nicht immer deutlich. Denn gemeinhin vermischen die Menschen sie mit ihrem dunklen Urteil über die Natur des Schmerzes, wenn sie meinen, dass in dem schmerzenden Teil etwas dem Gefühl des Schmerzes, den allein sie klar perzipieren, Ähnliches ist. Und so kann eine Perzeption klar sein, die nicht deutlich ist; nicht aber eine Perzeption deutlich, die nicht klar wäre. Und zumindest im Kindesalter war der Geist so sehr mit dem Körper verschmolzen, dass er zwar vieles klar, aber nichts deutlich perzipierte; und da er damals nichtsdestoweniger über vieles urteilte, haben wir daher viele Vorurteile gesammelt, die von den meisten später niemals abgelegt werden. [AT VIII-1 21 f.] 1.2.7 Auszüge aus den Notae in Programma guoddam/ Bemerkungen zu einem gewissen Programm (1648)
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Ich habe nämlich niemals geschrieben oder geurteilt, der Geist benötige angeborene Ideen, die von seinem Denkvermögen (facultas cogitandi ) verschieden sind. Weil ich aber bemerkt habe, dass gewisse Gedanken in mir sind, die nicht von äußeren Objekten und auch nicht von der Bestimmung meines Willens herkommen, sondern allein von dem Denkvermögen, das in mir ist, habe ich jene Ideen oder Begriffe, die Formen dieser Gedanken sind, angeboren genannt, um sie von anderen Ideen, nämlich von den von außen hinzukommenden oder von den gemachten zu unterscheiden. „Angeboren“ verstehe ich im gleichen Sinn, in dem wir sagen, Großzügigkeit sei einigen Familien angeboren, anderen aber gewisse Krankheiten wie Fußgicht oder ein Steinleiden: nicht etwa, weil die Kinder dieser Familien im Mutterleib an diesen Krankheiten leiden, sondern weil sie mit einer bestimmten Disposition (dispositio) oder einem Vermögen, an diesen zu erkranken, geboren sind.K49 In Artikel 13 aber leitet er [sc. Regius] eine außergewöhnliche Folgerung aus dem Vorherigen ab. Weil der Geist offenbar keine angeborenen Ideen benötigt, sondern das Denkvermögen allein ihm genügt, deswegen sagt er: „Alle dem Geist eingemeißelten Allgemeinbegriffe (notio communis) haben ihren Ursprung in der Beobachtung (observatio) der Dinge oder im Zeugnis anderer (traditio)“ – als ob das Denkvermögen nichts durch sich selbst leisten könnte und niemals etwas perzipieren oder denken würde, außer was es durch Beobachtung der Dinge und das Zeugnis anderer, d. h. von den Sinnen, aufnimmt. Dies ist so sehr falsch, dass, wer korrekt darauf achtet, wie weit unsere Sinne reichen und was genau es ist, was von ihnen zu
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unserem Denkvermögen gelangen kann, eingestehen muss, dass uns die Ideen von keinen Dingen so von den Sinnen dargestellt werden, wie wir sie im Denken bilden. Dies gilt so sehr, dass nichts in unseren Ideen ist, was dem Geist oder dem Denkvermögen nicht angeboren war, einzig mit der Ausnahme dieser Umstände, die die Erfahrung betreffen: dass wir urteilen, dass diese oder jene Ideen, die jetzt unserem Denken präsent sind, sich auf Dinge beziehen, die außer uns gesetzt sind. Nicht, weil diese Dinge unserem Geist durch Sinnesorgane Ideen übermittelt (immittere) haben, fällen wir solche Urteile, sondern weil sie dennoch irgend etwas übermittelt haben, das dem Geist Gelegenheit gegeben hat (occasionem dare), zu dieser Zeit eher als zu einer anderen durch ein ihm angeborenes Vermögen Ideen zu bilden. Denn außer gewissen körperlichen Bewegungen gelangt nichts von den außergeistigen Objekten durch Sinnesorgane in unseren Geist, wie unser Autor selbst in Artikel 19 in Übereinstimmung mit meinen Prinzipien bestätigt. Aber nicht einmal die Bewegungen selbst und auch nicht die aus ihnen entspringenden Figuren werden von uns so begriffen, wie sie in den Sinnesorganen sind, wie ich in der Optik ausführlich erklärt habe. Daher folgt, dass die Ideen der Bewegungen selbst und der Figuren uns angeboren sind. Und umso mehr müssen die Ideen des Schmerzes, der Farben, der Töne und ähnlicher Dinge angeboren sein, damit sich unser Geist bei der Gelegenheit gewisser körperlicher Bewegungen diese darbieten (exhibere) kann; sie haben nämlich keine Ähnlichkeit mit den körperlichen Bewegungen.K50 [AT VIII-2 357ff.]
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1.2.8 Auszüge aus dem Entretien avec Burman / Gespräch mit Burman (1648) Es [sc. das Anschauen des Körpers, das stattfindet, wenn man sich etwas einbildet] ist eine besondere Weise des Denkens, die so zustande kommt: Wenn äußere Gegenstände auf meine Sinne einwirken, in diesen ihre Idee oder besser ihre Gestalt abbilden und dann der Geist sich diesen in der [Zirbel-]Drüse dadurch erzeugten Bildern zuwendet, sagt man, dass er „empfindet“. Wenn aber jene Bilder in der Drüse nicht von den äußeren Dingen gebildet werden, sondern vom Geist selbst, der bei Abwesenheit äußerer Dinge diese im Gehirn ausprägt und bildet, dann ist das eine Einbildung.K51 So dass der Unterschied zwischen Einbildung und Empfindung nur darin besteht, dass bei dieser die Bilder von äußeren Gegenständen gebildet werden, die auch gegenwärtig sind, in jener aber vom Geist, ohne äußere Dinge und gleichsam bei geschlossenen Fenstern. [AT V 162]
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2. Pierre Gassendi Maria Seidl
2.1 Einleitung 2.1.1 Kurzbiographie Pierre Gassendi (Pierre Gassend) wurde am 22. Januar 1592 in Champtercier bei Digne in der Provence als Sohn eines Bauern geboren. Zunächst unterrichtete ihn sein Onkel; aufgrund seiner Begabung besuchte er ab seinem siebten Lebensjahr jedoch das Collège de Digne, 1609 begann er das Studium der Philosophie und Theologie in Aix-en-Provence. Nach der Verleihung des Doktortitels in Theologie 1614 wurde Gassendi 1616 zum Priester geweiht und lehrte von 1617 bis 1622 an der Universität von Aix-en-Provence Philosophie. 1626 wurde er zum Propst des Kathedralkapitels von Digne berufen, konnte sein Amt aber erst im Jahr 1634 antreten. 1645 erhielt Gassendi einen Lehrstuhl für Mathematik am Collège Royal in Paris, einen Posten, den er wegen seiner Kenntnisse der Astronomie erhielt und den er bis an sein Lebensende innehatte. Gassendi verlegte seinen Wohnsitz mehrmals von der Provence nach Paris und zurück. Er war Zeit seines Lebens auf die Unterstützung von Gönnern angewiesen und musste daher dort leben, wo er solche Unterstützung fand. Über das Leben eines dieser Förderer, Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, der auch einer seiner engsten Freunde war, verfasste Gassendi sein lange Zeit bekanntestes Werk, die Biographie Viri illustris Nicolai Claudii Fabricii de Peiresc, senatoris Aquisextiensis, vita, die 1641 erschien. Neben der Philosophie war die Astronomie ein lebenslanges Interesse Gassendis. So korrespondierte er mit Galileo und beobachtete 1631 den von Kepler vorhergesagten Sonnentransit des Merkur. Gassendis erstes philosophisches Werk, die Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos, erschien 1624. Die Exercitationes sind eine Zusammenfassung von Gassendis Kritik an Aristoteles, wobei aristotelische Behauptungen vor allem mit skeptischen Argumenten widerlegt werden sollen. Das Werk war auf sieben Bände angelegt, der erste blieb der einzig beendete.
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1641 begann Gassendi sein bekanntestes philosophisches Werk auszuarbeiten, die Einwände gegen Descartes’ Meditationes de prima philosophia, die 1642 das erste Mal veröffentlicht wurden. Zusammen mit Descartes Erwiderungen und weiteren Ausführungen Gassendis erschienen diese Einwände als Disquisitio metaphysica seu Dubitationes et instantiae adversus Renati Cartesii metaphysicam et responsa im Jahr 1649 erneut. Sein seit mehreren Jahren bestehendes Interesse am Epikureismus führte 1647 zur Veröffentlichung von Gassendis erstem Werk mit einem epikureischen Programm, De vita et moribus Epicuri. Hier versucht Gassendi den Atomismus Epikurs mit dem Christentum in einer philosophischen Position zu vereinbaren. 1649 erschien ein weiteres Werk, das einem epikureischen Projekt gewidmet ist, die Animadversiones in decimum librum Diogenis Laertii, qui est de vita, moribus placitisque Epicuri. Am 24. Oktober 1655 starb Gassendi in Paris an einem Lungenleiden. Posthum erschienen 1658 seine Opera omnia; sie enthalten Gassendis – auf Basis seiner Manuskripte nachträglich zusammengestelltes – philosophisches Haupt- und Spätwerk, das Syntagma philosophicum, in dem er erneut ein atomistisches System ausarbeitet. 2.1.2 Der systematische Hintergrund: Atomismus Gassendi beruft sich bezüglich aller zentralen philosophischen Themen auf Epikur. Dies hat zur Folge, dass seine theoretische Philosophie von zwei grundlegenden Annahmen geprägt ist: zum einen vom Atomismus, zum anderen vom Empirismus und dem damit zusammenhängenden Skeptizismus. Gassendi muss aber, anders als Epikur, diese Thesen mit seiner christlichen Überzeugung in Einklang bringen. Gassendi übernimmt von Epikur die Auffassung, dass die Welt aus Atomen als kleinsten, selbst unteilbaren Teilchen besteht. Seiner Theorie zufolge haben sie bestimmte Eigenschaften, die dazu führen, dass in der Welt bestimmte Phänomene auftreten: Jedes Atom hat ein bestimmtes Gewicht, eine bestimmte Größe und eine bestimmte Form. Die Tatsache etwa, dass es in der Welt Bewegung gibt, wird durch das Gewicht der Atome erklärt. Denn dieses Gewicht hat zur Folge, dass die Atome eine ihnen innewohnende und von Gott verliehene Kraft zur Bewegung haben (I.273b). Dies wiederum erklärt, warum die wahrnehmbaren Gegenstände sich bewegen. Diese atomistische Auffassung hängt auf zweierlei Weise mit unseren Ideen zusammen. Zunächst ist der Inhalt der Ideen, die wir von der Welt
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haben, die Grundlage für Gassendis Atomismus. Unsere Ideen sind das Ergebnis, wenn wir uns Gegenstände, ihre Eigenschaften und ihr Verhalten vorstellen. Die Annahme, dass die Gegenstände, die wir wahrnehmen, aus Atomen als genuin kleinsten Teilchen bestehen, soll nun erklären, warum sich die Gegenstände so verhalten, wie sie es, unserer Wahrnehmung zufolge, tun (vgl. I.280a). Gassendi schließt also davon, wie die Gegenstände uns erscheinen, darauf, woraus sie bestehen. Zweitens kann die Entstehung der Ideen selbst wiederum atomistisch erklärt werden. Denn Ideen beruhen auf unsere Wahrnehmungen der Gegenstände in der Welt. Ideen beruhen auf species, und eine species ist laut Gassendi nichts anderes als der physische Abdruck, der aufgrund eines Wahrnehmungsprozesses im Gehirn entsteht (vgl. Z. 400 ff.). Gassendi hat aber eine atomistische Theorie der Wahrnehmung, und so beruht auch die Entstehung der Ideen auf dem Atomismus. Die Tatsache, dass Gassendi die Erklärung für die Eigenschaften und das Verhalten der Gegenstände im Aufbau der Gegenstände selbst sucht, hat seinen Grund in seiner zentralen ideentheoretischen These, dass alle Ideen aus den Sinnen stammen (siehe unten, Institutio logica, Kanon II); daher sind unsere Eindrücke, und damit unsere Ideen von materiellen Gegenständen die Grundlage all unseres Wissens. Allgemeine oder abstrakte Vorstellungen können nur aus einzelnen Eindrücken gewonnen werden. Weder Gott noch wir selbst steuern etwas zu diesen einfachen Ideen bei, so dass die Eigenschaften und das Verhalten der Gegenstände in den Gegenständen selbst liegen müssen. Dieser Empirismus hat allerdings in zweierlei Hinsicht skeptische Konsequenzen. Erstens kann man fragen, woher wir wissen, dass es überhaupt Gegenstände gibt und dass wir diese Gegenstände so repräsentieren, wie sie sind, wenn wir uns nur vermittels der Ideen auf die Gegenstände beziehen können. Dieses Problem löst Gassendi mit einem pragmatischen Ansatz: Offensichtlich täuschen wir uns nicht grundsätzlich über die Beschaffenheit der Welt, da wir mit unseren Reaktionen meist richtig liegen (vgl. Z. 696 ff.). Zweitens aber ist die Essenz der Gegenstände so beschaffen, dass wir sie nicht wahrnehmen können (vgl. Z. 1019 ff.); wir haben somit keine einfachen Ideen als Grundlage für Behauptungen über das Wesen der materiellen Gegenstände. Gassendi ist aber der Auffassung, dass man aus dem, was man weiß, Schlüsse ziehen kann, die auch zu Wissen führen (vgl. I. 796 ff.). Wir können also von den Eigenschaften der materiellen Gegenstände und ihrem Verhalten darauf schließen, dass sie aus Atomen bestehen, da diese Annahme eine Erklärung für unsere Erfahrung liefert.
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2.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Ideen sind Repräsentationen (Z. 951 f.). Sie sind als ihr Ergebnis Teil einfacher Vorstellungen (imaginatio) (Z. 4 ff.), das heißt von Vorstellungen ohne propositionalen Inhalt (Z. 13 ff.). Sie sind damit keine Urteile (Z. 22 ff.). Als Resultat eines Vorstellungsaktes ist eine Idee ein Bild (imago) eines Gegenstands (Z. 7). Ideen werden gemäß der Eindrücke aus allen Sinnen gebildet (Z. 76 ff., 99 ff.). Sie beruhen auf Gehirnzuständen (Z. 395 ff.), die auf zweierlei Art und Weise betrachtet werden können: als species impressae (Z. 483 f.) und als species expressae (Z. 483). Als species impressa ist eine Idee der Abdruck, der durch die Wahrnehmungsprozesse in meinem Gehirn verursacht wird (Z. 483 ff.). Als species expressa hingegen ist die Idee der repräsentationale Inhalt dieses Gehirnzustands (Z. 487 ff.). Ideen sind Vorstellungen, die eine Definition des Gegenstands enthalten, auf den sie sich beziehen (Z. 293 ff.). In der Idee begreifen wir außerdem, in welcher Beziehung dieser Gegenstand zu anderen Gegenständen steht (Z. 330 ff.). Ideen sind insofern immer wahr, als sie existieren (Z. 383 ff.). Sie sind aber auch in einem korrespondenztheoretischen Sinn genau dann wahr, wenn sie den repräsentierten Gegenstand so abbilden, wie er tatsächlich ist (Z. 67 ff., 374 ff.). b) Welche Arten von Ideen gibt es Es gibt nur erworbene Ideen (Z. 76ff., 559ff.), keine angeborenen (Z. 584ff.). Alle Ideen sind auf solche Ideen zurückzuführen, die durch die Sinne erworben worden sind (Z. 76ff., 92ff.). Wir haben zwar fiktive Ideen, diese sind aber eine Unterklasse der erworbenen Ideen, da sie immer aus erworbenen Ideen zusammengesetzt sind (Z. 570ff.). Es gibt singuläre (Z. 56ff., 131) und allgemeine (Z. 131ff.) Ideen. Allgemeine Ideen wiederum werden unterteilt in solche, die durch eine Aggregation (aggregando) der Ideen von Gegenständen gewonnen werden (Z. 142ff.), und solche, die durch Abstraktion (abstrahendo) gewonnen werden (Z. 141f.), das heißt durch Unterscheidung zwischen Eigenschaften, die einer bestimmten Gruppe von Ideen gemeinsam bzw. nicht gemeinsam sind (Z. 153ff.). Ferner gibt es vollkommene und weniger vollkommene Ideen, je nachdem wie viele Eigenschaften des Gegenstands, der repräsentiert wird, in einer Idee enthalten sind (Z. 225ff.). Im Fall einer allgemeinen Idee wird die Vollständigkeit dadurch bestimmt, wie viele der gemeinsamen Eigenschaften der Gegenstände sie beinhaltet (Z. 257ff.). Schließlich gibt es klare und deutliche Ideen sowie dunkle und verworrene Ideen (Z. 58ff.).
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c) Wie entstehen Ideen? Ideen von Einzeldingen entstehen aus der Erfahrung (Z. 61 f.). Diese beruht auf dem Wahrnehmungsprozess: Die Eigenschaften eines Gegenstand werden unseren Sinnesorganen übertragen (Z. 395 ff.). Der hierdurch hervorgerufene Prozess resultiert in einem Abdruck im Gehirn, der species impressa (Z. 404, 483 f.). Dieser Abdruck hat aufgrund des kausalen Vorgangs (Z. 470 ff.) einen Gehalt, die species expressa (Z. 487 ff.). Allgemeine Ideen entstehen durch zwei Prozesse: durch die Aggregation aller Gegenstände, die unter die Idee fallen (Z. 142 ff.), und durch die Abstraktion wesentlicher Eigenschaften aller Gegenstände, die unter die allgemeine Idee fallen. (Z. 153 ff.). Abstrakte Vorstellungen entstehen dadurch, dass von einfachen Ideen auf etwas geschlossen wird, das nicht sinnlich wahrgenommen werden kann (Z. 812 ff.). d) Was erklären Ideen? Ideen erklären unser Wissen über Gegenstände (Z. 821 ff.). Die Grundlage dieses Wissens sind im jeden Fall Ideen, die aus den Sinnen stammen (Z. 92 f.). Die species impressa als Abdruck im Gehirn kann laut Gassendi wiederbelebt werden (Z. 455 ff., 464 f.); sie erklärt so die Möglichkeit von Erinnerung. Ideen, die durch die Sinne gewonnen wurden, erklären, warum wir Ideen von Gegenständen bilden können, die wir noch nie wahrgenommen haben (Z. 94 f.). Urteile entstehen durch Verbindung von Ideen (Z. 344 ff.); Ideen erklären somit auch die Möglichkeit, Urteile zu fällen. Die Explikation abstrakter Vorstellungen bietet eine Erklärung dafür, dass wir Gegenstände repräsentieren können, die wir nie sinnlich wahrnehmen könnten (Z. 812 ff.). 2.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die ausgewählten Textstellen stammen hauptsächlich aus den einzigen beiden Abhandlungen Gassendis, in denen explizit von Ideen die Rede ist. Dies sind die Institutio logica – enthalten in Gassendis posthum veröffentlichtem Hauptwerk, dem Syntagma philosophicum – und die Disquisitio metaphysica, die Einwände gegen Descartes’ Meditationen. Die Institutio logica ist ein didaktisches Werk, das darauf angelegt ist zu zeigen, welche Art von Ideen und Wissen erstrebenswert ist. Daher werden hier Antworten auf manche philosophisch interessanten Fragen (zum Beispiel: wie Ideen ihren repräsentationalen Gehalt erwerben) gänzlich ausgespart. Allerdings setzt Gassendi hier den Ausdruck idea synonym zu
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diversen anderen Begriffen, die er in späteren Teilen des Syntagma weiter behandelt. Aus diesem Grund wurden auch Teile der Physica aus dem Syntagma ausgewählt. Da neben Zeilenangaben auch nach der klassischen Zitierweise zitiert wird – in römischen Ziffern der Band der Opera omnia Gassendis (Petri Gassendi Opera omnia, 6 voll., Lugduni: Laurentius Anisson et Ioannes Baptista Devenet, 1658), gefolgt von Seite und Spalte –, finden sich im Text neben Überschriften und Werktiteln auch die Seitenangaben in dieser Form. Der Text der Opera omnia diente als Vorlage für die Textauswahl und die Übersetzung. Sämtliche Textauszüge wurden von Maria Seidl, Julia Borcherding und Paolo Rubini gemeinsam übersetzt.
2.2 Zentrale Passagen zu Gassendis Ideentheorie 2.2.1 Auszüge aus Opera Omnia. Syntagma Philosophicum. Pars I: Logica (1658) (zitiert als: Institutio logica)
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(I.92a) Erster Teil: Die einfache Vorstellung der Dinge Unter „Vorstellung“ [imaginatio] verstehe ich den Gedanken [cogitatio] oder den geistigen Akt [actio mentis], der bei einem dem Geist vorschwebenden Bild [imago] des gedachten Dinges endet. Dies ist anzumerken, weil dieser Ausdruck oft für das Vorstellungsvermögen [facultas imaginatrix] gebraucht wird, das von vielen auch mit dem griechischen Wort phantasía bezeichnet und dem niederen Teil der Seele zugeordnet wird, der dem Menschen und den Tieren gemeinsam ist. Denn auch Tiere haben Vorstellungen.K1 Sie wird aber einfache Vorstellung (bzw. Auffassung [conceptio], Wahrnehmung [apprehensio], Begreifensakt [intellectio], Notion eines Dinges [notio rei]) genannt, weil wir uns durch sie, wie ich angedeutet habe, ein Ding in einfacher Weise vorstellen, ohne über es irgendetwas auszusagen, das eine Proposition oder einen vollständigen Sinn bildet. Dies ist etwa der Fall, wenn man Mensch sagt oder wenn man einen Menschen erfasst [concipitur]. Denn man fügt nicht zugleich hinzu, was ein Mensch ist oder nicht ist, sondern man erfasst einfach, ohne Behauptung oder Verneinung, einen Menschen. Ich füge dennoch hinzu, dass ‹dabei› nichts ausgesagt wird, das eine Proposition oder einen vollständigen Sinn bildet. Denn wenn sich jemand einen weißen Menschen vorstellt oder weißer Mensch sagt – was dasselbe ist wie ein Mensch, der weiß ist –, behauptet er zwar etwas, aber nur in
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einem unvollkommenen bzw. unvollständigen Sinn. Man wartet nämlich darauf, was er über den Menschen, der weiß ist, sagen will. Daher müsste er, um die Behauptung oder Verneinung zu haben, die für eine Proposition benötigt werden (und die hier gerade ausgeschlossen sind), auch ‹etwas anderes› sagen wie: Ein weißer Mensch wird außerhalb Äthiopiens geboren, oder: Ein Mensch, der weiß ist, wird nicht in Äthiopien geboren. Solange jemand also nur so etwas sagt oder geistig erfasst wie ein guter und weiser Mann, der sein eigener Richter ist, ist in ihm nur eine einfache Vorstellung anzutreffen, da immer noch die Behauptung fehlt, die für eine Proposition nötig ist, damit ein Sachverhalt [res] vollständig ausgesagt wird. Diese Bedingung wird etwa erfüllt, wenn hinzugefügt wird: untersucht sich selbst aufs genaueste. Eine einfache Vorstellung, wie sie hier verstanden wird, kann also auch die vollständige Beschreibung eines Dinges so einschließen, dass daraufhin von diesem Ding irgendetwas behauptet oder verneint werden kann.K2 Das Bild ferner, das dem Geist vorschwebt und gleichsam entgegengestellt wird [obiicitur], wenn wir an ein Ding denken, wird üblicherweise auch mit anderen Namen bezeichnet. Man nennt nämlich dieses Bild auch Idee und species sowie – wenn der Name dem Akt angepasst wird – Notion [notio], Pränotion [praenotio], Prolepse [anticipatio bzw. anticipata notio] (sofern es schon früher erworben wurde) und ferner Begriff [conceptus], andererseits auch phántasma, sofern es in der phantasía bzw. im Vorstellungsvermögen seinen Sitz hat.K3 Wir werden häufiger „Idee“ gebrauchen, denn dieses Wort ist schon bekannt und gebräuchlich und auch weniger missverständlich als die anderen. Das Wort „Bild“ [imago] umfasst Zuvieles, und das Wort „species“ bezieht sich auf allzu viele Dinge (I.92b), als dass sie für unser Vorhaben hier passend sein könnten. Lasst uns nun aber zu unseren Regeln [Kanones] übergehen. Kanon I Die einfache Vorstellung eines Dinges ist so beschaffen wie die Idee, die wir von dem Ding haben. Es entspricht nämlich unserer Erfahrung, dass wir uns ein Ding klar und deutlich vorstellen, von dem wir eine klare und deutliche Idee haben, und dass wir uns ein Ding dunkel und verworren vorstellen, von dem wir eine dunkle und verworrene Idee haben. Denn wir stellen uns einen Menschen, den wir vor langer Zeit, nur einmal oder im Vorbeigehen gesehen haben, nicht so deutlich vor wie einen, den wir vor kurzem, schon oft oder bei aufmerksamer Betrachtung gesehen haben. Denn die Idee,
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die im Geist haften bleibt, ist im ersten Fall entschwindend und schwach, im zweiten stark und lebendig.K4 Eine Vorstellung ist also echt, richtig und wahr, wenn die Idee des Dinges, das wir uns vorstellen, mit dem Ding selbst übereinstimmt: etwa wenn wir uns ein Pferd als vierfüßig und laufend vorstellen. Sie ist unecht, unpassend und falsch, wenn die Idee nicht mit dem Ding übereinstimmt: etwa wenn wir ein Pferd als geflügelt und fliegend auffassen, wie Pegasus ersonnen wird. Im ersten Fall stimmt die Idee, die wir vom Pferd haben, mit dem Pferd überein, im zweiten Fall überhaupt nicht. Kanon II Jede Idee im Geist hat ihre Herkunft in den Sinnen. Wer nämlich blind geboren wurde, hat keine Idee einer Farbe, da ihm der Sehsinn fehlt, durch dessen Vermittlung er sie haben sollte; wer taub geboren wurde, hat keine Idee eines Tones, da er den Gehörsinn nicht besitzt, durch dessen Tätigkeit er eine solche erwerben sollte. Könnte es deshalb jemanden geben, der ohne alle Sinne lebte (es ist aber nicht möglich, ohne wenigstens den Tastsinn zu leben, der ja allein den Lebewesen im Mutterleib zukommt), so könnte dieser von nichts eine Idee haben und sich daher auch nichts vorstellen. Darauf bezieht sich demnach der bekannte Spruch: Es gibt nichts im Verstand, das nicht vorher in den Sinnen war. Und darauf bezieht sich auch die Behauptung, der Verstand [intellectus] oder der Geist [mens] sei eine leere Schreibtafel, auf der nichts eingraviert oder gemalt sei. Denn diejenigen, die sagen, dass die Ideen ihm von der Natur eingeprägt und nicht durch die Sinne gewonnen werden, haben dafür überhaupt keinen Beweis. Kanon III Alle Ideen kommen entweder durch die Sinne oder werden aus denen gebildet, die durch die Sinne kommen. Dieser Kanon bietet eine Erklärung dafür, was man gegen den vorherigen einwenden könnte: inwiefern wir nämlich Ideen (I.93a) von Dingen im Geist haben, die es nicht gibt und auch in keiner Weise geben kann; solche Dinge können somit weder die Sinne berühren noch durch die Sinne Ideen ihrer selbst senden. Man kann also sagen: Die Ideen derjenigen Dinge, die durch sich selbst auf die Sinne treffen, gehen zunächst durch einen Sinn hindurch und werden dem Geist eingedrückt. Das sind etwa die Ideen, die wir von Sonne, Mond, Wolken, Donner, Erde, Wasser, Menschen, Pferden,
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Pflanzen, Blumen, Steinen, allen Metallen haben – kurz gesagt, von den Dingen, die wir sehen, berühren, riechen etc., wenn sie auf einen Sinn treffen und sich ihm zeigen. Daraufhin werden aus diesen Ideen, die durch einen Sinn hindurch gekommen sind und so im Geist vorliegen, verschiedene Ideen auf verschiedene Weisen gebildet: durch Zusammensetzung [compositio] und gleichsam Vereinung [adunatio] mehrerer Ideen; durch Vergrößerung oder Verkleinerung einer Idee; durch Übertragung und Anpassung einer Idee an ein Ding, das anders ist als das, von dem diese Idee stammt. Zusammensetzung findet statt, wenn der Geist etwa die Idee eines goldenen Berges aus der Idee eines Berges und der Idee von Gold zusammenbildet; die Idee eines Zentauren aus der Idee eines Menschen und der eines Pferdes; die Idee einer Chimäre aus der Idee eines Löwen, der eines Drachen und der einer Ziege usw. Vergrößerung oder Verkleinerung finden statt, wenn der Geist etwa aus der Idee eines Menschen normaler Größe durch Vergrößerung die Idee eines Riesen bildet oder aus derselben Idee durch Verkleinerung die Idee eines Zwergen. Übertragung schließlich und Anpassung bzw. Angleichung und Analogie finden statt, wenn der Geist etwa die Idee einer Stadt auf eine ungesehene Stadt überträgt und dieser anpasst und so die ungesehene Stadt gemäß der gesehenen ersinnt. […] Der Geist ist ferner gewohnt, auf diese Weise auch Gott zu erfassen [concipere], der unter die Sinne gewiss nicht fallen kann: nämlich durch die Idee irgendeines gesehenen ehrwürdigen Alten, die er Gott gleichsam anpasst. So ist der Geist auch gewohnt, einen Engel durch die Idee eines schönen Knaben zu erfassen. Und auf gleiche Art das übrige. Kanon IV Jede Idee, die durch die Sinne kommt, ist eine singuläre Idee; es ist aber der Geist, der aus ähnlichen singulären Ideen eine allgemeine Idee bildet. Da nämlich alle Dinge, die es in der Welt gibt und auf die Sinne treffen können, Einzeldinge sind wie Sokrates, Bucephalus, dieser Stein, diese Pflanze und alle weiteren Dinge, auf die man mit dem Finger zeigen kann (dies ist nämlich erforderlich, da es an Eigennamen fehlt, um alle Einzeldinge zu benennen), müssen alle Ideen, die von ihnen in den Geist hinüberkommen und in diesem haften bleiben, singulär sein. Wenn der Geist mehrere ähnliche Ideen hat, bildet er aus diesen eine allgemeine Idee. Dies geschieht auf zweierlei Art und Weise: erstens durch Aggregation [aggregando], zweitens durch Abstraktion [abstrahendo].
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Bei der ersten Methode legt der Geist die ähnlichen Ideen gleichsam zurück [seponens] und vereinigt sie zu einem Aggregat [aggeries]. Dieses Aggregat enthält alle singulären Ideen und ist somit die Idee von allen; daher wird es eine universale, gemeinsame oder auch allgemeine Idee genannt. Mit einem einzigen gemeinsamen Wort wird das ja auch als Gattung bezeichnet. Eine solche Idee ist etwa das Aggregat aus den Ideen von Sokrates, Platon, Aristoteles und allen anderen (I.93b) ähnlichen Dingen. Dieses Aggregat pflegt man Gattung der Menschen zu nennen, da jedem einzelnen jener Dinge die gemeinsame Bezeichnung „Mensch“ zukommt. So sagt man auch „Gattung der Pferde“, „Gattung der Löwen“ etc. Nun zur zweiten Methode: Obgleich diese singulären Ideen sich in mancher Hinsicht ähnlich sind oder miteinander übereinstimmen, weisen sie zugleich viele Merkmale [discrimina] auf, aufgrund derer sie sich voneinander unterscheiden. Daher betrachtet der Geist diese Ideen gesondert und abstrahiert gleichsam aus ihnen allen das Merkmal, in dem sie alle übereinstimmen, während er von den Merkmalen absieht oder die Merkmale nicht betrachtet, in denen diese Ideen sich voneinander unterscheiden. Hierdurch nimmt er das Merkmal, das so abstrahiert wurde und in dem nichts enthalten ist, was ‹diesen Ideen› nicht gemeinsam ist, als eine gemeinsame, allgemeine und universale Idee an. Diese wird auch Gattung genannt. Ich gebe ein Beispiel: Wenn der Geist bemerkt, dass die ‹Ideen› von Sokrates, Platon, Aristoteles darin übereinstimmen und sich ähnlich sind, dass sie alle ein Tier repräsentieren, das zweibeinig, aufrecht, vernunftbegabt, lachfähig, lernfähig usf. ist, abstrahiert er gleichsam dieses Merkmal (nämlich ein Tier zu sein, das zweibeinig, aufrecht ist usf.) und bildet daraus eine Idee, von der alle Merkmale weggenommen wurden, aufgrund derer die Dinge sich voneinander unterscheiden (nämlich, dass der eine Sohn von Sophroniscus, der andere von Ariston und der dritte von Nicomachus ist; dass der eine alt, der andere im besten Alter, der dritte jugendlich ist; dass der eine plattnasig, der andere breitschultrig, der dritte dünnbeinig ist). Er nimmt eine solche Idee als eine universale oder allgemeine Idee des Menschen an, weil durch sie nicht nur dieser oder jener oder noch ein anderer Mensch im besonderen repräsentiert wird, sondern der Mensch im allgemeinen oder gemeinsam.K5
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Kanon V In ähnlicher Weise werden auch allgemeinere Ideen aus weniger allgemeinen gebildet. Es steht nämlich fest: Durch die erste der eben genannten Methoden, d. h. durch Aggregation, wird aus den Aggregaten (bzw. allgemeinen Ideen) der Menschen, der Pferde, der Löwen etc. das allgemeinere Aggregat (bzw. Idee) der Tiere gebildet; aus den Aggregaten der Tiere und der Pflanzen (wie Gräser und Bäume) wird das noch allgemeinere Aggregat der Lebewesen gebildet; aus den Aggregaten der Lebewesen und der unbelebten Wesen (wie Steine und Metalle) wird das noch allgemeinere Aggregat der körperlichen Dinge gebildet; aus den Aggregaten der körperlichen und der unkörperlichen Dinge (wie Gott und die Engel es sind) wird das noch allgemeinere Aggregat der Substanzen gebildet; aus den Aggregaten der Substanzen und der Attribute, die auch Akzidenzien genannt werden (wie Größe, Farbe etc.), wird das allgemeinste Aggregat von allen gebildet, das der Seienden oder der Dinge. Nun zur zweiten Methode, nämlich Abstraktion: Nachdem der Geist mit dieser Methode die allgemeinen Ideen des Menschen, des Pferdes, des Löwen, des Stieres gebildet hat, bemerkt er, dass diese in mancher Hinsicht miteinander übereinstimmen und sich in mancher anderen Hinsicht voneinander unterscheiden (sie stimmen nämlich darin miteinander überein, dass jede von ihnen einen wahrnehmungsfähigen Körper repräsentiert; sie unterscheiden sich darin voneinander, dass eine ein lachendes, eine ein wieherndes, eine ein brüllendes, eine ein muhendes Wesen repräsentiert). Daher zieht der Geist alles ab, worin diese Ideen sich voneinander unterscheiden, und wählt nur das aus, worin sie miteinander übereinstimmen: nämlich ein wahrnehmungsfähiger Körper zu sein (was mit dem einen Wort „Tier“ bezeichnet wird). Daraus bildet er eine allgemeinere Idee als diese. Auf gleiche Weise: Nachdem der Geist aus den vorher geformten allgemeinen Ideen der Gräser und der Bäume die allgemeinere Idee der Pflanzen geformt hat, bemerkt er, dass die Idee des Tieres und die der Pflanze ‹einerseits› darin miteinander übereinstimmen, dass sie beide einen lebensfähigen Körper repräsentieren, (I.94a) ‹andererseits› aber sich darin voneinander unterscheiden, dass jene sich auf einen wahrnehmungsfähigen Körper bezieht, diese aber auf einen Körper, dem die Wahrnehmungsfähigkeit fehlt. Der Geist legt also diesen Unterschied beiseite und übernimmt nur das, was übrig bleibt: nämlich ein lebensfähiger Körper zu sein (was mit dem einen Wort „Lebewesen“ bezeichnet wird). Daraus bildet er die Idee des Lebewesens, die allgemeiner ist als die Ideen des Tiers und der Pflanze einzeln genommen.
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Auf ähnliche Weise wird die allgemeinere Idee des Körpers aus denen des Lebewesens und des Unbelebten (etwa der Idee des Steins) gebildet; und die wiederum allgemeinere Idee der Substanz aus denen des Körpers und des Unkörperlichen (etwa der Idee des Engels); und endlich die allgemeinste Idee des Seienden oder des Dinges aus denen der Substanz und des Attributs (etwa der Idee der Farbe). […] (I.95a) Kanon VII Eine singuläre Idee ist umso vollkommener, je mehr Teile und Attribute des Dinges sie repräsentiert. Eine Idee muss nämlich, um vollkommen zu sein, das Ding so repräsentieren, wie es ist. Dieses Ding ist ein Einzelding (ein solches ist jeder Körper, der unter die Sinne fällt) und ein bestimmtes Ganzes, das aus seinen Teilen besteht, wie der Mensch aus Kopf, Rumpf, Armen, Beinen und anderen kleineren Teilen besteht, aus denen diese bestehen; und es ist ferner ein gewisser Träger [subiectum], der mit Attributen – d. h. Fähigkeiten, Eigenschaften, Qualitäten – ausgestattet ist, wie der Mensch mit Größe, Gestalt, Farbe, Kraft, Verstand, Gedächtnis, Tugend, Weisheit usf. ausgestattet ist. Deshalb ist es offensichtlich, dass eine Idee umso vollkommener sein wird, je mehr Teile und Attribute dieses Dinges sie repräsentiert. Umso mehr sind Anatomie, (I.95b) Chemie und weitere Wissenschaften zu empfehlen, die mehr Teile und Qualitäten der Dinge für uns unterscheiden und entdecken, als man sie gewöhnlich erkennt; und sie sind dermaßen vorzüglich, dass wir ‹mit ihrer Hilfe› vollkommenere Ideen erwerben können. Daher ist hier anzumerken, dass es auch Ideen von einzelnen Teilen gibt, die im Hinblick auf das Ganze Teilideen heißen können, im Hinblick auf andere kleinere Teile Totalideen. Denn der Kopf, ein Teil des Menschen, ist ein Ganzes in Bezug auf das Gesicht, das Gesicht in Bezug auf das Auge, das Auge in Bezug auf die Pupille. Es muss zudem angemerkt werden, dass es auch eigene Ideen der Attribute, Eigenschaften oder Qualitäten insofern gibt, als diese mit abstrakten Namen bezeichnet werden, wenn man sie als gleichsam von ihren Trägern abstrahiert betrachtet, die man gewöhnlich mit konkreten Namen benennt. So haben wir nicht nur die Idee eines weißen Trägers, sondern auch die gesonderte Idee der Weiße; nicht nur die Idee eines Gerechten, sondern auch die gesonderte Idee der Gerechtigkeit; und so des Gleichen weiter.K6
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Kanon VIII Eine allgemeine Idee ist umso vollkommener, je vollständiger sie ist und je reiner sie dasjenige repräsentiert, in dem die Einzeldinge übereinstimmen. Allgemein genannt wird nämlich zunächst eine durch Aggregation [aggregatio] gewonnene Idee, da sie ein Aggregat ist, das alle zur selben Gattung gehörenden Ideen enthält. Deshalb wird sie umso vollkommener sein, je weniger Ideen von denen fehlen, durch die sie gleichsam vervollständigt wird. Wenn jemand also in der Idee der Menschen nicht nur Europäer, Afrikaner und Asiaten, sondern auch Amerikaner umfasst, so wird er eine vollkommenere Idee erhalten, als wenn er nach Art der Alten nur Europäer, Afrikaner und Asiaten umfasste. Es ist freilich nicht zu erwarten, dass bei den meisten Gattungen alle Einzeldinge in Erfahrung gebracht werden, da diese unendlich oder unabzählbar viele sind. Man muss sich aber darum bemühen, sie zu kleineren Aggregaten und gleichsam Rubriken [capitula] zurückzuführen. Dies ist etwa der Fall, wenn wir die Gattung der Menschen als nach Nationen und Provinzen unterschieden auffassen und uns darum bemühen, so weit wie möglich das zu erkennen, was für jede dieser Gruppen eigentümlich ist. Allgemein genannt wird ferner auch eine durch Abstraktion [abstractio] gewonnene Idee, da sie gleichsam ausgewählt wurde, um das ‹Merkmal› zu repräsentieren, das allen singulären Ideen gemeinsam ist. Wenn sie daher etwas beigemischt hat, das nicht all diesen Ideen zukommt, dann wird sie zu diesem Grad weniger allgemein und auch weniger vollkommen sein. Auf diese Weise verhält es sich mit der Idee des Menschen, wenn sie ein vier Ellen großes Tier mit weißem Gesicht, gerader Nase etc. repräsentiert. Denn dies und anderes Derartiges sind Eigenschaften, die einigen Menschen eigentümlich sind und nicht allen gemeinsam. Es ist allerdings schwierig oder gar unmöglich, sich einen Menschen in so reiner Allgemeinheit vorzustellen, dass er weder groß noch klein noch mittlerer Statur, weder alt noch jung noch mittleren Alters, weder schwarz noch weiß noch einer anderen besonderen Farbe ist. Aber zumindest muss man im Geist behalten, dass der Mensch, den wir als allgemein ansehen wollen, von all diesen unterscheidenden Merkmalen frei sein muss.K7 […]
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(I.97a) Kanon XV Wie die Idee eines Dinges ist, so wird sie von der Definition des Dinges wiedergegeben. Sooft wir gefragt werden oder erklären wollen, was oder wie ein Ding (I.97b) ist, wenden wir uns gleich der Idee zu, die wir von ihm haben, und gemäß dieser Idee definieren oder beschreiben wir das Ding selbst. Die Definition – d. h. die Rede, durch die wir die Natur oder Essenz eines Dinges erklären (bzw. was oder wie dieses Ding ist) – ist folglich dann zutreffend, wenn die Idee das Ding vollkommen repräsentiert; wenn die Idee das Ding weniger vollkommen repräsentiert, ist die Definition weniger zutreffend.K8 Bekanntlich soll eine Definition aus Gattung und Differenz (oder aus dem Gemeinsamen und dem Eigentümlichen) bestehen. Es ist allerdings nicht schwer, die Gattung zu erkennen; denn einem begegnet leicht die Reihe oder das Aggregat der Dinge, wo ein gewisses Ding enthalten ist. Die Schwierigkeit besteht meistens darin, die Differenz zu erfassen, die ja so beschaffen sein muss, dass durch sie das Ding sich von allen anderen gänzlich unterscheiden lässt. Ein Beispiel: Bei der Untersuchung dessen, was der Mensch ist, begegnet einem leicht die Reihe der Dinge, in der die Gattung besteht, die Mensch enthält: nämlich Tier (Mensch ist zwar auch in weiter entfernten Gattungen wie Lebewesen, Körper etc. enthalten, aber die nächste Gattung hat immer Vorrang). Was jedoch die Differenz anbelangt, mag zwar vernunftbegabt auf der Hand liegen, weshalb auch gemäß der Idee, die man gewöhnlich vom Menschen hat, der Mensch als vernunftbegabtes Tier definiert wird. Da dennoch im Altertum auch Gott als vernunftbegabtes Tier angesehen wurde, war auch Porphyr1 der Ansicht, der Begriff sterblich müsse hinzugefügt werden, damit sich Mensch von Gott unterscheide. Und da viele meinen, auch Tiere, die ebenfalls sterblich sind, würden vernünftig urteilen bzw. seien vernunftbegabt, gibt es auch Leute, die den Begriff lachfähig hinzufügen. Die vollständige Definition des Menschen lautet folglich: vernunftbegabtes, sterbliches, lachfähiges Tier.K9 Ähnlich ist es in dem Fall, den man Platon2 nachsagt: Er fasste zunächst die Idee des Menschen so auf, dass sie ihn als zweifüßiges Tier definierte; da er jedoch erkannte, dass dies nicht genügt, weil nämlich auch
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Vgl. Porphyr, Isagoge, CAG IV.1, 11.21–12.1. Als mögliche Quelle dieser Anekdote vgl. Platon, Politicus 265b8–266e11, insbesondere 266e4–7 (ad sensum).
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Vögel zweifüßig sind, fügte er ohne Federn hinzu. Und da ihm ein Hahn ohne Federn vorgelegt wurde, fügte er mit breiten Nägeln hinzu. […] (I.98b) Kanon XVII Die Idee eines Dinges beinhaltet die Beziehung dieses Dinges zu anderen. Von jedem Ding wird nämlich durch dessen Idee nicht nur erkannt, wie es in sich selbst oder absolut ist, sondern auch begriffen [intelligitur], wie es in Bezug auf anderes oder vergleichsweise ist. Nach der Art und Weise, wie die Idee ist, begreift man daher auch, wie der Gegenstand affiziert wird oder auf anderes bezogen ist. So begreift man etwa – um bei unserem früheren Beispiel zu bleiben – durch die Idee des Menschen nicht nur, dass dieser an sich und absolut ein vernunftbegabtes Tier ist, sondern auch, dass Mensch eine Gattung in Bezug auf die Arten, ein Ganzes in Bezug auf die Teile, ein Träger in Bezug auf die Attribute ist. Dies ist der Fall, weil hier begriffen wird, dass die Arten, Teile und Attribute in einer reziproken Beziehung zur Gattung, zum Ganzem und zum Träger stehen. […] (I.99a) Zweiter Teil: Die Proposition Im Folgenden werden wir über die Proposition bzw. die Aussage sprechen, bei welcher wir uns nicht nur irgendein Ding in einfacher Weise vorstellen und gleichsam nackt sehen, sondern auch irgendein Urteil über es, entweder als Behauptung oder als Verneinung, fällen. Dies geschieht, wenn der Geist bei Beachtung der mannigfaltigen Ideen, über die er verfügt, die miteinander übereinstimmenden durch Behauptung verbindet und die nicht miteinander übereinstimmenden durch Verneinung trennt; so bildet er aus einfachen Vorstellungen eine zusammengesetzte. […] (I.99b) Jede Proposition ist im allgemeinen entweder eine Behauptung oder eine Verneinung. Bekanntlich kommen Behauptung und Verneinung zustande, indem man das Verb ist oder (durch Hinzufügung des negativen Partikels) ist nicht einführt, wie wenn man sagt: Sokrates ist weise; Gerechtigkeit ist kein Laster. Demgemäß muss angemerkt werden: Das Wort, das dem Verb voransteht, wird Subjekt genannt, als sei das etwas, was anderem zugrunde gelegt werde: wie Sokrates und Gerechtigkeit in den eben angeführten Propositionen. Das Wort, das ‹dem Verb› folgt (I.100a), wird Attribut oder Prädikat genannt, als sei das etwas, was anderem zugeschrieben oder von anderem prädiziert, d. h. ausgesagt werde: wie weise und Laster in unseren Bespielen. […]
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(I.100b) Kanon I Wahr ist die Proposition, die aussagt, dass das der Fall ist, was ist, oder, dass das nicht der Fall ist, was nicht ist. Falsch ist im Gegensatz die Proposition, die entweder aussagt, dass das der Fall ist, was nicht ist, oder, dass das nicht der Fall ist, was ist. Dies ist offensichtlich. Denn unter dem Begriff der Wahrheit pflegt man nichts anderes zu verstehen als die Übereinstimmung einer Aussage mit dem ausgesagten Ding bzw. eines Gedankens [cogitatio] mit dem gedachten Ding; und unter dem Begriff der Falschheit nichts anderes als die Nicht-Übereinstimmung oder Diskrepanz einer Aussage mit dem ausgesagten Ding bzw. eines Gedankens mit dem gedachten Ding. Im vorherigen Teil haben wir freilich festgestellt, dass eine wahre Idee eine solche ist, von der man glaubt, dass sie mit dem Ding übereinstimmt, dessen Idee sie ist; und dass eine falsche Idee das Gegenteil ist. Aber solange nichts behauptet oder verneint wird, (I.101a) hängen diese Wahrheit und Falschheit gleichsam in der Luft; und solange es nicht ausgesagt wird, dass das Ding so ist oder nicht so ist, wie die Idee es repräsentiert, wartet man. Daher betreffen Wahrheit und Falschheit in eigentlichem Sinn die Proposition, in der ausgesagt wird, dass das Ding so ist oder nicht so ist. […] Ferner: Dem Ding selbst kommt Wahrheit zu, die man Wahrheit der Essenz oder der Existenz nennen kann und zu der es keine entgegengesetzte Falschheit gibt. Denn jedes Ding ist an sich – ob wir an es denken oder nicht und ob wir uns über es täuschen oder nicht – immer ein wahres Ding, d. h. eben das, was es ist, und nichts anderes. Es ist dasselbe zu sagen, dass dieses Ding ist oder existiert und dass es ein wahres Ding ist. Denn wir können uns zwar beim Urteil täuschen, dass Messing Gold ist: weshalb wir auch zu sagen pflegen, dass Messing falsches Gold ist. Aber an sich ist es sicherlich kein falsches Gold, sondern wahres Messing.K10 2.2.2 Auszüge aus Opera Omnia. Syntagma Philosophicum. Pars II: Phyica. Sectio III: De rebus terrenis. Membrum II: De animalibus. Liber VIII: De phantasia seu imaginatione (1658) (zitiert als: Physica)
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(II.403b) […] Wenn die äußeren Sinne ihre Objekte [obiecta] erfassen [percipiunt ], erfolgt eine Bewegung sowohl in dem äußeren Sinnesorgan [sensorium], auf das entweder eine species oder eine Qualität des sinnenfälligen Dinges [res sensibilis] trifft, als auch, aufgrund einer Art Übertragung durch die Nerven, im inneren Gehirn, wo die Nerven enden oder vielmehr ihren Ursprung haben. […] Dann aber kommt zweierlei zustande:
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Zum Einen erfasst das dort angesiedelte Sinneswahrnehmungsvermögen [facultas sentiens] das sinnenfällige Ding, von dem ein solcher Stoß herrührt; zum Anderen bleibt von diesem Stoß eine Spur [vestigium] oder gleichsam ein Zeichen [character] und Abdruck [typus], (II.404a) im Gehirn eingedrückt, zurück.K11 […] (II.404b) Die nächste Schwierigkeit betrifft diese eingedrückte Spur oder diesen Abdruck, den Aristoteles3 phántasma nennt, da er in der Vorstellungskraft [phantasia] zurückbleibt; die Lateiner übersetzten dies als Gesehenes bzw. Erscheinendes [visum] oder als „das, was gesehen wird oder erscheint“, wenn der äußere Sinn nicht arbeitet. Diese Spur wird aber auch eîdos oder species, Bild [imago] und Abbild [simulacrum] des äußeren Dinges genannt. Sie wohnt nämlich der Vorstellungskraft dermaßen inne, dass wir das äußere Ding selbst zu sehen oder sinnlich wahrzunehmen [sentire] scheinen. Es ist jedoch schwierig zu verstehen, wie ein solcher Abdruck beschaffen ist. Denn ein Abdruck ist eigentlich, wie Alexander4 bemerkt, eine Gestalt [schema] oder Figur [figura], die dem Gestalteten [figuratum] durch das Gestaltende [figurans] eingeprägt wird und aus einer Vertiefung [depressio] und einer Hervorhebung [eminentia] besteht, wie dies bei Wachs zu sehen ist, dem ein Siegel eingedrückt wurde. Es ist aber nicht klar, wie es möglich sein soll, dass eine solche Figur in die Vorstellungskraft oder ins Gehirn (II.405a) eingeprägt wird. Welche Figur könne nämlich, fragt Alexander,5 die Weiße oder sämtliche Farben oder Gerüche repräsentieren? Wie könne sie also Bild [imago] genannt werden? Denn ein Bild ist nicht denkbar ohne Farben, Farben gibt es aber im Gehirn keine, so unzählig viele Dinge dort auch anzutreffen sein mögen. Ein Bild oder Gemälde [pictura] entsteht auch nur von sichtbaren Dingen, nicht aber von solchen, die unter den Gehör-, Geruch-, Geschmacks- oder Tastsinn fallen. Denn es ist unmöglich, Ton, Geruch, Geschmack, Wärme und anderes Derartiges zu malen [pingere]. Dies fällt jedoch unter eine Vorstellung [imaginatio] ebenso wie die sichtbaren Dinge. Daher muss man, wie es scheint, zunächst sagen, dass vom sinnenfälligen Ding notwendigerweise etwas Eingedrücktes zurückbleibt. Denn anderenfalls würden wir uns nicht ein gesehenes, gehörtes oder mit einem anderen Sinn erfasstes Ding in höherem Maße vorstellen als ein nicht erfasstes, wenn es nämlich gar nichts gäbe, das uns in höherem 3 4 5
Vgl. Aristoteles, De memoria et reminiscentia 1, 449b30–450b11. Vgl. Alexander von Aphrodisias, De anima, CAG Suppl. II.1, 72.6–8. Vgl. Alexander von Aphrodisias, De anima, CAG Suppl. II.1, 72.10–11.
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Maße bewegte und zum Wahrnehmen [ad apprehendendum] veranlasste. Denn freilich beteuern Demokrit und Epikur, wir könnten uns niemals, sei es im Wachen oder im Schlafen, etwas vorstellen, ohne dass neue Bilder in die Seele eintreten. Trotzdem muss immer etwas zurückbleiben, was dafür verantwortlich ist, dass [a] diese Bilder nicht für völlig neu, sondern für gleichsam bekannt gehalten werden und dass [b] zuvor erkannte Dinge leichter entgegentreten sowie leichter wiedererkannt und in Erinnerung gerufen werden als unbekannte. Dies darf ferner nicht etwas Farbiges, Ertönendes, Riechendes, Schmeckendes usf. sein; und es darf auch nicht so aussehen, als sei das Gehirn voll von derartigen Eigenschaften. Es muss vielmehr etwas geben, wodurch das Vermögen so bewegt wird, wie es bewegt wurde, als es das anwesende sinnenfällige Ding aufgrund eben dieses Dinges sinnlich wahrgenommen hat. Auch dieses anwesende sinnenfällige Ding bewegt das Vermögen nicht, indem es seine eigene Farbe, Geruch oder Geschmack ins Gehirn sendet, sondern indem es das Sinnesorgan so affiziert, dass durch die Nervenverbindungen ein gewisser Rücksprung der Lebensgeister im Gehirn stattfindet, wobei sowohl das Gehirn als auch das ihm innewohnende Vermögen erschüttert werden. Aus diesem Grund kann es ausreichen, wenn das, was zurückbleibt, so beschaffen ist, dass durch dessen Vermittlung sich ein solcher Schlag gleichsam wiederholt. Schließlich kann sich folgendes ergeben: Im Gehirn entsteht gleichsam eine Falte, da der Schlag auf eine weiche Sache trifft; demgemäß werden die durch das Gehirn hindurch strömenden Lebensgeister immer wieder die gleiche Bewegung auslösen, sooft sie an diese Falte herankommen; und das auf gleiche Weise affizierte Vermögen wird auf gleiche Weise wahrnehmen bzw. sich vorstellen, dass es wahrnimmt. Eine derartige Falte wird eigentlich eine Art Spur sein. Denn wie eine Spur, die vom Fuß eines Tieres eingedrückt wurde, so beschaffen ist, dass sie zu einem Erfassen [apprehensio] oder einem Bild [imago] des Tieres führt, von dem sie eingedrückt wurde, ebenso ist diese Falte so beschaffen, dass sie eine wiederholte Vorstellung [imaginatio] des sinnenfälligen Dinges erzeugt, durch das sie hervorgebracht wurde. Sie wird zudem eine Art Abdruck [typus] sein. Auch sie entsteht nämlich durch einen bestimmten Eindruck [impressio] und hat, diesem Eindruck entsprechend, eine besondere Gestalt, weshalb sie ein besonderes Zeichen [signum] vielmehr dieses Dinges als eines anderen ist. Denn auch Farbe, Geruch, Geschmack und die übrigen Qualitäten oder vielmehr die Korpuskel, aus denen diese bestehen, haben eine besondere Gestalt, und auf besondere Weisen affizieren sie die Sinnesorgane und fügen ihnen Stöße zu. Dem steht nicht entgegen,
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dass Alexanders6 Frage, wie denn die Gestalt all dieser Qualitäten beschaffen sein solle, nicht beantwortet werden kann. Denn diese Qualitäten sind freilich keine Gestalten, (II.405b) werden aber mit Hilfe von Gestalten wahrgenommen, weil diese eingedrückt [impressae] sind.K12 Kann also ‹diese Falte› eine species oder ein Bild genannt werden? Hier sind nun zweierlei species zu unterschieden, die in der Vorstellungskraft erkannt werden: nämlich die species impressa und die species expressa.K13 Die species impressa ist nämlich nichts anderes als die Falte selbst, d. h. der Abdruck und die Spur, die durch den erfolgten Eindruck zurückgelassen wurde und nicht in dem Vermögen angesiedelt ist, das gerade ‹etwas› wahrnimmt oder sich ‹etwas› vorstellt. Die species expressa hingegen ist nichts anderes als das, was wir gleichsam sehen [intuemur] oder wahrnehmen, wenn wir uns das Ding selbst vorstellen oder an es denken. So heißt es bei Cicero: Nulla species cogitari potest nisi appulsu imaginum.7 Deshalb ist lediglich die species expressa eine species oder ein Bild in eigentlichem Sinn. Denn sie allein ist so beschaffen wie das Ding, das wir uns vorstellen; sie ist vielmehr das Ding selbst, sofern es Objekt einer Vorstellung wird und, wie man gewöhnlich sagt, objektiv [objective] in der Vorstellungskraft selbst existiert.K14 Die species impressa ist aber nicht so sehr eine species oder ein Bild, sondern die Ursache und Gelegenheit dafür, dass wir eine solche species oder ein solches Bild formen. Allein aus diesem Grund kann man ihr diesen Namen geben. Und allein aus diesem Grund kann man sie auch phántasma oder Gesehenes bzw. Erscheinendes [visum] nennen. Denn diese Bezeichnung kommt in eigentlichem Sinn nur der species expressa zu, da nur diese das ist, was gesehen wird oder erscheint und lediglich durch den Vorstellungsakt [actus imaginandi] selbst bestehen kann. Und es ist gewiss: Wenn wir ein anwesendes Ding sehen [intuemur], so richtet sich und achtet das Vermögen nicht auf sich selbst oder auf das Gehirn, das den Stoß erhält, sondern auf dieses Ding, von dem die Bewegung bis hin zum Vermögen ausgegangen ist. Ebenso: Wenn wir uns ein abwesendes Ding vorstellen, so richtet sich und achtet das Vermögen nicht auf sich selbst, auf das Gehirn oder auf die im Gehirn zurückgelassene Spur, sondern einzig auf dieses Ding. Und da dieselbe Bewegung ‹im Gehirn› hervorgebracht wurde, nimmt das Vermögen für sich dieses Ding auf dieselbe Weise als Objekt wahr, wie das Ding erscheint. […] Wie also die species kein Gemälde ist, so wird sie nicht an sich betrachtet, 6 7
Vgl. Alexander von Aphrodisias, De anima, CAG Suppl. II.1, 72.10–11. „Keine species kann gedacht werden, ohne dass Bilder herangedrückt werden.“ Vgl. Cicero, De divinatione II 67, 137.
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sondern sie ist lediglich das, auf dessen Grund etwas anderes erkannt wird: nämlich das Ding, von dem sie eingedrückt wurde. So wird auch die species, die dem Auge eingedrückt wurde, nicht selbst gesehen, sondern sie ist allein das, aufgrund dessen das Ding gesehen wird, von dem sie gesendet wurde. […] (II.410a) Die zweite Tätigkeit der Vorstellungskraft [phantasia] ist die Zusammensetzung [compositio] und Trennung [divisio]K15 bzw. die Zustimmung und Ablehnung, die auch Behauptung und Verneinung und ebenso Proposition, Aussage oder Urteil (verstanden als ein Urteil in Aussageform) genannt wird. Wir haben ja schon angedeutet: Die Vorstellungskraft ist zwar nicht imstande, sich gleichzeitig auf mehrere verschiedene Dinge zu richten oder auf sie zu achten, aber sie kann sich auf sie richten und auf sie achten, wenn diese eine gemeinsame Hinsicht aufweisen, anhand deren eine Verbindung oder eine Trennung erfolgt; so dass eine Vorstellung, die gleichsam eine ganze ist, aus gleichsam zwei oder drei Teilvorstellungen besteht. […] (II.410b) Wenn etwa ein Hund einen Menschen kommen sieht und gleich darauf, ohne diese Wahrnehmung aufzugeben, sein eigenes Herrchen wahrnimmt, verbindet er beide Wahrnehmungen und scheint in seiner Vorstellungskraft diesen Akt hervorzubringen: „Der, der kommt, ist das Herrchen.“ Ein Beleg dafür ist, dass der Hund zu ihm läuft. Falls er, näher gekommen, andere Merkmale als die seines Herrchens sieht, dann trennt er beide Wahrnehmungen voneinander und scheint diesen Akt hervorzubringen: „Der, der kommt, ist nicht das Herrchen.“ Daher wendet er sich von ihm ab. […] (II.411b) Die dritte Tätigkeit ‹der Vorstellungskraft› ist das Schließen [ratiocinatio], welches auch Inferenz [argumentatio], Schlussfolgerung vom einen auf das andere und Urteil durch Folgerung genannt wird. […] (II.412a) Sicherlich verstehen wir unter dem Begriff „Vernunft“ [ratio] das Vermögen zum Schließen oder den Ursprung des Schließen; und Schließen ist nichts anderes, als das eine aus dem anderen beim Erkennen zu folgern. […]
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2.2.3 Auszüge aus Disquisitio metaphysica seu Dubitationes et instantiae adversus Renati Cartesii Metaphysicam et Responsa (1644) (zitiert als: Disquisitio metaphysica)
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(III.318a) Zweiter Einwand gegen Descartes’ Dritte Meditation Der äußere Ursprung aller Ideen, auch der Idee der Chimären sowie der Idee des Dinges, der Wahrheit und des Denkens. Sodann unterteilst du die Ideen (die du als Gedanken auffasst, sofern sie gleichsam Bilder [imagines] sind) in angeborene, von außen hinzukommende und selbst gebildete. Und zwar legst du fest, es gehöre zur ersten Gattung, dass du verstehest, was ein Ding, was Wahrheit, was Denken sei; zur zweiten, dass du ein Geräusch hörest, die Sonne siehest, die Wärme des Feuers spürest; zur dritten, dass du Sirenen und Hippogryphen bildetest. Du fügst auch hinzu, alle könnten vielleicht von außen hinzugekommen oder angeboren oder gebildet sein, insofern du ihren wahren Ursprung noch nicht klar erkannt habest.8 Damit sich nun ein Irrtum nicht einschleicht, bevor man ihn erkannt hat, gilt es zu bemerken, dass alle Ideen von außen hinzuzukommen bzw. von Dingen auszugehen scheinen, die außerhalb des Geistes selbst existieren und unter einen Sinn fallen.K16 Der Geist besitzt nämlich nicht nur das Vermögen (oder ist vielmehr selbst das Vermögen), die von außen hinzukommenden Ideen (d. h. diejenigen, die er von den Dingen mittels Übertragung durch die Sinne empfängt) zu erfassen [perspicere] – zu erfassen, meine ich, als nackt und deutlich und überhaupt als so beschaffen, wie er sie aufnimmt –, sondern auch ‹das Vermögen›, diese Ideen auf verschiedene Weise zusammenzusetzen, zu trennen, zu verkleinern, zu vergrößern, zu vergleichen und desgleichen mehr. Daher ist zumindest die dritte Gattung von Ideen nicht verschieden von der zweiten. Denn die Idee einer Chimäre ist nichts anderes als die Idee eines Löwenkopfes, eines Ziegenkörpers und eines Schlangenschwanzes, die der Geist zu einer einzigen Idee zusammensetzt, obwohl diese Ideen gesondert oder einzeln von außen hinzugekommen sind. So ist die Idee eines Giganten, d. h. eines Menschen, den man so groß wie einen Berg oder wie die ganze Welt auffasst, nichts anderes als eine von außen hinzugekommene Idee. Sie ist etwa die Idee eines gewöhnlich großen Menschen, die der Geist nach Belieben vergrößert, wenngleich 8
NB: Die im Text der Disquisitio metaphysica eingebauten kursiven Sätze oder Satzteile sind mehr oder weniger wörtliche Zitate aus Descartes’ Meditationes de prima philosophia bzw. aus dessen Responsa.
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sie umso verworrener wird, je größer er sie auffasst. So ist die Idee einer noch nicht gesehenen Pyramide, Stadt oder anderen Sache lediglich die von außen hinzugekommene Idee einer zuvor gesehenen Pyramide, Stadt oder anderen Sache, allein in mancher Hinsicht verändert und somit auf eine verworrene Weise vervielfältigt und verglichen. Was die species angeht, die du angeboren nennst, so scheint es sie eigentlich nicht zu geben, und alle, die als solche bezeichnet werden, scheinen ebenfalls äußeren Ursprungs zu sein. Ich begreife, sagst du, aufgrund meiner eigenen Natur, was ein Ding ist. Ich glaube aber nicht, dass du hier von der Begreifenskraft [vis intelligendi] sprechen willst, über die ja weder Zweifel noch Fragen aufgeworfen wurden, sondern vielmehr von der Idee des Dinges. Auch sprichst du nicht von der Idee eines bestimmten Dinges. Denn die Sonne, dieser Stein, alle Einzeldinge sind doch Dinge, von denen du nicht sagst, es gebe von ihnen angeborene Ideen. Du sprichst also von der Idee des Dinges im allgemeinen, sofern sie gleichbedeutend mit dem Seienden [ens] ist und sich ebenso weit wie dieses erstreckt. Ich frage dich jedoch: Auf welche Weise kann diese Idee im Geist sein, wenn sich dort nicht zugleich alle Einzeldinge und ihre Gattungen finden, aus denen der Geist durch Abstraktion einen Begriff [conceptus] bilden soll, der keinem Einzelding eigen ist und dennoch allen zukommt? Gewiss, wenn die Idee des Dinges angeboren ist, dann werden auch die Idee des Tieres, der Pflanze, des Steines und aller Universalien angeboren sein. Und es wird sich auch erübrigen, dass wir uns um die Erkenntnis bemühen, wie sich mehrere Einzeldinge voneinander unterscheiden, (III.318b) um dann nach Abtrennung mannigfaltiger unterscheidender Merkmale lediglich das zurückzubehalten, was allen gemeinsam zu sein scheint: nämlich die Idee einer Gattung. Du sagst auch, du begreifest aufgrund deiner Natur, was Wahrheit sei, oder, wie ich es verstehe, die Idee der Wahrheit. Wenn nun aber Wahrheit nichts anderes ist als die Übereinstimmung eines Urteils mit dem Ding, über das geurteilt wird, dann ist Wahrheit eine gewisse Beziehung und folglich nichts Verschiedenes von eben dem Ding und der Idee, die aufeinander bezogen werden: oder – was dasselbe ist – nichts Verschiedenes von eben der Idee des Dinges. Denn diese Idee repräsentiert sowohl sich selbst als auch das Ding nach seiner Beschaffenheit. Daher ist auch die Idee der Wahrheit nichts anderes als die Idee des Dinges, sofern sie mit dem Ding übereinstimmt, d. h. sofern sie das Ding nach seiner Beschaffenheit repräsentiert. Somit ist auch die Idee der Wahrheit eine von außen hinzukommende und keine angeborene, da schon die Idee des Dinges keine angeborene, sondern eine von außen hinzukommende ist. Und
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da man dies von jeder beliebigen Einzelwahrheit versteht, kann man es auch von der Wahrheit im allgemeinen verstehen, deren Begriff [notio] oder Idee (wie schon bezüglich der Idee des Dinges geschildert wurde) aus Begriffen bzw. Ideen von Einzeldingen ermittelt wird.K17 Du behauptest ferner, du begreifest aufgrund deiner Natur, was Denken sei (hierunter verstehe ich immer die Idee des Denkens). Jedoch kann der Geist, wie er mit Hilfe der Idee einer Stadt die Idee einer anderen Stadt bildet, ebenso mit Hilfe der Idee einer Tätigkeit, etwa der des Sehens oder Schmeckens, die Idee einer anderen Tätigkeit bilden: wie eben die des Denkens. Denn es lässt sich eine gewisse Analogie unter den kognitiven Vermögen [facultates cognoscentes] feststellen, und das eine Vermögen führt leicht zur Kenntnis des anderen. Daher sollten wir uns nicht über die Idee des Denkens den Kopf zerbrechen, sondern vielmehr über die Idee des Geistes selbst und besonders über die Idee der Seele. Wenn wir nämlich zugeben, dass diese angeboren ist, dann wird uns nichts daran hindern, zuzugeben, dass auch die Idee des Denkens angeboren ist. Daher gilt es abzuwarten, solange dies bezüglich des Geistes oder der Seele nicht bewiesen worden ist. […] (III.319b) Instantia II Da du dich insbesondere erstaunt zeigst über das, was ich bezüglich der Idee des Dinges eingewendet habe, bemerke ich zunächst, wie voreilig du das zurückgewiesen hast. Denn anders, als du sagst, hatte ich gar nicht behauptet, die Idee des Dinges könne nicht im Geist sein, wenn dort nicht zugleich die Ideen des Tieres, der Pflanze, des Steines und aller Universalien seien; sondern ich hatte zunächst gefragt, wie die Idee des Dinges im Geist sein könnte, wenn dort nicht zugleich ausreichend Einzeldinge und Gattungen von Einzeldingen vorhanden wären, um den allgemeinen Begriff des Dinges abstrahieren und bilden zu können. Erst dann habe ich behauptet: Wenn die Idee des Dinges angeboren wäre, so wären auch die Ideen des Tieres, der Pflanze, des Steines und der anderen Dinge angeboren, die ebenso wie die Idee des Dinges universal sind. Ferner bemerke ich, wie wenig du im Einklang mit dem, was ich gesagt hatte, deine Schlussfolgerung gezogen hast. So hättest du zumindest erläutern müssen, ob für deine Erkenntnis, dass du ein Ding bist, neben deiner Selbsterkenntnis auch die Erkenntnis eines oder mehrerer Einzeldinge erforderlich ist oder nicht. Diese Erläuterung hast du aber klugerweise vernachlässigt und mit der ausweichenden Formel als ob unbemerkt übergangen. Oder wirst du etwa behaupten, diese Erklärung sei deshalb nicht nötig gewesen, weil mit der Feststellung, dass die Idee des
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Dinges angeboren sei, es offensichtlich geworden sei, dass keine Erkenntnis von Einzeldingen neben deiner Selbsterkenntnis erforderlich sei? Aber zunächst hattest du das noch nicht festgestellt, als es entscheidend gewesen wäre, es festgestellt zu haben. Und ob du es nun festgestellt hattest oder nicht – es bleibt immer dieselbe Schwierigkeit. Wenn du nämlich sagst: Ich bin ein Ding, ist der Begriff des Dinges entweder singulär oder universal. Wenn er singulär ist, dann ist er der Begriff von dir selbst. Denn wäre er der Begriff von etwas anderem, so wäre der Sinn des Satzes dieser: Ich bin ein anderer als ich selbst. Wenn er aber der Begriff von dir selbst ist, dann ist der Satz ein (wie man sagt) tautologischer und nutzloser Satz. Denn es ist so, als du sagtest: Ich bin ich. Wenn der Begriff des Dinges hingegen universal ist, dann beinhaltet er einen Vergleich zwischen dir und anderen Dingen, denen dasselbe Attribut zukommt. Und das ist so, als du sagtest: Ich bin ein gewisses Ding oder eines aus der Anzahl der Dinge. Daher müssen zusätzlich zu deiner Selbsterkenntnis auch andere Dinge erkannt werden. Wenn du somit ein denkendes Ding sagst, erfüllt das Wort denkend zweifelsohne die Funktion einer spezifizierenden Differenz [differentia], die den Umfang des Wortes Ding einschränkt. (III.320a) Wenn du etwa sagst: Ich bin ein denkendes Ding, bedeutet dies: Ich bin kein beliebiges Ding, sondern ein solches, das denkt. Folglich müssen auch andere, nicht denkende Dinge erkannt worden sein. Wozu das Ganze? Damit wir einsehen, dass die Idee des Dinges nicht angeboren ist, sondern in Wahrheit aus der Beobachtung [ex inspectione] mehrerer Einzeldinge erworben wurde, indem durch Abtrennung der unterscheidenden Merkmale nur ein gemeinsamer Begriff [notio communis] zurückbehalten wurde. […] Dritter Einwand gegen Descartes’ Dritte Meditation Der äußere Ursprung der Ideen lässt sich aufgrund dessen beweisen, was einem Blinden und einem Tauben fehlt. Es gibt zudem eine einzige Idee der Sonne, die vom Sinn empfangen und von der Vernunft vergrößert wird. Du scheinst sodann nicht nur in Zweifel zu ziehen, ob einige Ideen von den äußeren Dingen herrühren, sondern auch, ob es überhaupt äußere Dinge gibt. Du scheinst somit folgenden Schluss zu ziehen: Obwohl in dir Ideen von sogenannten äußeren Dingen vorhanden seien, würden diese Ideen nicht beweisen, dass es diese Dinge gebe, da sie nicht von ihnen herrühren müssten, sondern von dir oder auf irgendeine andere Weise zustande kommen könnten. Ich glaube, aus diesem Grund sagtest du oben, du habest nicht zunächst die Erde, den Himmel, die Sterne erfasst, sondern die Ideen der Erde, des Himmels, der Sterne, von denen eine Täuschung ausgehen könne. Wenn du also nicht (III.320b) glaubst, dass die
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Erde, der Himmel, die Sterne usw. existieren, dann frage ich: Warum läufst du auf der Erde oder bewegst du deinen Körper, um auf die Sonne zu schauen? Warum näherst du dich dem Feuer an, um die Wärme zu spüren? Warum dem Tisch oder einem Mahl, um den Hunger zu stillen? Warum bewegst du die Zunge zum Sprechen oder die Hand, um mir dies zu schreiben? Man kann freilich so etwas sagen oder sich so etwas auf subtile Weise ausdenken. Das bringt aber die Sache keinen einzigen Schritt voran. Und da du in Wahrheit nicht bezweifelst, dass es diese Dinge außerhalb von dir gibt, lass uns ernsthaft und in gutem Glauben vorgehen und so von den Dingen sprechen, wie sie sind.K18 Wenn du aber unter der Annahme, dass die äußeren Dinge exisitieren, für ausreichend bewiesen hältst, dass wir die Ideen, die wir von ihnen übernehmen, nicht von ihnen selbst erwerben können, dann fällt es dir zu, die Gegenargumente zu entkräften – und zwar nicht nur die, die du selbst gegen dich anführst, sondern auch die, die zusätzlich vorgebracht werden können. Du hältst nämlich fest, es sei so, als gebe man deshalb zu, dass die Ideen von den Dingen herrühren, weil die Natur uns so zu belehren scheint und weil wir erfahren, dass die Ideen nicht von uns oder unserem Willen abhängen. Wir sollen aber Argumente und Lösungen nicht völlig übergehen. So hätte man unter anderen auch diesen Einwand aufwerfen und beantworten müssen: Aus welchem Grund ist in einem Blindgeborenen keine Idee der Farbe oder in einem Tauben keine Idee der Stimme anzutreffen? Doch nur deshalb, weil die äußeren Dinge keine einzigen species von sich selbst in den Geist dieser Unglücklichen hinein senden konnten, da die Pforten für den Durchgang dieser species von Geburt an verschlossen und die Riegel schon immer davor geschoben waren. Du bemühst weiterhin das Beispiel der Sonne, da es von ihr zwei Ideen gibt: Die eine, nach der sie klein erscheint, wird aus den Sinnen geschöpft; die andere, nach der sie sich als außerordentlich groß erweist, aus den Beweisgründen der Astronomie. Diejenige ist ähnlicher und kommt der Wahrheit näher, die nicht den Sinnen entnommen, sondern aus angeborenen Begriffen gewonnen oder aus welchem anderen Grund auch immer hervorgebracht wurde. Allerdings sind diese Zwillingsideen der Sonne ‹ihr› ähnlich und wahr, d. h., beide stimmen mit der Sonne überein, die eine jedoch mehr, die andere weniger. Auf gleiche Weise sind zwei Ideen desselben Menschen, von denen die eine aus zehn Schritten Entfernung, die andere aus hundert oder tausend Schreitten gesendet wurde, ‹ihm› ähnlich und wahr, d. h., sie stimmen ‹mit ihm› überein, nur eben die eine mehr, die andere weniger. Denn die aus der kleineren Entfernung ist weniger abgerieben [deteritur], die aus der größeren Entfer-
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nung hingegen mehr. So könnte man vielleicht diesen Sachverhalt erklären, wenn dies mit wenigen Worten möglich wäre – und wenn du selbst ihn nicht schon ausreichend verstanden hättest. Dass wir nur durch den Geist jene ungeheuer große Idee der Sonne erfassen, beweist aber nicht, dass sie aus einem angeborenen Begriff gewonnen wird. Sondern die Erfahrung zeigt, und die auf Erfahrung gestützte Vernunft bestätigt, dass die Dinge aus der Entfernung kleiner erscheinen als aus der Nähe. So wird die Idee ‹der Sonne›, die durch die Sinne eintritt, durch die Kraft des Geistes selbst vergrößert, nämlich im Verhältnis zum Abstand der Sonne von uns und im Verhältnis zu deren Durchmesser, der soundso vielen Radii der Erde gleichkommt. Und willst du einsehen, dass von einer solchen Idee ‹der Sonne› die Natur uns nichts eingepflanzt hat? Suche sie doch bei einem Blindgeborenen! Du wirst erstens erfahren, dass sie in seinem Geist weder Farbe noch Leuchtkraft aufweist. Ferner wirst du feststellen, dass sie auch nicht rund ist, es sei denn, dass jemand ihn darauf aufmerksam gemacht und er selbst einen runden Körper mit seinen Händen bereits ertastet hat. Schließlich wirst du erfahren, dass sie nicht so groß ist, es sei denn, er hat durch eigene Schlussfolgerung oder fremde Autorität die bereits erfasste Idee nicht vergrößert. Doch ich werfe folgende Frage auf: Haben wir selbst, die wir so oft die Sonne erblickt, so oft ihren erscheinenden Durchmesser beobachtet, so oft ihren wahren berechnet haben – haben wir etwa, frage ich dich, ein anderes Bild von der Sonne als das landläufige? (III.321a) Wir folgern zwar mit der Vernunft [ratione], dass die Sonne mehr als hundertsechzig Mal so groß ist wie die Erde. Aber haben wir deshalb die Idee eines so außerordentlich großen Körpers? Wir vergrößern ja die aus den Sinnen aufgenommene Idee, soweit wir das können. Dennoch erschaffen wir uns nichts anderes als ein bloßes Schattengebilde. Und sooft wir einen deutlichen Gedanken der Sonne haben wollen, muss der Geist zu der species zurückgreifen, die er durch Vermittlung des Auges aufgenommen hat. Es genügt schon, wenn der Geist sich nicht dagegen wehrt, dass die Sonne in Wirklichkeit größer ist und dass er eine größere Idee von ihr erwerben würde, wenn das Auge ihr näher käme. Inzwischen soll er sich allerdings einer so großen Idee zuwenden, wie groß er sie gewonnen hat. […]
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(III.322b) Instantia II […] Ich referiere dies, um dich daran zu erinnern, dass du Ideen in eigentlichem Sinn als bestimmte Bilder [imagines] oder Darstellungen [similitudines] der Dinge aufgefasst hast. Aber die Akte des Behauptens, Verneinens, Fürchtens, Wollens oder all das, was in diesen Akten anzutreffen ist außer den Bildern oder Darstellungen derjenigen Dinge, die wahrgenommen werden, wenn sie behauptet, verneint usw. werden, dürfen nicht selbst als Ideen angesehen werden. Und wenn sie trotzdem so angesehen werden, dann geschieht dies zumindest in uneigentlichem Sinne. Zweitens wirfst du mir vor, dass ich die Bezeichnung „Idee“ auf die in der Vorstellungskraft abgemalten [depictae] Bilder beschränke. Ich beschränke sie aber weder auf die in der Vorstellungskraft noch auf die im Verstand abgemalten Bilder, sondern erweitere sie vielmehr auf alle Bilder, die wir in uns erfahren können: welche auch immer, wie auch immer, und wo auch immer. Was wirfst du mir also vor? Oder: Was ist der Unterschied zwischen dir und mir? Folgender: Ich vertrete als allgemeinen Begriff der Idee, den ich dir vorin auch bewiesen habe, dass eine Idee ein Bild ist. Du kommst aber, schnell vergesslich, zum Schluss, dass eine Idee kein Bild sei und dass du nicht sagen könnest, was für ein Ding sie dir repräsentiere. Du kannst aber kaum ertragen, dass ich dir widerspreche oder von dir wissen möchte, was für ein Ding du denn dir vorstellst, von dem du angeblich eine Idee hast und von dem ich erfahre, dass ich kein Bild von ihm habe. Deshalb wendest du ein, ich nähme Ideen oder Bilder in Anspruch, wie sie in der Vorstellungskraft, nicht aber im Verstand abgemalt würden. Denn in diesem Fall ergäbe sich tatsächlich der Unsinn, dass die Bilder, die sich in der Vorstellungskraft befinden (wie das Bild der Sonne mit einem Fuß Durchmesser), klar und deutlich wären, die Bilder hingegen, die sich im Verstand befinden (wie das Bild der Sonne als mehr denn einhundertundsechzig Mal so groß wie die Erde), dunkel und verworren. Du könntest dann ganz leugnen, dass sie Bilder sind, und trotzdem annehmen, dass sie wahre und eigentliche Ideen sind. Sicher wie du bist, dass du sie klar und deutlich erfasst, brichst du in Anschuldigungen aus, als ob du allein über den Verstand verfügen würdest und ich mich dagegen nur an die Vorstellungskraft [phantasia] oder Vorstellung [imaginatio] hielte. Wenn die Leser jedoch gelesen haben, was ich über die Idee und die scheinbare und wahre Größe der Sonne in meinem Einwand gesagt habe, dann werden sie wohl gesehen haben und sich dessen erinnern, was ich zur vorhergehenden Meditation bemerkt habe. Ich wiederhole nur dies: Es ist nicht dasselbe, wenn wir etwas
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einerseits durch eine wahre Idee oder ein Bild erfassen oder aber andererseits durch eine notwendige Schlussfolgerung, die von einer zuvor aufgestellten Annahme ausgeht. Denn auf die erste Weise begreifen wir [concipimus], dass ein Ding so und so beschaffen ist; auf die zweite Weise hingegen, dass es so und so beschaffen sein muss. Und wie wir auf die erste Weise ein Ding deutlich und genau so begreifen [intelligimus], wie es an sich ist, so begreifen wir es auf die zweite Weise nur konfus und durch Analogie, d. h. in Bezug auf etwas, das durch irgendeine Idee erfasst wird. Ein Beispiel wurde bereits vorgebracht: Es begegnen uns zwei Menschen, der eine mit unverhülltem Gesicht, der andere maskiert. Das Gesicht des ersten Menschen erfassen wir durch eine wahre Idee oder ein Bild; das des zweiten durch eine Schlussfolgerung, die davon ausgeht, dass wir bei ihm die übrigen Merkmale [indicia] einer menschlichen Gestalt erkennen (III.323a). Im ersten Fall begreifen wir also auch, dass es ein menschliches Gesicht ist; im zweiten Fall hingegen, dass es ein menschliches Gesicht sein muss. Und wie wir das Gesicht des ersten Menschen deutlich und genauso erkennen, wie es an sich ist, so erkennen wir das des zweiten nur verworren und durch die Analogie zum Gesicht der übrigen Menschen, bei denen wir Stirn, Nase, Kinn, Augen, Wangen, Mund und weiteres beobachtet haben, wie sie auch dieser zweite Mensch haben muss.K19 […] Vierter Einwand gegen Descartes’ Dritte Meditation Die Idee der Substanz ist uneigentlich, anhand von Akzidenzien gewonnen und diesen ähnlich. Die Idee Gottes ist den Dingen oder ihren Vollkommenheiten entnommen. Du besinnst dich alsdann auf die Ungleichheit und Verschiedenheit unter den Ideen. Ohne Zweifel sind die Ideen, sagst du, die mir eine Substanz darstellen, etwas Größeres und enthalten in sich, um so zu sprechen, mehr objektive Realität als diejenigen, die nur Modi oder Akzidenzien repräsentieren. Und ferner hat die Idee, durch die ich einen höchsten Gott begreife, der ewig, unendlich, allmächtig und Schöpfer aller außer ihm existierenden Dinge ist, sicherlich mehr objektive Realität in sich als die Ideen, durch die endliche Substanzen dargestellt werden. Hier schreitest du sehr schnell voran. Daher solltest du kurz Halt machen. Ich verweile freilich nicht bei dem, was du objektive Realität nennst. Man sagt ja gewöhnlich, dass die äußeren Dinge subjektiv [subjective] oder formal [formaliter] in sich selbst existieren, objektiv [objective] oder ideal [idealiter] aber im Verstand. Deshalb genügt, dass du nichts anderes zu fordern scheinst, als dass die Idee mit dem Ding, dessen Idee sie ist, übereinstimmen muss, und zwar so, dass sie als Repräsentation [represen-
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tative] nichts enthalten soll, was nicht tatsächlich in eben diesem Ding vorhanden ist, und dass sie umso mehr Realität repräsentieren soll, je mehr Realität das repräsentierte Ding in sich hat.K20 Gewiss, du grenzst sogleich die objektive Realität von der formalen Realität ab; und letztere ist, wie ich verstehe, die Idee selbst nicht insofern, als sie ‹etwas› repräsentiert, sondern insofern, als sie eine eigenständige Entität ist. Außerdem steht fest, dass weder die Idee noch ihre objektive Realität nach der gesamten formalen Realität des Dinges zu bemessen ist, d. h. nach der Realität, die das Ding selbst in sich hat; sondern nur nach dem Teil, von dem der Verstand Kenntnis genommen hat, d. h. nach der Kenntnis, die der Verstand vom Ding hat. Somit wird man sagen, (III.323b) dass in dir die vollkommene Idee eines Menschen vorliegt, den du aufmerksam und vielmals und von allen Seiten betrachtet hast, während die Idee eines Menschen, den du nur flüchtig, nur ein Mal und nur von einer Seite gesehen hast, ausgesprochen unvollkommen sein wird. Wenn du also nicht den Menschen selbst gesehen hast, sondern nur eine Maske, die sein Gesicht verbirgt, und Kleider, die seinen Körper vollständig bedecken, dann muss man entweder sagen, dass in dir keine Idee von ihm vorliegt, oder dass, wenn eine vorliegt, sie äußerst unvollkommen und in höchstem Maße verworren ist. Daraus schließe ich, dass wir freilich über eine deutliche und zuverlässige Idee der Akzidenzien verfügen, aber von der darunter verborgenen Substanz nur eine verworrene und höchst ersonnene [ficta ad summum] Idee besitzen. Wenn du somit sagst, es liege mehr objektive Realität in der Idee der Substanz als in der Idee ihrer Akzidenzien vor, so ist erstens zu bestreiten, dass es eine wahre Idee oder Repräsentation der Substanz und daher auch irgendeine objektive Realität von ihr gibt. Und wenn man ferner eine ‹objektive Realität der Idee der Substanz› zulässt, so ist ebenfalls zu bestreiten, dass sie größer wäre als die, die in den Ideen der Akzidenzien vorliegt. Denn die ganze Realität dieser Art, die sie besitzt, erhält sie aus den Ideen jener Akzidenzien, durch die oder gemäß denen man die Substanz erfasst (wie wir oben dargelegt haben, als wir erklärt haben, wir könnten eine Substanz nur als etwas Ausgedehntes, Geformtes, Farbiges auffassen). Im Hinblick darauf, was du über die Idee Gottes hinzufügst, frage ich dich: Wenn es dir noch nicht bekannt ist, ob es einen Gott gibt, wie weißt du, dass Gott durch seine Idee als höchster, ewiger, unendlicher, allmächtiger Schöpfer aller Dinge repräsentiert wird? Weißt du es etwa nicht aufgrund deiner vorher erworbenen Kenntnis von Gott, und zwar weil du gehört hast, dass von Gott jene Attribute ausgesagt werden? Denn wenn du bis dahin nichts Derartiges gehört hättest, hättest du ihn
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etwa so beschrieben? Du wirst wohl sagen, dies werde jetzt nur als Beispiel angeführt, ohne dass irgendetwas bereits definiert worden sei. Meinetwegen. Doch gib acht, dass du dies später nicht als vorgefasstes Urteil annimmst. Du sagst, in der Idee von einem unendlichen Gott liege mehr objektive Realität vor als in der Idee von einem endlichen Ding. Da aber erstens der menschliche Verstand nicht imstande ist, die Unendlichkeit zu erfassen, besitzt und betrachtet [respicit] er keine Idee, die ein unendliches Ding repräsentieren kann. Auch jemand also, der etwas unendlich nennt, schreibt einem Ding, das er nicht begreift, eine Bezeichnung zu, die er nicht versteht. Denn ebenso, wie sich das Ding über alles hinaus erstreckt, was jemand erfassen kann, so kann die Negation der Grenze, die einer solchen Ausdehnung zugeschrieben wird, von keinem verstanden werden, dessen Intelligenz immer irgendeiner Grenze unterworfen ist. Ferner pflegt man Gott alle höchsten Vollkommenheiten zuzuschreiben. Diese scheinen alle aus den Dingen gewonnen worden zu sein, die wir gewöhnlich an uns selbst bewundern, wie etwa Beständigkeit, Macht, Wissen, Güte, Glückseligkeit usw. Diese vergrößern wir, soweit es uns möglich ist, und dabei sagen wir, Gott sei ewig, allmächtig, allwissend, vollkommen gut und glückselig usw. Die Idee nun, die all dieses repräsentiert, hat nicht deshalb mehr objektive Realität als die zusammengefassten endlichen Dinge, aus deren Ideen diese Idee zusammengesetzt und dann auf die bereits beschriebene Weise vergrößert wurde. Denn einer, der „ewig“ sagt, umfasst nicht deshalb mit seinem Geist die gesamte Spanne von Gottes Dauer, die niemals begonnen hat und niemals aufhören wird, sowie einer, der „allmächtig“ sagt, nicht die gesamte Mannigfaltigkeit aller möglichen Wirkungen; und ebenso verhält es sich auch mit den übrigen Begriffen. Kann schließlich jemand behaupten, eine zuverlässige Idee von Gott zu haben, d. h. eine Idee, (III.324a) die Gott so repräsentiert, wie er ist? Was für ein nichtiges Ding wäre Gott, wenn er nicht anders wäre und nicht andere Eigenschaften besäße als unsere, wie groß sie auch sein mögen? Muss man nicht vielmehr annehmen, dass zwischen Gottes Vollkommenheiten und denen des Menschen ein geringeres Verhältnis besteht als zwischen denen eines Elefanten und denen eines Tierchens auf seiner Haut, etwa einer Milbe? Wenn jemand aus der Beobachtung der Vollkommenheiten einer Milbe eine Idee in sich selbst bilden würde, die er als Idee des Elefanten bezeichnen und von der er versichern würde, sie sei zuverlässig, so würde man ihn für höchst albern halten. Und dann klatscht sich jemand Beifall, der aus der Beobachtung der Vollkommen-
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heiten des Menschen eine Idee bildet und behauptet, sie sei die Idee Gottes und sei auch zuverlässig? Ich frage mich auch, wie wir erkennen können, dass diese armseligen Vollkommenheiten, die wir in uns annehmen, in Gott sind? Und wenn wir das erkannt hätten – wie werden wir uns deshalb sein Wesen vorstellen können? Gott übersteigt wahrhaftig um Unendliches jegliche Fassungskraft [captus]. Und wenn sich unser Geist mit der Anschauung Gottes vergleicht, erweist er sich nicht nur als Finsternis, sondern als vollends nichtig. Aus diesem Grunde können wir nicht sagen, dass es irgendeine zuverlässige Idee gibt, die Gott repräsentieren kann. Und es ist mehr als genug, wenn wir anhand einer Analogie zu den gewohnten Dingen irgendeine Idee zu unserem Gebrauch gewinnen und bilden können, welche die menschliche Fassungskraft nicht übersteigt und keine Realität enthält, die wir in anderen Dingen oder aus Anlass anderer Dinge nicht erfassen würden.K21 […] (III.324b) Instantia I […] Wenn du beteuerst, dass die Ideen im Verstand sind und dass der Verstand durch sie die Dinge erkennt, deren Ideen sie sind – sind dann nicht auch Bilder im Verstand? Und erkennt der Verstand nicht durch Bilder? Denn was ist die Idee eines Dinges, wenn nicht ein Bild eben dieses Dinges? Eine Idee ist gewiss nur deshalb eine Idee, weil sie ein Ding repräsentiert; und ein Bild ist gewiss nur deshalb ein Bild, (III.325a) weil es ein Ding repräsentiert. Aber warum halte ich mich hier auf, wenn du selbst dies behauptet hast, wie bereits zuvor ersichtlich wurde? Was ist denn der Unterschied zwischen einer Vorstellung, bei der Dinge durch Bilder erfasst werden, und einem Begreifensakt, bei dem Dinge durch Bilder erfasst werden? Wirst du etwa hinzufügen, das Vorstellungsvermögen schlussfolgere nicht, der Verstand aber schon? Aber wie du leugnen wirst, dass die Vorstellungskraft schlussfolgert, ebenso werde ich leugnen, dass der Verstand sich ‹etwas› vorstellt. Und ich werde hinzufügen, dass es allein die Vernunft ist, die schlussfolgert. Denn jedem Vermögen soll die gleichnamige Funktion zukommen. So soll doch dem Vorstellungsvermögen [imaginatrix] die Vorstellung [imaginatio], dem Verstand [intellectus] das Begreifen [intellectio] und der Vernunft [ratio] das Schlussfolgern [ratiocinatio] zugeschrieben werden. Wenn du glaubst, dass ein und dasselbe Verstandesvermögen, das Dinge auf einfache Weise begreift [intelligit ], zugleich auch schlussfolgern bzw. das eine aus dem anderen ableiten kann – warum glaubst du denn nicht, dass dasselbe Vermögen sich ‹etwas› vorstellen kann? Und dies umso mehr, weil es nicht anders zu sein scheint, Dinge auf einfache
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Weise zu begreifen, als sich Dinge auf einfache Weise vorzustellen. Wirst du etwa sagen, dass im Vorstellungsvermögen nur körperliche Bilder vorliegen, im Verstand hingegen unkörperliche? Aber versuchen wir uns irgendeinen Körper vorzustellen und ihn zu begreifen: An welchem Merkmal wirst du schließlich das Bild dieses Körpers, das im Verstand existiert, von dem Bild desselben Körpers, das im Vorstellungsvermögen existiert, unterscheiden können? Sei ehrlich: Kannst du erkennen, dass in dir zwei Bilder dieses Körpers vorliegen? Und kannst du unterscheiden, wann du den Körper durch das eine und wann durch das andere Bild erfasst? Ich frage mich, ohne darauf verweilen zu wollen: Wieso glaubst du, dass ein solches Bild unkörperlich genannt werden soll, das selbst, um ‹etwas› zu repräsentieren, aus verschiedenen Teilen, Farben, Formen und Ähnlichem bestehen muss? (Darüber sollen wir uns bei einer passenderen Gelegenheit unterhalten.) Ich sage nur: Wenn es Bilder im Verstand gibt, so können sie auf dieselbe Weise etwas repräsentieren wie die Bilder, die, wie du zugibst, im Vorstellungsvermögen angesiedelt sind. Sicherlich repräsentiert keines von ihnen ein Ding wie in einem Punkt, sondern mit einer gewissen Ausdehnung oder einem gewissen Umfang. Davon mag der Geist auch soviel abtrennen [seponat ], wie er will, oder vielmehr, wieviel Materie oder Körperlichkeit [corpulentia] er abtrennen kann; dennoch wird immer eine gewisse Ausdehnung oder ein gewisser Umfang in diesem Bild übrig bleiben. Ausdehnung oder Umfang gehören aber in eigentümlicher Weise zu körperlichen Bildern, und du selbst gestehst zu, dass es solche im Vorstellungsvermögen gibt.K22 […] (III.325b) Instantia II Du sagst, die Substanz werde nicht durch eine Vorstellung, sondern durch den Verstand allein erfasst. Ich leugne nicht, dass die Substanz durch den Verstand erfasst wird. Denn es ist nicht möglich, dass etwas von den Akzidenzien Verschiedenes erfasst wird [concipi] ohne Abstraktion und Schlussfolgerung, die eigentümlich dem Verstand eignen. Ich behaupte jedoch, dass sie zugleich auch durch eine Vorstellung erfasst wird [percipi] – sei es, dass das Vorstellungsvermögen ein separates Vermögen ist, das mit dem Verstand zusammenwirkt, sei es, dass sie vielmehr ein und dasselbe Vermögen sind (im zuvor beschriebenen Sinn). Der Grund dafür aber ist, dass der Verstand nur dann eine Substanz durch die Veränderungen der Akzidenzien begreifen [intelligere] kann, wenn er diese Substanz wahrnimmt [apprehendit ]. Er kann sie jedoch nur mit Hilfe einer Idee oder Form wahrnehmen. Eine solche Idee ist ein Bild [imago], und eine Wahrneh-
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mung [apprehensio] durch ein Bild ist eine Vorstellung [imaginatio]. Daraus folgt, dass der Verstand nur durch eine Vorstellung [imaginando] eine Substanz begreifen kann. Du beteuerst aber, dass eine Substanz durch den Verstand allein und nicht auch durch eine Vorstellung erfasst wird [percipi]. So sollst du uns doch sagen: Wie geschieht dies? Was ist ein Begreifensakt [intellectio] anderes als das Erfassen [perceptio] einer Idee? Was ist eine Vorstellung anderes als das Erfassen [perceptio] eines Bildes? Und da eine Idee ein Bild ist, was ist ein Begreifensakt anderes als eine Vorstellung? Ob ferner die Idee der Substanz zuverlässig, klar und deutlich ist, ist eine andere Frage. Du behauptest, dass sie es ist; ich bestreite, dass sie es ist. Während du aber weder sagen willst noch sagen kannst, wie du sie auffasst, und dich nur über mich erhitzt, sage und erkläre ich guten Glaubens, wie ich sie auffasse. Ich sage nämlich, wir können die Substanz nur durch Schlussfolgerung und somit nur unter einer abstrakten, nicht ‹direkt› erfassten [impercepta] und auf Vermutung beruhenden Idee erfassen [percipere]. Denn da die Akzidenzien gleichsam die Kleider der Substanz sind, schließen wir von den Veränderungen der Akzidenzien darauf, dass es einen ihnen gemeinsamen Träger [subiectum] gibt, der bald diesen bald jenen Akzidenzien zugrunde liegt – ebenso wie wir beim Wechseln unserer Kleider begreifen, dass es einen Körper gibt, der bald diese bald jene Kleidungsstücke trägt. Aber auch wenn wir begreifen, dass sich unter den Kleidern ein Körper befindet, haben wir keine wahre Idee von ihm (wir wissen etwa nicht, ob er weiß oder dunkel, kahl oder behaart, rein oder befleckt ist usw.), sondern wir erfassen ihn nur verworren bzw. allgemein, gemäß den übrigen Körpern. Ebenso begreifen wir zwar, dass unter Ausdehnung, Gestalt, Farbe, Geruch, Weichheit und anderen Akzidenzien irgendein Träger verborgen sein oder vorliegen muss, den wir Substanz nennen, und trotzdem haben wir nicht deshalb eine zuverlässige Idee von ihm und können nicht mit Sicherheit sagen, wie er beschaffen ist […] (III.374b) Erster Einwand gegen Descartes’ Fünfte Meditation Zur Essenz der materiellen Dinge, die nur aufgrund von Quantität, Gestalt etc. erkannt wird. Und zur ewigen und unveränderlichen Natur, die den Ideen und den Universalien zuerkannt wird. […] (III.375a) Wenn man behauptet, der Mensch sei solcher Natur, dass er nicht existieren kann, ohne ein Lebewesen zu sein, so darf man nicht deshalb glauben, eine solche Natur sei irgendetwas oder irgendwo außerhalb des Verstands, sondern der Sinn ist nur: Etwas muss, um ein
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Mensch zu sein, allen anderen Dingen ähnlich sein, denen aufgrund ihrer wechselseitigen Ähnlichkeit dieselbe Bezeichnung „Mensch“ zugeschrieben wird. Diese Ähnlichkeit ist, wie ich meine, Ähnlichkeit unter singulären Naturen, die dem Verstand einen Anhaltspunkt bietet, um den Begriff [conceptus], die Idee oder die Form einer gemeinsamen Natur zu bilden, von der nicht abweichen darf, was als Mensch gelten soll. Dasselbe behaupte ich somit über dein Dreieck und seine Natur. Denn das geistige Dreieck ist gleichsam eine Regel, mit deren Hilfe du zu ermitteln suchst, ob etwas verdient, ein Dreieck genannt zu werden. Aber man darf nicht deshalb sagen, dass ein solches Dreieck etwas Reales und eine wirkliche Natur unabhängig vom Verstand ist, der allein, nach Maßgabe der gesehenen materiellen Dreiecke, diese Natur geformt und verallgemeinert hat, wie dies über die Natur des Menschen ausgeführt wurde. (III.388a) Zweiter Einwand gegen Descartes’ Sechste Meditation Die Sinneswahrnehmung täuscht nicht immer. […] Täuschung oder Falschheit liegen nicht in der Sinneswahrnehmung, die sich ja rein passiv verhält und nur das wiedergibt, was erscheint und aufgrund seiner Ursachen so erscheinen muss, sondern im Urteil, d. h. in einem Geist, der nicht umsichtig genug handelt und nicht bemerkt, dass Dinge, die weit entfernt sind, aus diesem oder anderen Gründen verworrener und kleiner erscheinen als dann, wenn sie nahe sind – und so weiter. Nichtsdestoweniger dürfen wir, wann immer eine Täuschung vorkommt, nicht leugnen, dass eine Täuschung vorkommt. Die Schwierigkeit liegt nur darin, ob es nicht immer so ist, dass man sich niemals der Wahrheit irgendeines Dinges sicher sein kann, das sinnlich erfasst wurde [sensibus perceptae]. […] (III.388b) Wenngleich die Vernunft uns von vielem abbringen mag, wozu die Natur uns drängt, so kann sie zumindest nicht die Wahrheit dessen in Zweifel ziehen, was erscheint: die Wahrheit des Phänomens (toû phainoménou).
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3. Thomas Hobbes Klaus Corcilius
3.1 Einleitung 3.1.1 Kurzbiographie Thomas Hobbes kam im April 1588 in der Nähe von Malmesbury, einer kleinen Stadt im Südwesten Englands, zur Welt. Er stammte aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war ein kleiner Kirchenbeamter ohne Vermögen. Hobbes’ Onkel nahm sich seiner Erziehung an und sorgte dafür, dass er schon früh eine gründliche Ausbildung in Griechisch und Latein bekam. Nach einem sechsjährigen Studium in Oxford, wo er vor allem Aristotelische Naturphilosophie hörte, schloss er als Bachelor ab und wurde Hauslehrer bei der Familie Cavendish, den Grafen von Devonshire. Hobbes sollte für den Rest seines Lebens entweder in fürstlichen Diensten oder unter dem Schutz adliger Herren stehen. Dies ermöglichte ihm ein Gelehrtenleben frei von materiellen Nöten, brachte ihn in freundschaftlichen Kontakt mit Philosophen und Naturwissenschaftlern wie Bacon und William Harvey und verschaffte ihm Gelegenheit zu ausgedehnten Bildungsreisen. Sie führten ihn unter anderem zu dem von ihm bewunderten Galileo. Weil er im Verdacht stand, Royalist zu sein, musste sich Hobbes während der politischen Wirren des englischen Bürgerkrieges in Sicherheit bringen. In dem Zeitraum zwischen 1628 bis 1651 verbrachte er insgesamt nur sechs Jahre in England. Den Hauptteil der übrigen Zeit war er in Paris im Exil, wo er für zwei Jahre Hauslehrer des späteren englischen Königs Charles II. wurde. In Paris fand er Anschluss an den Kreis um den gleichaltrigen Franziskanermönch, Mathematiker und Beförderer der neuen Naturwissenschaft Marin Mersenne. Mersenne brachte ihn in Kontakt mit Gassendi, Descartes und anderen wichtigen Vertretern der neuen Philosophie. Wie es scheint, spornte er ihn auch dazu an, seine Gedanken schriftlich niederzulegen. Für Hobbes’ intellektuelle Entwicklung war die Zeit in Paris sicherlich prägend. Mit der Publikation philosophischer Werke begann
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er sehr spät. Bei der Drucklegung der Elements of Law (Elements) seiner ersten größeren philosophischen Schrift, war er zweiundfünfzig. Hier begegnet uns Hobbes schon mit allen Eigenschaften, die auch für sein späteres Werk charakteristisch sind. Die vielleicht wichtigste darunter ist die methodische Ausrichtung am Vorbild Euklids (deswegen Elements of Law), den er gleichfalls erst relativ spät im Leben für sich entdeckt hat. Sein Freund und Biograph John Aubrey erzählt von einem Schlüsselerlebnis, das Hobbes als vierzigjähriger gehabt haben soll: „Als er sich in der Bibliothek eines Gentleman befand, lagen da Euklids Elemente aufgeschlagen, und zwar 47 El. Libri I. Er las die Proposition. ‚Bei G-‘ sagte er (er pflegte hin und wieder zu fluchen, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen), ‚das ist unmöglich!‘ Also las er den Beweis, der ihn wieder zu einer Proposition zurückführte: diese las er auch. Das führte ihn wieder zu einer Proposition, die er ebenfalls las. Et sic deinceps [und so fort], so dass er am Ende auf dem Wege des Beweises von jener Wahrheit überzeugt war. So kam es zu seiner Liebe zur Geometrie.“ (Aubrey 1984, 7)
Diese Liebe begleitete ihn durch den Rest seines noch langen Lebens, in dessen Verlauf er nicht nur seine berühmten philosophischen Werke, sondern auch zur Naturwissenschaft, und vor allem zur Mathematik publizierte. Es war Hobbes sehr wichtig, nicht nur als Philosoph, sondern auch als Naturwissenschaftler und Mathematiker Anerkennung zu finden, was ihm jedoch niemals gelang. Eine dauernde Anerkennung als Mathematiker blieb ihm ebenso verwehrt wie eine Mitgliedschaft in der Royal Society. Neben seinen wissenschaftlichen Interessen hat Hobbes sein Interesse an den alten Sprachen nie aus den Augen verloren und Übersetzungen von u.a. Homer, Thukydides und der Aristotelischen Rhetorik angefertigt. Er starb 1679 hochbetagt in Hardwick Hall. 3.1.2 Der systematische Hintergrund: eine mechanistische Theorie des Geistes Hobbes ist Teil der philosophischen Bewegung, die sich nach dem Muster Galileis bemüht, die Phänomene der Natur möglichst umfassend auf mechanische Prinzipien zurückzuführen, d. h. auf Körper und deren Bewegungen. Das Besondere an Hobbes’ Ansatz ist dabei die Kompromisslosigkeit, mit der er das mechanistisch-materialistische Programm auch auf den Bereich mentaler Phänomene anwendet. Die Theorie des Geistes stellt bei Hobbes keinen methodisch eigenständigen Bereich dar, sondern folgt denselben Gesetzen und Prinzipien wie alle theoretische
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Betrachtung der Natur, und das heißt den mechanischen Gesetzen von körperlicher Bewegung und Gegenbewegung. Hobbes geht aber noch weiter. Er wird nicht müde zu betonen, dass Wahrnehmungen, Vorstellungen und alle anderen mentalen Prozesse in nichts anderem bestehen als Körperbewegungen.1 Seine Beweggründe liegen in einfachen wahrnehmungsskeptizistischen Überlegungen: Was wir durch unsere sinnliche Erkenntnis von der Außenwelt erkennen, sind nur unsere Eindrücke von ihr. Diese Eindrücke befinden sich in uns. Unsere sinnliche Erkenntnis sagt uns daher zunächst einmal nichts über die tatsächliche Beschaffenheit der Dinge, sondern nur über uns, die wir diese Eindrücke haben. Phänomene wie das Echo oder Bildreflexionen in Spiegeln machen dies für Hobbes schon auf sinnlicher Ebene klar: hier wird deutlich, dass die vermeintlich den Außengegenständen zukommenden Qualitäten nicht in den Gegenständen, sondern in uns sind. Charakteristisch für Hobbes ist nun, dass er daraus die Konsequenz zieht, die phänomenalen Inhalte unserer Sinnesempfindungen als bloßen Schein anzusehen. Er spricht vom „großen Betrug der Sinne“ (Elements I, II 10) und hält es für einen fatalen Fehler, dem Schein, den wir von der Außenwelt haben, extramentale Realität zuzusprechen. Aus der Verbindung dieser beiden Thesen, nämlich erstens, dass unsere Sinnesempfindungen ‚bloßer Schein‘ sind, und zweitens, dass es sich bei diesem ‚bloßen Schein‘ nicht um eine besondere Art nicht-materieller Phänomene, sondern um nichts anderes als die Resultate körperlicher Bewegungen handelt, ergibt sich für Hobbes ein Antirealismus in Bezug auf Wahrnehmungsinhalte: Real sind nicht die phänomenalen Inhalte der sinnlichen Erkenntnis, sondern nur die ihnen zugrundeliegenden Körperbewegungen. Gleichzeitig gilt Hobbes aber auch als Empirist. Und es stimmt tatsächlich, dass seine Erkenntnistheorie insofern einen stark empiristischen Zug hat, als dass sie alle Erkenntnis aus der Sinneswahrnehmung ableitet. Hobbes glaubt also nicht daran, dass es neben der Sinneswahrnehmung noch einen anderen Zugang zur Erkenntnis gibt. Wie lassen sich diese beiden Positionen miteinander vereinbaren? Im Folgenden werde ich Hobbes’ Philosophiekonzeption als Reaktion auf genau diese Konstellation darstellen: Als Formulierung eines Projekts zum Wissenserwerb, das sich nicht auf das trügerische Zeugnis der Sinne stützt, aber gleichzeitig von der Annahme ausgeht, dass es zur Sinneswahrnehmung als Ursprung aller Erkenntnis keine Alternative 1
Wie dieses ‚bestehen in‘ genauer zu verstehen ist, wird im systematischen Essay-Teil diskutiert (Bd. 2, 3.3).
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gibt.2 In Bezug auf seine Haltung zur Wahrnehmung unterscheidet sich Hobbes im Prinzip wohl nicht von den übrigen ‚neuen‘ Philosophen seiner Zeit (vgl. Tuck 1988). Anders als beispielsweise Descartes begegnet er seinem Wahrnehmungsskeptizismus aber nicht mit einer introspektiv angelegten Suche nach unbezweifelbaren Inhalten, sondern mit einem szientistischen Programm. Das Programm besteht kurz gesagt darin, den Schein, den wir von der Welt haben, so umfassend, und so methodisch sicher wie irgend möglich auf seine Ursachen zurückzuführen. Philosophie ist, so Hobbes, „die durch richtiges Schlussfolgern gewonnene Erkenntnis der Wirkungen bzw. Phänomene im Ausgang vom Begriff ihrer Ursachen bzw. Erzeugungsweisen, und umgekehrt von möglichen Erzeugungsweisen im Ausgang von der Kenntnis der Wirkungen.“ (De corpore I 2)
Und gleich im Anschluss an diese Definition erläutert er: „Zum Verständnis dieser Definition ist als erstes zu erwähnen, dass Sinneswahrnehmungen von Dingen und Erinnerung daran, die der Mensch mit allen übrigen Lebewesen gemein hat, zwar Erkenntnis sind, aber dennoch nicht Philosophie sind, da die Natur sie auf der Stelle gibt, sie also nicht durch Schlussfolgerung gewonnen werden.“ (ebd.)
Der Weg zum Wissen scheint also nicht direkt über die phänomenalen Inhalte der sinnlichen Erkenntnis zu führen. Vielmehr geht es um systematische Ursachenforschung, um ein richtiges Schlussfolgern von Ursachen auf Wirkungen und von Wirkungen auf Ursachen. Worauf aber bezieht sich die philosophische Forschung, wenn die Inhalte sinnlicher Erkenntnis keine philosophische Erkenntnis der Außenwelt gestatten? Trotz des vielleicht gegenteiligen Anscheins beabsichtigt Hobbes mit seiner Definition keineswegs, die sinnliche Erkenntnis vollständig aus der Philosophie herauszuhalten. Sinnliche Erkenntnis ist beides: Sie ist sowohl das, was uns die Phänomene bereitstellt, als auch selbst Teil der Phänomene, die es durch die Philosophie zu erklären gilt. Insofern ist die sinnliche Erkenntnis in der obigen Definition enthalten. Es ist jedoch wichtig für das Verständnis von Hobbes’ szientistischem Programm, dass ihre phänomenalen Inhalte darin nie Ursache, sondern immer nur Wirkung sind. Dies führt erstaunlicherweise dazu, dass die sinnliche 2
Diese Perspektive auf Hobbes’ Philosophie ergibt sich keineswegs zwangsläufig. Eine ganz andere (vielleicht aber nicht inkompatible) Sicht, der zufolge sich für Hobbes das Außenweltproblem erst aus seiner mechanistischen Philosophie ergibt, findet sich in dem empfehlenswerten Hobbes-Buch von Michael Esfeld 1995, 138.
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Erkenntnis eine systematisch zentrale Stelle in seinem philosophischen System einnimmt: Einerseits beziehen sich alle Ursachen auf die sinnliche Erkenntnis als vorphilosophischen Ausgangspunkt, der die zu erklärenden Phänomene bereitstellt. Andererseits ist sie als Wirkung oder Konsequenz ihrer Ursachen ein Schlusspunkt der philosophischen Erklärung, weil ihre phänomenalen Inhalte keine weitere Wirkung mehr hervorbringen. Da Hobbes in der oben zitierten Definition ein zweiteiliges Modell der Philosophie zeichnet, in dem entweder von Ursachen auf Wirkungen, oder umgekehrt von Wirkungen auf deren mögliche Ursachen geschlossen wird, nimmt die sinnliche Erkenntnis so etwas wie die Gelenkstelle zwischen den beiden Teilen seines philosophischen Systems ein. Ein philosophisches System, das auf diese Weise um die sinnliche Erkenntnis zentriert ist, kann einen absoluten Wahrheitsanspruch nicht erheben. Zumindest dann nicht, wenn es, so wie bei Hobbes, der sinnlichen Erkenntnis grundsätzlich misstraut und nicht noch über weitere Wissensquellen verfügt. Wenn der Begründungszusammenhang von Ursachen auf Wirkungen bei der Sinneswahrnehmung endet, deren Inhalte aber keinen philosophischen Erkenntniswert haben, wie kann dann festgestellt werden, ob die Erklärung tatsächlich die richtigen und wahren Ursachen angibt? Eine Erklärung kann unter diesen Bedingungen über den Status einer Hypothese nicht hinauskommen. Hobbes ist sich dieses Problems bewusst. In der oben zitierten Definition sagt er, dass das Schließen von den Wirkungen auf Ursachen nur ein Schließen auf mögliche Ursachen ist (und er wiederholt dies an anderen prominenten Stellen seines Werkes, z. B. De corpore XXV 1). Er ist also bereit, die Konsequenzen zu ziehen und verzichtet für sein philosophisches System auf einen absoluten Gewissheitsanspruch. Allerdings meint Hobbes, diesen Mangel kompensieren zu können: Er glaubt über eine philosophische Methode zu verfügen, die ihn, so weit wie dies nur möglich ist, vor Irrtümern bewahrt. Laut obiger Definition soll die Philosophie nämlich nicht nur von Ursachen auf Wirkungen, und umgekehrt von Wirkungen auf Ursachen schließen, sondern sie soll dies in methodisch angeleiteter Weise tun (vgl. oben „richtiges Schlussfolgern“). Zu diesem Zweck orientiert sich Hobbes an der axiomatisierten Geometrie Euklids, dessen Methode er universalisiert und auf alle ihm bekannten Bereiche des Wissens anwendet: Demnach gilt es für jedes Sachgebiet elementare Allgemeinbegriffe zu definieren, um dann alle übrigen Begriffe, die in dieses Sachgebiet fallen, als Folgerungen aus den Elementarbegriffen abzuleiten. Jedes Sachgebiet soll
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so in seine einfachsten begrifflichen Bestandteile zerlegt, und dann mit Ausgang von den einfachsten Bestandteilen wieder Schritt für Schritt rekonstruiert werden. Die Ursachen und Wirkungen, von denen Hobbes in seiner Definition spricht, sind in diesem Sinne also nichts weiter als Folgerungen aus ersten Elementardefinitionen. Von diesem Verfahren – der sogenannten resolutiv-kompositiven Methode – erwartet sich Hobbes weitestgehende Immunität von falschen Schlussfolgerungen. Woher diese Sicherheit? Für eine Antwort möchte ich hier zwei Eigenschaften seiner Methode herausstellen. Man könnte sie mit ‚ontologischer Minimalismus‘ und ‚stipulative Definitionen‘ betiteln. Stipulative Definitionen. Im Hobbesschen Verständnis ist die resolutiv-kompositive Methode, was ihren kompositiven Anteil betrifft, insofern immun gegen Irrtum, als dass es sich bei den ersten Ursachen, aus denen die Wirkungen gefolgert werden sollen, um reine Nominaldefinitionen, d. h. um willkürlich festgelegte Definitionen handelt. Weil es sich bei ihnen um willkürliche Festlegungen handelt, stellt sich bei den ersten Ursachen die Frage, ob sie wahr oder falsch sind, also gar nicht. Im Rahmen des weiteren Verfahrens kann demgegenüber nur sinnvoll gefragt werden, ob die Folgerungen aus den ersten Definitionen korrekt gezogen wurden oder nicht, die Korrektheit der Definitionen selbst steht nicht zu Disposition. Ontologischer Minimalismus. Anders beim resolutiven Verfahren. Hier kann der Philosophierende nicht frei definieren, sondern muss von Wirkungen ausgehen, die gegeben sind. Die Frage, ob die Hypothesen, die zur Erklärung der Phänomene bemüht werden, auf diese zutreffen oder nicht, ist hier also sinnvoll. Hobbes scheint nun zu meinen, dass ihn die resolutiv-kompositive Methode deswegen so weit wie möglich vor Irrtum bewahrt, weil sie mit einem auf das allernotwendigste beschränkten, minimalen Fundus an Hintergrundannahmen auskommt. Dieser Fundus besteht für Hobbes in zwei Grundhypothesen: Der Annahme der Existenz von Körpern einerseits und mechanischer Kausalität andererseits. In seinem Verständnis geht es bei der resolutiv-kompositiven Methode nämlich um den Aufweis eines mechanischen Ursache-Wirkung-Zusammenhangs. Zwar ist der Begriff der Ursache hier über den Bereich physikalischer Ereignisse hinaus auf begriffliche Zusammenhänge erweitert, er kann jedoch insofern noch mit Recht mechanisch genannt werden, als dass die Ursachen das jeweilige Zustandekommen (Genese) des Bewirkten erklären sollen (oben im Text: „Erzeugungsweisen“ generationes), unabhängig davon, ob es sich bei der ‚Wirkung‘ um Begriffe für Körperbewegungen oder z. B. mathematische Sachverhalte handelt. Da die resolutiv-kompositive Methode auf diese Weise alle für ein Sachgebiet wichtigen Terme
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als Folgen aus deren ersten Ursachen ableiten will, meint Hobbes sich damit ontologisch auf nichts weiter als auf die Annahme der Existenz dieser ersten Ursachen zu verpflichten. Und das heißt für Hobbes: auf die Existenz von Körpern und deren Bewegungen. Dafür, dass er mit diesen minimalen Grundannahmen für sein philosophisches System Fallibilität zwar nicht eliminieren, dafür aber so weit wie möglich ausschließen kann, kann er zwei Argumente ins Feld führen: Erstens glaubt er, dass sich die Existenz einer Welt ohne Körper und Bewegung nicht denken und nicht vorstellen lässt (De corpore VI 13, VII, VIII),3 und zweitens ist er der Meinung, durch sein Verfahren die Anzahl möglicher falscher Aussagen minimiert zu haben. Die resolutiv-kompositive Methode arbeitet ontologisch mit der reduktiven These, dass nur den einfachen Elementen, nicht aber deren Kombinationen, wirkliche Realität zukommt. Die jeweiligen Kombinationen bestehen demnach in „nichts weiter“ als ihren Bestandteilen und diese letztendlich in „nichts weiter“ als den einfachen Elementen. Ontologisch handelt es sich also um einen dezidierten Minimalismus. Auf diese Weise lässt sich Hobbes’ Philosophiekonzeption als Reaktion auf einen Wahrnehmungsskeptizismus verstehen, die gleichzeitig von der Annahme ausgeht, dass uns neben der Wahrnehmung keine weitere Erkenntnisquelle zu Verfügung steht. Im Kern besteht sein Ansatz darin, den Wahrnehmungsskeptizismus in die systematische Philosophie gewissermaßen zu integrieren und den traditionellen absoluten Wahrheitsanspruch durch ein minimalistisches Konzept methodisch abgesicherter Irrtumsvermeidung zu ersetzen.4 Soweit in groben Zügen der Hintergrund für Hobbes Theorie der Erkenntnis. Insofern es sich bei seiner Theorie der Erkenntnis aber auch um einen Teil seines umfassenden philosophischen Programms handelt, ergibt sich, was ihren Charakter betrifft, folgende wichtige Konsequenz: Wie wir gesehen haben, geht es in der resolutiv-kompositiven Methode entweder darum, Begriffe zu definieren, um Folgerungen daraus zu ziehen, oder darum, aus Folgerungen auf Begriffe zu schließen, aus denen sich dann wiederum die Folgerungen herleiten lassen. Hobbes wird sich in seiner Theorie der Erkenntnis daran halten. Seine Reduktion der Er3
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Auch hier glaubt Hobbes also nicht, neben der Welt des phänomenalen Scheins noch über eine andere (womöglich privilegierte) Quelle der Erkenntnis zu verfügen: Körper und Bewegung sind nicht transzendentale Bedingungen für Vorstellungen, sondern selber Vorstellungen, wenn auch besonders allgemeine. Hobbes entwickelt seine Philosophiekonzeption in De corpore I.
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kenntnisleistungen beziehen sich daher nicht auf konkrete Vorkommnisse, sondern auf Begriffe für Erkenntnistypen wie etwa ‚Sinnesempfindung‘ oder ‚Vorstellung‘ usw. Die Reduktionen bleiben also verhältnismäßig abstrakt und einer empirischen Überprüfung nur schwer zugänglich. Bis auf einige wenige Ausnahmen versucht Hobbes nicht einmal, Gesetzmäßigkeiten oder Regularitäten zwischen den phänomenalen Inhalten der Erkenntnis und deren mechanischen Ursachen festzustellen. Auch an Voraussagen oder Prognosen, die seine Thesen an konkreten Beispielen bestätigen oder falsifizieren könnten, scheint er nicht interessiert zu sein. Es wäre sicherlich nicht richtig, seine Erkenntnistheorie als empirische Theorie zu begreifen. Es ist keine empirische Theorie. Es handelt sich um eine an allen relevanten Erkenntnistypen durchgeführte Formulierung der metaphysischen These, dass Erkenntnis in Wahrheit in Körperbewegung besteht. Darin erschöpft sich die Theorie jedoch nicht. Die resolutiv-kompositive Methode fordert, dass alle relevanten Termini eines Sachgebietes mit Ausgang aus ihren Elementarbegriffen systematisch zusammengesetzt, d. h. in ein ganz bestimmtes Verhältnis gebracht werden. Das heißt, dass wir auch für das Gebiet der Erkenntnis ein auf den einfachen Grundbegriffen aufbauendes System der Erkenntnisformen erwarten dürfen. 3.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Der Begriff der Idee spielt in der Philosophie von Hobbes keine besondere Rolle. Weder findet sich bei ihm eine verbindliche Definition von ‚Idee‘, noch verwendet er den Ausdruck in terminologischer Weise.5 Hobbes hat aber eine Theorie der Erkenntnis und insofern kann man auch sagen, dass er eine Theorie phänomenaler und intentionaler Inhalte hat. Unter ‚Erkenntnis‘ versteht Hobbes Tätigkeiten des Geistes, konkreter: eine Serie verschiedener, aufeinander aufbauender Tätigkeiten, deren Summe die Gesamtheit unseres kognitiven Zugangs zur Welt ausmacht. 5
De corpore XXV 10 erklärt die Bedeutung des griechischen Terms idea als „Figur samt Licht und Farbe“. Anders verhält es sich in Hobbes’ Einwänden gegen Descartes Meditationen. Dort reserviert er den Term ‚idea‘ ausdrücklich für die Repräsentation wahrnehmbarer Dinge. Dieser Gebrauch scheint weitgehend mit seiner späteren (allerdings auch nicht immer stringenten) Verwendung des Terms ‚Vorstellung‘ übereinzustimmen (vierter Einwand), vgl. unten.
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Er glaubt, mit seiner Theorie sämtliche Formen menschlicher Erkenntnis erklären zu können, vermeidet es aber, diese Inhalte mit immer ein- und demselben Wort zu bezeichnen; die verschiedenen Bezeichnungen, die er benutzt, sind: ‚Gedanke‘ (thought), ‚Vorstellung‘ (imagination), ‚Begriff‘ (conception) und manchmal, wenn auch eher selten, ‚Idee‘ (idea). Will man also die Frage beantworten, was Ideen für Hobbes sind, bietet es sich an, einen Blick auf seine Theorie der Erkenntnis zu werfen. Dies soll jetzt in stark geraffter Weise geschehen: Hobbes’ Erkenntnistheorie beschreibt Typen von Reaktionen und Effekten, die durch Körperbewegungen der Außenwelt in unseren Körpern hervorgerufen werden. Die Prinzipien, nach denen dies geschieht, sind mechanisch: Von außen eingehende Druckbewegungen treffen auf unsere Sinnesorgane, werden über Nerven und Membranen über das Gehirn zum Herzen weitergeleitet, treffen dort auf Widerstand, und werden schließlich vom Herzen aus wieder nach außen gedrückt. Dadurch entsteht in den wahrnehmenden Lebewesen der Schein, als sei da etwas außerhalb von ihnen. Diesen Schein, bzw. die ihn erzeugende Bewegung des Herzens, identifiziert Hobbes mit der einfachen Sinnesempfindung. Die einfachste Form der geistigen Repräsentation von Gegenständen der Außenwelt wird von ihm damit auf einen bewegungskausalen Sachverhalt reduziert. Seine darauf aufbauende Theorie der Erkenntnis besteht in dem Versuch, alle weiteren Erkenntnistypen als ontologisch vollständig abhängige Derivate der einfachen Sinnesempfindungen zu erweisen. Im Wesentlichen verfährt er dabei so, dass er die komplexeren Erkenntnistypen als Kombinationen oder Summe einer Mehrzahl basaler Erkenntnistypen auffasst. Grob betrachtet beschreibt die Theorie also eine zunehmend komplexer werdende Stufenfolge von Erkenntnistypen, wobei jede Stufe durch das Aggregat mehrerer Erkenntnistypen der vorherigen Stufe erklärt wird. Aufgrund der Transitivität der Kausalbeziehung werden am Ende alle Erkenntnisformen auf Körperbewegungen zurückgeführt. b) Welche Arten von Ideen gibt es? In Hobbes’ Theorie sind Gedanken bzw. Erkenntnis entweder Sinnesempfindungen, kausale Folgen von Sinnesempfindungen, oder deren Kombinationen. Er unterscheidet einfache und zusammengesetzte Gedanken. Einfache Gedanken. Einfache Gedanken sind Sinnesempfindungen und Vorstellungen. Sinnesempfindungen sind für Hobbes die elementare Form der Erkenntnis, aus der er alle weiteren Erkenntnisformen generiert. Wie wir gerade gesehen haben, entstehen sie, indem ein von außen auf unsere Sinnesorgane eingehender Druck durch Hirn und
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Herz läuft, dort auf Gegendruck stößt und dann wieder nach außen gedrückt wird. Das, was wir ‚Wahrnehmungen‘ nennen, also Zustände, die durch phänomenale Qualitäten gekennzeichnet sind, identifiziert Hobbes mit der letzten Phase dieses Bewegungsablaufes, in dem vom Herzen ein Gegendruck ausgeht. Vorstellungen definiert Hobbes als das kausale Nachleben der im Körper zurückbleibenden Sinnesempfindungen. Alle übrigen Erkenntnisformen führt Hobbes auf Kombinationen von Sinnesempfindungen und Vorstellungen zurück. Soweit die Grundlagen dessen, was Hobbes ‚unzusammengesetzte Gedanken‘ nennt. Zusammengesetzte Gedanken. Zusammengesetzte Gedanken bestehen in Kombinationen und Sequenzen einfacher Gedanken. Diese assoziieren sich entweder eigenständig, d. h. durch die Zufälligkeiten, mit denen ihre kausalen Eigenschaften aufeinandertreffen, oder sie treten in durch Strebungen und Absichten regulierten Sequenzen auf. Hobbes erklärt so eine ganze Reihe höherer mentaler Tätigkeiten und Zustände (Wiedererinnerung, Voraussicht, Erfahrung, Klugheit). Wichtig für die nächsthöhere Erkenntnisform ist seine Erklärung des Zeichens. Darunter versteht er eine Vorstellung, oder eine Sequenz von Vorstellungen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit als entweder Antezedens oder Konsequenz anderer Vorstellungen beobachtet worden sind und diese Vorstellungen deswegen anzeigen (Leviathan I 11). Die nächsthöhere Stufe konstituiert sich bereits durch Sprache. Allerdings ist sprachabhängige Erkenntnis für Hobbes kausal vollständig von den sprachunabhängigen Erkenntnisbewegungen abhängig. Er unterscheidet zwei basale Funktionen der Sprache: Benennung von Vorstellungsinhalten und Kommunikation. Es folgt, was Hobbes „Rechnen mit Benennungen“ nennt. So wie er schon das Kombinieren von Vorstellungen als eine Art Rechenvorgang versteht, begreift er auch die Denkoperationen als Addition und Subtraktion von Benennungen. Hieraus entwickelt er dann Rudimente einer Theorie der Prädikation (als Verbindung zweier Namen) sowie einer Theorie der Wahrheit (als Inklusionsrelation der prädizierten Namen). Definitionen sind für ihn Bedeutungsfestlegungen. Sie werden von Hobbes in normativer Weise behandelt, d. h. er unterstreicht die Wichtigkeit, die der korrekten Bedeutungsfestlegung von Namen für das Suchen der Wahrheit zukommt. In derselben Hinsicht untersucht er die möglichen Gegenstände von Namen sowie deren korrekten Gebrauch. Den letzten thematischen Abschnitt bildet die Behandlung von Vernunft und Wissenschaft. Vernunft definiert Hobbes als das „Berechnen (das heißt das Addieren und Subtrahieren) der Folgen allgemeiner Namen“. Wissenschaft definiert er methodisches Fortschreiten von Elementen (i.e. den Namen)
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eines Sachgebiets über Behauptungen und deren syllogistischer Verbindung bis hin zur Kenntnis aller Folgen aus den Namen eines gegebenen Sachgebiets. c) Wie entstehen Ideen? Aufgrund der mechanischen Prinzipien, die Hobbes für die Naturerklärung, und damit auch für die Erklärung mentaler Phänomene in Anschlag bringt, fallen die Fragen a) und c) zusammen: Wenn mentale Ereignisse in körperlichen Bewegungen bestehen, ist bei Hobbes’ mechanischer Auffassung von Kausalität die Frage nach den notwendigen und hinreichenden Bedingungen ihrer Entstehung gleichbedeutend mit der Frage nach ihrem Sein. Nach ihrem Wesen zu fragen, heißt dann nichts anderes als danach zu fragen, wie sie entstehen. d) Was erklären Ideen? Aus wissenschaftlicher Perspektive sind die phänomenalen Inhalte menschlicher Erkenntnis für Hobbes zwar Erkenntnis, aber dennoch bloßer Schein. Es sind Phänomene, und das heißt Wirkung von bestimmten Ursachen (De corpore XXV 1). Als solche sind sie es, die der Erklärung bedürfen, und nicht umgekehrt. Seine mechanistische Reduktion von Erkenntnisinhalten auf Körper und deren Bewegungen besteht genau darin, eine solche Erklärung zu geben. 3.1.4 Editorische Vorbemerkungen Bei den hier ausgewählten Textauszügen handelt es sich um die ersten fünf Kapitel des ersten Teils vom Leviathan und um Auszüge aus den Einwänden, die Hobbes gegen Descartes’ Meditationen vorgebracht hat (Einwände). Einwände. Descartes ließ nach Fertigstellung seines Manuskripts der Meditationen einigen ausgewählten Philosophen in den Niederlanden Kopien des Werkes zukommen, um bereits der ersten Auflage deren Kommentare samt seiner eigenen Antworten beizufügen. Er sendete das Manuskript dann mit den Einwänden von Caterus und Reguis an Mersenne (AT 3, 238 f.) in Paris, der dann weitere Einwände sammelte, darunter auch jene von Hobbes. Dessen Kommentare betreffen verschiedene Aspekte der Meditationen. Die hier gegebene Auswahl enthält nur die Einwände, die sich auf Ideen beziehen. Descartes’ Antworten auf die Einwände sind nicht mit abgedruckt.
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Leviathan. Bei diesem Werk handelt es sich um Hobbes’ Hauptschrift zur politischen Philosophie. Es gehört heute zu den unangefochtenen Klassikern des Fachs. Wenn der Leviathan hier auf seine Aussagen zur Ideentheorie hin gelesen werden soll, so stellt dies in gewissem Maße eine Dekontextualisierung dar. Vorsicht ist daher geboten. Die Theorie der Sinnesempfindung gehört für Hobbes zur Naturphilosophie, der Leviathan ist aber nicht als naturphilosophisches Werk konzipiert. In dem Werk verfolgt Hobbes den Plan, eine definitive politische Theorie nicht nur darzulegen, sondern auch nach Möglichkeit aus ersten Grundsätzen zu demonstrieren. Dabei ist davon auszugehen, dass die Behandlung der menschlichen Erkenntnis kein Selbstzweck ist, sondern nur insoweit gebraucht wird, als sie die Prämissen liefert, die es für die Demonstrationen der im engeren Sinne politischen Theoreme erfordert. Von einer Verfälschung ihrer Inhalte kann jedoch auch keine Rede sein. Dies ergibt sich aus der weitgehenden Übereinstimmung mit den naturphilosophischen Passagen in De corpore und dem späten anthropologischen Hauptwerk De homine. Es gibt allerdings Unterschiede, nicht nur in der Zusammenstellung des Materials, sondern auch in der Ausführlichkeit, mit der es behandelt wird. Gerade bei der Wahrnehmungstheorie lässt sich im Leviathan eine Tendenz zur Unterkomplexität erkennen. Ich gehe im Kommentarteil auf das Verhältnis von Hobbes’ politischer Philosophie zur Naturphilosophie ein. Andere relevante Werke. Soweit der für Ideentheorien relevante Bereich davon betroffen ist, sind für uns neben kleineren, über das Gesamtwerk verstreuten Passagen vor allem noch drei Abschnitte aus anderen Werken einschlägig. Dies sind die Kapitel I bis V sowie das Kapitel XXV der Schrift De corpore (De corpore) und die ersten sechs Kapitel der Schrift The Elements of Law (Elements).6 Elements of Law. Bei den ersten sechs Kapiteln der Elements of Law handelt es sich im Wesentlichen um eine in Manuskriptform ca. zehn Jahre früher (1640) entstandene Parallelversion der hier wiedergegebenen Kapitel aus dem Leviathan. Arrangement und Argumentationsführung der Elements of Law weichen aber nicht selten auf interessante Weise von ihrem berühmten Nachfahren ab. Im Kommentar wird die Schrift ohne Rücksicht auf historische Entwicklungen aber nur so weit herangezogen, wie es der Exposition der Hobbesschen Erkenntnistheorie dient. De corpore. Im vierten und letzten Teil von De corpore, das mit dem für unser Thema einschlägigen XXV. Kapitel 6
Auf beide Werke wird hier mit römischen Ziffern für die Kapitel-, und arabischen Ziffern für die Artikeleinteilung referiert.
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beginnt, behandelt Hobbes die Grundlagen seiner Physik, d.i. der wissenschaftlichen Behandlung der Naturphänomene. Er entwickelt hier ganz ähnlich wie im Leviathan eine mechanistische Theorie der Sinnesempfindung und ihrer Derivate, ohne jedoch an dieser Stelle auch auf Sprache, Vernunft und Wissenschaft einzugehen. Die sprachabhängigen Erkenntnisformen werden in De corpore an ganz anderer Stelle, nämlich im ersten Teil des Werkes, der mit ‚Logik‘ überschrieben ist, abgehandelt. Dies führt sich vermutlich aber nicht auf einen Wechsel in Hobbes’ philosophischer Einschätzung sprachabhängiger Erkenntnisformen zurück, sondern auf die unterschiedlichen Zielsetzungen beider Schriften. Was das übrige Verhältnis von De corpore zum Leviathan angeht, scheint klar, dass Hobbes die Behandlung beider Themenkomplexe, also sprachunabhängige und sprachabhängige Erkenntnisformen, im Leviathan auf die Bedürfnisse der politischen Philosophie zurechtstutzt.7 Beide Themenkomplexe werden in De Corpore viel ausführlicher behandelt. Außerdem liefert De corpore noch einige, offenbar sehr wichtige Informationen zur Sinnesempfindung, die im Leviathan vollständig fehlen (vgl. hierzu den Kommentar). Die Unterschiede lassen sich, wie gesagt, am besten aus den unterschiedlichen Zielsetzungen der Schriften erklären. Textgrundlage ist die Edition des Leviathan von 1651. Referenzen erfolgen entweder durch Angabe von Teil (in römischen) und Kapitel (in arabischen Ziffern) oder der Paginierung der Originalausgabe von 1651. Die Übersetzung stammt von Jutta Schlösser, Meiner-Verlag, Hamburg. Der hier abgedruckte Text ist allerdings den Bedürfnissen des vorliegenden Bandes angepasst und weicht daher an vielen Stellen von der Übersetzung Jutta Schlössers ab. Da Hobbes offenbar viel Wert auf die graphische Gestalt des Textes gelegt hat,8 habe ich versucht, so wenig wie möglich vom Original der englischen Version abzuweichen. Zur Erläuterung: Runde Klammern sind von Hobbes selbst gesetzt. Eckige Klammern sind von mir gesetzt. Sie enthalten bei wichtigen Termini den originalsprachlichen Ausdruck. Kursivierte Wörter sind im Original auch kursiviert. Hobbes möchte damit terminologisch wichtige Begriffe graphisch hervorheben. Die Kapitälchen finden sich auch so im Origi7
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Im Leviathan selbst findet sich gleich am Anfang (Leviathan 3) ein Verweis auf eine andere Schrift, in dem Hobbes behauptet, bereits ausführlicher über den Gegenstand gehandelt zu haben. Damit ist aller Wahrscheinlichkeit nach De corpore gemeint, obwohl diese Schrift erst 1655, also vier Jahre nach dem Leviathan, erschienen ist. Siehe hierzu im Kommentarteil K3. Vgl. Bredekamp 1998.
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nal. Sie sind eine Art Ersatz für Abschnittsüberschriften. In der Originalausgabe finden sich zusätzlich noch Abschnittsüberschriften am Rand des Textes. Sie sind in den Text aufgenommen. Die hier abgedruckte Übersetzung der Einwände folgt mit leichten Änderungen der Übersetzung von M. Frischeisen-Köhler (Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Erster Teil: Lehre vom Körper. Leipzig 1949, übersetzt von M. Frischeisen-Köhler, Leipzig 1949, 168–170). Textgrundlage für Frischeisen-Köhlers Übersetzung ist der lateinische Text objectiones ad Cartesii Meditationes in den opera latina vol. 5 sowie dessen englische Übersetzung in den English Works (Bd. I). Die Kernpassagen aus Descartes’ Meditationen, auf die sich Hobbes’ Einwände jeweils beziehen, sind dem Einwand in Kursivschrift vorangestellt.
3.2 Zentrale Passagen zu Hobbes’ Ideentheorie 3.2.1 Auszüge aus Leviathan (1651)
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Erster Teil Vom Menschen Kapitel I Von der SinnesempfindungK1 Was die Gedanken des Menschen betrifft, will ich sie erst einzeln und dann in ihrer Folge oder Abhängigkeit voneinander betrachten. Einzeln K2 sind sie jeder eine Repräsentation [representation] oder Erscheinung [appearance] einer Qualität oder eines anderen Akzidens eines Körpers außerhalb von uns, den man für gewöhnlich ein Objekt nennt. Dieses Objekt wirkt auf die Augen, Ohren und anderen Teile des menschlichen Körpers ein; und durch die verschiedenartigen Einwirkungen erzeugt es verschiedenartige Erscheinungen. Der UrsprungK3 von ihnen allen ist, was wir Sinnesempfindung [sense] nennen (denn es gibt keinen Begriff [conception] im menschlichen Geist, der nicht zuerst ganz oder teilweise in den Sinnesorganen erzeugt
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worden ist). Die übrigen werden von diesem Ursprung abgeleitet. Für die vorliegende Aufgabe ist es nicht sehr notwendig, die natürliche Ursache der Sinnesempfindung zu kennen; und ich habe an anderer Stelle ausführlich darüber geschrieben. Dennoch will ich, um jedem Teil meines gegenwärtigen Systems gerecht zu werden, sie hier kurz darlegen. Die Ursache der SinnesempfindungK4 ist der äußere Körper oder das Objekt, das einen Druck auf das jedem Sinn zugehörige Organ ausübt; entweder unmittelbar, wie bei Geschmack und Tastsinn, oder mittelbar, wie beim Sehen, Hören und Riechen: und dieser Druck, durch Vermittlung der Nerven und anderer Stränge und der Membranen des Körpers nach innen zum Gehirn und zum Herzen weitergeleitet, verursacht dort einen Widerstand oder Gegendruck oder ein Bestreben [endeavour] des Herzens, sich davon freizumachen; und dieses Bestreben, weil nach außen gerichtet, scheint eine Materie außerhalb von uns zu sein. Und dieser Anschein [seeming] oder diese Einbildung [fancy] ist, was die Menschen Sinnesempfindung nennen, und besteht, was das Auge betrifft, in einem Licht oder gestalteten Farbe, für das Ohr in einem Laut, für die Nase in einem Geruch, für Zunge und Gaumen in einem Geschmack und für den übrigen Körper in Wärme, Kälte, Hitze, Weichheit und anderen derartigen Qualitäten, wie wir sie durch das Gefühl [feeling] unterscheiden. Alle diese Qualitäten, die man sinnlich wahrnehmbar [sensible] nennt, sind in dem Objekt, das sie verursacht, nur lauter einzelne Bewegungen der Materie, durch die sie auf unsere Organe in verschiedener Weise einen Druck ausübt. Auch in uns, auf die der Druck ausgeübt wird, sind sie nichts anderes als verschiedenartige Bewegungen (denn Bewegung erzeugt nichts anderes als Bewegung). Aber ihr Erscheinen vor uns ist Einbildung, im Wachen wie im Träumen. Und wie Drücken, Reiben und Schlagen des Auges bewirkt, dass wir uns ein Licht einbilden, und Druck auf das Ohr ein Geräusch erzeugt, so erzeugen auch die Körper, die wir sehen und hören, das gleiche mit ihren starken, wenn auch unbeobachteten Tätigkeiten. Denn wären jene Farben und Laute in den Körpern oder Objekten, die sie verursachen, könnten sie nicht von ihnen getrennt werden, wie wir sehen, dass es mit Hilfe von Spiegeln und beim Echo durch Reflexion geschieht, wo wir wissen, dass das Ding, das wir sehen, an einem Ort und die Erscheinung an einem anderen Ort ist. Und obgleich in gewissem Abstand das echte und wahre Objekt mit der Einbildung ausgestattet zu sein scheint, die es erzeugt, ist doch das Objekt eine Sache, das Abbild oder die Einbildung eine andere. So dass die Sinnesempfindung in allen Fällen nichts anderes ist als ursprüngliche Einbildung, verursacht (wie
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ich gesagt habe) durch den Druck, das heißt durch die Bewegung äußerer Dinge auf unsere Augen, Ohren und andere dazu bestimmte Organe. Aber die Philosophenschulen an sämtlichen Universitäten der ChristenheitK5 vermitteln, auf der Grundlage gewisser Texte des Aristoteles, eine andere Lehre und sagen: Was die Ursache des Sehens betrifft, so sende das gesehene Ding an allen Seiten eine sichtbare Spezies [visible species] aus, (in Deutsch:) ein sichtbares Zeigen [visible shew], eine Erscheinung [apparition] oder einen Aspekt oder ein Gesehenwerden, dessen Empfang im Auge das Sehen ist. Und was die Ursache des Hörens betrifft, so sende das gehörte Ding eine hörbare Spezies [audible species], das heißt einen hörbaren Aspekt oder ein hörbares Gesehenwerden, das beim Eintritt ins Ohr das Hören bewirkt. Ja, sogar was die Ursache des Verstehens [understanding] betrifft, sagen sie, das Verstandene sende eine intelligible Spezies [intelligible species], das heißt ein intelligibles Gesehenwerden, das, wenn es in den Verstand kommt, unser Verstehen bewirkt. Ich sage das nicht, weil ich den Gebrauch von Universitäten missbillige; aber weil ich hernach von ihrer Aufgabe in einem Gemeinwesen sprechen werde, muss ich bei jeder sich ergebenden Gelegenheit zeigen, was an ihnen zu verbessern wäre; und eines davon ist der häufige Gebrauch nichtssagender Rede. Kapitel II Von der Vorstellung (imagination)K6 Dass ein Ding, wenn es stillliegt, für immer stillliegt, falls es nicht von einem anderen in Bewegung gebracht wird, ist eine Wahrheit, die niemand bezweifelt. Aber dass ein Ding, wenn es in Bewegung ist, ewig in Bewegung bleibt, falls es nicht von etwas anderem angehalten wird, hat zwar den gleichen Grund (nämlich dass nichts sich selbst ändern kann), wird aber nicht so leicht akzeptiert. Denn die Menschen messen nicht nur alle anderen Menschen, sondern auch alle anderen Dinge an sich selbst; und weil sie sich nach Bewegung Unbehagen und Mattigkeit ausgesetzt fühlen, denken sie, jedes Ding werde der Bewegung müde und suche von sich aus Entspannung, wobei sie wenig erwägen, ob jenes Verlangen nach Ruhe, das sie in sich selbst finden, nicht in einer anderen Bewegung besteht. Daher kommt es, dass die Schulen sagen, schwere Körper fielen nach unten aus einem Trieb, zu ruhen und ihre Natur an dem für sie geeignetsten Ort zu erhalten; wobei sie widersinnigerweise unbelebten Dingen Trieb und Kenntnis in Bezug auf das, was gut für ihren Erhalt ist, zuschreiben (was mehr ist, als der Mensch besitzt). Wenn ein Körper einmal in Bewegung ist, bewegt er sich (falls ihn nicht etwas anderes hindert) ewig; und was immer die Bewegung hindert,
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kann sie nicht unmittelbar, sondern mit der Zeit und in Graden gänzlich aufheben. Und wie wir es beim Wasser sehen, dass die Wellen, obwohl sich der Wind gelegt hat, noch lange Zeit danach nicht aufhören zu rollen, so geschieht es auch bei jener Bewegung, die in den inneren Teilen eines Menschen bewirkt wird, wenn er sieht, träumt etc. Denn nachdem das Objekt entfernt oder das Auge geschlossen ist, bewahren wir immer noch ein Abbild des Gesehenen, wenn auch ungenauer, als während wir es sehen. Und das nennen die Römer Imagination, nach dem Bild, das beim Sehen erzeugt wird, und wenden es, wenn auch unzulässigerweise, auf alle anderen Sinne an. Aber die Griechen nennen es Einbildung [fancy], was Erscheinung [appearance] bedeutet. Vorstellung (imagination) ist also nichts als vergehende Sinnesempfindung [decaying sense]; und man findet sie bei Menschen wie bei vielen anderen Lebewesen, sowohl im Schlaf wie im Wachen. Das Vergehen von Sinneswahrnehmung bei wachen Menschen ist nicht das Vergehen der bei der Sinnesempfindung bewirkten Bewegung, sondern ihre Verdunkelung; dergestalt, wie das Licht der Sonne das der Sterne verdunkelt; denn die Sterne üben ihre Kraft, wodurch sie sichtbar sind, bei Tag nicht weniger aus als bei Nacht. Aber weil unter den vielen Einwirkungen, die unsere Augen, Ohren und anderen Organe von äußeren Körpern empfangen, nur die vorherrschende sinnlich wahrnehmbar ist, also das Licht der Sonne vorherrscht, werden wir von der Tätigkeit der Sterne nicht affiziert. Und wenn irgendein Objekt aus unserem Blickfeld entfernt wird, mag zwar der Eindruck [impression], den es in uns erzeugt hat, bleiben; doch wenn gegenwärtigere Objekte folgen und auf uns einwirken, wird die Vorstellung der Vergangenheit verdunkelt und geschwächt wie eine menschliche Stimme im Lärm des Tages. Daraus folgt, dass die Vorstellung desto schwächer wird, je mehr Zeit nach dem Anblick oder der Sinnesempfindung eines Objekts vergangen ist. Denn die ständige Veränderung des menschlichen Körpers zerstört mit der Zeit die Teile, die bei der Sinnesempfindung bewegt wurden, so dass zeitlicher und räumlicher Abstand ein und dieselbe Wirkung in uns hat. Denn wie aus großem räumlichen Abstand das, was wir betrachten, unscharf und ohne Unterscheidung der kleinere Teile erscheint und wie Stimmen schwach und unartikuliert werden, so ist nach großem zeitlichen Abstand unsere Vorstellung der Vergangenheit schwach; und wir vergessen zum Beispiel viele einzelne Straßen von Städten, die wir gesehen haben, und viele einzelne Umstände von Handlungen. Diese vergehende Sinnesempfindung nennen wir Vorstellung (wie ich zuvor sagte), wenn wir die Sache selbst (ich meine die Einbildung selbst) ausdrücken wollen.
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Aber wenn wir das Vergehen ausdrücken und bezeichnen wollen, dass die Sinnesempfindung zunehmend verblasst, alt und vergangen ist, wird es Erinnerung Erinnerung [memory] genannt.K7 So sind Vorstellung und Erinnerung nur eine Sache, die bei verschiedenen Betrachtungsweisen verschiedene Namen hat. Viel Erinnerung oder Erinnerung an viele Dinge nennt man Erfahrung [experience].K8 Da sich die Vorstellungen wiederum nur auf jene Dinge bezieht, die zuvor bei der Sinnesempfindung wahrgenommen worden sind, entweder auf einmal oder teilweise zu verschiedenen Zeiten, ist das erstere (nämlich das Vorstellen des ganzen Objekts, wie es der Sinnesempfindung dargeboten wurde) einfache Vorstellung; wie wenn man sich einen Mann oder ein Pferd vorstellt, die man zuvor gesehen hat. Das andere ist zusammengesetzte Vorstellung; wie wenn wir uns aus dem Anblick eines Mannes zu einer Zeit und dem eines Pferdes zu einer anderen im Geiste einen Zentaur denken. Wenn also ein Mensch das Abbild seiner eigenen Person mit dem Abbild der Handlungen eines anderen Menschen zusammensetzt, wenn zum Beispiel ein Mensch sich vorstellt, ein Herkules oder Alexander zu sein (was oft jenen geschieht, die sehr gern Heldengeschichten lesen), dann ist das eine zusammengesetzte Vorstellung und streng genommen nur eine Fiktion des Geistes. Es gibt auch andere Vorstellungen, die in den Menschen (obwohl sie wachen) durch den großen bei der Empfindung bewirkten Eindruck entstehen. Wenn wir in die Sonne sehen, hinterlässt der Eindruck noch lange danach ein Abbild der Sonne vor unseren Augen; und wenn man sich lange und intensiv mit geometrischen Figuren beschäftigt hat, wird man im Dunkeln (obgleich man wach ist) die Abbilder von Linien und Winkeln vor Augen haben. Diese Art von Einbildung hat keinen besonderen Namen, da sie etwas ist, was für gewöhnlich bei den Gesprächen der Menschen nicht vorkommt. Die Vorstellungen Schlafender sind, was wir Träume [dreams] nennen.K9 Und diese sind auch zuvor (wie alle anderen Vorstellungen) in der Sinnesempfindung gewesen, entweder ganz oder teilweise. Und weil bei der Empfindung Gehirn und Nerven, die notwendigen Sinnesorgane, im Schlaf so benommen sind, dass sie sich nicht leicht durch die Wirkungen äußerer Objekte bewegen lassen, kann im Schlaf keine Vorstellung stattfinden und deshalb kein Traum außer dem, was aus der Erregung der inneren Teile des menschlichen Körpers entsteht; denn da diese inneren Teile mit dem Gehirn und den anderen Organen verbunden sind, halten sie dieselben in Bewegung, wenn sie gestört werden, wodurch die früher erzeugten Vorstellungen erscheinen, als wäre man wach; abge-
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sehen davon, dass die Sinnesorgane nun benommen sind, so dass es kein neues Objekt gibt, das sie mit einem stärkeren Eindruck überwältigen und verdunkeln kann, muss ein Traum bei diesem Schweigen der Sinnesempfindung notwendigerweise klarer sein als unsere wachen Gedanken. Und daher geschieht es, dass es schwierig ist und von vielen für unmöglich gehalten wird, genau zwischen Sinnesempfindung und Traum zu unterscheiden. Was mich betrifft, wenn ich bedenke, dass ich im Traum nicht oft oder gar ständig an dieselben Personen, Orte, Objekte und Handlungen denke wie im Wachen und mich im Traum auch nicht an eine solch lange Kette zusammenhängender Gedanken wie zu anderen Zeiten erinnere, und weil ich im Wachen oft die Widersinnigkeit meiner Träume bemerke, aber nie von den Widersinnigkeiten meiner wachen Gedanken träume – bin ich es wohl zufrieden, wachend zu wissen, dass ich nicht träume, obgleich ich mich im Traum für wach halte. Und da Träume durch die Störung einiger innerer Körperteile verursacht werden, müssen verschiedenartige Störungen notwendigerweise verschiedenartige Träume verursachen. Und daher kommt es, dass Liegen im Kalten Angstträume erzeugt und Gedanken und Bild eines furchterregenden Objekts hervorruft (denn die Bewegung vom Gehirn zu den inneren Teilen und von den inneren Teilen zum Gehirn verlaufen in beide Richtungen [reciprocall]). Und wie Zorn Hitze in einigen Körperteilen verursacht, wenn wir wach sind, so verursacht, wenn wir schlafen, die Überhitzung der gleichen Teile Zorn und erweckt im Gehirn die Vorstellung eines Feindes. Wie gleichermaßen eine natürliche Liebenswürdigkeit, wenn wir wach sind, Verlangen verursacht und Verlangen in gewissen anderen Körperteilen Hitze erzeugt, so erzeugt auch zuviel Hitze in jenen Teilen, wenn wir schlafen, im Gehirn eine Vorstellung erwiesener Liebenswürdigkeit. Kurz gesagt, unsere Träume sind das Gegenteil unserer wachen Vorstellungen; im Wachen beginnt die Bewegung an einem Ende und im Traum am anderen. Erscheinungen oder VisionenK10 Am schwierigsten lassen sich die Träume eines Menschen von seinen wachen Gedanken unterscheiden, wenn wir durch irgendeinen Zufall nicht merken, dass wir geschlafen haben, was leicht geschieht, wenn ein Mensch von furchtsamen Gedanken erfüllt ist und wenn sein Gewissen sehr belastet ist und wenn er ohne die Begleitumstände des Zubettgehens und Ausziehens schläft, wie jemand, der in einem Sessel schlummert. Denn wer sich ordentlich mit allem Aufwand schlafen legt, kann, falls ihm eine unheimliche und ungeheuerliche Einbildung kommt, sie kaum für etwas anderes als einen Traum halten. Wir lesen von Marcus Brutus (ein Mann, dem Julius Cäsar
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das Leben geschenkt hatte, der auch dessen besonderer Günstling war und ihn dennoch ermordete), wie er in Philippi in der Nacht vor der Schlacht mit Kaiser Augustus eine furchterregende Erscheinung sah, die von Historikern gewöhnlich als Vision beschrieben wird; aber in Anbetracht der Umstände kann man leicht zu dem Urteil gelangen, dass es nur ein kurzer Traum gewesen war. Denn in seinem Zelt sitzend, schwermütig und gequält durch das Entsetzliche seiner unbesonnenen Tat, in der Kälte schlummernd, konnte er unschwer von dem träumen, was ihn am meisten ängstigte; und wie diese Angst ihn allmählich weckte, so musste sie notwendigerweise auch die Erscheinung allmählich schwinden lassen. Und da er keine Gewissheit hatte, dass er schlief, konnte er keinen Grund zu der Annahme haben, dass es ein Traum oder irgend etwas anderes als eine Vision war. Und dies ist kein sehr seltenes Begebnis: denn sogar völlig wache Menschen, wenn sie furchtsam und abergläubisch sind, bedrängt von unheimlichen Geschichten und allein im Dunkeln, sind ähnlichen Einbildungen ausgesetzt und glauben, Gespenster und Geister von Toten auf Friedhöfen umgehen zu sehen; während es entweder allein ihre Einbildung ist oder die Betrügerei von Personen, die sich solche abergläubische Furcht zunutze machen, um verkleidet bei Nacht an Orte zu gelangen, die man nicht als ihre Schlupfwinkel kennen soll. Aus dieser Unwissenheit, wie sich Träume und andere starke Einbildungen von Visionen und Sinnesempfindungen unterscheiden lassen, entstanden in vergangener Zeit die größten Teile der Religionen der Heiden, die Satyrn, Faune, Nymphen und dergleichen verehrten, und heutzutage der Glaube ungebildeter Menschen an Feen, Geister und Kobolde und die Macht von Hexen. Denn was Hexen betrifft, denke ich nicht, dass ihre Zauberei irgendwelche wirkliche Macht besitzt, dass sie aber dennoch zu Recht bestraft werden, wegen ihres falschen Glaubens, dass sie solch ein Unheil anrichten können, verbunden mit ihrer Absicht, das nach Möglichkeit zu tun; wobei ihr Gewerbe einer neuer Religion näher steht als einer Kunst oder Wissenschaft. Und was Feen und umgehende Geister betrifft, so ist, wie ich denke, der Glaube an sie absichtlich entweder gelehrt oder nicht widerlegt worden, um den Brauch von Geisterbeschwörungen, Kreuzen, Weihwasser und anderen solchen Erfindungen von Geistlichen in Ansehen zu halten. Dennoch besteht kein Zweifel, dass Gott unnatürliche Erscheinungen erzeugen kann: aber dass er es so oft tut, dass die Menschen solche Dinge mehr fürchten müssen, als sie Stillstand oder Veränderung des Laufs der Natur fürchten, was er beides auch bewirken kann, ist kein christlicher Glaubenssatz. Aber schlechte Menschen erdreisten sich unter dem Vorwand, dass Gott
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alles tun kann, alles zu behaupten, wenn es ihren Zwecken dient, obgleich sie es für unwahr halten. Es ist Sache eines weisen Mannes, ihnen nicht weiter zu glauben, als rechte Vernunft das, was sie sagen, glaubwürdig erscheinen lässt. Wenn diese abergläubische Furcht vor Geistern beseitigt würde und mit ihr Traumdeutungen, falsche Prophezeiungen und viele andere davon abhängige Dingen, vermittels derer gerissene, ehrsüchtige Personen das einfache Volk betrügen, wären die Menschen weit besser als jetzt zum Gehorsam gegen den Staat geeignet. Und dies sollte die Aufgabe der Schulen sein; aber sie unterstützen eher solche Lehre. Denn in Unkenntnis darüber, was Vorstellungen oder Sinnesempfindungen sind, lehren sie, was sie gelernt haben: Einige sagen, Vorstellungen entstünden von allein und hätten keine Ursache; andere, sie entstünden meistens aus dem Willen; gute Gedanken würden einem von Gott eingeblasen (inspiriert) und böse Gedanken vom Teufel, oder gute Gedanken würden einem von Gott eingegossen (eingeflößt) und böse vom Teufel. Einige sagen, die Sinne empfingen die Spezies von Dingen und übermitteln sie dem gemeinen Sinn und der gemeinsame Sinn übermittelt sie der Einbildung und die Einbildung der Erinnerung und die Erinnerung dem Urteil, wie man Dinge von einem zum anderen weiterreicht, wobei viele Worte nichts begreiflich machen. VerstehenK11 Die Vorstellung, die im Menschen (oder irgendeiner anderen mit Vorstellungsvermögen ausgestatteten Kreatur) durch Worte oder andere willentliche Zeichen erweckt wird, ist das, was wir im Allgemeinen Verstehen [understandig] nennen; und sie ist Mensch und Tier gemeinsam. Denn ein Hund versteht durch Gewohnheit den Ruf oder das Schelten seines Herrn, und das tun auch viele andere Tiere. Das dem Menschen eigene Verstehen liegt darin, dass er nicht nur seinen Willen versteht, sondern seine Auffassungen und Gedanken, mit Hilfe der Aufeinanderfolge und Verknüpfung der Namen von Dingen zu Affirmationen, Negationen und anderen Redeformen: Und diese Art des Verstehens werde ich anschließend behandeln. Kapitel III Von der Folge oder Kette von VorstellungenK12 Unter Folge [consequence] oder Kette [trayne] von Gedanken [thoughts] verstehe ich jenes Aufeinanderfolgen eines Gedankens auf den anderen, das man (um es von der Rede in Worten zu unterscheiden) geistige Rede [mentall discourse] nennt. Wenn jemand an irgendetwas denkt, ist sein nächstfolgender Gedanke durchaus nicht so zufällig, wie es scheint. Nicht jeder Gedanke
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schließt sich jedem Gedanken unterschiedslos an. Aber wie wir keine Vorstellung davon haben, wovon wir nicht zuvor eine Sinnesempfindung im ganzen oder teilweise hatten, so erleben wir keinen Übergang von einer Vorstellung zu einer anderen, wenn wir nicht zuvor das gleiche in unseren Sinnen erlebt haben. Der Grund dafür ist folgender: Alle Einbildungen sind Bewegungen in uns, Überreste von jenen, die bei der Sinnesempfindung stattfanden. Und jene Bewegungen, die bei der Sinnesempfindung unmittelbar aufeinanderfolgen, setzen sich auch nach der Sinnesempfindung zusammen fort; insofern als die erste sich wieder einstellt und vorherrscht, folgt durch den Zusammenhang der bewegten Materie die spätere in solcher Weise, wie Wasser auf einem flachen Tisch dorthin geleitet wird, wohin man irgendeinen Teil davon mit dem Finger lenkt. Aber weil bei der Sinnesempfindung ein- und demselben wahrgenommenen Ding einmal das eine, ein andermal ein anderes Ding folgt, geschieht es mit der Zeit, dass es bei der Vorstellung irgendeines Dinges keine Gewissheit gibt, was wir uns als nächstes vorstellen sollen; nur eines ist gewiss: es soll etwas sein, das ihm irgendwann zuvor folgte. Diese Kette von Gedanken oder geistige Rede ist von zweierlei Art. Ungerichtete Gedankenkette Die erste ist ungerichtet, ohne Absicht und unbeständig, wobei es keinen leidenschaftlichen Gedanken [passionate thought ] gibt, der die folgenden beherrscht und zu sich als auf das Ziel und Zweck einer Strebung [desire] oder anderen Leidenschaft [passion] hinführt. In diesem Fall sagt man, die Gedanken schweifen und scheinen nichts miteinander zu tun zu haben wie in einem Traum. Von solcher Art sind gewöhnlich die Gedanken von Menschen, die nicht nur ohne Gesellschaft sind, sondern auch auf nichts Acht geben; obgleich selbst dann ihre Gedanken so geschäftig sind wie zu anderen Zeiten, aber ohne Harmonie, wie der Klang, den eine verstimmte Laute bei jedermanns Berührung von sich geben würde oder eine gestimmte bei der Berührung durch einen, der nicht spielen kann. Und doch kann man bei diesem ungezügelten Umherschweifen der Gedanken oftmals ihren Weg und ihre Abhängigkeit voneinander wahrnehmen. Denn was könnte unpassender für eine Rede unseres jetzigen Bürgerkrieges scheinen als zu fragen (wie es jemand tat), was der Wert eines römischen Silberlings war? Doch der Zusammenhang war mir offenkundig genug. Denn der Gedanke an den Krieg bewirkte den Gedanken an die Auslieferung Christi und der wiederum den Gedanken an die 30 Silberlinge, die der Preis für jenen Verrat waren; und daraus folgte leicht jene boshafte Frage, und das alles in einem Augenblick, denn Gedanken sind schnell.
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Gelenkte GedankenketteK13 Die zweite Art ist beständiger, da sie durch irgendeine Strebung und Absicht reguliert [regulated] wird. Denn der Eindruck, der durch Dinge bewirkt wird, die wir wünschen oder fürchten, ist stark und permanent oder kehrt (falls er für eine Weile aufhört) schnell zurück; zuweilen ist er so stark, dass er unseren Schlaf behindert und unterbricht. Aus der Strebung entsteht der Gedanke an ein Mittel, von dem wir gesehen haben, dass es so etwas wie das von uns Erstrebte hervorgebracht hat. Und aus diesem Gedanken entsteht der Gedanke an ein Mittel zu jenem Mittel, und so geht es kontinuierlich weiter, bis wir zu einem Anfang gelangen, der in unserer Macht liegt. Und weil das Ziel wegen der Größe seines Eindrucks uns oft in den Sinn kommt, werden unsere Gedanken, falls sie abzuschweifen beginnen, schnell wieder auf den richtigen Weg zurückgeführt; welche Beobachtung einen der sieben Weisen veranlasste, den Menschen die Richtlinie zu geben, die jetzt abgedroschen ist: Respice finem; das heißt, bei allen seinen Handlungen soll man sich oft vor Augen halten, was man haben möchte, denn dies lenkt alle Gedanken auf den Weg, auf dem es zu erreichen ist. Die Kette von geordneten Gedanken ist von zweierlei Art. Erstens, wenn wir zu einer vorgestellten Wirkung die Ursachen oder Mittel suchen, die sie hervorbringen; und das ist Mensch und Tier gemeinsam. Zweitens, wenn wir bei der Vorstellung irgendeines Dinges alle nur möglichen Wirkungen suchen, die dadurch hervorgebracht werden können; das heißt, wir stellen uns vor, was wir damit tun können, wenn wir es haben. Anzeichen hiervon habe ich stets einzig und allein beim Menschen gefunden; denn diese Wissbegier kommt kaum in der Natur irgendeines Lebewesens vor, das keine anderen Leidenschaften hat als sinnliche, wie Hunger, Durst, Geschlechtstrieb und Zorn. Kurz gesagt, die geistige Rede, wenn sie von einer Absicht beherrscht wird, ist nichts als ein Suchen oder die Fähigkeit der Erfindung, was die Römer sagacitas und solertia nennen; ein Ausfindigmachen der Ursachen einer gegenwärtigen oder vergangenen Wirkung oder der Wirkungen einer gegenwärtigen oder vergangenen Ursache. Zuweilen sucht jemand etwas, das er verloren hat; und von Ort und Zeitpunkt des Vermissens eilt sein Geist zurück, von Ort zu Ort und von Zeitpunkt zu Zeitpunkt, um herauszufinden, wo und wann er es noch hatte, das heißt, um eine sichere Begrenzung für Zeit und Raum zu finden, innerhalb derer er mit einer systematischen Suche beginnen kann. Von dort gehen seine Gedanken wieder dieselben Orte und Zeitpunkte durch, um herauszufinden, welche Handlung oder andere Gelegenheit zu dem Verlust geführt haben könnte. Das nennen wir Wiedererinnerung [remembrance] oder Ins-Gedächtnis-rufen;
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die Römer nennen es reminiscentia, gleichsam ein Zurück-Rechnen [re-conning] unserer früheren Handlungen. Manchmal weiß jemand einen bestimmten Ort, in dessen Umkreis er suchen muss; und dann gehen seine Gedanken dessen sämtliche Teile in der gleichen Weise durch, wie man ein Zimmer absuchen würde, um ein Schmuckstück zu finden, oder wie ein Spaniel das Gelände durchstreift, bis er eine Witterung findet, oder wie ein Mensch das Alphabet durchgeht, um einen Reim aufzustöbern. Klugheit K14 Zuweilen wünscht jemand das Ergebnis einer Handlung zu wissen; und dann denkt er an eine gleichartige Handlung in der Vergangenheit und die Ergebnisse, die ihr nacheinander folgten, in der Annahme, dass gleiche Ergebnisse gleichen Handlungen folgen. Wie jemand, der voraussieht, was aus einem Verbrecher wird, sich ins Gedächtnis ruft, was er dem gleichen Verbrechen hat folgen sehen, wobei die Reihenfolge seiner Gedanken ist: das Verbrechen, der Büttel, das Gefängnis, der Richter und der Galgen. Diese Art von Gedanken nennt man Voraussicht und Klugheit [prudence] oder Vorsehung [foresight ] und manchmal Weisheit [wisdome]; obwohl solche Mutmaßung wegen der Schwierigkeit, alle Umstände zu beachten, sehr trügerisch sein mag. Aber eines ist gewiss: um wieviel mehr Erfahrung ein Mensch in vergangenen Dingen hat als ein anderer, um soviel ist er auch klüger, und um so seltener lassen ihn seine Erwartungen im Stich. Nur die Gegenwart existiert in der Natur; vergangene Dinge existieren nur in der Erinnerung, aber kommende Dinge existieren überhaupt nicht, denn die Zukunft ist nur eine Fiktion des Geistes, der die Folge vergangener Handlungen auf die gegenwärtigen Handlungen anwendet, was der am sichersten tut, der die meiste Erfahrung hat, aber nicht sicher genug. Und obgleich man es Klugheit nennt, wenn das Ergebnis unserer Erwartung entspricht, ist es doch seiner Natur nach nur Vermutung [presumption]. Denn die Voraussicht kommender Dinge, die Vorsehung ist, besitzt nur der, durch dessen Willen sie kommen sollen. Nur aus ihm und auf übernatürliche Weise entspringt Prophezeiung. Der beste Prophet ist naturgemäß, wer am besten mutmaßen kann; und wer am besten mutmaßen kann, ist, wer in den Dingen, über die er mutmaßt, am meisten versiert und bewandert ist, denn er hat die meisten Zeichen, nach denen er mutmaßen kann. Zeichen Ein Zeichen [signe] ist das dem folgenden vorausgehende Ereignis und umgekehrt das dem vorausgehenden folgende, wenn die gleichen Folgen zuvor beobachtet worden sind. Und je häufiger sie beobachtet worden sind, desto weniger unsicher ist das Zeichen. Und wer die meiste Erfahrung in einer Sache besitzt, hat deshalb die meisten
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Zeichen, nach denen er Mutmaßungen über die Zukunft anstellen kann, und ist folglich der Klügste. Und er ist soviel klüger als jemand, der in dieser Sache neu ist, dass man ihm auch nicht durch irgendeine Überlegenheit natürlicher und improvisierender geistiger Gewandtheit gleichkommen kann, obwohl viele junge Männer vielleicht das Gegenteil denken mögen. Dennoch ist es nicht Klugheit, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Es gibt Tiere, die mit einem Jahr mehr beobachten und klüger verfolgen, was ihrem Wohl dient, als das ein Kind mit zehn tun kann. Mutmaßung über die vergangene Zeit Wie Klugheit eine Vermutung über die Zukunft ist, die aus der Erfahrung [experience] der Vergangenheit gewonnen wird, so gibt es eine Vermutung über vergangene Dinge, die von anderen, nicht zukünftigen, sondern auch vergangenen Dingen stammt. Denn wer gesehen hat, durch welche Verhaltensweisen und Stadien ein blühender Staat zuerst in einen Bürgerkrieg geriet und dann ruiniert wurde, wird beim Anblick der Ruinen eines anderen Staates erraten, dass dort auch der gleiche Krieg und die gleichen Verhaltensweisen stattgefunden haben. Aber diese Mutmaßung [conjecture] enthält fast dieselbe Ungewissheit wie die Mutmaßung über die Zukunft, da beide nur auf Erfahrung begründet sind. Es gibt meines Wissens keine andere Fähigkeit des menschlichen Geistes, die ihm von Natur aus so eingeprägt ist, dass zu ihrer Ausübung nichts anderes nötig ist, denn als Mensch geboren und im Besitz seiner fünf Sinne zu sein. Jene anderen Fähigkeiten, von denen ich nach und nach sprechen werde und die nur dem Menschen eigen zu sein scheinen, werden durch Eifer und Fleiß erworben und vergrößert und von den meisten Menschen mit Hilfe von Unterweisung und Disziplin gelernt und gehen alle aus der Erfindung der Wörter und der Sprache hervor. Denn außer Empfindung und Gedanken und der Kette von Gedanken hat der menschliche Geist keine andere Bewegung; allerdings können mit Hilfe von Sprache und überlegtem Vorgehen diese Fähigkeiten auf eine solche Höhe gebracht werden, dass die Menschen sich von allen anderen Lebewesen unterscheiden.K15 Was immer wir uns vorstellen, ist endlich.K16 Deswegen gibt es weder Idee [idea] noch Begriff [conception] von etwas, das wir unendlich nennen. Niemand kann in seinem Geist eine Vorstellung von unendlicher Größe haben noch sich einen Begriff machen von unendlicher Geschwindigkeit, unendlicher Zeit oder unendlicher Kraft oder unendlicher Macht. Wenn wir sagen, etwas sei unendlich, bezeichnen wir nur, dass wir nicht fähig sind, Ende und Grenzen des Genannten zu begreifen; denn wir
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haben keinen Begriff von dem Ding, sondern von unserer eigenen Unfähigkeit. Und daher wird der Name Gottes nicht gebraucht, damit wir ihn begreifen (denn er ist unfassbar und seine Größe und Macht sind unbegreiflich), sondern damit wir ihn ehren. Auch weil alles, was wir begreifen (wie ich zuvor sagte), zuerst durch die Sinnesempfindung wahrgenommen worden ist, entweder ganz oder teilweise, kann niemand einen Gedanken haben, der nicht etwas darstellt, was der Sinnesempfindung unterworfen ist. Deshalb kann sich niemand etwas vorstellen, außer an irgendeinem Ort und mit einer bestimmten Größe ausgestattet, die sich in Teile zerlegen lässt; und auch nicht, dass etwas ganz und gar hier und zugleich ganz und gar dort ist, und auch nicht, dass zwei oder mehrere Dinge zugleich an ein- und demselben Ort sind. Denn nichts davon ist je bei der Sinnesempfindung vorgekommen oder kann dabei vorkommen, sondern es handelt sich um widersinnige Ausdrucksweisen, die auf Treu und Glauben (ohne dabei irgendetwas zu besagen) von irregeführten Philosophen und irregeführten oder irreführenden Scholastikern übernommen wurde. Kapitel IV Von der SpracheK17 Ursprung der Sprache Die Erfindung der Druckerkunst ist, wenn auch genial, im Vergleich mit der Erfindung der Buchstaben keine große Sache. Aber wer als erster auf den Gebrauch von Buchstaben kam, ist nicht bekannt. Wer sie zuerst nach Griechenland brachte, war Kadmos, heißt es, der Sohn von Agenor, dem König von Phönizien. Eine nützliche Erfindung für die Fortdauer der Erinnerung an vergangene Zeiten und die Verbindung der Menschheit, die über so viele und ferne Regionen der Erde verstreut ist; und obendrein schwierig, da sie von einer aufmerksamen Beobachtung der verschiedenen Bewegungen von Zunge, Gaumen, Lippen und anderen Sprechwerkzeugen ausgeht und mit ihrer Hilfe ebensoviele verschiedene Schriftzeichen bildet, um sie sich zu merken. Aber die edelste und nützlichste Erfindung von allen war die der Sprache [speech], bestehend aus Namen [name] oder Benennungen [appelation] und ihrer Verknüpfung [connexion], mit der die Menschen ihre Gedanken verzeichnen [register], sie sich ins Gedächtnis rufen, wenn sie vergangen sind, und sie auch einander zum gegenseitigen Nutzen und Umgang kundtun. Ohne sie hätte es bei den Menschen weder Gemeinwesen noch Gesellschaft noch Vertrag noch Frieden gegeben, nicht mehr als bei Löwen, Bären und Wölfen. Der erste Urheber der Sprache war Gott selbst, der Adam unterwies, wie er die Geschöpfe nennen sollte, die er seinem
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Blick darbot; denn die Heilige Schrift geht in dieser Sache nicht weiter. Aber dies genügte als Anleitung für ihn, weitere Namen hinzuzufügen, entsprechend seiner Erfahrung mit den Geschöpfen und ihrem Nutzen, und sie allmählich so zu verbinden, das er sich verständlich machen konnte; und so konnte im Lauf der Zeit so viel an Sprache geschaffen werden, wie er Verwendung dafür hatte; freilich nicht so wortreich, wie sie ein Redner oder Philosoph benötigt. Denn ich finde in der Heiligen Schrift nichts, woraus direkt oder indirekt hervorgeht, dass Adam die Namen aller Formen, Zahlen, Maße, Farben, Laute, Einbildungen, Relationen gelehrt wurden, weit weniger die Namen von Worten und Redeformen wie allgemein, besonders, affirmativ, negativ, interrogativ, optativisch, infinitivisch, die alle nützlich sind, und am allerwenigsten die von Entität, Intentionalität, Quiddität und anderen nichtssagenden Worten der Schule. Aber diese ganze von Adam und seinen Nachkommen empfangene und vermehrte Sprache ging beim Turmbau zu Babel wieder verloren, als durch Gottes Hand alle Menschen für ihre Rebellion mit dem Vergessen ihrer früheren Sprache geschlagen wurden. Und da sie hierdurch gezwungen waren, sich in die verschiedenen Teile der Welt zu zerstreuen, musste es notwendigerweise geschehen, dass die Vielfalt von Sprachen, die jetzt besteht, allmählich von ihnen ausging, so, wie die Not (die Mutter aller Erfindungen) sie sie lehrte; und im Verlauf der Zeit wurde sie überall wortreicher. Gebrauch der Sprache K18 Der allgemeine Gebrauch [general use] der Sprache besteht darin, unsere geistige Rede [mentall discourse] in verbale zu übertragen oder die Kette unserer Gedanken in eine Kette von Worten; und das zu zwei Zwecken, dessen einer das Verzeichnen der Folgen unserer Gedanken ist, die, dazu neigend, unserer Erinnerung zu entgleiten und uns neue Mühe zu bereiten, so durch die Worte, mit denen sie gekennzeichnet wurden, zurückgerufen werden können. So besteht der erste Gebrauch von Namen darin, als Markierungen [markes] oder Vermerke [notes] für die Wiedererinnerung zu dienen. Ein weiterer Gebrauch besteht darin, dass die Menschen, wenn viele dieselben Worte benutzen, (durch deren Verbindung und Anordnung) einander bezeichnen [signifie], was sie von jeder Sache halten oder denken und auch, was sie erstreben, befürchten oder wonach sie irgendeine andere Leidenschaft haben. Und in Bezug auf diesen Gebrauch nennt man sie Zeichen [signs]. Spezielle Verwendungsweisen [uses] der Sprache sind folgende: Erstens, zu verzeichnen, was wir durch Überlegung als die Ursache für irgendein gegenwärtiges oder vergangenes Ding ansehen und was gegenwärtige oder vergangene Dinge hervorrufen oder bewirken können,
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was, zusammengenommen, die Aneignung der Wissenschaften ist. Zweitens, anderen das Wissen zu zeigen, das wir erworben haben; das heißt, einander zu beraten und zu belehren. Drittens, anderen unseren Willen und unsere Absichten bekanntzugeben, damit wir uns gegenseitig helfen können. Viertens, uns selbst und andere zu erfreuen und zu entzücken, indem wir auf unschuldige Weise zum Vergnügen und zur Ausschmückung mit unseren Worten spielen. Missbrauch der Sprache Zu diesen Verwendungsweisen gibt es auch vier entsprechende Arten des Missbrauchs. Erstens, wenn die Menschen ihre Gedanken infolge der schwankenden Bedeutung ihrer Worte falsch verzeichnen, wodurch sie als ihre Meinung verzeichnen, was sie nie gedacht haben, und so sich selbst täuschen. Zweitens, wenn sie Worte metaphorisch benutzen, das heißt in anderem Sinne als dem vorgesehenen, und dadurch andere täuschen. Drittens, wenn sie mit Worten für ihren Willen erklären, was nicht ihr Wille ist. Viertens, wenn sie sie gebrauchen, um einander zu verletzen; denn da die Natur die Lebewesen teils mit Zähnen, teils mit Hörnern und teils mit Händen bewaffnet hat, um einen Feind zu verletzen, ist es nur ein Missbrauch der Sprache, ihn mit Worten zu verletzen; es sei denn jemand, den wir zu leiten verpflichtet sind, und dann geschieht es nicht, um zu verletzen, sondern um zurechtzuweisen und zu bessern. Die Art, wie die Sprache zur Wiedererinnerung an die Aufeinanderfolge von Ursachen und Wirkungen dient, besteht im Geben von Namen und ihrer Verbindung. Eigennamen und gemeinsame NamenK19 Bei den Namen sind manche Eigennamen [names proper] und gehören nur zu einem einzigen Ding, wie Peter, John, dieser Mensch, dieser Baum; und manche sind als gemeinsame Namen vielen Dingen gemeinsam, wie Mensch, Pferd, Baum, von denen jeder zwar nur ein Name ist, aber der Name verschiedener einzelner Dinge; und in Hinsicht auf alle Universalnamen diese zusammen heißt er Universalname [universall]; wobei nichts auf der Welt universell ist als Namen, denn die benannten Dinge sind jedes individuell und einzeln. Ein Universalname wird vielen Dingen gegeben, wegen ihrer Ähnlichkeit in einer Qualität oder einem anderen Akzidens. Und während der Eigenname nur an ein Ding erinnert, rufen Universalnamen jedes beliebige von je den vielen ins Gedächtnis. Und bei Universalnamen sind manche von größerer und manche von geringerer Extension, wobei die größeren die weniger großen einschließen; und einige sind wiederum von gleicher Extension und schließen einan-
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der ein. Zum Beispiel ist der Name Körper von weiterer Bedeutung als das Wort Mensch und schließt es ein; und die Namen Mensch und rational sind von gleicher Reichweite und schließen einander ein. Aber hier müssen wir beachten, dass unter einem Namen nicht immer, wie in der Grammatik, ein einziges Wort zu verstehen ist, sondern zuweilen durch Umschreibung viele Worte zusammen. Denn alle diese Worte: Wer in seinen Handlungen die Gesetze seiner Landes befolgt, ergeben nur einen Namen, der dem Wort gerecht entspricht. Durch diese Auferlegung [imposition] von Namen, manche von weiterer, manche von engerer Bedeutung, verwandeln wir die Berechnung [reckoning] der Folgen von im Geiste vorgestellten Dingen in einer Berechnung der Folgen von Benennungen [appelations]. Wenn zum Beispiel ein Mensch, dem die Sprache überhaupt nicht zur Verfügung steht (wie einer, der völlig taubstumm geboren ist und bleibt), ein Dreieck vor sich stellt und daneben zwei rechte Winkel (die die Ecken einer rechtwinkligen Figur sind), kann er durch Überlegung [meditation] vergleichen und herausfinden, dass die drei Winkel jenes Dreiecks gleich denen jener danebenstehenden beiden rechten Winkel sind. Aber wenn ihm ein anderes Dreieck gezeigt wird, das sich in der Form von dem vorigen unterscheidet, kann er nicht ohne neue Mühe wissen, ob diese drei Winkel demselben auch gleich sind. Aber wem Worte zur Verfügung stehen, der wird, wenn er bemerkt, dass solche Gleichheit nicht auf der Länge der Seiten oder irgendeiner anderer Besonderheit in seinem Dreieck beruhte, sondern nur darauf, dass die Seiten gerade und die Winkel drei an der Zahl waren, und dass das alles war, weswegen er es Dreieck nannte, kühn die allgemeine Schlussfolgerung ziehen, dass solche Gleichheit der Winkel in allen nur möglichen Dreiecken besteht, und seine Entdeckung mit der allgemeinen Formulierung ausdrücken: Die drei Winkel eines jeden Dreiecks sind gleich zwei rechten Winkeln. Und so wird die in einer Einzelheit gefundene Folgerung schließlich als allgemeine Regel ausgedrückt und im Gedächtnis behalten und entlastet unsere geistige Berechnung von Zeit und Ort und befreit uns von aller geistigen Mühe außer der ersten und bewirkt, dass das, was hier und jetzt für richtig befunden wurde, zu allen Zeiten und an allen Orten richtig ist. Aber der Nutzen von Worten beim Verzeichnen unserer Gedanken ist nirgends so offenkundig wie beim Zählen. Ein geborener Dummkopf, der nie die Reihenfolge von Zahlwörtern wie eins, zwei und drei auswendig lernen konnte, mag jeden Schlag der Uhr wahrnehmen und dazu nicken oder eins, eins, eins sagen, kann aber nie wissen, welche Stunde es schlägt. Und anscheinend gab es eine Zeit, da solche Zahlennamen nicht
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in Gebrauch waren und die Menschen ihre Finger einer Hand oder beider Hände für jene Dinge benutzen mussten, da sie berechnen wollten; und daher kam es wohl, dass unsere Zahlwörter jetzt in jeder Nation nur zehn sind und in manchen nur fünf, und dann beginnen sie wieder von vorn. Und wer bis zehn zählen kann, kommt durcheinander, wenn er sie außer der Reihenfolge hersagt, und weiß nicht, wann er fertig ist. Weit weniger wird er in der Lage sein zu addieren und subtrahieren und alle anderen arithmetischen Operationen auszuführen. So gibt es ohne Worte keine Möglichkeit, mit Zahlen zu rechnen, weit weniger mit Größen, Geschwindigkeiten, Kraft und anderen Dingen, deren Berechnung für die Existenz oder das Wohl der Menschheit notwendig ist. Wenn zwei Namen zu einer FolgerungK20 [consequence] oder Affirmation verbunden werden, wie Ein Mensch ist ein Lebewesen oder Wenn er ein Mensch ist, ist er ein Lebewesen und wenn der zweite Name Lebewesen all das bezeichnet, was der erste Name Mensch bezeichnet, dann ist die Affirmation oder Folgerung wahr, andernfalls falsch. Denn Wahr und Falsch sind Eigenschaften [attributes] der Sprache, nicht der Dinge. Und wo es keine Sprache gibt, gibt es weder Wahr noch Falsch. Irrtum [errour] mag es geben, wie wenn wir etwas erwarten, was nicht sein wird, oder etwas vermuten, was nicht gewesen ist; aber in keinem dieser Fälle kann man einem Menschen Unwahrheit vorwerfen. Notwendigkeit von Definitionen Da also Wahrheit in der richtigen Anordnung [ordering] der Namen bei unseren Affirmationen besteht, müsste ein Mensch, der die exakte Wahrheit sucht, bedenken, wofür jeder Name steht, den er benutzt, und ihn an die entsprechende Stelle setzen; sonst wird er sich in Worte verstrickt sehen wie ein Vogel in Schlingen, je mehr er loszukommen sucht, desto enger zieht sich die Schlinge zu. Und in der Geometrie (der einzigen Wissenschaft, die Gott bisher der Menschheit zu schenken geruht hat) beginnen deshalb die Menschen damit, die Bedeutungen ihrer Worte festzulegen. Diese Festlegung der Bedeutungen [settling of significations] nennen sie Definitionen und setzen sie an den Anfang ihrer Berechnungen. Hierdurch zeigt es sich, wie notwendig es für jeden ist, der nach wahrer Erkenntnis strebt, die Definitionen früherer Autoren zu prüfen und sie entweder zu korrigieren, wo sie unachtsam niedergeschrieben sind, oder sie selbst zu verfassen. Denn die Irrtümer von Definitionen vervielfältigen sich mit dem Fortgang der Berechnung und führen die Menschen zu Widersinnigkeiten, die sie schließlich sehen, aber nicht vermeiden können, ohne mit der Berechnung von vorn zu beginnen, wo die Basis ihrer Irrtümer liegt. Daher geschieht es, dass Menschen, die sich
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auf Bücher verlassen, so handeln wie Menschen, die viele kleine Summen zu einer größeren zusammenrechnen, ohne zu überlegen, ob jene kleinen Summen richtig zusammengerechnet wurden oder nicht; und wenn schließlich der Irrtum sichtbar wird und sie ihren ersten Grundlagen nicht misstrauen, wissen sie nicht, wie sie sich davon befreien sollen, sondern vergeuden ihre Zeit mit dem Überfliegen ihrer Bücher, wie Vögel, die durch den Kamin hereingekommen sind und sich in einem Zimmer eingeschlossen finden, zum trügerischen Licht eines Glasfensters fliegen, weil ihnen zu der Überlegung fehlt, auf welchem Weg sie hereinkamen. So liegt in der richtigen Definition von Namen der erste Nutzen [use] der Sprache, was die Aneignung der Wissenschaft ist; und in falschen oder keinen Definitionen liegt der erste Missbrauch [abuse], aus dem alle falschen und sinnlosen Lehrsätze entspringen, welche jene Menschen, die ihre Belehrung der Autorität von Büchern und nicht ihrer eigenen Überlegung entnehmen, so weit unter das Niveau unwissender Menschen stellen, wie wahrhaft wissenschaftlich gebildete Menschen darüber stehen. Denn Unwissenheit steht in der Mitte zwischen wahrer Wissenschaft und Irrlehren. Natürliche Sinnesempfindung und Vorstellung sind Widersinnigkeiten nicht ausgesetzt. Die Natur selbst kann nicht irren; und mit dem Reichtum ihres Wortschatzes werden die Menschen weiser oder närrischer als der Durchschnitt. Auch kann niemand ohne sprachliche Bildung entweder außerordentlich weise oder (falls sein Gedächtnis durch Krankheit oder schlechte Beschaffenheit der Organe beeinträchtigt ist) außerordentlich töricht werden. Denn Worte sind die Zählpfennige der Weisen, sie rechnen nur damit; aber sie sind das Geld der Narren, die sie nach der Autorität eines Aristoteles, eines Cicero […] schätzen, wenn es nur ein Mensch ist. Gegenstand von Namen Gegenstand von Namen ist alles, was in eine Berechnung [account ] eingehen oder darin erwogen und miteinander zu einer Summe addiert oder voneinander subtrahiert werden und eine Differenz ergeben kann. Die Römer nannten finanzielle Berechnungen rationes und das Berechnen ratiocinatio; und was wir auf Rechnungen oder in Rechnungsbüchern Posten [items] nennen, nannten sie nomina, das heißt Namen; und daraus scheint hervorzugehen, dass sie das Wort ratio auf die Fähigkeit des Berechnens [reckoning] in allen anderen Dingen ausdehnten. Die Griechen haben nur ein Wort, «, für Sprache und Vernunft; nicht dass sie glaubten, es gäbe keine Sprache ohne Vernunft, aber keine vernünftige Beweisführung ohne Sprache. Und den Akt der Argumentation [reasoning] nannten sie Syllogismus, was das Zusammenfassen der Folgen eines Sagens auf das andere bezeichnet. Und weil die gleichen
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Dinge als verschiedene Akzidenzien in eine Berechnung eingehen können, werden ihre Namen (um diese Vielfalt zu zeigen) vielfältig abgeändert und modifiziert. Diese Vielfalt von Namen lässt sich auf vier allgemeine Titel reduzieren. Erstens kann ein Ding als Materie oder Körper in eine Berechnung eingehen; wie lebendig, wahrnehmbar, vernünftig, heiß, kalt, bewegt, ruhig; bei allen diesen Namen ist das Wort Materie oder Körper zu ergänzen, da sie alle Namen von Materie sind. Zweitens kann es als Akzidens oder eine Qualität, die wir als darin enthalten auffassen, in die Berechnung eingehen oder erwogen werden, wie zum Beispiel, dass es bewegt wird, dass es so lang ist, dass es heiß ist etc.; und dann machen wir aus dem Namen des Dinges selbst durch eine kleine Wandlung oder Veränderung einen Namen für dieses Akzidens, das wir erwägen; und für lebendig setzen wir Leben in die Berechnung, für bewegt Bewegung, für heiß Hitze, für so lang Länge und dergleichen. Und alle diese Namen sind die Namen der Akzidenzien und Eigenschaften, durch die sich eine Materie und ein Körper von einem anderen unterscheidet. Diese nennt man abstrakte Namen, weil sie zwar nicht von der Materie, aber von der Berechnung [account ] der Materie getrennt sind. Drittens bringen wir die Eigenschaften unserer eigenen Körper in die Berechnung, wobei wir folgende Unterscheidung machen: wenn irgend etwas von uns gesehen wird, berechnen wir nicht das Ding selbst, sondern Aussehen, Farbe und Idee davon in der Einbildung [fancy]; und wenn etwas gehört wird, rechnen wir es nicht, sondern nur das Hören oder das Geräusch, was unser Einbildung oder Auffassung [conception] durch das Ohr entspricht: und das sind Namen von Einbildungen. Viertens berechnen, erwägen und benennen wir Namen selbst und Redeformen [speeches]; denn generell, universell, speziell, doppeldeutig sind Namen von Namen. Und Affirmation, Interrogation, Befehl, Narration, Syllogismus, Predigt, Oration und viele andere von dieser Art sind Namen von Redeformen. Und all dies sind die verschiedenen Arten von positiven Gebrauch von positiven Namen Namen, welche man zur Bezeichnung von etwas gebraucht, das in der Natur existiert oder sich vom menschlichen Geist als existent fingieren lässt, wie Körper, die existieren oder als existent aufgefasst werden können, oder die Eigenschaften von Körpern, die existieren oder als existent fingiert werden können, oder Worte und Redeformen. Negative Namen mit ihren Verwendungen Es gibt auch andere Namen, negativ genannt, welche Kennzeichen [notes] sind um zu bezeichnen [signifie], dass ein Wort nicht der Name des entsprechenden
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Dinges ist, wie die Worte nichts, niemand, unendlich, unbelehrbar, drei minus vier und dergleichen, die dennoch bei der Berechnung oder bei der Korrektur der Berechnung von Nutzen sind und uns, obgleich sie nicht die Namen von irgend etwas sind, unsere vergangenen Überlegungen ins Gedächtnis rufen, weil sie uns dazu bringen, keine unrichtig verwendeten Namen gelten zu lassen. Nichtssagende Worte Alle anderen Namen sind nur nichtssagende Klänge [insignificant sounds], und zwar von zweierlei Art. Die eine liegt vor, wenn sie neu sind und ihre Bedeutung noch nicht durch eine Definition erläutert ist; eine Fülle hiervon sind durch Scholastiker und verwirrte Philosophen geprägt worden. Eine andere Art liegt vor, wenn die Menschen einen Namen aus zwei Namen bilden, deren Bedeutungen widersprüchlich und unvereinbar sind, wie bei dem Namen ein immaterieller Körper oder (was das gleiche ist) eine immaterielle Substanz und eine große Anzahl mehr davon. Denn wann immer eine Affirmation falsch ist, besagen ihre beiden Bestandteile, zusammengesetzt und vereint, gar nichts. Wenn es zum Beispiel eine falsche Affirmation ist zu sagen, ein Viereck sei rund, besagt die Bezeichnung rundes Viereck nichts, sondern sie ist ein bloßer Klang. Ebenso, wenn es falsch ist zu sagen, Tugend könne auf- und abgegossen oder geblasen werden, sind die Worte eingegossene Tugend, eingeblasene Tugend so widersinnig und nichtssagend wie ein rundes Viereck. Und daher wird man kaum ein sinnloses oder nichtssagendes Wort finden, das nicht aus irgendwelchen lateinischen oder griechischen Namen gebildet ist. Ein Franzose hört selten, dass unser Erlöser mit dem Namen parole bezeichnet wird, aber oft mit dem Namen verbe; doch verbe und parole unterscheiden sich nicht mehr, als dass das eine lateinisch ist, das andere französisch. VerstehenK21 Wenn jemand beim Anhören einer Äußerung die Gedanken hat, die zu bezeichnen die Worte jener Äußerung und ihre Verbindung bestimmt waren und formuliert wurden, dann sagt man, er habe sie verstanden; denn Verstehen ist nichts weiter als durch Sprache bewirktes Auffassen [conception caused by speech]. Und wenn also die Sprache dem Menschen eigentümlich ist (was, soviel ich weiß, der Fall ist), dann ist ihm das Verstehen auch eigentümlich. Und daher kann es für widersinnige und falsche Affirmationen, falls sie allgemein sind, kein Verstehen geben, obwohl viele denken, sie verstehen sie, wenn sie die Worte nur leise wiederholen oder auswendig lernen. Was für Redeformen die Neigungen [appetites], Abneigungen [aversions] und Leidenschaften [passions] des menschlichen Geistes bezeichnen und
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von Ihrem Nutzen und Missbrauch, werde ich sprechen, wenn ich von den Leidenschaften gesprochen haben werde.K22 Namen mit schwankender Bedeutung Die Namen von Dingen, die uns berühren [affect us], das heißt, die uns angenehm oder zuwider sind [please and displease], haben in der alltäglichen Unterhaltung der Menschen schwankende Bedeutung [inconstant signification], weil weder alle Menschen von dem gleichen Ding in ähnlicher Weise berührt werden noch derselbe Mensch zu allen Zeiten. Denn da alle Namen auferlegt [imposed ] werden, um unsere Auffassungen [conceptions] zu bezeichnen, und alle unsere Widerfahrnisse [affections] nur Auffassungen sind, können wir es kaum vermeiden, dieselben Dinge, wenn wir sie unterschiedlich auffassen, unterschiedlich zu benennen. Denn obgleich die Natur dessen, was wir erfassen, dieselbe ist, so gibt doch die Vielfalt ihrer Aufnahme durch uns, in Anbetracht der verschiedenen körperlichen Beschaffenheit und Voreingenommenheit der Meinung, jedem Ding eine Tönung unserer verschiedenen Leidenschaften. Und daher muss man beim vernünftigen Denken [reasoning] auf die Worte achtgeben, die außer der Bezeichnung dessen, was wir uns unter ihrer Natur vorstellen, auch eine Bezeichnung von Natur, Disposition und Interesse des Sprechers enthalten, wie zum Beispiel die Namen von Tugenden und Lastern: Denn der eine nennt Weisheit, was der andere Furcht nennt; der eine sagt Grausamkeit, der andere Gerechtigkeit; der eine Verschwendung, der andere Großmut und der eine feierlicher Ernst, der andere Stumpfsinn etc. Und deshalb können solche Namen nie eine echte Grundlage für irgendwelche vernünftige Beweisführung [ratiocination] sein. Das können auch Metaphern und Redewendungen [tropes of speech] nicht; aber diese sind weniger gefährlich, weil sie ihre schwankende Bedeutung offen bekunden, was die anderen nicht tun. Kapitel V Von Vernunft und Wissenschaft Was Vernunft ist Wenn ein Mensch vernünftig denkt, tut er nichts anderes, als sich eine Gesamtsumme aus der Addition von Teilen zu denken oder eine Differenz aus der Subtraktion einer Summe von der anderen; was (wenn es mit Worten geschieht) das Auffassen [conceiving] dessen, was sich aus der Folge der Namen aller Teile für den Namen des Ganzen oder des Namens des Ganzen und eines Teils für den Namen des anderen Teils ergibt. Und obgleich bei manchen Dingen (wie in der Mathematik) außer dem Addieren und Subtrahieren noch andere Operationen genannt werden, wie Multiplizieren und Dividieren, sind sie doch dasselbe;
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denn Multiplikation ist nur ein Addieren gleicher Dinge und Division nur das Subtrahieren eines Dinges, sooft wir können. Diese Operationen kommen nicht nur bei Zahlen vor, sondern bei jederlei Dingen, die sich zusammenziehen und voneinander trennen lassen. Denn wie die Arithmetiker Addition und Subtraktion bei Zahlen lehren, so lehren die Geometriker das gleiche bei Linien, Figuren (räumlich und flächig), Winkeln, Proportionen, Zeiten, Graden von Geschwindigkeit, Kraft, Stärke und dergleichen; die Logiker lehren das gleiche bei Folgen von Worten, indem sie zwei Namen zu einer Affirmation addieren und zwei Affirmationen zu einem Syllogismus und viele Syllogismen zu einer Demonstration; und von der Summe oder Schlussfolgerung eines Syllogismus subtrahieren sie eine Behauptung, um die andere zu finden. Politische Autoren addieren Verträge, um die Pflichten der Menschen zu finden, und Juristen Gesetze und Fakten, um herauszufinden, was bei den Handlungen von Privatpersonen recht und unrecht ist. Kurz gesagt, wo Platz für Addition und Subtraktion ist, da ist auch Platz für Vernunft [reason]; und wo diese keinen Platz haben, da hat die Vernunft gar nichts zu schaffen. Definition der Vernunft Aus diesem allen können wir definieren (das heißt bestimmen), was mit diesem Wort Vernunft gemeint ist, wenn wir sie zu den geistigen Fähigkeiten [faculties of the mind] rechnen. Denn Vernunft in diesem Sinne ist nichts als das Berechnen [reckoning] (das heißt das Addieren und Subtrahieren) der Folgen allgemeiner Namen, über die wir uns zum Markieren [marking] und Bezeichnen [signifying] unserer Gedanken geeinigt haben; ich sage Markieren, wenn wir für uns rechnen, und Bezeichnen, wenn wir unsere Berechnungen anderen Menschen demonstrieren oder darlegen wollen. Wo die rechte Vernunft liegt Und wie in der Arithmetik unerfahrene Menschen oft irren und falsch rechnen müssen und das selbst bei Fachleuten geschehen kann, so können sich auch bei jedem anderen Gegenstand vernünftiger Beweisführung die fähigsten, aufmerksamsten und erfahrensten Menschen täuschen und falsche Schlussfolgerungen ziehen. Nicht, dass die Vernunft selbst nicht immer rechte Vernunft ist, so wie die Arithmetik eine zuverlässige und unfehlbare Wissenschaft ist; aber weder die Vernunft eines einzelnen noch die Vernunft einer beliebigen Anzahl von Menschen machen die Zuverlässigkeit aus; ebenso wenig, wie eine Rechnung deswegen gut ausgeführt ist, weil sehr viele Menschen sie einstimmig gutgeheißen haben. Und wie deshalb im Fall einer Streitigkeit bei einer Berechnung die Parteien aus eigenem Antrieb als rechte Vernunft [right reason] die Vernunft eines Unparteiischen oder Richters einsetzen müssen, an dessen Urteil sie sich beide halten, an-
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dernfalls ihre Streitigkeit in Ermangelung einer von der Natur eingesetzten rechten Vernunft zu Tätlichkeiten führen oder unentschieden bleiben muss, so ist es auch bei allen Disputen jeder Art. Und wenn Menschen, die sich selbst für weiser halten als alle anderen, lauthals die rechte Vernunft als Richter fordern, aber nichts weiter begehren, als dass die Dinge durch niemandes Vernunft als ihre eigene entschieden werden, dann ist es in der menschlichen Gesellschaft so unerträglich, wie wenn man beim Kartenspiel, nachdem der Trumpf festgelegt ist, bei jeder Gelegenheit die Farbe als Trumpf nehmen wollte, wovon man die meisten Karten in der Hand hat. Denn nichts anderes tun die, welche jede ihrer Leidenschaften, die gerade in ihnen die Oberhand hat, als rechte Vernunft verstanden wissen sollen, und das bei ihren eigenen Streitigkeiten, wobei sie ihren Mangel an rechter Vernunft verraten, indem sie Anspruch darauf erheben. Der Nutzen der VernunftK23 Zweck und Ziel der Vernunft liegt nicht darin, Summe und Wahrheit einer oder einiger weniger Folgerungen herauszufinden, die von den ersten Definitionen und festgelegten Bedeutungen von Namen entfernt sind, sondern darin, bei diesen zu beginnen und von einer Folgerung zur anderen fortzuschreiten. Denn es kann keine Gewissheit über die letzte Schlussfolgerung geben ohne Gewissheit über all jene Affirmationen und Negationen, auf denen sie gründet und von denen sie abgeleitet wurde. Wie ein Familienvater, wenn er bei der Entgegennahme einer Rechnungslegung die Summen aller Rechnungen für die Ausgaben zu einer Summe zusammenzählt und nicht darauf achtet, wie jede Rechnung von denen, die sie vorlegen, addiert ist oder wofür er bezahlt, sich nicht mehr nützt, als wenn er im Vertrauen auf die Sachkenntnis und Ehrlichkeit jedes Buchhalters die Rechnung im ganzen billigte, so ist es auch bei der Beweisführung in allen anderen Dingen: wer Schlussfolgerungen im Vertrauen auf Autoren übernimmt und sie nicht aus den ersten Posten jeder Berechnung (nämlich den durch Definitionen festgelegten Bedeutungen von Namen) gewinnt, vergeudet seine Mühe und weiß gar nichts, sondern glaubt nur. Von Irrtum und Widersinnigkeit Wenn jemand ohne Verwendung von Worten Berechnungen anstellt, was sich bei einzelnen Dingen tun lässt (wie wenn wir bei dem Anblick von irgend etwas mutmaßen, was dem wahrscheinlich vorausgegangen ist oder wahrscheinlich folgen wird), und das, was er für das wahrscheinlich Vorausgegangene hielt, nicht vorausgegangen ist, spricht man von Irrtum; und dem sind die klügsten Männer ausgesetzt. Aber wenn wir in Worten von allgemeiner Bedeutung Beweisführungen anstellen und an eine allgemeine Schluss-
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folgerung geraten, die falsch ist, nennt man das zwar für gewöhnlich Irrtum [error], doch in Wirklichkeit ist es eine Widersinnigkeit [absurdity] oder sinnlose Rede. Denn Irrtum ist nur eine Täuschung [deception], indem man annimmt, dass etwas vergangen ist oder kommen wird, wobei sich, obwohl es nicht vergangen war oder nicht kam, dennoch keine Unmöglichkeit entdeckbar war. Aber wenn wir eine allgemeine Behauptung aufstellen, ist, falls sie nicht wahr, ihre Möglichkeit undenkbar [unconceivable]. Und Worte, bei denen wir nichts erfassen als den Klang, nennen wir widersinnig, nichtssagend und unsinnig. Und wenn mir daher jemand von einem runden Rechteck spräche oder von Akzidenzien des Brotes im Käse oder immateriellen Substanzen oder einem freien Untertan, einem freien Willen oder irgend etwas Freiem, das nur nicht frei ist von Behinderung durch Widerstand, dann würde ich nicht sagen, er sei in einem Irrtum befangen, sondern seine Worte seien ohne Bedeutung, das heißt widersinnig. Ich sagte zuvor (im zweiten Kapitel), ein Mensch übertreffe alle anderen Lebewesen in der Fähigkeit zu erforschen, welche Folgen ein beliebiges vorgestelltes Ding hat und was für Wirkungen er damit hervorrufen kann. Und nun füge ich noch folgenden Grad der gleichen Überlegenheit hinzu, dass er die gefundenen Folgen durch Worte auf allgemeine Regeln reduzieren kann, die man Theoreme [theoremes] oder Sentenzen [Aphorismes] nennt; das heißt, er kann nicht nur bei Zahlen vernünftig denken oder rechnen, sondern auch in allen anderen Dingen, wo sich eines zum anderen addieren oder von ihm subtrahieren lässt. Aber dieses Privileg wird durch ein anderes gemildert, nämlich durch das Privileg der Widersinnigkeit, der kein Lebewesen außer dem Menschen allein ausgesetzt ist. Und von den Menschen sind ihr jene am meisten ausgesetzt, die Philosophie betreiben. Denn es ist höchst wahr, was Cicero an einer Stelle von ihnen sagt, nichts könne so widersinnig sein, als dass es sich nicht in den Büchern von Philosophen finden ließe. Und der Grund ist offenkundig. Denn es gibt keinen unter ihnen, der seine vernünftigen Beweisführungen mit den Definitionen oder Erläuterungen [explications] der Namen beginnt, die er benutzen will; diese Methode ist nur in der Geometrie angewendet worden, deren Schlussfolgerungen dadurch unbestreitbar gemacht worden sind. Ursachen der Widersinnigkeit I. Die erste Ursache widersinniger Schlussfolgerungen sehe ich im Mangel an Systematik [want in method ], indem sie ihre vernünftigen Beweisführungen nicht mit Definitionen beginnen, das heißt von festgelegten Bedeutungen ihrer Worte; als ob sie eine Berechnung anstellen könnten, ohne den Wert der Zahlwörter eins, zwei und drei zu kennen.
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Und da alle Körper auf der Grundlage verschiedener Betrachtungsweisen (die ich im vorhergehenden Kapitel genannt habe) in die Berechnung eingehen und diese Betrachtungsweisen verschieden benannt werden, entstehen aus der Verworrenheit und unangemessenen Verbindungen ihrer Namen zu Behauptungen verschiedene Widersinnigkeiten. Und daher sehe ich II. die zweite Ursache widersinniger Behauptungen darin, dass man Akzidenzien die Namen von Körpern gibt oder Körpern die Namen von Akzidenzien; wie es jene tun, die sagen: Glaube wird eingeflößt oder eingehaucht, wo doch nichts in irgend etwas eingegossen oder eingehaucht werden kann, außer Körper; und dass Ausdehnung ein Körper sei, dass Phantasmen Geister seien etc. III. Die dritte Ursache sehe ich darin, dass man den Akzidenzien unserer eigenen Körper die Namen der Akzidenzien von Körpern außerhalb von uns gibt; wie es jene tun, die sagen: Die Farbe ist im Körper; das Geräusch ist in der Luft etc. IV. Die vierte Ursache sehe ich darin, dass man Namen oder Termini die Namen von Körpern gibt; wie es jene tun, die sagen, es gebe universelle Dinge, ein Lebewesen sei eine Gattung oder ein allgemeines Ding etc. V. Die fünfte Ursache sehe ich darin, dass man Namen und Termini die Namen von Akzidenzien gibt; wie es jene tun, die sagen: Die Natur eines Dinges ist seine Definition; eines Menschen Befehl ist sein Wille und dergleichen. VI. Die sechste Ursache sehe ich im Gebrauch von Metaphern, Redewendungen und anderen rhetorischen Figuren anstelle der eigentlichen Worte. Denn obgleich es legitim ist, in alltäglicher Ausdrucksweise zum Beispiel zu sagen: Der Weg geht oder führt hierhin oder dorthin; das Sprichwort sagt dies oder das (wo doch Wege nicht gehen und Sprichwörter nicht sprechen können), so darf doch solche Redeweise beim Rechnen und bei der Suche nach Wahrheit nicht zugelassen werden. VII. Die siebte Ursache sehe ich in Namen, die nichts besagen, aber von den Schulen aufgegriffen und mechanisch gelernt werden, wie hypothetisch, transsubstantiell, konsubstantiell, ewig-gegenwärtig und dergleichen Kauderwelsch von Scholastikern. Wer diese Dinge vermeiden kann, gerät nicht leicht in irgendeine Widersinnigkeit, es sei denn durch die Länge einer Berechnung, wobei er vielleicht vergessen mag, was zuvor kam. Denn alle Menschen stellen von Natur aus gleiche und gute Beweisführungen an, wenn sie gute Prinzipien haben. Denn wer ist so dumm, dass er sich in der Geometrie vertut und dann auch noch dabei beharrt, wenn ein anderer ihm seinen Fehler nachweist?
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Wissenschaft Hieraus zeigt sich, dass uns die Vernunft weder angeboren ist wie Sinnesempfindung und Erinnerung noch lediglich durch Erfahrung erlangt wird wie die Klugheit, sondern durch Fleiß erworben; indem wir erstens angemessene Namen geben und uns zweitens eine gute und ordentliche Methode erarbeiten, wobei wir von den Elementen, welches die Namen sind, zu Behauptungen [assertions] fortschreiten, die aus der Verbindung von einem von ihnen mit einem anderen gebildet werden, und dann zu Syllogismen, die die Verbindung einer Behauptung mit einer anderen sind, bis wir zu einer Kenntnis aller Folgen von Namen gelangen, die den vorliegenden Gegenstand betreffen; und das nennen die Menschen Wissenschaft [science]. Und während Sinnesempfindung und Erinnerung nur Kenntnis von Fakten sind, was ein vergangenes und unwiderrufliches Ding ist, ist Wissenschaft die Kenntnis von den Folgen und der Abhängigkeit von einem Fakt von einem anderen; wodurch wir aus unseren gegenwärtigen Möglichkeiten erkennen, wie sich etwas anderes oder das gleiche, wenn wir wollen, zu einer anderen Zeit tun lässt. Denn wenn wir sehen, wie etwas geschieht, durch welche Ursachen und auf welche Weise, sehen wir, wie wir es zu den gleichen Wirkungen veranlassen können, wenn uns die gleichen Ursachen zu Gebote stehen. Kinder sind deswegen gar nicht mit Vernunft ausgestattet, bis sie den Gebrauch der Sprache erlangt haben; sie werden aber vernunftbegabte Wesen genannt wegen der offensichtlichen Möglichkeit, in Zukunft den Gebrauch von Vernunft zu haben. Und die meisten Menschen, obwohl sie ein bisschen über den Gebrauch vernünftigen Denkens verfügen, wie bis zu einem gewissen Grade beim Rechnen, doch im Alltagsleben nützt es ihnen wenig; denn da verhalten sie sich, einige besser, einige schlechter, entsprechend ihrer unterschiedlichen Erfahrung, der Promptheit ihres Gedächtnisses und ihren Neigungen zu verschiedenen Zielen, besonders aber entsprechend ihrem Glück oder Missgeschick und den Irrtümern, die sie voneinander übernehmen. Denn was Wissenschaft oder gewisse Regeln ihrer Handlungen betrifft, sind sie so weit davon entfernt, dass sie nicht wissen, was das ist. Geometrie haben sie für Zauberei gehalten. Aber hinsichtlich anderer Wissenschaften sind jene, die nicht in den Anfangsgründen unterwiesen wurden und einige Fortschritte darin gemacht haben, so dass sie sehen können, wie man sie erwirbt und fortpflanzt, in diesem Punkt wie Kinder, die keinen Begriff von Fortpflanzung haben und von den Frauen glauben gemacht werden, ihrer Geschwister würden nicht geboren, sondern im Garten gefunden.
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Aber dennoch befinden sich Menschen ohne Wissenschaft mit ihrer natürlichen Klugheit in einer besseren und würdigeren Lage als Menschen, die durch vernunftwidriges Denken [mis-reasoning] oder durch Vertrauen in andere, die unrichtig denken, auf falsche und widersinnige allgemeine Regeln verfallen. Denn Unkenntnis von Ursachen und Regeln bringt die Menschen nicht so weit von ihrem Weg ab, wie wenn sie sich auf falsche Regeln verlassen und solche Dinge für Ursachen der Dinge halten, nach denen sie trachten, die es nicht sind, sondern eher Ursachen des Gegenteils. Um zum Schluss zu kommen: Das Licht des menschlichen Geistes besteht in deutlichen Worten, die aber zuerst durch Definitionen zurechtgestutzt und von Doppeldeutigkeiten gereinigt werden müssen; Vernunft ist die Gangart, Vermehrung der Wissenschaft der Weg und das Wohl der Menschen das Ziel. Und im Gegensatz dazu sind Metaphern und sinnlose und doppeldeutige Worte wie Trugbilder [ignes fatui]; und auf ihrer Grundlage Beweisführungen anstellen heißt zwischen unzähligen Widersinnigkeiten umherirren; und ihr Ergebnis ist Streit und Aufruhr oder Verachtung. Klugheit und Weisheit, ihr Unterschied Wie viel Erfahrung Klugheit [prudence] bedeutet, so bedeutet viel Wissenschaft Weisheit [sapience]. Denn obgleich wir gewöhnlich den einen Namen Weisheit für beides haben, unterschieden die Römer doch stets zwischen prudentia und sapientia, wobei sie erstere auf die Erfahrung zurückführten, letztere auf die Wissenschaft. Aber um ihren Unterschied klarer zu zeigen, wollen wir uns einen Mann vorstellen, der eine angeborene vortreffliche Fähigkeit und Geschicklichkeit in der Handhabung seiner Waffen besetzt, und einen anderen, der zu dieser Geschicklichkeit noch erworbene Wissenschaft hat, wo er in jeder nur möglichen Stellung und Deckung seinen Gegner verletzen oder von ihm verletzt werden kann. Die Fähigkeit des ersteren würde sich zur Fähigkeit des letzteren verhalten wie die Klugheit zur Weisheit; beide nützlich, aber die letztere unfehlbar. Aber wer im alleinigen Vertrauen auf die Autorität von Büchern den Blinden blindlings folgt, ist wie jemand, der sich im Vertrauen auf die falschen Regeln eines Fechtlehrers vermessen an einen Gegner wagt, der ihn entweder tötet oder in Unehre bringt. Zeichen wissenschaftlicher Bildung Die Zeichen wissenschaftlicher Bildung sind teils sicher und unfehlbar, teils unsicher: Sicher, wenn jemand, der Bildung in irgendeiner Wissenschaft für sich in Anspruch nimmt, dieselbe lehren, das heißt, ihre Wahrheit einem anderen klar demonstrieren kann; unsicher, wenn nur ein paar einzelne Ergebnisse
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mit seinem Anspruch übereinstimmen und bei vielen Gelegenheiten so ausfallen, wie sie nach seinen Worten ausfallen müssen. Die Zeichen von Klugheit sind alle unsicher; denn alle Umstände, die den Ausgang ändern können, durch Erfahrung zu beobachten und zu erinnern, ist unmöglich. Aber bei jeder Aufgabe, wo man nicht nach einer unfehlbaren Wissenschaft vorgehen kann, ist es ein Zeichen von Torheit und wird allgemein als Pedanterie verachtet, wenn man auf seine eigenen natürliche Urteilskraft verzichtet und sich von in Büchern angelesenen allgemeinen Aussprüche leiten lässt, die vielen Ausnahmen unterworfen sind. Und sogar von jenen Männern, die in Ratsversammlungen des Staates gern ihre Belesenheit in Politik und Geschichte zur Schau stellen, tun das sehr wenige in ihren häuslichen Angelegenheiten, wo es um ihre ureigenen Interessen geht, da sie genug Klugheit für ihre Privatangelegenheiten besitzen; aber in der Öffentlichkeit sind sie mehr auf das Ansehen ihres eigenen Scharfsinns bedacht als auf den Erfolg des Unternehmens eines anderen.
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3.2.2. Auszüge aus Hobbes’ Einwänden gegen Descartes’ Meditationen (1641)
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Zur zweiten Meditation Der Unterschied zwischen Denken und Vorstellen „Es bleibt also nichts übrig, als zuzugeben, dass ich, was dieses Wachs sei, durch keine Vorstellung, sondern nur durch das Denken erfassen kann.“ Vierter Einwand.K24 Es besteht ein großer Unterschied zwischen Vorstellen, d. h. irgendeine Idee haben, und im Geist erfassen, d. h. denken und schließen, dass etwas ist oder existiert.K25 Descartes hat uns nicht erklärt, worin beides verschieden ist. Aber schon die alten Peripatetiker haben klar genug gelehrt, dass die Substanz nicht sinnlich wahrgenommen, sondern nur durch Denken erschlossen wird.K26 Wie aber, wenn nun vielleicht das ganze Schließen nichts anderes als eine Verknüpfung und Verkettung von Namen oder Benennungen durch das Wörtchen „ist“ besagt? Woraus sich ergeben würde, dass wir durch Begriffe und Schlüsse überhaupt nichts über die Natur der Dinge, sondern lediglich über ihre Bezeichnungen etwas feststellen; nämlich, ob wir die Namen der Dinge gemäß den ursprünglichen Vereinbarungen und Festlegungen verknüpfen oder nicht. Ist das der Fall, wie es ja sein könnte, so hängt das Denken von den Namen, der Name von der Vorstellung, die Vorstellung doch wohl, wie ich meine, von der Bewegung körperlicher Organe ab; daher Geist und Denken nichts anderes als eine Bewegung in gewissen Teilen des organischen Körpers sein dürfte.
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Zur dritten Meditation. Auf was beziehen sich Ideen? „Einige davon“ (die menschlichen Gedanken) „sind gleichsam Bilder der Dinge, und ihnen allein gebührt der Name Idee; so wenn ich mir einen Menschen oder eine Chimäre oder den Himmel, einen Engel oder Gott denke.“ Fünfter Einwand. Denke ich mir einen Menschen, so habe ich eine Idee oder ein Bild, bestehend aus Gestalt und Farbe, in meinem Bewusstsein, wobei aber zweifelhaft sein kann, ob dieses dem Menschen ähnlich ist oder nicht. Ebenso verhält es sich mit dem Himmel. Denke ich mir eine Chimäre, so habe ich eine Idee oder ein Bild in meinem Bewusstsein, von welchem zweifelhaft ist, ob es einem existierenden Geschöpf oder einem, das möglicherweise existieren könnte oder existiert hat, ähnlich ist oder nicht. Denke ich mir aber einen Engel, dann stellt sich der Geist bisweilen das Bild einer Flamme, bisweilen das eines wohlgestalteten geflügelten Knaben vor, von welchem Bild ich zu wissen glaube, dass es keinem Engel gleicht und daher auch nicht die Idee des Engels ist. Aber da wir glauben, dass es irgendwelche Gott untergebene unsichtbare und immaterielle Geschöpfe gibt, legen wir diesen nur geglaubten und vermuteten Gebilden den Namen Engel bei, obwohl die Vorstellung eines Engels sich für uns aus den Vorstellungen sichtbarer Dinge zusammensetzt. Ebenso besitzen wir für den verehrungswürdigen Namen Gottes keine Vorstellung oder Idee Gottes. Daher uns geboten wird, Gott nicht unter einem Bilde anzubeten, auf dass es nicht den Anschein habe, als könnten wir ihn, den Unvorstellbaren, dennoch vorstellen und begreifen. So scheint mir eine Idee Gottes in uns überhaupt nicht vorhanden zu sein. Es verhält sich vielmehr hier ebenso wie mit einem Blindgeborenen, den man öfter einem Feuer genähert hat; er fühlt, dass er warm wird, er bemerkt, dass es etwas gibt, wodurch er erwärmt wird; hört er nun, dass jenes Etwas Feuer genannt wird, so schließt er, dass es Feuer gibt, ohne dass er doch weiß, von welcher Gestalt oder Farbe das Feuer ist; ja er hat überhaupt keine Idee oder kein dem Geiste vorschwebendes Bild des Feuers. So erkennt der Mensch, dass es irgendeine Ursache für seine Bilder oder Ideen geben müsste und von dieser Ursache eine andere usw.; als das Ende dieser Reihe setzt er dann eine ewige Ursache, die, da sie niemals zu sein begann, eine vorangehende nicht mehr erfordert; so schließt er, dass irgend etwas Ewiges notwendig existiert; er besitzt aber keine Idee von jenem Ewigen, sondern mit dem Worte Gott bezeichnet und benennt er nur dieses geglaubte und anerkannte Ding. Von der Darlegung des Satzes, dass wir in uns die Idee Gottes haben, schreitet Descartes sofort zu dem Beweis fort, dass Gott als der All-
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mächtige, Allweise und Schöpfer der Welt existiere; er hätte aber jene Idee Gottes besser erklären und von ihr aus nicht allein die Existenz Gottes, sondern auch die Schöpfung der Welt erweisen sollen.K27 Erklärung komplexer mentaler Leistungen „Andere (Gedanken) haben eine andere Form. Wenn ich z. B. will, wenn ich fürchte, bejahe oder verneine, so ist mein Denken zwar stets auf irgendeinen Gegenstand gerichtet; aber mein Bewusstsein umfasst doch noch mehr als das Bild dieses Gegenstandes. Von diesen heißen einige Wollungen oder Affekte, noch andere Urteile.“ Sechster Einwand. Wenn jemand will oder fürchtet, so hat er allerdings ein Bild des Gegenstandes, den er fürchtet, oder von der Handlung, die er ausüben will; was er aber weiter, wenn er will oder fürchtet, in seinem Bewusstsein habe, wird von Descartes nicht näher ausgeführt. Die Furcht ist gewiss ein Bewusstsein, aber ich sehe nicht ein, wie sie etwas anderes sein könnte, als das Bewusstsein des Gegenstandes, den einer fürchtet. Was ist denn die Furcht vor einem Löwen, der sich auf uns stürzt, anders als die Vorstellung eines solchen Löwen und die Wirkung, die eine derartige Vorstellung im Herzen erzeugt, nämlich, dass der Fürchtende zu jener animalischen Bewegung veranlasst wird, die wir Flucht nennen? Diese Flucht ist sicherlich kein Bewusstseinsinhalt. Es bleibt aber dabei, dass bei der Furcht nichts anderes im Bewusstsein als das Bild des Gegenstandes ist. Das Gleiche ließe sich über den Willen sagen. Außerdem gibt es kein Bejahen und Verneinen ohne Worte und Bezeichnungen. Tiere können weder bejahen noch verneinen, nicht einmal in Gedanken; sie urteilen nicht; gleichwohl kann das Bewusstsein bei Menschen und Tieren ähnlich sein. Urteilen wir, dass ein Mensch läuft, so haben wir nichts anderes im Bewusstsein als einen Hund, der seinen Herrn laufen sieht. Die Bejahung oder Verneinung fügt den einfachen Vorstellungen nichts weiter hinzu als etwa das Bewusstsein, dass die Namen, aus denen die Bejahung besteht, für den Urteilenden Namen des bejahten Gegenstandes sind. Das besagt aber nicht, dass im Bewusstsein mehr als das Bild des Gegenstandes sei, sondern nur, dass dieses Bild zweimal da sei.K28 Angeborene Ideen? „Es bleibt noch zu untersuchen, auf welche Weise ich die Idee Gottes erhalten habe. Ich habe sie nämlich nicht aus den Sinnen geschöpft, sie hat sich mir auch niemals aufgedrängt, wie das der Fall bei den Vorstellungen der Sinnendinge zu sein pflegt, wenn die Außendinge den Sinnesorganen sich darbieten oder sich darzubieten scheinen. Endlich ist sie auch nicht von mir geschaffen worden, da ich ihr nichts nehmen, ihr
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nichts hinzufügen kann. So bleibt nur übrig, dass sie mir eingeboren sei, wie mir auch die Idee meiner selbst eingeboren ist.“ Siebenter Einwand. Es ist nicht bewiesen, dass die Idee Gottes mir überhaupt gegeben ist; ist sie aber nicht gegeben, wie es zu sein scheint, dann ist diese ganze Erörterung gegenstandslos. Überdies entsteht mir die Idee meiner selbst aus dem Gesichtssinn, indem der eigene Körper angeschaut wird; von einer Seele gibt es überhaupt keine Idee, sondern wir schließen auf etwas, das dem menschlichen Körper einwohnt und ihm die Lebensbewegung gibt, vermittelst derer er empfindet und sich bewegt; und dies, was es auch sei, nennen wir Seele, ohne eine Idee davon zu haben.K29 Mehrere Ideen vom selben Gegenstand? „Eine andere Idee der Sonne wird den Berechnungen der Astronomie entnommen, d. h. sie wird aus gewissen mir eingeborenen Begriffen entwickelt.“ Achter Einwand. Wie es scheint, gibt es zu ein und derselben Zeit nur eine einzige Idee der Sonne, ob sie nun mit den Augen geschaut oder wissenschaftlich als bedeutend größer bestimmt werde, als sie dem Auge erscheint. Eine zweite Idee der Sonne kommt überhaupt nicht in Betracht, sondern nur der begründete Schluss, dass die Idee der Sonne bedeutend größer wäre, wenn man sie in entsprechender Nähe betrachten würde. Zu verschiedenen Zeiten freilich kann es verschiedene Ideen der Sonne geben, wenn etwa in einem Zeitpunkt die Sonne mit bloßem Auge, in einem anderen mit einem Fernglas betrachtet wird. Die astronomischen Berechnungen machen nicht die Idee der Sonne größer oder kleiner, sie lehren vielmehr, dass die sinnliche Idee von ihr trügerisch ist. Keine Ideen von Substanzen. Gibt es ein Mehr oder Weniger in Bezug auf Realität? „Zweifellos bedeuten Ideen, durch welche ich eine Substanz erkenne, etwas mehr und enthalten sozusagen größere objektive Realität als solche, die nur Modi und Akzidenzien darstellen. Die Idee, durch welche ich einen höchsten Gott, den ewigen, unendlichen, allwissenden, allmächtigen Schöpfer aller Dinge außer ihm, denke, enthält sicherlich wiederum mehr objektive Realität, als Ideen, welche endliche Substanzen mir darbieten.“ Neunter Einwand. Ich habe schon öfter angemerkt, dass uns weder von Gott noch von der Seele eine Idee gegeben sei; ich füge nun hinzu: auch nicht von der Substanz. Die Substanz, die die den Akzidenzien und Veränderungen zugrunde liegende Materie ist, wird allein durch Vernunft erschlossen, aber sie wird nicht vorgestellt und durch keine Idee dargestellt. Trifft dies zu, wie kann man dann noch sagen, dass Ideen, durch
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welche ich Substanzen erkenne, mehr bedeuten und größere objektive Realität enthalten, als solche, durch welche ich Akzidenzien erkenne? Überdies möge Descartes erklären, was „größere Realität“ eigentlich heißt. Verträgt denn die Realität überhaupt ein Mehr oder Weniger? Glaubt er wirklich, dass ein Ding mehr Ding als ein anderes ist, dann setze er es doch auch für unsere Fassungskraft so deutlich auseinander, wie es sich in der Wissenschaft gehört und wie er sonst verfährt. Die angeborene Idee Gottes „Einzig die Idee von Gott bleibt, bei der zu erwägen ist, ob sie etwas ist, das aus mir nicht stammen kann. Unter dem Namen Gottes verstehe ich eine unendliche, unabhängige, höchst weise, höchst mächtige Substanz, die mich und auch alles, was es sonst außer mir gibt, geschaffen hat. Alles Bestimmungen, die, je sorgfältiger ich sie erwäge, um so weniger von mir allein hervorgebracht zu sein scheinen. Und daraus folgt nach den früheren Ausführungen, dass Gott notwendig existiert.“ Zehnter Einwand. Betrachtet man die Attribute Gottes, um daraus die Idee Gottes zu erhalten, und prüft man, ob in ihnen etwas ist, was nicht von uns hervorgebracht sein kann, so finde ich, wenn ich mich nicht täusche, dass das, was wir bei dem Namen Gottes denken, zwar nicht von uns stammt, aber darum doch nicht einen anderen Ursprung als in den Außendingen haben müsste. Denn unter dem Namen Gottes verstehe ich eine Substanz; das heißt, ich denke ihn als existierend, nicht auf Grund einer Idee, sondern eines Schlusses; ich denke diese Substanz als unendlich, das heißt so, dass ich Grenzen (nämlich äußerste Teile, über die hinaus weitere nicht mehr vorzustellen sind) in ihr weder gedanklich noch sinnlich vorzustellen vermag. Woraus folgt, dass, wenn ich das Wort „Unendlich“ gebrauche, damit noch keine Idee einer göttlichen Unendlichkeit gesetzt ist; ich werde vielmehr nur meiner Grenzen oder Schranken bewusst. Endlich denke ich jene Substanz als unabhängig, das heißt, ich kenne keine Ursache, aus der Gott hervorginge. Daraus erhellt, dass meine Idee der Unabhängigkeit nichts anderes als die Erinnerung an Ideen von mir enthält, die zu verschiedenen Zeiten beginnen und deshalb abhängig sind. Die Behauptung: Gott sei unabhängig, besagt somit nur, dass Gott zu der Klasse von Dingen gehört, deren Ursprung ich nicht einsehe, wie die Unendlichkeit Gottes nichts anderes meint, als dass Gott zu der Klasse von Dingen gehört, bei denen wir uns keine Grenzen vorstellen. Damit aber wird jede Idee von Gott aufgehoben, denn was wäre eine Idee ohne Ursprung und Grenzen? Was heißt „höchst weise“? Ich frage, durch welche Idee weiß Descartes etwas von der Weisheit Gottes? Was ist „höchst mächtig“? Welche Idee gibt uns
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von der Macht, also von künftigen, jetzt noch nicht existierenden Dingen eine Vorstellung? Entspringt uns doch der Begriff von Macht oder Vermögen allein aus der Besinnung auf bereits vollzogene Leistungen, indem geschlossen wird: irgendwas, das existiert, handelte, also konnte es so handeln, also wird es noch einmal so handeln können, also besitzt es die Macht zu handeln. All dies sind Ideen, die von äußeren Objekten gewonnen werden können. Was nun die Vorstellung eines „Schöpfers alles Existierenden“ anbetrifft, so vermag ich mir ein Bild der Schöpfung nur aus dem zu machen, was ich gesehen habe. So etwa, wie ein Mensch geboren wird oder gleichsam aus einem Punkt zu seiner gegenwärtigen Gestalt und Größe heranwächst. Eine andere Idee hat niemand bei dem Namen „Schöpfer“. Um die Schöpfung der Welt zu erweisen, genügt es nicht, dass wir sie uns als geschaffen vorstellen können. Mag auch bewiesen werden, dass ein Unendliches, Unabhängiges, höchst Mächtiges existiere, so folgt daraus nicht, dass ein Schöpfer existiere. Man müsste denn den Schluss für richtig halten: weil etwas existiert, von dem wir glauben, dass er alles andere geschaffen hat, ist auch die Welt von ihm einst geschaffen worden. Wenn Descartes übrigens sagt, dass die Ideen Gottes und der Seele uns eingeboren sind, möchte ich wissen, ob der Geist auch im tiefen traumlosen Schlaf denkt. Wenn nicht, so besitzt er zu dieser Zeit keine Ideen. Daher ist uns keine Idee eingeboren; denn was uns eingeboren ist, ist immer da.K30
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4. Baruch de Spinoza Pedro Stoichita und Stephan Schmid
4.1 Einleitung 4.1.1 Kurzbiographie Baruch de Spinoza wurde am 24. November 1632 in Amsterdam als Sohn einer portugiesisch-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Als sein Vater 1654 starb, übernahm er mit seinem Bruder das Import-Geschäft seines Vaters. Allerdings hatte der junge Spinoza wenig Interesse am Vertrieb von Früchten und Nüssen und dem finanziellen Erfolg eines solchen Geschäfts, der Ruhm und Ansehen verleihen konnte, und ging stattdessen seinen intellektuellen Neigungen nach. Seine dabei erworbenen radikalen politischen und theologischen Ansichten wurden ihm jedoch zum Verhängnis. 1656 wurde er der Häresie bezichtigt und von der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen. Anschließend studierte Spinoza vermutlich Philosophie an der Universität Leiden und begann mit der Niederschrift seines Frühwerks Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück, in dem er schon Ansichten vertrat, die in seinem Hauptwerk, der Ethik, genauer ausgeführt werden sollten. In dieser Zeit zog Spinoza nach Rijnsburg. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt, indem er optische Linsen schliff und Privatunterricht in cartesischer Philosophie erteilte. Aus dieser Phase ging 1663 auch das einzige zu Lebzeiten unter seinem Namen publizierte Werk Descartes’ Prinzipien der Philosophie in geometrischer Weise dargestellt hervor. Im Anhang zu dieser Darstellung befinden sich seine Metaphysische Gedanken, die einige metaphysische Probleme gesondert behandeln. Gleichzeitig schrieb Spinoza schon an seiner Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, in der er sich einer rationalen Erörterung der Frage nach dem Glück widmete und schon viele Punkte der Ethik, die er in diesem Buch einfach „meine Philosophie“ nannte, vorweg nahm. Mit den Arbeiten zu seinem Hauptwerk, der Ethik, begann Spinoza wahrscheinlich schon 1662. Er unterbrach sie 1665, um
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sich angesichts der Verschärfung der politischen Situation der jungen Republik der Niederlande dem Theologisch-Politischen Traktat zu widmen. In diesem Werk plädierte Spinoza für Religionsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Es wurde 1670 anonym veröffentlicht, sorgte für große Furore und wurde 1674 sogar zusammen mit Hobbes’ Leviathan verboten. Spinoza zog anschließend nach Den Haag, wo er seine Arbeit an der Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt wieder aufnahm und um einige Teile ergänzte. 1673 erhielt Spinoza einen Ruf an die Universität Heidelberg, lehnte dieses Angebot jedoch ab, weil er das friedliche Leben eines Privatgelehrten, in dem er seine Ansichten keinem Monarchen und keiner Kirche gegenüber rechtfertigen musste, dem eines ordentlichen Professors vorzog. Nach dem Abschluss der Ethik 1676 schrieb Spinoza ein weiteres politisches Werk, den Politischen Traktat. In dieser Zeit besuchte ihn auch der junge Leibniz. Dieser hatte während seines Aufenthalts in Paris über den Mathematiker Tschirnhaus, der ein gemeinsamer Freund der beiden Philosophen war, einige Gedanken Spinozas kennen gelernt. Spinoza starb am 21. Februar 1677 in Den Haag. 4.1.2 Der systematische Hintergrund: Substanzmonismus Spinozas Philosophie zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr traditionelle philosophische Begriffe auf eine neue Art und Weise verbunden werden. Drei dieser Begriffe, die von Descartes übernommen werden, sind Substanz , Attribut und Modus. Für Descartes sind Modi Zustände. Diese kommen Dingen zu und verändern sie. Substanzen aber sind die Träger dieser Zustände und sonstiger Eigenschaften. Attribute schließlich sind generische Eigenschaften, von denen einige das Wesen endlicher Substanzen ausmachen. So ist z. B. ein Schmerz eine Modifikation einer denkenden Substanz und eine Beule eine Modifikation einer ausgedehnten Substanz. Einzelne Substanzen unterscheiden sich aufgrund ihrer Modifikationen; nur die beiden Arten von Substanzen unterscheiden sich anhand der Attribute Denken und Ausdehnung. Fasst Descartes nun Substanzen als die Dinge auf, die Träger von Eigenschaften sind, so führt er auch noch eine weitere Charakterisierung von Substanz ein, die er als die eigentliche ansieht. Danach ist eine Substanz ein Ding, „das so existiert, dass es zu seiner Existenz keines ande-
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ren Dinges bedarf“.1 Descartes verwendet demnach zwei Substanzbegriffe, die sich nicht decken: Während gemäß dem ersten Substanzbegriff zahlreiche ausgedehnte und denkende Dinge Substanzen sind, gibt es nach dem zweiten Begriff nur ein Ding, „das zu seiner Existenz keines anderen Dinges bedarf“, nämlich Gott. An dieser Stelle weicht Spinoza von Descartes ab, indem er lediglich an der Auffassung von Substanz festhält, wonach diese kein anderes Ding braucht, um zu existieren. Spinozas eindeutige Verwendung des Substanzbegriffs hat weitreichende Folgen, die drei zentrale Momente seiner Philosophie ausmachen: Erstens führt dies zu einem Substanzmonismus – der Annahme, dass nur eine Substanz existiert. Die einzige Substanz ist Gott oder die Natur. Denn nur Gott ist völlig unabhängig von allem anderen. Denkende Dinge etwa, die bei Descartes noch als Substanzen bezeichnet wurden, werden nur noch als Modi angesehen. Menschliche Geister sind demnach nichts als Zustände der einen Substanz. Hatte außerdem bei Descartes jede endliche Substanz nur ein wesentliches Attribut, so geht Spinoza von einem Attributspluralismus aus. Ausdehnung und Denken sind nicht mehr wesentliche Eigenschaften verschiedener Substanzen, sondern kommen nun beide Gott zu. Außerdem gibt es unendlich viele andere Attribute, die dem Menschen unbekannt sind. Attribute sind nach Spinoza aber real voneinander unterschieden, d. h. sie müssen unabhängig voneinander begriffen werden. Das führt Spinoza dazu, jegliche Interaktion zwischen den Modi eines Attributs und Modi eines anderen Attributs abzustreiten. Modifikationen der Ausdehnung, d. h. Körper, und Modifikationen des Denkens, d. h. Ideen oder geistige Wesen, können weder aufeinander einwirken noch sich gegenseitig hervorbringen. Körperliche und geistige Zustände weisen also keine kausalen Relationen zueinander auf. Stattdessen stehen sie in einer Beziehung der Entsprechung. Spinoza zufolge ist nämlich „[d]ie Ordnung und Verknüpfung von Ideen […] dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung von Dingen“ (E 2p7). Dieser Parallelismus von Ideen und Dingen ist nebst dem Substanzmonismus und dem Attributspluralismus ein drittes zentrales Moment, das sich aus Spinozas Umwandlung cartesischer Begriffe ergibt und für seine Ideentheorie wichtig ist.
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Prinzipien der Philosophie I § 51, AT VIII, 24, Übers. Buchenau 1992, 17 (mit Anpassung an die neue Rechtschreibung).
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4.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Spinoza bestimmt Ideen als Modi des Attributs (1def4) Denken (2def3; 2a3). An einigen Stellen geht Spinoza von einem Entsprechungsverhältnis zwischen Ideen und Modi der Ausdehnung aus (2p7), an anderen Stellen behauptet er, sie seien mit Modi der Ausdehnung identisch (2p7s; 2p13s). Ideen sind Teil der umfassendsten aller Ideen, nämlich der Idee Gottes (2p8–2p8s). Spinoza vertritt nicht nur eine Identitätsthese bezüglich einzelner mentaler Vorkommnisse, sondern auch eine bezüglich mentaler Typen (2p17s). Ideen sind propositional strukturiert (A § 62, Z. 165–167),2 Träger von Wahrheitswerten und verfügen über intentionale Objekte (A § 33, Z. 6–19). Sie kommen in einfacher oder in zusammengesetzter Form vor (A § 68, Z. 185–196; 2p15). Als Einheiten des Attributs Denken können sie nur durch andere Ideen verursacht werden und auch nur solche verursachen (2p6).
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b) Welche Arten von Ideen gibt es? Spinoza unterscheidet in der Abhandlung zwischen wahren, falschen, fiktiven und zweifelhaften Ideen (A § 50, Z. 85–88). Wahre Ideen zeichnen sich – wie bei Descartes – durch Klarheit und Deutlichkeit aus (A § 62, Z. 162–164; A § 68, Z. 193–199; 2pp28–29). Auch falsche Ideen charakterisiert Spinoza nicht metaphysisch, sondern epistemisch als verworrene Ideen, die einen Irrtum mit einschließen (A § 69, Z. 199–202; 2p17s; 2p16; 2pp25–29; 2p35–2p35s). In der Ethik spricht Spinoza zudem von Ideen mit und ohne Dauer (2p8–2p8s) und führt (in-)adäquate Ideen ein, die eng mit wahren (bzw. falschen) Ideen zusammenhängen (2def4; 2p11c; 2pp25–29; 2p34). Während Spinoza in der Abhandlung eine Kohärenztheorie der Wahrheit zu vertreten scheint (A § 69, Z. 202–210), wählt er in der Ethik eine korrespondenztheoretische Definition (1a6), verbindet sie jedoch mit der kohärentistischen Eigenschaft der Adäquatheit (2def4). c) Wie entstehen Ideen? In der Abhandlung spricht Spinoza von angeborenen Ideen (A § 34, Anm. 2). Diese Aussage wiederholt Spinoza in der Ethik nicht. Ideen sind aufgrund der Parallelismusthese (2p7) mit jedem körperlichen 2
Zitate aus der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes werden mit dem Sigel A und den entsprechenden Paragraphen angegeben.
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Zustand verbunden, so dass jedem Modus der Ausdehnung ein Modus des Attributs des Denkens, d. h. eine Idee, entspricht. Spinoza vertritt diesbezüglich sogar einen Panpsychismus (2p13s). Ideen entstehen aufgrund von Affektionen unseres Körpers (2p12; 2p13s, Z. 438–456; 2p16–2p16c2) und können auch auf der Basis von Zusammensetzungen schon vorhandener Ideen gebildet werden (A § 68, Z. 185–196). d) Was erklären Ideen? Ideen spielen für Spinoza sowohl bei der Erklärung unserer Erkenntnis als auch bei der Theorie des menschlichen Geistes eine wichtige Rolle. In der Erklärung unseres Erkenntnisprozesses fungieren Ideen als die Instanzen, die uns einen Zugang zur Welt ermöglichen. Es handelt sich dabei um die Entitäten, die ein intentionales Objekt (oder eine „objektive Realität“) besitzen und sich so auf etwas beziehen (A §§ 33–36; 2pp16–17). Als solche Entitäten sind sie auch die Dinge, die wahr (A §§ 69–71; 1a6; 2p32; 2p34), falsch (A §§ 66–67; 2p17s, Z. 550–561; 2p33; 2p35) oder (in-)adäquat (2def4; 2pp27–29; 2p34) sein können. Im Rahmen von Spinozas Erkenntnistheorie kommt ihnen auch eine methodische Funktion zu, insofern eine wahre Idee zugleich der Prüfstein einer gelungenen Erkenntnis ist (A § 37, Z. 53–58; 2p40s2; 2p43). Innerhalb von Spinozas Theorie des Geistes sind Ideen wichtig für die Erklärung von Erinnerung (2p17c) und Wahrnehmung (2p17; 2pp26–29). Unseren Geist bestimmt Spinoza als das Bündel von Ideen, das – gemäß seiner Parallelismusthese – den ausgedehnten Modi unseres Körpers entspricht (2p11–2p11c; 2p13). 4.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die hier abgedruckten Textstellen stammen aus der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes und der Ethik. Beide Werke wurden erst in Spinozas Todesjahr 1677 in den Opera Posthuma veröffentlicht. In der fragmentarisch gebliebenen Abhandlung nimmt Spinoza viele Gedanken aus der Ethik vorweg, die er in seinem Hauptwerk dann auf geometrische Methode darstellt. Auch wenn einzelne Interpreten Diskontinuitäten zwischen den beiden Büchern gesehen haben (z. B. Curley 1994 bzgl. der Wahrheitstheorie), sind Spinozas Kerngedanken schon in der Abhandlung enthalten und Spinoza verfolgt darin dasselbe philosophische Projekt wie in der Ethik.
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In der Abhandlung behandelt Spinoza die Frage nach dem glücklichen Leben. Er sucht darin nach einem höchsten Gut, „durch das er […] eine beständige und höchste Freude auf ewig genießen könne“ (A § 1). Dieses höchste Gut sieht Spinoza im Erlangen der „Erkenntnis der Einheit, die der Geist mit der Natur im Ganzen in sich enthält“ (A § 13). Durch die Verbesserung des Verstandes finden wir somit zum eigenen Glück. Spinoza untersucht zunächst verschiedene Typen von Wissen, die er anhand unterschiedlicher Formen der Rechtfertigung unterscheidet. (Diese Wissenstypen werden in Spinozas Ethik dann zu seinen Gattungen der Erkenntnis). Im Anschluss daran versucht Spinoza eine Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe man zur höchsten Form von Wissen (Erkenntnis) gelangt. Den ersten Teil dieser Methodenlehre macht die Untersuchung unterschiedlicher Ideen aus. Aufgrund der Selbstevidenz wahrer Ideen können falsche Ideen ausgesondert werden. Deshalb vertritt Spinoza auch die These, dass „die Methode nichts anderes ist als eine reflexive Erkenntnis im Sinne der Idee der Idee“ (A § 38), nachdem er die Methode kurz zuvor als „das Begreifen dessen, was eine wahre Idee ist“ (A § 37) bestimmt hat. Im zweiten Teil seiner Methodenlehre versucht Spinoza eine allgemeine Definitionstheorie zu entwerfen, die in ihren Implikationsverhältnissen auf die Ordnung der Dinge abgestimmt ist. Daraus versucht Spinoza einige Eigenschaften des Verstandes abzuleiten. Die ideentheoretisch relevanten Stellen stammen aus dem ersten Teil von Spinozas Methodenlehre. Spinozas Ethik befasst sich mit allen großen philosophischen Themen. In fünf Teilen widmet sich Spinoza der Metaphysik (Teil I), der Erkenntnis- und Wahrnehmungstheorie (Teil II), der Emotionstheorie (Teil III), der Handlungs- und politischen Theorie (Teil IV) und schließlich dem Glück oder dem guten Leben (Teil V), was auch den Titel „Ethik“ des Werkes rechtfertigt. Da Ideen vor allem bei der Erklärung von Erkenntnis eine wichtige Rolle spielen, stammt der Großteil der ausgewählten Passagen aus dem Teil II der Ethik. Die Passagen aus der Ethik werden mit den in der Spinoza-Forschung üblichen Abkürzungen ausgewiesen. Die erste Ziffer nennt den Teil, „p“ steht für den Lehrsatz, „a“ für das Axiom, „def“ für die Definition, die mit der nachfolgenden Ziffer benannt wird. Im Anschluss daran bezieht sich „s“ auf die Anmerkung und „c“ auf den Folgesatz. „2p40s2“ bezieht sich demnach auf die zweite Anmerkung zum Lehrsatz 40 des zweiten Teils. Spinozas Ethik ist nach euklidischem Vorbild „geometrisch“ aufgebaut, d. h. Spinoza versucht, seine ganze Philosophie deduktiv aus Defi-
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nitionen, Axiomen und Postulaten abzuleiten. Dementsprechend wird jeder Lehrsatz bewiesen, indem er auf vorangegangene Lehrsätze, Definitionen, Axiome oder Postulate zurückgeführt wird. Der Text der Ethik wird somit zu einem dichten System von Querverweisen. Das macht eine Auswahl spezifischer Textstellen schwierig: Möchte man dem deduktiven Charakter von Spinozas Überlegungen Rechnung tragen, müsste man die Stellen, auf die sich Spinoza in seinen Beweisen bezieht, ebenfalls abdrucken. Da er sich in diesen Stellen wieder auf andere Passagen bezieht, müsste am Ende die gesamte Ethik abgedruckt werden. Das kann nicht der Sinn einer Textauswahl sein. Wie kann man also nur die für die Ideentheorie relevanten Textstellen auswählen und zugleich Spinozas deduktiver Darstellungsweise gerecht werden? Beides scheint nicht möglich, deshalb haben wir uns für einen Mittelweg entschieden: Wir zitieren systematisch zentrale Axiome, Definitionen und Lehrsätze aus Spinozas Ethik, auch wenn diese auf den ersten Blick nichts mit Ideen zu tun haben (z. B. 1def3–4, 1a4 und 1p10), aber mittelbar für die Ideentheorie Spinozas eine entscheidende Rolle spielen. Wenn Spinoza in den Beweisen der ausgewählten Lehrsätze auf von uns nicht zitierte Lehrsätze verweist, dann lassen wir diese Verweise aus, markieren diese Auslassung jedoch mit „[…]R“. Die hier abgedruckte Übersetzung wurde Wolfgang Bartuschat übernommen (Ethik, Hamburg: Meiner 1999; Abhandlung, Hamburg: Meiner 1993) und an die neue Rechtschreibung angepasst. Ergänzungen in eckigen Klammern stammen allesamt von Bartuschat mit Ausnahme der Angabe lateinischer Fachtermini, die wir hinzugefügt haben. Das Kürzel „NS“ in diesen Klammern verweist auf Ergänzungen aus der niederländischen Version der Ethik, die 1677 im Rahmen der De nagelate schriften van B[aruch] D[e] S[pinoza] erschienen ist. Ob diese Ergänzungen Spinoza selbst zuzusprechen sind (und aus einem überarbeiteten Manuskript Spinozas stammen) oder ob sie durch den Übersetzer hinzugefügt worden sind, ist in der Forschung umstritten (vgl. dazu W. Bartuschats Einleitung zur Ethik, XX ff.).
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4.2 Zentrale Passagen zu Spinozas Ideentheorie 4.2.1 Auszüge aus Tractatus de intellectus emendatione / Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes (1661/62) (zitiert als: A) 5
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[Wahre Ideen] [33] Die wahre1 Idee (wir haben nämlich eine wahre Idee) ist etwas, das von ihrem Gegenstand verschieden ist.K1 Denn das eine ist der Kreis, etwas anderes die Idee des Kreises. Die Idee des Kreises ist nämlich nicht etwas, das, wie der Kreis, Peripherie und Mittelpunkt hat. Auch ist die Idee des Körpers nicht der Körper selbst. Da nun [die Idee] etwas ist, das von ihrem Gegenstand verschieden ist, wird sie auch, für sich allein, etwas sein, das begreifbar ist. D. h.: eine Idee, in ihrer an sich seienden EssenzK2 genommen, kann der Gegenstand einer anderen Essenz sein, die [in Bezug auf sie] objektivK3 ist; und diese andere objektive Essenz, ebenfalls an sich selbst betrachtet, wird ihrerseits etwas Wirkliches sein und damit etwas Begreifbares, und so ins Unendliche. [34] Peter z. B. ist etwas Wirkliches; die wahre Idee von Peter ist nun dessen objektive Essenz und an sich selbst etwas Wirkliches und somit von Peter selbst gänzlich verschieden.K4 Weil also die Idee von Peter etwas Wirkliches ist und insofern eine ihr eigentümliche Essenz hat, wird sie auch etwas Begreifbares, d. h. der Gegenstand einer anderen Idee sein, welche Idee in sich objektiv all das enthält, was der Idee von Peter an sich [formaliter]K5 zukommt. Und diese Idee der IdeeK6 von Peter hat ihrerseits wiederum ihre Essenz, die ebenfalls Gegenstand einer weiteren Idee sein kann, und so ins Unendliche. Das kann jeder an sich selbst erfahren, wenn er nur sieht, dass er weiß, was Peter ist, und dass er auch weiß, dass er dies weiß, usw.K7 Daraus folgt klar, dass, um die Essenz von Peter zu begreifen, es nicht nötig ist, dessen Idee selbst zu begreifen und noch viel weniger die Idee der Idee von Peter. Das ist dasselbe, als wenn ich sagte, es ist, damit ich [etwas] weiß, nicht nötig zu wissen, dass ich weiß;K8 und noch viel weniger ist es [hierfür] nötig, zu wissen, dass ich weiß, dass ich weiß, ebenso wenig wie es zum Begreifen der Essenz des Dreiecks nötig ist,
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Es sei angemerkt, dass wir nunmehr nicht dafür Sorge tragen werden, das soeben Gesagte darzulegen, sondern auch [zu zeigen], dass wir bis hierher richtig vorgegangen sind, und zugleich manches andere, das zu wissen unumgänglich ist.
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die Essenz des Kreises zu begreifen.2 Aber bei deren Ideen ist das Gegenteil der Fall. Denn um zu wissen, dass ich weiß, muss ich notwendigerweise vorher wissen. [35] Daraus ist offenbar, dass Gewissheit nichts anderes ist als die objektive Essenz selbst; d. h.: die Weise, in der wir der formalen Essenz inne sind, ist genau die Gewissheit. Daraus ist wiederum offenbar, dass es für die Gewissheit der Wahrheit keines anderen Merkmals bedarf als des Habens einer wahren Idee.K10 Denn, wie wir gezeigt haben, ist es, damit ich [etwas] weiß, nicht erforderlich zu wissen, dass ich weiß. Daraus ist des Weiteren offenbar, dass niemand wissen kann, was höchste Gewissheit ist, wenn er nicht die adäquate IdeeK11 oder objektive Essenz irgendeines Dinges hat; das ist nicht verwunderlich, weil Gewissheit und objektive Essenz dasselbe sind. [36] Wenn daher die Wahrheit keines [von ihr verschiedenen] Merkmals bedarf, wenn es vielmehr genügt, objektive Essenzen von Dingen zu haben oder, was dasselbe ist, Ideen [dieser Dinge], um allen Zweifel zu beheben, dann folgt daraus, dass die wahre Methode nicht darin besteht, nach einem Merkmal der Wahrheit zu suchen, nachdem man Ideen erlangt hat. Vielmehr ist die wahre Methode [zur Verbesserung des Verstandes] der Weg, die Wahrheit selbst oder die objektiven Essenzen von Dingen, d. h. deren Ideen (denn all das bezeichnet ein und dasselbe) in gebührender Ordnung zu untersuchen.3 [37] Hingegen muss die Methode von dem Schlussfolgern und dem Verfahren des Verstandes reden; das ist so zu verstehen, dass die Methode nicht etwa das Schlussfolgern selbst ist, [das] zum Begreifen der Ursachen der Dinge [führt], und dass sie noch viel weniger das Begreifen dieser Ursachen selbst ist.K12 Sie ist vielmehr das Begreifen dessen, was eine wahre Idee ist,K13 was dadurch geschieht, dass sie diese Idee von den anderen Wahrnehmungen unterscheidet und in ihrer Natur untersucht, mit dem Ziel, dass wir daraus unsere Macht des Begreifens kennen lernen, und auch, dass wir [unseren] Geist derart zusammenhalten, dass er nach der erwähnten Norm alles begreift, was zu begreifen ist. [Und hierfür] gibt sie, gleichsam als Hilfsmittel, bestimmte Regeln, womit sie zugleich bewirkt, dass der Geist nicht durch die Beschäftigung mit unnützen Dingen erlahmt. [38] Daraus ergibt sich, dass die Methode nichts anderes ist als eine reflexive Erkenntnis im 2
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Es sei angemerkt, dass wir hier nicht untersuchen, auf welche Weise uns die erste objektive Essenz angeboren ist. Denn das gehört zur Erforschung der Natur, wo dies ausführlicher erörtert wird und wo zugleich gezeigt wird, dass es über die Idee hinaus keine Bejahung, keine Verneinung und auch keinen Willen gibt.K9 Was „in der Seele untersuchen“ heißt, wird in meiner Philosophie erklärt.
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Sinne einer Idee der Idee, und weil es keine Idee der Idee gibt, wenn es nicht vorher eine Idee gibt, wird es keine Methode geben, wenn es nicht vorher eine Idee gibt. Tauglich wird daher diejenige Methode sein, die zeigt, wie der Geist nach der Norm einer gegebenen wahren Idee zu bestimmen ist. Da ferner das Verhältnis, das zwischen zwei Ideen besteht, dasselbe ist wie dasjenige, das zwischen den formalen Essenzen jener Ideen besteht, folgt daraus, dass die reflexive Erkenntnis der Idee des höchstvollkommenen Seienden vorzüglicher sein wird als die reflexive Erkenntnis anderer Ideen. Das heißt: Die vollkommenste Methode wird diejenige sein, die im Hinblick auf die Norm der gegebenen Idee des höchstvollkommenen Seienden zeigt, wie der Geist zu bestimmen ist.K14 […] [41] Hinzu kommt, dass eine Idee in derselben Weise objektiv verfasst ist, wie ihr Gegenstand wirklich verfasst ist.K15 Gäbe es also etwas in der Natur, das keine Gemeinschaft mit den übrigen Dingen hätte, so hätte dessen objektive Essenz, die mit der formalen Essenz gänzlich übereinstimmen müsste, wenn es sie auch gäbe, doch keine Gemeinschaft4 mit anderen Ideen, was bedeutete, dass wir aus ihr nichts schließen könnten.K16 [Fiktive Ideen] [50] Beginnen wir also mit dem ersten Teil der Methode, der, wie gesagt, darin besteht, die wahre Idee von den übrigen Wahrnehmungen zu unterscheiden und zu trennen und den Geist davon abzuhalten, falsche, fingierte und zweifelhafte Ideen mit den wahren zu vermengen. […] [52] Da eine jede Wahrnehmung entweder die eines Dinges ist, das als existierend betrachtet wird, oder nur die der Essenz [eines Dinges], die meisten Fiktionen aber Dinge betreffen, die als existierend betrachtet werden, werde ich zuerst von dieser [Form der Fiktion] sprechen, bei der also allein die Existenz Gegenstand der Fiktion ist und bei der das Ding, über das in einem solchen Akt etwas fingiert wird, bekannt ist oder als bekannt gilt. Ich fingiere beispielsweise, dass Peter, den ich kenne, nach Hause geht, dass er mich besucht und Ähnliches.5 Hier frage ich, worauf sich eine solche Idee bezieht. Ich sehe, dass sie sich nur auf Mögliches bezieht, nicht aber auf Notwendiges und auch Unmögliches. […]
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Eine Gemeinschaft mit anderen Dingen haben, heißt, von anderen Dingen hervorgebracht zu werden oder andere Dinge hervorzubringen. Siehe weiter unten, was wir über Hypothesen bemerken werden, die von uns klar begriffen werden. Doch liegt eine Fiktion in dem Tatbestand vor, dass wir sagen sie existieren als solche in den Himmelskörpern.K17
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[58] Gehen wir nun zu den Fiktionen über, die sich auf Essenzen beziehen, sei es auf sie allein, sei es auf sie, [sofern] sie zugleich mit irgendeiner Wirklichkeit oder Existenz [verbunden sind]. Hierbei ist in erster Linie zu bedenken, dass der Geist eine umso größere Macht des Fingierens hat, je mehr [Dinge] er wahrnimmt und je weniger er dabei begreift, und dass jene Macht umso geringer wird, je mehr [Dinge] er begreift. Ebenso, beispielsweise […], dass wir nicht fingieren können, wir würden denken oder nicht denken, so lange wir denken, so können wir auch, nachdem wir die Natur des Körpers kennen, nicht fingieren, dass eine Fliege unendlich sei; oder wir können, nachdem wir die Natur der Seele6 kennen, nicht fingieren, dass sie quadratisch sei, mögen wir mit Worten das alles auch sagen können. Aber wie gesagt, je weniger die Menschen die Natur kennen, desto leichter können sie vielerlei fingieren: z. B. dass Bäume sprechen, dass Menschen im Nu in Steine oder Quellen verwandelt werden, dass in Spiegeln Gespenster erscheinen, dass das Nichts zu Etwas wird und sogar dass Götter sich in Tiere und Menschen verwandeln, und so eine Unzahl von solchem dieser Art.K18 [59] Vielleicht wird jemand meinen, dass eine Fiktion von einer Fiktion eingeschränkt wird und nicht von einem Verfahren des Verstandes. Das bedeutete: Aus dem Tatbestand, dass ich irgendetwas fingiert habe und dank irgendeiner Freiheit willentlich angenommen habe, [das Fingierte] existiere so in der Natur, folgte, dass ich es später nicht in anderer Weise denken könne. Nachdem ich beispielsweise fingiert habe (um, mit ihnen zu sprechen), dass ein Körper von der und der Natur sei, und nachdem ich kraft meiner Freiheit mit Überzeugung angenommen habe, dass er in dieser Verfassung wirklich existiert, dann stehe es nicht länger in meinem Belieben, z. B. die Fiktion einer unendlichen Mücke zu bilden, und nachdem ich etwas hinsichtlich der Essenz der Seele fingiert habe, dann könne ich sie nicht mehr quadratisch sein lassen usw. [60] Doch gilt es dies zu prüfen. Zunächst einmal verneinen [die Vertreter dieser Ansicht] entweder, dass wir irgendetwas begreifen können oder sie geben es zu. Geben sie es zu, wird notwendigerweise dasselbe, was sie vom Akt des Fingierens sagen,
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Es kommt häufig vor, dass ein Mensch unser Wort „Seele“ sich in sein Gedächtnis ruft und zugleich irgendein körperliches Vorstellungsbild bildet. Wenn nun diese beiden [Sachverhalte] zugleich vorgestellt werden, glaubt er leicht, dass er sich eine Seele vorstellt, die körperlich ist, was er bloß fingiert, weil er nicht den Namen von der Sache selbst unterscheidet. Hier erwarte ich, dass die Leser das Dargelegte nicht voreilig verwerfen, was sie, wie ich hoffe, nicht tun werden, wenn sie nur auf die Beispiele möglichst sorgfältig acht geben und zugleich auf das Folgende.
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auch von dem des Begreifens zu sagen sein. Verneinen sie es aber, dann wollen wir, die wir wissen, dass wir etwas wissen, einmal sehen, was sie überhaupt sagen. Sie sagen offenbar, dass die Seele empfinden und auf vielfache Weise wahrnehmen könne, aber nicht sich selbst und die Dinge, die existieren, sondern nur das, was weder an sich noch irgendwo ist, das heißt, dass die Seele allein aus eigener Kraft Empfindungen oder Ideen erzeugen könne, die nicht solche von Dingen sind; ganz so, dass sie sie nahezu wie ein Gott ansehen. Ferner sagen sie, wir oder unsere Seele habe eine solche Freiheit, dass sie uns oder sich selbst, ja sogar ihre eigene Freiheit zwingen könne. Denn nachdem sie einmal irgendetwas fingiert hat und dazu ihre Zustimmung gegeben hat, könne sie dieses nicht in anderer Weise denken oder fingieren, und sie werde sogar durch diese Fiktion gezwungen, auch andere [Dinge] in dieser Weise zu denken, um nicht in den Widerspruch zu der ersten Fiktion zu geraten, wie auch diese Leute gezwungen werden, die Absurditäten, die ich hier aufzähle, ihrer Fiktion zuliebe zuzulassen, die durch Beweise zurückzuweisen wir uns hier nicht die Mühe machen werden.K19 [61] Eher wollen wir sie in ihrem Wahnsinn belassen und nur darauf bedacht sein, den Worten, die wir mit ihnen gewechselt haben, etwas Wahres für unseren Gegenstand zu entnehmen, nämlich Folgendes.7 Wenn der Geist auf einen fingierten und seiner Natur nach falschen Sachverhalt seine Aufmerksamkeit richtet, um ihn zu überdenken und zu begreifen und um aus ihm in gehöriger Ordnung die Schlüsse zu ziehen, die daraus zu ziehen sind, wird er leicht das Falsche an ihm entdecken. Wenn aber der fingierte Sachverhalt seiner Natur nach wahr ist, dann wird der Geist, wenn er auf ihn seine Aufmerksamkeit richtet, um ihn zu begreifen, und in gehöriger Ordnung aus ihm herzuleiten beginnt, was aus ihm folgt, in fruchtbarer Weise ohne jede Unterbrechung fortschreiten; so wie wir gesehen haben, dass bei der soeben angeführten falschen Fiktion der Verstand sofort geneigt gewesen ist, deren Absurdität und anderes, das aus ihr hergeleitet ist, sichtbar zu machen.K20
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Weil ich das aus der Erfahrung zu schließen scheine und jemand sagen könnte, das sei nichts, weil der Beweis fehle, so gebe ich ihn hier, falls ihn jemand verlangt. Weil in der Natur sich nichts ereignen kann, das deren Gesetzen widerstreitet, weil vielmehr alles nach deren bestimmten Gesetzen geschieht, so dass [ein jedes] nach bestimmten Gesetzen seine bestimmten Wirkungen in einer unzerbrechlichen Verkettung hervorbringt, folgt daraus, dass die Seele, sobald sie ein Ding wahrhaft erkennt, fortfahren wird, eben diese Wirkung objektiv darzustellen. […]
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[62] Es wird deshalb keineswegs zu befürchten sein, dass wir etwas fingieren, wenn wir [einen Sachverhalt] nur klar und deutlich wahrnehmen. Denn wenn wir etwa sagen, dass Menschen im Nu in Tiere verwandelt werden, dann wird das in sehr allgemeiner Weise gesagt. Es findet sich dabei im Geist kein Begriff, d. h. keine Idee oder kein Zusammenhang von Subjekt und Prädikat; denn wenn es einen solchen Begriff gäbe, würde man zugleich das Mittel und die Ursachen sehen, wodurch und warum ein so beschaffenes Ereignis geschehen ist. Des Weiteren wird hier auch nicht auf die Natur von Subjekt und Prädikat geachtet.K21 [Falsche Ideen] [66][…] Wir wollen jetzt zur Untersuchung der falschen Ideen übergehen, um zu sehen, worauf sie sich bezieht und wie wir uns davor hüten können, in falsche Wahrnehmungen zu geraten. Beides wird uns nach der Untersuchung der fingierten Idee nicht mehr schwer fallen. Denn zwischen ihnen besteht nur der Unterschied, dass die falsche Idee noch Zustimmung voraussetzt; das bedeutet (wie wir schon bemerkt haben), dass sich [dem Geist] beim Empfangen von Vorstellungsbildern keine Ursachen zeigen, aus denen er, wie beim Fingieren, schließen könnte, dass sie nicht von ihm äußeren Dingen herrühren, dass also einer falschen Idee zu erliegen kaum etwas anderes ist, als mit offenen Augen oder im Zustand des Wachens zu träumen. Und so betrifft oder (um mich besser auszudrücken) bezieht sich die falsche Idee, nicht anders als die fingierte, [entweder] auf die Existenz eines Dinges, dessen Essenz man kennt, oder eine Essenz. […] [68] Hinsichtlich der zweiten Art, die sich auf Essenzen bezieht oder auch auf Ereignisse, sind diesbezügliche Wahrnehmungen immer verworren, zusammengesetzt aus verschiedenen verworrenen Wahrnehmungen der in der Natur existierenden Dinge, so wenn Menschen sich überreden lassen, in Wäldern, Bildern, Tieren und dergleichen seien Gottheiten anwesend, es gäbe Körper, aus deren bloßer Zusammensetzung der Verstand entstehe, Kadaver könnten denken, herum gehen und sprechen, Gott täusche sich, und dergleichen mehr. Hingegen können Ideen, die klar und deutlich sind, niemals falsch sein. Denn die Ideen von Dingen, die klar und deutlich erkannt werden, sind entweder absolut einfach oder aus höchst einfachen Ideen zusammengesetzt, d. h. aus diesen hergeleitet. Dass eine absolut einfache IdeeK22 in der Tat nicht falsch sein kann, wird jeder sehen können, wenn er nur weiß, was das Wahre ist, d. h. was der Verstand ist, und zugleich was das Falsche ist. [69] Denn in Ansehung dessen, was die Form des Wahren ausmacht, unterscheidet sich der wahre Gedanke vom falschen gewiss
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nicht nur durch eine äußere Benennung, sondern in erster Linie durch eine innere.K23 Wenn nämlich ein Handwerker ein Werk nach den Regeln [der Technik] konzipiert, ist sein Gedanke, auch wenn ein solches Werk nie existiert hat und auch niemals existieren wird, gleichwohl wahr, und der Gedanke ist derselbe, mag das Werk existieren oder nicht.K24 Wenn dagegen jemand sagt, dass z. B. Peter existiere, ohne indes zu wissen, dass Peter existiert, dann ist jener Gedanke in Bezug auf den, der das sagt, falsch, oder, wenn man will, er ist nicht wahr, mag auch Peter tatsächlich existieren. Die Aussage, dass Peter existiert, ist wahr allein in Bezug auf denjenigen, der mit Gewissheit weiß, dass Peter existiert.K25 [70] Daraus folgt, dass es in den Ideen etwas Reales gibt, wodurch sich wahre von falschen unterscheiden. Das wird jedenfalls jetzt untersucht werden müssen, damit wir die beste Norm der Wahrheit haben (wir haben ja gesagt, dass wir unsere Gedanken nach der gegebenen wahren Idee bestimmen müssen, und dass die Methode eine reflexive Erkenntnis ist) und damit wir die Eigenschaften des Verstandes kennen lernen. Nicht darf aber gesagt werden, dieser Unterschied resultiere daraus, dass der wahre Gedanke darin besteht, Dinge durch deren erste Ursachen zu erkennen, worin er sich in der Tat sehr von falschen unterscheiden würde, wie ich ihn oben erläutert habe. Denn auch derjenige Gedanke wird wahr genannt, der die Essenz irgendeines ursprünglichen Seienden objektiv enthält, das keine Ursache hat, das nämlich durch sich selbst und in sich selbst erkannt wird.K26 [71] Deshalb muss die Form des wahren Gedankens in diesem Gedanken selbst ohne Beziehung auf andere Gedanken gelegen sein. Sie lässt auch kein Objekt als ihre Ursache gelten, sondern muss allein von der Macht und der Natur des Verstandes abhängen. Denn angenommen, der Verstand habe irgendein neues Seiendes wahrgenommen, das niemals existiert hat, wie manche den Verstand Gottes vor der Schöpfung der Dinge auffassen (eine Wahrnehmung, die gewiss nicht von irgendeinem Objekt hat herrühren können), und er leite aus einer solchen Wahrnehmung andere [Gedanken] regelrecht ab, dann wären all diese Gedanken wahr und von keinem äußeren Objekt bestimmt, sondern hingen allein von der Macht und Natur des Verstandes ab. Daher ist das, was die Form eines wahren Gedankens ausmacht, in diesem Gedanken selbst aufzusuchen, nämlich aus der Natur des Verstandes herzuleiten.K27
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4.2.2 Auszüge aus der Ethica ordine geometrico demonstrata / Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt (1662–76) 1def3 Unter Substanz verstehe ich das, was in sich selbst istK28 und durch sich selbst begriffen wird,K29 d. h. das, dessen Begriff nicht des Begriffs eines anderen Dinges bedarf, von dem her er gebildet werden müsste.
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1def4 Unter Attribut verstehe ich das, was der Verstand an einer Substanz als deren Essenz ausmachend erkennt.K30 1def5 Unter Modus verstehe ich die Affektion einer Substanz, anders formuliert das, was in einem anderen ist, durch das es auch begriffen wird […] 1a4
Die Erkenntnis einer Wirkung hängt von der Erkenntnis der Ursache ab und schließt diese ein.K31
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Eine wahre Idee muss mit dem Gegenstand übereinstimmen, dessen Idee sie ist.K32
[…] 1p10 Jedes Attribut ein und derselben Substanz muss durch sich selbst begriffen werden.K33 Beweis : Ein Attribut ist nämlich das, was der Verstand an einer Substanz als deren Essenz ausmachend erkennt (nach Definition 4); mithin muss es (nach Definition 3) durch sich selbst begriffen werden. […] 2def3 Unter Idee verstehe ich einen Begriff des Geistes, den der Geist bildet, weil er ein denkendes Ding ist. Erläuterung : Ich sage lieber Begriff als Wahrnehmung, weil der Ausdruck „Wahrnehmung“ anzuzeigen scheint, dass der Geist von dem Gegenstand etwas erleidet. Begriff scheint dagegen eine Aktivität des Geistes auszudrücken.K34 2def4 Unter adäquater Idee verstehe ich eine Idee, die, insofern sie in sich selbst und ohne Beziehung auf einen Gegenstand betrachtet
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wird, alle Eigenschaften oder inneren Merkmale einer wahren Idee hat. Erläuterung: Ich sage „innere“, um auszuschließen, was äußerlich ist, nämlich die Übereinstimmung der Idee mit ihrem Gegenstand, dessen Idee sie ist.K35 […]
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Modi des Denkens, wie Liebe, Begierde oder was sonst noch mit dem Ausdruck Affekte des Gemüts bezeichnet wird, gibt es nur, wenn es in demselben Individuum die Idee des geliebten, begehrten usw. Dinges gibt. Eine Idee kann es dagegen geben, auch wenn es keinen anderen Modus des Denkens gibt.K36
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Die Modi eines jeden Attributs haben Gott nur insofern zu ihrer Ursache, als er unter dem Aspekt des Attributes angesehen wird, dessen Modi sie sind, und nicht insofern er unter dem Aspekt irgendeines anderen Attributes angesehen wird.K37 Beweis : Jedes Attribut wird nämlich durch sich selbst, also ohne ein anderes, begriffen (nach Lehrsatz 10 des 1. Teils). Deshalb schließen die Modi eines jeden Attributes den Begriff ihres eigenen Attributes ein, nicht aber den eines anderen, mithin haben sie (nach Axiom 4 des 1. Teils) Gott nur insofern zu ihrer Ursache, als er unter dem Aspekt des Attributs angesehen wird, dessen Modi sie sind, und nicht insofern er unter dem Aspekt irgendeines anderen Attributes angesehen wird. Q.E.D. 2p7
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Die Ordnung und Verknüpfung von Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge. Beweis : Dies ist aus Axiom 4 des 1. Teils evident. Denn die Idee eines jeden verursachten Dinges hängt von der Erkenntnis der Ursache ab, deren Wirkung sie ist.K38 Folgesatz : Hieraus folgt, dass Gottes Macht zu denken seiner wirklichen Macht zu handeln gleich ist. D. h., was auch immer aus der unendlichen Natur Gottes folgt und kraft dieses Folgens ein Sein hat, das alles folgt in Gott aus der Idee Gottes in derselben Ordnung und mit derselben Verknüpfung in ideeller Weise [objective].K39 Anmerkung : Hier müssen wir uns, ehe wir weitergehen, dessen erinnern, was wir oben dargelegt haben, nämlich dass, was auch immer von einem unendlichen Verstand als eine Essenz der Substanz ausmachend wahrgenommen werden kann, nur zu einer einzigen Substanz gehört,
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und dass folglich die denkende Substanz und ausgedehnte Substanz ein und dieselbe Substanz sind, die bald unter diesem und bald unter jenem Attribut aufgefasst wird. Dann gilt auch, dass ein Modus von Ausdehnung und die Idee dieses Modus ein und dasselbe Ding sind,K40 aber in zwei Weisen ausgedrückt. Das scheinen einige Hebräer, gleichsam durch Nebel, gesehen zu haben, wenn sie dafür halten, Gott, Gottes Verstand und die von ihm eingesehenen Dinge seien ein und dasselbe. Zum Beispiel sind ein in der Natur existierender Kreis und die Idee dieses existierenden Kreises, die ebenfalls in Gott ist, ein und dasselbe Ding, das sich durch verschiedene Attribute erklären lässt. Mögen wir somit die Natur unter dem Attribut der Ausdehnung oder unter dem Attribut Denken oder unter irgendeinem anderen [Attribut] begreifen, immer werden wir ein und dieselbe Ordnung, anders formuliert, ein und dieselbe Verknüpfung von Ursachen finden, d. h. dass es dieselben Dinge sind, die [in Gott] unter diesen Aspekten folgen. Aus keinem anderen Grund habe ich gesagt, Gott ist die Ursache der Idee, z. B. eines Kreises, nur insofern er ein denkendes Ding ist, und die [Ursache] des Kreises, nur insofern er ein ausgedehntes Ding ist, als deswegen, weil die Idee des Kreises in dem, was sie ist, nur durch einen anderen Modus des Denkens – denjenigen, der ihre nächste Ursache ist – und dieser wiederum durch einen anderen, und so weiter ins Unendliche, wahrgenommen werden kann. Also müssen wir, solange Dinge als Modi des Denkens angesehen werden, die Ordnung der ganzen Natur, d. h. die Verknüpfung von Ursachen, allein durch das Attribut Denken erklären; und insofern sie als Modi von Ausdehnung angesehen werden, muss auch die Ordnung der ganzen Natur allein durch das Attribut Ausdehnung erklärt werden; und dasselbe gilt von den anderen Attributen. Von Dingen, wie sie in sich selbst sind, ist daher in der Tat Gott die Ursache, insofern er aus unendlichen Attributen besteht. Für jetzt kann ich das nicht klarer darlegen.
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Die Ideen von Einzeldingen oder von Modi, die nicht existieren, müssen in der unendlichen Idee Gottes so einbegriffen sein, wie das Sein der Essenzen von Einzeldingen oder Modi in Gottes Attributen enthalten ist.K41 Beweis : Dieser Lehrsatz ist aus dem vorigen evident; noch klarer ist er freilich aus voriger Anmerkung zu verstehen. Folgesatz : Hieraus folgt, dass, solange Einzeldinge nur in Gott existieren, als sie in Gottes Attributen einbegriffen sind, [auch] ihr objektives Sein, also ihre Ideen, nur existieren, insofern die unendliche Idee Gottes existiert. Und sobald es von Einzeldingen heißt, dass sie nicht nur inso-
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fern existieren, als sie in Gottes Attributen einbegriffen sind, sondern auch insofern, als man ihnen Dauer zuspricht, werden auch ihre Ideen eine Existenz in sich schließen, die es macht, dass man ihnen Dauer zuspricht. Anmerkung: Sollte jemand zur ausführlicheren Erläuterung dieses Sachverhaltes ein Beispiel wünschen, werde ich allerdings keines geben können, das die Sache, von der ich hier rede und die einzigartig ist, adäquat erläutert. Doch will ich versuchen, sie so gut es geht zu veranschaulichen. Der Kreis D ist, wie man weiß, von solcher Natur, dass die RechtE ecke aus Segmenten aller in ihm sich schneidenden Geraden einander gleich sind; deshalb sind in einem Kreis unendlich viele einander gleiche Rechtecke enthalten; gleichwohl lässt sich von keinem von ihnen sagen, es existierte, außer insofern der Kreis existiert, und ebenso wenig lässt sich von der Idee irgendeines dieser Rechtecke sagen, sie existierte, außer insofern sie in der Idee des Kreises einbegriffen ist. Man denke sich jetzt, von jenen unendlich vielen [Rechtecken] existieren nur zwei, nämlich [die aus den Segmenten der Linien] E und D. Dann existieren natürlich auch ihre Ideen nicht nur, insofern sie lediglich in der Idee des Kreises einbegriffen sind, sondern auch, insofern sie die Existenz jener Rechtecke in sich schließen; und das macht es, dass sie sich von den anderen Ideen der anderen Rechtecke unterscheiden. […] 2p11 Das Erste, was das wirkliche Sein des menschlichen Geistes ausmacht, ist nichts anderes als die Idee eines wirklich existierenden Einzeldings.K42 Beweis: Es sind bestimmte Modi der Attribute Gottes, die […]R die Essenz des Menschen ausmachen, nämlich […]R Modi des Denkens, denen allen (nach Axiom 3 dieses Teils) die Idee ihrer Natur nach vorangeht; ist sie gegeben, müssen die übrigen Modi (denen sie der Natur nach vorangeht) in demselben Individuum sein (nach dem genannten Axiom). Mithin ist eine Idee das Erste, was das Sein des menschlichen Geistes ausmacht, aber nicht die Idee eines nichtexistierenden Dinges. Denn dann ließe sich (nach Folgesatz zu Lehrsatz 8 dieses Teils) von der Idee selbst nicht sagen, dass sie existiert. Also wird es die Idee eines wirklich existierenden Dinges sein; aber nicht eines unendlichen Dinges. Ein unendliches Ding muss nämlich […]R notwendigerweise immer existieren; es ist […]R aber widersinnig, [dass diese Idee ein solches Objekt haben könnte]. Also ist das erste, was das wirkliche Sein des menschlichen Geistes ausmacht, die Idee eines wirklich existierenden Einzeldings. Q.E.D.
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Folgesatz : Hieraus folgt, dass der menschliche Geist ein Teil von Gottes unendlichem Verstand ist. Wenn wir daher sagen, der menschliche Geist nimmt dieses oder jenes wahr, so sagen wir nichts anderes, als dass Gott, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklärt wird, d. h. insofern er die Essenz des menschlichen Geistes ausmacht, diese oder jene Idee hat. Und wenn wir sagen, Gott hat diese oder jene Idee, nicht insofern er nur die Natur des menschlichen Geistes ausmacht, sondern insofern er zusammen mit dem menschlichen Geist auch die Idee eines anderen Dinges hat, dann sagen wir, dass der menschliche Geist das Ding nur zum Teil, anders formuliert inadäquat, wahrnimmt.K43 2p12 Was auch immer in dem Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht,K44 sich ereignet, muss von dem menschlichen Geist wahrgenommen werden; anders formuliert, davon wird es notwendigerweise eine Idee in dem Geist geben. D. h.: Wenn das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ein Körper ist, dann wird in diesem Körper nichts sich ereignen können, was von diesem Geist nicht wahrgenommen wird. Beweis : Denn was auch immer in dem Objekt einer jeden Idee sich ereignet, dessen Erkenntnis ist notwendigerweise in Gott […]R, insofern er als von der Idee ebendieses Objektes affiziert angesehen wird, d. h. (nach Lehrsatz 11 dieses Teils), insofern er den Geist eines bestimmten Dinges ausmacht. Was auch immer in dem Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, sich ereignet, dessen Erkenntnis ist somit notwendigerweise in Gott, insofern er die Natur des menschlichen Geistes ausmacht; d. h. (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils), dessen Erkenntnis wird notwendigerweise in dem Geist sein, anders formuliert, der Geist nimmt es wahr. Q.E.D. 2p13 Das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ist der Körper, d. h. ein bestimmter wirklich existierender Modus von Ausdehnung und nichts anderes. Beweis : Wäre nämlich das Objekt des menschlichen Geistes nicht der Körper, dann wären die Affektionen des Körpers nicht in Gott […]R, insofern er den Geist eines anderen Dinges ausmacht; d. h. (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils), die Ideen der Affektionen des Körpers wären nicht in unserem Geist. Wir haben aber […]R Ideen der Affektionen des Körpers. Also ist das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, der Körper und zwar (nach Lehrsatz 11 dieses Teils) der wirklich existierende Körper. Ferner, wäre außer dem Körper noch etwas
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anderes das Objekt des Geistes, dann müsste (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) notwendigerweise die Idee irgendeiner Wirkung [dieses Objekts] in unserem Geist sein, weil […]R nichts existiert, woraus nicht irgendeine Wirkung erfolgt. Wir haben aber (nach Axiom 5 dieses Teils) eine solche Idee nicht. Also ist das Objekt unseres Geistes der existierende Körper und nichts anderes. Q.E.D. Folgesatz : Hieraus folgt, dass der Mensch aus einem Geist und einem Körper besteht und dass der menschliche Körper, so wie wir ihn empfinden, existiert. Anmerkung : Daraus ersehen wir nicht nur, dass der menschliche Geist mit dem Körper vereinigt ist, sondern auch, was unter der Vereinigung von Körper und Geist verstanden werden sollte. Indessen wird sie niemand adäquat oder deutlich einsehen können, wenn er nicht zuvor die Natur unseres Körpers adäquat erkennt. Denn was wir bisher aufgezeigt haben, ist ganz allgemein und gilt für Menschen nicht mehr als für übrige Individuen, die alle, wenn auch in verschiedenen Graden, beseelt sind.K45 Denn von jedem Ding gibt es notwendigerweise in Gott eine Idee, von der Gott in gleicher Weise die Ursache ist wie von der Idee des menschlichen Körpers; mithin muss alles, was wir von der Idee des menschlichen Körpers gesagt haben, auch von der Idee eines jeden Dinges gesagt werden. Andererseits können wir auch nicht leugnen, dass Ideen untereinander so unterschiedlich sind wie die Gegenstände selbst, und dass die eine vorzüglicher ist als die andere und mehr Realität enthält, je nachdem der Gegenstand der einen vorzüglicher ist als der der anderen und mehr Realität enthält. Für die Bestimmung dessen, was der Unterschied zwischen dem menschlichen Geist und den sonstigen [Seelen] ist und worin er sie übertrifft, müssen wir deshalb, wie gesagt, die Natur seines Objektes, also die des menschlichen Körpers, zur Kenntnis nehmen. Erklären kann ich sie hier nicht, aber das ist für das, was ich beweisen will, auch nicht erforderlich. Doch sage ich ganz generell: Je fähiger, verglichen mit anderen, ein Körper ist, Vieles auf einmal zu tun oder zu erleiden, desto fähiger ist, verglichen mit anderen, sein Geist, Vieles auf einmal wahrzunehmen; und je mehr Tätigkeiten eines Körpers von ihm allein abhängen und je weniger andere Körper bei seinem Tätigsein mitwirken, desto fähiger ist sein Geist zu deutlicher Einsicht. Von hier aus lässt sich der Vorzug eines Geistes gegenüber einem anderen erkennen, aber auch der Grund angeben, warum wir von unserem Körper nur eine ganz verworrene Erkenntnis haben, und noch manch anderes, was ich in den folgenden [Lehrsätzen] daraus herleiten werde. […] […]K46
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2p15 Die Idee, die das formale Sein des menschlichen Geistes ausmacht, ist nicht einfach, sondern aus sehr vielen Ideen zusammengesetzt. Beweis : Die Idee, die das formale Sein des menschlichen Geistes ausmacht, ist die Idee eines Körpers (nach Lehrsatz 13 dieses Teils), der […]R aus sehr vielen komplex zusammengesetzten Individuen zusammengesetzt ist. Nun gibt es von jedem Individuum, das den Körper zusammensetzt, notwendigerweise (nach Folgesatz zu Lehrsatz 8 dieses Teils) eine Idee in Gott; also ist (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) die Idee des menschlichen Körpers aus diesen sehr vielen Ideen der den Körper zusammensetzenden Teile zusammengesetzt. Q.E.D. 2p16 Die Idee einer jeden Weise, in der der menschliche Körper von äußeren Körpern affiziert wird, muss die Natur des menschlichen Körpers K47 und zugleich die des äußeren Körpers in sich schließen. Beweis : Alle Weisen, in denen ein Körper affiziert wird, ergeben sich aus dem Zusammen der Natur des affizierten Körpers und der des affizierenden Körpers […]R; deren Idee wird deshalb (nach Axiom 4 des 1. Teils) notwendigerweise die Natur beider Körper in sich schließen; mithin schließt die Idee einer jeden Weise, in der der menschliche Körper von äußeren Körpern affiziert wird, die Natur des menschlichen Körpers und die des äußeren Körpers in sich. Q.E.D. Folgesatz 1: Hieraus folgt erstens, dass der menschliche Geist die Natur sehr vieler Körper zusammen mit der Natur seines eigenen Körpers wahrnimmt. Folgesatz 2: Es folgt zweitens, dass die Ideen, die wir von äußeren Körpern haben, eher den Zustand unseres Körpers anzeigen, als dass sie die Natur der äußeren Körper [erklären]K48 […]R. 2p17 Wenn der menschliche Körper in einer Weise affiziert wird, die die Natur eines äußeren Körpers in sich schließt, dann wird der menschliche Geist ebendiesen äußeren Körper als wirklich existierend oder als ihm gegenwärtig betrachten, bis der Körper von einem Affekt K49 affiziert wird, der die Existenz oder Gegenwart dieses Körpers ausschließt. Beweis : Dies ist evident. Denn solange der menschliche Körper so affiziert ist, wird der menschliche Geist (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) diese Affektion des Körpers betrachten, d. h. (nach vorigem Lehrsatz), er wird die Idee eines wirklich existierenden Modus haben, eine Idee also, die die Natur des äußeren Körpers in sich schließt, d. h. eine Idee, die die Existenz oder Gegenwart der Natur des äußeren Körpers nicht ausschließt, sondern setzt; mithin wird der Geist (nach Folgesatz 1 zu vorigem Lehr-
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satz) den äußeren Körper als wirklich existierend oder als gegenwärtig betrachten, bis [der Körper] affiziert wird usw. Q.E.D. Folgesatz : Der Geist wird die äußeren Körper, von denen der menschliche Körper einmal affiziert worden ist, selbst dann, wenn sie nicht mehr existieren oder nicht mehr gegenwärtig sind, doch als gegenwärtig betrachten können. Beweis : Wenn äußere Körper die flüssigen Teile des menschlichen Körpers so bestimmen, dass sie häufig auf die weicheren Teile stoßen, dann verändern sie […]R deren Flächen, mit dem Ergebnis […]R, dass die flüssigen Teile von dort auf andere Weise zurückprallen, als es vorher zu geschehen pflegte, und dass sie auch später noch, wenn sie in ihrer spontanen Bewegung auf diesen neuen Flächen einfallen, in derselben Weise zurückprallen wie damals, als sie von äußeren Körpern gegen jene Flächen getrieben wurden, und folglich dass sie den menschlichen Körper, solange sie ihre so zurückprallende Bewegung fortsetzten, in gleicher Weise affizieren werden. Davon wird es in dem Geist (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) wiederum eine Idee geben, d. h. (nach Lehrsatz 17 dieses Teils), der Geist wird den äußeren Körper wiederum als gegenwärtig betrachten, und dies so oft, wie die flüssigen Teile des menschlichen Körpers in ihrer spontanen Bewegung auf diese Flächen einfallen werden.K50 Deshalb wird der Geist selbst dann, wenn die äußeren Körper, von denen der menschliche Körper einmal affiziert worden ist, nicht mehr existieren, sie doch so oft als gegenwärtig betrachten, wie die beschriebene Tätigkeit des Körpers sich wiederholen wird. Q.E.D. Anmerkung : Wir sehen also, wie es geschehen kann, was oft der Fall ist, dass wir nichtvorhandene Dinge als gegenwärtig betrachten. Das kann zwar auch aus anderen Ursachen geschehen, aber es genügt mir hier, eine einzige angegeben zu haben, aus der sich die Sache ebenso erklären lässt, als wenn ich sie aus ihrer wahren Ursache erwiesen hätte. Doch glaube ich nicht, von der wahren [Ursache] sehr weit entfernt zu sein, da alle von mir hier angenommenen Postulate kaum etwas enthalten, das die Erfahrung nicht bestätigte, und an ihr dürfen wir nicht zweifeln, seitdem wir gezeigt haben, dass der menschliche Körper, so wie wir ihn empfinden, existiert (siehe Folgesatz zu Lehrsatz 13 dieses Teils). Ferner verstehen wir (aus vorigem Folgesatz und aus dem Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 dieses Teils) klar, was der Unterschied ist zwischen der Idee, sagen wir von Peter, die die Essenz gerade von Peters Geist ausmacht, und der Idee von Peter, die in einem anderen Menschen ist, sagen wir in Paul. Jene nämlich erklärt unmittelbar die Essenz gerade von Peters Körper und schließt seine Existenz nur so lange ein, wie Peter existiert; diese
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dagegen zeigt mehr den Zustand von Pauls Körper an als die Natur von Peter [NS: (siehe Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 dieses Teils)]; mithin wird, solange dieser Zustand von Pauls Körper dauert, Pauls Geist Peter als ihm gegenwärtig betrachten, selbst dann, wenn Peter nicht mehr existiert.K51 Weiter wollen wir, um die gebräuchlichen Worte beizubehalten, die Affektionen des menschlichen Körpers, deren Ideen äußere Körper als uns gegenwärtig darstellen, Vorstellungsbilder von Dingen nennen, obgleich sie die äußere Gestalt von Dingen nicht wiedergeben. Und wenn der Geist Körper auf diese Weise betrachtet, wollen wir sagen, dass er vorstellt. Und hier möchte ich, um die Frage nach dem, was Irrtum ist, anzuschneiden, darauf aufmerksam machen, dass die Vorstellungen des Geistes, in sich gesehen, keinen Irrtum enthalten, anders formuliert, dass der Geist nicht deshalb schon, weil er vorstellt, irrt, sondern nur unter dem Aspekt, dass er die Idee entbehrt, die die Existenz der Dinge, die er als gegenwärtig vorstellt, ausschließt. Denn wenn der Geist, während er nichtexistierende Dinge als gegenwärtig vorstellt, zugleich wüsste, dass diese Dinge in Wirklichkeit nicht existieren, würde er gewiss diese Macht des Vorstellens einer Vorzüglichkeit und nicht einem Fehler seiner Natur zuschreiben, zumal dann, wenn eine solche Fähigkeit vorzustellen von seiner Natur alleine abhinge, d. h. […]R wenn diese Fähigkeit des Geistes sich etwas vorzustellen frei wäre. […] 2p20 Von dem menschlichen Geist gibt es ebenfalls in Gott eine Idee oder Erkenntnis, die in Gott auf dieselbe Weise folgt und auf dieselbe Weise bezogen ist wie die Idee oder Erkenntnis des menschlichen Körpers. Beweis : Denken ist ein Attribut Gottes […]R; mithin muss es […]R sowohl von ihm wie von allen seinen Affektionen und folglich auch (nach Lehrsatz 11 dieses Teils) von dem menschlichen Geist notwendigerweise in Gott eine Idee geben. Sodann folgt diese Idee oder Erkenntnis des Geistes in Gott, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er von einer anderen Idee eines Einzeldings affiziert ist […]R. Die Ordnung und Verknüpfung von Ideen ist aber dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung von Ursachen [NS: von Dingen] (nach Lehrsatz 7 dieses Teils); also folgt diese Idee oder Erkenntnis des Geistes in Gott und bezieht sich auf Gott auf dieselbe Weise wie die Idee oder Erkenntnis des Körpers. Q.E.D.
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2p21 Die Idee des Geistes ist mit dem Geist auf dieselbe Weise vereinigt, wie der Geist mit dem Körper vereinigt ist. Beweis : Dass der Geist mit dem Körper vereinigt ist, haben wir aus dem Tatbestand erwiesen, dass der Körper das Objekt des Geistes ist (siehe Lehrsatz 12 und 13 dieses Teils); mithin muss aus demselben Grund die Idee des Geistes mit ihrem Objekt, d. h. mit dem Geist selbst, auf dieselbe Weise vereinigt sein, wie der Geist mit dem Körper vereinigt ist. Q.E.D.K52 Anmerkung : Dieser Lehrsatz lässt sich weit klarer aus dem verstehen, was in Anmerkung zu Lehrsatz 7 dieses Teils gesagt worden ist. Dort haben wir nämlich gezeigt, dass die Idee des Körpers und der Körper, d. h. (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) der Geist und der Körper, ein und dasselbe Individuum sind, das bald unter dem Attribut Denken, bald unter dem Attribut Ausdehnung begriffen wird; deshalb sind die Idee des Geistes und der Geist selbst ein und dasselbe Ding, das unter ein und demselben Attribut, nämlich Denken, begriffen wird. Die Idee des Geistes, sage ich, und der Geist selbst folgen in Gott mit derselben Notwendigkeit aus derselben Macht des Denkens. Denn in der Tat ist die Idee des Geistes, d. h. die Idee der Idee, nichts anderes als die Form der Idee, insofern sie als ein Modus des Denkens ohne Beziehung auf das Objekt angesehen wird. Sobald nämlich jemand etwas weiß, weiß er eben damit, dass er dies weiß, und zugleich weiß er, dass er weiß, dass er weiß, und so weiter ins Unendliche.K53 Doch mehr darüber später. […] 2p25 Die Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt die adäquate Erkenntnis eines äußeren Körpers nicht in sich.K54 Beweis : Wir haben gezeigt (siehe Lehrsatz 16 dieses Teils), dass die Idee einer Affektion des menschlichen Körpers die Natur eines äußeren Körpers insofern in sich schließt, als der äußere Körper den menschlichen Körper in einer bestimmten Weise bestimmt. Sofern nun der äußere Körper ein Individuum ist, das sich auf den menschlichen Körper nicht bezieht, ist seine Idee oder Erkenntnis in Gott […]R, insofern Gott als affiziert von der Idee eines anderen Dinges angesehen wird, das (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) der Natur nach dem äußeren Körper selbst vorangeht. Daher ist die adäquate Erkenntnis des äußeren Körpers nicht in Gott, insofern er die Idee einer Affektion des menschlichen Körpers hat; anders formuliert, die Idee einer Affektion des menschlichen Körpers schließt die adäquate Erkenntnis eines äußeren Körpers nicht in sich. Q.E.D.
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2p26 Der menschliche Geist nimmt einen äußeren Körper als wirklich existierend lediglich durch die Ideen der Affektionen seines eigenen Körpers wahr. Beweis : Wenn der menschliche Körper von einem äußeren Körper in keiner Weise affiziert wird, dann ist (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) auch die Idee des menschlichen Körpers, d. h. (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) der menschliche Geist, in keiner Weise von der Idee der Existenz jenes Körpers affiziert; anders formuliert, er nimmt die Existenz jenes äußeren Körpers nicht wahr. Insofern der menschliche Körper aber von einem äußeren Körper in irgendeiner Weise affiziert wird, nimmt [der menschliche Geist] in diesem Maße (nach Lehrsatz 16 dieses Teils einschließlich Folgesatz 1) den äußeren Körper wahr. Q.E.D. Folgesatz : Insofern der menschliche Geist einen äußeren Körper vorstellt, hat er von ihm keine adäquate Erkenntnis. Beweis : Wenn der menschliche Geist äußere Körper durch Ideen der Affektionen seines eigenen Körpers betrachtet, dann sagen wir, dass er sich etwas vorstellt (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils); und der Geist kann auf keine andere Weise (nach vorigem Lehrsatz) äußere Körper als wirklich existierend vorstellen. Mithin hat (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) der menschliche Geist, insofern er sich äußere Körper vorstellt, von ihnen keine adäquate Erkenntnis. Q.E.D. 2p27 Die Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt die adäquate Erkenntnis des menschlichen Körpers selbst nicht in sich. Beweis : Jede beliebige Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt die Natur des menschlichen Körpers insofern in sich, als der menschliche Körper selbst als in einer bestimmten Weise affiziert angesehen wird (siehe Lehrsatz 16 dieses Teils). Insofern nun der menschliche Körper ein Individuum ist, das noch auf viele andere Weisen affiziert werden kann, ist die Idee dieser [Affektion] usw. Siehe den Beweis zu Lehrsatz 25 dieses Teils. 2p28 Die Ideen der Affektionen des menschlichen Körpers sind, insofern sie nur auf den menschlichen Geist bezogen werden, nicht klar und deutlich, sondern verworren. Beweis : Die Ideen der Affektionen des menschlichen Körpers schließen nämlich sowohl die Natur äußerer Körper als auch die des menschlichen Körpers in sich (nach Lehrsatz 16 dieses Teils); und sie müssen nicht nur die Natur des menschlichen Körpers [im Ganzen], sondern auch die Natur seiner Teile in sich schließen; denn die Affektionen sind […]R die Weisen, in denen die Teile des menschlichen Körpers, und folglich der
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ganze Körper, affiziert werden. Nun ist (nach Lehrsatz 24 und 25 dieses Teils) die adäquate Erkenntnis äußerer Körper wie auch der den menschlichen Körper zusammensetzenden Teile in Gott, nicht insofern er als von dem menschlichen Geist, sondern insofern er als von anderen Ideen affiziert angesehen wird. Also sind diese Ideen der Affektionen, insofern sie bloß auf den menschlichen Geist bezogen werden, gleichsam Schlusssätze ohne Vordersätze, d. h. (wie sich von selbst versteht) verworrene Ideen. Q.E.D. Anmerkung : In gleicher Weise lässt sich beweisen, dass die Idee, die die Natur des menschlichen Geistes ausmacht, in sich allein gesehen, nicht klar und deutlich ist,K55 was auch für die Idee des menschlichen Geistes und die Ideen der Ideen der Affektionen des menschlichen Körpers gilt, insofern sie bloß auf den Geist bezogen werden, wie jeder leicht sehen kann. 2p29 Die Idee der Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt die adäquate Erkenntnis des menschlichen Geistes nicht in sich. Beweis : Die Idee der Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt nämlich (nach Lehrsatz 27 dieses Teils) die adäquate Erkenntnis des Körpers selbst nicht in sich; anders formuliert, sie drückt nicht adäquat dessen Natur aus, d. h. (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) stimmt nicht adäquat mit der Natur des Geistes überein. Mithin drückt (nach Axiom 6 des 1. Teils) die Idee dieser Idee nicht adäquat die Natur des menschlichen Geistes aus, anders formuliert, sie schließt dessen adäquate Erkenntnis nicht in sich. Q.E.D. Folgesatz : Hieraus folgt, dass der menschliche Geist, so oft er Dinge von der gemeinsamen Ordnung der Natur her wahrnimmt, weder von sich selbst, noch von seinem eigenen Körper, noch von äußeren Körpern eine adäquate, sondern nur eine verworrene und verstümmelte Erkenntnis hat. Denn der Geist erkennt sich selbst lediglich insofern, als er die Ideen der Affektionen des Körpers wahrnimmt […]R. Und seinen eigenen Körper nimmt er […]R lediglich durch ebendiese Ideen der Affektionen wahr, durch die allein er auch (nach Lehrsatz 26 dieses Teils) äußere Körper wahrnimmt. Insofern er also [Ideen] dieser Art hat, hat er weder von sich selbst (nach Lehrsatz 29 dieses Teils) noch von seinem eigenen Körper (nach Lehrsatz 27 dieses Teils), noch von äußeren Körpern (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) eine adäquate Erkenntnis, sondern nur (nach Lehrsatz 28 dieses Teils einschließlich Anmerkung) eine verstümmelte und verworrene. Q.E.D. Anmerkung: Ich sage ausdrücklich, dass der Geist weder von sich selbst,
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noch von äußeren Körpern eine adäquate, sondern nur eine verworrene [NS: verstümmelte] Erkenntnis hat, so oft er Dinge von der gemeinsamen Ordnung der Natur her wahrnimmt, d. h. so oft er von außen, nämlich von der zufälligen Begegnung mit den Dingen her, bestimmt wird, dieses oder jenes zu betrachten, nicht aber, so oft er von innen, nämlich dadurch, dass er mehrere Dinge zugleich betrachtet, bestimmt wird, an ihnen Übereinstimmungen, Unterschiede und Gegensätze einzusehen;K56 wenn er nämlich so oder auf andere Weise von innen her disponiert ist, dann betrachtet er Dinge klar und deutlich, wie ich weiter unten zeigen werde. […] 2p32 Alle Ideen sind, insofern sie auf Gott bezogen sind, wahr.K57 Beweis : Alle Ideen nämlich, die in Gott sind, stimmen mit den Gegenständen, deren Ideen sie sind, gänzlich überein (nach Folgesatz zu Lehrsatz 7 dieses Teils); mithin sind sie (nach Axiom 6 des 1. Teils) alle wahr. Q.E.D. 2p33 In Ideen ist nichts Positives, dessentwegen sie falsch genannt werden. Beweis : Wenn du dies verneinst, denke dir, wenn es möglich ist, einen positiven Modus des Denkens, der die Form von Irrtum oder Falschheit ausmacht. Dieser Modus des Denkens kann nicht in Gott sein (nach vorigem Lehrsatz); außerhalb von Gott kann er aber auch weder sein noch begriffen werden (nach Lehrsatz 15 des 1. Teils). Mithin kann es in Ideen nichts Positives geben, dessentwegen sie falsch genannt werden. Q.E.D. 2p34 Jede Idee, die in uns unbedingt, also adäquat und vollkommen ist, ist wahr. Beweis : Wenn wir sagen, dass es in uns eine adäquate und vollkommene Idee gibt, dann sagen wir nichts anderes (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils), als dass es in Gott, insofern er die Essenz unseres Geistes ausmacht, eine adäquate und vollkommene Idee gibt; und folglich sagen wir (nach Lehrsatz 32 dieses Teils) nichts anderes, als dass eine solche Idee wahr ist. Q.E.D. 2p35 Falschheit besteht in dem Mangel an Erkenntnis, den inadäquate, also verstümmelte und verworrene Ideen in sich schließen.K58 Beweis : Es gibt nichts Positives in Ideen, das die Form von Falschheit ausmacht (nach Lehrsatz 33 dieses Teils). Doch kann Falschheit nicht in einem völligen Mangel bestehen (vom Geist nämlich, nicht vom Körper sagt man, dass er irrt und sich täuscht), und ebenso wenig in völliger Unwissenheit, sind doch Nichtwissen und Irren verschiedene Sachen.
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Daher besteht sie in dem Mangel an Erkenntnis, den die inadäquate Erkenntnis von Dingen, anders formuliert inadäquate und verworrene Ideen in sich schließen. Q.E.D. Anmerkung : In der Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils habe ich erklärt, inwiefern Irrtum in einem Mangel an Erkenntnis besteht. Indessen will ich, um die Sache ausführlicher zu erläutern, ein Beispiel geben. Menschen täuschen sich darin, dass sie sich für frei halten [NS: (d. h. dass sie denken, freiwillig etwas tun oder lassen zu können)], welche Meinung allein darauf beruht, dass sie sich ihrer Handlungen bewusst sind, aber nicht die Ursachen kennen, von denen sie bestimmt werden. Das ist also ihre Idee von Freiheit: dass sie keine Ursache ihrer Handlungen kennen. Denn wenn sie sagen, menschliche Handlungen hingen von dem Willen ab, dann sind das Worte, für die sie keine Ideen haben. Was nämlich der Wille ist und wie er den Körper bewegt, das wissen sie alle nicht, und die die etwas anderes vorgeben, und Sitze und Wohnplätze der Seele erdichten, erregen gewöhnlich Gelächter und Überdruss. So ist es: Wenn wir auf die Sonne blicken, stellen wir sie als ungefähr 200 Fuß von uns entfernt vor; und der hier vorliegende Irrtum besteht nicht einfach in dieser Vorstellung, sondern darin, dass wir, während wir die Sonne so vorstellen, ihre wahre Entfernung und die Ursache, sie so vorzustellen, nicht kennen. Denn selbst wenn wir später zu der Erkenntnis kommen, dass sie über 600 Erddurchmesser von uns entfernt ist, werden wir sie nichtsdestoweniger immer noch als nah vorstellen; wir stellen nämlich die Sonne nicht deshalb als so nah vor, weil wir ihre wahre Entfernung nicht kennen, sondern weil eine Affektion unseres Körpers die Essenz der Sonne in sich schließt, insofern er gerade von der Sonne affiziert wird.K59 […] 2p39 Was den menschlichen Körper und einigen äußeren Körpern, von denen der menschliche Körper gewöhnlich affiziert wird, gemeinsam und eigentümlich ist und was gleichermaßen in dem Teil eines jeden dieser äußeren Körper wie im Ganzen ist, auch dessen Idee wird im Geist adäquat sein. Beweis : A möge das sein, was dem menschlichen Körper und einigen äußeren Körpern gemeinsam und eigentümlich ist, was gleichermaßen im menschlichen Körper wie in diesen äußeren Körpern ist und was endlich gleichermaßen in dem Teil eines jeden dieser äußeren Körper wie im Ganzen ist. Von A wird es dann in Gott eine adäquate Idee geben (nach Folgesatz zu Lehrsatz 7 dieses Teils), sowohl insofern er die Idee des menschlichen Körpers, als auch insofern er die Ideen jener äußeren Körper hat. Nun nehme man an, dass der menschliche Körper von einem äußeren Körper durch das affiziert wird, was er mit ihm gemein-
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sam hat, also von A. Dann wird die Idee dieser Affektion die Eigenschaft A in sich schließen (nach Lehrsatz 16 dieses Teils); mithin wird (nach dem genannten Folgesatz zu Lehrsatz 7 dieses Teils) die Idee dieser Affektion, insofern sie die Eigenschaft A in sich schließt, in Gott adäquat sein, insofern er von der Idee des menschlichen Körpers affiziert ist, d. h. (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) insofern er die Natur des menschlichen Geistes ausmacht. Mithin ist (nach Folgesatz 11 dieses Teils) diese Idee auch im menschlichen Geist adäquat. Q.E.D. Folgesatz : Hieraus folgt, dass der Geist umso fähiger ist, mehr Dinge adäquat wahrzunehmen, je mehr Eigentümlichkeiten sein Körper mit anderen Körpern gemeinsam hat. […] 2p40 Anmerkung 2: Aus allem, was oben gesagt worden ist, ist offensichtlich, dass wir [einerseits] viele Dinge wahrnehmen und [andererseits] Begriffe bilden, die allgemein sind: 1. aus Einzeldingen, die uns durch die Sinne in einer Weise vergegenwärtigt worden sind, die verstümmelt ist, verworren und ohne Ordnung für den Verstand (siehe Folgesatz zu Lehrsatz 29 dieses Teils); schon länger pflege ich deshalb Wahrnehmungen dieser Art Erkenntnis aus unbestimmter Erfahrung zu nennen. 2. aus Zeichen, z. B. daraus, dass wir, nachdem wir gewisse Worte gehört oder gelesen haben, uns an Dinge erinnern und aus ihnen gewisse Ideen bilden, die denen ähnlich sind, durch die wir Dinge vorstellen […]R. Diese beiden Weisen, Dinge zu betrachten, werde ich künftig Erkenntnis der ersten Gattung, Meinung oder Vorstellung nennen. 3. endlich daraus, dass wir Gemeinbegriffe bilden und adäquate Ideen der Eigenschaften der Dinge haben […]R; diese Weise der Betrachtung werde ich Vernunft oder Erkenntnis der zweiten Gattung nennen. [4.] Außer diesen beiden Gattungen von Erkenntnis gibt es, wie ich im Folgenden zeigen werde, noch eine dritte Gattung, die wir intuitive Erkenntnis nennen wollen. Und diese Gattung des Erkennens schreitet von der adäquaten Idee dessen, was die Essenz gewisser Attribute Gottes ausmacht, weiter bis zu der adäquaten Erkenntnis der Essenz von Dingen. Ich will dies an einem Beispiel erläutern. Es sind drei Zahlen gegeben, zu denen man eine vierte finden möge, die sich zu der dritten verhält wie die zweite zu der ersten. Kaufleute multiplizieren ohne Zögern die zweite mit der dritten und dividieren das Produkt durch die erste, und dies, weil sie entweder noch nicht vergessen haben, was sie von ihren Lehrern ohne irgendeinen Beweis gehört haben, oder weil sie es oft bei
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ganz einfachen Zahlen herausgefunden haben, oder endlich kraft des Beweises von Lehrsatz 19 im 7. Buch des Euklid, nämlich aus der gemeinsamen Eigenschaft von Proportionalzahlen. Bei ganz einfachen Zahlen ist freilich nichts davon erforderlich. Sind z. B. die Zahlen 1, 2 und 3 gegeben, gibt es niemanden, der nicht sieht, dass 6 die vierte Proportionalzahl ist, und das sehen wir viel klarer, weil wir gerade diese Zahl, die vierte, allein aus dem Verhältnis der ersten zur zweiten Zahl, das wir mit einem Blick sehen, erschließen.K60 […] 2p43 Wer eine wahre Idee hat, weiß zugleich, dass er eine wahre Idee hat, und kann nicht an der Wahrheit der Sache zweifeln.K61 Beweis: Eine wahre Idee in uns ist diejenige, die adäquat in Gott ist, insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklärt wird (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Nehmen wir also an, dass es in Gott, insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklärt wird, eine adäquate Idee A gibt. Von dieser Idee muss es notwendigerweise auch eine Idee in Gott geben, die auf dieselbe Weise auf Gott bezogen ist wie Idee A (nach Lehrsatz 20, dessen Beweis allgemein ist [NS: und auf alle Ideen angewendet werden kann]). Nun ist der Voraussetzung nach Idee A auf Gott bezogen, insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklärt wird; also muss auch die Idee der Idee A auf dieselbe Weise auf Gott bezogen sein; d. h. (nach dem genannten Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils), diese adäquate Idee der Idee A wird genau in dem Geist sein, der die adäquate Idee A hat. Wer eine adäquate Idee hat, anders formuliert (nach Lehrsatz 34 dieses Teils), wer eine Sache wahrhaft erkennt, muss mithin zugleich eine adäquate Idee, anders formuliert eine wahre Erkenntnis seiner eigenen Erkenntnis haben, d. h. (wie von selbst einleuchtet) zugleich [ihrer] gewiss sein. Q.E.D. Anmerkung : In der Anmerkung zu Lehrsatz 21 dieses Teils habe ich erklärt, was die Idee einer Idee ist; doch ist zu bemerken, dass der vorige Lehrsatz durch sich selbst einleuchtend genug ist. Denn niemand, der eine wahre Idee hat, ist unwissend darüber, dass eine wahre Idee die höchste Gewissheit in sich schließt. Eine wahre Idee haben bedeutet nämlich nichts anderes, als eine Sache vollkommen oder bestens erkennen; und hieran kann sicherlich niemand zweifeln, es sei denn er glaubte, eine Idee sei etwas Stummes wie ein Gemälde auf einer Tafel und nicht ein Modus des Denkens, nämlich der Akt des Einsehens selbst. Und ich bitte: Wer kann wissen, dass er irgendeine Sache einsieht? D. h.: Wer kann wissen, irgendeiner Sache gewiss zu sein, wenn er nicht vorher dieser Sache gewiss ist? Ferner, was kann es geben, das klarer und gewisser wäre,
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um als Norm der Wahrheit zu dienen, als eine wahre Idee? Wahrlich, wie das Licht sich selbst und die Finsternis deutlich macht, so ist die Wahrheit die Norm ihrer selbst und des Falschen. Und hiermit glaube ich auch folgende Fragen beantwortet zu haben: Wenn die wahre Idee sich von der falschen nur insofern unterscheidet, als man von ihr sagt, dass sie mit dem Gegenstand, dessen Idee sie ist, übereinstimmt, dann hat die wahre Idee an Realität oder Vollkommenheit gegenüber der falschen nichts voraus (da sie sich ja nur über ein äußeres Merkmal unterscheiden) – folgt dann nicht, dass auch der Mensch, der wahre Ideen hat, gegenüber demjenigen, der nur falsche Ideen hat, nichts [an Realität und Vollkommenheit] voraus hat? Ferner, woher kommt es, dass Menschen falsche Ideen haben? Und schließlich, woher kann jemand mit Gewissheit wissen, dass er Ideen hat, die mit den Gegenständen, deren Ideen sie sind, übereinstimmen? Auf diese Fragen glaube ich, wie gesagt, bereits geantwortet zu haben. Denn was den Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Idee anbelangt, ist seit Lehrsatz 35 dieses Teils ausgemacht, dass jene sich zu dieser wie Seiendes zu Nichtseiendem verhält. Und die Ursachen von Falschheit habe ich von Lehrsatz 19 bis Lehrsatz 35 einschließlich seiner Anmerkung so klar wir nur möglich aufgezeigt. Daraus ist auch klar, wodurch sich ein Mensch, der wahre Ideen hat, von einem, der nur falsche hat, unterscheidet. Was schließlich das letzte betrifft, nämlich woher denn ein Mensch wissen kann, dass er eine Idee hat, die mit dem Gegenstand, dessen Idee sie ist, übereinstimmt, so habe ich gerade erst zur Genüge gezeigt, dass dies allein dem entspringt, dass er eine Idee hat, die mit dem Gegenstand, dessen Idee sie ist, übereinstimmt, anders formuliert, dass die Wahrheit ihre eigene Norm ist. Hinzu kommt, dass unser Geist, insofern er Dinge wahrhaft wahrnimmt, ein Teil von Gottes unendlichem Verstand ist (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils);K62 mithin müssen klare und deutliche Ideen des Geistes so wahr sein, wie es Gottes Ideen sein müssen.
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5.1 Einleitung 5.1.1 Kurzbiographie Nicolas Malebranche wurde am 6. August 1638 in Paris als Sohn eines königlichen Sekretärs geboren. Da er unter einer Missbildung der Wirbelsäule litt und gebrechlicher Verfassung war, sorgte seine Mutter, eine kultivierte Frau, für seine Privaterziehung. Erst 1654 betrat er das Collège de la Marche, um dort das Curriculum der arts libéraux zu absolvieren. Dort lernte er den in traditionellen Bildungseinrichtungen immer noch herrschenden scholastischen Aristotelismus kennen: eine Philosophie, gegen die Malebranche sein Leben lang Abneigung zeigen sollte. Als maître ès arts (1656) begann er das Studium der Theologie an der Sorbonne, der alten Pariser Universität, wo sich sein Widerwille gegen die scholastische Tradition verschärfte. Dies führte ihn schließlich (1660) ins Oratorium, eine im Zuge der katholischen Gegenreformation gegründete geistliche Kongregation, die das Ziel hatte, ihren Anhängern eine hochwertige religiöse Erziehung anzubieten. Dort erhielt Malebranche eine Ausbildung, die nebst biblischer Hermeneutik und Kirchengeschichte eine umfassende Beschäftigung mit den Schriften des Kirchenvaters Augustin (354–430) umfasste. Am 14. September 1664 wurde er zum katholischen Priester geweiht. Im Oratorium hatte Malebranche bereits Gelegenheit gehabt, die cartesische Philosophie aus zweiter Hand kennen zu lernen, als er 1664 auf ein Exemplar von Descartes’ Traité de l’homme traf: eine Begegnung, die als Angelpunkt seines philosophischen Werdegangs betrachtet werden kann. Die folgenden zehn Jahre widmete er dem Studium der Mathematik und Naturwissenschaft sowie einer umfassenden Auseinandersetzung mit der cartesischen Philosophie, mit der ihn auch die gemeinsame Ablehnung des Aristotelismus verband. Aus dieser intensiven Beschäftigung mit der ‚neuen Philosophie‘ entstand sein Hauptwerk, De la recherche
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de la vérité (1674–75): eine breit gefächerte Untersuchung über die Bedingungen von Wahrheit und Irrtum, welche ihn zwar als Philosophen bekannt machte, aber auch für den ersten Meinungsstreit seiner Karriere (mit Simon Foucher) sorgte. Der Recherche folgten die Conversations chrétiennes (1677): eine apologetische Schrift, deren theologisch-metaphysische sowie moralphilosophische Thesen in den Méditations chrétiennes et métaphysiques (1683) und dem Traité de morale (1684) weiterentwickelt wurden. Antoine Arnauld (1612–94) hatte unterdessen auf Malebranches Traité de la nature et de la grâce (1680) mit einer bissigen Schrift Des vraies et des fausses idées (1683) erwidert, die wiederum Malebranches ausführliche Reaktion auslöste (Réponse à Arnauld, 1684). Zwischen beiden DescartesAnhängern begann somit eine heftige Debatte über Ideentheorie und Gnadenlehre, welche breites Echo fand und nicht einmal mit Arnaulds Tode zum Stillstand kam.1 Anlässlich einer späteren Diskussion mit dem Physiker und Cartesianer Pierre-Sylvain Régis (1632–1707) verfasste Malebranche ebenfalls eine polemische Schrift, die für seine Ideentheorie und Theologie von Bedeutung ist (Réponse à Régis, 1693). In den Entretiens sur la métaphysique et la religion (1688) hatte er mittlerweile seine Erkenntnistheorie in dialogischer Form plastisch dargestellt; dieselbe Gattung wählte er für die Entretiens sur la mort (1696) und den Entretien d’un philosophe chrétien avec un philosophe chinois sur l’existence et la nature de Dieu (1708). Als letztes Werk veröffentlichte Malebranche die Réflexions sur la prémotion physique (1715), eine naturwissenschaftliche Abhandlung, der bereits der Traité des lois de la communication du mouvement (1682) vorangegangen war. Diese frühere Studie über die Mechanik hatte 1699 Malebranches Aufnahme in die Pariser Akademie der Wissenschaften veranlasst. Malebranche unterhielt auch briefliche Beziehungen mit wichtigen Gelehrten seiner Zeit, unter anderem mit Leibniz. Er galt mithin als anerkannter Philosoph und prominenter (wiewohl unorthodoxer) Vertreter der cartesischen ‚Schule‘, als er am 13. Oktober 1715 im Pariser Hause des Oratoriums starb.
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Zur Arnauld-Malebranche-Kontroverse und deren ideentheoretischer Relevanz siehe die Einleitung zum Arnauld-Kommentar von Stephan Schmid und Julia Borcherding, Bd. 2, 6.1.
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5.1.2 Der systematische Hintergrund: Okkasionalismus Auf der „Suche nach der Wahrheit“ stellt Malebranche die vollständige Abhängigkeit jedes endlichen Wesens – der Mensch nicht ausgenommen – von der Allmacht Gottes fest, der als einziger eine aktive kausale Rolle in der Welt spielt. Malebranche übernimmt aber Descartes’ dualistische Ontologie, der zufolge Materie und Geist andersartige Substanzen sind, die mit jeweils verschiedenen Prozessen – mechanischen vs. kognitiven – korreliert sind. Demgemäß lässt sich auch die Abhängigkeit der Geschöpfe von Gott in zwei Bereiche einteilen: den der Naturkausalität und den der Erkenntnis. Dem ersten Bereich sucht Malebranche mit dem Okkasionalismus, dem zweiten mit der Lehre von der „Schau der Dinge in Gott“ Rechnung zu tragen. Der Okkasionalismus beruht auf der These, dass es in der Welt keinen anderen Kausalagenten außer Gott gibt, der demnach für alle Ereignisse die einzige wirkliche Ursache ist. Mit anderen Worten: Es bestehen keine wirklichen Kausalbeziehungen zwischen Körpern; Wirkungen hervorzubringen vermag nur Gott. Malebranche untermauert diese These, indem er den Notwendigkeitscharakter der Kausalbeziehung beansprucht. Denn: „Eine wahrhafte Ursache liegt erst dann vor, wenn der Geist eine notwendige Beziehung zwischen ihr und ihrer Wirkung erkennt.“ (De la recherche de la vérité [fortan Recherche] VI.ii.3, OCM II 316) Eine solche Beziehung lässt sich aber nicht bei endlichen Kausalagenten ermitteln, sondern nur bei Gott. Denn angesichts der Allmacht Gottes ist es „ein Widerspruch, dass er etwas will und dass das, was er will, nicht geschieht.“ (ebd.) Alle natürlichen Ursachen sind daher lediglich „Gelegenheitsursachen“ (causes occasionnelles): Beim Vorkommnis einer Kausalrelation zwischen zwei Zuständen ist es eigentlich Gott (als wirksame Ursache), der anlässlich des ersten Zustandes (Gelegenheitsursache) den zweiten Zustand (Wirkung) hervorbringt. Die ‚stoßende‘ Kugel wirkt somit nicht, sondern bietet Gott die Gelegenheit, die ‚gestoßene‘ Kugel in Bewegung zu setzen. Hierbei handelt Gott aber nicht willkürlich, sondern hält sich an die Naturgesetze, die ja auch für ihn verbindlich sind: Bei jedem Vorkommnis einer Gelegenheitsursache bringt Gott die naturgemäße Wirkung hervor. – Als allgemeine Theorie über Kausalverhältnisse führt der Okkasionalismus ferner zur Ablehnung jeder wirklichen Kausalbeziehung zwischen körperlichen und geistigen Zuständen (ganz im Sinne des metaphysischen Dualismus) sowie zwischen verschiedenen geistigen Zuständen. Alle kausalen Interaktionen von Körperbewegungen und Gedanken sowie von Gedanken untereinander sind durch Got-
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tes Wirksamkeit vermittelt. „Kurz gesagt: Kein Geschöpf kann mit einer ihm eigenen Wirksamkeit auf irgendein anderes Geschöpf einwirken.“ (Recherche VI.ii.3, OCM II 312) Die kognitive Gottesabhängigkeit der Geschöpfe ist jedoch für Malebranche nicht nur als kausale Abhängigkeit ihrer mentalen Zustände zu verstehen, da Gott nicht nur die Ursache unserer geistigen Vorgänge ist, sondern auch die Quelle unserer kognitiven Inhalte – wie Malebranches Lehre von der „Schau der Dinge in Gott“ zeigen soll. Diese Lehre ist der Kern von Malebranches Ideentheorie: Der menschliche Geist erkennt externe Gegenstände mit Hilfe immaterieller Repräsentationen oder „Ideen“, die aber selbst keine „Modifikationen des Geistes“ (mentale Zustände) sind, sondern abstrakte Entitäten in Gott. Als solche sind sie ontologisch verschieden von den kognitiven Akten, mit denen der Geist sie erfasst. Ideen sind nämlich Essenzen, vermöge deren Gott selbst von Ewigkeit her die von ihm erschaffenen Gegenstände erkennt: Wenn der menschliche Geist einen Gegenstand – etwa die Sonne – wahrnimmt, erfasst er direkt die Idee dieses Gegenstands in Gott. Freilich schaut man hierbei auf die Sonne – was man aber sieht, ist die Idee der Sonne in Gott. Angesichts der grundlegenden Passivität des menschlichen Geistes ist das Erfassen dieser Idee nur deshalb möglich, weil Gott sie auf den Geist einwirken lässt (auch in diesem Fall ist das Handeln Gottes nicht willkürlich, sondern nomologisch geregelt). Mit anderen Worten: Die Welt ist für uns nur insofern kognitiv zugänglich, als Gott es zulässt. 5.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Ideen sind die unmittelbaren Objekte, die der Geist erfasst, wenn er etwas wahrnimmt (Z. 12–19). Sie sind wirklich existierende Objekte, die dem Geist bei der Wahrnehmung externer Gegenstände gegenwärtig sind, auch wenn – wie im Fall von Täuschungen – diese Gegenstände nicht existieren (Z. 20–38). Als solche Objekte des Geistes haben Ideen „Eigenschaften“, durch die sie sich voneinander unterscheiden und unterschiedliche Gegenstände repräsentieren (Z. 39–46). Ideen sind aber keine Modifikationen des Geistes, d. h. keine mentalen Zustände wie etwa Empfindungen, Gedanken usf. (Z. 49–63). Vielmehr existieren sie ewig in Gott als diejenigen Perfektionen, anhand
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deren Gott selbst Gegenstände a priori erkennt (Z. 123–138). Ideen sind demnach Essenzen bloß möglicher Gegenstände (Z. 371–383). Ideen sind wirksame Objekte, d. h. solche, die unseren Geist modifizieren, indem sie ihn kognitiv erleuchten: Durch die Ideen wirkt Gott auf unseren Geist ein (Z. 239–250). b) Welche Arten von Ideen gibt es? Es gibt Ideen existierender sowie nicht existierender Gegenstände, wie es sich bei Wahnvorstellungen und beim Phantasieren zeigt (Z. 20–32). Es gibt freilich allgemeine, abstrakte Ideen wie die Art- und Gattungsbegriffe und die mathematischen Begriffe (Z. 209–213). Hingegen gibt es keine partikulären Ideen: Es sind vielmehr die allgemeinen Ideen, die durch ihre Verknüpfung mit Empfindungen in der Sinneswahrnehmung partikulär werden (Z. 957–985). Es gibt klare Ideen, mit denen Gott den Geist erleuchtet – sie sind Ideen in strengem Sinne –, und verworrene Ideen, die eigentlich sinnliche Empfindungen sind, d. h. keine Ideen, sondern mentale Zustände (Z. 613–624). c) Wie entstehen Ideen? Da Ideen ewig in Gott existieren, entstehen sie nicht im menschlichen Geist, sondern werden von Gott dem Geist offenbart (Z. 139–162). Sie sind auch nicht in unserem Geist angeboren, sondern Gott bewirkt durch Erleuchtung, dass der Geist sie erfasst (Z. 180–196). Ideen aller möglichen Gegenstände sind uns nur deshalb verfügbar, weil unser Geist sie in Gott und durch Gott erfassen kann (Z. 197–208). Alle Ideen haben am Unendlichen (Gott) insofern teil, als sie dessen Beschränkungen (Z. 234–237; 274–277) bzw. Einteilungen der „intelligiblen Ausdehnung“ (Z. 895–914) sind. d) Was erklären Ideen? Ideen begründen unseren epistemischen Zugang zu den materiellen Gegenständen, da diese nicht durch sich selbst, sondern lediglich durch Ideen erfasst werden können (Z. 7–15). Auch Fremdgeistiges ist – wenn überhaupt – nur durch Ideen epistemisch zugänglich (Z. 64–88). Als allgemeine abstrakte Objekte des Geistes erklären Ideen zudem, warum wir über allgemeine abstrakte Begriffe verfügen, die als solche nicht empirisch sein können (Z. 209–216). Folglich sind Ideen dafür verantwortlich, dass wir Zugang zu ewigen Wahrheiten (wie etwa mathematischen Sätzen) haben, da Wahrheiten
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Relationen zwischen Ideen sind (Z. 282–303). Auch die Erkenntnis natürlicher Sittengesetze beruht auf der Schau der Ideen (Z. 278–282). Im Zusammenhang mit Gottes Rolle als Universalursache erklären Ideen auch, warum in unseren Sinneswahrnehmungen von Gegenständen neben sensorischen Inhalten (Empfindungen) immer auch ein begrifflicher Inhalt (die Idee des jeweiligen Gegenstandes) anzutreffen ist (Z. 304–317; 613–659). Die explanatorische Hauptrolle der Ideen – als Essenzen möglicher Gegenstände, die Gott uns offenbart – liegt aber in der Erklärung, warum wir über sicheres, apriorisches Wissen um materielle Gegenstände verfügen, nicht aber um unseren Geist (Z. 843–881). Durch die Ideen und deren Rolle im menschlichen Erkenntnisprozess wird schließlich die vollständige kognitive Abhängigkeit des Menschen von Gott deutlich (Z. 180–196). 5.1.4 Editorische Vorbemerkungen Alle Textauszüge sind Malebranches Hauptwerk entnommen: De la recherche de la vérité. Où l’on traite de la nature de l’esprit de l’homme et de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences („Die Suche nach der Wahrheit. Hier handelt man von der Natur des menschlichen Geistes und von dem Gebrauch, den man von ihm machen soll, um den Irrtum in den Wissenschaften zu vermeiden“; zitiert einfach als Recherche). Sie wurden sämtlich von Pedro Stoichita und Paolo Rubini gemeinsam übersetzt. Als Textgrundlage für die Übersetzung galt die kritische Edition der Recherche in: Œuvres Complètes de Malebranche [= OCM], hrsg. von André Robinet, Paris: Vrin, Band I, 1962; Band II, 21974; Band III, 1964 (alle drei Bände hrsg. von Geneviève Rodis-Lewis). Zu Malebranches Lebzeiten erfuhr die Recherche insgesamt sechs Ausgaben (die erste datiert 1674–75, die letzte 1712). Bei jeder neuen Ausgabe hat Malebranche den Text revidiert, um ihn – vorwiegend mit Hilfe von Einschüben – dem letzten Stand seiner Reflexion anzupassen. Hierdurch ist die Recherche ein vielschichtiger Text geworden, der die Entwicklung von Malebranches Ansichten widerspiegelt. Ideentheoretisch entspricht diese Entwicklung vornehmlich Malebranches Auseinandersetzung mit Antoine Arnauld. So wurde etwa der ganze Auszug aus Recherche IV.11 § 3 erst in der fünften Ausgabe (1700) eingefügt und entspricht daher einem späteren Stadium der Ideentheorie als die Auszüge aus Recherche III.ii („Über die Natur der Ideen“), die sich grundsätzlich auf die erste Ausgabe zurück-
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führen lassen (wenngleich mit zahlreichen späteren Änderungen und Einschüben). Seit der dritten Ausgabe (1678) ist die Recherche mit einer Reihe von „Erläuterungen“ (éclaircissements) versehen, in denen Malebranche einige der im Hauptteil behandelten Themen vertieft und nach dem Vorbild von Descartes’ Meditationes auf kritische Einwände erwidert. Die Zehnte Erläuterung ist der „Natur der Ideen“ gewidmet und erweitert Malebranches Ideenauffassung um bedeutsame Theorieelemente. Die kritische Edition der Recherche in den Œuvres Complètes (OCM I–III) reproduziert den Text der letzten von Malebranche selbst besorgten Ausgabe seines Hauptwerks (1712); nach diesem Text richtet sich folglich auch die vorliegende Übersetzung der ausgewählten Passagen. Für jeden Textauszug werden wir aber (in Klammern) das Jahr der Ausgabe angeben, in der er zum ersten Mal erschien. Auf diese Weise wird der Leser wissen können, aus welcher chronologischen Schicht der Recherche der jeweilige Auszug ursprünglich stammt. Die vorliegende Auswahl gibt nur einen (inhaltlich relevanten) Bruchteil der Texte wieder, die Malebranche der Ideentheorie gewidmet hat. Zunächst sind in der Recherche selbst (besonders in Buch I und in Buch III, Teil ii) weitere Passagen anzutreffen, die sich mit der Ideentheorie mehr oder weniger direkt befassen. Auch weitere „Erläuterungen“ (etwa VI und XI) enthalten ideentheoretisch bedeutsame Ausführungen. Ferner ist die Ideentheorie das zentrale Thema zahlreicher und ausführlicher Schriften, in denen Malebranche auf Arnaulds Angriffe erwidert (etwa Réponse à Arnauld, 1684; Troisième lettre à Arnauld, 1699). Auch der dritte Dialog aus den Conversations chrétiennes (1677), die Entretiens sur la métaphysique et la religion (1688) – vornehmlich die ersten fünf Dialoge – und die Réponse à Régis (1693) sind als wichtige Dokumente für eine Auseinandersetzung mit Malebranches Ideentheorie zu betrachten.
5.2 Zentrale Passagen zu Malebranches Ideentheorie: Auszüge aus De la recherche de la vérité / Die Suche nach der Wahrheit (1674–1712) Buch III, Teil ii, Kapitel 1 [OCM I 413–417] (1674) I. Was man unter Ideen versteht. Sie existieren wirklich und sind notwendig, um alle materiellen Gegenstände wahrzunehmen […] Ich glaube, jedermann stimmt damit überein, dass wir die Gegenstände, die außerhalb von uns sind, nicht durch sie selbst wahrnehmen.K1 Wir
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sehen die Sonne, die Sterne und unendlich viele Gegenstände außerhalb von uns, und es ist nicht wahrscheinlich, dass die Seele den Körper verlässt und sozusagen im Himmel spazieren geht, um all diese Gegenstände zu betrachten.K2 Sie sieht sie also nicht durch sie selbst, und der unmittelbare Gegenstand unseres Geistes ist, wenn er beispielsweise die Sonne sieht, nicht die Sonne, sondern etwas, das innig mit unserer Seele vereint ist; und das ist es, was ich Idee nenne. Dementsprechend verstehe ich unter dem Wort Idee nichts anderes als das, was der unmittelbare oder nächste Gegenstand des Geistes ist, wenn er einen Gegenstand wahrnimmt,K3 d. h. das, was den Geist berührt und mit der Wahrnehmung modifiziert, die er von einem Gegenstand hat.K4 Es gilt zu bemerken, dass, damit der Geist einen Gegenstand wahrnimmt, es absolut notwendig ist, dass die Idee dieses Gegenstandes ihm aktual gegenwärtig ist. Daran lässt sich nicht zweifeln. Aber es ist nicht notwendig, dass es draußen etwas gibt, was dieser Idee ähnelt. Denn es kommt oft vor, dass man Dinge wahrnimmt, die nicht existieren und auch nie existiert haben. So hat man im Geiste oft wirkliche Ideen von Dingen, die es nie gegeben hat. Wenn sich ein Mensch etwa einen goldenen Berg vorstellt, so ist es absolut notwendig, dass die Idee dieses Berges seinem Geiste wirklich gegenwärtig ist. Wenn ein Wahnsinniger oder ein Mensch, der hohes Fieber hat oder schläft, ein Tier gleichsam vor Augen hat, so ist gewiss, dass das, was er sieht, nicht nichts ist und dass die Idee dieses Tieres somit wirklich existiert: Aber diesen goldenen Berg und dieses Tier hat es nie gegeben.K5 Da die Menschen trotzdem von Natur aus geneigt sind zu glauben, dass nur die körperlichen Gegenstände existieren, urteilen sie über die Wirklichkeit und Existenz der Dinge ganz anders, als sie es tun sollten. Denn sobald sie einen Gegenstand empfinden, wollen sie, dass die Existenz dieses Gegenstandes höchst gewiss ist, auch wenn es oft vorkommt, dass es draußen nichts gibt. Außerdem wollen sie, dass dieser Gegenstand trotzdem so ist, wie sie ihn sehen – was nie geschieht. Aber von der Idee, die notwendig existiert und nicht anders sein kann, als man sie sieht, urteilen die Menschen gewöhnlich unüberlegt, dass sie nichts ist – als ob Ideen nicht zahlreiche Eigenschaften hätten: als ob die Idee eines Quadrats etwa nicht von der eines Kreises oder einer Zahl verschieden wäre und nicht ganz und gar andere Dinge repräsentierte – was beim Nichts nie vorkommen kann, weil das Nichts keine Eigenschaften hat. Es ist also unbezweifelbar, dass Ideen eine wirkliche Existenz haben.K6 Lasst uns aber ihre Natur und Essenz untersuchen sowie ermitteln, was in der Seele fähig sein kann, ihr alle Dinge zu repräsentieren.K7
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All die Dinge, die die Seele wahrnimmt, gehören einer von zwei Sorten an: Entweder sind sie in der Seele oder außerhalb der Seele. Diejenigen, die in der Seele sind, sind ihre eigenen Gedanken, d. h. all ihre verschiedenen Modifikationen. Denn unter den Wörtern Gedanke, Weise zu denken oder Modifikation der Seele verstehe ich allgemein all die Dinge, die nicht in der Seele sein können, ohne von ihr anhand der inneren Empfindung, die die Seele von sich selbst hat, wahrgenommen zu werden: Derart sind ihre eigenen Empfindungen, Vorstellungen, reinen Verstehensakte oder einfach ihre kognitiven Akte sowie auch ihre Leidenschaften und natürlichen Neigungen. Unsere Seele bedarf keiner Ideen, um all diese Dinge so wahrzunehmen, wie sie sie wahrnimmt, denn diese sind in der Seele oder eher nichts als die Seele selbst, nur in dieser oder jener Weise; ebenfalls sind die wirkliche Rundheit eines Körpers und seine Bewegung nichts anderes als dieser Körper, sofern er auf diese oder jene Weise gestaltet ist und fortbewegt wird.K8 Aber die Dinge, die sich außerhalb der Seele befinden, können wir nur mit Hilfe von Ideen wahrnehmen – angenommen, dass diese Dinge nicht innig mit ihr vereint sein können. Davon gibt es zwei Sorten: geistige und materielle. Bezüglich der geistigen Dinge macht es einigen Anschein, dass sie sich ohne Ideen und durch sich selbst unserer Seele offenbaren können. Denn obwohl die Erfahrung uns lehrt, dass wir uns unsere Gedanken nicht unmittelbar und durch uns selbst gegenseitig kundtun können, sondern nur anhand von Wörtern oder anderen sinnlichen Zeichen, an die wir unsere Ideen geknüpft haben, könnte man dennoch sagen, dass Gott es so nur für die Dauer dieses Lebens verordnet hat, um die Missstände zu verhindern, die sofort aufkämen, wenn die Menschen sich nach Belieben verständigen könnten; sobald aber Ordnung und Gerechtigkeit herrschen und wir aus der Gefangenschaft unseres Körpers befreit sein werden, werden wir uns vielleicht durch eine innige Vereinigung untereinander verstehen können, wie die Engel im Himmel es mit einigem Anschein tun können. Somit scheint es nicht absolut notwendig, Ideen anzunehmen, um der Seele geistige Dinge zu repräsentieren, denn diese könnten durch sich selbst – wenngleich auf sehr unvollkommene Weise – gesehen werden. Ich untersuche hier […] nicht, wie zwei geistige Wesen sich vereinen und ob sie sich auf diese Weise ihre Gedanken gegenseitig offenbaren können. Trotzdem glaube ich, dass es keine vollkommen intelligible Substanz gibt außer Gott; dass man nur in Gottes Lichte etwas mit Evidenz zu entdecken vermag; und dass die Vereinigung geistiger Wesen miteinander sie nicht gegenseitig sichtbar machen kann.K9 […]
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Ich werde im siebenten Kapitel2 meine Ansicht darüber erklären, wie wir geistige Wesen erkennen, und werde zeigen, dass wir sie gegenwärtig nicht gänzlich durch sie selbst erkennen können, auch wenn sie sich vielleicht mit uns vereinen können. Aber ich spreche hier hauptsächlich von den materiellen Dingen, die sich mit unserer Seele gewiss nicht so vereinen können, wie es erforderlich wäre, um von ihr wahrgenommen zu werden: Denn da sie ausgedehnt sind, die Seele aber nicht, gibt es keine Beziehung zwischen ihnen. Außerdem verlassen unsere Seelen nicht den Körper, um die Größe des Himmels zu messen, und folglich können sie die Körper von außen nur durch Ideen sehen, die sie repräsentieren. Das ist es, womit jedermann einverstanden sein muss.K10 II. Aufteilung aller Weisen, in denen die äußeren Gegenstände gesehen werden können Wir behaupten also, es sei absolut notwendig, dass [1] die Ideen, die wir von den Körpern und von allen anderen Gegenständen haben, die wir nicht durch sie selbst wahrnehmen, entweder diesen Körpern selbst oder diesen Gegenständen entstammen; oder dass [2] unsere Seele die Fähigkeit hat, diese Ideen zu erzeugen; oder dass [3.1] Gott sie zusammen mit der Seele erzeugte, indem er die Seele erschuf, oder dass [3.2] er sie jedes Mal erzeugt, wenn man an einen Gegenstand denkt; oder dass [4] die Seele in sich alle Perfektionen besitzt, die sie in diesen Körpern sieht; oder schließlich, dass [5] die Seele mit einem völlig vollkommenen Seienden vereint ist, welches alle intelligiblen Perfektionen oder alle Ideen der erschaffenen Seienden im Allgemeinen einschließt.K11 Wir können die Gegenstände nur auf eine dieser Weisen sehen. Prüfen wir, welche sich als die wahrscheinlichste von allen erweist […] Buch III, Teil ii, Kapitel 6 [OCM I 437–447] (1674) Wir sehen alles in Gott In den vorhergehenden Kapiteln3 haben wir vier Weisen untersucht, wie der Geist Gegenstände von außen sehen könnte. Sie erscheinen uns nicht wahrscheinlich. Es bleibt nur noch die fünfte übrig. Diese scheint als einzige mit der Vernunft in Einklang zu stehen und am meisten geeignet zu sein, die Abhängigkeit von Gott aufzuweisen, in welcher der Geist sich bei jedem seiner Gedanken befindet. 2
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[Vgl. Recherche de la vérité (fortan Recherche) III.ii.7, OCM I 454 f. Alle Fußnoten bzw. Fußnotenteile in eckigen Klammern sind zum Quellennachweis ergänzt worden (P.R.).] [Vgl. Recherche III.ii.2–5, OCM I 418–436.]
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Um die fünfte Weise gut zu verstehen, muss man sich daran erinnern, was im vorherigen Kapitel4 gesagt wurde: Es ist absolut notwendig, dass Gott in sich selbst die Ideen aller von ihm erschaffenen Seienden hat, weil er sonst diese nicht hätte hervorbringen können; somit sieht er all diese Seienden, indem er die PerfektionenK12 beachtet, die er in sich einschließt ‹und› zu denen sie in Beziehung stehen. Man muss zudem zur Kenntnis nehmen, dass Gott durch seine Gegenwart sehr eng mit unseren Seelen vereint ist, so dass man sagen darf, er sei der Ort der geistigen Wesen, wie auch der Raum [les espaces] in einem bestimmten Sinn der Ort der Körper ist. Gemäß diesen beiden Annahmen ist gewiss, dass der Geist das sehen kann, wodurch die erschaffenen Seienden in Gott repräsentiert werden, da dies in höchstem Grade geistig, intelligibel und dem Geist gegenwärtig ist. Somit kann der Geist in Gott Gottes Werke sehen – angenommen, dass Gott ihm das enthüllen will, wodurch sie in ihm repräsentiert werden. Hier folgen nun die Gründe, die beweisen dürften, dass Gott eher das will, als unendlich viele Ideen in jedem Geist zu erschaffen.K13 Es steht nicht nur sehr in Einklang mit der Vernunft, sondern wird auch von der Sparsamkeit der ganzen Natur veranschaulicht, dass Gott niemals auf sehr komplizierte Wege das zustande bringt, was er durch die simpelsten und einfachsten Wege zustande bringen kann: Denn Gott tut nichts unnötig und ohne Grund. Was seine Weisheit und Macht auszeichnet, besteht nicht darin, kleine Dinge durch große Mittel zustande zu bringen – dies ist gegen die Vernunft und zeichnet eine engstirnige Intelligenz aus –, sondern im Gegenteil darin, große Dinge durch die simpelsten und einfachsten Mittel zu vollbringen. Demnach bringt er lediglich mit Hilfe der Ausdehnung all das hervor, was wir Bewundernswertes in der Natur sehen, und selbst das, was Tieren Leben und Bewegung gibt. Denn diejenigen, die unbedingt wollen, dass es in den Tieren, damit sie all ihre Funktionen vollbringen, substantielle Formen und Vermögen und Seelen gibt, die von ihrem Blut und ihren Organen verschieden sind – die wollen zugleich, dass es Gott an Intelligenz mangele oder dass er nicht imstande sei, lediglich mit Hilfe der Ausdehnung bewundernswerte Dinge zu tun. Somit messen sie Gottes Macht und herrschaftliche Weisheit an der Kleinheit ihres Geistes. Gott kann aber bewirken, dass die geistigen Wesen alles sehen, indem er einfach will, dass sie sehen, was in ihrer Mitte steht, d. h., was in ihm selbst auf diese Dinge
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bezogen ist und sie repräsentiert; deshalb scheint nichts dafür zu sprechen, dass er dies anders zustande bringt und zu diesem Zweck so viele Unendlichkeiten unendlich vieler Ideen hervorbringt, wie es erschaffene geistige Wesen gibt.K14 Es ist jedoch folgendes zu bemerken: Daraus, dass der Geist auf diese Weise alle Dinge in Gott sieht, kann man nicht folgern, dass er Gottes Essenz sieht. Gottes Essenz ist Gottes absolutes Sein, aber der Geist sieht die göttliche Substanz nicht insofern, als sie absolut betrachtet wird, sondern nur insofern, als sie relativ zu den Geschöpfen ist oder diese an ihr partizipieren können. Das, was der Geist in Gott sieht, ist höchst unvollkommen, aber Gott ist höchst vollkommen. Der Geist sieht teilbare, gestaltete Materie usw., aber in Gott gibt es nichts Teilbares oder Gestaltetes: Denn Gott ist all das Seiende, weil er unendlich ist und alles umfasst – aber er ist kein bestimmtes Seiendes. Jedoch ist das, was wir sehen, immer nur ein bestimmtes Seiendes oder mehrere; und wir verstehen nicht diese vollkommene Einfachheit Gottes, die alle Seienden umfasst.K15 Zudem kann man sagen, dass man nicht so sehr die Ideen der Dinge sieht, sondern die Dinge selbst, die durch diese Ideen repräsentiert werden. Denn wenn man etwa ein Quadrat sieht, so sagt man nicht, dass man die Idee dieses Quadrats sieht, die mit dem Geist vereint ist, sondern nur das Quadrat, das außerhalb liegt.K16 Der zweite Grund für die Annahme, dass wir alle Seienden sehen, weil Gott will, dass das, wodurch sie in ihm repräsentiert werden, uns enthüllt wird – und nicht etwa, weil wir so viele mit uns erschaffene Ideen besitzen, wie viele Dinge wir sehen können –, ist folgender: Damit wird der erschaffene Geist gänzlich von Gott abhängig gemacht, und diese Abhängigkeit ist schlechthin die größte, die es nur geben kann. Denn damit können wir nicht nur nichts sehen, von dem Gott nicht will, dass wir es sehen, sondern wir können auch nichts sehen, von dem Gott nicht bewirkt, dass wir es sehen. Non sumus sufficientes cogitare aliquid a nobis, tamquam ex nobis, sed sufficientia nostra ex Deo est.5 Gott selbst erhellt die Philosophen bei den Erkenntnissen, die undankbare Menschen natürliche Erkenntnisse nennen, obwohl sie lediglich vom Himmel kommen: Deus enim illis manifestavit.6 Er ist das eigentliche Licht des Geistes und der Vater der Lichter: Pater luminum.7 Er bringt den Menschen die Wissen5
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2 Kor 3, 5 [„Wir sind nicht fähig, etwas von uns aus zu denken, als käme es von uns, sondern unsere Fähigkeit kommt von Gott.“]. Röm 1, 19 [„Denn Gott hat ‹es› ihnen offenbart.“]. Jak 1, 17 [„Vater der Lichter“].
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schaft bei: Qui docet hominem scientiam.8 In einem Wort gefasst: Er ist das wahrhafte Licht, das all diejenigen erhellt, die auf diese Welt kommen: Lux vera quae illuminat omnem hominem venientem in hunc mundum.9 K17 […] Aber der stärkste aller Gründe besteht in der Weise, wie der Geist alle Dinge wahrnimmt. Es steht fest – und jeder weiß aus Erfahrung –, dass wir, wenn wir an etwas Bestimmtes denken wollen, unser Augenmerk zuerst auf alle Seienden richten und dann den Gegenstand in Betrachtung ziehen, an den wir denken wollen. Es ist jedoch unbezweifelbar, dass wir uns nicht wünschen könnten, einen bestimmten Gegenstand zu sehen, wenn wir ihn nicht schon sähen, wie verworren und allgemein auch immer. Deshalb ist gewiss, dass alle Seienden unserem Geist gegenwärtig sind, da wir imstande sind, sie alle sehen zu wollen: einmal das eine und einmal das andere. Und anscheinend können alle Seienden unserem Geist nur deshalb gegenwärtig sein, weil Gott ihm gegenwärtig ist, d.h. derjenige, der in der Einfachheit seines Seins alle Dinge mit einschließt.K18 Der Geist kann sich ja anscheinend keine allgemeinen Ideen von Gattung, Art usf. repräsentieren, ohne alle Seienden in einem eingeschlossen zu sehen. Denn da jedes Geschöpf ein partikuläres Seiendes ist, kann man nicht sagen, dass man etwas Erschaffenes sieht, wenn man etwa ein Dreieck im Allgemeinen sieht. Schließlich glaube ich nicht, dass man anders erklären könnte, wie der Geist mehrere abstrakte und allgemeine Wahrheiten erkennt, als durch die Gegenwart desjenigen, der den Geist auf unendlich viele Weisen beleuchten kann.K19 Schließlich besteht der schönste, erhabenste, standfesteste und erste Gottesbeweis10 – und derjenige mit den wenigsten Voraussetzungen – in der Idee, die wir vom Unendlichen haben. Denn es steht fest, dass der Geist das Unendliche wahrnimmt, obwohl er es nicht begreift, und dass er eine sehr deutliche Idee von Gott hat, über die er nur durch die innige Vereinigung mit ihm verfügen kann, da man sich nicht vorstellen kann, dass die Idee eines unendlich vollkommenen Seienden – wie jene, die wir von Gott haben – etwas Erschaffenes sei.K20 Doch der Geist hat nicht lediglich eine Idee des Unendlichen, er hat sie sogar vor der Idee des Endlichen. Denn das unendliche Seiende stellen wir uns vor, indem wir uns einfach das Seiende vorstellen, ohne zu 8 9
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Ps 93 [94], 10 [„Er lehrt den Menschen das Wissen.“]. Joh 1, 9 [„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.“]. Dieser Beweis wird im folgenden Buch, Kap. 11 [Recherche IV.11 § 3, OCM II 96 f.; hier Z. 368–390], ausführlich erörtert werden.
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denken, ob es endlich oder unendlich ist. Damit wir uns aber ein endliches Seiendes vorstellen, ist es notwendig, dass wir diesem allgemeinen Begriff des Seienden etwas wegnehmen – weshalb er vorhergehen muss. Folglich nimmt der Geist Dinge lediglich in der Idee wahr, die er vom Unendlichen hat. Diese Idee geht nicht aus der verworrenen Ansammlung aller Ideen partikulärer Seiender hervor, wie die Philosophen denken; im Gegenteil, all diese partikulären Ideen sind nichts als Partizipationen an der allgemeinen Idee des Unendlichen. Auf gleiche Weise bezieht Gott sein Sein nicht von den Geschöpfen, alle Geschöpfe sind jedoch nichts als unvollkommene Partizipationen am göttlichen Sein.K21 Hier ein Beweis, der vielleicht eine Demonstration für jene abgibt, die sich an abstrakte Gedanken gewöhnt haben. Es ist gewiss, dass die Ideen wirksam sind, denn sie wirken im Geist und erhellen ihn, machen ihn glücklich oder unglücklich durch die angenehmen oder unangenehmen Wahrnehmungen, mit denen sie ihn affizieren. Jedoch kann etwas erst dann unmittelbar im Geist wirken, wenn es ihm überlegen ist: Nichts kann dies tun außer Gott. Denn nur der Urheber unseres Seins kann dessen Modifizierungen verändern. Somit ist notwendig, dass all unsere Ideen sich in der wirksamen Substanz der Gottheit befinden, die allein intelligibel ist oder uns zu erhellen vermag, weil sie allein die Intelligenzen affizieren kann. Insinuavit nobis Christus, sagt der hl. Augustin11, animam humanam et mentem rationalem non vegetari, non beatificari, NON ILLUMINARI NISI AB IPSA SUBSTANTIA DEI.K22 Schließlich ist nicht möglich, dass Gottes Handlungen einen anderen Hauptzweck haben als ihn selbst. Dies ist jedem Menschen, der des Nachdenkens fähig ist, ein Gemeinbegriff; und die heilige Schrift erlaubt uns nicht, daran zu zweifeln, dass Gott alle Dinge für sich getan hat. Demnach ist nicht nur notwendig, dass unsere natürliche Liebe – damit meine ich die Bewegung, die Gott in unserem Geist verursacht – auf Gott gerichtet ist, sondern auch, dass die Erkenntnis und das Licht, das er uns gibt, uns etwas erkennen lässt, das in ihm ist; denn alles, was von Gott kommt, kann nur für Gott sein. Wenn Gott einem von ihm erschaffenen Geist die Sonne als Idee oder unmittelbares Erkenntnisobjekt gäbe, dann würde Gott anscheinend diesen Geist und die Idee dieses Geistes für die Sonne und nicht für sich selbst erschaffen. 11
In Iohannis evangelium XXIII 5 [„Christus hat uns beigebracht, die menschliche Seele und der rationale Geist seien nicht lebendig, nicht glückselig, nicht erleuchtet, es sei denn durch Gottes Substanz selbst.“ Das Zitat ist nicht wörtlich; vgl. CCL XXXVI 235.24–27.].
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Gott kann also erst dann einen Geist erschaffen, damit dieser seine Werke erkennt, wenn dieser Geist auf irgendeine Weise Gott sieht, indem er seine Werke sieht. Somit kann man sagen: Wir würden kein Ding sehen, wenn wir in keinerlei Weise Gott sähen; ebenso […] würden wir kein Ding lieben, wenn wir Gott nicht liebten – ich meine, wenn Gott uns nicht ununterbrochen die Liebe des Guten im Allgemeinen einprägte. Denn da diese Liebe unser Wille ist, könnten wir ohne sie nichts lieben und nichts wollen, da wir ja bestimmte Güter nur lieben können, indem wir auf sie die Bewegung der Liebe richten, die Gott uns ‹als Liebe› zu ihm gibt. Wie wir Dinge nur aufgrund der notwendigen Liebe lieben, die wir zu Gott haben, so sehen wir Dinge nur aufgrund der natürlichen Erkenntnis, die wir von Gott haben. Und alle partikulären Ideen, die wir von den Geschöpfen haben, sind nur Beschränkungen der Idee des Schöpfers, wie auch alle Bewegungen des Willens zu den Geschöpfen nur Bestimmungen der Bewegung zum Schöpfer sind.K23 Es gibt, glaube ich, keine Theologen, die nicht damit übereinstimmen, dass die Gottlosen mit dieser natürlichen Liebe, von der ich spreche, Gott lieben; und der hl. Augustin und andere Väter behaupten, es sei unbezweifelbar, dass die Ungläubigen die Sittenregeln und die ewigen Wahrheiten in Gott sehen […] Wir denken nicht, dass die Wahrheiten – selbst diejenigen, die ewig sind, wie dass zwei mal zwei vier sind – einfach absolute Seiende sind, und noch weniger glauben wir, dass sie Gott selbst sind. Denn es ist sichtbar, dass diese Wahrheit nur in einer Beziehung der Gleichheit besteht, die zwischen zwei mal zwei und vier besteht. Somit sagen wir nicht, Gott zu sehen, indem wir die Wahrheiten sehen – wie der hl. Augustin12 behauptet –, sondern indem wir die Ideen dieser Wahrheiten sehen. Denn die Ideen sind wirklich, die Gleichheit zwischen den Ideen, welche die Wahrheit ist, ist aber nichts Wirkliches. So sagen wir etwa von einem Tuch, von dem wir drei Ellen messen, das Tuch und die Ellen seien wirklich, die Gleichheit zwischen den drei Ellen und dem Tuch aber sei nichts Wirkliches: Sie sei nichts als eine Beziehung, die zwischen den drei Ellen und dem Tuch anzutreffen sei. Wenn man sagt, zwei mal zwei seien vier, so sind die Ideen der Zahlen wirklich, aber die Gleichheit zwischen ihnen ist nichts als eine Beziehung. Unserem Befinden nach sehen wir also Gott, wenn wir ewige Wahrheiten sehen – nicht etwa weil diese Wahrheiten Gott sind, sondern weil die Ideen, von denen diese Wahrheiten abhängen, in Gott sind […]K24 Wir glauben auch, dass
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man in Gott die veränderlichen und vergänglichen Dinge erkennt […] Denn dafür ist es nicht notwendig, in Gott irgendwelche Unvollkommenheit anzusiedeln, da es – wie wir schon gesagt haben – reicht, dass Gott uns sehen lässt, was in ihm auf diese Dinge bezogen ist. Aber trotz meiner Aussage, wir sähen die materiellen und sinnlichen Dinge in Gott, ist zu bemerken, dass ich nicht behaupte, dass wir in Gott Empfindungen hätten, sondern nur, dass Gott in uns wirke. Denn Gott erkennt die sinnlichen Dinge, empfindet sie aber nicht. Wenn wir etwas Sinnliches wahrnehmen, befinden sich in unserer Wahrnehmung Empfindung und reine Idee. Die Empfindung ist eine Modifikation unserer Seele, und Gott ist es, der sie in uns verursacht: Er kann sie verursachen, obwohl er sie nicht hat, denn er sieht in der Idee, die er von unserer Seele hat, dass sie dazu fähig ist. Was die Idee betrifft, die mit unserer Empfindung verbunden ist, so ist sie in Gott, und wir sehen sie, weil es ihm gefällig ist, sie uns zu offenbaren. Gott verbindet die Empfindung mit der Idee, wenn die Gegenstände gegenwärtig sind, damit wir so glauben und die Empfindungen und Leidenschaften bekommen, die wir in Bezug auf jene Gegenstände haben sollen.K25 Schließlich glauben wir, dass alle geistigen Wesen sowohl die ewigen Gesetze als auch die anderen Dinge in Gott sehen, jedoch mit einigem Unterschied. Durch ihre notwendige Vereinigung mit Gottes Wort oder Weisheit, die sie erleuchtet, erkennen sie – wie soeben erklärt – die Ordnung und die ewigen Wahrheiten und auch die Seienden, die Gott gemäß diesen Wahrheiten oder dieser Ordnung erschaffen hat. Durch den Eindruck indessen, den sie andauernd von Gottes Willen empfangen, welcher sie ja zu ihm leitet und ihren Willen gleichsam seinem Willen gänzlich anzugleichen sucht, erkennen sie, dass die unveränderliche Ordnung ihr unabdingbares Gesetz ist, eine Ordnung, die somit alle ewigen Gesetze umfasst wie: Es ist geboten, das Gute zu lieben und das Böse zu meiden; es ist geboten, die Gerechtigkeit mehr als alle anderen Reichtümer zu lieben; Gott zu gehorchen ist dem Befehligen von Menschen vorzuziehen; und unendlich viele andere natürliche Gesetze. Denn die Erkenntnis all dieser Gesetze oder der eigenen Verpflichtung, sich der unveränderlichen Ordnung unterzuordnen, ist nicht verschieden von der Erkenntnis dieses Eindrucks, den sie stets in sich empfinden, obwohl sie ihn nicht stets durch freie Willensentscheidung befolgen, und von dem sie wissen, dass er jedem Geist gemein ist, obwohl er nicht in jedem Geist gleich stark ist […] Dies sind einige Gründe, die zur Meinung führen können, der Geist nehme alle Dinge durch die innige Gegenwart desjenigen wahr, der alles
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in der Einfachheit seines Seins einschließe. Jeder wird dies nach seiner inneren Überzeugung beurteilen, nachdem er es ernst bedacht hat […] Wir meinen aber, dass es keine Wahrscheinlichkeit dafür gibt, die Dinge in irgendeiner anderen Weise zu erklären, und dass diese letztere mehr als wahrscheinlich erscheinen wird. Somit sind unsere Seelen in jeder Hinsicht von Gott abhängig. Denn wie Gott durch die natürliche Vereinigung, die er zwischen ihnen und unseren Körpern hergestellt hat und die nichts anderes als seine Verordnung und sein allgemeiner Wille ist, bewirkt, dass unsere Seelen Schmerz, Lust und alle anderen Empfindungen empfinden – ebenso bewirkt Gott durch die natürliche Vereinigung, die er zwischen dem menschlichen Willen und der in der Unermesslichkeit des göttlichen Seins enthaltenen Repräsentation der Ideen hergestellt hat, dass die Seelen alles erkennen, was sie erkennen – wobei diese natürliche Vereinigung ebenfalls nichts als sein allgemeiner Wille ist. Von daher gibt es nur ihn, der uns erleuchten kann, indem er uns alle Dinge repräsentiert – ebenso kann nur er uns glücklich machen, indem er uns allerlei Freuden kosten lässt.K26 Verbleiben wir also bei diesem Befinden: Gott ist die intelligible Welt oder der Ort der geistigen Wesen so, wie die materielle Welt der Ort der Körper ist; die geistigen Wesen erlangen all ihre Modifizierungen durch seine Macht; sie beziehen aus seiner Weisheit all ihre Ideen; sie werden durch seine Liebe in all ihren geregelten Bewegungen angetrieben; und weil seine Macht und seine Liebe nichts anderes sind als er selbst, glauben wir mit dem hl. Paulus, dass er nicht fern von jedem von uns ist und dass wir in ihm das Leben, die Bewegung und das Sein haben. Non longe est ab unoquoque nostrum, in ipso enim vivimus, movemur et sumus.13 Buch IV, Kapitel 11, § 3 [OCM II 96–103] (1700) Erläuterung zu Herrn Descartes’ Beweis der Existenz Gottes Damit man jedoch Herrn Descartes’ Beweis von Gottes ExistenzK27 deutlicher verstehen und klarer auf einige Einwände erwidern kann, die dagegen erhoben werden könnten, gilt es m. E. folgendes hinzuzufügen. Man muss sich daran erinnern, dass man, wenn man ein Geschöpf sieht, es weder in sich selbst noch durch sich selbst sieht: Denn wie wir im dritten Buch bewiesen haben, so sieht man das Geschöpf nur, indem man bestimmte Perfektionen sieht, die in Gott sind und es repräsentieren. Somit kann man die Essenz dieses Geschöpfs sehen, ohne dessen Exis13
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tenz zu sehen: seine Idee ohne es selbst. Man kann in Gott das sehen, was dieses Geschöpf repräsentiert, ohne dass das Geschöpf existiert. Nur aus diesem Grund ist die notwendige Existenz nicht in der Idee eingeschlossen, die das Geschöpf repräsentiert. Denn es ist nicht notwendig, dass das Geschöpf aktual existiert, damit man es sieht – es sei denn, man behauptet, erschaffene Gegenstände seien unmittelbar sichtbar, durch sich selbst intelligibel, fähig Intelligenzen zu erleuchten, zu affizieren, zu modifizieren.K28 Es verhält sich aber nicht gleichermaßen mit dem unendlich vollkommenen Seienden, das man ja nur in ihm selbst sehen kann. Denn es gibt nichts Endliches, was das Unendliche repräsentieren kann. Man kann somit Gott nicht sehen, wenn er nicht existiert: Man kann die Essenz eines unendlich vollkommenen Seienden nicht sehen, ohne dessen Existenz zu sehen. Man kann es nicht einfach als ein mögliches Seiendes sehen: Nichts schließt es ein, nichts kann es repräsentieren. Wenn man also an es denkt, dann muss es existieren.K29 Dieser Gedankengang erscheint mir mit letzter Evidenz. Es gibt jedoch Leute, die die These vertreten, dass das Endliche das Unendliche repräsentieren kann und dass die Modalitäten unserer Seele, obwohl sie endlich sind, gemäß ihrer Essenz das unendlich vollkommene Seiende und überhaupt all das repräsentieren können, was wir wahrnehmen – ein grober Irrtum, der mit seinen Konsequenzen die Gewissheit aller Wissenschaften zerstört, wie sich leicht beweisen lässt. Aber die These, dass die Modalitäten der Seele alle Seienden repräsentieren könnten, ist dermaßen falsch, dass sie vielmehr gar kein einziges Seiendes repräsentieren können, nicht einmal dasjenige, von dem sie die Modalitäten sind. Denn obwohl wir eine innere Empfindung unserer Existenz und unserer aktualen Modalitäten haben, erkennen wir diese in gar keiner Weise.K30 Es steht fest, dass die Seele keine klare Idee ihrer Substanz hat – man weiß, was ich unter klare Idee verstehe.14 K31 Die Seele kann, indem sie auf sich achtet, nicht entdecken, ob sie fähig ist, diese oder jene Modifikation zu haben, die sie nie gehabt hat. Sie empfindet den Schmerz wirklich, erkennt ihn aber nicht. Sie weiß nicht, wie ihre Substanz modifiziert werden muss, damit sie Schmerz ‹überhaupt› und den einen Schmerz eher als einen anderen erleidet. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Empfinden und dem Erkennen. Gott, der fortwährend in der Seele wirkt, erkennt sie vollkommen: Er sieht klar, ohne Schmerz zu erleiden, wie die Seele modifiziert werden muss, um Schmerz zu erleiden. 14
Siehe Recherche III.ii.7 [OCM I 450] und die diesbezügliche Erläuterung [Eclaircissement XI, OCM III 164].
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Die Seele erleidet im Gegenteil den Schmerz, erkennt ihn aber nicht. Gott erkennt ihn, ohne ihn zu empfinden – die Seele empfindet ihn, ohne ihn zu erkennen.K32 Gott erkennt klar die Natur der Seele, weil er in sich selbst eine klare und repräsentierende Idee davon findet. Wie der hl. Thomas15 sagt, erkennt Gott seine eigene Substanz oder Essenz vollkommen, und in ihr entdeckt er folglich alle Weisen, in denen die Geschöpfe an ihr partizipieren können. Somit repräsentiert seine Substanz die Seele wahrhaftig, weil sie deren Archetyp oder ewiges Modell einschließt. Denn Gott kann seine Erkenntnisse nur aus sich selbst beziehen: Er sieht in seiner Essenz die Ideen oder Essenzen aller möglichen Seienden, und in seinen Willensakten sieht er die Existenz dieser Seienden und alle Umstände ihrer Existenz. Die Seele aber ist sich selbst nur Finsternis, ihr Licht kommt ihr anderswoher zu. All die Seienden, die sie erkennt und erkennen kann, sind der Substanz der Seele nicht ähnlich, sie partizipieren nicht an ihr: Die Seele enthält nicht deren Perfektionen auf eminente Weise. Die Modalitäten der Seele können also nicht – wie in Gott – die Essenz oder Idee der möglichen Seienden repräsentieren. Es ist somit notwendig, die uns erleuchtenden, uns affizierenden und diese Seienden repräsentierenden Ideen von den Modalitäten unserer Seele zu unterscheiden, d. h. von den Wahrnehmungen, die wir davon haben. Und da die Existenz der Geschöpfe nicht von unserem Willen, sondern von dem des Schöpfers abhängig ist, ist außerdem klar, dass wir ihrer Existenz nicht gewiss sein können, es sei denn durch eine Art natürlicher oder übernatürlicher Offenbarung.K33 Doch selbst wenn ferner alle Seienden unserer Seele ähnlich wären, wie könnte diese sie in ihren eigenen angeblich repräsentierenden Modalitäten sehen? Denn die Seele kennt ihre eigene Substanz nicht voll-
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„Gott [ipse] erkennt seine Essenz vollkommen. Daher erkennt er sie gemäß jeder Weise, in der sie erkennbar ist [secundum omnen modum quo cognoscibilis est ]. Diese kann aber nicht nur insofern erkannt werden, als sie an sich [in se] ist, sondern auch insofern, als die Geschöpfe an ihr gemäß irgendeiner Ähnlichkeitsweise [secundum aliquem modum similitudinis] partizipieren können. Ein jedes Geschöpf hat aber eine eigentümliche Form [species]; demgemäß partizipiert es auf irgendeine Weise an der Ähnlichkeit zur göttlichen Essenz. Sofern also Gott seine Essenz als eine solche erkennt, die auf diese Weise von einem bestimmten Geschöpf nachgeahmt werden kann, erkennt er sie als den eigentümlichen Grund [ratio] und Idee dieses Geschöpfs; und in ähnlicher Weise verhält es sich mit den anderen.“ Summa theologiae I 15, 2, corp. Siehe ferner ebd. 14, 6, corp.
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kommen, secundum omnem modum quo cognoscibilis est.16 Sie weiß nicht, wie sie durch die Wahrnehmungen modifiziert wird, die sie von den Gegenständen hat. Sie verwechselt sich ja sogar mit dem Körper und weiß oft nicht, welche Modalitäten ihr angehören. Wenn man sie berührt oder wenn die Ideen sie mit ihrer Wirksamkeit affizieren, empfindet die Seele schließlich ihre eigenen Modalitäten oder Wahrnehmungen in sich selbst (denn wo könnte sie diese sonst empfinden?), wird aber niemals klar entdecken, was sie ist, was ihre Natur, ihre Eigenschaften, all die Modalitäten sind, deren sie fähig ist – solange die leuchtende und immer wirksame Substanz der Gottheit ihr die sie repräsentierende Idee, den intelligiblen Geist, das ewige Modell, gemäß dem sie geformt ist, nicht enthüllt. Versuchen wir aber weiterhin diesen Stoff zu klären und jeden aufmerksamen Geist zu zwingen, dieser Aussage beizupflichten, die mir durch sich selbst klar erschienen ist: dass nichts Endliches das Unendliche repräsentieren könne und dass somit Gott existiere, da man an ihn denke. Das Nichts oder das Falsche ist gewiss nicht sichtbar oder intelligibel. Nichts zu sehen ist gar nicht Sehen, nichts zu denken ist gar nicht Denken. Es ist unmöglich, eine Falschheit wahrzunehmen, etwa das Verhältnis der Gleichheit zwischen zwei mal zwei und fünf. Denn dieses Verhältnis oder irgendein anderes, das es nicht gibt, kann geglaubt, aber sicherlich nicht wahrgenommen werden, da das Nichts nicht sichtbar ist.K34 Dies ist eigentlich das erste Prinzip all unserer Erkenntnisse […] Denn das von den Cartesianern üblicherweise anerkannte Prinzip – man könne von einem Ding dasjenige versichern, wovon man klar begreife, dass es in der das Ding repräsentierenden Idee eingeschlossen sei – ist von unserem Prinzip abhängig und nur dann wahr, wenn angenommen wird, dass die Ideen unveränderlich, notwendig und göttlich sind. Denn wenn unsere Ideen bloß unsere Wahrnehmungen wären, wenn unsere Modalitäten repräsentierend wären – wie wüssten wir dann, dass die Dinge unseren Ideen entsprechen? Denn da Gott nicht nach unseren Wahrnehmungen denkt und somit auch handelt, sondern nach seinen, hat er die Welt nicht nach unseren Wahrnehmungen erschaffen, sondern nach seinen Ideen, nach dem ewigen Modell, das er in seiner Essenz entdeckt.K35 Daraus, dass das Nichts nicht sichtbar ist, folgt jedoch, dass all das, was man klar, direkt und unmittelbar sieht, notwendig existiert. Ich sage: das, was man unmittelbar sieht – darauf soll man achten – oder was man begreift. Denn streng genommen sind die Gegenstände, die man
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[„gemäß jeder Weise, in der sie erkennbar ist“; siehe oben, Anm. 15.]
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unmittelbar sieht, wohl verschieden von denen, die man draußen sieht – oder vielmehr zu sehen glaubt – oder auf die man schaut [regarde]. Denn in einem gewissen Sinne ist es wahr, dass man letztere gar nicht sieht, da man draußen nicht-existierende Gegenstände sehen – oder vielmehr zu sehen glauben – kann, obwohl das Nichts gar nicht sichtbar ist. Aber es liegt ein Widerspruch darin vor, dass man unmittelbar dasjenige sehen kann, was nicht existiert: Denn man würde zugleich sehen und nicht sehen, da nichts zu sehen gar nicht Sehen ist.K36 Obwohl aber etwas existieren muss, um wahrgenommen zu werden, ist nicht alles, was aktual existiert, schon deshalb durch sich selbst sichtbar. Denn um sichtbar zu sein, müsste es unmittelbar in der Seele wirken, durch sich selbst den Geist erleuchten, affizieren oder modifizieren können. Sonst würde es von unserer Seele, die, sofern sie zu Wahrnehmungen fähig ist, rein passiv ist, nie wahrgenommen. Denn selbst wenn man sich vorstellen könnte, die Seele sei im Gegenstand und dringe in ihn ein – wie man gewöhnlich annimmt, sie sei im Gehirn und dringe in es ein –, so könnte sie den Gegenstand nicht wahrnehmen. Denn sie kann auch die Teile, die ihr Gehirn ausmachen, nicht entdecken, nicht einmal den Teil, von dem man sagt, die Seele habe darin ihren Hauptsitz. Es gibt nämlich nichts, was durch sich selbst sichtbar und intelligibel ist, es sei denn das, was im Geiste wirken kann.K37 Gehen wir dennoch von diesen beiden falschen Annahmen aus: 1. Alle Realität könne durch die angebliche Tätigkeit des Geistes wahrgenommen werden. 2. Die Seele habe nicht lediglich eine innere Empfindung ihres Seins und ihrer Modalitäten, sondern eine vollkommene Erkenntnis davon. Räumt man mir nun lediglich ein, dass das Nichts nicht sichtbar ist – was ich soeben bewiesen habe –, so ist es leicht zu schließen, dass die Modalitäten der Seele das Unendliche nicht repräsentieren können. Denn man kann dort, wo es nur zwei Realitäten gibt, nicht drei sehen, da man ein Nichts sehen würde: eine Realität, die nicht existiert. Man kann nicht hundert Realitäten sehen, wo es nur vierzig gibt: Denn man würde sechzig Realitäten sehen, die nicht da sind. Man kann daher das Unendliche weder in der Seele noch in ihren endlichen Modalitäten sehen: Denn man würde ein Unendliches sehen, das nicht da ist. Das Nichts aber ist weder sichtbar noch intelligibel. Daher kann die Seele weder in ihrer Substanz noch in ihren Modalitäten eine unendliche Realität sehen: die intelligible Ausdehnung etwa, die man dermaßen klar als unendlich sieht, dass die Seele sie nie ganz ausschöpfen kann.K38 Die Fähigkeit, das Unendliche zu repräsentieren, ist aber nicht dieselbe wie die Fähigkeit, das Unendliche wahrzunehmen: nämlich eine auch sehr schwache oder unendlich kleine
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Wahrnehmung von ihm zu haben wie diejenige, die wir von ihm haben. Sie ist ‹vielmehr› die Fähigkeit, in sich das Unendliche wahrnehmen zu lassen und es folglich in sich gleichsam zu enthalten, da das Nichts nicht wahrgenommen werden kann – ja es sogar in sich so zu enthalten, dass es durch sich selbst intelligibel und wirksam ist, ‹d.h.› imstande, die erkenntnisfähige Substanz der Seele zu affizieren. Es ist daher klar, dass weder die Seele noch ihre Modalitäten noch irgend etwas Endliches das Unendliche repräsentieren können; dass das Unendliche nur in sich selbst und nur durch die Wirksamkeit seiner Substanz gesehen werden kann; dass es vom Unendlichen keinen Archetyp oder keine von ihm verschiedene, es repräsentierende Idee gibt und geben kann; und dass somit das Unendliche existieren muss, wenn man daran denkt. Aber gewiss denkt man daran. Ich sage nicht, man habe davon ein Verständnis oder eine Wahrnehmung, die es messe und es umfasse. Man hat aber von ihm irgendeine Wahrnehmung, nämlich eine solche, die im Vergleich zu einem vollkommenen Verständnis unendlich klein ist. Man muss darauf achten, dass für eine unendlich kleine Wahrnehmung des Unendlichen kein weiteres Denken oder keine größere Denkfähigkeit erforderlich ist als für eine vollkommene Wahrnehmung irgendeines endlichen Dinges. Denn jede endliche Größe, die mit dem Unendlichen verglichen bzw. durch es geteilt wird, verhält sich zu eben dieser endlichen Größe so, wie dieselbe Größe sich zum Unendlichen verhält. Dies ist aus demselben Grund evident, der erweist, dass 1/1000 sich zu 1 verhält wie 1 zu 1000; dass zwei, drei, vier Millionstel sich zu zwei, drei und vier ebenso verhalten wie zwei, drei, vier zu zwei, drei, vier Millionen. Denn auch wenn man die Nullen ins Unendliche steigert, ist klar, dass das Verhältnis immer dasselbe bleibt. Eine endliche Größe oder Realität ist nämlich das Gleiche wie eine unendlich kleine Realität des Unendlichen oder im Verhältnis zum Unendlichen – ich sage „im Verhältnis zum Unendlichen“, weil das Große bzw. das Kleine nur verhältnismäßig ein solches ist. Somit ist gewiss, dass eine in sich endliche Modalität oder Wahrnehmung die Wahrnehmung des Unendlichen sein kann – angenommen, dass die Wahrnehmung des Unendlichen im Verhältnis zu einer unendlichen Wahrnehmung oder zum vollkommenen Verständnis des Unendlichen unendlich klein ist. Um deutlicher verstehen zu können, wie ein endlicher Geist das Unendliche wahrnehmen kann, stellen wir uns vor, dass die Wahrnehmungsfähigkeit der Seele etwa vier Grade umfasst und dass die Idee von der eigenen Hand oder einem Fuß Ausdehnung sie mit Schmerz so lebhaft berührt, dass ihre ganze Denkfähigkeit dadurch erfüllt wird: Es ist klar,
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dass, wenn die Idee von zwei Fuß Ausdehnung die Seele mit halb soviel Kraft berührt, dann ihre Denkfähigkeit ausreichen wird, um sie wahrzunehmen. Ebenso wird ihre Denkfähigkeit ausreichen, wenn der sie unmittelbar berührende Gegenstand um ein Millionfaches größer ist, sie aber nur mit einem Millionstel der ersten Kraft berührt. Und auch das Produkt (sozusagen) des unendlich großen Gegenstandes und der unendlich kleinen Wahrnehmung wird immer das Gleiche sein wie die Denkfähigkeit, die sie hat. Denn das Produkt des Unendlichen und des unendlich Kleinen ist eine endliche und konstante Größe, wie die Denkfähigkeit der Seele eine solche ist. Dies ist evident und ist die Grundlage der Eigenschaft der Hyperbeln zwischen den Asymptoten, dass nämlich das Produkt der Schnitte, die ins Unendliche zunehmen, und der Ordinaten, die ins Unendliche abnehmen, immer demselben Wert entspricht. Nun, das Produkt von Unendlichem und Null ist sicherlich Null. Unsere Denkfähigkeit gleicht aber nicht Null; sie ist nicht nichtig. Somit ist klar, dass unser Geist, obwohl er endlich ist, das Unendliche wahrnehmen kann, jedoch mit Hilfe einer Wahrnehmung, welche, wenngleich unendlich schwach, gewiss ganz wirklich ist.K39 Man muss vor allem beachten, dass man über die Größe der Gegenstände oder die Realität der Ideen nicht anhand der Kraft und Lebhaftigkeit oder – um wie die Schule zu reden – des Intensitätsgrades [degré d’intention] der Modalitäten oder Wahrnehmungen urteilen sollte, mit denen die Ideen unsere Seelen affizieren. Die Spitze eines Dornes, an dem ich mich steche, ein glühendes Kohlenstück, an dem ich mich verbrenne, hat nicht so viel Realität wie ein Landstrich, den ich sehe. Meine Denkfähigkeit ist jedoch durch den Schmerz des Stiches oder der Brandwunde mehr erfüllt als durch die Sicht des Landstrichs. Wenn ebenfalls meine Augen inmitten eines Landstrichs offen sind, habe ich die sinnliche Wahrnehmung einer begrenzten Ausdehnung, die viel lebhafter ist und zudem die Fähigkeit meiner Seele mehr einnimmt als die Wahrnehmung, die ich habe, wenn ich an die Ausdehnung mit geschlossenen Augen denke. Aber die Idee der Ausdehnung, die mich durch die Empfindung verschiedener Farben affiziert, hat nicht so viel Realität wie die, die mich bei geschlossenen Augen durch einen reinen Verstehensakt affiziert. Denn durch den reinen Verstehensakt sehe ich eine Ausdehnung, die sich unendlich über diejenige hinaus erstreckt, die ich mit geöffneten Augen sehe. Man darf demnach von der Realität der Ideen – ich sage hier nichts über ihre Wirksamkeit – nicht anhand der Stärke oder Schwäche der Weise urteilen, in der sie uns berühren. Man soll ihre Größe und Realität anhand der Größe und Realität beurteilen, die man
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in ihnen entdeckt – so schwach die Modalität, mit der sie uns berühren, und die Wahrnehmung, die wir davon haben, auch sein mögen. Wir müssen ihre Realität beurteilen, da wir sie wahrnehmen, das Nichts aber nicht wahrgenommen werden kann. Ich sage dies, um verständlich zu machen, dass kein Widerspruch in der Aussage vorliegt, das Unendliche könne durch ein endliches Wahrnehmungsvermögen wahrgenommen werden, sowie auch um jene aufzuklären, welche, durch diesen vermeintlichen Widerspruch beirrt, daran festhalten, dass man keine Idee des Unendlichen habe – und dies trotz der inneren Empfindung, die uns unterrichtet, dass wir aktual an die Unendlichkeit denken oder – um wie die anderen zu sprechen – dass wir von Natur her die Idee Gottes bzw. des unendlich vollkommenen Seienden haben […] Erläuterung X [OCM III 141–155] (1678) Über die Natur der Ideen – Hier erkläre ich, wie man in Gott alle Dinge sowie die ewigen Wahrheiten und Gesetze sieht […] Es ist, wie mir scheint, sehr nützlich in Betracht zu ziehen, dass der Geist die Gegenstände nur auf zweierlei Weisen erkennt: durch Licht oder Empfindung. Er sieht die Dinge durch Licht, wenn er eine klare Idee von ihnen hat und bei Untersuchung dieser Idee alle Eigenschaften ermitteln kann, die sie einschließen. Er sieht die Dinge durch Empfindung, wenn er in sich selbst von diesen Dingen keine klare Idee findet, die er untersuchen kann; wenn er somit die Eigenschaften der Dinge nicht entdecken kann; wenn er sie nur durch eine verworrene Empfindung – ohne Licht und ohne Evidenz – erkennt. Durch das Licht und eine klare Idee sieht der Geist die Essenz der Dinge, die Zahlen und die Ausdehnung. Durch eine verworrene Idee oder eine Empfindung urteilt er über die Existenz der Geschöpfe und erkennt seine eigene.K40 Die Dinge, die der Geist durch das Licht oder eine klare Idee wahrnimmt, nimmt er in einer sehr vollkommenen Weise wahr; und er sieht auch klar, dass, wenn es Dunkelheit oder Unvollkommenheit in seiner Erkenntnis gibt, dies in seiner Schwäche und Begrenztheit oder in seiner mangelnden Bemühung begründet liegt, nicht aber in der Idee, die er wahrnimmt. Das hingegen, was der Geist durch Empfindung wahrnimmt, ist ihm niemals klar bekannt: nicht wegen seiner unzulänglichen Bemühung – denn man bemüht sich immer sehr bei dem, was man empfindet –, sondern aufgrund der Mangelhaftigkeit der Idee, die ja äußerst dunkel und verworren ist.K41 Daraus kann man einsehen, dass man in Gott oder in einer unveränderlichen Natur all das sieht, was man durch Licht oder klare Idee er-
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kennt: nicht nur deshalb, weil man durch das Licht nur die Zahlen, die Ausdehnung und die Essenz der Seienden sieht, die […] nicht von einem freien Akt Gottes abhängig sind, sondern auch deshalb, weil man diese Dinge auf eine sehr vollkommene Weise erkennt und sogar auf eine unendlich vollkommene Weise erkennen würde, wenn unsere Denkfähigkeit unendlich wäre, da es der Idee, die sie repräsentiert, an nichts mangelt.K42 Es gilt auch zu folgern, dass man in sich selbst sieht, was man durch Empfindung erkennt. Es ist allerdings nicht so, dass man in sich selbst eine neue Modifikation hervorbringen könnte oder dass die Empfindungen und Modifikationen unserer Seele die Gegenstände repräsentieren könnten, die Gott ja als Gelegenheit dazu dienen, diese Empfindungen und Modifikationen in uns wachzurufen. Sondern es ist so, dass unsere Empfindungen, die nicht von uns verschieden sind und folglich nie etwas anderes als uns repräsentieren können, trotzdem die Existenz der Seienden repräsentieren oder uns vielmehr zum Urteil bringen können, dass sie existieren. Denn da Gott durch eine Handlung, die nichts Sinnliches hat und die wir nicht wahrnehmen, bei Gegenwart der Gegenstände unsere Empfindungen in uns wachruft, bilden wir uns ein, vom Gegenstand nicht nur die Idee zu bekommen, die seine Essenz repräsentiert, sondern auch die Empfindung, die uns von seiner Existenz urteilen lässt.K43 Denn es gibt immer eine reine Idee und eine verworrene Empfindung in der Erkenntnis, die wir von der Existenz der Seienden haben – Gottes Existenz und die unserer Seele ausgenommen. Ich nehme Gottes Existenz aus; denn man erkennt sie durch eine reine Idee bzw. ohne Empfindung, da seine Existenz von keiner Ursache abhängig und in der Idee des notwendigen und unendlichen Seienden eingeschlossen ist. Denn wie ich woanders bewiesen habe:17 Wenn man an ihn denkt, muss er sein. Und ich nehme auch die Existenz unserer Seele aus; denn wir wissen durch innere Empfindung, dass wir denken, wollen, empfinden und keine klare Idee unserer Seele haben […] Hier also ein Teil der Gründe, die man denen hinzufügen kann, die ich schon angeführt habe,18 um zu beweisen, dass nur Gott uns erleuchtet und dass der unmittelbare und direkte Gegenstand unserer klaren und evidenten Erkenntnisse eine unveränderliche und notwendige Natur ist. Man erhebt gewöhnlich einige Einwände gegen diese Meinung: Ich werde versuchen sie aufzulösen.
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[Vgl. Recherche IV.11 § 3, OCM II 96; hier Z. 383–390.] [Vgl. Recherche III.ii.6, OCM I 438–443; hier Z. 139–277.]
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Einwände gegen das, was gesagt worden ist: dass nur Gott uns erleuchtet und dass wir alle Dinge in ihm sehen Erster Einwand. Unsere Seele denkt, weil dies ihre Natur ist. Als Gott sie erschaffen hat, hat er ihr das Vermögen zu denken gegeben. Mehr ist nicht erforderlich. Oder wenn doch noch etwas anderes erforderlich ist, so lasst uns bei dem Halt machen, was die Erfahrung über unsere Sinne lehrt: Wir erfahren zur Genüge, dass sie die Ursache unserer Ideen sind. Gegen die Erfahrung zu denken ist schlechtes Philosophieren.K44 Erwiderung. Es erstaunt mich, dass die Herren Cartesianer, die zurecht so viel Widerstreben gegen die allgemeinen Begriffe Natur und Vermögen empfinden, sich zu diesem Anlass ihrer so großzügig bedienen. Sie missbilligen freilich die Behauptung, das Feuer brenne aufgrund seiner Natur und verändere bestimmte Glaskörper aufgrund eines natürlichen Vermögens; aber einige von ihnen schrecken nicht vor der Aussage zurück, der menschliche Geist bringe in sich selbst Ideen aller Dinge hervor aufgrund seiner Natur und deshalb, weil er das Vermögen zu denken hat. So sehr aber dies ihnen auch missfallen mag, so sind doch diese Begriffe in ihrem Munde nicht sinnvoller als in dem der Peripatetiker. Es stimmt, dass unsere Seele aufgrund ihrer Natur so beschaffen ist, dass sie notwendigerweise wahrnimmt, was sie affiziert. Dennoch kann nur Gott in ihr wirken. Er allein kann sie durch die Wirksamkeit seiner Ideen erleuchten, berühren, modifizieren.K45 Ich weiß wohl, dass die Seele fähig ist zu denken; ich weiß aber auch, dass die Ausdehnung fähig ist, Gestalten aufzunehmen. Die Seele ist willensfähig, wie die Materie bewegungsfähig ist. Wie aber falsch ist, dass die Materie, obwohl sie gestaltbar und bewegungsfähig ist, in sich selbst eine Kraft, ein Vermögen, eine Natur hat, durch welche sie sich bewegen oder sich einmal hier eine runde, einmal da eine viereckige Gestalt geben könnte, ebenso falsch ist, dass die Seele, obwohl sie natur- und essenzgemäß imstande ist zu erkennen und zu wollen, Vermögen hat, durch die sie in sich ihre Ideen oder ihre Bewegung zum Guten19 hervorbringen kann, weil sie unbesiegbar glücklich sein will. Zwischen Beweglich-Sein und Sich-Bewegen gibt es einen großen Unterschied. Die Materie ist von Natur aus beweglich und fähig, Gestalten anzunehmen; sie kann ja ohne Gestalt nicht einmal fortbestehen. Aber sie bewegt sich selbst nicht, sie gestaltet sich selbst nicht, sie hat kein Vermögen, dies zu tun. Der Geist ist gemäß seiner Natur fähig, sich zu bewegen und Ideen zu haben – da-
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Ich sage nicht: „zu einem bestimmten Guten“ […].
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mit stimme ich überein. Aber er bewegt sich selbst nicht, er erleuchtet sich selbst nicht: Gott ist es, der alles Physische sowohl in den geistigen Wesen als auch in den Körpern erzeugt. Kann man etwa sagen, Gott vollbringe die Veränderungen, die in der Materie stattfinden, und nicht diejenigen, die im Geiste stattfinden? Erkennt man etwa an, was Gott gebührt, wenn man Gottes Verfügung nur die allerletzten unter den Seienden überlässt? Ist er nicht gleichermaßen Herrscher über alle Dinge? Ist er nicht der Schöpfer, der Bewahrer, der einzig wahre Beweger des Geistes sowie der Körper?K46 Wenn man aber will […] dass die Geschöpfe solche Vermögen haben, wie sie gewöhnlich verstanden werden, dann soll man sagen, dass die natürlichen Körper eine Natur haben, die das Prinzip ihrer Bewegung und Ruhe ist, wie Aristoteles und seine Sektierer sagen. Dies verwirft all meine Ideen. Aber ich werde eher dem beipflichten, als zu sagen, der Geist erhelle sich selbst. Man mag auch sagen, die Seele habe die Kraft, die Glieder des Körpers unterschiedlich zu bewegen und auf sie Empfindung und Leben zu übertragen. Man mag auch sagen – wenn man will –, sie gebe dem Blut die Wärme, den Lebensgeistern die Bewegung und dem restlichen Körper seine Größe, seine Disposition und seine Gestalt. Aber man darf nicht sagen, der Geist gebe sich selbst seine Bewegung und sein Licht. Wenn Gott nicht alles tut, so soll er doch zumindest das tun, was es als das Größte und Vollkommenste auf der Welt gibt. Und wenn die Geschöpfe etwas tun, dann sollen sie doch Körper bewegen und ordnen, wie es ihnen recht ist, aber sie sollen nicht auf den Geist wirken.K47 Sagen wir, die Körper würden sich gegenseitig bewegen, nachdem sie sich selbst bewegt hätten; oder sehen wir vielmehr von der Ursache dieser verschiedenen Dispositionen der Materie ab, zumal dies uns hier nicht betrifft. Unser Geist soll dennoch nicht verkennen, von wem das Licht kommt, das ihn erhellt; was diese Vernunft ist, mit der er in einer essentiellen Beziehung steht – diese Vernunft, von der so viel gesprochen wird und die man so wenig kennt. Unser Geist soll wissen, von wem er all das empfängt, was ihn glücklicher und vollkommener machen kann. Er soll den ganzen Umfang seiner Abhängigkeit anerkennen sowie auch, dass alles, was er gegenwärtig ist, ihm in jedem Moment von Gott gegeben wird […] Wir sollen uns vor allem nicht einbilden, dass die Sinne die Vernunft belehren; dass der Körper den Geist beleuchtet; dass die Seele vom Körper dasjenige bekommt, was dieser selbst nicht hat. Es ist besser, sich unabhängig zu glauben, als zu glauben, dass wir wahrhaftig vom Körper abhängig sind. Es ist besser, sein eigener Herrscher zu sein, als
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einen Herrscher unter den Geschöpfen zu suchen, die weniger wert sind als wir. Aber es ist noch besser, sich der ewigen Wahrheit, die uns im Evangelium20 versichert, nur sie sei unser Herrscher, unterzuordnen als dem Bericht der Sinne oder mancher Menschen, die sich anmaßen, uns so anzusprechen, als wären sie unsere Herrscher. Die Erfahrung unterstützt – was man auch immer darüber sagt – keine Vorurteile. Denn unsere Sinne sind nur Gelegenheitsursachen für Gottes Tätigkeit in uns. Unsere Herrscher sind nur Aufseher. Sie sind auch nur Gelegenheitsursachen für den Unterricht, den die ewige Weisheit uns im Geheimsten unserer Vernunft erteilt. Da diese Weisheit uns aber durch eine Tätigkeit erleuchtet, die nichts Sinnliches an sich hat, bilden wir uns ein, es seien unsere Augen oder die Worte derer, die Luft an unsere Ohren blasen, die dieses Licht erzeugen oder diese intelligible Stimme zum Ausdruck bringen, die uns innerlich unterrichtet […] Zweiter Einwand. Wieso könnte die Seele, da sie vollkommener ist als die Körper, nicht dasjenige in sich schließen, was die Körper repräsentiert? Wieso könnte die Idee der Ausdehnung nicht eine ihrer Modifikationen sein? Es gibt nur Gott, der in ihr wirkt und sie modifiziert – damit stimmen wir überein. Aber wieso sollte sie die Körper in Gott sehen, wenn sie diese in ihrer eigenen Substanz sehen kann? Sie ist nicht materiell – das stimmt. Aber Gott sieht die Körper in sich, obwohl er ein reiner Geist ist. Wieso sollte also die Seele, indem sie auf sich selbst achtet, die Körper nicht sehen, obwohl sie geistig ist?K48 Erwiderungen. Sieht man nicht, dass es zwischen Gott und der menschlichen Seele diesen Unterschied gibt, dass Gott ein Seiendes ohne Einschränkungen ist, das allgemeine Seiende, das unendliche Seiende, während die Seele eine besondere Gattung von Seiendem ist? Es ist eine Eigenschaft des Unendlichen, eins und zugleich alles zu sein, gleichsam zusammengesetzt aus unendlich vielen Perfektionen und doch so einfach, dass jede Perfektion, die es besitzt, alle anderen ohne reale Unterscheidung einschließt. Denn da jede göttliche Perfektion unendlich ist, macht sie das ganze göttliche Seiende aus. Da aber die Seele ein partikuläres, ein begrenztes Seiendes ist, kann sie die Ausdehnung nicht in sich haben, ohne materiell zu werden, ohne aus zwei Substanzen zu bestehen. Gott schließt also die Körper auf eine intelligible Weise in sich ein. Er sieht ihre Essenzen oder ihre Ideen in seiner Weisheit und ihre Existenz in seiner Liebe oder in seinen Willensakten. So zu sprechen ist notwen-
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Mt 23, 8–10. Siehe Augustin, De magistro.
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dig, da Gott die Körper erschaffen hat und da er das, was er erschaffen hat, auch kennt, und zwar ehe es jemals etwas gegeben hat. Die Seele aber kann in sich nicht dasjenige sehen, was sie nicht einschließt. Sie kann nicht einmal klar sehen, was sie einschließt. Sie kann es nur verworren empfinden. Ich erkläre dies.K49 Die Seele schließt die intelligible Ausdehnung nicht als eine ihrer Seinsweisen ein; denn die Ausdehnung wird nicht als eine Seinsweise der Seele wahrgenommen, sondern als ein Seiendes. Man stellt sich diese Ausdehnung allein vor, ohne an etwas anderes zu denken; Seinsweisen kann man sich aber nicht vorstellen, ohne den Träger bzw. das Seiende wahrzunehmen, dessen Weisen sie eben sind. Man nimmt diese Ausdehnung wahr, ohne an seinen eigenen Geist zu denken; man kann sich ja auch gar nicht vorstellen, dass diese Ausdehnung eine Modifikation seines eigenen Geistes sein könnte. Sobald man sich Grenzen dieser Ausdehnung vorstellt, entdeckt man darin manche Gestalt; die Grenzen des Geistes können ihn aber nicht gestalten. Da diese Ausdehnung Teile hat, kann sie in demselben Sinne geteilt werden, in dem sie ausgedehnt ist, d. h. in intelligible Teile; in der Seele sieht man aber nichts, was teilbar sein könnte. Diese Ausdehnung, die man sieht, ist also keine Seinsweise des Geistes; somit kann der Geist sie nicht in sich sehen. Man wird jedoch sagen, aus denselben Gründen könne Gott seine Geschöpfe nicht in sich sehen. Dies würde stimmen, wenn die Ideen der Geschöpfe Modifikationen seiner Substanz wären; das unendliche Seiende kann aber keine Modifikationen haben […] Die Ideen, die Gott von den Geschöpfen hat, sind, wie der hl. Thomas21 sagt, nichts als seine Essenz, sofern sie partizipiert oder unvollkommen nachgeahmt werden kann. Denn Gott schließt – wenngleich in göttlicher und unendlicher Weise – all das ein, was es in den Geschöpfen an Perfektionen gibt: Er ist eins und alles. Somit kann er sie in sich sehen – und nur in sich sehen, denn er bezieht seine Erkenntnisse nur aus sich selbst. Die Seele aber, die sich selbst und ihre eigenen Modifikationen nicht erkennt, obwohl sie sich empfindet – die Seele, die nur ein bestimmtes, ein sehr begrenztes und unvollkommenes Seiendes ist –, kann in sich sicherlich nicht sehen, was sich in ihr auf keinen Fall befinden kann. Wie könnte man in einer Art von Seiendem alle Arten der Seienden und in einem partikulären und endlichen Seienden ein Dreieck im Allgemeinen und unendliche Dreiecke sehen? Denn die Seele nimmt schließlich ein Dreieck oder
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[Vgl. Summa theologiae I 15, 2, corp.; siehe oben, Anm. 15.]
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einen Kreis im Allgemeinen wahr, obwohl es ein Widerspruch ist, dass sie eine Modifikation im Allgemeinen haben kann.K50 Die Farbempfindungen, welche die Seele mit den Gestalten verknüpft, macht diese zu partikulären Gestalten, denn keine Modifikation eines partikulären Seienden kann allgemein sein.K51 Zweifelsohne kann man versichern, was man klar begreift. Nun begreift man klar, dass die Ausdehnung, die man sieht, etwas ist, das von einem selbst unterschieden ist. Man kann also sagen, dass diese Ausdehnung keine Modifikation des eigenen Seins und wirklich etwas ist, das von einem selbst unterschieden ist. Denn man muss beachten, dass beispielsweise die Sonne, die man sieht, nicht diejenige ist, auf die man schaut [regarde]. Die Sonne und all das, was es in der materiellen Welt gibt, sind nicht durch sich selbst sichtbar, wie ich anderswo bewiesen habe.22 Die Seele kann nur die Sonne sehen, mit der sie unmittelbar vereint ist: nur die Sonne, die, wie sie, keinen Ort einnimmt. Jedoch sehen wir klar und empfinden deutlich, dass diese Sonne etwas ist, das von uns unterschieden ist. Somit sprechen wir gegen unser Licht und unser Gewissen, wenn wir behaupten, dass die Seele in ihren eigenen Modifikationen alle Gegenstände sieht, die sie wahrnimmt. Lust, Schmerz, Geschmack, Hitze, Farbe, all unsere Empfindungen und Leidenschaften sind Modifikationen unserer Seele. Aber auch wenn dies zutreffend ist – erkennen wir sie etwa klar? Können wir Wärme mit Geschmack, Geruch mit Farbe vergleichen? Können wir das Verhältnis erkennen, das es zwischen dem Roten und dem Grünen und auch zwischen diesem und jenem Grünen gibt? Es verhält sich aber nicht gleich mit den Gestalten: Wir vergleichen sie miteinander, wir erkennen ihre Verhältnisse exakt, wir wissen genau, dass das Quadrat der Diagonale eines Quadrats das Doppelte dieses Quadrats ist. Welches Verhältnis gibt es zwischen diesen intelligiblen Gestalten, die sehr klare Ideen sind, und den Modifikationen unserer Seele, die nur verworrene Empfindungen sind? Warum will man also beteuern, dass auch diese intelligiblen Gestalten erst dann von der Seele wahrgenommen werden können, wenn sie Modifikationen der Seele sind? Denn die Seele erkennt das, was ihr zustößt, nicht durch klare Ideen, sondern lediglich durch Bewusstsein oder innere Empfindung […] Doch ganz im Gegenteil: Wenn wir die Gestalten der Körper nur in uns selbst sehen könnten, so wären sie uns nicht intelligibel. Denn wir erkennen uns nicht. Wir sind uns selbst nur Finsternis.
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[Vgl. Recherche III.ii.1, OCM I 413 f.; hier Z. 7–15.]
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Um uns zu sehen, müssen wir uns von außen anschauen [regardions]; und wir werden nie erkennen, was wir sind, solange wir uns nicht in demjenigen betrachten, der unser Licht ist und in dem alle Dinge zu Licht werden. Denn nur in Gott werden selbst die Seienden, die am meisten materiell sind, vollkommen intelligibel, während außerhalb von ihm die geistigsten Substanzen gänzlich unsichtbar werden. Denn intelligibel ist lediglich das, was den Verstand affizieren kann. Gewiss vermag nur Gott als immer wirksame Substanz unseren Geist zu berühren, zu affizieren, zu erleuchten, zu nähren, wie der hl. Augustin sagt.23 Es ist freilich möglich, dass wir uns ‹in uns selbst› empfinden (denn wir können uns nur in uns selbst empfinden), aber es ist keineswegs möglich, dass wir uns anderswo klar erkennen, die Natur und die Eigenschaften unserer Seele anderswo entdecken als in unserem ewigen und göttlichen Modell, d. h. anderswo als in der immer leuchtenden Substanz der Gottheit, sofern sie vom geistigen Geschöpf partizipiert oder repräsentiert werden kann. Die Natur und Eigenschaften der Materie erkennen wir klar, denn die Idee der Ausdehnung, die wir in Gott sehen, ist äußerst klar. Aber dass wir existieren, und was aktual in uns stattfindet, empfinden wir vielmehr; denn wir sehen in Gott die Idee unserer Seele nicht. Es ist uns aber weder möglich zu entdecken, was wir sind, noch, was die Modifikationen sind, deren wir fähig sind.K52 Dritter Einwand. Es gibt in Gott nichts Bewegliches; es gibt in ihm nichts, was Gestalt hat. Wenn es eine Sonne in der intelligiblen Welt gibt, dann ist diese Sonne sich immer gleich. Die sichtbare Sonne aber erscheint größer, wenn sie nahe dem Horizont ist, als wenn sie weit davon entfernt ist. Somit sehen wir nicht die intelligible Sonne. Es verhält sich ebenso mit den anderen Geschöpfen. Also sehen wir Gottes Werke nicht in Gott.K53 Erwiderung. Es könnte die Erwiderung genügen, dass es in Gott nichts gibt, was wirklich eine Gestalt hat und dadurch bewegungsfähig ist, sondern dass es in Gott intelligible Gestalten gibt, die folglich auf intelligible Weise beweglich sind. Denn es lässt sich nicht bezweifeln, dass Gott die Idee der Körper besitzt, die er erschaffen hat und fortwährend bewegt; dass er diese Idee nur in seiner Substanz finden und uns zumindest mitteilen kann.K54 Um aber diese Angelegenheit zu erhellen, muss man in Betracht ziehen, dass Gott in sich eine ideale bzw. intelligible unendliche Ausdehnung einschließt. Denn Gott erkennt die Ausdehnung, da er sie
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[Vgl. etwa In Iohannis evangelium XXIII 5; De civitate Dei VIII 7.]
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geschaffen hat, und kann sie nur in sich selbst erkennen. Somit ist gewiss, dass der Geist, da er einen Teil dieser in Gott eingeschlossenen intelligiblen Ausdehnung wahrnehmen kann, alle Gestalten in Gott wahrnehmen kann. Denn jede endliche intelligible Ausdehnung ist notwendig eine intelligible Gestalt, weil die Gestalt nichts als die Grenze der Ausdehnung ist.K55 Ferner sieht oder empfindet man einen bestimmten Körper, wenn dessen Idee – d. h. eine bestimmte Gestalt intelligibler und allgemeiner Ausdehnung – sinnlich und partikulär wird durch die Farbe oder eine andere sinnliche Wahrnehmung, durch welche die Idee des Körpers die Seele affiziert und welche von der Seele mit der Idee verknüpft wird. Denn die Seele trägt fast immer ihre Empfindung auf die Idee auf, die sie lebhaft reizt. Mithin ist es nicht notwendig, dass es in Gott sinnliche Körper oder in der intelligiblen Ausdehnung wirkliche und aktuale Gestalten gibt, damit man sie in Gott oder Gott sie in sich sehen kann. Es genügt, dass Gottes Substanz, sofern sie vom körperlichen Geschöpf partizipierbar ist, auf verschiedene Weisen wahrgenommen werden kann.K56 Wenn man sich vorstellt, dass eine gleichsam aus intelligibler Ausdehnung bestehende Gestalt, die durch Farbe sinnlich gemacht wird, den verschiedenen Teilen dieser unendlichen Ausdehnung nach und nach entnommen wird, oder wenn man sich vorstellt, dass eine Gestalt aus intelligibler Ausdehnung als eine solche wahrgenommen werden kann, die um ihr Zentrum rotiert oder sich nach und nach einem anderen annähert, dann nimmt man die Bewegung einer sinnlichen oder intelligiblen Gestalt wahr, ohne dass es in der Ausdehnung eine solche Bewegung aktual gibt. Denn Gott sieht die aktuale Bewegung der Körper nicht in seiner Substanz oder in der Idee, die er von ihnen in sich selbst hat, sondern nur durch die Erkenntnis seiner diesbezüglichen Willensakte. Auch ihre Existenz sieht er nur auf diesem Wege, denn nur sein Wille gibt allen Dingen das Sein. Gottes Willensakte verändern nichts an seiner Substanz; sie bewegen sie nicht. In diesem Sinne ist die intelligible Ausdehnung auch auf intelligible Weise unbeweglich. Man mag nun aber auch annehmen, dass die intelligiblen Teile der Idee der Ausdehnung untereinander immer dasselbe Verhältnis an intelligiblem Abstand behalten und somit auch auf intelligible Weise unbeweglich sind. Wenn man sich dann eine erschaffene Ausdehnung vorstellt, die irgendeinem Teil dieser Ausdehnung als ihrer Idee entspricht, so kann man durch die Idee des Raumes selbst (wie unbeweglich diese Idee auf intelligible Weise auch sein mag) trotzdem entdecken, dass die Teile dieser erschaffenen Ausdehnung beweglich sind. Denn da die Idee des Raumes – wenngleich sie als auf in-
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telligible Weise unbeweglich angenommen wird – notwendig allerlei Abstandsverhältnisse repräsentiert, veranlasst sie doch die Vorstellung, dass sich die Teile eines Körpers untereinander auch in verschiedenen Lagen befinden können. In der Tat können wir, obwohl wir die Körper nicht in ihnen selbst, sondern nur durch die intelligible Ausdehnung sehen (ungeachtet, ob man diese Ausdehnung als auf intelligible Weise unbewegt oder bewegt annimmt), durch sie Körper sehen oder uns vorstellen, die sich aktual bewegen. Denn sie erscheint uns beweglich aufgrund der Farbempfindung oder des verworrenen Bildes, das nach der Empfindung zurückbleibt und das wir nacheinander mit verschiedenen Teilen der intelligiblen Ausdehnung verknüpfen, die uns als Idee dient, wenn wir die Bewegung eines Körpers sehen oder uns vorstellen. Es ist leichter all dies zu begreifen, als es eindeutig zu erklären. Man kann durch die Dinge, die ich gerade erklärt habe, verstehen, wieso wir die intelligible Sonne mal groß und mal klein sehen können, obwohl sie für Gott immer dieselbe bleibt. Denn dafür reicht, dass wir einmal einen größeren und einmal einen kleineren Teil der intelligiblen Ausdehnung sehen. Da die Teile der intelligiblen Ausdehnung alle gleicher Natur sind, kann jeder von ihnen jeglichen Körper repräsentieren.K57 Man soll sich nicht vorstellen, dass die intelligible Welt so eine Beziehung zur materiellen und sinnlichen Welt unterhalte, als gäbe es etwa eine intelligible Sonne, ein intelligibles Pferd, einen intelligiblen Baum, die dazu bestimmt wären, uns die Sonne, ein Pferd und einen Baum zu repräsentieren, und dass all diejenigen, die die Sonne sähen, notwendig diese vermeintliche intelligible Sonne sähen. Da alle intelligible Ausdehnung als kreisförmig gedacht werden oder die intelligible Gestalt eines Pferdes oder Baumes erhalten kann, kann alle intelligible Ausdehnung dazu dienen, die Sonne, ein Pferd, einen Baum zu repräsentieren, folglich Sonne, Pferd, Baum in der intelligiblen Welt zu sein und selbst sichtbare und sinnliche Sonne, Pferd, Baum zu werden, wenn die Seele aus Anlass der Körper eine Empfindung hat, die sie an diese Idee anknüpfen kann, d. h., wenn diese Ideen die Seele mit sinnlichen Wahrnehmungen affizieren. Als ich daher gesagt habe, dass wir die verschiedenen Körper durch die Erkenntnis sehen, die wir von Gottes Perfektionen haben, die sie repräsentieren, habe ich damit nicht gemeint, dass es in Gott bestimmte partikuläre Ideen gibt, die jeden partikulären Körper repräsentieren, und dass wir eine solche Idee sehen, wenn wir einen solchen Körper sehen. Denn es steht fest, dass wir den Körper nicht mal groß, mal klein, mal rund, mal eckig sehen könnten, wenn wir ihn durch eine partikuläre Idee
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sähen, die immer dieselbe wäre. Ich sage vielmehr, wir sehen alle Dinge in Gott durch die Wirksamkeit seiner Substanz, und insbesondere sehen wir die sinnlichen Körper durch die von Gott auf tausend unterschiedliche Weisen bewirkte Anwendung der intelligiblen Ausdehnung auf unseren Geist; somit schließt die intelligible Ausdehnung alle Perfektionen – oder eher Unterschiede – der Körper infolge der verschiedenen Empfindungen in sich ein, welche die Seele auf diejenigen Ideen aufträgt, die sie aus Anlass dieser Körper affizieren.K58
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6. Antoine Arnauld Julia Borcherding und Stephan Schmid
6.1 Einleitung 6.1.1 Kurzbiographie Antoine Arnauld wurde am 6. Februar 1612 als zwanzigstes und jüngstes Kind von Antoine und Catherine Arnauld in Paris geboren. Der junge Arnauld wollte zunächst wie sein Vater Rechtsanwalt werden, ließ sich dann aber von Jean Duvergier de Hauranne – dem jansenistischen Priester von Saint-Cyran und Freund der Familie – davon überzeugen, eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen. So nahm Arnauld 1633 sein Studium der Theologie auf. In seiner Doktorarbeit, mit der er sich 1641 promovierte und für die er große Anerkennung erhielt, verteidigte er Augustins Gnadenlehre. 1640 trat er einem Kreis von Jansenisten bei, die sich Solitaires de Port-Royal nannten und seit 1638 neben dem ehemaligen Frauenkloster Port-Royal de Champs wohnten. Arnaulds Schwester Jaqueline war seit 1602 als Mère Angélique Äbtissin des Frauenordens von Port-Royal, der 1626 in ein neues Kloster, das Port-Royal de Paris, umsiedelte. Mitglieder dieses Kreises waren auch Pierre Nicole, Claude Launcelot und Sacy, mit denen Arnauld intensiv diskutierte und zusammen arbeitete: Unter anderem half er Le Maître de Sacy bei der wichtigen ersten französischen Übersetzung der Bibel und verfasste zusammen mit Pierre Nicole La Logique ou l’Art de penser (1662), die bald zum Standardwerk der französischen Bildung wurde. Durch Marin Mersennes Vermittlung erhielt Arnauld 1641 die Gelegenheit, Einwände gegen Descartes’ Meditationen zu formulieren. Auf diesem Weg lernte er Descartes’ Philosophie kennen, die ihn stark beeindruckte und in der Folge sein eigenes Denken prägte. Neben dieser philosophischen Hinwendung zum Cartesianismus bezog Arnauld nach seiner Erlangung der Priesterwürde 1641 auch theologisch eine klare Position. Er schrieb eine Verteidigung der ethischen Prinzipien des Abbé de Saint Cyran und eine Anklage der seines Erach-
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tens nachgiebigen Moral der Jesuiten, die unter dem Titel De la fréquente communion 1643 erschien. Gleichzeitig verfasste er – auf Bitten von Saint Cyran – die 1644 erschienene Apologie de Monsieur Janseninus, in der er das 1640 posthum erschienene Buch Augustinus von Cornelius Jansen, dem Bischof von Ypres und Begründer des Jansenismus, verteidigte. Jansens Buch war aufgrund seiner rigorosen Buß-Disziplin 1641 von Rom verboten worden. Damit zog Arnauld jedoch die Feindschaft der Jesuiten auf sich, die ihn des Calvinismus und politischer Subversion beschuldigten. Nachdem Papst Innocent X. 1653 Teile von Jansens Werk für häretisch erklärt hatte, wurde Arnauld 1656 schließlich aus der Sorbonne ausgeschlossen. Dank Pascale konnte Arnauld jedoch in Port-Royal bleiben. Dort beschäftigte er sich bis Ende der 1670er Jahre mit dem Problem der Eucharistie, aber auch mit grammatischen (Grammaire générale et raisonnée mit Lancelot), logischen (La Logique ou l’Art de penser mit Nicole) und geometrischen Fragen (Nouveaux éléments de géométrie). Als die Übergriffe auf Port-Royal durch zivile und klerikale Autoritäten allerdings wieder zunahmen, flüchtete Arnauld 1679 zusammen mit Pierre Nicole in die Niederlande. Hier widmete er sich wieder vermehrt philosophischen Fragen. 1683 erschien unter dem Titel Des vraies et des fausses idées seine Kritik an Malebranches Ideentheorie. In der Folge setzte sich Arnauld kritisch mit Malebranches Okkasionalismus auseinander (Réflexions philosophiques et théologiques sur le nouveau système de la nature et de la grâce (1685)) und führte einen regen Briefwechsel mit Leibniz, nachdem ihm dieser 1686 eine Zusammenfassung seines Discours de métaphysique zugesandt hatte. Arnauld starb am 8. August 1694 in Liège. 6.1.2 Der systematische Hintergrund: Cartesianismus Nachdem Descartes 1640 seine Meditationes de Prima Philosophia fertig gestellt hatte, ließ er sie unter seinen Freunden zirkulieren in der Hoffnung, durch deren Kommentare und Kritik Anregungen zu erhalten. Marin Mersenne lud darauf hin den jungen Arnauld ein, einen solchen Kommentar zu verfassen. Mersenne leitete ihn unmittelbar an Descartes weiter, der von der Qualität der meisten Einwände eher enttäuscht, von Arnaulds Scharfsinn aber auf Anhieb begeistert war. Aber auch umgekehrt machte Descartes’ Philosophie auf Arnauld einen so großen Eindruck, dass er sich in den meisten Punkten von Descartes überzeugen ließ. Das wird besonders in Arnaulds beiden Briefen vom Juni und Juli 1648 deutlich, in denen er zum Ausdruck brachte, er sei mit den meisten Erwide-
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rungen von Descartes auf seine Einwände zufrieden. 1680 schrieb Arnauld im niederländischen Exil sogar eine Verteidigung des Cartesianismus: Examen d’un écrit qui a pour titre: Traité de l’essence du corps & de l’union de l’âme, contre la philosophie de M. Descartes. Mit dieser Schrift reagierte er auf eine anti-cartesische Schrift von Le Moine. Arnauld teilt im Wesentlichen Descartes’ Ansicht, dass das Ziel der Philosophie darin besteht, uns zu einem sicheren Wissen zu verhelfen. Wie Arnauld in seiner Logique (IV.1) festhält, sollte die Philosophie auch zeigen, dass echtes Wissen möglich ist und pyrrhonische Zweifel unbegründet sind. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es jedoch laut Arnauld einige an der Mathematik orientierte Regeln zu beachten, die Arnauld größtenteils aus Descartes’ Discours de la méthode und seinen Regulae ad directionem ingenii übernimmt: So sollte von den einfachsten und klarsten Begriffe ausgegangen werden, die unbezweifelbar sind (Logique IV.11), und vor allem sollten dunkle und verworrene Begriffe vermieden werden (Idées, 181). Der Suche nach Wahrheit ist es ebenfalls nicht dienlich, nach Definitionen von Ausdrücken zu verlangen, die an sich hinreichend klar sind (ebd.). Das hieße nämlich nur „das Licht mit dem Dunkeln aufklären zu wollen“, wodurch man die Sache nur verunklaren würde (ebd.). Arnauld teilt mit Descartes auch die Ablehnung der aristotelischen Scholastik oder der Peripatetiker, die seiner Einschätzung nach zu ihren Erklärungen unnötige Entitäten wie substantielle Formen einführen oder Dinge durch ihre Formen statt ihre Ursachen erklären (Idées, 182). Arnauld übernimmt auch Descartes’ Wahrheitskriterium der Klarheit und Deutlichkeit. So formuliert er die Regel, dass man nur das als wahr akzeptieren darf, was klar begriffen werden kann (Idées, 200). Während Descartes die Verlässlichkeit dieses Wahrheitskriteriums allerdings mit einem Verweis auf Gottes Güte begründet, unternimmt Arnauld selbst keine Anstrengungen, dieses Kriterium zu rechtfertigen. Er beruft sich dabei vielmehr auf Descartes und polemisiert gegen jene, die an der Verlässlichkeit der Klarheit und Deutlichkeit zweifeln: Dieses Kriterium anzuzweifeln, so meint Arnauld, hieße „die ganze Evidenz menschlichen Wissens zu zerstören und einen lächerlichen Pyrrhonismus zu etablieren“ (Logique IV.6, 318). In ontologischer Hinsicht ist Arnauld ein begeisterter Verfechter des Cartesianismus: Zum einen folgt Arnauld Descartes in seiner erschöpfenden Substanz-Modus Unterscheidung, wonach alles entweder eine Substanz oder aber ein Modus einer Substanz ist. Wie Arnauld in Anlehnung an Descartes klarstellt, ist eine Substanz ontologisch unabhängig, wenn sie ohne etwas anderes existieren kann. Solche Substanzen können
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nach Arnauld auch unabhängig von der Existenz eines anderen Dinges erfasst werden. Die ontologische Unabhängigkeit von Substanzen impliziert für Arnauld also eine begriffliche Unabhängigkeit. Eine Substanz ist diesem begrifflichen Kriterium zufolge also etwas, das durch sich allein begriffen werden kann. Dies unterscheidet eine Substanz von einem Modus: „Es ist also die Natur eines wahren Modus, dass man die Substanz, von der er ein Modus ist, ohne ihn klar und deutlich begreifen kann; aber dass man den Modus im Gegensatz dazu nicht klar begreifen kann, ohne gleichzeitig seine Relation zur Substanz zu begreifen, ohne die er natürlich nicht existieren kann.“ (Logique I 2, 48). Zum anderen übernimmt Arnauld auch Descartes’ Substanz-Dualismus und lobt Descartes dafür, dass er auf dessen Grundlage wie kein anderer die Unsterblichkeit der Seele bewiesen habe (Examen, 138). Wie Descartes sieht Arnauld die beiden Substanzen durch jeweils ein Attribut – das Attribut des Denkens resp. das Attribut der Ausdehnung – ausgezeichnet. Arnauld versteht den Substanz-Dualismus allerdings in einer so radikalisierten Form, dass er in einigen Thesen sogar über Descartes hinausgeht. Das zeigt sich besonders deutlich im Zusammenhang mit dem so genannten Interaktionsproblem, d. h. bei der Frage, wie Geist und Körper miteinander interagieren. Da Körper und Geist zwei real voneinander unterschiedene Substanzen sind und Substanzen nur durch sich selbst begriffen werden können, ist für Arnauld eine kausale Interaktion zwischen den beiden Substanzen unbegreifbar. Denn wenn etwas aus der res extensa auf die res cogitans einwirken könnte, gäbe es etwas in der res cogitans, das nicht mehr in Bezug auf diese Substanz allein begriffen werden könnte (und vice versa). Dies widerspräche aber dem begrifflichen Substanz-Kriterium. Dementsprechend ist es für Arnauld auch „unmöglich, sich vorzustellen, dass es zwischen der Bewegung oder der feinen oder groben Gestalt der Materie und dem Denken eine Beziehung gibt“ (Logique I 9, 76). Wie aber ist es dann zu verstehen, dass wir mittels Wahrnehmungen ausgedehnte Dinge der Außenwelt erfassen oder aufgrund unserer Ideen in unserem Geist ganz bestimmte Handlungen ausführen können, wenn eine kausale Wechselwirkung zwischen Körper und Geist ausgeschlossen ist? Arnauld schlägt in Bezug auf die Interaktion von Körper und Geist eine okkasionalistische Lösung vor: „Man kann kaum bezweifeln, dass es Gott ist, der uns unsere Perzeptionen von Licht, Schall und anderen sinnlichen Qualitäten gibt, sowie von Schmerz, Hunger und Durst, obschon dies aufgrund der Gelegenheit in unseren Sinnesorganen oder der Beschaffenheit unseres Körpers geschieht“ (Idées, 349; vgl. auch Idées, 212, und Examen, 147 f.). Wenn wir
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also in der Wahrnehmung der Sonne eine Idee der Sonne bilden, liegt dies nicht daran, dass die Sonne mittels unserer Sinnesorgane auf unseren Geist einwirkt und damit eine spezifische Modifikation unseres Geistes verursacht, bei der es sich um eine Idee dieser Sonne handelt. Es ist vielmehr so, dass die Sonne unseren Sinnesapparat so affiziert, dass ein bestimmter körperlicher Zustand auftritt, der Gott wiederum die Gelegenheit (frz. occasion) gibt, in unserem Geist eine entsprechende Idee hervorzurufen. Es ist also nicht die Sonne selbst, die auf unseren Geist einwirkt, sondern Gott, der anlässlich eines bestimmten durch die Sonne verursachten Körperzustandes eine Idee der Sonne in uns hervorbringt. Ganz analog reizt Gott auch meine entsprechenden Nervenbahnen, wenn ich mich entscheide, eine ganz bestimmte Handlung auszuführen. Im Gegensatz zum Okkasionalisten Malebranche geht Arnauld jedoch davon aus, dass es zwischen den einzelnen Körpern durchaus echte Kausalrelationen gibt und dass nicht alle kausalen Beziehungen auf Gottes Eingreifen zurückzuführen sind (vgl. dazu auch K14 in Bd. 2). Arnaulds radikales Verständnis des Substanz-Dualismus führt ihn nicht nur dazu, eine von Descartes abweichende okkasionalistische Lösung des Interaktionsproblems zu vertreten. Dieses Verständnis wirkt sich auch auf seine Ideentheorie aus: Da Körper und Geist auch begrifflich voneinander unabhängig sind, dürfen Geister unter keinen Umständen als Körper oder Körper als Geister aufgefasst werden (Idées, 182). Dementsprechend dürfen auch mentale Phänomene wie Ideen nicht in Analogie zu oder gar im Rekurs auf körperliche Phänomene erklärt werden. Dies käme einem Kategorienfehler gleich. Diese aus dem ontologischen Dualismus erwachsende explanatorische Unabhängigkeit zwischen Körper und Geist hat natürlich entscheidende Auswirkungen auf Arnaulds Ideentheorie: Den Umstand, dass Ideen etwas repräsentieren, kann Arnauld nun nicht einfach wie Locke oder Hume damit erklären, dass Ideen ihren Objekten irgendwie ähnlich seien, noch steht es ihm frei, wie Descartes zu behaupten, dass Ideen gleichsam Bilder der Gegenstände seien. Denn das hieße mentale Phänomene zumindest in Analogie zu Dingen der res extensa zu setzen, wodurch aber dem genuin mentalen Charakter von Ideen nicht Rechnung getragen würde.
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6.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Der Begriff der Idee umfasst für Arnauld zunächst „alles, was in unserem Geist ist, wenn wir wahrheitsgemäß sagen können, dass wir eine Sache erfassen“ (Z. 84–86) Sie helfen uns damit Dinge (choses) zu vergegenwärtigen (Z. 14 f.). Ontologisch gesehen, handelt es sich deshalb bei Ideen einfach um mentale Akte oder Modifikationen des Geistes, die Arnauld „Perzeptionen“ nennt (Z. 391 f., 409 f.; 431–434). Während „Idee“ und „Perzeption“ dieselben Entitäten bezeichnen, betont der Begriff der Idee den intentionalen Charakter dieser Modifikation (also den Umstand, dass es sich um einen mentalen Zustand handelt, der auf etwas gerichtet ist). Im Gegensatz dazu betont der Begriff der Perzeption den modifikationalen Charakter dieser Entitäten (Z. 409–425). b) Welche Arten von Ideen gibt es? Arnauld argumentiert vehement gegen die Auffassung, es gebe nur sinnliche Ideen, also nur Ideen, die aus der sinnlichen Erfahrung stammen würden (Z. 24–28; 83–86). Vielmehr gibt es für ihn zumindest prima facie zwei verschiedene Arten von Ideen, nämlich sinnliche Vorstellungen wie unser ‚körperliches Bild‘ (Z. 33) der Sonne und abstrakte Begriffe (Z. 36–40) wie etwa unsere Idee eines Tausendecks (Z. 44–50). Sinnliche Ideen bilden jedoch nur in einem derivativen Sinn eine eigenständige Klasse von Ideen, da Arnauld zufolge streng genommen keine Idee direkt aus den Sinnen stammen kann (Z. 147–152; vgl. Rubrik c). Zudem verfügen wir einerseits über singuläre oder individuelle Ideen, die uns Einzelgegenstände darbieten (Z. 175–177; 183 f.), und andererseits über allgemeine, universelle oder generelle Ideen, die mehrere Gegenstände zugleich repräsentieren (Z. 178–182; 185 f.). c) Wie entstehen Ideen? Arnauld zufolge stammen unsere Ideen von Gegenständen prima facie aus zwei Quellen: einerseits aus den Sinnen, (Z. 142 f.; 219–224) andererseits aus unserem Geist (Z. 117–142). Zu letzteren gehören insbesondere die Ideen des Seins und des Denkens (Z. 121; 139 f.), die nicht durch sinnliche Erfahrung erworben werden können. Streng genommen, stammt allerdings keine Idee direkt aus den Sinnen (Z. 147–152). Da Geist und Körper zwei unterschiedlichen Arten von Substanzen angehören, können die Sinne nämlich nicht kausal auf unseren Geist einwirken. Die Zustände unserer Sinnesorgane bieten höchstens Gelegenhei-
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ten [occasions] dafür, dass sich in unserem Geist die entsprechenden Ideen ausbilden (Z. 149–152; 235). Zudem verfügt unser Geist über das Vermögen der Abstraktion (Z. 175) und der Reflexion (Z. 572–577), mittels derer wir allgemeine Ideen bilden (Z. 175–182) und auf deren Grundlage wir wissenschaftliche Erkenntnis gewinnen können (Z. 627–636). d) Was erklären Ideen? Arnauld erklärt mittels Ideen, wie es möglich ist, uns auf Gegenstände zu beziehen (Z. 410–425) oder diese zu erfassen (Z. 7–15) und Erkenntnisse von Gegenständen zu gewinnen (Z. 17 f.; 538–577). Die unterschiedlichen Erkenntnisarten lassen sich anhand verschiedener Ideen erklären: Sinnliche Ideen sind dunkel und verworren und führen uns dementsprechend nur zu ungenügender Erkenntnis der äußeren Gegenstände (Z. 219–240). Im Gegensatz dazu lassen sich mit Ideen, die wir auf der Grundlage der Reflexion bilden, allgemeingültige und wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen (Z. 565–577; 627–636). Neben diesen intentionalitäts- und erkenntnistheoretischen Phänomenen klärt Arnauld mit Hilfe seines Ideenbegriffs auch die semantische Frage, worin die Bedeutung von Wörtern besteht, und die sprachphilosophische Frage, warum Wörter überhaupt eine Bedeutung haben. Arnauld zufolge haben Wörter eine Bedeutung, weil wir Wörter aus Gewohnheit mit bestimmten Ideen verbinden (Z. 161–168), und die Bedeutung von Wörtern besteht genau in den Ideen, die konventionell mit den Wörtern verbunden sind (Z. 183–191). 6.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die im Folgenden zusammengestellten Passagen zu Arnaulds Ideentheorie sind zum einen der Logique ou l’Art de Penser, die Arnauld 1662 zusammen mit Pierre Nicole geschrieben hat, und zum andern seinen Des vraies et des fausses idées (1683) entnommen. Die Logique wurde schon zu Zeiten Arnaulds mehrmals in überarbeiteten Fassungen neu aufgelegt. Unsere Textauswahl orientiert sich an der 1683 erschienenen fünften Auflage. Dies ist die letzte Neuauflage der Logique, die noch zu Lebzeiten ihrer Autoren erschienen ist. Die fünfte Auflage ist auch die Grundlage der kritischen Ausgabe der Logique,1 deren Text unserer Übersetzung 1
Antoine Arnauld und Pierre Nicole: Logique ou l’Art de Penser, kritische Ausgabe hg. von Pierre Clair und François Girbal, Paris: Vrin 1993.
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zugrunde liegt und nach der wir die aus diesem Werk zitierten Stellen mit dem Kurztitel Logique ausweisen. Unserer Textauswahl aus Des vraies et des fausses idées liegt der Text aus der Gesamtausgabe von Arnauld zugrunde. Die Œuvres de Messire Antoine Arnauld sind in 43 Bänden von 1775–1783 in Paris und Lausanne bei d’Arnay und 1964–1967 im Nachdruck bei Culture et Civilisation in Brüssel erschienen. Des vraies et des fausses idées findet sich im Band 38 der Œuvres auf den Seiten 177–365. Zitierte Passagen aus diesem Werk weisen wir mit Bezug auf den Band 38 der Œuvres mit dem Kurztitel Idées aus. Arnauld hat – wie der 43-bändige Umfang seiner Œuvres schon zeigt – eine große Fülle an Textmaterial hinterlassen. Auch wenn er sich in den meisten seiner Texte mit theologischen Fragen auseinandersetzt, spielten dabei seine ideentheoretischen Überlegungen häufig zumindest eine indirekte Rolle. Besonders dezidiert und systematisch bringt Arnauld seine Ansichten darüber, was Ideen sind, allerdings in der Logique und in den Idées zum Ausdruck. Deshalb beschränkt sich unsere Textauswahl auf Auszüge dieser Texte. Weitere Stellen zu Arnaulds Ideentheorie findet man aber in seiner Auseinandersetzung mit einem anti-cartesischen Traktat von Etienne Le Moine (das heute leider nicht mehr existiert), die Arnauld 1680 unter dem Titel Examen d’un Ècrit qui a pour titre: ‚Traité de l’essence du Corps, & de l’union de l’Ame avec le corps, contre la Philosophie de M. Descartes‘ veröffentlicht hat. Dieser Text findet sich den Œuvres, Bd. 38, 89–176. Auf diesen Text wird verwiesen, wenn aus diesem Text mit dem Kurztitel Examen zitiert wird. Nachdem Arnauld seine Kritik an Malebranches Ideentheorie veröffentlich hatte, erwiderte Malebranche 1684 darauf mit Gegeneinwänden in seiner Schrift Réponse au Livre des vraies et des fausses Idées.2 Auf diese hat Arnauld mit dem Werk Défense de M. Arnauld, docteur de Sorbonne, contre les reproches personnels qui lui fait l’Auteur de la Réponse au Livre des Vraies & des fausses Idées reagiert. Dieses Werk findet sich ebenfalls im Bd. 38 seiner Œuvres auf den Seiten 367–671, auf die wir uns mit den im Anschluss an den Kurztitel Défense angeführten Ziffern beziehen. Aufschluss über Arnaulds frühe Ansichten über Ideen bieten die von Arnauld verfassten vierten Einwände zu Descartes’ Meditationen und seine beiden persönlichen Briefe an Descartes vom Juni und 2
Malebranches Auseinandersetzung mit Arnauld, die sich noch über weitere Werke erstreckt, findet sich im so genannten Recueil de toutes les réponses à Monsieur Arnauld versammelt, die in den Bänden VI bis IX von Malebranches Œuvres Complètes abgedruckt sind.
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Juli 1643, die sich sowohl in Descartes’ Œuvres (AT IXa, 152–197 resp. AT V, 185–191 (Brief vom 3. Juni 1643), und AT V, 212–215 (Brief vom Juli 1643)), als auch in den Œuvres de Antoine Arnauld, Bd. 38, 1–88, finden. Arnauld zitiert in den ausgewählten Textpassagen einige Male wörtlich aus Werken von Descartes und Malebranche. Die Quellennachweise dieser Zitate haben wir in eckigen Klammern in Fußnoten angegeben. Passagen, die Arnauld nur sinngemäß wiedergibt, weisen wir nicht im Fließtext aus, sondern im Stellenkommentar des zweiten Bandes in den entsprechenden Kommentaren. Die hier versammelten Texte wurden gemeinsam von Julia Borcherding und Stephan Schmid übersetzt.
6.2 Zentrale Passagen zu Arnaulds Ideentheorie 6.2.1 Auszüge aus La logique et l’art de penser / Die Logik oder Die Kunst des Denkens (1662) (zitiert als: Logique) Die Logik ist die Kunst, seine Vernunft in der Erkenntnis der Dinge gut zu leiten, sowohl, um sich selbst zu unterrichten, als auch, um andere darüber zu belehren.K1 Diese Kunst besteht in den Überlegungen, die die Menschen über die vier wesentlichen Tätigkeiten ihres Geistes, das Erfassen, das Urteilen, das Schließen und das Anordnen, angestellt haben.K2 Erfassen nennt man die einfache Sicht,K3 die wir von den Dingen haben, welche sich unserem Geist darbieten, wie wenn wir uns eine Sonne, eine Erde, einen Baum, einen Kreis, ein Quadrat, das Denken oder das Sein vergegenwärtigen, ohne uns darüber ein ausdrückliches Urteil zu bilden. Und die Form, durch die wir uns diese Dinge vergegenwärtigen, heißt Idee. Erster Teil Da wir nur durch die Vermittlung der Ideen, die in uns sind, Kenntnis von dem haben können, was außer uns ist, sind die Überlegungen, die man über unsere Ideen anstellen kann, vielleicht die wichtigsten in der Logik, denn sie bilden die Grundlage alles Übrigen.K4 […] Kapitel I – Über die Ideen hinsichtlich ihrer Natur oder ihres Ursprungs Das Wort Idee gehört zu jenen, die so klar sind, dass man sie nicht durch andere erklären kann, da es keine gibt, die klarer und einfacher sind.K5
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Alles jedoch, was getan werden kann, um zu verhindern, dass man sich täuscht, ist, den falschen Sinn herauszustellen, den man diesem Wort geben könnte, beschränkte man es einzig und allein auf die Art des Erfassens, die in der Hinwendung unseres Geistes zu den in unserem Gehirn gemalten Bildern besteht, die man Vorstellungen nennt.K6 Denn wie der heilige Augustinus oft bemerkt, ist der Mensch seit dem Sündenfall so sehr daran gewöhnt, nur die körperlichen Dinge zu betrachten, deren Bilder vermittels der Sinne in unserem Gehirn Eingang finden, dass die meisten glauben, eine Sache nicht zu erfassen, wenn sie sich diese nicht bildlich vorstellen, d. h. mit einem körperlichen Bild vergegenwärtigen können – als ob es in uns nur diese eine Art zu denken und zu erfassen gäbe.K7 Vielmehr kann man nicht darüber reflektieren, was in unserem Geist vorgeht, ohne zu erkennen, dass wir eine sehr große Anzahl von Dingen ohne jegliche Bilder erfassen, und ohne den Unterschied wahrzunehmen, der zwischen der bildlichen Vorstellung und dem reinen Begreifen besteht. Denn wenn ich mir ein Dreieck vorstelle, erfasse ich es nicht nur als eine durch drei gerade Linien begrenzte Figur. Vielmehr betrachte ich diese drei Linien als durch die Kraft und innere Hinwendung meines Geistes gegenwärtig, und dies ist es, was im eigentlichen Sinne „Vorstellen“ genannt wird.K8 Wenn ich folglich an ein Tausendeck denken will, so erfasse ich tatsächlich, dass es eine Figur ist, die sich aus tausend Seiten zusammensetzt, und zwar ebenso leicht, wie ich erfasse, dass ein Dreieck eine Figur ist, die nur aus drei Seiten besteht; jedoch kann ich mir die tausend Seiten dieser Figur weder bildlich vorstellen, noch kann ich sie gleichsam mit den Augen meines Geistes betrachten, als seien sie gegenwärtig. Trotzdem ist es wahr, dass die Gewohnheit, uns unserer Einbildungskraft zu bedienen, wenn wir an körperliche Dinge denken, uns oft dazu bringt, dass wir bei der Betrachtung eines Tausendecks uns dieses in verworrener Weise vergegenwärtigen. Es ist jedoch offensichtlich, dass diese Figur, die wir uns mittels der Einbildungskraft vergegenwärtigen, keineswegs eine Figur mit tausend Winkeln ist, da sie sich in nichts von derjenigen unterscheidet, die ich mir vergegenwärtigen würde, dächte ich an eine Figur mit zehntausend Winkeln, und da sie in keiner Weise dazu dient, die Eigenschaften zu entdecken, welche den Unterschied zwischen einem Tausendeck und irgendeinem anderen Polygon ausmachen. Ich kann mir also streng genommen kein Tausendeck vorstellen. Denn das Bild, das ich davon in meiner Einbildungskraft malen wollte,
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würde mir neben dem Tausendeck ebenso gut auch jede andere Figur mit einer großen Anzahl von Winkeln zeigen, und trotzdem kann ich dieses sehr klar und deutlich erfassen.K9 Ich kann nämlich alle seine Eigenschaften beweisen, wie zum Beispiel die, dass alle seine Winkel zusammen gleich 1996 rechten Winkeln sind und folglich ist es etwas anderes, sich eine Sache bildlich vorzustellen, als sie zu erfassen. Dies zeigt sich noch deutlicher durch die Betrachtung einiger Dinge, die wir sehr klar erfassen, obwohl sie keineswegs zur Menge derer zählen, die wir uns bildlich vorstellen können. Denn was können wir klarer erfassen als unser Denken, wenn wir denken? Und dennoch ist es unmöglich, sich einen Gedanken vorzustellen und sich ein Bild von ihm in unserem Gehirn zu malen. Auch vom Ja und vom Nein können wir keines haben: Sowohl der, der die Erde für rund hält, als auch der, der urteilt, sie sei es nicht, haben beide das gleiche Ding im Gehirn abgebildet, nämlich die Erde und die runde Gestalt; aber der eine fügt eine Bejahung hinzu, welche eine Tätigkeit seines Geistes ist, die er ohne ein körperliches Bild erfasst, und der andere fügt eine entgegengesetzte Tätigkeit hinzu, nämlich die Verneinung, von der er noch weniger ein Bild haben kann. Wenn wir daher von Ideen sprechen, bezeichnen wir mit diesem Ausdruck nicht die Bilder, die in der Phantasie gemalt sind, sondern alles, was in unserem Geist ist, wenn wir wahrheitsgemäß sagen können, dass wir eine Sache erfassen, auf welche Weise auch immer wir sie erfassen.K10 […] Die entscheidende Frage ist, ob all unsere Ideen aus unseren Sinnen stammen, und ob diese allgemeine Maxime als wahr angesehen werden kann: Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensu. [Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist.] Dies ist die Empfindung eines allseits geschätzten Philosophen, der seine Logik mit dieser Behauptung beginnt: Omnis idea ortum ducit a sensibus. Jede Idee nimmt ihren Ursprung in den Sinnen. Er gesteht zwar zu, dass nicht alle unsere Ideen so in unseren Sinnen gewesen sind, wie sie in unserem Geist sind. Allerdings behauptet er, dass sie zumindest aus jenen gebildet wurden, die durch unsere Sinne Eingang gefunden haben, entweder durch Zusammensetzung, wie wenn man sich aus den getrennten Bildern des Goldes und eines Berges einen Goldberg erschafft, oder durch Vergrößerung oder Verkleinerung, wie wenn man sich aus dem Bild eines Mannes von gewöhnlichem Wuchs einen Giganten oder einen Pygmäen formt; oder durch Anpassung und Analogie, wie wenn man sich ausgehend von der Idee eines Hauses, das man gesehen hat, die Idee
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eines Hauses bildet, das man nicht gesehen hat. Und auf diese Weise, sagt er, erfassen wir Gott, der nicht sinnlich wahrgenommen werden kann, durch das Bild eines ehrwürdigen Greises.K11 Obgleich nicht all unsere Ideen irgendeinem bestimmten Körper ähneln, den wir gesehen haben oder der unsere Sinne berührt hat, so sind sie doch diesem Gedankengang zufolge allesamt körperlich und würden uns nichts vergegenwärtigen, was nicht zumindest teilweise durch unsere Sinne Eingang gefunden hätte. Und folglich würden wir alles nur durch Bilder erfassen, die denen ähnelten, die sich in unserem Gehirn bilden, wenn wir Körper sehen oder sie uns bildlich vorstellen. Aber obgleich er diese Meinung mit vielen anderen scholastischen Philosophen teilt, scheue ich mich nicht zu sagen, dass sie sehr absurd ist und der Religion ebenso entgegensteht wie der wahren Philosophie.K12 Denn – um nur Klares zu sagen – es gibt nichts, was wir deutlicher erfassen als unser Denken selbst, noch gibt es einen Satz, der uns klarer sein könnte als dieser hier: Ich denke, also bin ich. Nun hätten wir keine Gewissheit über diesen Satz, wenn wir nicht deutlich erfassen würden, was Sein ist und was Denken ist, und man darf nicht verlangen, dass wir diese Ausdrücke erklären, denn sie gehören zu denen, die von jedem so gut verstanden werden, dass man sie nur verdunkelt, wenn man versucht, sie zu erhellen. Wenn also nicht bestritten werden kann, dass wir in uns die Ideen des Seins und des Denkens haben, so frage ich mich: Durch welchen Sinn haben sie wohl Eingang gefunden? Sind sie etwa leuchtend oder farbig, sodass sie durch den Sehsinn hätten kommen können? Oder von hohem oder tiefem Klang, sodass sie durch das Gehör hätten kommen können? Von gutem oder schlechtem Geruch, sodass sie durch den Geruchssinn hätten kommen können? Von gutem oder schlechtem Geschmack, sodass sie durch den Geschmackssinn hätten kommen können? Kalt oder heiß, hart oder weich, sodass sie durch den Tastsinn hätten kommen können? Doch wenn man sagt, sie seien aus anderen sinnlichen Bildern geformt, so möge man uns sagen, welche anderen sinnlichen Bilder dies sind, von denen behauptet wird, die Idee des Seins und des Denkens seien daraus gebildet, und auch, wie sie gebildet werden konnten, ob durch Zusammensetzung, ob durch Vergrößerung, durch Verkleinerung oder per Analogie. Wenn man darauf nichts Vernünftiges erwidern kann, so muss man eingestehen, dass die Ideen des Seins und des Denkens in keiner Weise ihren Ursprung in den Sinnen nehmen, sondern dass vielmehr unsere Seele das Vermögen hat, diese selbst zu bilden,K13 obwohl es oft vorkommt, dass sie durch irgendetwas, was die Sinne berührt, dazu angeregt wird; so, wie ein Maler durch das
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Geld, das man ihm verspricht, zum Malen eines Bildes veranlasst werden kann, ohne dass man deshalb sagen könnte, das Bild sei diesem Geld entsprungen. […] Es ist also falsch, dass alle unsere Ideen aus unseren Sinnen stammen. Vielmehr kann man sagen, dass im Gegenteil keine Idee, die in unserem Geist ist, ihren Ursprung in den Sinnen hat, es sei denn durch Gelegenheit, insofern die Bewegungen, die in unserem Gehirn stattfinden – was alles ist, was unsere Sinne tun können – der Seele Gelegenheit geben, verschiedene Ideen zu bilden, die sie ohne dies nicht bilden würde.K14 Dennoch weisen diese Ideen fast nie eine Ähnlichkeit mit dem auf, was in den Sinnen und im Gehirn stattfindet, und überdies gibt es eine sehr große Anzahl an Ideen, die, da ihnen nichts von einem körperlichen Vorstellungsbild anhaftet, nicht auf unsere Sinne bezogen werden können, ohne dass dies offensichtlich absurd wäre. Wenn man nun einwendet, dass wir zugleich mit der Idee von etwas Geistigem wie der Idee des Gedankens zumindest ein körperliches Vorstellungsbild des Lautes bilden, der diese Idee bezeichnet, dann sagt man nichts, was dem, was wir bewiesen haben, entgegen steht. Denn dieses Vorstellungsbild des Lautes „Gedanke“, das wir uns vorstellen, ist nicht das Vorstellungsbild des Gedankens selbst, sondern nur das eines Lautes, und es kann uns nur insofern dazu dienen, ihn zu erfassen, als die Seele, die daran gewöhnt ist, auch den Gedanken erfasst, wenn sie diesen Laut erfasst, und zur gleichen Zeit eine gänzlich geistige Idee des Gedankens bildet, die in keiner Beziehung zu der des Lautes steht, sondern die allein durch Gewohnheit mit ihr verbunden ist. Das zeigt sich darin, dass Taube, die überhaupt keine Vorstellungsbilder von Lauten haben, dennoch Ideen ihrer Gedanken haben – zumindest wenn sie auf das reflektieren, was sie denken. […] Kapitel VI – Über die Ideen hinsichtlich ihrer Allgemeinheit, Besonderheit und Singularität Obwohl es nur Einzeldinge gibt, verfügen wir alle mittels Abstraktionen […] dennoch über mehrere Arten von Ideen, von denen uns die einen nur ein einzelnes Ding repräsentieren, wie die Idee, die jeder von sich selbst hat, während die anderen auf die gleiche Weise mehrere Dinge repräsentieren können, wie wenn jemand ein Dreieck erfasst, ohne dabei auf etwas anderes zu achten als darauf, dass es eine Figur mit drei Linien und drei Winkeln ist, und ihm die Idee, die er gebildet hat, dazu dienen kann, alle anderen Dreiecke zu erfassen.K15
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Die Ideen, die nur ein einziges Ding repräsentieren, heißen singuläre oder individuelle Ideen und das, was sie repräsentieren, Individuen. Die Ideen, die mehrere Dinge repräsentieren, heißen universelle, allgemeine oder generelle Ideen. Die Namen, die dazu dienen, die ersteren zu bezeichnen, heißen Eigennamen: Sokrates, Rom, Bukephalos. Und die, die dazu dienen, die letzteren zu bezeichnen, heißen allgemeine oder appellative Namen, wie Mensch, Stadt, Pferd. Und sowohl die universellen Ideen als auch die allgemeinen Namen können generelle Termini genannt werden. […] Nun gibt es in diesen universellen Ideen zwei Dinge, deren Unterscheidung sehr wichtig ist, nämlich den Inhalt und den Umfang. Ich nenne Inhalt der Idee die Attribute, die die Idee einschließt, und die man von ihr nicht wegnehmen kann, ohne sie zu zerstören, so wie der Inhalt der Idee des Dreiecks Ausdehnung, Gestalt, drei Linien und die Gleichheit der drei Winkel mit zwei rechten usw. einschließt. Ich nenne Umfang der Idee die Subjekte, denen diese Idee zukommt, die man auch einem generellen Term untergeordnet nennt, der im Hinblick auf sie der Übergeordnete heißt, so wie sich die allgemeine Idee des Dreiecks auf alle verschiedenen Arten von Dreiecken erstreckt.K16 […] Kapitel IX – Über die Klarheit und Deutlichkeit der Ideen und ihre Dunkelheit und Verworrenheit Man kann in einer Idee die Klarheit von der Deutlichkeit und die Dunkelheit von der Verworrenheit unterscheiden. Denn man kann sagen, dass eine Idee klar ist, wenn sie uns lebhaft berührt, obwohl sie nicht deutlich ist. Dementsprechend kann die Idee des Schmerzes, die uns sehr lebhaft berührt, klar genannt werden, obwohl sie sehr verworren ist, insofern sie uns den Schmerz repräsentiert, als ob er in der verwundeten Hand wäre, obwohl er nur in unserem Geist ist. Trotzdem kann man sagen, dass jede Idee deutlich ist, insofern sie klar ist, und dass ihre Dunkelheit nur von ihrer Verworrenheit herrührt, wie beim Schmerz nur die Empfindung, die uns berührt, klar und auch deutlich ist; was aber verworren ist, nämlich, dass diese Empfindung in unserer Hand ist, ist uns nicht klar. […] Die verworrenen und dunklen Ideen sind jene, welche wir von sinnlichen Qualitäten wie den Farben, den Lauten, den Düften, den Geschmäcken, dem Kalten, dem Warmen, der Schwere usw. haben, wie
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auch von unseren Begierden, vom Hunger, vom Durst, vom körperlichen Schmerz usw. Und dies ist dafür verantwortlich, dass unsere Ideen verworren sind: Da wir früher Kinder als Erwachsene waren und die äußeren Dinge auf uns einwirkten, indem sie durch die Eindrücke, die sie auf unserem Körper hinterließen, verschiedene Empfindungen in unserer Seele verursachten, gab sich die Seele, die sah, dass diese Empfindungen nicht durch ihren Willen in ihr ausgelöst wurden, sondern dass sie sie nur anlässlich gewisser Körper hatte – wie sie Hitze fühlte, wenn sie sich dem Feuer näherte –, nicht mit dem Urteil zufrieden, dass es etwas außerhalb von ihr gäbe, das die Ursache ihrer Empfindungen war, worin sie sich auch nicht getäuscht hätte. Sie ging vielmehr darüber hinaus, indem sie glaubte, dass das, was in den Gegenständen ist, den Empfindungen und Ideen ganz ähnlich sei, die sie anlässlich der Gegenstände hatte. Und aus diesen Urteilen hat sie Ideen gebildet, indem sie diese Empfindungen der Hitze, der Farbe usw. in die sich außerhalb von ihr befindlichen Dinge selbst verlagerte. Und dies sind jene dunklen und verworrenen Ideen, die wir von den sinnlichen Qualitäten haben, weil die Seele ihre falschen Urteile dem hinzufügte, was die Natur sie erkennen ließ.K17
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6.2.2 Auszüge aus Des vraies et des fausses idées / Über die wahren und falschen Ideen (1683) (zitiert als: Idées) Kapitel IV Was der Verfasser der Recherche de la vérité in seinem Dritten Buch über die Natur der Ideen sagt, beruht nur auf Einbildungen, die uns aus den Vorurteilen unserer Kindheit geblieben sind.K18 Da alle Menschen zunächst Kinder waren, und sich in dieser Zeit fast nur mit ihrem Körper beschäftigten und damit, was ihre Sinne aufnahmen, lebten sie lange Zeit ohne eine andere Art des Sehens zu kennen als die körperliche, die sie ihren Augen zuordneten. Und sie konnten es nicht vermeiden, zwei Dinge über diese Art des Sehens zu bemerken.K19 Erstens, dass der Gegenstand sich vor ihren Augen befinden müsse, damit sie ihn sehen könnten, was sie Präsenz nannten. Und dies brachte sie dazu, die Präsenz des Gegenstandes als eine notwendige Voraussetzung für das Sehen zu betrachten. Zweitens sehen wir auch manchmal sichtbare Dinge in Spiegeln, oder im Wasser, oder andere Dinge, die uns etwas repräsentieren. Und daher glaubten sie irrigerweise, dass sie nicht die Körper selbst sähen, sondern deren Bilder. Dies war für
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lange Zeit die einzige Idee, die sie von dem hatten, was sie „Sehen“ nannten, sodass sie durch lange Gewöhnung dazu übergingen, mit der durch dieses Wort ausgedrückten Idee einen dieser beiden Umstände zu verbinden: die Präsenz des Gegenstandes, wenn er auf direkte Weise gesehen wird; oder, dass ein Gegenstand nur auf reflektierte Weise vermittels seines Spiegelbildes gesehen wird.K20 Es ist bekanntlich schwer, Ideen zu trennen, an deren gemeinsames Auftreten in unserem Geist wiruns gewöhnt haben, und dies ist eine der häufigsten Ursachen unserer Fehler. Mit der Zeit jedoch begriffen die Menschen, dass sie verschiedene Dinge erkannten, die sie nicht mit ihren Augen sehen konnten, entweder weil sie zu klein waren oder unsichtbar wie die Luft, oder weil sie zu weit entfernt waren, wie die Städte fremder Länder, die man niemals besucht hat. Dies brachte sie dazu, zu glauben, dass es Dinge gibt, die man mit dem Geist und nicht mit den Augen sieht. Sie hätten besser daran getan zu folgern, dass sie nichts mit den Augen sahen, sondern alles mit dem Geist, wenn auch auf verschiedene Weise. Doch es hat sie sehr viel Zeit gekostet, dorthin zu gelangen. Wie dem auch sei, da sie sich das geistige Sehen ein wenig wie das Sehen der Augen vorstellten, verfehlten sie es nicht, in der gewohnten Weise dieses Wort auf den Geist zu übertragen, zusammen mit denselben Umständen, von denen sie sich bereits bezüglich der Augen vorgestellt hatten, dass sie das Sehen begleiten würden. Der erste Umstand war die Präsenz des Gegenstandes. Denn sie zweifelten nicht daran, und es galt ihnen sowohl in Bezug auf den Geist als auch im Bezug auf die Augen als ein festes Prinzip, dass ein Gegenstand anwesend sein müsse, um gesehen zu werden. Als jedoch die Philosophen (d. h. diejenigen, die glaubten, die Natur besser zu kennen als gewöhnliche Menschen, und die sich immer von jenem Prinzip leiten ließen, ohne es jemals gründlich untersucht zu haben) sich jenes Prinzips bedienen wollten, um das geistige Sehen zu erklären, fanden sie sich bald in großen Schwierigkeiten wieder. Denn einige von ihnen hatten erkannt, dass die Seele immateriell ist, und andere, die glaubten, sie sei körperlich, betrachteten sie als eine im Körper eingeschlossene subtile Materie,K21 die nicht heraus kann, um mit äußeren Gegenständen in Kontakt zu treten, noch können die äußeren Gegenstände hinein zu ihr. Wie aber kann sie diese dann sehen, wenn doch ein Gegenstand nur gesehen werden kann, sofern er anwesend ist?K22 Um dieser Schwierigkeit zu entkommen, rekurrierten sie auf eine andere Art des Sehens, die sie in Bezug auf das körperliche Sehen immer mit diesem Wort in Verbindung
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gebracht hatten, und zwar jene, die Dinge nicht durch sich selbst zu sehen, sondern durch ihre Bilder, wie wenn man einen Körper im Spiegel sieht. Denn wie schon erwähnt glaubten sie, und beinahe alle anderen glaubten es auch, dass es nicht die Körper seien, die wir sehen, sondern nur ihre Bilder. Darin wurden sie weiter bestärkt, und dieses Vorurteil hatte solchen Einfluss auf ihr Denken, dass sie sich nicht im Geringsten veranlasst fühlten, zu bezweifeln, ob es so sei. Und da sie es als eine gewisse und unbestreitbare Wahrheit ansahen, beschäftigten sie sich fortan lediglich mit der Frage, was diese Bilder der Körper oder diese repräsentierenden Entitäten sein könnten, die der Geist benötigt, um die Körper wahrzunehmen. In jenem Vorurteil wurden sie durch etwas anderes weiter bestärkt, was dennoch mit dem in Verbindung steht, was wir soeben sagten, und sich kaum davon unterscheidet: durch unsere natürliche Neigung, die Dinge durch Beispiele und Vergleiche erkennen zu wollen. Denn wenn wir darauf acht geben, erkennen wir, dass es uns immer schwer fällt, etwas zu glauben, das eigentümlich ist und von dem uns kein Beispiel gegeben werden kann. Als die Menschen daher wahrzunehmen begannen, dass wir die Dinge mittels des Geistes sehen, wandten sie sich nicht etwa sich selbst zu und richteten ihr Augenmerk auf das, was für sie klar ersichtlich in ihrem eigenen Geist vorging, während sie etwas erkannten. Vielmehr bildeten sie sich ein, dass sie dies viel besser durch irgendeinen Vergleich verstünden. Und da seit dem Sündenfall unsere Liebe zu unserem Körper stets unser Interesse an ihm gesteigert hat, glauben wir, die körperlichen Dinge weitaus besser und einfacher erkennen zu können als die geistigen.K23 So glaubten sie, dass sie im Bereich des Körperlichen nach einem Vergleich zu suchen hätten, der ihnen auf angemessene Weise verständlich machen würde, wie wir durch den Geist all das erfassen, was wir erfassen, vor allem die materiellen Dinge. […] Denn dies fanden sie – und finden sie immer noch – am schwersten zu verstehen. Und sie hatten keine Mühe, einen solchen Vergleich zu finden. Aufgrund des weiteren Vorurteils, dass zumindest eine sehr große Ähnlichkeit zwischen den Dingen bestehen müsse, die den gleichen Namen tragen, schien er sich wie von selbst anzubieten. So hatten sie, wie bereits erwähnt, dem geistigen und dem körperlichen Sehen den gleichen Namen gegeben, und dies brachte sie dazu, sich Folgendes zu überlegen: Beim geistigen Sehen muss Ähnliches stattfinden wie beim körperlichen Sehen.K24 Bei Letzterem können wir nur das sehen, was gegenwärtig ist, d. h. was sich vor unseren Augen befindet. Und wenn wir manchmal Dinge sehen, die sich nicht vor unseren Augen befinden, dann nur durch
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Bilder, die sie uns repräsentieren. Daher muss es sich mit dem geistigen Sehen ebenso verhalten. Dies war ihnen genug, um ein bestimmtes Prinzip aus dieser Maxime zu machen: Dass wir mit unserem Geist nur Gegenstände wahrnehmen, die unserer Seele gegenwärtig sind. Sie haben dies nicht als eine objektive Präsenz aufgefasst, der zufolge etwas nur objektiv in unserem Geist sein kann, wenn unser Geist es erkennt, sodass wir das Gleiche nur auf andere Weise ausdrücken, wenn wir sagen, etwas sei objektiv in unserem Geist (und folglich ihm gegenwärtig), wie wenn wir sagen, etwas werde durch unseren Geist erkannt. Dies war nicht, wie sie das Wort Präsenz auffassten.K25 Vielmehr verstanden sie darunter eine der Wahrnehmung eines Gegenstandes vorhergehende Präsenz, die sie als notwendig ansahen, um den Gegenstand wahrnehmen zu können, wie sie es bereits bezüglich des Sehens herausgefunden zu haben glaubten. Von dort aus gingen sie schnell zu einem weiteren Prinzip über: Da alle Körper, die unsere Seele erkennt, ihr nicht durch sich selbst gegenwärtig sein können, müssen sie ihr durch Bilder gegenwärtig sein, die sie repräsentieren. Und die Philosophen sahen sich in dieser Auffassung noch mehr bestärkt als das einfache Volk, hatten sie doch den gleichen Einfall bezüglich des körperlichen Sehens. Sie stellten sich vor, dass unsere Augen selbst die Gegenstände nur durch Bilder wahrnähmen, die sie intentionale Species nannten.K26 […] Daher galt ihnen außerdem dieses weitere Prinzip als unbezweifelbar: Dass die Seele die Körper nur durch Bilder oder Species sieht, die sie repräsentieren.K27 Daraus zogen sie unterschiedliche und mitunter sehr gefährliche Schlüsse, gemäß ihrer unterschiedlichen Art zu philosophieren. Man sehe sich nur Gassendis Überlegungen an, bzw. die Gedanken, die er als Einwände gegen Descartes vorbringt: Unsere Seele erkennt die Körper nur durch Ideen, die sie repräsentieren. Diese Ideen aber könnten keine materiellen und ausgedehnten Dinge repräsentieren, wären sie nicht selbst materiell und ausgedehnt. Daher sind sie es. Damit sie jedoch der Seele dazu dienen können, Körper zu erkennen, müssen sie der Seele gegenwärtig sein, d. h. sie müssen von ihr aufgenommen werden. Ausgedehntes aber kann nur von etwas aufgenommen werden, was selbst ausgedehnt ist. Daher muss die Seele ausgedehnt und folglich körperlich sein.K28 Wie verurteilenswert diese Folgerung auch sein mag, ich sehe nicht, dass sie leicht vermieden werden kann, wenn wir jene Prinzipien akzeptieren. Dies sollte uns zu dem Urteil bewegen, dass sie nicht wahr sein können.
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Kapitel V Darüber, dass man auf geometrische Weise die Falschheit von Ideen, aufgefasst als repräsentierende Entitäten, beweisen kann. Definitionen, Axiome und Postulate, die als Prinzipien dieser Beweise dienen.K29 Ich glaube, mein Herr, unserem Freund die Falschheit dieser repräsentierenden Entitäten beweisen zu können, vorausgesetzt, dass er sich guten Glaubens dem widmet, von dem er selbst viele Male gesagt hat, dass man es beachten muss, um in der Metaphysik sowie in den anderen Naturwissenschaften die Wahrheit zu finden, das heißt: Nur das als wahr anzusehen, was klar und evident ist, und sich nicht vermeintlicher Entitäten zu bedienen, von denen wir keine klaren Ideen haben, um die Wirkungen der Natur zu erklären, seien sie körperlich oder geistig.K30 Ich werde sogar versuchen, dies mit der Methode der Geometer zu beweisen.K31 Definitionen 1. Ich nenne die Seele oder den Geist die Substanz, die denkt. 2. Denken, Erkennen und Wahrnehmen sind dasselbe.K32 3. Ich fasse ebenfalls die Idee eines Gegenstands und die Perzeption eines Gegenstands als dasselbe auf. Ich lasse beiseite, ob es noch andere Dinge gibt, denen man den Namen Idee geben könnte. Aber es ist gewiss, dass es Ideen in diesem Sinne gibt, und dass diese Ideen entweder Attribute oder Modifikationen unserer Seele sind.K33 4. Ich sage, dass ein Gegenstand unserem Geist gegenwärtig ist, wenn unser Geist ihn wahrnimmt und ihn erkennt. Ich stelle die Frage zurück, ob es eine andere Präsenz des Gegenstands gibt, die der Erkenntnis vorhergeht und notwendig wäre, damit er in einen Zustand des Erkanntwerdens gelangte. Aber die Weise, von der ich gesagt habe, dass ein Gegenstand dem Geist gegenwärtig ist, wenn er von ihm erkannt wird, ist sicherlich unbestreitbar, und es ist gewiss, dass dies uns sagen lässt, dass eine Person, die wir lieben, häufig dem Geist gegenwärtig ist, weil wir häufig an sie denken. 5. Ich sage, dass ein Ding objektiv in meinem Geist ist, wenn ich es erkenne. Wenn ich die Sonne, ein Quadrat oder einen Ton erkenne, sind die Sonne, das Quadrat und dieser Ton objektiv in meinem Geist, ob sie nun außerhalb meines Geistes sind oder nicht.K34 6. Ich habe gesagt, dass ich Perzeption und Idee für ein und dieselbe Sache halte. Dennoch muss bemerkt werden, dass diese eine Sache zwei Beziehungen hat: eine zur Seele, die sie modifiziert, eine andere zum wahrgenommenen Gegenstand, insofern er objektiv in der Seele ist, und dass der Ausdruck Perzeption mehr die erste Beziehung betont, und der
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Ausdruck Idee mehr die letztere. So betont „Perzeption eines Quadrats“ mehr meine Seele, insofern sie ein Quadrat wahrnimmt, und „Idee eines Quadrats“ mehr das Quadrat, insofern es objektiv in meinem Geist ist. Diese Bemerkung ist sehr wichtig, um viele Schwierigkeiten aufzulösen, die nur darin begründet liegen, dass man nicht genügend versteht, dass es sich nicht um zwei verschiedene Entitäten, sondern um dieselbe Modifikation unserer Seele handelt, die wesentlich diese zwei Beziehungen mit einschließt, da ich ja keine Perzeption haben kann, die nicht genauso die Perzeption meines Geistes ist, insofern er wahrnimmt, wie auch die Perzeption von etwas als etwas Wahrgenommenem, und dass auch nichts objektiv in meinem Geist sein kann (dies ist es, was ich Idee nenne), was mein Geist nicht wahrnimmt.K35 7. Was ich unter den repräsentierenden Entitäten verstehe, insofern ich sie als überflüssige Entitäten bekämpfe, sind nur jene, die man sich als real verschieden von den Ideen, aufgefasst als Perzeptionen, vorstellt. Denn ich hüte mich davor, alle Arten von repräsentierenden Entitäten oder Modalitäten zu bekämpfen, weil ich der Auffassung bin, dass jedem, der sich überlegt, was in seinem Geist vorgeht, klar ist, dass all unsere Perzeptionen wesentlich repräsentierende Modalitäten sind. 8. Wenn man sagt, dass unsere Ideen und unsere Perzeptionen (denn ich fasse diese als dasselbe auf) uns die Dinge repräsentieren, die wir erfassen, und dass sie Bilder von ihnen sind, hat das einen ganz anderen Sinn, als wenn man sagt, dass Gemälde ihre Originale repräsentieren und Bilder von ihnen sind, oder dass ausgesprochene oder geschriebene Worte Bilder unserer Gedanken sind. Denn im Hinblick auf die Ideen heißt dies, dass die Dinge, die wir erfassen, objektiv in unserem Geist und in unseren Gedanken sind. Nun ist diese Weise, objektiv im Geist zu sein, so charakteristisch für den Geist oder den Gedanken, insofern es in der Tat dies ist, was seine Natur ausmacht, dass wir in allem, was nicht Geist und Gedanke ist, vergeblich nach etwas Ähnlichem suchen würden. Und wie ich schon bemerkt habe, ist es das, was diese ganze Angelegenheit der Ideen durcheinander gebracht hat, dass man anhand von Vergleichen mit körperlichen Dingen erklären wollte, wie die Gegenstände durch die Ideen repräsentiert werden, obwohl es dort keine echte Beziehung zwischen dem Körper und dem Geist geben kann.K36 9. Wenn ich sage, dass die Idee dasselbe ist wie die Perzeption, verstehe ich unter Perzeption alles, was mein Geist erfasst, sei es durch die erste Wahrnehmung, die er von den Dingen hat, oder durch die Urteile, die er darüber fällt, oder dadurch, dass er sie denkend entdeckt.K37 Und daher habe ich, obwohl es eine Unendlichkeit an Figuren gibt, deren Natur ich
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nur durch lange Überlegungen kenne, wenn ich diese angestellt habe, doch eine ebenso richtige Idee dieser Figuren, wie ich sie vom Kreis oder Dreieck habe, die ich zuvor wahrnehmen kann. Und obwohl ich mir vielleicht auch nur durch Überlegungen völlig gewiss sein kann, dass es außerhalb von mir wirklich eine Erde, eine Sonne und Sterne gibt, verdient die Idee, die mir die Erde, die Sonne und die Sterne als Dinge repräsentiert, die wirklich außerhalb meines Geistes existieren, nicht weniger den Namen der Idee, als wenn ich sie gehabt hätte, ohne überlegen zu müssen. 10. Es gibt noch eine andere Äquivokation zu klären. Diese ist, dass man die Idee eines Gegenstandes nicht mit dem erfassten Gegenstand vermengen darf, außer man fügt hinzu: insofern er objektiv im Geist ist. Denn Erfasstwerden im Hinblick auf die Sonne ist nur eine extrinsische Benennung, die nur eine Beziehung zur Perzeption ist, die ich davon habe. Aber es ist nicht das, was man verstehen muss, wenn man sagt, dass die Idee der Sonne die Sonne selbst ist, insofern sie objektiv in meinem Geist ist. Und das, was man objektiv im Geist sein nennt, bedeutet nicht nur, der Gegenstand zu sein, der die Bestimmung meines Gedankens ist, sondern es bedeutet, auf intelligible Weise in meinem Geist zu sein, wie es die Gegenstände dort zu sein pflegen. Und die Idee der Sonne ist die Sonne, insofern sie in meinem Geist ist, nicht auf formale Weise, wie sie im Himmel ist, sondern auf objektive Weise, das heißt in der Weise, wie die Gegenstände in unseren Gedanken sind, was eine viel unvollkommenere Seinsweise ist, die nicht die ist, wodurch die Sonne real existiert, von der man aber trotzdem nicht sagen kann, dass sie ein Nicht-Sein ist und keiner Ursache bedarf.K38 11. Wenn ich sage, dass die Seele dieses oder jenes tut, und dass sie das Vermögen hat, dieses oder jenes zu tun, verstehe ich unter dem Wort „tun“ die Perzeption, die sie von den Gegenständen hat und die eine ihrer Modifikationen ist, ohne mich um die Wirkursache dieser Modifikation zu kümmern, das heißt darum, ob es Gott ist, der sie ihr gibt, oder ob sie sie ihr selbst gibt. Denn das betrifft nicht die Natur der Ideen, sondern nur ihren Ursprung, was ganz andere Fragen sind.K39 12. Ich nenne Vermögen die Fähigkeit, entweder auf etwas einzuwirken oder etwas zu erleiden, oder auf diese oder jene Weise zu sein, d. h. eine solche oder solche Modifikation zu haben, von der ich sicher weiß, dass sie einem geistigen oder einem körperlichen Ding zukommt. 13. Und wenn dieses Vermögen gewiss eine Eigenheit der Natur dieses Dinges ist, sage ich also, dass es dies vom Urheber seiner Natur erhalten hat, der nur Gott sein kann.
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Axiome K40 1. Wenn man behauptet, die Dinge durch die Wissenschaft zu wissen, darf man nur das als wahr ansehen, was man klar erkennt. 2. Nichts sollte uns an etwas zweifeln lassen, das wir mit völliger Sicherheit wissen, welche Schwierigkeiten auch immer man uns vorhält. 3. Es ist eine offensichtliche Umkehrung des Geistes, erklären zu wollen, was unter den dunklen und ungewissen Dingen klar und gewiss ist. 4. Man muss gewisse Entitäten als eingebildete zurückweisen, von denen man keine klare Idee hat, und von denen man gut sieht, dass man sie nur eingeführt hat, um Dinge zu erklären, von denen man sich eingebildet hat, dass man sie ohne diese nicht gut verstünde. 5. Und dies ist noch unbezweifelbarer, wenn man diese besser ohne die von den neuen Philosophen erfundenen Entitäten erklären kann. 6. Nichts ist uns gewisser als die Erkenntnis, die wir von dem haben, was in unserer Seele geschieht, wenn wir dort verweilen. Ich bin mir zum Beispiel sehr sicher, dass ich Körper erfasse, wenn ich glaube, Körper zu erfassen, obwohl es nicht gewiss sein kann, dass die Körper, die ich erfasse, wahrhaft existieren oder so sind, wie ich sie erfasse. 7. Es ist gewiss – entweder durch die Vernunft, indem man annimmt, dass Gott kein Täuschergott sein kann, oder zumindest durch den Glauben –, dass ich einen Körper habe, und dass die Erde, die Sonne und der Mond und viele andere Körper, die ich als außerhalb meines Geistes existierend erkenne, wahrhaftig außerhalb meines Geistes existieren.K41 8. Die Folgerung vom Akt zur Fähigkeit ist notwendig, das heißt, dass es gewiss ist, dass, wer etwas tut (wobei ich das Wort tun sehr breit gemäß der 11. Definition auffasse), die Fähigkeit hat, es zu tun, und dass man folglich sagen muss, dass er gemäß der 12. Definition dieses Vermögen hat. Postulate K42 Ich verlange, dass jeder ernsthaft überlegt, was in seinem Geist existiert, wenn er unterschiedliche Dinge erkennt, indem er alles, was er durch einen einfachen Blick bemerkt, erwägt, ohne nachzudenken oder nach weiteren Vergleichen zu suchen, die von den körperlichen Dingen stammen, und indem er nur bei dem inne hält, das so gewiss ist, dass man nicht daran zweifeln kann. Und wenn das jemand nicht selbst machen kann, verlange ich von ihm, dass er mir folgt, und dass er guten Glaubens untersucht, ob das, wovon ich sagen werde, dass es mir klar ist, ihm nicht genauso klar und gewiss sein wird.
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1. Ich bin sicher, dass ich bin, weil ich denke; und dass ich daher eine Substanz bin, die denkt. 2. Ich bin mir gewisser, dass ich bin, als dass ich einen Körper habe oder dass es andere Körper gibt. Denn ich könnte daran zweifeln, dass es Körper gibt, aber ich könnte trotz alledem nicht daran zweifeln, dass ich bin. 3. Ich erkenne das vollkommene Wesen, das Wesen selbst, das universelle Wesen; und daher kann ich nicht daran zweifeln, dass ich von ihm eine Idee habe, wenn ich die Idee eines Gegenstands gemäß der 3. Definition als die Perzeption eines Gegenstands auffasse.K43 4. Ich bin sicher, dass ich Körper erkenne, obwohl ich zweifeln könnte, ob es welche gibt, die existieren; denn es reicht mir, dass ich sie als mögliche erkenne. Und wenn ich einen Körper als existierend erkennen würde, der nicht existiert, würde ich mich darin täuschen; aber es wäre nicht weniger wahr, dass dieser Körper objektiv in meinem Geist ist, obwohl er nicht außerhalb meines Geistes existiert; und daher würde ich ihn gemäß der 4. Definition erkennen. 5. Wenn mich meine Sinne der Existenz der materiellen Dinge nicht versichern können, versichert mich die Vernunft, indem sie meinen Empfindungen hinzufügt, dass Gott kein Täuschergott sein kann. Und wenn ich nicht vollkommen durch die Vernunft versichert wäre, wäre ich es durch den Glauben (was ich sage, um der Sache die letzte Gewissheit zu verleihen, selbst dem Autor der Recherche de la verité gegenüber). Und folglich ist es mir, der ich Glauben neben der Vernunft habe, sehr gewiss, dass, wenn ich die Erde, die Sonne, die Sterne und Menschen sehe, die mit mir verkehren, diese keineswegs eingebildete Körper oder Menschen sind, die ich sehe, sondern Werke Gottes und wahrhaftige Menschen, die Gott geschaffen hat wie mich. Und es ist mir nicht wichtig, dass unter tausend solcher Gegenstände es irgendeinen geben könnte, der nur in meinem Geist ist. Es reicht mir für das, was ich behaupte, dass ich nicht zweifeln kann, dass für gewöhnlich die Körper, die ich zu sehen glaube, wahrhaftige Körper sind, die außerhalb von mir existieren, gleichviel ob diese Gewissheit aus der Vernunft oder aus dem Glauben stammt. 6. Es ist mir nicht weniger gewiss, dass ich eine Unendlichkeit an Gegenständen im Allgemeinen kenne, und nicht nur im Besonderen: Wie die gerade Zahl im Allgemeinen, was eine Unendlichkeit an Zahlen umfasst, die Quadratzahl im Allgemeinen, und so die anderen. Das ist dasselbe bei den Körpern, da ich sicherlich einen Würfel im Allgemeinen kenne, einen Zylinder, eine Pyramide, obwohl es von jeder Art eine Unendlichkeit verschiedener Größen gibt.
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7. Ich kann auch nicht daran zweifeln, dass ich die Dinge auf zwei Weisen erkenne, entweder indem ich sie direkt sehe, oder durch ein explizit reflexives Sehen, wie wenn ich über die Idee oder die Erkenntnis reflektiere, die ich von einer Sache habe, und die ich mit mehr Aufmerksamkeit untersuche, um zu erkennen, was in dieser Idee eingeschlossen ist, gemäß dem, was ich in der 3. Definition gesagt habe. Wenn ich einen kleinen Erastes hier hätte, würde ich ihn befragen, wie man es so raffiniert in den Conversations Chrétiennes gemacht hat,K44 und ich bin gewiss, dass er mir im Bezug auf all diese Dinge antworten würde, dass er sich darin vollkommen sicher sei. Wenn ich ihn stattdessen fragen würde, ob man nicht neben diesen noch andere Ideen zulassen müsse, die repräsentierende Entitäten sind usw., so bin ich mir nicht weniger gewiss, dass er mir sagen würde, dass er davon nichts wisse, und dass es überhaupt keine solchen repräsentierenden Entitäten gibt. Und was den Autor der Recherche de la verité angeht, so würde ich glauben, ihm Unrecht zu tun, wenn ich den geringsten Zweifel daran hätte, dass er nicht guten Glaubens bekennen würde, dass es unter all dem nichts gibt, was nicht sehr sicher wäre. Aber ich muss noch einige andere Ausdrücke und Redensweisen erklären, über die ich in den Definitionen nichts gesagt habe, weil es mir schien, dass man dazu mehr sagen müsste, um es gut verständlich zu machen und um den Schwierigkeiten zuvor zu kommen, die nur auf Äquivokationen beruhen, die durch das bisher Gesagte noch nicht genügend geklärt worden sind. Diese werde ich im folgenden Kapitel behandeln. Kapitel VI Erläuterung dieser Redeweisen: Wir sehen die Dinge nicht unmittelbar; ihre Ideen sind die unmittelbaren Gegenstände unseres Denkens; und in der Idee eines jeden Dinges sehen wir seine Eigenschaften.K45 Es scheint zunächst, als könnten wir die folgenden Redeweisen nicht als wahr gelten lassen, ohne gezwungen zu sein, die Philosophie der falschen Ideen zu akzeptieren: Wir sehen die Dinge nicht unmittelbar; ihre Ideen sind die unmittelbaren Gegenstände unseres Denkens; und in der Idee eines jeden Dinges sehen wir seine Eigenschaften. Denn es ist nicht leicht zu verstehen, wie diese Aussagen wahr sein können, wenn es neben den von uns erkannten Gegenständen nicht noch etwas anderes in unserem Geist gibt, das sie repräsentiert. Ich weise diese Redeweisen nicht zurück. Ich halte sie für wahr, sofern sie richtig verstanden werden. Und ich kann selbst der zuletzt erwähnten Schlussfolgerung zustimmen. Jedoch bestreite ich, dass diese uns dazu verpflichtet, andere Ideen zuzulassen als jene im vorhergehen-
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den Kapitel definierten (Definitionen 3, 6 und 7), die nichts mit von Perzeptionen verschiedenen repräsentierenden Entitäten gemein haben – die einzigen, gegen die ich mich wende, wie ich insbesondere in der siebten Definition deutlich gemacht habe.K46 Um all das richtig verstehen zu können, sind zwei oder drei Bemerkungen vonnöten. Die erste ist, dass unser Denken oder unsere Perzeption wesentlich selbst-reflexiv ist, oder, wie es sich im Lateinischen glücklicher ausdrücken lässt: est sui conscia [sie ist sich ihrer selbst bewusst]. Denn ich denke nicht, ohne zu wissen, dass ich denke. Ich erkenne kein Quadrat, ohne zu wissen, dass ich es erkenne. Ich sehe nicht die Sonne, bzw. (um die Sache jedem Zweifel zu entziehen) bilde ich mir nicht ein, die Sonne zu sehen, ohne mir sicher zu sein, dass ich mir einbilde, sie zu sehen. Ich mag mich einige Zeit später nicht mehr daran erinnern, dass ich dieses oder jenes Ding erfasst habe, aber während ich es erfasse, weiß ich, dass ich es erfasse. Was Augustinus dazu bemerkt, findet sich im zehnten Buch von De Trinitate, Kapitel 10.K47 Die zweite Bemerkung ist, dass es neben dieser Reflexion, die man virtuelle nennen kann und die sich in all unseren Perzeptionen findet, noch eine weitere, explizitere gibt, durch die wir unsere Perzeption mittels einer anderen Perzeption untersuchen, wie jeder mühelos feststellen kann. Sie findet sich besonders in den Wissenschaften, die nur durch Reflexionen entstanden sind, welche die Menschen über ihre eigenen Perzeptionen angestellt haben. So fand ein Geometer, der ein Dreieck als eine durch drei gerade Linien begrenzte Figur erfasst hatte, durch eine Untersuchung seiner Perzeption dieser Figur heraus, dass sie drei Winkel haben müsse und dass jene drei Winkel zusammen zwei rechten Winkeln entsprechen. Es findet sich nichts in diesen beiden Bemerkungen, das vernünftigerweise bestritten werden könnte. Wenn wir jedoch hinzufügen, was wir in der dritten, der sechsten und der siebten Definition sagten, dann folgt, da jede Perzeption wesentlich etwas repräsentiert und demgemäß Idee genannt wird, dass sie nur dann wesentlich selbstreflexiv sein kann, wenn ihr unmittelbarer Gegenstand diese Idee, d. h. die objektive Realität jenes Dinges ist, das mein Geist dem Gesagten zufolge wahrnimmt. Wenn ich also an die Sonne denke, so ist die meinem Geist gegenwärtige objektive Realität der Sonne der unmittelbare Gegenstand dieser Perzeption, und die mögliche oder außerhalb meines Geistes existierende Sonne sozusagen ihr mittelbarer Gegenstand.K48 Und so wird ersichtlich, dass es auch ohne Rekurs auf von Perzeptionen verschiedene repräsentierende Entitäten in diesem Sinne sehr wahr ist, dass es unsere Ideen sind, die wir unmittelbar wahrnehmen und die den unmittelbaren Gegenstand
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unseres Denkens darstellen, nicht nur im Hinblick auf materielle Dinge, sondern generell im Hinblick auf alle Dinge. Was nicht ausschließt, dass wir durch diese Ideen nicht auch einen Gegenstand sehen, der formal das enthält, was nur objektiv in der Idee ist. So kann ich beispielsweise nur das formale Sein eines Quadrates erfassen, das objektiv in der Idee oder der Perzeption ist, die ich von einem Quadrat habe. Aber damit niemand glaubt, dass ich das erfunden habe, um mich dieser Schwierigkeit zu entziehen, wird der Autor der Recherche dasselbe in den Meditationen des Herrn Descartes finden, wenn dieser es in seiner Antwort auf die zweiten Einwände unternimmt, auf geometrische Weise die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Hierfür müssen wir nur die zweite und dritte Definition dieser geometrischen Methode betrachten, die ich auf Latein und auf Französisch zitiere, da mir das Lateinische treffender erscheint:3 IDEAE nomine intelligo cujuslibet cogitationis formam illam, per cujus IMMEDIATAM perceptionem ipsius ejusdem cogitationis CONSCIUS sum: adeo ut nihil possim verbis exprimere intelligendo id quod dico, quin ex hoc ipso certus sim in me esse ideam ejus quod verbis illis significatur. Per REALITATEM OBJECTIVAM Ideae intelligo entitatem rei representatae per ideam, quatenus est in idea, eodemque modo dici potest perfectio objectiva, artificium objectivum, etc. Nam, quaecunque percipimus tanquam in idearum objectis, ea sunt in ipsis ideis objective. „Unter der Bezeichnung Idee verstehe ich die Form eines jeden unserer Gedanken, durch deren unmittelbare Perzeption wir von eben diesem Gedanken Kenntnis haben. Genauso, wie ich nichts mit Worten ausdrücken kann und zugleich verstehe, was ich sage, wenn nicht eben dadurch sichergestellt ist, dass ich in mir die Idee des Dinges habe, das durch meine Wörter bezeichnet wird.“ „Unter der objektiven Realität einer Idee verstehe ich die Entität oder das Sein des durch diese Idee repräsentierten Dinges, insofern diese Entität in der Idee ist, und auf die gleiche Weise kann von einer objektiven Perfektion bzw. einem objektiven Werk etc. gesprochen werden. Denn alles, was wir als in den Gegenständen der Ideen befindlich erfassen, all das ist objektiv oder mittels Repräsentation in den Ideen selbst.“ Diese zwei Definitionen zeigen genauso wie vieles andere in der dritten und in der fünften Meditation, dass das, was er Idee nennt und worauf er im Folgenden seine Beweise von Gott und der Seele gründet, nicht real verschieden ist von unserem Gedanken oder unserer Perzeption,
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Descartes: Erwiderung auf die zweiten Einwände, AT VII 160–161.
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sondern dass die Idee unser Gedanke selbst ist, insofern er objektiv das enthält, was formal im Gegenstand enthalten ist.K49 Und es scheint, dass es diese Idee ist, von der er sagt, sie sei der unmittelbare Gegenstand unseres Gedankens, per cuius immediatam perceptionem [durch dessen unmittelbare Perzeption] etc., da der Gedanke sich selbst erkennt, und ich an nichts denke cujus non conscius sim [dessen ich mir nicht bewusst bin]. Und daher hat er es genauso wenig wie ich nötig, auf eine von meinem Gedanken verschiedene repräsentierende Entität zu rekurrieren, um die folgenden Redeweisen zu erlauben, die, richtig verstanden, sehr wahr sind: dass es die Ideen der Dinge sind, die wir unmittelbar sehen; oder dass sie die unmittelbaren Gegenstände unseres Denkens darstellen. Er benutzt das Wort Idee so nur in diesem Satz, den er zu Recht für das Fundament aller Naturwissenschaften hält: Alles, von dem ich klar sehe, dass es in der Idee eines Dinges enthalten ist, kann wahrheitsgemäß von ihm ausgesagt werden. Wenn ich die Idee betrachte, die ich von einem Dreieck habe, und (mittels einer Reflexion über die Perzeption, die ich davon habe) herausfinde, dass die Entsprechung seiner drei Winkel zu zwei rechten Winkeln in dieser Idee oder Perzeption enthalten ist, dann kann ich wahrheitsgemäß behaupten, dass jedes Dreieck drei Winkel hat, die zwei rechten Winkeln entsprechen. Und schließlich hat er das Wort Idee immer in diesem Sinn verwendet und nicht für eine von der Perzeption verschiedene repräsentierende Entität, als er mittels eines Beweises die Existenz Gottes bewiesen hat, von dem der Verfasser der Recherche de la Verité sagt, er sei der schönste, erhabenste, standfesteste und erste, d. h., derjenige mit den wenigsten Voraussetzungen.4 Hier ist er: Alles, was offensichtlich in der Idee eines Dinges enthalten ist, kann wahrheitsgemäß von ihm ausgesagt werden. Notwendige Existenz aber ist offensichtlich in der Idee enthalten, die wir alle von dem unendlich perfekten Seienden haben. Daher kann von dem unendlich perfekten Seienden behauptet werden, dass es existiert. Es ist klar, dass in diesem Beweis das Wort Idee nur für die Perzeption des perfekten Seienden stehen kann und nicht für das perfekte Seiende selbst, insofern es aufs Engste mit unserer Seele verbunden ist und so den Platz dieser von Perzeptionen verschiedenen repräsentierenden Entität einnimmt, die wir angeblich benötigen, um die materiellen Dinge zu
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erfassen. Denn fasste man das Wort Idee im zuletzt genannten Sinne auf, so wäre der Beweis, von dem unser Freund sagt, er sei so schön, so erhaben, und so standfest, nichts weiter als jener Sophismus, den man petitio principii nennt. Denn ich könnte nicht den Schluss daher existiert das perfekte Seiende ziehen, ohne im Vordersatz vorauszusetzen, dass es durch sich selbst aufs Engste mit meiner Seele verbunden ist und also existiert.K50 Ich werde an anderer Stelle Gelegenheit haben, ausführlicher darüber zu sprechen. Alles, was ich hier daraus schließen möchte, ist, dass ich keine anderen Ideen anerkennen muss als jene, die ich definiert habe und die sich nicht von Perzeptionen unterscheiden, um diese Redeweisen als wahr gelten zu lassen: Wir sehen die Dinge nicht unmittelbar, und ihre Ideen sind die unmittelbaren Gegenstände unseres Denkens. Man sieht auch, wie man es verstehen sollte, wenn man sagt, dass man in der Idee jedes Dinges seine Eigenschaften sieht. Sicherlich ist dafür nichts weniger von Nutzen als jene von den Perzeptionen verschiedene repräsentierende Entität, die unser Geist angeblich braucht, um Zahlen und Umfang erfassen zu können.K51 […] Dies aber ist es, was man im eigentlichen Sinne die Eigenschaften der Dinge in ihren Ideen sehen nennen sollte: In der Idee des Ausgedehnten zu sehen, dass es teilbar und beweglich ist; in der Idee des Geistes zu sehen, dass dieser eine Substanz sein muss, die real verschieden ist von der Substanz des Ausgedehnten; in der Idee Gottes (d. h. in der Idee des perfekten Seienden) zu sehen, dass er notwendig existiert; in der Idee eines Dreiecks zu sehen, dass die drei Winkel notwendig zwei rechten Winkeln entsprechen. Man muss dafür lediglich begreifen, dass unser Geist die Fähigkeit besitzt, über seine Gedanken zu reflektieren und einen Gegenstand eingehender zu betrachten, hat er einmal eine Perzeption davon. Hieran kann nicht gezweifelt werden und es hängen alle Wissenschaften davon ab, insbesondere die abstrakten wie Metaphysik, Geometrie und Algebra. Denn dort tut man nichts anderes, als klar und deutlich die einfachsten Gegenstände zu erfassen, wozu die Definitionen dienen. Dazu gesellt man die am leichtesten erkennbaren Beziehungen zwischen den einfachen Gegenständen, dies leisten die Axiome. Von dort aus gelangt man durch einfache Reflexionen über diese ersten Erkenntnisse (und nicht über imaginäre repräsentierende Entitäten) zu jener bewundernswerten Kette von Schlussfolgerungen, die durch ihre Evidenz alle vernünftigen Geister zwingt, sich darauf zu einigen, dank dieses einzigartigen Prinzips: Dass all das, was in der wahren Idee eines Dinges enthalten ist (d. h. in der klaren Perzeption, die wir davon haben), wahrheitsgemäß von ihm behauptet werden kann.
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7.1 Einleitung 7.1.1 Kurzbiographie John Locke ist uns zwar vor allem als Verfasser des erkenntnistheoretischen Essay Concerning Human Understanding (= Essay) und einschlägiger politischer Traktate bekannt, doch hat er auch zu vielen anderen Gebieten wie etwa der Erziehung, Religionsphilosophie, Nationalökonomie und der Medizin gearbeitet. Sein bewegter Lebensweg führte ihn von einer Oxforder Dozentur in die Politikberatung und die experimentelle Philosophie, mit den politischen Querelen zwischenzeitlich ins niederländische Exil und schließlich wieder in die Politik und die Auseinandersetzung mit zahlreichen Gelehrten. Er wurde am 29. August 1632 im puritanisch geprägten Wrington (Somerset) als erster der drei Söhne von Agnes und John Locke senior geboren und starb am 28. Oktober 1704 in Oates (Essex). Bis zu seiner Aufnahme in die renommierte Londoner Westminster-Schule im Jahre 1646 wuchs er im 10 Kilometer südöstlich von der Hafenstadt Bristol gelegenen Pensford auf. 1652 wurde er zum Studium am Oxforder Christ Church College zugelassen und nahm nach seinem Magisterabschluss im Jahre 1658 dort seine Lehrtätigkeit auf. Als Dozent unterrichtete er Griechisch, Rhetorik, scholastische Logik und Metaphysik sowie Moralphilosophie. Daneben begann er, sich – in Kooperation mit dem empirisch arbeiteten Chemiker und Philosophen Robert Boyle und später mit dem Arzt Thomas Sydenham – mit Naturphilosophie und insbesondere mit der Medizin zu beschäftigen. Nach seinem ersten Auslandsaufenthalt als Sekretär in Kleve ging er 1667 als politischer Berater und Arzt Lord Ashleys nach London, wo er 1668 in die Royal Society „zur Förderung der Naturkenntnis“ aufgenommen wurde. Zahlreiche Auslandsaufenthalte und Reisen führten ihn nach Montpellier und Paris, wo er vielen Philosophen und Naturwissenschaftlern begegnete, ab 1683 ins Exil in die Niederlande und nach der „Glor-
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reichen Revolution“ 1688 wieder nach England, wo er sich neben seinem philosophischen Schrifttum auch wieder politischen Ämtern widmete, von denen er sich erst im Jahre 1700 aus gesundheitlichen Gründen zurückzog, um seine letzten Jahre im Familienkreis Damaris Mashams zu verbringen. Von seinen zahlreichen Schriften seien im Folgenden nur einige genannt: Die ersten Entwürfe zu seinem philosophischen Hauptwerk, dem 1689 erstmals erschienen Essay, schrieb Locke bereits im Jahre 1671 nieder. Zuvor hatte er vor allem Abhandlungen zur religiösen Toleranz sowie die moralphilosophischen Questions concerning the Law of Nature verfasst, die jedoch erst posthum herausgegeben wurden. Zu Beginn der 80er Jahre arbeitete Locke vorwiegend an den 1689 anonym veröffentlichten Two Treatises of Government, deren gesellschaftstheoretische Positionen die staatsphilosophischen Debatten nachhaltig prägten. 1693 erschienen Some Thoughts Concerning Education, 1695 The Reasonableness of Christianity. Zwei Jahre nach Lockes Tod wurde neben der 5. Auflage des Essay unter anderem auch der polemische Traktat An Examination of P. Malebranche’s Opinion of Seeing All Things in God herausgegeben. Noch immer harren zahlreiche Texte – insbesondere aus den umfangreichen Journals – einer kritischen Edition.1 7.1.2 Der systematische Hintergrund: zwei Perspektiven Locke verfolgt im Essay vor allem die epistemologische Aufgabe, den Ursprung, die Gewissheit und die Reichweite menschlichen Wissens zu untersuchen (I, i, § 2).2 Diese Problemstellung ist unmittelbar mit der Ideentheorie verknüpft, da sich nach Locke all unser Wissen ausschließlich auf unsere Ideen bezieht (IV, i, § 1). Es gibt demnach neben den Ideen nicht noch irgend welche anderen Gegenstände, die wir erfassen; vielmehr ist uns alles, was wir überhaupt wahrnehmen, meinen oder wissen, nur in Form von Ideen gegeben. Diese Annahme gewinnt an Schärfe, wenn wir zwei kritische Thesen berücksichtigen, die Locke gegen konkurrierende Positionen verteidigt. Erstens vertritt Locke einen Anti-Innatismus, gemäß dem die Ideen nicht angeboren, sondern durch äußere und innere Erfahrung erworben sind. Zweitens vertritt er in Be1 2
Zu Lockes Leben und Werk siehe Thiel 22000 sowie Woolhouse 2007. Bezüge auf den Essay geben Buch, Kapitel und Paragraphen an: hier also Buch I, Kapitel i, Paragraph 2.
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zug auf Substanzideen einen Essenzagnostizismus, gemäß dem wir mit den Ideen nicht die realen Essenzen der Gegenstände erfassen; vielmehr werden die Ideen kraft unserer Verstandesoperationen zusammengesetzt und bilden lediglich so genannte nominale Essenzen. Wenn wir z.B. einen Baum erfassen, so ist uns die Idee des Baumes nicht etwa angeboren. Ebenso wenig erfassen wir damit das, was einen Baum ‚an sich‘ ausmacht, sondern eine komplexe Idee, die der Geist durch unmerkliche Operationen aus in der Erfahrung erworbenen Ideen zusammengesetzt und mit einem Namen verbunden hat. Will man diese beiden Thesen ideentheoretisch einordnen, so kann man sagen, dass der Anti-Nativismus den Ursprung der Ideen betrifft, der Essenzagnostizismus hingegen den epistemischen Inhalt der Ideen. Da Locke mit diesen Thesen epistemologische Erklärungsansätze bezüglich dieser Punkte scharf attackiert, ist es nicht erstaunlich, dass er in seinem eigenen ideentheoretischen Ansatz besonders jene Fragen nach dem Ursprung und dem Inhalt der Ideen adressiert. Daher ist es zum Verständnis seines methodischen Vorgehens wichtig zu beachten, dass er die Ideen aus zwei unterschiedlichen Perspektiven untersucht: Zum einen betrachtet er sie im Hinblick auf ihren Ursprung aus Sinnesempfindung und Reflexion als Material unseres Wissens; zum anderen betrachtet er sie als Bestandteile unserer Denkepisoden. Aus der ersteren Perspektive wird im Zusammenhang mit der naturphilosophischen Qualitätenlehre erklärt, wie Ideen entstehen und welche mentalen Verarbeitungsprozesse sie durchlaufen (siehe vor allem die Textabschnitte aus Buch I bis Buch II, Kap. IX). Aus der letzteren Perspektive wird untersucht, wie sich die Ideen in unseren Gedanken zueinander verhalten und welche strukturellen Eigenarten sie haben (siehe vor allem die Textabschnitte ab Buch II, Kap. XII). In der Konfrontation beider Perspektiven wird ermittelbar, welchen epistemologischen Status unsere Ideen haben, denn einerseits ist zu sehen, auf was wir die Ideen innerhalb unserer Denkepisoden beziehen, andererseits ist zu prüfen, inwieweit solche Bezüge mit Blick auf den Ursprung der Ideen gerechtfertigt erscheinen (vgl. bes. IV, iv, § 1–7 u. 11–14). 7.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Ideen sind die Gegenstände (objects) des wahrnehmenden bzw. denkenden Verstandes und können durch Wörter ausgedrückt werden (I, i, § 8; II, i, § 1; II, viii, § 8). Während nun die Wörter Zeichen der Ideen sind,
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sind die Ideen Zeichen (signs, marks) von Dingen; und während die zu Sätzen verbundenen Wörter Gedanken (thoughts) ausdrücken, stellen die aus den Ideen zusammengesetzten Gedanken mentale Sätze (mental propositions) dar. Wie allerdings das Verhältnis von sprachlichen und mentalen Einheiten genau beschaffen ist, ist nach Locke ein diskussionswürdiges Problem (IV, v, § 2–3; IV, xxi, § 4). Insofern all unser Wissen (knowledge) in Sätzen besteht (II, xxxiii, § 19), sind die Ideen die Materialien unseres Wissens (II, i, § 2 u. 25). b) Welche Arten von Ideen gibt es? Die für Locke zentrale Unterscheidung ist die zwischen einfachen und komplexen Ideen. Die einfachen Ideen werden passiv empfangen und können vom Verstand selbst weder hergestellt noch zerstört werden (II, ii, § 1–2). Demgegenüber sind die komplexen Ideen durch Operationen des Verstandes aus den einfachen Ideen zusammengesetzt (II, xii, § 1) und lassen sich in drei Hauptgruppen einteilen, und zwar in SubstanzIdeen, Modus-Ideen und Relationsideen (II, xii, § 3). Substanz-Ideen enthalten die Unterstellung, dass sie selbstständig existierende Dinge wie Pferde oder Bäume repräsentieren (II, xii, § 6), Modus-Ideen wie die Idee der Meile (einfacher Modus) oder der Dankbarkeit (gemischter Modus) enthalten diese Unterstellung nicht. Relationsideen wie etwa die Idee von Vater oder von Gleichheit bestehen durch den Vergleich oder Bezug zweier Ideen aufeinander (II, xii, § 7). Im Ausgang von der metaphysischen These, dass alles Existierende partikulär ist, sind Ideen hinsichtlich ihres Ursprungs in der Erfahrung partikulär, hinsichtlich ihres Gebrauchs als Zeichen sowie hinsichtlich ihrer Rolle als Signifikate sprachlicher Ausdrücke aufgrund von Abstraktion hingegen generell (II, xi, § 9). In Abhängigkeit davon, wie der Verstand die Ideen als Zeichen gebraucht, lassen sich Ideen in verschiedenen epistemischen bzw. semantischen Hinsichten unterscheiden: so können klare und distinkte von konfusen, reale von phantastischen, adäquate von inadäquaten und wahre von falschen Ideen unterschieden werden (II, xxxii, § 1 ff.; siehe auch II, xxix-xxxi). c) Wie entstehen Ideen? Sofern die Ideen als Material hinsichtlich ihres Ursprungs betrachtet werden, lassen sie sich nach Locke auf zwei Quellen in der Erfahrung zurückführen: Sinnesempfindung und Reflexion (II, i, 2). Gemäß den von Gott erlassenen Naturgesetzen werden die einfachen Ideen der Sinnesempfindung von den primären und sekundären Qualitäten materieller
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Gegenstände, die unsere Sinne affizieren, in unserem Geist hervorgerufen; in diesem Sinne können diese Ideen als Anzeichen ihrer Ursachen, nämlich der Qualitäten, gesehen werden (II, i, 3; II, viii, § 7–15 II, xxxii, § 14). Sofern der Geist solche Ideen hat und in mentalen Operationen (z. B. Zusammensetzung, Vergleich, Abstraktion) verarbeitet, kann er die Aufmerksamkeit auch auf die Operationen selbst richten und daraus Ideen der Reflexion schöpfen (II, i, § 4 u. 8). Alle noch so komplexen Ideen lassen sich auf diese Quellen zurückführen (II, i, § 5). Die genannten komplexen Ideen von Substanzen, Modi und Relationen gehen daraus hervor, dass der Verstand das aus Sinnesempfindung und Reflexion geschöpfte Material durch verschiedene Operationen verarbeitet (II, ix, § 1–2 u. 8–10; II, xi, § 1 u. 8–9; II, xii, § 1–2). d) Was erklären Ideen? Der Begriff der Idee ist für Lockes Epistemologie grundlegend. Die Lehre von den Zeichen, die neben den Wörtern vor allem die Ideen zum Gegenstand hat, bildet zusammen mit der Naturphilosophie und der Ethik den Kernbestand der Wissenschaft (IV, xxi, § 4). Die sich daraus ergebenden explanatorischen Gebiete der Ideentheorie lassen sich auf drei wesentliche Punkte zuspitzen: Wie wir gesehen haben, bietet sie im Zusammenhang mit der Qualitätenlehre und der Erläuterung der mentalen Operationen erstens eine Erklärung der Kognitions- und Denkprozesse. Zweitens wird im Rekurs auf die Ideen die Semantik sprachlicher Ausdrücke erklärt (II, i, § 1; vgl. III, ii). Drittens werden durch den Begriff der Idee der Ursprung, die Gewissheit und die Grenzen menschlichen Wissens begründet. Nach Locke bezieht sich nämlich all unser Wissen auf unsere Ideen und muss in Bezug auf diese evaluiert werden (IV, i, § 1–7; IV, iv, § 5–7, § 11–14). 7.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die Textgrundlage der nachfolgenden Übersetzung bildet der erste Band der kritischen Werkausgabe (The Clarendon Edition of the Works of John Locke): John Locke, An Essay Concerning Human Understanding, hrsg. v. Peter H. Nidditch, Oxford: Clarendon Press 1975. Dieser ist seit 1979 auch als Paperback greifbar. Die letzte deutsche Übersetzung des Essay von Carl Winckler stammt aus den Jahren 1911–13, deren 4. durchgesehene und um eine Bibliographie ergänzte Auflage 1981 erschien. Sie folgt der inzwischen veralteten Edition von Alexander C. Fraser (Oxford
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1894).3 Daher wurden die ausgewählten Passagen für diesen Band neu übersetzt. Abgesehen von den in eckigen Klammern hinzugefügten Zwischenüberschriften und Wörtern sowie der gelegentlichen Angabe englischer Termini in runden Klammern folgt die Übersetzung dem Text der kritischen Edition. Dies gilt auch für den Gebrauch von Kursivschrift und sonstige Hervorhebungen. Die in frühneuzeitlichen Texten üblichen und zum Teil exzessiven Kursivierungen mögen die moderne Leserschaft eventuell irritieren, doch sollte auf Modernisierungen der Textgestalt, die ja auch den Entscheidungen des Autors folgt, grundsätzlich verzichtet werden. Zur leichteren Orientierung wurde die Angabe des jeweiligen Buchs vor jedem neuen Kapitel wiederholt. Die seit der 2. Auflage des Essay mitgelieferten marginalen Inhaltsangaben, wurden – anders als in der kritischen Ausgabe – nicht am Seitenende, sondern jeweils nach der Paragraphennummer eingefügt und vom Haupttext durch einen Gedankenstrich (–) abgesetzt. Für zahlreiche Korrekturvorschläge zur Übersetzung möchte ich Simone Ungerer herzlich danken.
7.2 Zentrale Passagen zu John Lockes Ideentheorie Auszüge aus An Essay Concerning Human Unterstanding / Versuch über den menschlichen Verstand (1689) (zitiert als: Essay)
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[Begriff und Ursprung der Ideen] Buch I, Kapitel I: Einleitung […] § 8. Für was Idee steht. – […] Da es sich um denjenigen Terminus handelt, welcher meines Erachtens am besten dazu dient, für das zu stehen, was auch immer der Gegenstand des Verstandes ist, wenn ein Mensch denkt, habe ich ihn gebraucht, um das auszudrücken, was immer mit Vorstellung (Phantasm), Begriff (Notion), Erkenntnisbild (Species) gemeint ist, oder was auch immer es ist, womit der Geist im Denken beschäftigt sein kann; mithin konnte ich es nicht vermeiden, ihn häufig zu gebrauchen.K1 […]
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John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, übers. v. Carl Winckler, 2 Bde., Hamburg: Meiner 41981. Siehe dort bes. die Anmerkung Reinhard Brandts in Bd. 2, 441.
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7.2.2 Buch II, Kapitel I: Über Ideen im Allgemeinen und ihren Ursprung § 1. Die Idee ist der Gegenstand des Denkens. – Da sich jeder Mensch bewusst ist, dass er denkt, und da das, womit sein Geist während des Denkens beschäftigt ist, die dort vorhandenen Ideen sind, verhält es sich ohne Zweifel so, dass Menschen mehrere Ideen in ihrem Geist haben, wie sie beispielsweise durch Wörter wie Weiße, Härte, Süße, Denken, Bewegung, Mensch, Elefant, Armee, Trunkenheit und andere ausgedrückt werden. Daher ist an erster Stelle zu untersuchen, wie er zu ihnen kommt. […] § 2. Alle Ideen stammen aus der Sinnesempfindung (sensation) oder der Reflexion (reflection). – Wir wollen also unterstellen, dass der Geist, wie wir sagen, ein weißes Papier ohne jede Buchstaben, ohne irgendwelche Ideen sei:K2 Wie wird er ausgestattet? Wie kommt er zu diesem unermesslichen Vorrat, den die geschäftige und grenzenlose Phantasie des Menschen in einer nahezu endlosen Vielfalt auf ihm gemalt hat? Woher hat er all die Materialien der Vernunft und des Wissens? Darauf antworte ich mit einem Wort: aus der Erfahrung. In ihr ist all unser Wissen begründet und von ihr leitet es sich letztlich her. Unsere Beobachtung (observation), die sich entweder mit äußeren sinnlichen Gegenständen oder mit den inneren Tätigkeiten unseres Geistes, wie sie durch uns selbst wahrgenommen und reflektiert werden, beschäftigt, ist dasjenige, was unseren Verstand mit allen Materialien des Denkens versorgt. Dies sind die beiden Quellen des Wissens, aus denen alle Ideen, die wir haben oder auf natürliche Weise haben können, entspringen. § 3. Die Gegenstände der Sinnesempfindung [sind] eine Quelle der Ideen. – Erstens: Unsere Sinne übermitteln dem Geist im Umgang mit bestimmten (particular) sinnlichen Gegenständen verschiedene distinkte Wahrnehmungen (perceptions) von Dingen, entsprechend den verschiedenen Arten, auf die die Gegenstände sie affizieren: Auf diese Weise kommen wir also zu jenen Ideen, die wir von gelb, weiß, heiß, kalt, weich, hart, bitter, süß und all dem haben, was wir sinnliche Qualitäten nennen. Wenn ich von jenen sage, dass die Sinne sie dem Geist übermitteln, so meine ich, dass sie von den äußeren Gegenständen dasjenige in den Geist übermitteln, was dort die Wahrnehmungen (perceptions) erzeugt. Diese bedeutsame Quelle der meisten unserer Ideen, die ganz und gar von unseren Sinnen abhängen und durch sie wiederum zum Verstand geleitet werden, nenne ich SINNESEMPFINDUNG (sensation). § 4. Die Tätigkeiten unseres Geistes, die andere Quelle. – Die andere Quelle, aus der die Erfahrung den Verstand mit Ideen ausstattet, ist die Wahrnehmung der Tätigkeiten (operations) unseres eigenen Geistes in uns, wenn er mit den Ideen, die er hat, beschäftigt ist. Wenn die Seele über diese Tätigkei-
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ten reflektiert und sie betrachtet, statten diese den Verstand mit einer anderen Gruppe von Ideen aus, welche nicht von äußeren Dingen herrühren können: dabei handelt es sich etwa um Wahrnehmung, Denken, Zweifeln, Glauben, Schließen, Wissen, Wollen und all die verschiedenen Handlungen (actings) unseres eigenen Geistes. Wenn wir uns ihrer bewusst sind und sie in uns beobachten, nehmen wir von ihnen ebenso distinkte Ideen in unseren Verstand auf wie von Körpern, die unsere Sinne affizieren. Diese Ideenquelle hat jeder Mensch ganz und gar in sich selbst; und obwohl es sich insofern nicht um einen Sinn handelt, als sie nichts mit äußeren Gegenständen zu tun hat, ist sie einem solchen doch sehr ähnlich und mag getrost innerer Sinn genannt werden. Doch weil ich die andere Sinnesempfindung nenne, nenne ich diese REFLEXION (reflection),K3 da die Ideen, die sie liefert, nur derart sind, wie der Geist sie durch die Reflexion auf die eigenen Tätigkeiten innerhalb seiner selbst erlangt. Im folgenden Teil dieser Abhandlung möge man mich so verstehen, dass ich mit REFLEXION diejenige Kenntnis meine, welche der Geist von seinen eigenen Tätigkeiten und deren Eigenarten nimmt, aufgrund deren in unserem Verstand Ideen dieser Tätigkeiten entstehen. Diese zwei, behaupte ich – nämlich äußere materielle Dinge als Gegenstände der SINNESEMPFINDUNG und die inneren Tätigkeiten unseres eigenen Geistes als die Gegenstände der REFLEXION –, sind meines Erachtens die einzigen Ursprünge, von denen her all unsere Ideen ihren Anfang nehmen. Den Terminus Tätigkeiten gebrauche ich hier in einem weiten Sinne, der nicht bloß die Handlungen des Geistes bezüglich seiner Ideen umfasst, sondern auch bestimmte Arten von Emotionen (passions), die manchmal aus ihnen hervorgehen, so wie etwa Befriedigung oder Unwohlsein durch irgendeinen Gedanken hervorgerufen werden können. § 5. Der Verstand, so scheint mir, hat nicht den geringsten Schimmer irgendeiner Idee, welche er nicht von einer dieser beiden [Quellen] empfängt. Äußere Gegenstände statten den Geist mit den Ideen sinnlicher Qualitäten aus, die all jene verschiedenen Wahrnehmungen sind, die sie in uns erzeugen. Und der Geist stattet den Verstand mit Ideen seiner eigenen Tätigkeiten aus. Wenn wir uns einen vollständigen Überblick über sie sowie über ihre Modi, Verbindungen und Relationen verschafft haben, werden wir feststellen, dass sie den gesamten Vorrat unserer Ideen umfassen und dass wir nichts in unserem Geist haben, das nicht auf einem dieser beiden Wege herein gelangt ist. Es möge jeder seine eigenen Gedanken prüfen und in seinem Geist gründlich suchen – und dann möge er mir sagen, ob all die ursprünglichen Ideen, die er dort hat, irgendwelche anderen sind als die der Gegenstände seiner Sinne oder der Tätigkeiten seines Geistes,
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betrachtet als Gegenstände seiner Reflexion; und wie groß auch immer er sich die dort abgelagerte Wissensmenge vorstellt, er wird bei strenger Betrachtung sehen, dass er keine einzige Idee in seinem Geist hat, die nicht auf einem dieser beiden [Wege] eingeprägt (imprinted) worden ist, wenngleich vielleicht durch den Verstand auf grenzenlos vielfältige Weise verbunden und vergrößert, wie wir hernach sehen werden. […] § 7. Menschen sind gemäß den verschiedenen Gegenständen, mit denen sie vertraut sind, verschiedentlich mit ihnen ausgestattet. – Menschen werden also von außen mit weniger oder mehreren einfachen Ideen ausgestattet, je nachdem, ob die Gegenstände, mit denen sie umgehen, größere oder geringere Vielfalt aufweisen; so auch von den inneren Tätigkeiten ihres Geistes, je nachdem, ob sie mehr oder weniger über sie reflektieren. Denn obwohl jemand, der die Tätigkeiten seines Geistes betrachtet, zwangsläufig offenkundige und klare Ideen von ihnen hat, wird er – wenn er seine Gedanken nicht darauf richtet und sie aufmerksam betrachtet – in keinem höheren Maße klare und deutliche Ideen von all den Tätigkeiten seines Geistes und all dem darin Beobachtbaren haben, als derjenige partikuläre Ideen von irgendeiner Landschaft oder von den Teilen und Bewegungen einer Uhr haben wird, welcher nicht seine Augen darauf lenkt und mit Aufmerksamkeit all ihren Teilen Beachtung schenkt. Mag das Bild oder die Uhr auch so plaziert sein, dass sie täglich in sein Gesichtsfeld gelangen, er wird dennoch so lange eine bloß konfuse Idee aller Teile, aus denen sie bestehen, haben, bis er sich mit Aufmerksamkeit (attention) darauf richtet, jedes gesondert zu betrachten. § 8. Ideen der Reflexion [sind] später, da sie der Aufmerksamkeit bedürfen. – Und daraus erkennen wir den Grund dafür, warum es ziemlich lange dauert, bis die meisten Kinder Ideen der Tätigkeiten ihres eigenen Geistes erlangen; und manche haben ihr ganzes Leben lang keine besonders klaren oder vollkommenen Ideen von den meisten [Tätigkeiten ihres Geistes]. Denn obwohl sie kontinuierlich, aber doch flüchtigen Visionen gleich vorüberziehen, erzeugen sie nicht genügend Eindrücke, die tief genug wären, um im Geist klare, deutliche und bleibende Ideen zu hinterlassen, solange sich der Verstand nicht eigens nach innen auf sich selbst richtet, seine eigenen Tätigkeiten reflektiert und sie zum Gegenstand seiner eigenen Betrachtung macht. Wenn Kinder zur Welt kommen, sind sie zunächst von lauter neuen Dingen umgeben, welche durch konstantes Bedrängen der Sinne ständig den Geist auf sich ziehen, begierig, von Neuem Kenntnis zu nehmen, und geneigt, sich an der Vielfalt wechselnder Gegenstände zu erfreuen. Mithin werden die ersten Jahre für gewöhnlich damit verbracht, zerstreut Ausschau zu halten. Die Bestim-
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mung der Menschen in dieser Phase liegt darin, sich mit dem vertraut zu machen, was in ihrer Umwelt zu finden ist; und da sie mit einer konstanten Aufmerksamkeit auf äußere Sinnesempfindungen heranwachsen, vollziehen sie selten nennenswerte Reflexionen über das, was in ihnen geschieht, bis sie ein reiferes Alter erlangen; wobei manche überhaupt kaum jemals [reflektieren]. § 9. Die Seele beginnt, Ideen zu haben, wenn sie wahrzunehmen beginnt. – Zu fragen, zu welcher Zeit ein Mensch erstmals irgendwelche Ideen hat, heißt zu fragen, wann er wahrzunehmen beginnt. […] § 23. Wenn man also fragen wird, wann ein Mensch irgendwelche Ideen zu haben beginnt, dann lautet die wahre Antwort meines Erachtens: wenn er erstmals irgendeine Wahrnehmung hat. Denn da es im Geist keine Ideen zu geben scheint, bevor die Sinne nicht irgendwelche übermittelt haben, denke ich, dass die Ideen im Verstand gleichzeitig mit der Sinnesempfindung bestehen, welche ein Eindruck oder eine Bewegung ist, die auf irgendeinen Teil des Körpers einwirkt, und zwar derart, dass sie im Verstand eine Wahrnehmung erzeugt. Es sind eben diese Eindrücke, die von äußeren Gegenständen auf unsere Sinne einwirken, mit denen der Geist sich anfangs im Rahmen solcher Tätigkeiten, die wir Wahrnehmung, Erinnerung, Betrachtung, Schließen usw. nennen, zu beschäftigen scheint. § 24. Der Ursprung all unseres Wissens – Mit der Zeit beginnt der Geist, seine eigenen Tätigkeiten, die sich auf die Ideen aus der Sinnesempfindung beziehen, zu reflektieren, und speichert dadurch eine neue Gruppe von Ideen, die ich die Ideen der Reflexion nenne. Wie ich schon gesagt habe, handelt es sich bei dem Ursprung all unseres Wissens [einerseits] um die Eindrücke, die durch äußere Gegenstände, welche für den Geist extrinsisch sind, auf unsere Sinne einwirken, und [anderseits um] die eigenen Tätigkeiten [des Geistes], die aus intrinsischen und ihm eigentümlichen Kräften hervorgehen und die – wenn sie eigens von ihm reflektiert werden – ebenfalls zum Gegenstand seiner Betrachtung werden. Mithin liegt die erste Fähigkeit (capacity) des menschlichen Intellekts darin, dass der Geist darauf abgestimmt ist (fitted), die Eindrücke zu empfangen, die auf ihn wirken; und zwar entweder von äußeren Gegenständen durch die Sinne oder durch seine eigenen Tätigkeiten, sofern er diese reflektiert. Dies ist der erste Schritt, den der Mensch zur Entdeckung irgendeines Dinges geht, und die Grundlage, all jene Begriffe (notions) aufzubauen, über welche er jemals auf natürliche Weise in dieser Welt verfügen wird. […] § 25. Bei der Aufnahme einfacher Ideen ist der Verstand weitgehend passiv. – Hier verhält sich der Geist rein passiv. Und es steht nicht in seiner eigenen Macht, ob er diese Anfänge und, sozusagen, Materialien des Wissens
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hat oder nicht. Denn viele Gegenstände unserer Sinne drängen ihre partikulären Ideen unserem Geist auf, ob wir wollen oder nicht. Und die Tätigkeiten unseres Geistes werden uns zumindest nicht ohne gewisse unklare Begriffe zurücklassen. Kein Mensch kann völlig unwissend bezüglich dessen bleiben, was er tut, wenn er denkt. Wenn diese einfachen Ideen dem Geist dargeboten werden, dann kann der Verstand es ebenso wenig ablehnen, sie zu haben, oder sie verändern, wenn sie ihm eingeprägt sind, oder sie auslöschen und neue erzeugen, wie ein Spiegel die Bilder oder Ideen ablehnen, verändern oder auslöschen kann, die die davor plazierten Gegenstände in ihm erzeugen. Je nach dem, wie die uns umgebenden Körper unsere Organe auf verschiedene Weisen affizieren, ist der Geist gezwungen, die Eindrücke zu empfangen, und kann sich der Wahrnehmung der ihnen anhänglichen Ideen nicht entziehen. [Arten von Ideen] Buch II, Kapitel II: Über die einfachen Ideen § 1. Unzusammengesetzte Erscheinungen (appearances). – Zum besseren Verständnis der Natur, Art und Reichweite unseres Wissens muss man einen Punkt, der die Ideen, die wir haben, betrifft, sorgfältig beachten: dass nämlich einige von ihnen einfach sind, andere hingegen komplex. Obwohl die Qualitäten, die unsere Sinne affizieren, in den Dingen selbst so vereint und vermischt sind, dass dort keine Trennung und kein Abstand zwischen ihnen besteht, ist doch offenkundig, dass die Ideen, die sie im Geist erzeugen, einfach und unvermischt durch die Sinne eintreten. Denn obwohl Gesichts- und Tastsinn zur gleichen Zeit verschiedene Ideen vom selben Gegenstand aufnehmen – denn der Mensch sieht gleichzeitig Bewegung und Farbe, die Hand fühlt Weichheit und Wärme an demselben Stück Wachs –, so sind die derart im selben Subjekt (subject) vereinten einfachen Ideen doch auf so vollkommene Weise distinkt wie jene, die durch verschiedene Sinne eintreten. Denn die Kälte und Härte, die ein Mensch in einem Stück Eis fühlt, sind ebenso distinkte Ideen im Geist wie der Geruch und die Weiße einer Lilie oder wie der Geschmack von Zucker und der Geruch einer Rose. Und es gibt nichts, das einem Menschen offenkundiger sein könnte als die klare und deutliche Wahrnehmung, die er von diesen einfachen Ideen hat, die, da jede an sich unzusammengesetzt ist, in sich nichts enthält als eine einheitliche Erscheinung oder eine Vorstellung (conception) im Geist; und sie ist nicht in verschiedene Ideen unterscheidbar.K4 § 2. Der Geist kann sie weder machen noch zerstören. – Diese einfachen Ideen, die Materialien all unseres Wissens, werden dem Geist ausschließ-
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lich vermittels der oben erwähnten Wege nahegebracht und eingegeben: nämlich Sinnesempfindung und Reflexion. Wenn der Verstand einmal mit diesen einfachen Ideen ausgestattet ist, so hat er die Kraft, sie in nahezu grenzenloser Vielfalt zu wiederholen, zu vergleichen und zu vereinigen, und kann auf diese Weise nach Belieben neue komplexe Ideen machen. Doch selbst die erhabenste Intelligenz oder der umfassendste Verstand hat nicht die Macht, kraft irgendeiner Schnelligkeit oder Vielfalt im Denken auch nur eine neue einfache Idee im Geist zu erfinden oder zu bilden, die nicht auf den zuvor genannten Wegen aufgenommen worden wäre; noch kann irgendeine Kraft des Verstandes diejenigen, welche dort bestehen, zerstören. Denn die Herrschaft (dominion) des Menschen innerhalb dieser kleinen Welt seines eigenen Verstandes ist weitgehend dieselbe wie die in der großen Welt der sichtbaren Dinge, in welcher seine Macht, wie sehr sie auch mit Kunst und Fertigkeit angewandt werden mag, nicht weiter reicht als zur Verbindung und Trennung der Materialien, die ihm an die Hand gegeben sind; doch er kann nichts tun, um auch nur das geringste neue Materieteilchen zu erzeugen oder auch nur ein Atom zu zerstören, das bereits existiert. Dieselbe Unfähigkeit wird jeder bei sich vorfinden, der versucht, in seinem Verstand eine einfache Idee zu gestalten, die nicht von äußeren Gegenständen oder durch die Reflexion von den Tätigkeiten seines eigenen Geistes bezüglich dieser [ersteren Ideen] empfangen wurde. Es möge ein jeder versuchen, sich einen Geschmack vorzustellen, der niemals seinen Gaumen affiziert hat, oder die Idee eines Dufts zu bilden, den er nie gerochen hat – und wenn er dies vermag, so werde ich daraus auch schließen, dass ein Blinder Ideen von Farben und ein Gehörloser wahre distinkte Begriffe von Lauten hat. § 3. Dies ist der Grund, aus dem ich glaube, dass wir zwar von Gott nicht glauben können, dass es ihm unmöglich ist, eine Kreatur mit anderen Organen und mehr als diesen normalerweise gezählten fünf von ihm an den Menschen gegebenen Wegen zu erschaffen, auf welchen dem Verstand die Kenntnis von körperlichen Dingen übermittelt wird, dass es jedoch niemandem möglich ist, sich irgendwelche anderen Qualitäten neben Klängen, Geschmack, Gerüchen, sichtbaren und tastbaren Qualitäten an wie auch immer konstituierten Körpern vorzustellen, vermöge deren sie erkannt werden können. Und wäre die Menschheit mit nur vier Sinnen geschaffen worden, so wären die Qualitäten, die Gegenstand des fünften Sinnes sind, eben so weit von unserer Kenntnis, Vorstellung und unserem Begreifen entfernt, wie nun jede beliebige, zu einem sechsten, sieben oder achten Sinn zugehörige es nur irgend sein kann; und in Abrede zu stellen, dass nicht doch irgendwelche anderen Kreaturen in gewissen
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anderen Abschnitten dieses gewaltigen und erstaunlichen Universums [solche Sinne] haben mögen, wäre eine große Anmaßung. Wer sich nicht stolz an die Spitze aller Dinge stellt, sondern die Unermesslichkeit dieses Gefüges und die großartige Vielfalt, die sich in diesem kleinen und geringen Teil findet, mit dem er es zu tun hat, betrachtet, mag zu denken geneigt sein, dass es an anderen Orten [des Universums] andere und verschiedenartige intelligente Wesen geben könnte, von deren Vermögen er ebenso wenig weiß oder erfasst (apprehension) wie ein Wurm, der in der Schublade eines Schrankes eingeschlossen ist, von den Sinnen oder dem Verstand eines Menschen hat; denn solche Vielfalt und Vortrefflichkeit ist der Weisheit und Macht des Schöpfers durchaus angemessen. Ich bin hier der gewöhnlichen Meinung gefolgt, dass der Mensch nur fünf Sinne hat, obwohl man vielleicht mit Recht mehr zählen mag, doch jede der beiden Annahmen dient meinem jetzigen Vorhaben gleichermaßen. Buch II, Kapitel III: Über die Ideen eines Sinnes § 1. Einteilung der einfachen Ideen. – Um einen besseren Begriff von den Ideen zu erlangen, die wir aus der Sinnesempfindung empfangen, mag es für uns nicht unangebracht sein, sie im Hinblick auf die verschiedenen Wege zu betrachten, auf welchen sie sich unserem Geist nähern und sich für uns wahrnehmbar machen. Erstens also gibt es einige, welche nur durch einen Sinn in unseren Geist gelangen. Zweitens gibt es andere, die sich durch mehr als einen Sinn in den Geist übermitteln. Drittens, weitere, die allein aus der Reflexion stammen. Viertens gibt es einige, die sich selbst den Weg bahnen und dem Geist durch alle Wege der Sinnesempfindung und der Reflexion eingegeben werden. Wir werden sie gesondert unter diesen Gesichtspunkten betrachten. Erstens gibt es einige Ideen, welche nur durch einen Sinn Zugang haben, der auf deren Empfang eigens angepasst ist. So gelangen Licht und Farben wie Weiß, Rot, Gelb und Blau in ihren verschiedenen Abstufungen oder Schattierungen und Mischungen wie Grün, Scharlachrot, Purpur, Meergrün und die übrigen ausschließlich durch die Augen hinein; alle Arten von Geräuschen, Klängen und Tönen ausschließlich durch die Ohren; die verschiedenen Geschmacksrichtungen und Gerüche durch die Nase und den Gaumen. Und wenn irgendwelche dieser Organe oder die Nerven, welche die Kanäle bilden, um sie von außen zu ihrer Vernehmung im Gehirn, dem Audienzzimmer des Geistes (wenn ich das so nennen darf), zu übermitteln, derart gestört sind, dass sie ihre Funktionen nicht
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ausüben können, dann gibt es keine Hintertür, durch die sie Zugang fänden, keinen anderen Weg, um in Sicht zu kommen und vom Verstand wahrgenommen zu werden. Die bedeutendsten unter den zum Tastsinn gehörigen sind Hitze und Kälte sowie Festigkeit; alle übrigen, die beinahe gänzlich in der sinnlichen Konfiguration bestehen, wie etwa glatt und rauh, oder auch in der mehr oder weniger festen Aneinanderhaftung (adhesion) der Teile, wie hart und weich, zäh und zerbrechlich sind hinreichend klar. § 2. Wenige einfache Ideen haben Namen. – Ich glaube, es wird unnötig sein, all die einzelnen einfachen Ideen aufzuzählen, die zu jedem Sinn gehören. Und selbst wenn wir es wollten, so wäre es überhaupt nicht möglich, da es sehr viel mehr von den zu den meisten Sinnen gehörigen gibt, als wir Namen dafür haben. […] Daher werde ich mich in der Darstellung, die ich hier vornehme, darauf beschränken, nur solche zu betrachten, die für unseren gegenwärtigen Zweck am wichtigsten sind oder an sich weniger dazu angetan sind, bemerkt zu werden, obwohl sie sehr häufig Bestandteile unserer komplexen Ideen sind, was meines Erachtens etwa für die Idee der Festigkeit gilt, welche ich daher im nächsten Kapitel behandeln werde. [Ideen als Repräsentationen] Buch II, Kapitel VIII: Einige weitere Betrachtungen bezüglich unserer einfachen Ideen […] § 7. Ideen im Geist, Qualitäten in Körpern. – Um die Natur der Ideen noch besser freizulegen und sie auf verständliche Weise abzuhandeln, wird es zuträglich sein, sie insofern zu unterscheiden, als sie Ideen oder Wahrnehmungen in unserem Geist sind und als sie Modifikationen von Materie in den Körpern sind, die solche Wahrnehmungen in uns verursachen, so dass wir nicht etwa glauben (wie es vielleicht für gewöhnlich geschieht), es handle sich unmissverständlich um Bilder (images) oder Ähnlichkeiten (resemblances) von etwas, das dem Subjekt inhäriert. Denn die meisten dieser Sinnesempfindungen sind im Geist nicht in höherem Maße die Ähnlichkeit von etwas, das außerhalb von uns existiert, als die Namen, die für sie stehen, Ähnlichkeit (likeness) der Ideen sind, wenngleich [die Namen], sobald sie gehört werden, geeignet sind, die [Ideen] in uns hervorzurufen.K5 § 8. Was immer der Geist in sich wahrnimmt oder der unmittelbare Gegenstand der Wahrnehmung, des Denkens oder des Verstandes ist, das nenne ich Idee; die Kraft (power) hingegen, irgendeine Idee in unserem Geist zu erzeugen, nenne ich Qualität des Subjekts, in dem diese Kraft
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ist. Da etwa ein Schneeball die Kraft hat, in uns die Ideen von weiß, kalt und rund zu erzeugen, nenne ich die Kräfte, diese Ideen in uns zu erzeugen, wie sie im Schneeball sind, Qualitäten; insofern aber, als sie Sinnesempfindungen (sensations) oder Wahrnehmungen (perceptions) in unserem Verstand sind, nenne ich sie Ideen. Wenn ich von den Ideen manchmal als in den Dingen selbst [befindlichen] spreche, dann möchte ich dahingehend verstanden werden, dass ich jene Qualitäten in den Objekten meine, welche [die Ideen] in uns erzeugen. § 9. Primäre und sekundäre Qualitäten. – So betrachtet sind Qualitäten in Körpern erstens solche, die völlig untrennbar von dem Körper – in welchem Zustand auch immer er sich befinden mag – sind, die er bei allen ihm widerfahrenden Veränderungen und Verwandlungen stets behält, die die Sinne stets in jedem Materieteilchen vorfinden, welches genügend Masse hat, um wahrgenommen zu werden, und die der Geist als von jedem Materieteilchen untrennbar vorfindet, auch wenn es zu klein ist, als dass es selbst als einzelnes durch unsere Sinne wahrgenommen werden könnte. Man nehme zum Beispiel ein Weizenkorn und teile es in zwei Teile: jeder Teil hat immer noch Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt und Beweglichkeit; man teile es erneut, so behält es weiterhin dieselben Qualitäten; man teile es weiter, bis die Teile nicht mehr sinnlich wahrnehmbar sind: ein jedes muss weiterhin all diese Qualitäten behalten. Denn Teilung (division) – und das ist alles, was eine Mühle, ein Mörser oder sonst ein Körper an einem anderen durch Zerkleinerung zu nicht sinnlich wahrnehmbaren Teilchen bewirkt – kann einem Körper niemals die Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt oder Beweglichkeit nehmen, sondern erwirkt nur zwei oder mehr distinkte, getrennte Massen von Materie, von der es zuvor nur eine gab. All diese distinkten Massen, die als so und so viele distinkte Körper gezählt werden, ergeben nach der Teilung eine bestimmte Anzahl. Ursprüngliche oder primäre Qualitäten des Körpers nenne ich nun diejenigen, von denen wir, wie ich glaube, beobachten können, dass sie einfache Ideen in uns erzeugen, nämlich Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung oder Ruhe und Zahl. § 10. Zweitens solche Qualitäten, die in Wahrheit in den Objekten selbst nichts als Kräfte sind, vermittels ihrer primären Qualitäten – also vermittels der Masse, Gestalt, Textur und Bewegung ihrer sinnlich nicht wahrnehmbaren Teilchen – in uns verschiedene Sinnesempfindungen, wie Farben, Klänge, Geschmacksrichtungen usw., zu erzeugen. Letztere nenne ich sekundäre Qualitäten. Diesen könnte noch eine dritte Art hinzugefügt werden, denen zwar lediglich der Status einer bloßen Kraft zuerkannt wird, bei denen es sich aber dennoch genauso um wirkliche Qua-
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litäten im Subjekt handelt wie bei denjenigen, welche ich – um dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu folgen – Qualitäten, um willen der Differenzierung allerdings sekundäre Qualitäten nenne. Denn die Kraft im Feuer, vermittels seiner primären Qualitäten eine neue Farbe oder Konsistenz in Wachs oder Ton zu erzeugen, ist genauso sehr eine Qualität im Feuer wie die Kraft, die es aufgrund derselben primären Qualitäten – nämlich aufgrund der Masse, Textur und Bewegung der sinnlich nicht wahrnehmbaren Teile – hat, in mir eine neue Idee oder Sinnesempfindung der Wärme oder des Brennens zu erzeugen, die ich zuvor nicht empfunden habe. § 11. Wie primäre Qualitäten ihre Ideen erzeugen. – Als nächstes ist zu betrachten, wie Körper Ideen in uns erzeugen; und dies geschieht offenkundig aufgrund von Impulsen, also der einzigen Weise, auf die wir uns Körper als tätig vorstellen können. § 12. Wenn also externe Gegenstände nicht mit unserem Geist verbunden sein sollten, während sie in uns Ideen erzeugen, wir aber diese ursprünglichen Qualitäten in solchen wahrnehmen, die einzeln unter unsere Sinne fallen, dann ist evident, dass von da aus eine Bewegung durch unsere Nerven oder Lebensgeister über bestimmte Teile unseres Körpers bis zum Gehirn oder Sitz der Sinnesempfindung fortgesetzt wird, um dort in unserem Geist die partikulären Ideen zu erzeugen, die wir von ihnen haben. Und da die Ausdehnung, Gestalt, Zahl und Bewegung von Körpern in beobachtbarer Größe aus der Entfernung durch den Gesichtssinn wahrgenommen werden kann, ist es evident, dass bestimmte einzeln nicht wahrnehmbare Körper von ihnen zu unseren Augen vordringen und dadurch dem Gehirn eine bestimmte Bewegung vermitteln müssen, die diejenigen Ideen erzeugt, welche wir von ihnen in uns haben. § 13. Wie sekundäre Qualitäten [ihre Ideen erzeugen]. – Auf dieselbe Weise, wie die Ideen der ursprünglichen Qualitäten in uns erzeugt werden, können wir uns auch vorstellen, dass die Ideen der sekundären Qualitäten erzeugt werden, und zwar durch die Operationen sinnlich nicht wahrnehmbarer Teilchen an unseren Sinnen. Es ist nämlich offensichtlich, dass es Körper gibt, und zwar einen guten Vorrat an Körpern, von denen ein jeder so klein ist, dass wir durch keinen unserer Sinne dessen Masse, Gestalt oder Bewegung entdecken können, wie bezüglich der Luft- oder Wasserteilchen evident ist sowie bezüglich anderer, sehr viel kleinerer Teilchen, die vielleicht so viel kleiner als die Luft- oder Wasserteilchen sind, wie die Luft- oder Wasserteilchen im Verhältnis zu Erbsen oder Hagelkörnern kleiner sind. Unterstellen wir für den Augenblick, dass die verschiedenen Bewegungen, die Masse und Anzahl solcher Teilchen, die die verschie-
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denen Organe unserer Sinne affizieren, in uns jene verschiedenen Sinnesempfindungen erzeugen, welche wir von den Farben und Gerüchen der Körper haben; dass also beispielsweise ein Veilchen durch den Impuls solcher sinnlich nicht wahrnehmbaren Materieteilchen von eigentümlichen Gestalten und Massen und aufgrund verschiedener Grade und Modifikationen ihrer Bewegungen verursacht, dass die Idee der blauen Farbe und des süßen Duftes dieser Blume in unserem Geist erzeugt wird. Es ist nämlich nicht in größerem Maße unmöglich, sich vorzustellen, dass Gott solche Ideen mit solchen Bewegungen, mit welchen sie keine Ähnlichkeit (similitude) haben, verknüpfen sollte, als dass er die Idee des Schmerzes mit der Bewegung eines in unser Fleisch schneidenden Stahlstücks, mit welcher die Idee keine Ähnlichkeit hat, verknüpfen sollte. § 14. Was ich bezüglich der Farben und Gerüche gesagt habe, lässt sich auch auf Geschmacksempfindungen, Klänge und andere ähnliche sinnliche Qualitäten übertragen. Welche Realität auch immer wir ihnen fälschlicherweise zuschreiben mögen, sind sie doch in Wahrheit in den Objekten selbst nichts als Kräfte, verschiedenartige Sinnesempfindungen in uns zu erzeugen, und abhängig von jenen primären Qualitäten, nämlich Masse, Gestalt, Textur und Teilchenbewegung, wie ich gesagt habe. § 15. Ideen von primären Qualitäten sind Ähnlichkeiten (resemblances), [die] von sekundären [hingegen] nicht. – Ich glaube, von diesem Gesichtspunkt her ist es leicht, zu der Beobachtung zu kommen, dass die Ideen der primären Qualitäten von Körpern Ähnlichkeiten von ihnen sind und dass ihre Muster (patterns) wirklich in den Körpern selbst existieren. Dagegen haben die Ideen, die in uns durch diese sekundären Qualitäten erzeugt werden, überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihnen. Es gibt in den Körpern selbst nichts, was unseren Ideen gleicht. Sie sind in den Körpern, die wir nach ihnen benennen, nur eine Kraft, jene Sinnesempfindungen in uns zu erzeugen. Und was süß, blau oder warm in der Idee ist, das ist nichts als die bestimmte Masse, Gestalt und Bewegung der sinnlich nicht wahrnehmbaren Teile in den Körpern selbst, die wir so nennen. […] [Mentale Operationen über Ideen] Buch II, Kapitel IX: Über die Wahrnehmung (perception) § 1. Dies ist die erste einfache Idee der Reflexion. – Wie die Wahrnehmung das erste Vermögen (faculty) des Geistes ist, das bezüglich unserer Ideen tätig ist, so ist sie auch die erste und einfachste Idee, die wir aus der Reflexion haben, und wird von einigen ganz allgemein Denken genannt. Gleichwohl bezeichnet Denken in korrektem deutschen Sprachgebrauch die Art von mentaler Tätigkeit bezüglich der Ideen, bei welcher der Geist aktiv
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ist, bei der er also mit einem gewissen Grad an willentlicher Aufmerksamkeit irgendein Ding betrachtet. Denn in bloßer nackter Wahrnehmung ist der Geist zu weiten Teilen nur passiv und kann es nicht vermeiden, das wahrzunehmen, was er wahrnimmt. § 2. Wahrnehmung vollzieht sich nur, wenn der Geist den Eindruck (impression) empfängt. – Was Wahrnehmung ist, das wird jeder besser aufgrund der Reflexion auf das wissen, was er selbst tut, wenn er sieht, hört, fühlt usw., als durch irgendeine Abhandlung von mir. Wer immer auf das reflektiert, was in seinem eigenen Geist geschieht, dem kann es nicht entgehen; und wenn er nicht reflektiert, so können ihm auch alle Wörter dieser Welt keinen Begriff davon geben. […] § 8. Ideen der Sinnesempfindung oft durch Urteile verändert.K6 – Wir müssen bezüglich der Wahrnehmung darüber hinaus betrachten, dass die Ideen, die wir durch die Sinnesempfindung empfangen, bei Erwachsenen oftmals durch Urteile verändert sind, ohne dass wir dies bemerken. Wenn wir eine runde Kugel von einheitlicher Farbe wie etwa Gold, Alabaster oder Gagat vor uns hinstellen, so ist gewiss, dass die unserem Geist dadurch eingeprägte Idee die eines verschiedenartig schattierten flachen Kreises ist, mit welchem Licht und Glanz in verschiedenen Graden auf unsere Augen trifft. Doch da wir durch geläufigen Umgang daran gewöhnt sind wahrzunehmen, welche Art von Erscheinung konvexe Körper in uns hervorzurufen pflegen und welche Veränderungen durch die Verschiedenheit sinnlicher Gestalten von Körpern in den Lichtreflexionen bewirkt werden, verwandelt das Urteilsvermögen aufgrund habitueller Gewohnheit die Erscheinungen sofort in ihre Ursachen, sodass es sie – indem es von dem, was in Wahrheit eine Vielfalt von Schattierung oder Farbe ist, die Gestalt aufgreift – als Zeichen der Gestalt passieren lässt und für sich die Wahrnehmung einer konvexen Gestalt und einer einheitlichen Farbe bildet, während die Idee, die wir von dort her [eigentlich] empfangen, nur eine verschiedenfarbige Fläche ist; wie es in der Malerei evident ist. […] § 10. Wir brauchen uns auch nicht darüber zu wundern, dass dies mit einer so geringen Kenntnisnahme geschieht, wenn wir in Betracht ziehen, wie schnell die Handlungen des Geistes vollzogen werden. Denn da man glaubt, dass er selbst keinen Raum einnimmt und keine Ausdehnung hat, scheinen auch seine Handlungen keine Zeit zu beanspruchen; vielmehr scheinen viele von ihnen in einen Moment gedrängt zu sein. Ich sage dies im Vergleich zu den Handlungen des Körpers. Jeder mag dies leicht an seinen eigenen Gedanken beobachten, wenn er sich die Mühe macht, über sie zu reflektieren. Wie macht es unser Geist, sozusagen in einem Moment, dass er auf einen Blick alle Teile eines Beweises sieht, welchen
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wir gerne einen langen nennen dürfen, wenn wir die Zeit betrachten, deren es bedarf, um ihn in Worte zu fassen und einem anderen Schritt für Schritt darzulegen? Zudem werden wir nicht so überrascht sein, dass dies in uns mit so geringer Kenntnisnahme geschieht, wenn wir betrachten, wie die Leichtigkeit, welche wir in unseren Taten durch die Gewohnheit des Tuns erwerben, sie oft ohne unsere Kenntnisnahme in uns geschehen lässt. Habitus und besonders solche, die sehr früh erworben werden, erzeugen letztlich Handlungen in uns, die sich unserer Beobachtung oftmals entziehen. Wie häufig bedecken wir am Tag unsere Augen mit unseren Augenlidern, ohne wahrzunehmen, dass wir überhaupt im Dunkeln sind? Menschen, die sich durch Gewohnheit den Gebrauch eines Beiwortes zueigen gemacht haben, äußern beinahe in jedem Satz Laute, welche zwar von anderen bemerkt werden, die sie selbst aber weder hören noch beachten. Und daher ist es nicht so seltsam, dass unser Geist die Idee seiner Sinnesempfindung oftmals in die seines Urteils verwandelt und die eine dazu bringt, nur zur Hervorrufung der anderen zu dienen, ohne dass wir davon Notiz nehmen. § 11. Wahrnehmung macht die Differenz zwischen Tieren und niedrigeren Seienden aus. – Dieses Vermögen der Wahrnehmung erscheint mir als das, was die Distinktion zwischen dem Tierreich und den niederen Teilen der Natur ausmacht. […] Buch II, Kapitel XI: Über das Unterscheiden und andere Tätigkeiten des Geistes § 1. Kein Wissen ohne es. – Ein weiteres Vermögen, von dem wir in unserem Geist Notiz nehmen können, ist das des Unterscheidens (discerning) und Differenzierens (distinguishing) zwischen den verschiedenen Ideen, über die er verfügt. Es reicht nicht aus, eine konfuse Wahrnehmung von etwas im Allgemeinen zu haben; wenn der Geist keine distinkte Wahrnehmung verschiedener Gegenstände und ihrer Qualitäten hätte, wäre er nur sehr geringen Wissens fähig, obwohl die uns affizierenden Körper genauso rege um uns herum wären, wie sie es jetzt sind, und der Geist fortdauernd mit Denken beschäftigt wäre. Von diesem Vermögen, ein Ding vom anderen zu differenzieren, hängt die Evidenz und Gewissheit verschiedener, sogar ganz genereller Sätze (propositions) ab, die als angeborene Wahrheiten durchgegangen sind, weil die Menschen, den wahren Grund übersehend, aus dem diese Sätze universelle Zustimmung finden, sie ganz und gar angeborenen einheitlichen Eindrücken zuschreiben, während sie doch in Wahrheit von diesem klaren differenzierenden Vermögen des Geistes abhängt, durch welches er zwei Ideen als identisch oder verschieden wahrnimmt. Doch dazu später mehr. […]
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§ 8. Namengebung. – Wenn im Gedächtnis von Kindern aufgrund wiederholter Sinnesempfindungen Ideen fixiert sind, beginnen sie, in graduellen Abstufungen den Gebrauch von Zeichen zu lernen. Und wenn sie die Fertigkeit haben, die Sprachorgane zur Bildung artikulierter Laute anzuwenden, beginnen sie, von Wörtern Gebrauch zu machen, um ihre Idee für andere zu bezeichnen. Diese verbalen Zeichen (signs) entlehnen sie mal von anderen, mal machen sie sie selbst, wie man anhand der neuen und ungewöhnlichen Namen beobachten kann, die Kinder in ihrem anfänglichen Sprachgebrauch den Dingen oftmals geben. § 9. Abstraktion. – Da der Gebrauch der Wörter also darin liegt, als äußere Zeichen (marks) für unsere inneren Ideen zu stehen und diese Ideen von partikulären Dingen aufgenommen sind, müssten die Namen endlos sein, wenn jede partikuläre Idee, die wir aufnehmen, einen distinkten Namen haben sollte. Um dies zu verhindern, bewirkt der Geist, dass die partikulären von partikulären Gegenständen empfangenen Ideen generell werden, was dadurch geschieht, dass sie als Erscheinungen betrachtet werden, wie sie im Geist als solche auftreten: getrennt von allen anderen Existenzen und den Umständen realer Existenz wie Zeit, Ort oder jeder anderen begleitenden Idee. Dies nennt man ABSTRAKTION, wodurch von partikulären Seienden aufgenommene Ideen generelle Repräsentanten aller [Seienden] derselben Art werden; und ihre Namen werden generelle Namen, die auf alles Existierende anwendbar sind, was solchen abstrakten Ideen entsprechen kann. Solche herausgelösten nackten Erscheinungen des Geistes speichert der Verstand – ohne zu betrachten, wie und woher sie kommen oder mit welchen anderen sie einhergehen – als Standards (mit Namen, die gewöhnlich mit ihnen verknüpft sind), um wirklich Existierendes gemäß der Übereinstimmung mit diesen Mustern in Arten zu ordnen und sie entsprechend zu benennen. Indem also dieselbe Farbe heute bei der Kreide oder am Schnee beobachtet wird, die der Geist gestern von Milch empfangen hat, betrachtet er diese Erscheinung allein, macht sie zu einem Repräsentanten von allem dieser Art Zugehörigen; und da er ihm den Namen Weiße gegeben hat, bezeichnet er mittels dieses Lautes dieselbe Qualität, wo auch immer sie vorstellbar sei oder ihr begegnet werde. Auf diese Weise also entstehen Universalien, seien es Ideen oder Termini. […] § 15. Dies sind die Anfangsgründe menschlichen Wissens.K7 – Hiermit habe ich eine kurze und, wie ich glaube, wahre Geschichte der ersten Anfänge des menschlichen Wissens präsentiert: woher der Geist seine ersten Gegenstände hat und kraft welcher Schritte er zur Speicherung und Lagerung der Ideen übergeht, aus welchen all das Wissen, zu dem er fähig ist, gebil-
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det ist. Bezüglich der Frage, ob ich damit richtig liege, muss ich an die Erfahrung und Beobachtung apellieren. Denn der beste Weg zur Wahrheit besteht darin, die Dinge, wie sie wirklich sind, zu prüfen, anstatt zu schließen, sie seien so, wie wir uns das einbilden oder wie andere uns gelehrt haben, sie uns vorzustellen. [Ideen von Modi, Substanzen, Relationen] Buch II, Kapitel XII: Über komplexe Ideen § 1. Vom Geist aus einfachen Ideen gemacht. – Bislang haben wir jene Ideen betrachtet, bei deren Rezeption der Geist nur passiv ist. Dabei handelt es sich um jene erwähnten einfachen, von der Sinnesempfindung und Reflexion empfangenen, von denen der Geist weder eine für sich selbst herstellen kann noch irgendeine haben kann, die nicht ganz und gar aus ihnen besteht. Aber während der Geist bei der Aufnahme all seiner einfachen Ideen völlig passiv ist, vollzieht er selbst verschiedene Akte, wodurch aus seinen einfachen Ideen, also den Materialien und Grundlagen der übrigen, die anderen gebildet sind. Die Akte des Geistes, in welchen er seine Macht über seine einfachen Ideen ausübt, sind hauptsächlich die drei folgenden: 1. Das Verbinden (combining) verschiedener einfacher Ideen zu einer verbundenen; auf diese Weise sind alle komplexen Ideen gemacht. 2. Der zweite [Akt] besteht darin, zwei Ideen, seien sie einfach oder komplex, zusammenzunehmen und sie nebeneinander zu stellen, um sie gleichzeitig in den Blick zu nehmen, ohne sie zu einer [Idee] zu vereinen; auf diese Weise erhält er all seine Ideen von Relationen. 3. Der dritte [Akt] besteht darin, sie von allen Ideen, die sie in ihrer realen Existenz begleiten, zu trennen; dies nennt man Abstraktion; auf diese Weise sind alle generellen Ideen gemacht. Dies zeigt, dass die Macht des Menschen und ihre Verfahrensweise in der materiellen und der intellektuellen Welt nahezu dieselbe ist. Denn da die Materialien in beiden [Welten] so geartet sind, dass er weder die Macht zur Herstellung noch zur Zerstörung hat, ist alles, was der Mensch vermag, sie entweder miteinander zu vereinen oder sie nebeneinander zu stellen oder sie völlig zu trennen. Bei der Betrachtung der komplexen Ideen werde ich hier mit dem ersten dieser [Akte] beginnen und auf die anderen beiden an angemessener Stelle zu sprechen kommen. Wie von einfachen Ideen beobachtet wird, dass sie in verschiedenen Kombinationen miteinander vereint existieren, so hat der Geist die Macht, verschiedene von ihnen miteinander vereint als eine Idee zu betrachten; und dies nicht nur so, wie sie in äußeren Gegenständen vereint sind, sondern auch so, wie er selbst sie verbunden hat. Ideen, die dergestalt aus verschiedenen zusammengesetzten einfachen Ideen
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gemacht sind, nenne ich komplex. Solche sind Schönheit, Dankbarkeit, ein Mensch, eine Armee, das Universum. Obwohl aus vielfältigen einfachen Ideen oder aus komplexen Ideen, die aus einfachen Ideen gemacht sind, verflochten, wird doch – wenn es dem Geist gefällt – eine jede für sich als ein ganzes Ding betrachtet und durch einen Namen bezeichnet. § 2. Willentlich gemacht. – Mit diesem Vermögen zur Wiederholung und Verbindung seiner Ideen hat der Geist eine große Kraft, die Gegenstände seiner Gedanken grenzenlos über das hinaus, womit ihn Sinnesempfindung und Reflexion ausgestattet haben, zu variieren und zu vervielfältigen. Aber all das ist beschränkt auf jene einfachen Ideen, welche er aus diesen zwei Quellen empfangen hat und welche die ultimativen Materialien all seiner Verbindungen sind. Denn einfache Ideen sind sämtlich von den Dingen selbst; und von diesen kann der Geist weder mehr noch andere haben als die, die ihm angeboten werden. Er kann weder andere Ideen sinnlicher Qualitäten haben als die, die von außen durch die Sinne kommen, noch Ideen anderer Arten von Tätigkeiten einer denkenden Substanz als die, die er bei sich selbst findet. Sobald er diese einfachen Ideen aber einmal empfangen hat, ist er nicht mehr nur beschränkt auf die Beobachtung und das, was sich von außen bietet; vielmehr kann er aufgrund eigener Kraft die Ideen, die er hat, zusammensetzen und neue komplexe Ideen machen, die er niemals auf diese Weise vereint empfangen hat. § 3. Es sind entweder Modi, Substanzen oder Relationen. – Wie auch immer die komplexen Ideen zusammengesetzt (compounded) und zerlegt (decompounded) sein mögen, mag ihre Anzahl ruhig grenzenlos sein und die Vielfalt, mit welcher sie die Gedanken der Menschen füllen und beschäftigen, endlos sein, sie können doch, wie ich glaube, unter folgenden drei Rubriken eingegrenzt werden: 1. Modi. 2. Substanzen. 3. Relationen. § 4. Modi. – Modi nenne ich diejenigen komplexen Ideen, welche – wie sehr sie auch zusammengesetzt seien – in sich nicht die Unterstellung (supposition), durch sich selbst zu subsistieren, enthalten, sondern betrachtet werden als abhängig von bzw. als Affektionen von Substanzen; derart sind Ideen, die durch Wörter wie Dreieck, Dankbarkeit, Mord usw. bezeichnet werden. […] § 6. Einzelne oder kollektive Substanzen. – Zweitens: Die Ideen von Substanzen sind solche Kombinationen einfacher Ideen, die als Repräsentationen distinkter, einzelner Dinge, die durch sich selbst subsistieren, aufge-
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fasst werden. In diesen ist die unterstellte oder konfuse Idee der Substanz, so wie sie ist, immer die erste und hauptsächliche. […] § 7. Relation. – Drittens: Die letzte Art komplexer Ideen ist diejenige, welche wir Relation nennen. Sie besteht in der Betrachtung und dem Vergleich einer Idee mit einer anderen. […] Buch II, Kapitel XXII: Über die gemischten Modi § 1. Nachdem wir in den vorangegangenen Kapiteln die einfachen Modi behandelt haben und zahlreiche Beispiele für einige der wichtigsten gegeben haben, um zu zeigen, was sie sind und wie wir zu ihnen kommen, müssen wir nun als nächstes jene betrachten, die wir gemischte Modi nennen. Derart sind die komplexen Ideen, die wir durch Namen wie Verpflichtung, Trunkenheit, eine Lüge usw. bezeichnen. Da sie aus zahlreichen Kombinationen einfacher Ideen verschiedener Art bestehen, habe ich sie gemischte Modi genannt, um sie von den eher einfachen Modi zu unterscheiden, die nur aus einfachen Ideen derselben Art bestehen. Da es sich bei diesen gemischten Modi ebenfalls um solche Kombinationen einfacher Ideen handelt, die nicht als charakteristische Zeichen (marks) irgendwelcher wirklichen Seienden angesehen werden, die eine stete Existenz haben, sondern als verstreute und unabhängige Ideen, die vom Geist zusammengesetzt wurden, sind sie mithin auch von den komplexen Ideen der Substanz verschieden. […] § 4. Der Name bindet die Teile der gemischten Modi zu einer Idee. – Da jeder gemischter Modus aus vielen distinkten einfachen Ideen besteht, erscheint es vernünftig zu untersuchen, woher er seine Einheit erhält und wie solch eine scharf umgrenzte Vielheit dazu gelangt, zu nur einer Idee zu werden, denn die Kombination existiert nicht immer zusammen in der Natur. Darauf gebe ich eine klare Antwort: Er hat seine Einheit durch einen Akt des Geistes, der diese verschiedenen einfachen Ideen kombiniert und sie als eine komplexe [Idee] betrachtet, die aus jenen Teilen besteht. Das Kennzeichen dieser Vereinigung oder das, was im Allgemeinen als das gesehen wird, was sie vervollständigt, ist ein Name, der dieser Kombination verliehen wird. Denn aufgrund ihrer Namen geschieht es, dass die Menschen für gewöhnlich ihre Aufstellung ihrer verschiedenen Spezies gemischter Modi festlegen. Dabei akzeptieren oder betrachten sie selten einfach irgendeine Gruppe von einfachen Ideen als eine komplexe Idee, sondern nur solche Ansammlungen, für die es Namen gibt. Obwohl also das Töten eines alten Mannes der Natur nach genauso geeignet sein mag, zu einer komplexen Idee vereint zu werden, wie das Töten des Vaters, wird es – da es keinen Namen gibt, der präzise für ersteres steht, wie
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es den Namen Vatermord gibt, um letzteres zu bezeichnen – weder als eine besondere komplexe Idee aufgefaßt, noch als eine vom Töten eines jungen Mannes oder irgendeines Menschen distinkte Spezies von Handlungen. […] Buch II, Kapitel XXIII: Über unsere komplexen Ideen von Substanzen § 1. Wie die Ideen von Substanzen gemacht sind. – Der Geist, der, wie ich erklärt habe, mit einer großen Zahl einfacher Ideen ausgestattet ist, die durch die Sinne vermittelt sind, wie sie in äußeren Dingen anzutreffen sind, oder aufgrund der Reflexion über seine eigenen Tätigkeiten, bemerkt auch, dass eine gewisse Zahl dieser einfachen Ideen konstant zusammen auftreten. Da von diesen unterstellt wird, dass sie zu einem Ding gehören und da den gewöhnlichen Erfassungsakten (apprehensions) Worte angepasst werden und für schnelle Mitteilung gebraucht werden, werden sie derart vereint in einem Subjekt durch einen Namen genannt. Aufgrund von Unaufmerksamkeit (inadvertency) sind wir anschließend geneigt, als eine einfache Idee zu nennen und zu betrachten, was in Wahrheit eine Verflechtung vieler Ideen ist. Denn, wie ich gesagt habe, da wir uns nicht vorstellen können, wie diese einfachen Ideen durch sich selbst subsistieren können, gewöhnen wir uns daran, ein gewisses Substrat zu unterstellen, in dem sie subsistieren und aus dem sie resultieren; dies nennen wir daher Substanz.K8 § 2. Unsere Idee der Substanz im Allgemeinen.K9 – Daraus ergibt sich, dass, wenn jemand sich im Hinblick auf seinen Begriff der reinen Substanz im Allgemeinen überprüfen wird, er entdecken wird, dass er keinerlei andere Idee davon hat als eine bloße Unterstellung (supposition) von er-weiß-nichtwas-für einem Träger solcher Qualitäten, die fähig sind, einfache Ideen in uns zu erzeugen, und die für gewöhnlich Akzidenzien genannt werden. Sollte irgendjemand gefragt werden, was das Subjekt ist, dem Farbe und Gewicht inhäriert, hätte er nichts anzugeben, außer der festen ausgedehnten Teile. Und fragte man nach, was es sei, dem Festigkeit und Ausdehnung inhärierten, wäre auch er in keiner besseren Lage als der zuvor erwähnte Inder,K10 der auf die Behauptung, die Welt würde von einem großen Elefanten getragen, gefragt wurde, auf was denn der Elefant ruhe. Seine Antwort darauf lautete: auf einer großen Schildkröte. Doch als man wiederum von ihm wissen wollte, was die Schildkröte mit dem breiten Rücken stütze, antwortete er: etwas, er wisse nicht was. Also verhält es sich hier wie in allen anderen Fällen, in denen wir Worte gebrauchen, ohne klare und distinkte Ideen zu haben: wir reden wie Kinder, die auf die Frage nach einem Ding, das sie nicht kennen, sogleich die befriedigende
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Antwort geben, dass es etwas sei. Dies bezeichnet in Wahrheit – egal ob es von Kindern oder Erwachsenen auf diese Weise gebraucht wird – aber nichts als den Umstand, dass sie nicht wissen, worum es sich handelt, und dass das Ding, welches sie zu kennen vorgeben und von dem sie reden, eines ist, von dem sie keinerlei distinkte Idee haben und bezüglich dessen sie mithin vollkommen unwissend und im Dunkeln sind. Da also die Idee, die wir haben und der wir den generellen Namen Substanz geben, nichts als der unterstellte, aber unbekannte Träger jener Qualitäten ist, die wir als existierend vorfinden und von denen wir uns vorstellen, dass sie nicht sine re substante [ohne zugrundeliegendes Ding], also ohne etwas, das sie trägt, subsistieren können, nennen wir diesen Träger Substantia, was gemäß der wahren Bedeutung dieses Wortes in schlichtem Englisch standing under [stehen unter] oder upholding [stützen] heißt. § 3. Über die Arten von Substanzen. – Sofern eine obskure und relative Idee der Substanz im Allgemeinen auf diese Weise gemacht ist, gehen wir dazu über, Ideen von partikulären Arten von Substanzen zu haben, und zwar durch das Sammeln (collecting) solcher Kombinationen einfacher Ideen, die durch Erfahrung und Beobachtung menschlicher Sinne als gemeinsam existierend bemerkt werden und von denen daher unterstellt wird, dass sie aus der partikulären internen Konstitution oder unbekannten Essenz der Substanz fließen.K11 So kommt es, dass wir die Idee eines Menschen, eines Pferds, von Gold, Wasser usw. haben. Bezüglich der Frage, ob irgendjemand irgendeine andere klare Idee über bestimmte koexistierende einfache Ideen hinaus hat, appelliere ich an jedermanns eigene Erfahrung. Es sind die gewöhnlichen Qualitäten, beobachtbar an Eisen oder einem Diamanten, die zusammengenommen die wahre komplexe Idee solcher Substanzen ausmachen; und diese kennt ein Schmied oder Juwelier für gewöhnlich besser als ein Philosoph, der – über welche substantiellen Formen auch immer er reden mag – keine andere Idee von diesen Substanzen hat als die, die durch eine Sammlung jener einfachen Ideen gebildet ist, welche in ihnen zu finden sind. Wir müssen nur beachten, dass unsere komplexen Ideen von Substanzen neben all den einfachen Ideen, aus welchen sie bestehen, immer die konfuse Idee von etwas aufweisen, zu dem sie gehören und in dem sie subsistieren. Daher gilt: Wenn wir von irgendeiner Art von Substanz sprechen, sagen wir, dass es ein Ding ist, welches diese oder jene Qualitäten hat, wie ein Körper ein Ding ist, das ausgedehnt ist, Gestalt hat und der Bewegung fähig ist, und ein Geist ein Ding ist, das zu denken fähig ist; und sagen wir, dass Härte, Zerreibbarkeit und die Kraft, Eisen anzuziehen, Qualitäten sind, die sich an einem Magneten finden. Diese und ähnliche Ausdrucksweisen deuten an, dass
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die Substanz stets als etwas neben der Ausdehnung, Gestalt, Festigkeit, Bewegung, Denken, oder anderen beobachtbaren Ideen unterstellt wird, obwohl wir nicht wissen, was sie ist. § 4. Keine klare Idee von der Substanz im Allgemeinen. – Wenn wir also von irgendeiner partikulären Art körperlicher Substanzen wie Pferd oder Stein usw. sprechen oder an sie denken, so ist zwar die Idee, die wir von jeder von ihnen haben, nichts als die Verflechtung oder Sammlung jener verschiedenen einfachen Ideen sinnlicher Qualitäten, welche wir in dem Pferd oder Stein genannten Ding zu finden gewöhnt sind, doch da wir nicht begreifen können, wie sie selbständig subsistieren sollten oder wie die eine in der anderen [existieren sollte], unterstellen wir, dass sie in einem gemeinsamen Subjekt existieren und von ihm getragen werden. Diesen Träger benennen wir mit dem Namen Substanz , obwohl gewiss ist, dass wir keine klare oder distinkte Idee dieses Dinges haben, das wir als Träger unterstellen. […] [Semantische Bewertbarkeit von Ideen] Buch II, Kapitel XXXII: Über wahre und falsche Ideen § 1. Wahrheit und Falschheit kommen eigentlich Sätzen zu. – Obwohl Wahrheit und Falschheit im eigentlichen Sinne des Wortes nur Sätzen zukommen, werden auch Ideen oftmals wahr oder falsch genannt. (Und bei welchen Wörtern kommt es nicht vor, dass sie mit großer Freiheit und mit einiger Abweichung von ihren strengen und eigentlichen Bezeichnungen gebraucht werden?) Ich glaube jedoch, dass in den Fällen, in denen Ideen selbst wahr oder falsch genannt werden, immer noch ein geheimer oder stiller Satz besteht, der die Grundlage dieser Benennung bildet. Dies werden wir sehen, wenn wir die einzelnen Fälle untersuchen, in welchen sie wahr oder falsch genannt werden. In all diesen Fällen werden wir nämlich eine Art von Affirmation oder Negation finden, die der Grund dieser Benennung ist. Denn sofern unsere Ideen nichts als bloße Erscheinungen oder Wahrnehmungen in unserem Geist sind, können sie nicht eigentlich und einfach an sich wahr oder falsch genannt werden, ebenso wenig wie ein einzelner Name eines Dinges wahr oder falsch genannt werden kann. […] § 4. Ideen können wahr oder falsch sein, wenn sie auf etwas bezogen werden. – Wann immer der Geist irgendeine seiner Ideen auf irgendetwas bezieht, das außerhalb ihrer liegt, so können sie wahr oder falsch genannt werden. Denn der Geist nimmt in einer solchen Bezugnahme eine stille Unterstellung der Konformität [der Ideen] zu diesem Ding vor. Je nachdem, ob diese Unterstellung wahr oder falsch ist, werden die Ideen selbst entsprechend
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benannt. Die gewöhnlichsten Fälle, in denen dies geschieht, sind die folgenden: § 5. Ideen anderer Menschen, reale Existenz und unterstellte reale Essenzen sind das, worauf Menschen für gewöhnlich ihre Ideen beziehen. – Erstens dann, wenn der Geist unterstellt, dass irgendeine Idee, die er hat, mit derjenigen im Geist anderer Menschen übereinstimmen kann, welche mit demselben gemeinsamen Namen benannt wird; wenn der Geist z. B. intendiert oder urteilt, dass seine Ideen der Gerechtigkeit, Mäßigkeit oder Religion dieselben sind wie diejenigen, welchen andere Menschen diese Namen geben. Zweitens dann, wenn der Geist unterstellt, dass irgendeine Idee, die er in sich hat, konform ist mit einer realen Existenz. Folglich ist von den Ideen eines Menschen und eines Zentauren erstere wahr und letztere falsch, wenn unterstellt wird, dass sie Ideen realer Substanzen sind, denn erstere hat eine Konformität mit dem, was wirklich existiert hat, letztere nicht. Drittens dann, wenn der Geist irgendeine seiner Ideen auf jene reale Konstitution und Essenz irgendeines Dinges bezieht, von der all seine Eigenschaften abhängen; und in diesem Fall sind die meisten, wenn nicht sogar all unsere Ideen von Substanzen, falsch.K12 § 6. Die Ursache solcher Bezugnahmen. – Der Geist ist stark geneigt, diese Unterstellungen bezüglich seiner eigenen Ideen stillschweigend zu vollziehen. Doch wenn wir dies prüfen, werden wir sehen, dass es vor allem, wenn nicht ausschließlich, seine abstrakten komplexen Ideen betrifft. […] § 8. Doch da die abstrakte Idee etwas im Geist ist, das zwischen dem existierenden Ding und dem ihm gegebenen Namen liegt, sind es unsere Ideen, in denen sowohl die Richtigkeit unseres Wissens als auch die Angemessenheit oder Intelligibilität unseres Sprechens besteht. Daher kommt es, dass die Menschen so voreilig sind zu unterstellen, dass die abstrakten Ideen in ihrem Geist so beschaffen sind, dass sie den außerhalb von ihnen existierenden Dingen entsprechen, auf die sie bezogen werden, und dass sie überdies mit denjenigen [Ideen] identisch sind, zu welchen die Namen, die sie ihnen geben, aufgrund von Gebrauch und Angemessenheit der Sprache gehören. Denn sie meinen, ohne diese doppelte Konformität ihrer Ideen würden sie von den Dingen an sich sowohl in verfehlter Weise denken als auch auf unverständliche Weise mit anderen über sie sprechen.K13 § 9. Einfache Ideen mögen in Bezug auf andere mit demselben Namen falsch sein, doch besteht bei ihnen die geringste Anfälligkeit. – Erstens behaupte ich also, dass jede unserer Ideen falsch sein kann, wenn ihre Wahrheit im Hinblick auf deren Konformität beurteilt wird, die sie zu den Ideen haben, die andere Menschen haben und gewöhnlich mit demselben Namen bezeichnen. Doch einfache Ideen
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haben hier die geringste Fehleranfälligkeit. Denn ein Mensch kann sich kraft seiner Sinne und der alltäglichen Beobachtung leicht davon überzeugen, was die einfachen Ideen sind, für die ihre verschiedenen Namen im gewöhnlichen Sprachgebrauch stehen, da sie von so geringer Zahl sind und so beschaffen, dass er Fälle von Zweifeln oder Fehlern leicht anhand der Gegenstände, in welchen sie zu finden sind, korrigieren kann. Daher kommt es selten vor, dass jemand bei seinen Namen einfacher Ideen Fehler begeht, den Namen rot auf die Idee von Grün anwendet oder den Namen süß auf die Idee von Bitter. Noch geringer ist bei den Menschen die Neigung, die Namen von Ideen, die zu verschiedenen Sinnen gehören, zu verwechseln und eine Farbe mit dem Namen für einen Geschmack zu benennen usw. Damit ist evident, dass die einfachen Ideen, die wir mit irgendeinem Namen benennen, für gewöhnlich dieselben sind, die andere haben und meinen, wenn sie dieselben Namen gebrauchen. […] § 13. In Bezug auf reale Existenzen kann keine Idee falsch sein, außer jene von Substanzen. – Zweitens, was die Wahrheit und Falschheit unserer Ideen in Bezug auf die reale Existenz von Dingen angeht: wenn diese zum Standard für ihre Wahrheit erhoben wird, so kann außer unserer komplexen Ideen von Substanzen keine Idee falsch genannt werden. § 14. Erstens: Einfache Ideen sind in diesem Sinne nicht falsch, und der Grund dafür.K14 – Erstens : Da unsere einfachen Ideen ganz und gar solche Erscheinungen sind, wie Gott uns zu empfangen ausgestattet (fitted) hat und wie er den äußeren Gegenständen Kraft gegeben hat, sie in uns durch etablierte Gesetze und Wege – seiner Weisheit und Güte angemessen, wenngleich unbegreiflich für uns – zu erzeugen, besteht ihre Wahrheit in nichts anderem als solchen Erscheinungen, wie sie in uns erzeugt werden. Diese müssen jenen Kräften entsprechen, die er in den externen Gegenständen angelegt hat, andernfalls könnten sie nicht in uns erzeugt werden. Indem sie folglich diesen Kräften antworten, sind sie, was sie sein sollen: wahre Ideen. Sie werden auch nicht anfällig für irgendeine Zuschreibung von Falschheit, wenn der Geist (wie er es, glaube ich, bei den meisten Menschen tut) urteilt, dass diese Ideen in den Dingen selbst seien. Denn da Gott sie in seiner Weisheit als Kennzeichen von Distinktionen in Dingen festgelegt hat, kraft deren wir fähig sein sollen, ein Ding vom anderen zu unterscheiden und so ein jedes beliebiges je nach Gelegenheit für unseren Gebrauch zu wählen, ändert es nicht die Natur unserer einfachen Idee, ob wir nun denken, dass die Idee von Blau im Veilchen selbst sei oder dass sie bloß in unserem Geist sei, während im Veilchen selbst nur die Kraft sei, die Idee kraft der Textur ihrer Teile, die die
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Lichtteilchen auf bestimmte Weise reflektieren, in uns zu erzeugen. Denn sofern die Textur im Gegenstand durch regelmäßige und konstante Tätigkeit dieselbe Idee von Blau in uns erzeugt, dient sie uns dazu, dieses Ding mittels unserer Augen von jedem anderen Ding zu unterscheiden, gleich ob das unterscheidende Kennzeichen, wie es wirklich im Veilchen ist, nur eine eigentümliche Textur der Teile sei, oder eben jene Farbe, von welcher die Idee (die in uns ist) eine exakte Ähnlichkeit (resemblance) ist. Und sie ist in jedem Fall aufgrund dieser Erscheinung blau zu nennen, gleich ob es sich nun um diese wirkliche Farbe handelt oder lediglich um eine eigentümliche Textur darin, welche in uns die Idee verursacht. Denn der Name Blau benennt im eigentlichen Sinne nichts als das Kennzeichen dieser Unterscheidung, das in einem Veilchen ist und nur durch unsere Augen herausgesondert werden kann, worin auch immer es besteht. Denn letzteres auf distinkte Weise zu wissen, liegt jenseits unserer Fähigkeiten, und es würde vielleicht sogar von geringerem Nutzen für uns sein, wenn wir die Fähigkeiten zu dieser Unterscheidung hätten. § 15. Ebenso wenig würde es eine Zuschreibung von Falschheit zu unseren einfachen Ideen bedeuten, wenn eine differente Struktur unserer Organe zur Folge hätte, dass derselbe Gegenstand im Geist verschiedener Menschen gleichzeitig unterschiedliche Ideen erzeugte;K15 wenn also zum Beispiel die Idee, die ein Veilchen im Geist eines Menschen vermittels der Augen erzeugte, dieselbe wäre wie die, die eine Ringelblume im Geist eines anderen Menschen erzeugte, und umgekehrt. Denn dies könnte niemals erkannt werden, weil weder der Geist eines Menschen in den Körper eines anderen Menschen überwechseln könnte, um wahrzunehmen, welche Erscheinungen durch jene Organe erzeugt würden, noch die hierdurch erzeugten Ideen oder die Namen verwechselt werden könnten oder gar irgendeine Falschheit darin wäre. Denn da alle Dinge, die die Textur eines Veilchens hätten, konstant die Idee erzeugten, die jemand Blau nennte, und da all die Dinge, die die Textur einer Ringelblume hätten, fortwährend die Idee erzeugten, die er genauso konstant gelb nennte – was auch immer die Erscheinungen in seinem Geist sein sollten –, wäre er fähig, die Dinge aufgrund ihrer Erscheinungen ebenso regelmäßig für seinen Gebrauch zu unterscheiden, zu verstehen und diese Unterschiede, die durch die Namen blau und gelb gekennzeichnet sind, zu bezeichnen, als ob die Erscheinungen oder Ideen in seinem Geist, die von diesen beiden Blumen empfangen werden, exakt dieselben wären wie diejenigen Ideen, welche andere Menschen in ihrem Geist haben. Ich bin aber dennoch durchaus geneigt anzunehmen, dass die sinnlichen Ideen, die durch irgendeinen Gegenstand im Geist verschiedener Menschen erzeugt werden, im All-
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gemeinen sehr nah und auf ununterscheidbare Weise ähnlich sind. Für diese Meinung können, glaube ich, viele Gründe gegeben werden; doch da dies von meinem jetzigen Vorhaben abweicht, werde ich meinen Leser nicht damit behelligen, sondern ihn nur darauf hinweisen, dass die entgegengesetzte Unterstellung, wenn sie bewiesen werden könnte, von geringem Nutzen ist, sei es für die Verbesserung unseres Wissens oder die Bedürfnisse des Lebens; mithin brauchen wir uns nicht damit aufzuhalten, sie zu überprüfen. […] [Ideen und Wissen] Buch IV, Kapitel I: Über Wissen im Allgemeinen § 1. Unser Wissen bezieht sich auf unsere Ideen. – Da der Geist in all seinen Gedanken und Folgerungen keinen anderen unmittelbaren Gegenstand hat als seine eigenen Ideen – diese allein betrachtet er oder kann sie betrachten –, ist evident, dass unser Wissen sich nur auf sie bezieht. § 2. Wissen ist die Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von zwei Ideen. – Wissen scheint mir nichts als die Wahrnehmung des Zusammenhangs und der Übereinstimmung oder der Nichtübereinstimmung und des Widerstreits irgendwelcher unserer Ideen zu sein. Darin allein besteht es. Wo diese Wahrnehmung besteht, dort ist Wissen, und wo sie nicht besteht, dort mögen wir uns zwar etwas einbilden, vermuten oder glauben, doch bringen wir es nie zu Wissen. Denn wenn wir wissen, dass weiß nicht schwarz ist, was tun wir anderes als wahrzunehmen, dass diese zwei Ideen nicht übereinstimmen? Wenn wir uns mit der allergrößten Sicherheit des Beweises bemächtigen, dass die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten Winkeln gleich sind, was tun wir anderes als wahrzunehmen, dass die Gleichheit zu zwei rechten Winkeln notwendigerweise mit den drei Winkeln eines Dreiecks übereinstimmt und unabtrennbar von ihnen ist? § 3. Diese Übereinstimmung ist vierfach. – Um ein wenig genauer zu verstehen, worin diese Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung besteht, sollten wir sie meines Erachtens auf vier Arten eingrenzen: 1. Identität oder Verschiedenheit. 2. Relation. 3. Koexistenz oder notwendiger Zusammenhang. 4. Reale Existenz. § 4. Erstens, Identität oder Verschiedenheit. – Erstens zur ersten Art der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, also Identität oder Verschiedenheit. Der erste Akt des Geistes, sobald er überhaupt irgendwelche Empfindungen oder Ideen hat, besteht darin, seine Ideen wahrzunehmen, und insofern, als er sie wahrnimmt, eine jede als das zu erkennen, was sie
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ist, und dadurch auch deren Differenz wahrzunehmen und dass eine nicht die andere ist. Dies ist von solch unbedingter Notwendigkeit, dass es andernfalls kein Wissen, kein Folgern, keine Vorstellung, ja schlechterdings keine distinkten Gedanken geben könnte.K16 Dadurch nimmt der Geist auf klare und unfehlbare Weise jede Idee als mit sich übereinstimmend und als das, was sie ist, wahr; alle nicht-überstimmenden Ideen hingegen als nicht-übereistimmend, d. h. dass die eine nicht die andere ist. Er vollzieht dies ohne jede Mühe, Anstrengung oder Ableitung (deduction), vielmehr auf den ersten Blick, aufgrund seiner natürlichen Kraft der Wahrnehmung und Unterscheidung. Zwar haben die Fachgelehrten dies auf jene generellen Regeln – Was ist, ist. Es ist für dasselbe Ding unmöglich, zu sein und nicht zu sein –K17 zurückgeführt, um eine eilfertige Anwendung in allen Fällen zu gestatten, bei denen Gelegenheit bestehen könnte, darüber zu reflektieren, doch ist es gewiss, dass der erste Vollzug dieses Vermögens sich auf partikuläre Ideen bezieht. Ein Mensch weiß auf unfehlbare Weise – sobald er sie jemals im Geist hat –, dass die Ideen, die er weiß und rund nennt, eben jene Ideen sind, die sie sind, und dass sie nicht andere Ideen sind, die er rot und viereckig nennt. Auch kann keine Maxime und kein Satz der Welt ihn dazu bringen, es mit mehr Klarheit oder Sicherheit zu wissen als er es zuvor und ohne eine solche generelle Regel wusste. Dies ist mithin die erste Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, welche der Geist an seinen Ideen wahrnimmt, und zwar immer auf den ersten Blick wahrnimmt. Und sollte sich diesbezüglich jemals ein Zweifel erheben, so wird er sich immer als einer bezüglich der Namen herausstellen, nicht aber bezüglich der Ideen selbst, deren Identität und Verschiedenheit immer so bald und so klar wahrgenommen werden wird, wie die Ideen selbst sind, und dies kann sich unmöglich anders verhalten. § 5. Zweitens, relativ. – Zweitens: Die nächste Art von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, die der Geist an irgendeiner seiner Ideen wahrnimmt, kann meines Erachtens relativ genannt werden. Dabei handelt es sich um nichts anderes als die Wahrnehmung der Relation zwischen zwei Ideen beliebiger Art, gleich ob Substanzen, Modi oder irgendeine andere. Denn da von allen distinkten Ideen ewig gewusst werden muss, dass sie nicht identisch sind, und sie daher universell und konstant von einander negiert werden müssen, könnte es überhaupt keinen Raum für irgendein positives Wissen geben, wenn wir nicht irgendeine Relation zwischen unseren Ideen wahrnehmen könnten und auf den verschiedenen Wegen, die der Geist in ihrem Vergleich beschreitet, die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung entdecken könnten, die zwischen ihnen besteht.
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§ 6. Drittens, der Koexistenz. – Die dritte Art von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, die bei unseren Ideen, auf die sich die Wahrnehmung unseres Geistes richtet, zu finden ist, ist die Koexistenz oder Nicht-Koexistenz im selben Subjekt; diese kommt insbesondere den Substanzen zu. Wenn wir also in Bezug auf Gold behaupten, dass es beständig sei, so besagt unser Wissen dieser Wahrheit nicht mehr als dies, dass Beständigkeit oder eine Kraft, im Feuer nicht zu verbrennen, eine Idee ist, die diese besondere Art von Gelbheit, Gewicht, Schmelzbarkeit, Dehnbarkeit und Löslichkeit in Königswasser (aqua regia), die unsere komplexe Idee, die mit dem Wort Gold bezeichnet wird, ausmachen, immer begleitet und mit ihr verbunden ist. § 7. Viertens, der realen Existenz. – Viertens: Die vierte und letzte Art besteht darin, dass die aktuale reale Existenz mit irgendeiner Idee übereinstimmt. In diesen vier Arten von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung ist, so unterstelle ich, all das Wissen, das wir haben oder dessen wir fähig sind, enthalten. Denn da alle Untersuchungen, die wir anstellen können, irgendwelche unserer Ideen betreffen, liegt alles, was wir in Bezug auf sie wissen oder affirmieren können, darin, dass sie oder dass sie nicht mit einer anderen identisch ist, dass sie oder dass sie nicht immer mit einer anderen Idee in demselben Subjekt koexistiert, dass sie diese oder jene Relation zu einer anderen Idee hat oder dass sie eine reale Existenz außerhalb des Geistes hat. Folglich betrifft Blau ist nicht Gelb die Identität. Zwei Dreiecke mit gleicher Basis zwischen zwei Parallelen sind gleich betrifft die Relation. Eisen ist magnetischen Einflüssen zugänglich betrifft die Koexistenz; Gott ist betrifft die reale Existenz. Obwohl Identität und Koexistenz in Wahrheit nichts als Relationen sind, stellen sie doch solch eigentümliche Arten von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer Ideen dar, dass sie durchaus als distinkte Rubriken betrachtet zu werden verdienen und nicht etwa unter der Relation im Allgemeinen. Sie stellen nämlich ganz verschiedene Grundlagen der Affirmation und Negation dar, wie jedem leicht einleuchten wird, der nur das, was an zahlreichen Stellen dieses Essay gesagt wurde, reflektiert. […] Buch IV, Kapitel IV: Über die Realität unseres Wissens § 1. Einwand, in Ideen verortetes Wissen könnte lediglich bloße Vision sein. – Ich zweifle nicht, dass mein Leser inzwischen zu denken geneigt sein mag, dass ich die ganze Zeit nur ein Luftschloss gebaut habe, und nun fragen möchte: Zu welchem Zweck all dieses Aufhebens? Wissen, so sagst du, ist lediglich die Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer eigenen Ideen. Aber wer weiß, was jene Ideen sein mö-
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gen? Gibt es etwas so Extravagantes wie die Vorstellungen (imaginations) des menschlichen Gehirns? Wessen Kopf beherbergt denn keine Chimären? Oder falls es einen nüchternen und weisen Menschen geben sollte, welcher Unterschied wird nach Deinen Grundsätzen zwischen seinem Wissen und dem des überspanntesten Phantasten dieser Welt bestehen? Beide haben ihre Ideen und nehmen deren Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung wahr. Sollte es irgendeinen Unterschied zwischen den beiden geben, so wird der Vorteil bei dem Hitzkopf liegen, da er über mehr und lebendigere Ideen verfügt. Und folglich wird er nach deinen Grundsätzen der Wissendere sein. Sollte es zutreffen, dass alles Wissen allein in der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer eigenen Ideen liegt, dann werden die Visionen eines Schwärmers und die Überlegungen eines besonnenen Menschen von gleicher Gewissheit sein. Es spielt keine Rolle, wie sich die Dinge verhalten – sofern ein Mensch nur die Übereinstimmung seiner eigenen Vorstellungen beobachtet und sich dementsprechend ausdrückt, so ist alles Wahrheit, alles Gewissheit. Solche Luftschlösser werden ebensolche Bollwerke der Wahrheit sein wie die Beweise des Euklid. Dass eine Harpyie kein Zentaur ist, ist nach dieser Richtschnur ein ebenso gewisses Wissen und genauso eine Wahrheit wie dies, dass ein Viereck kein Kreis ist. Doch welchen Nutzen hat all dieses schöne Wissen von den Vorstellungen der Menschen für jemanden, der nach der Wirklichkeit der Dinge fragt? Es ist ohne Belang, worin die Einbildungen der Menschen bestehen, das Wissen von Dingen ist es, was unsere alleinige Anerkennung verdient; dies allein verleiht unseren Folgerungen Wert und dem Wissen eines Menschen den Vorrang vor dem eines anderen, dass es sich auf Dinge, wie sie wirklich sind, und nicht auf Träume und Einbildungen bezieht. § 2. Erwiderung, dies gilt nicht, wo Ideen mit Dingen übereinstimmen. – Darauf erwidere ich Folgendes: Wenn unser Wissen von unseren Ideen in ihnen endete und nicht weiter reichte, wo etwas Weiteres intendiert ist, dann hätten unsere ernsthaftesten Gedanken kaum mehr Nutzen als die Träumereien eines kranken Hirns und die darauf gegründeten Wahrheiten kaum mehr Gewicht als die Reden eines Menschen, der die Dinge offenkundig im Traum sieht und sie mit großen Beteuerungen von sich gibt. Doch ich hoffe, dass ich, bevor ich zum Schluss komme, noch mit Evidenz darlegen kann, dass dieser Weg der Gewissheit, durch das Wissen unserer eigenen Ideen, noch ein wenig weiter reicht als die bloße Vorstellung; und ich bin überzeugt, dass klar werden wird, dass all die Gewissheit der generellen Wahrheiten, die ein Mensch hat, in nichts anderem liegt.
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§ 3. Es ist evident, dass der Geist die Dinge nicht unmittelbar erkennt, sondern nur vermittels der Ideen, welche er von ihnen hat. Unser Wissen ist deshalb nur insofern real, als eine Konformität zwischen unseren Ideen und der Realität der Dinge besteht. Doch was soll das Kriterium dafür sein? Wie soll der Geist wissen, dass die Ideen mit den Dingen selbst übereinstimmen, wenn er nichts als seine Ideen wahrnimmt? Obwohl dies nicht gerade der Schwierigkeiten entbehrt, glaube ich dennoch, dass es zwei Arten von Ideen gibt, die, wie wir uns vergewissern können, mit Dingen übereinstimmen. § 4. Wie nämlich erstens alle einfachen Ideen. – Erstens: Die ersten [dieser Art] sind die einfachen Ideen, die – da der Geist, wie gezeigt worden ist, sie auf keinen Fall für sich selbst herstellen kann – notwendigerweise das Erzeugnis der Dinge sein müssen, die auf natürlichem Wege auf den Geist einwirken und in ihm eben jene Wahrnehmungen erzeugen, zu denen sie kraft der Weisheit und des Willens unseres Schöpfers bestimmt und angepasst sind. Hieraus folgt, dass einfache Ideen nicht Fiktionen unserer Einbildung sind, sondern die natürlichen und regulären Erzeugnisse von Dingen außerhalb von uns, die wirklich auf uns einwirken; mithin weisen sie in vollem Umfang die Konformität, die intendiert ist oder die unser Zustand erfordert. Denn sie präsentieren uns Dinge unter denjenigen Erscheinungsformen (appearances), die in uns zu erzeugen sie zugeschnitten (fitted) sind, wodurch wir wiederum befähigt sind, die Arten partikulärer Substanzen zu unterscheiden, die Zustände, in denen sie sich befinden, zu erkennen, und sie dadurch hinsichtlich unserer Bedürfnisse (necessities) aufzufassen und zu unseren Zwecken (uses) zu gebrauchen.K18 Da folglich die Idee der Weiße oder Bitterkeit, wie sie im Geist ist, genau derjenigen Kraft korrespondiert, welche in einem beliebigen Körper ist, sie dort hervorzurufen, hat sie in vollem Maße die reale Konformität mit den Dingen außerhalb von uns, die sie haben kann oder haben soll. Und diese Konformität zwischen unseren einfachen Ideen und der Existenz der Dinge ist hinreichend für reales Wissen. § 5. Zweitens, alle komplexen Ideen, ausgenommen die von Substanzen. – Zweitens: Da all unsere komplexen Ideen, mit Ausnahme der von Substanzen, vom Geist selbst gemachte Urbilder (Archetypes) sind, die weder als Kopien irgendeines Dinges intendiert, noch auf die Existenz eines Dinges – als ihres Ursprungs – bezogen sind, kann ihnen auch nicht irgendeine zu realem Wissen erforderliche Konformität fehlen. Denn das, was nicht zur Repräsentation irgendeines Dinges außer seiner selbst bestimmt ist (designed), kann niemals zu einer falschen Repräsentation in der Lage sein; ebenso wenig kann es uns von der wahren Erfassung eines Dinges wegführen, etwa
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durch eine Ungleichheit zu diesem. So sind mit Ausnahme der Ideen von Substanzen all unsere komplexen Ideen beschaffen. Wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, handelt es sich um Verbindungen von Ideen, die der Geist aufgrund freier Wahl zusammensetzt, ohne irgendeinen Zusammenhang zu betrachten, den sie in der Natur haben. Und so kommt es, dass bei all diesen Arten die Ideen selbst als die Urbilder betrachtet werden, während die Dinge ausschließlich insofern berücksichtigt werden, als sie ihnen entsprechen. Folglich können wir nur unfehlbar gewiss sein, dass alles Wissen, das wir in Bezug auf diese Ideen erlangen, real ist und die Dinge selbst erreicht. Denn in all unseren Gedanken, Folgerungen und Reden dieser Art richten (intend) wir uns nur soweit auf die Dinge, wie sie unseren Ideen entsprechen können, so dass wir in diesen Fällen eine gewisse unzweifelhafte Realität nicht verfehlen können. § 6. Daher die Realität mathematischen Wissens. – Ich zweifle nicht, dass man leicht einräumen wird, dass das Wissen, das wir von mathematischen Wahrheiten haben, nicht nur gewiss ist, sondern reales Wissen und keineswegs die bloße leere Vision nichtiger, bedeutungsloser Chimären des Gehirns; und doch, wenn wir es betrachten, werden wir sehen, dass es sich nur auf unsere eigenen Ideen bezieht. […] § 7. Und des moralischen [Wissens]. – Und daraus folgt, dass moralisches Wissen ebenso realer Gewissheit fähig ist wie die Mathematik. Denn da Gewissheit allein die Wahrnehmung der Übereinstimmung oder NichtÜbereinstimmung unserer Ideen ist und Beweis (demonstration) nichts als die Wahrnehmung solcher Übereinstimmung aufgrund der Intervention anderer Ideen oder Mittler (mediums) und da unsere moralischen wie die mathematischen Ideen selbst Urbilder und mithin adäquate und vollständige Ideen sind, wird all die Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung, die wir bei ihnen finden, genauso reales Wissen erzeugen wie bei den mathematischen Figuren. […] § 11. Ideen von Substanzen haben ihre Urbilder außerhalb von uns. – Drittens: Es gibt eine weitere Art von komplexen Ideen, die sich – da sie auf Urbilder außerhalb von uns bezogen werden – von diesen unterscheiden können, und folglich kann unser Wissen insofern unzureichend sein, als es möglicherweise nicht real ist. Derart sind unsere Ideen von Substanz, denn da sie aus einer Ansammlung (collection) einfacher Ideen bestehen, von der unterstellt wird, dass sie den Werken der Natur entnommen ist, kann sie dennoch von ihnen abweichen, indem mehr oder andere Ideen in ihr vereint sind denn in den Dingen selbst als vereint zu finden sind. So kommt es, dass sie möglicherweise und meist sogar tatsächlich nicht genau den Dingen selbst entsprechen.
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§ 12. Soweit sie mit jenen übereinstimmen, ist unser sie betreffendes Wissen real. – Ich behaupte also, dass es für das Haben von Substanzideen, die uns aufgrund ihrer Konformität zu Dingen reales Wissen liefern können, anders als bei den Modi nicht ausreicht, solche Ideen zusammenzusetzen, die nicht inkonsistent sind, obwohl sie niemals zuvor so existierten. So waren zum Beispiel die Ideen von Sakrileg oder Meineid usw. vor wie nach der Existenz einer solchen Tatsache gleichermaßen real und wahr. Doch da unsere Substanzideen für Kopien gehalten und auf Urbilder außerhalb von uns bezogen werden, müssen sie immer von etwas, das existiert oder existiert hat, aufgenommen werden. Sie dürfen nicht ohne irgendein reales Muster, von dem sie aufgenommen wurden, aus nach dem Belieben unserer Gedanken zusammengesetzten Ideen bestehen, auch wenn wir keine Inkonsistenz in einer solchen Ansammlung wahrnehmen können. Der Grund dafür ist folgender: Wir wissen nicht, was für eine reale Konstitution es bei den Substanzen ist, von der unsere einfachen Ideen abhängen und die nun wirklich die Ursache der strikten Vereinigung einiger dieser [Ideen] sowie des Ausschlusses anderer ist. Daher gibt es gibt es sehr wenige von ihnen, bezüglich deren wir jenseits der Erfahrung und sinnlichen Beobachtung sicher sein können, dass sie in der Natur inkonsistent sind oder nicht. Daher gründet sich die Realität unseres die Substanzen betreffenden Wissens darauf, dass all unsere komplexen Ideen von ihnen derart und nur derart sein müssen, dass sie aus solchen einfachen Ideen bestehen, die als koexistent in der Natur entdeckt worden sind. Und während unsere Ideen in dieser Hinsicht wahre, wenngleich vielleicht nicht sehr exakte Kopien sind, sind sie doch die Subjekte realen Wissens von ihnen (soweit wir irgendwelche haben). Dies (wie bereits gezeigt worden ist) wird man als nicht sehr weitreichend einstufen, doch so weit wie es reicht, wird es immer noch reales Wissen sein. Was für Ideen auch immer wir haben, bei der Übereinstimmung, die wir zwischen ihnen und anderen finden, wird es sich immer noch um Wissen handeln. Wenn diese Ideen abstrakt sind, wird es generelles Wissen sein. Um es jedoch bezüglich der Substanzen als real auszuweisen, müssen die Ideen der realen Existenz der Dinge entnommen sein. Welche einfachen Ideen auch immer als koexistierend in einer Substanz vorgefunden worden sind, diese können wir mit Zutrauen abermals miteinander verbinden und auf diese Weise abstrakte Substanzideen machen. Denn was einmal in der Natur vereint war, kann erneut vereint werden. § 13. Bei unseren Untersuchungen über Substanzen müssen wir Ideen betrachten und unsere Gedanken nicht auf Namen oder unterstellte Spezies beschränken, die durch Namen abgegrenzt wurden. – Wenn wir dies korrekt betrachten und
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unsere Gedanken und abstrakten Ideen nicht auf Namen beschränken, als ob es keine anderen Arten von Dingen gäbe oder geben könnte denn die, welche durch bekannte Namen bereits bestimmt und sozusagen abgegrenzt worden sind, sollten wir mit größerer Freiheit und weniger Verwirrung über Dinge nachdenken, als wir es vielleicht tun. Es würde möglicherweise für ein kühnes Paradox, wenn nicht sogar für eine gefährliche Verirrung gehalten werden, wenn ich behaupten sollte, dass einige Wechselbälger (changelings), die vierzig Jahre ohne jedes Anzeichen von Vernunftbegabung zusammen gelebt haben, etwas zwischen Mensch und Tier sind. Dieses Vorurteil gründet auf nichts anderem als der falschen Unterstellung, dass diese zwei Namen, Mensch und Tier, für distinkte Spezies sind, die solcherart durch reale Essenzen abgegrenzt sind, dass es keine Spezies zwischen ihnen geben kann. Wenn wir jedoch von jenen Namen und der Unterstellung solch spezifischer, von der Natur gemachter Essenzen, an denen alle Dinge mit derselben Benennung auf genau bestimmte und gleiche Weise teilhätten, absehen wollten und würden wir uns nicht einbilden, es gäbe eine bestimmte Anzahl dieser Essenzen, in welchen alle Dinge, wie in Gussformen, gegossen und geformt würden, so würden wir entdecken, dass die Idee der Gestalt (shape), der Bewegung und des Lebens eines Menschen ohne Vernunft genauso sehr eine distinkte Idee ist und genauso sehr eine von Mensch und Tier distinkte Art von Dingen ergibt, wie die Idee der Gestalt eines Esels mit Vernunft unterschieden wäre von der eines Menschen oder eines Tieres und eine Spezies eines Lebewesens zwischen oder distinkt von beiden wäre.K19 § 14. Einwand gegen Wechselbälger als etwas zwischen Mensch und Tier beantwortet. – Wenn Wechselbälger als etwas zwischen Mensch und Tier unterstellt werden, wird hier jeder sogleich fragen wollen: Was sind sie denn nun bitte? Ich antworte: Wechselbälger. Dieses Wort ist zur Bezeichnung von etwas, das von der Bezeichnung von MENSCH oder TIER verschieden ist, genauso geeignet, wie die Namen Mensch und Tier geeignet sind, voneinander verschiedene Signifikationen zu haben. Recht betrachtet würde dies die Angelegenheit lösen und das, was ich meine, ohne weiteres Aufhebens auf den Punkt bringt. […] Buch IV, Kapitel V: Über die Wahrheit im Allgemeinen […] § 2. Ein korrektes Verbinden oder Trennen von Zeichen, d. h. Ideen oder Wörtern. – Wahrheit scheint mir in der eigentlichen Bedeutung des Wortes also nichts anderes zu bezeichnen als das Verbinden oder Trennen von Zeichen, wie
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die durch sie bezeichneten Dinge mit einander übereinstimmen oder nicht übereinstimmen. Das hier gemeinte Verbinden oder Trennen von Zeichen ist das, was wir mit einem anderen Namen auch Satz (proposition) nennen. Mithin kommt Wahrheit eigentlich nur Sätzen zu, von denen es zwei Arten gibt, und zwar mentale und verbale, wie es zwei Arten von Zeichen gibt, von denen gemeinhin Gebrauch gemacht wird, und zwar Ideen und Wörter.K20 § 3. Dies ergibt mentale oder verbale Sätze. – Um einen klaren Begriff der Wahrheit zu bilden, ist es überaus notwendig, die Wahrheit des Denkens und der Wörter getrennt von einander zu betrachten. Aber es ist sehr schwer, sie als voneinander verschieden zu behandeln. Denn bei der Besprechung mentaler Sätze ist es unvermeidbar, Wörter zu gebrauchen; und so hören die Beispiele für mentale Sätze sogleich auf, rein mental zu sein und werden verbal. Denn da ein mentaler Satz nichts als eine bloße Betrachtung der Ideen ist, wie sie in unserem Geist von Namen befreit sind, verlieren sie die Natur rein mentaler Sätze, sobald sie in Worte gefasst werden. § 4. Mentale Sätze sind äußerst schwer zu behandeln. – Das, was es aber noch schwerer macht, mentale und verbale Sätze getrennt zu betrachten, ist, dass die meisten, wenn nicht gar alle Menschen, bei ihrem inneren Denken und Folgern Wörter anstelle von Ideen gebrauchen, zumindest dann, wenn das Subjekt ihres Nachdenkens (meditation) komplexe Ideen enthält. Dies ist ein erheblicher Beleg für die Unvollkommenheit und Ungewissheit unserer Ideen dieser Art und kann uns – wenn aufmerksam genutzt – als Kennzeichen dienen, uns zu zeigen, von welchen Dingen wir klare und vollkommen ausgeprägte Ideen haben und von welchen nicht. Denn wenn wir wissbegierig den Weg beobachten, den unser Geist im Denken und Folgern nimmt, so werden wir meines Erachtens entdecken, dass wir bei der Bildung irgendeines Satzes in unseren eigenen Gedanken – über Weiß oder Schwarz , Süß oder Bitter, ein Dreieck oder einen Kreis – die Ideen selbst fassen können und auch oftmals fassen (frame), ohne auf die Namen zu reflektieren. Doch wollen wir komplexere Ideen – wie von einem Menschen, von Vitriol, Tapferkeit oder Ruhm – betrachten oder einen Satz aus ihnen bilden, setzen wir für gewöhnlich den Namen an die Stelle der Idee. Denn da die Ideen, für die diese Namen stehen, größtenteils unvollkommen, konfus und unbestimmt sind, reflektieren wir auf die Namen selbst, denn diese sind von größerer Klarheit, Gewissheit und Distinktheit und kommen leichter in unsere Gedanken als die reinen Ideen. Mithin gebrauchen wir diese Wörter anstelle der Ideen selbst, auch wenn wir in uns selbst nachdenken und folgern und stille mentale Sätze bilden. Im Fall von Substanzen ist dies – wie schon bemerkt – durch die Unvoll-
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kommenheit unserer Ideen bedingt, indem wir den Namen für die reale Essenz setzen, von der wir überhaupt keine Idee haben. Bei den Modi ist es durch die große Zahl einfacher Ideen bedingt, die in ihre Bildung eingehen. Denn da viele von ihnen sehr vielfältig (compounded) sind, tritt der Name sehr viel leichter auf als die komplexe Idee selbst, die Zeit und Aufmerksamkeit erfordert, um wieder ins Gedächtnis gerufen und im Geist genau repräsentiert zu werden, und zwar sogar bei solchen Menschen, die sich bereits bemüht haben, dies zu tun. Völlig unmöglich aber ist es denen, die zwar den größten Teil der gewöhnlichen Wörter ihrer Sprache in ihrem Gedächtnis verfügbar haben, sich aber vielleicht in ihrem ganzen Leben nie darum gesorgt haben zu betrachten, für welche präzisen Ideen die meisten von ihnen stehen. […] Buch IV, Kapitel XXI: Über die Einteilung der Wissenschaften § 1. Drei Arten. – Da alles, was in den Bereich des menschlichen Verstandes fällt, entweder (1) die Natur der Dinge, wie sie an sich sind, ihre Relationen und ihre Wirkungsweise ist, oder (2) das, was der Mensch als ein rational und willentlich Handelnder zur Erlangung irgendeines Zieles, besonders des Glücks, tun sollte, oder (3) schließlich die Mittel und Wege sind, vermöge deren das Wissen von den beiden ersteren erlangt und kommuniziert wird, glaube ich, dass Wissenschaft angemessen in diese drei Arten eingeteilt werden kann. […] § 4. Drittens, . – Drittens: Der dritte Zweig kann oder die Lehre von den Zeichen genannt werden; da die gebräuchlichsten von diesen Wörter sind, wird er durchaus angemessenerweise auch , also Logik genannt. Deren Aufgabe ist es, die Natur der Zeichen zu betrachten, die der Geist zum Verstehen der Dinge oder zur Vermittlung seines Wissens an andere gebraucht. Denn da keines der Dinge, welche der Geist betrachtet, mit Ausnahme seiner selbst dem Verstand präsent ist, ist es notwendig, dass ihm etwas anders, nämlich ein Zeichen oder eine Repräsentation des von ihm betrachteten Dinges präsent sei: und dies sind die Ideen. Und weil der Schauplatz der Ideen, die die Gedanken eines Menschen ausmachen, nicht der unmittelbaren Sicht eines anderen offeriert und ausschließlich im Gedächtnis – einem nicht gerade sicheren Aufbewahrungsort – gespeichert werden kann, sind zur Kommunikation unserer Gedanken und zu deren Aufzeichnung für unseren eigenen Gebrauch folglich auch Zeichen unserer Ideen erforderlich. Diejenigen, welche die Menschen für die geeignetsten hielten und daher im Allgemeinen gebrauchen, sind artikulierte Laute. Mithin bildet die Betrachtung der Ideen und Wörter als die hervorragenden Instrumente des Wis-
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sens keinen geringen Teil des Nachdenkens derer, die das menschliche Wissen umfassend in den Blick nehmen wollen. Und wenn [Ideen und Wörter] getrennt voneinander erwogen und angemessen betrachtet würden, so würden sie uns schließlich eine andere Art von Logik und Kritik bieten als die, mit der wir bislang vertraut gewesen sind. […]
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8. Gottfried Wilhelm Leibniz Christian Barth
8.1 Einleitung 8.1.1 Kurzbiographie Gottfried Wilhelm Leibniz wurde am 1. Juli 1646 in Leipzig geboren. 1661 begann er ein philosophisches Studium an der Universität Leipzig und erwarb bereits 1662 den Grad des Bakkalaureus. Nach einem einsemestrigen Aufenthalt in Jena, wo er vor allem bei dem Mathematiker Erhard Weigel studierte, erlangte er 1664 in Leipzig den Magistergrad in Philosophie und 1665 den Grad des Bakkalaureus in Jura. 1666 wechselte er an die Universität von Altdorf in der Nähe Nürnbergs und wurde dort 1667 zum Doktor beider Rechte promoviert. Er schlug nach seinem Abschluss eine ihm angebotene Professur in Altdorf aus und trat 1668 in den Dienst von Johann Philipp von Schönborn ein, dem Kurfürsten und Erzbischof von Mainz. 1672 brach er zu einer diplomatischen Mission nach Paris auf, in deren Verlauf Leibniz den französischen König Ludwig XIV. davon überzeugen wollte, seine expansive Außenpolitik in Ägypten und nicht in Europa weiterzuverfolgen. In Paris eröffnete sich dem jungen Leibniz die Möglichkeit, mit führenden Gelehrten seiner Zeit wie Christiaan Huygens, Antoine Arnauld und Nicolas Malebranche in Kontakt zu treten, dies umso mehr, nachdem mit dem Tod des Mainzer Kurfürsten im Jahr 1673 die ohnehin wenig Erfolg versprechende diplomatische Mission zum Erliegen kam. Leibniz arbeitete sich in Paris in die neuesten Erkenntnisse der Mathematik ein, was ihn 1675 zur Entwicklung der Infinitesimalrechnung führte, und setzte sich mit dem Cartesianismus in der Philosophie auseinander. 1676 trat Leibniz in den Dienst des Welfenherzogs Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg. Die Reise von Paris an den Hof von Hannover nutzte Leibniz zu einem Abstecher zur Royal Society nach London und zu einem Aufenthalt in den Niederlanden, wo er Spinoza kennen lernte.
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Leibniz blieb bis an sein Lebensende im Dienst des Hannoverschen Welfenhauses, versuchte jedoch auch in den Dienst des französischen Königs, des Kaisers in Wien, später auch in den des russischen Zaren zu treten. Diese Versuche waren nur teilweise von Erfolg gekrönt. Sie verdeutlichen Leibniz’ lebenslanges Anliegen, über politische Beratungstätigkeit bei Kaiser und Königen die Geschicke der Welt in Bahnen zu lenken, die dem Menschenwohl dienlich sind. In der Zeit seiner Anstellung am Hannoverschen Hof unternahm Leibniz zwischen 1687 und 1690 eine ausgedehnte Reise, die ihn bis nach Süditalien führte und auf der er Kontakte zu vielen weiteren Denkern seiner Zeit herstellte. Auf einer zweiten langen Reise hielt er sich zwischen 1712 und 1714 in Wien auf. In seiner Hannoverschen Zeit betrieb Leibniz eine schier unüberschaubare Vielzahl an politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, mathematischen, ingenieurtechnischen, juristischen, historischen und philosophischen Forschungen und Unternehmungen. Aus diesen stechen heraus: seine in der Pariser Zeit begonnene Entwicklung einer Rechenmaschine, die alle vier Grundrechenarten beherrschen sollte; sein – letztendlich fehlgeschlagener – Versuch, den Harzbergbau zwischen 1679 und 1685 zu modernisieren; sein zeitlebens nicht beendetes Vorhaben, eine umfangreiche Geschichte des Welfenhauses Braunschweig-Lüneburg zu verfassen; die Leitung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, die er 1691 übernahm; die Gründung der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin im Jahr 1700. Zu seinen herausragenden philosophischen Werken zählen der Discours de Métaphysique (1686), die Schrift Système Nouveau (1695), die Nouveaux Essais sur l’Entendement Humain (1703–05), die Essais de Théodizée (1710) und die Monadologie (1714). Nur das Système Nouveau und die Théodizée sind zu Leibniz’ Lebzeiten erschienen, wie Leibniz überhaupt nur wenige seiner Werke veröffentlicht hat. Der überwiegende Teil seiner Schriften, die bis heute herausgegeben worden sind, erschienen erst nach seinem Tod. Eine Gesamtedition ist in der groß angelegten Akademieausgabe von Leibniz’ sämtlichen Schriften und Briefen im Entstehen. Leibniz starb am 14. November 1716 in Hannover an den Folgen eines Nierenleidens. 8.1.2 Der systematische Hintergrund: Perzeptionstheorie Während René Descartes in seiner Substanzontologie zwischen zwei Typen individueller Substanzen (ausgedehnte und denkende Substanzen) unterscheidet, denen eine Vielzahl an Einzeldingen (einzelne Körper
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bzw. einzelne geistige Wesen) zugeordnet sind, ist Baruch de Spinoza ein Verfechter einer strikt monistischen Substanzontologie, in der es einen Typ individueller Substanzen gibt, von dem genau ein Exemplar existiert, nämlich Gott. Diese eine Substanz kann unter einer unendlichen Menge von Attributen betrachtet werden. Zwei dieser Attribute sind für uns epistemisch zugänglich: das Attribut des Denkens und das Attribut der Ausdehnung. Leibniz’ Substanzontologie kann als eine Zusammenführung der Auffassungen von Descartes und Spinoza betrachtet werden. Nach Leibniz existiert nur ein Typ individueller Substanzen, unter den aber unendlich viele Einzelexemplare fallen, die Leibniz seit den frühen 1690er Jahren mit Monaden identifiziert. Strittig ist, ob Leibniz’ individuelle Substanzen als immaterielle Substanzen oder als materielle, körperliche Substanzen zu verstehen sind. Die lange Zeit vorherrschende idealistische Deutung, nach der Leibniz alles Körperliche ausschließlich als intentionale Inhalte kognitiver Zustände betrachtet,1 wird seit Mitte der 1980er Jahre in Zweifel gezogen. Die idealistische Deutung von Leibniz’ Auffassung alles Körperlichen konkurriert nun mit einer realistischen Deutung, nach der – abgesehen von Gott – individuelle Substanzen für Leibniz stets körperliche Substanzen sind2 und einer Mischdeutung, nach der Leibniz bis etwa 1700 zu einer realistischen Position neigte, die er nach 1700 zugunsten einer idealistischen aufgab.3 Unabhängig von der Idealismus-Realismus-Frage ist es aber unstrittig, dass sich Leibniz’ individuelle Substanzen dadurch auszeichnen, repräsentationale Zustände aufzuweisen, die Leibniz als „Perzeptionen“ bezeichnet. Der Ausdruck „Perzeption“ ist in Leibniz’ technischer Verwendung nicht in dem Sinn von Wahrnehmungen zu verstehen.4 Vielmehr sind Leibniz’ Perzeptionen Repräsentationen einer Vielfalt, vorrangig der Vielfalt körperlicher Dinge in Raum und Zeit, in einer Einheit, d. h. in der individuellen Substanz. Leibnizsche Substanzen, so könnte man sagen, sind ‚Perzipierer‘ und somit auch ‚Repräsentierer‘ eines körperlichen Universums. Sie perzipieren dabei nicht jeweils bestimmte Ausschnitte des Universums, sondern alle individuellen Sub1
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Für neuere Vertreter der idealistischen Deutung siehe Sleigh 1990, Adams 1994 und Rutherford 1995. Siehe Phemister 2005. Für weitere Varianten der realistischen Position siehe Hartz/Wilson 2005 und Hartz 2007. Siehe Garber 1985; siehe auch Garbers Modifikation seiner Position in Garber 2005. Siehe zu Leibniz’ Verwendung der Ausdrücke „percipere“, „perceptio“, „perception“, „appercevoir“ und „s’appercevoir de“ die editorischen Vorbemerkungen.
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stanzen verfügen zu jedem Zeitpunkt über eine Perzeption aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Zustände des Universums.5 Auch wenn alle individuellen Substanzen somit zu jedem Zeitpunkt dasselbe perzipieren, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Distinktheit ihrer Perzeptionen. Zudem lässt sich die unendliche Vielzahl perzipierender Substanzen in drei Klassen einteilen, die im Hinblick auf ihre perzeptuellen Fähigkeiten hierarchisch geordnet sind: auf der untersten Stufe befinden sich die reinen oder nackten Substanzen, die nur zu unbewussten Perzeptionen fähig sind. Auf der nächst höheren Stufe befinden sich die Tiersubstanzen, die auch zu bewussten Wahrnehmungen fähig sind, ohne aber ein Bewusstsein ihrer selbst zu besitzen. Schließlich folgen die Geistsubstanzen, die zusätzlich Selbstbewusstsein aufweisen und vermittels ihres Verstandes notwendige Wahrheiten einsehen können. Ideen kommen in diesem hierarchischen Bild ausschließlich den Geistsubstanzen zu. Dies ist der Fall, weil Leibniz Ideen erstens als Denkvermögen bzw. als Qualitäten, bestimmte Denkakte vollziehen zu können,6 konzipiert und zweitens Gedanken an Selbstbewusstsein gekoppelt sind. Gedanken sind solche Perzeptionen, denen sich eine Substanz als ihre Perzeptionen bewusst werden kann. Da aber nur Geistsubstanzen über Selbstbewusstsein verfügen, können nur sie Ideen besitzen. 8.1.3 Die ausgewählten Textpassagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Leibniz charakterisiert Ideen in Was ist eine Idee? als Denkvermögen (siehe unten, S. 309). In § 26 der Metaphysischen Abhandlung (Discours de Métaphysique) beschreibt er sie als Qualitäten, bei entsprechender Gelegenheit an bestimmte Dinge denken zu können (siehe unten, S. 317). In diesem Werk unterscheidet Leibniz auch zwischen begriffenen und nicht begriffenen Ideen (§ 27; siehe unten, S. 319), wobei erstere offenbar als aktualisierte Ideen zu verstehen sind. In den Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen (Meditationes de cognitione, veritate et ideis)7 identi5
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Zu dieser These der „All-umfassenden Repräsentation“ siehe den systematischen Essay (Bd. 2, 8.3). Vgl. zu diesem Unterschied den systematischen Essay (Bd. 2, 8.3). Für Verweise auf Leibniz’ Text Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen wird im Folgenden die Kurzform „Überlegungen“ verwendet.
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fiziert Leibniz begriffene Ideen mit Modifikationen der Geistsubstanz (siehe unten, S. 316). Ideen von Dingen, an die wir nicht aktual denken, d. h. nicht begriffene Ideen, sind dagegen laut den Überlegungen als Potentialitäten im Geist gegeben, so wie die Figur des Herkules im unbehauenen Marmor vorhanden ist (siehe unten, S. 316). Im Vorwort der Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Nouveaux Essais sur l’Entendement Humain)8 greift Leibniz die Marmormetapher in veränderter Form auf, um zu veranschaulichen, in welcher Form uns Ideen – verstanden als nicht begriffene Ideen – angeboren sind: Ideen sind uns „wie Neigungen, Dispositionen, Gewohnheiten oder natürliche Virtualitäten“ angeboren und im Geist vorhanden wie eine Figur des Herkules durch entsprechend verlaufende Adern im Marmor „vorgezeichnet“ sein kann (siehe unten, S. 327). Neben der Bestimmung von Ideen als etwas, das aktualisiert oder nicht aktualisiert sein kann, charakterisiert Leibniz Ideen in den Neuen Abhandlungen auch als „unmittelbare innere Objekte von Gedanken“ (AA VI.6.109/NA II, i, 1; siehe unten, S. 328). b) Welche Arten von Ideen gibt es? In epistemischer Hinsicht unterscheidet Leibniz in den Überlegungen zum einen zwischen wahren und falschen Ideen, zum anderen zwischen dunklen und klaren, verworrenen und distinkten, inadäquaten und adäquaten sowie blinden bzw. symbolischen und intuitiven Ideen (siehe unten, S. 311–313). Im Hinblick auf das geistige Vermögen, in dem sie primär verarbeitet werden, unterscheidet Leibniz im Brief an die Königin Sophie Charlotte zwischen sinnlichen, gemeinsinnlichen und Verstandesideen (siehe unten, S. 326). Semantisch lassen sich vollständige von unvollständigen Ideen unterscheiden, wobei erstere Individualideen und letztere Allgemeinideen sind (Auszug aus dem Entwurf eines Briefes von Leibniz an Arnauld (14. 07. 1686); siehe unten, S. 322–323).
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Im Folgenden wird die Kurzform „Neue Abhandlungen“ verwendet, um auf Leibniz’ Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand Bezug zu nehmen. In Stellennachweisen findet das Kürzel „NA“ Anwendung. Stellen aus den Neuen Abhandlungen werden zweifach angegeben: nach dem Verweis auf die Akademieausgabe (AA Reihe.Band.Seite) folgt die Angabe des entsprechenden Abschnitts nach Leibniz’ eigener Einteilung der Neuen Abhandlungen in Bücher, Kapitel und Paragraphen (NA Buch, Kapitel, Paragraph). Leibniz folgt in dieser Einteilung Lockes An Essay Concerning Human Understanding.
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c) Wie entstehen Ideen? Während Leibniz auf der Ebene des Alltagsverstandes zugesteht, dass sinnliche Ideen aufgenommen werden (Metaphysische Abhandlung § 27; siehe unten, S. 318), vertritt er auf der Ebene seines metaphysischen Systems die Ansicht, alle Ideen seien angeboren (Metaphysische Abhandlung Überschrift von § 26 und § 28; siehe unten, S. 317 und 319. Ihre Aktivierung erfolgt unter göttlicher Mitwirkung und nach gottgegebenen Gesetzen (Metaphysische Abhandlung § 28; siehe unten, S. 319) durch eine „aktive Möglichkeit“ bzw. einer „Tendenz zur Tätigkeit“, die dem Geist selbst innewohnt (Metaphysische Abhandlung § 29 und AA VI.6.110/NA II, i, 2; siehe unten, S. 320 und 329–330). d) Was erklären Ideen? Ideen statten die Geistsubstanzen mit Denkvermögen (Was ist eine Idee?; siehe unten, S. 309) bzw. Qualitäten, an Dinge denken zu können (Metaphysische Abhandlung § 26; siehe unten, S. 317), aus, wodurch sie sich von allen anderen Substanzen unterscheiden. Ideen ermöglichen es Geistsubstanzen, Erkenntnisse über Dinge zu gewinnen (Was ist eine Idee?; siehe unten, S. 310). Da Ideen die Essenz von Gegenständen repräsentieren (Metaphysische Abhandlung § 26; siehe unten, S. 317), betreffen diese Erkenntnisse die wesentlichen Eigenschaften von Gegenständen. Insofern Geistsubstanzen über alle Ideen verfügen, gleichen sie dem göttlichen Geist und ahmen diesen nach (Metaphysische Abhandlung § 28; siehe unten, S. 319). 8.1.4 Editorische Vorbemerkungen Jede Auswahl aus Leibniz’ Texten ist mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert: Erstens ist Leibniz dafür bekannt, ein schier unermessliches Konvolut an schriftlichen Zeugnissen hinterlassen zu haben. Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts gestartete Versuch, die hinterlassenen Schriften in der Leibniz-Akademieausgabe historisch-kritisch zu edieren, ist auch heute bei weitem noch nicht abgeschlossen. Von Leibniz’ philosophischen Schriften sind bisher sein philosophischer Briefwechsel aus den Jahren 1663 bis 1685 (Akademieausgabe Reihe II Band 1), seine philosophischen Schriften aus den Jahren 1663 bis 1690 (Akademieausgabe Reihe VI Bände 1–4) sowie die Neuen Abhandlungen (Akademieausgabe Reihe VI Band 6) erschienen. Ein großer Teil von Leibniz’ philosophischen Schriften harrt somit noch seiner Aufarbeitung in der Akademieausgabe. Allerdings sind weitere – wenn auch bei weitem nicht alle –
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philosophische Texte von Leibniz in anderen Ausgaben seiner Schriften zugänglich, vor allem in Carl Immanuel Gerhardts siebenbändiger Ausgabe der Philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz (1875–1890), in Louis Couturats Opuscules et fragments inédits de Leibniz (1903) und in Gaston Gruas G.W. Leibniz: Textes inédits d’apres les manuscrits de la Bibliothèque provinciale de Hanovre (1948). Entsprechend dieser lückenhaften Editionslage konnte die Textauswahl nur auf der Basis einer unvollständigen Textgrundlage erfolgen. Es ist also keineswegs auszuschließen, dass wichtige Texte zu Leibniz’ Ideentheorie in dieser Textauswahl nicht enthalten sind, weil sie sich in dem noch nicht edierten Textkorpus befinden. Die zweite Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass Leibniz’ Anmerkungen zu seiner Ideenkonzeption über eine Vielzahl von Texten verstreut sind. Um die Textauswahl nicht zu kleinteilig werden zu lassen, haben wir uns dazu entschlossen, möglichst zusammenhängende Texte auszuwählen. Somit konnte die Auswahl auf sechs Schriften beschränkt werden, die in Übersetzung vollständig oder auszugsweise abgedruckt sind. Der erste Text Was ist eine Idee? weist keine von Leibniz stammende Datierung auf. Wir folgen hier der Datierung der Akademieausgabe, in der dieser Text aus inhaltlichen Erwägungen und aufgrund des Wasserzeichens des Originalpapiers auf den Herbst 1677 datiert wird. In Was ist eine Idee? präsentiert Leibniz erstmals in ausführlicher Weise seine eigene Ideenkonzeption, die aus einer Auseinandersetzung mit den Konzeptionen von Descartes sowie der Cartesianer Antoine Arnauld und Nicolas Malebranche hervorgeht. In den vollständig abgedruckten Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen setzt sich Leibniz vor allem mit Descartes’ Wahrheitskriterium der klaren und distinkten Ideen auseinander. Leibniz veröffentlichte diese Schrift 1684 in den Acta Eruditorum. Sie enthält seine ‚offizielle‘ Auffassung der Unterteilung von Ideen in epistemische Kategorien, was sich daran ablesen lässt, dass er in späteren Schriften mehrfach auf die Überlegungen verweist bzw. deren Inhalt wiederholt.9 Die Metaphysische Abhandlung aus dem Jahr 1686 bildet Leibniz’ erste zusammenhängende Darstellung seiner Metaphysik, in der er sich wiederum mit dem Cartesianismus kritisch auseinandersetzt. Herzstück dieser Schrift ist Leibniz’ Substanzkonzeption, die er in § 8 der Meta-
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So etwa in AA VI.6.254/NA II, xxix, 2.
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physischen Abhandlung einführt und nach der das Wesen individueller Substanzen darin besteht, über einen vollständigen Individualbegriff zu verfügen bzw. über eine Natur, die diesem Begriff entspricht. Vor allem in den §§ 23–29 befasst sich Leibniz mit dem Thema der Ideen. Wir haben in diese Textauswahl aber nur die §§ 26–29 aufgenommen, da der Inhalt der §§ 23–25 bereits durch die Überlegungen abgedeckt ist. Leibniz hatte eine Zusammenfassung seiner Metaphysischen Abhandlung, die aus den Überschriften der einzelnen Paragraphen zusammengesetzt war, über den Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels Antoine Arnauld zukommen lassen. Der von 1686 bis 1690 anhaltende Briefwechsel zwischen Leibniz und Arnauld bildet eine Art Kommentar zur Metaphysischen Abhandlung. In diesem Briefwechsel steht Leibniz’ Substanzauffassung im Mittelpunkt der Diskussion. Wir haben in unsere Auswahl einen längeren Auszug aus einem von Leibniz letztlich verworfenen Briefentwurf aus dem Jahr 1686 aufgenommen, in dem Leibniz seine Auffassung der propositionalen Wahrheit erläutert sowie die Unterscheidung zwischen vollständigen Individualbegriffen, die von Substanzen handeln, und unvollständigen Allgemeinbegriffen, die sich auf akzidentelle Eigenschaften der Substanzen beziehen. Seit Ende der 1690er Jahre war Leibniz mit der preußischen Königin Sophie Charlotte (Krönung im Jahr 1701) in enger Freundschaft verbunden. Die philosophischen Interessen der Königin beförderten einen regen intellektuellen Austausch zwischen ihnen. In dem hier abgedruckten Auszug aus einem Brief von Leibniz an die Königin aus dem Jahr 1702 entwickelt Leibniz seine Unterscheidung zwischen sinnlichen, gemeinsinnlichen und intellektuellen Ideen. Leibniz beschäftige sich bereits in den 1690er Jahren ausführlich mit John Lockes An Essay concerning Human Understanding, der 1689 erschienen war. Nach der Veröffentlichung von Pierre Costes französischer Übersetzung des Essay im Jahr 1700, begann Leibniz, der die französische Sprache weit besser beherrschte als die englische, im Jahr 1703, einen ausführlichen kritischen Kommentar zum Essay – die Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand – zu verfassen. Die Arbeit an diesem Kommentar erstreckte sich bis Mitte des Jahres 1705. Von seiner Absicht, diesen Kommentar zu veröffentlichen, nahm Leibniz jedoch Abstand, nachdem er von Lockes Tod im November 1704 erfahren hatte. In der Textauswahl ist ein Auszug aus dem Vorwort und aus dem zweiten Buch der Neuen Abhandlungen enthalten. In dem ersten Auszug legt Leibniz seine These der Angeborenheit der Ideen dar, während er in dem zweiten Auszug eine Bestimmung dessen vornimmt, was Ideen sind.
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Die in dieser Auswahl versammelten Texte liegen allesamt bereits in deutscher Übersetzung vor. Diese Übersetzungen sind allerdings zum einen uneinheitlich, da sie von verschiedenen Übersetzern stammen, und zum anderen teilweise unzuverlässig. Aus diesen Gründen wurden sie für diese Textsammlung neu übersetzt. Die Übersetzung der lateinischen Schriften Was ist eine Idee? und der Überlegungen ist von Paolo Rubini besorgt worden, die Übersetzung der übrigen vier französischen Texte von Pedro Stoichita, jeweils in Zusammenarbeit mit Christian Barth. Als Textgrundlage für die Übersetzungen von Was ist eine Idee?, den Überlegungen, dem Auszug aus der Metaphysischen Abhandlung und den Auszügen aus den Neuen Abhandlungen dienen die entsprechenden Passagen aus den Bänden VI.4 bzw. VI.6 der Akademieausgabe. Die Übersetzungen des Briefs an Königin Sophie Charlotte basiert auf der Gerhardt-Ausgabe, die Übersetzung des Auszugs eines Briefentwurfs an Arnauld auf der Ausgabe des Leibniz-Arnauld-Briefwechsels von Reinhard Finster. Eine besondere Herausforderung in der Übersetzung philosophischer Texte von Leibniz stellen die lateinischen Ausdrücke „perceptio“ und „percipere“ sowie die französischen Ausdrücke „perception“, „appercevoir“ und „s’appercevoir de“ dar. Leibniz verwendet diese Ausdrücke in mindestens drei verschiedenen Weisen: Erstens gebraucht er sie im gewöhnlichen Sinn, nach dem sie Wahrnehmungszustände bzw. -akte bezeichnen. Vor allem in Passagen, in denen Leibniz cartesianische Ansichten diskutiert, verwendet er sie zweitens in dem cartesianisch-technischen Sinn, der sich auf einen Zustand bzw. Akt des Intellekts bezieht, welcher eine Idee zum Gegenstand hat. Drittens führt Leibniz eine eigenständige technische Verwendung dieser Ausdrücke ein, nach welcher sie entweder im generischen Sinn repräsentationale Zustände bzw. Akte allgemein betreffen oder aber in einem kontrastiven Sinn zur Auszeichnung einer bestimmten Teilklasse repräsentationaler Zustände bzw. Akte angewendet werden. Um die Übersetzung nicht mit interpretatorischen Festlegungen zu überfrachten, ist in der Übersetzung nach der Regel verfahren worden, mit Ausnahme der Neuen Abhandlungen alle Vorkommnisse der genannten Ausdrücke mit „Perzeption“ bzw. „perzipieren“ zu übersetzen. Auf diese Weise soll dem Leser die Möglichkeit eröffnet werden, selbst zu entscheiden, in welchem Sinn Leibniz diese Ausdrücke in den entsprechenden Passagen verwendet. Die technisch anmutenden Ausdrücke „Perzeption“ und „perzipieren“ sollen zugleich darauf aufmerksam machen, dass einer der problematischen Ausdrücke an der entsprechenden Stelle im Originaltext vorzufinden ist.
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Die genannte Übersetzungsschwierigkeit gewinnt eine weitere Facette im Hinblick auf die Neuen Abhandlungen. Dort führt Leibniz den französischen Ausdruck „apperception“ ein, der neben dem zuvor üblichen Ausdruck „perception“ ein zweites nominales Pendant zu den Verben „appercevoir“ bzw. „s’appercevoir de“ darstellt. Hinter dieser terminologischen Neuerung verbirgt sich Leibniz’ Bedürfnis, über einen Ausdruck zu verfügen, der sich auf bestimmte kognitive Akte zweiter oder höherer Ordnung bezieht, die sich auf Perzeptionen als ihre Objekte richten. Während sich – wie schon angemerkt – die französischen Ausdrücke „perception“, „appercevoir“ und „s’appercevoir de“ in ihrem gewöhnlichen Gebrauch auf Wahrnehmungen bestimmter Gegenstände beziehen, sollen Apperzeptionen gerade Perzeptionen zum Gegenstand haben. Dies bedeutet aber auch, dass die Verben „appercevoir“ und „s’appercevoir de“ zumindest an einigen Stellen in den Neuen Abhandlungen einem besonderen technischen Gebrauch unterliegen, der mit dem Nomen „apperception“ verbunden ist. Diese Verben können sich daher in den Neuen Abhandlungen nicht nur auf gewöhnliche Akte der Wahrnehmung bestimmter Gegenstände beziehen sowie in cartesianischer Verwendung auf intellektuelle Akte des Perzeptierens von Ideen und in Leibniz’ technischem Gebrauch auf Repräsentationsakte, sondern sie können darüber hinaus auch noch die besonderen Akte der Apperzeption bezeichnen. Um darauf aufmerksam zu machen, dass die Verben „appercevoir“ und „s’appercevoir de“ unter anderem diesen neuen technischen Gebrauch in den Neuen Abhandlungen aufweisen, haben wir alle ihre Vorkommnisse mit „apperzipieren“ übersetzt. Dem Leser soll es wiederum überlassen bleiben, zu bestimmen, in welcher der vier Verwendungsweisen diese Verben gebraucht werden. Die Übersetzung dieser Verben unter Verwendung des Ausdrucks „apperzepieren“ ist daher nicht so zu verstehen, dass bereits vorgreifend entschieden sein soll, dass diese Verben im Lichte der besonderen technischen Verwendung zu verstehen sind, die mit dem Nomen „Apperzeption“ einhergeht. Dem Druckbild der Textauswahl liegen die folgenden editorischen Konventionen zugrunde: Eckige Klammern machen Textauslassungen kenntlich und dienen in den Überschriften der ausgewählten Texte zur bibliographischen Angabe der Texteditionen, auf deren Grundlage die Übersetzungen erstellt worden sind. Spitze Klammern fassen sinngemäße Zusätze der Übersetzer ein. Geschwungene Klammern kennzeichnen Textpassagen, die Leibniz vom Druck ausgeschlossen hat, in die Textauswahl aber aufgenommen wurden. Unterstreichungen durch Leibniz sind in der Übersetzung ebenso wiedergegeben. Dasselbe gilt für Wör-
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ter, die Leibniz vollständig in Großbuchstaben geschrieben hat. In kursiver Schrift sind von Leibniz verwendete fremdsprachliche Ausdrücke (zumeist lateinische Ausdrücke in französischen Texten) und von ihm erwähnte Buchtitel gesetzt.
8.2 Zentrale Passagen zu Leibniz’ Ideentheorie 8.2.1 Quid sit idea? / Was ist eine Idee? (1677) (zitiert als: Was ist eine Idee? ) [=AA VI.4.b, 1370.1–1371.17] Unter dem Namen IDEE verstehen wir vor allem etwas, das in unserem Geist ist. Spuren von Eindrücken im Gehirn sind somit keine Ideen. Denn ich nehme als gewiss an, dass der Geist etwas anderes ist als das Gehirn oder als ein feinerer Teil der Gehirnsubstanz.K1 In unserem Geist ist aber vieles anzutreffen wie etwa Gedanken, Perzeptionen, Affekte, von denen wir wissen, dass sie keine Ideen sind, obwohl sie nicht ohne Ideen entstehen. Denn eine Idee besteht für uns nicht in einem Denkakt, sondern in einem ‹Denk›vermögen und wir sagen, dass wir die Idee eines Dinges haben, auch wenn wir nicht an dieses Ding denken, jedoch bei gegebener Gelegenheit an dieses Ding denken können.K2 Dennoch liegt auch hierin eine gewisse Schwierigkeit. Wir besitzen nämlich das ferne Vermögen, an alles zu denken, auch daran, wovon wir eventuell keine Ideen haben; denn wir haben das Vermögen, Ideen aufzunehmen.K3 Eine Idee erfordert somit ein nahes Vermögen oder die Fähigkeit, an ein Ding zu denken.K4 Doch auch dies genügt nicht. Denn derjenige, der eine Methode besitzt, die ihm, wenn er sie befolgt, ermöglicht, zu einem Ding zu gelangen, der besitzt nicht deshalb schon die Idee dieses Dinges. Wenn ich etwa in geordneter Weise die Kegelschnitte aufzähle, so ist sicher, dass ich zur Kenntnis der entgegengesetzten Hyperbeln kommen werde, auch wenn ich deren Idee noch nicht besitze. Somit ist notwendig, dass es in mir etwas gibt, das nicht nur zum Ding hinführt, sondern es auch ausdrückt. Man sagt, dass etwas ein Ding ausdrückt, wenn in ihm Verhältnisse anzutreffen sind, die den Verhältnissen des auszudrückenden Dinges entsprechen. Diese Ausdrücke sind aber vielfältiger Art. So drückt etwa das Modell einer Maschine die Maschine selbst aus; die perspektivische
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Zeichnung eines Dinges auf der Ebene drückt einen dreidimensionalen Körper aus; eine Rede drückt Gedanken und Wahrheiten aus; Zeichen drücken Zahlen aus; eine algebraische Gleichung drückt einen Kreis oder eine andere Figur aus. Diesen Ausdrücken ist gemeinsam, dass wir durch die bloße Betrachtung der Verhältnisse des Ausdrückenden zur Kenntnis der entsprechenden Eigenschaften des auszudrückenden Dinges gelangen können. Daraus geht hervor, dass das Ausdrückende dem ausgedrückten Ding nicht ähnlich zu sein braucht, wenn nur eine Analogie der Verhältnisse erhalten bleibt. Auch wird deutlich, dass einige Ausdrücke ihre Grundlage in der Natur haben, andere hingegen zumindest teilweise in einer Festlegung begründet sind, wie im Fall der Ausdrücke, die durch Laute oder Zeichen zustande kommen. Die in der Natur begründeten Ausdrücke erfordern entweder irgendeine Ähnlichkeit, wie sie zwischen einem großen und einem kleinen Kreis oder zwischen einer Landschaft und der geographischen Karte dieser Landschaft besteht, oder freilich einen Zusammenhang wie zwischen dem Kreis und der Ellipse, die den Kreis optisch repräsentiert, weil jeder beliebige Punkt der Ellipse irgendeinem Punkt des Kreises gemäß einem festen Gesetz entspricht. In einem solchen Fall würde ja der Kreis durch eine andere, ähnlichere Figur sogar schlecht repräsentiert werden. In ähnlicher Weise repräsentiert jede ganze Wirkung ihre vollständige Ursache; denn ich kann immer aus der Erkenntnis einer solchen Wirkung zur Erkenntnis ihrer Ursache gelangen. Dasjenige etwa, was ein jeder tut, repräsentiert dessen Geist, und die Welt selbst repräsentiert in irgendeiner Weise Gott. Es kann auch der Fall sein, dass Wirkungen, die aus derselben Ursache entstehen, sich gegenseitig ausdrücken, wie etwa Gebärde und Rede. So können einige Gehörlose die Sprechenden zwar nicht anhand ihrer Laute, aber anhand ihrer Mundbewegungen verstehen. Dass eine Idee der Dinge in uns anzutreffen ist, heißt somit nichts Anderes, als dass Gott, der gleichermaßen Urheber der Dinge und des Geistes ist, dem Geiste dieses Denkvermögen eingeprägt hat, damit der Geist aus seinen eigenen Tätigkeiten das herleiten kann, was dem vollkommen entspricht, das aus den Dingen folgt. Wenngleich somit die Idee des Kreises dem Kreise nicht ähnlich ist, können doch aus ihr Wahrheiten hergeleitet werden, welche die Erfahrung im Hinblick auf einen wahren Kreis zweifelsohne bestätigen würde.K5
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8.2.2 Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis / Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen (1684) (zitiert als: Überlegungen) [=AA VI.4.a, 585.23–592.9] Da heutzutage unter hervorragenden MännernK6 Kontroversen über die wahren und die falschen Ideen ausgetragen werden und da dieser Gegenstand, dem selbst Descartes nicht immer genüge getan hat, von großer Bedeutung für die Erkenntnis der Wahrheit ist, halte ich es für angemessen, mit wenigen Worten zu erklären, was aus meiner Sicht über die Unterschiede und die Kriterien der Ideen und der Erkenntnisse festzustellen ist.K7 Eine Erkenntnis ist nämlich entweder dunkel oder klar; und eine klare ‹Erkenntnis› ist wiederum entweder verworren oder distinkt; und eine distinkte ‹Erkenntnis ist› entweder inadäquat oder adäquat, ferner entweder symbolisch oder intuitiv; und wenn ‹eine Erkenntnis› zugleich adäquat und intuitiv ist, so ist sie am vollkommensten.K8 Dunkel ist ein Begriff, der zum Wiedererkennen des repräsentierten Dinges nicht genügt, wie etwa wenn ich mich in irgendeiner Weise einer Blume oder eines Tieres, die ich einmal sah, zwar erinnere, jedoch nicht in ausreichendem Maße, um sie in der Vorstellung wiederzuerkennen und von anderen ähnlichen Blumen oder Tieren zu unterscheiden; oder wenn ich irgendeinen in den Schulen unzulänglich erklärten Terminus betrachte wie die Entelechie bei Aristoteles oder aber die Ursache, sofern sie der Materie, der Form, der Wirkursache und dem Ziel gemeinsam sein soll, und wie andere derartige Begriffe, von denen wir keine feste Definition haben, so dass auch die Proposition, in die ein solcher Begriff eingeht, dunkel wird. Klar ist daher eine Erkenntnis, wenn ich das habe, wodurch ich das repräsentierte Ding wiedererkennen kann; sie ist wiederum entweder verworren oder distinkt.K9 Sie ist verworren, wenn ich nämlich keine Merkmale gesondert aufzählen kann, die hinreichen, um das Ding von anderen zu unterscheiden, obwohl dieses Ding in Wahrheit solche Merkmale und RequisitenK10 besitzt, in die sich dessen Begriff zergliedern lässt. So erkennen wir freilich Farben, Gerüche, Geschmäcker und andere den ‹jeweiligen› Sinnen eigentümliche Gegenstände hinreichend klar wieder und unterscheiden sie voneinander, ‹dies› jedoch aufgrund des bloßen Zeugnisses der Sinne, nicht aber aufgrund aussagbarer Merkmale. Deshalb vermögen wir weder einem Blinden zu erklären, was das Rote ist, noch anderen Derartiges zu verdeutlichen, es sei denn, indem wir sie zu einem Ding, das gegenwärtig ist, führen und dafür sorgen, dass sie dasselbe sehen, riechen oder schmecken, oder indem wir sie zumindest an eine vergangene ähnliche Perzeption erinnern;
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dennoch steht fest, dass die Begriffe dieser Qualitäten zusammengesetzt sind und zergliedert werden können, weil sie ja ihre Ursachen haben. Auf ähnliche Weise sehen wir, dass Maler und andere Künstler korrekt erkennen, was richtig und was schlecht gemacht worden ist, oft aber ihr eigenes Urteil nicht begründen können: Fragt man sie danach, so antworten sie, sie würden in dem, was ihnen missfällt, ein ich-weiß-nicht-was vermissen. Ein distinkter Begriff ist hingegen wie derjenige, den die Münzprüfer vom Gold haben, nämlich einer, der Merkmale und Prüfverfahren beinhaltet, die hinreichen, um das Ding von allen anderen ähnlichen Körpern zu unterscheiden: Derartige ‹Begriffe› haben wir gewöhnlich in dem Fall von Begriffen, die mehreren Sinnen gemeinsam sind, wie dem Begriff der Zahl, der Größe, der Figur; ebenfalls bei vielen Affekten des Gemüts wie Hoffnung, Furcht; d. h. bei all dem, wovon wir eine Nominaldefinition haben, die nichts anderes ist als eine Aufzählung hinreichender Merkmale. Es gibt dennoch auch die distinkte Erkenntnis eines nicht definierbaren Begriffes, wenn dieser primitiv oder das Merkmal seiner selbst ist, d. h., wenn er sich nicht zergliedern lässt und lediglich durch sich selbst verstanden werden kann und daher keine Requisiten besitzt.K11 In den zusammengesetzten Begriffen werden aber zuweilen die einzelnen Merkmale, aus denen sie bestehen, wiederum in klarer, aber verworrener Weise erkannt wie etwa die Schwere, die Farbe, das Scheidewasser und anderes, das zu den Merkmalen des Goldes gehört – weshalb diese Erkenntnis des Goldes freilich distinkt, jedoch inadäquat ist. Wenn aber all das, was zu einer distinkten Erkenntnis gehört, wiederum in distinkter Weise erkannt wird, d. h. wenn die Analyse bis zu ihrem Ende durchgeführt worden ist, so ist die Erkenntnis adäquat. Ob die Menschen ein vollkommenes Beispiel dafür geben können, weiß ich nicht, aber die Erkenntnis der Zahlen kommt dem sehr nahe.K12 Häufig aber, zumal bei einer längeren Analyse, überschauen wir nicht zugleich die ganze Natur des Dinges, sondern benutzen an Stelle der Dinge Zeichen, deren Erklärung wir bei einem vorliegenden Gedanken der Kürze halber zu überspringen pflegen, weil wir wissen oder glauben, dass sie in unserer Macht liegt: Wenn ich etwa an ein Chiliogon, d. h. an ein regelmäßiges Vieleck mit tausend Seiten denke, so beachte ich nicht immer die Natur der Seite, der Gleichheit und der Tausendzahl (d. h. des Kubus der Zehnzahl), sondern bediene mich dieser Wörter (deren Sinn zumindest in dunkler und unvollkommener Weise dem Geist gegenwärtig ist) in der Seele an Stelle der Ideen, die ich davon habe. Denn ich erinnere mich, dass ich die Bedeutung dieser Wörter kenne, halte aber deren Erklärung jetzt für nicht notwendig. Einen solchen Gedanken pflege ich als
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blind oder auch als symbolisch zu bezeichnen; davon machen wir sowohl in der Algebra als auch in der Arithmetik, ja beinahe überall Gebrauch. Und gewiss, wenn der Begriff in hohem Maße zusammengesetzt ist, so können wir nicht alle Begriffe, die zu ihm gehören, zugleich denken: Wo dies dennoch möglich ist – oder zumindest in dem Maße, in dem dies möglich ist –, nenne ich die Erkenntnis intuitiv. Von einem distinkten primitiven Begriff gibt es keine andere Erkenntnis als die intuitive, wie das Denken zusammengesetzter Begriffe meistens nur symbolisch ist.K13 Schon daraus geht hervor, dass wir auch die Ideen dessen, was wir in distinkter Weise erkennen, nur insofern perzipieren, als wir vom intuitiven Denken Gebrauch machen. Natürlich kommt es vor, dass wir oft irrtümlicherweise glauben, in der Seele Ideen der Dinge zu haben, wenn wir irrtümlicherweise annehmen, wir hätten einige Termini, deren wir uns bedienen, bereits erklärt. Und es ist nicht wahr – oder es ist sicherlich zweideutig –, was einige behaupten: dass wir von einem Ding nicht so reden könnten, dass wir das, was wir dabei sagen, auch verstehen würden, wenn wir die Idee dieses Dinges nicht hätten. Denn oft verstehen wir, in welcher Weise auch immer, diese einzelnen Wörter oder erinnern uns daran, dass wir sie vorher verstanden haben; da wir uns aber mit diesem blinden Gedanken begnügen und die Zergliederung der Begriffe nicht hinreichend fortführen, kommt es vor, dass wir den Widerspruch nicht bemerken, den der zusammengesetzte Begriff möglicherweise einschließt. Darüber ließ mich einstmals ein Argument für die Existenz Gottes, das früher bei den Scholastikern berühmt war und von Descartes erneuert wurde, in distinkterer Weise nachdenken. Das Argument lautet folgendermaßen: All das, was aus der Idee oder der Definition eines Dinges folgt, kann von dem Ding ausgesagt werden. Aus der Idee Gottes (oder des vollkommensten Seienden, d.h. dessen, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann) folgt dessen Existenz. (Denn das vollkommenste Seiende schließt alle Perfektionen ein, zu deren Zahl auch die Existenz gehört.) Die Existenz kann somit von Gott ausgesagt werden. Man muss aber wissen, dass sich daraus nur soviel ergibt: Wenn Gott möglich ist, dann folgt, dass er existiert. Denn aus den Definitionen können wir keine sicheren Schlüsse ziehen, ehe wir wissen, dass sie real sind oder keinen Widerspruch einschließen. Der Grund dafür ist, dass sich aus den Begriffen, die einen Widerspruch einschließen, zugleich entgegengesetzte Schlüsse ziehen lassen – was absurd ist. Um dies zu verdeutlichen, führe ich gewöhnlich das Beispiel der schnellsten Bewegung an, die eine Absurdität enthält. Denn nehmen wir an, ein Rad drehe sich mit der schnellsten Bewegung: Wer sieht nicht, dass ein verlängerter
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Radius des Rades sich an seinem äußersten Punkt schneller bewegen wird als ein Nagel auf der Felge des Rades? Dessen Bewegung ist somit nicht die schnellste, und dies ist gegen die Annahme. Auf den ersten Blick könnte es freilich so aussehen, als hätten wir die Idee der schnellsten Bewegung, denn wir verstehen, was wir sagen. Dennoch haben wir von unmöglichen Dingen überhaupt keine Idee. Somit reicht es ebenfalls nicht aus, dass wir an das vollkommenste Seiende denken, um zu behaupten, dass wir eine Idee von ihm hätten; und damit wir in dem soeben angeführten Beweis richtig schließen, muss die Möglichkeit des vollkommensten Seienden entweder gezeigt oder vorausgesetzt werden. Freilich ist nichts wahrer, als dass wir die Idee von Gott haben und dass das vollkommenste Seiende möglich, ja sogar notwendig ist. Dennoch ist das Argument nicht genügend schlüssig, und bereits Thomas von Aquin hat es abgelehnt.K14 So haben wir auch den Unterschied zwischen den Nominaldefinitionen, die lediglich die Merkmale des Dinges, das von anderen Dingen zu unterscheiden ist, enthalten, und den Realdefinitionen, aufgrund derer es feststeht, dass das Ding möglich ist. Auf diese Weise lässt sich Hobbes genüge tun, dem zufolge die Wahrheiten deshalb willkürlich seien, weil sie von Nominaldefinitionen abhängig seien: Hierbei berücksichtigte er nicht, dass die Realität der Definitionen nicht willkürlich ist und dass nicht alle beliebigen Begriffe miteinander verbunden werden können. Zudem sind die Nominaldefinitionen erst dann für ein vollkommenes Wissen ausreichend, wenn es aus anderen Gründen feststeht, dass das definierte Ding möglich ist. Es wird auch deutlich, welche Idee schließlich wahr und welche falsch ist: ‹Eine Idee ist› nämlich wahr, wenn der Begriff möglich ist; falsch, wenn er einen Widerspruch einschließt. Die Möglichkeit eines Dinges erkennen wir aber entweder a priori oder a posteriori. A priori freilich, wenn wir den Begriff in seine Requisiten oder in andere Begriffe, deren Möglichkeit erkannt ist, zergliedern und wissen, dass unter ihnen nichts Inkompatibles anzutreffen ist: Dies ist unter anderem der Fall, wenn wir die Art und Weise verstehen, wie das Ding hervorgebracht werden kann – deshalb sind die Kausaldefinitionen nützlicher als alle anderen. A posteriori hingegen, wenn wir erfahren, dass das Ding aktual existiert; denn was aktual existiert oder existierte, das ist allemal möglich. Und wann immer man eine adäquate Erkenntnis hat, dann hat man auch eine Erkenntnis der Möglichkeit a priori: Hat man nämlich die Analyse bis zum Ende geführt, ohne dass ein Widerspruch aufgetreten ist, so ist der Begriff gewiss möglich. Ob aber die Menschen jemals eine vollständige Analyse der Begriffe zustande bringen können und imstande
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sind, ihre Gedanken bis zu den ersten Möglichkeiten und zu den Begriffen, die nicht weiter zergliedert werden können, oder (was dasselbe bedeutet) bis zu den absoluten Attributen Gottes, nämlich zu den ersten Ursachen und dem letzen Grund der Dinge, zurückzuführen – dies wage ich jetzt gar nicht zu bestimmen. Meistens begnügen wir uns damit, durch Erfahrung die Realität gewisser Begriffe kennengelernt zu haben, aus denen wir später nach dem Beispiel der Natur andere zusammensetzten.K15 {Übrigens ist hier ein bemerkenswerter Unterschied zwischen Begriffen und Wahrheiten ‹zu verzeichnen›. Denn zur vollständigen Analyse einer Wahrheit ist eine vollständige Analyse des Begriffes nicht erforderlich, weil oft der strenge Beweis einer Wahrheit erfolgt, obwohl der Begriff nur bis zu einem gewissen Punkt zergliedert worden ist. Daher können wir ein vollständiges Wissen von Wahrheiten über Gegenstände erwerben, von denen wir keinen adäquaten Begriff haben.K16}10 Daraus kann man, wie ich glaube, schließlich einsehen, dass man sich nicht immer mit Sicherheit auf die Ideen berufen kann und dass viele diesen wohlklingenden Titel missbrauchen, um gewisse eigene Vorstellungen zu stützen. Denn wir haben nicht sofort die Idee eines Dinges, auch wenn wir uns bewusst sind, dass wir an dieses Ding denken – das habe ich soeben anhand des Beispiels der höchsten Geschwindigkeit gezeigt. Nicht minder sehe ich zudem Menschen heutzutage dieses oft erwähnte Prinzip missbrauchen: All das, was ich in klarer und distinkter Weise von einem Ding perzipiere, ist wahr oder kann von ihm ausgesagt werden. Den Menschen nämlich, die unüberlegt urteilen, erscheint oft klar und distinkt, was dunkel und verworren ist. Das Prinzip bleibt somit nutzlos, wenn die von uns angegebenen Kriterien des Klaren und Distinkten nicht angewandt werden und wenn die Wahrheit der Ideen nicht feststeht.K17 Im Übrigen sind die Regeln der gewöhnlichen Logik nicht zu verachtende Kriterien der Wahrheit der Aussagen, deren sich auch die Geometer bedienen: dass nämlich nichts als gewiss gelten soll, ohne durch sorgfältige Erfahrung oder festen Beweis erwiesen worden zu sein. Ein fester Beweis ist aber ein solcher, der die von der Logik vorgeschriebene Form beachtet: freilich nicht so, als wären nach scholastischem Muster geordnete Syllogismen immer erforderlich (wie sie Christian Herlin und Conrad Dasypodius in den ersten sechs Büchern des Euklid 11 10
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Dieser Absatz wurde von Leibniz durch Einklammern vom Druck ausgeschlossen (vgl. AA VI.4.a, 590.10–13). Herlin 1566.
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angewandt habenK18), aber zumindest so, dass die Argumentation kraft ihrer Form schlüssig ist; man könnte ja sagen, irgendeine berechtigte Rechnung sei auch ein Beispiel für eine solche in richtiger Form aufgefasste Argumentation. Daher dürfen keine notwendigen Prämissen übersprungen werden, und alle Prämissen müssen entweder schon vorher bewiesen worden sein oder zumindest im Sinne einer Hypothese angenommen werden; in letzterem Fall ist dann auch der Schluss hypothetisch. Wer diese ‹Regeln› sorgfältig beachtet, der wird sich leicht vor trügerischen Ideen hüten. Damit weitgehend übereinstimmend schreibt der äußerst geistreiche Pascal in seiner vortrefflichen Abhandlung Über den Geist der Geometrie (ein Fragment davon ist im hervorragenden Buch des hochberühmten Antoine Arnauld über die Kunst des richtigen Denkens12 anzutreffen), es sei Aufgabe des Geometers, alle auch nur im Geringsten dunklen Termini zu definieren und alle auch nur im Geringsten zweifelhaften Wahrheiten zu beweisen. Aber ich wünschte mir, er hätte die Grenzen definiert, über die hinaus ein Begriff oder eine Aussage nicht mehr im Geringsten dunkel oder zweifelhaft ist. Eine angemessene Antwort kann man dennoch finden, indem man mit Aufmerksamkeit erwägt, was wir hier gesagt haben. Jetzt sind wir nämlich um Kürze bemüht. Was die Kontroverse anbelangt, ob wir alles in Gott sehen (eine These, die durchaus alt und, richtig verstanden, nicht gänzlich zu verachten ist) oder aber ob wir unsere eigenen Ideen haben, muss man wissen, dass wir, selbst wenn wir alles in Gott sähen, doch notwendigerweise auch unsere eigenen Ideen hätten, und zwar nicht, als wären sie eine Art Bildchen, sondern als Affizierungen oder Modifizierungen unseres Geistes, die dem entsprächen, was wir in Gott perzipieren würden. Denn in unserem Geiste vollzieht sich freilich eine Veränderung, indem verschiedene Gedanken aufeinander folgen. Die Ideen der Dinge jedoch, an die wir nicht aktual denken, sind in unserem Geiste vorhanden wie die Gestalt des Herkules in einem unbearbeiteten Marmorblock. In Gott aber muss nicht lediglich die Idee einer absoluten und unendlichen Ausdehnung aktual vorhanden sein, sondern auch ‹die Idee› einer jeden Figur, die nichts Anderes ist, als eine Modifikation der absoluten Ausdehnung.K19 Wenn wir übrigens Farben oder Gerüche perzipieren, so haben wir durchaus keine andere Perzeption als von Figuren und Bewegungen, die aber dermaßen vielfältig und winzig sind, dass unser Geist in seinem gegenwärtigen Zustand nicht genügt, sie als einzelne in distinkter Weise
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Leibniz bezieht sich auf Arnauld/Nicole 1662.
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zu betrachten, und somit nicht bemerkt, dass seine Perzeption einzig aus Perzeptionen äußerst kleiner Figuren und Bewegungen besteht. Ebenfalls nehmen wir nichts anderes wahr, wenn wir die Farbe Grün aufgrund der Vermengung gelber und blauer Staubkörner perzipieren, als eine äußerst feine Mischung von Gelbem und Blauem, aber wir bemerken es nicht und bilden uns vielmehr ein neues Wesen ein.K20
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8.2.3 Auszüge aus Discours de Métaphysique / Metaphysische Abhandlung (1686) (zitiert als: Metaphysische Abhandlung) [=AA VI.4.b, 1570.7–1574.17] […] XXVI. Wir haben alle Ideen in uns; von Platons Wiedererinnerungslehre. Um gut zu begreifen, was die Idee ist, muss man einer Äquivokation vorbeugen, denn mehrere halten die Idee für die Form oder Differenz unserer Gedanken, und auf diese Weise haben wir die Idee nur in dem Maße im Geiste, indem wir daran denken, und jedes Mal, das wir erneut daran denken, haben wir andere Ideen desselben Dinges, wenn auch den vorhergehenden ähnliche.K21 Aber es scheint, dass andere die Idee als unmittelbares Objekt des Gedankens auffassen oder als irgendeine beständige Form, die bestehen bleibt, auch wenn wir sie nicht betrachten.K22 Und tatsächlich hat unsere Seele immer die Qualität in sich, sich jede beliebige Natur oder Form zu repräsentieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt, daran zu denken. Und ich glaube, dass diese Qualität unserer Seele, insofern sie eine Natur, Form oder Essenz ausdrückt, im eigentlichen Sinne die Idee des Dinges ist, die in uns ist, und die immer in uns ist, ob wir daran denken oder nicht.K23 Denn unsere Seele drückt Gott und das Universum aus und alle Essenzen so wie auch alle Existenzen.K24 Dies ist mit meinen Prinzipien im Einklang, denn auf natürliche Weise gelangt nichts von außen in unseren Geist, und es ist eine schlechte Angewohnheit, die wir haben, so zu denken, als ob unsere Seele irgendwelche Species-Boten empfinge und als ob sie Türen und Fenster hätte. Wir haben alle diese Formen im Geist, und dies sogar von je her, denn der Geist drückt immer alle seine zukünftigen Gedanken aus und denkt verworren schon all das, was er jemals distinkt denken wird. Und nichts kann uns beigebracht werden, von dem wir im Geist nicht schon die Idee haben, die wie die Materie ist, aus der sich dieser Gedanke formt.K25 Dies hat Platon vorzüglich bedacht, als er seine Wiedererinnerungslehre vor-
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getragen hat, die sehr stichhaltig ist, wenn man sie richtig auffasst, von dem Irrtum der Präexistenz reinigt und sich nicht einbildet, dass die Seele das, was sie jetzt lernt und denkt, schon zu einer anderen Zeit gewusst und distinkt gedacht haben muss. Auch hat er seine Auffassung durch einen schönen Versuch bestätigt, indem er einen kleinen Jungen unmerklich zu sehr schwierigen Wahrheiten der Geometrie hinführt, die die inkommensurablen Größen betreffen, ohne ihm irgendetwas beizubringen, sondern nur indem er einer Ordnung folgend und in zielgerichteter Weise Fragen stellt. Dies macht ersichtlich, dass unsere Seele all dies in virtueller Weise weiß und nur der Aufmerksamkeit bedarf, um die Wahrheiten zu erkennen, und dass sie folglich zumindest die Ideen hat, von denen diese Wahrheiten abhängen. Man kann sogar sagen, dass sie diese Wahrheiten schon besitzt, wenn man sie als die Verhältnisse der Ideen auffasst.K26 XXVII. Wie unsere Seele mit leeren Tafeln verglichen werden kann und wie unsere Begriffe aus den Sinnen stammen. Aristoteles hat es vorgezogen, unsere Seelen mit noch leeren Tafeln zu vergleichen, auf denen es Platz zum Schreiben gibt, und er hat behauptet, dass nichts in unserem Verstand ist, was nicht aus den Sinnen stammt.K27 Dies stimmt mehr mit den volkstümlichen Auffassungen überein, wie es die Art des Aristoteles ist, während Platon mehr in die Tiefe geht. Trotzdem können diese Arten von Doxologien oder Praktikologien im gewöhnlichen Gebrauch akzeptiert werden, in etwa so wie wir sehen, dass jene, die Kopernikus folgen, nicht zu sagen aufhören, dass die Sonne aufgeht und untergeht. Ich finde sogar oft, dass man ihnen einen guten Sinn geben kann, dem zufolge sie nichts Falsches haben. So habe ich auch schon bemerkt, auf welche Weise man wahrhaft sagen kann, dass die partikulären Substanzen aufeinander einwirken. Und in eben diesem Sinn kann man auch sagen, dass wir von außen mit Hilfe der Sinne Erkenntnisse empfangen, weil einige äußere Dinge die Gründe, die unsere Seele zu gewissen Gedanken bestimmen, besonders beinhalten oder ausdrücken.K28 Aber wenn es auf die Genauigkeit der metaphysischen Wahrheiten ankommt, ist es wichtig, die Ausdehnung und Unabhängigkeit unserer Seele anzuerkennen, die unendlich viel weiter geht, als dies das gemeine Volk denkt, auch wenn man ihr im gewöhnlichen Gebrauch des Alltags nur das zuschreibt, was man offenkundiger perzipiert und was uns auf eine bestimmte Weise gehört, denn es ist dabei überflüssig, zu weit in die Gelehrtheit zu gehen. Dennoch wäre es gut, Termini auszuwählen, die jeweils dem einen und dem anderen Sinn
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entsprechen, um eine Äquivokation zu vermeiden. So können diese Ausdrücke, die in unserer Seele sind, ob man sie nun begreift oder nicht, Ideen genannt werden, aber jene, die man begreift oder formt, Begriffe, conceptus. Aber wie man dies auch angeht, es ist immer falsch zu sagen, dass alle Begriffe aus den Sinnen stammen, die man äußere nennt, denn derjenige ‹Begriff›, den ich von mir und von meinen Gedanken habe, und folglich von dem Sein, der Substanz, der Tätigkeit, der Identität und vielen anderen ‹Dingen›, stammen aus einer inneren Erfahrung.K29 XXVIII. Gott allein ist das unmittelbare Objekt unserer Perzeptionen, das außerhalb von uns existiert, und er allein ist unser Licht. Jedoch gibt es in der Strenge der metaphysischen Wahrheit keine äußere Ursache, die auf uns einwirkt, mit Ausnahme von Gott allein, und nur er teilt sich uns unmittelbar mit, aufgrund unserer fortwährenden Abhängigkeit. Daraus folgt, dass es kein anderes externes Objekt gibt, das unsere Seele berührt und unmittelbar unsere Perzeption erregt. Daher haben wir nur aufgrund der fortwährenden Einwirkung Gottes auf uns die Ideen aller Dinge in unserer Seele, d. h., weil jede Wirkung ihre Ursache ausdrückt und somit die Essenz unserer Seele ein bestimmter Ausdruck, eine bestimmte Nachahmung oder ein bestimmtes Bild der Essenz, des Denkens und des Willens Gottes ist und aller Ideen, die darin enthalten sind.K30 Man kann also sagen, dass Gott allein unser unmittelbares Objekt außerhalb von uns ist, und dass wir alle Dinge durch ihn sehen; z. B. wenn wir die Sonne und die Sterne sehen, dann ist es Gott, der uns die Ideen davon gegeben hat und der sie uns bewahrt und der uns dazu bestimmt, tatsächlich daran zu denken, durch seine geregelte Mitwirkung, zu jener Zeit, zu der unsere Sinne in einer bestimmten Weise disponiert sind, gemäß den Gesetzen, die er aufgestellt hat. Gott ist die Sonne und das Licht der Seelen, lumen illuminans omnem hominem venientem in hunc mundum.13 Und es ist nicht erst seit heute, dass man dieser Auffassung ist. Nach der heiligen Schrift und den Kirchenvätern, die immer mehr für Platon als für Aristoteles gewesen sind, haben zur Zeit der Scholastiker mehrere geglaubt, dass Gott das Licht der Seele ist, und, ihrer Redeweise zufolge, intellectus agens animae rationalis,14 worauf schon einmal hingewiesen zu haben ich mich erinnere. Die Averroisten haben dies in einen schlechten Sinn gewendet, aber andere, unter welchen sich, so glaube ich, Wilhelm von St. Amour, Doktor der Sorbonne, befand, 13 14
das Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der auf diese Welt kommt (Johannes 1:9). der tätige Intellekt der vernünftigen Seele.
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und mehrere mystische Theologen haben es auf eine Art aufgefasst, die Gottes würdig ist und fähig ist, die Seele zur Erkenntnis ihres Guten empor zu heben.K31 XXIX. Trotzdem denken wir unmittelbar durch unsere Ideen und nicht durch die Gottes. Trotzdem bin ich nicht der Auffassung einiger fähiger Philosophen, die zu vertreten scheinen, dass unsere Ideen selbst in Gott sind und keineswegs in uns. Dies kommt meines Erachtens daher, dass sie noch nicht genügend bedacht haben, was wir hier bezüglich der Substanzen ausgeführt haben, noch die ganze Ausdehnung und Unabhängigkeit unserer Seele, die dazu führt, dass sie alles einschließt, was ihr geschieht, und dass sie Gott und alle möglichen und wirklichen Seienden ausdrückt, so wie eine Wirkung ihre Ursache ausdrückt. Auch ist es unvorstellbar, dass ich durch die Ideen eines anderen denke. Die Seele muss auch tatsächlich auf eine bestimmte Weise affiziert werden, wenn sie an etwas denkt, und es muss in ihr im Voraus nicht nur die passive Möglichkeit geben, so affiziert werden zu können, die schon völlig determiniert ist, sondern auch eine aktive Möglichkeit, aufgrund derer es in ihrer Natur schon immer die Merkmale der zukünftigen Hervorbringung dieses Gedankens und der Dispositionen gegeben hat, ihn zu seiner Zeit hervorzubringen. Und all dies schließt schon die Idee ein, die in diesem Gedanken enthalten ist.K32 […] 8.2.4 Auszüge aus dem Entwurf eines Briefes von Leibniz an Arnauld (14. 07. 1686) (zitiert als: Entwurf eines Briefes von Leibniz an Arnauld (14. 07. 1686)) [=LAB 108.38–114.145]
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[…] Jedoch sehe ich, dass man, um sie in meine Auffassungen einzuführen, weiter oben ansetzen muss, und mit den ersten Prinzipien oder Elementen der Wahrheiten beginnen muss. Ich bin also der Auffassung, dass jede wahre Proposition unmittelbar oder mittelbar ist. Unmittelbar ist diejenige, die durch sich selbst wahr ist, d.i., wenn das Prädikat ausdrücklich im Subjekt eingschlossen ist. Und solcherlei Wahrheiten nenne ich: identische. Mittelbar sind alle anderen Propositionen, wenn das Prädikat der Möglichkeit nach im Subjekt enthalten ist, so dass die Proposition, durch Analyse des Subjekts oder durch die Analyse sowohl des
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Prädikats als auch des Subjekts, schließlich auf identische Wahrheiten zurückgeführt werden kann. Und dies ist, was Aristoteles und die Schule meinen, wenn sie sagen: praedicatum inesse subjecto.15 Und dies ist auch, worauf dieses Axiom hinausläuft: nihil est sine causa;16 oder vielmehr: nihil cujus non possit reddi ratio,17 d. h., jede rechtlicheK33 Wahrheit oder Tatsachenwahrheit kann a priori bewiesen werden, indem die Verbindung des Subjekts und des Prädikats aufgezeigt wird. Auch wenn es meistens nur Gott zukommt, diese Verbindung distinkt zu erkennen, vor allem in Tatsachen betreffenden Angelegenheiten, die die endlichen Geister nur a posteriori und durch Erfahrung erkennen.K34 Aber das, was ich gerade gesagt habe, ist meines Erachtens die Natur der Wahrheit im Allgemeinen, oder ich weiß nicht, was Wahrheit ist; denn unsere Erfahrungen sind Merkmale und nicht Ursachen der Wahrheit; und die Wahrheit muss doch auch eine allgemeine Natur haben, die ihr an sich selbst ohne Bezug zu uns zukommt. Jedoch kann ich mir für diesen Zweck nichts Besseres vorstellen und nichts, was den Auffassungen der Menschen und sogar denen aller unserer Philosophen besser entspricht, als das, was ich gerade erklärt habe. Aber es scheint mir, dass man die Folgen davon nicht genügend beachtet hat, die sich weiter erstrecken, als man denkt. Da nun jede Wahrheit, die nicht identisch ist, ihren Grund bzw. ihren apriorischen Beweis hat, muss dies nicht nur für ewige Wahrheiten, sondern auch für Tatsachenwahrheiten zugegeben werden. Der Unterschied ist nur, dass die Verbindung von Subjekt und Prädikat bei den ewigen Wahrheiten notwendig ist und von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Essenzen abhängt oder vom Verstand Gottes; und bei den Tatsachen- oder Existenzwahrheiten ist diese Verbindung kontingent und hängt teilweise von Gottes Willen ab, oder dem eines anderen vernünftigen Geschöpfs. Die ewigen Wahrheiten beweisen sich durch die Ideen oder Definitionen der Termini; die kontingenten Wahrheiten haben keine Demonstration im eigentlichen Sinne, aber sie haben trotzdem apriorische Beweise oder Gründe, die mit Gewissheit erkennen lassen, wieso die Sache eher so als anders verlaufen ist. Und um diese Gründe wiederzugeben, muss man schließlich zum Willen einer freien Ursache aufsteigen und hauptsächlich zu den Verordnungen Gottes, von denen die allgemeinste darin besteht, seine Weisheit und seine Macht in dem Maße erkennen zu lassen, in dem die Geschöpfe 15 16 17
das Prädikat ist im Subjekt enthalten. nichts ist ohne Ursache. Es gibt nichts, für das nicht ein Grund angegeben werden kann.
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dazu imstande sind; dies ist meines Erachtens das Prinzip aller Existenzen oder Tatsachenwahrheiten. Denn aus einer Unendlichkeit von Möglichem wählt Gott das Beste aus. Darin besteht die Versöhnung der Freiheit und der Vernunft oder der Gewissheit. Weil er im höchsten Maße weise ist, wird er nämlich nicht versäumen, das Beste zu wählen; aber er wird nicht aufhören frei zu wählen, weil das, was er wählt, nicht notwendig ist und unabhängig von Gottes Verordnungen keine Existenz in seiner eigenen Essenz oder in seinem Begriff einschließt, da das Gegenteil auch möglich ist; ansonsten würde es einen Widerspruch einschließen.K35 Angenommen also, dass bei den Propositionen, die Tatsachen betreffen, das Prädikat im Subjekt eingeschlossen ist, auch wenn durch eine Verbindung, die von Gottes freien Verordnungen abhängt; ‹dann› ist es offensichtlich, dass der Begriff einer jeden Person oder anderen individuellen Substanz in sich ein für alle Male alles das einschließt, was ihr je widerfahren wird, denn diese Person kann als das Subjekt und das Ereignis als das Prädikat betrachtet werden; nun haben wir gezeigt, dass jedes Prädikat einer wahren Proposition im Subjekt eingeschlossen ist oder dass der Begriff des Subjekts denjenigen des Prädikats einschließen muss. Es folgt daraus außerdem, dass das, was die Philosophen gewöhnlich denominationem extrinsecam18 nennen, ebenfalls ex notione subjecti 19 beweisbar ist, aber aufgrund der allgemeinen Verbindung zwischen allen Dingen, die der Laie nicht erkennt. Denn das Volk versteht zum Beispiel nicht, dass die kleinste Bewegung der kleinsten Partikel des Universums das ganze Universum betrifft, auch wenn proportional weniger merklich, da das Kleine und das Große nur die Proportionen verändern. Schließlich folgt aus diesem großen Prinzip, dass jede individuelle Substanz oder jedes vollendete Seiende wie eine Welt für sich ist, die in sich all die Ereignisse aller anderen Substanzen einschließt, nicht durch eine unmittelbare Einwirkung der einen auf die andere, sondern ex concomitantia rerum20 und aufgrund ihres eigenen Begriffs, weil Gott sie zuerst gemacht hat und sie bewahrt oder sie noch fortwährend hervorbringt in einem vollkommenen Verhältnis zu allen anderen Geschöpfen.K36 Tatsächlich ist der Begriff einer individuellen Substanz oder eines vollendeten Seienden nichts anderes als das, d.i. ein Begriff, der hinreichend vollständig ist, um daraus all das abzuleiten, was man diesem Subjekt selbst zusprechen kann. Und dies ist, was unvollständigen Begriffen 18 19 20
eine extrinsische Bezeichnung. aus dem Begriff des Subjektes. aufgrund der Konkomitanz (des geregelten Miteinandervorkommens) der Dinge.
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fehlt. Denn z. B. ist der Begriff König zu sein unvollständig, und man kann ihn einem Subjekt zuschreiben, ohne dass das, was von demselben Subjekt ausgesagt werden kann, aus ihm ableitbar ist, denn wenn man König ist, folgt daraus z. B. nicht, dass man Eroberer ist; aber der Begriff von Alexander dem Großen ist vollendet, denn es ist der individuelle Begriff selber dieser Person, der alles das einschließt, was man diesem Subjekt zuschreiben kann (d. h. dem ---21) und all das, was ihn von jedem anderen Individuum unterscheidet. Daraus folgt auch, dass jedes Individuum als die unterste Art (species plane infima) begriffen werden kann und dass es nicht möglich ist, dass es zwei Individuen gibt, die sich vollkommen gleichen oder die solo numero22 voneinander abweichen, was der heilige Thomas schon in Bezug auf die Intelligenzen vertreten hat, und ich finde es notwendig für alle individuellen Substanzen. Aber man darf die spezifische Differenz nicht nach dem gewöhnlichen Gebrauch auffassen (dem zufolge es absurd wäre zu sagen, duos homines differe specie23), sondern dem Gebrauch der Mathematiker folgend, bei denen zwei Dreiecke oder zwei Ellipsen, die sich nicht gleichen, der Art nach voneinander verschieden sind; auch wenn ich nun damit einverstanden bleibe, dass eine vollkommene Ähnlichkeit bei den unvollständigen Begriffen vorkommt, beispielsweise kann man sich zwei vollkommen gleiche Figuren vorstellen, behaupte ich trotzdem, dass dies nicht bei den Substanzen vorkommen kann, und ich leite dies offensichtlich von den oben genannten Prinzipien ab.K37 […] 8.2.5 Auszüge aus einem Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702) (zitiert als: Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702)) [GP VI, 499–502]
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Brief über das, was von den Sinnen und der Materie unabhängig ist. Madame, der Brief, den man ehemals von Paris nach Osnabrück geschrieben hat und den ich – Ihrer Verfügung entsprechend – letztens in Hannover gelesen habe, ist mir wirklich einfallsreich und schön erschienen. Und da er diese beiden wichtigen Fragen behandelt: Ob es etwas in unseren 21 22 23
Diese Stelle ist im Original nicht entzifferbar. nur der Zahl nach. dass sich zwei Menschen der Art nach unterscheiden.
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Gedanken gibt, das nicht aus den Sinnen stammt; und ob es etwas in der Natur gibt, das nicht materiell ist, bezüglich derer ich bezeugt habe, nicht völlig mit dem AutorK38 des Briefes einverstanden zu sein, wünsche ich, mich mit derselben Zustimmung wie er erläutern zu können, um den Anordnungen zu folgen und die Neugierde Ihrer Majestät zu befriedigen. Wie der Vergleich eines Alten besagt, bedienen wir uns der äußeren Sinne, wie sich ein Blinder seines Stockes bedient, und sie lassen uns ihre partikulären Objekte erkennen, welche die Farben, Klänge, Gerüche und Geschmäcker sowie die Qualitäten des Tastsinns sind. Aber sie lassen uns weder erkennen, was diese sinnlichen Qualitäten sind, noch, worin sie bestehen. Wenn zum Beispiel das Rote das Rotieren gewisser sehr kleiner Kugeln ist, von denen man annimmt, sie machten das Licht; wenn die Wärme ein Wirbel aus sehr feinem Staub ist; wenn der Schall in der Luft wie die Kreise im Wasser entsteht, wenn man einen Stein hineinwirft, wie dies einige Philosophen behaupten: ‹dann› sehen wir nicht und können sogar nicht begreifen, wie dieses Rotieren, diese Wirbel und diese Kreise, wären sie auch wahrhaftig, genau diese Perzeptionen erzeugen, die wir vom Roten, von der Wärme und vom Geräusch haben. Daher kann man sagen, dass die sinnlichen Qualitäten tatsächlich okkulte Qualitäten sind, und dass es wohl einige geben muss, die offenkundiger sind und sie erklärbar machen könnten. Weit entfernt davon, dass wir nur die sinnlichen Dinge verstehen, sind sie es gerade, die wir am wenigsten verstehen. Und auch wenn sie uns vertraut sind, begreifen wir sie deswegen nicht besser, wie ein Lotse nicht besser als ein anderer die Natur der magnetischen Nadel versteht, die sich gegen Norden dreht, auch wenn er sie im Kompass ständig vor Augen hat und sie deswegen kaum mehr bewundert. Ich bestreite nicht, dass man bezüglich der Natur der okkulten Qualitäten viele Entdeckungen gemacht hat, wie wir beispielsweise wissen, durch welche Art der Brechung Blau und Gelb entstehen und dass aus diesen beiden Farben, wenn man sie mischt, Grün entsteht. Aber allein deshalb wissen wir noch nicht, wie die Perzeption, die wir von diesen drei Farben haben, aus diesen Ursachen hervorgeht. Auch haben wir nicht einmal Nominaldefinitionen solcher Qualitäten, um ihre Termini zu erklären. Das Ziel der Nominaldefinitionen ist es, hinreichende Merkmale anzugeben, durch welche man die Dinge wiedererkennen kann. Zum Beispiel haben die Prüfer Merkmale, durch die sie Gold von allen anderen Metallen unterscheiden. Und hätte ein Mensch noch niemals Gold gesehen, so könnte man ihm diese Merkmale beibringen, damit er es ohne Fehler wiedererkennt, wenn er eines Tages darauf treffen sollte.
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Aber es verhält sich nicht gleichermaßen mit den sinnlichen Qualitäten, und man kann zum Beispiel keine Merkmale angeben, um das Blau wiederzuerkennen, wenn man es noch nicht gesehen hat. Somit ist das Blau sein eigenes Merkmal, und damit ein Mensch weiß, was das Blau ist, muss man es ihm notwendigerweise zeigen. Aus diesem Grund sagt man gewöhnlich, dass die Begriffe dieser Qualitäten klar sind, denn sie dienen dazu, sie wiederzuerkennen; ‹gewöhnlich sagt man› aber ‹auch›, dass dieselben Begriffe nicht distinkt sind, weil man weder unterscheiden noch entwickeln kann, was sie enthalten. Es ist ein ich-weiß-nicht-was, das man perzepiert, von dem man aber nicht Bericht zu erstatten vermag. Hingegen kann man jemand anderem mitteilen, was ein Ding ist, von dem man eine Beschreibung oder eine Nominaldefinition hat, auch wenn man dieses Ding gerade nicht zur Hand hat, um es ihm zu zeigen.K39 Allerdings muss man den Sinnen zugestehen, dass sie uns neben diesen okkulten Qualitäten andere offenkundigere Qualitäten erkennen lassen, die distinktere Begriffe liefern. Und dies sind jene, die man dem Gemeinsinn zuschreibt, weil es keinen äußeren Sinn gibt, dem sie besonders verbunden und eigen sind. Und dort kann man die Definitionen der Termini oder Wörter angeben, die man benutzt. Solcherart ist die Idee der Zahlen, die sich gleichfalls in den Klängen, Farben und Berührungen befindet. Ebenso nehmen wir auch Gestalten wahr, die den Farben und Berührungen gemeinsam sind, die wir aber nicht in den Klängen bemerken. Um die Zahlen und die Gestalten an sich distinkt zu begreifen und um daraus Wissenschaften zu bilden, ist es dennoch wahr, dass man etwas erreichen muss, das die Sinne nicht liefern können und das der Verstand den Sinnen hinzufügt. Wenn also unsere Seele (beispielsweise) die Zahlen und die Gestalten, die in den Farben sind, mit den Zahlen und Farben vergleicht, die sich in der Berührung befinden, dann muss es einen inneren Sinn geben, wo sich die Perzeptionen dieser verschiedenen äußeren Sinne vereint finden. Dies ist, was man die Einbildungskraft nennt, die zugleich die Begriffe der besonderen Sinne umfasst, die klar aber verworren sind, und die Begriffe des Gemeinsinns, die klar und distinkt sind. Und diese klaren und distinkten Ideen, die der Einbildungskraft unterworfen sind, sind die Objekte der mathematischen Wissenschaften, nämlich der Arithmetik und der Geometrie, die reine mathematische Wissenschaften sind, und der Anwendung dieser Wissenschaften auf die Natur, die die gemischten mathematischen Wissenschaften ausmachen. Man sieht auch, dass die partikulären sinnlichen Qualitäten nur insofern Erklärungen und Überlegungen zugänglich sind, als dass sie das einschließen, was
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mehreren äußeren Sinnen gemein ist und dem inneren Sinn angehört. Denn jene, die versuchen, die sinnlichen Qualitäten in distinkter Weise zu erklären, greifen immer auf die mathematischen Ideen zurück, und diese Ideen schließen immer die Größe oder die Vielfalt der Teile mit ein.K40 Es stimmt, dass die mathematischen Wissenschaften nicht demonstrative wären und auf bloßer Induktion oder Beobachtung beruhten, die uns einer vollkommenen Allgemeinheit der Wahrheiten, die sich darin befinden, niemals versichern würde, wenn nicht etwas Höheres, was allein die Intelligenz liefern kann, den Sinnen und der Einbildungskraft zu Hilfe käme. Es gibt also noch Objekte einer anderen Natur, die überhaupt nicht durch das umfasst werden, was man in den Objekten der besonderen Sinne oder des Gemeinsinns bemerkt, und die folglich auch nicht Objekte der Einbildungskraft sind. Somit gibt es neben dem Sinnlichen und dem, was Gegenstand der Einbildungskraft ist, das, was lediglich intelligibel ist, indem es allein das Objekt des Verstandes ist, und dies ist das Objekt meines Gedankens, wenn ich an mich selbst denke. Dieser Gedanke von mir, der ich die sinnlichen Objekte perzepiere und meine eigene Handlung, die daraus resultiert, fügt den Objekten der Sinne etwas hinzu. An eine Farbe zu denken und zu erfassen, dass man daran denkt, sind in dem Maße zwei sehr verschiedene Gedanken, wie die Farbe von mir, der ich an sie denke, verschieden ist. Und da ich begreife, dass andere Seiende auch das Recht haben können, ich zu sagen, oder dass man es für sie sagen kann, verstehe ich daher, was man die Substanz im Allgemeinen nennt, und es ist ebenfalls die Betrachtung meiner selbst, die mir andere metaphysische Begriffe liefert, wie ‹den Begriff› der Ursache, der Wirkung, der Handlung, der Ähnlichkeit usw., und sogar diejenigen der Logik und der Moral. Somit kann man sagen, dass es nichts im Verstand gibt, was nicht aus den Sinnen stammt, mit Ausnahme des Verstandes selbst oder desjenigen, der versteht.K41 Es gibt also drei Reihen von Begriffen: Die lediglich sinnlichen, die die Objekte sind, welche je einem besonderen Sinn zugeordnet werden, die sinnlichen und zugleich intelligiblen, die dem Gemeinsinn angehören, und die nur intelligiblen, die dem Verstande eigen sind. Die ersten und die zweiten sind zusammen vorstellbar, aber die dritten stehen über der Einbildungskraft. Die zweiten und dritten sind intelligibel und distinkt; aber die ersten sind verworren, auch wenn sie klar oder wiederkennbar sind.
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8.2.6 Auszüge aus den Nouveaux Essais sur l’Entendement humain / Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1703–1705) (zitiert als: Neue Abhandlungen bzw. NA) Auszug aus dem Vorwort [=AA VI.6, 51.17–53.9] […] Vielleicht wird unser fähiger Autor nicht ganz von meiner Auffassung abweichen. Denn nachdem er sein ganzes erstes Buch dazu verwendet hat, die angeborenen Lichter zu verwerfen, die in einem bestimmten Sinn aufgefasst werden, gesteht er jedoch zu Anfang des zweiten Buches und im Folgenden zu, dass diejenigen Ideen, die nicht aus der Wahrnehmung stammen, aus der Reflexion kommen. Die Reflexion ist aber nichts anderes als eine Aufmerksamkeit auf das, was in uns ist, und die Sinne geben uns nicht, was wir schon mit uns tragen. Ist dem so, kann man dann verneinen, dass es in unserem Geist vieles gibt, was angeboren ist, da wir uns, sozusagen, selbst eingeboren sind, und dass es in uns Sein, Einheit, Substanz, Dauer, Veränderung, Tätigkeit, Perzeption, Lust und tausend andere Objekte unserer intellektuellen Ideen gibt? Und da diese Objekte unserem Verstand unmittelbar und immer gegenwärtig sind (auch wenn sie nicht immer apperzipiertK42 werden können, wegen unserer Ablenkungen und Bedürfnisse), wieso darüber staunen, dass wir sagen, diese Ideen seien angeboren mit all dem, was davon abhängt?K43 Ich habe mich auch des Vergleichs eines Marmorsteins bedient, der Venen hat, eher als eines ganz einheitlichen Marmorsteins oder leerer Tafeln, d. h. dessen, was bei den Philosophen Tabula rasa heißt. Denn wenn die Seele diesen leeren Tafeln gliche, wären die Wahrheiten in uns wie die Gestalt des Herkules im Marmor ist, wenn dieser Marmor ganz und gar gleichermaßen dazu ‹veranlagt› ist, diese oder irgendeine andere Gestalt zu empfangen. Aber wenn es im Stein Venen gäbe, die eher die Gestalt des Herkules als andere Gestalten hervorhebten, dann wäre dieser Stein eher dazu bestimmt und Herkules wäre darin gleichsam in gewisser Weise angeboren, auch wenn es Arbeit bedürfte, um die Venen freizulegen und um sie durch die Politur zu reinigen, indem das, was ihr Erscheinen verhindert, entfernt würde. Ebenso sind uns die Ideen und Wahrheiten angeboren, wie Neigungen, Dispositionen, Gewohnheiten oder natürliche Virtualitäten, und nicht wie Tätigkeiten, auch wenn diese Virtualitäten immer von irgendwelchen oft unmerklichen Tätigkeiten begleitet werden, die ihnen entsprechen.K44 Es scheint mir, dass unser fähiger Autor vorgibt, dass es in uns nichts Virtuelles gibt und sogar nichts, das wir nicht immer aktual apperzipieren.
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Aber er kann dies nicht in aller Strenge meinen, ansonsten wäre seine Auffassung zu paradox, weil auch die angenommenen Gewohnheiten und die Vorräte unseres Gedächtnisses nicht immer apperzipiert werden und uns nicht einmal bei Bedarf immer zu Hilfe kommen, auch wenn wir sie uns oft wieder zu Geiste führen bei irgendeiner losen Gelegenheit, die uns dazu bringt, uns daran zu erinnern; wie es bei einem Lied nur des Anfangs bedarf, um uns daran zu erinnern. Auch beschränkt er seine These an anderen Stellen, indem er sagt, dass es in uns nichts gibt, was wir nicht mindestens einmal apperzipiert haben. Aber außer dass niemand durch die Vernunft allein sicherstellen kann, bis wohin unsere vergangenen Apperzeptionen reichen können, die wir vergessen haben können, vor allem wenn wir der Wiedererinnerungslehre der Platoniker folgen, die, wie märchenhaft sie auch ist, mit der völlig nackten Vernunft nichts Unverträgliches hat: Außerdem, sage ich, warum müssen wir alles durch die Apperzeptionen der äußeren Dinge erlangen und können es nicht in uns selbst ausgraben? Ist unsere Seele allein denn so leer, dass sie abgesehen der von außen entliehenen Bildern nichts ist? Dies ist (so vergewissere ich mich) keine Auffassung, die unser urteilssicherer Autor gut heißen darf. Und wo wird man Tafeln finden, die nicht durch sich selbst etwas Vielfältiges sind? Wird man jemals eine vollkommen vereinte und gleichförmige Fläche sehen? Warum also können wir nicht auch uns selbst mit einem Objekt des Denkens aus unserem eigenen Grund versorgen, wenn wir nur darin graben wollen? Somit bin ich geneigt zu glauben, dass seine Ansicht diesbezüglich im Grunde nicht von meiner oder eher von der allgemeinen unterschieden ist, umso mehr, als dass er doch zwei Quellen unserer Erkenntnisse anerkennt, die Sinne und die Reflexion.K45 […] Auszug aus Buch II, Kapitel I [=AA VI.6, 109.6–111.14] […] §.1. PHILAL . Nachdem wir untersucht haben, ob die Ideen angeboren sind, lasst uns ihre Natur und ihre Unterschiede betrachten. Ist es nicht wahr, dass die Idee das Objekt des Gedankens ist?K46 THEOPH . Ich gestehe es zu, wenn Sie hinzufügen, dass sie ein unmittelbares inneres Objekt ist. Und dass dieses Objekt ein Ausdruck der Natur oder der Qualitäten der Dinge ist. Wenn die Idee die Form des Gedankens wäre, würde sie mit den aktualen Gedanken entstehen und aufhören, die ihr entsprechen; aber als das Objekt kann sie den ‹aktualen› Gedanken vorhergehen oder nachgeordnet sein. Die äußeren sinnlichen Objekte sind nur mittelbare, weil sie nicht unmittelbar auf die Seele ein-
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wirken können. Gott allein ist das unmittelbare äußere Objekt. Man könnte sagen, dass die Seele selbst ihr eigenes unmittelbares inneres Objekt ist; aber sie ist es, insofern sie die Ideen beinhaltet oder was den Dingen entspricht. Denn die Seele ist eine kleine Welt, wo die distinkten Ideen Repräsentationen von Gott sind und wo die verworrenen ‹Ideen› eine Repräsentation des Universums sind.K47 §.2. PHILAL . Unsere Herrschaften, die annehmen, dass die Seele zu Beginn eine Tabula Rasa, ohne irgendwelche Charaktere und ohne jegliche Idee ist, fragen, wie sie dazu kommt, Ideen zu empfangen, und durch welches Mittel sie davon diese außergewöhnliche Anzahl erlangt? Hierauf antworten Sie mit einem Worte: durch die Erfahrung. THEOPH . Diese Tabula Rasa, von der man so viel spricht, ist meines Erachtens nur eine Fiktion, die es in der Natur nicht gibt und die nur auf den unvollkommenen Begriffen der Philosophen beruht, wie die Leere, die Atome, die Ruhe, sei sie absolut oder relativ zu zwei Teilen, die aufeinander bezogen sind und zusammen ein Ganzes bilden, oder wie die Materia Prima, die man ohne jegliche Formen begreift. Die einförmigen Dinge, die keine Verschiedenheit einschließen, sind nie etwas anderes als Abstraktionen, wie die Zeit, der Raum und die anderen reinen mathematischen Seienden. Es gibt keine Körper, deren Teile in Ruhe sind, und es gibt keine Substanz, die nicht etwas aufweist, wodurch sie sich von jeder anderen unterscheiden würde. Die menschlichen Seelen unterscheiden sich nicht nur von den anderen Seelen, sondern auch noch untereinander, auch wenn die Differenz nicht von der Natur derjenigen ist, die man spezifische nennt. Und den Demonstrationen zufolge, die ich zu haben glaube, hat jedes substantielle Ding, sei es eine Seele oder ein Körper, sein Verhältnis zu allen anderen, das ihm eigen ist; und das eine muss sich immer vom anderen durch intrinsische Bezeichnungen unterscheiden. Um nicht zu sagen, dass diejenigen, die so viel von dieser Tabula Rasa reden, nicht imstande sind, zu sagen, was ihr bleibt, nachdem sie ihr die Ideen weggenommen haben; wie ‹dies› die Schulphilosophen ‹tun›, die ihrer Materia Prima nichts lassen. Man wird mir vielleicht antworten, dass diese Tabula Rasa der Philosophen heißen soll, dass die Seele natürlicher- und ursprünglicherweise nur nackte Vermögen aufweist. Aber die Vermögen ohne jeglichen Akt, in einem Worte die reinen Möglichkeiten der Schule, sind auch nichts Anderes als Fiktionen, die die Natur nicht kennt und die man nur erlangt, indem man Abstraktionen hervorbringt. Denn wo findet man in der Welt jemals ein Vermögen, das in der bloßen Möglichkeit enthalten ist, ohne irgendeinen Akt auszuführen? Es gibt immer eine bestimmte Disposition zur Tätigkeit und zu einer Tätigkeit
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eher als zu einer anderen. Und neben der Disposition gibt es eine Tendenz zur Tätigkeit, von der es sogar immer eine Unendlichkeit auf einmal in jedem Subjekt gibt: Und diese Tendenzen sind nie ohne irgendeine Wirkung. Die Erfahrung ist notwendig, ich gestehe es zu, damit die Seele zu diesen oder jenen Gedanken bestimmt wird und damit sie auf die Ideen Acht gibt, die in uns sind. Aber ‹was sind› die Mittel ‹dafür›, dass die Erfahrung und die Sinne Ideen liefern können? Hat die Seele Fenster, ähnelt sie Tafeln, ist sie wie das Wachs? Es ist augenscheinlich, dass all die, die so von der Seele denken, sie im Grunde körperlich machen. Man wird mir dies von den Philosophen angenommene Axiom entgegenhalten, dass nichts in der Seele ist, was nicht aus den Sinnen stammt. Aber man muss die Seele selbst und ihre Affektionen ‹davon› ausnehmen. Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, excipe: nisi ipse intellectus.24 Die Seele schließt jedoch das Sein, die Substanz, das Eine, das Gleiche, die Ursache, die Perzeption, die Überlegung und eine Menge anderer Begriffe ein, die die Sinne nicht zu liefern vermögen. Dies steht ziemlich mit Ihrem Autor des Essay in Einklang, der die Quelle eines guten Teils der Ideen in der Reflexion des Geistes auf seine eigene Natur sucht.K48 PHILAL . Ich hoffe also, dass sie diesem fähigen Autor zugestehen werden, dass alle Ideen aus der Empfindung oder der Reflexion stammen; d. h. aus den Beobachtungen, die wir entweder bezüglich der äußeren und sinnlichen Objekte oder bezüglich der inneren Operationen unserer Seele anstellen. THEOPH . Um einen Einspruch zu vermeiden, mit dem wir uns schon zu viel aufgehalten haben, teile ich Ihnen, Monsieur, im Voraus mit: Wenn Sie sagen werden, die Ideen stammen aus der einen oder der anderen dieser Ursachen, verstehe ich dies im Hinblick auf die aktuale Perzeption von ihnen. Denn ich glaube gezeigt zu haben, dass sie in uns sind, bevor man sie apperzipiert, insofern sie etwas Distinktes aufweisen.K49 […]
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Nichts ist im Intellekt, das nicht zuvor in der Sinnlichkeit gewesen ist, außer der Intellekt selbst.
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9. George Berkeley Max Barkhausen und Johannes Haag
9.1 Einleitung 9.1.1 Kurzbiographie George Berkeley wurde am 12. März 1685 im irischen Kilcrane, in der Nähe von Kilkenny, geboren. Im Alter von zehn Jahren begann seine schulische Ausbildung am Kilkenny College, und mit fünfzehn Jahren besuchte er bereits das Trinity College in Dublin. 1704 erhielt er dort seinen B.A. und wurde im Jahre 1707 Junior Fellow an derselben Universität. Zur gleichen Zeit arbeitete er an seinen Notizbüchern, die uns heute als Philosophical Commentaries bekannt sind. Im Jahre 1709 erschien sein Essay Towards a New Theory of Vision, 1710 sein erstes Hauptwerk: der Treatise concerning the Principles of Human Knowledge. Im selben Jahr ließ Berkeley sich zum anglikanischen Priester ordinieren. 1713 dann gab er sein zweites Hauptwerk, die Three Dialogues between Hylas and Philonous, heraus, die inhaltlich kaum von den Principles abweichen, aber Berkeleys Thesen rhetorisch aufgearbeitet in Dialogform präsentieren. 1713 verließ Berkeley Irland und ging für längere Zeit nach London. Hier traf er wichtige Intellektuelle seiner Zeit, unter anderen Addison, Steele, Pope und Swift. Nach einem zehnmonatigen Aufenthalt in London reiste er weiter auf den Kontinent. In Paris kam es zu einem Austausch mit Nicolas Malebranche, der bereits von einer schweren Krankheit gezeichnet war. (Der Legende nach starb Malebranche wenige Tage später in einem aufgeregten Zustand, in dem ihn seine Diskussion mit dem jungen Iren hinterlassen hatte. Obwohl Berkeley Malebranche zwar mit Sicherheit traf, kann diese Legende nicht wahr sein, da Malebranche erst im Spätsommer des Jahres 1715 starb.) Nach seiner Reise kehrte Berkeley nach London zurück, um dann zwei Jahre später als Tutor des Sohnes des Bischofs von Clogher eine weitere Reise auf den Kontinent zu unternehmen, die von 1716–1721 dauerte und ihn bis in den Süden Italiens führte. Während dieser Reise verfasste er 1720 die Abhandlung
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De Motu (als Preisschrift für einen Wettbewerb der Académie française), in der er eine instrumentalistische Wissenschaftstheorie entwickelt. Bereits 1717 wurde Berkeley Senior Fellow am Trinity College. Diese Position gab er dann 1724 für die des Dean of Derry auf, die für ihn mit wenigen Verpflichtungen und einem hohen Lohn verbunden war. Zu diesem Zeitpunkt widmete er sich bereits der Planung eines Projektes auf den Bermuda-Inseln: Berkeley wollte dort ein College für amerikanische Farmer und Indianer gründen, die als Missionare nach Amerika zurückkehren sollten. 1728 heiratete Berkeley Anne Forster und reiste mit ihr nach Newport, Rhode Island, um von dort aus die Gründung des College zu betreiben. Hier verfasste er den Alciphron, eine weitere philosophische Schrift, und den Analyst, ein mathematisches Werk. Vergeblich wartete er auf Rhode Island auf das von der Britischen Regierung versprochene Geld. Als ihm bewusst wurde, dass er das Geld niemals erhalten würde, kehrte er 1732 nach London zurück. 1734 ging Berkeley wieder nach Irland und wurde dort Bischof von Cloyne. In seinen letzten Lebensjahren veröffentlichte er The Querist, eine ökonomische Schrift voller Ratschläge für die Irische Regierung, die nur aus rhetorischen Fragen besteht, und die interessante Abhandlung Siris, in der er unter anderem die heilende Wirkung von Teerwasser anpreist und sich zu Fragen der Chemie, Kosmologie, Philosophie und Religion äußert. 1752 ging er in den Ruhestand und zog nach Oxford, vermutlich, um dort die universitäre Ausbildung seines Sohnes George, eines von sieben Kindern, mitzuverfolgen. Dort starb Berkeley am 14. Januar 1753 an Altersschwäche. 9.1.2 Der systematische Hintergrund: Idealismus als Antwort auf den Skeptiker Von einem Philosophen, der behauptet, dass wir nicht etwa materielle Gegenstände, sondern Ideen wahrnehmen, und dass diese Ideen nicht von materiellen Gegenständen verursacht werden, erwartet man kaum, dass er andere als Skeptiker bezeichnet. Dennoch öffnen George Berkeley zufolge die philosophischen Theorien seiner Vorgänger wie Locke und Descartes dem Skeptizismus Tür und Tor – und müssen sich deshalb selbst den Vorwurf des Skeptizismus gefallen lassen. Der Verdacht liegt nahe, dass Berkeley hier lediglich die Flucht nach vorn ergreift, um seinen Zeitgenossen, die etwa seine Principles auf Grund der scheinbaren Absurdität ihrer Thesen zum Teil gar nicht lesen wollten und die die
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Position von Berkeley selbst für zutiefst skeptisch hielten, etwas entgegenzusetzen. Doch Berkeleys „Flucht nach vorne“ ist keineswegs bloß ein taktisches Manöver, sondern hat philosophische Substanz. Das erkennt man, wenn man Berkeleys Idealismus vor dem Hintergrund derjenigen Probleme sieht, die seine materialistischen Gegner plagen. Wenn der materialistische Repräsentationalist behauptet, dass materielle Gegenstände kausal auf uns einwirken und so in uns Ideen von diesen Gegenständen hervorrufen, dann schuldet er uns eine Rechtfertigung dafür, dass wir auf der Grundlage des Bewusstseins unserer Ideen auf eine repräsentationale Beziehung zwischen diesen Ideen und materiellen Gegenständen schließen dürfen, die kausal für sie verantwortlich sein sollen. Der Skeptiker muss nun nur auf das Fehlen dieser Rechtfertigung verweisen und etwaige Rechtfertigungsversuche zurückweisen. Als Kritiker des materialistischen Repräsentationalismus übernimmt Berkeley die Rolle des Skeptikers: Er argumentiert, dass der Begriff materieller Gegenstände, die für die Hervorbringung unserer Ideen verantwortlich sein sollen und dadurch die Grundlage für deren repräsentationalen Gehalt bilden, nicht nur unplausibel und schwer zu begreifen, sondern darüber hinaus inkonsistent ist. Demnach kann es solche Gegenstände gar nicht geben. Berkeleys kritisches Projekt ist mit dem Projekt des Skeptikers also identisch. Doch Berkeley belässt es nicht bei dieser Kritik, sondern beansprucht vielmehr dem Skeptiker eine eigene, konstruktive Konzeption entgegenzusetzen, die dessen skeptischen Einwürfen gegenüber immun ist. Hier kommt sein Prinzip des Esse-Est-Percipi ins Spiel: Existieren heißt gar nichts anderes als Wahrgenommenwerden. Statt davon auszugehen, dass unsere Ideen materielle Objekte repräsentieren, die unabhängig von ihnen existieren und die kausal für sie verantwortlich sind, sollten wir nach Berkeley sagen, dass unsere Ideen selbst diese Objekte sind. So ist eine Kirsche seiner Ansicht nach nichts anderes als das Bündel meiner Ideen von dieser Kirsche. Berkeley macht an der Stelle, die der Skeptiker für seine Argumentation genützt hat, also einen radikalen Schnitt: Hinter unseren Ideen verbirgt sich keine unabhängig von diesen existierende Realität, sondern diese Ideen selbst sind unsere Realität.
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9.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Ideen sind für Berkeley die unmittelbaren Objekte unserer Perzeption (Principles I, §§ 1–7, Essay Towards a New Theory of Vision (im Weiterern ETV), alle ausgewählten Paragraphen; eine kurze Definition findet sich in ETV 45, unten). Sie repräsentieren keine materiellen Gegenstände (Principles I, §§ 9, 22, 23, Dialogues, 200). Außerdem sind sie passiv und alles, was in ihnen ist, wird auch perzipiert, so dass es keine unbewussten Ideen gibt (Principles I, §§ 18, 19, 24–29). Ideen sind abhängig vom Geist und, je nach Lesart, Zustände des Geistes oder distinkte Objekte, die nicht unabhängig vom Geist existieren können (Principles I, §§ 1–7, Dialogues, 214–15, 230–31, 236, 252). Wichtig ist auch die Frage, was Ideen für Berkeley nicht sind: Sie sind keine Begriffe (notions), die für nicht perzipierbare Gegenstände stehen (Principles I, §§ 89, 140, Dialogues, 238). Begriffe haben wir nur von Geistern oder geistigen Wesen (spirits) und von Relationen. b) Welche Arten von Ideen gibt es? Für Berkeley gibt es zwei Klassen von Ideen: Die einen sind die unmittelbaren Objekte unserer Wahrnehmung (Principles I, §§ 1–7, ETV, alle ausgewählten Paragraphen), die anderen setzen diese voraus und stammen aus der Einbildungskraft und Erinnerung (Principles I, §§ 1–7). Ideen, die wir unmittelbar perzipieren, werden in der Regel Ideen hervorrufen, die aus der Erinnerung stammen und die wir vermittels der Einbildungskraft vorstellen (Dialogues, 204, ETV, alle). Diejenigen Ideen, die wir unmittelbar wahrnehmen, sind dabei Zeichen für Ideen, die in der Erfahrung regelmäßig mit den unmittelbar wahrgenommenen Ideen verknüpft waren. Da es sich bei dieser Verknüpfung nicht um notwendige Beziehungen handelt, in denen Ideen aufgrund ihrer intrinsischen Eigenschaften zueinander stehen, ist unsere Wahrnehmung für Berkeley heterogen: Ideen aus verschiedenen Sinnen sind grundverschieden und es bestehen nur arbiträre Relationen zwischen ihnen. Abstrakte Ideen lehnt Berkeley prominenter Weise ab (Principles, §§ E7-E9, E12, E15-E16). Auch die Unterscheidung zwischen Ideen primärer und sekundärer Qualitäten weist Berkeley zurück (Principles I, §§ 14, 15). Begriffe (notions) sind für Berkeley keine Ideen im strengen Sinne (Principles I, §§ 89, 140, Dialogues, 238).
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c) Wie entstehen Ideen? Unsere Wahrnehmungsideen werden von Gott in uns verursacht und werden außerdem von Gott selbst perzipiert (Principles I, §§ 1–8, Dialogues, 214–15, 230–31, 236, 252). Ideen aus der Vorstellungskraft verursachen wir selbst (Principles I, §§ 18, 19, 25–29). Unmittelbare Ideen „schlagen uns“ die unmittelbaren Objekte der Wahrnehmung „vor“, d. h. wir verknüpfen sie aufgrund unserer Erfahrung miteinander (Dialogues, 204, ETV, alle). Einen Ichbegriff (keine Idee, sondern eine notion) erhalten wir aus der intuitiven Selbstkenntnis und einen Begriff anderer Geister (keine Ideen, sondern notions) durch Analogieschlüsse (Principles I, §§ 89, 140). d) Was erklären Ideen? Ideen spielen in Berkeleys Theorie des Geistes, seiner Erkenntnistheorie und in seiner Metaphysik eine wichtige Rolle. In seiner Theorie des Geistes sind sie die wichtigsten, aber nicht die einzigen geistigen Objekte: Sie sind die direkten Objekte unserer Perzeption (Principles I, §§ 1–7, ETV, alle ausgewählten Paragraphen) und sie verhelfen uns zu allgemeinen Begriffen von wahrnehmbaren Gegenständen (Principles I, §§ E12, E15, E16). Mithilfe von Ideen wird nicht nur Wahrnehmung, sondern auch Erkenntnis erklärt. Wie können wir einen Objektivitätsbegriff aufrechterhalten und wie sind genuine Meinungsverschiedenheiten möglich? Ideen geben Berkeley einen (oder zumindest die Skizze eines) Wahrheitsbegriff(s) an die Hand (Dialogues, 238, 245–46). Außerdem statten sie ihn mit einem Realitätsbegriff aus (Principles I, §§ 1–8, 39): Objekte sind für Berkeley nichts anderes als Ideenbündel, die nicht nur aus den unmittelbar wahrgenommenen Ideen bestehen, sondern auch aus den Ideen, die diese ihrerseits in uns hervorrufen. 9.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die ausgewählten Passagen stammen aus Berkeleys wichtigsten drei Werken, dem Essay on a New Theory of Vision (1709), dem Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge (1710) und den Three Dialogues between Hylas and Philonous (1713). Im Essay on a New Theory of Vision greift Berkeley die Optik des 17. Jahrhunderts an. Vor allem wendet er sich hier gegen die cartesianische Vorstellung, dass wir Distanzen zwischen verschiedenen Gegen-
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ständen unserer Wahrnehmung aufgrund von Winkeln zwischen Linien von Abbildern dieser Gegenstände auf unserer Retina berechnen können. Hinsichtlich Berkeleys Ideentheorie ist ETV interessant, weil Berkeley hier seine Theorie der Heterogenität der Wahrnehmung entwickelt. Ideen aus verschiedenen Sinnen sind nach dieser Theorie nicht notwendiger Weise, sondern nur durch die Erfahrung verknüpft. Der Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge, den Berkeley 1710 veröffentlichte, enthält als einziges unter Berkeleys Werken eine umfassende Darstellung seiner Philosophie und gilt deswegen als sein Hauptwerk. Die Principles sind das erste Werk Berkeleys, in dem er, ohne die (vielleicht strategische) Vorsicht des Essays, seinen Idealismus und Immaterialismus entfaltet und mit Argumenten untermauert. Das Hauptwerk des jungen Philosophen wurde denkbar schlecht rezipiert. Viele von Berkeleys Zeitgenossen weigerten sich, sich überhaupt mit seiner scheinbar absurden Position auseinanderzusetzen. Berkeley unternahm einen weiteren Versuch und wählte diesmal die leichter zugängliche Form des Dialoges: In den Three Dialogues between Hylas and Philonous von 1713 überzeugt Philonous, Berkeleys Gewährsmann, den naiven Materialisten Hylas Stück für Stück von seiner idealistischen Position. Die Dialogues unterscheiden sich von den Principles vor allem in der Darstellung, der Sache nach aber nur wenig. Ein Problem bei der Textauswahl für diesen Band ist die hohe Redundanz von Berkeleys Schriften. Es gibt kaum etwas, das Berkeley nur einmal sagt. Oft mussten wir uns also zwischen mehreren für ein Thema relevanten Textstellen entscheiden. In der Regel haben wir die Textstellen ausgewählt, die sich am besten immanent verstehen lassen. Eine weitere Schwierigkeit, die zu einem gewissen Mosaik-Charakter dieser Auswahl beigetragen hat, ist folgende: Berkeley führt seinen Ideenbegriff nicht explizit ein, wie es etwa Locke oder Hume tun, sondern beginnt in allen drei Werken mit großer Selbstverständlichkeit, von Ideen zu sprechen. Nirgends findet sich so etwas wie eine Definition, ein einführender Text oder eine ausführliche Passage zum Ideenbegriff, die als Grundlage dieser Textauswahl hätte dienen können. Wir sahen uns also gezwungen, ein Mosaik verschiedener Textstellen auszuwählen. Um dem Leser die Textarbeit zu vereinfachen, haben wir den Stellenkommentar mit Überleitungen versehen, die die inhaltlichen Zusammengänge zwischen einzelnen Passagen explizit machen. Textgrundlage ist die von Luce und Jessop besorgte Werkausgabe: The Works of George Berkeley, Bishop of Cloyne, Hrsg. A.A. Luce und T.E. Jessop,
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1948–57. (Die Ziffern, die die Passagen aus den Dialogues nummerieren, beziehen sich auf die Seitenzahlen dieser Ausgabe.) Die Übersetzung der ausgewählten Passagen stammt von uns.
9.2 Zentrale Passagen zu Berkeleys Ideentheorie 9.2.1 Auszüge aus A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge – Introduction / Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Einleitung (1710) (zitiert als: Principles E) 4. Mein Ziel ist es […] zu versuchen, ob ich diejenigen Prinzipien aufzudecken vermag, die zu all der Fragwürdigkeit und Ungewissheit, den Absurditäten und Widersprüchen in den verschiedenen philosophischen Schulen geführt haben. […] Es lohnt sich sicherlich, die ersten Prinzipien der menschlichen Erkenntnis einer strengen Untersuchung zu unterziehen und sie in jeder Hinsicht zu prüfen; umso mehr als wir Grund zu der Annahme haben, dass die Schwächen und Schwierigkeiten, die den Geist bei seiner Suche nach Wahrheit behindern und ihn bloßstellen, nicht der Dunkelheit oder Komplexität der Gegenstände oder einer natürlichen Schwäche des Verstandes geschuldet sind, sondern vielmehr aus falschen Prinzipien herrühren, an denen man trotz ihrer Verzichtbarkeit festhielt.K1 […] 6. Um den Geist des Lesers für das leichtere Verständnis des Folgenden vorzubereiten, muss ich einige Bemerkungen hinsichtlich der Natur und des Missbrauchs der Sprache zur Einleitung voran schicken. Allerdings wird mich die Exposition dieser Themen dazu führen, meine eigene Konzeption zu einem guten Teil vorwegzunehmen, indem ich die Aufmerksamkeit auf dasjenige lenke, was einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass die philosophische Spekulation so verworren und verwirrend wurde, und was für unzählige Irrtümer und Schwierigkeiten in nahezu allen Bereichen des Wissens verantwortlich ist. Und das ist die Meinung, dass der Geist über die Fähigkeit verfügt, abstrakte Ideen (abstract ideas)K2 oder Begriffe (notions) von Dingen zu bilden. […] 7. Es ist nicht kontrovers, dass die Eigenschaften (qualities) oder Zustände (modes) der Dinge nie für sich selbst und getrennt von den anderen existieren, sondern vielmehr immer mehrere von ihnen gleichsam im gleichen Objekt vermischt und verschmolzen sind. Nun erzählt man uns aber, dass der Geist jede dieser Eigenschaften einzeln erfassen kann
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(conceive), abstrahiert von den anderen, mit denen sie im Objekt vereint sind, und dass der Geist auf diese Weise abstrakte Ideen bildet.K3 So wird zum Beispiel durch den Gesichtssinn ein Objekt wahrgenommen, das ausgedehnt und farbig ist und sich bewegt. Indem nun der Geist diese komplexe (compound) Idee in ihre einfachen, konstitutiven Teile zerlegt und jedes für sich selbst, unter Ausschluss der anderen betrachtet, bildet er die abstrakten Ideen von Ausdehnung, Farbe und Bewegung. Nicht dass es etwa möglich wäre, dass Farbe oder Bewegung ohne Ausdehnung existieren: sondern nur, dass der Geist durch Abstraktion die Idee der Farbe ohne Ausdehnung und die Idee von Bewegung ohne Farbe und Ausdehnung bilden kann. 8.K4 Wenn der Geist wiederum beobachtet hat, dass den ausgedehnten Dingen, die wir sinnlich wahrnehmen, einiges gemeinsam ist, anderes aber eigentümlich, was sie voneinander unterscheidet, wie etwa diese oder jene bestimmte Gestalt oder Größe, so konzentriert er sich auf das gemeinsame Element oder isoliert es und bildet daraus eine höchst abstrakte Idee der Ausdehnung: Diese ist weder eine Linie noch eine Ebene noch massiv noch hat sie eine besondere Gestalt oder Größe, sondern ist eine Idee, die gänzlich von all diesen Eigenschaften abgetrennt ist. Auf ähnliche Weise kann der Geist all die Unterschiede zwischen den einzelnen Farben, die durch die Sinne perzipiert werden, auslassen und nur das, was ihnen allen gemeinsam ist, aufbewahren. Auf diese Weise bildet er die Idee der Farbe im Abstrakten, die weder blau noch rot noch weiß noch sonst irgendeine bestimmte Farbe ist. Wenn der Geist in gleicher Weise Bewegung ganz abstrahiert betrachtet – nicht nur von dem Körper, der sich bewegt, sondern auch davon, welche Figur er beschreibt, in welche Richtung und wie schnell er sich bewegt –, dann wird die abstrakte Idee der Bewegung gebildet, die mit allen besonderen Bewegungen, die sinnlich wahrgenommen werden können, gleichermaßen übereinstimmt. 9. Durch dieselbe Art des Wegschneidens und geistigen Trennens, durch die der Geist abstrakte Ideen von einzelnen Eigenschaften (qualities) und Modi (modes) bildet, erlangt er auch abstrakte Ideen von komplexeren Dingen, von denen jedes mehrere Eigenschaften besitzt, die zusammen auftreten. Wenn der Geist zum Beispiel beobachtet hat, dass Peter, James und John sich aufgrund einiger Übereinstimmungen hinsichtlich ihrer Gestalt und anderer Eigenschaften ähnlich sind, so lässt er aus der komplexen Idee von Peter, James oder irgend einem anderen Menschen das aus, was jedem eigentümlich ist, und bewahrt nur das, was sie alle gemeinsam haben. Auf diese Art bildet er eine abstrakte Idee, an
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der alle Individuen (particulars) gleichermaßen teilhaben und von der alle Besonderheiten und Unterschiede abgeschnitten sind, die sie auf eine besondere Existenz festlegen würden. So, sagen sie, kommen wir dazu, eine abstrakte Idee vom Menschen oder, wenn man so will, von der Menschheit oder der menschlichen Natur zu haben. Diese Idee beinhaltet in der Tat Farbe, weil jeder Mensch irgendeine Farbe hat, aber dennoch kann diese nicht weiß, schwarz oder eine andere spezifische Farbe sein, weil es keine besondere Farbe gibt, an der alle Menschen teilhätten. Gleichermaßen enthält sie Größe (stature), aber dabei handelt sich weder um eine große noch eine kleine noch eine mittlere Größe, sondern um etwas von all diesen Abstrahiertes. Ähnliches gilt für die übrigen Eigenschaften. Des Weiteren gibt es eine große Zahl anderer Geschöpfe, die in einigen, aber nicht in allen Anteilen an der komplexen Idee des Menschen teilhaben; und so bildet der Geist die Idee des Tieres (animal), indem er die Teile, die den Menschen eigentümlich sind, weglässt, und diejenigen, die alle Lebewesen teilen, beibehält. Diese Idee abstrahiert nicht nur von allen einzelnen Menschen, sondern auch von Vögeln, Säugetieren (beasts), Fischen und Insekten. Die konstitutiven Bestandteile der abstrakten Idee des Tieres sind Körper, Leben, Wahrnehmung und spontane Bewegung. Körper heißt hier Körper ohne besondere Gestalt oder Größe, weil keine Größe oder Gestalt allen Tieres gemein ist, und beinhaltet keine spezielle Form der Bedeckung – Haar, Federn oder Schuppen – oder Nacktheit, da Haare, Federn, Schuppen oder Nacktheit die einzelnen Tierarten voneinander unterscheiden, so dass all diese Unterschiede aus der abstrakten Idee herausgelassen werden. Aus dem gleichen Grund darf die spontane Bewegung weder Gehen, Fliegen oder Kriechen sein; aber trotzdem ist sie eine Bewegung. Was diese Bewegung sein soll, ist allerdings nicht leicht zu begreifen. 10. Ob andere diese wunderbare Fähigkeit haben, ihre Ideen zu abstrahieren, werden sie am besten wissen. Ich jedenfalls bemerke, dass ich in der Tat die Fähigkeit besitze, mir Ideen von solchen Einzeldingen bildlich vorzustellen (imagine) oder zu repräsentieren (represent), die ich einmal wahrgenommen habe, und sie auf verschiedenste Weise zusammenzusetzen und zu trennen. Ich kann mir einen Menschen mit zwei Köpfen oder den Oberkörper eines Menschen mit dem Körper eines Pferdes verbunden vorstellen. Ich kann die Hand, das Auge, die Nase einzeln erwägen, abstrahiert oder getrennt vom Rest des Körpers. Jedoch muss jede einzelne Hand und jedes Auge, das ich mir vorstelle, eine bestimmte Gestalt und Farbe haben. Ebenso muss die Idee des Menschen, die ich bilde, die Idee eines weißen, eines schwarzen oder braunen Menschen
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sein, eines aufrechten oder gebeugten, eines großen, kleinen oder mittelgroßen. Wie sehr ich meinen Geist auch bemühe, ich kann die abstrakte Idee, die ich oben beschrieben habe, nicht erfassen. Und ich finde es genauso unmöglich, die abstrakte Idee der Bewegung unabhängig von dem sich bewegenden Körper zu bilden, und die Idee einer Bewegung, die weder flink noch langsam noch kurvig noch gerade ist. Das gleiche gilt für alle übrigen abstrakten allgemeinen (general) Ideen. Ich gebe offen zu, dass ich in einem bestimmen Sinn abstrahieren kann, wenn ich nämlich bestimmte Teile oder Eigenschaften voneinander getrennt betrachte, die, obwohl sie faktisch in einem Gegenstand miteinander vereint sind, tatsächlich auch ohne die anderen existieren können. Aber ich streite ab, dass ich diese Eigenschaften voneinander abstrahieren oder als getrennt begreifen kann, sofern sie nicht getrennt voneinander existieren können; oder dass ich einen allgemeinen Begriff bilden kann, indem ich von Einzeldingen in der beschriebenen Art und Weise abstrahiere. Und dies sind die beiden angemessenen Verwendungsweisen des Wortes Abstraktion. Es gibt Grund zu denken, dass die meisten Menschen in dieser Hinsicht so wie ich sind. Die Mehrheit der Menschen, die einfach und ungebildet sind, behauptet nie, Begriffe zu abstrahieren. Man sagt, sie seien schwierig und man erlange sie nicht ohne harte Arbeit. Das gibt uns Grund zur Annahme, dass sie, sofern es sie überhaupt gibt, ausschließlich auf den Geist der Gelehrten beschränkt sind.K5 […] 12. Indem wir betrachten, wie Ideen allgemein werden, können wir besser beurteilen, wie Wörter zu allgemeinen werden. Hier ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ich nicht durchweg abstreite, dass es allgemeine Ideen gibt – ich streite nur ab, dass es abstrakte allgemeine Ideen gibt. […] Wenn wir unseren Worten Bedeutung verleihen möchten und nur von dem sprechen, was wir begreifen können, sollten wir uns, denke ich, darauf einigen, dass eine Idee, die für sich genommen einzeln (particular) ist, allgemein wird, wenn wir sie so verwenden, dass sie alle anderen einzelnen Ideen gleicher Art repräsentiert oder für diese steht.K6 Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen, denke dir einen Geometer, der die Gültigkeit eines Verfahrens beweist, eine Linie in zwei gleich lange Teile zu teilen. Er zieht, sagen wir, eine 1-Zoll-lange, schwarze Linie. Diese an sich einzelne [Linie] ist hinsichtlich ihrer Bedeutung (signification) dennoch allgemein, weil sie dort so verwendet wird, dass sie alle beliebigen einzelnen Linien repräsentiert. Denn das, was bezüglich der einen Linie bewiesen wird, wird für alle Linien bewiesen oder, mit anderen Worten für eine Linie im Allgemeinen. Und genau wie so die einzelne Linie allgemein wird, indem sie zu einem Zeichen gemacht wird, so wird der
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Ausdruck (name) Linie, der absolut betrachtet selbst ein Einzelding ist, dadurch, dass er zum Zeichen wird, allgemein gemacht. Und so, wie die erstere ihre Allgemeinheit nicht der Tatsache verdankt, dass sie das Zeichen für eine abstrakte oder allgemeine Linie ist, sondern das Zeichen für alle besonderen geraden Linien, die überhaupt existieren können, so leitet auch der letztere seine Allgemeinheit aus derselben Ursache her, nämlich aus den verschiedenen besonderen Linien, die er unbestimmt bezeichnet. […] 15. Auch halte ich sie [sc. die abstrakten allgemeinen Ideen] für die Vermehrung unseres Wissens für ebenso wenig notwendig wie für die Kommunikation. Ich weiß, dass man oft darauf besteht, dass alles Wissen und alle Beweise von allgemeinen Begriffen (universal notions) handeln – womit ich völlig übereinstimme. Allerdings scheint mir, dass diese Begriffe nicht in der unterstellten Weise durch Abstraktion gewonnen werden; soweit ich weiß, besteht Allgemeinheit (universality) nicht im absoluten, positiven Wesen irgendeiner Entität oder deren Auffassung, sondern in der Beziehung dieser Entität zu den von ihr bezeichneten (signified) oder repräsentierten Einzeldingen. Kraft dieser Beziehung werden die Dinge, Namen oder Begriffe, die ihrer eigenen Natur nach einzeln sind, allgemein (universal). […] 16 […] Ich folgere, dass für alle schiefwinkeligen und ungleichseitigen Dreiecke gültig ist, was ich für ein bestimmtes rechtwinkliges, gleichschenkliges Dreieck bewiesen habe – nicht weil ich den Satz für die abstrakte Idee des Dreiecks bewiesen habe! Hier muss man einräumen, dass man eine Figur lediglich als dreieckig betrachten kann, ohne die besonderen Eigenschaften der Winkel oder Relationen zwischen den Seiten zu beachten. Soweit mag man abstrahieren. Doch das beweist keinesfalls, dass man eine abstrakte, allgemeine, inkonsistente Idee eines Dreiecks bilden kann. In ähnlicher Weise können wir Peter als Mensch oder als Tier (animal) betrachten, ohne die erwähnte abstrakte Idee des Menschen oder Tieres zu bilden, sofern nicht alles, was perzipiert wird, zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht wird.
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9.2.2 Auszüge aus A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge – Part I / Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Teil I (1710) (zitiert als: Principles I)
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1. Jeder, der sich einen erschöpfenden Überblick über die Gegenstände des menschlichen Wissens verschafft, wird leicht feststellen, dass sie alle entweder Ideen sind, die den Sinnen eingeprägt werden (imprinted), oder solche, die perzipiert werden, indem man seine Aufmerksamkeit auf die eigenen Gefühle und mentalen Aktivitäten richtet, oder schließlich solche, die mit Hilfe des Gedächtnisses und der Einbildungskraft aus diesen beiden Arten von Ideen gebildet werden, indem man Ideen dieser beiden Arten zusammenfügt, trennt oder einfach nachbildet.K7 Durch mein Sehvermögen habe ich die Ideen des Lichts und der Farben mit ihren verschiedenen Abstufungen und Variationen. Vermittels des Tastsinns nehme ich beispielsweise Hartes und Weiches, Hitze und Kälte, Bewegung und Widerstand wahr, und all dies in verschiedener Stärke (quantity) und in unterschiedlichem Ausmaß (degree). Mein Geruchssinn liefert mir Düfte, mein Gaumen Geschmäcker, und mein Gehör versorgt den Geist mit Geräuschen jeglichen Klanges und jeglicher Zusammensetzung. Und da man beobachtet, dass eine gewisse Anzahl von diesen gemeinsam auftreten, gibt man ihnen einen Namen und hält sie für ein Ding. Wenn man zum Beispiel beobachtet hat, dass eine bestimmte Farbe, ein bestimmter Geschmack und Geruch, eine bestimmte Gestalt und Konsistenz gemeinsam auftreten, dann hält man sie für ein einheitliches Ding, das man Apfel nennt. Weitere Sammlungen von Ideen machen einen Stein, einen Baum, ein Buch und ähnliche wahrnehmbare Dinge aus; und diese können Gefühle wie Liebe, Freude, Trauer, usw. hervorrufen, je nachdem, ob sie uns gefallen oder missfallen. 2. Zusätzlich zu dieser endlosen Vielfalt von Ideen oder Gegenständen des Wissens gibt es auch noch etwas, das sie erkennt oder perzipiert, und auf vielfältige Weisen mit ihnen umgeht, beispielsweise durch Wollen, Vorstellen, oder Erinnern. Diese perzipierende, aktive Entität nenne ich Geist (mind), geistiges Wesen (spirit), Seele (soul), oder Ich (myself). Mit diesen Wörtern bezeichne ich keine meiner Ideen, sondern ein Ding, das von ihnen gänzlich unterschieden ist. Es handelt sich um etwas, in dem sie existieren, oder, was dasselbe ist, von dem sie perzipiert werden; denn die Existenz einer Idee besteht in ihrem Perzipiertwerden. 3. Jeder wird zustimmen, dass weder unsere Gedanken, noch unsere Gefühle und unsere Ideen aus der Einbildungskraft ohne den Geist existieren. Nicht weniger offensichtlich ist es wohl, dass die vielfältigen Sin-
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neseindrücke oder Ideen, die unseren Sinnen eingeprägt werden, nur in einem Geist, der sie perzipiert, existieren können – unabhängig davon, wie sie vermengt oder kombiniert sind (das heißt, unabhängig davon, welche Gegenstände sie bilden). Ich denke, das kann jeder intuitiv wissen, der seine Aufmerksamkeit darauf richtet, was der Ausdruck existiert bedeutet, sofern er auf wahrnehmbare Dinge angewandt wird.K8 Ich sage, dass der Tisch, auf dem ich schreibe, existiert; das heißt, ich sehe und fühle ihn. Wenn ich nicht in meinem Arbeitszimmer wäre, würde ich immer noch sagen, dass er existierte, und würde meinen, dass ich ihn wahrnehmen würde, wenn ich in meinem Arbeitszimmer wäre – oder dass ein anderes geistiges Wesen ihn in der Tat wahrnimmt. Dass da ein Geruch war, bedeutet, dass er gerochen wurde; dass ein Ton erklang, besagt, dass er gehört wurde; eine Farbe oder eine Gestalt, dass sie gerade gesehen oder gefühlt wurde. Ausdrücke wie diese kann ich nur so verstehen. Denn das, was einige über die absolute Existenz von nichtdenkenden Dingen sagen, ohne jeden Bezug darauf, dass diese perzipiert werden, halte ich für völlig unverständlich. Ihr esse ist percipi; und es ist unmöglich, dass sie außerhalb eines Geistes, der sie perzipiert, existieren. 4. In der Tat halten seltsamerweise viele an der Auffassung fest, dass Häuser, Berge, Flüsse, mit einem Wort: alle sinnlich wahrnehmbaren (sensible) Gegenstände, natürlich oder wirklich existieren, unabhängig davon, ob der Verstand sie perzipiert. Doch wie verbreitet und wie stark diese Überzeugung auch sein mag, wird doch jeder, der mutig genug ist, sie zu hinterfragen, wenn ich mich nicht irre, feststellen, dass sie einen greifbaren Widerspruch beinhaltet.K9 Denn was anderes sind die gerade erwähnten Gegenstände als dasjenige, was wir mit den Sinnen perzipieren? Und was perzipieren wir außer unseren Ideen und Sinneseindrücken? Und ist es nicht ganz einfach widersprüchlich, dass eine von diesen oder Kombinationen von ihnen existieren, ohne perzipiert zu werden? 5. Wenn wir diese Überzeugung einer gründlichen Untersuchung unterziehen, so werden wir vielleicht herausfinden, dass sie letztlich von der Doktrin abstrakter Ideen abhängt. Kann es denn eine schönere Anwendung der Abstraktion geben, als die Existenz wahrnehmbarer Dinge von ihrem Wahrgenommenwerden zu unterscheiden, und sie somit so zu begreifen, als existierten sie, ohne wahrgenommen zu werden? Licht und Farben, Hitze und Kälte, Ausdehnung und Gestalten, kurzum, die Dinge, die wir sehen und fühlen – was sollen sie sein außer Empfindungen, Begriffe, Ideen oder Sinneseindrücke? Und können diese von der Perzeption abgetrennt werden, sei es auch nur im Denken? Ich jedenfalls finde es keineswegs leichter, das zu tun, als ein Ding von sich selbst
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abzutrennen. Ich kann in der Tat in meinen Gedanken Dinge aufteilen oder getrennt voneinander auffassen, auch wenn ich sie noch nie getrennt voneinander erfahren habe. So kann ich mir zum Beispiel einen menschlichen Torso ohne Glieder bildhaft vorstellen, oder Rosenduft geistig erfassen, ohne an die Rose selbst zu denken. Soweit will ich nicht bestreiten, dass ich abstrahieren kann – sofern man das überhaupt als Abstraktion bezeichnen kann, was nicht über die getrennte Betrachtung solcher Gegenstände hinausgeht, die möglicherweise so getrennt existieren oder perzipiert werden können. Aber mein Erfassen oder meine bildliche Vorstellungskraft überschreitet nicht die Grenzen dessen, was in der Tat existieren oder perzipiert werden kann. Ebenso wie es mir nicht möglich ist, ein Ding zu fühlen oder zu sehen, ohne einen Sinneseindruck davon zu haben, kann ich deshalb in meinen Gedanken kein wahrnehmbares Ding oder Gegenstand abgetrennt von seiner Empfindung (sensation) oder seiner Perzeption erfassen. 6. Einige Wahrheiten sind dem Geist so nahe und offenkundig, dass man nur seine Augen öffnen muss, um sie zu sehen. Zu diesen zähle ich auch die folgende wichtige Einsicht, dass der ganze Himmelschor und das ganze irdische Inventar, kurzum: all die Körper, die das gewaltige Gerüst dieser Welt bilden, ohne einen Geist keinerlei Bestand (subsistence) haben, d. h. dass ihr Sein im Perzipiertwerden oder Gewusstwerden besteht. Daraus folgt, dass sie, solange sie nicht von mir perzipiert werden bzw. weder in mir noch in einem anderen geschaffenen geistigen Wesen (spirit) existieren, sie entweder gar nicht existieren oder aber im Geist (mind) eines ewigen geistigen Wesens (spirit) subsistieren. Denn es ist vollkommen unverständlich und schließt die ganze Absurdität der Abstraktion ein, irgendeinem von ihnen eine geistunabhängige Existenz zuzuschreiben. Um sich davon zu überzeugen, muss der Leser nur reflektieren und versuchen, in seinen eigenen Gedanken das Sein eines wahrnehmbaren Dinges von seinem Wahrgenommenwerden zu trennen!K10 7. Aus dem Gesagten folgt, dass es keine andere Substanz gibt als ein geistige Wesen (spirit), oder dasjenige, was perzipiert.K11 Für einen ausführlicheren Beweis dieser Behauptung betrachte man die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, also Farbe, Gestalt, Bewegung, Geruch, Geschmack und dergleichen, also die Ideen, die vermittels der Sinne perzipiert werden. Es stellt nun einen manifesten Widerspruch dar, dass eine Idee in einem Ding existieren soll, das nicht perzipiert; denn eine Idee haben heißt nichts anderes als perzipieren. Dasjenige, worin die Farbe, Gestalt und dergleichen Eigenschaften existieren, muss sie also
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perzipieren – und daraus folgt klarer Weise, dass es keine nichtdenkende Substanz oder ein Substratum solcher Ideen geben kann. 8. Aber, wirst du sagen, obwohl die Ideen selbst nicht außerhalb des Geistes existieren, könnte es trotzdem Dinge genau wie sie geben, von denen sie Abbilder oder Kopien sind, und diese Dinge könnten außerhalb des Geistes in einer nicht denkenden Substanz existieren. Ich antworte, dass eine Idee nur einer Idee ähnlich sein kann;K12 eine Farbe oder Gestalt kann nur einer weiteren Farbe oder Gestalt ähnlich sein. Wenn wir nur ein wenig auf unsere Gedanken achten, werden wir feststellen, dass es uns unmöglich ist, uns eine andere Ähnlichkeit vorzustellen als die zwischen unseren Ideen. Außerdem frage ich: Sollen die angeblichen Originale oder äußeren Dinge, von denen unsere Ideen die Bilder oder Abbildungen sein sollen, selbst perzipierbar sein oder nicht? Wenn sie es sind, so sind sie Ideen, und ich habe den Streit gewonnen; aber wenn man behauptet, dass sie es nicht sind, möchte ich jeden bitten, sich zu fragen, ob es sinnvoll ist zu behaupten, dass eine Farbe so wie etwas Unsichtbares ist, dass etwas Hartes oder Weiches so wie etwas ist, das man nicht berühren kann, und dass Ähnliches für die anderen Eigenschaften gilt. […] 14.K13 Ich will darauf hinweisen, dass man ebenso, wie einige moderne Philosophen beweisen, dass bestimmte wahrnehmbare Qualitäten keine materielle Existenz außerhalb des Geistes haben, argumentieren kann, um das gleiche von allen wahrnehmbaren Eigenschaften zu beweisen. Zum Beispiel wird behauptet, dass Hitze und Kälte nur Affektionen des Geistes sind und keine Anordnungen (patterns) wirklicher Entitäten (beings), die in den körperlichen Substanzen existieren, die sie hervorrufen, weil ein und derselbe Körper sich für eine Hand kalt und für eine andere warm anfühlt. Warum sollten wir nicht ganz analog argumentieren, dass Gestalt und Ausdehnung keine Folgen von Eigenschaften sind, die in der Materie existieren, oder dass sie diesen nicht ähneln, weil sie dem gleichen Auge in verschiedenen Positionen unterschiedlich erscheinen, oder Augen von verschiedener Beschaffenheit, wenn sie die gleiche Position haben – und dass sie deshalb keine Bilder von etwas sein können, was ohne den Geist festgelegt und bestimmt wäre? […] 15. Kurz, jeder kann selbst leicht sehen, dass die Argumente, die zeigen, dass Farben und Geschmäcker nur im Geist existieren, mit ebensolcher Beweiskraft dasselbe auch von Ausdehnung, Gestalt und Bewegung beweisen können. Allerdings muss man einräumen, dass diese Argumente in Wirklichkeit nicht beweisen, dass es keine Ausdehnung oder Farbe in einem äußeren Gegenstand gibt, sondern nur, dass uns unsere Sinne
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nicht sagen, was seine wahre Ausdehnung oder Farbe ist. Doch die vorangegangenen Argumente haben ja bereits sonnenklar gezeigt, dass es für eine beliebige Farbe oder Ausdehnung oder irgendeine andere wahrnehmbare Eigenschaft unmöglich ist, in einem nicht denkenden Ding ohne Geist zu existieren, oder vielmehr, dass es unmöglich so etwas wie einen äußeren Gegenstand geben kann. […] 18. Angenommen, es wäre möglich, dass feste, bewegliche Substanzen, die eine Gestalt haben, ohne den Geistes existierten, und dass sie mit unseren Ideen von Körpern übereinstimmten – wie könnten wir das dann überhaupt wissen?K14 Wir müssen es entweder durch die Sinne (sense) oder die Vernunft (reason) wissen. Unsere Sinne geben uns nur Wissen von unseren Sinneseindrücken (sensations), Ideen oder Dingen, die direkt durch die Sinne perzipiert werden, wie auch immer man sie nennen mag! Sie enthalten keine Informationen darüber, dass es außerhalb des Geistes existierende, d. h. nicht perzipierte Dinge gibt, die denjenigen ähneln, die wir perzipiern. Das gibt der Materialist selbst zu. Wenn wir deshalb überhaupt Wissen von äußeren Dingen haben sollen, muss es Wissen durch die Vernunft sein: Wir müssen ihre Existenz aus dem, was wir unmittelbar sinnlich perzipieren, ableiten. Aber welche Gründe könnten wir haben, von den Ideen, die wir perzipieren, auf die Existenz von Körpern außerhalb des Geistes zu schließen, wo doch selbst die Befürworter der Materie nicht behaupten, dass es eine notwendige Verbindung zwischen diesen und unseren Ideen gibt? Ich denke, dass man sich im Allgemeinen einig ist, dass es möglich ist, dass wir mit den Ideen, die wir jetzt haben, affiziert werden, ohne dass außen Körper existieren, die ihnen ähnlich sind. (Und was in Träumen, Wahnvorstellungen und dergleichem geschieht, macht das unanfechtbar.) Deswegen ist es offensichtlich nicht notwendig, äußere Körper für die Hervorbringung unserer Ideen vorauszusetzen; denn alle sind sich ja einig, dass sie manchmal ohne äußere Körper hervorgebracht werden und möglicherweise immer ohne deren Gegenwart in derselben Ordnung hervorgebracht werden könnten, die wir gegenwärtig wahrnehmen. 19. Wenn wir aber auch möglicherweise unsere Sinneseindrücke ohne sie haben können, so ist es doch vielleicht einfacher, die Art und Weise ihrer Erzeugung zu erfassen und zu erklären, indem man äußere Körper annimmt, die ihnen ähnlich sind; und auf diese Weise wäre es immerhin wahrscheinlich, dass es so etwas wie Körper gibt, die ihre Ideen in unserem Geist hervorrufen. Doch auch das kann man nicht sagen. Denn wenn wir den Materialisten ihre äußeren Körper auch schenken, so müs-
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sen sie doch selbst eingestehen, dass sie der Erkenntnis des Vorgangs der Erzeugung unserer Ideen keinen Schritt näher sind. Denn sie räumen ja selbst ein, dass sie nicht verstehen, wie ein Körper auf einen Geist einwirken kann, oder wie es ihm möglich ist, dem Geist eine Idee einzuprägen. 22. […] Ich fürchte, ich habe bereits Anlass dazu gegeben, dass man mich für unnötig weitschweifig in der Behandlung dieses Themas hält. Warum sollte man ausführlich über das schreiben, was jedem, der auch nur zur geringsten Reflexion in der Lage ist, in ein oder zwei Zeilen mit der größten Beweiskraft aufgezeigt werden kann? Man muss nur in seine eigenen Gedanken hineinsehen und auf diese Weise überprüfen, ob man es für möglich halten kann (can conceive it possible), dass ein Geräusch, eine Gestalt, eine Bewegung oder eine Farbe ohne einen Geist (mind), d. h. unperzipiert (unperceived), existiert. Dieser einfache Versuch wird dir vor Augen führen, dass das, wofür du dich einsetzt, ein blanker Widerspruch ist. Ich bin vor diesem Hintergrund sogar dazu bereit, alles auf eine Karte zu setzen: Wenn du es für möglich hältst, dass eine ausgedehnte, bewegliche Substanz, oder ganz allgemein, dass eine beliebige Idee oder irgendetwas, das einer Idee ähnlich ist, anders existieren kann als in einem Geist (mind), der sie perzipiert, dann will ich meine Bemühungen aufgeben.K15 […] 23. Nun wirst du sagen, dass doch sicherlich nichts einfacher sein kann, als sich beispielsweise Bäume in einem Park, oder Bücher in einem Schrank vorzustellen (imagine), die niemand wahrnimmt. Ich antworte, dass du das gerne tun kannst; in der Tat liegt darin keine Schwierigkeit. Was aber tust du da anderes, so frage ich weiter, als in deinem Geist bestimmte Ideen zu bilden, die du ‚Bücher‘ und ‚Bäume‘ nennst, und zugleich zu unterlassen, die Idee von jemandem zu bilden, der diese wahrnimmt? Aber perzipierst du sie denn dann nicht selbst oder denkst selbst an sie? […] 25. Alle unsere Ideen, Sinneswahrnehmungen oder Dinge, die wir perzipieren – man nenne sie, wie man will – sind offensichtlich inaktiv; in ihnen ist keine Kraft oder Tätigkeit. Eine Idee oder ein Objekt des Denkens kann deshalb keine andere erzeugen oder Veränderungen in ihr hervorrufen. Um uns davon zu überzeugen, müssen wir ganz einfach unsere Ideen beobachten. Da sie und all ihre Bestandteile nur im Geist existieren, kann nichts in ihnen sein, das nicht perzipiert wird.K16 Wenn man nun seine Ideen betrachtet, entweder die aus der Reflexion oder die aus der Sinneswahrnehmung, wird man keine Kraft oder Aktivität in ihnen perzipieren; deshalb ist auch keine Kraft oder Aktivität in ihnen
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enthalten. Mit ein wenig Aufmerksamkeit können wir so erkennen, dass Passivität und Trägheit zur Essenz einer Idee gehören, so dass eine Idee niemals etwas tun oder (genau genommen) die Ursache von etwas sein kann […] 26. Wir perzipieren eine kontinuierliche Folge von Ideen, einige erscheinen neu, andere verändern sich oder verschwinden gänzlich. Diese Ideen müssen daher eine Ursache haben, etwas, von der sie abhängen, die sie hervorruft und verändert. Dass diese Ursache weder eine Qualität noch eine Eigenschaft oder Idee noch eine Kombination von Ideen sein kann, ergibt sich aus dem letzten Abschnitt. Es muss sich also um eine Substanz handeln. Da es körperliche oder materielle Substanzen, wie gezeigt wurde, nicht gibt, bleibt nur noch, dass die Ursache der Ideen eine unkörperliche, aktive Substanz oder ein geistiges Wesen (spirit) ist. 27. Ein geistiges Wesen ist ein einfaches, ungeteiltes, aktives Wesen. Sofern es Ideen perzipiert, wird es Verstand genannt, und sofern es Ideen hervorbringt oder in anderer Weise mit ihnen umgeht, wird es Wille genannt. Es folgt, dass keine Idee einer Seele oder eines geistigen Wesens erzeugt werden kann. Da nämlich, wie wir in Abschnitt 25 gesehen haben, alle Ideen passiv und träge sind, können sie uns (unto us) auf dem Wege der Abbildung oder der Ähnlichkeit nichts Aktives repräsentieren. […] Die Natur des geistigen Wesens oder dessen, was handelt, ist so beschaffen, dass sie nicht selbst perzipiert werden kann, sondern nur die Wirkungen, die sie hervorbringt. Wenn jemand glaubt, dass das, was hier gesagt wurde, falsch ist, sollte er einfach in sich hineinsehen und versuchen, die Idee einer Wirkungsmacht (power) oder eines aktiven Wesens zu erzeugen, sowie die Ideen von zwei grundlegenden Wirkungsmächten, die man Verstand und Wille nennt, die voneinander und von einer dritten Idee der Substanz oder des Seins im Allgemeinen unterschieden sind, die man Seele oder geistiges Wesen (spirit) nennt und von der man außerdem einen relativen Begriff (relative notion) als Träger dieser beiden Wirkungsmächte hat. Manche Leute behaupten das; aber mir scheint, dass die Worte Wille, Seele und geistiges Wesen nicht zwei verschiedene Ideen bezeichnen, oder überhaupt eine Idee, sondern dass sie für etwas ganz anderes als Ideen stehen, das als etwas Handelndes (agent) keiner Idee ähnlich sein oder von irgendeiner Idee abgebildet werden kann. Man muss allerdings einräumen, dass wir einen Begriff (notion) der Seele, des geistigen Wesens, und den Operationen des Geistes (mind), wie etwa Wollen, Lieben und Hassen haben, sofern wir diese Worte verstehen bzw. ihre Bedeutung kennen. 28. Es fällt mir auf, dass ich, wenn ich will, in meinem Geist Ideen erzeugen und meinen geistigen Schauplatz verändern und verrücken
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kann, wann auch immer ich will. Ich muss es nur wollen, und sofort taucht diese oder jene Idee in meinem Geist auf; und wenn ich abermals will, kann ich sie ausradieren und eine andere hervorrufen. Gerade weil der Geist Ideen auf diese Art erzeugen und auslöschen kann, ist er aktiv. Soviel ist sicher und das wissen wir aus der Erfahrung. Wenn wir aber von nicht denkenden Handelnden sprechen oder davon, dass jemand Ideen ohne Willen hervorruft, spielen wir nur mit Worten. 29. Welche Gewalt auch immer ich jedoch über meine eigenen Gedanken habe, so finde ich, dass die Ideen, die sinnlich wahrgenommen werden, keine vergleichbare Abhängigkeit von meinem Willen haben. […] Es gibt deshalb einen anderen Willen oder ein geistiges Wesen, das sie hervorruft. […] 33. Die Ideen, die vom Autor der Natur unseren Sinnen eingeschrieben werden, werden wirkliche Dinge genannt; und diejenigen, die in der Einbildungskraft weniger regelmäßig, lebendig und konstant hervorgerufen werden, werden im eigentlichen Sinne Ideen oder Bilder von Dingen, die sie abbilden (copy) und repräsentieren, genannt.K17 Dennoch sind unsere Sinneseindrücke, so lebendig und deutlich sie auch sein mögen, nichts desto weniger Ideen, das heißt, sie existieren im Geist, oder werden von ihm perzipiert, ganz genauso wie die Ideen, die er selbst hervorbringt. Die sinnlichen Ideen haben also tatsächlich mehr Realität in sich, das heißt, sie sind stärker, geordneter und kohärenter als die Erzeugnisse des Geistes; aber das ist kein Argument dafür, dass sie ohne den Geist existieren. […] 39. Warum, so wird man vielleicht fragen, verwende ich das Wort Idee und folge nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch, indem ich von Dingen spreche? Dafür gibt es zwei Gründe: erstens geht man normalerweise davon aus, dass der Begriff Ding für etwas steht, das außerhalb des Geistes existiert, im Gegensatz zur Idee; zweitens hat Ding eine umfangreichere Bedeutung als Idee, weil es sich nicht nur auf Ideen, sondern auch auf geistige Wesen (spirits), oder denkende Dinge, bezieht. Da die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände nur im Geist existieren und darüber hinaus weder denkend noch aktiv sind, habe ich mich entschlossen, sie Idee zu nennen, was jene Eigenschaften impliziert.K18 […] 49. […] Es könnte eingewendet werden: Wenn Ausdehnung und Gestalt nur im Geist existieren, muss der Geist selbst ausgedehnt sein und eine Gestalt haben, da die Ausdehnung ein Modus oder ein Attribut ist, das von einem Subjekt ausgesagt wird, in dem es existiert (um mit der traditionellen Lehrmeinung (schools) zu sprechen). Darauf antworte ich, dass diese Qualitäten nur insofern im Geist sind, als sie von ihm perzi-
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piert werden, das heißt nicht als Modi oder Attribute, sondern allein als Ideen (by way of idea). Außerdem folgt genausowenig, dass die Seele oder der Geist (mind) ausgedehnt ist, weil Ausdehnung allein in ihm existiert, so wie es auch nicht folgt, dass sie rot oder blau wäre, weil diese Farben in ihnen existieren, was ja jeder akzeptiert. Was aber das angeht, was Philosophen über Subjekt und Modus sagen – ich halte das für völlig ungerechtfertigt und unverständlich. […] 89. Wenn wir ein festes System von korrektem und wirklichem Wissen errichten wollen, das den Angriffen des Skeptikers standhalten kann, so scheint es, dass dafür nichts wichtiger ist, als am Anfang die Bedeutung von Ding, Wirklichkeit und Existenz genau zu klären. Denn es hat keinen Sinn, dass wir uns über die reale Existenz der Dinge streiten oder so tun, als hätten wir irgendwelches Wissen darüber, solange wir die Bedeutung dieser Begriffe nicht festgelegt haben. Ding oder Wesen (being) ist der allgemeinste Ausdruck (name) von allen; er umfasst zwei Arten, die völlig verschieden und heterogen sind, und außer dem Namen nichts gemeinsam haben: nämlich geistige Wesen (spirits) und Ideen. Erstere sind aktive, unteilbare Substanzen; letztere sind träge, vergängliche, abhängige Entitäten, die nicht allein bestehen (subsist) können, sondern vom Geist (minds) oder geistigen Substanzen getragen werden oder in ihnen existieren.K19 Wir verstehen unsere eigene Existenz durch ein nach innen gerichtetes Fühlen oder Reflexion, und die anderer geistigen Wesen durch unsere Vernunft (reason). Man kann sagen, dass wir Wissen oder einen Begriff (notion) von unserem eigenen Geist, von anderen geistigen Wesen (spirits) und von aktiven Wesen haben, obwohl wir im strengen Sinn keine Ideen von ihnen besitzen. Auf ähnliche Weise haben wir Wissen oder einen Begriff von Relationen (relations) zwischen Dingen oder Ideen, welche sich von den Dingen und Ideen selbst unterscheiden, weil wir die Ideen ohne die Relationen perzipieren können. Mir scheint, dass Ideen, geistige Wesen (spirits) und Relationen auf ihre je eigene Weise Gegenstände des menschlichen Wissens und Themen des Diskussion sind; und dass es inadäquat wäre, den Ausdruck ‚Idee‘ auf alles, was wir wissen und von dem wir einen Begriff haben, auszuweiten. […] 140. In einem weiten Sinn haben wir in der Tat eine Idee oder vielmehr einen Begriff (notion) geistiger Wesen (spirits) – das heißt, wir verstehen die Bedeutung des Wortes; denn sonst könnten wir ihnen nichts zuoder absprechen. So wie wir außerdem die Ideen im Geist (mind) anderer geistiger Wesen vermittels unserer eigenen Ideen erfassen (conceive), indem wir annehmen, dass unsere Ideen jenen ähneln; so erkennen (know) wir auch andere geistige Wesen (spirits) durch unsere eigene Seele, die in
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diesem Sinne deren Abbild oder Idee ist, da sie in einer ähnlichen Beziehung zu diesen steht, wie die Bläue oder die Hitze, die ich selbst perzipiere, zu den Ideen, die ein anderer perzipiert. 9.2.3 Auszüge aus Three Dialogues between Hylas and Philonous / Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous (1713) (zitiert als: Dialogues) Dialogues II, 200: Philonous: […] Aber lass’ alles, was bisher gesagt wurde, beiseite und erkläre es, wenn du willst, für nichtig: Ich bin bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Wenn du dir die Möglichkeit vorstellen (conceive) kannst, dass eine Mischung oder Kombination von Eigenschaften oder irgendein sinnlich wahrnehmbares Ding außerhalb des Geistes existiert, dann werde ich dir zugestehen, dass es in der Tat so ist.K20 Hylas: Mit diesem Test wird das Ergebnis schnell feststehen. Es gibt doch kaum etwas Leichteres, als sich einen Baum oder ein Haus als allein existierend vorzustellen, unabhängig von jedem Geist und von keinem Geist wahrgenommen? Ich stelle sie mir in diesem Moment so vor. Philonous: Sage mir, Hylas, kannst du ein Ding sehen, das zur gleichen Zeit nicht gesehen wird? Hylas: Nein, das wäre ein Widerspruch. Philonous: Ist es nicht ein genauso großer Widerspruch davon zu sprechen, dass wir uns ein Ding vorstellen, das nicht vorgestellt wird? Hylas: So ist es. Philonous: Den Baum oder das Haus, an das du denkst, stellst du dir also vor? Hylas: Wie sollte es sonst sein? Philonous: Und was vorgestellt wird, ist sicherlich im Geist? Hylas: Ohne Frage, was vorgestellt wird, ist im Geist. Philonous: Was hat dich dann dazu gebracht zu sagen, dass du ein Haus oder einen Baum vorgestellt habest, der unabhängig und außerhalb von jedem Geist existiert? Hylas: Zugegeben, das war ein Versehen […] Dialogues II, 204: Philonous: […] Ich bestreite nicht, dass man von uns sagen kann, dass wir in einem bestimmten Sinn wahrnehmbare Dinge vermittels der Sinne wahrnehmen können: dann nämlich, wenn aufgrund einer oft be-
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obachteten Verbindung die unmittelbare Perzeption von Ideen aus einem Sinn dem Geist andere Ideen vorschlägt (suggests), die vielleicht aus einem anderen Sinn stammen und die üblicherweise mit ihnen verbunden sind. Wenn ich zum Beispiel einen Wagen auf der Straße fahren höre, perzipiere ich nur das Geräusch unmittelbar; aber aufgrund meiner zurückliegenden Erfahrung, dass solch ein Geräusch mit einem Wagen verbunden ist, sagt man, dass ich den Wagen höre. Trotzdem ist es offensichtlich, dass ich genau genommen nur Geräusche hören kann; und der Wagen wird daher nicht wirklich vermittles der Sinne wahrgenommen, sondern die Erfahrung schlägt ihn uns vor.K21 Ganz ähnlich wenn man von uns sagt, dass wir einen rot glühenden Eisenstab sehen: Festigkeit und Hitze des Eisens sind nicht Gegenstände des Gesichtssinns, sondern werden der Einbildungskraft (imagination) von der Farbe und Gestalt vorgeschlagen, die dieser Sinn tatsächlich perzipiert. Kurzum, die Dinge, die wirklich und im strengen Sinne von einem Sinn wahrgenommen werden, sind die, die wir auch dann wahrgenommen hätten, wenn wir den Sinn gerade erst erworben hätten. Was andere Dinge angeht, werden sie dem Geist klarer Weise von der Erfahrung vorgeschlagen, die auf vergangenen Perzeptionen beruht. Dialogues II, 211–12: Philonous: […] Ich bestreite, dass ich deinen Ansichten, die zum Skeptizismus führen, beigepflichtet habe. In der Tat sagtest du, dass die Wirklichkeit von sinnlich wahrnehmbaren Dingen (sensible things) in einer absoluten Existenz außerhalb des Geistes geistiger Wesen bestünde, unabhängig davon, ob sie perzipiert werden. Und dieser Wirklichkeitsbegriff nötigt dich dazu, sinnlich wahrnehmbaren Dingen jegliche wirkliche Existenz abzusprechen. Gemäß deiner eigenen Definition erklärst du dich also selbst zum Skeptiker. Ich hingegen habe weder gesagt noch gedacht, dass die Wirklichkeit von sinnlich wahrnehmbaren Dingen so definiert werden sollte. Für mich ist es aus den Gründen, denen du beipflichtest, offensichtlich, dass sinnlich wahrnehmbare Dinge nur in einem Geist (mind) oder geistigen Wesen (spirit) existieren können. Daraus folgere ich nicht, dass sie nicht wirklich existieren, sondern dass es einen anderen Geist (mind) geben muss, in dem sie existieren, da ich erkenne, dass ihre Existenz nicht von meinen Gedanken abhängt, und dass sie unabhängig davon existieren, ob ich sie perzipiere. So sicher wie die sinnlich wahrnehmbare Welt wirklich existiert, so sicher gibt es ein unendliches, allgegenwärtiges geistiges Wesen (spirit), das sie in sich enthält und trägt.K22
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Dialogues II, 214–15: Philonous: […] Dies ist meine Ansicht in aller Kürze: Es ist offensichtlich, dass die Dinge, die ich perzipiere, meine eigenen Ideen sind, und dass Ideen nur im Geist existieren können. Es ist nicht weniger offensichtlich, dass diese Ideen oder Dinge, die ich perzipiere – sie selbst oder Dinge, die ihnen als ihr Original entsprechen (their archetypes) – unabhängig von meinem Geist existieren, weil ich weiß, dass ich nicht ihr Urheber bin, da es ja nicht in meiner Macht steht nach Belieben zu entscheiden, mit welchen Ideen ich affiziert werde, wenn ich meine Augen oder Ohren öffne. Also müssen sie in einem anderen Geist existieren, der will, dass mir diese Ideen gezeigt (exhibit) werden. Dialogues III, 230–31: Philonous: Damit, dass wahrnehmbare Dinge nicht außerhalb des Geistes (mind) existieren können, meine ich nicht meinen eigenen Geist im Besonderen, sondern alle Geister. Offensichtlich haben sie eine Existenz außerhalb meines Geistes, da mir die Erfahrung zeigt, dass sie von ihm unabhängig sind. Deshalb gibt es einen anderen Geist, in dem sie in den Zeiträumen existieren, während derer ich sie nicht perzipiere; so, wie sie das vor meiner Geburt taten und es nach meiner Vernichtung tun werden.K23 Da dies nun gleichermaßen für alle endlichen, geschaffenen geistigen Wesen gilt, folgt notwendigerweise, dass es einen allgegenwärtigen, ewigen Geist gibt, der alle Dinge kennt und umfasst, und der sie uns auf eine bestimmte Art erfahren lässt, gemäß den Regeln, die er selbst erlassen hat und die wir Naturgesetze nennen. Dialogues III, 235–236: Philonous: Ich stimme zu, dass das Wort Idee, das im normalen Sprachgebrauch nicht für Ding steht, ein wenig seltsam klingt. Ich benutze es, weil es gemeinhin eine notwenige Beziehung zum Geist impliziert; und es wird jetzt von Philosophen üblicherweise verwendet, um die unmittelbaren Verstandesobjekte zu benennen. Wie seltsam die Worte, in die der Vorschlag gekleidet ist, aber auch klingen mögen: So enthält er doch nichts Seltsames oder Erschreckendes, sondern besagt eigentlich nicht mehr, als dass es nur perzipierende Dinge und perzipierte Dinge gibt;K24 oder dass jedes nicht denkende Wesen notwendiger Weise auf Grund der Natur seiner Existenz von einem Geist perzipiert wird – wenn nicht von einem endlichen, geschaffenen Geist, dann gewiss von Gottes unendlichem Geist, in dem wir leben, uns bewegen und unser Sein haben. Ist das so seltsam wie die Aussage, dass sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften
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nicht in den Gegenständen sind? Oder dass wir uns der Existenz der Dinge nicht sicher sein können, oder nichts über ihre wahre Natur wissen können, obwohl wir sie sehen und fühlen und mit allen unseren Sinnen wahrnehmen? Dialogues III, 238: Hylas: Was sagst du dazu? Da Menschen dir zufolge die Wirklichkeit von Dingen ihren Sinnen nach beurteilen, wie kann ein Mensch darin falsch liegen, dass der Mond eine glatte, glänzende Fläche von ungefähr einem Fuß im Durchmesser ist? Oder, dass ein quadratischer Turm aus der Entfernung betrachtet rund ist oder ein Ruder, dessen eines Ende sich im Wasser befindet, gekrümmt?K25 Philonous: Er liegt nicht hinsichtlich der Ideen falsch, die er in der Tat perzipiert, sondern mit den Schlüssen, die er aus seinen gegenwärtigen Perzeptionen zieht. Im Falle des Ruders ist das, was er durch den Gesichtssinn unmittelbar perzipiert, in der Tat gekrümmt; und soweit hat er auch recht. Wenn er daraus aber ableitet, dass er die gleiche Krümmung sehen würde, wenn er den Stab aus dem Wasser nähme, oder dass sich der Stab so anfühlte wie ein gekrümmtes Ding, so irrt er sich. Genauso irrt er, wenn er aus dem, was er von einem Standort aus wahrnimmt, schlussfolgert, dass er, wenn er sich näher an den Mond oder den Turm heranbewegt, immer noch mit den gleichen oder ähnliche Ideen affiziert wird. Aber sein Fehler liegt nicht in seiner unmittelbaren, gegenwärtigen Perzeption (denn es ist ein offensichtlicher Widerspruch, dass er sich in dieser Hinsicht irren könnte), sondern im falschen Urteil bezüglich der Ideen, von denen er denkt, dass sie mit denen verknüpft sind, die er im Moment unmittelbar perzipiert; oder bezüglich der Ideen, von denen er, ausgehend von seinen gegenwärtigen Perzeptionen, meint, er würde sie unter anderen Umständen perzipieren. Ebenso verhält es sich mit Bezug auf das Kopernikanische System. Wir nehmen keine Bewegung der Erde wahr; aber es wäre falsch, daraus abzuleiten, dass wir ihre Bewegung auch dann nicht wahrnähmen, wenn wir von ihr so weit entfernt wären, wie wir es jetzt von anderen Planeten sind. Dialogues III, 245–46: Hylas: Du sagst, dass du Deinen Sinnen glaubst, und du scheinst dich selbst dafür zu beglückwünschen, dass du darin mit den einfachen Menschen übereinstimmst. Dir zufolge entdeckt man die wahre Natur eines Dinges also mit den Sinnen. Aber woher kommt dann diese Meinungsverschiedenheit? Warum werden die gleiche Figur und andere sinnlich
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wahrnehmbare Qualitäten nicht immer auf die gleiche Weise perzipiert? Und warum sollten wir uns eines Mikroskops bedienen, um die wahre Natur eines Körpers zu entdecken, wenn wir diese auch mit dem bloßen Auge entdecken könnten? Philonous: Genau genommen sehen wir gar nicht den gleichen Gegenstand, den wir fühlen, Hylas. Und der Gegenstand, den wir durch das Mikroskop wahrnehmen, ist nicht der gleiche, den wir mit bloßem Auge sehen. Wenn aber jede Variation dafür ausreichte, eine neue Art oder ein neues Individuum auszumachen, würde die Sprache aufgrund der endlosen Anzahl und Verwirrung von Namen nutzlos. Um nun diese und andere Unannehmlichkeiten zu vermeiden, die, wenn man die Sache bedenkt, offensichtlich sind, kombinieren die Menschen Ideen, die entweder aus verschiedenen Sinnen stammen oder zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedenen Umständen im selben Sinn auftreten, die aber dennoch in der Natur als verbunden wahrgenommen werden, weil sie entweder zusammen oder aufeinander folgend auftreten. Und diese ordnen sie dann einem Namen zu und betrachten sie als ein Ding. Wenn ich also ein Ding, das ich gesehen habe, mit meinen anderen Sinnen untersuche, versuche ich nicht, den gleichen Gegenstand, den ich vermittels des Gesichtssinns perzipiert habe, besser zu verstehen; denn ein Gegenstand eines Sinnes kann mit den anderen Sinnen gar nicht perzipiert werden. Und wenn ich durch ein Mikroskop sehe, tue ich das nicht, um klarer das zu sehen, was ich mit bloßem Auge schon gesehen habe, weil der Gegenstand, den ich durch das Glas sehe, von letzterem sehr verschieden ist. In beiden Fällen möchte ich nur wissen, welche Ideen miteinander verbunden sind; und je mehr ein Mensch über die Verknüpfung von Ideen weiß, um so mehr, kann man sagen, weiß er über die Natur der Dinge. Was soll es daher, wenn unsere Ideen veränderlich sind, und was, wenn unsere Sinne nicht in allen Umständen mit denselben Erscheinungen affiziert werden? Es folgt daraus nicht, dass man ihnen nicht trauen sollte, oder dass sie sich untereinander oder auch sich selbst widersprechen, es sei denn aufgrund deines Vorurteils einer rätselhaften einzelnen, unveränderlichen, nicht perzipierbaren, wirklichen Natur, die von jedem einzelnen Namen bezeichnet wird; ein Vorurteil, das aus einem Missverständnis der Alltagssprache der Menschen (common language of men) herzurühren scheint, in der davon die Rede ist, dass mehrere Ideen im Geist zu einem Gegenstand verbunden werden. Es gibt in der Tat Grund zu der Annahme, dass mehrere fehlerhafte Ansichten der Philosophen der gleichen Quelle entsprungen sind: Sie errichteten ihre Theorien weniger auf Begriffen (notions) als auf Wörtern, die von den gewöhn-
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Dialogues III, 248: Philonous: Und so darfst du auch gemäß meinen Prinzipien sehr wohl ein äußeres Original (external archetype) annehmen (auch wenn du selbst solche äußeren Originale bereits aufgegeben hattest!); äußerlich nämlich deinem eigenen Geist; wenn es auch in dem Geiste verortet werden muss, der alle Dinge umfasst. So werden alle Forderungen der Identität erfüllt, genauso, als existierten sie außerhalb eines Geistes. Und sicherlich wirst du nicht sagen, dass es weniger verständlich ist. 9.2.4 Auszüge aus An Essay Towards a New Theory of Vision / Versuch über eine neue Theorie des Sehens (1709) (zitiert als: ETV)
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9. Es ist offensichtlich, dass der Geist jede Idee, die er nicht unmittelbar und an sich selbst perzipiert, durch eine andere Idee perzipieren muss. So sind beispielsweise die Leidenschaften im Geiste eines anderen für mich unsichtbar. Trotzdem kann ich sie sehen, wenn auch nicht unmittelbar, sondern vermittels der Farben, die sie in seinem Gesicht hervorrufen. Wir sehen häufig Angst oder Scham im Äußeren eines Menschen, indem wir wahrnehmen, wie sein Gesicht rot oder bleich wird. […] 45. […] Was mich angeht, bin ich hiervon überzeugt: Ich glaube, dass, wer auch immer seine eigenen Gedanken genau betrachtet und untersucht, was es bedeutet, dass er dieses oder jenes Ding auf eine Entfernung sieht, mir Recht geben wird, dass das, was er sieht, dem Verstand nur vorschlägt, dass er – nachdem er eine bestimmte Entfernung zurückgelegt hätte, die durch die Bewegung seines Körpers messbar wäre, der seinerseits durch Berührung wahrnehmbar ist – ganz bestimmte haptische (tangible) Ideen perzipieren würde, die gewöhnlich mit ganz bestimmten visuellen Ideen verknüpft sind. Von diesen Vorschlägen der Sinne kann man jedoch fehlgeleitet werden, und um uns davon überzeugen zu lassen, dass keine notwendige Verbindung zwischen visuellen und haptischen Ideen besteht, müssen wir nur bis zum nächsten Fernglas oder den nächsten Bildern gehen. Man beachte, dass ich, wenn ich von haptischen Ideen spreche, das Wort ‚Idee‘ für jedes unmittelbare Objekt der
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Wahrnehmung oder des Verstandes verwende, in welcher Bedeutung es auch moderne Philosophen (the moderns) gemeinhin verwenden. […] 64. […] Es ist bewiesen, dass wir weder die Größe von Objekten unmittelbar sehen, noch mittels etwas anderem, das notwendigerweise mit ihnen verknüpft ist. Jene Ideen, die uns die verschiedenen Größen von äußeren Gegenständen vorschlagen (suggest unto us), bevor wir sie berühren, könnten sie uns genauso gut nicht vorgeschlagen haben; oder sie könnten genau das Gegenteil bedeutet haben, so dass die gleichen Ideen, aufgrund deren Perzeption wir urteilen, dass ein Gegenstand klein ist, uns genauso gut zu dem Urteil hätten dienen können, dass der Gegenstand groß ist. Das liegt daran, dass diese Ideen ihrer eigenen Natur nach gleichermaßen dazu geeignet sind, unserem Geist die Idee des Großen und die des Kleinen oder von gar keiner Größe von äußeren Objekten einzugeben; genauso, wie die Wörter einer Sprache von Natur aus dieses oder jenes oder gar nichts bedeuten können. 65. So, wie wir Entfernung sehen, sehen wir auch Größe. Und beides geschieht so, wie wir Scham oder Wut im Gesicht eines Menschen sehen. Diese Gefühle selbst sind unsichtbar, aber das Auge lässt sie trotzdem herein, zusammen mit den Farben und Veränderungen im Gesicht, die die unmittelbaren Gegenstände des Gesichtssinns ausmachen: Letztere tragen einfach deshalb die Bedeutung der ersteren, weil man beobachtet hat, dass sie erstere begleiten. Ohne diese Erfahrung hielten wir das Rotwerden kaum mehr für ein Zeichen der Scham als des Glücks. […] 79. Aus dem, was gesagt wurde, folgt mit Sicherheit, dass ein Mensch, der blind geboren würde und das Sehen lernte, die Größe von Gegenständen, die seine Augen hereinließen, ganz anders als andere beurteilen würde, wenn er seine Augen zum ersten Mal öffnete. Er würde seine visuellen Ideen nicht in Verbindung mit seinen Berührungsideen (ideas of touch) betrachten: sein Blick auf sie wäre nur auf sie selbst bezogen. Er könnte sie nur insofern für groß oder klein halten, als sie mehr oder weniger sichtbare Punkte enthielten. Da es gewiss ist, dass jeder sichtbare Punkt nur einen anderen sichtbaren Punkt bedecken und aus dem Gesichtsfeld ausschließen kann, folgt, dass jedes Objekt, das die Sicht auf ein anderes verdeckt, gleich viele sichtbare Punkte umfasst; deshalb würde er denken, dass die Objekte gleich groß wären. Also ist es offensichtlich, dass er unter diesen Umständen seinen Daumen, mit dem er einen Turm verdecken kann, für genauso groß wie den Turm hielte, oder seine Hand, deren Rücken das Firmament verdeckt, für genauso groß wie das Firmament. So groß der Unterschied zwischen diesen Dingen aufgrund der gewohnheitsmäßigen und engen Verknüpfung, die in un-
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serem Geist zwischen diesen beiden Objekten aus zwei verschiedenen Sinnen gewachsen ist, in unserer Auffassung auch sein mag, sind sie doch so sehr verschmolzen und zusammengewachsen, dass man sie fälschlicher Weise für ein Ding hält. Von diesem Vorurteil können wir uns nicht leicht befreien. […] 103. Was ich sehe, ist nur ein Licht- und Farbenspiel. Was ich fühle, ist hart oder weich, heiß oder kalt, rau oder glatt. Was für eine Ähnlichkeit, was für eine Verknüpfung, besteht zwischen diesen und jenen Ideen? Und wie ist es möglich, dass jemand einen Grund dafür sehen sollte, Kombinationen von so verschiedenen Ideen ein und denselben Namen zu geben, bevor er erfahren hätte, dass sie in der Regel zusammen existieren? Wir entdecken keine notwendige Verknüpfung zwischen irgendeiner haptischen Qualität und irgendeiner Farbe. Und manchmal nehmen wir Farben wahr, wo gar nichts zu fühlen ist. All das zeigt, dass keiner, der gerade das Sehen erlernt hat, wüsste, dass irgendeine Übereinstimmung zwischen diesem oder jenen Gegenstand seines Gesichtssinnes und diesem oder jenen Gegenstand seiner Berührung bestünde, die er wahrnimmt. Die Farben des Kopfes würden ihm deshalb keineswegs mehr die Idee des Kopfes vorschlagen als die Idee des Fußes. […] 140. […] Sichtbare Gestalten sind Zeichen für fühlbare Gestalten, und aus Abschnitt 59 folgt, dass sie selbst, abseits von fühlbaren Gestalten, unbedeutend sind, denn sie stehen ihrer Natur nach für fühlbare Gestalten. Und da diese Sprache der Natur sich in verschiedenen Zeitaltern und Ländern nicht unterscheidet, werden zu allen Zeiten und an allen Orten sichtbare Figuren die gleichen Namen wie die der fühlbaren Figuren, die zu ihnen gehören und die sie vorschlagen, tragen. Das ist jedoch nicht der Fall, weil sie ihnen ähneln, oder weil sie von der gleichen Art sind. 141. […] Es folgt also, dass sichtbare Gestalten Muster von, oder von der gleichen Art (species) wie die jeweiligen fühlbare Gestalten sind, die sie repräsentieren; dass sie mit Bezug auf sie gleich sind, und dass sie ihrer eigenen Natur nach für sie stehen, da sie von der gleichen Sorte sind: Sie sind keineswegs arbiträre Zeichen, wie etwa Wörter. […] 143. […] Um das zu illustrieren, bemerke ich, dass sichtbare Gestalten in etwa so für fühlbare Gestalten ungefähr so stehen, wie geschriebene Wörter für gesprochene. In dieser Hinsicht sind Wörter nicht arbiträr, da es nicht gleichgültig ist, welches geschriebene Wort für einen Laut steht; denn es ist notwendig, dass jedes geschriebene Wort so viele verschiedene Buchstaben enthält, wie es Variationen in seinem Klang gibt. […]
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144. […] Diese Zeichen sind konstant und universell, und ihre Verbindung mit fühlbaren Ideen lernten wir gleich, nachdem wir auf die Welt kamen. Seitdem hat sie fast immer eine Rolle in unseren Gedanken gespielt und ist immer tiefer in unseren Geist eingegangen. […] 152. […] Wie visuelle Ideen für haptische Ideen stehen, unterscheidet sich in der Tat davon, wie Wörter für Ideen stehen. Während letztere Beziehung unbeständig und unbestimmt ist und von der willkürlichen Bestimmung der Menschen abhängt, ist die erste Beziehung fest und unveränderlich zu allen Zeiten und an allen Orten.K26
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10. David Hume Markus Wild
10.1 Einleitung 10.1.1 Kurzbiographie David Hume wurde am 26. April 1711 in Edinburgh geboren und wuchs auf dem Gut Ninewells in Schottland auf. Nachdem er das Studium der Rechte und eine Kaufmannsausbildung abgebrochen hatte, reiste er von 1734–1737 nach Frankreich und zog sich in das französische Jesuitenkolleg La Flèche zurück, wo Descartes studiert hatte, das Leben billig und die Bibliothek gefüllt war. Dort verfasste er, noch keine dreißig Jahre alt, sein Hauptwerk A Treatise of Human Nature (Treatise). Der anonym 1739/40 erschienene Treatise fand zunächst fast keine Beachtung und negativen Widerhall. Aus diesem Grund verfasste Hume selbst eine anonyme Besprechung seines Werks, das sogenannte Abstract (1740).1 Später arbeitete Hume weite Teile des Treatise massiv um. Daraus entstanden der Enquiry Concerning Human Understanding (1748) und der Enquiry Concerning the Principles of Morals (1751). Erst mit den Essays über moralische, politische, ökonomische und ästhetische Fragen (1741 ff.) sowie der monumentalen sechsbändigen History of England (1754–1762) erlangte Hume Mitte des 18. Jahrhunderts europäischen Ruhm. Freilich waren sowohl seine Schriften als auch seine Person aufgrund ihrer skeptischen und insbesondere religionskritischen Neigungen gleichzeitig heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Hume bekleidete im Laufe seines Lebens verschiedene Stellungen als Sekretär, Bibliothekar und Diplomat. Die 1
Der vollständige Titel lautet: An Abstract of a late Philosophical Performance, entiteled A Treatise of Human Nature, &c. Wherein the chief Argument and Design of that Book, which has met with such Opposition, and been represented in so terrifying a Light, is further illustrated and explained. Der Abstract wurde 1740 ins Französische übersetzt, blieb danach verschollen und wurde erst 1938 in einer Edition von J. M. Keynes und P. Sraffa wieder zugänglich gemacht.
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Beschäftigung als Diplomat führte ihn nach Österreich, nach Paris, wo er mit den Enzyklopädisten und Rousseau verkehrte, und nach London. Ab 1768 war Edinburgh Humes fester Wohnsitz. Hier verkehrte ‚le bon David‘ mit Adam Smith, Adam Ferguson, Hugh Blair und anderen Exponenten der schottischen Aufklärung. Kurz vor seinem Tod verfasste Hume die Autobiographie My Own Life (1776). Am 25. August 1776 starb der Philosoph im Alter von 65 Jahren in Edinburgh. Zum Entsetzen vieler seiner Zeitgenossen ist Hume ohne geistlichen Beistand und, wie man munkelte, ohne Furcht gestorben. Posthum erschienen seine Dialogues Concerning Natural Religion (1779), sowie die beiden Essays über den Selbstmord und über die Unsterblichkeit der Seele.2 10.1.2 Der systematische Hintergrund: Eindrücke und Ideen Der Treatise beginnt mit den Worten: „Alle Perzeptionen des menschlichen Geistes lassen sich in zwei unterschiedliche Arten zerlegen, die ich EINDRÜCKE und IDEEN nennen werde“ (T 1.1.1.1). Was Humes ideentheoretischen Ansatz auszeichnet, ist erstens die Überzeugung, dass eine philosophische Untersuchung beim menschlichen Geist ansetzen muss, und zweitens die Überzeugung, dass eine philosophische Untersuchung und Erklärung des Denkens – aber auch der Gefühle, der Moral, der Politik und der Ästhetik – durch eine Analyse der Beziehungen zwischen Eindrücken und Ideen durchgeführt werden kann. Die erste Überzeugung scheint Hume mit seinen ideentheoretischen Vorgängern zu teilen, doch er transformiert die erste durch die zweite Überzeugung. Perzeptionen (perceptions) sind in einem sehr umfassenden Sinne Akte und Objekte des Denkens, Wünschens, Fühlens, Wahrnehmens, Erinnerns, Einbildens oder Empfindens. Perzeptionen sind auch die Bausteine des Selbst und der Welt. Die Überzeugung, dass eine philosophische Untersuchung beim menschlichen Geist ansetzen muss, besagt also, dass man bei Perzeptionen beginnen muss. Hume unterteilt die Perzeptionen in Eindrücke (impressions) und Ideen (ideas). Ein erster wichtiger Unterschied zwischen ihnen zeigt sich in einem grundlegenden Prinzip von Humes Philosophie: Alle Ideen stammen von Eindrücken ab.3 Das Prinzip wird als „Kopieprinzip“ bezeichnet, weil Hume davon spricht, 2 3
Zu Humes Leben vgl. Mossner 1980; Streminger 1986, 1994. Genau genommen: Alle einfachen Ideen stammen von einfachen Eindrücken ab.
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dass Ideen Kopien (copies) von Eindrücken sind. Während Ideen also Repräsentationen von Eindrücken sind, repräsentieren Eindrücke als solche nicht. Ein zweiter wichtiger Unterschied besteht darin, dass Eindrücke stärker und lebendiger sind als Ideen. Wer eine Frühlingswiese sieht, einen stechenden Schmerz fühlt, in einen sauren Apfel beißt oder einen heftigen Wutanfall erleidet, hat einen Eindruck. Wer sich an solche Seh-, Schmerz-, Sinnes- oder Gefühlsempfindungen erinnert, sie sich vorstellt, einbildet, von ihnen erzählt oder sie antizipiert, hat eine Idee. Stärke und Lebendigkeit sind einerseits gefühlte Eigenschaften von Perzeptionen, andererseits aber auch funktionale Eigenschaften, denn sie beeinflussen das Verhalten unmittelbar. Perzeptionen werden aufgrund von Erfahrung, Beobachtung und Gewohnheit durch Assoziationen verbunden. Hume unterscheidet drei Prinzipien der Assoziation: Ähnlichkeit, räumliche und zeitliche Nähe (d. h. Kontiguität) und Kausalität. Ein mit einer Idee assoziierter Eindruck überträgt einen Teil seiner Stärke und Lebendigkeit auf diese Idee. Durch diese Übertragung nähern sich Ideen Eindrücken an, d. h. auch Ideen werden stärker, handlungsrelevant und stabilisieren sich. Nun verfügen wir nicht mehr nur über schwache Kopien von Eindrücken, sondern über feste Überzeugungen (beliefs). Hume ist der Ansicht, dass die Tätigkeiten des menschlichen Geistes auf Assoziationen und der Übertragung der Stärke und Lebendigkeit beruht. Aus Perzeptionen und Assoziationen baut sich auch unsere Welt auf, denn „da diese Assoziationen die alleinigen Bande unserer Gedanken sind, so sind sie für uns der Kitt des Universums“ (A 35). Der Assoziationismus liegt Humes zweiter Überzeugung zugrunde, dass eine philosophische Untersuchung und Erklärung des Denkens durch eine Analyse der Beziehungen zwischen Eindrücken und Ideen durchgeführt werden kann. Das kognitive Vermögen der Assoziation ist die Einbildungskraft (imagination). Sie ist das grundlegende kognitive Vermögen, denn „das Gedächtnis, die Sinne und der Verstand beruhen alle auf der Einbildungskraft oder der Lebendigkeit unserer Ideen“ (T 1.4.7.3, 265). Der überwiegende Anteil von Humes philosophischen Vorgängern nimmt ein eigenständiges rationales Vermögen an, das als „Geist“ (mens) oder „Intellekt“ (intellectus) bezeichnet und scharf von Sinnen, Gedächtnis und Einbildung abgesetzt wird. Gerade dieses Vermögen bildet das Fundament der neuzeitlichen Erkenntnistheorie und Metaphysik. Für Hume hingegen ist ein solches Vermögen überflüssig. Überzeugungen über die Welt und uns selbst zu bilden, Urteile zu fällen, etwas für real und etwas anderes für fiktiv zu halten, etwas als wahr und anderes als falsch zu
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betrachten, sind Hume zufolge Tätigkeiten der Einbildungskraft, d. h. „eigentlich eher eine Tätigkeit des empfindenden (sensitive) als des denkenden (cogitative) Teils unserer Natur“ (T 1.4.1.8, 183). Aus diesem Grund transformiert Hume die Überzeugung, dass eine philosophische Untersuchung beim menschlichen Geist ansetzen muss. 10.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten a) Was sind Ideen? Hume unterscheidet und analysiert unterschiedliche Arten von Akten oder Entitäten, die er als „Perzeptionen“ bezeichnet (T 1.1.2.1). Dem Geist sind nur Perzeptionen gegenwärtig (T 1.1.1.1). Die wichtigste Unterscheidung innerhalb der Perzeptionen ist diejenige zwischen Ideen und Eindrücken (T 1.1.1.1). Ideen und Eindrücke spielen auch in Humes Theorie der Gefühle (vgl. T 2) und Moral (vgl. T 3) eine fundamentale Rolle, die hier aber nicht in Betracht gezogen wird. Eindrücke nun sind stärker und lebendiger als Ideen (T 1.1.1.1). Sowohl Ideen als auch Eindrücke können einfach oder zusammengesetzt sein (T 1.1.1.2). Im Normalfall hat es der Geist mit zusammengesetzten Perzeptionen zu tun (T 1.1.4.1). Doch diese bestehen ontologisch aus einfachen Perzeptionen. Eindrücke bezeichnen nicht den physiologischen Sinnes- oder sonstigen Körperreiz (T 1.1.1.1 FN). Vielmehr sind Eindrücke jene Perzeptionen des Geistes, die ursprünglich und ohne Vorgänger auftreten (T 1.1.2.1; T 1.3.5.2). Eindrücke lassen sich in zwei Klassen unterteilen: In primäre Eindrücke oder Eindrücke der Empfindung und in sekundäre Eindrücke oder Eindrücke der Reflexion (T 1.1.2.1). Die Verknüpfungen zwischen Ideen erfolgt gemäß den Regeln der Assoziation (T 1.1.4.1) oder logischen Relationen. Die Kontroverse um angeborene Ideen hält Hume für unklar (T. 1.1.1.12). Abstrakte Ideen schließlich sind für Hume keine eigene Art von Ideen (T. 1.1.7.1–2): Es gibt nur partikulare Ideen (T. 1.1.7.6), die verwendet werden können, als wären sie allgemein (T. 1.1.7.7). b) Welche Arten von Ideen gibt es? Ideen sind Objekte der Perzeption oder Perzeptionen (T. 1.1.1.1; 1.2.6.7). Ideen sind schwache Kopien von Eindrücken (T 1.1.1.4). Sie repräsentieren Eindrücke (T 1.1.1.7; 1.1.7.10). Eindrücke repräsentieren nicht (T 2.3.3.5). Ideen sind vollständig determinierte Einzeldinge (T. 1.1.7.6). Als solche haben Ideen entweder eine innere Struktur (als
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zusammengesetzte) oder nicht (als einfache). Im zweiten Fall sind Ideen Atome, d. h. sie sind von anderen Ideen trennbar (T 1.1.4.1; T 1.1.7.3), in sich selbst aber nicht weiter unterteilbar (T 1.1.1.2). Ideen unterscheiden sich nach den Vermögen, in denen sie auftreten: es gibt Ideen des Gedächtnisses (memory) und Ideen der Einbildungskraft (imagination) (T 1.1.3.1). Erstere sind geordnet (T 1.1.3.2–3) und stärker als letztere (T 1.3.5.5). c) Wie entstehen Ideen? Metaphysisch gesprochen ist die Herkunft der Eindrücke nicht zu entscheiden: Sie mögen von externen Objekten, vom Geist selbst oder von Gott hervorgebracht werden (T 1.3.5.2). Ideen sind schwache Kopien von Eindrücken: Humes Kopieprinzip zufolge gehen Eindrücke Ideen stets vorher (T 1.1.1.3). Genauer gesagt: Einfache Eindrücke gehen einfachen Ideen stets vorher (T 1.1.1.7). Aus der zeitlichen Priorität der Eindrücke vor den Ideen (T 1.1.1.8) und der Unmöglichkeit, Ideen ohne Eindrücke zu bilden (T 1.1.1.9) schließt Hume, dass (einfache) Eindrücke (einfache) Ideen verursachen (T 1.1.1.8). Ideen repräsentieren Eindrücke. Aber die Eigenschaft zu repräsentieren ist keine intrinsische Eigenschaft von Ideen, sondern eine extrinsische (T 1.1.7.6). Ideen können auch aufgrund von Ideen gebildet werden (T 1.1.1.11; 1.3.8.15–16). So entstehen relative Ideen (T 1.2.6.9). Zusammengesetzte Ideen (und Eindrücke) entstehen aufgrund von Assoziationsprinzipien. Einige Ideen werden aufgrund regelmäßiger Verknüpfung mit vorhergehenden Eindrücken oder Ideen zu Wirkungen (T 1.3.6.15). Eine solche Idee ist eine Überzeugung (belief) (T 1.3.7). Aufgrund des Übergangsprinzips (T 1.3.8.2) wird ein Teil der Stärke und Lebendigkeit auf die Idee übertragen. Eine Überzeugung ist nichts anderes als eine lebhaft erfasste Idee (T 1.3.7.5). Angeborene Ideen gibt es nicht. d) Was erklären Ideen? Ideen konstituieren den Geist und dessen Universum (T 1.1.1.1, T 1.2.6.8). Es gibt nicht zuerst einen Geist, der dann auch noch Ideen hätte, sondern die Verknüpfung von Ideen konstituiert den Geist (T 1.1.3; vgl. T 1.4.6). Ideen erklären demonstratives Wissen, insofern wir uns auf Relationen zwischen Ideen konzentrieren, und sie erklären wahrscheinliches oder Tatsachen-Wissen, insofern wir uns auf faktische Relationen zwischen Ideen (und Eindrücken) konzentrieren. Ohne Ideen wäre das wichtigste Instrument unserer Erkenntnis, das kausale Schließen, unmöglich. Ideen können zu Überzeugungen werden (T 1.3.7). Als
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solche stabilisieren Ideen den Fluss unserer Perzeptionen und motivieren uns zu Handlungen (T 1.3.7.7 APP). Ideen (und Eindrücke) spielen auch in Humes Theorie der Gefühle (vgl. T 2) und Moral (vgl. T 3) eine fundamentale Rolle, die hier aber nicht in Betracht gezogen wird. 10.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die Textgrundlage für die Textpassagen aus dem Treatise und dem Abstract stellt der entsprechende Band der Clarendon Edition of the Works of David Hume dar, der auch als Taschenbuch greifbar ist.4 Sowohl vom Treatise als auch vom Abstract existieren deutsche Übersetzungen. Die gebräuchliche deutsche Übersetzung des Treatise von Theodor Lipps ist teilweise ungenau, in der Terminologie irreführend und gehört sprachlich der Welt des 19. Jahrhunderts an.5 Aus diesem Grunde wurden alle ausgewählten Textpassagen neu übersetzt. Der Treatise wird nach der Clarendon-Ausgabe unter Angabe von T, Buch, Teil, Abschnitt und Absatz zitiert. So wird beispielsweise der vierte Absatz des ersten Abschnitts des ersten Teils des ersten Buchs wie folgt abgekürzt: T 1.1.1.4. Hume hat dem Treatise bisweilen Fußnoten beigefügt und einen Appendix mit Abschnitten verfasst, die teilweise in den Haupttext eingefügt werden sollten. Diese werden zusätzlich mit den Kürzeln FN bzw. APP versehen. Der Abstract wird unter Angabe des Absatzes nach der Nummerierung der Clarendon-Ausgabe des Treatise zitiert. So wird beispielsweise der dritte Absatz wie folgt zitiert: A 3. Den übersetzten Passagen sind diesen Zitierweisen entsprechende Angaben vorangestellt. Den Stellenangaben in der Textauswahl werden die Seitenzahlen der älteren englischen Ausgabe von Selby-Bigge und Nidditch hinzugefügt.6 Dies erlaubt es nicht nur, die entsprechenden Stellen sowohl in den älteren englischen Ausgaben als auch in den Übersetzungen leicht zu finden, sondern auch, sich in der Forschungsliteratur zu orientieren. 4
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Vgl. Hume 1998 ff.; Taschenbuchausgabe: Hume 2000 (enthält den Abstract). Diese Ausgabe beginnt gerade die noch weit verbreitende Taschenbuchausgabe Hume 1978a (Erstausgabe 1888) abzulösen. Vgl. Hume 1978b. Eine ältere Übersetzung des Treatise ist Hume 1790–92. Für den Abstract vgl. Hume 1980. Für Übersetzungen des Enquiry Concerning Human Understanding vgl. Hume 1893, 1984 (Erstausgabe 1907), 1910, 1976. Auf Deutsch liegen außerdem drei Kommentare bzw. Aufsatzsammlungen zum Enquiry vor, vgl. Streminger 1995; Kulenkampff 1997; Wiesing 2007. Hume 1978a.
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Im Vorwort und in der Einleitung zum Treatise formuliert Hume sein Projekt einer Wissenschaft vom Menschen (vgl. Bd. II: Einleitung). Der Treatise besteht aus drei Büchern. Die ersten beiden Bücher erschienen 1739, das dritte Buch 1740, beide Male anonym und ohne Widmung. Die drei Bücher sind in jeweils drei bis vier Teile gegliedert, die wiederum einzelne Abschnitte enthalten. Nur das erste Buch besteht aus vier Teilen. Dessen erster Teil enthält die zentralen Elemente der Theorie der Perzeptionen und Assoziationen. Die Textauswahl stammt fast ausschließlich aus diesem Teil. Die ausgewählten und übersetzten Textpassagen werden anhand der folgenden Zwischentitel strukturiert: A. Ideen und Eindrücke (T 1.1.1.1–3) B. Das Kopieprinzip (T 1.1.1.4 –11) C. Angeborene Ideen (T 1.1.1.12) D. Humes phänomenologische Einstellung (T 1.2.5.26 APP; 1.3.5.2; 2.3.3.5) E. Eine weitere Unterteilung der Eindrücke: Empfindung und Reflexion (T 1.1.2.1; T 1.3.10 FN) F. Eine weitere Unterteilung der Ideen: Gedächtnis und Einbildung (T 1.1.3.1– 4; T 1.3.5.5 APP; T 1.3.9 FN) G. Die Ideenassoziation (T 1.1.4.1–7) H. Kommentare zur Ideenassoziation (T 2.1.4.3; T 1.3.6.14; T 1.1.6.1–2; A 35) I. Abstrakte Ideen und das Prinzip der Trennbarkeit (T 1.1.7.1–7) J. Die Vernunftunterscheidung (T 1.1.7.17–18) K. Kommentar zu den abstrakten Ideen (T 1.3.1.7) L. Die Idee der Existenz (T 1.2.6.2–5 und 7–9) M. Die Theorie der Überzeugung (T 1.3.6.15; T 1.3.7.1–7; T 1.3.8.2) Bei der Auswahl der Textabschnitte A, B, G, I, L, M, die die sechs Kernthemen behandeln, wurden weitgehend zusammenhängende Texte und vollständige Abschnitte übersetzt. Zwischen diesen Abschnitten sind einzelne Passagen aus dem Treatise oder Abstract eingefügt. Sie ergänzen (C, E, F, J) und kommentieren (D, H, K) die Passagen zu den Kernthemen. Die weitreichenden, komplexen und interpretatorisch schwierigen skeptischen Überlegungen Humes wurden ausgeklammert. Hinter der Auswahl steht die Überzeugung, dass die traditionelle Lesart von Hume als einem Skeptiker einseitig ist und dessen Projekt einer Wissenschaft vom Menschen außer Acht lässt (vgl. Bd. II: Einleitung). Ebenso fehlen
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Textpassagen zur Theorie der Gefühle aus dem zweiten Buch des Treatise, da Hume diese Theorie als eine Analyse der Eindrücke betrachtet, nicht der Ideen (vgl. T 1.1.2).
10.2 Zentrale Passagen zu Humes Ideentheorie
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Auszüge aus A Treatise of Human Nature / Abhandlung über die menschliche Natur (1739/40) (zitiert als: Treatise) und aus An Abstract of a late Philosophical Performance / Eine Kurzfassung einer neuen philosophischen Publikation (1740) (zitiert als: Abstract) [Ideen und Eindrücke] Abschnitt 1. Über den Ursprung unserer Ideen (T 1.1.1) T 1.1.1.1, 1 f. Alle Perzeptionen des menschlichen GeistesK1 lassen sich in zwei unterschiedliche Arten zerlegen, die ich EINDRÜCKE und IDEEN K2 nennen werde. Der Unterschied zwischen ihnen besteht in ihrem Grad an Kraft und LebhaftigkeitK3, mit dem sie auf den Geist treffen und in unser Denken oder Bewusstsein gelangen. Jene Perzeptionen, die mit der größten Kraft und Heftigkeit auftreten, können wir als Eindrücke bezeichnen. Unter dieser Bezeichnung fasse ich alle unsere Empfindungen, Leidenschaften und EmotionenK4 zusammen, wenn sie das erste Mal in der Seele erscheinen. Mit Ideen meine ich die blassen BilderK5 dieser Eindrücke im Denken und Überlegen. Damit sind beispielsweise alle Perzeptionen gemeint, die durch diese Abhandlung hervorgerufen werden – ausgenommen diejenigen, die durch Sehen und Berührung entstehen, und die unmittelbare Lust oder Unlust, die sie bereitet. Ich glaube, dass es nicht notwendig ist, diese Unterscheidung mit vielen Worten zu erklären. Jeder wird sich leicht den Unterschied zwischen Fühlen und DenkenK6 vorstellen können. Ihre gewöhnlichen Abstufungen sind nun zwar leicht unterscheidbar, doch ist es nicht ausgeschlossen, dass sie einander in einzelnen Fällen sehr nahe kommen. So können sich unsere Ideen im Schlaf, im Fieber, im Wahn oder in jeder anderen heftigen Seelenregung unseren Eindrücken annähern. Andererseits kommt es gelegentlich vor, dass unsere Eindrücke so blass und schwach sind, dass wir sie nicht mehr von unseren Ideen unterscheiden können. Doch ungeachtet dieser großen Ähnlichkeit in wenigen Fällen, sind sie im Allgemeinen so verschieden, dass niemand zögern sollte, sie unter verschiedenen Rubriken zu führen und jeder einen eigenen Namen zu geben, der ihren Unterschied festhält.
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T 1.1.1.1 FN, 2 Ich verwende die Ausdrücke Eindruck und Idee etwas abweichend vom gewöhnlichen Gebrauch, und ich hoffe, dass mir diese Freizügigkeit nachgesehen wird. Möglicherweise führe ich das Wort Idee sogar wieder seiner ursprünglichen Bedeutung zu, die Herr Locke verdrehte,K7 als er es zur Bezeichnung aller unserer Perzeptionen gebrauchte. Mit der Bezeichnung Eindruck meine ich gerade nicht die Art und Weise, wie unsere lebhaften Perzeptionen in der Seele erzeugt werden, sondern vielmehr die Perzeptionen selbst; doch dafür gibt es weder im Englischen noch in sonst einer mir bekannten Sprache einen bestimmten Namen. T 1.1.1.2, 2 Es gibt eine weitere Unterteilung unserer Perzeptionen, die es zu beachten gilt. Sie bezieht sich sowohl auf unsere Eindrücke als auch auf unsere Ideen. Es handelt sich um die Unterscheidung zwischen EINFACH und ZUSAMMENGESETZT.K8 Einfache Perzeptionen (Eindrücke und Ideen) erlauben keine weitere Unterscheidung noch Trennung. Im Gegensatz dazu können zusammengesetzte Perzeptionen in Teile zerlegt werden. Obwohl etwa eine bestimmte Farbe, ein bestimmter Geschmack und ein bestimmter Geruch jeweils die Qualitäten dieses Apfels ausmachen, kann man doch leicht erkennen, dass sie nicht dasselbe, sondern zumindest voneinander unterscheidbar sind. T 1.1.1.3, 2 f. Nachdem wir durch diese Unterteilungen ein wenig Ordnung und System in unsere Gegenstände gebracht haben, können wir uns nun mit umso größerer Sorgfalt ihren Eigenschaften und den Relationen zwischen ihnen zuwenden. Der erste Umstand, der mir dabei ins Auge springt, besteht in der großen Ähnlichkeit zwischen Eindrücken und Ideen in allem, außer in ihrem Grad an Kraft und Lebhaftigkeit. Die einen erscheinen in gewisser Weise als Spiegelungen der anderen, sodass alle Perzeptionen des Geistes doppelt vorkommen, und sowohl als Eindrücke wie auch als Ideen auftreten. Wenn ich meine Augen schließe und an mein Zimmer denke, sind die Ideen, die ich dabei bilde, genaue Repräsentationen der von mir gefühlten Eindrücke; was in den ersteren vorkommt, findet sich auch in den letzteren. Wenn ich meine Perzeptionen durchgehe, finde ich stets dieselbe Art von Ähnlichkeit und Repräsentation. Es scheint, dass Ideen und Eindrücke einander stets entsprechen. Dieser Umstand erscheint mir bemerkenswert und beansprucht meine Aufmerksamkeit noch etwas weiter.
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[Das Kopieprinzip] T 1.1.1.4, 3 Bei genauerer Betrachtung finde ich, dass ich mich zu sehr durch den ersten Anschein habe verleiten lassen, und dass ich die Unterscheidung der Perzeptionen in einfache und zusammengesetzte verwenden und die allgemeine Aussage einzuschränken muss, dass sich alle unsere Ideen und Eindrücke ähnlich sind. So stelle ich fest, dass viele unserer zusammengesetzten Ideen niemals einen Eindruck gehabt haben, der ihnen entsprochen hätte, und dass viele unserer zusammengesetzten Eindrücke niemals genau durch Ideen abgebildet (copied) werden. Ich kann mir eine Stadt wie das Neue Jerusalem vorstellen, mit Straßen aus Gold und Mauern von Rubin, obschon ich niemals dergleichen gesehen habe. Paris K9 habe ich gesehen, doch kann ich deswegen behaupten, dass ich eine Idee von dieser Stadt bilden kann, die alle Häuser und Straßen mit ihren realen und richtigen Proportionen genau repräsentiert? T 1.1.1.5, 3 f. Ich muss daher zur Kenntnis nehmen, dass es zwar im Allgemeinen eine große Ähnlichkeit zwischen unseren zusammengesetzten Eindrücken und Ideen gibt, dass aber die Regel, der zufolge sie exakte Kopien (copies) voneinander sind, trotzdem nicht allgemein gültig sein kann. Als nächstes sollten wir uns der Frage zuwenden, wie es sich mit unseren einfachen Perzeptionen verhält. Nachdem ich die Sache, so genau es mir irgend möglich ist, untersucht habe, wage ich die Behauptung, dass die Regel hier ohne Ausnahme gilt: Jeder einfachen Idee liegt ein einfacher Eindruck zugrunde, dem sie ähnlich ist, und zu jedem einfachen Eindruck existiert eine ihm entsprechende Idee. Die Idee von Rot, die wir im Dunkeln bilden, und der Eindruck, der im Tageslicht auf unsere Augen trifft,K10 unterscheiden sich nur graduell, nicht aber ihrer Natur nach. Es lässt sich unmöglich durch eine Aufzählung aller Einzelfälle beweisen, dass es sich mit allen unseren einfachen Eindrücken und Ideen so verhält, doch jeder kann sich hiervon selbst überzeugen, indem er beliebig viele Fälle durchspielt. Sollte jemand aber diese allgemein gültige Ähnlichkeit bestreiten, so kann ich ihn wohl nur durch die Aufforderung überzeugen, mir einen einfachen Eindruck ohne eine ihm entsprechende Idee zu zeigen, oder eine einfache Idee ohne einen ihr entsprechenden Eindruck. Falls er dieser Aufforderung nicht nachkommen kann, was er mit Sicherheit nicht kann, können wir aufgrund seines Schweigens und unserer eigenen Beobachtung unseren Schluss als erwiesen betrachten. T 1.1.1.6, 4 Wir finden also, dass einfache Ideen und Eindrücke einander stets gleichen, und da die zusammengesetzten aus ihnen gebildet werden, können wir allgemein behaupten, dass beide Arten von Perzep-
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tionen einander genau entsprechen. Nachdem ich diese Relation, die keiner weiteren Untersuchung mehr bedarf, entdeckt habe, brenne ich darauf, weitere Eigenschaften der Eindrücke und Ideen zu finden. Wir wollen nun betrachten, wie es hinsichtlich ihrer ExistenzK11 steht, d. h. welche der beiden Arten von Perzeptionen Ursachen und welche Wirkungen sind. T 1.1.1.7, 4 Die vollständige Untersuchung dieser Frage ist Gegenstand des vorliegenden Traktats. Aus diesem Grund müssen wir uns an dieser Stelle mit der Aufstellung eines allgemeinen GrundsatzesK12 zufrieden geben: Alle unsere einfachen Ideen stammen bei ihrem ersten Auftreten von einfachen Eindrücken ab, mit denen sie übereinstimmen und die sie genau repräsentieren. T 1.1.1.8, 4 f. Ich vermag nur zwei Klassen von Phänomenen zu finden, die diesen Grundsatz beweisen, doch in jeder Klasse sind die Phänomene eindeutig, zahlreich und zwingend. Zuerst versichere ich mich durch eine erneute Überprüfung dessen, was ich bereits behauptet habe, dass nämlich jeder einfache Eindruck von einer mit ihm übereinstimmenden Idee und jede einfache Idee von einem ihr entsprechenden Eindruck begleitet wird. Von dieser regelmäßigen Verknüpfung (constant conjunction) ähnlicher Perzeptionen folgere ich sogleich, dass eine enge Beziehung zwischen unseren Eindrücken und der ihnen entsprechenden Ideen besteht, und dass die Existenz der Eindrücke beträchtlichen Einfluss auf die Existenz der Ideen hat. Eine derart regelmäßige Verknüpfung (constant conjunction) in einer unbegrenzten Zahl von Fällen, kann niemals durch bloßen Zufall entstehen, vielmehr beweist sie eine Abhängigkeit der Eindrücke von Ideen oder der Ideen von Eindrücken. Um nun herauszufinden, was wovon abhängt, betrachte ich die Reihenfolge des ersten Auftretens, wobei mir die Erfahrung regelmäßig zeigt, dass die einfachen Eindrücke den ihnen entsprechenden Ideen immer vorausgehen; niemals treten sie in umgekehrter Reihenfolge auf. Wenn ich einem Kind die Idee von Scharlach oder von Orange, von Süße oder von Bitterkeit vermitteln möchte, dann biete ich ihm die entsprechenden Objekte dar; anders gesagt, ich vermittle ihm diese Eindrücke und bemühe mich nicht unsinnigerweise darum, die Eindrücke durch die Erregung von Ideen hervorzubringen. Weder bringen unsere Ideen, wenn sie in Erscheinung treten, entsprechende Eindrücke hervor, noch haben wir Farbwahrnehmungen oder überhaupt irgendeine Empfindung, indem wir sie uns bloß denken. Doch demgegenüber zeigt sich, dass jedem geistigen oder körperlichen Eindruck regelmäßig (constant) eine Idee folgt, die ihm ähnlich ist und sich nur im Grad ihrer Kraft und Lebhaf-
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tigkeit unterscheidet. Die regelmäßige Verknüpfung (constant conjunction) ähnlicher Perzeptionen ist ein überzeugender Beweis dafür, dass die einen die Ursachen der anderen sind. Der Vorrang der Eindrücke ist ein ebensolcher Beweis dafür, dass unsere Eindrücke unsere Ideen verursachen, und nicht umgekehrt. T 1.1.1.9, 5 Um dies zu untermauern, möchte ich ein weiteres klares und schlagendes Phänomen betrachten. Wann immer infolge eines unglücklichen Umstands jene Vermögen, die bestimmte Eindrücke hervorbringen, in der Ausübung ihrer Tätigkeiten gehindert werden, wie etwa bei Blind- oder Taubgeborenen, dann fehlen nicht nur die Eindrücke, sondern auch die entsprechenden Ideen, so dass im Geist auch nicht die geringste Spur von ihnen auftritt. Dies trifft nicht allein für den Fall gänzlich zerstörter Sinnesorgane zu, sondern ebenso, wenn diese gar nie zur Hervorbringung eines bestimmten Eindrucks eingesetzt worden sind: Es ist uns nicht möglich, eine angemessene Idee vom Geschmack einer Ananas zu bilden, ohne tatsächlich eine gekostet zu haben. T 1.1.1.10, 5 f. Es gibt jedoch ein Phänomen, das dem Gesagten widerspricht,K13 und das zeigen könnte, dass Ideen bisweilen den ihnen entsprechenden Eindrücken vorhergehen. Man wird, wie ich glaube, ohne Weiteres zugestehen, dass sich die etlichen einzelnen Ideen von Farben, die durch die Augen eintreten, oder von Tönen, die durch das Gehör vermittelt werden, wirklich unterscheiden, obwohl sie sich zugleich ähneln mögen. Wenn dies nun auf verschiedene Farben zutrifft, so trifft es nicht weniger auf verschiedene Schattierungen derselben Farbe zu, dass jede von ihnen eine eigene und von den anderen unabhängige Idee hervorbringt.K14 Würde man dies nämlich bestreiten, so wäre es möglich, eine Farbe durch eine kontinuierliche AbstufungK15 von Schattierungen unmerklich in eine andere übergehen zu lassen, die sehr weit von ihr entfernt ist. Wenn man es also nicht zulässt, dass die Mittelwerte verschieden sind, kann man nicht sinnvoll verneinen, dass auch die Extremwerte dieselben sind. Man stelle sich nun eine Person vor, die sich dreißig Jahre eines guten Sehvermögens erfreut hat und mit allen möglichen Farben auf das Beste vertraut ist, mit der Ausnahme einer bestimmten Blauschattierung, die sie noch nie angetroffen hat. Nun lege man mit Ausnahme jener bestimmten Blauschattierung all die verschiedenen Schattierungen dieser Farbe stufenweise von der dunkelsten zur hellsten aufsteigend vor ihr aus. Es ist offensichtlich, dass sie dort, wo die Farbschattierung fehlt, eine Lücke wahrnimmt und bemerken wird, dass dort ein größerer Unterschied zwischen den beieinander liegenden Farben besteht, als an anderen Stellen. Nun frage ich: Ist es dieser Person
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möglich, diese Lücke mithilfe ihrer Einbildung zu schließen und für sich die Idee jener Schattierung zu bilden, obschon sie ihr nie zuvor durch ihre Sinne vermittelt worden ist? Ich glaube, nur wenige werden der Meinung sein, dass sie nicht dazu fähig ist. Dies könnte als Beweis dafür dienen, dass einfache Ideen nicht immer von ihnen entsprechenden Eindrücken abstammen. Doch der Fall ist derart ungewöhnlich und speziell, dass er kaum unsere Aufmerksamkeit lohnt. Er verdient es nicht, dass wir allein seinetwegen unsere allgemeine Maxime ändern. T 1.1.1.11, 6 f. Doch abgesehen von dieser Besonderheit, ist es nicht verkehrt in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das Prinzip des Vorranges der Eindrücke vor den Ideen mit einer weiteren Einschränkung versehen werden muss. Da nämlich unsere Ideen Bilder unserer Eindrücke sind, können wir sekundäre Ideen bilden, welche ihrerseits Bilder der primären Ideen sind, wie es sich an der soeben geschilderten Überlegung darlegen ließ. Es handelt sich dabei genau genommen um keine Ausnahme von der Regel,K16 sie erklärt sie vielmehr. Ideen rufen die Bilder (images) ihrer selbst in neuen Ideen hervor als neue (sekundäre) Ideen; doch weil die ersten (primären) Ideen von Eindrücken abstammen sollen, trifft es nach wie vor zu, dass alle unsere einfachen Ideen entweder direkt oder indirekt, von ihnen entsprechenden Eindrücken herrühren. [Angeborene Ideen] T 1.1.1.12, 7 Dies ist also das erste Prinzip, das ich in der Wissenschaft der menschlichen Natur aufstelle. Wir sollten es der Schlichtheit seiner Erscheinung wegen keinesfalls gering achten. Denn es ist doch bemerkenswert, dass die eben diskutierte Frage über den Vorrang unserer Eindrücke bzw. Ideen dieselbe Frage ist, die in einer anderen Terminologie für so viel Aufsehen gesorgt hat. Dabei geht es nämlich um den Streit, ob es angeborene Ideen gibtK17 oder ob alle Ideen aus den Sinnen und aus der Reflexion stammen. Wir können nämlich beobachten, dass die Philosophen, um zu beweisen, dass die Ideen der Ausdehnung oder der Farbe nicht angeboren sind, lediglich zeigen, dass sie durch unsere Sinne vermittelt werden. Zum Beweis, dass die Ideen der Gefühle und des Verlangens (of passion and desire) nicht angeboren sind, stellen sie nur fest, dass wir in uns über eine vorhergehende Erfahrung dieser Gemütsbewegungen (emotions) verfügen. Wenn wir diese Argumente nun sorgfältig untersuchen, dann sehen wir, dass sie nichts weiter beweisen, als dass den Ideen andere lebhaftere Perzeptionen vorausgehen, von denen sie abstammen und die sie repräsentieren. Ich hoffe, dass diese klare Formulierung
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der Frage alle Streitigkeiten beilegen wird, und dieses Prinzip unseren Überlegungen größeren Nutzen bringen wird, als es bislang der Fall gewesen ist. [Humes phänomenologische Einstellung] T 1.2.5.26 APP, 638 f. Solange wir unsere Spekulationen auf die Erscheinungen (appearances) von Objekten in unseren Sinnen beschränken,K18 ohne uns auf Abhandlungen über deren reales Wesen und reale Tätigkeiten einzulassen, bleiben uns alle Schwierigkeiten erspart und werden wir niemals durch irgendeine Frage in Verlegenheit gebracht. Wenn die Frage also lautet, ob der unsichtbare und unberührbare Abstand zwischen zwei Objekten etwas ist oder nicht, so fällt die Antwort leicht, dass er etwas sei, nämlich eine Eigenschaft der Objekte, die unsere Sinne auf bestimmte Weise affizieren. Wenn die Frage lautet, ob sich zwei Objekte mit einem derartigen Abstand zwischen ihnen berühren oder nicht, so darf man antworten, dass dies von der Definition des Worts Berührung abhängt. Will man sagen, dass sich Objekte berühren, wenn sich nichts Wahrnehmbares (sensible) zwischen ihnen befindet, dann berühren sich diese Objekte. Sagt man jedoch, Objekte berühren sich, wenn ihre Bilder auf zwei benachbarte Teile des Auges treffen und wenn die Hand beide Objekte nacheinander fühlt, ohne dazwischen liegende Handbewegung, dann berühren sich diese Objekte nicht. Die Erscheinungen der Objekte in unseren Sinnen sind untereinander konsistent und Schwierigkeiten ergeben sich nur aufgrund der Ausdrücke, die wir gebrauchen. Ich fürchte, die meisten unserer Schlüsse werden voller Zweifel und Ungewissheit sein, sobald wir unsere Untersuchung über die Erscheinungen von Objekten in unseren Sinnen hinausführen. […] T 1.3.5.2, 84 Was nun die Eindrücke betrifft, die durch die Sinne entstehen, so kann der menschliche Geist ihre letzte Ursache meiner Ansicht nach nicht vollkommen erklären. So wird es immer unmöglich sein, mit Gewissheit zu entscheiden, ob sie unmittelbar von den Gegenständen herrühren oder durch die schöpferische Kraft des Geistes oder vom Schöpfer unseres Daseins hervorgebracht werden. Doch solche Fragen sind für unsere momentanen Zwecke unerheblich. Ob nun unsere Perzeptionen wahr oder falsch sind, ob sie die Natur richtig repräsentieren oder bloße Täuschungen der Sinne sind, so können wir doch aus ihrer internen Kohärenz Schlüsse ziehen.K19 T 2.3.3.5, 415 Ein Gefühl hat eine nicht abgeleitete (original) Existenz, oder vielleicht besser gesagt, eine nicht abgeleitete Modifikation der Existenz. Es enthält keine repräsentationale Qualität,K20 die es zu einer
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Kopie (copy) irgendeiner anderen Existenz oder Modifikation macht. Wenn ich wütend bin, dann bin ich tatsächlich von diesem Gefühl besessen. Und in dieser Gemütsbewegung (emotion) beziehe ich mich deshalb nicht eher auf ein Objekt als wenn ich durstig, krank oder über fünf Fuß groß bin. Deshalb ist es unmöglich, dass dieses Gefühl der Wahrheit oder der Vernunft entgegengesetzt sein oder widersprechen kann. Denn ein solcher Widerspruch besteht ja in einer Nichtübereinstimmung von Ideen, insofern wir sie als Kopien betrachten (consider’d as copies), mit jenen Objekten, die durch sie repräsentiert werden. [Eine weitere Unterteilung der Eindrücke: Empfindung und Reflexion] Abschnitt 2. Unterteilung des Untersuchungsgegenstands (T 1.1.2) T 1.1.2.1, 7 f. Da es also den Anschein macht, dass unsere einfachen Eindrücke ihren entsprechenden Ideen voran gehen, und dass Ausnahmen sehr selten sind, scheint es ein methodisches Vorgehen zu erfordern, zuerst unsere Eindrücke zu untersuchen, bevor wir uns an die Betrachtung unserer Ideen machen. Eindrücke können in zwei Arten unterteilt werden, nämlich in Eindrücke der EMPFINDUNG und der REFLEXION. Eindrücke der ersten Art entstehen ursprünglich in der Seele, aus unbekannten Ursachen. Jene der zweiten Art stammen zu einem großen Teil von unseren Ideen ab, und zwar auf folgende Art und Weise. Zuerst trifft ein Eindruck auf unsere Sinne, und veranlasst uns zur Wahrnehmung von Wärme oder Kälte, von Durst oder Hunger, d. h. von irgendeiner Art von Lust oder Unlust. Der Geist stellt eine Kopie dieses Eindrucks her, der das Verschwinden des Eindrucks überdauert. Das nennen wir Idee. Sobald diese Idee von Lust oder Unlust erneut in der Seele erscheint, erzeugt sie einen neuen Eindruck von Verlangen oder Abneigung, von Erwartung oder Furcht, den man als Eindruck der Reflexion bezeichnen kann, weil er von einer Idee her stammt. Die Eindrücke der Reflexion werden wiederum im Gedächtnis oder in der Einbildungskraft abgebildet und dadurch zu Ideen, die vielleicht ihrerseits wiederum andere Eindrücke und Ideen entstehen lassen. Somit gehen die Eindrücke der Reflexion zwar ihren entsprechenden Ideen voraus, sind aber den Eindrücken der Empfindung nachgeordnet und stammen von ihnen ab. Die Untersuchung unserer Empfindungen fällt mehr in das Gebiet der Anatomen und NaturphilosophenK21 als in dasjenige der Geisteswissenschaften (morals) und deshalb gehen wir im Moment nicht auf sie ein. Da nun die für uns interessanten Eindrücke der Reflexion, wie etwa Leidenschaften, Wünsche und Emotionen, meistens aus Ideen entstehen, müssen wir das auf den ersten Blick natürlich scheinende methodische Vor-
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gehen umkehren: Um die Natur und die Prinzipien des menschlichen Geistes zu erklären, müssen wir eine gesonderte Darstellung der Ideen haben, bevor wir uns den Eindrücken zuwenden. Aus diesem Grund möchte ich mit den Ideen beginnen. [Eine weitere Unterteilung der Ideen: Gedächtnis und Einbildung] Abschnitt 3. Über die Ideen des Gedächtnisses und der Einbildungskraft (T 1.1.3) T 1.1.3.1, 8 f. Aus Erfahrung wissen wir, dass ein Eindruck, der dem Geist gegenwärtig war, ihm wieder als Idee erscheint. Dies geschieht auf zwei Arten: Entweder bewahrt der Eindruck bei seinem neuen Erscheinen als Idee ein beträchtliches Maß seiner ursprünglichen Lebendigkeit und ist gewissermaßen zwischen einem Eindruck und einer Idee angesiedelt oder er verliert seine Lebendigkeit ganz und wird zu einer vollkommenen Idee. Das Vermögen, durch das wir unsere Eindrücke auf die erste Art wiederholen, nennen wir GEDÄCHTNIS, das andere EINBILDUNGSKRAFT.K22 Es ist auf den ersten Blick klar, dass die Ideen des Gedächtnisses weitaus lebhafter und stärker sind als jene der Einbildungskraft. […] T 1.1.3.2, 9 Es gibt jedoch einen zweiten und nicht weniger offensichtlichen Unterschied zwischen diesen beiden Ideenarten. Obgleich weder die Ideen des Gedächtnisses noch jene der Einbildungskraft im Geist erscheinen können, solange die ihnen entsprechenden Eindrücke ihnen nicht zuvor den Weg geebnet haben, ist die Einbildungskraft nicht an die Reihenfolge und Gestalt der ersten Eindrücke gebunden, während das Gedächtnis in dieser Hinsicht in gewisser Weise gefesselt ist und nichts abändern kann. […] T 1.1.3.3, 9 Die Hauptaufgabe des Gedächtnisses besteht nicht darin, die einfachen Ideen festzuhalten, sondern deren Reihenfolge und Stellung. […] T 1.1.3.4, 10 Aufgrund zahlloser Phänomene folgt auch unser zweites Prinzip, nämlich die Freiheit der Einbildungskraft ihre Ideen umzustellen und zu verändern. Die Erzählungen, die wir aus Gedichten und Romanen kennen, lassen daran keinen Zweifel: Die Natur ist vollkommen durcheinander und es ist von nichts Anderem die Rede als von geflügelten Pferden, feuerspeienden Drachen und monströsen Riesen. Die Freiheit der Einbildungskraft wird nicht überraschen können, wenn man bedenkt, dass alle unsere Ideen Kopien von Eindrücken sind und dass es keine zwei Eindrücke gibt, die sich nicht trennen ließen. Selbstredend handelt es sich hierbei um eine offensichtliche Folge der Unterteilung der Ideen in einfache und zusammengesetzte. Wo auch immer die Einbildungs-
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kraft einen Unterschied (difference) zwischen Ideen wahrnimmt, kann sie leicht eine Trennung (separation) vornehmen. T 1.3.5.5 APP, 628 Da aber die Einbildungskraft uns dieselben Objekte wie das Gedächtnis darbieten kann, und da diese Vermögen lediglich durch ein unterschiedliches Anfühlen der von ihnen dargebotenen Ideen auseinandergehalten werden können, ist es vielleicht angemessen, das Wesen dieses Gefühls zu betrachten. Nun wird jedermann, wie ich glaube, mit mir darin übereinstimmen, dass die Ideen des Gedächtnisses stärker und lebhafter sind als diejenigen der Fantasie. […] T 1.3.9 FN, 117 f. […] Es scheint, als würde das Wort Einbildungskraft gemeinhin mit zwei verschiedenen BedeutungenK23 verwendet. Obschon der wahren Philosophie nichts so sehr entgegen steht, als solche Ungenauigkeiten, musste auch ich mich in den nachfolgenden Überlegungen ihrer schuldig machen. Wenn ich die Einbildungskraft dem Gedächtnis gegenüber stelle, dann meine ich jenes Vermögen, durch das wir unsere schwächeren Ideen bilden. Wenn ich sie der Vernunft gegenüberstelle, meine ich dasselbe Vermögen, schließe aber unsere demonstrativen und wahrscheinlichen Überlegungen aus. Wenn ich sie keinem von beiden gegenüber stelle, dann ist es gleich, ob man sie im weiten oder engen Sinne versteht, denn der Kontext macht die jeweilige Bedeutung hinreichend klar. [Die Ideenassoziation] Abschnitt 4. Über die Verbindung oder Assoziation von Ideen (T 1.1.4) T 1.1.4.1, 10 f. Da alle einfachen Ideen durch die Einbildungskraft getrennt und auf beliebige Weise wieder vereint werden können, so gäbe es nichts, das unberechenbarer wäre als die Tätigkeiten dieses Vermögens, würde es nicht einigen allgemeinen Prinzipien folgen, die ihm immer und überall ein gewisses Maß an Einheit verleihen. Wären die Ideen nämlich ganz und gar frei und unverbunden, so würde der bloße Zufall sie vereinen, ja es wäre unmöglich, dass dieselben einfachen Ideen sich immer wieder zu zusammengesetzten fügten (wie es normalerweise geschieht), wenn nicht irgendein Band der Einheit zwischen ihnen bestünde, eine assoziierende Eigenschaft, durch die eine Idee eine andere auf natürliche Weise mit sich führt. Dieses vereinigende Prinzip zwischen den Ideen darf nicht als untrennbare Verbindung betrachtet werden, denn das wurde bereits aus der Einbildung ausgeschlossen. Auch dürfen wir nicht folgern, dass der Geist ohne dieses Prinzip keine zwei Ideen vereinen könnte, denn es gibt nichts, was ungebundener wäre, als dieses Vermögen. Wir können es hier also nur mit einer sanften Gewalt
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zu tun haben, die sich normalerweise durchsetzt, und eine der Ursachen dafür ist, dass die Sprachen miteinander so sehr übereinstimmen. Auf gewisse Weise zeigt die Natur jedem genau jene einfachen Ideen, die sich am besten dazu eignen, zu zusammengesetzten Ideen vereint zu werden. Es gibt nun drei Eigenschaften,K24 die für diese Assoziation verantwortlich sind, und durch die der Geist von einer Idee zur nächsten geführt wird. Dies sind ÄHNLICHKEIT, KONTIGUITÄT in Zeit und Raum und URSACHE und WIRKUNG. T 1.1.4.2, 11 Ich glaube, dass kein Beweis dafür nötig ist, dass diese Eigenschaften eine Assoziation zwischen Ideen hervorbringen, und dass auf das Auftreten einer Idee naturgemäß eine andere folgt. Es ist offensichtlich, dass in unseren Gedankengängen und in der andauernden Umwälzung unserer Ideen, die Einbildungskraft mit Leichtigkeit von einer Idee zur nächsten schreitet, die ihr ähnlich ist. Diese Eigenschaft allein ist der Fantasie genug an Bindung und Assoziation. Ebenso ist es offenkundig, dass die Sinne, sobald sie sich anderen Objekten zuwenden, gezwungen sind, diesen Wechsel in einer bestimmten Folge vorzunehmen und die Objekte so aufnehmen müssen, wie sie aufeinander folgen. Die Einbildungskraft muss sich infolge langer GewohnheitK25 denselben Gedankenweg aneignen, und sich bei der Vorstellung ihrer Objekte in Zeit und Raum bewegen. Was die durch die Kausalrelation erzeugte Verbindung betrifft, so werden wir später die Gelegenheit haben,K26 sie erschöpfend zu untersuchen. Deshalb wollen wir an dieser Stelle nicht bei ihr verweilen. Es genügt zu beachten, dass keine andere Relation eine stärkere Verbindung in unserer FantasieK27 hervorbringt und leichter eine Idee die andere hervorrufen lässt als diejenige von Ursache und Wirkung. […] T 1.1.4.4, 12 Von den drei oben erwähnten Relationen reicht die Kausalität am weitesten. Zwei Objekte können nämlich in dieser Relation stehen, wenn das eine die Ursache sowohl der Tätigkeiten und Bewegungen als auch der Existenz des anderen ist. Denn Tätigkeit oder Bewegung ist nichts Anderes als das Objekt selbst, auf gewisse Weise betrachtet, und sofern das Objekt in unterschiedlichen Situationen dasselbe bleibt, kann man sich leicht vorstellen, wie der gegenseitige Einfluss von Objekten diese in der Einbildung verbindet. […] T 1.1.4.6, 12 f. Dies sind also die Prinzipien der Vereinigung oder Kohäsion zwischen unseren einfachen Ideen. Sie nehmen in der Einbildung den Platz jener untrennbaren VerbindungK28 ein, mit der sie in unserem Gedächtnis vereint sind. Wir haben es hier mit einer Art von ANZIEHUNG K29 zu tun, die in der Welt des Geistes ebenso außergewöhnliche
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Wirkungen hat wie in der Natur und sich in ebenso vielen und mannigfaltigen Formen zeigt. Ihre Wirkungen sind überall erkennbar, doch ihre Ursachen sind größtenteils unbekanntK30 und müssen als ursprüngliche Eigenschaften der menschlichen Natur behandelt werden, die zu erklären ich mir nicht anmaße. Nichts ist für einen wahren Philosophen nötiger, als das ungestüme Verlangen zu bändigen, nach Ursachen zu forschen. Und sobald er irgendeine Lehre auf eine ausreichende Anzahl von Erfahrungen stützen kann, gebe er sich damit zufrieden, wenn er erkennt, dass weitere Nachforschungen nur zu dunklen und ungewissen Spekulationen verleiten würden. Er führt seine Untersuchungen mit größerem Nutzen fort, wenn er die Wirkungen und nicht die Ursachen seines Prinzips untersucht. T 1.1.4.7, 13 Unter den Wirkungen dieser Vereinigung oder Assoziation der Ideen gibt es keine, die bemerkenswerter ist, als die Bildung zusammengesetzter Ideen,K31 die normalerweise die Gegenstände unseres Denkens und Schließens sind und allgemein aufgrund einer Vereinigung einfacher Ideen entstehen. […] [Kommentare zur Ideenassoziation] T 2.1.4.3, 283 Alle ähnlichen Eindrücke sind miteinander verbunden, und sobald einer auftaucht, folgen ihm die übrigen ganz unmittelbar. Gram und Enttäuschung lassen Wut entstehen, die Wut den Neid, Neid Boshaftigkeit und diese wiederum den Gram. So wird der Kreis geschlossen. Ebenso neigt ein mit Freude erfülltes Gemüt zu Liebe, Großherzigkeit, Mitleid, Mut, Stolz und ähnlichen Gefühlen (affection). Wenn der Geist von einer Leidenschaft (passion) erfüllt ist, fällt es ihm schwer, sich ohne Wandel und Wechsel auf sie allein zu beschränken. Die menschliche Natur ist zu unstet, um ein Gleichmaß zuzulassen. Die Wandelbarkeit ist ihr wesentlich. Und welcher Wechsel könnte ihr leichter fallen als jener zu Gefühlen (affections) und Gemütsbewegungen (emotions), die ihrer Stimmung entsprechen und mit den gerade vorherrschenden Leidenschaften (passions) übereinstimmen? Es ist also offensichtlich, dass es zwischen Eindrücken ebenso wie zwischen Ideen eine Anziehung (attraction) und Assoziation gibt, mit dem bemerkenswerten Unterschied freilich, dass Ideen durch Ähnlichkeit, Kontiguität und Kausalität assoziiert werden, Eindrücke nur durch Ähnlichkeit. T 1.3.6.14, 93 Es gibt nun in der Tat ein Prinzip der Ideenvereinigung, das auf den ersten Blick als eigenständig angesehen werden könnte, im Grunde genommen aber denselben Ursprung hat. Wenn jedes Individuum einer Art von Objekten in der Erfahrung immer nur in
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Verbindung mit den Individuen einer anderen Art angetroffen wird, dann leitet die Erscheinung eines weiteren Individuums einer dieser beiden Arten unsere Gedanken naturgemäß zu seinem üblichen Begleiter. Da beispielsweise eine bestimmte Idee für gewöhnlich an ein bestimmtes Wort geknüpft wird, ist nichts als das Hören dieses Wortes nötig um die entsprechende Idee hervorzubringen. Dem Geist ist es auch unter größter Anstrengung kaum möglich, diesen Übergang zu verhindern. In diesem Fall ist es natürlich nicht notwendig, dass wir bei dem Hören eines bestimmten Geräusches immer auf unsere Erfahrungen reflektieren und uns fragen, welche bestimmte Idee denn nun mit diesem Geräusch für gewöhnlich verbunden worden ist. Die Einbildung selbst übernimmt gleichsam diese Reflexion. Sie ist derart daran gewöhnt vom Wort zur Idee überzugehen, dass es keinerlei Verzögerung zwischen dem Hören des einen und der Vorstellung des anderen gibt. Abschnitt 6. Über Modi und Substanzen (T 1.1.6) T 1.1.6.1, 15 f. Jene Philosophen, die so viele ihrer Überlegungen auf der Unterscheidung zwischen Substanz und AkzidenzK32 gründen und meinen, wir verfügten über eine klare Idee von ihnen, möchte ich gerne fragen, ob die Idee der Substanz aus einem Eindruck der Empfindung (impression of sensation) oder aus einem Eindruck der Reflexion (impression of reflection) stammt. Sollte der Eindruck von den Sinnen kommen, so möchte ich wissen, aus welchem und auf welche Weise? Wenn wir ihn mit den Augen wahrnehmen, muss es sich um eine Farbe handeln, bei den Ohren um einen Ton, beim Gaumen um einen Geschmack und so weiter mit den anderen Sinnen. Ich denke aber, dass niemand behauptet, die Substanz sei entweder Farbe, Ton oder Geschmack. Die Idee der Substanz muss also aus einem Eindruck der Reflexion stammen, sollte ihr wirklich etwas entsprechen. Die Eindrücke der Reflexion zerfallen aber in Leidenschaften (passions) und Gemütsbewegungen (emotions), und keine von beiden dürfte so etwas wie eine Substanz repräsentieren. Wir verfügen also abgesehen von der Idee einer Ansammlung bestimmter Eigenschaften (particular qualities) über keine Idee einer Substanz. Es steht uns auch keine andere Bedeutung zur Verfügung, wenn wir über sie sprechen oder nachdenken. T 1.1.6.2, 16 Sowohl die Idee einer Substanz als auch diejenige eines Modus ist lediglich eine Ansammlung einfacher Ideen, die durch die Einbildungskraft vereint werden, und denen ein eigener Name zugeschrieben wird, durch den wir diese Ansammlung uns selbst oder anderen ins Gedächtnis rufen können. Der Unterscheid zwischen diesen beiden
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Ideen besteht darin, dass jene bestimmten Eigenschaften, die eine Substanz bilden, normalerweise einem unbekannten Etwas zugeschrieben werden, dem sie inhärieren sollen. Will man diese Fiktion aber nicht durchgehen lassen, so müssen die Eigenschaften zumindest eng und untrennbar durch die Relationen der Kontiguität und der Kausalität miteinander verbunden sein. Eine Folge davon ist, dass wir jede neue einfache Eigenschaft, von der wir erkennen, dass sie auf dieselbe Art mit den anderen zusammenhängt, sofort dazu zählen, obwohl sie nicht zu unserer ersten Vorstellung der Substanz gehört hat. So mag unsere Idee von Gold zunächst gelbe Farbe, Gewicht, Schmelzbarkeit, Legierbarkeit umfassen, doch auf die Entdeckung hin, dass sich Gold in Königswasser auflöst, fügen wir diese den anderen Eigenschaften hinzu, und wir nehmen an, sie gehöre ebenso zu dieser Substanz, als ob ihre Idee von Anfang an Bestandteil der zusammengefügten Idee gewesen wäre. Die Vereinigung (union) als das wichtigste Prinzip einer zusammengesetzten Idee nimmt jede später auftretende Eigenschaft auf. Diese wird so mit eingeschlossen, als wäre sie wie die anderen Eigenschaften von Anfang an dabei gewesen. A 35, 661 f. Wenn irgendetwas den Verfasser zum Träger des ruhmreichen Titels eines Erneuerers macht, dann ist es sein Gebrauch des Prinzips der Ideenassoziation, das in den meisten Teilen seiner Philosophie eine Rolle spielt. […] Es ist nicht schwer zu sehen, welche weitreichenden Folgen sich aus diesen Prinzipien für die Wissenschaft der menschlichen Natur ergeben, wenn wir nur in Betracht ziehen, dass sie, was den Geist betrifft, die einzigen Verbindungen sind, die die Bestandteile des Universums zusammenhalten oder uns mit gleich welcher Person und gleich welchem Objekt außerhalb von uns verbinden. Denn nur über unsere Gedanken kann etwas auf unsere Leidenschaften einwirken, und da diese Assoziationen die alleinigen Bande unserer Gedanken sind, so sind sie für uns der Kitt (cement) des Universums. Alle Tätigkeiten des Geistes müssen zu großen Teilen von ihnen abhängen. [Abstrakte Ideen und das Prinzip der Trennbarkeit ] Abschnitt 7. Über abstrakte Ideen (T 1.1.7) T 1.1.7.1, 17 Ein sehr grundsätzlicher Disput betrifft die Frage nach den abstrakten oder allgemeinen Ideen: Sind sie allgemein (general) oder bestimmt (particular) in der Art wie sie vom Geist vorgestellt werden? Ein bedeutender PhilosophK33 hat die vorherrschende Ansicht bestritten und behauptet, alle allgemeinen Ideen seien nur bestimmte. Ihnen ist ein Ausdruck angehängt, der ihnen eine weitere Bedeutung verleiht und dazu führt, dass
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durch sie andere Einzeldinge hervorgerufen werden, denen sie ähnlich sind. Da ich dies für eine der großartigsten und wertvollsten Einsichten halte, die in letzter Zeit in der gelehrten Welt gemacht worden sind, will ich versuchen, sie durch einige Argumente zu bestätigen, und sie dadurch, wie ich hoffe, über alle Zweifel und Streitigkeiten zu erheben. T 1.1.7.2, 17 f. Zwei Dinge sind offensichtlich: Wir abstrahieren in der Bildung der meisten wenn nicht gar all unserer allgemeinen Ideen von jedem bestimmten (particular) Grad an Quantität und Qualität und ein Objekt hört nicht auf ein Element einer bestimmten Klasse zu sein, nur weil sich etwas an seiner Ausdehnung, seiner Dauer oder an einer anderen seiner Eigenschaften verändert. Es macht deshalb den Anschein, als stünden wir vor einem klaren Dilemma,K34 das über die Natur der abstrakten Ideen entscheiden muss, die den Philosophen so viel Spekulationsraum geliefert hat. Die abstrakte Idee eines Menschen repräsentiert Menschen jeder Größe und mit allerlei Eigenschaften, doch dies kann sie, wie man zu folgern pflegt, nur dadurch, dass sie entweder alle möglichen Eigenschaften oder aber überhaupt keine bestimmte Eigenschaft repräsentiert. Da eine Verteidigung der ersten Behauptung als unsinnig erachtet worden ist, weil sie dem Geist eine unendliche Fähigkeit abverlangt, wurde für gewöhnlich der zweiten Behauptung der Vorzug gegeben: Unsere abstrakten Ideen, so hat man angenommen, repräsentieren keinen bestimmten Grad an Quantität oder Qualität. Doch dieser Schluss ist, wie ich zeigen werde, falsch. Erstens werde ich darlegen, dass es schlicht unmöglich ist, sich irgendeine Quantität oder Qualität vorzustellen, ohne einen präzisen Begriff (notion) ihres Grades zu bilden. Zweitens werde ich zeigen, dass die Fähigkeit des Geistes nicht unendlich zu sein braucht, damit wir auf einen Schlag einen Begriff (notion) von allen möglichen Graden an Quantität und Qualität bilden können, zumindest in einer Art und Weise, die trotz ihrer Unvollständigkeit den Zwecken des Nachdenkens und der Konversation vollauf genügt. T 1.1.7.3, 18 f. Beginnen wir mit unserer ersten Behauptung, dass der Geist keinen Begriff von Quantität oder Qualität bilden kann ohne zugleich einen präzisen Begriff ihres jeweiligen Grades zu bilden. Dies können wir durch die drei folgenden Argumente beweisen. Erstens. Wir haben bereits festgestellt, dass alle Objekte, die verschieden sind, auch unterscheidbar sind, und dass alle Objekte, die unterscheidbar sind, in Gedanken oder in der Einbildungskraft getrennt werden können.K35 Wir dürfen hinzufügen, dass diese Sätze auch umgekehrt gelten, und alle trennbaren Objekte auch unterscheidbar und alle unterscheidbaren Objekte auch verschieden sind. Denn wie sollte es möglich sein zu trennen, was nicht unter-
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scheidbar ist, oder zu unterscheiden, was nicht verschieden ist? Wenn wir also wissen wollen, ob die Abstraktion eine Trennung voraussetzt, brauchen wir sie nur im Lichte dieser Sichtweise zu untersuchen. Wir können uns fragen, ob alle Umstände, von denen wir in unseren allgemeinen Ideen abstrahieren, tatsächlich von solcher Art sind, dass sie unterscheidbar und verschieden von denjenigen sind, die wir als ihre wesentlichen Bestandteile beibehalten. Man sieht jedoch auf den ersten Blick, dass die genaue Länge einer Linie von der Linie selbst weder verschieden noch unterscheidbar ist, ebenso wenig wie der präzise Grad irgendeiner Qualität von dieser Qualität. Diese Ideen lassen deshalb auch keine Trennung zu, eben weil sie keine Unterscheidung und keinen Unterschied zulassen. Folglich sind sie in der Vorstellung miteinander verbunden, sodass die allgemeine Idee einer Linie im Geist ungeachtet ihrer Abstraktheit und Veredelung mit einem präzisen Grad an Quantität und Qualität auftritt. Trotzdem vermag sie andere Linien von unterschiedlicher Quantität und Qualität zu repräsentieren. T 1.1.7.4, 19 Zweitens. Es wird zugestanden, dass den Sinnen keine unbestimmten Objekte erscheinen können, anders gesagt, dass dem Geist kein Eindruck gegenwärtig sein kann, der nicht hinsichtlich Quantität und Qualität festgelegt wäre. Die gelegentliche Verworrenheit unter den Eindrücken, rührt allein von ihrer Mattigkeit oder Unstetigkeit her und nicht etwa von einer Fähigkeit des Geistes, irgend Eindrücke aufnehmen zu können, die in ihrem wirklich Sein weder einen bestimmten Grad noch eine bestimmte Proportion hätten. Dies wäre ein Widerspruch in sich, ja es wäre sogar der glatteste aller Widersprüche, wonach es einem Dinge möglich sein soll, zugleich zu sein und nicht zu sein. T 1.1.7.5, 19 Da nun alle Ideen von Eindrücken abstammen und nichts anderes als deren Kopien und Repräsentationen sind, muss, was immer für die einen gilt, auch für die anderen gelten. Denn Eindrücke und Ideen unterscheiden sich ja nur in Stärke und Lebendigkeit. Der vorangegangene Schluss beruht aber auf keinem bestimmten Grad an Lebendigkeit; er kann daher nicht durch irgendeine Abweichung in diesem Aspekt beeinträchtigt werden. Eine Idee ist ein schwacher Eindruck, und da ein starker Eindruck notwendig eine bestimmte Quantität und Qualität haben muss, muss dasselbe auch für seine Kopie oder Repräsentanten gelten. T 1.1.7.6, 19 f. Drittens. Es wird in der Philosophie als ein allgemeines Prinzip betrachtet, dass es in der Natur nur Einzeldinge gibt,K36 sodass die Annahme ganz unsinnig ist, dass ein Dreieck ohne eine genaue Gestaltung von Schenkeln und Winkeln wirklich existiert. Wenn dies aber in
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Tat und Wahrheit unsinnig ist, so muss es auch als Idee unsinnig sein, denn nichts, wovon wir eine klare und deutliche IdeeK37 bilden können, ist unsinnig oder unmöglich.K38 Nun ist es dasselbe, ob man die Idee eines Objekts formt oder eine Idee schlechthin formt, denn der Bezug einer Idee zu einem Objekt ist eine der Idee äußerliche Eigenschaft,K39 sie selbst trägt davon keine Spur und kein Zeichen in sich. Es ist unmöglich eine Idee von einem Objekt ohne einen präzisen Grad an Quantität und Qualität zu bilden. Daraus folgt, dass es unmöglich ist, eine Idee zu bilden, die nicht in diesen beiden Hinsichten begrenzt und umrissen wäre. Abstrakte Ideen sind deshalb an sich individuell. Dennoch mögen sie hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Repräsentation allgemein sein. Das Bild im Geist ist immer nur das Bild eines bestimmten Objekts, wenn auch sein Gebrauch in unserem Denken so ist, als wäre es allgemein. T 1.1.7.7, 20 f. Dieser über die Natur der Ideen hinausgehende Gebrauch rührt daher, dass wir alle ihre möglichen Grade von Quantität und Qualität in einer unvollkommenen Weise zusammenfassen, die den Zwecken des Alltagslebens aber genügt. Dies ist die zweite Behauptung, die zu erklären ich mir vorgenommen habe. Wenn wir unter verschiedenen, häufig auftretenden Objekten eine Ähnlichkeit feststellen, so geben wir ihnen den gleichen Namen,K40 ungeachtet der Unterschiede, die sich in den Graden ihrer Quantität und Qualität oder anderweitig an ihnen finden lassen. [T 1.1.7.7 APP, 637] Es ist klar, dass sich selbst verschiedene einfache Ideen gleich oder ähnlich sein können. Es ist auch nicht notwendig, dass der Bezugspunkt oder Umstand, in dem sie sich ähnlich sind, von jenem unterschieden oder trennbar sein muss, in dem sie sich unterscheiden. Blau und Grün sind verschiedene einfache Ideen, doch sind sie sich ähnlicher als Blau und Scharlach, auch wenn ihre vollkommene Einfachheit jede Möglichkeit der Trennung oder der Unterscheidung ausschließt. Dasselbe gilt für einzelne Töne, Geschmäcker oder Gerüche. Diese lassen, was ihre allgemeine Erscheinung und den Vergleich betrifft, unendliche Ähnlichkeiten zu, auch wenn sie keinen Umstand teilen. Dessen können wir uns schon aufgrund der beiden sehr abstrakten Ausdrücke einfache und Idee sicher sein. Sie umfassen alle einfachen Ideen. Diese ähneln sich in ihrer Einfachheit, aber dennoch gehört dieser Umstand, in dem sie sich ähnlich sind und der ja alle Zusammensetzung ausschließt, zu ihrer Natur und ist vom Rest weder unterscheidbar noch trennbar. Dasselbe trifft auch auf alle Grade einer bestimmten Qualität zu: Diese sind sich alle ähnlich und dennoch ist die Qualität in jedem Einzelding nicht von ihrem Grad unterschieden. [APP Ende] Sobald wir eine solche Gewohnheit erworben haben, belebt
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das Hören des Namens die Idee eines solchen Objekts, und die Einbildungskraft erfasst es in all seinen bestimmten Beschaffenheiten und Verhältnissen. Da nun dasselbe Wort häufig für andere Einzeldinge verwendet worden ist, die sich in vielerlei Hinsichten von dieser dem Geist direkt gegenwärtigen Idee unterscheiden, so ist das Wort dennoch außerstande, die Ideen aller dieser Einzeldinge zu beleben. Es kann die Seele gleichsam nur berühren (wenn ich mich so ausdrücken darf) und somit die Gewohnheit beleben, die wir durch die Betrachtung all dieser Dinge angenommen haben. Diese sind dem Geist also nicht wirklich und tatsächlich gegenwärtig, sondern nur dem Vermögen nach. Wir malen sie uns in der Einbildungskraft auch nicht alle aus, sondern halten uns bereit, eines von ihnen zu betrachten, sobald wir durch ein aktuelles Vorhaben oder einen äußeren Anlass dazu gebracht werden. Das Wort zitiert also eine individuelle Idee herbei, die mit einer bestimmten Gewohnheit zusammenhängt, und diese Gewohnheit bringt eine andere individuelle Idee hervor, für die wir gerade Verwendung finden. Weil aber die Hervorbringung aller Ideen, die unter diesen Namen fallen, in den meisten Fällen nicht möglich ist, kürzen wir uns diese Mühe durch eine unvollständigere Betrachtung ab. Für unser Nachdenken ergeben sich aus dieser Abkürzung nur wenige Nachteile. [Die Vernunftunterscheidung] T 1.1.7.17, 24 f. Bevor ich dieses Thema abschließe, will ich mithilfe derselben Prinzipien jene Vernunftunterscheidung K41 erklären, über die in der Schulphilosophie mit so wenig Verstand so viel gesprochen wird. Es handelt sich um Unterscheidungen wie diejenige zwischen Form und geformtem Körper oder zwischen Bewegung und bewegtem Körper. Die Schwierigkeit bei der Erklärung dieser Art von Unterscheidung rührt von dem bereits erörterten Prinzip her, dem zufolge alle verschiedenen Ideen auch trennbar sind. Denn aus diesem Prinzip folgt, dass wir die Ideen von Form und Körper unterscheiden können müssen, wenn wir Form und Körper unterscheiden können. Wären letztere nicht verschieden, so wären ihre Ideen ja weder trennbar noch unterscheidbar. Was meinen wir also mit einer Vernunftunterscheidung, da sie doch weder einen Unterschied noch eine Trennung impliziert? T 1.1.7.18, 25 Um diese Schwierigkeit zu beheben, müssen wir an die vorhin gegebene Erklärung abstrakter Ideen zurückdenken. Gewiss wäre der Geist niemals darauf gekommen, die Form vom geformten Körper zu unterscheiden – da sie in Wirklichkeit weder unterscheidbar noch verschieden oder trennbar sind –, hätte er nicht bemerkt, dass
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sogar diese Einfachheit noch zahlreiche Ähnlichkeiten und andere Relationen umfasst. Wenn man uns etwa eine weiße Marmorkugel zeigt, so empfangen wir nur den Eindruck einer weißen, über eine bestimmte Form verteilten Farbe, sind aber außerstande, Farbe und Form zu trennen oder zu unterscheiden.K42 Betrachten wir darauf jedoch eine schwarze Marmorkugel und einen weißen Würfel und vergleichen diese beiden mit unserem vorherigen Objekt, so bemerken wir zwei separate Ähnlichkeitsrelationen, wo uns etwas zuvor als völlig untrennbar erschienen ist, was es ja auch wirklich ist. Nachdem wir weitere solche Erfahrungen gemacht haben, unterscheiden wir allmählich die Form von der Farbe, und zwar durch eine Vernunftunterscheidung, d. h. wir betrachten Form und Farbe zwar zusammen, denn sie sind ja in der Tat eins und ununterscheidbar, doch wir sehen sie unter verschiedenen Aspekten, die jenen Ähnlichkeiten entsprechen, denen sie auch unterworfen sind. Wenn wir also allein die Form der weißen Marmorkugel zu betrachten meinen, bilden wir in Wahrheit eine Idee von Form und Farbe, richten unser Auge aber unmerklich auf ihre Ähnlichkeit mit der schwarzen Marmorkugel. Ebenso verhält es sich, wenn wir nur die Farbe betrachten: Wir lenken unseren Blick auf die Ähnlichkeit mit dem weißen Marmorwürfel. So werden unsere Ideen durch eine Art Reflexion begleitet, derer wir uns durch die Gewöhnung nicht bewusst sind. Ein Mensch, der von uns verlangt, die Form einer weißen Marmorkugel zu betrachten ohne an deren Farbe zu denken, verlangt etwas Unmögliches. Eigentlich meint er, dass wir Form und Farbe zusammen betrachten sollen, dass wir dabei aber die Ähnlichkeit mit der schwarzen Marmorkugel – oder mit irgendeiner Kugel beliebiger Farbe oder beliebigen Materials – stets im Auge behalten sollen. [Kommentar zu den abstrakten Ideen] T 1.3.1.7, 72 f. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und eine zweite Beobachtung hinsichtlich unserer demonstrativen Überlegungen anführen. Auch sie wird durch unseren momentanen Gegenstand, die Mathematik, nahegelegt. Es ist unter Mathematikern üblich zu behaupten, dass die Ideen, die ihre Objekte darstellen, von so feiner und spiritueller Natur seien, dass sie nicht zu den Vorstellungen der Fantasie (fancy) gehören können. Vielmehr müssen sie durch eine reine und intellektuelle Betrachtung erfasst werden, wozu allein die höheren SeelenvermögenK43 fähig sind. Dieselbe Konzeption (notion) findet sich in vielen Bereichen der Philosophie, und sie wird hauptsächlich benutzt, um unsere abstrakten Ideen zu erklären, und um darzulegen, wie wir beispielsweise die
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Idee eines Dreiecks bilden können, das weder gleichseitig noch ungleichseitig ist und deren Seiten weder eine bestimmte Länge noch eine bestimmte Proportion aufweisen. Es ist leicht zu erkennen, warum die Philosophen die Konzeption von irgendwelchen spirituellen und feinen Perzeptionen so lieb gewonnen haben. Denn dadurch verdecken sie viele ihrer Ungereimtheiten und verweigern sich dem Urteilsspruch klarer Ideen, indem sie sich auf dunkle und unsichere Ideen berufen. Um dieses Kunstgebilde einzureißen, müssen wir nur an jenes oft wiederholte Prinzip denken, dem zufolge alle unsere Ideen unsere Eindrücke kopieren (are copy’d from). Und daraus, dass wir einsehen, dass alle unsere Eindrücke klar und genau (clear and precise) sind, können wir unmittelbar schließen, dass ihre Kopien, die Ideen, von gleicher Art sein müssen und niemals etwas so Dunkles und Vertracktes enthalten können. Eine Idee ist naturgemäß schwächer und matter als ein Eindruck, doch da sie ihr in allen anderen Hinsichten gleich ist, kann sie keine allzu großen Geheimnisse beinhalten. Sollte sie infolge ihrer Schwachheit dunkel werden, dann liegt es an uns, diesen Fehler so gut es geht zu beheben, indem wir diese Idee stabil und genau machen. Solange wir dies nicht getan haben, berufen wir uns vergebens auf die Vernunft und die Philosophie. [Die Idee der Existenz] Abschnitt 6. Über die Idee der Existenz und der äußeren Existenz (T 1.2.6) T 1.2.6.2, 66 In unserem Bewusstsein oder Gedächtnis trifft niemals irgendein Eindruck oder irgendeine Idee auf, die wir uns nicht als existierend vorstellen.K44 Es liegt nun auf der Hand, dass die ganze und vollständige Idee des Seins aus diesem Bewusstsein stammt. Hier finden wir uns nun aber vor dem klarsten und unausweichlichsten Dilemma, das wir uns vorstellen können: Da wir uns keines Eindrucks und keiner Idee erinnern können, ohne ihr Existenz zuzuschreiben, muss die Idee der Existenz entweder von einem eigenen Eindruck her stammen, die mit jeder Perzeption oder jedem Objekt unseres Denkens einhergeht, oder nichts anderes sein als die Idee der Perzeption oder des Objekts. T 1.2.6.3, 66 f. Da dieses Dilemma offensichtlich eine Folge des Prinzips ist, dass jede Idee aus einem ihr ähnlichen Eindruck entsteht,K45 besteht über unsere Entscheidung zwischen den beiden Alternativen kein Zweifel. Ebenso, wie es keinen besonderen Eindruck gibt, der jeden Eindruck und jede Idee begleitet, gibt es nach meiner Auffassung auch keine zwei verschiedenen Eindrücke, die unzertrennlich sind. Obschon gewisse Empfindungen gemeinsam auftreten können, so sehen wir doch schnell, dass sie trennbar sind und auch unabhängig voneinander auf-
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treten können. Deshalb stammt die Idee der Existenz nicht von einem bestimmten Eindruck, wenngleich wir uns jeden Eindruck und jede Idee in unserem Gedächtnis als existierend denken. T 1.2.6.4, 67 Folglich ist die Idee der Existenz dasselbe wie die Idee von etwas, das wir uns als existierend vorstellen. Über etwas nachdenken und über es als existierend nachdenken ist nichts Unterschiedenes. Die Idee der Existenz fügt der Idee eines Objekts nichts hinzu. […] T 1.2.6.7, 67 Eine ähnliche Überlegung trifft auf die Idee der äußeren Existenz K46 zu. Beachten wir, dass von allen Philosophen zugestanden wird, was sich eigentlich auch von selbst versteht, dass nämlich dem Geist niemals etwas gegenwärtig ist außer seinen Perzeptionen oder Eindrücken und Ideen und dass äußere Objekte von uns allein durch die Perzpetionen erkannt werden, die jene veranlassen. Hassen, lieben, denken, fühlen, sehen ist nichts Anderes als perzipieren. T 1.2.6.8, 67 f. Da also dem Geist nichts als Perzeptionen gegenwärtig sind, und da alle Ideen von etwas abstammen, das zuvor dem Geist gegenwärtig ist, folgt, dass es uns nicht möglich ist, uns etwas vorzustellen oder eine Idee von etwas zu bilden, das von Eindrücken oder Ideen der Art nach verschieden wäre.K47 Wir mögen unsere Aufmerksamkeit noch so sehr auf etwas Äußeres richten, unsere Einbildungskraft in den Himmel wachsen lassen oder an die äußersten Ränder des Universums treiben: in Wirklichkeit treten wir niemals auch nur einen Schritt aus uns heraus, niemals stellen wir uns eine andere Art der Existenz vor als jene Perzeptionen, die in diesem kleinen Umkreis erscheinen. Dies ist das Universum der Einbildungskraft. Wir verfügen über keine Idee, die nicht hier entsprungen wäre. T 1.2.6.9, 68 Die größte Annäherung an eine Vorstellung äußerer Objekte – sollen diese als etwas der Art nach von unseren Perzeptionen Verschiedenes gelten –, die wir erreichen können, besteht darin, eine relative IdeeK48 von ihnen zu bilden, ohne dabei vorzugeben, die damit verbundenen Objekte fassen (comprehend) zu können. Allgemein gesagt, gehen wir nicht davon aus, dass sie wirklich der Art nach verschieden sind, sondern wir schreiben ihnen einfach andere Relationen, Verbindungen und unterschiedliche Dauer zu. Davon aber später mehr.K49 [Die Theorie der Überzeugung] T 1.3.6.15, 93 […] Wir verfügen über keinen anderen Begriff von Ursache und Wirkung, als über denjenigen bestimmter Objekte, die untereinander immer verbunden waren und die wir in allen vergangenen Fällen als untrennbar angetroffen haben. Wir können in den Grund dieser
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Verknüpfung nicht weiter eindringen, wir können sie nur beobachten. Dabei finden wir, dass sich aus einer konstanten Verknüpfung eine Vereinigung der Objekte in der Einbildung ergibt. Sobald uns der Eindruck eines Objekts gegenwärtig ist, bilden wir unmittelbar die Idee seines gewohnheitsmäßigen Begleiters. Wir können aus dem Gesagten den ersten Teil einer Definition der Meinung oder der Überzeugung (belief) gewinnen: Es handelt sich um eine Idee, die mit einem gegenwärtigen Eindruck verbunden oder assoziiert ist. Abschnitt 7. Von der Natur der Ideen oder von der Überzeugung (T 1.3.7) T 1.3.7.1, 94 Die Idee eines Objekts ist zwar ein wesentlicher Bestandteil eines Glaubens (belief) oder einer Überzeugung (belief), aber noch nicht alles. Denn wir sind uns vieler Dinge bewusst, die wir nicht glauben. Um nun die Natur der Überzeugung bzw. die Eigenschaften jener Ideen, denen wir unsere Zustimmung geben,K50 besser verstehen zu können, wollen wir die folgenden Überlegungen anstellen. T 1.3.7.2, 94 f. Offensichtlich gelangen alle Überlegungen bezüglich Tatsachen zu kausalen Folgerungen, d. h. sie betreffen die Existenz von Objekten oder ihrer Eigenschaften. Es ist ebenso offensichtlich, dass die Idee der Existenz sich nicht von der Idee eines beliebigen Objekts unterscheidet. Wenn wir uns aufgrund der einfachen Vorstellung eines beliebigen Dinges dieses auch noch als existierend vorstellen, dann fügen wir dadurch unserer Idee in Wahrheit nichts hinzu und nehmen auch keine Änderung an ihr vor. Behaupten wir beispielsweise, dass Gott existiert,K51 so bilden wir einfach die Idee eines Seienden, wie es uns gewöhnlich dargestellt wird. Die Existenz, die wir ihm zuschreiben, wird nicht durch eine bestimmte Idee vorgestellt, die wir der Idee seiner anderen Eigenschaften hinzufügen und von diesen wiederum trennen und unterscheiden könnten. Ich möchte hier sogar weiter gehen, denn ich gebe mich nicht mit der Behauptung zufrieden, dass die Vorstellung der Existenz eines Objekts seiner einfachen Vorstellung nichts hinzufügt, sondern behaupte weiter, dass auch der Glaube an die Existenz jenen Ideen, aus denen die Idee eines Objekts besteht, keine neue Idee hinzufügt. Ob ich nun an Gott denke, ihn als existierend denke oder die Überzeugung habe, dass er existiert, meine Idee von ihm wird dadurch weder vergrößert noch verkleinert. Es besteht aber gewiss ein großer Unterschied zwischen der bloßen Vorstellung der Existenz eines Objekts und dem Glauben an es. Da dieser Unterschied kein Bestandteil der von uns vorgestellten Idee ist, folgt daraus, dass er etwas mit der Weise zu tun haben muss, in der wir sie uns vorstellen.
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T 1.3.7.3, 95 Nehmen wir an, ein Mensch würde mir gegenüber Sätze äußern, denen ich nicht zustimmen kann, etwa dass Cäsar im Bett gestorben sei, Silber eher schmelze als Blei oder Quecksilber schwerer sei als Gold. Obschon ich nichts davon glaube, verstehe ich natürlich, was er meint, und bilde dieselben Ideen wie er. Meine Einbildungskraft verfügt über dieselben Fähigkeiten wie seine: Er kann sich keine Idee vorstellen, die ich mir nicht auch vorstellen, und keine Ideen verbinden, die ich nicht auch verbinden kann. Nun frage ich: Worin besteht der Unterschied zwischen Glauben und Nichtglauben irgendwelchen Behauptungen gegenüber? Für Sätze, die sich durch Intuition oder Demonstration beweisen lassen, ist die Antwort leicht.K52 In diesem Fall stellt sich die zustimmende Person nicht nur die dem Satz entsprechenden Ideen vor, sondern sie stellt sie sich mit Notwendigkeit auf eine bestimmte Weise vor, entweder direkt oder vermittels anderer Ideen. Was unsinnig ist, ist unverständlich, und die Einbildungskraft vermag sich nichts vorzustellen, was einer Demonstration widersprechen würde. Doch im Falle von Kausal- und Tatsachenschlüssen greift diese Art absoluter Notwendigkeit nicht und der Einbildungskraft steht es frei, sich beiden Seiten der Frage zuzuwenden.K53 Deshalb muss ich nochmals fragen: Worin besteht der Unterschied zwischen Glauben und Nichtglauben? Denn in beiden Fällen ist es gleichermaßen möglich und erforderlich sich die Idee vorzustellen. T 1.3.7.4, 95 f. Es reicht als Antwort nicht aus zu sagen, dass eine Person, die einer von dir aufgestellten Behauptung zuerst nicht zustimmt, sich das Objekt auf eine andere Weise vorgestellt hat und andere Ideen über es haben wird, sobald sie es sich nur auf gleiche Weise wie du vorgestellt hat. Diese Antwort ist nicht deshalb unbefriedigend, weil sie falsch wäre, sondern weil sie nur einen Teil der Wahrheit enthüllt. K54 Wir haben zugestanden, dass wir uns in allen Fällen, in denen wir mit einer Person uneins sind, beide Seiten einer Frage vorstellen, aber nur einer Seite Glauben schenken können. Daraus folgt offensichtlich, dass eine Überzeugung einen Unterscheid zwischen einer Vorstellung, der wir zustimmen, und einer anderen, der wir nicht zustimmen, machen muss. Wir können unsere Ideen auf hundert Arten mischen, vereinen, trennen, vermengen und abändern, doch solange nicht irgendein Prinzip auftaucht, das einen dieser Zustände festlegt, können wir in Wirklichkeit keine Meinung haben; und dieses Prinzip vermag lediglich die Weise unseres Vorstellens vorangegangener Ideen zu verändern, da sie ihnen nichts hinzufügt. T 1.3.7.5, 96 Alle Perzeptionen unseres Geistes sind entweder Eindrücke oder Ideen. Diese beiden Klassen unterscheiden sich nur in den
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verschiedenen Graden ihrer Kraft und Lebendigkeit. Unsere Ideen sind Kopien unserer Eindrücke und repräsentieren sie in allen Stücken. Wenn man die Idee eines bestimmten Objekts irgendwie verändern möchte, kann man nur seine Kraft und Lebendigkeit steigern oder vermindern. Verändert man sie auf irgendeine andere Weise, repräsentiert die Idee ein anderes Objekt oder einen anderen Eindruck.K55 Es verhält sich damit ähnlich wie mit Farben. Eine bestimmte Farbschattierung vermag eine neue Stufe der Lebhaftigkeit und Helligkeit ohne jede andere Abwandlung anzunehmen, doch sobald man eine andere Veränderung vornimmt, handelt es sich nicht mehr um dieselbe Schattierung oder Farbe. Ebenso verändert die Überzeugung nur die Auffassungsweise eines Objekts, sie verleiht unseren Ideen zusätzliche Kraft und Lebendigkeit. Eine Meinung oder eine Überzeugung kann deshalb am besten definiert werden als eine lebhafte Idee, die mit einem gegenwärtigen Eindruck assoziiert oder verbunden ist. T 1.3.7.5 FN, 96 f. Bei dieser Gelegenheit können wir auf einen bemerkenswerten Irrtum hinweisen, der uns durch die Schulphilosophie immer wieder eingeimpft wurde und dadurch zu einer Art unhinterfragbaren Maxime geworden ist, die alle Logiker akzeptieren. Dieser Irrtum besteht in der gewöhnlichen Unterteilung der Verstandestätigkeiten in Vorstellung, Urteil und SchlussK56 und den dazugehörigen Definitionen. Die Vorstellung wird als bloße Betrachtung einer oder mehrerer Ideen definiert, das Urteil als das Trennen oder Vereinen verschiedener Ideen, der Schluss als das Trennen oder Vereinen verschiedener Ideen durch die Zwischenschaltung weiterer Ideen, die eine bestimmte Relation untereinander aufweisen. Doch diese Unterscheidungen und Definitionen weisen schwerwiegende Mängel auf. Erstens ist es alles andere als wahr, dass in jedem Urteil, das wir bilden, zwei verschiedene Ideen vereint werden. Denn in einem Satz wie Gott ist (oder auch in jedem anderen, der die Existenz eines Gegenstands betrifft) handelt es sich bei der Idee der Existenz um keine eigene Idee, die wir mit der Idee des Objekts vereinen würden und die in eine zusammengesetzte Idee Eingang finden könnte. Da wir zweitens einen Gedanken oder Satz (proposition) bilden können, der nur eine Idee enthält, können wir unsere Vernunft zum Einsatz bringen, ohne mehr als zwei Ideen zu verwenden, und ohne auf eine dritte Idee als Zwischenglied zurückgreifen zu müssen. Eine Ursache leiten wir unmittelbar aus ihrer Wirkung ab. Bei dieser Ableitung handelt es sich nicht nur um eine echte, sondern auch um die stärkste Schlussart, denn sie hat mehr Kraft als Schlussarten, bei denen wir Ideen zwischenschalten müssen, um zwei Seiten zu verbinden. Was wir jedoch
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über diese drei Verstandestätigkeiten bei Licht besehen sagen können, ist das Folgende: Sie fallen letztlich alle mit der ersten zusammen, d. h. sie sind nur besondere Arten der Vorstellung unserer Objekte. Ob wir nun ein einzelnes Objekt betrachten oder mehrere, ob wir bei diesen Objekten verweilen oder uns anderen zuwenden, in welcher Weise und Reihenfolge wir sie auch überblicken mögen, die Tätigkeit des Geistes besteht letztlich in einem einfachen Vorstellen. Der einzige relevante Unterschied besteht hier darin, dass wir von der Wahrheit dessen, was wir uns vorstellen, überzeugt sind, sobald wir einer Vorstellung den Glauben (belief) hinzufügen. Und diese Tätigkeit des Geistes ist bislang von keinem Philosophen erklärt worden, weshalb ich mir die Freiheit nehme, eine eigene Hypothese vorzuschlagen, der zufolge der Glaube nichts weiter als eine starke und beständige Vorstellung einer Idee ist, so dass sie gewissermaßen einem unmittelbaren Eindruck angenähert wird. T 1.3.7.6, 97 Hier sind die Prämissen des Arguments, die zu diesem Schluss führen: Wenn wir die Existenz eines Objekts aus anderen ableiten, muss zumindest ein Objekt entweder dem Gedächtnis oder den Sinnen gegenwärtig sein, das die Grundlage unseres Gedankenganges abgeben muss, weil der Geist seinen Schlüssen nicht in infinitum hinterher laufen kann. Die Vernunft kann uns niemals davon überzeugen, dass die Existenz eines Objekts die Existenz eines anderen impliziert. Wenn wir vom Eindruck eines Objekts zu der Idee eines anderen Objekts oder zum Glauben daran übergehen, werden wir dabei nicht durch die Vernunft bestimmt, sondern durch die Gewohnheit oder durch eines der Assoziationsprinzipien.K57 Doch Glaube oder Überzeugung ist mehr als nur eine einfache Idee, nämlich eine bestimmte Weise, eine Idee zu bilden. Da ein und dieselbe Idee nur durch eine Abwandlung ihres Grades an Kraft und Lebendigkeit verändert werden kann, folgt schließlich, dass es sich bei einer Überzeugung um eine lebhafte Idee handelt, die durch die Relation zu einem gegenwärtigen Eindruck erzeugt wird, wie es die oben gegebene Definition formuliert. T 1.3.7.7 APP, 628 f. Die geistige Tätigkeit, die eine Überzeugung über Tatsachen hervorbringt, scheint bislang zu den größten Rätseln der Philosophie gehört zu haben und dennoch hat niemand auch nur vermutet, dass eine Erklärung schwer fallen könnte. Ich für mein Teil muss jedoch zugeben, dass ich den Fall für ziemlich schwierig halte. Sogar wenn ich das Thema vollkommen verstanden zu haben meine, fehlen mir die Worte, um mein Verständnis ausdrücken zu können. Ich schließe mittels einer mir sehr einleuchtend erscheinenden Herleitung, dass eine Meinung oder ein Glaube nichts weiter ist als eine Idee, die sich von
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einer Fiktion nicht in ihrer Natur oder durch die Ordnung ihrer Teile unterscheidet, sondern in der Vorstellungsweise. Wenn ich aber diese Vorstellungsweise erklären soll, finde ich kaum Worte, die die Sache völlig treffen. Vielmehr sehe ich mich gezwungen, auf das Gefühl eines jeden zu verweisen, um ihm einen vollständigen Begriff dieser Tätigkeit des Geistes zu geben. Eine Idee, der man seine Zustimmung gibt, fühlt sich für uns anders an, als eine fiktive, bloß in der Fantasie vorgestellte Idee. Und dieses Gefühl würde ich gerne dadurch erläutern, dass ich es größere Kraft oder Lebendigkeit oder Stabilität oder Festigkeit oder Stetigkeit nenne. Mit dieser so unphilosophisch anmutenden Vielzahl von Ausdrücken soll einfach der geistige Akt umschrieben werden, der Wirklichkeiten gegenwärtiger als Fiktionen macht, ihnen ein größeres Gewicht in unseren Gedanken verleiht, und einen stärkeren Einfluss auf die Leidenschaften und die Einbildung ausübt. Solange wir uns in der Sache einig sind, brauchen wir uns nicht über Worte zu streiten. Die Einbildungskraft herrscht über alle ihre Ideen, sie kann sie auf alle möglichen Arten verbinden, vermischen und verändern. Sie mag sich Objekte mitsamt ihren raum-zeitlichen Umständen vorstellen. Sie mag sie uns gleichsam in allen Farben vor Augen führen, genau so wie sie existiert haben. Doch da es unmöglich ist, dass dieses Vermögen von sich aus jemals zu so etwas wie Glauben führen kann, ist es offenkundig, dass der Glaube nichts mit der Beschaffenheit oder Reihenfolge unserer Ideen zu tun hat, sondern in der Vorstellungsweise besteht, d. h. darin, wie sie sich für den Geist anfühlen. Ich gebe zu, dass es nicht möglich ist, dieses Gefühl oder diese Vorstellungsweise vollkommen zu erklären. Wir können uns einfach der Worte bedienen, die es annäherungsweise ausdrücken. Der wahre und eigentliche Name jedoch ist Überzeugung – ein Ausdruck, der im Alltag von allen hinreichend gut verstanden wird. In der Philosophie können wir nicht mehr tun als festhalten, dass dasjenige, das die Ideen der Urteilskraft von den Fiktionen der Einbildungskraft unterscheidet, etwas ist, das der Geist fühlt. Dies verleiht ihnen mehr Kraft und Einfluss, lässt sie wichtiger erscheinen, prägt sie dem Geist ein, und macht sie zu den lenkenden Prinzipien unserer Handlungen. T 1.3.8.2, 98 f. Gerne möchte ich das folgende allgemeine PrinzipK58 in die Wissenschaft von der menschlichen Natur einführen: Wenn uns ein Eindruck gegenwärtig ist, dann lenkt er den Geist nicht nur auf Ideen, die mit ihm verbunden sind, sondern überträgt ihnen auch einen Anteil seiner Kraft und Lebendigkeit. Alle Tätigkeiten des Geistes hängen zu einem großen Teil von seinem Zustand bei ihrer Ausübung ab. Eine Handlung wird mehr oder weniger Energie und Lebendigkeit besitzen, je nachdem ob die
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LebensgeisterK59 mehr oder weniger erregt sind und die Aufmerksamkeit mehr oder weniger konzentriert ist. Wenn dem Geist also ein Objekt gegenwärtig ist, das sein Denken erregt und belebt, dann wird jede Handlung, die er sich vornimmt, kraftvoller und lebendiger ausfallen, so lange dieser Zustand bestehen bleibt. Es ist offensichtlich, dass die Dauer des Zustands allein von den Objekten abhängt, mit denen der Geist beschäftigt ist. Jedes neue Objekt gibt den Lebensgeistern eine neue Richtung und verändert den Gesamtzustand. Der Zustand ist demgegenüber von größerer Dauer, wenn sich der Geist fortwährend auf dasselbe Objekt konzentriert oder leicht und unmerklich zu untereinander verbundenen Objekten übergeht. Ist der Geist einmal durch einen gegenwärtigen Eindruck belebt worden, kann es also geschehen, dass er mit der Bildung einer lebendigeren Idee eines verbundenen Objekts fortfährt, und zwar durch einen natürlichen Übergang von einem in den nächsten Zustand. Der Wechsel des Objekts geschieht so leicht, dass der Geist ihn kaum bemerkt, sondern sich ganz der Vorstellung der verbundenen Idee widmet, und zwar mit all der Kraft und Lebendigkeit des gegenwärtigen Eindrucks. […]
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11.1 Einleitung 11.1.1 Kurzbiographie Thomas Reid wurde am 26. April 1710 im schottischen Dorf Strachan (Kincardineshire) als Sohn einer Pfarrersfamilie geboren und in der Schule der Kirchgemeinde erzogen. Von 1722–26 besuchte er das Marischal College in Aberdeen und wurde vom Philosophen George Turnbull unterrichtet, einem frühen Vertreter der Schottischen Aufklärung, der Reid Berkeleys Philosophie nahe brachte. Es folgte ein Theologiestudium am Marischal College, das Reid 1731 abschloss. Von 1733–36 fand Reid am College eine Stelle als Bibliothekar und studierte während dieser Zeit unter anderem die Werke Lockes und Newtons sowie mathematische Probleme. 1736 unternahm er mit dem Mathematiker John Stewart eine Reise durch England nach London, Cambridge und Oxford. Das Jahr darauf wurde er Vikar in New Machar. Obschon von der Gemeinde zunächst angefeindet, konnte Reid sie dennoch für sich gewinnen. 1740 reiste Reid nach London, um seine Cousine Elisabeth Reid zu heiraten. Dieser Ehe entstammten neun Kinder, die Reid jedoch alle überlebte, mit Ausnahme der Tochter Martha, die ihren betagten Vater nach dem Tod seiner Frau ab 1792 pflegte. Infolge der Lektüre der Werke von Francis Hutchinson und David Hume wandte sich Reid verstärkt der Philosophie zu und publizierte 1748 einen kurzen, viel beachteten Essay, in dem er Hutchinson kritisierte („An Essay on Quantity; Occasioned by Reading a Treatise in which Simple and Compound Ratios are Applied to Virtue and Merit“). 1751 wurde Reid Professor für Philosophie am Kings College (Old Aberdeen). Dort gründete er 1758 zusammen mit seinem Cousin John Gregory die „Aberdeen Philosophical Society“, in der Humes Treatise of Human Nature kritisch diskutiert wurde. In diesem Kreis stellte Reid erstmals seine Überlegungen zur Ideentheorie vor. Reid arbeitete an seinem
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ersten Werk, dem Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense (im Weiteren: Inquiry). 1762 legte er das Manuskript Hume vor. Es erschien zwei Jahre später 1764. Im selben Jahr wurde Reid Nachfolger von Adam Smith als Professor für Moralphilosophie an der Universität Glasgow. Stark von seiner Lehrtätigkeit in Anspruch genommen, publizierte Reid in dieser Zeit lediglich eine Studie zur aristotelischen Logik. Im gleichen Jahr wurde Reids Philosophie des Common Sense zum ersten Mal öffentlich attackiert, und zwar durch Joseph Priestley. 1780 zog sich Reid aus der Lehre zurück und überarbeitete seine Vorlesungsmanuskripte. Sie erschienen in Buchform als gesammelte Essays unter dem Titel Essays on the Intellectual Powers of Man (im Weiteren: Essays) im Jahr 1785 sowie als Essays on the Active Powers of Man (1788). In den 1790er Jahren verfasste Reid Aufsätze über Kraft, über die Gefahr politischer Neuerungen und begann mit einer Geschichte der Universität Glasgow. Er starb am 7. Oktober 1796 in Glasgow. Dugald Stewart verfasste 1803 die erste Biografie Reids. 1846 veröffentlichte Sir William Hamilton die meisten der publizierten Schriften Reids in einer Werkausgabe. 11.1.2 Der systematische Hintergrund: Kritik an der Ideentheorie Reid ist kein Vertreter, sondern ein Kritiker der Ideentheorie. In einem Brief vom 20. August 1790 gibt Reid selbst folgende Antwort auf die Frage, worin das Verdienst seiner Philosophie bestehe: Ich glaube, es besteht hauptsächlich darin, die weit verbreitete Theorie in Frage gestellt zu haben, dass Ideen oder geistige Bilder von Dingen [Images of things in the mind ] die einzigen Objekte des Denkens sind; diese Theorie gründet in natürlichen Vorurteilen und ist allgemein akzeptiert, weil sie in die Struktur der Sprache verwoben ist. […] Diese Entdeckung hat ihren Ursprung in der Zeit, nicht in meinem Genie; und Berkeley und Hume haben mehr dazu beigetragen, sie ans Tageslicht zu bringen, als der Mann [d. h. Thomas Reid ], der darauf gestoßen wurde.1
Reids heutige Verehrer betrachten diesen Brief als Ausdruck seiner Bescheidenheit, denn Reids philosophisches Verdienst bestehe nicht nur in 1
Von diesem oft zitierten Brief an James Gregory heißt es bisweilen, er sei undatiert (vgl. Reid 1983, xiii). Der Grund dafür ist, dass sein Abdruck in Reid 1983, 88 ohne Datumsangabe erfolgt und nach einem Werk von Dugald Stewart zitiert wird (Dissertation on the Progress of Metaphysical and Ethical Philosophy 1815 ff.). Merkwürdigerweise findet sich derselbe Brief in Reid 1983, 22 mit Datum abgedruckt, nämlich in Stewarts Biografie von Reid. In der Briefausgabe der Edinburgh Edition findet sich der Brief dann auch mit Datum wieder (vgl. Reid 2002, 10/11).
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der Destruktion der Ideentheorie, sondern vor allem in seiner Theorie des Common Sense.2 Die Gegner Reids betrachten die Rekonstruktion der verschiedenen Positionen seiner philosophischen Vorgänger als verfälschend und seine Kritik deswegen als verfehlt; sie glauben, dass seine Philosophie des Common Sense entsprechend auch die wichtigen philosophischen Probleme verfehle. Für das Verständnis von Reid sind beide Seiten gleichermaßen wichtig, denn er ist der Ansicht, dass die Philosophie des Common Sense nur dann auf Gehör hoffen kann, wenn der Irrweg der Ideentheorie aufgezeigt, verlassen und zugeschüttet worden ist. Wie immer man Reids Interpretation und Kritik seiner ideentheortischen Vorgänger beurteilen mag: Sie ist scharfsinnig, kühn und suggestiv. Zu Reids Leistung gehört es nämlich, die unterschiedlichen Theorien von Descartes bis Hume als Ausdruck einer einzigen Theorie – dem (wie er es nennt) „Ideal System“ – zu rekonstruieren, und zwar in der Form einer Menge geteilter Thesen. Freilich erweist sich Reids Rekonstruktion auch als Konstruktion, unterstellt er seinen Vorgängern doch bisweilen Thesen, die von diesen keineswegs tatsächlich vertreten werden. Die gesamte Ideentheorie beruht Reid zufolge auf einer Reihe unausgewiesener Thesen, die die Philosophen von Descartes bis Hume, wie er meint, teilen und deren wichtigste die folgende ist: Unmittelbarkeitsthese: Die einzigen unmittelbaren Objekte des Denkens sind Ideen.3
Die Unmittelbarkeitsthese postuliert Ideen, d. h. Entitäten, deren wir uns unmittelbar bewusst sind. Der Ideentheoretiker versteht Ideen deshalb als geistige Entitäten: Bewusstseinsthese: Ideen sind geistige Entitäten, deren Existenz wir uns unmittelbar bewusst und gewiss sind.4
Die einzigen unmittelbaren Objekte unseres Denkens sind, wie Reid sagt, „geistige Bilder“, d. h. Ideen und Eindrücke. Das unmittelbare Bewusstsein von Ideen impliziert, dass wir uns nicht über unsere Ideen, in-
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Vgl. Lehrer 1989, 8–10; Putnam 1989; Wolterstorff 2001. Die Unmittelbarkeitsthese zeigt sich Reid zufolge besonders deutlich zu Beginn des ersten Paragraphen von Berkeleys Principles: „Anyone who surveys the objects of human knowledge will easily see that they are all ideas […].“ (Principles I § 1; vgl. Essays 2.10, 282; vgl. Lehrer 1989, 7) Die Bewusstseinsthese findet sich Reid zufolge bei Hume deutlich ausgeprägt: „… the existences which we consider when we say this house, and that tree, are nothing but perceptions in the mind.“ (Enquiry 12.2; vgl. Essays 2.14, 302)
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sofern sie als unmittelbare Objekte des Denkens betrachtet werden, täuschen können. Als dritte These gesellt sich eine strenge epistemologische Anforderung an Wissen und Erkenntnis dazu: Deduktionsthese: Wissen kann allein aus Ideen und allein durch die Vernunft erschlossen werden.5
Das einzige Wissen, das wir als Fundament unserer übrigen Erkenntnisse zulassen dürfen, sind die Ideen, denn nur die unmittelbaren Objekte unseres Denkens sind unbezweifelbar und immun gegenüber Irrtümern. Unser Bewusstsein von Ideen bildet somit das Fundament unseres Wissens.6 Diese drei Thesen führen in den Skeptizismus, weil sie mit einer weiteren These verbunden sind: Vermittlungsthese: Wir haben Wissen von nicht-geistigen Objekten nur vermittelt über Ideen.7
Nicht-geistige Objekte, wie etwa gewöhnliche materielle Dinge der Außenwelt, werden vermittels Ideen repräsentiert. Ideentheoretiker vertreten deshalb Reid zufolge (wenn sie die Existenz materieller Objekte überhaupt zugestehen) einen Repräsentationalismus oder indirekten Realismus. Weil aber für den Ideentheoretiker allein die Ideen gewiss sind, bleibt an der Existenz der materiellen Dinge der Außenwelt von Anfang an ein Zweifel haften: Wir sind uns ihrer weniger gewiss als unserer Bewusstseinsinhalte, wir können den Sinnen, dem Gedächtnis, der Einbildung, dem Zeugnis anderer weniger trauen als der Vernunft. Was berechtigt uns überhaupt dazu, die Existenz von Ideen anzunehmen? Reid zufolge finden sich bei den Vertretern der Ideentheorie keine oder nur sehr schwache Argumente für die Existenz von Ideen 5 6
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Vgl. mit Bezug auf Descartes Inquiry 7.3, 206. Reid zufolge gehen die Deduktions- und die Bewusstseinsthese Hand in Hand: „Das neue System [die Ideentheorie], lässt nur ein einziges der Prinzipien des Common Sense als erstes Prinzip zu, und behauptet durch strenge Argumentation den ganzen Rest aus ihm deduzieren zu können. Dass unsere Gedanken, unsere Empfindungen [sensations], und alles, dessen wir uns bewusst sind, reale Existenz hat, wird von diesem System als erstes Prinzip zugestanden, doch alles Weitere muss seine Evidenz durch das Licht der Vernunft erhalten. Die Vernunft muss das ganze Wissensgebäude auf diesem einen Bewusstseinsprinzip errichten.“ (Inquiry 7.3, 206) Die Vermittlungsthese findet sich Reid zufolge bei Locke deutlich ausgeprägt: „It is evident the mind knows not things immediately, but only by the intervention of the ideas it has of them.“ (Essay 4.4.3; vgl. Essays 2.9, 275)
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(Essays 2.14, 302 ff.). Die Annahme einer Existenz von Ideen ist also eine bloße Hypothese. Was soll sie erklären? Reid zufolge ist die Hypothese unter anderem ursprünglich entstanden, um den Prozess, der zu visuellen Wahrnehmungen führt, als kausalen Prozess zu erklären: Körper reflektieren Licht, das unsere Augen affiziert, und diese Affektion wird durch das Hirn verarbeitet. Das Resultat dieses Prozesses ist eine Wahrnehmung, d.h eine Idee. Doch wenn uns als direkte Objekte einzig und allein Ideen gegeben sind, können wir aus eben diesem Grunde nicht mehr verstehen, wie dieses Resultat zustande kommen kann. Auch können Ideen als die einzigen unmittelbaren Objekte unserer Gedanken nicht erklären, wie Überzeugungen über Gegenstände in der Außenwelt hervorgebracht werden. Somit weist die Ideentheorie zwei wesentliche Defekte auf: „Weder haben wir irgendeinen Beleg [evidence] für ihre Existenz, noch kann, falls sie [Ideen] existieren, gezeigt werden, wie sie zur Entstehung der Wahrnehmung beitragen.“ (Essays 2.20, 326). Reid liebte es, folgende Geschichte zu erzählen: Ein indischer Philosoph, der nicht wusste, worauf die Erde ruht, erfand die Hypothese von einem riesigen Elefanten, der die Erde trägt. „Jede philosophische Theorie, die auf einer bloßen Vermutung beruht, ist ein Elefant“ (Inquiry 6.19, 180; vgl. Essays 1.3 u. Locke, Essay II, xxiii, § 2). Für Reid sind Ideen Elefanten, „bloße Fiktionen von Philosophen“ (Essays 1.10, 226), die wir fallen lassen sollten, weil sie nichts tragen. 11.1.3 Die ausgewählten Passagen: Leitfragen und ihre Antworten Reid ist, wie erwähnt, nicht Vertreter, sondern Kritiker der Ideentheorie. Entsprechend sind die Passagen aus dem Inquiry und den Essays so ausgewählt, dass sie auf die folgenden systematischen Leitfragen als Fragen an die allen Vertretern der Ideentheorie gemeinsame Hintergrundtheorie Aufschluss geben: a) Was sind Ideen? In der von Reid als paradigmatisch aufgefassten Ideentheorie sind Ideen die unmittelbaren Bezugsobjekte aller geistigen Vorgänge. Sie fungieren als unmittelbar bewusste epistemische Mittler zwischen dem Subjekt dieser geistigen Vorgänge und den Gegenständen, auf die es sich bloß vermittelt bezieht oder zu beziehen meint (Z. 574 ff., Z. 831 ff., Z. 749 ff.). Ideen sollen den Gegenständen ähnlich sein, auf die wir uns vermittels ihrer beziehen (Z. 327 ff.).
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In Reids eigener Konzeption ist der Bezug geistiger Zustände auf ihre Gegenstände hingegen grundsätzlich unmittelbar (Z. 891ff.). Geistige Zustände sind primär geistige Aktivitäten und können allein deshalb nicht die Rolle vermittelnder Objekte des Geistes übernehmen. b) Welche Arten von Ideen gibt es? Da gemäß der klassischen Ideentheorie laut Reid jeder geistige Vorgang eine Idee zum Gegenstand hat, gibt es nach dieser von ihm kritisierten Theorie im Prinzip ebenso viele Arten von Ideen wie Arten geistiger Vorgänge. Doch diese Unterschiede zwischen verschiedenen Arten geistiger Vorgänge müssen bloß oberflächlich bleiben. Ein Grundfehler der Ideentheorie besteht seines Erachtens gerade darin, die grundsätzliche Verschiedenheit geistiger Vorgänge wie beispielsweise Erinnerung und Wahrnehmung zu vernachlässigen, indem alle geistigen Vorgänge auf die Perzeption von Ideen reduziert werden. c) Wie entstehen Ideen? Ideen werden entweder von äußeren Gegenständen hervorgerufen oder durch Erinnerung wieder vergegenwärtigt oder vermittels der Einbildungskraft auf der Basis der Bestandteile anderer Ideen gebildet, die für diese fiktiven Ideen das Material liefern. In Reids eigener Konzeption werden Vorstellungen (conceptions), die Bestandteil jedes geistigen Vorgangs sind, in ganz ähnlicher Weise klassifiziert. Da Vorstellungen allerdings keine Objekte geistiger Zustände sind, sondern diese Zustände oder besser: Vorgänge selbst, berührt diese oberflächliche Ähnlichkeit nicht den Kern seiner eigenen Theorie. d) Was erklären Ideen? Dem Anspruch der klassischen Ideentheorien zufolge erklären Ideen die Möglichkeit, sich auch dann geistig auf Gegenstände zu beziehen, wenn diese dem denkenden Subjekt nicht selbst gegenwärtig sind – etwa weil sie zu weit entfernt sind, in der Vergangenheit oder Zukunft liegen oder weil sie bloß fiktional sind. In diesem Fall fungieren Ideen sozusagen als epistemische Substitute, die eine misslungene oder bloß scheinbare Bezugnahme auf äußere Gegenstände durch eine gelungene Bezugnahme auf ein inneres Objekt, die Idee, erst möglich machen (Z. 839 ff.). Reid weist diese Erklärungsleistung als überflüssig zurück. Da sich, bei Beachtung der genannten Verschiedenheit der grundlegenden Operationen des Geistes, für den Bezug auf Abwesendes oder Nicht-Existie-
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rendes ebenso alternative Erklärungen finden lassen, die nur auf das Bezug nehmen, was uns in unserem geistigen Leben tatsächlich bewusst ist, bleibt die Ideentheorie seiner Auffassung zufolge eine überflüssige und unbestätigte Hypothese (Z. 913 ff.). 11.1.4 Editorische Vorbemerkungen Die Textgrundlage für die Textpassagen aus dem Inquiry und den Essays bildet die alte Standardausgabe von Hamilton, nach der nach wie vor in den meisten Werken über Reid zitiert wird.8 Von keinem der Werke Reids existiert eine greifbare deutsche Übersetzung. Aus diesem Grund wurden alle ausgewählten Textpassagen neu übersetzt. Der Inquiry besteht aus sieben Kapiteln. Nach der Einleitung, die die Grundstruktur der Ideentheorie skizziert, analysiert Reid in je einem Kapitel die fünf Sinne (in der Reihenfolge: Geruchs-, Geschmacks-, Hör-, Tast- und Sehsinn). Anschließend wird im Schlusskapitel die Ideentheorie kritisiert. Die mehr als doppelt so langen Essays handeln, nach einem methodologischen ersten Essay, in sieben weiteren Essays von den kognitiven Vermögen des Menschen (intellectual powers of man), namentlich: Sinne, Gedächtnis, Vorstellung (conception), Abstraktionsvermögen, Urteilskraft, Vernunft und Geschmack (taste). Vor allem der zweite Teil über die äußeren Sinne enthält detaillierte und ausführliche Kritiken an einzelnen Vertretern der Ideentheorie. Der vierte Essay über die Vorstellung enthält wichtige systematische Argumente gegen die Ideentheorie generell. Der sechste Essay über die Urteilskraft beinhaltet Reids abschließende Diskussion des Common Sense und die Auflistung der Prinzipien des Common Sense. Da Reid hier vor allem als Kritiker der Ideentheorie zu Wort kommen soll, konzentriert sich die Textauswahl auf entsprechende Passagen und ignoriert weitgehend Reids positive Theoriebildung. Der Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense wird unter Angabe von Inquiry Kapitel, Abschnitt zitiert. So wird beispielsweise der vierte Abschnitt des fünften Kapitels wie folgt abgekürzt: Inquiry 5.4. Die Essays on the Intellectual Powers of Man werden unter Angabe von Essays, gefolgt vom jeweiligen Abschnitt zitiert (Beispiel: 8
Reid 1983. Die entsprechenden Bände der neuen Edinburgh Edition of Thomas Reid sind im Begriff die Ausgabe von Hamilton abzulösen, vgl. Reid 1995 ff., 1997, 2002.
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Essays 2.19). Den Stellenangaben in der Textauswahl werden die Seitenzahlen der älteren Ausgabe Hamiltons hinzugefügt. Dies erlaubt es, die Stellen in der älteren Ausgabe leicht zu finden und sich in der Forschungsliteratur zu orientieren.
11.2 Zentrale Passagen zu Reids Kritik an der Ideentheorie 11.2.1 Auszüge aus An Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense / Eine Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Prinzipien des Common Sense (1769) (zitiert als: Inquiry) 5
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1.1. Zur Bedeutung des Themas und den Mitteln, mit denen es zu untersuchen ist Die Struktur des menschlichen Geistes ist, ebenso wie die des menschlichen Körpers, bemerkenswert und wunderbar. Die Fähigkeiten des einen sind nicht mit weniger Weisheit an ihre einzelnen Zwecke angepasst als die Organe des anderen. Da nun der Geist ein edleres Werk ist als der Körper und einer höheren Ordnung zugehört, kann man vernünftigerweise annehmen, dass der göttliche Architekt noch mehr Weisheit und Können auf seinen Bau verwandt hat. Er ist daher ein Untersuchungsgegenstand, der es nur schon für sich allein genommen äußerst wert ist untersucht zu werden, doch um so mehr aufgrund seines großen Einflusses, den das Wissen um ihn auf jeden anderen Wissenschaftszweig hat. […] Vermutungen und Theorien sind Menschenwerk, und wir werden immer feststellen, dass sie Gottes Schöpfungen sehr unähnlich sind. Wollen wir Gottes Werke verstehen, müssen wir sie selbst aufmerksam und demütig betrachten, ohne es zu wagen, ihren Äußerungen etwas Eigenes hinzuzufügen. Eine angemessene Deutung der Natur ist die einzige stichhaltige und richtige Philosophie: was immer wir selbst hinzufügen ist unecht und ohne jede Autorität. All unsere bemerkenswerten Theorien über die Erschaffung der Welt, die Zeugung der Lebewesen und den Ursprung natürlicher und moralischer Übel sind, sobald sie über eine angemessene Induktion aus Tatsachen hinausgehen, nichts als Eitelkeit und Wahn, genauso wie die Wirbel des Herrn Descartes oder der Archäus des Paracelsus.K1 Vielleicht wurde die Philosophie des Geistes im gleichen Maß mit Theorien misshandelt wie die Naturphilosophie. Die Ideentheorie ist tatsächlich sehr alt und allgemein anerkannt worden.K2 Aber keine solche Ehrung kann ihr Glaubwürdigkeit verleihen und darf sie gegen eine unabhängige und
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sorgfältige Untersuchung abschirmen. Insbesondere gilt das für unsere Zeit, in der sie ein System des Skeptizismus hervorgebracht hat, das scheinbar über alle Wissenschaften triumphiert, sogar über die Regeln des Common Sense.K3 Was wir über den Körper wissen, schulden wir anatomischen Untersuchungen und Beobachtungen, und nur durch eine Anatomie des GeistesK4 können wir seine Vermögen und Grundsätze entdecken. 1.2. Die Hindernisse für unser Wissen vom Geist […] Die Sprache der Philosophen für die ursprünglichen Fähigkeiten des Geistes ist dem vorherrschenden [Ideen-]SystemK5 derart angepasst, dass sie zu keinem anderen passen kann – so wie der Mantel, der dem Mann passt, für den er gemacht wurde, und ihn vorteilhaft aussehen lässt, bei einem anders gebauten, vielleicht ebenso gutaussehenden und wohlproportionierten Mann, sehr unvorteilhaft sitzen würde. Es ist kaum möglich, irgendeine Erneuerung in der Philosophie des Geistes und seiner Tätigkeiten zu erreichen, ohne dabei neue Wörter und Wendungen zu gebrauchen oder den altbekannten neue Bedeutung zu verleihen. Dies ist eine Freiheit, die, selbst wenn sie notwendig ist, Vorurteile und Fehldeutungen hervorruft. Erst die Zeit wird sie festigen und ihr Autorität verleihen. Denn sprachliche Neuerungen werden, ebenso wie Neuerungen in Religion und Regierung, immer mit Misstrauen betrachtet und von der Mehrheit abgelehnt, bis der Gebrauch sie vertraut gemacht hat. […] Das Genie, nicht sein Mangel, verdirbt die Philosophie und füllt sie an mit Fehlern und falschen Theorien. Ein kreatives Vorstellungsvermögen missachtet geringe Aufgaben wie das Graben nach Grundlagen, das Wegräumen von Schutt und das Zusammentragen von Materialien. Es überlässt diese niedrigen Arbeiten den Lasteseln der Wissenschaften und macht stattdessen Entwürfe oder errichtet Gebäude. Die Erfindungsgabe stellt Materialien zur Verfügung, wo sie fehlen, die Fantasie füllt sie mit Farbe aus und allerlei passendem Schmuck. Das Werk erfreut das Auge und lässt nichts vermissen, außer Solidität und Fundierung. Es scheint selbst mit den Werken der Natur zu wetteifern, bis ein erfolgreicherer Architekt es in Schutt legt und durch einen eigenen ebenso guten Entwurf ersetzt. Es ist ein Glück unserer Zeit, dass die Schlösserbauer sich mehr mit Romanzen als mit Philosophie beschäftigen. Dies ist zweifelsohne ihr Gebiet, und in diesem Bereich sind die Ausgeburten der Fantasie angebracht, aber in der Philosophie sind sie fehl am Platze.
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1.3. Der gegenwärtige Zustand dieses Gebiets der Philosophie. Von Descartes, Malebranche und Locke Dass unsere Philosophie des Geistes und seiner Fähigkeiten sich in einem noch sehr unentwickelten Zustand befindet, dürfen selbst diejenigen, die sie niemals genauer untersucht haben, nicht ohne Grund vermuten. Gibt es irgendwelche Prinzipien in Hinblick auf den Geist, die über eine Klarheit und Beweiskraft verfügen, ähnlich den Prinzipien der Mechanik, Astronomie und Optik? Dies sind wahre Wissenschaften, sie basieren auf allgemein gültigen Naturgesetzen. Ihre Entdeckungen werden nicht mehr debattiert; die Zukunft mag einiges ergänzen, doch solange der Lauf der Natur sich nicht ändert, kann das bereits Bewiesene nicht mehr umgestürzt werden. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit aber nach innen lenken und die Phänomene des menschlichen Denkens, Meinens und Wahrnehmens betrachten und danach versuchen, sie auf die allgemeinen Gesetze und ersten Prinzipien unserer Beschaffenheit zurückzuführen, befinden wir uns sofort in Dunkelheit und Verwirrung. Und wenn der Common Sense und die Grundlagen unserer Bildung für einmal nicht stur genug sind, enden wir merkwürdigerweise im absoluten Skeptizismus.K6 Descartes fand in diesem Teil der Philosophie nichts bewiesen und beschloss deshalb, um ihr ein sicheres Fundament zu verschaffen, nicht einmal an seine eigene Existenz zu glauben, bis er in der Lage wäre, einen guten Grund dafür anzugeben. Er war vielleicht der erste, der einen solchen Entschluss gefasst hat, doch wenn er diesen Zweck tatsächlich erreicht hätte und gegenüber seiner Existenz misstrauisch geworden wäre, so wäre er zu bedauern gewesen und weder Vernunft noch Philosophie hätten ihm helfen können. Mit einem Mann, der nicht an seine eigene Existenz glaubt, kann man gewiss ebenso wenig vernünftig reden wie mit einem Mann, der glaubt er sei aus Glas.K7 Es mag Erkrankungen in der Beschaffenheit des Menschen geben, die solche Extravaganzen hervorbringen, aber durch vernünftige Überlegung wird man diese niemals heilen können. Descartes wollte uns tatsächlich glauben machen, dass er diesem Delirium mittels seines logischen Arguments Cogito ergo sum entkommt. Es ist aber offensichtlich, dass er allzeit bei Sinnen war und seine Existenz niemals ernstlich anzweifelte. Denn er setzt sie in diesem Argument voraus und beweist rein gar nichts. Ich denke, sagt er, also bin ich: Ist es nicht eine ebenso stichhaltige Überlegung wie zu sagen „Ich schlafe, also bin ich“ oder „Ich tue nichts, also bin ich“?K8 Wenn ein Körper sich bewegt muss er zweifellos existieren, wenn er sich aber in Ruhe befindet ebenso. Vielleicht hat Descartes seine eigene Existenz in diesem EnthymemK9 nicht absichtlich vorausgesetzt, sondern nur die Existenz des Denkens
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und davon die Existenz eines Geistes oder denkenden Subjekts abgeleitet. Warum aber hat er nicht die Existenz seines eigenen Denkens bewiesen? Das Bewusstsein, mag man sagen, bürgt dafür. Aber was beweist das Bewusstsein? Kann irgendjemand beweisen, dass sein Bewusstsein ihn nicht täuscht? Niemand kann das. Auch können wir keinen besseren Grund nennen ihm zu vertrauen, als dass jedermann, der bei gutem Verstand ist, von Natur aus dazu bestimmt ist, ihm unmittelbar zu glauben, und jeden, der sein Zeugnis anzweifelt, auszulachen oder zu bedauern. Und ist nicht jedermann, der bei Sinnen ist, ebenso entschlossen, auf seine Existenz zu vertrauen wie auf sein Bewusstsein? Die zweite Proposition, die in diesem Argument angenommen wird, dass Denken nicht ohne einen Geist oder ein Subjekt existieren kann, unterliegt demselben Einwand: nicht dass es einen Beweis verlangt, sondern, dass sein Beweis nicht klarer und nicht unmittelbarer ist als die Proposition, die durch ihn bewiesen werden soll. Und würde nicht jeder besonnene Mensch, der all diese Behauptungen zusammen betrachtet (ich denke; ich bin meiner bewusst; alles, was denkt, existiert; ich existiere) sich dieselbe Meinung über jemanden bilden, der ernstlich eine von ihnen anzweifelt? Und wenn er sein Freund wäre, würde er sich nicht eher von der ärztlichen Kunst und einer guten Ernährung Heilung für ihn erhoffen als von Metaphysik und Logik? Wenn ich es aber als bewiesen annehme, dass mein Denken und mein Bewusstsein ein Subjekt haben müssen, und folglich, dass ich existiere, wie weiß ich dann, dass der gesamte Ablauf und das Aufeinanderfolgen von Gedanken, derer ich mich erinnere, zu einem Subjekt gehören, und dass das Ich dieses Augenblicks genau das individuelle Ich vom Vortag und von vergangenen Zeiten ist? Descartes hielt es nicht für angemessen, solche Zweifel aufzuwerfen; aber Locke hat dies getan, und um sie aufzulösen legt er ernsthaft fest, dass die persönliche Identität im Bewusstsein besteht.K10 Das bedeutet, wenn man sich bewusst ist, irgendeine Sache vor zwölf Monaten getan zu haben, bewirkt dieses Bewusstsein, dass man ebendiese Person ist, die es getan hat. Nun kann das Bewusstsein von etwas Vergangenem nur die Erinnerung daran sein, dass ich es getan habe. So muss Lockes Prinzip lauten, dass die Identität in der Erinnerung besteht. Folglich muss ein Mensch mit allem, was er vergisst, seine persönliche Identität verlieren. Dies sind keineswegs die einzigen Beispiele, die zeigen, wie fruchtbar unsere Philosophie des Geistes zwar im Hervorbringen von Zweifeln ist, wie ungeschickt aber in ihrer Auflösung.
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Descartes, Malebranche und Locke haben ihr Genie und Können darauf verwandt, die Existenz der materiellen Welt zu beweisen – mit wenig Erfolg. Die armen, ungelehrten Sterblichen glauben, dass es eine Sonne, einen Mond und Sterne, eine Erde, auf der wir leben, Land, Freunde und Verwandte, derer wir uns erfreuen, einen Boden, Haus und Mobiliar, das wir besitzen, gibt, ohne zu zweifeln. Aber die Philosophen bemitleiden die Masse wegen ihrer Leichtgläubigkeit und entschließen sich dazu, an nichts zu glauben als an das, was auf der Vernunft gründet. Sie berufen sich auf die Philosophie, die sie mit Gründen für den Glauben an diese Dinge ausstatten soll, die die ganze Menschheit immer schon geglaubt hat, ohne auch nur einen Grund dafür angeben zu können. Gewiss würde man erwarten, dass bei Fragen von solcher Wichtigkeit der Beweis nicht schwierig zu erbringen sein sollte: und doch ist es das Schwierigste auf der Welt. Denn diese drei großen Männer waren beim besten Willen nicht in der Lage, aus dem gesamten Schatz der Philosophie auch nur ein Argument heranzuziehen, das dazu geeignet wäre, einen denkenden Menschen von der Existenz irgendeines Dinges außerhalb seiner selbst zu überzeugen. Bewunderte Philosophie! Tochter des Lichts! Mutter von Weisheit und Wissen! Wenn Du das doch nur wärst! Gewiss bist Du noch nicht im menschlichen Geist erstanden, noch hast Du uns gerade mit so vielen Deiner Strahlen gesegnet als notwendig sind, eine sichtbare Dunkelheit über die menschlichen Fähigkeiten zu ergießen und die Ruhe und Sicherheit zu stören, die jene glücklicheren Sterbliche genießen, die sich niemals Deinem Altar genähert, niemals Deinen Einfluss gespürt haben! Doch wenn Du tatsächlich nicht die Macht hast, diese Wolken und Phantome zu vertreiben, die Du entdeckt oder geschaffen hast, ziehe diesen kargen und tückischen Strahl zurück. Ich verachte die Philosophie und verzichte auf ihre Führung; lass meine Seele beim Common Sense wohnen.K11 […] 1.7. All diese Autoren haben dasselbe System, das zum Skeptizismus führt Was aber, wenn diese gründlichen Untersuchungen der ersten Prinzipien der menschlichen Natur den Menschen ganz von selbst und notwendigerweise in den Abgrund des Skeptizismus stoßen? Können wir das nicht aus dem Geschehenen schließen? Descartes hat erst begonnen in dieser Mine zu graben, als der Skeptizismus schon soweit war über ihn hereinzubrechen. Er tat, was er konnte, um ihn auszusperren. Malebranche und Locke, die noch tiefer gruben, fanden, dass die Schwierigkeit, diesen Feind draußen zu halten, noch steigt, mühten sich aber redlich
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daran. Dann besann sich Berkeley, der die Arbeit fortsetzte und daran verzweifelte alles zu sichern, auf ein Hilfsmittel. Er ließ die materielle Welt fahren, von der er dachte, dass man auf sie ohne Verlust, ja sogar mit Vorteil, verzichten könne. Er hoffte durch eine undurchdringbare Trennwand die geistige Welt zu retten. Doch, ach! Der Traktat über die menschliche Natur riss die Trennwand mutwillig ein und ertränkte alles in einer allgemeinen Flut. Diese unbestreitbaren Tatsachen geben uns tatsächlich Grund zu der Annahme, dass Descartes’ System des menschlichen Verstandes, das ich als Ideentheorie bezeichnen möchte, und das mit einigen Verbesserungen späterer Autoren heute allgemein akzeptiert ist, von Anfang an einen Fehler aufweist, nämlich dass der Skeptizismus in ihm angelegt ist und mit ihm wächst. Wir müssen es daher bis zu seinem Fundament offen legen und die Materialien untersuchen, bevor wir hoffen können, irgendein solides und nützliches Gebäude des Wissens über den menschlichen Verstand errichten zu können. 1.8. Wir sollen nicht um etwas Besseres verzweifeln Ist das aber ein Grund zu verzweifeln, dass Descartes und seine Anhänger versagt haben? Keineswegs. Diese Verzagtheit würde uns und der Wahrheit schaden. Nützliche Entdeckungen sind bisweilen tatsächlich das Ergebnis von überragenden Genies, aber häufiger gehen sie aus Zeit und Zufall hervor. Ein Reisender mit gutem Urteilsvermögen mag vielleicht den falschen Weg einschlagen und ohne es zu merken einem falschen Pfad folgen; und während die Straße offen vor ihm liegt, wird er ohne einen Verdacht zu hegen weitergehen. Andere mögen ihm folgen, wenn er aber in einer Kohlengrube endet, bedarf es keines großen Urteilsvermögens um zu bemerken, dass er fehl gegangen ist, noch um herauszufinden, was ihn in die Irre geführt hat. In der Zwischenzeit hat der unglückliche Zustand dieses Bereichs der Philosophie eine Wirkung hervorgebracht, die in gewisser Weise jeden Versuch in diese Richtung entmutigt, eine Wirkung aber, die man erwarten könnte und die nur die Zeit und ein besserer Erfolg beheben können. Vernünftige Männer, die niemals Skeptiker in Fragen des Alltagslebens sein werden, behandeln zurecht alles, was zu diesem Thema gesagt wurde oder gesagt werden soll, mit herablassender Verachtung. Das ist Metaphysik, sagen sie, wen kümmert das? Lass die scholastischen Sophisten sich in ihren eigenen Spinnweben verfangen; ich bin entschlossen, auf meine Existenz wie auch auf die Existenz anderer Dinge zu vertrauen und zu glauben, dass der Schnee kalt und Honig süß ist, was auch
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immer Gegenteiliges gesagt werden mag. Wer mich davon überzeugen will, von meinem Verstand und meinen Sinnen abzugehen, muss entweder ein Narr sein oder will mich zum Narren halten. Ich muss gestehen, dass ich nicht weiß, was ein Skeptiker darauf antworten kann, noch durch welches gute Argument er sich Gehör schaffen könnte; denn entweder sind seine Überlegungen Sophisterei und verdienen daher Verachtung oder die Vermögen der Menschen erreichen keine Wahrheit. Und wieso sollten wir dann überhaupt nachdenken? Wenn sich ein Mensch daher in diesen metaphysischen Bemühungen verfangen hat und keinen anderen Ausweg finden kann, gestatten wir ihm den Knoten, den er nicht lösen kann, mutig zu durchschneiden, die Metaphysik zu verfluchen und jedermann davon abzubringen sich mit ihr einzulassen. Denn wenn ich mich von einem Irrlicht in Sumpf und Morast habe führen lassen, was kann ich besseres tun als andere davor zu warnen? Wenn die Philosophie sich selbst widerspricht, ihre Verehrer zum Narren hält und ihnen alles nimmt, wonach zu streben und woran zu freuen sich lohnt, soll sie zurückgejagt werden in die höllischen Regionen, denen sie entsprungen sein muss. Aber ist es denn sicher, dass diese schöne Dame zur falschen Partei gehört? Ist es nicht möglich, dass man sie falsch dargestellt hat? Haben nicht in früheren Zeiten geniale Männer häufig ihre eigenen Träume als Weissagungen der Philosophie gelten lassen? Sollen wir sie ohne eine weitere Anhörung verurteilen? Das wäre unvernünftig. In allen anderen Fragen habe ich sie als angenehme Gefährtin erlebt, als treue Ratgeberin, als Freundin des Common Sense und des Glückes der Menschheit. Dies empfiehlt sie zurecht als meine Korrespondentin und Vertraute, bis ich untrügliche Beweise für ihre Untreue finde. […] 5. Über den Tastsinn […]
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5.7. Über die Existenz der materiellen Welt Es übersteigt unsere Kräfte zu erklären, wann oder in welcher Reihenfolge wir unsere Begriffe (notions) für die [primären] Qualitäten erworben haben. Verfolgen wir nämlich unsere geistigen Tätigkeiten so weit zurück wie unsere Erinnerung reicht und die Überlegung uns führt, so finden wir sie immer schon im Besitz unseres Einbildungsvermögens und unserer Überzeugungen und dem Geist durchaus vertraut. Doch wie wir sie ursprünglich kennen gelernt haben, warum sie unsere Überzeugungen so stark beeinflussen und welche Achtung wir ihnen erweisen soll-
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ten, dies sind zweifellos wichtige Fragen für eine Philosophie der menschlichen Natur. Sollen wir ihnen [den primären Qualitäten], wie der Bischof von Cloyne [Berkeley], ein Quo warranto K12 zukommen lassen und sie zur Prüfung ihrer Rechtstitel gegenüber den Satzungen der Ideentheorie (ideal system) vor die Schranken der Philosophie fordern? Tatsächlich sind sie aus diesem Prozess recht kläglich hervor gegangen. Obschon ihnen fähige und im Recht bewanderte Verteidiger wie Descartes, Malebranche und Locke zur Seite standen, die alles ihnen Mögliche zu Gunsten ihrer Klienten hervorgebracht haben, hat sie der Bischof von Cloyne auf das Schärfste verfolgt, sie als Helfershelfer der Häresie und der Spalterei betrachtet, alles widerlegt, was zu ihrer Verteidigung vorgebracht worden ist, und ihre fähigsten Anwälte zum Schweigen gebracht. Diese haben seit einem halben Jahrhundert den Fall scheinbar aufgegeben und hoffen nun eher auf die Gunst des Gerichts als auf die Kraft ihrer Plädoyers. So werden die Weisheit der Philosophie und der Common Sense der Menschheit einander gegenüber gestellt. Die Philosophie gibt vor, a priori zu beweisen, dass es keine materielle Welt geben kann, dass Sonne, Mond, Sterne und Erde, Pflanzen und Tiere nichts anderes sind und sein können als Empfindungen (sensations) im Geist oder Bilder dieser Empfindungen in Gedächtnis und Einbildungskraft; diesen Dingen komme wie Lust und Leid keine Existenz zu, wenn niemand an sie denkt. Der Common Sense kann in dieser Meinung nichts weiter sehen als eine Art metaphysischen Wahnsinn und kommt zu dem Ergebnis, dass zu viel Gelehrsamkeit den Menschen verrückt machen kann: Ein Mensch, der diese Meinung ernsthaft vertritt, mag ansonsten ein guter Mensch sein, ebenso wie jemand, der meint, er sei aus Glas; er hat aber mit Sicherheit eine weiche Stelle im Verstand und durch zu vieles Nachdenken Schaden genommen. Der Gegensatz zwischen Philosophie und Common Sense hat traurige Auswirkungen auf den Philosophen. Er sieht die menschliche Natur in einem sonderbaren, unliebenswürdigen und demütigenden Licht. Er betrachtet sich selbst und sein ganzes Geschlecht als dazu verdammt, zehntausende Absurditäten und Widersprüche zu glauben, und sieht die Vernunft als Almosen, das gerade noch für diese traurige Entdeckung ausreicht. Dies ist die ganze Frucht seiner tiefschürfenden Spekulationen. Ein solches Verständnis der menschlichen Natur lässt die Spannung der Seele erlahmen, setzt jedes edle Vorhaben und Gefühl außer Kraft und breitet melancholische Düsternis über das Antlitz der Dinge.
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Wenn das Weisheit ist, möchte ich lieber mit der Masse betrogen werden. Ich finde etwas in mir, das davor zurückschreckt und mir ehrfürchtigere Empfindungen gegenüber dem Menschengeschlecht und der Lenkung der Welt einflößt. Der Common Sense und die Vernunft haben den gleichen Urheber, nämlich den allmächtigen Schöpfer, in dessen übrigen Werken wir sonst eine Beständigkeit, Einheit und Schönheit wahrnehmen, die den Verstand verzaubern und beglücken. Ebenso wie in diesen Bereichen seiner Kunstfertigkeit muss es daher auch in den Vermögen des Menschen Ordnung und Beständigkeit geben. Ein Mensch, der mit Ehrfurcht von seinesgleichen denkt und wahre Weisheit und wahre Philosophie wertschätzt, wird solchen merkwürdigen und paradoxen Meinungen nicht anhängen, er wird ihnen gegenüber vielmehr äußerst argwöhnisch sein. Sind sie falsch, entweihen sie die Philosophie, sind sie aber wahr, erniedrigen sie das Menschengeschlecht und erfüllen uns mit berechtigter Scham über unseren Zustand. Zu welchem Zweck richtet sich die Philosophie gegen den Common Sense in dieser oder in irgendeiner anderen Angelegenheit? Der Glaube an die materielle Welt ist älter als die Philosophie und verfügt über größere Autorität. Er verweigert sich dem Gerichtshof der Vernunft und belächelt die Geschütze des Logikers. Er behält seine souveräne Autorität trotz aller philosophischen Erlasse, sogar die Vernunft muss sich seinen Befehlen beugen. Sogar jene Philosophen, die unsere Begriffe einer äußeren, materiellen Welt ihrer Autorität beraubt haben, geben zu, dass sie sich ihrer Macht ergeben müssen. Mir scheint es deshalb besser, aus der Not eine Tugend zu machen und uns mit dem gewöhnlichen Begriff einer äußeren Welt und dem Glauben an sie auszusöhnen, da wir uns doch nicht von ihm befreien können: Denn so sehr sich die Vernunft auch unter diesem Joch dreht und windet, sie kann es nicht abwerfen. Lehnt sie es ab, die Dienerin des Common Sense zu sein, wird sie zu seiner Sklavin. Um nun die Vernunft und den Common Sense in dieser Sache auszusöhnen, möchte ich den Philosophen die folgenden beiden Überlegungen zur geneigten Prüfung unterbreiten. Erstens: In allen Debatten über die Existenz der materiellen Welt wurde von beiden Seiten angenommen, dass ebenjene materielle Welt, falls es sie gibt, das exakte Gegenbild unserer Empfindungen sein muss; dass wir keine Vorstellung irgendeines materiellen Gegenstands haben können, der keiner geistigen Empfindung gleicht; und dass insbesondere die Tastempfindungen Bilder von Ausdehnung, Härte, Form und Bewegung sind.K13 Jedes gegen die Existenz einer materiellen Welt gerichtete Argument, sei es vom Bischof
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von Cloyne oder vom Verfasser des Traktats über die menschliche Natur, setzt dies voraus. Trifft diese Voraussetzung zu, so sind ihre Argumente tatsächlich überzeugend und einwandfrei, andernfalls aber bleibt auch nicht der Schatten eines Arguments zurück. Haben diese Philosophen nun einen gültigen Beweis für diese Hypothese erbracht, auf der das ganze Gewicht ihres merkwürdigen Systems ruht? Nein. Sie haben es nicht einmal probiert. Sie haben sie gelten lassen, weil sowohl die antiken als auch die modernen Philosophen dieser Ansicht zustimmen. Lassen wir aber nun, wie es Philosophen geziemt, die Autoritäten beiseite! Wir müssen sicher keinen Aristoteles und keinen Locke zu Rate ziehen um zu wissen, ob ein Schmerz einer Schwertspitze ähnlich ist. Ich verfüge über eine ebenso klare Vorstellung (conception) davon, was Ausdehnung, Härte und Bewegung ist, wie davon, was eine Schwertspitze ist. Und mit etwas Anstrengung und Mühe kann ich mir über die anderen Tastempfindungen einen ebenso klaren Begriff bilden wie von Schmerz. Wenn ich dies tue und Vergleiche zwischen ihnen anstelle, dann scheint es mir so klar wie das Tageslicht, dass letztere nicht von derselben Art wie die Ersteren sind und auch sonst keine Ähnlichkeit besteht. Sie sind so sicher und offenkundig verschieden wie Schmerz und eine Schwertspitze.K14 Es ist wohl wahr, dass diese Empfindungen uns als erste mit der materiellen Welt bekannt machen; es ist auch wahr, dass die Welt uns selten oder nie ohne ihre Begleitung erscheint. Und trotzdem sind sie sich so unähnlich wie das Gefühl des Zorns und die ihn begleitenden Gesichtsausdrücke. Im Urteilsspruch dieser Philosophen gegen die materielle Welt stellen wir einen Irrtum über die Identität der Person (error personae) fest. Ihre Beweise gelten nicht der Materie oder einer ihrer Eigenschaften, sondern treffen direkt ein Idol ihrer eigenen Einbildung, nämlich dasjenige einer materiellen Welt, bestehend aus Ideen und Empfindungen, der niemals Existenz zukam noch zukommen kann. Zweitens: Die bloße Existenz unserer Vorstellungen von Ausdehnung, Gestalt und Bewegung, bei denen es sich weder um Ideen der Empfindung noch um Ideen der Reflexion handelt, stürzt die ganze Ideentheorie, die die materielle Welt vor Gericht gezerrt und verurteilt hat, sodass das Urteil also auch noch einen Rechtsirrtum (error juris) enthält. Zu Lockes sehr guten und richtigen Feststellungen gehört folgende: Ebenso wie kein Mensch einen einzigen Materiepartikel erschaffen kann und unsere Macht über die materielle Welt nur das Zusammenfügen, Verbinden und Trennen von Materie betrifft, finden wir auch in der Welt
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des Denkens nur von der Natur vorgegebenes Material, das durch uns lediglich verschieden zusammengefügt und getrennt werden kann. Daher ist es sowohl für die Vernunft als auch für das Vorurteil, für die wahre als auch für die falsche Philosophie unmöglich, auch nur eine einfache Vorstellung (conception) oder einen einfachen Begriff (notion) hervorzubringen, der nicht Werk der Natur und Ergebnis unserer Beschaffenheit wäre. Die Vorstellung der Ausdehnung, der Bewegung und der anderen Attribute der Materie, können keine Erzeugnisse von Irrtum und Vorurteil sein, sondern sind Werke der Natur. Und das Vermögen oder die Fähigkeit, durch die wir diese Vorstellungen erwerben, müssen von den anderen Vermögen des menschlichen Geistes verschieden sein, denn es handelt sich weder um Empfindungen noch um Reflexionen. Folgendes möchte ich also in aller Demut als Experimentum crucis vorschlagen, mit dem die Ideentheorie steht oder fällt. Die Angelegenheit ist dann in aller Kürze diese: Als Gegenstand des Versuchs nehme man Ausdehnung, Form, Bewegung, einzeln oder zusammen. Entweder handelt es sich bei ihnen um Ideen der Empfindung oder nicht. Sollte auch nur von einem Versuchsgegenstand gezeigt werden können, dass es sich um eine Idee der Empfindung handelt oder dass er zumindest eine Ähnlichkeit mit einer Empfindung aufweist, so will ich meinen Mund verschließen, den Versuch einer Versöhnung von Vernunft und Common Sense aufgeben und den Sieg des ideentheoretischen Skeptizismus (ideal scepticism) über mich ergehen lassen. Sollte es sich aber andererseits bei diesen Gegenständen weder um Ideen der Empfindung noch um etwas den Empfindungen Ähnliches handeln, dann ist die Ideentheorie ein Sandschloss und alle ausgefeilten Argumente der skeptischen Philosophie gegen die materielle Welt und gegen die Existenz von allem außer Eindrücken und Ideen gehen von einer falschen Hypothese aus. […] Ich meine, dass der Glaube an die Existenz von Eindrücken und Ideen ebenso wenig durch die Vernunft gestützt wird wie jener an die Existenz von Körpern oder geistigen Wesen. Niemand konnte oder kann für diesen Glauben einen Grund geben. Descartes und alle seine Nachfolger setzten einfach voraus, dass sie denken und Empfindungen und Ideen haben. Sogar der Held des Skeptizismus hat in dieser Sache, wenn ich so sagen darf, eher schwach und unüberlegt nachgegeben. Ich sage dies aus der Überzeugung heraus, dass kein Grundsatz seiner Philosophie ihn zu diesem Zugeständnis gezwungen hat. Was ist denn so Besonderes an Eindrücken und Ideen, dass diese eroberungslustige Philosophie nach ihrem Sieg über jedwede Existenz gerade ihnen Tribut
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zollt? Das Zugeständnis ist im Übrigen gefährlich: Es liegt nämlich in der Natur von Überzeugungen, dass sie sich ausbreiten, wenn man ihnen auch nur eine Wurzel lässt. Es ist daher einfacher, sie ganz auszureißen, als zu sagen: Bis hierher und nicht weiter! Ich überlasse dir die Existenz von Eindrücken und Ideen, lasse aber keine Ansprüche auf etwas anderes zu! Ein gründlicher und konsistenter Skeptiker wird in dieser Sache also niemals nachgeben, und solange er daran festhält, wird man ihn niemals dazu bringen, in einem anderen Punkt nachzugeben. Einem solchen Skeptiker habe ich nichts zu sagen, aber von den Semiskeptikern möchte ich wissen, warum sie an die Existenz ihrer Eindrücke und Ideen glauben. Der wahre Grund lautet meines Erachtens, dass sie nicht anders können, und derselbe Grund wird sie dazu bringen, auch anderen Dingen Glauben zu schenken. Alle Vernunftschlüsse müssen von ersten Grundsätzen ausgehen. Für diese ersten Grundsätze kann nur der eine Grund vorgebracht werden, dass wir ihnen, gegeben unsere natürliche Beschaffenheit (constitution), notwendigerweise zustimmen müssen. Diese Grundsätze gehören nicht weniger zu unserer Beschaffenheit als das Denkvermögen. Die Vernunft kann sie weder erschaffen noch zerstören noch irgendetwas ohne sie anfangen. Es verhält sich wie mit einem Fernrohr, mit dessen Hilfe ein Mann, der Augen hat, weiter sehen kann, aber ohne Augen hilft auch kein Fernrohr. Ein Mathematiker kann die Wahrheit seiner Axiome nicht beweisen, noch kann er sonst etwas beweisen, ohne die Axiome als gegeben anzunehmen. Wir können die Existenz unseres Geistes nicht beweisen, noch nicht einmal diejenige von Gedanken und Empfindungen. Ein Historiker oder ein Zeuge kann nichts beweisen, solange nicht als gegeben angenommen wird, dass man dem Gedächtnis und den Sinnen vertrauen kann. Ein Naturphilosoph kann nichts beweisen, wenn er nicht voraussetzt, dass der Lauf der Natur gleichmäßig und einheitlich bleibt. Wie oder wann ich zu diesen ersten Grundsätzen, auf die ich meine Überlegungen stütze, gekommen bin, weiß ich nicht, denn ich habe sie, solange ich mich erinnere. Doch bin ich sicher, dass sie Bestandteil meiner Beschaffenheit sind und dass ich sie nicht abwerfen kann. Dass unseren Gedanken und Empfindungen ein Subjet zugrunde liegt, das wir als unser Selbst (ourself) bezeichnen, ist deshalb kein Ergebnis eines Vernunftschlusses, sondern ein natürlicher Grundsatz. Dass unsere Tastempfindungen etwas Äußeres, Ausgedehntes, Geformtes, Hartes oder Weiches anzeigen, ist keine Vernunftdeduktion, sondern ein natürlicher Grundsatz. Der Glaube daran und auch die Vorstellungen davon
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sind gleichfalls Bestandteile unserer Beschaffenheit. Werden wir hier betrogen, dann werden wir durch unseren Schöpfer betrogen, und dagegen gibt es kein Heilmittel. […] 7. Schluss. Enthält Überlegungen zu den Meinungen der Philosophen über dieses Thema Es gibt zwei Wege auf denen sich die Menschen Begriffe (notions) und Meinungen über den Geist und dessen Vermögen (powers) und Tätigkeiten (operations) bilden. Nur der erste Weg führt zur Wahrheit, doch er ist schmal und steinig, und nur wenige haben ihn betreten. Der zweite Weg ist breit und bequem und oft begangen worden, und zwar nicht nur vom gewöhnlichen Volk (vulgar), sondern selbst von Philosophen. Er genügt allen Belangen des gewöhnlichen Lebens und entspricht den Zwecken des Dichters und des Redners. Wenn es aber um eine philosophische Untersuchung des Geistes geht, führt er zu Irrtum und Täuschung. Wir können den ersten Weg den Weg der Reflexion nennen. Wenn der Geist nämlich tätig ist, sind wir uns dieser Tätigkeiten bewusst, und es liegt in unserer Macht, so lange auf sie aufmerksam zu sein und über sie zu reflektieren, bis sie zu vertrauen Gegenständen des Denkens geworden sind. Dies ist der einzige Weg, auf dem wir richtige und genaue Begriffe von diesen Tätigkeiten bilden können. Doch diese Aufmerksamkeit und Reflexion fallen dem Menschen sehr schwer, da er sich ja überall von äußeren, unablässig nach seiner Aufmerksamkeit verlangenden Dingen umgeben sieht, sodass er kaum praktiziert wird, nicht einmal von Philosophen. Im Verlauf dieser Untersuchung hatten wir schon häufig die Gelegenheit zu zeigen, wie wenig Aufmerksamkeit bislang selbst den vertrautesten Tätigkeiten der Sinne zuteil geworden ist. Den zweiten und breitesten Weg, auf dem wir unsere Meinungen über den Geist und dessen Tätigkeiten bilden, können wir Weg der Analogie nennen. In der Natur gibt es nichts, das so einzigartig wäre, dass wir keine Ähnlichkeit oder zumindest Analogie zwischen ihm und anderen Dingen, die wir bereits kennen, feststellen können. Der Geist findet natürlicherweise Vergnügen an der Jagd nach solchen Analogien und geht ihnen mit Lust nach. Daraus beziehen Poesie und Esprit einen großen Teil ihres Zaubers und die Beredtheit nicht wenig von ihrer Überzeugungskraft. […] Analogieargumente sind immer zur Hand und blühen in einer fruchtbaren Vorstellungskraft (imagination) wie von selbst, während man direkte und schlüssige Argumente häufig nur mit Mühe verfolgen und verwenden kann. Aus diesem Grund ist die Menschheit ganz allgemein stets
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geneigt Analogien zu vertrauen. Untersucht man die Systeme der alten Philosophie mit Sorgfalt, so stellt man fest, egal ob es sich um die materielle Welt oder um den Geist handelt, dass sie allein auf Analogien beruhen. Lord Bacon hat als erster die strikte und strenge Methode der Induktion beschrieben und seither ist sie mit großem Erfolg auf einige Bereiche der Naturphilosophie angewandt worden, aber kaum auf irgendwelche anderen Gebiete. Es gibt aber keinen Gegenstand, bei dem die Menschheit so sehr dem analogischen Weg des Denkens und Schließens vertraut wie im Falle des Geistes und seiner Tätigkeiten. Will man nämlich auf direkte und angemessene Weise klare und deutliche Begriffe dieser Tätigkeiten bilden und über sie Schlüsse ziehen, so muss man sich zuerst an die aufmerksame Reflexion gewöhnt haben, wozu aber nur wenige in der Lage sind, und sogar von diesen wenigen verlangt sie Mühe und Anstrengung. […] Einen beträchtlichen Teil des Lebens denken wir nämlich über nichts Anderes nach als über die Gegenstände unserer Sinne. Es fällt uns schwer, auch wenn wir uns schon Jahre in der Reflexion geübt haben, auf andere Gegenstände zu achten, um klare und deutliche Begriffe von ihnen zu bilden. Dieser Umstand gibt uns einen guten Grund für die Vermutung, dass die Sprache und die gewöhnlichen Begriffe, die die Menschheit auf den Geist und seine Tätigkeiten anwendet, in Analogie zu und in Ableitung von den Gegenständen der Sinne gebildet worden sind, und dass solche Analogien sich sowohl den Philosophen als auch dem Volk wie von selbst aufdrängen. So werden sie dazu geführt, den Geist und seine Vermögen zu materialisieren (materialize), eine durch die Erfahrung ausreichend bestätigte Tatsache. Die Bezeichnungen (names), die man in fast allen Sprachen aller Völker und Zeiten für die Seele oder das denkende Prinzip im Menschen finden kann, zeugen zur Genüge davon, dass man sie sich als eine Art feine Materie, gleich einem Wind oder Hauch, vorstellt. Zwar haben wir Wörter, die auf angemessene, nicht analoge und differenzierte Weise ausdrücken, wie wir äußere Gegenstände mit den Sinnen wahrnehmen, wie etwa „Fühlen“, „Sehen“, „Schmecken“, und dennoch sehen wir uns oft genötigt, diese Wörter als Analogien für geistige Vermögen von ganz anderer Natur zu verwenden. Für jene Vermögen, die ein bestimmtes Maß an Reflexion mit sich führen, haben wir im Allgemeinen überhaupt keine eigentlichen, sondern nur analoge Bezeichnungen. So sagt man etwa von den Objekten des Denkens, dass sie „im Geist“ sind, dass sie „erfasst“, „begriffen“, „vorgestellt“, „eingebildet“, „aufbewahrt“, „erwogen“ oder „durchgekaut“ werden.
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Es hat nicht den Anschein, als ob die Begriffe der alten Philosophen für die Natur der Seele differenzierter als die volkstümlichen gewesen wären oder auf einem anderen Weg entstanden sind. Für unsere Zwecke wollen wir nun die Philosophie in die alte und die neue unterteilen. Die alte Philosophie reichte bis zu Descartes, der ihr einen tödlichen Streich versetzt hat, an dem sie seither nach und nach verkümmert ist, sodass sie heute fast ganz erloschen ist. Descartes ist, was unser Thema betrifft, der Vater der neuen Philosophie, die seither und im Ausgang von seinen Grundsätzen (principles) allmählich verbessert worden ist. Die alte Philosophie scheint ausschließlich analogisch gedacht zu haben, die neue Philosophie leitet sich zwar mehr von der Reflexion her, weist aber immer noch eine beträchtliche Vermischung mit alten analogischen Begriffen auf. […] Die zur Zeit allgemein akzeptierte Theorie (system) über den Geist und seine Tätigkeiten stammt nicht nur im Geist, sondern auch in den Grundsätzen von Descartes und kann auch nach den Verbesserungen durch Malebranche, Locke, Berkeley und Hume noch als die cartesianische Theorie bezeichnet werden. Daher werden wir einige Betrachtungen über diese Theorie im Allgemeinen und besonders über ihre Ideenlehre anstellen. 1. Man kann feststellen, dass die von Descartes befolgte Methode ihn naturgemäß dazu geführt hat, sich den Tätigkeiten des Geistes vermehrt durch akkurate Reflexion zuzuwenden und dem analogischen Denken hier stärker zu misstrauen als irgendein Philosoph vor ihm. In der Absicht eine neue Theorie auf neuen Grundlagen zu errichten, begann er mit dem Entschluss, nichts zuzulassen, was nicht gewiss und evident ist. Er nahm an, dass seine Sinne, sein Gedächtnis, seine Vernunft, kurz jedes Vermögen, dem wir im gewöhnlichen Leben vertrauen, trügerisch ist, und er fasste den Entschluss, nichts zu glauben, solange er nicht durch unbestreitbare Evidenz zur Zustimmung gezwungen wird. Infolge dieses Vorgehens erschien ihm als Erstes gewiss und evident, dass er denkt, dass er zweifelt, dass er überlegt. Mit einem Wort, die Tätigkeiten seines eigenen Geistes, deren er sich bewusst ist, müssen real sein und können keine Täuschungen sein. Auch wenn alle anderen Vermögen ihn betrügen sollten, sein Bewusstsein (consciousness) kann dies nicht. Aus diesem Grund betrachtete er dies als die erste aller Wahrheiten. Nachdem er in ein Meer der Skepsis gestoßen worden war, war dies der erste feste Boden, auf den er seinen Fuß setzte. Er beschloss alles Wissen darauf zu bauen, ohne dabei nach weiteren ersten Grundsätzen zu suchen.
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Da nun jede weitere Wahrheit und insbesondere die Existenz der Gegenstände der Sinne durch eine Folge strenger Argumente aus dem deduziert werden musste, was er aus seinem Bewusstsein kannte, wurde er naturgemäß dazu gebracht, seine Aufmerksamkeit jenen Tätigkeiten des Geistes zuzuwenden, deren er sich bewusst war, ohne seine Begriffe den äußeren Gegenstände zu entlehnen. […] 2. Mir fällt auf, dass die Theorie der PeripatetikerK15 dazu neigt, den Geist und seine Tätigkeiten zu materialisieren. Ebenso hat die cartesianische Theorie die Tendenz, den Körper und seine Eigenschaften zu spiritualisieren (spiritualize). Ein Irrtum, den beide Theorien gemeinsam haben, führt zur ersten Theorie auf dem Weg der Analogie und zum zweiten auf dem Weg der Reflexion. Der Irrtum, von dem ich spreche, besteht in der Annahme, dass wir nur etwas über die Körper und ihre Eigenschaften wissen können, insofern wir Empfindungen (sensations) haben, die diesen Eigenschaften ähnlich sind. Darin stimmten beide Theorien überein. Doch ihren unterschiedlichen Vorgehensweisen entsprechend zogen sie daraus völlig unterschiedliche Schlüsse. Der Peripatetiker bezieht seine Begriffe für Empfindungen aus den Eigenschaften der Körper, der Cartesianer hingegen bezieht seine Begriffe für körperliche Eigenschaften aus seinen Empfindungen. Der Peripatetiker setzt die Existenz der Körper und ihrer Eigenschaft stillschweigend voraus und nimmt sie für nichts anderes als wir für gewöhnlich auch, und er zieht Schlüsse aus der Natur seiner Empfindungen und zwar auf folgende Weise: Unsere Empfindungen sind Eindrücke, die sinnliche Objekte unserem Geist einprägen, und können mit den Eindrücken eines Siegels im Wachs verglichen werden. Der Eindruck ist das Bild (image) oder die Form (form) des Siegels, aber ohne seine Materie. In gleicher Weise ist nun jede Empfindung Bild oder Form einer sinnlichen Eigenschaft eines Gegenstandes. So lautet die Überlegung des Aristoteles, und sie tendiert offensichtlich dazu, den Geist und die Empfindungen zu materialisieren. Im Gegensatz dazu denkt der Cartesianer, dass die Existenz von Körpern oder ihrer Eigenschaften nicht als erster Grundsatz angenommen werden kann und dass wir über sie nichts zugeben sollten, das wir nicht durch korrekte Schlüsse aus unseren Empfindungen deduzieren können. Darüber hinaus weiß er, dass wir durch Reflexion klare und deutliche Begriffe für unsere Empfindungen bilden können, ohne sie durch Analogie den Begriffen für die Gegenstände der Sinne zu entlehnen. Indem sie auf ihre Empfindungen Acht zu geben begannen, entdeckten die Cartesianer als erstes, dass die Empfindungen, die den sekundären
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Qualitäten entsprechen, den körperlichen Eigenschaften nicht ähnlich sein können. Deswegen schlossen Descartes und Locke, dass Geräusch, Geschmack, Geruch, Farbe, Hitze und Kälte, die das Volk für Eigenschaften der Körper hält, gar keine Eigenschaften von Körpern sind, sondern bloße geistige Empfindungen. Darauf entdeckte und bewies der geniale Berkeley, indem er die allgemeine Natur der Empfindungen näher betrachtete, dass überhaupt keine Empfindung irgendeiner Eigenschaft eines unbelebten Seienden, wie etwa einem Körper, ähnlich sein kann. Daraus schloss er ganz richtig, dass aus demselben Grund, aus dem wir sekundäre Qualitäten als bloße Empfindungen betrachten, auch Ausdehnung, Gestalt und alle übrigen primären Qualitäten bloße Empfindungen sein müssen. So streifte, genötigt durch strenge Schlüsse auf der Grundlage cartesianischer Grundsätze, die Materie all ihre Eigenschaften ab. Durch eine Art metaphysischer Veredelung hat die neue Theorie alle Eigenschaften der Materie in Empfindungen verwandelt und die Körper ebenso spiritualisiert wie die alte Philosophie den Geist materialisiert hatte. Das Mittel, beide Extreme zu vermeiden, besteht darin, die Existenz dessen, was wir sehen und fühlen, als einen ersten Grundsatz zuzugestehen, ebenso wie die Existenz der Dinge, deren wir uns bewusst sind. Wir sollten, mit den Peripatetikern, unsere Begriffe der Eigenschaften von Körpern dem Zeugnis unserer Sinne, und unsere Begriffe der Empfindungen, wie die Cartesianer, dem Zeugnis des Bewusstseins entnehmen. 3. Ich stelle also fest, dass der moderne Skeptizismus das natürliche Ergebnis der neuen Theorie ist, und dass man sagen kann, dass sie dieses Monstrum von Anfang an in ihrem Leib trug, auch wenn sie es nicht vor dem Jahr 1739 geboren hat.K16 Die alte Theorie ließ alle Grundsätze des Common Sense als erste Grundsätze gelten, ohne einen Beweis für sie zu verlangen. Deshalb konnte sie auf einem breiten Fundament aufbauen und kannte keine Neigung zum Skeptizismus, obschon ihre Überlegungen für gewöhnlich vage, analogisch und dunkel waren. Wir finden keinen Peripatetiker, der sich die Aufgabe gestellt hätte, die Existenz der materiellen Welt zu beweisen. Dagegen versuchte sich jeder Schriftsteller innerhalb der cartesianischen Theorie darin, bis Berkeley klar beweisen konnte, dass diese Argumente fruchtlos sind und seinerseits daraus den Schluss zog, dass es keine materielle Welt gibt und dass unser Glaube an sie als volkstümlicher Irrtum abzutun sei. Das neue System lässt nur einen der Grundsätze des Common Sense als ersten Grundsatz gelten und gibt vor, durch strenge Beweisführung
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alles andere aus ihm ableiten zu können. Dieses System lässt als ersten Grundsatz gelten, dass unseren Gedanken, unseren Empfindungen und all dem, was uns bewusst ist, eine reale Existenz zukommt. Alles Weitere jedoch muss durch das Licht der Vernunft bewiesen werden. Die Vernunft muss das ganze Wissensgebäude allein auf diesen Grundsatz des Bewusstseins aufbauen.K17 Der Mensch neigt von Natur aus dazu, die Dinge auf so wenige Grundsätze als möglich zurückzuführen. Zweifellos trägt es viel zur Schönheit einer Theorie bei, wenn die Grundsätze imstande sind zu tragen, was auf ihnen ruht. Mathematiker rühmen sich zurecht dafür, eine so edle und großartige Wissenschaft auf dem Fundament weniger Axiome und Definitionen errichtet zu haben. Doch diese Liebe zur Einfachheit und zur Rückführung von Dingen auf einige wenige Grundsätze hat so manche falsche Theorie hervorgebracht. Aber niemals hat es eine Theorie gegeben, in der dies so auffällig in Erscheinung getreten ist wie bei Descartes. Seine ganze Theorie der Materie und des Geistes (spirit) baut auf einem Axiom auf, das sich mit einem Wort ausdrücken lässt: cogito.K18 Auf dem Fundament des bewussten Denkens, dessen Material die Ideen sind, baut er eine Theorie des menschlichen Verstandes auf und versucht alle Verstandesphänomene auf diese Weise zu erklären. Nachdem er, wie er sich einbildete, aus seinem Bewusstsein die Existenz der Materie bewiesen hatte, baute er daraus (und aus einem gewissen Quantum an Bewegung, die der Materie ursprünglich mitgeteilt worden war) seine Theorie der materiellen Welt und versuchte, auf diese Weise alle Naturphänomene zu erklären. Die Grundsätze der Theorie der Materie wurden für ungenügend befunden. […] Doch wenn wir auf Descartes’ Theorie des menschlichen Verstandes blicken, die, wie gesagt, allein das Bewusstsein als Fundament und Ideen als Material hat, können wir feststellen, dass alle seine Nachfolger auf demselben Fundament und mit denselben Materialien gebaut haben. Sie erkennen an, dass die Natur uns unterschiedliche einfache Ideen gegeben hat. Dies sind Analogien zur Materie in Descartes’ physikalischer Theorie. Ebenso erkennen sie ein natürliches Vermögen an, das Ideen zusammensetzt, trennt, assoziiert und vergleicht. Dies ist analog zum Bewegungsquantum in Descartes’ physikalischer Theorie. Aus diesen Grundsätzen versuchen sie nun die Phänomene des menschlichen Verstandes zu erklären, genau wie in der physikalischen Theorie die Naturphänomene durch Materie und Bewegung erklärt werden sollen. Man muss tatsächlich zugeben, dass beide Theorien sich durch große Einfachheit auszeichnen. Zwischen ihnen besteht eine Ähnlich-
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keit, die man sonst nur von Kindern desselben Vaters erwarten würde. Doch da das eine kein Kind der Natur, sondern Descartes sein Vater ist, gibt es Grund zur Annahme, dass es sich bei dem anderen ebenso verhält. Es ist offensichtlich, dass das natürliche Problem dieser Theorie der Skeptizismus ist, der sich auf alles bezieht, nur nicht auf die Existenz unserer Ideen und die notwendigen Relationen, die sich zeigen, wenn man sie miteinander vergleicht. Da Ideen die einzigen Gegenstände des Denkens sind und keine Existenz außer in unserem Bewusstsein von ihnen haben, folgt notwendigerweise, dass es keinen Gegenstand unseres Denkens geben kann, der eine kontinuierliche und dauerhafte Existenz hat. Körper und Geist, Ursache und Wirkung, Zeit und Raum, denen wir für gewöhnlich eine von unserem Denken unabhängige Existenz zuschreiben, werden durch das folgende kurze Dilemma um ihre Existenz gebracht: Entweder sind diese Dinge Ideen der Sinne bzw. Ideen der Reflexion oder sie sind es nicht; wenn es Ideen der Sinne oder der Reflexion sind, können sie keine Existenz haben, außer wenn wir ihrer bewusst sind; sind sie keine Ideen der Sinne oder der Reflexion, handelt es sich um Wörter ohne Bedeutung. Weder Descartes noch Locke erkannten diese Konsequenz der Ideentheorie. Bischof Berkeley entdeckte sie als erster. Doch was folgte auf diese Entdeckung? Nun, was die materielle Welt, was Zeit und Raum betrifft, hat er als Konsequenz zugegeben, dass es sich bei diesen Dingen um bloße Ideen handelt, die außer in unserem Geist keine Existenz haben. Doch im Hinblick auf die Existenz von geistigen Wesen lässt er dieselbe Konsequenz nicht gelten. Und hätte er sie zugegeben, so wäre er zum totalen Skeptiker geworden. Doch wie kommt er um diese Konsequenz herum? Das Hilfsmittel, das der gute Bischof gegen sie einsetzt, ist sehr bemerkenswert und zeugt von seiner großen Abneigung gegen den Skeptizismus. Er behauptet, dass wir keine Ideen von geistigen Wesen haben, und dass wir über sie und ihre Attribute nachdenken können, ohne Ideen von ihnen zu haben. Doch wenn es sich so verhält, mein Herr, was sollte uns dann davon abhalten, auch über Körper und körperliche Eigenschaften nachzudenken und Schlüsse über sie zu ziehen, ohne Ideen von ihnen zu haben? Entweder hat der Bischof über diese Frage gar nicht nachgedacht, oder er hat es nicht für angebracht gehalten sie zu beantworten. Wie auch immer, wir können feststellen, dass er aus der Cartesianischen Theorie ausbricht, weil er den Skeptizismus vermeiden möchte, ohne je einen Grund dafür anzugeben, warum er es an dieser Stelle tut, an der anderen jedoch nicht. Es handelt sich hier in der Tat um die einzige Abweichung
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von den cartesianischen Grundsätzen, die ich bei seinen Nachfolgern angetroffen habe. Es scheint sich lediglich um einen willkürlichen Ausbruch zu handeln, veranlasst durch das Entsetzen vor dem Skeptizismus, denn in allen anderen Belangen beruht Berkeleys Theorie auf cartesianischen Grundsätzen. So sehen wir also, dass Descartes und Locke den Weg zum Skeptizismus eingeschlagen haben, ohne dessen Ende zu kennen. Doch sie mussten stehen bleiben, weil ihnen das Licht für die Weiterfahrt fehlte. Berkeley, aufgeschreckt durch das Auftauchen eines fürchterlichen Abgrundes, springt beiseite und verlässt den Weg. Doch der kühne und unerschrockene Verfasser des Traktat über die menschliche Natur stürzt sich, ohne sich nach links oder nach rechts zu wenden, direkt in den Schlund. […] 4. Wir müssen feststellen, dass die Erklärung der neuen Theorie für jene Ausstattung des menschlichen Verstandes, die eine Gabe der Natur und keine Errungenschaft unseres Vernunftvermögens ist, extrem lau und unvollkommen ist. Die natürliche Ausstattung des menschlichen Verstandes ist von zweierlei Art. Erstens sind da die Begriffe oder einfachen Auffassungsweisen (simple apprehensions), die wir von den Dingen haben. Zweitens gibt es Urteile (judgments), d. h. den Glauben (belief), den wir an sie haben.K19 Was unsere Begriffe angeht, so werden sie von der neuen Theorie auf zwei Klassen reduziert, nämlich auf Ideen der Sinne und auf Ideen der Reflexion.K20 Erstere werden als Abbilder (copies) unserer Empfindungen betrachtet, die im Gedächtnis oder in der Einbildungskraft aufbewahrt werden. Letztere sind Abbilder unserer geistigen Tätigkeiten, derer wir uns bewusst sind, und die ebenfalls im Gedächtnis oder in der Einbildungskraft aufbewahrt werden. Man belehrt uns, dass diese beiden Klassen alles Material enthalten, auf das sich der menschliche Verstand richten oder auf das er angewendet werden kann. Was unsere Urteile über die Dinge betrifft – den Glauben, den wir an sie haben –, so lässt die neue Theorie es nicht zu, dass etwas davon eine Gabe der Natur ist, sondern betrachtet sie als Errungenschaften der Vernunft, die wir durch den Vergleich von Ideen und durch die Wahrnehmung ihrer Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung erwerben.K21 Ich halte diese Erklärung der Begriffe und der Urteile oder des Glaubens für äußerst unvollkommen und möchte kurz auf die hauptsächlichen Versäumnisse hinweisen. Die Unterteilung unserer Begriffe in Ideen der Sinne und Ideen der Reflexion widerspricht allen Regeln der Logik, weil die zweite Klasse in dieser Unterteilung die erste einschließt. Können wir denn klare und
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richtige Begriffe unserer Sinnesempfindungen auf einem anderen Weg als dem der Reflexion bilden? Mitnichten! Die Sinneswahrnehmung ist eine Tätigkeit des Geistes, deren wir uns bewusst sind, und wir bilden den Begriff der Empfindung, indem wir auf das reflektieren, was uns bewusst ist. Ebenso sind Zweifeln und Glauben Tätigkeiten des Geistes, deren wir uns bewusst sind, und wir bilden Begriffe von ihnen, indem wir auf das reflektieren, was uns bewusst ist. Die Ideen der Sinne sind deshalb ebenso Ideen der Reflexion wie die Ideen des Zweifelns, des Glaubens usw. Lassen wir diese Ungenauigkeit der Unterteilung beiseite und betrachten wir, wie ausgesprochen unvollkommen sie ist. Da es sich bei der Empfindung ebenso um eine geistige Tätigkeit handelt wie bei allen anderen Dingen, von denen wir Begriffe vermittels der Reflexion bilden, bedeutet die Behauptung, dass alle unsere Begriffe entweder Ideen der Sinne oder Ideen der Reflexion sind, auf gut Deutsch das Folgende: Weder denkt der Mensch je über etwas anderes nach noch kann er über irgend etwas anderes nachdenken als über die Tätigkeiten seines eigenen Geistes. Ich weiß, dass Locke, der diese Lehre vertreten hat, überzeugt war, dass unsere Begriffe von Körpern und körperlichen Eigenschaften, von Bewegung und Raum, Ideen der Sinne sind. Aber warum glaubte er das? Weil er glaubte, dass diese Begriffe nichts weiter als Bilder unserer Empfindungen (images of our sensations) seien. Wenn aber die Begriffe von Körpern und ihren Eigenschaften oder von Bewegung und Raum keine Bilder unserer Empfindungen sind, folgt dann nicht, dass diese Begriffe keine Ideen der Sinne sind? Gewiss! Es gibt keine Lehre der neuen Theorie, die direkter zum Skeptizismus führt als diese und der Verfasser des Traktat über die menschliche Natur wusste sie nur zu gut zu diesem Zweck zu nutzen. Wer nämlich behaupten möchte, dass so etwas wie Körper oder Geist, Zeit oder Ort, Ursache oder Wirkung existieren, wird von ihm sogleich in die Fänge des folgenden Dilemmas getrieben: Deine Begriffe dieser Dinge sind entweder Ideen der Sinne oder Ideen der Reflexion. Handelt es sich um Ideen der Sinne, frage ich, welche Empfindungen sie abbilden. Handelt es sich um Ideen der Reflexion, welche geistigen Tätigkeiten bilden sie ab? […] Die Darstellung des Urteils und des Glaubens an Dinge in der neuen Theorie ist ebenso weit entfernt von der Wahrheit wie jene der Begriffe und der einfachen Auffassungsweisen. Unsere Sinne werden dargestellt, als bestünde ihre einzige Aufgabe darin, den Geist mit Begriffen oder einfachen Auffassungen von Dingen auszustatten. Unser Urteil über und den Glauben an diese Dinge erwerben wir, indem wir unsere
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Begriffe vergleichen und Übereinstimmungen oder Nichtübereinstimmungen wahrnehmen. Demgegenüber haben wir gezeigt, dass jede Tätigkeit der Sinne wesentlich sowohl Urteil und Glaube als auch ein einfaches Auffassen impliziert.K22 Wenn ich etwa einen Gichtschmerz in meinem Zeh spüre, verfüge ich nicht nur über den Begriff des Schmerzes, sondern ebenso über den Glauben an seine Existenz und den Glauben an irgendeine Beschädigung meines Zehs, die den Schmerz auslöst. Und dieser Glaube wird nicht durch den Vergleich von Ideen hervorgebracht oder durch die Wahrnehmung ihrer Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung. Er gehört wesentlich zur Empfindung selbst. Wenn ich einen Baum vor mir sehe, dann gibt mir mein Sehvermögen nicht nur einen Begriff oder eine einfache Auffassung des Baums, sondern ebenso den Glauben an seine Existenz, an seine Form, Entfernung und Größe. Auch dieses Urteil oder dieser Glaube wird nicht durch den Vergleich von Ideen erworben, er gehört wesentlich zur Natur der Wahrnehmung. Wir haben im Verlauf dieser Untersuchung einige ursprüngliche Grundsätze des Glaubens gefunden und wenn wir die anderen Vermögen untersuchen, werden wir noch mehr finden, die in der Analyse der fünf Sinne nicht aufgetaucht sind.K23 Solche ursprünglichen und natürlichen Urteile sind deshalb Bestandteil der Ausstattung, die die Natur dem menschlichen Verstand mitgegeben hat. Es handelt sich hierbei nicht weniger um Gaben des Allmächtigen als bei unseren Begriffen und einfachen Auffassungsweisen. Sie lenken uns im täglichen Leben, wo das Vernunftvermögen uns im Dunkeln lassen würde. Sie sind Teil unserer Beschaffenheit und alle Entdeckungen der Vernunft beruhen auf ihnen. Sie machen das aus, was der Common Sense der Menschheit genannt wird. Was einem seiner Grundsätze offenkundig widerspricht, das nennen wir absurd. Seine Stärke ist das gesunde Urteil (good sense), das wir häufig bei jenen finden, die gar nicht so scharfsinnig sind. Eine auffällige Abweichung von diesen Grundsätzen, die von einer konstitutiven Störung herrührt, bezeichnen wir als Wahnsinn, wie etwa wenn ein Mensch glaubt, er bestehe aus Glas. Wenn sich ein Mensch mithilfe metaphysischer Argumente gleichsam aus den Grundsätzen des Common Sense hinaus räsoniert, können wir von einem metaphysischen Wahnsinn sprechen. […] 5. Die letzte Feststellung, die ich über die neue Theorie machen möchte, lautet, dass sie zwar behauptet, den Weg der Reflexion, nicht den der Analogie, zu beschreiten, dennoch aber viele der alten analogischen Begriffe für die geistigen Tätigkeiten beibehält; dazu gehört vor
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allem, dass Dinge, die momentan nicht im Geist sind, nur durch geistige Ideen oder Bilder wahrgenommen, erinnert oder eingebildet werden können, die unmittelbare Objekte der Wahrnehmung, der Erinnerung und Einbildung sind. Diese Lehre macht offensichtliche Anleihen bei der alten Theorie, der zufolge ja äußere Dinge – wie das Sigel im Wachs – Eindrücke im Geist hinterlassen, nun aber vermittels jener Eindrücke, die wir wahrnehmen, an die wir uns erinnern oder uns einbilden. Und diese Eindrücke müssen den Dingen, von denen sie stammen, auch noch ähnlich sein. Wenn wir unsere Begriffe der geistigen Tätigkeiten auf dem Weg der Analogie bilden, dann erscheint diese Betrachtungsweise als ganz natürlich und bietet sich unserem Nachdenken wie von selber an. Da alles, was wir spüren, einen Eindruck auf unseren Körper machen muss, glauben wir gerne, dass alles, was verstanden werden kann, einen Eindruck auf den Geist machen muss. Von solchen Analogieüberlegungen scheint die Meinung, dass so etwas wie Ideen oder Bilder der Dinge im Geist existieren, ihren Ausgang genommen und unter Philosophen umfassende Zustimmung gefunden zu haben. […] 11.2.2 Auszüge aus Essays on the Intellectual Powers of Man / Versuche über die intellektuellen Vermögen des Menschen (1785) (zitiert als: Essays ) 1. Vorbemerkungen 1.1. Worterklärungen 10. Das Wort „Idee“ taucht in den modernen philosophischen Schriften über den Geist so häufig auf und ist so vieldeutig, dass einige Betrachtungen notwendig sind. Es gibt in der Hauptsache zwei Bedeutungen dieses Wortes bei modernen Autoren – eine allgemeinverständliche und eine philosophische. Erstens bezeichnet „Idee“ im allgemeinen Sprachgebrauch dasselbe wie Vorstellung, Auffassung (apprehension), Begriff (notion). Eine Idee von etwas haben, heißt: sich etwas vorstellen (to conceive it). Eine deutliche Idee von etwas haben, heißt: sich etwas deutlich vorstellen. Von etwas keine Idee haben, heißt: es sich überhaupt nicht vorzustellen. Oben haben wir bereits festgestellt, dass Vorstellen oder Auffassen zu jeder Zeit von jedermann als Aktivität oder Handlung des Geistes aufgefasst wurde und deshalb wurde es in allen Sprachen durch ein aktives Verb ausgedrückt. Wenn wir deshalb den Ausdruck „eine Idee haben“ in der allgemeinen
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Bedeutung verwenden, sollten wir darauf achten, dass er genau dieselbe Sache bezeichnet, die wir gewöhnlich durch die aktiven Verben „vorstellen“ oder „auffassen“ ausdrücken. Sofern wir das Wort „Idee“ in diesem allgemeinen Sinne verwenden, kann niemand ernsthaft bezweifeln, dass er Ideen hat. Denn wer zweifelt, denkt; und Denken bedeutet Ideen haben. Gelegentlich bezeichnen im allgemeinen Sprachgebrauch jemandes Ideen seine Meinungen. Die Ideen des Aristoteles oder des Epikur sind die Meinungen dieser Philosophen. Was wir zuvor über die Wörter „einbilden“ (imagine), „vorstellen“, „auffassen“ sagten – dass sie nämlich gelegentlich dazu dienen, ein Urteil auszudrücken – gilt genauso für das Wort „Idee“. Auch wenn diese Bedeutung im Französischen weiter verbreitet scheint als im Englischen, lässt sie sich durchaus auch bei guten englischen Autoren finden, sogar bei Herrn Locke. Daraus erhellt, dass das Haben von Ideen im gemeinen Verständnis genau dieselbe Bedeutung hat wie Einbilden, Vorstellen, Auffassen – und auch dieselbe Mehrdeutigkeit. Man mag deshalb bezweifeln, ob die Einführung dieses Wortes in den gemeinen Sprachgebrauch nötig war, um die Handlungen des Vorstellens, Einbildens und Auffassens zu bezeichnen. Denn erstens besitzen wir, wie wir sahen, bereits einige ursprünglich englische Wörter, die genau dasselbe ausdrücken, oder aber Wörter, die sich seit langem eingebürgert haben: Und weshalb sollten wir dann ein griechisches Wort an ihrer Stelle einbürgern – und warum nicht gleich ein französisches oder deutsches? Außerdem sind die Wörter unserer Sprache auch noch weniger mehrdeutig. Denn das Wort „Idee“ wird seit langer Zeit von Philosophen als Fachterminus verwendet – und bedeutet in den verschiedenen Systemen sehr unterschiedliche Dinge. Zweitens bezeichnet das Wort „Idee“ entsprechend der philosophischen Bedeutung nicht die Handlung des Geistes, die wir als Vorstellung oder Auffassung bezeichnen, sondern einen Gegenstand des Geistes. Ideen sind, so Herr Locke, (dessen überaus häufiger Gebrauch dieses Wortes möglicherweise dazu beigetragen hat, dass es in die allgemeine Sprache aufgenommen wurde) „nichts anderes als die unmittelbaren Gegenstände des Geistes im Vorgang des Denkens“K24. Doch von diesen Gegenständen des Denkens, den Ideen, haben verschiedene philosophische Schulen (sects) ganz unterschiedliche Auffassungen vertreten. So hat Bruckerus, ein deutscher Gelehrter, ein ganzes Buch über die Geschichte des IdeenbegriffsK25 verfasst. […] Ebenso wie die alten Peripatetiker und Epikuräer sind moderne Philosophen der Ansicht, dass äußere Gegenstände nicht die unmittelbaren
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Gegenstände unseres Denkens sein können und dass es ein Bild dieser Gegenstände im Geiste geben müsse, in dem sie, wie in einem Spiegel, gesehen würden. Und im philosophischen Sinne werden diese inneren und unmittelbaren Gegenstände des Denkens als Idee bezeichnet. Der äußere Gegenstand ist das entfernte oder mittelbare Objekt; die Idee hingegen, oder das Bild dieses Gegenstandes im Geist, ist das unmittelbare Objekt, ohne das wir keine Wahrnehmung des mittelbaren Objektes haben könnten, und auch keine Erinnerung und keine Vorstellung von ihm. Wenn wir deshalb in der Alltagssprache davon sprechen, dass wir eine Idee von irgendetwas haben, dann meinen wir einfach, dass wir an etwas denken. Die gewöhnlichen Menschen sind der Ansicht, dass dieser Ausdruck einen Geist impliziert, der denkt, einen geistigen Akt, den wir als Denken bezeichnen, und einen Gegenstand, über den wir nachdenken. Doch der Philosoph denkt, dass es neben diesen dreien noch ein viertes gibt – nämlich die Idee als unmittelbares Objekt. Die Idee ist im Geist und kann nur in einem denkenden Geist existieren. Das entfernte oder mittelbare Objekt hingegen kann etwas Äußerliches sein, wie etwa Sonne oder Mond; es kann etwas Vergangenes oder Zukünftiges sein; etwas, das nie existiert hat. Dies ist die philosophische Bedeutung des Wortes „Idee“. Und wir können feststellen, dass diese Bedeutung des Wortes auf einer philosophischen Lehrmeinung beruht: denn wenn Philosophen nicht der Ansicht gewesen wären, dass es solche unmittelbaren Gegenstände aller unserer Gedanken im Geiste gibt, hätten sie niemals das Wort „Idee“ verwendet, um sie zu benennen. Ich will dieser Betrachtung nur hinzufügen, dass ich zwar Veranlassung haben werde, das Wort in dieser philosophischen Bedeutung zu verwenden, um die Meinungen anderer darzulegen, jedoch keine Veranlassung haben werde, es in der Darstellung meiner eigenen Konzeption zu verwenden, weil ich Ideen in diesem Sinne für eine Erdichtung der Philosophen halte. In seiner allgemeinen Bedeutung gibt es noch viel weniger Veranlassung dieses Wort zu verwenden, weil die englischen Wörter „Gedanke“, „Begriff“ und „Auffassung“ diesen Zweck genauso erfüllen wie das griechische Wort „Idee“; mit dem Vorteil, dass sie weniger mehrdeutig sind. Es gibt in der Tat eine Bedeutung des griechischen Wortes „Idee“, die ich ihrer Verwendung in der klassischen Philosophie höchst angemessen finde und die ich sehr gerne übernehmen würde, würde es der allgemeine Gebrauch, diese höchste Autorität in Sprachfragen, nur erlauben. Doch das soll später erklärt werden.K26 […]
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4. Über die Vorstellungen (conceptions) […] 4.2. Theorien über die Vorstellung Die Ideentheorie wurde nicht nur auf das Gedächtnis und auf die Sinne angewendet, sondern auch auf die Vorstellung von Objekten. Vermutlich ist eine Rückkehr zu diesem Thema dem Leser ebenso verdrießlich wie dem Verfasser, nachdem bereits so viel darüber gesagt worden ist. Doch die Anwendung auf die Objektvorstellung, die vorher nicht angemessen besprochen werden konnte, erlaubt eine umfassendere Sicht auf diese Theorie und auf die Vorurteile, durch welche die Philosophen so einmütig auf sie verfallen konnten. Zwei Vorurteile haben meiner Meinung nach der Ideentheorie in all ihren unterschiedlichen Fassungen seit rund zweitausend Jahren immer wieder den Aufstieg ermöglicht, und obwohl sie weder eine Stütze in den natürlichen Vorgaben unserer Vermögen noch in der aufmerksamen Reflexion auf ihre Tätigkeiten haben, sind es Vorurteile, auf die diejenigen, die über diese Tätigkeiten nachdenken, durch Analogien verfallen. Das erste Vorurteil lautet, dass in allen Verstandestätigkeiten eine unmittelbare Beziehung (intercourse) zwischen dem Geist und seinem Objekt vorhanden sein muss, so dass das eine auf den anderen einwirken kann. Das zweite, dass in allen Verstandestätigkeiten ein Gedankenobjekt vorhanden sein muss, das tatsächlich existiert, während wir an es denken. Oder, wie es einige Philosophen ausgedrückt haben, was nicht ist, ist nicht intelligibel. Hätten die Philosophen nur gesehen, dass dies allein auf analogischen Überlegungen gegründete Vorurteile sind, so hätten wir niemals von Ideen im philosophischen Wortsinne gehört. Der erste dieser Grundsätze hat die Philosophen auf folgenden Gedanken gebracht: Da die äußeren Sinnesobjekte zu weit entfernt sind, als dass sie unmittelbar auf den Geist einwirken können, muss im Geist ein Bild oder ein Schatten von ihnen als unmittelbares Wahrnehmungsobjekt gegenwärtig sein. Nach der einhelligen Ansicht der Philosophen muss es ein solches unmittelbares Wahrnehmungsobjekt, das sich von äußeren Objekten unterscheidet, geben, wenn auch ihre Ansichten über Namen, Natur und Ursprung dieser unmittelbaren Objekte weit auseinander gehen. Wir haben bereits [im Kapitel 14 des zweiten Essays] besprochen, was zugunsten dieses Grundsatzes gesagt werden kann, und der Leser sei, um Wiederholungen zu vermeiden, dorthin zurück verwiesen. Ich möchte dem dort Gesagten nur hinzufügen, dass nirgends auch nur der
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Schatten eines Grundes dafür gefunden werden kann, warum die intellektuellen Tätigkeiten des Geistes eines unmittelbar gegenwärtigen Objektes dringender bedürfen als Affekte oder Leidenschaften. Die Philosophen behaupten ja nicht, dass die unmittelbaren Objekte von Liebe oder Reue, von Achtung oder Verachtung Ideen sind. Es wird, wie ich glaube, zugestanden, dass Personen und nicht Ideen die unmittelbaren Objekte dieser Affekte sind; Personen, die dem Geist ebenso wenig unmittelbar gegenwärtig sind wie andere äußere Objekte und bisweilen Personen, die in dieser Welt zumindest nicht mehr existieren, und deshalb weder auf den Geist einwirken noch Gegenstand von Einwirkungen sein können. Der zweite Grundsatz, den ich gleichfalls als auf Analogien gegründetes philosophisches Vorurteil betrachte, soll nun genauer untersucht werden. Er widerspricht dem Ergebnis des letzten Abschnitts im vorhergegangenen Kapitel, dass wir nämlich eine klare Vorstellung von Dingen haben können, die niemals existiert haben.K27 Unbezweifelbar wird diese Überzeugung von allen geteilt, die keinen Philosophieunterricht genossen haben. Sie werden es ebenso lächerlich finden, ihn vermittels gründlicher Überlegungen zu verteidigen, wie ihn zu bestreiten. Der Philosoph sagt uns Folgendes: Obwohl es entfernte Objekte geben kann, die nicht existieren, muss es ein unmittelbares Objekt geben, das wirklich existiert, denn was nicht ist, kann kein Denkobjekt sein. Der Geist muss eine Idee perzipieren, und wenn sie dort nicht existiert, kann es keine Perzeption von ihr geben und keine sie betreffende geistige Tätigkeit. Dieser Grundsatz verdient um so mehr eine genaue Untersuchung als der zuvor erwähnte von ihm abhängt. Der zweite Grundsatz kann nämlich wahr sein, auch wenn der erste falsch ist, doch wenn der zweite falsch ist, dann auch der erste. Können wir uns nämlich Objekte vorstellen, die nicht existieren, so folgt, dass es Objekte des Denkens geben kann, die weder auf den Geist einwirken noch Einwirkungen von ihm erfahren, denn was keine Existenz hat, kann ja weder Wirkungen ausüben noch erleiden. Eben diese beiden Grundsätze haben die Philosophen auf den Gedanken gebracht, dass in jedem Erinnerungs-, Vorstellungs- oder Wahrnehmungsakt zwei Objekte involviert sind. Beim ersten handelt es sich um das unmittelbare Objekt, um die Idee, die Species, die Form;K28 beim zweiten handelt es sich um das mittelbare oder äußere Objekt. Das gewöhnliche Volk kennt nur ein Objekt: in der Wahrnehmung etwas
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Äußeres, das existiert; in der Erinnerung etwas, das existiert hat; und in der Vorstellung etwas, das vielleicht niemals existiert hat. Doch das unmittelbare Objekt der Philosophen, die Idee, soll in allen diesen Tätigkeiten wirklich existieren und wahrgenommen werden. Diese Grundsätze haben die Philosophen nicht nur dazu gebracht zwei Objekte anzunehmen, wo andere nur eines finden, sie haben sie auch dazu geführt, die drei eben erwähnten Verstandestätigkeiten auf eine einzige zu reduzieren, sodass Erinnern, Vorstellen und Wahrnehmen nichts anderes als ein Wahrnehmen von Ideen ist. Aber für das Volk ist es offensichtlich, dass dasjenige, was nur erinnert oder nur vorgestellt wird, nicht wahrgenommen wird. Die Rede von „Wahrnehmungen der Erinnerung“ scheint ihm ebenso absurd zu sein wie etwa die Rede vom „Hören des Sehens“. Kurz, diese beiden Grundsätze führen zur ganzen philosophischen Ideentheorie und speisen alle jemals für die Existenz von Ideen vorgebrachten Argumente. Treffen sie zu, so müssen diese Theorie und all ihre Konsequenzen zugelassen werden. Sind es aber lediglich Vorurteile, gegründet auf analogischen Überlegungen, dann fällt das ganze System mit ihnen […] Wenn mit der Idee eines Dinges, wie es der allgemeinen Verwendung des Wortes entspricht, nichts anderes als der Gedanke daran oder die Tätigkeit des Geistes, sofern er an es denkt, gemeint ist, dann wäre ein Denken ohne Ideen ein Denken ohne Gedanken, was zweifellos ein Widerspruch ist. Aber der Definition der Philosophen zufolge ist eine Idee kein Gedanke, sondern ein Objekt eines Gedankens, das wirklich existiert und wahrgenommen wird. Ist es nun widersprüchlich zu behaupten, dass ein Mensch an ein nicht existierendes Objekt denkt? Ich gebe zu, dass ein Mensch ein Objekt, das nicht existiert, nicht wahrnehmen kann. Ebenso wenig kann er sich an ein Objekt erinnern, das nicht existiert hat. Doch mir scheint kein Widerspruch darin enthalten zu sein, dass ein Mensch sich ein Objekt vorstellt, das nicht existiert oder jemals existieren wird. Nehmen wir ein Beispiel. Ich stelle mir einen Kentaur vor. Diese Vorstellung ist eine geistige Tätigkeit, deren ich mir bewusst bin und auf die ich meine Aufmerksamkeit richten kann. Ihr alleiniges Objekt ist ein Kentaur, ein Lebewesen, das, wie ich meine, niemals existiert hat. Ich kann darin keinen Widerspruch erkennen. Der Philosoph entgegnet: Ich kann mir keinen Kentaur vorstellen, ohne eine Idee von ihm im Geist zu haben. – Leider bin ich unfähig zu
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verstehen, was er meint. Er meint doch gewiss nicht, dass ich ihn mir nicht vorstellen kann ohne ihn mir vorzustellen. Das würde meinem Verständnis nicht weiterhelfen. Was ist denn nun diese Idee? Handelt es sich um ein Lebewesen, halb Pferd, halb Mann? – Nein. – Doch dann bin ich mir sicher, dass es sich nicht um das von mir vorgestellte Ding handelt. Vielleicht will er behaupten, dass es sich bei der Idee um ein Bild dieses Lebewesens handelt und dass das Lebewesen selbst nur das mittelbare oder entfernte Objekt ist. Darauf entgegne ich Folgendes. Erstens bin ich mir sicher, dass diese Vorstellung nicht zwei Objekte hat, sondern nur eines; und dieses eine Objekt ist ein so unmittelbares Objekt meiner Vorstellung wie man es sich nur wünschen kann. Zweitens ist dieses eine Objekt, das ich mir vorstelle, kein Bild eines Lebewesens, sondern ein Lebewesen. Ich weiß, was es heißt, sich das Bild eines Lebewesens vorzustellen, und was es heißt, sich ein Lebewesen vorzustellen, und ich kann beides ohne Gefahr eines Irrtums voneinander unterscheiden. Das von mir vorgestellte Ding ist ein Körper mit einer bestimmten Gestalt und Farbe, er ist belebt und bewegt sich. Der Philosoph sagt, dass die Idee ein Bild eines Lebewesens sei, das aber über keinen Körper, keine Farbe, kein Leben und keine Selbstbewegung verfügt. Ebendies kann ich nicht verstehen. Drittens würde ich gerne wissen, wie diese Idee zu einem Objekt meines Denkens werden kann, wenn ich mir nicht einmal vorstellen kann, was damit gemeint sein könnte. Könnte ich es mir aber vorstellen, so wäre dies noch kein Beweis für seine Existenz, ebenso wenig wie meine Vorstellung des Kentaurs einen Beweis für dessen Existenz darstellt. Manchmal sagen die Philosophen, dass wir Ideen wahrnehmen, manchmal aber, dass wir uns ihrer bewusst sind. Ich hege keinerlei Zweifel an der Existenz von etwas, das ich wahrnehme oder dessen ich mir bewusst bin, doch ich kann Ideen weder wahrnehmen noch bin ich mir ihrer bewusst. Wahrnehmung (perception) und Bewusstsein (consciousness) sind sehr unterschiedliche geistige Tätigkeiten und es ist merkwürdig, dass die Philosophen niemals festlegten, durch welche von ihnen Ideen erkannt werden. Es verhält sich genau so als würde ein Mensch fest behaupten, dass er ein Objekt wahrgenommen habe, aber nicht sagen könne, ob durch seine Augen, seine Ohren oder durch Berührung. Doch könnte jemand, der sich einen Kentaur vorstellt, nicht sagen, in seinem Geist befinde sich ein deutliches Bild davon? Ich meine, dass man das kann und finde keinen Fehler darin, sofern man mit diesen Worten dasselbe meint wie das Volk (vulgar), das nie von der philosophischen
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Ideentheorie gehört hat. Mit einem deutlichen Bild im Geiste meint das Volk nämlich eine deutliche Vorstellung. Dies ist eine ganz natürliche Redeweise, da nämlich zwischen dem Bild von etwas und der Vorstellung davon eine gewisse Analogie besteht. Aufgrund dieser für alle Menschen offensichtlichen Analogie wird die entsprechende Tätigkeit als „Einbildungskraft“ bezeichnet. Die Rede von „Bilden im Geist“ ist nichts weiter als eine Paraphrase für das Einbilden. Will man aber daraus ableiten, dass sich im Geist wirklich ein Bild befindet, das von der Tätigkeit des Vorstellens eines Objekts unterschieden werden muss, wird man durch eine analogische Ausdrucksweise in die Irre geführt. Ebenso könnte man ja aus Redewendungen wie „etwas erwägen“ oder „etwas gewichten“ ableiten, dass im Geist tatsächlich Waagen existieren, die Motive und Argumente wägen. Die analogischen Worte und Ausdrucksweisen, die in allen Sprachen verwendet werden, um etwas über das Vorstellen zu sagen, verleiten natürlich leicht zu einer buchstäblichen Auffassung. Wenn wir aber allein auf das Acht geben, dessen wir uns in der Tätigkeit des Vorstellens bewusst sind, finden wir nicht mehr Grund für die Annahme, dass in unserem Geist wirklich Bilder existieren, als es bei Waagen und anderen Geräten der Fall ist. Alles Wissen darüber, was im Geist ist, stammt aus dem Bewusstsein, und wir haben Bewusstsein nur von unterschiedlichen Modi des Denkens, wie etwa Verstehen und Wollen, Affektionen und Passionen, Tätigkeit und Leiden. Wenn Philosophen all diesen Modi des bewussten Denkens den Namen „Idee“ geben möchten, so habe ich nichts dagegen einzuwenden, außer dass ohne Not ein fremdes Wort in unsere Sprache eingeführt wird, ein Wort, das darüber hinaus vieldeutig und irreführend ist. Doch wenn sie mit diesem Namen Bilder im Geist bezeichnen, die selber keine Gedanken, sondern nur Objekte des Denkens sein sollen, so sehe ich einfach keinen Grund, der für die Existenz solcher Dinge in der Natur spricht. Wenn es sie geben würde, müsste ihre Existenz und ihr Wesen doch evidenter als alles andere sein, könnten wir ohne sie doch gar keine Erkenntnisse haben. Ich möchte noch hinzufügen, dass wir, falls sie existieren, nichts außer ihnen kennen würden, denn aus der Existenz von Bildern lässt sich durch die Vernunft allein niemals die Existenz von irgend etwas anderem ableiten, außer vielleicht die Existenz ihres intelligenten Urhebers. Darin hat Bischof Berkeley ganz Recht gehabt […]. Wenn nun jemand fragt, was die Idee eines Kreises ist, so antworte ich, dass es die Vorstellung eines Kreises ist. – Was ist das unmittelbare
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Objekt dieser Vorstellung? – Ihr unmittelbares und einziges Objekt ist ein Kreis. – Aber wo ist dieser Kreis? – Nirgendwo. Wäre er nämlich ein Individuum und würde er real existieren, müsste er an einem bestimmten Ort sein, da es sich aber um eine Universalie handelt, kommt ihm keine Existenz zu und folglich auch kein Ort. – Befindet er sich nicht im Geiste dessen, der sich ihn vorstellt? – Seine Vorstellung ist im Geist, handelt es sich dabei doch um einen geistigen Akt. Der bildliche Ausdruck der Alltagssprache „etwas ist im Geist“ bedeutet, dass etwas vorgestellt oder erinnert wird. Man kann weiter fragen, ob es sich bei dieser Vorstellung um ein Bild eines Kreises oder um etwas ihm Ähnliches handelt. Meine Antwort darauf habe ich bereits gegeben, und zwar kann man in einem übertragenen Sinne vom Bild eines Kreises im Geist sprechen. Sollte die Frage aber buchstäblich gemeint sein, müssen wir beachten, dass das Wort „Vorstellung“ zwei Bedeutungen hat. Sein eigentlicher Sinn bezieht sich auf die von uns erklärten Tätigkeiten des Geistes. Manchmal wird es aber für das Objekt des Vorstellens verwendet, für das vorgestellte Objekt also. Wenn nun die Frage in diesem letzten Sinn gemeint ist, dann handelt es sich beim vorgestellten Objekt weder um ein Bild eines Kreises noch um etwas ihm Ähnliches, denn es handelt sich um einen Kreis, und nichts kann ein Bild von sich selber sein. Lautet die Frage, ob es sich bei der geistigen Tätigkeit des Vorstellens eines Kreises um ein Bild oder um etwas ihm Ähnliches handelt, so lautet meine Antwort nein. Keine zwei Dinge könnten sich unähnlicher sein als die Gattung (species) der Gedanken und die Gattung der Figuren. Dass eine Vorstellung keine Ähnlichkeit mit dem Vorgestellten aufweisen soll, ist wenig verwunderlich, denn ein Wunsch ist dem begehrten Objekt oder ein Groll seinem Objekt auch nicht ähnlich. Auch kann ich mir ein individuelles Ding vorstellen, das wirklich existiert, wie etwa die St. Paul’s Church in London. Ich habe eine Idee von ihr, d. h. ich stelle sie mir vor. Das unmittelbare Objekt dieser Vorstellung liegt 400 Meilen entfernt. Ich habe keinerlei Veranlassung zu meinen, dass sie auf mich einwirkt oder ich auf sie, dennoch kann ich an sie denken. Ich kann auch an das erste oder letzte Jahr der Julianischen Epoche denken. Man könnte der Ansicht sein, dass Bilder im Geiste diese ansonsten ganz unerklärliche Fähigkeit erklären können, nämlich die Fähigkeit, sich in Zeit und Raum weit entfernte Dinge vorzustellen, oder sogar Dinge, die nicht existieren. Darauf entgegne ich, dass auf Vermutungen
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gestützte Erklärungen zu allen Zeiten das Verderben der wahren Philosophie gewesen sind. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Falschheit solcher Vermutungen hundertmal wahrscheinlicher ist als deren Wahrheit. Eine Erklärung für die Fähigkeit Vorstellungen zu haben, die auf Bilder im Geiste oder im Gehirn zurückgreift, wird die Achtung all jener, die einen echten Sinn für Philosophie haben, erst dann erlangen, wenn Folgendes durch gute Argumente bewiesen ist: Erstens die Existenz von Bildern im Geist oder im Gehirn von vorgestellten Dingen. Zweitens die Existenz eines geistigen Vermögens zur Wahrnehmung solcher Bilder. Drittens, dass die Wahrnehmung solcher Bilder die Vorstellung von entfernten Dingen und sogar von nicht existierenden Dingen hervorbringt. Viertens, dass die Wahrnehmung individueller Bilder im Geist oder im Gehirn uns Vorstellungen von Universalien, den Attributen zahlreicher Individuen, ermöglicht. Solange diese Aufgabe nicht erfüllt ist, gehört die Theorie von Bildern im Geist oder im Gehirn in dieselbe Kategorie wie die species sensibilis, die materia prima des Aristoteles und die Wirbel von Descartes.
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Personenregister für Band 1
443
Personenregister für Band 1 Seitenzahlen (n = in Fußnote)
1. Personen vor 1800 Addison, J. 331 Agenor 144 Alexander der Große 136, 323 Alexander von Aphrodisias 101, 103 Aristoteles 17, 85, 94, 101, 134, 149, 223, 311, 318, 319, 321, 411, 417, 425, 433 Arnauld, A. 2, 8, 16, 50, 54, 78, 198, 202, 203, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 299, 303, 305, 306, 307, 316, 320 Arnauld, A. sen. 231 Arnauld, J. (Mère Angélique) 231 Aubrey, J. 120 Augustin 9n, 197, 210, 211, 224n, 227, 231, 232, 240, 255 Augustus 138
Demokrit 102 Descartes, R. 5, 10, 14–19, 21–23, 25–34, 36–37, 39–60, 80, 86, 89, 105, 108, 112, 117–118, 122, 129, 132, 159–168, 197–199, 203, 213–235, 238–239, 248, 256, 300–301, 305, 311, 332, 361, 397–398, 402, 404–407, 409, 412, 416, 418, 419–421, 433 Duvergier de Hauranne, J. (Abbé de Saint Cyran) 231
Bacon, R. 119, 415 Blair, H. 362 Berkeley, G. 24, 25n, 26, 39, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 395, 396, 397n, 407, 409, 416, 418, 420, 421, 431 Boyle, R. 26, 259 Brucker(us), J. J. 425 Burman, F. 54, 57, 58, 59, 83
Ferguson, A. 362 Friedrich V. von der Pfalz 54 Forster, A. 332 Foucher, S. 198
Caterus, J. 16, 54, 74, 129 Charles II (König von England) 119 Christina von Schweden 54 Cicero, M. T. 103, 149, 155 Coste, Pierre 306 Dasypodius, C. 315 de Peiresc, N.-C. Fabri 85
Elisabeth, Prinzessin von Böhmen 54 Eustachius a Sancto Paulo 10n Epikur / Epikuräer 86, 102, 425 Euklid 120, 123, 194, 291, 315
Galilei, G. 53, 85, 119–120 Gassendi, P. 26, 50, 54, 79, 85–90, 119, 248 Goclenius, R. 9 Gregory, James 396n Gregory, John 395 Hale, M. 41 Harvey, W. 119 Herkules 136, 303, 316, 327 Herlin, C. 315 Hobbes, Th. 19, 28–31, 51, 54, 77, 119–132, 159, 166, 314
444
Personenregister für Band 1
Homer 120 Hume, D. 5n, 9n, 36–39, 235–236, 361–368, 374, 395–397, 416 Hutchinson, F. 395 Huygens, Ch. 299 Hyperaspistes 57–58, 80 Innocent X. (Papst) 232 Jansen, C. 232 Johannes (Evangelist) 319n Johannes Duns Scotus 10n,13 Julius Cäsar 137 Kadmos 144 Kant, I. 45 Kepler, J. 85 Kopernikus, N. 318 Lancelot, C. 232 Leibniz, G. W. 2, 6–7, 21, 32–33n, 38n, 39n, 40, 51, 166, 198, 232, 299–309, 316n, 320 Locke, A. 259 Locke, J. 2, 6, 8, 19–21, 32n, 38n, 40–45, 46n, 235, 259–263, 332, 336, 369, 358n, 404–406, 409, 411, 420–421 Locke, J. sen. 259 Ludwig XIV. (König von Frankreich) 299 Malebranche, N. 7n, 16, 22–23, 26, 40–41, 51, 197–200, 202–203, 232, 235, 238–239, 257n, 260, 299, 305, 331, 404, 406, 409, 416 Marcus Brutus 137 Masham, D. 260 Mersenne, M. 48n, 56–57, 59, 76, 80, 119, 129, 231–232 Le Moine, E. 233, 238 Newton, I. 395 Nicole, P. 2, 31–32, 237, 316n
Platon 94, 98, 317–319 Pope, A. 331 Porphyr(ius) 98 Priestley, J. 396 Régis, P.-S. 198, 203 Regius, H. (Henry le Roy) 33n, 54, 82 Reid, E. 395 Reid, Th. 4, 5n, 51, 395–402 Richard Rufus 14 Rousseau, J.-J. 362 Sacy, le Maître de 231 Sclater, S. 41n Shaftesbury, A. Ashley Cooper, 1st Earl of (Lord Ashley) 259 Smith, A. 362, 396 Sokrates 93–94, 99, 244 Spinoza, B. de 9, 16, 19, 23–24, 26, 30, 35–37, 39, 47–48, 165–172, 299, 301 Steele, R. 331 Stewart, D. 396 Stewart, J. 395 Suárez, F. 13–15 Swift, J. 331 Sydenham, Th. 259 Thomas von Aquin (Thomas de Aquino) 10–13, 18, 22n, 215, 225, 314, 323 Thukydides 120 Turnbull, G. 395 von Braunschweig-Lüneburg, J. F. (Herzog) 299 von Hannover, S. Ch. (Königin von Preußen) 303, 306–307, 323 von Hessen-Rheinfels, E. (Landgraf) 306 von Schönborn, J. Ph. (Kurfürst und Erzbischof von Mainz) 299 von Tschirnhaus, E. W. 166 Voltaire
Paracelsus 402 Pascal, B. 232, 316 Paulus (Apostel) 213 Petrus Aureoli 18
Weigel, E. 299 Wilhelm von Ockham 13, 18 Wilhelm von St. Amour 319
Personenregister für Band 1
445
2. Personen nach 1800 Adam, Ch. 59 Adams, R.M. 33n, 301n Ariew, R. 10n Ayers, M. 5n, 6n Barkhausen, M. 24n, 331 Barth, Ch. 7n, 299, 307 Bartuschat, W. 171 Bender, S. Borcherding, J. 8n, 90, 231 Boulnois, O. 9n, 15n Brandt, R. 264n Bredekamp, H. 131n Brown, D. 5n, 16n Buchenau, A. 167n Clair, P. 237n Copleston, F. 45n Corcilius, K. 19n, 29n, 119 Cottingham, J. 46n Couturat, L. 305 Curley, E. M. 169 Davidson, D. 3 Della Rocca, M. 24n, 31n, 35n Des Chene, D. 26n, 32n Engfer, J. 45n Esfeld, M. 122n Finster, R. 307 Fodor, J. 5 Fraser, A. 263 Frischeisen-Köhler, M. 132 Garber, D. 26n, 301n Garrett, D. 35n, 37n Gaston, G. 305 Gerhardt, C. I. 305 Gilson, E. 14n Girbal, F. 237n Grüne, S. 16n, 53 Haag, J. 4n, 24n, 331, 395 Hamilton, W. 396, 401–402
Hartz, G. 301n Hatfield, G. 5n, 30n Hoffmann, T. 10n, 13n Jessop, T. E. 336 Jolley, N. 7n, 25n Keynes, J. M. 361n King, P. 17n Krüger, L. 44n, 46n Kuhn, Th. 20n Kulenkampff, J. 366n Lehrer, K. 4n, 397n Lenz, M. 6n, 8n, 259 Lipps, Th. 366 Loeb, L. 45n Lowe, J. 6n, 21n Luce, A. 336 Menn, S. 26n Mercer, Ch. 33n Michael, E. 32n Mossner, E. C. 362n Nadler, S. 16n, 30n Nidditch, P. H. 2n, 6n, 19n, 20n, 32n, 38n, 41n, 42n, 43n, 46n, 263, 366 Normore, C. 14n Osler, M. 25n Pasnau, R. 17n Perler, D. 1, 5n, 14n, 16n, 17n, 25n, 47n Phemister, P. 301 Putnam, H. 3n, 397n Robinet, A. 202 Rodis-Lewis, G. 202 Rorty, R. 5n Rubini, P. 16n, 23n, 41n, 90n, 197, 202 Rutherford, D. 301n Saporiti, K. 25n Schlösser, J. 131
446
Personenregister für Band 1
Schmid, S. 8n, 16n, 19n, 31n, 59, 165, 198n, 231, 239 Schmidt, A. 59 Schmutz, J. 15n Selby-Bigge, Lewis A. 366 Shapin, S. 20n Sleigh, Jr., R. 301n Spruit, L. 19n Sraffa, P. 361n Stoichita, P. 19n, 31n, 165, 202, 307 Streminger, G. 362n Stroud, B. 5n Swoyer, Ch. 21n Tachau, K. 19n Tannery, P. 59 Thiel, U. 260n Tuck, R. 28n, 122
Ungerer, S. 264 Van Cleve, J. 4n Wagner, S. J. 34n Wells, N. 14n Wiesing, L. 366n Wild, M. 4n, 9n, 361, 395 Wilson, C. 301n Winckler, C. 263, 264n Wippel, J. 11n Wolterstorff, N. 397n Woolhouse, R. 260n Yolton, J. 6n, 41n
Sachregister für Band 1
447
Sachregister für Band 1 Abbildmodell 17–18, 19n Abstraktion 76, 88–89, 93, 95, 97, 106, 116, 237, 243, 262–263, 278, 279, 329, 338, 340–341, 343–344, 383, 401 Adäquatheit 24n, 168 Affekt / Affektionen 34n, 54, 63, 161, 169, 179–180, 183, 185, 187–190, 192–193, 280, 309, 312, 330, 345, 399, 428, 431 Ähnlichkeit 21, 118, 243, 272, 275, 287, 323, 326, 345, 348, 368–370, 384, 386, 400, 411, 414, 432 Akzidenz / akzentell 15n, 66, 95, 112–113, 116–117, 150, 155–156, 162–163, 282, 306 Allgemeinbegriff 82, 123, 306 Analogie 16, 107, 112, 115, 235, 241–242, 335, 414–415, 417, 419, 423–424, 427–428, 431 Anschein 122, 133, 160, 205, 370, 375, 382, 416 Antirealismus 121 Archetyp 67, 215, 292, 253, 256 Aristoteliker / Aristotelismus / aristotelisch 9n, 10, 17, 19, 21, 26–27, 30–33, 37, 39, 85, 119–120, 197, 233, 396 assimilieren 28, 37, 39 Atomisten / Atomismus / atomistisch 86–87 Attribut 23, 31, 95–96, 99, 108, 113, 148, 163, 166–169, 179–182, 187–188, 193, 234, 244, 301, 315, 349–350, 412, 420, 433 Attributspluralismus 167 augustinisch 9, 39 Ausdehnung / ausgedehnt 19n, 23, 27, 29–31, 54–55, 67–68, 80, 113–114, 116–117, 119, 156, 166–169, 181, 183,
188, 201, 206–207, 217–219, 221–222, 224–230, 234, 244, 248, 258, 273–274, 276, 283–284, 300–301, 316, 318, 320, 338, 343, 345–347, 349–350, 373, 382, 410–413, 418 – intelligible A. 225, 228–230 Begriff passim Benennung 128, 144, 147, 159, 178, 251, 284, 295 Bestreben 133 Betrug der Sinne 121 Bewegung 19n, 17, 33, 35, 61, 67–68, 72–73, 83, 86, 100, 103, 120–121, 124–129, 133–137, 140, 143, 144, 150, 159, 161–162, 186, 199, 210–211, 213, 222–223, 227–229, 234, 243, 265, 268–269, 273–275, 283–284, 295, 310, 313–314, 316–317, 322, 338–340, 342, 344–345, 347, 354, 356, 374–375, 378–380, 385, 410–412, 419, 422, 430 Bewusstsein / bewusst 3, 21, 76–77, 123, 160–161, 163, 192, 226, 255, 257, 265–266, 302, 315, 332–334, 368, 386–387, 389, 397–399, 401, 405, 414, 416–420, 422, 429–431 Bild passim Cartesianismus / cartesisch 40–41, 48, 54–55, 86, 105, 132, 165, 167, 197–198, 216, 222, 231–233, 238, 299, 305, 307–308, 335, 416–418, 420–421 conceptus vgl. auch Vorstellung 91, 118, 319 Definition 88, 98, 122–124, 126, 128, 148–149, 151, 153–156, 158, 168, 170–171, 179, 233, 249, 252–256,
448
Sachregister für Band 1
258, 311–314, 321, 324–325, 334, 352, 374, 389, 392, 419, 429 Denken passim – Objekt des D.s 2, 5–9, 328 Denkakt 13–16, 302, 309 Denkinhalt 2 Deutlichkeit 57–58, 168, 233, 244 Ding passim – denkendes D. 63, 108, 167, 179, 181, 346, 349 – körperliches D. 67–68, 95, 240, 247, 250–252, 270, 301 – materielles D. 14, 58, 69, 117, 206, 247–248, 253, 256–257, 266, 398 Disposition / dispositional 6, 32, 40, 49, 57, 68, 82, 124, 152, 223, 303, 320, 327, 329–330 Dispositionstheorie 7 Dreieck 23–25, 48, 69–71, 76, 79–80, 118, 147, 172, 209, 225, 240, 243–244, 251, 255, 257–258, 280, 288, 290, 296, 323, 341, 383, 387 Dualismus / dualistisch 29, 33, 54–55, 199 Eigenname 93, 146, 244 Einbildung(skraft) / einbilden 57, 61–63, 69, 71–72, 76, 80, 83, 133, 135–140, 145, 150, 223, 240, 245, 255, 279, 288, 291–292, 295, 318, 325–326, 334, 342, 349, 352, 362–365, 367, 373, 375–378, 380, 382, 385, 388–390, 393, 408–409, 411, 419, 421, 424–425, 431 Eindruck (Sinnes-) 9n, 22, 23n, 31, 34n, 35–36, 38, 40, 42, 44, 87–88, 102, 103, 121, 135–137, 141, 212, 231–232, 245, 267–269, 276–277, 296, 309, 343–344, 346, 349, 362–376, 379–380, 383, 386–389, 391–394, 397, 412–413, 417, 424 Einzelding siehe Individuum Elementarbegriff 123, 126 Elementardefinition 124 eminent 66, 68, 75, 77, 101, 215 Emotion 170, 266, 368, 373, 375, 380
Empfindung / empfinden passim – E. als Modifikation des Geistes 212, 221 – E. vs. klare Idee 201, 220, 226 – innere E. 214, 217, 220, 221, 226 Empirismus / empiristisch 39–50, 86, 121 Erfahrung 1, 3, 7n, 40n, 41–44, 45n, 48, 64, 72–73, 83, 87, 89, 91, 97, 110, 128, 136, 142–143, 145, 157–159, 176n, 186, 193, 205, 209, 222, 224, 236, 260–262, 265, 283, 294, 310, 315, 319, 321, 329, 330, 334–336, 349, 352–353, 357, 363, 371, 373, 376, 379–380, 386, 415, 433 Erfassen 3, 37, 47, 102, 117, 239–40, 344 Erinnerung (Gedächtnis) 89, 96, 102, 122, 136, 139, 141–142, 144–147, 149, 151, 157, 163, 169, 175n, 268, 278, 297, 328, 334, 342, 363, 365, 367, 375–378, 380, 387–388, 392, 398, 400, 401, 405, 408–409, 413, 416, 421, 424, 426–429 Erkenntnis passim – E. durch Licht (klare Idee) oder durch Empfindung 220–221 – sinnliche E. 121–123 – Theorie der E. 125–127 Erkenntnisrealismus 21 Erscheinung 3, 28–29, 132–135, 137–138, 269, 276, 278, 286–287, 292, 371, 373–374, 380, 384, 419 Esse est percipi 24, 333, 343 Essenz vgl. auch Perfektion 38, 78–79, 98, 100, 117, 172–175, 177–181, 183, 186, 191–193, 200–202, 204, 206–208, 213–216, 220–222, 224–225, 229–230, 261, 283, 285, 295, 297, 304, 313, 317, 319, 321, 322, 348 – formale E. 173–174 – objektive E. 172–173 Existenz passim – objektive E. 13–16, 20, 23 – subjektive E. 13–14 – E. von Körpern 125, 343, 413
Sachregister für Band 1 Falschheit 57, 63, 67, 78, 100, 118, 191, 195, 216, 249, 284, 286–287, 433 – formale F. 57, 67 – materiale F. 67, 78 Farbe 13, 16, 43, 61, 83, 92, 95–97, 101–102, 109–110, 116–117, 126n, 133, 145, 150, 154, 156, 160, 219, 226, 228–229, 244, 245, 269–271, 273–276, 278, 282, 286–287, 311–312, 316–317, 324, 326, 338–339, 342–347, 350, 352, 356–358, 369, 372–373, 380–381, 386, 391, 393, 403, 418, 430, Fiktion / fiktiv 34, 36, 57–58, 70, 88, 136, 142, 174–176, 292, 329, 363, 381, 393, 399, 400 Folgerung / Schlussfolgerung 82, 104, 107, 110, 112, 117, 122, 124–125, 147–148, 153–155, 248, 252, 254, 258, 288, 291, 293, 389 Form passim – intelligible F. 16–17, – substantielle F. bzw. Naturen 26, 32–34, 37, 39, 207, 233, 283 – wahrnehmbare F. 16 Gedanke passim – einfacher G. 127–128 – zusammengesetzter G. 128, 262 Gedankenkette 140 Gedächtnis siehe Erinnerung Gefühl siehe Emotion Gegenstand siehe Objekt Gehirn 28–31, 34–36, 55, 58, 72–73, 77, 83, 87–89, 100–103, 127, 133, 136–137, 217, 240–243, 271, 274, 291, 309, 433 Gehör 242, 342, 397, 408 Geist / Seele passim – Passivität des G. 200 – Einheit des G. 34, 37 Gemeinsinn 61, 72, 303, 325–326 Geometrie 53, 123, 148, 155–157, 258, 316, 318, 325 Geruch 43, 61, 67, 101–102, 117, 133, 226, 242, 269–271, 275, 311, 316, 324, 342–344, 369, 384, 401, 418
449
Geschmack 67, 101, 102, 133, 226, 242, 269, 270, 271, 273, 275, 342, 344, 369, 372, 380, 401, 418 Gewissheit 123, 138, 140, 154, 173, 178, 194–195, 214, 253, 260, 263, 277, 291, 293, 296, 322, 374 Gewohnheit 71, 139, 237, 240, 243, 276–277, 303, 317, 327–328, 357, 363, 378, 384–385, 392 Glaube vgl. auch Überzeugung 41n, 45n, 109, 138, 144, 249, 252–254, 266, 390, 392–393, 398, 410, 412–413, 421–423 Gott passim – immanenter G. 24 – transzendenter G. 23–24 – als Schöpfer 11, 66, 112–113, 161–162, 164, 211, 215, 223, 271, 292, 374, 410, 414 – als dem Geist gegenwärtig / mit ihm vereint – als einziges intelligibles Wesen – Beweis von G.s Existenz 25n, 59, 160, 213, 209, 256–257, Hylemorphismus 19, 26–27, 32, 33n Hypothese 123–124, 174n, 316, 392, 399, 401, 411–412 Idealismus 301, 332–333, 336, Ideen passim – adäquate / inadäquate I. 24, 47, 168–169, 173, 179, 191–194, 262, 293, 303, – aktiv/passiv hervorgebrachte I. 68, 275–276, 347–348, 350 – angeborene I. 40n, 41–42, 46–49, 57, 59, 70, 82, 106, 161, 168, 367, 373 – Bündel von I. 9, 35–36, 38, 169, 333, 335 – einfache / komplexe I. 43–44, 46n, 49, 87, 89, 177, 261–262–263, 268–269, 270–272, 275, 279–282, 285–286, 292–293, 338–339, 362n, 370–371, 373, 376–380, 384, 392 – erworbene I. 46–47, 88, 261 – göttliche I. 14–15, 22,
450
Sachregister für Band 1
– klare, deutliche vs. dunkle, verworrene I. 47, 67, 78, 88, 91, 106, 113, 117–118, 189–192, 195, 201, 209, 214, 220–221, 226, 237, 344–245, 249, 252, 284, 303, 311, 312, 315, 317, 325–226, 329, 380, 384, 387, 424 – menschliche I. 15, 24–25 – Reflexionsideen 43 – sinnliche I. 43, 45, 55, 59, 162, 236–237, 304, 349 – als Essenzen 224–225, – als unmittelbare Gegenstände des Geistes 14–15, 18, 43, 56, 61, 65, 76, 200, 204, 210, 216–217, 254–258, 272, 288, 292, 297, 303, 317, 319, 320, 327, 329, 334–335, 346, 352, 356, 392, 397–400, 424–432 – von außen hinzukommende I. 57, 64, 82, 105–106 – von Substanzen 162, 261, 263, 283, 285–286, 293–294, Identitätsmodell 17–19 Individuum / Einzelding 35–36, 42, 180, 182, 184–185, 188–189, 244, 323, 339, 355, 378–380, 432–433 Innatismus / innatistisch 47–48, 260 intelligibles Sein 17, 224, 228–229, 251 Irrtum 64, 78, 105, 124–125, 148–149, 154–155, 168, 187, 191–192, 198, 202, 214, 318, 391, 411–412, 414, 417–418, 430 kantianisch 45 Kausalität / kausal 11n, 12, 17, 22–23, 25n, 25–31, 27, 30, 32n 33, 36, 55, 58, 124, 127–129, 167, 199–200 234–236, 314, 333, 363, 365, 378–379, 381, 389–390, 399 Kausalrelation 22–23, 25–27, 29, 31, 32n, 36, 235, 378 Kausaltheorie Klarheit 57–58, 168, 233, 244, 289, 296, 494 Klugheit 128, 142–143, 157–159 Kognitionstheorie 8–9, 23 Kognitionswissenschaft 5 Konstitution 38, 283, 285 Körper passim
Körperbewegung 121, 124, 126–127 Kraft 15n, 23, 27, 30, 33, 71, 86, 96, 110, 135, 143, 148, 153, 176, 219, 223, 240, 270, 272–275, 280, 283, 286, 290, 292, 341, 347, 368–369, 371, 374, 391–394, 396, 409 Kreis 70, 119, 172–173, 181–182, 204, 226, 229, 231, 239, 251, 276, 291, 310, 324, 379, 395, 431, 432 Leidenschaft vgl. auch Emotion 61, 140–141, 151–152, 212, 226, 356, 368, 379–381, 428 Licht, natürliches 64, 66–67 Linie 338, 340, 341, 383 Markierungen 145 Materie 10, 16–17, 26–27, 29, 78, 116, 133, 140, 150, 162, 199, 208, 222–223, 227, 234, 272, 317, 323, 345–346, 411, 418–419 Mechanik / mechanisch / mechanistisch 27–32, 53, 58, 75, 120–122, 124, 126–127, 129, 131, 156, 198–199 – Prinzipien der M. 404 Meinung vgl. auch Überzeugung 55, 125, 146, 152, 166, 192–193, 198, 212, 221, 242, 271, 288, 335, 337, 349, 354, 389–392, 405, 409–410, 414, 424–427 mentale Phänomene 235 Metaphysik 3, 54, 170, 249, 258–259, 305, 335, 363, 405, 407–408 Methode / methodisch 18, 53, 62, 94–95, 120, 123–126, 128, 155, 157, 169–170, 173–174, 178, 249, 256, 261, 309, 375, 401, 415–416 – resolutiv-kompositive M. 124–126 Minimalismus, ontologischer 124 Modalität 214–220 Modaltheorie 11 Modell 9–10, 14, 16–20, 22, 28, 30–33, 123, 215–216, 227, 309 Modus 64, 66–67, 71, 166, 169, 179–181, 183, 185, 188, 191, 194, 233–234, 262, 281, 349,-350, 380 Monismus / monistisch / Substanzmonismus 30, 35, 166–167, 301
Sachregister für Band 1 Natur passim – wahre / unveränderliche N. 57–58, 70, 75–76, 117, 212, 216, 221, 354–355, 359 Naturphilosophie / naturphilosophisch 20, 26–30, 53, 119, 130, 261, 263, 375, 402, 413, 415 – mechanistische N. 29–30 Nezessitarismus / Nezessitarist 47–48 Nominaldefinition 124, 314, 324–325 Norm 173–174, 178, 195 Objekt passim – intentionales O. 14, 19, 169 – mittelbares / unmittelbares O. 200, 317, 319, 328–329, 334–335, 356, 397, 398–399, 424, 426–432 Objektmodell 17 Okkasionalismus 199, 232, 234–235, 237 Ordnung 11, 18, 24, 33, 46–49, 63, 66, 166–167, 170, 173, 176, 179–181, 187, 190–191, 193, 205, 212, 308, 318, 346, 369, 393, 402, 410 Parallelismus 167–169 Perfektion siehe Essenz Peripatetiker vgl. auch Aristotelismus 159, 222, 233, 417–418, 425 Perzeption / perzipieren passim Phänomen 86, 118, 120–124, 125n, 126, 128–129, 131, 235, 237, 367, 371–372, 374, 376, 404, 419 Phantasie vgl. auch Einbildungskraft 77, 79–80, 201, 241, 265 – körperliche P. 77, 80 Platonismus / platonisch 9, 11, 39, 328 Prädikat 99, 177, 320–322 Prädikation / prädizieren 99, 128 Proposition / propositional 48, 88, 90–91, 99–100, 104, 120, 168, 262, 277, 296, 306, 311, 320, 322, 391, 405 Qualität 19n, 26n, 61, 67–68, 96, 100, 102–103, 121, 128, 132, 146, 150, 232, 234, 244–245, 261–263, 265–266, 269–270, 272–275,
451
277–278, 280, 282–284, 392, 304, 312, 317, 324–326, 328, 334, 345, 348–349, 355, 358, 369, 374, 382–384, 408–409, 418 Rationalismus / rationalistisch 39–42, 44–46, 49–50 Realismus 21, 301 Realität 57–59, 66–68, 75, 77–78, 112–115, 121, 125, 162–163, 169, 184, 195, 217–220, 255–256, 275, 290, 292–294, 314–315, 333, 335, 349 – objektive R. 57–59, 66, 75, 77, 112–114, 162–163, 169, 255–256 – formale R. 59, 66, 113 Rede, geistige 139–140, 145 Reflexion 42–43, 45, 121, 133, 202, 237, 255, 257–258, 261–263, 266–268, 270, 271, 275–276, 279–280, 282, 327–328, 330, 347, 350, 364, 373, 375, 380, 386, 411–412, 414–417, 420–423 Relation / relational 11, 13–15, 17, 19n, 21–23, 25–27, 29–32, 36–37, 46–47, 128, 145, 167, 199, 202, 234–235, 262–263, 266, 279–281, 288–290, 297, 334, 341, 350, 364–365, 369, 371, 378, 381, 386, 388, 392, 420 Repräsentation/ repräsentieren passim Repräsentationalismus 5, 7–8, 20–21, 333, 398 Rezeptionsmodell 16 Satz 108, 160, 242, 257, 277, 284, 289, 296, 341, 390–391, – mentaler S. 296 Schluss / schließen 76, 104, 108, 117, 123, 125, 158–159, 164, 174, 176n, 177, 217, 258, 266, 268, 270, 291, 314, 316, 346, 370, 373, 379, 382–383, 391, 406, 418 Schulphilosophie (Scholastik / scholastisch) 15–16, 20, 54, 151, 156, 197, 242, 259, 313, 315, 329, 385, 391, 407 Seele siehe Geist Sein 59, 180–182, 185, 256, 353, 344, 383
452
Sachregister für Band 1
Seinsweise 56, 67, 225, 251 – formale S. 67 – objektive S. 56 Sinn passim – äußerer S. 44, 61, 100, 265, 325–326, 328, 401, 427 – fünf S.e 143, 271, 401, 423 – innerer S. 266, 325–326 Sinnesorgane 28, 65, 69, 83, 89, 102, 127, 132, 136–137, 161, 234–236, 372 Sinnesempfindung 121, 127–128, 130–133, 135–140, 144, 149, 157, 261–263, 265, 266, 268, 270–279, 422 – einfache S. 127 – Ursache der S. 133 Skeptizismus / skeptisch 5–6, 8, 85–87, 121–122, 125, 332–333, 350, 352, 361, 367, 398, 403–404, 406–408, 412–413, 418, 420–422 Solipsismus 6 Species 9, 18n, 19n, 87–89, 91, 100–101, 103–104, 106, 109–110, 134, 215n, 248, 264, 317, 323, 358, 428, 432–433 – S. sensibiles 433 – S. intelligibiles 18n, 19n – S. impressae / expressae 88–89, 103 – sichtbare S. 134 Sprache / sprachlich 17–18 51, 59, 120, 128, 131, 143–149, 151, 157, 262, 285, 306, 309, 337, 355, 357–358, 396, 378, 396, 403, 415, 424–426, 431, 432 Subjekt 13, 99, 177, 272, 274, 282, 284, 290, 296, 320–323, 330, 349–350, 399–400, 405 Substanz passim Substanzendualismus siehe Dualismus Substanzmonismus siehe Monismus Substanztheorie 9n System der Erkenntnisformen 126 Tastsinn 92, 101, 133, 242, 269, 272, 324, 408 Theorem 130, 155 Ton 16, 29, 101, 249, 274, 343, 380 Traum 136–140, 164, 291 Triangulationsmodell 22
Überzeugung vgl. auch Meinung 3, 8, 30, 86, 175, 213, 343, 362–365, 367, 388–389, 391–392, 399, 408, 412–413 Unendliches 67, 114–115, 163–64, 172, 181–182, 188, 201, 209–210, 214, 216–220, 224, 250, 253, 322, 330 Universalname 146 Ursache 7, 12, 23n, 24n, 59, 62, 66–67, 73, 75, 103, 118, 122–126, 129, 133–134, 139, 141, 145–146, 155–158, 160, 163, 173, 177–178, 180–181, 184, 186–187, 192, 195, 199–200, 221–223, 233, 245–246, 251, 263, 276, 285, 294, 310–312, 319–321, 324, 326, 330, 341, 348, 371–372, 374–375, 378–379, 420, 422 – Gelegenheitsursache 23n, 40, 199, 224 – erste U. 124–125, 155, 178 Urteil / urteilen 46n, 57, 63–65, 67, 78, 81–83, 88–89, 98–100, 104, 106, 114, 118, 138–139, 153, 159, 161, 204, 219–221, 239, 245, 248, 250, 276–277, 286, 312, 315, 328, 354, 357, 363, 387, 391, 393, 401, 407, 411, 421–423, 425 Vermögen 7, 32, 34, 40n, 64–65, 78, 102–105, 107, 115–116, 22–223, 242, 252, 271, 275, 277, 280, 289, 303, 309, 311, 329, 363, 365, 372, 376–377, 385, 393, 401, 403, 408, 410, 412, 414–416, 419, 423–424, 427, 433 – Denkvermögen 82–83, 302, 304, 310, 413 Vernunft 42, 45n, 62, 65, 81, 98–99, 108, 110, 115, 118, 128, 131, 139, 149, 152–154, 157–158, 162, 193, 206–207, 223–224, 239, 252–253, 265, 295, 322, 328, 346, 350, 367, 375, 377, 385–387, 391–392, 398, 401, 404, 406, 410, 412–413, 419, 421, 423, 431 Verstand passim Verstehen 71, 193, 151, 219, 297, 431 – reines V. 71–72, 219
Sachregister für Band 1 Vision 137–138, 267, 290–291, 293 Vollkommenheit 67, 70, 76–77, 79, 112, 114–115, 195, 296 Voluntarismus 25n Vorstellung / vorstellen vgl. auch conceptus passim – einfache V. 90–91, 99, 136, 389 – zusammengesetzte V. 136 Vorstellungsvermögen 32, 90–91, 115–116, 139, 403 Wahrheit 57, 62–64, 76, 78, 81, 100, 105–109, 118, 120, 123, 126, 128, 134, 148, 154, 156, 158, 168–169, 173, 178, 194–195, 198–199, 201–203, 209, 211–212, 220, 224, 233, 236, 241, 247, 249, 257–258, 273, 275–277, 279, 283–286, 290–291, 293, 295–296, 302, 310–311, 314–316, 318–322, 326–327, 337, 344, 375, 384, 386, 389, 390, 392, 407–408, 413–414, 417, 422, 433 – Kohärenztheorie der W. 186 – Korrespondenztheorie der W. 88, 186 – absoluter Wahrheitsanspruch 123 Wahrnehmung / wahrnehmen passim Wahrnehmungsskeptizismus 122, 125 Weisheit 96, 142, 152, 158, 163, 207, 212–213, 224, 271, 286, 292, 321, 402, 406, 409–410
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Wesen vgl. auch Essenz 12, 21, 27, 38, 69, 70–71, 79–80, 87, 95, 115, 129, 166, 205–208, 212–213, 253, 271, 306, 317, 334, 341, 344, 348–350, 352–353, 374, 377, 420, 431 – geistige W. 205–208, 212–213, 334, 342–344, 348–350, 352–353, 420 Widerspruch 176, 199, 217, 220, 226, 31–314, 322, 343–344, 347, 351, 354, 375, 383, 429 Widersinnigkeit 137, 148–149, 154–156, 158 Wiedererinnerung 128, 141, 145–146, 317, 328 Wille 25n, 48, 56, 63–65, 76, 82, 109, 139, 146, 155–156, 161, 173, 175, 192, 211–213, 215, 224, 228, 245, 292, 319, 321, 349, 406 Willensakt 63, 224, 228 Wirkung 15, 35, 66, 114, 122–124, 135, 141, 146, 155, 157, 161, 176n, 179–180, 184, 199, 249, 297, 310, 319–320, 326, 332, 348, 365, 379, 388, 391, 407, 420, 422, 428 Wissen passim Wissenschaft 53, 128, 131, 149, 152–153, 158, 163, 252, 263, 297, 367, 373, 381, 393, 419 Zirbeldrüse 55, 58, 60–61, 83 Zeichen 3, 17–18, 19n, 20, 73, 101–102, 128, 139, 141, 145, 150, 158–159, 193, 205, 261–263, 276, 278, 281, 286–287, 295–297, 310, 334, 340–341, 357–359, 384 Zeichenmodell 17–18, 20
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Sachregister für Band 1
Deutsche Fassungen der Texte Descartes, René, Meditationen. Dreisprachige Parallelausgabe Latein – Französisch – Deutsch, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Andreas Schmidt, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. Übersetzung der Passagen aus den Meditationen, den Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Erwiderungen, den Prinzipien, dem Brief an Mersenne vom Juli 1641, dem Gespräch mit Burman sowie einem Teil der Passagen aus den Fünften Erwiderungen (AT VII 366) mit leichten Änderungen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages Vandenhoek & Ruprecht. Gassendi, Pierre. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Maria Seidl, Julia Borcherding und Paolo Rubini. Hobbes, Thomas, Leviathan. Neu übersetzt von Jutta Schlösser, mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hermann Klenner, Hamburg: Meiner 2004. Übersetzung der Einwände von Max Frischeisen-Köhler (Thomas Hobbes, Grundzüge der Philosophie. Erster Teil: Lehre vom Körper, Leipzig: Meiner 1949, 168–170) mit leichten Änderungen. Abdruck der Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Meiner Verlages. Spinoza, Baruch de, Werke in drei Bänden, hrsg. von Wolfgang Bartuschat, Hamburg: Meiner 2006 (Deutsche Werkausgabe). Übersetzung wurde in der Rechtschreibung angepasst. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Meiner Verlages. Malebranche, Nicolas. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Paolo Rubini. Arnauld, Antoine. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Julia Borcherding und Stephan Schmid. Locke, John. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Martin Lenz. Leibniz, Gottfried Wilhelm. Was ist eine Idee? und Überlegungen wurden neu übersetzt von Paolo Rubini in Zusammenarbeit mit Christian Barth. Textauszüge aus der Metaphysischen Abhandlung und den Neuen Abhandlungen, der Entwurf eines Briefes an Arnauld (1686) und der Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702) wurden neu übersetzt von Pedro Stoichita in Zusammenarbeit mit Christian Barth. Berkeley, George. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Johannes Haag und Max Barkhausen. Hume, David. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Markus Wild. Reid, Thomas. Sämtliche Textauszüge wurden neu übersetzt von Johannes Haag und Markus Wild.
De Gruyter Studienbuch Ideen Band 2
Ideen Repräsentationalismus in der Frühen Neuzeit Band 2: Kommentare herausgegeben von
Dominik Perler und Johannes Haag
De Gruyter
ISBN 978-3-11-019542-2 e-ISBN 978-3-11-022368-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten/Allgäu ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degryuter.com
V
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis 1. René Descartes (Stefanie Grüne) . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einführung: verschiedene Verwendungen des Begriffs der Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Auszüge aus Abhandlung über den Menschen . . . . . . . 1.2.2 Auszüge aus den Meditationen über die erste Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Auszüge aus Einwände verschiedener Gelehrter gegen die vorstehenden Meditationen, mit den Antworten des Verfassers 1.2.4 Auszüge aus Brief an Mersenne (1641) . . . . . . . . . 1.2.5 Auszüge aus den Prinzipien der Philosophie . . . . . . . 1.2.6 Auszüge aus den Bemerkungen über ein gewisses Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.7 Auszüge aus dem Gespräch mit Burman . . . . . . . . 1.3 Essay: Descartes über Ideen als repräsentierende und repräsentierte Entitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Pierre Gassendi (Maria Seidl) . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einführung: radikaler Empirismus . . . . . . . . . . . 2.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Auszüge aus Syntagma Philosophicum. Pars I: Logica . 2.2.2 Auszüge aus Syntagma Philosophicum. Pars II: Physica 2.2.3 Auszüge aus Disquisitio metaphysica . . . . . . . . 2.3 Essay: Was ist eine Idee? . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
43 43 48 48 54 58 62
3. Thomas Hobbes (Klaus Corcilius) . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung: Erkenntnistheorie in Hobbes’ philosophischem System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Auszüge aus Leviathan . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Auszüge aus Einwänden gegen Descartes’ Meditationen . . 3.3 Essay: Wie ist Hobbes’ Reduktion der Sinnesempfindungen zu verstehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
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1 1 3 3 4 15 18 18 18 19
83 88 88 102 104
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Inhaltsverzeichnis
4. Baruch de Spinoza (Pedro Stoichita und Stephan Schmid) 4.1 Einführung: Ideen im Dienste des Glücks . . . . . . . . . 4.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Auszüge aus Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Auszüge aus Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt . 4.3 Essay: Erkenntnis, Bedeutung und Wahrheit – faktischer und epistemischer Gehalt von Ideen . . . . . . . 5. Nicolas Malebranche (Paolo Rubini) . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einführung: Malebranches Ideen als Bedingungen wahrer Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Stellenkommentar: Auszüge aus Die Suche nach der Wahrheit . 5.3 Essay: Natur und Funktion der Ideen als Repräsentationen 6. Antoine Arnauld (Julia Borcherding und Stephan Schmid) 6.1 Einführung: Wahre und falsche Ideen – die Kontroverse zwischen Arnauld und Malebranche . . . 6.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Auszüge aus Die Logik oder Die Kunst des Denkens . . . 6.2.2 Auszüge aus Über die wahren und falschen Ideen . . . . . 6.3 Essay: Intentionalität, Repräsentation und Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. John Locke (Martin Lenz) . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Einführung: Welche Rolle spielen die Ideen in Lockes Philosophie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Stellenkommentar: Auszüge aus Versuch über den menschlichen Verstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Essay: Lockes psychologische Logik der Ideen . . . .
123 123 127 127 134 142 161 161 167 188 209 209 215 215 221 232
. . . 253 . . . 253 . . . 259 . . . 265
8. Gottfried Wilhelm Leibniz (Christian Barth) . . . . . . . . 8.1 Einführung: Gottes Ebenbilder – die theologische Einbettung von Leibniz’ Ideentheorie . . 8.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Was ist eine Idee? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen . . . . . 8.2.3 Auszüge aus Metaphysische Abhandlung . . . . . . . . . 8.2.4 Auszüge aus Entwurf eines Briefes an Arnauld (1686) . . 8.2.5 Auszüge aus Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702).
287 287 292 292 294 301 305 306
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Inhaltsverzeichnis
8.2.6 Auszüge aus den Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 8.3 Essay: Dauerhafter Adverbialismus . . . . . . . . . . . . 314 9. George Berkeley (Max Barkhausen und Johannes Haag) 9.1 Einführung: Berkeleys Welt . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Auszüge aus Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Einleitung . . . . . . . . . 9.2.2 Auszüge aus Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Teil I . . . . . . . . . . . 9.2.3 Auszüge aus Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Auszüge aus Versuch über eine neue Theorie des Sehens 9.3 Essay: Abstrakte Ideen und die Argumentation für den Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. David Hume (Markus Wild) . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Einführung: Humes Projekt einer Wissenschaft vom Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Stellenkommentar: Auszüge aus Abhandlung über die menschliche Natur und Abstract . . . . . . . . . . . . 10.3 Essay: Humes Nominalismus – einfache Eindrücke als Tropen . . . . . . . . . . .
. 339 . 339 . 343 . 343 . 345 . 351 . 354 . 356
. . . 377 . . . 377 . . . 384 . . . 401
11. Thomas Reid (Johannes Haag und Markus Wild) . . . . 11.1 Einführung: Reids Begriff des Common Sense . . . . . 11.2 Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Auszüge aus Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Prinzipien des Common Sense . . . . . 11.2.2 Versuche über die intellektuellen Vermögen des Menschen 11.3 Essay: Empfindung und Wahrnehmung – Reids Adverbialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
423 423 430
Nachwort: Ideen – Systematischer Ausblick (Johannes Haag) 1. Intentionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sinnliche Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schleier der Wahrnehmung? . . . . . . . . . . . . . . .
463 465 473 491 507
. . . . .
430 439 441
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Inhaltsverzeichnis
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 1. Literatur vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 2. Literatur nach 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 Personenregister für Band 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 1. Personen vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 2. Personen nach 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Sachregister für Band 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
Einführung: Verschiedene Verwendungen des Begriffs der Idee
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1. René Descartes Stefanie Grüne
1.1 Einführung: Verschiedene Verwendungen des Begriffs der Idee Den Begriff der Idee verwendet Descartes in allen Phasen seines philosophischen Schaffens, allerdings nicht auf einheitliche Weise. Im Folgenden soll deswegen ein sehr knapper Überblick über die verschiedenen cartesischen Verwendungsweisen des Begriffs der Idee gegeben werden. In seiner frühen Schrift Abhandlung über den Menschen fasst Descartes Ideen als körperliche Entitäten auf. Die Entstehung einer visuellen Wahrnehmung beschreibt er dort – vereinfacht dargestellt – folgendermaßen:1 Sieht man einen Gegenstand, dann bewirkt das Einwirken von Lichtstrahlen auf dem Auge das Entstehen einer Figur (figure) auf der Retina. Die Retina ist durch Nervenfäden mit dem Gehirn, insbesondere mit einem bestimmten Teil des Gehirns, nämlich der Zirbeldrüse, verbunden. Die Figur auf der Retina wird durch eine Reizung dieser Nervenfäden an die Zirbeldrüse weitergeleitet, so dass auf deren Oberfläche eine Figur mit derselben Struktur entsteht. Eine Wahrnehmung liegt dann vor, wenn der Geist bzw. die Seele eine solche Figur auf der Oberfläche der Zirbeldrüse betrachtet. Diese Figur auf der Oberfläche der Zirbeldrüse bezeichnet Descartes als Idee. Unter Ideen versteht er der Abhandlung über den Menschen zufolge also Seinsweisen bzw. Modi einer körperlichen Substanz. In späteren Schriften dagegen charakterisiert Descartes Ideen häufig als geistige Entitäten. So schreibt er im Vorwort zu den Meditationen, der Ausdruck „Idee“ sei mehrdeutig: Bei Ideen handele es sich einerseits um Tätigkeiten des Verstandes, zum anderen um die durch diese Tätigkeiten repräsentierten Dinge.2 Was genau unter Ideen als Tätigkeiten des Ver1 2
Zum Folgenden vgl. Abhandlung über den Menschen, AT XI 174–7; Bd. 1, S. 60 f. AT VII 8; Bd. 1, S. 62.
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René Descartes
standes und Ideen als repräsentierten Dingen zu verstehen ist, ist eine komplizierte Frage, die im systematischen Kommentar behandelt wird. Hier soll nur auf Folgendes hingewiesen werden: Tätigkeiten des Verstandes sind laut Descartes Seinsweisen geistiger Substanzen. Ideen als solche Tätigkeiten sind somit geistige Entitäten, genauer Modi geistiger Substanzen. Ob es sich auch bei Ideen als repräsentierten Dingen um geistige Entitäten handelt, ist dagegen umstritten. Da Descartes Ideen zunächst als körperliche, später jedoch häufig als geistige Entitäten charakterisiert, könnte man vermuten, dass er in seinen frühen und späten Schriften zwei grundsätzlich verschiedene Ideenund Wahrnehmungstheorien vertritt. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Positionen sind jedoch größer, als es zunächst scheint. So schildert Descartes das Entstehen einer Wahrnehmung bzw. einer sinnlichen Idee in der Sechsten Meditation und in den Affekten der Seele auf ganz ähnliche Weise wie in der Abhandlung über den Menschen.3 Nach wie vor geht er davon aus, dass bei der Wahrnehmung bestimmte Nerven gereizt werden, wodurch eine Figur auf der Zirbeldrüse entsteht, die durch den Geist angeschaut wird.4 Des Weiteren ist er nach wie vor bereit, körperliche Figuren als Ideen zu bezeichnen, allerdings nur, insofern sie dem Geist eine Form geben bzw. insofern sie vom Geist angeschaut werden.5 Zwischen der frühen und späteren Ideentheorie bestehen also durchaus Parallelen. Aus den bisherigen Ausführungen ergeben sich die folgenden cartesischen Verwendungsweisen des Begriffs der Idee: Während Descartes in seiner Frühphase unter Ideen ausschließlich körperliche Entitäten versteht, zählt er ab den Meditationen Modi geistiger Substanzen, Modi körperlicher Substanzen und die durch Modi geistiger Substanzen repräsentierten Dinge, was auch immer diese sein mögen, zu den Ideen. Umstritten ist die Frage, ob Descartes den Begriff der Idee darüber hinaus noch auf eine vierte Weise verwendet. Manche Interpreten gehen davon aus, dass Descartes unter Ideen manchmal Dispositionen versteht.6 Für diese Annahme spricht ihrer Meinung nach folgende Überlegung: Descartes nimmt an, dass wir angeborene Ideen besitzen. Dass uns Ideen 3
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Vgl. Sechste Meditation, AT VII 73; Bd. 1, S. 71 f. und Affekte der Seele, AT XI 351–5. Vgl. auch Gespräch mit Burman, AT V 162 f.; Bd. 1, S. 83. Zu der Frage, was Descartes unter dem Anschauen einer körperlichen Figur versteht, vgl. K33. Vgl. Zweite Erwiderungen, AT VII 160 f.; Fünfte Erwiderungen, AT VII 366. Vgl. Chappel 1986; Kemmerling 2005b, 218; Perler 1996, 37–47.
Stellenkommentar
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angeboren sind, bedeutet seiner Meinung nach nichts anderes, als dass uns die Disposition, bestimmte Ideen zu bilden, angeboren ist. Wenn Descartes also einerseits behauptet, bestimmte Ideen seien uns angeboren, andererseits aber das, was uns angeboren ist, als Disposition charakterisiert, dann scheint zu folgen, dass es sich bei Ideen um Dispositionen handelt. Jolley hat allerdings darauf hingewiesen, dass es sich bei Descartes’ Rede von angeborenen Ideen um eine elliptische Ausdrucksweise handeln könnte.7 Mit der Behauptung, manche unserer Ideen seien uns angeboren, würde Descartes dann ausschließlich darauf aufmerksam machen, dass uns die Disposition, Ideen zu bilden, angeboren ist, ohne damit die These vertreten zu wollen, dass es sich bei Ideen um Dispositionen handelt.
1.2 Stellenkommentar 1.2.1 Auszüge aus Traité de l’Homme / Abhandlung über den Menschen (1664) K1: Zum Begriff der Empfindung vgl. K12. K2: In diesem und dem folgendem Absatz unterscheidet Descartes zwischen Gemeinsinn und Einbildungskraft. Den ersten macht er für die Entstehung von Empfindungen, die zweite für die Entstehung von Einbildungen verantwortlich. An anderen Stellen dagegen verwendet Descartes „Gemeinsinn“ und „Einbildungskraft“ synonym. In der Zweiten Meditation z. B. schreibt er: „sensus communis […] das heißt […] das Vermögen der Einbildung“ (AT VII 32). Eine mögliche Erklärung für diese unterschiedliche Bestimmung des Verhältnisses von Gemeinsinn und Einbildungskraft besteht darin, dass Descartes unter Einbildungskraft zwei unterschiedliche Dinge versteht. Manchmal versteht er die Einbildungskraft in einem engen Sinn als das Vermögen, bildliche Ideen in der Abwesenheit von äußeren Gegenständen zu formen (vgl. z. B. Gespräch mit Burman, AT V 162; Bd. 1, S. 83). Manchmal versteht er sie dagegen in einem weiten Sinn als das Vermögen, bildliche Ideen generell zu formen (vgl. z. B. Zweite Meditation, AT VII 28 u. Brief an Mersenne vom Juli 1641, AT III 395; Bd. 1, S. 80 u. K31). Es ist anzunehmen, dass Descartes Einbildungskraft und Gemeinsinn dann miteinander identifi-
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Jolley 1990, 19–22.
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René Descartes
ziert, wenn er den weiten Begriff der Einbildungskraft im Sinn hat, und die beiden voneinander unterscheidet, wenn es um den engen Begriff geht. Zumindest in den späteren Werken unterscheidet Descartes zwischen einer körperlichen und einer geistigen Einbildungskraft (vgl. Zweite Erwiderungen, AT VII 160 f.; Bd. 1, S. 76 f. u. Dritte Erwiderungen, AT VII 181; Bd. 1, S. 77). In der Abhandlung über den Menschen ist offenkundig von der körperlichen Einbildungskraft die Rede, da Descartes sie in der Zirbeldrüse, d. h. im Gehirn des Menschen verortet. 1.2.2 Auszüge aus den Meditationes de prima philosophia / Meditationen über die erste Philosophie (1641) K3: Descartes’ Behauptung, dass er den Ausdruck „Idee“ mehrdeutig verwendet, ist für das Verständnis seiner Ideentheorie von größter Wichtigkeit. Denn im weiteren Verlauf der Meditationen und auch in seinen anderen Werken verwendet er „Idee“, ohne anzugeben, welche der beiden Bedeutungen er im Sinn hat. Als Leser sollte man sich deswegen jedesmal fragen, ob man es mit Ideen materialiter oder objektive betrachtet zu tun hat. Was unter Ideen objektive betrachtet zu verstehen ist, ist in der Sekundärliteratur sehr umstritten. Vor allem ist unklar, ob es sich bei einer Idee objektive betrachtet und dem entsprechenden außergeistigen Gegenstand um dasselbe Ding oder um verschiedene Dinge handelt (vgl. hierzu den systematischen Kommentar, 1.3.2). K4: Laut Descartes’ Dualismus-These besteht die Welt zum einen aus geistigen Substanzen, deren wesentliche Eigenschaft das Denken ist, zum anderen aus körperlichen Substanzen, deren wesentliche Eigenschaft die Ausdehnung ist (vgl. z. B. Dritte Erwiderungen, AT VII 175 f. u. Prinzipien, AT VIII-1 22 f.). Was ein denkendes Ding ist, erläutert Descartes in der Zweiten Meditation folgendermaßen: „Ein denkendes Ding. Was ist das? Offenbar ein Ding, das zweifelt, versteht, behauptet, verneint, will, nicht will, und das sich auch etwas einbildet und empfindet“ (AT VII 28). Diese Erläuterung ist nicht so zu verstehen, dass nur ein Ding, das alle die genannten Aktivitäten ausführt, ein denkendes Ding ist. Denn dann würde es sich bei Gott und den Engeln, die sich weder etwas einbilden noch etwas empfinden, nicht um denkende Dinge handeln. Dies aber will Descartes sicherlich nicht behaupten. Stattdessen ist Descartes wohl der Ansicht, dass ein Ding, das irgendwelche der genannten Aktivitäten ausführt, ein denkendes Ding ist.
Stellenkommentar
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K5: Unter Perzeptionen versteht Descartes die Tätigkeiten des Verstandes. Unter diese fallen das Empfinden, Sich-Einbilden und das reine Verstehen (vgl. Prinzipien, AT VIII-1 17 sowie den systematischen Kommentar, 1.3.1). K6: Laut Descartes’ Erläuterung von Klarheit und Deutlichkeit aus den Prinzipien der Philosophie (AT VIII-1 21 f.; Bd. 1, S. 81 f.) sind Perzeptionen entweder dunkel oder klar und klare Perzeptionen entweder undeutlich oder deutlich. Aus weiteren Passagen, in denen Descartes die beiden Begriffe verwendet, geht hervor, dass er sowohl Klarheit als auch Deutlichkeit als Eigenschaften versteht, die Perzeptionen bzw. Ideen in unterschiedlichen Graden zukommen können (vgl. z. B. Zweite Meditation AT VII 33 u. Prinzipien der Philosophie AT VIII-1, 8 u. 22). Die in den Prinzipien gegebene Erklärung ist wenig erhellend: Eine Perzeption ist klar, wenn sie „dem aufmerksamen Geist präsent und offenkundig ist“; sie ist deutlich, wenn alles, was sie enthält, klar ist, d. h. wenn alles, was sie enthält, dem aufmerksamen Geist präsent und offenkundig ist. Diese Erläuterung könnte man so verstehen, dass man etwas genau dann klar bzw. deutlich perzipiert, wenn die Perzeption mit bestimmten Evidenzerlebnissen verbunden ist. Descartes würde Klarheit und Deutlichkeit dann in einem psychologischen Sinn verstehen. In diesem Fall wären Klarheit und Deutlichkeit als Wahrheitskriterium nicht geeignet, da es sich bei ihnen nicht um ein objektives Kriterium für Wahrheit handeln würde, sondern jeder nur für sich selbst sagen könnte, ob eine bestimmte Perzeption klar und deutlich ist. Zieht man neben den Ausführungen aus den Prinzipien jedoch auch das hinzu, was sich der Zweiten Meditation über Klarheit und Deutlichkeit entnehmen lässt, dann kann man Descartes’ Auffassung dieser beiden Eigenschaften auch anders verstehen. Laut vielen Interpreten geht aus der Zweiten Meditation hervor, dass Klarheit und Deutlichkeit einer Idee von x auf irgendeine Weise mit dem Wissen davon zusammenhängen, welche Eigenschaften zum Wesen von x gehören und welche nicht. Gewirth z. B. geht davon aus, dass eine Idee von x genau dann minimal klar ist, wenn sie die Eigenschaft enthält, die das Wesen von x ausmacht, und dass sie genau dann minimal deutlich ist, wenn sie nichts enthält, was dem Wesen von x widerspricht (Gewirth 1943, 17–36; ähnliche Positionen vertreten z. B. Patterson 2008, 216–34 und Perler 1996, 269–84). K7: Gedanken sind laut Descartes Tätigkeiten des Geistes. Unter diese fallen zum einen Tätigkeiten des Verstandes, d. h. Perzeptionen, zum anderen Tätigkeiten des Willens (vgl. Prinzipien, AT VIII-1 17 sowie den systematischen Kommentar, 1.3.1).
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René Descartes
K8: Durch den Vergleich von Ideen und Bildern will Descartes darauf hinweisen, dass Ideen genau wie Bilder Dinge repräsentieren. Sein Vergleich zielt nicht darauf ab, dass Ideen bildliche Repräsentationen sind (zu der Frage nach der Bildlichkeit von Ideen vgl. auch Kemmerling 2005a, 68–76 sowie den systematischen Kommentar, 1.3.1). K9: Descartes unterscheidet hier zwischen einfachen und komplexen Gedanken. Die ersteren sind „gleichsam Bilder der Dinge“ (vgl. K8), die zweiten enthalten einen einfachen Gedanken sowie ein zusätzliches Element bzw. eine zusätzliche Form. Manche Interpreten verstehen unter einfachen Gedanken propositionale Gehalte, unter komplexen Gedanken dagegen propositionale Gehalte, die mit einer propositionalen Einstellung verbunden sind (vgl. z. B. Malcolm 1972, 7 f.). Gegen diese Interpretation lässt sich Folgendes einwenden: Erstens führt Descartes als Beispiele für einfache Gedanken ausschließlich Fälle von nichtpropositionalem Denken an. Zweitens handelt es sich bei den in komplexen Gedanken enthaltenen zusätzlichen Elementen nicht nur um solche Einstellungen, die eine propositionale Ergänzung verlangen, sondern auch um solche, die sowohl propositional als auch nichtpropositional ergänzt werden können: Man kann z. B. sowohl den Löwen fürchten als auch fürchten, dass der Löwe einen angreift (vgl. Perler 1996, 48–51). K10: Laut Descartes’ offizieller Erläuterung des Ausdrucks „Modus“ aus den Prinzipien sind Modi für ihn nichts anderes als Eigenschaften (vgl. Prinzipien der Philosophie, AT VIII-1, 26). In diesem Sinn ist die Eigenschaft, rund zu sein, ein Modus der Sonne und die Eigenschaft, an ein Pferd zu denken, ein Modus des Geistes einer bestimmten Person. Wenn Descartes, wie er es in der Dritten Meditation (Abschnitt [6.], Bd. 1, S. 63 f.) tut, Ideen als Modi des Denkens charakterisiert, dann versteht er unter Ideen Ideen materialiter betrachtet. Dass Ideen materialiter betrachtet Modi des Denkens sind, ist allerdings nicht so zu verstehen, dass es sich bei solchen Ideen um Eigenschaften handelt, die das Denken hat, sondern so, dass sie Denkeigenschaften bzw. Seinsweisen des Denkens sind. Denn die Idee der Sonne materialiter betrachtet ist nichts anderes als die Perzeption der Sonne (vgl. den systematischen Kommentar, 1.3.1) und das Perzipieren der Sonne ist eine bestimmte Weise, auf die Denken stattfinden bzw. sein kann. Ideen materialiter betrachtet sind dementsprechend determinierte Denkeigenschaften, genauso wie z. B. die Eigenschaft, karminrot zu sein, eine determinierte Roteigenschaft ist. K11: In Descartes’ Werk findet sich ein weiterer und ein engerer Begriff des Angeborenseins (vgl. K50). Gemäß dem weiteren Begriff sind alle Ideen angeborene Ideen, gemäß dem engeren Begriff dagegen nur
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ganz bestimmte Ideen, nämlich Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen. Unklar ist, wie genau sich diese beiden Bedeutungen von Angeborensein voneinander unterscheiden lassen. Weiterhin ist umstritten, ob die Rede von angeborenen Ideen nur eine elliptische Ausdrucksweise ist, mit der Descartes ausschließlich darauf hinweisen will, dass uns das Vermögen bzw. die Disposition, bestimmte Ideen zu bilden, angeboren ist (vgl. für diese Lesart z. B. Jolley 1990, 19–22), oder ob er die angeborene Disposition selbst als Idee charakterisiert (vgl. für diese Lesart z. B. Perler 1996, 37–47). Nur im zweiten Fall wären uns Ideen selber in einem nichtelliptischen Sinn angeboren (vgl. zu dieser Frage Dritte Erwiderungen, AT VII 189; Bd. 1, S. 77 f.; K29 u. K49). Dem Ausdruck „Idee“ käme dann neben den beiden im Vorwort zu den Meditationen unterschiedenen Bedeutungen noch eine weitere Bedeutung zu: Ideen wären erstens Tätigkeiten des Geistes, zweitens die durch diese Tätigkeiten repräsentierten Dinge und drittens Dispositionen, Ideen im ersten Sinn zu formen. In der Dritten Meditation (Abschnitt [7.]) verwendet Descartes offensichtlich den engeren Begriff des Angeborenseins, da er angeborene Ideen von von mir selbst gemachten Ideen (d. h. von Ideen materieller Gegenstände) und von von außen hinzukommenden Ideen (d. h. von fiktiven Ideen) unterscheidet. Zu diesen angeborenen Ideen im engeren Sinn gehören neben den dort genannten Ideen vom Denken, von der Wahrheit und der Sache auch die Ideen von mathematischen Gegenständen, wie z. B. dem Dreieck (vgl. z. B. Fünfte Meditation, Abschnitt [5.] f., AT VII 64 f.; Bd. 1, S. 69 f. u. Fünfte Erwiderungen, AT VII 381 f.; Bd. 1, S. 79 f.), und die Idee Gottes (vgl. z. B. Fünfte Meditation, Abschnitt [11.], AT VII 67 f.; Bd. 1, S. 70). Zum Unterschied zwischen angeborenen Ideen und von mir selbst gemachten Ideen äußert sich Descartes in der Fünften Meditation, Abschnitt [5.], AT VII 64; Bd. 1, S. 69, der Fünften Meditation, Abschnitt [11.], AT VII 67 f.; Bd. 1, S. 70 u. den Ersten Erwiderungen, AT VII 117; Bd. 1, S. 75 f. K12: Empfindungen zu haben, ist laut der Zweiten Meditation eine Form des Denkens (vgl. AT VII 28 u. K4). Von anderen Formen des Denkens wie dem Wollen und dem reinen Verstehen unterscheidet sich das Empfinden aber dadurch, dass nur solche Wesen etwas empfinden können, die einen Körper besitzen. Deswegen haben Gott und Engel laut Descartes keine Empfindungen. Während Descartes manchmal so klingt, als seien Empfindungen dem Geist zuzuschreiben (vgl. z.B. Brief an Pater Gibieuf vom 19. Januar 1642, AT III 479 u. Prinzipien, AT VIII-1 41), sprechen andere Stellen dafür, dass die aus Körper und Geist zusammengesetzte Entität das Subjekt von Empfindungen ist (vgl. Prinzipien, AT VIII-1 23
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u. Sechste Erwiderungen, AT VII 436f.) und sich Empfindungen aus einer geistigen und einer körperlichen Komponente zusammensetzen (so Perler 1996, 58;. vgl. des Weiteren Baker u. Morris 1996, 70–87). K13: Descartes behauptet an verschiedenen Stellen, bestimmte Dinge würden durch das natürliche Licht gezeigt. Es ist anzunehmen, dass etwas genau dann durch das natürliche Licht gezeigt wird, wenn es klar und deutlich eingesehen werden kann. K14: Descartes unterscheidet hier zwischen zwei Betrachtungsweisen von Ideen, nämlich zwischen Ideen als Modi des Geistes und Ideen, insofern sie Dinge repräsentieren. Diese Unterscheidung entspricht der Unterscheidung zwischen der materialen und der formalen Betrachtungsweise aus den Vierten Erwiderungen (vgl. K46). Dass alle Ideen, insofern sie Modi des Geistes sind, sich gleichen, liegt daran, dass sie alle den gleichen Grad an formaler Realität haben (vgl. K15); dass sie sich, insofern sie Dinge repräsentieren, unterscheiden, erläutert Descartes im folgenden Satz dadurch, dass sie einen unterschiedlichen Grad an objektiver Realität enthalten (vgl. K15). K15: Descartes unterscheidet zwischen formaler und objektiver Realität. Vom formalen und objektiven Sein unterscheiden sich diese beiden Arten von Realität dadurch, dass sie Eigenschaften sind, die Dingen in Graden zukommen (zum Unterschied zwischen formalem und objektivem Sein vgl. K19). Formale Realität ist eine Eigenschaft, die alle wirklich existierenden Dinge besitzen. Zu welchem Grad ihnen formale Realität zukommt, hängt davon ab, wie stark sie in ihrer Existenz von anderen Entitäten abhängig sind. Modi, die nur insofern existieren, als sie irgendwelchen Substanzen inhärieren, haben einen sehr geringen Grad an formaler Realität. Einen mittleren Grad haben Substanzen, die in ihrer Existenz einzig von Gott abhängig sind (z. B. Menschen und Tiere), und den höchsten Grad an formaler Realität besitzt Gott als von allen anderen Dingen unabhängige Substanz (vgl. Dritte Meditation, Abschnitt [13.], AT VII 40; Bd. 1, S. 65 f. und Dritte Erwiderungen, AT VII 185; Bd. 1, S. 77). Ideen sind die einzigen Dinge, denen Descartes nicht nur formale Realität (nämlich diejenige eines Modus’), sondern auch objektive Realität zuschreibt. Wie viel objektive Realität eine Idee besitzt, hängt davon ab, was für eine Sache die Idee repräsentiert. Genauer hängt es davon ab, wie viel formale Realität die repräsentierte Sache hat oder – für den Fall, dass sie nicht wirklich existiert – hätte, wenn sie wirklich existieren würde. Dementsprechend hat die Idee von Gott den höchsten Grad, Ideen von abhängigen Substanzen einen mittleren Grad und Ideen von Modi einen geringen Grad an objektiver Realität. Eine Idee kann nicht
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mehr objektive Realität haben als das Ding, das Ursache der Idee ist, formale Realität hat (vgl. Dritte Meditation, Abschnitt [14.], AT VII 40 f; Bd. 1, S. 66 f.). Umstritten ist, ob Descartes objektive Realität Ideen materialiter betrachtet oder Ideen objektive betrachtet zuschreibt (für die erste Annahme vgl. z. B. Perler 1996, 87; für die zweite Lesart vgl. z. B. Chappell 1986, 189 und Kaufman 2000, 386 und 390). Gegen die erste Lesart spricht, dass ihr zufolge zwischen dem Verhältnis der Ausdrücke „formale Seinsweise“ und „formale Realität“ einerseits und der Ausdrücke „objektive Seinsweise“ und „objektive Realität“ andererseits eine Disanalogie bestehen würde: Während genau die Dinge, die auf formale Weise existieren, formale Realität haben, würde Descartes objektives Sein und objektive Realität laut der ersten Lesart unterschiedlichen Dingen zusprechen. Denn ihr zufolge kommt objektive Realität Ideen materialiter betrachtet zu. Objektives Sein dagegen besitzen die durch solche Ideen repräsentierten Dinge (vgl. Erste Erwiderungen, AT VII 102; Bd. 1, S. 74). Geht man dagegen davon aus, dass Descartes objektive Realität Ideen objektive betrachtet zuschreibt, und beachtet man, dass Ideen objektive betrachtet nichts anderes sind als Dinge, insofern sie auf objektive Weise existieren (vgl. Erste Erwiderungen, AT VII 102 u. K19), dann ergibt sich in Parallelität zu formalem Sein und formaler Realität Folgendes: Dinge, insofern sie auf objektive Weise existieren, haben objektive Realität. Für die zuerst genannte Lesart scheint zunächst Descartes’ Behauptung aus der Dritten Meditation (Abschnitt [13.], AT VII 40; Bd. 1, S. 65f.) zu sprechen, dass Ideen als Modi des Geistes, d.h. Ideen materialiter betrachtet objektive Realität enthalten. Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass es sich bei objektiver Realität um eine Eigenschaft von Ideen materialiter betrachtet handelt. Objektive Realität zu enthalten könnte auch heißen, ein Ding zu enthalten bzw. zu repräsentieren, das objektive Realität besitzt. K16: Zum Begriff der formalen oder aktualen Realität vgl. K15. K17: Vgl. K26. K18: Hier schreibt Descartes Ideen, genauer Ideen materialiter betrachtet, formale Realität zu. Jede dieser Ideen hat den formalen Realitatsgrad eines Modus. Dies ist der Grund dafür, dass Descartes in der Dritten Meditation, Abschnitt [13.], AT VII 40; Bd. 1, S. 65 schreibt, dass sich alle Ideen, solange man sie nur als Modi des Geistes betrachtet, gleichen (vgl. K14). K19: Die objektive Seinsweise von Dingen unterscheidet Descartes von der formalen Seinsweise. Diese Unterscheidung übernimmt er aus der Scholastik. Auf formale Weise zu existieren, bedeutet, aktuales bzw. wirkliches Sein zu haben. Jedes Ding, das auf formale Weise existiert, hat
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zu einem bestimmten Grad formale Realität (vgl. K15). Der Ausdruck „formale Seinsweise“ ist aristotelisch geprägt: Aristoteles begreift Form als das Aktualisierungsprinzip von Materie, d. h. als dasjenige, was dafür verantwortlich ist, dass Dinge wirkliche bzw. aktuale und nicht nur mögliche Existenz haben. Bezüglich der Frage, was genau Descartes unter der objektiven Seinsweise versteht, herrscht in der Sekundärliteratur Uneinigkeit. Der wichtigste Streitpunkt besteht in der Frage, ob objektives und formales Sein zwei Seinsweisen desselben Gegenstandes oder Seinsweisen von unterschiedlichen Arten von Gegenständen sind. Weiterhin ist umstritten, ob es sich bei objektivem Sein um eine relationale Eigenschaft handelt oder nicht (vgl. zu beiden Punkten den systematischen Kommentar, 3.2.1). Relativ unumstritten sind dagegen die folgenden drei Punkte: (1) Dinge, insofern sie auf objektive Weise existieren, sind nichts anderes als Ideen objektive betrachtet (vgl. Erste Erwiderungen, AT VII 102; Bd. 1, S. 74); (2) Die objektive Seinsweise ist eine unvollkommenere Seinsweise als die formale; (3) Der Ausdruck „objektiv“ wird bei Descartes und in der Scholastik auf andere Weise verwendet als heutzutage, nämlich nicht im Gegensatz zu „subjektiv“ oder „mental“. K20: Während Descartes in der Dritten Meditation (Abschnitt [15.], AT VII 42; Bd. 1, S. 67) objektives Sein Ideen zuspricht, behauptet er in der Dritten Meditation, (Abschnitt [14.], AT VII 41; Bd. 1, S. 66 f.) und in den Ersten Erwiderungen (AT VII 102 f.; Bd. 1, S. 74 f.), dass Dinge auf objektive Weise existieren. Wenn man annimmt, dass Descartes in Z. 266 unter Ideen Ideen objektive betrachtet versteht, dann besteht sachlich gesehen zwischen diesen beiden Verwendungen des Begriffs des objektiven Seins jedoch kein Unterschied. Denn aus den Ersten Erwiderungen geht hervor, dass es sich bei Ideen objektive betrachtet um Dinge handelt, insofern sie auf objektive Weise existieren. Wenn aber Ideen objektive betrachtet nichts anderes sind als Dinge, insofern sie auf objektive Weise existieren, dann kann man objektives Sein Dingen und Ideen objektive betrachtet gleichermaßen zusprechen. K21: Zum Begriff der formalen Seinsweise vgl. K19. K22: Hier verweist Descartes auf die Zweite Meditation zurück, in der er unter anderem untersucht hat, ob man anhand des Verstandes oder der Einbildungskraft versteht, was das Wachs ist (vgl. Zweite Meditation, AT VII 30–33). K23: Dunkelheit ist das Gegenteil von Klarheit und Verworrenheit das Gegenteil von Deutlichkeit (vgl. K6). K24: Dass Descartes als Beispiele für material falsche Ideen die Ideen von Wärme und Kälte anführt, mag zunächst den Eindruck erwecken,
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als ob seine Charakterisierung von material falschen Ideen als Ideen, die Nicht-Dinge als Dinge repräsentieren, folgendermaßen zu verstehen ist: Material falsche Ideen sind Ideen, die eine Privation bzw. einen Mangel an einer Eigenschaft als positive Eigenschaft repräsentieren. Dies scheint aber nicht Descartes’ Punkt zu sein. Denn in Abschnitt [19.] der Dritten Meditation behauptet er in Bezug auf sekundäre Qualitäten generell, dass unklar sei, ob sie material falsche oder material wahre Ideen sind. Würde es sich bei material falschen Ideen um Ideen von Privationen handeln, dann müsste also unklar sein, ob die Ideen von Farben, Gerüchen und Tönen Ideen von Privationen sind. Dies ist aber offenkundig nicht der Fall. Bei dem Duft der Rose z. B. handelt es sich nicht um die Privation irgendeiner anderen Eigenschaft (vgl. Field 1993, 317 u. Wilson 1978, 109). Alternativ könnte man vermuten, Nicht-Dinge seien nicht-existierende Dinge. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass in der Dritten Meditation noch nicht erwiesen ist, dass sinnliche Ideen überhaupt Ideen von existierenden Dingen sind. Insofern müsste Descartes in Abschnitt [19.] behaupten, dass bei allen sinnlichen Ideen ungewiss sei, ob sie material falsch sind oder nicht, was er aber nicht tut (vgl. Wilson 1978, 107 f.). Wilson und Field schlagen vor, unter Nicht-Dingen Entitäten zu verstehen, die nicht einmal mögliches Sein haben (vgl. Wilson 1978, 107 f. u. Field 1993, 319). Material falsche Ideen wären dann Ideen, die Entitäten, die nicht einmal möglicherweise existieren können, als Entitäten repräsentieren, die mögliches Sein haben. K25: Laut Wilson ergibt sich aus Descartes’ Behauptung, material falsche Ideen gingen aus dem Nichts hervor bzw. seien durch nichts verursacht, dass es Ideen gibt, die zwar – wie alle Ideen – etwas repräsentieren, aber keine objektive Realität haben. Denn gemäß Abschnitt [14.] der Dritten Meditation (AT VII 40 f.; Bd. 1, S. 66 f.) kann eine Idee nicht mehr objektive Realität haben, als ihre Ursache formale Realität hat (vgl. Wilson 1978, 111 f.). Gegen die Annahme, dass material falsche Ideen keine objektive Realität haben, wenden sich unter anderem Alanen und Kaufman (vgl. Alanen 1994, 234–250 u. Kaufman 2000, 385–408). K26: Descartes äußert sich meines Wissens nur in den Zweiten Erwiderungen explizit zu der Frage, was es bedeutet, dass etwas auf eminente Weise in etwas anderem enthalten ist (vgl. AT VII 161; Bd. 1, S. 77 Z. 644 ff.), wobei die dortige Erläuterung nicht besonders erhellend ist. Abschnitt [21.] der Dritten Meditation lässt sich aber zumindest eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für eminentes Enthaltensein entnehmen: x kann nur dann auf eminente Weise in y enthalten sein, wenn x einen geringeren Realitätsgrad hat als y.
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K27: Diese Einschränkung macht Descartes, weil er bisher ausschließlich bewiesen hat, dass er selbst existiert und ein denkendes Ding ist. Ob er einen Körper hat und andere körperliche Dinge existieren, ist in der Dritten Meditation dagegen noch ungewiss. K28: In Abschnitt [5.] der Fünften Meditation unterscheidet Descartes die Ideen wahrer und unveränderlicher Naturen von den Ideen solcher Dinge, die außerhalb meines Geistes existieren, sowie von Ideen, die von mir erfunden sind. Diese Unterscheidung entspricht genau der Unterscheidung zwischen drei Arten von Ideen aus der Dritten Meditation (vgl. K11): Die Ideen von Dingen, die außerhalb meiner existieren, sind die von außen hinzukommenden Ideen, die Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen sind die angeborenen Ideen und die erfundenen Ideen sind die von mir selbst gemachten Ideen. Dass Descartes angeborene Ideen und Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen miteinander identifiziert, geht aus Abschnitt [11.] der Fünften Meditation hervor (AT VII 67 f.; Bd. 1, S. 70). Unklar ist, was für einen ontologischen Status Descartes den wahren und unveränderlichen Naturen zuspricht. Curley und Kenny gehen davon aus, dass es sich bei ihnen um von materiellen und geistigen Substanzen (sowie deren Modi) verschiedene Entitäten handelt, Descartes also mit der Annahme von wahren und unveränderlichen Naturen von seinem Substanz-Dualismus abweicht (vgl. Curley 1978, 149; Kenny 1968, 155 u. Kenny, 1970, 685–700). Chappell und Perler dagegen argumentieren dafür, dass es sich bei den wahren und unveränderlichen Naturen um mentale Entitäten bzw. Dinge im Geist handelt. Chappell zufolge sind wahre und unveränderliche Naturen Dinge mit objektivem Sein, laut Perler sind es Dispositionen im menschlichen Geist (vgl. Chappell 1997, 123–7 u. Perler 1996, 177–89). K29: Sollte Descartes unter dem Hervorholen der Idee Gottes aus der Schatzkammer des Geistes das Aktivieren der angeborenen Disposition, die Idee Gottes zu bilden, verstehen, dann spricht diese Passage ausschließlich für eine dispositionale Theorie angeborener Ideen, nicht aber dafür, dass es sich bei angeborenen Dispositionen selber um Ideen handelt (vgl. Dritte Erwiderungen, AT VII 189; Bd. 1, S. 77 f., K11 u. K49). K30: Bei diesem ersten Grund dafür, dass es sich bei der Idee Gottes um die Idee einer wahren und unveränderlichen Natur handelt, scheint Descartes sich an dem in den Ersten Erwiderungen gegebenen Unterscheidungsmerkmal zwischen Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen und fiktiven Ideen zu orientieren: Dort scheint er zu behaupten, dass die Bestandteile einer fiktiven Idee unabhängig voneinander sind, wohingegen die Bestandteile der Idee einer wahren und unveränderlichen
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Natur sich gegenseitig implizieren (vgl. K40). Sollte sich neben der Idee Gottes eine weitere Idee finden, die als Bestandteil die Idee der Existenz enthält, dann wäre damit gemäß diesem Kriterium widerlegt, dass Existenz das Vorliegen der übrigen Bestandteile der Idee Gottes impliziert. Somit würde es sich bei der Idee Gottes nicht um eine Idee von einer wahren und unveränderlichen Natur handeln. K31: Die Unterscheidung zwischen Einbildung und reinem Verstehen bzw. zwischen Ideen der Einbildungskraft und Ideen des reinen Geistes (vgl. auch Brief an Mersenne vom Juli 1641, AT III 395; Bd. 1, S. 80) ist eine Unterscheidung von Ideen bezüglich des Vermögens, das für die Entstehung der Ideen verantwortlich ist. Man könnte zunächst vermuten, dass die Einbildungskraft für das Entstehen von fiktiven Ideen, der reine Geist dagegen für das Entstehen von Ideen wahrer und unveränderlicher Naturen verantwortlich ist. In diesem Fall wären Einbildungen nichts anderes als fiktive Ideen und reines Verstehen bestünde in dem Perzipieren von Ideen wahrer und unveränderlicher Naturen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn laut Abschnitt [2.] der Sechsten Meditation handelt es sich immer dann um eine Einbildung, wenn wir uns etwas bildlich vorstellen. Offenkundig stellen wir uns aber nicht nur dann etwas bildlich vor, wenn wir eine fiktive Idee bilden, sondern auch dann, wenn wir materielle Gegenstände wahrnehmen oder uns an solche erinnern. Des Weiteren behauptet Descartes in Abschnitt [2.], dass wir zwar nicht alle, aber doch einige Ideen von wahren und unveränderlichen Ideen sowohl durch den Verstand als auch durch die Einbildungskraft erfassen können. Ideen der Einbildungskraft umfassen also fiktive Ideen, von außen hinzukommende Ideen und einige der Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen (auf etwas andere Art konzipiert Descartes die Einbildungskraft im Gespräch mit Burman, AT V 162; Bd. 1, S. 83; vgl. des Weiteren K2). Außerdem handelt es sich nicht nur bei den Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen um Ideen des reinen Geistes. Auch materielle Gegenstände kann man allein durch den reinen Geist, ohne Mithilfe der Sinne oder der Einbildungskraft erfassen, nämlich dann, wenn man eine klare und deutliche Idee des Gegenstandes hat, ohne sich diesen bildlich vorzustellen. K32: Zu der These, dass es sich bei der Fähigkeit, sich etwas einzubilden, nicht um eine wesentliche Eigenschaft des Geistes handelt, vgl. Brief an Pater Gibieuf vom 19. Januar 1642, AT III 479. K33: Dass der menschliche Geist mit einem Körper verbunden ist, beweist Descartes erst etwas später in der Sechsten Meditation (AT VII 78–81).
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Es ist unklar, wie wörtlich Descartes’ wiederholte Behauptung zu verstehen ist, der Geist schaue, wenn er eine Empfindung oder eine Einbildung forme, seinen Körper, genauer bestimmte Bewegungen auf der Zirbeldrüse an (vgl. auch Abhandlung über den Menschen, AT XI 174–7; Bd. 1, S. 60 ff. und Gespräch mit Burman, AT V 162; Bd. 1, S. 83). Zumindest an einer Stelle in der Optik lehnt Descartes die Annahme, es gäbe in unserem Gehirn so etwas wie Augen, mit denen wir die Bewegungen auf der Zirbeldrüse betrachten, explizit ab (AT VI 130). Zu der Frage, ob Descartes in einem wörtlichen Sinn davon ausgeht, dass der Geist beim Empfinden und Einbilden die Zirbeldrüse betrachtet, vgl. Wilson 1991, 293–323. Des Weiteren ist umstritten, ob das Anschauen der Bewegungen auf der Zirbeldrüse als eine Art des Perzipierens zu verstehen ist oder nicht. Diese Frage wird von Kemmerling bejaht, von Haag dagegen verneint (vgl. Kemmerling 2005a, 41 f. u. Haag 2008, 100). K34: Descartes’ Behauptung, eine Idee würde von einem Sinn perzipiert, mag zunächst sonderbar anmuten. Denn sicherlich sind die körperlichen Sinnesorgane gemäß der cartesischen Auffassung von der Entstehung von Ideen keine Entitäten, die Ideen perzipieren. Nur der Geist ist laut Descartes dazu in der Lage, Ideen zu perzipieren. Dies will er in Abschnitt [3.] der Sechsten Meditation aber auch gar nicht bestreiten. Unter dem Sinn versteht er nämlich zum einen die verschiedenen körperlichen Sinnesorgane (vgl. z. B. Gespräch mit Burman, AT V 162; Bd. 1, S. 83 u. Sechste Erwiderungen, AT VII 436 f.), zum anderen aber auch ein Vermögen des Geistes (vgl. Zweite Erwiderungen, AT VII 160; Bd. 1, S. 76; Sechste Meditation, AT VII 74 u. Sechste Erwiderungen, AT VII 436 f.). Der Sinn als Vermögen des Geistes besteht in der Fähigkeit, Empfindungen zu haben, wobei etwas zu empfinden laut Descartes bedeutet, etwas wahrzunehmen scheinen (vgl. Zweite Meditation, AT VII 28 f.). Wenn Descartes in Abschnitt [3.] der Sechsten Meditation also schreibt, dass eine Idee von einem Sinn perzipiert wird, dann versteht er unter dem Sinn kein Sinnesorgan, sondern das geistige Vermögen, etwas zu empfinden. K35: Zum Gemeinsinn vgl. K2. K36: In Abschnitt [21.] der Sechsten Meditation zeigt sich, dass Descartes’ Auffassung der Entstehung sinnlicher Ideen seit der Abhandlung über den Menschen in groben Zügen die gleiche geblieben ist.
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1.2.3 Auszüge aus Objectiones Doctorum Aliquot Virorum In Praecedentes Meditationes Cum Responsionibus Authoris / Einwände verschiedener Gelehrter gegen die vorstehenden Meditationen, mit den Antworten des Verfassers (1641) K37: Vgl. den systematischen Kommentar, 1.3.2. K38: Im Folgenden verteidigt Descartes die in der Dritten Meditation aufgestellte und für den ideentheoretischen Gottesbeweis zentrale Behauptung, dass die Ursache einer Idee mindestens ebenso viel formale Realität haben müsse wie die Idee objektive Realität hat (zu den Begriffen der objektiven und der formalen Realität vgl. K15). K39: Descartes reagiert hier auf einen möglichen Einwand gegen den ontologischen Gottesbeweis aus der Fünften Meditation. Dieser beruht auf der Annahme, dass die Idee Gottes als die Idee des vollkommensten Wesens die Idee der Existenz enthält. Gegen diesen Beweis spricht, dass man ihn benutzen kann, um die Existenz von Dingen zu beweisen, deren Existenz nicht a priori bewiesen werden können sollte, wie z. B. die Existenz einer vollkommenen Insel. Diesem Einwand begegnet Descartes, indem er feststellt, dass wir nur dann berechtigt sind, die Existenz eines Dinges anzunehmen, dessen Idee die Idee der Existenz enthält, wenn es sich bei der Idee um die Idee einer wahren und unveränderlichen Natur und nicht um eine fiktive Idee handelt. Deswegen entwickelt er in der Folge ein Kriterium zur Unterscheidung zwischen fiktiven Ideen und Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen. K40: Es ist unklar, wie genau das in diesem Abschnitt angegebene Kriterium zur Unterscheidung von Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen einerseits und fiktiven Ideen andererseits zu verstehen ist. Descartes behauptet, dass sich fiktive Ideen auf eine bestimmte Weise in ihre Bestandteile zerlegen lassen, Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen hingegen nicht. Doch was genau ist unter dieser Weise des Zerlegens zu verstehen? Descartes scheint der Meinung zu sein, dass man fiktive Ideen deswegen in ihre Bestandteile zerlegen kann, weil diese Bestandteile voneinander unabhängig sind. Die Idee eines geflügelten Pferdes kann man in seine Bestandteile – die Idee des Pferdes und die Idee von Flügeln – zerlegen, weil ein Pferd zu sein nicht impliziert, Flügel zu haben und umgekehrt. Deswegen ist es möglich, die Idee eines Pferdes ohne Flügel bilden. Mit Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen verhält sich dies angeblich anders. Die Idee des Dreiecks z. B. enthält die Idee der Dreiseitigkeit und die der Dreiwinkligkeit. Diese beiden Bestandteile sind nun nicht unabhängig voneinander, da
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Dreiseitigkeit Dreiwinkligkeit impliziert und umgekehrt. Deswegen kann man nicht die Idee einer dreiseitigen geometrischen Figur bilden, die nicht auch drei Winkel hat (vgl. Perler 1996, 174 f.). Wie Margaret Wilson festgestellt hat, ist dies jedoch kein angemessenes Unterscheidungskriterium (vgl. Wilson 1978, 173). Die Idee des Dreiecks enthält nämlich nicht nur die beiden oben angegebenen Ideen als Bestandteile, sondern sicherlich auch die Idee der Ausdehnung. Dass etwas ausgedehnt ist, impliziert aber weder, dass es dreiwinklig, noch, dass es dreiseitig ist. Somit lässt sich die Idee des Dreiecks genauso in Bestandteile zerlegen wie die Idee des geflügelten Pferdes. Für alternative Interpretationen des in den Ersten Erwiderungen angegebenen Unterscheidungskriteriums vgl. Edelberg 1990, 493–533 u. Doney 1993, 413–30. K41: Descartes charakterisiert Ideen hier als Formen jedes beliebigen Denkens. Der Begriff des Denkens ist der Oberbegriff zu allen Tätigkeiten des Geistes, d. h. sowohl zu den Tätigkeiten des Verstandes als auch zu denen des Willens (vgl. K7). Descartes scheint in dieser Passage also einen weiteren Begriff der Idee zu verwenden als im Vorwort zu den Meditationen, in dem er Ideen materialiter betrachtet als Tätigkeiten des Verstandes bestimmt, wogegen er hier als Ideen auch die Formen der Tätigkeiten des Willens zulässt. Dass es sich auch bei den Tätigkeiten des Willens um Ideen handelt, behauptet Descartes explizit in den Dritten Erwiderungen (AT VII 181; Bd. 1, S. 77). Wie genau die Definition des Begriffs der Idee als Form eines jedes beliebigen Denkens zu verstehen ist, ist unklar und sehr umstritten. Dies liegt unter anderem daran, dass Descartes den Ausdruck „Form“ in ganz unterschiedlichen Bedeutungen verwendet, nämlich unter anderem gleichbedeutend mit „Attribut“, „Bild“ und „Struktur“, in Anlehnung an den aristotelischen Sprachgebrauch des Weiteren auch im Sinne von „Wesen“ (zu diesen unterschiedlichen Verwendungsweisen vgl. Kemmerling 2005a, 25–9 u. Perler 1996, 59–64). Kenny geht davon aus, dass Descartes mit seiner Definition von Ideen einfach darauf hinweisen will, dass es sich bei ihnen um nichtmaterielle Repräsentationen von Dingen handelt (vgl. Kenny 1968, 110 f). Wilson versteht unter der Form eines Gedankens die bestimmte Natur dieses Gedankens (Wilson 1978, 156). Jolley zufolge bezeichnet Descartes Ideen deswegen als Formen von Gedanken, weil es zum Wesen eines Gedankens gehört, dass er ein Modus des Geistes ist (vgl. Jolley 1990, 16 f.). Perler versteht unter der Form eines Gedankens dasjenige, was dem Gedanken einen bestimmten Inhalt verleiht, nämlich die Form des durch den Gedanken repräsentierten Gegenstandes (Perler 2004, 75; für eine etwas andere Erläuterung von
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Descartes’ Definition vgl. Perler 1996, 62 ff.). Vergleicht man diese verschiedenen Interpretationen, dann zeigt sich, dass noch nicht einmal Einigkeit darüber herrscht, was eigentlich definiert werden soll. Während Kenny, Wilson und Jolley offenkundig davon ausgehen, dass Ideen materialiter betrachtet bzw. Ideen als Tätigkeiten des Geistes das Definiendum sind, bestimmt Perler Ideen objektive betrachtet als das zu Definierende. Kemmerling dagegen vermutet, dass Descartes „Idee“ im weitesten Sinn des Wortes als „alles, was unmittelbar vom Geist perzipiert wird“ (AT VII 181; Bd. 1, S. 77) definieren möchte. Unter so verstandene Ideen fallen laut Kemmerling sowohl körperliche Entitäten, nämlich die Bewegungen auf der Zirbeldrüse, als auch geistige Entitäten, wobei es sich seiner Meinung nach bei Ideen als geistigen Entitäten sowohl um Ideen materialiter und objektive betrachtet als auch um Tätigkeiten des Willens handeln kann (vgl. Kemmerling 2005a, 87–91). K42: Descartes verwendet die Ausdrücke „Einbildungskraft“ („imaginatio“) und „Phantasie“ („phantasia“) synonym. „Phantasia“ bzw. „“ ist die auf Aristoteles zurückgehende griechische, „imaginatio“ hingegen die lateinische Bezeichnung der Einbildungskraft. Zum Begriff der Einbildungskraft vgl. K2. K43: Hier zeigt sich, dass Descartes auch zur Zeit der Meditationen bereit ist, körperliche Entitäten als Ideen zu bezeichnen. Denn er behauptet hier von den „in der Phantasie abgebildeten Bilder[n]“, insofern sie dem Geist eine Form geben, dass sie Ideen sind. Dies spricht gegen Kennys Interpretation von Descartes’ Definition des Begriffs der Idee, der zufolge Ideen als nichtmaterielle Repräsentationen definiert werden (vgl. K41). K44: Vgl. K26. K45: Zu angeborenen Ideen bzw. zu Ideen als Dispositionen vgl. K11, K29 und K50. K46: In der Sekundärliteratur herrscht Uneinigkeit darüber, wie sich die Unterscheidung zwischen materialer und formaler Betrachtungsweise von Ideen zu der Unterscheidung zwischen materialer und objektiver Betrachtungsweise von Ideen aus dem Vorwort zu den Meditationen verhält (vgl. z.B. Jolley 1990, 14f. u. Kemmerling 2005a, 47–51). Die plausibelste Annahme ist wohl die, dass Descartes den Ausdruck „Idee materialiter betrachtet“ in den Vierten Erwiderungen in einem engeren Sinn verwendet als im Vorwort zu den Meditationen. Demnach versteht er in den Vierten Erwiederungen unter einer Idee materialiter betrachtet nicht generell eine Tätigkeit des Verstandes, sondern ist der Meinung, dass man eine Idee dann materialiter betrachtet, wenn man sie als Tätigkeit des Verstandes unter
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Absehung der Tatsache betrachtet, dass sie etwas repräsentiert. Formaliter betrachtet ist eine Idee eine Tätigkeit des Verstandes, insofern sie etwas repräsentiert (vgl. dazu den systematischen Kommentar, 1.3.1). 1.2.4 Auszüge aus Descartes à Mersenne / Brief an Mersenne ( Juli 1641) K47: Zur Unterscheidung zwischen Ideen des reinen Geistes und Ideen der Einbildungskraft vgl. K31. 1.2.5 Auszüge aus den Principia Philosophiae / Prinzipien der Philosophie (1644) K48: Zur Klarheit und Deutlichkeit von Perzeptionen vgl. K6. 1.2.6 Auszüge aus den Notae in Programma quoddam / Bemerkungen über ein gewisses Programm (1648) K49: Die Rede von angeborenen Ideen charakterisiert Descartes hier als elliptische Redeweise. Nicht die Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen selbst sind uns angeboren, sondern ausschließlich das Vermögen, solche Ideen zu bilden (vgl. Dritte Erwiderungen, AT VII 189; Bd. 1, S. 77 f. sowie K11 u. K29). K50: Während Descartes zu Beginn der Passage aus den Bemerkungen über ein gewisses Programm erläutert, in welchem Sinn uns Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen angeboren sind, stellt er hier die These auf, dass uns auch alle sinnlichen bzw. von außen hinzukommenden Ideen angeboren sind. Nun müssen sinnliche Ideen unserem Geist sicherlich in einem anderen Sinn angeboren sein als Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen, denn ansonsten könnte Descartes nicht zwischen angeborenen und von außen hinzukommenden Ideen unterscheiden (vgl. Dritte Meditation, Abschnitt [7.], AT VII 37 f.; Bd. 1, S. 64). Worin genau der Unterschied zwischen diesen beiden Weisen des Angeborenseins besteht, ist aber unklar. Perler zufolge ist jede Idee in dem Sinn angeboren, dass uns spezifische Dispositionen angeboren sind, Denkakte mit einem bestimmten Inhalt zu bilden (vgl. Perler 1996, 37–47 u. 162). Die Ideen von wahren und unveränderlichen Naturen unterscheiden sich seiner Meinung nach dadurch von den von außen hin-
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zukommenden und selbst gemachten Ideen, dass zu ihrer Bildung, d. h. zur Aktivierung der Disposition kein äußerer Stimulus erforderlich ist. Für diese Interpretation spricht Descartes’ Behauptung, wir könnten die Idee des Dreiecks auch dann bilden, wenn in der sinnlich wahrnehmbaren Welt gar keine Dreiecke vorkämen (vgl. Fünfte Meditation, Abschnitt [5.] f., AT VII 64 f.; Bd. 1, S. 69 f.), sowie seine Behauptung, dass wir die tatsächlich existierenden Dreiecke nur deswegen als Dreiecke wahrnehmen können, weil wir über die angeborene Idee des Dreiecks verfügen (vgl. Fünfte Erwiderungen, AT VII 381 f.; Bd. 1, S. 79 f.). Des Weiteren spricht für diese Auslegung, dass Descartes wohl der Meinung ist, dass auch denkende Wesen, die keinen Körper besitzen, wie Gott und die Engel, Ideen (verstanden als Tätigkeiten des Geistes) besitzen, die die wahren und unveränderlichen Naturen zum Inhalt haben. Dies ist aber nur dann möglich, wenn zur Bildung solcher Ideen keine äußeren Stimuli erfordert sind. Jolley dagegen weist auf eine Passage aus den Bemerkungen über ein gewisses Programm hin, in der Descartes zu behaupten scheint, dass auch zur Bildung der angeborenen Idee Gottes ein äußerer Stimulus benötigt wird (vgl. AT VIII-2 360 f. u. Jolley 1990, 36 f.). 1.2.7 Auszüge aus dem Entretien avec Burman / Gespräch mit Burman (1648) K51: Zum Begriff der Einbildungskraft vgl. K2 u. K31 sowie den Brief an Mersenne vom Juli 1641, AT III 395; Bd. 1, S. 80.
1.3 Essay: Descartes über Ideen als repräsentierende und repräsentierte Entitäten Beschäftigt man sich mit Descartes’ Ideentheorie, dann gibt es sehr viele Dinge, die einen interessieren könnten. Man kann sich beispielsweise dafür interessieren, worin genau der Unterschied zwischen erworbenen, selbst gemachten und angeborenen Ideen besteht. Man kann sich fragen, wie sinnliche bzw. erworbene Ideen Descartes zufolge gebildet werden. Oder man kann untersuchen, was genau Descartes unter klaren und deutlichen Ideen versteht. Lange kann man auch darüber nachdenken, was Descartes im Sinn hat, wenn er schreibt, unter einer Idee verstehe er „die Form eines jedes beliebigen Denkens“ (AT VII 160). All dies möchte ich in dem vorliegenden Aufsatz nicht tun. Stattdessen werde ich ausschließ-
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lich untersuchen, was es mit einer Unterscheidung auf sich hat, die Descartes im Vorwort zu den Meditationen macht. Er schreibt dort, dass eine Äquivokation im Wort ‚Idee‘ vorhanden ist. Es kann nämlich entweder material genommen werden für die Tätigkeit des Verstandes […] oder objektiv für das Ding, das durch diese Tätigkeit repräsentiert wird […] – auch wenn nicht vorausgesetzt wird, dass es außerhalb des Verstandes existiert […]. (AT VII 8)
Im ersten Abschnitt dieses Aufsatzes werde ich untersuchen, was Descartes unter Ideen materialiter betrachtet, im zweiten, was er unter Ideen objektive betrachtet versteht. 1.3.1 Ideen materialiter betrachtet Was heißt es, dass Ideen materialiter betrachtet – kurz: Ideenm8 – Tätigkeiten des Verstandes sind? Über Tätigkeiten des Verstandes äußert sich Descartes in Abschnitt 32 der Prinzipien folgendermaßen: Alle Modi des Denkens, die wir in uns erfahren, können nämlich auf zwei allgemeine zurückgeführt werden; der eine Modus ist das Perzipieren oder die Tätigkeit des Verstandes, der andere Modus aber das Wollen oder die Tätigkeit des Willens. Denn Empfinden, Sich-Einbilden und das reine Verstehen sind nur verschiedene Modi des Perzipierens, und das Begehren, Ablehnen, Bejahen, Verneinen und Zweifeln sind verschiedene Modi des Willens. (AT VIII-1, 17)
Laut dieser Passage handelt es sich bei allen Tätigkeiten des menschlichen Geistes entweder um Tätigkeiten des Verstandes oder um Tätigkeiten des Willens. Die Tätigkeit des Verstandes bezeichnet Descartes als das Perzipieren bzw. als Perzeption. Eine Tätigkeit des Verstandes liegt z. B. dann vor, wenn ich einen gelben Gegenstand wahrnehme bzw. empfinde, wenn ich mir ein Einhorn einbilde oder wenn ich verstehe, dass die Winkelsumme von einem Dreieck 180 Grad beträgt. Der Oberbegriff zu den Tätigkeiten des Verstandes und des Willens ist der Begriff des Denkens bzw. des Gedankens (cogitatio). Den Begriff des Denkens verwendet Descartes also in einem sehr viel weiteren Sinn als heutzutage üblich. Für ihn handelt es sich bei allen geistigen Tätigkeiten oder Zuständen um Fälle von Gedanken. Kombiniert man die zitierte Passage aus dem Vorwort zu den Meditationen mit Descartes’ Erläuterungen aus den Prinzipien, dann ergibt sich, dass der Begriff der Ideem und der Be8
Diese Notation übernehme ich von Chappell 1986; entsprechend wird „Idee objektive betrachtet“ als „Ideeo“ abgekürzt.
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griff der Perzeption koextensiv sind, der Begriff des Denkens bzw. des Gedankens dagegen weiter ist als der Begriff der Ideem. Zwar sind alle Ideenm Gedanken, aber nicht alle Gedanken sind Ideenm. Denn auch die Tätigkeiten des Willens sind Gedanken, aber bei diesen Tätigkeiten handelt es sich nicht um Ideenm.9 Wie nun unterscheiden sich Ideenm bzw. Perzeptionen von Tätigkeiten des Willens? Hier sind zwei Unterscheidungsmerkmale zu nennen. Das erste besteht darin, dass nur die Tätigkeiten des Willens, nicht aber die Perzeptionen Tätigkeiten in einem strengen Sinn sind. Perzeptionen bezeichnet Descartes in den Affekten der Seele als Affekte (passiones), um darauf aufmerksam zu machen, dass der Geist in Bezug auf Perzeptionen nicht aktiv, sondern passiv ist. Perzipieren ist Descartes zufolge nichts, was der Verstand tut oder macht, sondern etwas, das ihm zustößt.10 Ich werde deswegen im Folgenden häufig von Zuständen statt von Tätigkeiten des Verstandes sprechen.11 Das zweite Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass Perzeptionen bzw. Ideenm anders als Tätigkeiten des Willens Tätigkeiten sind, die Dinge repräsentieren. Dass Ideenm Dinge repräsentieren, wird durch die zitierten Passagen aus dem Vorwort zu den Meditationen und den Prinzipien nahegelegt. So handelt es sich laut dem Vorwort bei einer Ideeo um das durch eine Tätigkeit des Verstandes bzw. durch eine Ideem repräsentierte Ding, was impliziert, dass Ideenm Dinge repräsentieren. Zudem sind alle Beispiele für Tätigkeiten des Verstandes, die Descartes in den Prinzipien anführt – Empfinden, Sich-Einbilden und reines Verstehen – 9
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Es gibt allerdings auch Passagen, in denen Descartes einen weiteren Begriff der Idee verwendet. So charakterisiert er Ideen an einer Stelle als Formen von Gedanken (Zweite Erwiderung, AT VII 160; Bd. 1, S. 76 f.) und ein andermal als alles, was gedacht wird (Fünfte Erwiderung, AT VII 366). Zwar ist in beiden Passagen wohl nicht von Ideenm, sondern von Ideeno die Rede. Da aber anzunehmen ist, dass es zu jeder Ideeo auch eine Ideem gibt, ergibt sich aus den beiden Passagen, dass es sich bei allen Gedanken um Ideenm handelt. Vgl. Chappel 1986, 195. Vgl. Affekte der Seele, AT VII 342. Die strikte Unterscheidung zwischen der Aktivität des Willens beim Wollen und der Passivität des Verstandes beim Perzipieren schwächt Descartes in den Affekten der Seele allerdings sofort wieder ab. Im Fall von Einbildungen (wie der Vorstellung eines Einhorns) und reinem Verstehen (wie dem Verstehen, dass die Winkelsumme jedes Dreiecks 180 Grad beträgt) lassen sich Perzeptionen seiner Meinung nach mit einer gewissen Berechtigung statt als Affekte auch als Tätigkeiten bezeichnen (vgl. Affekte der Seele, AT VII 344). Wenn Descartes die Passivität des Verstandes beim Perzipieren betont, scheint er also in erster Linie an Fälle von Wahrnehmungen zu denken.
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Tätigkeiten, die Dinge repräsentieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die folgende Passage aus der Dritten Meditation: Nun scheint aber die Ordnung zu fordern, dass ich zuerst alle meine Gedanken in gewisse Gattungen einteile […]. Einige von diesen Gedanken sind gleichsam Bilder der Dinge und ihnen allein kommt der Name „Idee“ im eigentlichen Sinn zu: zum Beispiel wenn ich einen Menschen oder eine Chimäre oder den Himmel oder einen Engel oder Gott denke. Andere Gedanken aber haben außerdem gewisse andere Formen: zum Beispiel wenn ich will, wenn ich fürchte, wenn ich bejahe oder wenn ich verneine, erfasse ich zwar immer irgendeine Sache als den Gegenstand meines Gedankens, aber ich umfasse mit dem Gedanken auch noch mehr als eine Abbildung dieser Sache; und von diesen Gedanken werden die einen Willensakte oder Affekte, die anderen aber Urteile genannt. (AT VII 36 f.)
Genau wie in den Prinzipien unterscheidet Descartes auch hier zwischen zwei Arten von Gedanken, nämlich zwischen Gedanken, die „gleichsam Bilder der Dinge“ sind, und solchen, die darüber hinaus noch ein zusätzliches Element enthalten. Nennen wir die ersten einfache Gedanken. Einfache Gedanken bezeichnet Descartes als Ideen im eigentlichen Sinn. Es ist anzunehmen, dass Descartes unter Ideen im eigentlichen Sinn nicht Ideeno sondern Ideenm versteht. Denn Ideen charakterisiert er hier als eine bestimmte Art von Gedanken und bei Gedanken handelt es sich um Tätigkeiten des Geistes, nicht um die durch Tätigkeiten des Geistes repräsentierten Dinge. Sein Vergleich von Ideenm mit Bildern ist so zu verstehen, dass Ideenm ähnliche repräsentationale Leistungen aufweisen wie Bilder. Genau wie Bilder repräsentieren auch Ideenm Dinge; genau wie bei Bildern kann es sich auch bei den durch Ideenm repräsentierten Dingen sowohl um Dinge handeln, die es gibt (z. B. Menschen), als auch um solche, die es nicht gibt (z. B. Chimären). Man könnte nun vermuten, dass Descartes durch den Vergleich von Ideenm und Bildern darauf hinweisen will, dass Ideenm bildliche Repräsentationen sind. Dies kann allerdings nicht Descartes’ Meinung sein, da dieser explizit behauptet, wir seien nicht zu der Annahme berechtigt, Ideenm seien den durch sie repräsentierten Gegenständen ähnlich.12 In der zitierten Passage wird dies schon daran deutlich, dass Descartes als Beispiele für einfache Gedanken die Ideenm von Gott und von Engeln anführt, er sich aber explizit gegen die Annahme wendet, bei diesen Ideen handele es sich um bildliche Ideen.13 Anders als in den Prinzipien grenzt Descartes in der angeführten Passage aus der Dritten Meditation nicht Tätigkeiten des Willens von den 12
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Vgl. z. B. Dritte Meditation, Abschnitt [11.] f., AT VII 39 f.; Bd. 1, S. 65 u. Sechste Meditation, AT VII 81. Vgl. Dritte Erwiderungen, AT VII 181; Bd. 1, S. 77 u. Fünfte Erwiderung, AT VII 385.
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einfachen Gedanken bzw. Tätigkeiten des Verstandes ab, sondern unterscheidet einfache Gedanken von solchen, die nicht nur Dinge repräsentieren, sondern darüber hinaus noch „gewisse andere Formen“ – gemeint ist ein volitives oder emotives Element – enthalten. Nennen wir solche Gedanken komplexe Gedanken. Das in komplexen Gedanken enthaltene volitive oder emotive Element ist genau das, was in den Prinzipien als Tätigkeit des Willens bezeichnet wird.14 Komplexe Gedanken sind dementsprechend Gedanken, die sich gemäß der in den Prinzipien getroffenen Unterscheidung aus zwei Gedanken zusammensetzen, nämlich einer Tätigkeit des Verstandes und einer Tätigkeit des Willens.15 Das emotive oder volitive Element unterscheidet sich gemäß der zitierten Passage aus der Dritten Meditation nun gerade dadurch von einfachen Gedanken, dass nur die letzteren Repräsentationen von Dingen sind. Dementsprechend ergibt sich, dass nur Ideenm bzw. Tätigkeiten des Verstandes, nicht aber Tätigkeiten des Willens Dinge repräsentieren.16
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Diese Identifikation setzt voraus, dass es sich bei den Tätigkeiten des Willens aus der auf S. 20 zitierten Passage aus den Prinzipien nicht um komplexe Entitäten handelt, die sowohl ein volitives oder emotives Element enthalten als auch eine Tätigkeit des Verstandes. Für die Richtigkeit dieser Voraussetzung spricht meines Erachtens dass Descartes in dem genannten Zitat aus den Prinzipien schreibt, dass alle Modi des Denkens auf Tätigkeiten des Verstandes und Tätigkeiten des Willens zurückgeführt werden können. Wäre Descartes der Meinung, dass die Tätigkeiten des Willens Tätigkeiten des Verstandes enthielten, dann würde er wohl nicht behaupten, dass sich alle Eigenschaften der Seele auf diese beiden Tätigkeiten zurückführen lassen. Des Weiteren weist er in Abschnitt 34 der Prinzipien darauf hin, dass das Urteilen nicht nur eine Tätigkeit des Verstandes, sondern auch eine Tätigkeit des Willens erfordert. Sollten Tätigkeiten des Willens komplexe Entitäten sein, die eine Tätigkeit des Verstandes als ein Element enthalten, dann wäre diese Bemerkung überflüssig. Nur bei einfachen Gedanken handelt es sich laut Descartes um Ideen im eigentlichen Sinn bzw. um Ideenm. Komplexe Gedanken dagegen scheinen Ideen in nur einem uneigentlichen Sinn zu sein. Dass Descartes bereit ist, auch komplexe Gedanken in einem weiten Sinn zu den Ideen zu zählen, liegt wahrscheinlich daran, dass jeder komplexe Gedanke eine Idee im eigentlichen Sinn enthält. Diese Interpretation setzt allerdings voraus, dass Descartes den Ausdruck „Willensakt“ (voluntas) aus der zitierten Passagen aus der Dritten Meditation nicht synonym mit den Ausdrücken „Wollen“ (volitio) und „Tätigkeit des Willens“ (operatio voluntatis) aus Abschnitt 32 der Prinzipien verwendet, denn mit „Willensakt“ bezeichnet er in der Dritten Meditation nicht das volitive oder emotive Element, sondern den komplexen Gedanken. Diese Verwendungsweise des Ausdrucks „Willensakt“ scheint mir aber innerhalb der Meditationen eine Ausnahme zu sein. Aus der Vierten Meditation jedenfalls geht hervor, dass es sich bei Akten des Willens
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Bisher hat sich ergeben, dass es sich bei Ideenm um geistige Tätigkeiten oder Zustände handelt, die Dinge repräsentieren. Nun gibt es aber neben dem Vorwort zu den Meditationen noch eine weitere Passage, in der Descartes sich explizit dazu äußert, was er unter Ideenm versteht. In den Vierten Erwiderungen schreibt Descartes, Ideen würden so oft sie betrachtet werden, insofern sie etwas repräsentieren, nicht material genommen, sondern formal. Würden sie dagegen betrachtet, nicht sofern sie dieses oder jenes repräsentieren, sondern nur sofern sie Tätigkeiten des Verstandes sind, so könnte man zwar sagen, dass sie material genommen werden, aber dann würden sie sich auf keine Weise auf die Wahrheit oder Falschheit der Objekte beziehen. (AT VII 232)
Descartes führt hier eine bisher noch nicht genannte Betrachtungsweise von Ideen ein, nämlich die formale, und unterscheidet diese von der materialen Betrachtungsweise. Die naheliegendste Interpretation dieser Unterscheidung ist meines Erachtens die folgende17: Eine Idee formaliter zu betrachten, bedeutet, sie als eine Tätigkeit des Verstandes zu betrachten, insofern diese Tätigkeit etwas repräsentiert. Eine Idee materialiter zu betrachten, bedeutet, die gleiche Tätigkeit unter Absehung der Tatsache zu betrachten, dass sie etwas repräsentiert.18 Gemäß dieser Interpretation verwendet Descartes den Begriff der Ideem in den Erwiderungen auf Arnauld in einem engeren Sinn als im Vorwort zu den Meditationen. Denn im Vorwort charakterisiert er Ideenm einfach als Tätigkeiten des Verstandes, d. h. als Tätigkeiten, die etwas repräsentieren.19 Laut den Vierten Erwiderungen dagegen ist eine Ideem eine solche Tätigkeit unter Absehung davon, dass sie etwas repräsentiert.20 Eine Ideem im weiten Sinn scheint sich selbst also entweder materialiter in einem engen Sinn
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nicht um das handelt, was ich „komplexe Gedanken“, sondern um das, was ich „volitives Element“ genannt habe (vgl. AT VII 57 f.). Was genau es mit dieser Unterscheidung auf sich hat, ist meines Erachtens nicht leicht zu verstehen. Dies deswegen, weil die Unterscheidung Teil einer Erwiderung Descartes’ auf Arnaulds Kritik an seiner Konzeption von material falschen Ideen ist und die Weise, auf die man die Unterscheidung interpretiert, stark davon abhängt, wie man Descartes’ Verteidigung seiner Konzeption von materialer Falschheit versteht. Alternative Interpretationen des Verhältnisses der formalen und der materialen Betrachtungsweise von Ideen finden sich z. B. bei Jolley und Kemmerling (vgl. Jolley 1990, 14 f.; Kemmerling 2004, 54 f. u. Kemmerling 2005a, 47–51). Ich verwende den Ausdruck „Ideem“ durchgehend im weiten Sinn. Gemäß der hier vertretenen Position unterscheidet Descartes auch in der Dritten Meditation, Abschnitt [13.], AT VII 40; Bd. 1, S. 65 f. zwischen der materialen Betrachtungsweise im engeren Sinn und der formalen Betrachtungsweise.
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oder formaliter betrachten zu lassen, d. h. entweder unter Absehung der Tatsache, dass sie etwas repräsentiert, oder insofern sie dies tut.21 1.3.2 Ideen objective betrachtet Eine Ideeo ist laut Descartes das Ding, das durch eine Ideem bzw. durch einen Zustand des Verstandes repräsentiert wird. Im Fall der Idee der Sonne z. B. handelt es sich bei der Ideem um einen Zustand des Verstandes, der die Sonne repräsentiert, bei der Ideeo der Sonne um die durch diese Tätigkeit repräsentierte Sonne. Was es mit der Unterscheidung zwischen Ideeno und Ideenm auf sich hat, lässt sich anhand des oben schon zitierten Vergleichs von Ideen und Bildern aus der Dritten Meditation erläutern. Stellen wir uns vor, wir betrachten ein Gemälde von der am Himmel leuchtenden Sonne. Nun können wir begrifflich drei Dinge unterscheiden: Die Leinwand, auf deren Oberfläche sich verschieden geformte Farbkleckse befinden, die auf dieser Leinwand dargestellte Sonne und die wirkliche, am Himmel existierende Sonne. Dass diese beiden Sonnen sich unterscheiden, sieht man daran, dass die erste – wie in einem Comic – lachen könnte, ohne dass letztere dies tut. Genauso können wir begrifflich zwischen einem auf eine bestimmte Weise beschaffenen Zustand des Geistes (bzw. der Ideem der Sonne), der durch diesen geistigen Zustand repräsentierten Sonne (bzw. der Ideeo der Sonne) und der wirklich existierenden Sonne unterscheiden. Fraglich ist nun aber, ob man auch ontologisch zwischen drei verschiedenen Dingen unterscheiden sollte. Man könnte beispielsweise die Meinung vertreten, dass es sich bei dem von einer Ideem repräsentierten Gegenstand um nichts anderes handelt als um einen wirklich existierenden Gegenstand. Das, was durch die Ideem der Sonne repräsentiert wird, d. h. die Ideeo der Sonne, wäre in diesem Fall nichts anderes als die wirkliche Sonne am Himmel. Der Hauptnachteil einer solchen Position besteht darin, dass sie Schwierigkeiten hat zu erklären, wie wir Ideen von Dingen wie z. B. Einhörnern haben können, die es nicht wirklich gibt. Zweitens könnte man der Ansicht sein, dass es sich bei der Tätigkeit des Verstandes, die die Sonne repräsentiert (der Ideem), und der durch diese Tätigkeit repräsentierten Sonne (der Ideeo) um ein und dieselbe Entität handelt. Eine Schwierig21
Für die auf S. 22 zitierte Passage aus der Dritten Meditation bedeutet dies, dass Descartes Ideen dort als Ideenm im weiten Sinn, nicht aber als Ideenm im engen Sinn charakterisiert.
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keit für diese Position besteht darin, dass sie zur Folge zu haben scheint, dass jede Idee, verstanden als mentaler Zustand, sich selbst, d. h. einen mentalen Zustand repräsentiert. Diese Annahme ist jedoch merkwürdig, denn die meisten Ideen, wie z. B. die Idee der Sonne, scheinen keine mentalen Zustände zu repräsentieren. Drittens könnte man folgende Ansicht vertreten: Nicht nur begrifflich, sondern auch ontologisch ist zwischen dem geistigen Zustand, dem durch diesen Zustand repräsentierten Gegenstand und dem wirklich existierenden Gegenstand zu unterscheiden. Gemäß dieser Auffassung gibt es neben dem erkennenden Subjekt samt seinen Zuständen und den zu erkennenden Dingen in der Welt noch eine dritte Art von Dingen, die die direkten Gegenstände der repräsentationalen Zustände des Subjektes sind. Das Hauptproblem für diese Position besteht darin, dass zumindest auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, wie unsere Wahrnehmungen und Gedanken dann überhaupt von der Wirklichkeit handeln können. Denn wenn die unmittelbaren Objekte unserer geistigen Zustände nicht die wirklich existierenden Dinge sind, dann ist unklar, wie sich diese Zustände auf wirklich existierende Dinge beziehen können. Im Folgenden werde ich untersuchen, welche dieser Auffassungen Descartes für richtig hält. Dazu werde ich zunächst der Frage nachgehen, wie er das Verhältnis von Ideeno zu wirklich existierenden Gegenständen versteht, und mich anschließend mit dem Verhältnis von Ideeno und Ideenm beschäftigen. 1.3.2.1 Ideeno und wirklich existierende Dinge Betrachten wir noch einmal die am Anfang des Aufsatzes zitierte Passage aus dem Vorwort zu den Meditationen, in der Descartes zwischen Ideeno und Ideenm unterscheidet. Durch diese Passage wird zunächst der Eindruck nahegelegt, Descartes würde ontologisch zwischen den unmittelbaren Objekten von Wahrnehmungen, Gedanken etc. und wirklich existierenden Gegenständen unterscheiden. Dies aus zwei Gründen. Erstens könnte man vermuten, dass die Tatsache, dass Descartes die unmittelbaren Objekte repräsentationaler Zustände als Ideen bezeichnet, dafür spricht, dass es sich bei diesen Objekten nicht um wirklich existierende Gegenstände handelt. Denn unter Ideen versteht man üblicherweise Entitäten, die in irgendeinem Sinn geistig oder mental sind, bei wirklich existierenden Dingen dagegen handelt es sich häufig nicht um solche geistigen oder mentalen Entitäten. Zweitens schreibt Descartes im Vorwort,
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eine Ideeo sei das repräsentierte Ding, „auch wenn nicht vorausgesetzt wird, dass es außerhalb des Verstandes existiert“ (AT VII 8). Wenn das Vorliegen der Ideeo der Sonne nicht voraussetzt, dass die Sonne außerhalb des Verstandes existiert, dann scheint die Ideeo der Sonne nicht mit der außerhalb des Verstandes existierenden Sonne identisch sein zu können. Ganz in diesem Sinn ist Descartes häufig die dritte der oben genannten Auffassungen zugeschrieben worden: Descartes gehe davon, dass es neben den außergeistigen Dingen mentale Duplikate dieser Dinge gebe. Die mentalen Duplikate seien die unmittelbaren Objekte unserer Wahrnehmungen und Gedanken und verhinderten, dass wir einen direkten Zugang zu den außergeistig existierenden Dingen haben.22 Dass diese Interpretation bezweifelbar ist, zeigt sich, wenn man sich eine Passage aus den Ersten Erwiderungen anschaut, in denen Descartes auf Einwände des Priesters Johannes Caterus gegen die Meditationen reagiert. Seine Einwände beginnt Caterus mit der Frage, was genau Descartes unter einer Idee versteht. Diese Frage beantwortet Descartes folgendermaßen: Nun habe ich aber geschrieben, „dass die Idee die gedachte Sache selbst ist, sofern sie in objektiver Weise im Verstand ist“. Er [sc. Caterus] gibt nun vor, diese Worte ganz anders zu verstehen, als ich sie gesagt habe, um Gelegenheit zu geben, sie klarer zu erläutern. „Objektiv im Verstand sein“ sagt er, „heißt, den Akt des Verstandes selbst nach der Art und Weise des Objektes zu begrenzen, was nur eine extrinsische Bezeichnung und nichts an der Sache ist etc.“ Dazu ist zu bemerken, dass er sich auf den Gegenstand selbst bezieht, als sei er außerhalb des Verstandes gesetzt, in Bezug worauf es in der Tat nur eine extrinsische Bezeichnung ist, dass er in objektiver Weise im Verstand ist; ich aber spreche von der Idee, die niemals außerhalb des Verstandes ist und in Bezug worauf „objektiv sein“ nichts anderes bedeutet als im Verstand in eben der Weise sein, in der Objekte in ihm zu sein pflegen. Wenn z. B. jemand fragen sollte, was der Sonne dadurch zustößt, dass sie objektiv in meinem Verstand ist, so könnte man sehr zu Recht antworten, dass ihr nichts zustößt als eine extrinsische Bezeichnung, weil sie nämlich die Tätigkeit meines Verstandes nach Art und Weise des Objektes begrenzt. Sollte aber gefragt werden, was die Idee der Sonne ist, und würde man antworten, dass sie die gedachte Sache ist, sofern sie objektiv im Verstand ist, so verstünde das wohl niemand so, dass es die Sonne selbst ist, sofern in ihr jene extrinsische Bezeichnung ist, und es wird dann „objektiv im Verstand sein“ nicht bedeuten, seine Tätigkeit nach Art und Weise des Objekts zu begrenzen, sondern im Verstand in der Weise zu sein, wie es seine Objekte zu sein pflegen, so dass die Idee der Sonne die im Verstand – zwar nicht formaliter, wie am Himmel, aber objektiv, d. h. in der Weise, wie die Objekte im Verstand zu sein pflegen – existierende Sonne selbst ist. (AT VII 102–105) 22
Diese von Thomas Reid beeinflusste Interpretation findet sich z.B. bei Kenny, Rorty und Williams (vgl. Kenny 1968, 114ff.; Rorty 1980, 45–61 und Williams 1978, 240).
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Offensichtlich erläutert Descartes in dieser Passage nicht, was er unter Ideen allgemein oder unter Ideenm, sondern was er unter Ideeno versteht. Denn ganz in Übereinstimmung mit seiner Bestimmung von Ideeno aus dem Vorwort zu den Meditationen charakterisiert er Ideen hier als gedachte, das heißt als repräsentierte Dinge. Neu gegenüber dem Vorwort ist, dass Ideeno in den Ersten Erwiderungen als gedachte Sachen, insofern sie auf objektive Weise existieren, charakterisiert werden. Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, inwieweit diese Charakterisierung von Ideeno Folgen für die Bestimmung des Verhältnisses von Ideeno und außergeistigen Gegenständen hat. Den Begriff des objektiven Seins übernimmt Descartes aus der Scholastik. Viele scholastische Philosophen schreiben den durch geistige Zustände repräsentierten Dingen objektives oder intentionales Sein zu. Der Ausdruck „objektives Sein“ wird in der Scholastik häufig als Synonym zu „esse cognitum“ verwendet. Dinge haben objektives Sein, insofern sie erkannt werden. Der Begriff des objektiven Seins wird in der Scholastik und auch von Descartes dem Begriff des formalen Seins gegenübergestellt. Dinge können nicht nur auf objektive Weise existieren, sondern auch formaliter bzw. auf formale Weise. Dass die Sonne auf formale Weise existiert, erläutert Descartes in den Ersten Erwiderungen durch den Zusatz: „wie am Himmel“. Dies legt zunächst die Vermutung nahe, auf formale Weise zu existieren, hieße, als materieller Gegenstand zu existieren. Dies ist allerdings nicht Descartes’ Ansicht. Auf formale Weise zu existieren, bedeutet vielmehr, aktuale statt nur mögliche Existenz zu haben.23 Formales bzw. aktuales Sein kommt somit allen wirklich existierenden materiellen Dingen und deren Modi sowie auch allen wirklich existierenden geistigen Dingen und deren Modi zu. Dementsprechend existieren auch Ideenm auf formale Weise, denn als Modi des Geistes fallen sie unter die aktual existierenden Entitäten.24 Betrachtet man, was scholastische Autoren über Dinge mit objektivem Sein schreiben, dann zeigt sich schnell, dass aus Descartes’ Charakterisierung von Ideeno als auf objektive Weise existierende Dinge allein keinerlei Rückschlüsse bezüglich der Frage gezogen werden können, wie er das Verhältnis von Ideeno und wirklich existierenden Dingen be23
24
Vgl. Dritte Meditation, Abschnitt [14.], AT VII 41; Bd. 1, S. 66 f. Dort spricht Descartes wiederholt von der aktualen oder formalen Realität von Dingen. Ein Ding existiert laut Descartes genau dann auf formale Weise, wenn es zu einem gewissen Grad formale Realität besitzt. Ebd.
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stimmt.25 Denn unter den scholastischen Philosophen finden sich einerseits solche – wie z. B. Duns Scotus –, die annehmen, dass Dinge mit objektivem Sein mit wirklich existierenden Gegenständen identisch sind, andererseits aber auch solche – wie z. B. Wilhelm Alnwick –, die der Meinung sind, die Dinge mit objektivem Sein seien mit den geistigen Zuständen, durch die sie repräsentiert werden, identisch. Des Weiteren gibt es solche – wie z. B. Jacobus de Aesculo –, die die Auffassung vertreten, Dinge mit objektivem Sein seien Gegenstände sui generis, die weder mit geistigen Zuständen noch mit wirklich existierenden Dingen identisch sind. Alle drei der oben genannten Optionen bezüglich des Verhältnisses von geistigen Zuständen, den durch diese Zustände repräsentierten Dingen und den wirklich existierenden Gegenständen sind also mit der Annahme vereinbar, dass die durch geistige Zustände repräsentierten Dinge im Sinne bestimmter scholastischer Autoren auf objektive Weise existieren. Dennoch sind Descartes’ Ausführungen über objektives Sein für die Frage, wie er das Verhältnis von Ideeno und wirklich existierenden Gegenständen konzipiert, aufschlussreich. Descartes und Caterus sind sich darüber einig, dass es sich bei Ideen um gedachte oder repräsentierte Dinge handelt, insofern sie auf objektive Weise existieren. Sie sind sich aber nicht darüber einig, worin objektives Sein besteht. Caterus ist der Meinung, dass es sich bei objektivem Sein um eine extrinsische Bezeichnung handelt, Descartes lehnt diese Auffassung ab. Das, was Caterus unter objektivem Sein versteht, werde ich im Folgenden als „objektives* Sein“ bezeichnen, das, was Descartes unter objektivem Sein versteht, als „objektives Sein“. Zunächst lässt sich feststellen, dass Descartes Caterus’ Konzeption von objektivem* Sein nicht komplett verwirft, sondern ebenfalls der Meinung ist, dass wirklich existierende Dinge, insofern jemand an sie denkt bzw. sie perzipiert, objektives* Sein haben. Er schreibt, dass sich Caterus bei seiner Charakterisierung von objektivem Sein „auf den Gegenstand selbst bezieht, als sei er außerhalb des Verstandes gesetzt, in Bezug worauf es in der Tat nur eine extrinsische Bezeichnung ist, dass er in objektiver Weise im Verstand ist“.26 Descartes betont nun aber, dass es sich bei den wirklich existierenden Dingen, insofern sie objektives* Sein haben, nicht um Ideeno handelt. In den Ersten 25 26
Zum Folgenden vgl. Perler 1995 und Perler 2002, 185–253. Hier gibt Descartes Caterus’ Position allerdings falsch wieder, denn Caterus lässt explizit zu, dass es sich bei Dingen mit objektivem Sein nicht um außergeistig existierende Dinge handelt (vgl. AT VII 92).
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Erwiderungen findet sich also genau die uns interessierende Unterscheidung zwischen dem unmittelbaren Objekt eines geistigen Zustands bzw. der Ideeo und dem entsprechenden wirklich existierenden Gegenstand. Da Descartes explizit behauptet, dass es sich bei der außergeistigen Sonne nicht um die Ideeo der Sonne handelt, scheinen die Ersten Erwiderungen die schon durch das Vorwort zu den Meditationen nahegelegte Interpretation zu bestätigen, der zufolge Descartes ontologisch zwischen den unmittelbaren Objekten repräsentationaler Zustände bzw. Ideeno und wirklich existierenden Dingen unterscheidet.27 Einer solchen Interpretation zufolge handelt es sich bei objektivem und formalem Sein um Seinsweisen unterschiedlicher Arten von Dingen. Die unmittelbaren Objekte geistiger Zustände existieren auf objektive Weise, wirkliche Dinge dagegen existieren auf formale Weise. Werden sie von irgendjemandem perzipiert, dann existieren letztere zusätzlich auf objektive* Weise. Die Annahme, dass Ideeno und außergeistige Gegenstände für Descartes numerisch verschieden sind, ist allerdings schwer mit dem Text zu vereinbaren. Gegen Ende der zitierten Passage schreibt Descartes, die Ideeo der Sonne sei nicht „die Sonne selbst […], sofern in ihr jene extrinsische Bezeichnung ist“, sondern die „im Verstand […] objektiv […] existierende Sonne selbst (sol ipse in intellectu existens (…) obiective)“. Es ist anzunehmen, dass Descartes unter der zuerst und der zuletzt genannten Sonne ein und denselben Gegenstand versteht, da ansonsten nicht verständlich ist, warum er in beiden Fällen von der Sonne selbst spricht. Es scheint also ein und dieselbe Sonne zu sein, die sowohl auf formale als auch auf objektive Weise existieren kann. Für diese Interpretation spricht auch der erste Satz der oben zitierten Passage. Dort schreibt 27
Auf diese Weise interpretiert z. B. Kenny die zitierte Passage aus den Ersten Erwiderungen. Ihm zufolge handelt es sich bei der Ideeo der Sonne nicht um die wirkliche Sonne am Himmel, sondern um einen Stellvertreter dieser Sonne (vgl. Kenny 1968, 114 ff.). Eine ähnliche Interpretation findet sich auch bei Chappell. Chappell ist allerdings unsicher, ob man Descartes tatsächlich die Auffassung zuschreiben sollte, die wirkliche und die objektive Sonne seien zwei distinkte Entitäten. Er schlägt stattdessen vor, dass es sich bei der objektiven Sonne um ein Gegenstück (counterpart) zur wirklichen Sonne handelt. Zu der Frage, was es heißt, ein Gegenstück von etwas zu sein, äußert er sich jedoch nicht (vgl. Chappell 1986, 187 f.). Auch Ayers zufolge geht aus den Ersten Erwiderungen hervor, dass die unmittelbaren Objekte von geistigen Zuständen ontologisch von den wirklichen Dingen unterschieden sind. Seiner Meinung nach spricht die Passage aus den Ersten Erwiderungen sogar dafür, dass es sich bei Ideenm und Ideeno um ein und dieselben Entitäten handelt (vgl. Ayers 1998, 1067 f.).
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Descartes, die Ideeo sei „die gedachte Sache selbst […], sofern sie in objektiver Weise im Verstand ist“.28 Den einschränkenden Ausdruck „sofern“ zu verwenden, ist nur sinnvoll, wenn die gedachte Sache auch noch auf eine andere Weise als die objektive existieren kann. Ich gehe deswegen davon aus, dass Descartes in den Ersten Erwiderungen folgende Position zum Ausdruck bringen will: Ein und dasselbe Ding kann sowohl auf objektive als auch auf formale Weise existieren. Insofern es auf objektive Weise existiert, existiert es als Ideeo, insofern es auf formale Weise existiert, existiert es als außergeistiges Ding.29 Für das Beispiel der Sonne heißt das: Ein und dieselbe Sonne kann einerseits auf formale Weise als außergeistiger Gegenstand, andererseits auf objektive Weise als Ideeo existieren.30 Hier ist wichtig zu betonen, dass es nicht der außergeistige Gegenstand, z. B. die Sonne am Himmel ist, der auf zwei unterschiedliche Weisen existieren kann. Wäre dies Descartes’ Position, dann könnte er nicht – wie er es z. B. im Vorwort zu den Meditationen tut – die Möglichkeit zulassen, dass das durch eine Ideem repräsentierte Ding nicht außerhalb des Verstandes existiert. Denn dann würde das Vorliegen einer Ideeo die Existenz eines außergeistigen Gegenstandes voraussetzen.31 Schreibt man Descartes dagegen die Position zu, dass es nicht außergeistige Gegenstände, sondern Gegenstände tout court 32 sind, die auf zwei Weisen existieren können (nämlich auf objektive Weise im Ver28 29
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Kursivierung von mir. Diese Position wird unter anderem auch von Alanen 1990, Brown 2007, Kemmerling 2004 u. 2005a, Nadler 1989, Perler 1996 u. 2004 und Yolton 1975 vertreten. Dafür, dass Descartes formales und objektives Sein ein und demselben Gegenstand zuschreibt, spricht auch die folgende Passage aus einem Brief an einen unbekannten Empfänger von 1645 oder 1646: „Wir verstehen unter dem Wesen die Sache, insofern sie objektiv im Verstand ist, unter der Existenz aber dieselbe Sache, insofern sie außerhalb des Verstandes ist“ (AT IV 350). Hier behauptet Descartes explizit, dass dieselbe Sache einerseits objektiv im Verstand, andererseits aber auch außerhalb des Verstandes existiert. In diesem Fall hätten die Meditationen ein wesentlich kürzeres Buch werden können. Denn Descartes hätte dann nicht zuerst die Existenz Gottes beweisen müssen, um die Existenz von außergeistigen Gegenständen sicherzustellen, sondern von dem Vorliegen einer Ideeo direkt auf die Existenz eines außergeistigen Gegenstandes schließen können. Unter einem Gegenstand tout court verstehe ich weder einen dritten Gegenstand neben der Ideeo und dem außergeistigen Gegenstand noch die Summe aus diesen beiden Dingen, sondern das Ding, das einerseits als Ideeo und andererseits als außergeistiger Gegenstand existieren kann. Ich verwende den Ausdruck „Gegenstand tout court“ ausschließlich, um darauf hinzuweisen, dass es nicht der außergeistige Gegenstand ist, dem zwei unterschiedliche Seinsweisen zukommen.
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stand und auf formale Weise außerhalb des Verstandes), dann besteht die Möglichkeit, dass man eine Ideeo von einem Ding hat, ohne dass das Ding als außergeistiges existiert. Dies ist dann der Fall, wenn der Gegenstand tout court ausschließlich auf objektive, nicht aber auf formale Weise existiert. Träume ich z. B., meine verstorbene Großmutter zu sehen, dann existiert meine Großmutter ausschließlich auf objektive, nicht aber auf formale Weise. Sehe ich dagegen meinen neben mir stehenden Bruder, dann existiert mein Bruder sowohl auf objektive als auch auf formale Weise. Meine Ideeo von meinem Bruder und mein neben mir stehender Bruder sind ein und derselbe Gegenstand, allerdings insofern er in unterschiedlichen Seinsweisen existiert. Einerseits kann Descartes also behaupten, dass der außergeistige Gegenstand, insofern er auf objektive* Weise existiert, keine Ideeo ist. Denn es ist nicht der außergeistige Gegenstand, sondern der Gegenstand tout court, der, insofern er auf objektive Weise existiert, die Ideeo ist. Andererseits kann er aber auch behaupten, dass es sich bei einer Ideeo und dem entsprechenden außergeistigen Gegenstand um ein und dasselbe Ding handelt, denn es ist ein und dasselbe Ding, das sowohl als Ideeo als auch als außergeistiger Gegenstand existieren kann. Dies hat zur Folge, dass zwischen Ideeno und außergeistigen Gegenständen keine Repräsentationsbeziehung besteht. Eine solche besteht ausschließlich zwischen Ideenm und Ideeno und – falls das Ding, das die Ideeo ist, auch auf formale Weise existiert – zwischen Ideenm und außergeistigen Gegenständen.33 Eine kurze Bemerkung, um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Meine bisherige Rede davon, dass es sich bei den Entitäten, die auf formale und auf objektive Weise existieren können, um Dinge tout court handelt, mag suggeriert haben, dass es sich bei solchen Entitäten um Einzeldinge handelt.34 Es ist aber unklar, ob dies tatsächlich Descartes’ Meinung ist. Eine zumindest mögliche andere Interpretation wird durch die folgende (in Fußnote 30 schon einmal zitierte) Passage aus einem Brief an einen unbekannten Empfänger von 1645 oder 1646 nahegelegt:
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Darauf, dass Ideeno keine repräsentierenden Entitäten sind, weisen besonders Costa und Wells hin (vgl. Costa 1983, 540 u. Wells 1990, 34 ff.). Anders sehen dies Alanen, Chappell und Hoffman (vgl. Alanen 1990, 348; Chappell 1986, 193 und Hoffman 2002, 167 f.). Dass es sich bei Ideeno von wirklich existierenden Gegenständen um Einzeldinge handelt, wird von Brown vertreten (vgl. Brown 2007, 145).
Essay: Descartes über Ideen als repräsentierende und repräsentierte Entitäten 33 Wir verstehen unter dem Wesen die Sache, insofern sie objektiv im Verstand ist, unter der Existenz aber dieselbe Sache, insofern sie außerhalb des Verstandes ist. (AT IV 350)
Diese Stelle erweckt zunächst den Eindruck, als ob ein und dasselbe Ding auf objektive Weise als Wesen und (auf formale Weise) als Existenz existieren würde. Im Gespräch mit Burman schreibt Descartes jedoch: „Existenz ist nichts anderes als existierendes Wesen“ (AT V 164). Dies legt die Annahme nahe, dass es vielmehr das Wesen einer Sache ist, das sowohl auf objektive als auch auf formale Weise existieren kann. Descartes scheint also zu behaupten, dass die unterschiedlichen Seinsweisen gar nicht einem Einzelding, sondern dessen Wesen zukommen, wobei man unter dem Wesen eines Gegenstandes die Summe seiner wesentlichen Eigenschaften verstehen kann. Dieses Wesen wäre das, was ich bisher als Ding tout court bezeichnet habe. Es existiert auf formale Weise, wenn die Eigenschaften, in deren Summe es besteht, Eigenschaften eines wirklich existierenden Gegenstandes sind. Es existiert auf objektive Weise, wenn diese Eigenschaften als Eigenschaften eines Gegenstandes perzipiert werden.35 Dies kann jedoch nicht Descartes’ allgemeine Antwort darauf sein, was die Entitäten sind, die auf objektive Weise als Ideeno existieren.36 Denn nur die klaren und deutlichen Ideenm repräsentieren ausschließlich wesentliche Eigenschaften eines Dings. Alle anderen Ideenm repräsen35
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Fraglich ist, ob gemäß dieser Interpretation meine Behauptung aufrechterhalten werden kann, die Ideeo und der entsprechende außergeistige Gegenstand seien ein und dasselbe Ding, insofern es auf unterschiedliche Weise existiert. Denn ein außergeistiges Ding scheint nicht mit seinen wesentlichen Eigenschaften identisch zu sein, sondern diese zu exemplifizieren. Dann aber besteht das formale Sein der wesentlichen Eigenschaften nicht darin, als außergeistiger Gegenstand zu existieren, sondern darin, vom außergeistigen Gegenstand exemplifiziert zu werden. Descartes’ Behauptung, Existenz sei nichts anderes als existierendes Wesen, spricht jedoch dafür, dass er in der Tradition der scholastischen Philosophen eine Realdistinktion zwischen dem Wesen und dem dieses Wesen habenden existierenden Gegenstand ablehnt. Den außergeistigen Gegenstand scheint er nicht als ein von seinen Eigenschaften unterschiedenes und diese exemplifizierendes Ding aufzufassen, sondern als eine bestimmte Vorkommensweise des Wesens selbst. In anderen Worten: Das außergeistige Ding ist nichts anderes als das wirklich existierende Wesen. Dementsprechend kann Descartes auch dann, wenn er objektives und formales Sein nicht Einzeldingen, sondern wesentlichen Eigenschaften zuschreibt, behaupten, die Ideeo und der entsprechende außergeistige Gegenstand seien ein und dasselbe Ding, insofern es auf unterschiedliche Weise existiert. Perler dagegen scheint anzunehmen, dass sich die Identifikation von Ideeno und Wesen für alle Ideen verteidigen lässt (vgl. Perler 2004, 77–84).
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tieren zusätzlich zu den wesentlichen auch akzidentelle Eigenschaften. Descartes scheint also zulassen zu müssen, dass nicht nur wesentliche, sondern auch zufällige Eigenschaften auf objektive Weise existieren können. Ganz in diesem Sinn schreibt Descartes in den Zweiten Erwiderungen: „[W]as auch immer wir perzipieren, als sei es in den Objekten der Ideen, ist in eben diesen Ideen auf objektive Weise“ (A VII 161).37 Sicherlich perzipieren wir nicht nur wesentliche, sondern auch akzidentelle Eigenschaften, als seien sie in den Objekten unserer Ideen. Diese Passage legt somit nahe, Descartes’ Ausführungen über die zwei Seinsweisen des Wesens folgendermaßen zu modifizieren: Nur bei der klaren und deutlichen Ideeo eines Gegenstandes handelt es sich um die Summe der wesentlichen Eigenschaften des Gegenstandes, insofern diese auf objektive Weise im Verstand ist. Bei einer nicht vollkommen klaren und deutlichen Ideeo eines Gegenstandes handelt es sich um die Summe der wesentlichen sowie bestimmter akzidenteller Eigenschaften des Gegenstandes, insofern diese auf objektive Weise im Verstand ist.38 37
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Ich nehme an, dass diese Behauptung nicht für material falsche Ideen gilt. Denn in den Vierten Erwiderungen schreibt Descartes, dass die Idee der Kälte, falls sie material falsch ist, nicht die Kälte ist, insofern sie objektiv im Verstand ist (Vierte Erwiderungen, AT VII 233; Bd. 1, S. 78 f.). Auch für diese Interpretation stellt sich jedoch eine Schwierigkeit: In der Dritten Meditation behauptet Descartes, dass wir zwei unterschiedliche Ideen der Sonne haben, eine Verstandesidee und eine Sinnesidee. Die Sinnesidee repräsentiert die Sonne als klein seiend, die Verstandesidee repräsentiert die Sonne als groß seiend (Abschnitt [11.], AT VII 39; Bd. 1, S. 65). Ist Descartes berechtigt, zwischen einer Verstandes- und einer Sinnesidee ein und desselben Dings zu unterscheiden, wenn er annimmt, dass es sich bei der Ideeo der Sonne nicht um das Einzelding Sonne handelt, insofern es auf objektive Weise existiert, sondern um die Eigenschaften der Sonne, insofern sie auf objektive Weise existieren? Die Verstandes- und die Sinnesidee der Sonne mögen in dem Sinn Ideen des gleichen Gegenstandes sein, dass beide vom gleichen Gegenstand verursacht sind. Sie sind aber nicht in dem Sinn Ideen des gleichen Gegenstandes, dass die Summen der Eigenschaften, die die Verstandes- und die Sinnesideeo ausmachen, insofern sie auf formale Weise existieren, als der gleiche außergeistige Gegenstand existieren. Denn ein und derselbe Gegenstand kann (zum selben Zeitpunkt) nicht sowohl die Eigenschaft haben, groß zu sein, als auch die Eigenschaft, klein zu sein. Sollte Descartes die Auffassung vertreten, dass die Entitäten, die auf objektive Weise existieren, Summen von Eigenschaften sind, dann müsste er in Bezug auf die beiden Ideen der Sonne wohl Folgendes behaupten: Nur die Summe der Eigenschaften, bei der es sich um die Verstandesideeo der Sonne handelt, ist, insofern sie auf formale Weise existiert, die wirklich existierende Sonne. Die Eigenschaften dagegen, bei denen es sich um die Sinnesideeo der Sonne handelt, hat nur objektives, nicht aber formales Sein. Da Sinnesideen die scheinbar durch sie repräsentierten Gegenstände aber in den aller-
Essay: Descartes über Ideen als repräsentierende und repräsentierte Entitäten 35
Zwar wissen wir nun, dass es sich bei Ideeno und außergeistigen Gegenständen um ein und dieselben Entitäten handelt, insofern sie auf objektive oder auf formale Weise existieren. Wir wissen aber noch nicht, was es heißt, auf objektive Weise zu existieren. Auf diese Frage geben Caterus und Descartes unterschiedliche Antworten. Caterus zufolge handelt es sich bei dem Ausdruck „objektives Sein“ um eine extrinsische Bezeichnung. Unter einer extrinsischen Bezeichnung versteht man in der Scholastik gewöhnlich die Bezeichnung eines Dings anhand einer relationalen Eigenschaft d. h. einer Eigenschaft, die ein Gegenstand nur aufgrund einer Relation zu einer anderen Entität besitzt.39 Der Kürze halber werde ich im Folgenden davon reden, dass extrinsische Bezeichnungen relationale Eigenschaften sind. Die Eigenschaft der Sonne, größer als der Mond zu sein, ist solch eine relationale Eigenschaft, genauso wie ihre Eigenschaft, Objekt eines Gedankens von Peter zu sein. Die Eigenschaft der Sonne, kugelförmig zu sein, ist dagegen eine intrinsische Eigenschaft der Sonne, d. h. eine Eigenschaft, die ihr unabhängig davon zukommt, ob sie in irgendwelchen Relationen zu anderen Gegenständen steht. Caterus geht in seinen Einwänden gegen Descartes’ Meditationen davon aus, dass es sich bei objektivem Sein um solch eine extrinsische bzw. relationale Eigenschaft handelt, nämlich um die Eigenschaft, „den Akt des Verstandes selbst nach der Art und Weise des Objektes zu begrenzen“, d. h. Objekt eines Perzeptionsakt zu sein bzw. perzipiert zu werden. Descartes nun lehnt Caterus’ Konzeption von objektivem Sein ab. Für ihn ist der Ausdruck „objektives Sein“ keine extrinsische Bezeichnung. Objektives Sein besteht laut Descartes vielmehr darin, „im Verstand in eben der Weise [zu] sein, in der Objekte in ihm zu sein pflegen“.
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meisten Fällen als Eigenschaften habend repräsentieren, die diesen de facto nicht zukommen, hat diese Position die Konsequenz, dass die meisten unserer sinnlichen Ideen Ideen von Dingen sind, die nicht wirklich existieren. Diese Position wird von Descartes jedoch eindeutig abgelehnt (vgl. Sechste Meditation, AT VII 79 f.). Ich möchte nicht behaupten, dass sich diese Schwierigkeit nicht irgendwie lösen lässt. Solange sie nicht gelöst ist, möchte ich in Bezug auf die Frage, welchen Entitäten Descartes objektives und formales Sein zuspricht, jedoch keine feste Position einnehmen. Diese Erläuterung übernehme ich von Perler und Doyle (vgl. Perler 1996, 84 f. u. Doyle 1984, 122–8). Perler und Dolye unterscheiden sich in ihrer Auffassung von extrinsischen Bezeichnungen allerdings dahingehend, dass Perler unter einer extrinsischen Bezeichnung die Bezeichnung einer relationalen Eigenschaft versteht, Doyle hingegen die Bezeichnung einer Sache anhand einer relationalen Eigenschaft. In diesem Punkt folge ich Doyle.
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Was aber heißt das? „Im Verstand zu sein“ kann offensichtlich nicht bedeuten, ein Modus des Verstandes zu sein. Denn Modi des Geistes sind entweder Ideenm oder Fähigkeiten bzw. Dispositionen des Verstandes. Das, was durch Ideenm repräsentiert wird, ist in den allermeisten Fällen jedoch keine Ideem, geistige Fähigkeit oder Disposition. Man könnte ferner versucht sein, den Begriff des objektiven Seins bzw. des Im-Verstand-Seins mit Hilfe des Begriffs des Vom-Verstand-Perzipiertwerdens zu erläutern. Ein Ding hätte dann genau solange objektives Sein im Verstand, wie es vom Verstand perzipiert wird. Auch diese Option scheitert jedoch. Ihr zufolge wird nämlich objektives Sein als relationale Eigenschaft konzipiert. Es käme Dingen nur insofern zu, als sie in einem bestimmten Verhältnis zum Verstand stehen, nämlich dem des Perzipiertwerdens. Descartes’ Kritik an Caterus’ Konzeption von objektivem Sein besteht aber gerade in dem Vorwurf, dieser fasse objektives Sein fälschlicherweise als relationale Eigenschaft auf.40 Eine Möglichkeit, mit dieser Schwierigkeit umzugehen, bestünde in der Annahme, dass Descartes den Term „extrinsische Bezeichnung“ in seiner Kritik an Caterus gar nicht gemäß der in der Scholastik üblichen Bedeutung verwendet, sondern auf eine Weise, die es auch ihm selbst ermöglicht, objektives Sein als die relationale Eigenschaft zu begreifen, vom Verstand perzipiert zu werden. Soweit ich sehe, bieten sich hier zwei Lesarten an: Erstens könnte es sich bei einer extrinsischen Bezeichnung um eine akzidentelle im Gegensatz zu einer wesentlichen Eigenschaft handeln. Dieser Lesart zufolge würde Descartes gegen Caterus geltend machen, dass das objektive Sein eines im Verstand existierenden Gegenstandes keine akzidentelle, sondern eine wesentliche Eigenschaft dieses Gegenstandes ist, obwohl es sich beim objektiven Sein um eine akzidentelle Eigenschaft des außergeistigen Gegenstandes handelt. Erläutert man „objektives Sein“ durch „perzipiert werden“, dann spricht gegen diese Interpretation jedoch, dass ihr zufolge Dinge mit objektivem Sein nicht mit wirklich existierenden Dingen identisch sein könnten. Wenn es Dingen im Verstand wesentlich ist, perzipiert zu werden, 40
Dies sehen Alanen und Perler anders, denen zufolge die Ersten Erwiderungen dafür sprechen, dass es sich bei Sein-im-Verstand um die relationale Eigenschaft des Perzipiert-Werdens handelt (vgl. Perler 1996, 84 f. u. 100 und Alanen 1990, 360 f.). Auch Wells versteht unter dem Sein-im-Verstand aus den Ersten Erwiderungen eine relationale Eigenschaft, anders als Perler und Alanen jedoch die Eigenschaft, perzipiert werden zu können. Wells’ Auffassung von objektivem Sein hat zur Folge, dass Dinge auch dann auf objektive Weise existieren, wenn sie nicht durch eine Ideem repräsentiert werden.
Essay: Descartes über Ideen als repräsentierende und repräsentierte Entitäten 37
dann würden diese Dinge aufhören zu existieren, wenn sie nicht mehr perzipiert werden. Wirkliche Dinge aber hören nicht auf zu existieren, wenn sie nicht mehr perzipiert werden. Somit ist die Interpretation nicht mit dem letzten Satz der zitierten Passage verträglich, aus dem hervorgeht, dass es sich bei der außergeistigen und der auf objektive Weise existierenden Sonne um dasselbe Ding handelt.41 Zweitens könnte eine extrinsische Bezeichnung eine solche relationale Eigenschaft sein, die ein Gegenstand erhalten oder verlieren kann, ohne eine seiner intrinsischen Eigenschaften ändern zu müssen. Die Eigenschaft, Onkel zu werden, ist beispielsweise eine solche Eigenschaft. Die Eigenschaft, größer als das Urmeter zu sein, ist dagegen eine relationale Eigenschaft, die ein Gegenstand nur dann erhalten oder verlieren kann, wenn er eine seiner intrinsischen Eigenschaften ändert.42 Auch dieser Interpretation zufolge können Descartes und Caterus darin übereinstimmen, dass es sich bei objektivem Sein um die relationale Eigenschaft des Perzipiert-Werdens handelt. Den Unterschied zwischen Descartes’ und Caterus’ Position würde man laut dieser Lesart dann folgendermaßen beschreiben: Descartes kritisiert Caterus, weil dieser die Eigenschaft des Perzipiert-Werdens als eine Eigenschaft auffasst, die Dinge erhalten oder verlieren können, ohne dass sich eine ihrer intrinsischen Eigenschaften ändern muss. Dies sei Descartes zufolge zwar richtig, wenn man annimmt, dass es sich bei den Gegenständen, die objektives Sein haben, um außergeistige Gegenstände handelt. Denn die am Himmel existierende Sonne beispielsweise ändert sich nicht, wenn sie die Eigenschaft erhält oder verliert, von irgendjemandem perzipiert zu werden. Mit seiner Ablehnung der Annahme, dass es sich bei dem objektiven Sein von Dingen tout court um eine extrinsische Bezeichnung handele, wolle er aber darauf hinweisen, dass es sich bei der Eigenschaft des Perzipiert-Werdens um eine Eigenschaft handelt, die das Ding nur dann erhält oder verliert, wenn sich eine seiner intrinsischen Eigenschaften ändert.43 Diese Interpretation ist zwar mit der zitierten Passage aus den Ersten Erwiderungen vereinbar und bietet eine vertretbare Erläuterung des Begriffs des objektiven Seins. Die nun ins Zentrum rückende Frage, worin die intrinsische Eigenschaft eines Dings besteht, die es haben muss, um perzipiert zu werden bzw. objektives Sein zu haben, wird 41 42
43
Vgl. meine Ausführung auf S. 30 ff. Dies gilt zumindest dann, wenn man voraussetzt, dass das Urmeter seine Größe nicht ändert. Diesen Vorschlag verdanke ich Bernhard Thöle.
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durch die Interpretation aber nicht beantwortet. Somit bleibt letztlich unklar, worin objektives Sein bzw. Sein im Verstand besteht. Aus diesem Grund sollte man meiner Meinung nach eine andere Interpretation vorziehen, die nur einen kleinen Schritt von der zuletzt vorgeschlagenen Lesart entfernt ist, dieser gegenüber aber den Vorteil hat, dass sie Descartes keine vom scholastischen Gebrauch abweichende Verwendung des Begriffs der extrinsischen Bezeichnung unterstellen muss. Statt davon auszugehen, dass es sich bei objektivem Sein bzw. Sein im Verstand um eine relationale Eigenschaft handelt, die einem Gegenstand nur dann zukommt, wenn er eine intrinsische Eigenschaft hat, von der wir nicht wissen, worin sie besteht, kann man das objektive Sein eines Gegenstands bzw. sein Sein im Verstand gleich mit dieser intrinsischen Eigenschaft identifizieren. Ich denke, dass Descartes den Begriff des objektiven Seins als einen nicht weiter zu erklärenden Grundbegriff seiner Ideenlehre behandelt. Im Verstand zu sein ist seiner Meinung nach eine unanalysierbare intrinsische Eigenschaft von Dingen (tout court ), die prinzipiell auch außerhalb des Verstandes sein können. Diese Interpretation hat den Vorteil, dass Descartes ihr zufolge unter einer extrinsischen Bezeichnung ganz im Sinne der scholastischen Verwendungsweise eine relationale Eigenschaft versteht. Demnach kritisiert Descartes Caterus dafür, dass dieser annimmt, bei dem Begriff des Perzipierens handele es sich um einen basaleren Begriff als bei dem Begriff des objektiven Seins. Descartes hält es für falsch, mithilfe des Begriffs des Perzipiert-Werdens zu erläutern, worin objektives Sein besteht. Er selbst vertritt genau die entgegengesetzte Position: Der Begriff des objektiven Seins ist für ihn grundlegender als der des Perzipierens. Er will erklären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir ein Ding perzipieren. Seine Antwort lautet: Ein Ding perzipieren wir dann, wenn das Ding auf objektive Weise existiert bzw. Sein im Verstand hat. An dieser Antwort ist allerdings zu kritisieren, dass ihre Erklärungsleistung gering ist, solange es nicht selbstverständlich ist oder aber erläutert wird, was genau es heißt, objektives Sein bzw. Sein im Verstand zu haben. 1.3.2.2 Ideeno und Ideenm Descartes selbst äußert sich, soweit ich weiß, nirgends zu der Frage, wie sich Ideeno zu Ideenm verhalten. Die einzige Stelle, an der er zwischen Ideeno und Ideenm unterscheidet, nämlich die am Anfang dieses Aufsatzes zitierte Passage aus dem Vorwort zu den Meditationen, lässt dies offen.
Essay: Descartes über Ideen als repräsentierende und repräsentierte Entitäten 39
Dort stellt Descartes lediglich fest, der Ausdruck „Idee“ könne „entweder material genommen werden für die Tätigkeit des Verstandes […] oder objektiv für das Ding, das durch diese Tätigkeit repräsentiert wird“ (AT VII 8). Ob die Tätigkeit des Verstandes und das durch diese Tätigkeit repräsentierte Ding ein und dasselbe Ding sind oder nicht, dazu wird dort nichts gesagt. Nun wird unter Descartes-Interpreten häufig davon ausgegangen, dass Descartes Ideenm und Ideeno zwar begrifflich voneinander unterscheidet, sie ontologisch aber miteinander identifiziert.44 So charakterisiert Andreas Kemmerling die Mehrdeutigkeit des cartesischen Ausdrucks „Idee“ als ungewöhnliche Mehrdeutigkeit, da dieser Ausdruck nicht zweierlei Bezug aufweise, sondern zweierlei Sinn, aber ein und denselben Bezug.45 Ich kenne wie gesagt keine Stellen, die belegen oder widerlegen, dass Descartes eine solche Auffassung vertritt. Im Folgenden möchte ich deswegen nur darauf hinweisen, dass Descartes eine höchst sonderbare Konzeption des Verhältnisses von Ideen und repräsentierter Wirklichkeit vertreten würde, wenn er sowohl der Meinung wäre, ein und dieselben Dinge könnten auf formale und auf objektive Weise existieren, als auch der Meinung, Ideeno seien mit Ideenm identisch.46 Descartes würde dann nämlich der folgenden Überlegung zustimmen: Das Ding, insofern es auf formale Weise existiert, ist das gleiche Ding, wie das Ding, insofern es auf objektive Weise existiert. Das Ding, insofern es auf objektive Weise existiert, ist die Ideeo. Die Ideeo ist nichts anderes als die Ideem. Also sind Dinge, die auf formale Weise als außergeistige Dinge existieren, für den Fall, dass sie zusätzlich auf objektive Weise existieren, mit Ideenm bzw. Geisteszuständen identisch.47 Dies 44
45 46
47
Vgl. z. B. Alanen 1990, 349 f.; Ayers 1998, 1066 u. 1068; Chappell 1986, 178 f.; Kemmerling 2004, 47–52 u. 66; Kemmerling 2005a, 47 ff. u. 78 ff. und Perler 2004, 75. Cook vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass der Ausdruck „Idee“ gar nicht mehrdeutig sei (vgl. Cook 1975, 87–94). Vgl. Kemmerling 2005a, 78 ff. Nicht alle der in Fußnote 44 genannten Autoren schreiben Descartes sowohl die Position zu, ein und dieselben Dinge würden formales und objektives Sein haben, als auch die Annahme, Ideenm und Ideeno seien miteinander identisch. Ayers und in Abschwächung auch Chappell gehen davon aus, dass es sich bei Gegenständen mit formalem und Gegenständen mit objektivem Sein um unterschiedliche Dinge handelt. Vgl. hierzu Fußnote 29. Ayers hält es, genau wie ich für falsch, Descartes die Annahme zuzuschreiben, Ideeno seien sowohl mit Ideenm als auch mit außergeistigen Dingen identisch (vgl. Ayers 1998, 1067). Diese Schwierigkeit stellt sich auch dann, wenn Descartes, wie ich auf S. 32 ff. erwogen habe, unter den Dingen, die auf formale und auf objektive Weise existieren können, Summen von Eigenschaften versteht.
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René Descartes
ist nun aber keine besonders attraktive Position. Niemand wird es überzeugend finden, dass es sich bei der Sonne und meinem mentalen Zustand, in dem ich mich befinde, wenn ich an die Sonne denke, um ein und dasselbe Ding handelt. Wenn man also behaupten möchte, dass es sich bei repräsentierten und wirklich existierenden Dingen um dieselben Dinge handelt, dann sollte man die repräsentierten Dinge nicht zusätzlich mit den sie repräsentierenden Geisteszuständen identifizieren. Würde Descartes nicht nur behaupten, dass es ein und dieselben Dinge sind, die auf formale und auf objektive Weise existieren, sondern auch Ideenm und Ideeno miteinander identifizieren, dann verträte er im Vergleich zu den eingangs in Abschnitt 2 dargestellten Positionen bezüglich des Verhältnisses von repräsentierendem geistigen Zustand und repräsentierter Wirklichkeit eine dort nicht genannte Position. Denn dann würde er ontologisch weder zwischen drei Entitäten (dem geistigem Zustand, dem durch den geistigen Zustand repräsentierten Ding und dem wirklich existierenden Ding) noch zwischen zwei Entitäten (dem geistigen Zustand und dem wirklich existierenden Ding) unterscheiden, sondern nur eine einzige Entität zulassen: Der geistige Zustand, das durch ihn repräsentierte Ding und das wirklich existierende Ding wären für ihn ein und dieselbe Entität. Verträte Descartes diese Position, dann müsste er die Situation der Sonne, wenn sie von mir perzipiert wird, wohl folgendermaßen beschreiben: Insofern die Sonne von mir perzipiert wird, kommt ihr objektives Sein und damit zugleich formales Sein mit dem Realitätsgrad eines Modus zu.48 Insofern sie als wirkliche Sonne am Himmel existiert, kommt ihr formales Sein mit dem Realitätsgrad einer geschaffenen Substanz zu. Nun sprechen aber alle mir bekannten Stellen, an denen sich Descartes über die formale Realität von Dingen äußert, dafür, dass er der Meinung ist, jede Entität habe einen und nicht mehrere Grade an formaler Realität. Aus diesen Gründen interpretiert man Descartes meines Erachtens am wohlwollendsten, wenn man ihm die Auffassung zuschreibt, dass Ideeno und Ideenm unterschiedliche Entitäten sind.49 Ich gehe deswegen 48
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Zu den unterschiedlichen Graden an formaler Realität vgl. den Stellenkommentar, u. K15. Auch Kemmerling begründet seine Interpretation damit, dass es sich bei ihr um die wohlwollendere handelt. Descartes sei es als Philosoph anzulasten, wenn der Ausdruck „Idee“ bei ihm zwei unterschiedliche Bezugsobjekte hätte, er ihn aber verwendet, ohne zu erläutern, in welchem Sinn (vgl. Kemmerling 2004, 48 u. Kemmerling 2005a, 79). Dies scheint mir jedoch ein geringeres Vergehen zu sein, als das, eine eindeutig falsche Position zu vertreten.
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davon aus, dass Descartes bei seiner Charakterisierung des Verhältnisses zwischen repräsentierendem geistigen Zustand und repräsentierter Wirklichkeit ontologisch zwischen zwei Dingen unterscheidet, allerdings nicht zwischen geistigen Zuständen und den durch sie repräsentierten wirklich existierenden Dingen, sondern zwischen geistigen Zuständen und den durch sie repräsentierten Dingen tout court, die, wenn sie nicht nur objektives, sondern auch formales Sein haben, als wirkliche Dinge existieren. Auf diese Weise kann Descartes sowohl die erste als auch die dritte der am Anfang vom zweiten Abschnitt genannten Schwierigkeiten lösen. Die erste stellte sich für Positionen, laut denen die durch unsere Ideen repräsentierten Dinge nichts anderes als wirklich existierende Dinge sind. Sie besteht darin, dass gemäß diesen Positionen nicht erklärbar zu sein scheint, wie es sein kann, dass sich unsere geistigen Zustände auf nicht wirklich existierende Dinge – wie z. B. Chimären – beziehen können. Die dritte Schwierigkeit ergibt sich, wenn man annimmt, dass die durch Ideen repräsentierten Dinge von den wirklich existierenden Dingen ontologisch verschieden sind. In diesem Fall scheint sich nämlich nicht erklären zu lassen, wie sich unsere Wahrnehmungen und Gedanken auf wirklich existierende Dinge beziehen können. Descartes nun kann beides erklären. Dass sich unsere geistigen Zustände manchmal auf nicht wirklich existierende Dinge beziehen, erklärt er durch die Annahme, dass die durch solche Zustände repräsentierten Dinge manchmal nur auf objektive Weise existieren. Durch die Annahme, dass die wirklich existierenden Dinge und die unmittelbaren Objekte unserer geistigen Zustände ein und dieselben Dinge sind, insofern sie auf unterschiedliche Weise existieren, kann er zusätzlich erklären, wieso wir dazu in der Lage sind, uns mit unseren Wahrnehmungen und Gedanken auf wirklich existierende Dinge zu beziehen. Die zweite Schwierigkeit, zu erklären, was es heißen soll, dass geistige Zustände bzw. Ideenm und die durch sie repräsentierten Dinge bzw. Ideeno dasselbe sind, stellt sich für Descartes erst gar nicht, da er, so wie ich ihn verstehe, nicht behauptet, dass Ideenm und Ideeno miteinander identisch sind. Descartes’ Ideentheorie hat also durchaus einige verführerische Vorteile. Erkauft werden diese Vorteile allerdings um den Preis der letztlich nicht verständlichen Annahme, Dinge könnten nicht nur auf formale, sondern auch auf objektive Weise existieren.
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Einführung: Radikaler Empirismus
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2. Pierre Gassendi Maria Seidl
2.1 Einführung: Radikaler Empirismus Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren der Frühen Neuzeit scheint Gassendi selbst der Ideentheorie keine besondere Bedeutung zugeschrieben zu haben. Was eine Idee ist, wird von ihm nur in einem sehr kleinen Teil seines ausufernden Gesamtwerks diskutiert und dann – so scheint es – nicht in der Absicht, eine systematische Ideentheorie zu entwickeln: In der Institutio logica verfolgt er eher das Ziel, dem Leser einen praktischen Leitfaden an die Hand zu geben, wie er möglichst gute Ideen gewinnen kann. Auch in seiner Auseinandersetzung mit Descartes stellt Gassendi nicht seine eigene, positive Auffassung von Ideen in den Vordergrund, sondern seine Kritik an angeborenen Ideen. Gassendi scheint also auf den ersten Blick eine genaue Analyse von Ideen nicht für dringend befunden zu haben. Dennoch ist die Ideentheorie, aufgrund von Gassendis besonderer Methodologie, zentral für sein gesamtes philosophisches System. Denn um den Atomismus zu rechtfertigen, benötigt Gassendi Vorstellungen, die von ontologischen Annahmen unabhängig sind und durch die er unseren Wissensanspruch begründen kann; ist dies gelungen, so kann er von unserem Wissen über die oberflächlichen, sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften der Gegenstände auf die innere Beschaffenheit dieser Gegenstände schließen. Methodologisch geht für Gassendi also die Erkenntnistheorie der Ontologie voraus: Zunächst wird untersucht, welcher Art unser Wissen ist und was wir wissen können. Daraus wird dann abgeleitet, wie die Welt beschaffen ist. Anders als Epikur, der Argumente für den Atomismus zu geben versucht, die von Experimenten unabhängig sind, nimmt Gassendi in seiner Argumentation für den Atomismus vor allem Bezug auf Experimente und physikalische Beobachtungen1. Die Annahme, dass die Gegenstände 1
Vgl. zu den Argumentationsstrategien Detel 1976.
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Pierre Gassendi
aus Atomen als unteilbaren kleinsten Teilchen bestehen, wird von ihm als die beste verfügbare Erklärung für die Ergebnisse bestimmter Experimente angesehen. Gassendi schließt also nicht direkt von den oberflächlich wahrnehmbaren Eigenschaften der Gegenstände und ihrem alltäglichen Verhalten auf den Atomismus. Die physikalischen Experimente, auf die Gassendi seine Argumentation stützt, haben aber nur dann Aussagekraft, wenn wir davon ausgehen, dass wir uns in unseren Überzeugungen über die Welt, die sich auf Wahrnehmungen stützen, nicht grundsätzlich irren. Insofern hängt die Argumentation für den Atomismus also doch davon ab, welche Eigenschaften und welches Verhalten wir an den Gegenständen wahrnehmen. Damit also die Argumentation für den Atomismus überhaupt beginnen kann (unabhängig von ihrer inhaltlichen Überzeugungskraft), benötigt Gassendi Vorstellungen, die uns den Zugang zur Welt in zuverlässiger Weise eröffnen, und die sich unabhängig von metaphysischen Annahmen beschreiben und erklären lassen. Gassendi muss also zumindest einen Teil des Erkenntnisprozesses unabhängig von seiner Ontologie beschreiben und erklären, wie wir aufgrund dieses Prozesses Wissen haben. Dieser von der Ontologie unabhängige Teil von Gassendis Erkenntnistheorie ist nun die Ideentheorie. Sinneseindrücke, auf denen Ideen beruhen, werden von ihm nicht unabhängig von ihrer Entstehung beschrieben, und man kann zum Beispiel nur aus dieser Beschreibung ihrer Entstehung schließen, welchen Inhalt Sinneseindrücke Gassendi zufolge haben. Natürlich können mit seiner Erklärung der Genese von Wahrnehmungen die Eigenschaften eingefangen werden, die er Ideen zuschreibt. Allerdings werden Ideen im Gegensatz zu Wahrnehmungen unabhängig von ihrem ontologischen Status beschrieben, und sie haben nicht durch diesen Status ihre Eigenschaften. Vielmehr werden Ideen bestimmte Eigenschaften zugesprochen – so zum Beispiel, dass sie eine „vollständige Beschreibung des Gegenstands“ enthalten (I.92) – unabhängig davon, ob man sie etwa als materielle oder immaterielle Entitäten auffasst. Diese Eigenschaften können laut Gassendi dann später durch die Ontologie erklärt werden. Gassendis Ideentheorie lässt sich also systematisch mit seiner Ontologie verbinden, seine Ideentheorie jedoch beruht nicht auf der Ontologie. Vielmehr lotet Gassendi durch eine Darstellungen seiner Auffassung über Ideen aus, was wir über die Gegenstände in der Welt wissen können, um ausgehend davon auf die dahinter stehende Ontologie – den Atomismus – zu schließen. Die Ideentheorie ist für Gassendi also sehr wohl zentral, da sie den philosophisch ausgearbeiteten Teil seiner
Einführung: Radikaler Empirismus
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Erkenntnistheorie darstellt, der nicht von seinen ontologischen Behauptungen abhängt. Welches Ergebnis liefert nun eine Untersuchung der Ideen als solcher? Ohne schon auf den Atomismus zurückzugreifen lässt sich feststellen, dass Gassendi den Erkenntnisprozess in drei Schritte aufteilt: Wir haben erstens Wahrnehmungen, das heißt Sinneseindrücke der Gegenstände; wie genau diese Wahrnehmungen strukturiert sind, bleibt unklar, es ist jedoch ein Faktum, dass sie auftreten. Zweitens haben wir Ideen, die verschiedene Wahrnehmungen zu einer allgemeinen Vorstellung eines Gegenstands bündeln und Bestandteile von Urteilen sein können. Sie sind laut Gassendi trotz ihres Bündel-Charakters einfach, da sie eine reine Darstellung eines Gegenstands enthalten, so wie er uns durch die Sinne gegeben ist, ohne ein Urteil darüber zu beinhalten, ob das Objekt dieser Vorstellung einer solchen Darstellung entspricht. Drittens gibt es Urteile, in denen verschiedene Ideen zueinander in Beziehung gesetzt werden und etwas über einen Gegenstand behauptet wird. Erst zu diesem Zeitpunkt kann von Wissen die Rede sein, da erst hier eine explizite Behauptung gemacht wird – da aber Urteile im Grunde aus Ideen zusammengesetzt sind, sind Ideen eben die Vorstellungen2, aus denen wir Wissen gewinnen können. Bei der Beantwortung der Frage, was wir überhaupt wissen können, kommt nun eine zentrale epistemologische These Gassendis ins Spiel: seine Behauptung, dass jeglicher Inhalt unserer Vorstellungen, und damit auch unser Wissen, aus den Sinnen stammt. Gassendi lehnt die Vorstellung strikt ab, dass wir von der Sinneserfahrung unabhängige Vorstellungen oder gar Wissen haben könnten. Selbst unsere abstrakten Vorstellungen beruhen seiner Auffassung nach auf Sinneseindrücken. Dies hat erstens zur Folge, dass wir kein Wissen ewiger Wahrheiten haben. Hätten wir angeborene Ideen, die uns – wie dies zum Beispiel Descartes annimmt – von Gott eingegeben wurden, so könnten wir aus ihnen Überzeugungen ableiten, die unabhängig von der Sinneserfahrung gelten. Diese Möglichkeit besteht Gassendi zu Folge nicht: Jede Über-
2
Die Redeweise, dass Ideen selbst Vorstellungen sind, ist folgendermaßen zu verstehen: Eine Idee ist ein Teil einer Vorstellung, wobei eine Vorstellung von Gassendi als ein Akt des Geistes charakterisiert wird, der als Schlusspunkt ein geistiges Bild, die Idee hat (siehe Institutio logica, I.92a). Da aber von Gassendi weder weiter expliziert wird, worin andere Teile dieses Aktes bestehen, noch, in welchem Verhältnis diese zu Ideen stehen, werden im Weiteren Ideen als Vorstellungen bezeichnet.
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zeugung, auch zum Beispiel die in einem mathematischen Satz geäußerte, könnte prinzipiell von der Sinneserfahrung widerlegt werden.3 Mathematische und logische Sätze sind nur induktiv aus unserer bisherigen Erfahrung abgeleitet und damit nicht notwendig wahr.4 Außerdem sind die Überzeugungen, die wir direkt aus der Sinneserfahrung gewinnen, denen vorzuziehen, die wir durch Schlüsse aus der Sinneserfahrung gewonnen haben. Überzeugungen über die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften der Gegenstände sind also verlässlicher als Überzeugungen über nicht beobachtbare Vorgänge. Da wir Substanzen im Grunde nie sinnlich wahrnehmen, sondern immer nur ihre Akzidenzien, das heißt ihre Eigenschaften, sind für uns nur die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften der Gegenstände direkt erkennbar. Wir haben keine angeborene Vorstellung von Gott, von der wir auf die Beschaffenheit der Welt schließen könnten. Wir haben Sinneseindrücke, bei deren Aufnahme wir uns als passiv erleben. Unabhängig davon, wie diese Eindrücke strukturiert sind, welchen Inhalt sie haben, ob sie die Gegenstände korrekt darstellen und ob wir also aus ihnen wahre Urteile ableiten können, erleben wir sie als unseren einzigen direkten Zugang zur Welt. Alle darüber hinausgehenden Meinungen über die Welt müssen wir aus den Sinneseindrücken ableiten – einschließlich unserer Überzeugungen bezüglich der ontologischen Beschaffenheit der Welt. Damit wir uns darauf verlassen können, dass das, was wir aus unseren Wahrnehmungen schließen, (zumindest wahrscheinlich) wahr ist, muss Gassendi zu Folge erstens die Basis für unsere Schlüsse selbst (zumindest wahrscheinlich) wahr sein und zweitens der Schluss entweder aus dieser Basis logisch gefolgert werden können oder sie wenigstens sehr gut erklären. Denn wenn die Basis selbst unzuverlässig wäre, hätten auch Schlüsse aus diesen Urteilen keine Überzeugungskraft. Und nur wenn der Schluss durch die Basis tatsächlich begründet ist, kann eine solche Überzeugung gerechtfertigt sein. Gassendi benötigt also zunächst eine Rechtfertigung unserer Überzeugungen über die Gegenstände, denen wir täglich begegnen. Er muss deshalb einen radikalen Zweifel aus dem Weg räumen, um überhaupt aus unseren Wahrnehmungsurteilen über die Gegenstände auf die dahinter stehende Ontologie schließen zu können. Seine Strategie hier ist eine psychologistisch-pragmatische, wie aus seinen Einwänden gegen Descartes deutlich wird: Unsere interne Rechtfertigung für unsere Überzeugungen 3 4
Vgl. Fisher 2005, 10. Vgl. Cho 2005, 127.
Einführung: Radikaler Empirismus
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über materielle Gegenstände liegt darin, dass wir zum einen nicht anders können, als sie für wahr zu halten, und dass diese Überzeugungen zum anderen offenbar größtenteils funktionieren, so dass wir aufgrund ihrer so handeln, dass wir überleben. Eine solche Position stellt natürlich keine Widerlegung des Skeptizismus dar, da zum Beispiel Descartes’ Szenario des bösen Dämons, der uns täuscht, immer noch möglich ist. Unsere Überzeugungen sind lediglich zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit wahr, das heißt, es besteht immer die Möglichkeit, dass sie die Gegenstände nicht korrekt darstellen. Die theoretische Möglichkeit, dass wir uns immer täuschen, bleibt bestehen, auch wenn Gassendi der Meinung ist, es sei für uns nicht möglich, davon tatsächlich überzeugt zu sein. Gassendi wendet sich mit dieser Strategie also keineswegs gegen einen akademischen Skeptizismus, der die ständige Überprüfung unserer Überzeugungen sowie die Zurückhaltung im Urteilen fordert und den er selbst in den Execitationes paradoxicae vertritt; vielmehr wendet er sich lediglich gegen einen radikalen Zweifel, der im Gegenzug auch Gewissheit über die Wahrheit unserer Überzeugungen verlangt. Dem entspricht, dass die berechtigten Zweifel, die wir an eine Überzeugung stellen können, umso größer werden, je weiter wir uns mit der Überzeugung von der Sinneserfahrung entfernen. Gassendi ist der Auffassung, eine Rechtfertigung dafür gegeben zu haben, dass wir uns im Großen und Ganzen auf unsere Überzeugungen über Gegenstände in der Welt verlassen können. Unsere grundlegenden Überzeugungen – wie zum Beispiel, dass es überhaupt unabhängig von uns existierende Gegenstände gibt, dass sie Eigenschaften wie Größe, Form und Gewicht haben, dass sie sich bewegen können oder auch nicht, etc. – sind durch die Sinneserfahrung gerechtfertigt. Diese Überzeugungen liefern die Basis für einen Schluss auf Gegenstände und Eigenschaften, die wir nicht sinnlich wahrnehmen können. Da aber für diese Überzeugungen keine direkte Rechtfertigung durch Sinneserfahrung möglich ist, ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Wahrheit geringer. So können wir zum Beispiel schließen, dass die Gegenstände aus irgendetwas bestehen müssen. Unsere Vermutungen darüber, welcher Art ihr Wesen ist, müssen wir aber indirekt über unsere Sinneserfahrung rechtfertigen. Da schon unsere Überzeugungen, die auf Sinneserfahrung beruhen, nur wahrscheinlich wahr sind, muss auch die aus diesen Überzeugungen abgeleitete Theorie des Atomismus für uns immer nur wahrscheinlich bleiben und kann nie gewiss wahr sein.
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2.2 Stellenkommentar 2.2.1 Auszüge aus Opera Omnia. Syntagma Philosophicum. Pars I: Logica (1658) K1: In diesem ersten Abschnitt grenzt Gassendi seine Verwendung von „imaginatio“ als Bezeichnung für den Akt des Vorstellens von der desweiteren möglichen Verwendung als Bezeichnung für die Vorstellungskraft (phantasia) ab. Mit „imaginatio“ ist also immer die Vorstellung selbst gemeint, während Gassendi die Vorstellungskraft mit phantasia oder auch imaginatrix (in der Disquisitio Metaphysica, vgl. z. B. Z. 963) bezeichnet. Mit „phantasia“ wird nun, wie Gassendi erwähnt, in der Scholastik klassischerweise das niedere Erkenntnisvermögen der Seele bezeichnet, das einzelne sinnliche Vorstellungen von Gegenständen produziert. Der Intellekt als das höhere Vermögen ist zuständig für abstrakte und allgemeine Vorstellungen. Gassendi trennt allerdings den Verstand nicht von der Vorstellungskraft (Z. 955 ff.) und kann daher nicht in diesem Sinn zwischen einem „niederen“ und einem „höheren“ Erkenntnisvermögen der Seele unterscheiden. Dementsprechend sind die hier erwähnten Bilder (später Ideen genannt) keine Sinneserscheinungen, sondern Produkt von Begriffsbildung und können auch allgemeine Vorstellungen sein. Gassendis Verständnis von phantasia als Vorstellungskraft muss also weiter gefasst sein als das übliche Verständnis von phantasia, um diese Funktionen vollziehen zu können. K2: Die Vorstellungen die Gassendi hier beschreibt, sind also insofern einfach, als sie keine propositionale Einstellung beinhalten. Seine Annahme, dass solche einfachen Vorstellungen mehr oder weniger „vollständige Beschreibung[en]“ von Gegenständen beinhalten, zeigt aber, dass Ideen keineswegs inhaltlich einfach sein müssen. Im Gegenteil wird eine Idee umso vollkommener, je mehr Eigenschaften des Gegenstands sie beinhaltet (Kanon VII, Z. 225 f.), je inhaltlich komplexer sie also ist. Komplexe Ideen bleiben also einfache Vorstellungen in Gassendis Sinn, solange sie kein Urteil über den Gegenstand, sondern nur eine Beschreibung des Gegenstands beinhalten. Mit der Bezeichnung „einfache Vorstellung“ ist auch nicht gemeint, dass Ideen sich immer nur auf einen Gegenstand beziehen. Es gibt durchaus allgemeine Ideen, die sich auf mehrere Gegenstände beziehen (siehe Kanon IV und V, Z. 130 ff.); diese bleiben dennoch einfache Vorstellungen.
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K3: Hier bezieht sich Gassendi auf die in verschiedenen Theorien verwendeten Begriffe für eine Vorstellung im allgemeinen Sinn. Zum Ideenbegriff siehe die Einleitung zum ersten Band, S. 9 ff. Der Begriff der species ist ein Terminus aus der scholastischen Tradition (siehe unten, K13). Der Begriff der anticipatio ist Ciceros lateinische Übersetzung des griechischen Begriffs der prólepsis, einer begrifflichen Vorstellung, die aus Wahrnehmungen gebildet wird (siehe systematischen Kommentar (2.3), S. 63). „Phántasma“ wiederum ist auch ein scholastischer Begriff für die sinnliche Vorstellung eines Gegenstands in der phantasía, aus welcher der Intellekt eine abstrakte Vorstellung gewinnen kann (vgl. Kretzmann 1993, 140 f.). K4: An diesem Absatz zeigt sich, dass Ideen für Gassendi nicht als Wahrnehmungen aufzufassen sind. Zwar scheint er in der Physica Ideen mit species, also Wahrnehmungen gleichzusetzen, da er das gleiche Vokabular und die gleichen Beschreibungen für species wie für Ideen benutzt (so unterscheidet zum Beispiel Spruit 1995, 413 und 418 nicht zwischen species und Idee). Hier scheint allerdings eindeutig, dass eine Idee nicht ein einzelner Sinneseindruck ist, wenn sie auch durch einen solchen entstehen mag. Denn Gassendi äußert hier die Ansicht, dass eine Idee durch mehrere Wahrnehmungen perfektioniert wird: je öfter ich einen Gegenstand wahrgenommen habe, desto besser ist meine Idee dieses Gegenstands. Dadurch ist ausgeschlossen, dass die Idee selbst nur die Idee einer Wahrnehmung ist; sie muss eine von dem einzelnen Eindruck, der auftritt und wieder vergeht, unabhängige Vorstellung sein. Diese Auffassung scheint auch überzeugend, da wir zunächst Ideen von einzelnen Gegenständen bilden. Diese Ideen können nun Eigenschaften beinhalten, die durch unterschiedliche Sinne aufgenommen wurden. Die Idee eines Menschen, die Gassendi anspricht, beinhaltet zum Beispiel nicht nur seine Größe, sondern auch den Klang seiner Stimme. Wäre nun eine Idee bloß ein Sinneseindruck, wäre dies nicht möglich; sie könnte immer nur Eigenschaften beinhalten, die durch den Sinn aufgenommen werden, durch den der Eindruck entstanden ist. Die Idee kann nun aber mehr oder weniger klar und deutlich sein. Diese Begriffe werden von Gassendi hier nicht explizit unterschieden, es werden allerdings die Klarheit und Deutlichkeit einer Idee an zwei Kriterien festgemacht, zum einen an der Intensität des Eindrucks, aus dem die Idee entstanden ist, zum anderen an der Erfahrungsbasis, auf der die Idee beruht, das heißt, wie oft wir einen Gegenstand wahrgenommen haben. Die Intensität bestimmt Klarheit und Deutlichkeit, da das Maß an Lebhaftigkeit, mit der wir uns einen Gegenstand vorstellen können,
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davon abhängt, wie eindrücklich die Wahrnehmung des Gegenstands war. Hiermit ist zunächst nichts über den Grad an Deutlichkeit des Inhalts der Idee gesagt: Ein sehr bewusster Eindruck muss inhaltlich nicht deutlich sein und kann somit auch eine inhaltlich undeutliche Idee zur Folge haben. Dieser Aspekt kann jedoch durch das zweite Kriterium, die Erfahrungsbasis, eingefangen werden. Je öfter wir einen Gegenstand wahrgenommen haben, desto klarer und deutlicher wird dessen Idee, und zwar nicht nur, da sie eine lebhaftere Vorstellung ist, sondern auch, weil sie dann mehr Eigenschaften des Gegenstands enthält, die klarer auseinandergehalten werden, als wenn wir einen Gegenstand nur einmal wahrgenommen haben. Allerdings verwendet Gassendi für die Eigenschaft der Ideen, möglichst viele Attribute des Gegenstands zu beinhalten, den Begriff der „Vollkommenheit“ (Z.225) (Lolordo 2006, 88, nimmt dies zum Anlass, Klarheit und Deutlichkeit mit Vollkommenheit gleichzusetzen); es ist also unklar, ob sich die Deutlichkeit von Ideen nur auf den Intensitätsgrad der Vorstellung bezieht, oder auch auf ihre inhaltliche Differenziertheit. K5: Aggregation (aggregando) und Abstraktion (abstrahendo) sind also unterschiedliche Prozesse zur Bildung von Ideen des gleichen Objekts, zum Beispiel der Idee des Menschen. Es fällt auf, dass die Ergebnisse dieser beiden Prozesse zur Bildung von allgemeinen Ideen, also einerseits eine Gruppe von Ideen, andererseits eine Gruppe von Eigenschaften, unserem heutigen Verständnis der Extension und Intension eines Begriffs entsprechen. Die Extension eines Begriffs sind alle Gegenstände, die unter den Begriff fallen. Bilde ich also durch Aggregation die Gruppe der Ideen aller Menschen, erhalte ich die Extension des Begriffs Mensch. Die Intension dagegen ist eine Liste von Eigenschaften, die ein Gegenstand haben muss, der unter einen bestimmten Begriff fällt. Eben eine solche Liste ist aber das Ergebnis, wenn nach Gassendi die für eine allgemeine Idee wesentlichen Eigenschaften festgelegt werden. Man könnte also von einem modernen Standpunkt aus Gassendis Theorie von allgemeinen Ideen als Begriffsheorie interpretieren, so dass die beiden Prozesse nicht zwei unterschiedliche allgemeine Ideen hervorbringen, sondern zwei voneinander abhängige Aspekte eines Begriffs. K6: Die Behauptung, dass wir nicht nur Ideen von Gegenständen, sondern auch allgemeine Ideen der Eigenschaften dieser Gegenstände haben, scheint zunächst intuitiv und unproblematisch. Es stellen sich jedoch zwei Fragen in Bezug auf diese Aussage. Erstens muss Gassendi die Entstehung dieser Ideen erklären. Die Aussage fällt im Zusammenhang mit der Vollkommenheit von Ideen;
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da Ideen von Attributen jedoch allgemeine Ideen sein sollen, die mehreren Gegenständen zukommen, entstehen sie wohl durch die beiden Prozesse, durch die auch andere allgemeine Idee entstehen, nämlich durch Aggregation und Abstraktion. Die Idee der Weiße entsteht also genauso wie die Idee des Tiers einerseits dadurch, dass ich alle Gegenstände, denen diese Eigenschaft zukommt, zusammenfasse, andererseits dadurch, dass ich eine Definition dessen angebe, was es bedeutet, diese Eigenschaft zu haben. Zweitens muss Gassendi erklären, wie diese Ideen mit den Ideen der Gegenstände, denen die Eigenschaften zukommen, zusammenhängen. Hier scheint sich nun ein Zirkel zu ergeben: Gassendis Bild scheint zu sein, dass wir zuerst Ideen von Einzeldingen bilden – dies sind zumindest die Ideen, deren Entstehung er als erstes beschreibt. Aus diesen Ideen werden alle anderen Ideen gebildet, unter anderem eben auch Ideen von Attributen. Die Ideen von Einzeldingen enthalten Gassendi zufolge (Z. 294 ff.) Definitionen dessen, was es bedeutet, dieser Gegenstand zu sein. Nun werden in diesen Definitionen aber gerade die Eigenschaften benannt, die für den Gegenstand wesentlich sind (siehe K8) – wie kann also die Idee einer Eigenschaft aus der Idee des Gegenstands gebildet werden, wenn die Idee des Gegenstands die der Eigenschaft schon beinhalten soll? Zunächst könnte man einwenden, dass nicht die Idee der Eigenschaft, sondern nur der Sinneseindruck in der Idee enthalten ist und somit Teil der Definition sein kann. Diese Strategie funktioniert jedoch nur in Bezug auf sinnliche Eigenschaften wie Farben, nicht aber in Bezug auf Gassendis anderes Beispiel der Gerechtigkeit. Es gibt keinen Sinneseindruck der Gerechtigkeit. Es soll also zum Einen die Idee der Gerechtigkeit aus der Idee eines Gerechten gewonnen werden, zum anderen soll sie schon in der Idee des Gerechten enthalten sein. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, ist, ein holistisches Bild des Ideenerwerbs zu entwerfen (vgl. Lolordo 2006, 90). Nach einer solchen Interpretation nehmen wir von Anfang an Gegenstände wahr und bilden Ideen dieser Gegenstände. Allerdings haben wir noch keine Ideen von Eigenschaften, die diesen Gegenständen zukommen, und so können diese auch nicht in der Definition auftauchen, die wir aus der Idee gewinnen. Diese Idee ist dann eine sehr unvollkommene Idee, da die Definition, die wir aus ihr gewinnen können, noch keine Eigenschaften enthält. Die Ideen der Eigenschaften gewinnen wir durch die Sinneserfahrung, das heißt dadurch, dass wir mehrere Gegenstände mit einer bestimmten Eigenschaft wahrnehmen. Dass diese Gegenstände sich in
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gewisser Hinsicht ähneln, können wir auch ohne die Idee dieser Eigenschaft feststellen. Durch Aggregation und Abstraktion mithilfe der Ideen der Einzeldinge, die diese Eigenschaft haben, erhalten wir dann Ideen der Eigenschaften. Diese Ideen wiederum spielen eine Rolle bei unserer Klassifizierung von Einzeldingen. Dieses Bild ist holistisch, da sich mit einer Idee auch immer andere Ideen entwickeln – es ist also nicht möglich, eine Idee zu bilden oder zu verändern, ohne damit das ganze System von Ideen zu verändern. Diese Vorstellung passt gut zu Gassendis Ausführungen im Kanon XVII (Z. 330 ff.). Wenn wir mit der Idee eines Gegenstands seine Beziehung zu anderen Gegenständen begreifen, so ist dies nur durch Ideen dieser anderen Gegenstände möglich. Dadurch, dass die Gegenstände, auf die sich Ideen beziehen, zueinander in vielfältigen Beziehungen stehen – zum Beispiel Gattung und Art, Gegenstand und Eigenschaft – und alle Teil eines Systems sind, hängt auch der Inhalt einer Idee von dem aller anderen Ideen ab. K7: Für eine Diskussion dieses Absatzes siehe den systematischen Essay (2.3), S. 64, 71. K8: Wenn Gassendi die Definition als „die Rede, durch die wir die Natur des Gegenstands“ darstellen, bezeichnet, so vertritt er ein Verständnis von Definition, das unserem heutigen entspricht. Die Definition nennt die wesentlichen Eigenschaften eines Gegenstands. Hier ist jedoch anzumerken, dass Gassendi zwar behauptet, wir könnten die Essenz eines Gegenstands aufgrund der Idee erklären; aus seiner Theorie über die Entstehung von Ideen folgt aber, dass wir nie eine Idee einer solchen Essenz bilden können, da eine Essenz nicht wahrnehmbar ist. Die Definition, die wir aus der Idee gewinnen, kann also immer nur darauf beruhen, wie wir den Gegenstand wahrgenommen haben, und muss somit eine Nominaldefinition sein. Das heißt, sie gibt den Gegenstand so wieder, wie er uns erscheint, aber nicht notwendigerweise auch so, wie er tatsächlich ist. Die Realdefinition, die die tatsächliche Essenz des Gegenstands wiedergibt, ist für uns aufgrund der Entstehungsweise der Ideen nicht erreichbar: Hätte Gott uns Wissen über die Essenzen von Gegenständen in Form angeborener Ideen ermöglicht, so könnten wir Realdefinitionen formulieren. Da aber alle Ideen aus den Sinnen stammen, entsprechen alle Definitionen, die wir aus diesen Ideen gewinnen, notwendigerweise unserem Blickwinkel und unserer Wahrnehmungssituation. Daraus erklärt sich auch, warum die Definition, die wir aus der Idee gewinnen, sich mit der Idee verändert und mehr oder weniger zutreffend
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sein kann. Die Realdefinition verändert sich nicht mit unserer Idee des Gegenstands, sondern nur mit dem Gegenstand selbst – sie gibt die Natur des Gegenstands wieder, die unabhängig davon ist, welche Vorstellung wir von dem Gegenstand haben. Die Nominaldefinition dagegen bezieht sich gerade auf unsere Vorstellung des Gegenstands und ist damit veränderbar. Im Licht dieser Ausführung ist Gassendis Aussage (Z. 37 ff.), dass einfache Vorstellungen, also Ideen, eine vollständige Beschreibung des Gegenstands beinhalten können, etwas missverständlich. Denn Ideen können eben nicht eine vollständige Beschreibung des Gegenstands im Sinn einer Realdefinition enthalten. Sie können aber eine mehr oder weniger vollständige Beschreibung des Gegenstands beinhalten, die eine Prädikation ermöglich, wie es Gassendi verlangt (Z. 39 f.). Im ersten Einwand gegen die fünfte Meditation (Z. 1055 ff.) scheint Gassendi sogar Realdefinitionen überhaupt abzulehnen. Die Natur eines Gegenstands wird nur durch den uns zugänglichen Begriff festgelegt, nicht jedoch durch eine außer uns existierende Essenz. Die Realdefinition fällt in diesem Fall mit der Nominaldefinition zusammen. Inwiefern Ideen aufgrund ihrer Eigenschaft, Definitionen zu beinhalten, von Gassendi nicht als propositionale, aber als begriffliche Vorstellungen aufgefasst werden, siehe den systematischen Essay (2.3), S. 64 ff. K9: In diesem Absatz bezieht sich Gassendi zum einen auf die klassische Definitionstechnik („definitio fit per genus proximum et differentia specifica“), die auf Aristoteles und Porphyrius zurückgeführt werden kann. Nach dieser Auffassung besteht eine Definition darin, die Essenz einer Art anzugeben, indem man sowohl die Gattung, zu der diese Art gehört, als auch das innerhalb dieser Gattung für die Art auszeichnende Merkmal nennt. Im spezifischen Fall der Definition des Menschen verwendet er ein Beispiel aus Porphyrs „Isagoge“, einer Einführung in die aristotelische Logik. K10: In diesem Abschnitt erläutert Gassendi verschiedene Wahrheitsverständnisse. Nach seiner eigentlichen Auffassung besteht Wahrheit in der Übereinstimmung einer Aussage mit den Tatsachen in der Welt. Er vertritt also eine Korrespondenztheorie der Wahrheit. Diese kann streng genommen nur auf solche Vorstellungen angewendet werden, die auch etwas über die Welt behaupten, also eine propositionale Einstellung beinhalten. Es können aber auch andere Vorstellungen, die keine solche Behauptung miteinschließen, auf ihre Übereinstimmung mit der Welt hin überprüft werden: zum Beispiel Ideen, wie Gassendi in Kanon I des ersten Teil der Intitutio logica beschreibt (Z. 55 ff.). Prinzipiell können also
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alle Vorstellungen – Wahrnehmungen, Ideen und Urteile – auf ihre Übereinstimmung mit der Welt hin überprüft werden – auch wenn die Wahrheit der ersten beiden Arten von Vorstellungen in gewissem Sinn unerheblich ist, da das Erkenntnissubjekt mit diesen Vorstellungen gar keine Aussage über die Welt treffen möchte. Relevant ist, welche Rolle diese Eindrücke in einem Urteil spielen. Das zweite Verständnis von Wahrheit, Wahrheit als Existenz, übernimmt Gassendi von Epikur. Diesem wird die Aussage zugeschrieben, alle Wahrnehmungen seien wahr. Eine Möglichkeit, diese Aussage zu verstehen, ist Wahrheit als Existenz oder Wirklichkeit aufzufassen, so dass alle Wahrnehmungen in dem Sinn wahr sind, dass sie so auftreten, wie sie es tun. Dadurch wird keine Wahrheit im Sinn von Korrespondenz impliziert. Gassendi übernimmt diese Interpretation sowohl in seiner Epikur-Darstellung im Syntagma philosophicum als auch in den Einwänden gegen Descartes’ Meditationen. Er schreibt Epikur die Ansicht zu, dass alle Sinneswahrnehmungen wahr sind in dem Sinne, dass sie auftreten und unter den gegebenen Umständen so auftreten mussten (I.53a–b, Z. 1065 f.). Aber auch wenn sie im korrespondenztheoretischen Sinn weder wahr noch falsch sind, da sie keine Proposition beinhalten, gibt es natürlich Fälle, in denen uns die Sinne die Welt nicht so darstellen wie sie ist (vgl. zu Gassendis Wahrheitsverständnis z. B. Cho 2004, 127 ff.). 2.2.2 Auszüge aus Opera Omnia. Syntagma Philosophicum. Pars II: Physica (1658) K11: Während Gassendi in der Institutio logica die inhaltlichen Aspekte der Ideen diskutiert, könnte es nun scheinen, dass in der Physica die körperliche Komponente eben derselben Ideen zum Thema wird. Es ist jedoch wichtig zu bemerken, dass species, wie sie in der Physica beschrieben werden, nicht gleichzusetzen sind mit „Ideen“. Wie sich am ersten zitierten Abschnitt zeigt, geht es Gassendi mit species um Wahrnehmungen äußerer Gegenstände – wenn ein Gegenstand unseren Sinnen begegnet, gibt es gewisse körperliche Konsequenzen, nämlich Nervenbewegungen und einen Eindruck im Gehirn, und daraus resultierend eine Vorstellung. In K4 wurden Ideen aber von Wahrnehmungen abgegrenzt, da sich Ideen im Gegensatz zum Wahrnehmung inhaltlich verändern können. Nun behauptet Gassendi in Z. 403 ff. allerdings, dass es bei der Wahrnehmung nicht nur einen Eindruck gibt, sondern dass außerdem eine Spur im Gehirn zurückbleibt. Man könnte nun argumentieren, dass sich
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dieser Eindruck durch mehrere gleichartige Wahrnehmungen ebenso wie die Idee verändern kann, und somit mit der Idee identifiziert werden könnte. Es bleibt allerdings das Problem bestehen, dass sich der Sinneseindruck nach Gassendis Theorie immer nur auf die durch einen Sinn wahrnehmbaren Eigenschaften bezieht, die Idee aber Eigenschaften, die durch verschiedene Sinne wahrgenommen wurden, vereinen kann. Auf der körperlichen Ebene könnte man Gassendi also so interpretieren, dass Ideen als Verbindungen zwischen solchen Spuren im Gehirn angesehen werden. (Siehe dazu und zum inhaltlichen Verhältnis zwischen Idee und species den systematischen Essay (2.3), S. 80 ff.) Insofern also Ideen auf diese Weise auf species beruhen, sind Gassendis Aussagen in der Physica auch für die Ideentheorie relevant. K12: Diese Passage lässt sich als Hinweis darauf verstehen, warum Wahrnehmungen (und damit auch Ideen) sich auf den Gegenstand beziehen, auf den sie sich beziehen. Im ersten Teil dieses Abschnitts (Z. 414 ff.) wird zunächst folgendes Problem entwickelt: Wenn die Spur im Vorstellungsvermögen eine körperliche ist, wie können dann sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften durch diese Spur repräsentiert werden? Sicherlich nicht dadurch, dass die Spur selbst diese Eigenschaften aufweist – beispielsweise ist der Eindruck, der von einem roten Gegenstand in meinem Gehirn entsteht, sicherlich nicht selbst rot. Vielmehr kommt es auf den kausalen Prozess an, durch den der Eindruck entsteht. Die repräsentationale Beziehung zwischen Vorstellungen und Gegenstand kann also auf eine kausale Beziehung zurückgeführt werden. Der Eindruck, der für die Vorstellung verantwortlich ist (wenn er auch nicht selbst die Vorstellung ist, siehe Z.495 ff.), wird von dem Gegenstand auf ganz bestimmte Weise hervorgerufen, und hat damit eine bestimmte Form, das heißt Gestalt. Dies ist wörtlich zu verstehen, das heißt, der Abdruck im Gehirn, der durch die Nervenbewegung entsteht, ist tatsächlich auf bestimmte Art und Weise geformt. Diese Form ist natürlich unabhängig von der Form des Gegenstands, so dass die kausale Beziehung keine Abbildbeziehung zwischen dem körperlichen Eindruck und dem Gegenstand zur Folge hat. Es ist daher kein Problem, dass der Eindruck selbst keinen Geruch oder Geschmack hat. Die kausale Beziehung hat aber zur Folge, dass der Eindruck eindeutig einem Gegenstand zuzuordnen ist – sie ist ein „Zeichen“ dieses Gegenstands (Z. 472), keines anderen. So ist die Vorstellung, die auf diesem Eindruck beruht, eine Vorstellung von eben diesem Gegenstand, und eine wiederholte Aktivierung dieses Eindrucks wird auch wieder eine Vorstellung dieses Gegenstands auslösen.
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Nehmen wir einen Gegenstand mehrmals und nicht immer unter den gleichen Umständen wahr, so könnte Gassendi aufgrund dieser Theorie behaupten, dass die Eindrücke zwar nicht die gleiche Form haben, aber Variationen einer Form sind. Er kann dann weiterhin die Ansicht vertreten, dass es einen speziellen kausalen Prozess zwischen Gegenstand und Gehirn, und somit auch eine spezielle Form, gibt, mittels derer der Gegenstand so vorgestellt wird, wie er tatsächlich ist. Welcher Prozess dies ist und aus welchen Gründen, muss im Rahmen der atomistischen Theorie ausbuchstabiert werden. Um diese Theorie zu rechtfertigen benötigt Gassendi zunächst eine internalistische Rechtfertigung unserer Überzeugungen (vgl. K18). Auf der Grundlage der internalistischen Rechtfertigung unserer Überzeugungen, wäre durch die atomistische Theorie dann eine zusätzliche externalistische Erklärung dafür möglich, wann unsere Ideen die Gegenstände so darstellen, wie sie sind. K13: Mit der Rede von species übernimmt Gassendi scholastisches Vokabular. In der Scholastik ist der Begriff die Bezeichnung für eine aristotelische Form, die vom Gegenstand auf die phantasia übertragen wird und die auch im Gegenstand instantiiert ist. So ermöglicht uns die species eine Wahrnehmung des Gegenstands (vgl. Zum species-Begriff K26 des Stellenkommentars zu Arnauld in diesem Band, S. 223 f.). Auch Gassendi ist der Auffassung, dass etwas auf das Vorstellungsvermögen übertragen wird, und dass dadurch die species entsteht. Auch erklärt die species, dass wir den Gegenstand wahrnehmen; sie stimmt aber nicht mit dem Gegenstand überein, und sie ist keine aristotelische Form. Vielmehr werden species in Gassendis Theorie physikalistisch gedeutet, das heißt sie sind, zumindest als species impressa, nur insofern eine Form, als sie eine gewisse Gestalt haben. Diese Gestalt ist aber nicht die gleiche wie die des Gegenstands. Auch die Unterscheidung zwischen species impressa und species expressa ist eine in der Spätscholastik diskutierte (vgl. Spruit 1995, 410 ff.). Die species impressa bezieht sich dabei auf die Art, wie der Körper verändert wird, wenn ein Sinneseindruck auftritt. Die species expressa dagegen ist das, was sich das Vorstellungsvermögen aufgrund dieses Eindrucks vorstellt. K14: Auch in der Rede von objektivem Sein übernimmt Gassendi scholastisches Vokabular (siehe für eine Erklärung der Begriffe des formalen und objektiven Seins Stellenkommentar zu Arnauld, S. 226). Da er aber keine hylemorphistische Theorie vertritt, muss er objektives Sein anders verstehen als die Scholastiker – da er keine Formen zulässt, kann er unter dem objektiven Sein nicht die Form eines Gegenstandes verstehen, die im Geist erfasst wird (vgl. Einleitung zum ersten Band, S. 10 f.,
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S. 16 ff.) Auch die Existenz ewiger Essenzen weist er zurück, er kann sich also auch nicht, wie Descartes, darauf berufen, dass die gleiche Essenz im Gegenstand und im Geist instantiiert ist. Was also bedeutet objektives Sein für Gassendi? Es scheint, dass die Antwort in Gassendis direktem Realismus liegt, den er in den Zeilen 503–517 zum Ausdruck bringt. Es ist nicht der Fall, dass wir im Geist oder Gehirn eine Vorstellung haben, die wir gleich einem Bild anschauen und über die wir uns auf den Gegenstand beziehen. Auch benötigen wir keine Essenz oder Form, die in einer solchen Vorstellung ebenso wie im Gegenstand instantiiert ist und die uns damit den Bezug ermöglicht. Stattdessen betrachten wir bei der Wahrnehmung direkt den Gegenstand, der dadurch objektiv im Geist ist, dass wir uns auf ihn beziehen. Es besteht keine Ähnlichkeit zwischen Vorstellung und Gegenstand, die eine Repräsentationsbeziehung herstellt. Der Inhalt der species impressa ist daher „der Gegenstand selbst“, allerdings nicht, wie er an sich ist, sondern wie er uns erscheint (vgl. Michael 1989, 42). Die species impressa ist also nicht als „die Gelegenheit“ (Z. 496) dazu zu verstehen, eine Vorstellung zu bilden, nämlich die species expressa, die wir betrachten, die den Gegenstand objektiv enthält. Die species impressa ist vielmehr die Gelegenheit, den Gegenstand direkt wahrzunehmen; die Vorstellung ist also eher ein Ergebnis unserer Wahrnehmung als das Objekt unserer Wahrnehmung. Indem wir den Gegenstand wahrnehmen, haben wir eine Vorstellung, wir nehmen aber nicht den Gegenstand wahr, indem wir eine Vorstellung betrachten. Auch wenn wir uns direkt auf den Gegenstand beziehen, beziehen wir uns doch immer auf bestimmte Weise auf ihn. Je nachdem, wie die species verursacht wurde, beziehe ich mich auf den Gegenstand als Träger bestimmter Eigenschaften. Der externe Gegenstand ist das Objekt meiner Wahrnehmung, weil er die Ursache meiner Wahrnehmung ist. Nun nehmen wir aber manchmal Eigenschaften an Gegenständen wahr, die diese nicht tatsächlich haben. Erscheint mir eine blaue Hose bei Dunkelheit schwarz, so kann die Hose allein nicht die Ursache dieser Wahrnehmung sein, denn sie ist ja blau. Um nicht-veridische Wahrnehmung zu erklären, muss man Gassendi also zuschreiben, dass wir uns bei der Wahrnehmung nicht nur auf den Gegenstand beziehen, sondern auch auf die Ursachen, die dafür sorgen, dass wir die Eigenschaften des Gegenstands auf bestimmte Weise wahrnehmen. Zu den Objekten meiner Wahrnehmung im Fall der blauen Hose zählt also nicht nur die Hose, sondern auch die Lichtverhältnisse, die diese schwarz oder blau aussehen lassen.
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K15: Die Begriffe, durch die Gassendi hier die Entstehung von Urteilen beschreibt, nämlich Zusammensetzung (compositio) und Trennung (divisio), sind scholastische Begriffe. Thomas von Aquin benennt compositio und divisio als Funktionen des menschlichen Verstandes (Summa theologiae, I. q. 85. art. 5, corp.). Diese sind die sogenannte zweite Tätigkeit des Intellekts. Auch bei Thomas bezeichnen die Termini Prozesse des Bildens von Urteilen. Durch Zusammensetzung werden affirmative Urteile gebildet – es wird festgestellt, dass zwei oder mehr Gegenstände in Bezug auf eine Eigenschaft übereinstimmen; durch Trennung werden ablehnende Urteile gebildet, da zwei oder mehr Gegenstände eine bestimmte Eigenschaft nicht gemeinsam haben (vgl. Pasnau 2002, 273). Zusammensetzung und Trennung werden von Thomas allerdings auch als Methoden zur Abstraktion erwähnt (Summa theologiae, q. 85., art. 1, ad 1), indem sie uns befähigen festzustellen, dass etwas in etwas anderem existiert oder auch nicht. 2.2.3 Auszüge aus Disquisitio metaphysica seu Dubitationes et instantiae adversus Renati Cartesii Metaphysicam et Responsa (1644) K16: In diesem Punkt, wie auch in anderen, zeigt sich eine starke Übereinstimmung mit Locke. Gassendi und Locke stimmen überein, dass der Geist bei der Geburt eine Tabula rasa ist (Institutio logica, Kanon II; Locke, Essay II, i, § 2; Bd. 1, S. 265), dass es also keine angeborenen Ideen gibt. Gassendi argumentiert in der Disquisitio metaphysica ausführlich, dass alle Ideen aus den Sinnen stammen; das ganze erste Buch von Lockes Essay ist der Widerlegung von angeborenen Ideen gewidmet. Auch argumentieren beide übereinstimmend, dass wir keine Ideen von Substanzen selbst bilden können (vgl. Gassendis vierten Einwand gegen Descartes’ dritte Meditation in der Textauswahl und Locke, Essay, II, xxiii, § 1 ff.; Bd. 1, S. 282). Diese Übereinstimmungen führten in der Literatur zu einer Diskussion inwieweit Locke in seine Ideentheorie von Gassendi beeinflusst war (Siehe unter anderem Michaels 1990 und Kroll 1984). K17: Gassendi setzt für diese Argumentation voraus, dass Descartes ebenso wie er eine Korrespondenztheorie der Wahrheit vertritt. Und tatsächlich definiert Descartes in einem Brief an Mersenne vom 16. 10. 1639 Wahrheit als „Übereinstimmung des Gedankens mit dem Gegenstand“ (AT II, 397). Zwar stellen wir die Wahrheit einer Idee Descartes zufolge nicht fest, indem wir sie auf diese Übereinstimmung hin über-
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prüfen; stattdessen führt er ein internes Kriterium für die Wahrheit einer Idee ein, nämlich ihre Klarheit und Deutlichkeit (vgl. Textauswahl zu Descartes, Dritte Meditation, Abschnitt [2.], AT VII 35; Bd. 1, S. 63; Principia Philosophiae, AT VIII-1 21 f.; Bd. 1, S. 81 f.). Relevant ist hier jedoch nicht das Kriterium zur Überprüfung der Wahrheit einer Idee, sondern die Wahrheitsdefinition, denn Descartes behauptet ja, dass diese Definition, also eine Idee dessen, worin Wahrheit besteht, angeboren ist. In seiner Wahrheitsdefinition stimmt Descartes nun mit Gassendi überein – die Wahrheit einer Idee besteht in der Korrespondenz von Idee und Gegenstand. Kann man nun aufgrund von Gassendis vorheriger Argumentation (Z. 584–605) die Idee des Gegenstands als angeboren zurückweisen, so kann auch die Idee der Wahrheit nicht angeboren sein. K18: In diesem Abschnitt wendet sich Gassendi gegen den von Descartes als Argumentationsstrategie angewendeten absoluten Zweifel. Gassendi ist der Meinung, dass dies eine rein theoretische Überlegung sei, von deren Wahrheit auch Descartes nicht wirklich überzeugt sein könne. Wir, Descartes eingeschlossen, haben gar nicht die Möglichkeit – und es gibt somit auch keinen Grund dafür –, all unsere Überzeugungen zu bezweifeln, da wir nicht anders können als auf die Welt auf bestimmte Weise zu reagieren. Gassendi vertritt hier also eine anti-skeptische Strategie, die als pragmatische bezeichnet werden kann: unsere Überzeugungen sind zumindest zu einem Teil gerechtfertigt, da unser Verhalten von ihnen bestimmt wird und dieses Verhalten erfolgreich ist. Wir sind darin gerechtfertigt, diese Überzeugungen zu haben, da sie funktionieren. Diese Rechtfertigung impliziert nicht notwendigerweise, dass diese Überzeugungen auch wahr sind, das heißt, dass die Vorstellungen, auf denen sie beruhen, unserer obigen Analyse zufolge (vgl. K12) durch einen bestimmten kausalen Prozess zustande gekommen sind, der eine korrekte Darstellung der Welt zu Folge hat. Eine Überzeugung könnte auch funktionieren, wenn sie die Welt nicht vollkommen korrekt abbildet. Dennoch lässt Gassendis Auffassung keinen Platz für einen absoluten Zweifel, denn wir sind seiner Meinung nach gar nicht in der Lage, alle unsere Überzeugungen in Frage zu stellen. Es besteht zwar die Möglichkeit, dass alle unsere Überzeugungen falsch sind, wir können aber nicht selbst glauben, dass sie alle falsch sind. Da unsere Überzeugungen über die Welt im Großen und Ganzen funktionieren und unser Überleben sichern, gibt es allerdings auch keinen Grund alle Überzeugungen für falsch halten zu wollen. Generell sind unsere Überzeugungen also gerechtfertigt. Gewissheit darüber, welche Überzeugungen die Welt korrekt
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repräsentieren und somit wahr sind, wie sie Descartes verlangt, können wir laut Gassendi aber nicht gewinnen. K19: Zunächst behauptet Gassendi in diesem Abschnitt, Descartes stimme mit ihm überein, dass Ideen als Bilder aufzufassen seien. Und Descartes verwendet tatsächlich den Ausdruck, Ideen seien „gleichsam Bilder“ (AT VII, 37; Bd. 1, S. 63), doch dies ist keineswegs eine Identifikation. Im Gegensatz zu Gassendi, der Ideen immer eine sinnliche Komponente zuspricht (siehe systematischen Kommentar (2.3) S. 68 ff.), bedeutet dies für Descartes vor allem, dass Ideen wie Bilder Repräsentationen sind. Wie ein Bild bezieht sich eine Idee auf etwas anderes und stellt dieses andere dar. Dies geschieht aber keineswegs immer über sinnlichen Gehalt, vielmehr lässt Descartes gerade abstrakte Ideen wie die Gottes zu. Diese Idee bezieht sich auf Gott und ist insofern wie ein Bild Gottes, sie ist aber kein tatsächliches Abbild Gottes. Gerade weil Gassendi Ideen als wesentlich sinnlich auffasst, kann er solche Vorstellungen als Ideen nicht zulassen. Da wir keine sinnlichen Eindrücke Gottes haben können, ist auch keine Idee Gottes möglich. Der Begründungszusammenhang scheint hier also umgedreht: Descartes geht davon aus, dass wir abstrakte Ideen haben, daher können Ideen zwar wie Bilder sein, sind aber nicht tatsächlich Bilder. Gassendi geht davon aus, dass Ideen Bilder, das heißt sinnlich, sind, daher können wir keine abstrakten Ideen haben. Auch die Wertschätzung der Ideen kehrt sich dadurch um. Descartes sieht solche Ideen als die besten an, die keinen sinnlichen Gehalt haben; denn wir erkennen – wie es da heißt – nur das klar und deutlich, was wir unabhängig von den Sinnen erfassen, da die Sinne immer bezweifelt werden können (Vgl. AT VII, 32). Für Gassendi sind die Sinne der einzige Zugang zur Welt, die wir auch dann nicht außer Acht lassen können, wenn wir sie bezweifeln können. Ideen, die immer durch Sinneserfahrung gewonnen werden, werden dadurch zum Paradigma der Grundlage von Wissen. Sie sind die klarsten Vorstellungen, da sie als einzige durch direkten Kontakt mit der Welt zustande kommen. Durch abstrakte Vorstellungen, die Gassendi dennoch zulässt, erfassen wir einen Gegenstand nicht wie durch eine Idee klar und deutlich, sondern nur „konfus und per Analogie“ (Z. 819 f.). K20: Für eine Erläuterung der Begriffe objectiv und formal vgl. Einleitung zum ersten Band, S. 13 ff., und den systematischen Essay (1.3) zu Descartes, S. 24 ff. K21: Die Behauptung, dass wir keine adäquate Idee Gottes haben können, beruht einerseits auf Gassendis ideentheoretischen Annahmen
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und erklärt andererseits, warum Gott für Gassendi im Erkenntnisprozess keine Rolle spielt. Wäre Gassendi zunächst der Überzeugung, dass er eine angeborene Idee Gottes hat, so könnte es sein, dass aus dieser Idee folgt, dass Gott in den Erkenntnisprozess eingreift. Wenn wir aber nichts über Gott wissen können, ist es auch nicht möglich, ihn als Erklärung für bestimmte Phänomene heranzuziehen, da wir keine Rechtfertigung dafür haben, dass Gott sich in bestimmter Art und Weise verhält. Gassendi versucht daher, anders als viele andere Ideentheoretiker, eine Erkenntnistheorie zu entwickeln, in der Gott keine Rolle spielt. Gott fällt demnach aus dem in der allgemeinen Einleitung zu Band I (S. 22) beschriebenen Erkenntnisverhältnis heraus, so dass in epistemologischer Hinsicht nur noch eine Beziehung zwischen Subjekt und Gegenstand besteht. Natürlich kommt Gott als Schöpfer aller Dinge in metaphysischer Hinsicht eine wichtige Rolle zu. K22: Gassendi argumentiert hier, dass es ein Vermögen, und zwar ein körperliches Vermögen, ist, das vorstellt, versteht und schlussfolgert, nämlich die Vorstellungskraft (imaginatrix). Zunächst behauptet er, dass Ideen Bilder sind, da sie wie Bilder Repräsentationen sind. In diesem Sinn müssten auch Ideen im Verstand Bilder sein, da auch sie repräsentieren – vorstellen und verstehen wären damit der gleiche Akt; Vorstellungskraft und Verstand wären nicht voneinander zu trennen. Wie der letzte Absatz zeigt, beinhaltet Gassendis Verständnis von Ideen als Bildern allerdings mehr als bloße Repräsentation. Eine Repräsentation scheint in Bezug darauf, wie abstrakt sie sein kann, nicht begrenzt zu sein. Da Gassendi Ideen immer für körperliche Repräsentationen hält, ist er auch der Auffassung, dass wir nur zu einem gewissen Grad von den körperlichen Eigenschaften der Gegenstände abstrahieren können (Z. 997 ff.). Repräsentation in diesem Sinn ist also zwar nicht notwendigerweise Repräsentation durch ein Abbild des Gegenstands, aber immer Repräsentation durch sinnliche Eigenschaften, die durch einen kausalen Prozess zwischen Gegenstand und wahrnehmendem Subjekt zustande kommt. Diese Einschränkung würde Descartes sicherlich ablehnen, da er durchaus nicht-sinnliche Ideen, wie zum Beispiel die Idee Gottes, zulässt – für Gassendi stellt sie jedoch einen wesentlichen Teil seiner Ideentheorie dar (siehe zu dieser Frage den systematischen Essay (2.3), S. 68 ff.).
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2.3 Essay: Was ist eine Idee? In diesem systematischen Essay soll sowohl der Frage nachgegangen werden, welchen Inhalt Ideen für Gassendi haben, als auch untersucht werden, wie Ideen mit anderen Teilen von Gassendis Theorie in Beziehung stehen. Für ein besseres Verständnis von Gassendis Ideentheorie werden wir uns zunächst, in 2.3.1, mit Epikur beschäftigen. In 2.3.2 soll geklärt werden, was für eine Art Vorstellung Ideen Gassendi zufolge sind und welchen Inhalt sie demzufolge haben. Ausgangspunkt der Überlegungen hierzu ist Gassendis Aussage, Ideen seien Bilder. Die Frage ist nun, wie diese Behauptung verstanden werden kann, ohne dass Gassendi unterstellt werden muss, dass er Ideen grundsätzlich als piktorial auffasst. Es wird also eine Interpretation gesucht, nach der die Rede von Bildern sinnvoll ist, Ideen aber nicht als grundsätzlich piktorial aufzufassen sind. 2.3.3 schließlich beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Ideen und species und behandelt vor allem zwei Fragen: Wie beruhen Ideen auf species? Und wie lassen sich die im zweiten Teil herausgearbeiteten Eigenschaften von Ideen durch species erklären? 2.3.1 Historisches Zunächst werden zur Einführung kurz die wichtigsten Thesen der Theorie Epikurs dargestellt, wie sie sich aus erhaltenen Texten und Überlieferungen anderer antiker Autoren rekonstruieren lassen.5 Epikur unterscheidet in der Epistemologie ebenso wie Gassendi zwischen drei verschiedenen Arten von Vorstellungen, das heißt kognitiven Akten: Wahrnehmung, Prolepsis (Vorbegriff oder Begriff) und Urteil. Wahrnehmungen und Prolepsen sind die Grundlagen für Urteile, sie rechtfertigen sie, während Prolepsen selbst aus Wahrnehmungen gebildet werden. Die Wahrnehmung ist laut Epikur immer wahr. Wir haben allerdings offenbar einander widersprechende Wahrnehmungen, die wir nicht beide für wahr halten: Zu behaupten, dass ein Stück Stoff im Dunklen tatsächlich schwarz ist, bei Licht aber Dunkelbraun, würde unseren basalen Überzeugungen über Gegenstände widersprechen. Damit man
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Vgl. für eine Darstellung der epikureischen Erkenntnistheorie Jürß 1991.
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Epikur nicht zuschreiben muss, er vertrete eine solche kontraintuitive Position, stehen zwei Möglichkeiten offen: Zum einen kann „Wahrheit“ im Sinne von wirklicher Existenz verstanden werden. Jede auftretende Wahrnehmung wäre dann dadurch wahr, dass sie tatsächlich aufgetreten ist. Zum anderen könnte man mit Rückgriff auf Epikurs Atomismus folgende Interpretation dieser These vorschlagen: Jede Wahrnehmung wird in uns durch einen von einem Gegenstand abgesonderten Strom von Atombündeln ausgelöst, und wir sind in der Aufnahme dieser Atome und der Information, die sie tragen, völlig passiv. Insofern kann jede Wahrnehmung als wahr angesehen werden, da sie in jedem Fall die von dem Atombündel übertragene Information über den Gegenstand korrekt wiedergibt – unabhängig davon ob diese auch mit dem Gegenstand selbst übereinstimmt. Das griechische Wort „Prolepsis“ lässt sich als „Begriff“ oder „Vorbegriff“ übersetzen. Prolepsen sind also im Gegensatz zu Wahrnehmungen allgemeine Vorstellungen der Gegenstände; sie werden von Diogenes Laertius (als Quelle von Epikurs Erkenntnistheorie) folgendermaßen beschrieben: […] alle Begriffe entstehen aus den Wahrnehmungen, und zwar durch Erfahrungspraxis, Analogie, Ähnlichkeit und Kombination, wobei eben Denken hinzukommt. […] Als Prolepse bezeichnen sie so etwas wie Erfassung oder wahre Meinung oder Begriff oder einen [in uns] abgespeicherten, allgemeinen Gedanken, d. h. ein Erinnerungsbild dessen, was sich häufig von außen her zeigt. Z. B. der Satz ‚Solches ist ein Mensch‘; zugleich mit dem Wort Mensch wird durch die Prolepse sofort auch sein Typus gedacht, sofern entsprechende Wahrnehmungen vorausgegangen sind. Das jedem Wort erstrangig zugeordnete ist evident. Auch könnten wir ein Problem ohne vorige Kenntnis des Problems gar nicht untersuchen; z. B. um zu entscheiden, ob das da in der Ferne ein Pferd oder eine Kuh ist, muss man zuvor die Gestalt eines Pferdes oder einer Kuh durch die Prolepse kennen. Wir können nicht einmal etwas benennen, dessen Typus wir nicht vorher durch die Prolepse erfasst haben. (D.L. X32 f.)
Prolepsen sind also Begriffe oder begriffliche Vorstellungen, durch die wir etwas als etwas erkennen. Da ich einen allgemeine Vorstellung dessen habe, was ein Pferd ist – und nur deshalb –, kann ich ein Tier als Pferd erkennen. Wahrnehmungen und Prolepsen sind nun unsere Grundlage für Urteile. Der Prozess von einer Wahrnehmung hin zu einem empirischen Urteil wird laut Epikur folgendermaßen ablaufen: Ich habe eine Wahrnehmung eines Gegenstands. Wenn ich auch einen Begriff x gebildet habe, der dieser Wahrnehmung entspricht, werde ich das Urteil fällen: „Dieser Gegenstand ist x.“ Ob dieses Urteil wahr ist, wird zum einen
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dadurch bestimmt, ob mein Begriff von x korrekt ist; habe ich zum Beispiel noch nie einen Hund gesehen, allerdings nach einer ungenauen Beschreibung in meinen Begriff „Hund“ aufgenommen, dass Hunde sechs Beine haben, werde ich nur zufällig ein wahres Urteil der Form „Der Gegenstand ist ein Hund“ fällen. Außerdem ist die Wahrheit des Urteils davon abhängig, welchen Inhalt meine Wahrnehmung hat und ob sie den Gegenstand korrekt repräsentiert. 2.3.2 Ideen als Bilder Aus Gassendis Diskussion der Ideen wird erst bei genauerem Hinsehen klar, welchen epikureischen Vorstellung seine Ideen entsprechen. Die erste klare Charakterisierung einer Idee gibt Gassendi in der Institutio logica in der er eine Idee als „Bild“ (I.92) bezeichnet, das sich im Geist bildet. Die Auffassung, dass Gassendi Ideen tatsächlich als geistige Bilder betrachtet hat, scheint dadurch untermauert zu werden, dass er im Kanon VIII der Institutio logica (I.95b) allgemeine Ideen einführen möchte, ein Bild aber nicht im eigentlichen Sinn allgemein sein kann. Daraus, dass Gassendi dies als Problem auffasst, scheint sich zu ergeben, dass Ideen in jedem Fall piktorial sind – denn nur wenn alle Ideen tatsächlich Bilder sind, müssen wir erklären, inwiefern Bilder allgemein sein können. Wollte man Gassendi eine solche Position zuschreiben, so wäre zumindest die Repräsentationsbeziehung zwischen Idee und Gegenstand eindeutig geklärt: Die Idee repräsentiert den Gegenstand, da sie ein Abbild von ihm ist. Allerdings scheint sich aus anderen seiner Aussagen schließen zu lassen, dass Gassendi letztlich nicht der Auffassung war, dass alle Ideen Bilder sind. Denn wären all unsere Ideen visuelle Vorstellungen, hätte ein Blinder gar keine Ideen (I.92b). Gassendi scheint aber nicht sagen zu wollen, dass ein Blinder keine Ideen hat, sondern nur, dass er keine visuellen Ideen hat. Nicht nur liegen also die Nachteile einer solchen Position auf der Hand, denn offensichtlich sind nicht alle unsere Vorstellungen notwendigerweise piktorial. Sondern Gassendi scheint eine solche Auffassung auch nicht vertreten zu haben. Weder kann eine Interpretation von Ideen als Bildern also systematisch überzeugen, noch scheint sie mit Gassendis Aussagen zusammenzupassen. Nichtsdestotrotz bezeichnet Gassendi Ideen als Bilder. Damit diese Aussage ernst genommen werden kann, sich aber dennoch ein systematisch überzeugendes Konzept ergibt, ist es also erstre-
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benswert zu zeigen, dass die Aussage, Ideen seien Bilder im Geist, nicht wörtlich zu verstehen ist. Um dies zu erreichen, muss nicht gezeigt werden, dass Ideen nie piktorial sind, vielmehr ist das Ziel dieser Interpretation zu zeigen, dass Ideen laut Gassendi keineswegs kleine Gemälde im Geist sind. Damit dies gelingen kann, muss erklärt werden, inwiefern Ideen dennoch als Bilder aufgefasst werden können, selbst wenn sie nicht im wörtlichen Sinne Bilder sind. Zunächst soll also eine Interpretation von Ideen dargestellt werden, nach der Ideen nicht immer piktorial sind. Es wird sich dann zeigen, inwiefern Ideen unter dieser Interpretation dennoch als Bilder bezeichnet werden können. Was also sind Ideen für Gassendi, wenn nicht Bilder? Betrachtet man seine Beschreibung der Entstehung von Ideen, lässt sich feststellen, dass er in den ersten Kanones der Institutio logica eine wichtige Unterscheidung einführt. Zwar stammen alle Ideen aus den Sinnen, manche davon allerdings direkt, andere nur indirekt. Direkt aus den Sinnen stammen Ideen von Dingen, die es tatsächlich gibt und denen wir schon begegnet sind (I.92b). Indirekt aus den Sinnen stammen Ideen von Dingen, denen wir entweder noch nicht begegnet sind, wie zum Beispiel die Vorstellung eines Hauses, das ich noch nicht gesehen habe, das mir jedoch beschrieben wurde. Oder sie stammen von Dingen, die es nicht gibt. In beiden Fällen liefern die Grundlage für diese Ideen andere Ideen, die wir durch Sinneserfahrung gewonnen haben. Ideen von Dingen, von denen wir keine Sinneserfahrung haben oder haben können, werden Gassendi zufolge durch drei Prozesse aus Wahrnehmungen gewonnen: „durch Zusammensetzung [compositio] und gleichsam Vereinung [adunatio] mehrerer Ideen; durch Vergrößerung oder Verkleinerung einer Idee; durch Übertragung und Anpassung einer Idee an ein Ding, das anders ist als das, von dem diese Idee stammt.“ (I.93a) Eine solche Idee wird also aus schon vorhandenen, durch Sinneserfahrung gewonnenen Ideen gebildet und ist daher auch indirekt von der Sinneserfahrung abhängig. Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich nun eine erhellende Verbindung zwischen Diogenes Laertius’ Beschreibung von Epikurs Position, Gassendis eigener Darstellung von Epikurs Position und seiner Beschreibung der Ideen herstellen. Bei Diogenes Laertius wurden als Prozesse der Entstehung von Ideen Prolepsen „Erfahrungspraxis, Analogie, Ähnlichkeit und Kombination“ genannt. Gassendi greift diese Begriffe in seiner Epikur-Darstellung zu Beginn des Syntagma philosophicum auf und erläutert sein Verständnis dieser Prozesse. Er sagt zunächst:
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„Alles, was im Geist als anticipatio oder praenotio ist, ist von den Sinnen abhängig, und zwar durch Einwirkung, durch Proportion, durch Ähnlichkeit oder durch Komposition“ (I.54b). Mit anticipatio ist also offensichtlich eine Prolepse gemeint. Er erläutert Inkursion als Begegnung des Gegenstands selbst mit den Sinnen, woraus die Vorstellung entsteht. Mit Proportion ist gemeint, dass eine solche Vorstellung von einem Gegenstand vergrößert oder verkleinert wird, und so die Vorstellung von etwas Größerem oder Kleinerem entsteht. Durch Ähnlichkeit werden Vorstellungen gebildet, wenn wir uns etwas, das wir noch nie gesehen haben, nach dem Vorbild eines Gegenstands, den wir kennen, vorstellen; und durch Komposition, wenn zwei Vorstellungen zu einer zusammengefügt werden. Betrachtet man nun Gassendis Beschreibung der Entstehung von Ideen, so liegt es nahe, „Erfahrungspraxis“ mit der Entstehung von Ideen durch Sinneserfahrung zu identifizieren, „Ähnlichkeit“ mit ihrer Entstehung durch Vergrößerung oder Verkleinerung, „Analogie“ mit der Genese von Ideen durch Übertragung und Anpassung, „Kombination“ mit der Entstehung durch Zusammensetzung bzw. Vereinung. Ideen werden also laut Gassendi auf die gleiche Weise aus Wahrnehmungen gebildet wie Prolepsen bei Epikur. Es scheint also, dass Gassendi Ideen als epikureische Prolepsen auffasst6. Diese wurden oben als allgemeine Vorstellungen charakterisiert, die wir aus Wahrnehmungen bilden, und die es uns erlauben, einen Gegenstand als etwas zu erkennen. Diese Interpretation des Ideenbegriffs lässt sich anhand von Gassendis Behauptung unterstützen, dass die Idee eines Gegenstands mit der Definition dessen, was dieser Gegenstand ist, zusammenhängt: Wie die Idee eines Dinges ist, so wird sie von der Definition des Dinges wiedergegeben. Sooft wir gefragt werden oder erklären wollen, was oder wie ein Ding ist, wenden wir uns gleich der Idee zu, die wir von ihm haben, und gemäß dieser Idee definieren oder beschreiben wir das Ding selbst. (I.97a/b)
Die Idee scheint die Definition zu beinhalten, so dass wir die Definition dessen, was ein Mensch ist, aus unserer Idee des Menschen gewinnen können. Die Idee liefert uns die Definition, wenn wir sie benötigen. In seiner Epikur-Rekonstruktion wählt Gassendi eine stärkere Ausdrucksweise; er identifiziert hier die Idee mit der Definition: „Eine An-
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Für eine detaillierte Darstellung der Übereinstimmung zwischen Gassendis Epikur-Interpretation und seiner Ideentheorie siehe Glidden 1988.
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ticipatio ist der Begriff (notio) oder die Definition (definitio) des Dings, ohne die nichts gefragt, bezweifelt, behauptet oder gar benannt werden kann“ (I.54b). In den Einwänden gegen Descartes bezeichnet Gassendi die Idee des Dreiecks auch als „gleichsam eine Regel, mit deren Hilfe du zu ermitteln suchst, ob etwas verdient, ein Dreieck genannt zu werden“ (III.375a). In diesen Zitaten wird also die Idee mit einer Definition, beziehungsweise mit einer Regel zur Subsumtion gleichgesetzt. Wie oben deutlich wurde (Stellenkommentar K9), besteht eine Definition für Gassendi in der Angabe der Gattung, unter die der Gegenstand fällt, sowie der Eigenschaften, die einen Gegenstand zu einem Gegenstand einer speziellen Art unter dieser Gattung bestimmen. Eine Definition in diesem Sinn kann als Regel zur Subsumtion verstanden werden, wenn man annimmt, dass wir die Gegenstände, die wir wahrnehmen, anhand einer solchen Liste von Gattung und Eigenschaften überprüfen, um dann den Gegenstand unter einen bestimmten Begriff, zum Beispiel den des Dreiecks, zu subsumieren. Dennoch ist nicht eindeutig, ob Gassendi der Auffassung war, dass die Definition oder die Regel aus der Idee gewonnen werden kann oder ob die Idee selbst eine Definition oder Regel ist. In jedem Fall unterstützen diese Aussagen den Interpretationsvorschlag Ideen als Prolepsen aufzufassen, das heißt als allgemeine Vorstellungen der Dinge, da eine Definition oder Regel, ob sie nun die Idee selbst ist oder bloß in ihr enthalten ist, immer eine allgemeine Beschreibung dessen ist, was den Gegenstand ausmacht. Ob schließlich nur ein oder mehrere Gegenstände tatsächlich dieser Beschreibung entsprechen, ist für die Allgemeinheit der Beschreibung selbst unerheblich. Außerdem identifiziere ich zum Beispiel meinen Schlüsselbund anhand bestimmter Merkmale, die in der Definition dessen, was es heißt, mein Schlüsselbund zu sein, enthalten sind. Die Vorstellung meines Schlüsselbunds, die diese Definition enthält, ermöglicht es mir, meinen Schlüsselbund als meinen Schlüsselbund zu erkennen, wenn ich ihn auf dem Tisch liegen sehe oder ich in meiner Tasche nach ihm taste. Ideen als Definitionen erfüllen also eben jene zentrale Funktion von Prolepsen, Gegenstände als etwas erfassbar zu machen. Es scheint allerdings, dass eine Vorstellung, die eine Definition enthält, auch eine begriffliche Vorstellung sein muss. Denn eine Definition setzt ein begriffliches Erfassen voraus. Die Definition setzt voraus, dass ich erkannt habe, dass der Gegenstand bestimmte Eigenschaften hat, das heißt, dass er unter bestimmte Begriffe fällt. Eine Definition meines Schlüsselbunds ist nicht anzugeben und kann nicht verstanden werden ohne ein Verständnis der Begriffe „Schlüssel“ oder „Anhänger“. Soll
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also die Idee die Definition beinhalten, so hat die Idee notwendig auch begrifflichen Inhalt. Mit dieser Interpretation haben wir also Gassendis Ideen als allgemeine, begriffliche Vorstellungen charakterisiert. Dies scheint einer Beschreibung von Ideen als Bildern zu widersprechen. Wie kann also Gassendis Rede von Bildern in Bezug auf Ideen eingefangen werden? Im Folgenden soll eine Interpretation vorgeschlagen werden, nach der Ideen für Gassendi nur in dem Sinne Bilder sind, dass sie neben ihrem begrifflichen Gehalt auch immer sinnlichen Gehalt haben. Je nachdem ob man Ideen mit Definitionen identifizieren oder nur als Vorstellungen ansehen möchte, aus denen wir Definitionen gewinnen können, bedeutet das, dass eine Idee entweder selbst ein visueller, taktiler, akustischer oder sonstiger sinnlicher Eindruck ist, aus dem wir die Definition eines bestimmten Gegenstands gewinnen; oder aber dass eine Idee selbst eine Definition ist, die immer auch ein qualitatives, sinnliches Element enthält, ein Element also, das zunächst einmal subjektiv und nicht begrifflich ist. Bilder sind also nach dieser Interpretation als Modelle für sinnliche Eindrücke zu verstehen. Modelle aber müssen mit ihrem Bezugsobjekt nicht in jeder Hinsicht übereinstimmen, sondern nur hinsichtlich der erklärungsrelevanten Eigenschaften. Dies wäre im vorliegenden Fall die Sinnlichkeit, die Bildern und anderen sinnlichen Eindrücken gemeinsam ist. Die Rede von Bildern in der Institutio logica wäre dementsprechend als Versuch Gassendis zu deuten, die Sinnlichkeit von Ideen in den Vordergrund zu stellen. (Daraus ergibt sich auch eine interessante Zusatzbegründung für die Zurückweisung der Konzeption von angeborenen Ideen, auf die Gassendi sowohl in der Institutio logica als auch in den Einwänden gegen Descartes legt Gassendi großen Wert legt. Sinnlichen Gehalt sieht Gassendi als offenbar nicht angeboren an. Wenn also alle Ideen sinnlichen Gehalt haben, kann es keine angeborenen Ideen geben.) Damit nun die vorgeschlagene Interpretation überzeugen kann, muss gezeigt werden, dass Gassendi tatsächlich der Auffassung war, dass Ideen immer sinnlich sind. Um festzustellen, ob dies der Fall ist, werden wir einige Unterscheidungen betrachten, die Gassendi bezüglich Ideen einführt. Die erste Unterscheidung dieser Art ist die oben erwähnte zwischen Ideen, die direkt aus der Sinneserfahrung gewonnen werden, und solchen, die indirekt gewonnen werden. Diese Unterscheidung betrifft
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Ideen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, und wird benötigt, da Gassendi behaupten möchte, dass zwar alle Ideen auf Sinneserfahrung beruhen, wir allerdings Ideen von Gegenständen haben, die wir noch nie wahrgenommen haben und womöglich auch nicht wahrnehmen können. Betrachtet man nun die Entstehungsprozesse dieser Ideen, so scheint sich aus Gassendis Beschreibung tatsächlich zu ergeben, dass alle Ideen, die auf diese Art und Weise gewonnen werden, sinnlichen Gehalt haben. Wenn Ideen direkt durch Sinneserfahrung entstehen, haben sie in jedem Fall sinnlichen Gehalt. Sie enthalten spezifische qualitative Elemente, die an einem Gegenstand wahrgenommen wurden – im Fall eines Menschen zum Beispiel den Klang seiner Stimme, wie er mir in meiner Wahrnehmung dieses Menschen gegeben ist. Ideen von Dingen, von denen ich keine Sinneserfahrung habe oder haben kann, werden durch die oben genannten Prozesse aus solchen sinnlichen Ideen gebildet. Gassendi legt nun bei der Beschreibung der Anwendung dieser Prozesse großen Wert darauf, dass gerade der sinnliche Gehalt der vorhandenen Idee den Gehalt der zu bildendenden Idee mitbestimmt. Jede aus einer sinnlichen Idee gewonnene Idee hat demnach sinnlichen Gehalt – und da jede Idee selbst direkt eine sinnliche ist oder aus einer sinnlichen gewonnen wird, muss zumindest jede Idee, die sich auf einen Gegenstand bezieht, sinnlichen Gehalt haben. Im Fall dieser Unterscheidung scheint die Analyse, dass Ideen für Gassendi wesentlich sinnlich sind, durchführbar. Eine weitere Unterscheidung macht Gassendi zwischen Ideen, die sich nur auf einen Gegenstand beziehen, und allgemeineren, die sich auf mehrere Gegenstände beziehen. Es scheint, dass dies innerhalb von Gassendis Theorie keine kategorische, sondern eine graduelle Unterscheidung ist. Denn wie angeführt, sind auch Ideen von einzelnen Gegenständen als Definitionen allgemein. Ideen, die sich auf mehrere Gegenstände beziehen, sind dann nur graduell unterschieden, nämlich dadurch, dass sie einen höheren Grad an Allgemeinheit aufweisen. Diese Allgemeinheit kommt dadurch zustande, dass die Definition auf weniger Eigenschaften Bezug nimmt. Diese allgemeinen Ideen entstehen nicht durch die in Anlehnung an Diogenes Laertius beschriebenen Prozesse, sondern durch zwei weitere Prozesse, die Aggregation (aggregando) und die Abstraktion (abstrahendo). Durch Aggregation bilden wir Ideen, die sich auf mehrere Gegenstände beziehen, indem wir verschiedene Ideen zu einer Gruppe (aggeries) von Ideen zusammennehmen. Da eine solche Gruppe aus einzelnen Ideen besteht, die immer sinnlich sind, ist also auch für diese Art der Entstehung von Ideen sinnlicher Gehalt gewährleistet.
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Im Fall der Abstraktion ist dies weniger eindeutig. Hier werden nicht Gruppen von Ideen gebildet, sondern gewissermaßen Gruppen von Eigenschaften, nach denen Gegenstände geordnet werden können. Im Fall der allgemeinen Idee „Mensch“, die ich durch Aggregation gewinne, ist das Ergebnis eine Gruppe von Ideen von Menschen. Im Fall der allgemeinen Idee „Mensch“, die durch Abstraktion gewonnen wird, ist das Ergebnis eine Liste von Eigenschaften, die Menschen wesentlich zukommen. Da wir allgemeinere Ideen aus weniger allgemeinen gewinnen, scheint Gassendi der Auffassung zu sein, dass die Ideen, die wir direkt aus der Wahrnehmung gewinnen, sehr viele Eigenschaften beinhalten und die Definitionen, die wir aus ihnen gewinnen, dementsprechend sehr genau sind. Wollen wir Ideen bilden, die einen höheren Grad an Allgemeinheit haben, müssen wir diese Definitionen gewissermaßen ausdünnen je nachdem, welche Eigenschaften für die Art von Gegenstand, auf den sich die Idee beziehen soll, relevant sind. Sieht man Ideen selbst als Definitionen an, so verändert sich die Idee, wenn ich eine allgemeinere aus einer weniger allgemeinen gewinne – ich streiche Eigenschaften aus der Definition. Sieht man Ideen als sinnliche Eindrücke aus denen wir Definitionen gewinnen, so ändert sich nicht notwendigerweise die Idee selbst. Eine bildliche Vorstellung von einem Menschen kann eine einzelne sein, wenn ich daraus die sehr genaue Definition gewinne, was es bedeutet, dieser Mensch zu sein. Sie kann aber auch eine allgemeine sein, wenn ich daraus eine weite Definition dessen gewinne, was es bedeutet ein Mensch zu sein. Es zeigt sich also: Auch wenn man Ideen nicht selbst als Definitionen auffasst, bestimmt doch die Definition, die wir aus der Idee gewinnen, worauf sich die Idee bezieht. So benötige ich beispielsweise, um die allgemeine Idee eines Schlüsselbundes zu bilden, wenigstens die Idee eines konkreten Schlüsselbunds. Um die allgemeinere Idee zu gewinnen, muss ich nun von nichtwesentlichen Eigenschaften absehen, wie zum Beispiel der Eigenschaft, dass ein bestimmter Schlüsselanhänger an einem bestimmten Schlüsselbund hängt. Welche Eigenschaften die Idee und die Definition noch enthalten, bestimmt darüber, von was für einem Gegenstand die Idee handelt. Wie von Gassendi beschrieben, kann sich ein solcher Prozess natürlich soweit fortsetzen, dass wir nur noch die völlig allgemeine Idee von „Etwas“ haben, ohne irgendeine Eigenschaft zu spezifizieren (I.93b). Diese Idee unterscheidet sich nicht kategorial von der konkreten Idee meines Schlüsselbunds, sondern nur graduell. Nun scheint es doch, dass diese Methode Ideen zu bilden nicht garantiert, dass die neu gebildete Idee sinnlichen Gehalt hat. Denn wir könn-
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ten gerade die begrifflich nicht vollständig fassbaren qualitativen Eigenschaften der Gegenstände aus der Definition streichen und somit eine Idee gewinnen, die keinen sinnlichen Gehalt mehr hat. Dies scheint jedoch nicht Gassendis Auffassung von Ideen zu entsprechen. Denn gerade die Tatsache, dass das eingangs erwähnte Problem auftaucht, dass ein Bild nie tatsächlich allgemein sein kann, spricht dafür, dass Gassendi diesen Fall für Ideen ausgeschlossen hat. Gassendi möchte mit der Rede von Bildern betonen, dass Ideen auch in der Abstraktion ihr sinnliches Element nicht verlieren – ein Element, das tatsächlich nie wirklich abstrakt sein kann. Auch durch den Prozess der Abstraktion gewinnen wir also laut Gassendi immer wieder sinnliche Ideen, die damit – nämlich durch ihr spezifisches sinnliches Element – selbst nie tatsächlich abstrakt sein können.7 Aufgrund der Entstehung von Ideen, wie Gassendi sie in der Institutio logica beschreibt, scheint sich also zu ergeben, dass er tatsächlich Ideen als wesentlich sowohl begriffliche als auch sinnliche Vorstellungen aufgefasst hat. Nun ergibt sich für eine solche Auffassung jedoch ein Problem. Denn es scheint doch, dass wir zwar sinnliche Ideen haben, wie von Gassendi behauptet, dass wir aber auch theoretische Ideen haben, die keinen sinnlichen Gehalt haben. Es gibt also sowohl sinnliche Ideen als auch nicht-sinnliche Ideen. Diese Unterscheidung ist unabhängig von der Unterscheidung zwischen weniger allgemeinen und allgemeineren Ideen. Auch eine sinnliche Idee kann allgemein sein, so zum Beispiel meine Idee der Farbe Rot, wie ich sie aus meinen Wahrnehmungen gewonnen habe. Dies ist eine allgemeine Idee, da sie sich auf viele verschiedene Rottöne beziehen kann. Sie hat aber einen wesentlich sinnlichen, sogar bildlichen Anteil. Die Frage, wie Rot aussieht, kann nicht allein durch eine begriffliche Definition beantwortet werden, dazu wird immer auch ein sinnlicher Eindruck benötigt. Allerdings kann die Frage auch nicht ohne ein gewisses begriffliches Erfassen beantwortet werden – denn eine Idee von Rot, die nicht beinhaltet, dass Rot eine Farbe ist, könnte keine zuverlässige Grundlage für Urteile über Gegenstände liefern. Ohne die Unterscheidung zwischen verschiedenen Farben und ohne die Erkenntnis, dass Rot eine dieser Farben ist, könnte eine rein sinnliche Idee von Rot, also ein Bild eines roten Gegenstands, als Grundlage dafür dienen, dass ein blauer Gegenstand 7
Natürlich ist es möglich, mit Abstraktion eine nicht-sinnliche Vorstellung zu gewinnen. Diese ist dann aber keine Idee im Sinn Gassendis mehr, vgl. S. 31 ff.
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rot ist, und auch, dass ein roter Gegenstand eine bestimmte Form hat. In dieser Hinsicht scheint Gassendi also eine überzeugende Theorie entworfen zu haben. Andererseits haben wir nicht nur eine sinnliche, sondern auch eine nicht-sinnliche Vorstellung von Rot, nämlich die, die uns eine optische Theorie liefert, und die nur Bezug auf Wellenlängen und Lichtstrahlen nimmt. Im Fall dieser Idee scheint inhaltlich kein sinnlicher Aspekt benötigt zu werden. Ein Blinder kann sich optische Theorien aneignen und mit diesen arbeiten ohne je einen einzigen optischen Sinneseindruck gehabt zu haben. Diese theoretische Information ist auch völlig unerheblich dafür, außerhalb der Theorie die Farbe Rot zu identifizieren. Weder also scheint der Inhalt der theoretischen Vorstellung der Farbe Rot von dem der sinnlichen Idee abzuhängen; noch benötigen wir für eine korrekte sinnliche Idee von Rot die Information der nicht-sinnlichen Vorstellung. Wir können zunächst nun spezifizieren, welcher Art der begriffliche Inhalt sinnlicher Ideen ist. Wir haben gesehen, dass aufgrund ihrer Eigenschaft, Definitionen zu beinhalten, alle Ideen begrifflichen Gehalt haben. Aber diese begriffliche Komponente besteht nicht in dem Inhalt einer theoretischen Idee. Da sie es ermöglichen sollen, den Gegenstand als im Besitz von bestimmten Eigenschaften zu begreifen, ist ein gewisser begrifflicher Gehalt in Ideen unumgänglich. Denn ohne Begriffe können zwar Eigenschaften an einem Gegenstand wahrgenommen werden, zum Beispiel seine Farbe. Um den Gegenstand allerdings als farbig zu erkennen, wird eine Vorstellung benötigt, die beinhaltet, was eine Farbe ist, und die es uns ermöglicht, diese Eigenschaft von anderen Eigenschaften, wie zum Beispiel Größe und Form eines Gegenstands, zu unterscheiden. Um dies zu erreichen benötigen wir mehr als den sinnlichen Gehalt, da dieser allein keinen Bezug zu anderen Eigenschaften herstellen und somit weder ein Verständnis der Eigenschaft selbst noch eine Abgrenzung zu anderen Eigenschaften leisten kann. Dieser begriffliche Gehalt ist aber nicht der einer theoretischen Idee, die sich auf den gleichen Gegenstand bezieht; sondern durch ihn wird spezifiziert, welche Eigenschaften der Gegenstand im Einzelnen hat und was für eine Art von Gegenstand er ist. Der Gehalt einer theoretischen Idee ist dagegen völlig unabhängig von den sinnlichen Qualitäten des Gegenstands. Dennoch zeigt das eben angeführte Beispiel der zwei Ideen von Rot, dass wir zwei voneinander unabhängige Ideen desselben Gegenstands
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bilden, von denen die eine sinnlichen Gehalt hat, die andere aber nicht. Es scheint also, dass wir annehmen müssen, dass es Ideen gibt, die nicht gemäß den von Gassendi in der Institutio logica beschriebenen Prozessen auf anderen Ideen beruhen, und deren sinnlicher Gehalt damit auch nicht garantiert ist. Gassendi scheint sich dieser Tatsache auch bewusst gewesen zu sein, denn er beschreibt am Beispiel der Idee der Sonne, dass wir auch theoretische Ideen haben, die weniger durch die Prozesse der Assimilation gemäß der Institutio logica als vielmehr durch Schlussfolgerungen aus den sinnlichen Inhalten anderer Ideen gewonnen werden (III.322b). Eine theoretische Idee der Sonne, die im Gegensatz zur sinnlichen Idee zum Beispiel beinhalten kann, wie viel größer die Sonne als die Erde ist, wie weit sie von der Erde entfernt ist und wie lange sie schon existiert, kann durch empirische Untersuchung gewonnen werden. Der Astronom beobachtet den Himmel und stellt Berechnungen an. Die sinnliche Erfahrung dieser Beobachtungen und Berechnungen trägt aber nichts zum Inhalt der theoretischen Idee bei, die sich ja auf die Sonne bezieht, und nicht auf Berechnungen. Natürlich spielt bei der Entstehung dieser Idee Sinneserfahrung eine Rolle, aber nicht in der Art und Weise wie es der Entstehung der Prolepsen entspricht und von Gassendi in der Intitutio logica beschrieben wird. Der Inhalt der theoretischen Idee ist das Ergebnis der Beobachtungen und Berechnungen, nicht von Zusammensetzung oder Vergrößerung oder Verkleinerung und auch nicht von Abstraktion. Während im Fall der in der Institutio logica erwähnten Prozesse immer sinnlicher Gehalt auf die neu gebildete Idee übertragen wird, ist dies beim Prozess der Schlussfolgerung nicht notwendigerweise der Fall. Diese Art der Bildung theoretischer Ideen auf der Grundlage sinnlicher Ideen ist aber zumindest bislang nicht vorgesehen. Gassendis Antwort auf dieses Problem ist zunächst, dass wir auch hier sinnliche Ideen benötigen, die wir an die durch diese Weise gewonnenen Informationen anpassen. Auch ein Blindgeborener, der selbstverständlich die theoretische Idee der Sonne gewinnen kann, benötigt eine gewisse sinnliche Vorstellung dessen, was eine Kugel ist, was Entfernung und was Größe ist, um diese theoretische Idee zu bilden (III.320b). Hier werden also komplexe theoretische Ideen auf sinnliche Teilideen zurückgeführt. Im Fall der theoretischen Idee der Sonne kann diese Behauptung akzeptiert werden, wohl auch deshalb, weil unsere sinnliche und unsere theoretischen Idee der Sonne nicht völlig voneinander unabhängig sind:
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sie beinhalten zum Beispiel beide die Eigenschaft „rund“. Wie aber ist es mit der theoretischen Idee der Farbe Rot, die mit unserer sinnlichen Idee nicht zusammenhängt? Ein Blindgeborener kann keinen sinnlichen Eindruck haben, der ihm farbliche Eigenschaften näher bringt. Die sinnliche und die theoretische Idee von Rot überschneiden sich also im Gegensatz zur sinnlichen und theoretischen Idee der Sonne inhaltlich nicht, und die theoretische Idee hat damit keinen sinnlichen Anteil. Gassendi könnte als Reaktion auf dieses Problem zum einen zugeben, dass es solche Vorstellungen gibt und dass sie in seinem Sinn Ideen sind. Damit wäre die Interpretation von Ideen als wesentlich begrifflichen wie auch sinnlichen Vorstellungen nicht zu halten. Er könnte zum anderen bestreiten, dass es solche Vorstellungen tatsächlich gibt. Er müsste dann argumentieren, dass sie wohl logisch möglich, das heißt denkbar sind, dass wir tatsächlich aber keine Vorstellungen bilden können, die wir nicht inhaltlich an bekanntes sinnliches Material assimilieren. Dies wäre die empiristische Alternative, die unsere Interpretation von Ideen als essentiell sinnlichen Vorstellungen stützen würde. Als dritte Möglichkeit kann Gassendi den Mittelweg zwischen diesen beiden Positionen wählen und einerseits zugeben, dass es solche Vorstellungen gibt, andererseits aber bestreiten, dass sie Ideen sind. Ideen wären dann definitionsgemäß Vorstellungen, die sinnlichen Gehalt haben. Vorstellungen, die keinen sinnlichen Gehalt haben, sind dann Vorstellungen völlig anderer Art, man könnte sie genuin abstrakte Vorstellungen nennen. Dies ist die Strategie, die Gassendi wählt; er beschreibt solche Vorstellungen und ihre Entstehung in der Physica: Und so gibt es in unserem Verstand eine [Vorstellung], durch die wir im Schließen soweit fortgeführt werden, dass wir etwas verstehen, was wir uns nicht vorstellen beziehungsweise von dem wir keine anschauliche Vorstellung haben können, so viel wir auch die Geisteskräfte anstrengen mögen. Ich pflege als Beispiel hierfür die Größe der Sonne heranzuziehen. Freilich verstehen wir, von einer Schlussfolgerung geleitet, dass die Sonne sechshundert Mal so groß ist wie der Erde. Unsere Vorstellung aber widerspricht dem, und so sehr wir uns auch anstrengen mögen, wir finden nur heraus, dass wir durch Vorstellen eine solch unermessliche Größe nicht erreichen können; und dass die Größe entweder in der Vorstellung einer so furchtbar kleinen Kugel, wie groß sie uns unser Sinn zeigt, besteht, oder darin, dass wir uns etwas nicht viel größeres undeutlich vorstellen. (II.440b)
Sein Beispiel der Sonne scheint schlecht gewählt, da auch diese Vorstellung, obwohl sie eine theoretische ist, einen gewissen anschaulichen Gehalt hat; die Behauptung aber bleibt bestehen, dass wir durch Schluss-
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folgerungen zu Vorstellungen gelangen können, die keinerlei sinnlichen Anteil haben. In den Einwänden gegen Descartes findet sich ein ähnliches Zitat; allerdings argumentiert Gassendi hier zusätzlich, dass solche Vorstellungen keine Ideen sind, weil sie nicht sinnlich sind: Doch ich werfe folgende Frage auf: Haben wir selbst, die wir so oft die Sonne erblickt, so oft ihren erscheinenden Durchmesser beobachtet, so oft ihren wahren berechnet haben – haben wir etwa, frage ich dich, ein anderes Bild von der Sonne als das landläufige? Wir folgern zwar mit der Vernunft [ratione], dass die Sonne mehr als hundertsechzig Mal so groß ist wie die Erde. Aber haben wir deshalb die Idee eines so außerordentlich großen Körpers? (III.320b/321a)
Laut dieses Zitats haben wir also gerade deshalb keine theoretische Idee der Sonne, weil wir kein Bild der Sonne haben können, das dieser Idee entspricht. Hier begegnen wir wieder der Rede von Bildern. Aber diese Art der Argumentation ist offensichtlich nicht auf den visuellen Teil der theoretischen Vorstellung beschränkt: Gassendi würde auch behaupten, dass unsere theoretische Vorstellung der Sonne keine Idee ist, weil kein sinnlicher Eindruck davon möglich ist, wie heiß die Sonne tatsächlich ist. Genuin abstrakte Vorstellungen ohne sinnlichen Gehalt sind für Gassendi folglich keine Ideen8. Die Tatsache, dass die eine Vorstellung der Sonne sinnlichen Gehalt hat, die andere aber nicht, hat auch eine ontologische Konsequenz. Wie wir sehen werden, sind Ideen für Gassendi dadurch, dass sie auf sinnlichen Eindrücken beruhen, körperliche Entitäten. Rein abstrakte Vorstellungen, die keine Verbindung zu diesen sinnlichen Eindrücken mehr haben, werden von ihm in der Physica allerdings als immateriell charakterisiert9. So lässt sich erklären, dass Ideen, die wir aus anderen Ideen abstrahiert haben, wie wir oben gesehen haben, nicht kategorial von Ideen von Einzeldingen unterschieden sind; Vorstellungen ohne sinnlichen Gehalt wie die theoretische Vorstellung, die ein Blindgeborener von Farben hat, dagegen schon. Relevant wird diese Unterscheidung dann, wenn es um Ideen als Grundlage unseres Wissensanspruchs geht. Vorstellungen ohne sinnlichen Gehalt sind keine Ideen und gehören somit nicht zu der Art von 8 9
Vgl. Michael 1988, 589 f. Vgl. II.441a. Aus der Tatsache, dass unser Geist nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Vorstellungen verarbeitet, folgt nun, dass der Geist selbst zumindest zum Teil immateriell sein muss. Vgl. für den Zusammenhang der Tätigkeiten des Geistes mit dessen Ontologie Michael 1988.
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Vorstellungen, die uns laut Gassendi direkt Wissen über die Welt liefern können. Solche genuin abstrakten Vorstellungen sind somit keine Basis für unser Wissen. Dementsprechend bezeichnet Gassendi sie als „bloße Schattengebilde“ (III.321a), die nur „konfus und per Analogie“ (III.322a) Erkenntnis ermöglichen. Wir sehen nun, dass Ideen immer sowohl sinnlichen als auch begrifflichen Gehalt haben. Die Rede von Bildern in Bezug auf Ideen lässt sich als Betonung des sinnlichen Aspekts von Ideen verstehen. Nicht jeder sinnliche Gehalt ist visueller Gehalt, aber visueller Gehalt scheint für Gassendi das paradigmatische Modell sinnlichen Gehalts zu sein. Ideen sind also wesentlich begriffliche, allgemeine Vorstellungen eines oder mehrerer Gegenstände. Sie sind Bilder, da sie außerdem wesentlich sinnlich sind. 2.3.3 Die ontologische Basis von Ideen: Species So, wie Ideen von Gassendi in Anlehnung an Epikur konzipiert werden – mithin als allgemeine Vorstellungen, die aus einzelnen Wahrnehmungen durch bestimmte Prozesse gebildet werden – bleibt ihre Ontologie noch unbestimmt. Sofern die Ideentheorie es Gassendi ermöglichen soll, unsere Meinungen über die Welt zumindest zu einem gewissen Grad zu begründen, um aufgrund dieser Meinungen dann eine Ontologie erst zu rechtfertigen, ist dies auch nötig10. Dennoch lässt sich aufgrund anderer Passagen eine Ontologie für Ideen entwickeln, die auch von Gassendi so intendiert gewesen zu sein scheint.11 Diese Passagen finden sich nach der Argumentation für den Atomismus, in der Physica des Syntagma philosophicum. Gassendis Ausdruckweise legt zwar nahe, dass er nicht zwischen dem hier verwendeten Term „species“ (also Wahrnehmungen) und dem Begriff der Idee unterschieden hat. Eine solche Unterscheidung ist jedoch systematisch sowohl aufgrund des epikureischen Hintergrunds als auch aufgrund von Gassendis
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Für eine genaue Darstellung von Gassendis Strategie zur Rechtfertigung unserer Überzeugungen, siehe K18. Diese Ontologie für Ideen ist Teil von Gassendis allgemeiner ontologischer Theorie, dem Atomismus; dieser ist eine Schlussfolgerung aus unseren Ideen von Gegenständen und kann damit methodologisch erst nach der Rechtfertigung von Ideen erfolgen.
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Beschreibung der Ideen plausibel und sogar geboten12. Eine Identifikation von Sinneseindrücken und Ideen kann also nicht überzeugen. Dennoch können Ideen auf die in der Physica im zweiten Buch des Syntagma philosophicum beschriebenen species zurückgeführt werden. Gassendi behauptet mit Epikur, dass Ideen aus Wahrnehmungen entstehen. Aber wie genau hängen Ideen mit species zusammen? Die folgende Interpretation bezüglich der Entstehung von Ideen aus species ist zu einem großen Teil spekulativ, da sich Gassendi selbst nicht zu der Frage äußert. Die Tatsache, dass die Frage in seinem Werk nicht beantwortet wird, macht sie jedoch nicht weniger relevant. Ganz im Gegenteil ergibt sich aus Gassendis Aussagen, dass diese Frage beantwortet werden muss, wenn sein System funktionieren soll. Denn Gassendi behauptet erstens, dass Ideen, also begriffliche Vorstellungen, aus Wahrnehmungen entstehen. Er behauptet zweitens, dass es keine angeborenen Ideen oder Begriffe gibt, die uns vor den Wahrnehmungen und zu deren Analyse zur Verfügung stehen. Und er vertritt drittens eine Wahrnehmungstheorie, die species nicht zu guten Kandidaten für die Grundlage von Begriffsbildung machen. Um Gassendis Theorien von Ideen und Wahrnehmung konsistent zu machen, muss also eine Erklärung dafür gefunden werden, wie aus species, wie Gassendi sie beschreibt, ohne Ideen schon vorauszusetzten, Ideen entstehen können. Wie wir gesehen haben lassen sich bei Gassendi drei verschiedene Arten von Vorstellungen unterscheiden: Wahrnehmungen, oder auch species, Ideen, und Urteile. Wahrnehmungen sind dabei die ersten Vorstellungen, die wir haben. Aus ihnen bilden wir Ideen und indem wir mehrere einzelne Ideen zu einer komplexen Vorstellung vereinen, urteilen wir. Die species sind dabei die einzelnen Eindrücke, die durch die Sinneserfahrung im Gehirn entstehen. Wenn durch einen korpuskularen Prozess außerhalb des Körpers13 Atome oder Korpuskel in ein Sinnesorgan eindringen, werden dadurch die Nerven, die an diesem Sinnesorgan enden, gereizt (II.339a). Da die Nerven im Gehirn ihren Ursprung haben, übertragen sie diese Reizung ins Gehirn, wo ein Eindruck entsteht. Es kann also zunächst festgehalten werden, dass bei einer Sinneswahrnehmung für jeden einzelnen Sinn ein solcher Eindruck entsteht. Sitzt man zum Beispiel einem sprechenden Menschen gegenüber, so 12 13
Siehe Stellenkommentar K3. Wie er zum Beispiel von Gassendi für den Fall der visuellen Wahrnehmung auf II.377b beschrieben wird.
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entstehen andere Eindrücke für den Sehsinn als für den Hörsinn. Ein solcher Eindruck hat, wie wir aus Gassendis Ausführungen über species erfahren, zwei Aspekte; Es werden zwei Komponenten einer Wahrnehmung, zwei Arten von species von Gassendi folgendermaßen unterschieden: Hier sind nun zweierlei species zu unterschieden, die in der Vorstellungskraft erkannt werden: nämlich die species impressa und die species expressa. Die species impressa ist nämlich nichts anderes als die Falte selbst, d. h. der Abdruck und die Spur, die durch den erfolgten Eindruck zurückgelassen worden und nicht in dem Vermögen angesiedelt ist, das gerade ›etwas‹ wahrnimmt oder sich ›etwas‹ vorstellt. Die species expressa hingegen ist nichts anderes als das, was wir gleichsam sehen [intuemur ] oder wahrnehmen, wenn wir uns das Ding selbst vorstellen oder an es denken. (II.405b)
Zum einen verursachen die Nervenbewegungen also tatsächlich eine Veränderung, einen Eindruck oder eine Spur, im Gehirngewebe.14 Dies ist die species impressa, die körperliche Komponente einer Wahrnehmung. „Die species impressa ist aber nicht so sehr eine species oder ein Bild, sondern die Ursache und Gelegenheit dafür, dass wir eine solche species oder ein solches Bild formen. Allein aus diesem Grund kann man ihr diesen Namen geben“ (II.405b). Die species impressa ist also der Träger des Inhalts einer Wahrnehmung. Sie ist die Ursache dafür, dass wir uns aufgrund der Einwirkung eines Gegenstands etwas vorstellen, konstituiert allein aber noch keine Vorstellung. Sie hat als tatsächlicher körperlicher Abdruck eine bestimmte Form, die sie von anderen unterscheidet – da sie auch von einer der Ursache spezifisch zukommenden Nervenbewegung verursacht wurde. Diese Form stimmt aber nicht, oder nur zufällig mit der Form der Gegenstands überein. Anders ist es bei der species expressa, der inhaltlichen Komponente der Wahrnehmung. Sie ist das, was von Gassendi als die eigentliche Vorstellung angesehen wird, Denn sie allein ist so beschaffen wie das Ding, das wir uns vorstellen; sie ist vielmehr das Ding selbst, sofern es Objekt einer Vorstellung wird und, wie man gewöhnlich sagt, objektiv [objective] in der Vorstellungskraft selbst existiert. (II.405b)
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„[…] alterum, ut ex tali ictu remaneat, quoddam vestigium, seu quasi character, typusque cerebro impressus“ (II.403bf). Genau genommen wird diese Spur von Gassendi immer als das erwähnt, das vom Eindruck zurückbleibt, nicht das, was beim Eindruck passiert. Damit aber eine Spur zurückbleiben kann, muss sie vorher aufgedrückt werden. Es ist plausibel, dass dies bei der Wahrnehmung selbst passiert.
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Gassendi übernimmt hier wie Descartes das scholastische Vokabular bezüglich der Seinsweisen von Vorstellungen – es gibt die Vorstellung materialiter als tatsächliche Modifikation des Gehirns (im Falle Gassendis) bzw. des Geistes (bei Descartes). Diese Modifikation ist der Träger des Inhalts der Vorstellung, der es erst ermöglicht, dass sich die Vorstellung auf den Gegenstand bezieht. Dieser Inhalt gehört zur Vorstellung und ist somit im Gehirn bzw. Geist. Allerdings haben wir, wenn wir einen Elefanten wahrnehmen, nicht tatsächlich einen Elefanten im Gehirn; daher ist der Elefant nicht materialiter im Geist wie die Idee, sondern nur objective. Das, was wir uns vorstellen und was also dieser Inhalt darstellt, ist allerdings der Gegenstand; daher ist die species expressa eigentlich der Gegenstand selbst – zwar als Objekt unserer Vorstellung, aber dennoch der Gegenstand. Da Gassendi Realdefinitionen und Essenzen ablehnt15, kann er hier anders als Descartes nicht zwischen Essenz und materieller Instantiierung einer Essenz unterscheiden – er kann also auch nicht behaupten, dass die Vorstellung mit dem Gegenstand insofern identisch ist, als sie beide die gleiche Essenz instantiieren. Vielmehr muss gemeint sein, dass die Vorstellung auf den Gegenstand abzielt und insofern der Gegenstand selbst ist. Da, wie wir oben bemerkt haben, für jeden Sinn einzelne Eindrücke entstehen, kann die species expressa aufgrund ihrer Entstehung immer nur Eigenschaften enthalten, die durch einen Sinn aufgenommen wurden. Außerdem scheint es, dass dieser Inhalt zunächst aus allen Eigenschaften besteht, die einem Sinn zugänglich sind, ohne dass diese verschiedenen Eigenschaften dabei als verschieden aufgefasst werden.16 Im Fall einer visuellen Wahrnehmung zum Beispiel habe ich einen Eindruck vom Gegenstand, der seine Form, seine Farbe und seine Größe enthält. Durch den Wahrnehmungsprozess allein kann also eine kognitive Differenzierung zwischen diesen verschiedenen Eigenschaften nicht erklärt werden. Da Gassendi Realist in Bezug auf äußerliche Gegenstände ist, kann er behaupten, dass diese Eigenschaften unterscheidbar sind, da sie auch in den Gegenständen tatsächlich verschiedene Eigenschaften sind. Die Eigenschaften sind zunächst alle in einem einzigen Eindruck enthalten; dieser Eindruck hat zwar eine gewisse Struktur, die abhängig ist von der Oberflächenstruktur des Gegenstands. Die Elemente dieser Struktur müssen aber noch als unterschiedlich aufgefasst werden. Für 15 16
Vgl. Stellenkommentar K8. Vgl. Lolordo 2006, 75.
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eine solche Differenzierung scheint ein begriffliches Erfassen notwendig zu sein, das durch Wahrnehmung allein nicht erklärt werden kann, sondern erst durch Ideen. Ideen sollen aber aus der Wahrnehmung erst gebildet werden, und es können keine angeborenen Ideen vorausgesetzt werden, die dies leisten. Wie also lässt sich die Entstehung von Ideen erklären? Wie schon gesagt sind species offenbar selbst noch keine Ideen, da Ideen erstens immer begrifflichen Gehalt haben und zweitens Eigenschaften vereinen, die von mehreren verschiedenen Sinnen aufgenommen werden. Beide Eigenschaften kommen species nicht zu. Setzt man voraus, dass schon ein begriffliches Erfassen möglich ist, so liegt folgender Zusammenhang zwischen species und Ideen nahe: Species sind Eindrücke aus verschiedenen Sinnen. Ideen sind Verbindungen, die wir zwischen einzelnen species herstellen, so dass verschiedene Eigenschaften als Eigenschaften eines Gegenstands aufgefasst werden. Die Eigenschaften, die in den verschiedenen species enthalten sind, werden einem Gegenstand zugeordnet. Dadurch ermöglichen Ideen das Erfassen eines Gegenstands als Träger einer oder mehrerer Eigenschaften. Diese Erklärung setzt voraus, dass wir schon verschiedene Eigenschaften in den Wahrnehmungen unterscheiden können, dass wir also schon Ideen haben. Wir können dies aber nicht voraussetzen, da Gassendi angeborene Ideen ablehnt. Stattdessen muss erklärt werden, wie Begriffe aus nicht-begrifflichen Vorstellungen entstehen. Lassen wir diese Voraussetzung fallen, begegnen wir also der Frage, wie wir Begriffe, das heißt Ideen, aus species bilden, ohne schon vorauszusetzen, dass wir die Wahrnehmungen begrifflich strukturiert haben? Gassendi scheint wie Epikur der Meinung gewesen zu sein, dass sich Begriffe – und damit Ideen – natürlicherweise aus unseren Wahrnehmungen bilden. Eine Betrachtung seiner Beschreibung des Urteils in der Physica (II.410b) kann hier von Nutzen sein. Denn hier spricht Gassendi nicht vom Urteil, das ein Mensch über einen Gegenstand fällt, sondern von dem Urteil eines Hundes. In einem gewissen Sinn scheint Gassendi also der Auffassung gewesen zu sein, dass auch Hunde urteilen. Da Urteile aus einzelnen Ideen zusammengesetzte komplexe Ideen sind, scheint daraus zu folgen, dass auch Hunde Ideen, und damit begriffliche Vorstellungen, haben. In gewissem Sinn ist dies wohl auch überzeugend: Wir könnten geneigt sein, Hunden zuzusprechen, dass sie Ideen haben, da sie offensichtlich in der Lage sind, Gegenstände zu erkennen, so wie der Hund in Gassendis Beispiel sein Herrchen erkennt. Dennoch würden wir einem
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Hund wohl nicht den gleichen Grad an begrifflichem Erfassen und somit eine von unserer Idee verschiedene Idee dessen zuschreiben, was es bedeutet, das Herrchen einen Hundes zu sein. Um Gassendis Aussagen plausibel zu machen, muss also eine Unterscheidung zwischen zwei Arten des Erkennens von etwas als etwas getroffen werden. Im einen Fall läuft dieses Erfassen begrifflich ab, zum Beispiel, wenn man erkennt, dass es gefährlich ist, ohne genügend Wasser eine lange Wanderung zu beginnen. Im anderen Fall gibt es keine begriffliche Komponente, zum Beispiel wenn man ein Tier instinktiv als gefährlich erkennt. Im zweiten Fall fehlt im Vergleich zum ersten nicht das Erfassen des Gegenstands oder Sachverhalts als gefährlich, sondern ein begriffliches Verständnis dessen, als was man den Gegenstand erkannt hat: auch im zweiten Fall erkenne ich das Tier als gefährlich, aber ich erkenne nicht, dass ich es als gefährlich erkenne. Es fehlt also ein Bewusstsein dessen, was erfasst wird, bzw. ein Erfassen zweiter Stufe des Gegenstands als etwas. Dieses Bewusstsein kommt durch den begrifflichen Aspekt zustande. Dementsprechend müssen wir uns nun in Bezug auf Ideen fragen, ob sie ein Erfassen im ersten oder im zweiten Sinn ermöglichen, ob sie also tatsächlich im Einklang mit unserer obigen Analyse immer begrifflich sind. Gassendis Quelle, die epikureische Erkenntnistheorie nach Diogenes Laertius, gibt keine eindeutige Antwort in Bezug auf Prolepsen; wie oben ausgeführt, scheint aber Gassendis Aussage, dass Ideen die Definition dessen beinhalten, was es bedeutet, ein bestimmter Gegenstand zu sein, nicht-begriffliche Vorstellungen als Ideen auszuschließen. Denn die Vorstellung eines Tiers von einem Gegenstand mag es dem Tier zwar ermöglichen, den Gegenstand zu erkennen und auf bestimmte Weise auf ihn zu reagieren, sie beinhaltet aber keine Definition dieses Typs von Gegenstand. Ideen ermöglichen daher ein Erfassen im ersten Sinn. Nicht-begriffliche, aber allgemeine Vorstellungen, wie sie zum Beispiel Hunde bilden mögen, sind also keine Ideen im Sinn Gassendis. Hunde können damit im eigentlichen Sinn auch nicht urteilen, auch wenn Gassendi dies so beschreibt. Dennoch können diese Vorstellungen und quasi-Urteile das Bild der Genese von Ideen aus Wahrnehmungen, das heißt species, vervollständigen. Denn sie entstehen im Hund nicht durch Reflexion über die Inhalte dieser Eindrücke und durch deren begriffliche Analyse, sondern sie entstehen natürlicherweise durch Assoziation. Aus den einzelnen Eindrücken, die der Hund von seinem Herrchen hat, bildet sich eine allgemeine Vorstellung dieses Wesens; diese Vorstellung ermöglicht es dem Hund, ein quasi-Urteil zu fällen und
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auf seine Wahrnehmung seines Herrchens zu reagieren. Der Hund wird durch seine Erfahrung in bestimmter Weise konditioniert. Damit dies möglich ist, muss ein Prozess der automatischen Assoziation bestimmter Gegenstände, die gleiche oder ähnliche Eigenschaften haben, ablaufen. Diese Assoziation geschieht nicht durch bewusste Analyse des Inhalts von Sinneseindrücken und ist offensichtlich nicht begrifflich – denn sie bringt ja nicht-begriffliche Vorstellungen hervor. Sie hat aber zur Folge, dass der Inhalt unserer Eindrücke nach Eigenschaften geordnet wird; eine Ordnung der Eindrücke nach Ähnlichkeit bezüglich verschiedener Eigenschaften geschieht unter dieser Analyse von Gassendis Theorie zunächst automatisch. Ist diese Ordnung einmal vollzogen, können diese Eigenschaften analysiert und zueinander in Beziehung gesetzt, und so Begriffe gebildet werden. Gassendis Explikation des Erkenntnisprozesses bzw. der Entstehung von Ideen kann also folgendermaßen beschrieben werden. Zunächst werden durch korpuskulare Prozesse unsere Sinne gereizt; diese Reizungen verursachen Nervenbewegungen, durch die wiederum ein Eindruck im Gehirn entsteht. Diese Eindrücke haben jeweils einen Inhalt, der zunächst völlig unanalysiert ist und sozusagen aus einem Stück besteht. Durch natürliche Prozesse der Assoziation werden diese Eindrücke nach Eigenschaften geordnet, so dass allgemeine, aber vor-begriffliche Vorstellungen der Gegenstände und ihrer Eigenschaften entstehen. Aus diesen Vorstellungen bilden sich Begriffe, die dann wiederum zu einer begrifflichen Analyse des in der Wahrnehmung Gegebenen herangezogen werden können. So ergeben sich begriffliche Vorstellungen von Gegenständen, das heißt Ideen. Ideen sind damit nicht die ersten Vorstellungen, die sich auf einen Gegenstand beziehen. Sie sind aber als begriffliche Vorstellungen die Vorstellungen, durch die wir uns auf einen Gegenstand als Gegenstand beziehen, und sind damit auch als einzige geeignet, verlässliche Meinung und damit Erkenntnis von Gegenständen zu begründen. Und dies ist genau die Rolle, die sie für Gassendi erfüllen müssen.
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3. Thomas Hobbes Klaus Corcilius
3.1 Einführung: Erkenntnistheorie in Hobbes’ philosophischem System 3.1.1. Erkenntnistheorie in der politischen Philosophie Die Behandlung der Erkenntnistheorie, wie sie in den ersten fünf Kapiteln des Leviathan vorliegt, stellt für Hobbes gleichzeitig den Beginn seiner politischen Theorie dar. Der Text beginnt mit einer kurzen Ankündigung: Hobbes will die „Gedanken des Menschen“ betrachten und möchte sie zu diesem Zweck zuerst einzeln und dann in Sequenzen, d. h. in zusammenhängenden Gedankenfolgen, behandeln. Es wird schnell klar, dass er mit der Einteilung in einfache (Kapitel 1 bis 2) und zusammengesetzte Gedanken (Kapitel 3 bis 5) eine erschöpfende Behandlung menschlicher Erkenntnis intendiert, von der Erklärung einfacher Sinnesempfindungen bis hin zur Wissenschaftslehre. Hobbes nimmt sich nicht viel Zeit dafür. Im Leviathan, wie überhaupt in der politischen Theorie, liefert die Erkenntnistheorie die Grundlagen, auf denen er seine im engeren Sinne politische Theorie des menschlichen Gemeinwesens aufbaut. Dies, nicht wissenschaftliches Eigeninteresse an den menschlichen Erkenntnisformen, ist der Grund, warum Hobbes menschliche Erkenntnis in der politischen Philosophie behandelt. Gleich auf der ersten Seite des Leviathan bemerkt er, dass es „… nicht sehr notwendig [ist], die natürliche Ursache der Sinnesempfindung zu kennen.“1 Für den Leviathan ist die Theorie der Sinnesempfindungen also auf der einen Seite zwar fundamental, weil sie die basalen Prämissen für den systematischen Aufbau der politischen Philosophie liefert, auf der anderen Seite ist sie aber nicht das, worum es in dieser Schrift eigentlich geht. Ihre
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Und dass er an anderer Stelle ausführlicher darüber geschrieben hat. Dazu, welche Schrift Hobbes damit meint, siehe unten K3, S. 89.
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Rolle in der politischen Philosophie ist eine doppelte: Einerseits soll sie dem Leser klarmachen, dass unsere Wahrnehmungen in Wahrheit körperinterne Bewegungen sind, die keine direkten Informationen über die Beschaffenheit der Außenwelt liefern, andererseits dient sie dazu, die mechanische Bewegungserklärung als Methode auch für den weiteren Argumentationsgang zu etablieren: Dadurch, dass Hobbes menschliche Erkenntnis konsequent als Formen der inneren Körperbewegung interpretiert, führt er das mechanistische Erklärungsmodell in die Erklärung mentaler Leistungen ein. Wahrnehmungen, Emotionen und die ihnen entsprechenden Verhaltensweisen werden nämlich nach demselben mechanischen Muster erklärt wie die einfachen Sinnesempfindungen. Wichtig für seine politische Philosophie ist, dass er im weiteren Argumentationsgang auch seine im engeren Sinne politischen Kategorien aus der mechanistischen Analyse der Emotionen und Verhaltensweisen generiert. Seine mechanistische Erkenntnistheorie stellt also die grundlegenden Prämissen für die Mechanik des motivationalen Verhaltens, die dann ihrerseits die Grundlage für die im engeren Sinne politische Wissenschaft stellt. Hobbes meint, es sei ihm damit gelungen, ein der wissenschaftlichen Strenge fähiges Erklärungsmodell auf einem Gebiet zu etablieren, das sich bis dahin einer wissenschaftlichen Behandlung beharrlich entzogen hat. Er brüstet sich damit, die politische Theorie in den Rang einer exakten Wissenschaft gehoben zu haben.2 3.1.2. Ein Caveat: die vermeintliche Unabhängigkeit der politischen von der Naturphilosophie Für Hobbes sind Sinnesempfindungen der Ursprung aller anderen Erkenntnisformen. Sie selbst aber sind nur Schein und Einbildung (fancy), die sich vollständig auf kausale Effekte äußerer Körperbewegungen auf den Körper des Erkenntnissubjektes zurückführen lassen. Für die Erkenntnistheorie können die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung daher keine Grundlage sein: wissenschaftlich sind sie für Hobbes voll2
Hobbes betrachtet sich offenbar als eine Art Vollender der Philosophie: Er lobt Galileo und Harvey, die er jeweils entweder als Begründer der allgemeinen Philosophie (der Lehre von der bewegten Natur – Galileo) oder als Begründer der Wissenschaft vom menschlichen Körper (Harvey) ansieht, um sich dann selbst als Begründer der politischen Wissenschaft in eine Reihe mit ihnen zu stellen (De Cive, Widmungsbrief).
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ständig diskreditiert. Für wissenschaftlich satisfaktionsfähig hält er, wie wir in der Einleitung gesehen haben, nicht die Sinnesempfindungen, sondern deren Ursachen, nämlich die von den Körpern der Außenwelt ausgehenden Bewegungen und deren (gleichfalls körperlichen) Effekte in den wahrnehmenden Lebewesen. Auf sie, nicht auf die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindungen, baut er im Weiteren seine Theorie. Diese besteht in einer Art Mechanik der den Sinnesempfindungen zugrundeliegenden körperlichen Bewegungen, bei der die höheren Erkenntnisformen Schritt für Schritt aus diesen Bewegungen aufgebaut werden. Hobbes hat also alle Motive, die phänomenalen Inhalte der Sinneswahrnehmungen nicht als wissenschaftliche Explanantia einzusetzen. Dies muss betont werden, weil er bei der Erklärung höherer Erkenntnisformen regelmäßig Gebrauch von Termen wie „Vorstellung“ oder „Sinnesempfindung“ macht und so den Anschein erweckt, als würde er nicht die Körperbewegungen, sondern die ihnen entsprechenden repräsentationalen Zustände als Explanantia einsetzen.3 Doch dieser Schein trügt. Wenn wir ihn nicht in selbstwidersprüchlicher Weise verstehen wollen, müssen wir davon ausgehen, dass er bei der Erklärung höherer Erkenntnisformen nur deswegen Gebrauch von mentalem Vokabular macht, um sich nicht allzu umständlich auszudrücken. Er erspart es sich so, bei jeder Definition einer Erkenntnisform erneut deren gesamte Herleitung aus den einfachen Körperbewegungen ‚auszupacken‘. Dass er damit den Anspruch, alle Erkenntnisformen jederzeit auf deren körperliche Grundlage zurückführen zu können, nicht aufgibt, ergibt sich schon aus dem Aufbau seines Systems nach der resolutiv-kompositiven Methode: Wenn nur für die Elementarbegriffe gezeigt wurde, dass sie sich als Körperbewegungen definieren lassen, gilt dies in seinem Verständnis notwendigerweise auch von den komplexen Begriffen, die sich durch die Elementarbegriffe konstituieren. Hobbes meint allerdings, dass ein Verständnis der politischen Philosophie nicht unbedingt von der Kenntnis der natürlichen Ursachen der Sinnesempfindungen abhängt (Leviathan 1; Bd. 1, S. 133, Z. 19–24). Das heißt aber nur, dass man seine im engeren Sinne politischen Lehren auch verstehen kann, ohne über deren mechanistische Grundlagen informiert zu sein (De corpore VI 7). Für das philo3
Vermutlich wurde deswegen die Ansicht vertreten, dass Hobbes in der politischen Philosophie introspektiv verfährt und also methodisch von der Naturphilosophie unabhängig ist (Strauss 1952). Dies scheint mir angesichts des von Hobbes auch in seinen politischen Schriften stark betonten methodischen Monismus nicht gut haltbar.
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sophische Verständnis seiner Erkenntnislehre gilt dies sicherlich nicht. Die Reduktion der Erkenntnisleistungen auf Körperbewegungen kann nur dann nachvollzogen werden, wenn klar ist, was Körper und Bewegungen sind. 3.1.3. Hintergrundannahmen: Korrespondenz und Kompositionalität Hobbes’ Verfahren, die einfachen Begriffe seiner Erkenntnislehre durch mechanistische Definitionen alltagssprachlicher Begriffe zu gewinnen, um sich für die weiteren Ableitungen dann auf diese Begriffe zu stützen, beruht allerdings auf gewissen Voraussetzungen. Es gibt ja zunächst einmal keinen besonderen Grund, weshalb man ihm in der Annahme folgen sollte, dass die Weise der mechanischen Verursachung unserer repräsentationalen Zustände genau mit unseren Bezeichnungen für diese Zustände korrespondiert. Genau dies scheint aber vorausgesetzt zu sein, wenn der Leviathan einerseits repräsentationale Zustände mechanisch auf Körperbewegungen reduziert, andererseits aber dann, wenn dies geleistet ist, wieder von ihren alltagssprachlichen Bezeichnungen im gewohnten intentionalen Vokabular Gebrauch macht, um daraus weitere Zustände abzuleiten. Diese Voraussetzung macht Hobbes auch explizit. Am Anfang des Leviathan sagt er, dass verschiedenartige Einwirkungen – die von außen eingehenden Körperbewegungen – verschiedenartige Erscheinungen, d. h. Sinnesempfindungen erzeugen (Leviathan 1; Bd. 1, S. 132, Z. 13–15). Und aus dem Beginn von De homine wissen wir, dass er dies im Sinne einer eins- zu eins Korrespondenz von kausaler Affizierung durch externe Körperbewegungen mit den durch sie bewirkten Sinneseindrücken versteht. Dies kann man als Korrespondenzthese bezeichnen (vgl. De homine i). Eine weitere Voraussetzung, die Hobbes in diesem Zusammenhang aber nicht explizit macht (vermutlich, weil sie ihm trivial scheint), ist, was man als Kompositionalitätsthese bezeichnen kann. Die Kompositionalitätsthese besteht in der Annahme, dass die verschiedenen Körperbewegungen, die für die repräsentationalen Zustände kausal verantwortlich sind, miteinander kombiniert werden, und so andersartige repräsentationale Zustände generieren können. Die Korrespondenz- und Kompositionalitätsthese sind wichtige Voraussetzungen für die Hobbessche Erkenntnistheorie. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Voraussetzungen für das Gebiet der menschlichen Erkenntnis auch immer angebracht sind. Deutlich wird dies dann, wenn man die Korrespondenzthese mit der Kompositionalitätsthese verbindet, so wie
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Hobbes dies auch selber tut: Die Annahme, dass alle Kombinationen unserer phänomenalen und intentionalen Inhalte salva veritate eins- zu eins auf die Kombinationen ihrer bewegungsmäßigen Ursachen im Inneren unserer Körper zurückgeführt, und umgekehrt durch sie hervorgebracht werden können, scheint alles andere als trivial. Besonders augenfällig wird die Tragweite dieser Voraussetzungen dort, wo die Theorie über den Bereich der bloßen Körperbewegungen hinausgeht, bei den sprachabhängigen Erkenntnisformen. Hier könnte man fragen, ob das Kompositionalitätsprinzip noch in derselben Weise zur Anwendung kommt, wie bei den sprachunabhängigen Erkenntnisformen: Schließlich werden hier nicht mehr nur Körperbewegungen, sondern Namen, d. h. Zeichen, Propositionen und deren Bezeichnungsrelationen miteinander kombiniert. Auf der Grundlage von Hobbes’ ontologischem Materialismus könnte man hier Erklärungsbedarf sehen (vgl. K17, K18). Für ihn selbst steht die Kompositionalität sprachabhängiger Erkenntnisformen aber sicherlich außer Zweifel. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass er bei der Erklärung von sprachabhängigen und sprachunabhängigen Erkenntnisformen Anlass für methodische Unterschiede gesehen hätte. Im Gegenteil: Hobbes ist entschiedener methodischer Monist. Er glaubt an die explanatorische Allmacht der resolutiv-kompositiven Methode und wendet sie gleichermaßen auf alle ihm bekannten wissenschaftlichen Gebiete an. Kompositionalität ist daher eine Voraussetzung nicht nur seiner Theorie mentaler Zustände, sondern tief in seiner Logik und Methodologie verwurzelt.4 Aus diesem Grund wird man bei ihm bewusste methodische Unterschiede bei der Behandlung von phänomenalen und intentionalen Eigenschaften vergeblich suchen. Ähnlich bei der Korrespondenzthese. Es ist gerade der Witz von Hobbes’ mechanistischem Programm, alle Erkenntnisformen vollständig auf Körper und deren Bewegungen zurückzuführen. Die Korrespondenzthese bezweifeln, hieße daher eine zentrale Voraussetzung dieses Programms zu bezweifeln: Es ist ja gerade die These von Hobbes, dass seine Erklärung phänomenaler Zustände auf mentale Prädikate verzichten kann. An irgendeiner Stelle wird es deswegen eine Korrespondenz geben müssen. Dass Hobbes dies aber auf alle von ihm untersuchten mentalen Prädikate ausweitet, liegt wiederum an der Struktur seiner philosophischen Methode. Eine Kritik an Hobbes’ Theorie des menschlichen Geistes wird daher
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De corpore I–IV.
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auch eine Kritik an der von ihm propagierten resolutiv-kompositiven Methode sein müssen.5 Hobbes’ Theorie des Geistes ist eingebettet in sein philosophisches System. Die sinnliche Erkenntnis nimmt darin insofern, als sie der Ausgangspunkt aller weiteren Erkenntnis ist, eine, wenn nicht die, zentrale Stelle ein. Wie wir in der Einleitung gesehen haben, ist seine Theorie der sinnlichen Erkenntnis der systematische Angelpunkt, an dem sich die beiden Wege philosophischer Forschung treffen: Sinnliche Erkenntnis stellt uns einerseits die Welt zur Verfügung, auf die sich letztendlich alle unsere Erklärungen beziehen, andererseits ist sie aber auch Wirkung, deren Ursachen es zu finden gilt.
3.2 Stellenkommentar 3.2.1 Auszüge aus Leviathan (1651) K1: Sinnesempfindung. Mit seiner Erkenntnistheorie beabsichtigt Hobbes eine vollständige Theorie der menschlichen Erkenntnis. Die Sinnesempfindung nimmt hier die zentrale Stelle ein, da Hobbes alle anderen Wahrnehmungsformen auf sie bzw. auf Kombinationen von verschiedenen Sinnesempfindungen zurückführt. Seine Theorie ist in diesem Sinne empiristisch: Er sagt, es gibt keine menschliche Erkenntnis, die nicht vorher in der einen oder anderen Weise in den Sinnesorganen erzeugt worden ist. Dieser Satz ist soweit noch Gemeingut der verschiedensten Versionen des neuzeitlichen Empirismus (und hat seinen Ursprung vermutlich in Aristoteles, De anima III 6, 432a7 f.). In welcher Weise man Hobbes aber einen Empiristen nennen kann, ist keine ganz leicht zu beantwortende Frage: Es sind bei ihm ja nicht die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung, denen er eine grundlegende Rolle für die höheren Erkenntnisformen zuspricht, sondern deren mechanischen Ursachen (vgl. Bd. 1, 3.1.2). K2: Definition einfacher Gedanken. Hobbes definiert die einzelnen, d. i. unzusammengesetzten Gedanken als „Repräsentation oder Erscheinung einer Qualität oder eines anderen Akzidens eines Körpers außerhalb von uns, den man gewöhnlich ein Objekt nennt.“ (Für eine detaillierte Inter5
Für eine bündige Übersicht über die Einflüsse früherer Denker auf Hobbes’ Methode, vgl. den Abschnitt ‚scientific tradition‘ in Watkins 1973, 28–42. Zur Methode als solcher und ihrer Aufnahme, vgl. Jesseph 1996.
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pretation dieses Satzes, siehe den anschließenden Essay). Wir gehen die erläuterungsbedürftigen Begriffe der Reihe nach durch. Repräsentation ist, wie wir oben gesehen haben, nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Weise, in der sich uns Objekte präsentieren, deren wahrer Beschaffenheit entspricht. Einfache Gedanken sind für Hobbes bloßer Schein. Eine positiv-gehaltvolle Relation zwischen der Außenwelt und unseren Eindrücken von ihr besteht für ihn allein auf der kausalen Ebene. Das heißt, dass der Inhalt jeder Sinnesempfindung unweigerlich auf einen kausalen Ursprung verweist. Von welcher Beschaffenheit dieser kausale Ursprung ist, verrät uns die Sinnesempfindung aber nicht. Mit Qualität bezeichnet Hobbes hier die phänomenale Qualität des Sinneseindrucks. Da der Sinneseindruck einfach ist, enthält er auch nur genau eine Sinnesqualität (Quale). Dadurch, dass er sie unter den Begriff des Akzidens subsumiert, führt er sozusagen unter der Hand seine materialistisch-mechanistische Ontologie ein: Die Sinnesqualitäten sind deswegen Akzidentien, weil es sich bei ihnen nicht um Eigenschaften der Dinge, sondern um unsere Zustände des von ihnen Affiziert-Seins handelt. Der Begriff des Körpers verhält sich komplementär dazu. Er ist definiert als der durch den Intellekt erschlossene Träger jener kausalen Eigenschaften, mit deren Hilfe wir die Akzidentien, also die subjektive Weise, in der uns die Körper erscheinen, erklären können (zu dieser Doppeldeutigkeit des Hobbesschen Akzidenzbegriffs, vgl. unten 3.3). Hobbes hält es für undenkbar, dass es sich dabei nicht um Körper und deren Bewegungen handelt. K3: Gegenwärtiges System. Hobbes spielt hier auf sein dreigliedriges philosophisches System an. Es teilt sich in die Wissenschaft vom Körper als solchem, die Wissenschaft vom menschlichen Körper und die Wissenschaft vom politischen Körper. Zum Zeitpunkt der Verfassung des Leviathan war der physikalische Teil dieses Systems, der die Erklärung der Sinnesempfindungen enthält, noch nicht verfasst (dies mag einer der Gründe sein, weshalb Hobbes am Beginn der politischen Theorie die Grundzüge seiner Erkenntnistheorie vorstellt). Er verweist aber auf eine entsprechende Schrift, als läge diese bereits vor (gemeint ist die Schrift De corpore), obwohl Hobbes diese erst 1655 veröffentlicht. Das ist aus der Perspektive des systematischen Philosophen sachlich völlig angemessen. Wie die Forschungen von Karl Schuhmann zur Entstehungsgeschichte von De corpore zeigen, hatte Hobbes die Grundzüge seines philosophischen Systems lange vor dessen schriftlicher Abfassung konzipiert (vgl. Schuhmann 1999, XIV ff.). K4: Ursache der Sinnesempfindung. Ab hier beginnt Hobbes’ eigentliche Mechanik der Erkenntnisformen. Seine Ausführungen in diesem Ab-
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schnitt lassen sich verstehen als eine Diskussion der Sinnesempfindung unter zwei Aspekten: ihrer Kausalgeschichte (a), und der Diskussion des Verhältnisses von Kausalgeschichte und phänomenalem Inhalt (b). (a) ist im Wesentlichen eine Transmissions- und Reaktionsgeschichte von Druckbewegungen und (b) eine Art Sammlung von Plausibilitätsgründen, meistens Vergleiche, die z. T. rudimentär korrespondenztheoretische Züge tragen. Hobbes weitergehende Ausführungen zu (b) in De corpore machen aber deutlich, dass er über mehr Ressourcen verfügt, die Entstehung von phänomenalen Inhalten aus Körperbewegungen plausibel zu machen, als dies durch Lektüre des Leviathan allein den Anschein hat. (a) Am Anfang der Kausalgeschichte stehen Druckbewegungen, die von externen Körpern – den Objekten – ausgehen. Je nachdem, ob es um Distanzsinne (Sehen, Hören, Riechen) handelt oder nicht (Tasten, Schmecken), werden die Druckbewegungen durch (gleichfalls körperliche) Medien vermittelt oder nicht. In beiden Fällen treffen die Bewegungen auf die peripheren Sinnesorgane der perzipierenden Lebewesen (Haut, Augen, Ohren usw.) und werden körperintern durch Nerven, Membrane usw. an das Gehirn und von dort aus zu dem für Hobbes eigentlichen Sitz des Wahrnehmungsvermögens, dem Herzen, weitergeleitet. Dort angekommen, versetzen sie das Herz in „heftige Bewegung“ (De corpore XXV 4). Der Leviathan drückt sich etwas blumiger aus und spricht von „einem Bestreben des Herzens, sich davon freizumachen“. „Bestreben“ (engl. endeavour) bezeichnet hier aber keine intentionale Bewegung, sondern minimale physikalische Bewegungen bzw. Bewegungsansätze. Der lateinische terminus technicus lautet conatus. Conatus wird in De corpore XV 2 als Bewegung durch einen (minimal ausgedehnten) Punkt definiert. Mit dem Begriff des conatus fügt Hobbes seiner Ontologie also nichts Neues hinzu. Im Kontext der Sinnesempfindung liegt seine systematische Funktion darin, die Ontologie der Körperbewegungen auch in solchen Bereichen anwenden zu können, die unter der Schwelle des Wahrnehm- und Messbaren liegen. Es geht also um besonders kleine, nicht messbare Bewegungen im Herzen. Wichtig ist, dass die eingehende Bewegung im Herzen auf Widerstand stößt, in dessen Folge sich die eingehende Bewegung nach außen kehrt. Genau diese, vom Herzen ausgehende, reaktive Druckbewegung im Inneren des Körpers identifiziert Hobbes mit der Sinneswahrnehmung (Eine schöne Beschreibung dieses Vorgangs als „antagonistische Bewegungszustände (…) innerhalb des Körpers“ gibt Hampe 2008, 128). Kausal verantwortlich für diese Gegenbewegung ist das, was Hobbes und viele seiner Zeitgenossen
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„Lebensgeister“ nennen. Dabei handelt es sich um die Bewegungen des Blutkreislaufs, der Verdauung usw., die insgesamt den Bestand und die Erhaltung des Lebewesens ausmachen (De corpore XXV 12. Zu den Lebensgeistern bei Hobbes, vgl. Leviathan I 6, De corpore VI 10, XXV 12. Der Begriff hat eine lange Geschichte, die über Galen bis in die ältere Antike reicht. Für die Einflüsse sowie für Hobbes’ spezifischen Umgang damit, vgl. Leijenhorst 2002, 68–70). Soweit die kausale Geschichte der Sinnesempfindung im Leviathan. Für Details, vgl. De corpore XXV 2ff. (b) Hobbes versucht seine Theorie der Sinnesempfindung durch folgende Korrespondenzerwägung plausibel zu machen: Da es sich bei der vom Herzen ausgehenden Druckbewegung um eine nach außen gerichtete Bewegung handelt, wird in uns der Eindruck erzeugt, als trage sich das, was wir empfinden, außerhalb von uns zu. Ein anderes Argument, mit dem die Theorie plausibel gemacht werden soll, ist der Vergleich mit den Effekten, die heftige mechanische Einwirkungen auf unsere peripheren Sinnesorgane auf unsere Empfindungen haben: Schlagen oder reiben wir unsere Augen, sehen wir Sterne usw. Hobbes regt an, die Sinneswahrnehmungen in genau dieser Weise zu verstehen. Es ist anzunehmen, dass er sich im Falle gelingender Sinneswahrnehmungen die eingehenden Bewegungen weniger heftig und deswegen differenzierter denkt als etwa bei einem Schlag auf das Auge. Schließlich bringt Hobbes noch ein Analogieargument dafür, dass wir unsere Eindrücke von den Dingen nicht mit ihren tatsächlichen Eigenschaften verwechseln sollten: Bei visuellen Wahrnehmungen durch Spiegel oder im akustischen Fall beim Hören eines Echos sei offensichtlich, dass die visuellen oder akustischen Qualitäten sich nicht in den Objekten, sondern außer ihnen befinden. Objekt und die Wahrnehmung des Objektes seien deswegen zwei völlig verschiedene Dinge. Hobbes scheint diese Argumente für schlagend zu halten. Sicher ist, dass er unsere Sinnesempfindungen für bloßen Schein hält. Dieser Schein wirkt sich insbesondere dadurch irreleitend aus, dass wir unsere Sinnesempfindungen naiv als Eigenschaften von außer uns befindlichen Körpern interpretieren. Hobbes ist in Bezug auf die sinnlichen Qualitäten also nicht nur Skeptiker, sondern Antirealist: die Möglichkeit, dass die Eigenschaften der Außendinge mit unseren sinnlichen Eindrücken von ihnen doch irgendwie übereinstimmen, wird von ihm nicht einmal erwogen. Die einzige reale Verbindung zwischen unseren Sinnesempfindungen und der Außenwelt besteht für ihn in der Kausalbeziehung. Um daher zu einem Wissen über die Körper der Außenwelt zu gelangen, erfordert es, wie sich später zeigt, wissenschaftlich angeleitete Ursachenforschung.
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In De corpore XXV wird die kausale Geschichte der Sinneswahrnehmung wesentlich ausführlicher und auch differenzierter behandelt als im Leviathan. Dies ist vermutlich kein Zufall, sondern verdankt sich der bereits erwähnten untergeordneten Rolle, die die Erkenntnistheorie im Rahmen der politischen Philosophie spielt. Für deren Belange reicht es, wenn der Leser weiß, dass Wahrnehmungen in Wahrheit körperinterne Bewegungen sind, die uns keine direkten Informationen über die Beschaffenheit der Außenwelt verschaffen. Diesem simplen Bild aus dem Leviathan wird in De corpore vor allem noch folgender, wesentlicher Aspekt hinzugefügt: De corpore unterscheidet zwischen einfachen Sinnesaffizierungen und dem, was alltagssprachlich als „Wahrnehmung“ bezeichnet wird (De corpore XXV 5): Was wir gemeinhin als „Wahrnehmung“ bezeichnen, ist demnach schon eine relativ komplexe, urteilsähnliche Leistung, bei der wir eine Mehrzahl verschiedener Sinneseindrücke miteinander abgleichen und unterscheiden. Um dies zu leisten, erfordert es über die genannten körperlichen Voraussetzungen der Sinnesempfindung hinaus noch die Fähigkeit, einmal gemachte Sinneseindrücke zu speichern bzw. zu erinnern, da der Abgleich sonst nicht vorgenommen werden könnte. Das Vermögen, das dies leistet, ist die Vorstellung, von der im folgenden Kapitel die Rede sein wird. Hobbes erklärt diesen fast urteilsartigen Aspekt der Wahrnehmung wiederum kausal als konstante Bewegung, d. h. als konstantes Abgleichen verschiedener einfacher Sinneseindrücke. Eine Möglichkeit dies zu verstehen, wäre, die definiten Sinnesqualitäten als die aus dem Abgleich hervorgehenden Differenzwerte aufzufassen. Hobbes äußert sich dazu aber nicht näher. Ausdrücklich erwähnt er, dass auch Tiere die Fähigkeit zu dieser Art Wahrnehmung haben (De corpore XXV 8). Dieser Zusatz, für das sich im Leviathan kein Äquivalent findet, ist wichtig für das nähere Verständnis des Charakters von Hobbes’ mechanischer Reduktion der Sinnesempfindungen. Er zeigt, wie ernst es ihm mit der Behauptung ist, durch die Angabe der mechanischen Ursachen die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Vorliegen phänomenaler Inhalte zu liefern. Denn dadurch, dass er die von uns alltagssprachlich als „Wahrnehmungen“ bezeichneten Zustände als komplexe, urteilsähnliche Kombinationen einfacher Sinnesempfindungen auffasst, steht nichts mehr im Wege, auch Nicht-Lebendigem die Fähigkeit zu den einfachen Sinnesempfindungen zuzusprechen. Und in der Tat erwägt Hobbes die Option eines „Pansensismus“ ernsthaft (wie es scheint, war Hobbes in seiner philosophischen Frühphase Anhänger pansensistischer Theorien, vgl. Leijenhorst 2002). Er gesteht sogar zu,
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man könne diese Lehre dann, wenn die Erklärung der Sinnesempfindung einzig durch die Gegenbewegung erfolgt, nicht widerlegen (De corpore XXV 5). Für seine eigene Theorie heißt dies, dass das urteilsähnliche Abgleichen mehrerer einfacher Sinnesempfindungen für den eigentlich kognitiven Aspekt der Wahrnehmung konstitutiv ist. Seine mechanische Reduktion phänomenaler Inhalte ist also dann, wenn wir De corpore hinzuziehen, keineswegs so krude, wie es durch die Lektüre des ersten Kapitels des Leviathan den Anschein hat. Aus diesem anspruchsvolleren Bild der Wahrnehmung bei Hobbes ergibt sich jedoch sofort eine weiterführende Frage: Wenn die Wahrnehmungseindrücke bei Tieren und Menschen im Standardfall durch urteilsähnliche Abgleichbewegungen zustande gebracht werden, wer ist kausal für diese Bewegung verantwortlich? Hobbes äußert sich hierzu nicht in klarer Weise. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch bei den definiten Sinnesempfindungen die Lebensgeister dafür verantwortlich sind. Jeffrey Barnouw hat die These vertreten, dass der Abgleich der einfachen Sinnesempfindungen durch die Bewegung (conatus) der Lebensgeister teleologischen Kriterien folgt. Er zog daraus den Schluss, dass diese Bewegung nicht mechanisch reduziert werden kann, sondern „wesentlich physio-psychologisch“ sei (Barnouw 1980, 121). Dies ist insofern plausibel, als dass Hobbes die Bewegungen der Lebensgeister in der Tat in einem finalistischen Vokabular beschreibt, wenn er davon spricht, dass sie auf ihnen förderliche oder hinderliche Bewegungen entsprechend reagieren (De corpore XXV 12). Es ist aber klar, dass er zu keinem Zeitpunkt den Anspruch aufgibt, Zweckursachen vollständig auf Bewegungsursachen reduzieren zu können (De corpore X 7, De homine IX 2). Und auch für die Wahrnehmungsfunktionen bekräftigt er diesen Anspruch z. B. auch im Leviathan ausdrücklich (vgl. Leijenhorst 1996, 90). Wenn er sich bei der Erklärung der Wahrnehmung also eines finalistischen Vokabulars bedient, so ist dies aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als ein Rückfall in teleologische Erklärungsmodelle, sondern als vereinfachende Redeweise aufzufassen (zu möglichen Problemen bei der Reduktion der Strebung auf Bewegungsursachen, vgl. unten K13). K5: Die Philosophenschulen der Christenheit. Diese Kritik an den „Schulen“ – was vor allem den an den damaligen Universitäten regierenden Aristotelismus meint –, ist typisch für Hobbes. In diesem Fall ergibt sich die Kritik aus der gerade vorgestellten Theorie der Sinnesempfindung: Hobbes’ Hauptpunkt war ja, dass die subjektiven Eindrücke, welche die Außendinge auf uns machen, nicht Eigenschaften der Dinge, sondern unsere eigenen Körperzustände sind. Sinnesempfindung gewährt uns
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daher keinen direkten kognitiven Zugang zur Außenwelt. Vor diesem Hintergrund muss der scholastische Realismus in Bezug auf Wahrnehmungsqualitäten naiv erscheinen. Hobbes verübelt den Universitätsphilosophen aber weniger deren Wahrnehmungsrealismus als ihre Versuche, diesen (für ihn offensichtlich falschen) Realismus noch durch einen theoretischen Überbau zu legitimieren und, wie er meint, gesellschaftlich zu institutionalisieren. Dabei kommt heraus, so Hobbes, dass sie phänomenalen und intentionalen Eigenschaften nicht nur externe Realität, sondern auch noch die kausale Eigenschaft zusprechen, Sinne und Verstand mit ihren Formen zu affizieren. Aus Hobbes’ Perspektive begehen sie damit den Fehler, die Erscheinungsweise eines Körpers im Geist selber zu einem Körper zu machen. Über diesen sachlichen Einwand hinaus gießt Hobbes aber auch noch seinen Spott über die Schulphilosophen. Dazu bedient er sich der Etymologie von species, des lateinischen terminus technicus für den in der aristotelischen Wahrnehmungstheorie zentralen Begriff der Form (species kommt von specio, „sehen“, Zur speciesTheorie vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, vgl. Tachau 1988 und Spruit 1994). Da die Scholastiker zwischen sichtbaren, hörbaren und intelligiblen species unterscheiden, fällt es Hobbes leicht, ihnen unter Zugrundelegung der Etymologie von species widersinnige Ausdrücke in den Mund zu legen: „sichtbares Gesehenwerden“ „hörbares Gesehenwerden“, „intelligibles Gesehenwerden“ sind offenbar widersinnige Ausdrücke. Zur Motivation von Hobbes’ häufig und mit viel polemischer Energie vorgebrachter Kritik an den Universitäten lässt sich noch folgendes anmerken. Der Eifer, den er in dieser Hinsicht an den Tag legt, ist vielleicht weniger durch sein aufbrausendes rhetorisches Temperament, als durch die politischen Umstände seiner Zeit zu erklären. Hobbes war der Auffassung, dass die zu seiner Zeit tonangebende scholastisch-aristotelische Gelehrsamkeit so etwas wie eine böse Verschwörung war, die nicht nur falsche Tatsachen in die Welt setzte, sondern von der Kirche absichtlich zur Subversion des weltlichen Staatswesens ins Werk gesetzt wurde. Und er meinte, über die analytischen und sprachkritischen Mittel zu verfügen, der Verschwörung das Handwerk zu legen. Hinter seinen Invektiven verbergen sich daher auch konstruktive Absichten im Sinne eines zu reformierenden Bildungswesens (vgl. Leviathan II 179 f., Behemoth 47). Diese Absichten treten übrigens auch in dem hier abgedruckten Abschnitt aus dem Leviathan zu Tage, wo Hobbes sich (vor allem bei der sprachabhängigen Erkenntnis) wenig Mühe gibt, deskriptive und normative Aussagen über die menschliche Erkenntnis voneinander zu trennen. Zum aufbrausenden Temperament des Philosophen, vgl. folgende
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Anekdote, die sein Biograph J. Aubrey über Hobbes am Hofe des Königs von England berichtet: „Die klugen Köpfe am Hof pflegten ihn zu reizen. Aber er fürchtete keinen von ihnen und machte seine Sache gut. Der König nannte ihn immer den Bären: Hier kommt der Bär, dass man ihn reize.“ (Aubrey, 9) K6: Vorstellung. Im Folgenden entwickelt Hobbes seine Theorie der Vorstellung. Er erklärt Vorstellung als Überbleibsel aus der Kausalgeschichte, die zur Sinnesempfindung führt. Die einzige Annahme, die er dafür zu dem bisher Gesagten hinzuziehen muss, ist das mechanische Prinzip der Trägheit von Bewegungen. Angewandt auf die Sinnesempfindungen bedeutet es, dass es bei den Sinnesempfindungen – so wie bei jeder anderen Bewegung auch – einer externen Ursache in Gestalt einer Druckbewegung bedarf, um ihren Zustand zu ändern. Solange diese Ursache nicht vorliegt, dauert die Sinnesempfindung an. Sinnesempfindungen setzen also nicht von alleine aus, sondern erst dann, wenn sie durch neue Bewegungen verdrängt, oder genauer gesagt, in den Hintergrund gedrängt werden. Denn auch die ‚verdrängten‘ Sinnesempfindungen verbleiben im Körper (Remanenzthese). Mit der Remanenzthese schafft Hobbes die Voraussetzungen für die im Rahmen seiner Theorie grundlegend wichtige Eigenschaft der Kompositionalität mentaler Inhalte bzw. der ihnen zugrundeliegenden Bewegungen: Erst dadurch, dass die Vorstellungen weiterhin im Körper präsent sind, stehen sie für Assoziationen und Kombinationen zu höheren Erkenntnisformen zur Verfügung. Hobbes wird in seiner Theorie davon ausgiebigen Gebrauch machen. Außerdem erlaubt das Trägheitsmodell eine unkomplizierte Erklärung für Phänomene wie z. B. Erinnerung oder selektive Aufmerksamkeit (vgl. dazu Lejienhorst 2004, für die Einheit von Wahrnehmungen, De corpore XXV 6). Die Remanenzthese, so mechanistisch sie klingt und ist, stammt übrigens nicht von Hobbes, sondern von Aristoteles (DA III 3, 428b10–429a9). Hobbes ist, was die Lehre von der Vorstellung und ihren Konsequenzen betrifft, ganz offenbar stark von Aristoteles beeinflusst. Für den latenten Aristotelismus bei Hobbes, vgl. Leijenhorst 2002. K7: Erinnerung. Erinnerung ist für Hobbes material identisch mit Vorstellung. Der Unterschied liegt, wie er sagt, lediglich in der Betrachtungsweise, nämlich darin, dass man bei der Erinnerung den Aspekt des Vergehens von Vorstellungen betont. Der Umstand, dass Hobbes die Erinnerung in seiner Erkenntnistheorie behandelt – und sich nicht nur mit der Vorstellung begnügt –, erklärt sich daraus, dass er die Erinnerung, erstens, für die Erklärung anderer Erkenntnisformen benötigt,
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und er, zweitens, offenbar auch ein Interesse hat, unter Beweis zu stellen, dass seine Methode alle wichtigen Begriffe des Sachgebietes „Erkenntnis“ herleiten kann. Sein (methodologisch begründetes) Bestreben, alle relevanten Termini eines Sachgebietes aus den basalen Begriffen herzuleiten, wird besonders deutlich in seinen späteren Ausführungen zu bekannten menschlichen Emotionen und Gemütszuständen (ab dem vierten Kapitel). Hobbes definiert sie dort, ohne erkennbar zwischen Emotionen, Charaktereigenschaften und Tugenden zu unterscheiden. K8: Erfahrung. Sie wird definiert als Erinnerung an viele Dinge, also kumulierte Erinnerung. Hobbes macht hier auch in synchroner Weise vom Kompositionalitätsprinzip Gebrauch: Die der Erfahrung zugrundeliegenden Erinnerungen und Vorstellungen werden so miteinander verbunden, dass neue Inhalte entstehen, z. T. auch solche, für die es in der Sinnesempfindung keine Entsprechung gibt (Zentaur). K9: Träume. Hobbes erklärt Träume, indem er die externen Bewegungsursachen, die im Wachzustand die Sinnesempfindungen und Vorstellungen hervorrufen, durch interne Ursachen ersetzt. Es gehen nicht mehr neue Bewegungen von außen ein, sondern die im Körper verbleibenden Vorstellungen werden durch thermische oder sonstige Bewegungsursachen sozusagen ‚hervorgeholt‘. Hobbes führt hier ein weiteres Erklärungsprinzip ein: Die Reziprozität der Bewegungen vom Gehirn zu den inneren Teilen und umgekehrt. Beides, sowohl die Erklärung für Träume als auch die Reziprozitätsthese findet sich übrigens schon bei Aristoteles (Träume: De insomniis 2 ff., Reziprozität: De motu animalium 11). Das Beispiel, das Hobbes für die reziproke Verursachung gibt (Zorn führt zu Hitze und Hitze führt im Schlaf zur Vorstellung eines Feindes) dürfte er streng genommen nicht auf diese Weise formulieren. Es widerspricht seinen reduktionistischen Thesen, wenn Zorn – ein intentionaler Zustand – Bewegung auslösen kann. Es ist daher davon auszugehen, dass die Bewegung, die uns als Zorn erscheint, Hitze im Körper verursacht, und diese dann im Schlaf die Zornesbewegung hervorruft. Für eine genauere mechanische Erklärung des Träumens, vgl. De corpore XXV 9. Hobbes’ Bemerkungen zur Frage, ob man wissen kann, ob man wacht oder träumt, richten sich gegen die Überlegungen in Descartes’ Erster Meditation (vgl. Hobbes’ ersten Einwand gegen Descartes in seinen objectiones ad Cartesii Meditationes, opera latina vol. 5, vgl. dazu Bd. 1, S. 129). K10: Erscheinungen und Visionen. Die Erklärung bedarf eigentlich keiner Kommentierung. Dass Erscheinungen, Visionen und ähnliche Dinge im Leviathan einen solchen Raum einnehmen, lässt sich darauf zurück-
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führen, dass zu Hobbes’ Zeiten Geisterglaube und ähnliche Phänomene eine sehr wichtige Rolle im gesellschaftlich-politischen Leben spielten (siehe hierzu und zu seinem Materialismus als Reaktion auf diese Situation, Tönnies 1925, 124–128). Hobbes nutzt die Gelegenheit, um seine mechanische Deutung von Erscheinungen und Visionen gleich noch anthropologisch auf die Entstehung von Naturreligionen, Aberglaube und einige kirchliche sowie scholastische Lehren anzuwenden (vgl. K5) K11: Verstehen. Worte und Zeichen, die die Definition des Verstehens zur Voraussetzung hat, wird Hobbes erst später definieren. Das widerspricht eigentlich den Grundsätzen der resolutiv-kompositiven Methode. Der Grund, weswegen er das Verstehen trotzdem an dieser Stelle behandelt, ist vermutlich, dass es für ihn noch in den Bereich der einfachen Gedanken gehört, deren Behandlung er abgeschlossen haben möchte, bevor er sich den Gedankenketten zuwendet. Einen anderen, sprachabhängigen Typ des Verstehens wird er unten diskutieren (siehe K21) K12: Kette von Vorstellungen. Am Beginn des Abschnitts formuliert Hobbes eine Assoziationsthese. Sie ergibt sich ohne Weiteres aus dem vorher Gesagten. Hobbes betont aber noch einmal, dass sich die Sequenzen von Vorstellungen und Gedanken nicht zufällig, sondern entweder aus der kausalen Eigengesetzlichkeit der ihnen zugrundeliegenden Bewegungen, oder aus der Abfolge ergeben, mit der die Sinneswahrnehmungen ursprünglich stattgefunden haben. Bemerkenswert ist, dass er die Gedankenabfolgen als geistige Rede bezeichnet. Darunter versteht er die vorsprachliche Kombination von Gedanken. Hobbes unterscheidet zwischen gelenkten und ungelenkten Gedankenketten. Sie unterscheiden sich dadurch, dass die gelenkten Gedankenketten durch Absichten oder Strebungen auf bestimmte Ziele hin ausgerichtet sind (vgl. dazu K13), während dies bei den ungelenkten Ketten nicht der Fall ist. Diese werden nicht durch übergeordnete Ziele reguliert, sondern ergeben sich rein durch die kausale Eigengesetzlichkeit der den Vorstellungen zugrundliegenden Bewegungseigenschaften. K13: Gelenkte Gedankenkette. Hier ergibt sich ein ähnliches Problem für die Disposition des Materials, das wir auch schon beim Verstehen in K11 beobachtet haben. Einerseits sollen die Gedankenketten als einheitliche Gruppe vorgestellt werden, andererseits beruhen die gelenkten Gedankenketten auf den Konzepten von Strebung und Absicht und damit auf komplexeren Bewegungen, die bisher im Leviathan noch nicht definiert worden sind. Hobbes wird sie im sechsten Kapitel auf die Lebensbewegungen (Blutkreislauf usw.) zurückführen. Dass er sich hier mit
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„Strebung“, „Absicht“ und „Ziel“ eines teleologischen Vokabulars bedient, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nach wie vor meint, sie vollständig auf Bewegungsursachen reduzieren zu können (De corpore X 7, De homine XI 2). Die Ziele, auf die die basalen Strebungen ausgerichtet sind, begreift Hobbes als die den Lebensbewegungen eigene Bewegungstendenz. Wird diese gehemmt, wird die hemmende Bewegung durch die Lebensgeister gemieden; wird sie befördert oder wiederhergestellt, wird die fördernde Bewegung erstrebt (De corpore XXV 12). Hier ist die Frage, ob Hobbes die von ihm intendierte Reduktion der finalistischen Redeweise auch tatsächlich gelingt. Falls ja, hätten wir es hier mit einer bemerkenswerten Reduktion intentionalen Verhaltens auf reine Bewegungsursachen zu tun. Man kann hier aber geteilter Meinung sein. Um die Reduktion der Final- auf Bewegungsursachen vollständig zu machen, müsste Hobbes eigentlich auch noch zeigen, dass die offenbar selbsterhaltenden Bewegungstendenzen der Lebensgeister, von denen er für die Reduktion von Strebungen usw. Gebrauch macht, ihrerseits ohne teleologisches oder funktionalistisches Vokabular erklärt werden können. Einen solchen Versuch unternimmt Hobbes meines Wissens aber nicht und es ist auch unklar, wie ihm dies auf der Grundlage seiner Begrifflichkeit gelingen könnte. In den Ausführungen zur gelenkten Gedankenkette verstecken sich eine Theorie der Deliberation (als ein Suchen mit Ausgang von der Vorstellung einer Wirkung nach deren Ursachen), eine Theorie des relativ zur Deliberation zweckfreien Untersuchens (Wissbegierde oder Forschen von Ursachen auf mögliche Wirkungen) und eine Theorie der Wiedererinnerung. Bei der Wiedererinnerung ist zu bemerken, dass Hobbes hier den Begriff des Rechnens (reckoning) als Oberbegriff für das bewusste Abgleichen von Vorstellungen einführt. Er wird den Begriff später für seine Vernunfts- und Wissenschaftsdefinition verwenden. K14: Klugheit. Klugheit ist Voraussicht, die sich durch einen Fundus an Assoziationen ähnlicher Vorstellungen erklärt. Die Diskussion des Zeichens ist – trotz der graphischen Hervorhebung im Text – noch Teil der Diskussion der Klugheit. Die Hervorhebung führt sich vermutlich auf den Umstand zurück, dass Zeichen später bei der Diskussion der sprachabhängigen Erkenntnis eine zentrale Rolle spielen werden. Es fällt überhaupt auf, dass Hobbes sich in seiner Erkenntnistheorie nicht daran hält, stringent nur Begriffe von Erkenntnistypen zu definieren. Ein Zeichen ist kein Erkenntnistyp. Klugheit ist ebenfalls eher eine Fähigkeit zu richtigem Urteilen oder eine Charaktereigenschaft als eine Erkenntnisform. Hobbes scheint, wie bereits gesagt, daran gelegen, möglichst viele
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der bekannten mit menschlichen Erkenntnisleistungen im Zusammenhang stehenden Begriffe durch seine Theorie zu erfassen (vgl. K7). K15: Unterscheiden. Mit den bisher erörterten Erkenntnisformen, Hobbes nennt sie hier Fähigkeiten des Geistes (ähnlich Elements 1 „powers of the mind “), schließt Hobbes den Bereich natürlicher Erkenntnisformen ab. Der Besitz aller anderen Erkenntnisformen muss, so Hobbes, durch „Eifer und Fleiß“ und „Unterweisung und Disziplin“ erworben werden. Die natürlichen Erkenntnisformen führt er rein auf Bewegungen zurück. Deswegen konnte er bei der Diskussion der Klugheit diese Fähigkeit noch Tieren zusprechen. Für die spezifisch menschlichen sprachabhängigen Erkenntnisformen macht Hobbes keine physiologischen Gründe geltend, sondern rekurriert auf den Besitz der Sprache und die kulturelle Praktik des Trainings. K16: Zum Abschluss der vorsprachlichen Erkenntnisformen betont Hobbes in erkenntniskritischer Absicht noch einmal die prinzipiellen Beschränkungen, die den Menschen aus ihren natürlichen Erkenntnisquellen erwachsen: Alles, was wir denken oder konzipieren, muss sich auf Sinnesempfindungen zurückführen lassen. Die zusätzlichen Mittel, die uns die sprachabhängigen Erkenntnisformen an die Hand geben, können den Inhalten der natürlichen Erkenntnis nichts hinzufügen, sondern nur auf gewisse Weise arrangieren und ordnen. Dieser Gesichtspunkt ist ausschlaggebend für Hobbes im Folgenden vorgetragene Sprachkritik. Ein besonders wichtiger Anwendungsfall dieser Erkenntniskritik ist die Idee Gottes. Hobbes bestreitet aus den genannten Gründen, dass wir uns eine Vorstellung von Gott machen können (vgl. unten seinen fünften und zehnten Einwand gegen Descartes Meditationen, S. 160 f. und S. 163 f.). K17: Sprache. Hobbes entwickelt im Folgenden seine Theorie sprachabhängiger Erkenntnisformen. Er tut dies unter Beibehaltung der Methode, die er auch schon für die natürlichen Erkenntnisformen in Anwendung gebracht hat (Definition durch Kombination aus Elementen). Die natürlichen (sprachunabhängigen) Erkenntnisformen sind jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie direkt und unmittelbar in Bewegungen bestehen. Dies ist bei den sprachabhängigen Erkenntnisformen für Hobbes nicht mehr der Fall. Sprechakte als solche involvieren nur insofern Bewegungen, als dass der Sprecher seine Zunge bewegt und Laute von sich gibt. Damit es auch zu einem Verstehen der gesprochenen Worte kommt, müssen zwar gleichzeitig mit dem Sprechen auch den Worten entsprechende Vorstellungen abgerufen werden (Elements I 5, 14); die Möglichkeit, nicht nur Vorstellungen, sondern auch deren Namen mit-
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einander zu kombinieren, erlaubt es den Sprachnutzern aber direkt mit den Bezeichnungen für die Dinge zu operieren, ohne sich jedesmal die Einzelgegenstände zu vergegenwärtigen, auf die sich die Namen beziehen. Um im Rahmen dieser Theorie dem menschlichen Sprachgebrauch gerecht werden zu können, müssen dann also auch die Zeichen und Namen kombinierbar sein, obwohl es sich bei ihnen nicht um Bewegungen handelt. Hobbes setzt dies offenbar als selbstverständlich voraus. Dadurch, dass Hobbes Sprache zu einem konstitutiven Faktor menschlichen Denkens macht, unterscheidet er sich von seinen philosophischen Zeitgenossen. Diese haben Sprache meist als Instrument zur Bezeichnung der eigentlichen Inhalte des Geistes, der Ideen, angesehen. Im Unterscheid dazu kann Hobbes gerade aufgrund seiner Theorie sprachabhängiger Erkenntnis mit dem Begriff der Vorstellung auskommen, d. h. ohne Ideenbegriff. Seine ausführliche Theorie sprachabhängiger Erkenntnis findet sich in De corpore I 2–5. K18: Gebrauch der Sprache. Hobbes begreift Sprache im Wesentlichen als ein Instrument zur Abkürzung und Vereinfachung der geistigen Rede, d. h. der Vorstellungssequenzen im Geiste (vgl. K12). Sprache ermöglicht es, eine sonst (in der geistigen Rede) nicht zu bewältigende Masse von Vorstellungen handhabbar zu machen. Ermöglicht wird dies aufgrund der Markierungs- und Bezeichnungsfunktion der Sprache. Die Markierungsfunktion lässt sich erklären durch Hobbes’ Ausführungen zum Verstehen, d. h. dem Erwecken einer Vorstellung durch ein Zeichen (unabhängig davon, ob es sich um sprachliche Zeichen, d. i. Namen, handelt oder nicht, vgl. K11). Das einfache Verstehen ist demnach eine durch Habituierung oder Konvention erworbene Assoziation. Demgegenüber handelt es sich bei der Bezeichnungsfunktion um eine kommunikative Funktion, bei der es darum geht, anderen die eigenen Meinungen und Befindlichkeiten mitzuteilen. Ein Sprachnutzer muss sich dann, wenn er die Sprache versteht, nicht mehr der Mühe unterziehen, sich alle mit der sprachlichen Rede bezeichneten Vorstellungen zu vergegenwärtigen, sondern kann direkt mit den Bezeichnungen arbeiten. Statt Vorstellungen miteinander zu kombinieren, kombinieren die Sprachnutzer nun also Namen. Hobbes’ Modell ist die Tätigkeit des Rechnens: Alle Erkenntnis aus Kombination von Vorstellungen oder Namen versteht er entweder als Differenz oder als Summe aus den kombinierten Elementen (siehe auch K23). Alle Kombinationsformen von Vorstellungen führen sich demnach auf Addition und Subtraktion zurück. Diese Auffassung vom menschlichen Denken als eines Rechnens mit Namen hat Hobbes den Ruf eingetragen, Vorläufer der computationalen
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Theorie des Geistes zu sein. Es ist jedoch zu beachten, dass es bei Hobbes – anders als in dieser Theorie – keine Eigenstruktur des Geistes in Form einer geistigen Sprache oder Syntax (‚mentalesisch‘) gibt. Das Symbolsystem, mit dessen Hilfe unser Geist seine Operationen durchführt, ist für ihn linguistisch, d. h. einzig und allein durch unsere natürliche Sprache, und nicht durch eine geistige Software, vorgegeben (zu diesem Vergleich samt einer historischen Einordung von Hobbes’ Theorie sprachabhängiger Erkenntnis, vgl. Dascal 2006). K19: Gemeinsame Namen. Hobbes’ Sprachtheorie ist konventionalistisch und nominalistisch. Konventionalistisch ist sie, weil Hobbes Namen für durch Willkür oder Übereinkunft festgelegt hält; nominalistisch, weil er die Existenz von Universalien, und zwar sowohl als Realien als auch als Denkgehalte, abstreitet. Allgemeinheit stellt sich allein dadurch her, dass Namen zur Bezeichnung einer Mehrheit von Vorstellungen dienen können. Universalität wird von Hobbes also durch die Möglichkeit der Nicht-Individualität von Bezeichnungsrelationen ersetzt. (Zur Sprachtheorie bei Hobbes und den Unterschieden zum Nominalismus Ockhams und für weitere Literatur, vgl. Esfeld 1995, 152 ff.). K20: Folgerung. Hobbes stellt jetzt seine Theorie der Prädikation und der Wahrheit aus der Zusammensetzung von Namen vor. Prädikationen sind demnach Verbindungen von Namen. Sie sind wahr, wenn das Prädikat das Subjekt in sich enthält, falsch, wenn dies nicht der Fall ist. Seine folgenden Anmerkungen zur Definition, zu den möglichen Gegenständen von Namen usw. dienen nicht nur der Einteilung, sondern werden von Hobbes auch in normativer Absicht vorgebracht, um damit zum richtigen wissenschaftlichen Arbeiten anzuleiten. Dies gilt in noch höherem Maße von der anschließenden Wissenschaftstheorie. Hobbes’ Wahrheitstheorie ist schon früh kritisiert worden. Stein des Anstoßes war, dass bei der gegebenen Konventionalität von Namen, Sprachen und Definitionen auch die Wahrheit konventionell und damit letztlich arbiträr wäre. Descartes hielt die Theorie deswegen sogar für gefährlich und fragte, wie es auf Grundlage dieser Theorie möglich sein sollte, dass, wenn Menschen mit Wörtern/Namen denken, ein Engländer und ein Franzose je denselben Gedanken haben. Und Leibniz machte trotz Sympathien geltend, dass z. B. der Umstand, dass wahre universelle Aussagen in unterschiedlichen Notationssystemen formuliert werden können (etwa ein arithmetischer Sachverhalt in einem Dezimal- oder einem Duodecimalsystem), stark gegen die bloße Konventionalität von Definitionen spreche (Leibniz 2004, 589, vgl. Dascal 2006). Die Einwände treffen allerdings nicht. Hobbes anerkennt sehr wohl ein
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Kriterium für die Korrektheit von sprachlichen Ausdrücken: Sie müssen nämlich jederzeit auf die durch sie bezeichneten Vorstellungssequenzen zurückführbar bzw. in der Lage sein, diese als erste Ursachen zu erklären (siehe K17). Was also den Ausschlag auch für die semantische Richtigkeit sprachlicher Aussagen gibt, ist die kausale Verbindung, die zwischen den sprachlichen Ausdrücken (wie komplex auch immer) und den von ihnen bezeichneten Vorstellungen besteht. Diese führen sich für Hobbes nur eben nicht auf mentale Objekte (Ideen) zurück, sondern auf ihre körperlichen Ursachen. K21: Verstehen. Nicht zu verwechseln mit der sprachunabhängigen Form des Verstehens, von der in K11 die Rede war. Der basale Vorgang ist jedoch bei beiden Formen des Verstehens derselbe: Ein Zeichen (ob sprachlich oder nicht) ruft eine Vorstellung hervor. K22: Leidenschaften. Von Hobbes im sechsten Kapitel diskutiert. Zur Weise, wie er Affekte und Emotionen auf Bewegungsursachen reduziert, vgl. K13. K23: Nutzen der Vernunft. Hobbes fasst Vernunft genau so wie alle anderen diskursiven Erkenntnisformen als Form des Rechnens mit Vorstellungen auf. Der Unterschied ist, dass die Vernunft nur von allgemeinen Namen ausgeht und beim ‚Rechnen‘ mit ihnen systematisch verfährt. Dieser Systematizitätsanspruch an Vernunft und Wissen zeigt sich auch hier im Abschnitt zu ihrem Nutzen: Hobbes betont, dass es nicht bestimmte Gehalte sind, deren Erkenntnis Ziel und Zweck der Vernunft sind, sondern vielmehr der systematische Begründungszusammenhang von den ersten Prinzipien bis hin zu den letzten Folgerungen. Zur Vernunft und Wissenschaft, siehe den Einleitungsteil. 3.2.2. Auszüge aus Hobbes’ Einwänden gegen Descartes’ Meditationen (1641) K24: Dies ist eine extrem kurz gefasste Andeutung der gesamten Hobbesschen Erkenntnistheorie wie sie dann später im Leviathan I 1– 6 ausgeführt wird. K25: Interessant ist, dass Hobbes hier den Begriff „Idee“ in mehr oder weniger exakter Weise bestimmt als „eine Vorstellung haben“ und dass er dies mit dem Denken kontrastiert. Sein Begriff der Idee ist hier – anders als dies in dem vergleichsweise losen Wortgebrauch im Leviathan der Fall zu sein scheint – ausschließlich der eines körperlichen Bildes (vgl. auch Hobbes’ Ausdruckweise im folgenden, fünften Einwand: „Idee oder Bild“).
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K26: Vermutlich ist Alexander von Aphrodisias gemeint (z. B. in librum de sensu commentarium, 112, 2–8). K27: Vgl. hierzu die erkenntniskritischen Gründe, die Hobbes im Leviathan dafür geltend macht, die Existenz einer Idee bzw. einer Vorstellung Gottes zu bestreiten (Bd. 1, S. 143, Z. 450–473 und die Einwände 7, 9 und 10). Aus der Hobbesschen Perspektive geht Descartes mit seiner Behauptung einer Idee Gottes nicht nur weit über das hinaus, was mögliches Objekt unserer Erkenntnis sein kann, sondern er benutzt dies auch noch, um damit die Existenz der Welt und anderes mehr zu beweisen. K28: Hobbes’ Kritik läuft hier darauf hinaus, dass Tätigkeiten wie Streben, Wollen und Affekte nicht nach dem Modell von Ideen verstanden werden sollten. Seiner Auffassung nach handelt es sich dabei vielmehr um komplexe Zustände, bei denen der körperliche Zustand des Lebewesens, das eine gegebene Vorstellung hat, in bestimmter Weise auf den Inhalt dieser Vorstellung reagiert. Beides zusammen, die Vorstellung und die körperliche Reaktion, machen dann den Charakter dieser komplexen mentalen Zustände aus. Hobbes wendet sich ausdrücklich gegen Versuche, diese Zustände allein als kognitive Inhalte zu verstehen. Eine ganz ähnliche Kritik findet sich bei Elisabeth Anscombe und ihrer Kritik an Lockes’ und Humes’ Konzept des Wollens als „internal impression“ (Intention § 40). K29: In diesem und den folgenden Einwänden insistiert Hobbes auf seinem eigenen Begriff der Idee als eines materiellen Bildes. In seiner Antwort auf den achten und neunten Einwand weist Descartes die Kritik daher mit einem Verweis auf die unterschiedliche Terminologie zurück. K30: Hobbes scheint hier eine Auffassung von „angeboren“ zu vertreten, die mit einem dispositionalen Verständnis unvereinbar ist. Es gibt dafür jedoch keinen guten Grund. Der Begriff des Angeboren-Seins einer Eigenschaft oder einer Erkenntnis ist in keiner Weise unverträglich mit dem Gedanken, dass das, was uns angeboren ist, in einer Disposition, diese Eigenschaft oder diese Erkenntnis zu erwerben, besteht. Descartes’ Antwort auf den Einwand macht klar, dass er seine Behauptung, die Idee Gottes sei uns angeboren, in dispositionaler Weise verstanden wissen will.
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3.3 Essay: Wie ist Hobbes’ Reduktion der Sinnesempfindungen zu verstehen? Kurz gesagt besteht Hobbes’ Erkenntnistheorie in dem Versuch, alle unsere Erkenntnisformen auf Kombinationen von Sinnesempfindungen, und die Sinnesempfindungen ihrerseits auf Körperbewegungen zu reduzieren. Im Resultat handelt es sich also um die Reduktion aller unserer Erkenntnisformen auf Körperbewegungen. Sinnesempfindungen haben aus diesem Grund für Hobbes’ Erkenntnistheorie eine besonders wichtige Stellung: Sie sind das Verbindungsglied zwischen der kausal wirksamen Körperwelt und unseren Erkenntnisgehalten (vgl. De corpore XXV); wenn sie sich auf Körperbewegungen reduzieren lassen, dann sind gleichzeitig auch alle anderen, von ihr abhängigen Erkenntnisformen davon betroffen. Ich möchte diese Schnittstelle in Hobbes’ System jetzt etwas genauer unter die Lupe nehmen. Wenn man seinen Äußerungen trauen darf, geht es ihm bei dieser Reduktion um nichts anderes als darum, die phänomenalen Inhalte unserer Sinnesempfindungen auf Körperbewegungen zu reduzieren: Und dieser Anschein [seeming] oder diese Einbildung [fancy] ist, was die Menschen Sinnesempfindung nennen, und besteht, was das Auge betrifft, in einem Licht oder gestalteten Farbe, für das Ohr in einem Laut, für die Nase in einem Geruch, für Zunge und Gaumen in einem Geschmack und für den übrigen Körper in Wärme, Kälte, Hitze, Weichheit und anderen derartigen Qualitäten, wie wir sie durch das Gefühl [feeling] unterscheiden. Alle diese Qualitäten, die man sinnlich wahrnehmbar [sensible] nennt, sind in dem Objekt, das sie verursacht, nur lauter einzelne Bewegungen der Materie, durch die sie auf unsere Organe in verschiedener Weise einen Druck ausübt. Auch auf uns, auf die der Druck ausgeübt wird, sind sie nichts anderes als verschiedenartige Bewegungen (denn Bewegung erzeugt nichts anderes als Bewegung). Aber ihr Erscheinen vor uns ist Einbildung, im Wachen wie im Träumen. (Leviathan 1; Bd. 1, S. 133).
Der „Anschein“ und die „Einbildung“ sind für Hobbes offenbar die Inhalte unserer subjektiven Wahrnehmungen – ihre phänomenalen Inhalte.6 Von ihnen sagt er in der für ihn typischen Formulierung, dass sie in „nichts anderem“ bestehen als in Bewegungen. Die Frage, die ich hier nun stellen möchte, ist, wie Hobbes sich das Verhältnis von den phänomenalen Inhalten zu den Körperbewegungen genauer vorgestellt hat: 6
Vgl. auch ebda. „Einzeln [sind unsere Gedanken, KC] sind sie jeder eine Repräsentation oder Erscheinung einer Qualität oder eines anderen Akzidens eines Körpers außerhalb von uns …“. Hobbes meint die phänomenalen Gehalte unserer Sinnesempfindungen.
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welchen Status haben die phänomenalen Inhalte in seiner Theorie, abgesehen davon, dass sie auf Körperbewegungen reduziert werden? Der Grund, weshalb ich der Frage nachgehen möchte, ist, dass erst dann, wenn wir uns hierüber ins Klare gesetzt haben, eine Evaluierung der Hobbesschen Theorie des Geistes möglich scheint. Diese Theorie ist eines der Paradebeispiele für reduktiv-materialistische Theorien. Solche Theorien sehen sich mit einem Standardvorwurf konfrontiert. Der Vorwurf besteht darin, dass sie ein triviales Kriterium nicht erfüllen und auch nicht erfüllen können: Theorien sollten in der Lage sein, ihren Gegenstand zu erklären. Der reduktive Materialismus, so der Vorwurf, kann auf dem Gebiet des Geistes die zentrale und charakteristische Eigenschaft mentaler Phänomene, nämlich deren subjektive Erlebnisqualität, nicht erklären: Physikalisches Vokabular sei dazu prinzipiell nicht in der Lage (vgl. etwa Nagel 1979, 165–180). In Hobbes’ Fall würde dies heißen, dass ihm seine Reduktion von phänomenalen Inhalten auf Körperbewegungen deswegen nicht gelingt – und nicht gelingen kann – weil Körperbewegungen diese Erklärungsleistung nicht erbringen können. Um nun beurteilen zu können, ob der Vorwurf auf Hobbes zutrifft, möchte ich die Hobbessche Erklärung unter zweierlei Aspekten untersuchen. Zum Einen ist dies die Frage, wie er mit seiner Reduktion der Sinnesempfindung ontologisch umgeht. Hierfür scheint die Frage nach dem Verhältnis des phänomenalen Inhalts von Sinnesempfindungen zu Körperbewegungen von zentraler Bedeutung. Zum Anderen die mechanische Reduktion selbst: Kann, und wenn ja, wie kann Hobbes die Reduktion phänomenaler Inhalte gegen den Standardvorwurf verteidigen? 3.3.1 Das Verhältnis von Körperbewegung und phänomenalem Inhalt Schaut man auf Hobbes’ explizite Äußerungen, liegt es nahe, an ein Verhältnis der Identität zu denken. Er sagt immer wieder, dass unsere Eindrücke von den Dingen in Wahrheit „nichts anderes als“ Körperbewegungen seien. Eine natürliche Auslegung der Formulierung, „x ist nichts anderes als y“, ist, dass x dasselbe wie y, also identisch mit ihm ist. Demnach sind die Sinnesdaten, die wir von der Außenwelt haben, mit Körperbewegungen identisch. Hobbes sagt aber auch, dass die Sinne uns betrügen (Elements I, II 10) und dass es ein großer Fehler ist, unseren Sinneseindrücken eine extramentale Realität zuzusprechen. Der Bewegung dagegen spricht er extramentale Realität zu.
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Wenn wir also von einer Identität sprechen wollen, so bedarf dies der Qualifizierung. Schauen wir in den Text! Am Anfang des Leviathan heißt es: Einzeln sind [unsere Gedanken, KC] (…) jeder eine Repräsentation [representation] oder Erscheinung [appearance] einer Qualität oder eines anderen Akzidens eines Körpers außerhalb von uns, den man für gewöhnlich ein Objekt nennt. Dieses Objekt wirkt auf die Augen, Ohren und anderen Teile des menschlichen Körpers ein; und durch die verschiedenartigen Einwirkungen erzeugt es verschiedenartige Erscheinungen. (Leviathan 1; Bd. 1, S. 132)
Hobbes spricht hier von den phänomenalen Inhalten der Sinnesempfindung. Er nennt sie „Repräsentation oder Erscheinung“. Einen irgendwie aufgeladenen Begriff der Repräsentation können wir hier ausschließen. Hobbes meint nur, dass es sich um Erscheinungen handelt. Er meint nicht, dass die Erscheinungen in irgendeiner anderen als kausalen Beziehung zu den Gegenständen der Außenwelt stehen. Interessant für unsere Frage nach dem Verhältnis von Körperbewegung und Inhalt der Sinnesempfindung ist, dass Hobbes die mit mentalen Prädikaten bezeichneten Zustände („Repräsentation und Erscheinung“) auf Qualitäten bezieht, wobei er die Qualitäten ihrerseits unter den Begriff des Akzidens fasst. Phänomenale Inhalte sind demnach Erscheinungen von Akzidentien von Körpern, die auf unsere Sinnesorgane einwirken. Damit ist allerdings noch nicht viel gewonnen. Denn abgesehen davon, dass Hobbes Repräsentationen und Erscheinungen als Repräsentationen und Erscheinungen von Akzidentien der Außenweltkörper begreift, scheint der Satz noch völlig unklar. Was meint Hobbes? Sind unsere Gedanken Erscheinungen von Akzidentien der Körper oder sind die Erscheinungen selbst deren Akzidentien? Sein Begriff des Akzidenz scheint in dieser Beziehung äquivok. Solange wir nicht wissen, ob für Hobbes die Erscheinungen objektiv Akzidentien der Körper oder subjektiv Erscheinungen von Akzidentien der Körper sind, so scheint es, können wir die Frage nach dem Verhältnis von Sinnesempfindungen und den ihnen zugrundeliegenden Körperbewegungen nicht klären. Schauen wir uns dafür seinen Begriff des Akzidens etwas näher an. 3.3.2 Die Unterscheidung von Körper und Akzidens 1 In Hobbes’ Ontologie fungiert der Begriff ‚Akzidens‘ als Gegenbegriff zu ‚Körper‘. Mit der Unterscheidung möchte er einen materialistischen Ersatz für die in der scholastischen Tradition grundlegende Unterschei-
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dung zwischen Substanz und Akzidens schaffen. In seiner Schrift De corpore definiert er das Akzidens als die Art und Weise, wie ein Körper begriffen wird (De corpore VIII 2). Das heißt, dass zunächst einmal alle Eigenschaften, mit denen die Dinge der Außenwelt uns erscheinen, deren Akzidentien sind. Dies spricht zunächst stark für die subjektive Lesart. Diese Deutung wird dadurch unterstützt, dass De corpore ebenso wie der Leviathan Akzidentien in subjektiv-erkenntnistheoretischer Weise als Erscheinungsbilder der Körper in uns, den wahrnehmenden Subjekten, begreifen. Die Akzidentien heißen im Gegensatz zur traditionell-scholastischen Auffassung, der zufolge es sich dabei um objektive Eigenschaften der Körper handelt, hier also gerade deswegen Akzidentien, weil es sich bei ihnen nicht um Eigenschaften der Körper selbst handelt (De corpore XXV 10). Körper verhalten sich für Hobbes in dieser Hinsicht komplementär zu Akzidentien: Körper sind per definitionem das, was von den subjektiven Erscheinungsweisen in uns unabhängig, und außer uns für sich besteht (De corpore VIII 1). Welche Eigenschaften die Körper selbst haben, wird uns durch die Akzidentien also nicht zu erkennen gegeben. Dies, meint Hobbes, müssen wir uns durch Vernunft erst erschließen. Die Akzidentien von Körpern sind mit unseren Sinnesempfindungen und Eindrücken, die wir von den Körpern haben, identisch. Die Erscheinung einer Qualität ist das Akzidens des Körpers, der diese Erscheinung verursacht, die derart erscheinende Qualität ist aber nicht die Qualität des Körpers selbst.7 Man könnte daraus folgern, dass für Hobbes eine objektive Interpretation des Akzidens sogar ausgeschlossen werden kann: Wenn wir mit unseren Sinnen Zugang nur zu den Akzidentien von Körpern haben und Körper per definitionem unseren Sinnen nicht zugänglich sind, dann können die Akzidentien nicht Eigenschaften der Körper sein. Eine solche Folgerung wäre aber voreilig. Wie wir im Einleitungsteil gesehen haben, ist Hobbes insofern Empirist, als dass er alle weitere Erkenntnis aus der Sinnesempfindung ableitet. Von daher kann es für ihn neben der Sinneswahrnehmung nicht noch andere Erkenntnisquellen geben, aus der die Vernunft schöpfen kann, wenn sie die tatsächlichen Eigenschaften der Körper ermittelt. Wenn Akzidentien die Weisen sind, in denen Körper uns erscheinen, werden also auch die Eigenschaften, die die Körper selbst haben, in der einen oder anderen Weise Akzidentien sein müssen.
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Dies korrespondiert mit dem, was ich im Einleitungsteil als Hobbes’ „Antirealismus“ bezeichnet habe, vgl. Bd. 1, S. 121.
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3.3.3 Die Unterscheidung von Ursache und Wirkung Nun ist eine Weise, ein objektives Verständnis von Akzidentien zu vertreten, sie als Ursachen zu begreifen. Dazu passt Hobbes’ Definition der Effekte von Ursachen, nämlich der Wirkungen als „Fähigkeiten oder Vermögen der Körper, durch die wir sie voneinander unterscheiden, also begreifen (concipere), dass der eine dem anderen gleich oder ungleich ist.“ (De corpore I 4). Hier scheint eine ganz ähnliche Definition vorzuliegen wie beim Akzidens, das ja als Art und Weise, wie ein Körper begriffen wird, definiert wurde, nur dass es sich diesmal um eine objektive Bestimmung handelt. Ursachen scheinen also genau die Akzidentien zu sein, die den Körpern selbst zukommen und die die Ursachen für unsere Eindrücke von diesen Körpern sind. Und dies scheint in der Tat auch Hobbes’ eigener Auffassung zu entsprechen: Es versteht sich aber, dass das Wirkende seine bestimmte Wirkung im Leidenden entsprechend dem bestimmten Modus bzw. bestimmten Akzidens oder den bestimmten Akzidentien hervorbringt, mit denen sowohl es selber als auch das Leidende ausgestattet ist; also nicht deswegen, weil sie überhaupt Körper sind, sondern weil sie so beschaffen sind oder sich so bewegen. Andernfalls würden nämlich alle wirkenden Dinge in allen leidenden die gleichen Wirkungen hervorbringen: sind sie doch alle gleichermaßen Körper. Daher macht das Feuer zum Beispiel nicht deswegen warm, weil es ein Körper ist, sondern weil es warm ist, und stößt ein Körper nicht deswegen den anderen, weil er ein Körper ist, sondern weil er sich zu dessen Ort hinbewegt. Die Ursache für alle Wirkungen liegt daher in bestimmten Akzidentien der wirkenden Dinge und des leidenden, bei deren vollzähliger Anwesenheit die Wirkung hervorgebracht wird; fehlt aber eines, so wird sie nicht hervorgebracht. Das Akzidens des Wirkenden oder auch des Leidenden, ohne welches die Wirkung nicht hervorgebracht werden kann, heißt die Ursache sine qua non und bedingt notwendig sowie zur Hervorbringung der Wirkung erforderlich. Die Ursache schlechthin oder vollständige Ursache ist aber die Gesamtheit aller Akzidentien sowohl in sämtlichen wirkenden als in dem leidenden Ding, bei deren Unterstellung als vollzählig es undenkbar ist, dass die Wirkung nicht ineins damit hervorgebracht wird, wie es bei der Unterstellung des Fehlens irgendeines davon undenkbar ist, dass die Wirkung hervorgebracht wird. (De corpore IX 3, Hervorhebungen von Hobbes)
Es kann also durchaus sein, dass die Doppeldeutigkeit des Akzidensbegriffs im Leviathan, von der wir vorhin sprachen, von Hobbes absichtlich in Kauf genommen wird. Denn nicht nur die subjektiven Erscheinungsweisen der Körper außerhalb von uns sind für ihn Akzidentien, sondern auch die objektiven Eigenschaften der Körper selbst. Hobbes glaubt, dass alle weitere Erkenntnis sich von der Sinneswahrnehmung herleitet. Ihm steht daher neben der Sinneswahrnehmung kein anderer Lieferant für die wirklichen Eigenschaften der Körper zur Verfügung. In seinem
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philosophischen Projekt kann es deswegen nicht darum gehen, unsere subjektiven Eindrücke, die wir von der Welt haben, durch eine andere, von unseren Eindrücken unabhängige Weltbeschreibung zu ersetzen. Es kann nur darum gehen, unter den zahlreichen Akzidentien, mit denen sich uns ein gegebener Körper präsentiert, genau diejenigen auszuwählen, die sich als notwendig erweisen, um alle seine (übrigen) Akzidentien zu erklären. Hobbes’ Aussage, der zufolge die wahren Eigenschaften der Dinge uns nicht durch die Sinne präsentiert, sondern durch Vernunft erst erschlossen werden müssen, meint genau dies: auf methodisch abgesicherte Weise diejenigen Akzidentien eines gegebenen Körpers ermitteln, die sich durch die Forschung als Ursachen aller seiner Akzidentien erweisen.8 3.3.4 Die Unterscheidung von Körper und Akzidens 2 Was bedeutet dies für unsere Frage nach dem Status phänomenaler Inhalte in Hobbes’ Philosophie? Zunächst einmal zeigt es, dass Hobbes wissenschaftliche Erkenntnis als eine Art Prozessierung von Sinnesdaten (Erscheinungen) begreift. Dabei heißen sowohl die prozessierten, als auch die unprozessierten Daten „Akzidentien“ von Außenkörpern. Ursächliche Akzidentien der Außenkörper sind diejenigen Sinnesempfindungen, die durch die wissenschaftliche Forschung prozessiert, und sich dabei als Ursachen der anderen Akzidentien herausgestellt haben, während die anderen Sinnesempfindungen entweder unprozessierte Daten oder solche prozessierten Akzidentien sind, die sich im Verlauf der Forschung nicht als ursächliche Akzidentien herausge-
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Genau genommen, sind bei Hobbes nicht alle Begriffe der Wissenschaft in diesem Sinne Akzidentien. Die basalen Begriffe seines Systems, der Begriff des Körpers und der der Bewegung, sind selbst keine direkt wahrnehmbaren Eigenschaften. Die Konzepte des Körpers und der Bewegung stehen für Hobbes deswegen am Anfang seiner Wissenschaft, weil er meint, dass für sie keine anderen Ursachen denkbar, sie selbst aber Ursache für alles andere seien (De corpore VI 12). Alle übrigen Qualitäten, mit denen Körper voneinander unterschieden werden (d. h. die Akzidentien im objektiven Sinne sind), führen sich epistemisch auf Akzidentien im subjektiven Sinne zurück. Akzidentien sind im Hobbesschen System also mitnichten etwas Schlechtes, vgl. De corpore VIII 23, wo Hobbes auch das, „was gewöhnlich die Wesenheit“ heißt, d. h. das definierende Wesensmerkmal, als Akzidens bezeichnet.
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stellt haben.9 Deren Inhalte sind – im Sinne der subjektiven Lesart – solche Akzidentien, die nicht den Körpern selbst, sondern zunächst einmal nur uns zu Eigen sind. Und dies scheint auf die Inhalte unserer Sinnesempfindungen zuzutreffen. All dies scheint aber nicht weiterzuhelfen. Denn wenn die Definition des Akzidens darin besteht, subjektive Erscheinungsweise der Dinge der Außenwelt zu sein, so ist schwer einzusehen, was durch die Untersuchung gewonnen wäre, wenn wir nun wissen, dass die Erscheinungen und Repräsentationen Akzidentien im subjektiven Sinne sind: Wir wissen jetzt zwar, dass die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung für Hobbes Akzidentien sind, bei „Akzidens“ und „Erscheinung“ bzw. „Repräsentation“ scheint es sich aber schlicht um austauschbare Begriffe zu handeln: Wenn Erscheinungen Akzidentien der Außendinge repräsentieren und Akzidentien die subjektiven Erscheinungsweisen der Außendinge sind, sind wir, so scheint es, keinen Schritt weiter. Schlimmer noch: Vor diesem Hintergrund muss Hobbes’ oben zitierte Definition der Sinnesempfindung als Akzidentien nun sogar zirkulär erscheinen. 3.3.5 Drei Weisen, nach dem Akzidens zu fragen Der Eindruck der Zirkularität wäre jedoch falsch. Es ist, wie in der Einleitung gesagt, ja gerade eine der Hauptpointen der Hobbesschen Philosophie, dass die Erscheinungsweisen der Dinge, obwohl es nur unsere subjektiven Erscheinungsweisen sind, epistemisch unhintergehbar sind. Von daher ist es konsequent, auch bei der Definition der Sinnesempfindung nicht mit dieser Grundüberzeugung zu brechen, sondern im Gegenteil den Scheincharakter der Außenwelt in die Definition aufzunehmen. Hobbes’ Definition wäre nur dann zirkulär, wenn es das Definiens der Sinnesempfindung wäre, Repräsentation oder Erscheinung eines Außenkörpers zu sein. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr ist es so, dass „Repräsentation oder Erscheinung einer Qualität oder eines anderen Akzidens eines Körpers außerhalb von uns“ insgesamt Definiendum ist. Das Definiens besteht in der kausalen Erklärung für das Zustandekommen dieser Erscheinung aufgrund der Einwirkungen des Außen9
Leijenhorst 2002 sieht den Unterschied zwischen objektiven und subjektiven Akzidentien nicht, wie hier angeregt, auf einer Skala der Ursächlichkeit (oder explanatorischen Kraft), sondern meint, Hobbes arbeite mit zwei verschiedenen Definitionen des Akzidens.
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körpers. Hobbes geht also von vorne herein davon aus, dass die phänomenalen Inhalte unserer Sinnesempfindungen subjektive Erscheinungsweisen von außer uns befindlichen Körpern sind. Die Definition ist damit nicht zirkulär, sondern – so wie es die resolutiv-kompositive Methode fordert –, eine genetische Kausalerklärung des Zustandekommens von Sinnesempfindungen. Dass Sinnesempfindungen Erscheinungen von Akzidentien sind, steht für Hobbes von vorne herein fest. Unsere Untersuchung des Akzidens als mögliches Definiens der Sinnesempfindung ist also nicht ganz umsonst gewesen. Immerhin wissen wir jetzt, dass, und in welcher Weise Sinnesempfindungen Akzidentien sind: Sie sind es nicht aufgrund der Tatsache, dass sie Wirkungen von außer uns befindlichen Körpern sind, sondern aufgrund irgendeines tiefer liegenden Umstandes. Eines Umstandes, der Hobbes dazu bringt, sie von vorne herein als Akzidentien zu betrachten. Was könnte dies sein? Werfen wir dafür einen Blick auf das, was Hobbes sonst noch zum Akzidens zu sagen hat: Wie wir gesehen haben, definiert De corpore VIII 2 das Akzidens als Art und Weise, wie ein Körper begriffen wird. Diese Definition ist allerdings das Resultat einer komplizierten, und für Hobbessche Verhältnisse nachgerade dialektischen Diskussion um das Wesen des Akzidens. Für das Weitere ist es sinnvoll, die Diskussion kurz wiederzugeben. Hobbes beginnt mit der Feststellung, dass das Akzidens nicht einfach zu definieren sei. Er gibt daher Beispiele: Die Ausgedehntheit eines Körpers ist nicht der Körper selbst. Ebenso, wenn sich der Körper fortbewegt, ist weder seine Ortsversetzung, oder, wenn er stehen bleibt, seine Nicht-Ortsversetzung der Körper selbst. Hobbes schließt, dass es sich bei diesen Dingen um Akzidentien der Körper handelt. Er vollzieht dann eine dialektische Wendung und begibt sich in die Perspektive desjenigen, der wissen will, was das Wesen des Akzidens als solches ist, also – um in den Beispielen zu reden – was Ausgedehntheit (i), was Ortsversetzung (ii) und was Nicht-Ortsversetzung (iii) sind: (a) Doch fragen wir ja genau nach dem Wesen des Akzidens. Damit fragen wir allerdings nach etwas, das wir schon verstehen, und nicht nach dem, was der Frage bedurfte. Denn es gibt sicher niemanden, der nicht jederzeit und auf einerlei Weise die Aussage verstünde, etwas sei ausgedehnt oder bewege sich oder bewege sich nicht. Die meisten möchten indessen, dass man ihnen sage, „das Akzidens ist etwas“, nämlich ein Bestandteil der Naturdinge, wo es in Wahrheit doch kein Teil davon ist. (De corpore VIII 2)
Hobbes weist hier die Frage nach dem Wesen des Akzidens als solchem zurück: Die Fragen, was Ausgedehntheit (i), was Ortsversetzung (ii) und
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was Nicht-Ortsversetzung (iii) als solche sind, fragen nach etwas, was der Frage nicht bedarf, weil es bereits vollständig evident ist: Jeder weiß, was gemeint ist, wenn er nach etwas fragt, womit er bereits durch seine Sinne bekannt gemacht wurde. Zu fragen, was Röte ist, was ein bestimmter Ton oder eine Tastempfindung ist, die man gerade hat oder gehabt hat, heißt nach etwas zu fragen, was man schon kennt. Hobbes hält die Frage nach dem Wesen des Akzidens, wenn man sie in dieser Weise stellt, für sinnlos. Er weiß aber natürlich, dass die meisten Menschen mit der Frage nach dem Wesen des Akzidens nicht einfach durch einen Verweis auf ihre eigene Erfahrung vertröstet werden wollen, sondern mehr wollen: Sie wollen die Frage, was die Akzidentien selber sind, beantwortet haben. Hobbes hält dieses Ansinnen für grundsätzlich verfehlt. Er meint, solche Fragesteller („die meisten“) begehen einen schwerwiegenden ontologischen Fehler. Der Fehler besteht darin, das Akzidens als einen objektiv existierenden Gegenstand, als ein Ding in der Außenwelt, zu behandeln, was das Akzidens aber gerade nicht ist (bei Hobbes schon per definitionem). Warum meinen die Fragesteller dies? Hobbes’ Erklärung basiert auf Sprachkritik. Es ist die Struktur unserer Sprache, die uns dazu verleitet, alle Dinge, die wir mit einem abstrakten Namen bezeichnen, nur deswegen, weil sie sich grammatisch so verhalten wie wirkliche Naturdinge, auch als Naturdinge anzusehen (De corpore III 4). Damit ist die Diskussion des Akzidens jedoch noch nicht beendet. Hobbes untersucht jetzt noch aus wissenschaftlich-methodologischer Perspektive, in welchen Zusammenhängen wissenschaftlich sinnvoll nach Akzidentien gefragt werden kann: Er geht dabei von einer scholastischen Definition des Akzidens aus (auf die er sich positiv bezieht und die er auch seiner eigenen Definition zugrunde liegt) als „Fähigkeit des Körpers, durch die er uns seinen Begriff einprägt“ und merkt an: (b) Diese Definition ist zwar keine Antwort auf das, was da gefragt wird [nämlich die Definition nach Art eines Naturdinges, KC], gleichwohl aber auf das, was der Frage bedarf, nämlich: „Woher kommt es, dass der eine Teil des Körpers hier, der andere dort erscheint?“ Denn darauf wird die richtige Antwort sein: „Wegen seiner Ausdehnung“ (i); oder: „woher kommt es, dass der Körper als ganzer bald hier, bald dort zu sehen ist?“, und die Antwort wird sein: „Wegen seiner Bewegung“ (ii); oder schließlich: „Woher kommt es, dass er eine Zeitlang denselben Raum einzunehmen scheint?“, so dass zu antworten ist: „Weil er sich nicht bewegt“ (iii). (De corpore VIII 2)
Hobbes führt an den drei Beispielakzidentien „Ausgedehntheit“, „Bewegung“ und „Nicht-Bewegung“ vor, auf welche Fragen die Angabe abstrakter Namen von Akzidentien eine sinnvolle Antwort darstellen
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kann. Es sind dies nicht Fragen nach der Wesensdefinition von Dingen, sondern entweder Fragen, in denen nach einem sprachlichen Ausdruck gefragt wird, der mit den Beschreibungen bestimmter Erscheinungsweisen von konkreten Körpern bedeutungsäquivalent ist: Ein Körper, der als ganzer mal hier und mal dort erscheint, erscheint deshalb in dieser Weise, weil er ein bewegter Körper ist usw., und dies ist es, was es für Hobbes im Sinne der Nominaldefinition bedeutet, ein bewegter Körper zu sein (De corpore III 3, VI 13, VIII 10). Fragen nach dem Akzidens sind also dann sinnvolle Fragen, wenn es sich dabei um Fragen nach der Bedeutung von Namen handelt. Hobbes fährt fort: (c) Stellt man nämlich beim Namen eines Körpers, also bei einem konkreten Namen, die Frage nach seinem Wesen, so ist mit einer Definition zu antworten. Die Frage bezieht sich nämlich nur auf die Bedeutung des betreffenden Ausdrucks. Stellt man dagegen bei einem abstrakten Namen die Frage nach seinem Wesen, so bezieht sich die Frage auf die Ursache dafür, dass etwas so oder so erscheint. Wird etwa nach dem Wesen von „hart“ gefragt, so wird man antworten: „Hart ist, wessen Teil nur nachgibt, wenn das Ganze nachgibt“. Wird dagegen nach dem Wesen von Härte gefragt, so ist die Ursache dafür aufzuzeigen, dass der Teil nur nachgibt, wenn das Ganze nachgibt. Wir werden daher definieren, dass das Akzidens die Art und Weise ist, wie ein Körper begriffen wird. (De corpore VIII 2)
Die Passage arbeitet mit der Unterscheidung von konkreten und abstrakten Namen. Die Unterscheidung steht in Bezug auf den oben erwähnten „ontologischen Fehler“, Akzidentien nach Art von Naturdingen zu konzipieren. „Konkrete Namen“ sind demnach „Namen von Körpern“ in dem Sinne, dass sie sich auf konkrete Körper beziehen. Dies können dann sowohl Nominative wie „Haus“, „Stein“, „Mensch“, aber auch alle Adjektive sein, die konkreten Körpern inhärierende Eigenschaften ausdrücken. „Abstrakte Namen“ sind dagegen solche Namen, die sich nicht auf konkrete Körper, sondern auf die sprachlich reifizierten Akzidentien beziehen (De corpore III 3). Wir erhalten so folgende Aussage: Fragt man nach dem Was der Akzidentien konkreter Körper, besteht die Antwort in einer Nominaldefinition. Sie gibt an, was der Name des Akzidens bedeutet. Hobbes’ Beispiel ist das Adjektiv „hart“: „Was ist hart?“ „Hart ist, wessen Teil nur nachgibt, wenn das Ganze nachgibt.“ Diese Definition entspricht der später von ihm selbst gegebenen Definition des Ausdrucks (De corpore XXII 2). In diesem Sinne korrespondiert die Nominaldefinition von „hart“ mit den bedeutungsäquivalenten Ausdrücken für die Beschreibungen von Erscheinungsweisen konkreter Körper aus der vorherigen Passage (b): Der Ausdruck dafür, dass ein Teil eines Körpers hier, und ein anderer dort erscheint, lautet „Ausdeh-
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nung des Körpers“ (i) und dafür, dass der Körper als ganzer bald hier, bald dort zu sehen ist, lautet „Bewegung des Körpers“ (ii).10 Anders bei abstrakten Namen. Hier ist für Hobbes nicht nach einer Nominaldefinition, sondern nach der Angabe der Ursache dafür gefragt, dass etwas auf bestimmte Weise erscheint. Das Beispiel ist das nomen abstractum von „hart“: „Härte“. Hobbes formuliert das Beispiel leider nicht aus. Es ist aber klar, dass er hier mit „Ursache“ eine oder mehrere Körperbewegungen meint, die erklären, wie es kommt, dass der fragliche Körper in uns den Eindruck erweckt, hart zu sein (vgl. De corpore III 3). Das ist aber wiederum keine Wesensdefinition eines abstrakten Terms nach Art eines Naturdinges („die Härte selbst“), sondern eine genetische Definition in Form einer Angabe von Körperbewegungen. Hobbes reagiert auf die Intuition, die Frage nach dem Wesen des Akzidens als Frage nach dem Wesen eines Dinges zu verstehen, also mit seiner strengen Methodik des resolutiv-kompositiven Verfahrens. Er zählt alle drei im Rahmen seines Systems möglichen Kontexte auf, in denen nach dem Wesen von Akzidentien gefragt werden kann, um dann einzeln für jeden von ihnen zu zeigen, dass er ein Wesen des Akzidens selbst nicht impliziert: Nach Akzidentien kann sinnvoll gefragt werden, wenn entweder nach einer Nominaldefinition eines konkreten Terms gefragt wird (was heißt „hart“?), oder wenn nach der Ursache dafür gefragt wird, dass konkrete Namen von bestimmten Körpern ausgesagt werden. Für den letzteren Fall hält Hobbes die Formulierung der Frage als „Was ist Härte?“ für irreführend, weil sie in dieser Formulierung suggeriert, Härte sei ontologisch noch irgendetwas anderes als ein Name für eine bestimmte Erscheinungsweise eines Körpers. Er ersetzt die Formulierung daher sprachrevisionistisch durch die für ihn ontologisch korrekt formulierte Frage: „Wie kommt es, dass dieser Gegenstand hart ist?“ (so auch De corpore III 3). Die Antwort besteht in einer genetischen Definition, die die mechanischen Ursachen nennt. Schließlich die dritte Weise nach dem Wesen des Akzidens zu fragen: Wer z. B. fragt, was es heißt, ausgedehnt zu sein, fragt für Hobbes nach etwas, was bereits vollständig evident ist, nämlich nach dem phänomenalen Inhalt der Sinnesempfindung, die wir als „ausgedehnt“ bezeichnen. Das ist für Hobbes aber
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Der nominale Ausdruck gibt hier vielleicht Anlass zu Missverständnissen. Hobbes spricht hier aber von inhärierenden Akzidentien. Dies wird deutlich daran, dass er die Nominalausdrücke auf Körper bezieht („seine Ausdehnung“, „seine Bewegung“).
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keine sinnvolle Frage. Sein Vorwurf an die scholastischen Philosophen ist ja gerade, dass sie nomina abstracta wie „Härte“, „Röte“ usw. selbstständig existierende Dinge unterlegen und damit nichts anderes tun, als Sinnesqualitäten, so wie sie an Körpern erscheinen, fälschlicherweise zu selbstständigen Naturdingen (d. i. für Hobbes zu Körpern) machen (vgl. oben K5). Zusammengefasst ergeben sich folgende drei Möglichkeiten: Wenn du fragst, was das Akzidens ist, fragst du entweder nach dem phänomenalen Inhalt deiner Erfahrung – dann ist die Frage sinnlos, weil dir schon klar ist, was du erfahren hast, oder du fragst nach dem Namen für eine bestimmte Erfahrung, die du mit den Dingen der Außenwelt gemacht hast – dann fragst Du nach einer Bezeichnung für etwas, das dir auch schon bekannt ist, oder schließlich du fragst danach, was kausal dafür verantwortlich ist, dass dir ein Akzidens erscheint – dann fragst du nach der Bewegungsursache für diese Erscheinung. Was heißt das für die Frage nach dem ontologischen Status der phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung? Zunächst heißt es, dass die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindungen klarerweise unter den ersten Fragetyp fallen, d. h. unter den Typ, bei dem die Frage nach dem Wesen sinnlos ist. Die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung sind die evidenten Erscheinungsweisen von Körpern. Es handelt sich bei ihnen nicht um Körper und auch nicht um Eigenschaften der Körper selbst, sondern um den Schein, den Körper aufgrund ihrer Einwirkungen in uns erzeugen. Es handelt sich dabei nicht um Dinge, sondern nur um Erscheinungsweisen von Dingen. Gleichwohl: Auch für Hobbes sollte die Frage nach dem Wesen solcher Akzidentien eigentlich legitim sein, wenn sie im Sinne des dritten Fragetyps nicht als Frage nach einem Ding der Außenwelt, sondern als Frage nach der Ursache für die Erscheinung gestellt wird. 3.3.6 Ursache-Wirkungs-Verhältnis? Akzidentien – und damit auch die Sinnesempfindungen – haben Ursachen. Nach diesen Ursachen zu fragen, ist für Hobbes wissenschaftlich legitim. Sollte es sich bei dem Körper-Akzident-Verhältnis also um ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis handeln? Sind die phänomenalen Inhalte unserer Sinnesempfindungen Wirkungen von Körperbewegungen? Und sind die Körperbewegungen, deren Wirkungen sie sind, dann das Wesen der Sinnesempfindungen? Hobbes drückt sich jedenfalls sehr häufig
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genau so aus.11 Auch deuten seine verschiedenen Formulierungen der Korrespondenzthese in diese Richtung. Dieser These zufolge stehen die Sinnesdaten in einem Eins-zu-eins-Verhältnis zu den sie bewirkenden Körperbewegungen. Wenn Hobbes dies tatsächlich gemeint haben sollte, und er die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindungen in dem Sinne für die Wirkungen von Körperbewegungen gehalten hat, dass zwischen ihnen ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis besteht, dann ist er allerdings vor dem Standardvorwurf gegen den reduktiven Materialismus, von dem eingangs die Rede war, nicht zu retten: Im Rahmen des Hobbesschen Systems muss nämlich der Versuch, die Sinnesempfindungen mit Körperbewegungen zu erklären, in einem Regress enden: Hobbes versteht das Ursache-Wirkungs-Verhältnis als ein Verhältnis zwischen Körperbewegungen. Nun betont er, dass Körperbewegungen nichts anderes als immer nur wieder andere Körperbewegungen hervorbringen können. Wenn Körperbewegungen aber ausschließlich Ursachen für weitere Körperbewegungen sein können, dann müssten Sinnesempfindungen, um Wirkungen von Ursachen zu sein, ebenfalls in Körperbewegungen bestehen und zwar in solchen Körperbewegungen, die von den sie bewirkenden Körperbewegungen verschieden sind. Wenn wir dies auf die Relation der Körperbewegung zum phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung anwenden, ergibt sich jedoch das Problem, dass Hobbes mit seiner Reduktion nicht die Ursache der Sinnesempfindung, sondern nur die Ursache einer Körperbewegung angegeben hätte. Er müsste dann erst noch von dieser Körperbewegung zeigen, dass es sich bei ihr um die Sinnesempfindung handelt. Da Körperbewegungen aber nur Körperbewegungen herbeiführen können, würde er wieder nur auf eine Körperbewegung kommen und so fort ad infinitum, ohne dass je der phänomenale Inhalt der Sinnesempfindung erreicht würde. Die einfache Bewegungsursächlichkeit scheint bei der Erklärung von Sinnesempfindungen also in die Sackgasse zu führen. Sinnesempfindungen scheinen auch für Hobbes nicht Bewegungen zu sein, die von sie unmittelbar herbeiführenden Bewegungen im Inneren des Körpers verschieden sind. Genau dies müsste aber der Fall sein, wenn Sinnesempfindungen und die 11
So prominent bei der Diskussion der Sinnesempfindung in De corpore: „Sinnesempfindung ist also eine bestimmte innere Bewegung im Wahrnehmenden, erzeugt durch eine bestimmte Bewegung der inwendigen Teile des Gegenstandes, die sich durch alle Medien bis zum innersten Teil des Organs fortpflanzt. Mit welchen Worten wir das Wesen der Sinnesempfindung so ziemlich definiert haben.“ (De corpore XXV 2, Hervorhebung KC)
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sie herbeiführenden Körperbewegungen in einem Verhältnis der Bewegungsursächlichkeit stehen. Es scheint daher, dass Hobbes die Reduktion der Sinnesempfindungen auf Körperbewegungen nicht gelingt, und ihm dies in seinem System auch nicht gelingen kann. Andererseits gibt es auch Anzeichen dafür, dass Hobbes sich zumindest gelegentlich durchaus der Andersartigkeit der Beziehung zwischen Erscheinung und Körperbewegung einerseits und der effizienten Kausalbeziehung andererseits im Klaren war. Deutlich wird dies daran, dass für ihn nur körperliche Dinge Träger kausaler Eigenschaften sind, er den Erscheinungen und Akzidentien aber immer wieder abspricht, körperliche Dinge zu sein. Wenn sich dies als richtig herausstellen sollte, und Hobbes sich der Andersartigkeit der Beziehung bewusst war, müsste man allerdings immer noch sagen, dass er sich zum Zweck der Bezeichnung dieses Verhältnisses in unglücklicher, und sogar irreführender Weise ausdrückt: Er bedient sich zwar des bewegungskausalen Idioms, bezeichnet damit aber etwas, was sich genau genommen nicht in sein mechanistisches Ursache-Wirkungs-Schema fügt. Um welches Verhältnis dreht es sich? 3.3.7 Die Unterscheidung von Sinnesempfindung und Schein: ein Ausweg? Sehen wir also über Hobbes’ irreführenden Sprachgebrauch hinweg und geben ihm noch eine Chance! In De corpore definiert er die Sinnesempfindung ganz ähnlich wie zu Beginn des Leviathan. Er macht dann aber einen interessanten Zusatz, der uns vielleicht weiterhelfen kann: Das Erscheinungsbild ist nämlich der Akt des Wahrnehmens, und es unterscheidet sich von der Sinnesempfindung nicht anders, als wie sich „zustande bringen“ von „zustande gebracht“ unterscheidet; welcher Unterschied bei Augenblicklichem gleich null ist. Ein Erscheinungsbild entsteht aber in einem Augenblick. (De corpore XXV 2 und 3).
Das Erscheinungsbild ist, wie er sagt, der Akt des Wahrnehmens (actus). Hobbes unterscheidet hier auf interessante Weise zwischen Sinnesempfindung und Erscheinungsbild. Das tut er in dieser Weise sonst nicht. Erstere scheint ein zeitlich ausgedehnter Vorgang zu sein, letzteres das Resultat des Vorgangs, wenn er vollzogen ist. Damit führt Hobbes eine Unterscheidung zwischen Prozess und dem aus dem Prozess resultierenden Akt ein, die im Rahmen seines mechanistischen Begriffsappara-
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tes auffällig subtil wirkt. Es hat darüber hinaus den Anschein, dass er die Unterscheidung nur deswegen einführt, um in geeigneter Weise mit dem ontologischen Status der phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung fertig zu werden. Denn gleich nachdem er die Unterscheidung einführt, weist er darauf hin, dass der Unterschied zwischen Akt und Sinnesempfindung – also der zwischen dem Schein und der zugrundeliegenden Bewegung – „gleich null“ ist. Als Grund dafür führt er an, dass im Falle der Sinnesempfindung der zugrundeliegende Prozess den entsprechenden Schein instantan erzeugt. Wenn Hobbes hier nur an der Kausalgeschichte phänomenaler Inhalte interessiert wäre, hätte er die Unterscheidung also gar nicht machen brauchen. Offenbar geht es ihm darum, das Verhältnis zwischen Körperbewegung – die er jetzt mit der Sinnesempfindung gleichsetzt – und dem aus ihr resultierenden Schein ontologisch als ein Verhältnis von Prozess und Resultat des Prozesses zu beschreiben. Nun hatte Hobbes die mit der Unterscheidung von Prozess und Prozessresultat verwandte Unterscheidung zwischen Akt und Potenz bereits in De corpore X diskutiert. Dort hatte er Akt und Potenz jedoch sehr weitgehend an die Unterscheidung von Ursache und Wirkung angeglichen. Ursache und Wirkung, heißt es dort, beziehen sich auf die Vergangenheit, wenn eine Wirkung schon hervorgebracht wurde, Potenz und Akt dagegen beziehen sich auf dieselbe Wirkung, solange sie noch nicht zustande gebracht wurde. Mir scheint jedoch, dass Hobbes in unserem Fall etwas anderes im Sinn hat als die Unterscheidung zwischen Potenz und Akt. Mit der oben zitierten Formulierung aus De corpore XXV scheint nicht einfach eine Neuformulierung des Ursache-Wirkungs-Verhältnisses (und damit der oben erwähnte Regress) vorzuliegen. Hobbes bräuchte an dieser Stelle keinen erneuten Verweis auf die Kausalbeziehung, da er ja unmittelbar zuvor schon die Sinnesempfindungen als Wirkungen von Körperbewegungen definiert hatte. Entscheidend dafür, dass hier nicht die durch Potenz und Akt nur zeitlich modifizierte Kausalbeziehung vorliegt, ist m. E. aber, dass er die Unterscheidung als eine Unterscheidung zwischen Erscheinungsbild und Sinnesempfindung, nicht aber als eine zwischen Sinnesempfindung und der sie herbeiführenden Körperbewegung konzipiert. Wenn dies richtig ist, appliziert Hobbes das Prozess-Resultat-Modell nicht auf einen streng kausalen Zusammenhang (einer Relation zwischen zwei distinkten Körpern) wie sonst, sondern auf das Verhältnis von Sinnesempfindung – einer Körperbewegung – und dem durch sie erzeugten Schein. Damit würde er zeigen, dass er sich an dieser Stelle der von uns festgestellten Schwierigkeit bewusst war und nach einer Unterscheidung gesucht hat, die es ihm
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im Rahmen seines Systems ermöglicht, die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindungen ontologisch zu erfassen. Wie geeignet die Unterscheidung zwischen Prozess und Resultat des Prozesses für diesen Zweck ist, ist eine andere Frage. Sie wirft vielleicht mehr Fragen auf, als sie zu lösen vermag. Vor allem fragt sich, wie die Unterscheidung in Hobbes’ sonstige ontologische Landschaft passt: Wenn Sinnesempfindungen einerseits Akzidentien der Außenkörper, andererseits aber auch Bewegungen sind, die den Schein außer uns befindlicher Körper erzeugen, ist dann das Verhältnis zwischen Schein und Sinnesempfindung ein Verhältnis von Akzidenz zu Akzidenz? Auch möchte man meinen, dass bei einem Prozess, der einem Akt als seinem Resultat zugrundeliegt, vermutlich in der einen oder anderen Weise von einem Identitätsverhältnis auszugehen ist, wenn auch in eingeschränkter Weise. Aber auf welche Weise? Hobbes geht auf dies alles nicht ein. Insgesamt scheint es mir am wahrscheinlichsten, ihm irgendeine Art von (stark qualifizierter) Identitätsthese zuzuschreiben, trotz seines kausalen Idioms.12 Dass er an dieser Stelle so weit geht, zwischen Sinnesempfindung und dem Erscheinungsbild als Akt der Sinnesempfindung zu unterscheiden, zeigt vielleicht, dass ihm an einer entscheidenden Stelle seines Gedankengebäudes ein ontologisches Problem nicht entgangen ist, in das ihn seine Behauptung einer Korrespondenz von Körperbewegung und phänomenalem Inhalt der Sinnesempfindung führt. Der aus heutiger Perspektive vielleicht naheliegende Ausweg, die phänomenalen Inhalte der Sinneswahrnehmungen als auf die Sinnesbewegungen supervenierende Eigenschaften zu verstehen, steht Hobbes m. E. nicht offen. Dies würde nämlich zur Voraussetzung haben, dass er die supervenierenden Eigenschaften, also das, was er „Schein“ nennt, als etwas ontologisch Eigenständiges anerkennt. Genau dies tut er aber nicht, wenn er sagt, dass der Schein der Sinnesempfindung ein Betrug der Sinne sei, der in Wahrheit in nichts anderem bestehe als Körperbewegung: Hobbes steht es nicht frei, die phänomenalen Inhalte der Sinnesempfindung in ontologisch toleranter Weise zu reduzieren, wie dies z. B. ein moderner Physikalist tun könnte. Dieser könnte etwa die Eigenschaft von Wassertropfen flüssig zu sein als eine auf ihre physischen Eigenschaften supervenierende Eigenschaft zurückführen, ohne deswegen bestreiten zu müssen, dass es ontologisch so etwas wie Flüssig-Sein gibt. Dass Hobbes 12
Eine weitere Möglichkeit wäre, die phänomenalen Gehalte der Sinnesempfindung als bestimmte Typen relationaler Eigenschaften zu behandeln. Leider verfolgt Hobbes diesen Weg nicht.
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dieser Ausweg nicht freisteht, ergibt sich aus dem Systemzwang seiner Methode. Die resolutiv-kompositive Methode besteht ja zu einem wesentlichen Teil darin, alles auf seine materielle Entstehungsweise zu reduzieren und nur Materie und Bewegung als ontologisch zulässige Entitäten anzuerkennen. Die ontologische Elimination der Eigenqualitäten komplexer Materiezustände ist Teil dieser Methode.13 3.3.8 Trotz ontologischer Schwierigkeiten: die Plausibilität der mechanischen Erklärung phänomenaler Inhalte im Hobbesschen System Die Unzulänglichkeit von Hobbes’ Methode, ontologisch für die mechanische Reduktion der Sinnesempfindung aufzukommen, betrifft die eigentliche Reduktion ihrer phänomenalen Inhalte nur indirekt, nämlich insoweit deren Ontologie davon betroffen ist. Es bleibt noch zu prüfen, ob der Vorwurf der Unzulänglichkeit auch auf Hobbes’ mechanische Reduktion selbst zutrifft. Im Leviathan macht Hobbes, wie wir gesehen haben (vgl. K4 b), nur recht oberflächliche Bemerkungen zur Korrespondenz mechanischer Vorgänge mit unserer phänomenalen Erfahrung. Im Folgenden werde ich versuchen, dies noch einmal so darzustellen, wie er es vielleicht tun könnte, wenn er sich gegen den Standardvorwurf gegen den reduktiven Materialismus verteidigen wollte. Wie wir gesehen haben, beschreibt Hobbes’ Theorie der Erkenntnis eine komplexe Stufenfolge aufeinander aufbauender Körperbewegungen. Um zu sehen, wo er mit seiner mechanistischen Erklärung ansetzt, sind vor allem die ersten beiden Stufen wichtig. 1. Stufe. Am Anfang stehen die einfachen Sinnesempfindungen. Sie bestehen in einer körperinternen Reaktionsbewegung auf die Einwirkung einer Druckbewegung auf die Sinnesorgane. Der dabei erzeugte phänomenale Inhalt erklärt sich genau so, wie sich das bekannte Sehen von Licht oder sogenannten ‚Sternen‘ in Folge heftiger mechanischer Einwirkungen auf die Augen ergibt. Diese Erklärung eines minimalen phänomenalen Inhaltes (in diesem Fall einer Lichterscheinung) hat nichts Mysteriöses oder in irgendeinem inhaltlich aufgeladenen Sinn 13
Hobbes, der ein ausgezeichneter Kenner der Schriften des Aristoteles und anderer peripatetischer Autoren war, hatte aus deren Schriften wahrscheinlich sogar Kenntnis von Konzepten, die Ähnlichkeit mit dem Konzept der Supervenienz haben (vgl. z. B. Aristoteles, Ethica Nicomachea, X 4, 1174b31–33).
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„Repräsentationales“ an sich. Hobbes versteht alle Sinnesempfindungen nach genau diesem Druck-Reaktions-Modell und wendet es mutatis mutandis auch auf andere als visuelle Eindrücke an. Dabei steht es ihm offen, im Unterschied zu den relativ groben Einwirkungen, die im Sehen von „Sternen“ resultieren, im Falle gelingender einfacher Sinnesempfindungen auf eine bessere Abgestimmtheit von Sinnesorgangen mit den eingehenden Bewegungen zu pochen, ohne deswegen zu Abstrichen bei seinem Modell gezwungen zu sein. 2. Stufe. Die Wahrnehmung definiter Wahrnehmungsqualitäten erklärt Hobbes mechanisch durch eine Bewegung des konstanten Abgleichens der einfachen Sinnesdaten. Zwar sagt er es nicht ausdrücklich, doch stünde es ihm frei, die definiten Sinnesqualitäten als durch den Abgleich gewonnene Differenzwerte zu erklären. Auch auf dieser Stufe bedarf er keines speziellen Begriffsapparates, der von seinem eigenen mechanistischen Apparat abweicht. Gegeben die körperinternen Reaktionsbewegungen werden die Differenzwerte gleichsam automatisch erzeugt.14 Ausgehend von diesen basalen Sinnesdaten (und deren Remanenz im Körper) kann Hobbes mit seiner kompositiven Methode nun alle weiteren, sowohl perzeptiven als auch nicht-perzeptiven Inhalte generieren. Die Rückbindung an die körperliche Außenwelt bleibt dabei durch die Kausalrelation gewahrt. Die Methode. Es liegt ferner in der Natur der resolutiv-kompositiven Methode, dass die phänomenalen Inhalte in der Erkenntnistheorie nur durch Namen bezeichnet („Sinnesempfindung“, „Vorstellung“, „Denken“), und dann genetisch durch ihre materiellen Komponenten und Bewegungsursachen definiert werden. Ein prinzipielles Problem, phänomenale Inhalte durch physikalisches (in diesem Fall: mechanistisches) Vokabular zu erklären, scheint hier gar nicht aufzukommen. Was diese phänomenalen Inhalte selbst sind, hält Hobbes, wie wir auch gesehen haben, für evident. Und danach zu fragen, was bereits evident ist, hält er für sinnlos. Wenn man Hobbes’ genetische Definitionsmethode akzeptiert, entsteht durch die Kombination von Namensgebung und genetischer Definition also auch gar kein explanatorischer Mangel. Er könnte daher behaupten, dass sich das sogenannte Qualia-Problem für ihn schon allein aus methodologischen Gründen nicht ergibt: Manche Kör14
In K13 haben wir allerdings gesehen, dass die körperintern generierten Bewegungen wohl nicht ohne Rekurs auf funktionales Vokabular erklärt werden können. Zumindest versucht Hobbes nicht, die von ihm behauptete Reduktion finaler Kausalität auf mechanische Kausalität an diesem Beispiel durchzuführen.
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per sind nun mal so sensibel, dass sie auf gewisse Druckeinwirkungen mit einer internen Gegenbewegung reagieren, deren Vollzug eine Erscheinung mit sich bringt.15 Was diese Erscheinung ist, wissen wir aus Erfahrung. Eine Erklärung der phänomenalen Erfahrung, die mehr ist als die Festlegung eines Namens für diese Erfahrung und die Angabe der Bewegungsursache für die interne Gegenbewegung, ist bei Hobbes nicht vorgesehen. Er kann sich dies sogar zugute halten, weil er aus metaphysikkritischen Beweggründen meint, so der Gefahr der Hypostasierung dubioser Entitäten am besten entgehen zu können. Seine Theorie, so minimalistisch und wenig befriedigend sie auf den ersten Blick zu sein scheint, ist also erstaunlich robust und leistungsfähig. Mir scheint, eine Kritik wird daher zuerst an dem Universalanspruch seiner resolutivkompositiven Methode anzusetzen haben.
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Wobei, wie wir gesehen haben, die Erscheinung sich zu der ihr zugrunde liegenden Gegenbewegungen nicht wie die Wirkung zur Ursache, sondern wie das Resultat des Prozesses zum Prozess verhält.
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4. Baruch de Spinoza Stephan Schmid und Pedro Stoichita
4.1 Einführung: Ideen im Dienste des Glücks Wie schon der Titel von Spinozas Hauptwerk Ethik zeigt, ist Spinozas Philosophie vorwiegend mit der Ethik befasst. Unter „Ethik“ versteht Spinoza jedoch nicht in erster Linie die Disziplin, die sich mit moralphilosophischen Fragen befasst – das heißt mit Fragen der Art, ob man seine Versprechen immer halten sollte, oder ob man tatsächlich nie lügen dürfe. Spinoza versteht das Wort „Ethik“ vielmehr in einem an die Traditionen der Antike anknüpfenden Sinne als Lehre des guten oder glücklichen Lebens. Das glückliche Leben oder die Glückseligkeit besteht, wie Spinoza betont, in der „Freiheit des Geistes“ (5praef, 527). In seiner Definition der Freiheit macht Spinoza deutlich, dass ein Ding frei ist, wenn es „allein aus der Notwendigkeit seiner Natur heraus existiert und allein von sich her zum Handeln bestimmt wird“ (1def7). Glücklich ist man nach Spinoza also dann, wenn man autonom ist, d. h. sich selbst zu seinem Handeln bestimmt und nicht von etwas anderem zum Handeln bestimmt wird. Wenn es nun der Hauptzweck von Spinozas Philosophie sein sollte, eine Ethik als Lehre des guten Lebens zu entwerfen, und dieses gute Leben oder das Glück in der Freiheit des Geistes besteht, dann wird es Spinoza hauptsächlich um die Beantwortung der Frage gehen, wie wir eben diese Freiheit erlangen können. Und so ist es tatsächlich, wie ein kurzer Blick auf den Aufbau der Ethik bestätigt: Sie geht im ersten Teil von der metaphysischen Beschreibung der Natur oder Gottes aus und gipfelt im Anschluss an eine Erkenntnistheorie im zweiten Teil und eine ausführliche Emotionstheorie im dritten und vierten Teil schließlich in ihrem fünften Teil, der die menschliche Freiheit zum Thema hat.1 1
Der Ethik oder der Lehre vom glücklichen resp. guten Leben sind auch Spinozas Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück (1658/60) und seine Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes (1661/62) gewidmet. Auch seine politi-
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Aber warum, so fragt man sich, macht Spinoza diesen Umweg? Warum setzt er sich nicht gleich mit der Freiheit des Geistes auseinander, sondern wendet sich zuerst metaphysischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen zu? Eine erste Antwort darauf liegt nahe, wenn man beachtet, dass eine Frage nur dann angemessen beantwortet werden kann, wenn klar ist, was diese Frage genau bedeutet. Um also die Frage nach der Freiheit des Geistes befriedigend zu beantworten, muss zum einen geklärt werden, wie die Welt beschaffen ist, in der wir leben, und wie eine mögliche Freiheit in dieser Welt überhaupt aussehen kann, und was zum andern dieser Geist ist, von dessen Freiheit die Rede ist. Beide diese Fragen geht Spinoza in den Teilen eins und zwei der Ethik an. Dort argumentiert er dafür, dass es nur eine Substanz gibt, innerhalb derer alles notwendig geschieht, und dass unser Geist nichts anderes ist als ein Modus unter dem Attribut des Denkens, der einem ganz bestimmten Modus unter dem Attribut der Ausdehnung – nämlich unserem Körper – zugeordnet ist. Spinoza klärt also in den ersten Teilen der Ethik wichtige Fragen über die Beschaffenheit der Welt und unseres Geistes, die der Beantwortung von seiner Hauptfrage nach dem glücklichen Leben dienen. Die Frage nach dem Aufbau von Spinozas Ethik lässt aber auch eine zweite Antwort zu. Wie Spinoza meint, ist die Ethik – und insbesondere ihr fünfter Teil – ein Buch, das „von der Weise, zur Freiheit zu gelangen, handelt, anders formuliert, von dem Weg, der zu ihr führt“ (5praef, 527). Spinoza geht es also nicht darum, ein ausschließlich theoretisches Werk vorzulegen, in dem er uns etwas über die Freiheit oder das gute Leben lehrt. Spinoza verfolgt mit seinem Buch auch einen therapeutischen Zweck: Er will uns damit zur Freiheit führen, uns den Weg zu ihr weisen und uns damit von unserer Unfreiheit oder Knechtschaft kurieren. Um diesem therapeutischen Zweck nachzukommen und den Menschen aus seiner Unfreiheit zu führen, gilt es zunächst unsere Situation als Menschen in der Welt möglichst genau zu beschreiben und anschließend Möglichkeiten aufzuweisen, wie wir in dieser Welt überhaupt frei oder glücklich werden können. Aufgrund obiger Antworten leuchtet ein, warum Spinoza mit seinem Versuch, uns zum guten oder selbstbestimmten Leben zu führen, bei der Metaphysik ansetzt: Um die Frage nach der Freiheit des Geistes zu klären und einen Weg zu diesem Zustand zu weisen, gilt es zu klären, was der Geist ist, und worin in dieser Welt seine Freiheit bestehen kann. Aber schen Schriften dienen dazu, eine soziale Lebensform der Menschen zu entwerfen, in der Menschen ein glückliches Leben führen können.
Einführung: Ideen im Dienste des Glücks
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warum schließt Spinoza diesen metaphysischen Betrachtungen noch eine Ideen- und Erkenntnistheorie an? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich, sobald man sich vor Augen führt, wie schlecht es zunächst um das Glück bestellt ist, zu dem uns Spinozas Ethik führen soll. Wenn unser Glück nämlich in der Freiheit oder Autonomie besteht, stellen sich große Zweifel ein, ob wir dieses Glück wirklich jemals erlangen können. Schließlich ist Spinoza ein so genannter Nezessitarist, der behauptet, dass alles notwendig ist (vgl. 1p29). Er betont, dass unser Wille, der nichts anderes als ein Modus des Denkens ist, „nicht eine freie Ursache genannt werden [kann], sondern allein eine notwendige“ (1p32). Darin, dass wir einfach tun können, was wir wollen, kann unsere Freiheit also nicht bestehen. Denn in diesem Wollen sind wir nach Spinoza niemals frei, auch wenn wir uns vielleicht für frei halten: Menschen täuschen sich darin, dass sie sich für frei halten, welche Meinung allein darauf beruht, dass sie sich ihrer Handlungen bewusst sind, aber nicht die Ursachen kennen, von denen sie bestimmt werden. Das ist also ihre Idee von Freiheit: dass sie keine Ursache ihrer Handlungen kennen. (2p35s)
Dass sich Menschen für frei halten, liegt also daran, dass sie die wahren Ursachen ihres Handelns nicht kennen. Sich für frei zu halten, tatsächlich aber unfrei zu sein, ist allerdings eine noch größere Form der Unfreiheit. Spinoza vergleicht diese trügerische Freiheit mit der Situation eines fliegenden Steins, der sich in derselben Weise für frei halten dürfte: Ein Stein empfängt durch eine äußere Ursache, die ihn stößt, ein gewisses Quantum von Bewegung, durch welches er dann, auch wenn der Anstoß der äußeren Ursache aufhört, notwendig fortfährt sich zu bewegen. […] Denken Sie sich nun, bitte, der Stein denke, indem er fortfährt, sich zu bewegen, und er wisse, dass er nach Möglichkeit in der Bewegung zu verharren strebt. Dieser Stein wird sicherlich, da er sich doch nur seines Strebens bewusst und durchaus nicht indifferent ist, der Meinung sein, er sei vollkommen frei und er verharre nur darum in seiner Bewegung, weil er es so wolle. Und das ist jene menschliche Freiheit, auf deren Besitz alle so stolz sind und die doch nur darin besteht, dass die Menschen sich ihres Begehrens bewusst sind, aber die Ursachen von denen sie bestimmt sind nicht kennen. (Ep. 58, an Schuller, 236)
Ähnlich wie der Stein von äußeren Ursachen zu seinem „Handeln“ getrieben wird, so sind es auch Menschen, die blind ihren Affekten und Leidenschaften folgen. Wie also führt man diese Menschen nun zu ihrem Glück oder ihrer Autonomie? Als erstes müsste man sie wohl über ihren Irrtum aufklären. Hier kommen Spinozas Erkenntnis- und Ideentheorie zum Tragen. Im Rahmen seines therapeutischen Projekts der Ethik haben diese Theorien nämlich die Funktion, uns Mittel an die Hand
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zu geben, mit deren Hilfe wir uns von der Ohnmacht der Unwissenheit befreien können. Damit werden wir in einem ersten Schritt von unserer Illusion der Freiheit geheilt und können uns in einem zweiten Schritt auf der Grundlage der Erkenntnis unserer tatsächlich etwas desolaten Lage auf den wirklichen Weg zu unserem Glück oder unserer Freiheit machen. Bei diesem zweiten Schritt mag sich Widerstand regen: Man mag ja zugestehen, dass die Ideen- und Erkenntnistheorie hilft, uns von unserer Freiheitsillusion zu kurieren. Aber wie soll uns die Ideentheorie dazu verhelfen, in dieser Welt, in der sich alles nach einer ewigen und notwendigen Ordnung vollzieht, autonom oder frei zu sein? Ein nezessitaristisches Weltgefüge lässt sich doch nicht mit Freiheit vereinbaren – da hilft die beste Ideentheorie nichts. Dennoch versucht Spinoza eine Ideentheorie zu entwerfen, auf deren Grundlage eben dieses Kunststück gelingen soll. Sein Grundgedanke lässt sich wie folgt skizzieren: Wie oben gesehen, sind wir nach Spinoza genau dann frei, wenn wir uns selbst zum Handeln bestimmen. Da wir aber nur endliche Modi Gottes sind, die in einer unendlichen Kausalkette mit unendlich vielen anderen Modi dieser Welt verbunden sind, laufen die Kausalketten durch uns hindurch. Damit sind wir auch nie autonom im strengen Sinne. So müssen wir z. B. atmen, regelmäßig essen, trinken und schlafen. Und auch in unseren Meinungen und Ansichten sind wir unleugbar von unserer Geschichte geprägt. All dem können wir natürlich nicht entgehen. Vor diesem Hintergrund hängt das, was ich tue, streng genommen nie von mir, sondern allein vom Weltverlauf ab. An dem kann ich nichts ändern. Aber ich kann versuchen, den Spieß umzudrehen, indem ich mir die Welt gleichsam aneigne und aus der Erkenntnis handle, dass mein Handeln in den notwendigen Weltverlauf eingebettet ist. Wenn ich nämlich über adäquate Ideen verfüge, die dadurch charakterisiert sind, dass sie über den gesamten kausalen Verlauf der Dinge Aufschluss geben, dann erkenne ich mich als Teil dieser Welt und sehe in jedem Augenblick meines Handelns ein, dass ich so handeln muss und nicht anders handeln kann. Insofern ich mittels adäquater Ideen die äußeren Ursachen, die mich zu meinem Handeln bewegen, erkenne, mache ich sie mir gleichsam zu eigen und zu inneren Ursachen, die als Handlungsgründe mein Handeln motivieren. Damit bin ich nach Spinoza in dem Maße frei und autonom, in dem ich aus adäquaten Ideen handle. Denn zu dem Grad, zu dem ich aus dem Wissen in meine Handlungsursachen handle, hängt mein Handeln von inneren Ursachen und nicht von bloß äußeren Ursachen ab, denen ich hilflos und unwissend ausgeliefert bin.
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Spinozas Ideentheorie stellt sich somit als äußerst wichtiger Bestandteil seines ethischen Gesamtprojekts heraus. Sie liefert Spinoza ein begriffliches Instrumentarium, mit dem er unseren Weg zur Freiheit oder zum Glück über die Erkenntnis Gottes oder der Natur beschreiben kann. Mindestens so wichtig ist die Ideentheorie aber auch für die Fundierung seiner Affektelehre oder Emotionstheorie, die er vor allem im dritten Teil der Ethik entwickelt: Zum einen sind Affekte nach Spinoza per definitionem auch Ideen. Denn er definiert sie als „Affektionen des Körpers […] und zugleich die Ideen dieser Affektionen“ (3def3). Zum andern spielen Ideen auch bei der Bekämpfung von Leidenschaften – das sind schlechte Affekte, die unsere Wirkungsmacht vermindern – eine wichtige Rolle. Denn ein „Affekt, der eine Leidenschaft ist“, so meint Spinoza in 5p3, „hört auf, eine Leidenschaft zu sein, sobald wir von ihm eine klare und deutliche Idee bilden.“ Nicht zuletzt ist die Freiheit, zu der uns Spinoza in seiner Ethik führen will, ein Freisein von Leidenschaften, das wir nur über die Bildung adäquater oder klarer und deutlicher Ideen erlangen. Der Weise ist aufgrund seines Wissens nicht nur frei in dem Sinne, dass er autonom ist, er ist auch frei von Leidenschaften: Wer nämlich unwissend ist, lebt, außer dass er von äußeren Ursachen auf vielfache Weise umher getrieben wird und nie seinen inneren Frieden findet, auch in einer Weise, dass er von Gott und von den Dingen fast nichts weiß […]. Der Weise andererseits, als ein solcher betrachtet, ist nahezu ruhigen Gemüts; sich seiner selbst, Gottes und der Dinge nach einer gewissen Notwendigkeit bewusst, hört er niemals auf zu sein, sondern genießt immer wahren inneren Frieden. (5p42s)
Auch Spinozas Affektetheorie steht somit im Rahmen seines ethischen Projekts, das uns zum Glück führen soll, und wieder sind es die adäquaten Ideen, mit deren Hilfe wir dieses Ziel erreichen können. Wenn Spinozas Ziel das glückliche Leben ist, dann sind es die (adäquaten) Ideen, die uns zu ihm führen können.
4.2 Stellenkommentar 4.2.1 Auszüge aus Tractatus de intellectus emendatione / Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes (1661/62) K1: In 2p7s in der Ethik schreibt Spinoza, „dass ein Modus von Ausdehnung und die Idee dieses Modus ein und dasselbe Ding sind, aber in zwei Weisen ausgedrückt.“ Das erweckt den Eindruck, die Abhandlung und die
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Ethik wichen bezüglich der Relation zwischen Ideen und ihren Objekten ab. Dieser Eindruck lässt sich jedoch partiell beheben, wenn darauf hingewiesen wird, dass Ideen auch in der Ethik von ihrem ausgedehnten Gegenstand verschieden sind, insofern sie zu einem anderen Attribut gehören. Während Ideen zum Attribut des Denkens gehören und deshalb repräsentationale Eigenschaften haben, gehören ihre ausgedehnten Gegenstände zum Attribut der Ausdehnung, und sind deshalb räumlich beschaffen (vgl. den systematischen Essay, 4.3.1). K2: Spinoza definiert in der Ethik die Essenz eines Dinges als das, „mit dessen Gegebensein das Ding notwendigerweise gesetzt und mit dessen Aufhebung das Ding notwendigerweise aufgehoben wird; anders formuliert dasjenige, ohne das das Ding weder sein noch begriffen werden kann, und das seinerseits ohne das Ding weder sein noch begriffen werden kann.“ (2def2) K3: Spinoza spricht von einer Essenz, die in einer Idee enthalten oder von einer Idee repräsentiert wird, als objektive Essenz. Objektiv ist also für Spinoza all das, was Gegenstand oder Objekt einer Idee ist. Spinozas Ausdruck „objektiv“ ist ein scholastischer terminus technicus, der verwendet wurde, um die Weise zu beschreiben, in der Objekte in unseren Ideen sind, wenn sie von diesen repräsentiert werden. Eine wichtige Quelle dieses Begriffs für die frühe Neuzeit ist Francisco Suárez, der mit diesem Ausdruck das Problem des Inhalts von Ideen diskutiert (vgl. dazu die Einleitung zu Band I). Auch Descartes und seine Nachfolger wie z. B. Arnauld bedienten sich dieses Begriffs (vgl. dazu K15 und K19 im Kommentarteil zu Descartes und K34 im Kommentarteil zu Arnauld). Der scholastische Gegenbegriff zu „objektiv“ ist „formal“ (vgl. K5). K4: Die Idee von Peter ist also genau dann wahr, wenn sie die Essenz von Peter repräsentiert. Diese Bestimmung der Wahrheit verbindet Spinoza in 1a6 der Ethik mit einer korrespondenztheoretischen Auffassung der Wahrheit. K5: „formal“ ist der scholastische Gegenbegriff zu „objektiv“ (vgl. K3). Mit „formal“ beschreibt man die Weise, wie ein Gegenstand wirklich existiert (im Gegensatz dazu, wie er im Geist existiert). Dass man die wirkliche Existenz eines Gegenstandes „formal“ nennt, rührt daher, dass man im Aristotelismus die Form als ein Aktualisierungsprinzip verstand: Die Form ist das, was ein Ding aktual oder wirklich – im Gegensatz zu ‚bloß möglich‘ – macht. K6: Ausführlichere Passagen zur Idee der Idee finden sich in der Ethik, 2p20 und 2p21.
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K7: An dieser Stelle erläutert Spinoza, dass jede Idee wiederum Gegenstand einer Idee ist, anhand der Überlegung, dass derjenige, der etwas weiß, auch weiß, dass er weiß. Diese Erläuterung beruht auf Spinozas Gleichstellung von Idee und Erkenntnis, die sich in der Ethik an mehreren Stellen abzeichnet (vgl. z. B. 1a4 mit 2p7d, dazu Wilson 1991, 146). K8: Spinoza zufolge könnte ich überhaupt nicht wissen, dass P, wenn ich dafür schon wissen müsste, dass ich weiß, dass P. Denn um zu wissen, dass ich weiß, dass P, müsste ich schon wissen, dass P. Diesen Gedanken verbindet Spinoza in der Ethik mit dem Gedanken, dass die wahre Idee die Norm ihrer selbst ist (vgl. 2p43). K9: Spinoza scheint an dieser Stelle davon auszugehen, dass wir zumindest eine angeborene objektive Essenz, d. h. Idee haben. Diese Annahme wird in der Abhandlung nur knapp ausgeführt (vgl. § 31) und in der Ethik überhaupt nicht explizit behandelt. Da 2p11 zufolge, unser Geist jedoch eine Idee ist, scheint es plausibel, darin die erste objektive Essenz zu sehen. K10: Das folgt daraus, dass eine objektive Essenz dasselbe ist wie eine wahre Idee (vgl. K4), und dass eine wahre Idee dasselbe ist wie eine Erkenntnis (vgl. K7). Jede objektive Essenz ist also eine Erkenntnis und geht deshalb mit Gewissheit einher. K11: Spinoza definiert den Begriff der Adäquatheit in 2def4 in der Ethik. Adäquate Ideen sind klar und deutlich und werden verworrenen und verstümmelten Ideen gegenübergestellt (vgl. 2pp28–29). Ideen sind genau dann adäquat, wenn sie wahr sind (2p34, 2p43dem). Eine ausführlichere Diskussion des Adäquatheitsbegriffs bei Spinoza findet sich im nachfolgenden systematischen Essay (4.3). (Vgl. auch K23 und K35). K12: Nach Spinoza begreifen wir durch Schlussfolgerungen die Ursachen der Dinge. Das können wir deshalb, weil nach 1a4 die Erkenntnis der Wirkung die der Ursache mit einschließt. (Vgl. dazu auch K16 und K31). K13: Das Begreifen der wahren Idee ist deshalb eine Methode zur Verbesserung des Verstandes, weil es dazu beiträgt, wahre von falschen Ideen zu unterscheiden. Jede wahre Idee ist nämlich durch sich selbst gewiss (vgl. K10). Indem man seine Aufmerksamkeit auf die selbstevidente Gewissheit von Ideen richtet, können falsche Ideen mithin von wahren Ideen abgesondert werden. Durch Abweisung falscher Ideen, wird dann der Verstand verbessert. K14: Die Behauptung, dass die Idee der Idee eines höchstvollkommenen Seienden vorzüglicher ist als die Idee anderer Ideen, wird an dieser
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Stelle damit begründet, dass das Verhältnis zwischen Ideen dasselbe ist wie das Verhältnis zwischen ihren formalen Essenzen. Diese Begründung leuchtet ein, wenn man 2p21s aus der Ethik einbezieht, wo Spinoza zeigt, dass „die Idee des Geistes und der Geist ein und dasselbe Ding“ sind und man berücksichtigt, dass für Spinoza der Geist selbst eine Idee ist (vgl. 1p11 und K42). K15: Das kann Spinoza in der Ethik durch seinen repräsentationalen Parallelismus aus 2p7c erklären. Danach folgt „was auch immer aus der unendlichen Natur Gottes folgt und kraft dieses Folgens ein Sein hat, […] in Gott aus der Idee Gottes in derselben Ordnung und mit derselben Verknüpfung in ideeller Weise (objective)“. Wenn eine Idee – objective betrachtet – und ihr Gegenstand dieselbe Ordnung und Verknüpfung aufweisen, dann weisen sie dieselbe Struktur in Hinblick auf all ihre Ursachen und Wirkungen auf. In Bezug auf all die Eigenschaften, die von dieser Ordnung abhängen, sind sie gleich verfasst. Sie weichen lediglich in Bezug auf Eigenschaften ab, die von ihrem jeweiligen Attribut abhängen. Eine Idee wird z. B. etwas Repräsentierendes sein, während ihr Gegenstand etwas Ausgedehntes ist. Wie 2p7s nahe legt, sind diese Eigenschaften jedoch nur durch verschiedene Ausdrucksweisen desselben Dinges bedingt. Denn „ein Modus von Ausdehnung und die Idee dieses Modus [sind eigentlich] ein und dasselbe Ding […], aber in zwei Weisen ausgedrückt“ (2p7s). Eine Idee ist demnach objective auf dieselbe Weise wie ihr Gegenstand verfasst, weil sie dasselbe ist wie dieser Gegenstand. Daran liegt auch, dass eine Idee denselben Grad an Vollkommenheit wie ihr Gegenstand aufweist, wie die Ethik in 2p13s betont. K16: Spinoza schließt aus dem Umstand, dass Dinge kausal nicht miteinander zusammenhängen (einander nicht hervorbringen), darauf, dass diese Dinge auch logisch nicht miteinander verbunden sind – in der Weise, dass man vom einen auf das andere schließen könnte. Kausale Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung werden nach Spinoza also durch inferenzielle Beziehungen zwischen Prämisse und Konklusion gespiegelt. Diese These hat Jonathan Bennett (1984, 29–32) „causal rationalism“ genannt. Sie hängt eng mit Spinozas Parallelismusthese zusammen, wonach die Ordnung und Verknüpfung der Ideen dieselbe ist wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge (2p7). Wie Curley 1969, 45–55, gezeigt hat, lässt sich Spinozas Assimilation kausaler und begrifflicher Zusammenhänge auch als Ausdruck einer nomologischen Kausalitätsauffassung verstehen. Gemäß einem nomologischen Kausalitätsverständnis verursacht ein Ereignis A ein anderes Ereignis B genau dann, wenn es ein Gesetz gibt, unter das die Ereignisse A und B sub-
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sumiert werden können. Dieses Gesetz etabliert auf der Ebene der Beschreibung ein begriffliches Folgerungsverhältnis zwischen kausal verbundenen Ereignissen: Gegeben das allgemeine Gesetz, kann ich vom Vorliegen des Ereignisses A auf das Vorliegen des Ereignisses B schließen. Dass Spinoza (mit Bezug auf Modi) in der Tat eine solche nomologische Kausalitätstheorie vertritt, liegt nahe: zum einen, weil Spinoza im Vorwort zum dritten Teil der Ethik schreibt, dass „die Gesetze und Regeln der Natur, nach denen alles geschieht und aus einer Form in eine andere sich verändert, … überall und immer dieselben“ sind; zum andern, weil sich auch Spinozas infinite Modi (z. B. in 1pp22–23) im Rückgriff auf eine Briefstelle (Ep. 64, 250) als allgemeine Gesetze deuten lassen (vgl. dazu Curley 1988, 45–47). K17: Den Fall von Hypothesen, die von uns klar und deutlich begriffen werden, diskutiert Spinoza im § 57 der Abhandlung, u.A. in Bezug auf die Bewegung von Himmelskörpern. Dort erläutert er, dass auch Aussagen, die aus kontrafaktischen Annahmen gewonnen werden, „wahr und unverfälscht“ sein können. K18: Fiktionen entstehen unter anderem dadurch, dass Gegenständen einer bestimmten Natur Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie nicht haben. Diese Art von Fiktionen wird jedoch eingeschränkt durch Einsicht in die Natur der Dinge. Wer die Natur der Dinge kennt, merkt nämlich, dass es Eigenschaften gibt, die mit der Essenz dieser Dinge unvereinbar sind und den Dingen deshalb nicht konsistent zugeschrieben werden können. Je besser man die Natur der Dinge kennt, desto besser kann man also fiktive Ideen als widersprüchlich zurückweisen. Wie hier deutlich wird, vertritt Spinoza die Position, dass sich auch die Wahrheit kontingent anmutender Sätze a priori erkennen lässt: Wer über eine Erkenntnis der Essenz eines Pferdes verfügt, der erkennt, dass ein Pferd unmöglich Flügel haben kann, weshalb die Existenz von Pegasus a priori ausgeschlossen ist. K19: Spinoza argumentiert hier gegen eine Position, die davon ausgeht, dass Fiktionen von Fiktionen und gerade nicht von Erkenntnissen eingeschränkt werden. Einer solchen Position zufolge könnte unsere Rede über die Welt gänzlich auf Fiktionen beruhen und jeglicher Erkenntnis entbehren. Spinoza stellt den Vertreter dieses Standpunktes nun vor folgendes Dilemma: Entweder (a) man kann nichts begreifen oder (b) man kann etwas begreifen. Wenn das zweite Horn des Dilemmas (b) gewählt wird, dann gibt es bestimmte Erkenntnisse, die Fiktionen einschränken (vgl. K18), so dass Fiktionen schließlich durch Erkenntnisse aufgelöst werden können. Wählt man hingegen das erste
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Horn des Dilemmas (a), dann nimmt man an, dass alle unsere Ideen Fiktionen sind. Diese Annahme hat jedoch absurde Konsequenzen. Zum einen müssen wir dann alle unsere Ideen aus uns selbst ohne den Beitrag äußerer Dinge hervorbringen. Das macht uns jedoch gleichsam zu einem Gott, der die Kraft hat, alles aus sich selbst zu erschaffen. Zum anderen unterstellt es unserer Seele die Freiheit, alle unsere Bestimmungen selbst nach Belieben festlegen zu können, indem sie eine erste Fiktion festlegt, mit der alle unsere weiteren Ideen im Einklang stehen müssen. K20: Die Falschheit von Fiktionen kann dadurch entdeckt werden, dass die Fiktionen zu einem Widerspruch führen. Ein fingierter wahrer Sachverhalt ist deshalb im strengen Sinne keine Fiktion, weil aus ihm Folgerungen gezogen werden können, die nie zu einem Widerspruch führen. In dieser Erklärung zeigt sich eine gewisse Affinität Spinozas zu einer kohärenztheoretischen Wahrheitstheorie. (Vgl. K27). K21: Für Spinoza haben Ideen also die propositionale Struktur von Urteilen. Das unterscheidet Spinoza von Descartes, für den ein Subjekt Ideen mit Hilfe eines Urteilsakts zustimmen muss (vgl. 4. Meditation, § 12, AT VII, 59). Im Gegensatz dazu sind für Spinoza Ideen nicht von Urteilen verschieden: Eine Idee ist nichts „Stummes wie ein Gemälde auf einer Tafel … [, sondern] ein Akt des Einsehens selbst.“ (2p43s) Für die These, dass Ideen propositional sind, hat Curley 1969, 121–126, argumentiert. Dies hat Wilson 1980 scharf kritisiert. K22: Einfache Ideen spielen in der Ethik keine Rolle mehr. Es ist sogar fraglich, ob es solche gibt, da es dafür einfache Modi geben muss, was unklar ist, da sich scheinbar jeder Modus aus anderen Modi zusammensetzen muss (vgl. bezüglich Modi der Ausdehnung die Lehrsätze und Axiome zwischen 2p13s und 2p14). K23: Damit spricht Spinoza die Adäquatheit als das Wahrheitskriterium einer Idee an. Wie er in der Erläuterung zur Adäquatheitsdefinition deutlich macht, handelt es sich bei der Adäquatheit um die „inneren Merkmale einer wahren Idee“ (2def4). Was genau unter einem ‚inneren Merkmal‘ einer wahren Idee zu verstehen ist, wird im nachfolgenden systematischen Essay (4.3) genauer untersucht. K24: Diese Stelle ist problematisch für zwei Ansichten, die Spinoza in der Ethik explizit vertritt. Zum einen scheint sie der korrespondenztheoretischen Wahrheitsauffassung entgegenzulaufen, der 1a6 zugrunde liegt. Denn 1a6 zufolge muss eine Idee mit dem Gegenstand übereinstimmen, dessen Idee sie ist, und wenn dieser Gegenstand niemals existiert, dann kann auch seine Idee niemals damit übereinstimmen. Die Idee kann dann nie wahr sein (vgl. dazu Curley 1994). Zum anderen steht
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diese Stelle in einem Spannungsverhältnis zu Spinozas Ausführungen zur Unmöglichkeit. In 1p33s wird nämlich all das als unmöglich bezeichnet, dessen Essenz einen Widerspruch in sich schließt oder für das es keine Ursachen gibt, die dieses Ding hervorbringt. Wenn das Werk eines Handwerkers niemals hervorgebracht wird, dann ist es also nach Spinozas Befinden unmöglich. Unmögliches kann jedoch kaum wahr sein, so dass die oben angeführte Stelle auch Spinozas Verständnis von „unmöglich“ zu widersprechen scheint. K25: Hier zeigt sich, dass Spinoza einen epistemisch eingeschränkten Wahrheitsbegriff vertritt: Man kann nur dann eine wahre Idee haben, wenn man auch weiß, dass sie wahr ist. Dieser epistemische Charakter von Spinozas Wahrheitstheorie wird im systematischen Essay (4.3) genauer besprochen. Daran wird auch deutlich, dass Spinoza ein epistemischer Internalist ist, d. h. einer, der die These vertritt, dass man nur dann etwas wissen kann, wenn man sein Wissen auch selbst rechtfertigen kann und in der Folge auch weiß, dass man etwas weiß. K26: Mit diesem Zusatz garantiert Spinoza, dass es auch von Gott, der Ursache seiner selbst ist (vgl. 1p11s) und demnach keine Ursache (außerhalb seiner selbst) hat, eine wahre Idee gibt. K27: Wie weiter oben (vgl. A § 34 und K4) geht Spinoza hier davon aus, dass eine Idee genau dann wahr ist, wenn sie mit der Essenz ihres Gegenstandes übereinstimmt und damit auf keinen anderen Gedanken bezogen ist (der die Essenz eines anderen Gegenstandes mit einschließen würde). Da die Wahrheit einer Idee nur von der Essenz ihres Gegenstandes abzuhängen scheint, kann es auch Ideen geben, die wahr sind, obwohl ihre Gegenstände nicht existieren. Dies sind Ideen, die entweder selbst mit der Essenz nicht existierender Objekte übereinstimmen oder aus solchen folgen. Da sich die Wahrheit letzterer Ideen allein daraus ergibt, dass sie aus anderen Ideen folgen, und nicht daraus, dass sie mit irgendetwas übereinstimmen, wurde in der Spinoza Forschung immer wieder behauptet, Spinoza vertrete (zumindest) in der Abhandlung eine kohärenztheoretische Wahrheitstheorie. So geht Curley 1994 davon aus, dass zwischen der Wahrheitstheorie der Abhandlung und derjenigen der Ethik eine Diskontinuität besteht, und Walker 1985 argumentiert, dass Spinoza durchgängig als Kohärenztheoretiker der Wahrheit verstanden werden müsse.
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4.2.2 Auszüge aus der Ethica ordine geometrico demonstrata / Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt (1662–76) K28: Ein wesentliches Merkmal der Substanz ist es, in sich selbst zu sein. Dies erinnert an die so genannte Inhärenzrelation, die schon Aristoteles in seiner Kategorienschrift dafür benutzt, Substanzen von anderen Dingen zu unterscheiden. Nach Aristoteles unterscheiden sich Substanzen tatsächlich dadurch von anderen Typen von Seienden, dass sie nicht in einem anderen sind (d. h. keinem anderen Ding inhärieren) (vgl. Aristoteles, Kategorien, 5, 2a12–4b49). Aristoteles’ und Spinozas Auffassung von Inhärenz ist gemein, dass sie in etwas sein nicht mit der Relation gleichsetzen, die darin besteht, räumlich als Teil in etwas enthalten zu sein. Das ist bei Spinoza deshalb nicht der Fall, weil auch Modi von Denken in etwas sind, jedoch nicht ausgedehnt sind. Spinozas Verständnis der Inhärenzrelation unterscheidet sich jedoch von dem des Aristoteles: Während Inhärenz bei letzterem als eine Relation ontologischer Abhängigkeit aufgefasst wird, die keine kausale Abhängigkeit umfasst, geht bei Spinoza Inhärenz mit kausaler Abhängigkeit einher. Denn etwas ist für Spinoza genau dann in sich, wenn es durch sich selbst begriffen wird (vgl. 1p6c) und etwas wird genau dann durch etwas begriffen, wenn es dadurch verursacht wird (1p6d2 und 1p25d). Das hat Edwin Curley dazu gebracht, abzustreiten, in etwas sein sei bei Spinoza als Inhärenz-Relation aufzufassen. Es sei vielmehr als bloß kausale Abhängigkeitsrelation zu deuten (vgl. Curley 1969, 1988, 1991; für die Deutung von in etwas sein als Inhärenzrelation argumentieren Garrett 2002 und Della Rocca 2008, 68). K29: Ein wesentliches Merkmal der Substanz ist es, durch sich selbst begriffen zu werden. Das Begreifen von etwas durch etwas ist für Spinoza eine Erklärungsrelation: x wird durch y begriffen genau dann, wenn x durch y erklärt wird (vgl. 1p10 mit 1p14d, dazu Della Rocca 1996, 3). Ein Ding wird für Spinoza aber genau dann durch etwas begriffen, wenn es durch dieses Ding verursacht wird (vgl. 1p6d2 und 1p25d). K30: In der Spinoza-Forschung herrscht eine rege Debatte darüber, wie die Erwähnung des Verstandes bei der Definition des Attributes bewertet werden sollte. Harry Wolfson (1934, 142–158) hat darin eine Aufforderung gesehen, Attribute als bloß subjektiv existierende Entitäten aufzufassen. Diese Auffassung wurde überzeugend von Martial Gueroult (1968, 428–461) widerlegt. Aussichtsreicher scheint es, die Erwähnung des Verstandes als eine Anspielung auf eine distinctio rationis im Sinne von Descartes zu verstehen. In den Principia Philosophiae schreibt
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Descartes, dass zwischen wesentlichen Attributen und Substanzen nur durch den Verstand unterschieden wird. Ein Attribut ist eigentlich dasselbe Ding wie die Substanz, deren Essenz es ausmacht. Wenn es von der Substanz unterschieden wird, dann nur anhand eines Abstraktionsverfahrens, dem jedoch keine reale Unterscheidung gleichkommt (vgl. Principia, §§ 62–63). Für diese Interpretation spricht auch besonders eine Stelle aus dem Briefwechsel mit Simon de Vries, in der Spinoza schreibt: „Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird […]. Dasselbe verstehe ich auch unter Attribut, außer dass es Attribut genannt wird in Ansehung des Verstandes, der der Substanz eine solche bestimmte Natur zuerkennt“ (Ep. 9); (vgl. dazu Donagan 1973, dagegen Deveaux 2007). K31: Das so genannte Kausalitätsaxiom ist für Spinozas kausalen Rationalismus von zentraler Bedeutung, da in ihm die enge begriffliche Verbindung zwischen Ursache und Wirkung begründet ist. (Vgl. K12 und K16). Gegen diese Deutung wandte allerdings Wilson 1991 ein, nach Spinoza dürfe nicht von der Ursache auf die Wirkung, sondern eher von der Wirkung auf die Ursache geschlossen werden. Man kann Spinozas Aussage, dass die Erkenntnis der Wirkung, die der Ursache mit einschließt, aber auch als Ausdruck seines epistemischen Internalismus verstehen, wonach die Erkenntnis der Wirkung die der Ursache gerade deshalb mit einschließen muss, weil die Ursache die Wirkung begründet (vgl. K25). K32: Im Wahrheitsaxiom spricht sich Spinoza deutlich für eine Korrespondenztheorie der Wahrheit aus (vgl. zur Wahrheitstheorie Spinozas Curley 1994 und Schmid 2008). K33: In 1p10s wird deutlich, dass, wenn etwas durch sich selbst begriffen wird, es real von anderem unterschieden ist. Der Begriff der realen Distinktion findet sich schon in Descartes’ Principia Philosophiae, I, § 60, und bezeichnet dort einen Unterschied zwischen Substanzen, den wir daran erkennen, dass wir die Substanzen unabhängig voneinander klar und deutlich erkennen können. Real unterschiedene Substanzen existieren Descartes zufolge unabhängig voneinander. Spinoza fasst den Begriff der realen Distinktion nun als eine Unterscheidung auf, die auf Attribute zutrifft, und sich daran zeigt, dass Attribute jeweils durch sich selbst begriffen werden. Dies wirft die Frage auf, inwiefern Attribute unabhängig voneinander existieren. Diese Frage gewinnt zudem an Brisanz, wenn beachtet wird, dass für Spinoza alle Attribute derselben Substanz (Gott) zukommen und zwischen Attribut und Substanz nur eine distinctio rationis getroffen wird (vgl. K30). Es ist dann kaum ver-
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ständlich, wie Attribute unabhängig voneinander existieren können, da sie doch alle Abstraktionen ein und derselben Substanz sind. In 1p10s betont Spinoza jedoch, „dass, wenn auch zwei Attribute als real unterschieden begriffen werden, also das eine ohne Hilfe des anderen [begreifbar ist], wir daraus gleichwohl nicht schließen können, dass sie zwei Entitäten oder zwei verschiedene Substanzen ausmachen.“ Das weist darauf hin, dass Attribute, obwohl sie real unterschieden sind, für Spinoza Entitäten sind, die nicht unabhängig voneinander existieren. Sie sind real verschiedene wesentliche Eigenschaften, die jedoch zwangsläufig demselben Ding zukommen. K34: In seiner Ideendefinition macht Spinoza deutlich, dass sein Ideenbegriff sowohl einen logischen als auch einen psychologischen Aspekt umfasst: So handelt es sich bei einer Idee um einen Begriff des Geistes, der einen ganz bestimmten Inhalt hat, kraft dessen er in logische Relationen eingehen und wahr oder falsch sein kann. Zum andern ist eine Idee jedoch immer ein gewisser psychischer Akt, den der Geist bildet, weil er ein denkendes Ding ist. K35: Im Brief Nr. 60 (S. 242) schreibt Spinoza, dass er zwischen einer wahren und adäquaten Idee keinen Unterschied macht, außer dass „das Wort ‚wahr‘ sich bloß auf die Übereinstimmung der Idee mit ihrem Gegenstande bezieht, das Wort ‚adäquat‘ hingegen auf die Natur der Idee an sich“. Eine Interpretation des Adäquatheitsbegriffs findet sich im systematischen Essay (4.3). K36: Dieses Axiom legt nahe, dass es neben Ideen noch andere Modi des Denkens gibt. Genannt werden Affekte wie etwa Liebe oder Begierde. In der Definition des Affekts im dritten Teil der Ethik (3def3) heißt es jedoch, dass Affekte Ideen sind. Wie Michael Della Rocca (1996, 7) anmerkt, spielt die Gleichstellung von Affekten mit Ideen auch in Lehrsätzen eine Rolle, die für Spinozas Theorie der menschlichen Glückseligkeit wichtig sind (etwa 5p3 und 5p4c). Das spricht dafür, dass alle Modi des Denkens Affekte sind. Die affektive Färbung von Ideen kann jedoch unter Rückgriff auf den Begriff des Strebens (conatus) von etwas, in seinem Sein zu verharren, erklärt werden, den Spinoza in 3p6 einführt. Ideen sind abhängig davon, ob sie das Streben des Geistes steigern oder hemmen, jeweils positiv oder negativ affektiv besetzt (vgl. 3p11s). K37: In diesem Lehrsatz formuliert Spinoza sein transattributives Kausalitätsverbot, das besagt, dass ein Modus des Denkens keinen Modus unter dem Attribut der Ausdehnung verursachen kann, und umgekehrt. Dieser Lehrsatz lässt sich jedoch auch als Beleg für die Opakheits-
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these lesen, die besagt, dass Spinozas Attribute referentiell opake Kontexte erzeugen. Ein referentiell opaker Kontext besteht genau dann, wenn singuläre Termini eines Satzes nicht durch koreferenzielle Termini ersetzt werden können, ohne dabei eine Änderung des Wahrheitswertes dieses Satzes zu riskieren. Demnach darf von der Aussage ‚Der ausgedehnte Modus A verursacht den ausgedehnten Modus B‘ nicht einfach auf ‚Der denkende Modus 1 verursacht den ausgedehnten Modus B‘ geschlossen werden, selbst wenn der ausgedehnte Modus A mit dem denkenden Modus 1 identisch ist. Diese Opakheitsthese ist wichtig für die so genannte Identitätsinterpretation des Verhältnisses von Körper und Geist bei Spinoza (vgl. K40; zur Opakheitsthese vgl. Della Rocca 1996, 141–156). K38: Hier formuliert Spinoza seine berühmte Parallelismusthese, wonach die Relationen zwischen den Ideen isomorph zu den Relationen ihrer Gegenstände sind. Sein knapper Beweis mit dem bloßen Rekurs auf 1a4 hat Spinoza-Interpreten immer wieder herausgefordert (vgl. Bennett 1984, 127–131, und Della Rocca 1996, 22 f). Spinoza scheint folgende Begründung vor Augen zu haben: Es sei z. B. E die Wirkung der Ursache C und C ’ die Ursache von C und C ’’ die Ursache von C ’ usw. Die Wirkung E bringt (nach 1p16) selbst wieder eine Wirkung hervor, die ihrerseits wieder eine Wirkung hervorbringt etc. Diese Wirkungen seien mit E’, E’’ usw. benannt. Wir betrachten nun die Idee von E – kurz: I(E). (Dass es eine solche Idee gibt, wird durch 2p3 garantiert). Nach 1a4 hängt die Idee dieser Wirkung E von der Idee ihrer Ursache C ab: Es gilt also ‚I(C) f I(E)‘. I(C) wird nach 1a4 wieder von der Idee der Ursache von C, d. h. von I(C ’ ) abhängen, diese wiederum von der Idee ihrer Ursache I(C ’’ ) usw. Umgekehrt gilt natürlich auch, dass I(E’ ) von I(E) abhängt, und I(E’’) ihrerseits von I(E’ ) abhängt usw. Für die Ideen der kausal verbundenen Dinge ··· C ’’ ) C ’ ) C ) E ) E’ ) E’’ ··· gilt also, dass sie in exakt gleicher Weise von einander abhängen und folgende Verknüpfung aufweisen: ··· I(C ’’ ) f I(C ’ ) f I(C ) f I(E ) f I(E’ ) f I(E’’ ) ···. Somit gilt 2p7. K39: Vgl. hier K3. K40: Von der Deutung dieser Stelle hängt ab, in welcher Weise man das Verhältnis zwischen Körper und Geist bei Spinoza auffasst. Gemäß der Identitätsinterpretation wird diese Stelle als Ausdruck einer numerischen Identität gelesen: Demnach sind Körper und Geist tatsächlich dasselbe Ding, das unter den verschiedenen Attributen jeweils verschieden als Geist bzw. als Körper aufgefasst werden kann (vgl. dazu Della Rocca 1993 und Della Rocca 1996, 118–140). Gemäß der Parallelismusinterpretation wird „dasselbe Ding“ im Sinne einer qualitativen Identität
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gelesen: Demnach entspricht jeder Modus unter dem Attribut des Denkens einem Modus unter dem Attribut der Ausdehnung und umgekehrt, weil es sich dabei lediglich um dieselben Modifikationen real verschiedener Attribute handelt (vgl. dazu Bennett 1984, 139–143). K41: Spinoza behauptet hier, dass auch die Ideen von nicht existenten Dingen in der unendlichen Idee Gottes enthalten sein müssen. Diese Behauptung erstaunt, da man annehmen könnte, dass es solche Ideen Spinozas Parallelismus zufolge gar nicht geben kann, da ja alle Ideen immer mit einem Modus der Ausdehnung einher gehen müssen, der natürlich nicht inexistent sein kann. Was also meint Spinoza hier? Folgende Deutung bietet sich an: Ideen nicht-existierender Dinge sind Ideen noch nicht existierender Dinge, d. h. Ideen möglicher, aber noch nicht wirklicher Dinge. Da Spinoza als Nezessitarist der Auffassung ist, dass alles notwendig ist und es keine Möglichkeiten gibt (1p29; vgl. auch Perler 2006), gibt es aber streng genommen keine möglichen Dinge, denn wenn sie möglich wären, dann wären sie automatisch auch wirklich. Dennoch gibt es einzelne Modi, die jetzt zwar noch nicht möglich (und somit wirklich) sind, es aber später einmal sein werden. Ein Beispiel dafür wäre ein Flugzeug zu Zeiten Spinozas: Als Spinoza gelebt hat, gab es noch keine Flugzeuge. Es war Menschen noch nicht möglich, solche zu bauen. Dennoch waren Flugzeuge in dem Sinne möglich, als sich die Konstruktion von Flugzeugen aus dem notwendigen Weltverlauf ergab. Hätte Spinoza zu seiner Zeit den gesamten Weltzustand, die Natur oder Gottes Geist erkannt, hätte er daraus deduzieren können, dass es im 20. Jh. Flugzeuge geben wird. Gerade das zeigt aber, was Spinoza in 2p8 behauptet: Die Idee des (noch) nicht existenten Flugzeugs zu Zeiten Spinozas war damals schon in Gottes unendlichem Verstand enthalten. K42: Dass eine Idee das wirkliche Sein des Geistes ausmacht, ist nicht etwa kausal, sondern konstitutiv zu verstehen: Der Geist ist nichts anderes als die Idee, die ihn ausmacht. Das zeigt unter anderem 2p19d, wo behauptet wird: „Der menschliche Geist ist genau die Idee oder Erkenntnis des menschlichen Körpers“. K43: Für Spinoza können viele Ideen zusammen wieder eine einzelne Idee bilden. Er vertritt also eine Art Schachtelungsprinzip: Einzelne Ideen können wieder aus einzelnen Ideen zusammengesetzt sein (vgl. auch 2p15). Dasselbe gilt für Spinoza natürlich auch für die Modi der Ausdehnung, die – sobald sie dasselbe Verhältnis von Ruhe und Bewegung aufweisen – zusammen ein Individuum bilden. (Siehe dazu auch Spinozas so genannte „kleine Physik“, vgl. K46 und K47). K44: Vgl. 2p17s, wo Spinoza zwischen zwei Weisen unterscheidet, in
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denen eine Idee von etwas ist. „Objekt der Idee“ ist demnach ein zweideutiger Begriff (vgl. K51). K45: Spinoza verpflichtet sich hiermit auf einen Panpsychismus (vgl. dazu den systematischen Essay (4.3), 4.3.2, sowie Garrett 2008a und Nadler 2008). K46: Im Anschluss an 2p13s folgt die so genannte „kleine Physik“, in der Spinoza dazu übergeht die Natur von Körpern zu erläutern. Dort wird unter anderem geklärt, was ein individueller Modus von Ausdehnung ist, welchen Bewegungsgesetzen er obliegt und was für Veränderungen er durchmachen kann. Diese Erläuterungen sind für die Ideentheorie relevant, weil sie die ausgedehnten repräsentationalen Objekte von Ideen beschreiben. K47: Unter der Natur eines Körpers versteht Spinoza in der „kleinen Physik“ (vgl. K46) seine Individualität (vgl. Lemma 5 und Lemma 6 der „kleinen Physik“). Das, was die Individualität eines komplexen Körpers, also auch des menschlichen Körpers, ausmacht, ist ein Aneinanderliegen von Teilen oder eine bestimmte Regel, in der die einzelnen Teile dieses Körpers ihre Bewegungen miteinander verknüpfen (vgl. die Definition der „kleinen Physik“). K48: Die Argumentation aus 2p16s macht deutlich, dass wir äußere Gegenstände nur vermittels der Affektionen unseres eigenen Körpers wahrnehmen. Ausgehend von diesen Affektionen treffen wir gleichsam Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Gegenstände, die unseren Körper affiziert haben. Die Ideen die wir von äußeren Gegenständen haben beziehen sich deswegen direkt auf die Affektionen unseres Körpers und nur indirekt auf äußere Körper (vgl. dazu K51 und den systematischen Essay (4.3)). K49: Es ist wahrscheinlich, dass Spinoza sich an dieser Stelle verschreibt. Zwei Gründe sprechen dafür, dass hier „Affektion“ statt „Affekt“ stehen sollte. Erstens ist im Beweis zu diesem Lehrsatz 2p17 nur von „Affektion“ (affectio) die Rede; zweitens wird der Begriff des „Affekts“ (affectus) erst in 3def3 eingeführt. K50: Spinozas Theorie des Geistes wird häufig (und insbesondere von Davidson 1994, 231, selbst) mit Donald Davidsons „anomalem Monismus“ (vgl. Davidson 1980) verglichen. Eine Kernthese dieser Theorie ist es, dass zwar einzelne geistige Vorkommnisse mit physikalischen Vorkommnissen identisch sind, ohne dass auch geistige Typen mit physikalischen Typen identisch sind (vgl. Davidson 1980, 224). An dieser Stelle wird jedoch deutlich, dass Spinoza gerade diese These nicht vertreten kann, weil er sich mit seiner Erinnerungstheorie darauf verpflichtet, dass
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physikalische Typen (Konfiguration der flüssigen Teile des Körpers) mit geistigen Typen (Ideen von Körpern) korrelieren. K51: Spinoza unterscheidet an dieser Stelle eine Idee von Peter, die Peter zum direkten Objekt hat, insofern sie Peters Essenz ausmacht, und eine Idee von Peter, die Peter zum indirekten Objekt hat, insofern sie eher den Zustand von Pauls Körper anzeigt und nur indirekt den Zustand von Peters Körper. Der Ausdruck „Objekt der Idee“ ist also zweideutig (vgl. dazu Bennett 1984, 153–159, Bennett 2001, 151–153, und den systematischen Essay (4.3)). K52: Spinoza schließt an dieser Stelle daraus, dass die Idee des Geistes den Geist als Objekt hat, darauf, dass die Idee des Geistes und der Geist auf dieselbe Weise vereint sind wie der Geist und der Körper. Wie 2p12 und 2p13 deutlich machen, sind der Geist und der Körper repräsentational vereint: Im Geist wird genau das repräsentiert, was sich im Körper ereignet. Somit muss auch in der Idee des Geistes genau das repräsentiert werden, was sich im Geist ereignet. K53: Daraus, dass jemand weiß, dass P, folgt Spinoza zufolge ein unendlicher Regress, weil derjenige dann auch weiß, dass er weiß, dass P usw. Der Regress ist jedoch harmlos, weil er keine epistemische Rechtfertigungslast trägt. Die Rechtfertigung dafür, dass jemand weiß, dass er weiß, dass P, beruht nämlich auf seinem Wissen davon, dass P. Es ist aber nicht der Fall, dass sein Wissen davon, dass P, darauf beruht, dass er weiß, dass er weiß, dass P (vgl. Abhandlung, § 33, und K8). K54: In welcher Weise und warum die (In-)Adäquatheit unserer Ideen von den Affektionen unseres Körpers abhängt, wird im systematischen Essay, 4.3.3, eingehend geklärt. K55: Ideen sind für Spinoza dann klar und deutlich, wenn sie adäquat sind. Das lässt sich 1p36 und 1p38c entnehmen. Außerdem ist für Spinoza „jede klare und deutliche Idee wahr“ (Ep. 4.). Da Ideen aber genau dann wahr sind, wenn sie auch adäquat sind (vgl. Ep. 60), sind Ideen auch genau dann klar und deutlich. K56: Das Bestimmen von Übereinstimmungen, Unterschieden und Gegensätzen in den Dingen spielt in der Abhandlung eine wichtige Rolle. Es wird dort als ein Mittel vorgestellt, das dazu dient, die beste Weise des Erkennens auszuzeichnen und somit zur Verbesserung des menschlichen Verstandes zu gelangen (vgl. A § 25). K57: In diesem Lehrsatz wird deutlich, dass Wahrheit für Spinoza nur relativ zu einem Geist festgelegt werden kann. Das Prädikat ‚ist wahr‘ ist also streng genommen zweistellig und hat die Form: ‚eine Idee I ist wahr in Bezug auf einen Geist G ‘.
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K58: Spinoza gibt hier eine rein epistemische Charakterisierung der Falschheit. Das mag erstaunen, da wir üblicherweise dazu geneigt sind, unseren Irrtum im Rekurs auf die Falschheit unserer Ideen zu bestimmen, und nicht umgekehrt. Bennett 1986, 59, sprach hier sogar von „Spinoza’s profoundly wrong view“ (vgl. demgegenüber Della Rocca 1996, 107–117). K59: Für Spinoza sind unsere Vorstellungen (imaginationes) also kognitiv undurchdringlich: Auch wenn wir wissen, dass die Sonne sehr weit entfernt ist, erscheint sie uns nah. Eine Parallelstelle dazu findet sich in 4p1s. K60: Eine Einteilung in unterschiedliche Gattungen der Erkenntnis nimmt Spinoza sowohl in der Abhandlung als auch in der Kurzen Abhandlung vor. In der Kurzen Abhandlung II, 1. bezeichnet Spinoza die unterschiedlichen Gattungen der Erkenntnis mit „Meinung“, „Überzeugung“ und „Wissen“ und erläutert diese Unterscheidung ebenfalls am Beispiel der mathematischen Regel „de tri“. Diese Arten des Wissens decken sich mit den Gattungen der Erkenntnis in der Ethik. In der Abhandlung §§ 19–24 hingegen unterscheidet Spinoza zwischen vier Weisen der Wahrnehmung, die sich nicht klar auf die Einteilung in die drei Gattungen der Erkenntnis der Ethik projizieren lassen. In Bezug auf die Ethik wird die Erkenntnis 2. Gattung gemeinhin als diskursive Erkenntnis der intuitiven Erkenntnis 3. Gattung gegenübergestellt. Während die diskursive Erkenntnis aufgrund von adäquaten Allgemeinbegriffen (notiones communes) wie Ruhe und Bewegung gewonnen wird, mit deren Hilfe man die Beschaffenheit der Dinge erschließt, besteht die intuitive Erkenntnis in einem unmittelbaren Erfassen des gesamten Ideennetzes (vgl. dazu Yovel 1993). K61: Damit kann Adäquatheit als Wahrheitskriterium aufgefasst werden. Immer wenn ich eine adäquate Idee habe, weiß ich auch, dass sie wahr ist. K62: Wenn wir ein Ding wahrhaft erkennen, dann repräsentieren wir dieses Ding genauso, wie es tatsächlich ist, d. h. genauso wie es auch in Gott enthalten ist. Damit ist in Bezug auf diese Idee unser Geist mit Gottes Geist identisch und wir sind ein Teil von ihm. Diese These ist von zentraler Bedeutung für Spinozas Lehre der Unsterblichkeit: Wie Spinoza in 5p39 und 5p40s deutlich macht, ist ein menschlicher Geist in dem Maße ewig, in dem er adäquate Ideen hat, denn in diesem Fall ist er mit Gottes ewigem Verstand identisch (vgl. dazu Nadler 2001, 94–131).
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4.3 Essay: Erkenntnis, Bedeutung und Wahrheit – faktischer und epistemischer Gehalt von Ideen Erkenntnis, Bedeutung und Wahrheit stehen in einem besonders engen Zusammenhang: Ob es sich bei einer Überzeugung um Wissen handelt, hängt davon ab, ob sie wahr ist, was aber wiederum davon abhängt, was sie bedeutet bzw. welchen Gehalt sie hat. Spinozas eigentümliche Verknüpfung von Philosophie des Geistes und Erkenntnistheorie im zweiten Teil der Ethik zielt darauf ab, eine gemeinsame Wurzel dieser drei Phänomene freizulegen. Im vorliegenden Aufsatz rekonstruieren wir, wie sie dies tut. 4.3.1 Spinozas zweidimensionale Parallelismusdoktrin Spinozas Philosophie des Geistes und seine Erkenntnistheorie sind im zweiten Teil der Ethik – „De Natura et Origine Mentis“ – vereint und aufs Innigste miteinander verflochten. Das wird besonders im zentralen Lehrsatz 2p7 deutlich. Dort stellt Spinoza nämlich seine berühmte Parallelismusthese auf, wonach „[d]ie Ordnung und Verknüpfung von Ideen […] dieselbe [ist] wie die Ordnung und Verknüpfung von Dingen.“ Diese These hat einerseits eine ontologische Dimension, die maßgebend ist für die Beziehung zwischen dem menschlichen Körper und seinem Geist. Andererseits hat der Parallelismus auch eine semantische Dimension, die in Spinozas Erkenntnistheorie eine wesentliche Rolle einnimmt. Die ontologische Dimension der Parallelismusthese wird deutlich, wenn wir uns einige der ontologischen Grundannahmen Spinozas in Erinnerung rufen. Spinoza zufolge fallen alle Einzeldinge, die wir empfinden oder wahrnehmen können, in eine von zwei Klassen (vgl. 2a5). Entweder handelt es sich um Körper, die aus Gottes Attribut der Ausdehnung folgen und Modifikationen davon sind, oder es handelt sich um Ideen, die aus Gottes Attribut des Denkens folgen und dieses modifizieren (auch der menschliche Geist und andere geistige Entitäten sind für Spinoza nichts anderes als mehr oder weniger komplexe Ideen). Alle Körper bzw. Modi der Ausdehnung und alle Ideen bzw. Modi des Denkens folgen also jeweils aus einem der Attribute Gottes. Weil diese Attribute völlig unabhängig voneinander sind, können die Modi verschiedener Attribute jedoch nicht aufeinander einwirken (vgl. 2p6). Innerhalb ihres Attributs unterhalten Ideen und Körper jeweils kausale Beziehungen, jedoch finden sich keine Kausalrelationen zwischen den Modi verschiede-
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ner Attribute. Dies wirft die Frage auf, wodurch die Verbindung erklärt wird, die zwischen unseren Ideen (unter anderem Gedanken, Wahrnehmungen, Willensakten und Empfindungen) und der ausgedehnten Welt besteht. Wenn beispielsweise eine Nadel meinen Finger sticht, verspüre ich für gewöhnlich Schmerzen, und wenn ich in meine Hände klatsche, dann hat dies oft etwas damit zu tun, dass ich in meine Hände klatschen will. Wenn solcherlei Phänomene nicht auf kausalen Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist beruhen, worauf dann? Auf diese Frage kann nun mit der Parallelismusthese geantwortet werden. „Die Ordnung und Verknüpfung von Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung von Dingen“; jedem Modus im Attribut der Ausdehnung entspricht demnach ein ganz bestimmter Modus im Attribut des Denkens. Aus diesem Grund erweckt es den Anschein, Ideen könnten körperliche Veränderungen hervorrufen oder von diesen verursacht werden. Eigentlich verursachen Ideen aber nur Ideen und materielle Modi nur materielle Modi. Die kausalen Ketten unter dem Attribut der Ausdehnung sind jedoch genau gleich angeordnet wie diejenigen unter dem Attribut des Denkens. Was als gegenseitiges Einwirken von Ideen und Körpern wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit nichts anderes als der koordinierte und vollkommen synchrone Verlauf geistiger und körperlicher Prozesse. Warum aber folgt in der Regel auf einen Stich in meinen Finger ein Schmerz? Und warum folgt das Klatschen meiner Hände eben auf meinen Willen, in die Hände zu klatschen? Die Veränderungen der Modi des Denkens und der Ausdehnung könnten auch perfekt aufeinander abgestimmt sein, ohne dass sie in der Weise zueinander passen, in der sie tatsächlich zueinander passen. Zum Beispiel könnte auf meinen Willen, in meine Hände zu klatschen, einmal ein Beben auf dem Mond folgen, das andere Mal das Blinzeln von Angelikas Augen und ein drittes Mal das Anspringen des Fernsehers von Jean-Paul. Was bürgt für die Regelhaftigkeit der Beziehungen zwischen meinem Körper und meinem Geist? Das wird anhand der ontologischen Bestimmung der Parallelismusthese erklärt, die in 2p7s erfolgt: Hier müssen wir uns, ehe wir weitergehen, dessen erinnern, was wir oben [im 1. Teil] dargelegt haben, nämlich dass, was auch immer von einem unendlichen Verstand als eine Essenz von Substanz ausmachend wahrgenommen werden kann, nur zu einer einzigen Substanz gehört, und dass folglich die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz ein und dieselbe Substanz sind, die bald unter diesem bald unter jenem Attribut aufgefasst wird. Dann gilt auch, dass ein Modus von Ausdehnung und die Idee dieses Modus ein und dasselbe Ding sind, aber in zwei Weisen ausgedrückt.
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2p7s ergänzt Spinozas Ausführungen zum Parallelismus anhand einer Identitätsthese: Nicht nur entspricht jeder Modus der Ausdehnung einer Idee in Ordnung und Verknüpfung. Er ist sogar „ein und dasselbe Ding“ wie diese Idee, d. h. numerisch identisch mit ihr.2 Diese Identitätsthese scheint für Spinoza aus der Annahme zu folgen, dass es nur eine Substanz gibt (vgl. 1p14). Gottes Attribute Denken und Ausdehnung machen dieselbe Substanz aus, obwohl sie Gottes Essenz anders ausdrücken und jeweils unabhängig voneinander begriffen werden (vgl. 1p10). Modifikationen, die das Attribut der Ausdehnung modifizieren, kommen demnach keinem anderen Ding zu als jene, die das Attribut des Denkens modifizieren. Deswegen ist jede Modifikation der als denkend begriffenen Substanz auch eine Modifikation der als ausgedehnt begriffenen Substanz und umgekehrt. Ein und dieselbe Modifikation wird lediglich „in zwei Weisen ausgedrückt“. Das macht verständlich, warum gerade bestimmte Ideen regelhaft mit bestimmten Körpern in Verbindung stehen. Sie sind nämlich nichts anderes als diese Körper, aber unter dem Attribut des Denkens ausgedrückt. Jedes Mal, wenn sich ein Modus der Ausdehnung verändert, verändert sich folglich der ihm entsprechende Modus des Denkens und umgekehrt. Auch der menschliche Geist wird für Spinoza durch eine Idee ausgemacht (vgl. 2p11). Somit kann die Ethik in 2p13 den menschlichen Körper zum festen Korrelat des menschlichen Geistes erklären: „Das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ist der Körper, d. h. ein bestimmter wirklich existierender Modus von Ausdehnung und nichts anderes“. Unser Körper und unser Geist sind also genau dasselbe Ding (vgl. auch 3p2s). Und ebenso wie der Körper aus vielen körperlichen Teilchen besteht, ist die Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, aus zahlreichen anderen Ideen zusammengesetzt (vgl. 2p15). Mithin können Ideen (wie z. B. der Wille, in die Hände zu klatschen) mit körperlichen Prozessen (etwa Abläufen im Gehirn) identisch sein, die zu Handlungen führen (wie z. B. in die Hände klatschen). Die Identitätsthese erklärt somit die Verbindung von Modi der Ausdehnung 2
Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass Jonathan Bennett mit gewichtigen Gründen bestreitet, dass von 2p7s auf die numerische Identität von Körpern und Ideen geschlossen werden darf (vgl. Bennett 1983, Bennett 1984, 141–142 und Bennett 1996, 79–83): Gegen die Identität von Ideen und Körpern spricht, dass damit das Interaktionsverbot aus 2p6 missachtet würde. Michael Della Rocca verteidigt die These Modi von Denken und Modi von Ausdehnung seien numerisch identisch gegen diesen Einwand, indem er 2p6 als Opakheitsthese deutet (vgl. Della Rocca 1993 und Della Rocca 1996, 118–156).
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und Modi des Denkens – d. h. den Entitäten, die in Spinozas Ontologie die beiden grundlegenden Klassen von Einzeldingen ausmachen. Auf die semantische Dimension der Parallelismusthese verweist Spinoza in 2p7c. Dort heißt es: Hieraus folgt, dass Gottes Macht zu denken seiner wirklichen Macht zu handeln gleich ist. D.h., was auch immer aus der unendlichen Natur Gottes folgt und kraft dieses Folgens ein Sein hat, das alles folgt in Gott aus der Idee Gottes in derselben Ordnung und mit derselben Verknüpfung in ideeler Weise [objective].
Die Parallelismusthese wird hier durch eine Repräsentationsthese ergänzt. Demnach repräsentiert jede Idee den ausgedehnten Modus, der ihr in Ordnung und Verknüpfung entspricht und mit ihr numerisch identisch ist (fortan: ihr ausgedehntes Gegenstück). Auf diese Repräsentationsthese weist im eben angeführten Zitat das Wort „objective“ hin. Objective ist ein technischer Begriff, der schon bei Descartes die repräsentationale Natur eines Gegenstandes bezeichnet: Ein objektiv existierender Gegenstand ist ein Gegenstand, der als Inhalt im Geiste vorliegt.3 Jede Idee weist also einen Inhalt auf, welcher ihrem ausgedehnten Gegenstück zugeordnet ist und ihn repräsentiert. Wenn Spinoza folglich schreibt, „[d]as Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ist der Körper“ (2p13), dann meint er damit auch, dass der Geist den Körper repräsentiert. Der menschliche Körper und seine Zustände werden demnach durch seinen Geist widergespiegelt. Spinozas Parallelismusthese hat also nicht nur eine ontologische Dimension, auf deren Grundlage Spinoza die Identität von Körper und Geist behaupten kann, sondern der Parallelismus hat auch eine semantische Dimension, der zufolge jede Idee ihr ausgedehntes Gegenstück repräsentiert. 4.3.2 Das Einverleibungs- und das Panpsychismusproblem Indem sie Aufschluss über die basale Beziehung von Körper und Geist gibt, fundiert die ontologische Dimension des Parallelismus Spinozas Philosophie des Geistes. Die semantische Dimension des Parallelismus bildet dagegen eine wichtige Grundlage für Spinozas Erkenntnistheorie, weil sie den Zugang des Geistes zur ausgedehnten Welt bestimmt. In 2p7 lassen sich dementsprechend Momente nachweisen, die sowohl für Spi-
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Vgl. Descartes, Meditationes de prima philosophia, AT VII, 8; Bd. 1, S. 62, und Objections et Réponses, AT IX, 81–83.
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nozas Philosophie des Geistes wie auch für seine Erkenntnistheorie grundlegend sind. Die enge Verknüpfung von Philosophie des Geistes und Erkenntnistheorie in diesem Lehrsatz äußert sich in zwei Schwierigkeiten. Die erste dieser Schwierigkeiten ergibt sich aus der Identitätsthese. Sie lässt sich nur anhand der Repräsentationsthese beseitigen. Die zweite Schwierigkeit entspringt der Repräsentationsthese und muss unter Rückgriff auf die Identitätsthese behoben werden. Das zentrale Problem der Identitätsthese ergibt sich schlicht daraus, dass ausnahmslos jeder Modus der Ausdehnung mit einem Modus des Denkens identisch ist. Dies ist befremdlich, weil es bedeutet, dass jeder noch so rudimentäre Körper dasselbe Ding ist wie eine bestimmte Idee. Im Falle des Menschen mag es erstmals aufschlussreich erscheinen, körperliche Zustände in einem engen Verhältnis zu bestimmten mentalen Prozessen aufzufassen. Wenn ich an die Erstürmung der Bastille denke, weisen bestimmte Areale meines Gehirns rege Aktivität auf und meine Neuronen feuern eifrig. Es scheint eine enge Beziehung zwischen diesen Hirnarealen und meinem Gedanken zu geben und es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass es sich bei dieser Beziehung um eine Identitätsrelation handelt. Bei Steinen, Stühlen und Pflanzen scheint es jedoch falsch anzunehmen, dass ihre Bestandteile in einer Identitätsrelation zu Ideen stehen könnten, ganz einfach deshalb, weil wir in der Regel nicht davon ausgehen, das Steine, Stühle oder Pflanzen Ideen haben. Nicht nur legen solche Gegenstände kein Verhalten an den Tag, das uns dazu ermuntern würde, ihnen mentale Zustände zuzuschreiben. Sie entbehren auch noch der Organe, von denen Denken abzuhängen scheint. Auf dem Hintergrund unserer wissenschaftlichen Theorien ergibt die Ansicht, nach der jeder Körper eine Idee ist, zunächst wenig Sinn. Nun versäumt es Spinoza nicht nur sich von dieser Ansicht zu distanzieren. Er scheint sie auch noch bekräftigen zu wollen. In 2p13s schreibt er nämlich: Denn was wir bisher aufgezeigt haben, ist ganz allgemein und gilt für jeden Menschen nicht mehr als für übrige Individuen, die alle, wenn auch in verschiedenen Graden beseelt sind. Denn von jedem Ding gibt es notwendigerweise in Gott eine Idee, von der Gott in gleicher Weise die Ursache ist wie von der Idee des menschlichen Körpers.
In diesem Zitat nimmt Spinoza eindeutig Stellung zum oben skizzierten Problem. Er sieht, dass seine Identitätsthese ihn dazu verpflichtet, jeden Körper mit einer Idee gleichzusetzen. Anstatt diese Verpflichtung einzuschränken, nimmt er sie jedoch vollkommen in Kauf und behauptet, dass jedes Individuum beseelt ist. Jedem Modus von Ausdehnung kommt
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demnach ein Modus von Denken zu, der dessen Seele bzw. dessen Geist ausmacht. Spinoza muss also aufgrund seiner Identitätsthese ein fragwürdiger Panpsychismus zugeschrieben werden. Wendet man sich nun der Repräsentationsthese zu, wird man mit einem weiteren zentralen Problem konfrontiert, dass man das Einverleibungs-Problem nennen kann. Es besteht darin, dass der Zugang unseres Geistes zur Welt sich auf die Bestandteile des menschlichen Körpers zu beschränken scheint. Die Idee, die unseren menschlichen Geist ausmacht, repräsentiert nämlich aufgrund des Parallelismus genau ihr ausgedehntes Gegenstück. Somit hat es den Anschein, als müssten wir, um einen Körper zu repräsentieren, der außerhalb unseres Körpers liegt, ihn uns erstmals förmlich einverleiben. Um etwa imstande zu sein, Gedanken zu bilden, die die Sonne als Inhalt haben, müsste ich die Sonne verschlucken. Um an Stühle, Lampen und Hochhäuser zu denken, müsste ich diese erst Stück für Stück herunter schlingen. Diese Vorstellung erscheint nicht nur aufgrund der begrenzten Aufnahmefähigkeit meines Magens seltsam. Sie läuft auch der Erfahrung zuwider, dass ich Gegenstände außerhalb meines Körpers wahrnehme und dass meine Augen zuweilen auch größer sind als mein Appetit. Es ist einfach unplausibel anzunehmen, dass ich nur das wahrnehmen und nur an das denken kann, was ich aufesse. Wenn die Repräsentationsthese unweigerlich auf das Einverleibungs-Problem hinauslaufen sollte, dann macht sie nicht nur den Anfang, sondern auch gleich das Ende von Spinozas Erkenntnistheorie aus. Spinozas Parallelismusthese wirft also zugleich zwei gewichtige Probleme auf: Das Problem des Panpsychismus, das seiner Philosophie des Geistes entspringt, und das Einverleibungs-Problem, das seiner Erkenntnistheorie innewohnt. Wie kommt Spinoza nun mit diesen beiden Problemen zurecht? Das Problem des Panpsychismus lässt sich entschärfen, indem die Repräsentationsthese herangezogen wird. Wenn Spinoza schreibt, dass jedem Ding eine Idee entspricht, dann heißt dies, der Repräsentationsthese zufolge, dass jedes Ding durch eine Idee repräsentiert wird. Diese repräsentationale Funktion von Ideen muss hier betont werden. Damit lässt sich nämlich sagen, dass eine bestimmte Idee zu haben nicht unbedingt bedeutet sich eines mentalen Zustands bewusst zu sein oder eine Überlegung anzustellen. Es bedeutet lediglich, dass es eine Idee gibt, die den eigenen Körper repräsentiert, ob man sich dieser nun bewusst ist oder nicht. Solch eine Idee ist ein Begriff, der dem eigenen Körper durch den Parallelismus zugeordnet ist. Tatsächlich definiert Spinoza eine Idee als „einen Begriff des Geistes“ (2def2). Was aber ist ein Begriff für Spi-
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noza? Im weitesten Sinne ist das so etwas Ähnliches wie ein Bündel an Informationen zur Beschaffenheit eines Dinges. Demzufolge kann man sich den Geist oder die Seele, die durch die Idee eines jeden Dinges ausgemacht wird, als ein Bündel an Informationen zur Beschaffenheit dieses Dinges denken. Dies legen besonders bestimmte Äußerungen aus der Abhandlung nahe, wo Spinoza z. B. schreibt: „die wahre Idee von Peter ist nun dessen objektive Essenz“ (A, § 34).4 Die wahre Idee von Peter ist also Peters Essenz als Inhalt. Diese Idee repräsentiert die wesentliche Struktur von Peters Körper. Zeitgenössisch gesprochen kann man somit sagen, dass sie gleichsam die Gesamtheit der Informationen über die wesentliche Struktur von Peters Körper ist. Jede Idee trägt die Summe der Informationen zur Beschaffenheit ihres ausgedehnten Gegenstücks.5 In dieser Hinsicht leuchtet die Allgemeinheit der Identitätsthese ein und Spinozas Panpsychismus erscheint schon weniger absonderlich als zuvor. Wenn mit der Behauptung, dass jeder Körper mit einer Idee identisch ist, bloß gemeint wird, dass jedem Körper ein bestimmter Begriff oder ein Bündel an Information entspricht, dann ist es nicht unplausibel anzunehmen, dass auch Steine, Stühle und tote Blätter eine Idee haben und deswegen beseelt sind. Es stellt sich heraus, dass Spinozas prima facie befremdlicher Panpsychismus eigentlich ein durchaus vertretbarer Pankonzeptualismus ist. Eine anfänglich abstrus anmutende Konsequenz der Identitätsthese wird im Lichte der Repräsentationsthese nachvollziehbar. Das Einverleibungs-Problem stellt sich hingegen erst durch die Repräsentationsthese: Gerade weil jede Idee genau ihr ausgedehntes Gegenstück repräsentiert, scheint der Zugang unseres Geistes zur Außenwelt stark beschränkt zu sein. Um dieses Problem zu umgehen, muss auf die Identitätsthese verwiesen werden. Wenn zur Kenntnis genommen wird, dass der Geist mit dem Körper identisch ist, dann fällt auf, dass jede Veränderung des Körpers sich auch im Geist widerspiegeln muss. Dies betrifft schließlich nicht nur Veränderungen, die in der Tiefe des Magens stattfinden, sondern auch Affektionen der Augen, des Gehörs, anderer Sinnesorgane usw.:
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Eine ähnliche Passage findet sich auch in der Ethik in 2p17s. Wie sich in Abschnitt 4.3.4 zeigen wird, bildet dieser Gehalt eine wichtige Grundlage dafür, dass unsere Ideen wahr oder falsch sein können. Dieser als Information verstandene Gehalt, den eine Idee objektive in sich schließt, kann jedoch streng genommen nicht falsch sein.
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Was auch immer im Objekt der Idee, die den menschlichen Körper ausmacht, sich ereignet, muss von dem menschlichen Geist wahrgenommen werden; anders formuliert, davon wird es notwendigerweise eine Idee in dem Geist geben. D.h.: Wenn das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ein Körper ist, dann wird in diesem Körper nichts sich ereignen können, was von dem Geist nicht wahrgenommen wird. (2p12)
Wenn der Geist nun all das wahrnimmt, was sich im Körper ereignet, dann sind darin auch alle Affektionen verzeichnet, die in unserem Körper durch andere Körper hervorgerufen werden. Selbst der leichteste Eindruck auf meinem kleinen Zeh wird von meinem Geist angezeigt. Diese enge Verbindung von Körper und Geist erlaubt es nun eine Wahrnehmungstheorie aufzustellen, nach der auch Dinge wahrgenommen werden können, die außerhalb des eigenen Körpers liegen. Diese Dinge können nämlich mittels der Affektionen des eigenen Körpers empfunden werden. Dadurch, dass mein Geist die Veränderungen meines Körpers wahrnimmt, nimmt er indirekt auch die Ursachen dieser Affektionen wahr und mithin andere Modi der Ausdehnung. Warum das funktioniert, erklärt 2p16: Die Idee einer jeden Weise, in der der menschliche Körper von äußeren Körpern affiziert wird, muss die Natur des menschlichen Körpers und zugleich die des äußeren Körpers in sich schließen. (2p16) Hieraus folgt erstens, dass der menschliche Geist die Natur sehr vieler Körper zusammen mit der Natur des eigenen Körpers wahrnimmt. (2p16c1)
Die Beschaffenheit meiner Affektionen hängt sowohl von der Beschaffenheit meines Körpers ab als auch von der Beschaffenheit der Körper, die diese Affektionen verursachen. Deswegen kann ich mittels meiner Affektionen gewissermaßen auf diese äußeren Körper zurück schließen. Daraus folgt, dass ich äußere Modi der Ausdehnung wahrnehme, wenn sie auf meinen Körper einwirken. Spinoza beeilt sich freilich hinzuzufügen, dass ich eigentlich eher meinen Körper als diese äußeren Modi der Ausdehnung wahrnehme: „Es folgt zweitens, dass die Ideen, die wir von äußeren Körpern haben, eher den Zustand unseres Körpers anzeigen, als dass sie die Natur der äußeren Körper“ erklären (2p16c2). Ich nehme Stühle, Lampen und Hochhäuser zwar nicht wahr, weil ich sie verschlinge, doch sind sie meinem Geist auch nicht unmittelbar gegeben. Es bedarf einer Einwirkung derselben auf meinen Körper, damit mein Geist sie wahrnehmen kann.6 6
Es bedarf allerdings nicht notwendig einer aktuellen Einwirkung eines Gegenstandes um ihn wahrzunehmen. Spinoza ergänzt seine Wahrnehmungstheorie nämlich
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Ebenso wenig habe ich aber direkten Zugriff auf die Idee, die die objektive Essenz dieser Gegenstände ausmacht. Meine Idee der Sonne ist nicht das Ding, das aufgrund der Identitätsthese den Geist der Sonne ausmacht. Es gibt Spinoza zufolge einen grundlegenden Unterschied zwischen einer Idee, die bloß eine Wahrnehmung von X ist, die Y hat, und der Idee, die das objektive Wesen von X ausmacht. Dieser Unterschied wird in 2p17s betont: Ferner verstehen wir (aus vorigem Lehrsatz und aus Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 dieses Teils) klar, was der Unterschied ist zwischen der Idee, sagen wir von Peter, die die Essenz gerade von Peters Geist ausmacht, und der Idee von Peter, die in einem anderen Menschen ist, sagen wir in Paul. Jene nämlich erklärt unmittelbar die Essenz gerade von Peters Körper und schließt dessen Existenz nur solange ein, wie Peter existiert; diese dagegen zeigt mehr den Zustand von Pauls Körper an als die Natur von Peter. (2p17c)
Die Idee von Peter, die Paul hat, unterscheidet sich darin von der Idee von Peter, die Peters Essenz ausmacht, dass sie eine Affektion von Pauls Körper ist. Mithin erklärt sie nicht unmittelbar Peters wesentliche Struktur, sondern den Zustand von Pauls Körper. Aus diesem Zustand lassen sich nun gleichsam Rückschlüsse auf die Beschaffenheit von Peters Körper ziehen. Diese Rückschlüsse werden aber z. T. mangelhaft sein. Pauls Affektionen vermitteln nämlich nur partielle Informationen über ihre Ursache. Sie erklären ja eher Pauls als Peters Beschaffenheit. Die Idee von Peter, die sich aus Pauls Affektionen herleiten lässt, wird in mancherlei Hinsicht verworren und verstümmelt sein, weil sie nicht mit der Idee von Peter übereinstimmt, die Peters Essenz ausmacht. Deswegen schreibt Spinoza: „Die Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt die adäquate Erkenntnis eines äußeren Körpers nicht in sich“ (2p25). Das Einverleibungs-Problem lässt sich demnach umgehen, wenn man Spinozas Identitätsthese berücksichtigt. Jedoch erweist sich Erkenntnis, die aus Wahrnehmungen gewonnen wird, als inadäquat.
durch eine Erinnerungstheorie, die es unter anderem auch erlaubt Halluzinationen zu erklären. In gröbsten Zügen besagt diese Erinnerungstheorie, dass ein äußerer Gegenstand bei wiederholter Einwirkung auf meinen Körper diesen so verändern und prägen kann, dass auch andere Reize in die Lage versetzt werden, den gleichen körperlichen Zustand in mir hervorzurufen, wie bei der Einwirkung dieses Gegenstandes. Dann kann ich den Gegenstand aber auch wahrnehmen und mich an ihn erinnern, ohne dass er weiterhin in der Außenwelt gegeben ist (vgl. 2p17 und 2p18).
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4.3.3 Das Problem der Adäquatheit Im letzten Abschnitt ist deutlich geworden, dass wir durch Wahrnehmung nur inadäquate Ideen erhalten. Wahrnehmungsideen sind verstümmelt und verworren. Aber was heißt es für eine Idee adäquat zu sein? Wenn Spinoza mit seiner Definition der Adäquatheit auf diese Frage antwortet, dass eine Idee genau dann adäquat sei, wenn sie alle „inneren Merkmale einer wahren Idee hat“ (2def4), ist dies nur wenig erhellend, denn man fragt sich sogleich worin diese inneren Merkmale einer wahren Idee bestehen. Weiteren Aufschluss darüber, was Spinoza unter einer adäquaten Idee versteht, muss aus seiner Verwendung dieses Begriffs erschlossen werden. Zunächst fällt auf, dass man streng genommen nicht einfach von einer Idee alleine sagen kann, sie sei adäquat. Ob eine Idee adäquat ist oder nicht, hängt vielmehr davon ab, in Bezug auf welchen Geist sie betrachtet wird. Adäquatheit ist kein einstelliges Prädikat (im Sinne von ‚Idee x ist adäquat‘), sondern ein zweistelliges Prädikat (eine Idee x ist adäquat in Bezug auf einen Geist y). Das wird in 2p11c besonders deutlich: Hieraus folgt, dass der menschliche Geist ein Teil von Gottes unendlichem Verstand ist. Wenn wir daher sagen, der menschliche Geist nimmt dieses oder jenes wahr, so sagen wir nichts anderes, als dass Gott, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklärt wird, d. h. insofern er die Essenz des menschlichen Geistes ausmacht, diese oder jene Idee hat. Und wenn wir sagen, Gott hat diese oder jene Idee, nicht insofern er die Natur des menschlichen Geistes ausmacht, sondern insofern er zusammen mit dem menschlichen Geist auch die Idee eines anderen Dinges hat, dann sagen wir, dass der menschliche Geist das Ding nur zum Teil, anders formuliert inadäquat, wahrnimmt.
Spinoza behauptet hier, dass der menschliche Geist ein Teil von Gottes Geist ist. Das mutet auf den ersten Blick rätselhaft an. Wie kann mein Geist Teil eines anderen Geistes sein? Diese Frage klärt sich ganz automatisch, wenn man berücksichtigt, dass ein Geist nach Spinoza kein von den Ideen gesondertes Ding ist. Ein Geist ist für Spinoza bloß eine Menge von Ideen. So ist mein Geist nichts anderes als die Menge all meiner Ideen.7 Meine Ideen wiederum sind die mentalen Gegenstücke der Teile meines Körpers. Mein Geist ist demnach einfach mein Körper unter dem Attribut des Denkens. Weil Gott Spinozas Substanzmonismus
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Spinoza vertritt somit eine Bündeltheorie des Geistes. Vgl. dazu Della Rocca 1996, 41–43.
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zufolge mit der Substanz oder der Natur identisch ist, ist Gottes Geist nichts anderes als die ganze Natur, insofern sie unter dem Attribut des Denkens aufgefasst wird. Während mein Geist die Menge der Ideen meines Körpers ist, ist Gottes Geist die Menge der Ideen aller Dinge. Da mein Körper ein Teil Gottes ist, sind natürlich auch meine Ideen – und damit mein Geist – ein Teil von Gottes unendlichem Geist. Mein Geist, der aus meinen Ideen besteht, bildet gleichsam eine Untermenge des göttlichen Geists, der Menge aller Ideen. Damit lässt sich natürlich jede Idee immer im Hinblick auf eine spezielle Menge von Ideen betrachten. Fasst man eine Idee auf, insofern sie im Geiste Gottes enthalten ist, ist sie adäquat, fasst man dieselbe Idee auf, insofern sie lediglich in einem menschlichen Geist enthalten ist – d. h. in der Untermenge der Menge aller Ideen, die durch die Natur des menschlichen Geistes festgelegt oder „erklärt“ wird –, ist sie unter Umständen inadäquat. Spinozas „insofern“-Redeweise zeigt somit, dass Adäquatheit Geist-relativ ist: Ob eine Idee adäquat ist oder nicht, hängt davon ab, in Bezug auf welchen Geist sie betrachtet wird. Im Beweis zum Lehrsatz 30 des zweiten Teils der Ethik macht Spinoza deutlich, dass jede Idee adäquat ist, wenn sie in Bezug auf Gottes Geist – auf die Menge aller Ideen – betrachtet wird.8 Warum ist eine Idee automatisch adäquat – und das heißt nach 2p36 auch klar und deutlich –, wenn sie als Teil aller Ideen aufgefasst wird? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich erschließen, wenn man genauer untersucht, warum Spinoza der Meinung ist, dass wir keine adäquate Erkenntnis unserer Körperteile haben. [V]on jedem Teil des Körpers, von welchem auch immer, [wird] eine Idee oder Erkenntnis in Gott sein, und zwar […] insofern er als affiziert von einer anderen Idee eines Einzeldinges angesehen wird, welches Einzelding der Ordnung der Natur nach dem Teil selbst vorangeht […]. Dasselbe gilt übrigens von jedem Teil des den menschlichen Körper zusammensetzenden Individuums selbst. Mithin ist die Erkenntnis eines jeden den menschlichen Körper zusammensetzenden Teils in Gott, insofern er von den Ideen sehr vieler Dinge affiziert ist, und nicht, insofern er nur die Idee des menschlichen Körpers hat, d. h. […] diejenige, die die Natur des menschlichen Geistes ausmacht; mithin schließt […] der menschliche Geist die adäquate Erkenntnis der den menschlichen Körper zusammensetzenden Teile nicht in sich. (2p24d)
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„Wie aber die Dinge verfasst sind, davon gibt es eine adäquate Erkenntnis in Gott, insofern er die Ideen aller Dinge überhaupt und nicht nur insofern er nur die Idee des menschlichen Körpers hat“. (2p30d)
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An dieser Stelle macht Spinoza deutlich, warum es zwar in Gottes Geist eine adäquate Idee unserer Körperteile gibt, nicht aber in unserem Geist: In Gottes Geist, der alle Ideen umfasst, ist nämlich nicht nur die Idee eines meiner Körperteile vorhanden, sondern zugleich sind auch die Ideen der Einzeldinge präsent, die „der Ordnung der Natur nach dem Teil selbst vorangeh[en]“, d. h. die Ideen der Einzeldinge, die meine Körperteile affizieren oder meine Körperzustände verursachen. Der menschliche Geist umfasst hingegen nur gerade die Ideen meiner Körperteile, nicht aber deren Ursachen. Aus diesem Grund ist Gottes Idee meiner Körperteile adäquat, meine Idee aber inadäquat. Damit lässt sich nun Spinozas Adäquatheitsbegriff genauer ausbuchstabieren: Eine Idee ist in einem Geist genau dann adäquat, wenn dieser Geist auch die Ideen aller Ursachen dieser Idee umfasst. Auch wenn diese Erläuterung den Adäquatheitsbegriff bei Spinoza etwas verdeutlicht, ist immer noch unklar, was es heißen soll, dass sich in einem Geist, in Bezug auf den eine Idee adäquat ist, all die Ursachen dieser Idee befinden. Diese Unklarheit lässt sich jedoch leicht auflösen, wenn man bedenkt, dass Ursachen für Spinoza immer kausale Gründe sind, die eine Sache erklären.9 Wenn eine Idee adäquat oder mit all ihren Ursachen verbunden ist, heißt das also nichts anderes, als dass sich diese Idee vollständig erklären lässt. Aber warum, so kann man sich fragen, erkennt man einen Gegenstand nach Spinoza erst dann klar und deutlich oder adäquat, wenn man all seine Ursachen kennt? Warum z. B. muss eine adäquate Erkenntnis des Mont Blanc seine ganze kausale Geschichte der Alpenfaltung umfassen, und besteht nicht einfach in einer vollständigen Beschreibung seiner geologischen Eigenschaften? Das hängt eng mit dem zusammen, was Spinoza zufolge ein Gegenstand oder Körper überhaupt ist. Dies erläutert Spinoza in seiner so genannten kleinen Physik, wo er schreibt: „Körper unterscheiden sich voneinander aufgrund von Bewegung und Ruhe und aufgrund des Grades ihrer Geschwindigkeit“ (2lem1) und anschließend in 2lem3 anfügt: „Ein bewegter oder ruhender Körper hat zu Bewegung oder Ruhe von einem anderen Körper bestimmt werden müssen, der zu Bewegung oder Ruhe ebenfalls von einem anderen hat bestimmt werden müssen, und dieser wiederum von einem anderen, und so weiter ins Unendliche.“ Die Identität eines Kör9
Vgl. dazu 1p11d2, wo Spinoza „Grund“ und „Ursache“ synonym verwendet. Jonathan Bennett 1984, 29–32, hat deshalb Spinoza als „causal rationalist“ gesehen, demzufolge das kausale Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung auch als logisches Verhältnis zwischen Prämisse und Konklusion verstanden werden muss.
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pers hängt somit vom spezifischen Verhältnis von Ruhe und Bewegung seiner Teile ab. Da dieses spezifische Verhältnis von Ruhe und Bewegung auf die Einwirkungen anderer Körper zurückgeht, ist ein Körper gleichsam das Produkt all seiner Ursachen, die für sein spezifisches Verhältnis von Ruhe und Bewegung verantwortlich sind. Deshalb muss eine adäquate Erkenntnis eines Körpers, die all seine unterschiedlichen Bestandteile umfassen soll, eine Erkenntnis seiner Ursachen sein, die den Körper zu dem machen, der er tatsächlich ist. Auf das Mont Blanc Beispiel bezogen heißt das: All die geologischen Eigenschaften dieses Berges beruhen letztlich auf einem ganz bestimmten Verhältnis von Ruhe und Bewegung seiner Teile, das seinerseits ein Produkt seiner Ursachen ist: Der ganze Prozess der Alpenfaltung und all die Magmaströmungen, die diesen Prozess ausgelöst haben, stecken in gewisser Weise im heutigen Mont Blanc. Es gäbe den Mont Blanc, wie es ihn heute gibt, nicht, wenn diese Prozesse nicht stattgefunden hätten. Deshalb muss eine adäquate Erkenntnis des Mont Blanc all seine Ursachen umfassen. Die Adäquatheit einer Idee bei Spinoza lässt sich auch anhand einer schematischen Skizze von Spinozas parallel verlaufenden Ideen verstehen:
Das Schaubild zeigt einen Ausschnitt aus der unendlichen Kette von Modi unter dem Attribut des Denkens (1, 2, 3 etc.) und Modi unter dem Attribut der Ausdehnung (A, B, C etc.), die aufgrund des Parallelismus perfekt aufeinander abgestimmt sind. Betrachten wir die Idee 3 etwas genauer. Die Idee 3 ist in einen Geist – d. h. ein Bündel von Ideen – eingebettet, der nicht alle Ursachen von 3 enthält. Sie ist also inadäquat. Wie alle anderen Ideen bezieht sich auch 3 primär auf ihr ausgedehntes Gegenstück (in ihrem Fall auf C). Das ist durch Pfeil I dargestellt. Da 3 jedoch inadäquat ist, bezieht sie sich nicht nur auf ihr physisches Korrelat C, sondern auch auf die Ursache von C, d. h. auf B. Das ist mit dem Pfeil II symbolisiert. Die Pfeile I und II stellen also genau die beiden Sinne dar, in denen eine Idee eben eine Idee von etwas sein kann, die Spinoza in seinem oben besprochenen Beispiel von Peters Idee von Paul
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(2p17s) unterscheidet. Die Idee 3 handelt somit nicht nur von C, sondern von C und B, und ist deshalb verworren. Da der Geist, in dem sich die Idee 3 befindet, ihre Ursache – die Idee 2 von B – nicht enthält, nennt Spinoza 3 verstümmelt. Um eine adäquate oder klare und deutliche Idee von C zu erhalten, muss der Geist sein Ideennetz so erweitern, dass er zwischen B und C unterscheiden kann. Dafür muss er die Idee 2 integrieren, die aber – solange sie nur inadäquat ist – von A und B handelt und daher noch nicht ausreicht, um die Idee von B und C genau zu unterscheiden. Deshalb muss auch die Idee 1 in das Ideennetz des Geistes eingebunden werden usw. Kann der obige Geist so erweitert werden, dass er alle Ursachen der Idee 3 umfasst, wird 3 vollkommen adäquat. Denn dieser erweiterte Geist kann das direkte Objekt C der Idee 3, klar von ihrem indirekten Objekt B unterscheiden, da dieser Geist ja auch über die adäquate Idee 2 von B verfügt. Damit ist 3 nicht mehr verworren, sondern deutlich. Zudem ist 3 in dem Fall auch nicht mehr verstümmelt, weil 3 mit all ihren Ursachen verbunden ist, und gleicht so nicht mehr einem „Schlusssatz ohne Vordersatz“ (2p28dem). Sobald 3 also in Bezug auf einen Geist vollkommen adäquat ist, verfügt dieser Geist über alle Ideen, die ihm erlauben, ihr primäres Objekt C klar und deutlich zu erkennen. In diesem Fall handelt die Idee 3 nur noch von C, stimmt mit C überein und ist nach 1a6 wahr. Das führt uns zum nächsten Problem in Spinozas Ideentheorie: dem Problem der Wahrheit. 4.3.4 Das Problem der Wahrheit und zwei Formen des Gehalts Schon wenn Spinoza eine adäquate Idee als Idee definiert, die alle inneren Merkmale einer wahren Idee hat, zeigt sich, dass Wahrheit und Adäquatheit sehr eng zusammenhängen. In der Erläuterung dieser Definition betont Spinoza zudem, dass die Übereinstimmung einer Idee mit ihrem Gegenstand das äußere Merkmal, die Adäquatheit hingegen das innere Merkmal einer wahren Idee sei (2def4ex). In der soeben besprochenen schematischen Darstellung der Adäquatheit wird deutlich, warum Spinoza dieser Ansicht ist. Ist eine Idee nämlich mit all ihren Ursachen verknüpft, dann handelt sie nicht mehr in verworrener Weise von ihrem ausgedehnten Gegenstück und all seinen Ursachen, sondern bezieht sich nur noch auf dieses Gegenstück, stimmt mit ihm überein und ist 1a6 zufolge wahr. Umgekehrt stimmt eine Idee nur dann mit ihrem Gegenstück überein, wenn sie sich allein auf dieses Gegenstück bezieht und nicht mehr in verworrener Weise auch von den Ursachen ihres aus-
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gedehnten Korrelats handelt. Das kann sie aber erst, wenn sie sich in einem Geist befindet, der auch all ihre Ursachen enthält. Nur in diesem Fall kann der Geist zwischen dem ausgedehnten Korrelat dieser Idee und seinen Ursachen unterscheiden. Deshalb sind Ideen Spinoza zufolge genau dann wahr, wenn sie adäquat sind.10 Dieser enge Zusammenhang von Wahrheit und Adäquatheit ist wichtig, um Spinozas korrespondenztheoretische Auffassung der Wahrheit zu verstehen. Trotz Spinozas scheinbar klarem Bekenntnis zur Korrespondenztheorie der Wahrheit in 1a6 wurde er immer wieder als Kohärenztheoretiker der Wahrheit interpretiert, d. h. als jemand, der sagt, dass die Wahrheit einer Idee allein in der kohärenten Verknüpfung mit anderen Ideen besteht.11 Hinter diesem kohärenztheoretischen SpinozaVerständnis stehen hauptsächlich zwei Beweggründe: Zum einen sind wahre Ideen für Spinoza immer wahre Erkenntnisse. Spinoza erscheint es unsinnig, einfach von einer wahren Idee zu reden, ohne dass durch diese Idee jemand etwas erkennen würde.12 Aus diesem Grund vertritt Spinoza eine so genannt epistemische Wahrheitstheorie, der zufolge etwas nur dann wahr sein kann, wenn es prinzipiell auch erkannt werden kann. Eine Korrespondenztheorie der Wahrheit wird im Gegensatz dazu meist als nicht-epistemische Wahrheitstheorie verstanden: Ob ein Satz oder eine Idee mit einer Tatsache übereinstimmt, hängt nicht davon ab, ob man diesen Satz oder diese Idee auch kennt. Zum anderen befürchteten Spinoza-Interpreten, dass ein korrespondenztheoretisches Wahrheitsverständnis innerhalb von Spinozas metaphysischem Rahmen zur absurden Konsequenz führt, dass aufgrund der Parallelismusthese jede Idee trivialer Weise mit ihrem Gegenstand übereinstimmt und demzufolge wahr ist. Tatsächlich betont auch Spinoza in 2p32, dass alle Ideen, „insofern sie auf Gott bezogen sind, wahr“ sind. Allerdings formuliert Spinoza seine Aussage wieder in der einschränkenden insofern-Redeweise, die wir bereits im Zusammenhang mit der Adäquatheit kennen gelernt haben. Und diese Einschränkung ist wichtig: Eine Idee stimmt nämlich nur dann mit ihrem Gegenstück überein, wenn sie in einem Geist ist, in dem alle Ideen der Ursachen dieses Gegenstücks enthalten
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Das wird insbesondere in Ep. 60, 242, 2p34 und im Beweis von 2p43 deutlich. Ein prominenter kohärenztheoretischer Spinoza-Interpret ist Ralph Walker 1985. In 2p43s schreibt Spinoza: „Eine wahre Idee haben bedeutet nämlich nichts anderes, als eine Sache vollkommen oder bestens erkennen“.
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sind.13 Dies ist allgemein nur bei Gott der Fall, in dessen Geist alle Ideen enthalten sind. Spinoza behauptet also nicht, dass jede Idee immer wahr ist. Im Gegenteil, wenn die Idee in einen Geist eingebettet ist, der nicht all ihre Ursachen – das sind die Ideen der Ursachen ihres Gegenstücks – enthält, dann bezieht sich diese Idee nicht nur auf ihr Gegenstück, sondern gleichzeitig auch auf seine Ursachen, weshalb sie gerade nicht mit ihrem Gegenstand übereinstimmt. Ob eine Idee wahr oder falsch ist, hängt somit davon ab, was diese Idee zu erkennen gibt. Das wiederum hängt von ihrer Adäquatheit oder Verknüpfung mit ihren Ursachen ab. An dieser Stelle wird deutlich, dass man in Bezug auf Spinozas Ideen streng genommen zwei Sorten von Gehalt unterscheiden muss: einen faktischen und einen epistemischen Gehalt. Der faktische Gehalt einer Idee besteht aus der objektiven Essenz ihres ausgedehnten Gegenstücks, d. h. aus der Essenz ihres Gegenstücks, insofern sie objektiv – als Objekt der Idee – in der Idee enthalten ist.14 Der faktische Gehalt individuiert eine Idee und macht es möglich, dieselbe Idee in Bezug auf unterschiedliche Mengen von Ideen oder geistige Wesen zu betrachten.15 Daneben gibt es das, was man den epistemischen Gehalt einer Idee nennen könnte: Dieser Gehalt ist Geist-relativ und variiert mit der Verknüpfung einer Idee mit ihren Ursachen. Der epistemische Gehalt ist das, was eine Idee, insofern sie in ein bestimmtes Netz von Ideen eingebettet ist, zu erkennen gibt, oder das, was eine Idee (für uns) bedeutet. Es ist dieser Gehalt einer Idee, der adäquat oder inadäquat resp. wahr oder falsch sein kann. Wenn eine Idee adäquat oder wahr ist, stimmt ihr epistemischer Gehalt – das, was sie zu erkennen gibt – mit ihrem faktischen Gehalt – der objektiven Essenz ihres ausgedehnten Gegenstücks – überein. In diesem Fall kommt es zu einer wahren Erkenntnis. Diese Unterscheidung zeigt, dass Spinoza trotz Parallelismus-These eine Korrespondenztheorie der Wahrheit vertreten kann, ohne sich damit absurde Konsequenzen einzuhandeln. Da nur der epistemische Gehalt einer Idee semantisch bewertbar, d. h. wahr oder falsch sein kann und dieser Gehalt davon abhängt, wie vollständig eine Idee mit ihren Ur-
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Aufgrund von Spinozas Parallelismus gilt: die Ursache einer Idee von x = die Idee der Ursache von x. Das zeigt sich besonders in Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, § 36. Dass Ideen durch die Essenz ihres ausgedehnten Gegenstücks individuiert werden, wird in 2p13s deutlich. Dass die Essenz oder Natur des Gegenstücks den Inhalt dieser Idee ausmacht, stellt Spinoza in 2p17s klar.
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sachen verknüpft ist, ist auch die Wahrheit einer Idee Geist-relativ. Ob eine Idee eines bestimmten Objektes wahr ist, hängt damit davon ab, in Bezug auf welchen Geist diese Idee betrachtet wird. Wahr ist diese Idee nur in Bezug auf den Geist, in dem alle Ursachen dieser Idee enthalten sind, d. h. relativ zu dem Geist, in dem diese Idee adäquat ist. Auch wenn eine Idee aufgrund ihres faktischen Gehalts immer mit ihrem Gegenstück (oder dessen Essenz) übereinstimmt, gibt sie dieses Gegenstück nicht immer zu erkennen. Eine Idee ist jedoch nur dann wahr, wenn sie ihr Gegenstück auch zu erkennen gibt, d. h. wenn ihr epistemischer Gehalt dem faktischen Gehalt entspricht. Mit dieser Unterscheidung kann auch dem ersten Vorbehalt kohärenztheoretischer Spinoza-Interpreten begegnet werden. Insofern die Wahrheit einer Idee davon abhängt, was diese Idee zu erkennen gibt, und Ideen nur aufgrund ihres Beitrags zu einer wahren Erkenntnis wahr oder falsch sind, hat Spinoza tatsächlich ein epistemisches Wahrheitsverständnis. Aber das hindert ihn nicht daran, eine Korrespondenztheorie der Wahrheit zu vertreten. Ihr epistemischer Charakter ergibt sich einfach dadurch, dass sie die Wahrheit einer Idee von ihrem epistemischen Gehalt abhängig macht – davon, was diese Idee zu erkennen gibt. Wir haben gesehen, dass sich Ideen für Spinoza durch zwei Eigenheiten auszeichnen: Sie repräsentieren gewisse Objekte und dienen uns dazu, gewisse Objekte zu erkennen. Es ist jedoch deutlich geworden, dass wir die Objekte, die eine Idee repräsentiert, nicht immer erkennen. Das liegt daran, dass unsere Ideen sowohl einen epistemischen als auch einen faktischen Gehalt aufweisen, und dass sich diese beiden Arten von Gehalt nicht immer decken. In dem Maß, in dem sie sich nicht decken, sind unsere Ideen inadäquat, d. h. verstümmelt und verworren. Sie schließen dann nicht nur einen Mangel an Erkenntnis ein, sondern sind sogar falsch. Wenn sich der faktische und der epistemische Gehalt unserer Ideen hingegen decken, sind sie adäquat. Mithin sind sie wahr und führen zu echter Erkenntnis. Der faktische Gehalt macht Erkenntnis, Bedeutung und Wahrheit möglich. Indem er Ideen aufgrund der semantischen Funktion des Parallelismus zugeordnet ist, gewährleistet er eine Repräsentation der Essenz des Gegenstücks einer Idee. Aus diesem Grund können Ideen mit ihren Objekten korrespondieren, d. h. wahr sein, und zu Erkenntnis führen. Aus demselben Grund sind Ideen überhaupt Ideen von etwas. Es ist allerdings der epistemische Gehalt einer Idee, der dafür verantwortlich ist, dass eine Idee für einen Geist etwas bedeutet und seman-
Essay: Faktischer und epistemischer Gehalt von Ideen
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tisch evaluierbar wird. Eine Idee ohne epistemischen Gehalt ist strikt genommen weder wahr noch falsch, sondern einfach stumm. Das lässt sich anhand einer Analogie verdeutlichen: Der faktische Gehalt einer Idee ist mit einer Menge reiner Information vergleichbar, die von niemandem entschlüsselt oder verstanden wird. Eine aus dem Altertum stammende Pergamentrolle kann beispielsweise eine Vielzahl von Informationen über eine vergangene Zeit tragen, aber diese Information, die zwar faktisch da ist, ist uns epistemisch nicht zugänglich, solange wir die Schrift und Sprache dieses Pergaments nicht verstehen. In diesem Sinne ist reine Information wie der faktische Gehalt einer Idee stumm: Sie sagt uns nichts. Um die Information des Pergaments zu verstehen oder in ein Wissen umzuwandeln, müssen wir etwas tun: Wir müssen lernen, die Schriftrolle zu lesen. Ganz analog verhält es sich mit unseren Ideen. Um ihren faktischen Gehalt zu verstehen, müssen wir ihn in epistemischen Gehalt umwandeln, indem wir die Idee mit ihren Ursachen oder Gründen verknüpfen. Im Fall, in dem wir all ihre Gründe einsehen, ist die Idee adäquat in unserem Geist und gibt in aller Genauigkeit ihren faktischen Gehalt zu erkennen. In dem Moment korrespondiert sie auch mit ihrem Gegenstück und ist somit wahr. Ob eine Idee wahr oder falsch ist, d. h. wie sie semantisch zu bewerten ist, und was sie für uns überhaupt bedeutet, hängt demnach von ihrem so genannten epistemischen Gehalt ab – also dem, was sie von der Essenz ihres ausgedehnten Gegenstücks zu erkennen gibt. Zu Beginn dieses Aufsatzes wurde auf einen engen Zusammenhang zwischen Wahrheit, Bedeutung und Erkenntnis hingewiesen: Die Wahrheit einer Überzeugung ist eine Funktion ihrer Bedeutung und Erkenntnis setzt eine wahre Meinung voraus. Es lässt sich nun angeben, wie Spinoza diese drei Begriffe der Erkenntnis, Wahrheit und Bedeutung in seiner Ideentheorie auf systematische Weise zusammenführt: Erkenntnis, Bedeutung und Wahrheit sind für Spinoza allesamt im faktischen Gehalt von Ideen verankert, kommen jedoch erst durch ihren epistemischen Gehalt zur Geltung.
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Einführung: Malebranches Ideen als Bedingungen wahrer Erkenntnis
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5. Nicolas Malebranche Paolo Rubini
5.1 Einführung: Malebranches Ideen als Bedingungen wahrer Erkenntnis Malebranches Hauptwerk trägt den anspruchsvollen Titel De la recherche de la vérité. Où l’on traite de la nature de l’esprit de l’homme et de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences. Thema und Ziel der Abhandlung werden hier explizit angekündigt: Die „Suche nach der Wahrheit“ ist eine Untersuchung des menschlichen Geistes, aus der man lernen soll, wie man in der Wissenschaft Irrtümer meiden kann. Die Recherche de la vérité stellt somit in ihrer Zielsetzung ein Pendant zu Descartes’ Discours de la méthode dar: Sie ist die Suche nach einer Methode, die irrtumsfreie Erkenntnis ermöglichen soll. Diese Zielsetzung erfordert zunächst eine Untersuchung der Natur des menschlichen Geistes und seiner kognitiven Fähigkeiten.1 Denn will man wissen, was die Menschen in den Wissenschaften tun sollten, um wahre Erkenntnis zu erwerben und irrtümliche zu vermeiden, so muss man zuerst wissen, wie der menschliche Geist überhaupt Erkenntnis von Gegenständen erwirbt und unter welchen Bedingungen diese Erkenntnis wahr ist. Als zentralen Bestandteil dieser Untersuchung erweist sich Malebranches Ansicht nach die Ideentheorie, da die Grundlagen unserer Erkenntnis von Gegenständen Ideen sind. Ohne die Vermittlung von Ideen könnte der menschliche Geist keine Gegenstände erfassen, sind diese doch „durch sich selbst“ nicht „sichtbar“. Diese Überzeugung folgt aus Malebranches rigoroser Auslegung von Descartes’ Substanzdualismus: Da materielle (ausgedehnte) Gegenstände und immaterieller (unausgedehnter) Geist unterschiedlich geartete Substanzen sind und mithin keine charakteristischen Eigenschaften teilen (diejenigen der Körper, etwa die Teilbarkeit, können nicht im unausgedehnten Geiste instantiiert werden, so1
Vgl. dazu De la recherche de la vérité (fortan: Recherche), Préface, OCM I 20.
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Nicolas Malebranche
wie umgekehrt die des Geistes nicht in Körpern), kann zwischen ihnen keine ‚Kommunikation‘ von Eigenschaften und somit auch keine direkte kognitive Beziehung stattfinden.2 Kein materieller Gegenstand kann daher das unmittelbare Objekt eines kognitiven Aktes des Geistes sein: Die ontologische Differenz zwischen Geist und Gegenständen ließe sich nicht aufheben, selbst wenn der Geist – wie Malebranche mit paradoxer Formulierung feststellt – seine räumliche Entfernung von den Gegenständen überwinden könnte und diese ihm präsent wären. Daher müssen die Gegenstände, um überhaupt erkannt zu werden, dem Geist durch immaterielle Entitäten repräsentiert werden, die als solche ontologisch geeignet sind, Objekte seiner kognitiven Akte zu sein.3 Solche vermittelnden Repräsentationen, die dem Geist einen epistemischen Zugang zu den Gegenständen ermöglichen, nennt Malebranche in Anlehnung an Descartes (aber auch an Augustin und die Scholastik) Ideen. Eine Untersuchung des menschlichen Geistes, welche die Methode zur wahren Erkenntnis und zur Meidung von Irrtümern feststellen soll, muss sich demnach primär mit den Ideen befassen. Denn da nur sie dem Geist die Dinge ‚sichtbar‘ machen können, erweisen sie sich als notwendige Bedingungen unseres Erkenntniserwerbs überhaupt. Malebranches Ideentheorie soll aber zeigen, inwiefern Ideen auch hinreichende Bedingungen für den Erwerb irrtumsfreien, wahren Wissens sind, wie das methodologische Programm der Recherche de la vérité verlangt. Die zentrale Frage der „Suche nach der Wahrheit“ lässt sich daher so formulieren: Wie müssen Ideen beschaffen sein, damit sie als Grund2
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Diese These ist nicht mit Malebranches Okkasionalismuslehre zu verwechseln, der zufolge es keine direkten Kausalinteraktionen zwischen endlichen Entitäten im Universum gibt, weil alle Kausalrelationen unter materiellen Gegenständen sowie zwischen materiellen Gegenständen und immateriellem Geiste nur durch Gottes vermittelnde Rolle zustande kommen (vgl. dazu Bd. 1, „Malebranche“, Abschnitt 5.1.2, und Nadler 2000b). – Im Stellenkommentar (vgl. besonders K10, K22, K37) und im Abschnitt 5.3.1 werden wir ausführlicher auf die Gründe eingehen, weshalb Malebranches Dualismus es grundsätzlich verbietet, direkte kognitive Beziehungen zwischen Geist und Gegenständen anzunehmen und somit mentale Zustände (Modifikationen der geistigen Substanz wie Empfindungen, Perzeptionen, Gedanken usf.) als Repräsentationen körperlicher Eigenschaften zu betrachten. Dass es solche unmittelbaren Objekte des Geistes gibt und dass sie nicht die materiellen Gegenstände sind, beweisen laut Malebranche die Täuschungen (Illusionen, Halluzinationen), bei denen der Geist etwas erfasst, das in der Welt nicht existiert oder eigentlich anders beschaffen ist, als es erscheint. Vgl. dazu Stellenkommentar, K5.
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lagen wahrer Erkenntnis dienen können? – Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst geklärt werden, was Malebranche unter „Wahrheit“ versteht. Der Kontext, in dem dieser Begriff zu deuten ist, lässt sich bereits der Überschrift der Abhandlung entnehmen: Der explizite Hinweis auf das Gebiet der (strengen) „Wissenschaften“ zeigt dort, dass Malebranche nicht kontingente und partikuläre Wahrheiten (der Art „Die Chrysantheme auf meinem Tisch ist weiß“) im Blick hat, sondern notwendige und allgemeine Wahrheiten (der Art „Die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks ergibt zwei rechten Winkel“). Wahre Erkenntnis ist somit Erkenntnis, die mit dem Charakter der Gewissheit versehen ist – wobei Malebranche darunter nicht psychologische, sondern vielmehr epistemologische Gewissheit versteht. Er hält nämlich fest, dass die paradigmatische Methode wissenschaftlicher Erkenntnis auf dem (cartesischen) Prinzip beruht, dem zufolge alle Eigenschaften, die man aufgrund der „klaren Idee“ eines Gegenstands entdeckt, diesem Gegenstand irrtumsfrei zugeschrieben werden können.4 Anhand einer adäquaten („klaren“) Idee ist man demnach imstande, von dem repräsentierten Gegenstand zutreffend zu bestimmen, wie er typischerweise beschaffen ist und sich verhält. Die Form von Erkenntnis, die dieses Prinzip beschreibt, entspricht dem Vorbild der Mathematik, d. h. einer Art von Erkenntnis, die aus Prinzipien (Definitionen und Axiomen) deduktiv abgeleitet wird; diese ist – mit einem Wort – apriorische Erkenntnis.5 Ein Mathematiker weiß etwa zutreffend auszusagen, wie groß die Summe der Innenwinkel eines regelmäßigen Polygons mit n Seiten ist, da er sie apriorisch aus der Definition des Polygons selbst ableiten kann. Malebranches Ideentheorie soll letztlich zeigen, wie Ideen Bedingungen für den Erwerb apriorischen Wissens über Gegenstände (nach dem Vorbild der Mathematik) sein können. Aber verfügen wir über derartige („klare“) Ideen, die apriorische Erkenntnis von Gegenständen ermöglichen? Ist unser Wissen über Gegenstände nicht vielmehr aposteriorisch und deshalb – wie die Skeptiker behaupten – nur wahrscheinlich, niemals aber gewiss und somit nie „wahr“ in Malebranches Sinne? Denn was bürgt dafür, dass unsere Ideen die Gegenstände so repräsentieren, dass wir aus ihnen Wahrheiten ableiten können, die auf die Gegenstände notwendig zutreffen? – Die Garantie dafür, dass unsere Ideen die Gegenstände adäquat repräsentieren, ge4 5
Vgl. Recherche III.ii.7, OCM I 450, und Stellenkommentar, K31. Für die Verwendung dieses Begriffs im Kontext von Malebranches Ideentheorie vgl. etwa Jolley 1990, 174.
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währleistet aus Malebranches Sicht der theologisch-anthropologische Rahmen, in dem seine „Suche nach der Wahrheit“ verankert ist. Malebranches Anthropologie knüpft an Descartes’ Dualismus an, wonach der Mensch kein einheitliches Wesen ist, sondern in der funktionalen Verbindung zweier unterschiedlich gearteter Substanzen besteht: eines materiellen Körpers und eines immateriellen Geistes. Anders als Descartes betont aber Malebranche, von der Lehre des Kirchenvaters Augustin inspiriert, die Mittelstellung des menschlichen Geistes zwischen Gott und materieller Welt.6 Daraus ergeben sich für den Geist zwei Grundrelationen oder „Vereinigungen“ (unions): Der Geist sei sowohl mit dem eigenen Körper (und hierdurch mit weiteren materiellen Gegenständen) als auch mit Gott verbunden. Die Beziehung zum Körper ist allerdings nicht die wesentliche. Die Verbindung mit Gott spielt vielmehr die fundamentale Rolle: Sie ist ja „die natürlichste und essentiellste für den Geist“ (Recherche, Préface, OCM I 9). Denn Gott ist die einzige Entität, die gemäß Malebranches okkasionalistischem Verständnis der Dualismuslehre direkt auf den Geist einwirken kann, während jede Geist-Körper-Interaktion von Gott vermittelt wird. Aus dieser Asymmetrie der „zwei Vereinigungen“ ergeben sich maßgebliche Folgen nicht nur für Malebranches Anthropologie, sondern ebenso für seine Erkenntnistheorie. Die Mittelstellung des Geistes spielt nämlich die entscheidende Rolle auch im Hinblick auf das menschliche Erkennen; und auch in diesem Fall ergeben sich daraus zwei asymmetrische Relationen. Zum einen sieht Malebranche die Gottesabhängigkeit des Geistes auch im epistemischen Bereich bestätigt: Der Geist hat nur insofern Zugang zu einzelnen Erkenntnissen, als Gott sie ihm offenbart. Denn der menschliche Verstand ist, wie Malebranche beteuert, grundsätzlich passiv und verhält sich zu seinen Erkenntnissen nicht anders als die Materie zur Form.7 Zum anderen aber betrachtet Malebranche die Geist-Körper-Verbindung als ein schwerwiegendes kognitives Hindernis. Denn da der Geist dem Einfluss körperlicher Eindrücke und Triebe unterworfen ist, bleibt seine kognitive Abhängigkeit von Gott überwiegend verborgen und somit teilweise wirkungslos. Wenn daher der Geist nur nach den Sinnen über die Gegenstände urteilt, dann „ist es unmöglich, dass er sich nicht täuscht.“ (Recherche, Préface, OCM I 16) Die Vereinigung des Geistes mit 6
7
Vgl. Recherche, Préface, OCM I 9. Zum theologischen Rahmen der Recherche und der Ideenlehre Malebranches überhaupt vgl. Moreau 2004, 35–46; Jolley 1990, 7–11 und 78–80. Vgl. Recherche I.1 § 1, OCM I 43.
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dem Körper wird somit als Ursache des Irrtums erklärt, während die Vereinigung des Geistes mit Gott als Quelle von Wahrheit und Gewissheit gilt. Denn sofern der menschliche Geist mit ihm vereint ist, erweist sich Gott als „innerer Lehrer“, von dem der Geist – gemäß Augustins berühmter These – alle ewigen Wahrheiten und mithin alle Wissenschaften lernen kann. Gott ist somit der Garant dafür, dass der Zugang zur Wahrheit – nach der anspruchsvollen Bedeutung einer apriorisch gewissen Wahrheit – den Menschen offen steht. Gott ist letztlich der Ausweg aus dem Skeptizismus. Dieser Gedanke bildet den Kern von Malebranches Erkenntnistheorie und weist zugleich seiner „Suche nach der Wahrheit“ die Richtung. Denn durch den Rekurs auf Gott als letzte Erkenntnisquelle kann diejenige methodische Forderung klargestellt werden, die erfüllt sein soll, damit man apriorische Wahrheiten erfassen kann. Wenn der Geist nämlich imstande ist, sich von den körperlichen Empfindungen abzuwenden und seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, was Gott ihm offenbart, so ist er auch imstande, ewig wahre Erkenntnisse über die Natur der Gegenstände (und die moralische Pflicht der Menschen) zu erwerben. Somit steht das Grundprinzip von Malebranches Methodologie fest: Wer sich auf die „Suche nach der Wahrheit“ begibt, der soll sich abgewöhnen, an die „Berichte unserer Sinne“ zu glauben.8 Dank dieser methodisch-skeptischen „Disposition des Geistes“ wird der Wahrheitssuchende für die göttliche Offenbarung empfänglich und lernt zugleich, sich bei jedem Urteil über Natur und Verhalten der Gegenstände ausschließlich nach den Inhalten dieser Offenbarung zu richten. Die Inhalte, die Gott dem Geist offenbart, sind laut Malebranche Ideen, d. h. immaterielle Repräsentationen von Gegenständen, die dem Geist als kognitive Mittel für den Erkenntniserwerb dienen. Gott erbringt seine ganze Leistung als Quelle unseres apriorischen Wissens um Gegenstände, indem er den Geist mit Ideen versorgt. Denn die von Gott offenbarten Ideen sind – im Gegensatz zu körperlichen Empfindungen – adäquate Repräsentationen von Gegenständen, da sie diese so repräsentieren, wie sie an sich sind, und somit in vollständiger und zuverlässiger Weise.9 Demgemäß kann der Geist aus den ihm offenbarten 8 9
Vgl. Recherche, Préface, OCM I 18 f. „Die Schwere des Körpers […] zwingt ihn [scil. den Geist], sich alle Dinge nicht so zu repräsentieren, wie sie an sich sind, sondern gemäß der Beziehung, die sie zur Lebenserhaltung haben.“ (Recherche, Préface, OCM I 17; meine Hervorhebung [P.R.])
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Ideen zutreffende Urteile über Eigenschaften und Verhalten der Gegenstände deduktiv ableiten, ohne sich auf die trügerischen „Berichte der Sinne“ stützen zu müssen. So können wir etwa aus der Idee des rechtwinkligen Dreiecks (als adäquater Repräsentation) den Pythagoras-Lehrsatz herleiten, der als „Wahrheit“ auf alle durch diese Idee repräsentierten Gegenstände notwendig zutrifft. Die Ideen, die Gott dem Geist offenbart, ermöglichen daher als adäquate Repräsentationen apriorisches und somit gesichertes, irrtumsfreies Wissen über die Gegenstände – wie es in den Wissenschaften erforderlich ist. Die Ideen erweisen sich also aus Malebranches Sicht nicht nur als notwendige, sondern auch als hinreichende Bedingungen der Wahrheit: Wahre Erkenntnis zu erwerben bzw. Irrtum zu vermeiden bedeutet in methodischer Hinsicht nichts anderes, als nur dasjenige über die Gegenstände für wahr zu halten, was man aus den von Gott offenbarten Ideen der Gegenstände ableiten kann. „Wenn ein Mensch über die Dinge lediglich nach den reinen Ideen des Geistes urteilt […] und, in sich selbst zurückgekehrt, in der Stille seiner Sinne und Leidenschaften seinem herrlichen Lehrer zuhört, dann ist es unmöglich, dass er in den Irrtum fällt.“ (Recherche, Préface, OCM I 16) Die Inanspruchnahme der Ideen innerhalb von Malebranches theologisch eingebetteter Erkenntnistheorie wirft jedoch zahlreiche systematische Fragen auf. Als besonders aufschlussreich dürften zumindest folgende drei beachtet werden, die der Reihe nach Malebranches Theorie der Repräsentation (1), seine ontologische Auffassung von Ideen (2) und seine auf der Ideenlehre beruhenden Kognitionstheorie (3) betreffen: (1) Inhaltsfrage: Inwiefern verfügen Ideen (anders als Empfindungen) über einen Inhalt, der sie befähigt, als adäquate Repräsentationen von Gegenständen zu gelten? (2) Naturfrage: Wie sind Ideen beschaffen, wenn sie als adäquate Repräsentationen von Gegenständen gelten sollen? (3) Funktionsfrage: Wie entsteht Erkenntnis (alltägliche Erfahrung, Wissenschaft) aufgrund von Ideen als adäquaten Repräsentationen von Gegenständen? Im Stellenkommentar (5.2) werden wir Argumente kennen lernen, mit denen Malebranche – nicht immer ausdrücklich – auf diese Fragen antwortet. Im systematischen Essay (5.3) werden wir dann diese Fragen explizit aufgreifen, um Malebranches Lösungen zu diskutieren.10 10
Als vierte Frage wäre eine Rechtfertigungsfrage angebracht: Was garantiert nämlich, dass es einen Gott, der unserem Geist Ideen als adäquate Repräsentationen der
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5.2 Stellenkommentar: Auszüge aus De la recherche de la vérité/Die Suche nach der Wahrheit (1674–1712) Recherche de la vérité, Buch III, Teil ii, Kapitel 1 K1: Hier formuliert Malebranche die erste (und fundamentale) These seiner Ideentheorie: Externe Gegenstände sind für uns nicht „durch sich selbst“ (par eux-mêmes) epistemisch zugänglich. Die These ist in einem wahrnehmungstheoretischen Kontext eingebettet: Externe Gegenstände können nicht direkt wahrgenommen werden (sondern nur durch etwas anderes). Der These folgen Argumente, die sie begründen sollen (vgl. K2 und K5). K2: Malebranche entwickelt zunächst das sog. Spaziergangsargument, das sich so rekonstruieren lässt: (i) Der Geist kann einen Gegenstand erst dann wahrnehmen, wenn zwischen beiden ein direkter Kontakt besteht. (ii) Faktisch aber nimmt der Geist auch Gegenstände (etwa die Sonne) wahr, mit denen er keinen direkten Kontakt haben kann; denn es ist unmöglich, dass der Geist seine Entfernung von ihnen überwindet und ihnen ‚präsent‘ wird (die hier verworfene Ansicht ähnelt der des Neuplatonikers Plotin; vgl. etwa Enneades IV 6, 1, 14–20). Somit (iii) ist es notwendig, dass diese Gegenstände durch etwas anderes wahrgenommen werden, das dem Geist unmittelbar ‚präsent‘ ist; dies muss – so ist zu ergänzen – eine Repräsentation des Gegenstands sein. (Für ein vollständiges Verständnis des Arguments siehe ferner K10, K37; zudem Nadler 1992, 67–79.) – Z. 10 die Seele Im ideentheoretischen Kontext verwendet Malebranche die Termini „Seele“ (âme) und „Geist“ (esprit) als Synonyme. K3: Was dem Geist unmittelbar ‚präsent‘ ist, wenn er einen externen Gegenstand wahrnimmt, wird hier als Idee bezeichnet. Eine Idee lässt sich somit als das direkte Objekt (objet immédiat ) definieren, das der Geist bei einem Wahrnehmungsakt anstelle des externen Gegenstands erfasst. (Für die These, dass Ideen unmittelbare Objekte des Geistes sind, vgl. Descartes, Meditationes III 3, AT VII 35.) Anders als in der Übersetzung, Gegenstände offenbart, überhaupt gibt? Da diese Frage eine zentrale Rolle für Malebranches Erkenntnistheorie spielt, entzieht er sich nicht der Aufgabe, in Anlehnung an Descartes einen zwingenden Gottesbeweis zu liefern (vgl. besonders Recherche IV.11 § 3, OCM II 96–103 [Bd. 1, S. 213–220]). Die Rechtfertigungsfrage werden wir im systematischen Essay nicht aufgreifen. Im Stellenkommentar sollen allerdings die Argumente untersucht werden, mit denen Malebranche im Rahmen seiner Ideentheorie die notwendige Existenz Gottes zu beweisen sucht (vgl. besonders K27 ff.).
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wo immer nur von „Gegenstand“ die Rede ist, werden im Kommentar fortan mit „Gegenstand“ der indirekte Gegenstand, mit „Objekt“ die Idee als direktes Objekt des Geistes bezeichnet. – Zu den direkten Objekten des Geistes zählen auch seine eigenen Modi (Gedanken, Empfindungen usf.), d. h. mentale Zustände (vgl. dazu K8). Diese sind aber mit den Ideen nicht zu verwechseln, da sie im Gegensatz zu den Ideen nichts repräsentieren (vgl. K30). K4: In diesem Zusatz zur sechsten Ausgabe der Recherche (1712) erörtert Malebranche seine Ideendefinition (vgl. K3): Eine Idee ist insofern direktes Objekt des Geistes, als sie auf diesen einwirkt („den Geist berührt“) und ihn „modifiziert“; diese Modifizierung ist eine Wahrnehmung, bei welcher der Geist (mit Hilfe der Idee als direkten Objekts) einen externen Gegenstand erfasst. – Es gilt hier, die Zweideutigkeit der Termini „wahrnehmen“ (apercevoir) und „Wahrnehmung“ (perception) hervorzuheben, die bei Malebranche sowohl das (ideenvermittelte) Erfassen externer Gegenstände als auch das (unvermittelte) Erfassen der Ideen selbst bezeichnen. Während in der Übersetzung diese Zweideutigkeit beibehalten wurde, werden fortan im Kommentar „wahrnehmen“ bzw. „Wahrnehmung“ für das Erfassen von Gegenständen, „perzipieren“ bzw. „Perzeption“ für das Erfassen von Ideen verwendet. (Zu Malebranches Mangel an terminologischer Strenge siehe Moreau 2004, 24–26.) K5: Zum Nachweis der These, dass Ideen unmittelbare Objekte des Geistes sind, führt Malebranche das Illusionsargument an: Selbst im Fall einer Täuschung (wobei ein Gegenstand anders wahrgenommen wird, als er in Wirklichkeit ist) oder einer Halluzination (wobei ein Gegenstand wahrgenommen wird, der in Wirklichkeit nicht existiert) nimmt der Geist einen ‚Gegenstand‘ (etwa einen goldenen Berg) wahr; die tatsächliche Wahrnehmung eines irrealen Gegenstands zeigt, dass dem Geist – zumindest in diesem Fall – ein direktes Objekt ‚präsent‘ ist, das anstelle eines externen Gegenstands perzipiert wird. Ein solches Objekt ist laut der Definition von K3 eine Idee (die des goldenen Berges): Im Fall einer Illusion repräsentiert die Idee dem Geist einen unwirklichen Gegenstand. (Dieses Argument setzt seinerseits die Intentionalitätsthese voraus; vgl. K34.) – Zum Illusionsargument und dessen Unterschied vom Ansatz moderner Sinnesdatentheoretiker siehe Nadler 1992, 79–91. K6: Das Illusionsargument dient überdies zur Feststellung, dass Ideen als direkte Objekte des Geistes „wirkliche Existenz haben“ und somit reale Entitäten sind. Diese Feststellung wird mit dem Argument untermauert, dass Ideen reale Eigenschaften besitzen, aufgrund deren sie sich
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voneinander unterscheiden und verschiedene Gegenstände repräsentieren. Die „wirkliche Existenz“ der Ideen versteht Malebranche in dem Sinne, dass sie extramentale Objekte sind. K7: Hier kündigt Malebranche eine Untersuchung zur Natur der Ideen als Repräsentationen externer Gegenstände an, die aber erst in Z. 100 ansetzt. Bis dorthin geht es weiterhin um die Frage, ob es notwendig ist, Ideen als Repräsentationen anzunehmen. Zur Beantwortung dieser Frage unterscheidet Malebranche drei Fälle: wie man (A) den eigenen Geist, (B) fremdgeistige Entitäten und (C) materielle Gegenstände „wahrnimmt“. Siehe respektive K8, K9, K10. K8: In diesem Absatz wird der Fall (A) besprochen. Von Descartes’ dualistischer Ontologie ausgehend, der zufolge alle endlichen Entitäten entweder ausgedehnte materielle Substanzen (bzw. deren Modi) oder geistige immaterielle Substanzen (bzw. deren Modi) sind, hebt Malebranche zunächst hervor, dass der Geist seine eigenen Modi direkt erfasst; denn da diese seine Modifikationen sind, sind sie ihm unmittelbar ‚präsent‘ und somit epistemisch zugänglich. Folglich bedarf der Geist keiner Ideen (Repräsentationen), um seine Modi „wahrzunehmen“; von ihnen und von sich selbst hat er vielmehr eine „innere Empfindung“ (sentiment intérieur). Wie Descartes (vgl. Principia philosophiae I 9, AT VIIIa 7) zählt auch Malebranche zur Kategorie „Modi des Geistes“ nicht nur Gedanken und kognitive Akte überhaupt, sondern mentale Zustände jeder Art. Die These, der Geist erfasse seine Gedanken direkt (ohne Ideen), hängt bei Malebranche allerdings mit einer Unterscheidung zwischen Ideen (extramentalen Entitäten) und Gedanken (mentalen Zuständen) zusammen, wie sie bei Descartes nicht zu finden ist: Gedanken sind laut Malebranche keine Ideen, sondern Perzeptionen, deren Objekte Ideen (als repräsentationale Inhalte) sind. K9: Hier wendet sich Malebranche der Frage (B) zu: Wie werden fremdgeistige Substanzen und deren Modi wahrgenommen? Seine Ansicht lässt sich so zusammenfassen: Prinzipiell ist es zwar nicht unmöglich, dass verschiedene geistige Substanzen sich direkt „vereinen“, da sie ontologisch gleichartig sind (gemäß Descartes’ Dualismus sind sie alle immateriell); dennoch können fremdgeistige Entitäten nicht direkt („durch sich selbst“) wahrgenommen werden. (Ontologische Gleichartigkeit ist somit keine hinreichende Bedingung für Erkennbarkeit.) K10: Zur Beantwortung der Frage (C) beruft sich Malebranche erneut auf die These, dass externe Gegenstände nicht direkt, sondern nur durch Ideen wahrgenommen werden können, da solche Gegenstände mit dem Geist nicht „vereint“ sind (vgl. Z. 64–66). Hier fügt er aber hinzu, dass
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diese Antwort aus der Perspektive von Descartes’ Dualismus zu verstehen ist: Zwischen Geist und Gegenständen kann es „keine Beziehung“ geben, weil sie ontologisch ungleichartig sind (jener ist nämlich immateriell, diese sind materiell). Dieser Zusatz ergänzt also das ‚Spaziergangsargument‘ (vgl. K2) mit dem Hinweis darauf, wie dessen paradoxe These zu verstehen ist: Selbst wenn die räumliche Entfernung zwischen Geist und Gegenstand überwunden wäre, könnte nichtsdestotrotz kein direkter Kontakt zwischen ihnen entstehen; ohne die Vermittlung der Ideen wären daher dem Geist nicht nur räumlich ferne Gegenstände (Sonne und Sterne), sondern auch die nächsten (das eigene Gehirn) epistemisch unzugänglich. Denn sowohl die Entfernung, die den Geist epistemisch vom Gegenstand trennt, als auch die Präsenz, die erforderlich ist, damit der Geist sein Objekt erfasst, sind nicht räumlich, sondern ontologisch zu verstehen. Die erforderliche ontologische Gleichartigkeit ist aber ihrerseits kognitiv-kausal zu verstehen (vgl. K4): Materielle Gegenstände können den immateriellen Geist nicht kognitiv „affizieren“ bzw. sind ihm nicht „intelligibel“ (vgl. ferner K22, K37). K11: Hier startet Malebranche eine umfangreiche Untersuchung zum ontologischen Status der Ideen als Repräsentationen, bei der er sich mit konkurrierenden Ideentheorien auseinandersetzt. Diese Untersuchung hat zugleich die Funktion und Struktur eines Ausschlussarguments: Die nacheinander besprochenen Ideentheorien sollen insgesamt alle möglichen Weisen darstellen, wie materielle Gegenstände mit Hilfe von Ideen wahrgenommen („gesehen“) werden können; die Prüfung dieser Theorien hinsichtlich ihrer Konsistenz soll folglich zum Ausschluss aller falschen Alternativen und mithin zur Feststellung der einzig gültigen Auffassung führen. Die Theorien, die Malebranche in den folgenden Kapiteln schrittweise überprüft, sind in diesem Absatz aufgelistet: 1) Die Ideen entstammen den Gegenständen als deren Bilder und werden vom Geist bei der Wahrnehmung empfangen. Unter dieser Theorie diskutiert und verwirft Malebranche in Recherche III.ii.2 die aristotelisch-scholastische Lehre, wonach der Geist Gegenstände wahrnimmt, indem er ihre species sensibiles – d. h. wahrnehmbare Formen wie Farben, Töne usf. – aufnimmt. 2) Die Ideen werden vom Geist selbst erzeugt gemäß den kausalen Reizen, die er von den Gegenständen bei deren Wahrnehmung erhält. Diese empiristische Ideentheorie wird in Recherche III.ii.3 besprochen und abgelehnt. 3.1) Die Ideen der Gegenstände werden von Gott in den menschlichen Geist als angeborene Dispositionen eingebaut, die bei der Wahrnehmung aktiviert werden. Diese erste Variante der innatistischen Ideentheorie, die Descartes’ Position wiederzugeben scheint,
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wird in Recherche III.ii.4 zurückgewiesen. 3.2) Die Ideen werden von Gott im Geist erzeugt bei jeder Gelegenheit, bei welcher der Geist die Gegenstände wahrnehmen soll. Diese okkasionalistische Variante des Innatismus, die Malebranches eigener Ansicht am nächsten steht, wird ebenfalls in Recherche III.ii.4 zurückgewiesen. 4) Die Ideen als Essenzen der Gegenstände liegen auf eminente Weise im Geist vor, so dass dieser die Gegenstände wahrnimmt, indem er in sich selbst deren Essenzen erfasst. Diese dritte Variante des Innatismus, die ebenfalls eine strukturelle Ähnlichkeit zu Malebranches Position aufweist, wird in Recherche III.ii.5 diskutiert und abgelehnt. 5) Die Ideen als Essenzen der Gegenstände liegen in Gott vor, so dass der Geist die Gegenstände wahrnimmt, indem er deren Essenzen in Gott erfasst. Diese Auffassung wird als die einzig gültige erklärt und bildet die Kernthese von Malebranches Ideentheorie (vgl. K13). – Malebranches Ausschlussargument wirft die Frage auf, inwiefern die diskutierten Ideentheorien eine vollständige Disjunktion bilden. Eine Antwort bietet Pyle 2008, 156–159, indem er die verschiedenen Theorien auf eine Taxonomie zurückführt, die auf der Kombination der Begriffspaare „Empirismus/Innatismus“ und „Passivität/Aktivität“ beruht. Für die scholastischen Hintergründe von Malebranches Ausschlussargument siehe hingegen Connell 1967. Recherche de la vérité, Buch III, Teil ii, Kapitel 6 K12: Perfektionen Den Begriff „Perfektion“ verwendet Malebranche als Synonym für Essenz, wobei er sich dem scholastischen Gebrauch anschließt (vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I 14, 6, corp.; F. Suárez, Disputationes metaphysicae X 1, 15). Die Perfektion des Gegenstands O ist das, was O gemäß seiner Essenz sein soll – ungeachtet der Abweichungen, die aus der materiellen Instantiierung dieser Essenz entstehen. Als Perfektion bzw. Essenz ist die Idee von O somit das Modell oder der Archetyp, nach dem bestimmt wird, welche Eigenschaften ein Gegenstand besitzen muss, um ein O zu sein (vgl. K33). Als solche weist die Idee von O beide Merkmale des scholastischen Ideenbegriffs auf (vgl. Thomas, Summa theologiae I 15, 1, corp.): Sie ist sowohl das exemplar, dem gemäß O konstituiert ist, als auch das principium cognitionis, anhand dessen alle essentiellen Eigenschaften von O eruiert werden können. K13: Nachdem Malebranche die vier konkurrierenden Ideenauffassungen für inkonsistent oder unwahrscheinlich erklärt hat, bleibt als einzig gültige die fünfte übrig (vgl. K11): Der Geist nimmt materielle Gegenstände insofern wahr, als er in Gott die Ideen „sieht“, die Gott selbst diese Gegenstände repräsentieren. Diese Kernthese von Malebranches
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Ideentheorie beruht ausdrücklich auf zwei komplexen und voraussetzungsreichen „Annahmen“: – Annahme I: 1) Gott erkennt seine Geschöpfe, bevor sie existieren; denn sonst könnte er sie nicht erschaffen. 2) Gott erkennt somit die Geschöpfe anhand von Repräsentationen und a priori, da nicht existierende Dinge weder „durch sich selbst“ noch a posteriori erkannt werden können; diese Repräsentationen nennt Malebranche Ideen, wobei er an die scholastische Tradition anknüpft (vgl. K12) und Augustin als Quelle erwähnt. 3) Ideen sind Repräsentationen, die Gott apriorische Erkenntnis der Geschöpfe insofern ermöglichen, als sie die Perfektionen (Essenzen; vgl. K12) dieser Geschöpfe sind. 4) Diese Perfektionen bzw. Ideen sind in Gott (vgl. K15), der somit die Geschöpfe (a priori) erkennt, indem er sich erkennt. – Annahme II: 1) Gott ist mit dem menschlichen Geist „vereint“, d. h., Gott und Geist sind (nach K10) ontologisch gleichartig. 2) Zudem kann Gott – im Gegensatz zu den materiellen Gegenständen sowie zum Fremdgeistigen (vgl. K9, K10) – vom menschlichen Geist direkt oder „durch sich selbst“ erfasst werden: Gott ist nämlich intelligibel (vgl. Z. 85 f., 246 f.) und kann somit den Geist kognitiv „affizieren“. Aus der Kombination von (I.4) und (II.2) folgt, dass auch die Ideen „intelligibel“ sind und somit vom Geist erfasst werden können. Wenn der Geist die Ideen in Gott erfasst, dann erkennt er die Gegenstände so, wie Gott sie erkennt, nämlich durch die Ideen als deren Repräsentationen (qua Perfektionen). „Somit kann der Geist in Gott Gottes Werke sehen“ (Z. 134 f.). Zur Bekräftigung dieser These werden bis zu Z. 277 mehrere Argumente angeführt. K14: Hier artikuliert Malebranche das erste Argument: Da Gott nach dem Ökonomieprinzip und dem Prinzip des zureichenden Grundes handelt, erweist sich die Annahme, dass er die Ideen nach der Zahl der Erkenntnissubjekte und ihrer Denkepisoden vervielfältigt, als hinfällig. (Diese Annahme deckt sich mit der bereits zurückgewiesen okkasionalistischen Ideentheorie; vgl. K11, Variante 3.2.) Malebranches Folgerung scheint hier folgende zu sein: Korrigiert man unter Berücksichtigung beider genannter Prinzipien die im Kern richtige These, dass Gott dem Geist mit Hilfe von Repräsentationen die Wahrnehmung der Gegenstände ermöglicht, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die erforderlichen Repräsentationen genau die Ideen sind, mit denen Gott die Gegenstände erkennt. – Z. 147–156 Demnach bringt er … ihres Geistes. Als Beispiel dafür, dass Gott gemäß dem Ökonomieprinzip handelt, hebt Malebranche hervor, wie Gott die Gesamtheit der Naturprozesse lediglich mit Hilfe der
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Ausdehnung hervorbringt, ohne für besondere Prozesse (etwa die biologischen) besondere Dispositionen (etwa die Seelenvermögen der Scholastik) in die Gegenstände zu implementieren. An dieser Stelle bekennt sich Malebranche dezidiert zu einer mechanistischen Naturphilosophie à la Descartes: Alle physischen Phänomene können aufgrund materieller Ausdehnung und Bewegung vollständig beschrieben werden; auch funktionale Gefüge sind auf diese Weise zu analysieren. (Zu Malebranches Ablehnung der Dispositionslehre vgl. K45.) K15: In diesem Exkurs wird klargestellt, dass der menschliche Geist, indem er Ideen von Gegenständen in Gott erfasst, zwar Gottes Substanz erfasst, nicht aber insofern, als sie an sich ist (als solche ist sie unerkennbar), sondern insofern, als die Geschöpfe an ihr partizipieren können, d. h., als sie die Perfektionen (Essenzen; vgl. K12) sämtlicher Geschöpfe umfasst. („Partizipation“ ist hier das Pendant zu „Instantiierung“: Wenn x an F partizipiert, dann ist F in x instantiiert, und umgekehrt.) – Diese Ausführung präzisiert die ontologische Relation zwischen Gott und Ideen: Ideen sind keine von Gott unabhängigen Entitäten, sondern (materiell instantiierbare) Bestimmungen seiner Substanz. Somit sind Ideen in Gott selbst (vgl. K22) und nicht in einem abstraktem third realm (vgl. PeppersBates 2005, pace Jolley 1994). K16: Hier wird ein möglicher intentionalitätstheoretischer Einwand zurückgewiesen, indem präzisiert wird, dass der Geist, wenn er die Ideen (in Gott) erfasst, nicht primär diese Ideen „sieht“, sondern die Gegenstände, die von den Ideen repräsentiert werden. – Diese Feststellung hat einen Meinungsstreit in der Forschung angeregt: ob Malebranche nämlich Vertreter einer repräsentationalistischen Wahrnehmungstheorie (gemäß einer üblichen Ansicht; siehe etwa Jolley 1990, 85–88) oder aber direkter Realist sei (siehe Nadler 1992, 160–167). K17: Dieser Absatz liefert das zweite Argument für Malebranches ideentheoretische Hauptthese (vgl. K13): Wenn der Geist die Gegenstände erst insofern wahrnimmt, als er in Gott die Ideen erfasst, die Gott die Gegenstände repräsentieren, dann ist der Geist umfassend von Gott abhängig, d. h. nicht nur existentiell, sondern auch epistemisch. Denn der Geist nimmt ausschließlich die Gegenstände wahr, deren Ideen Gott ihm offenbart. (Siehe dazu K26.) – Die epistemische Gottesabhängigkeit des Geistes ist das Pendant zu Malebranches Annahme, der Geist sei in kognitiver Hinsicht vollkommen passiv und verhalte sich zu seinen Erkenntnisobjekten so wie die Materie zu den sie gestaltenden Formen (vgl. K46). Diese Annahme schließt von vornherein aus, dass der Geist mit angeborenen Ideen (als kognitiven Dispositionen) ausgestattet ist,
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mit denen er aus eigener Kraft die Gegenstände erkennen könnte (vgl. Z. 182 f., wo auf die innatistische Ideentheorie 3.1 von K11 angespielt wird); vielmehr ist der Geist epistemisch leer und dunkel, weshalb er – gemäß den angeführten Bibelzitaten – nur durch Gottes Ideen belehrt und erleuchtet werden kann. (Siehe dazu auch K45.) – Zu Leibniz’ gegensätzlicher Position, der zufolge im Geist Ideen als Dispositionen zum Denken vorhanden sind, siehe den systematischen Essay von Christian Barth in diesem Band, 8.3. K18: Das dritte und „stärkste“ Argument kann so rekonstruiert werden: (i) Es ist eine Tatsache, dass wir an alle beliebigen Gegenstände denken können. (ii) Wir könnten aber nicht an einen beliebigen Gegenstand denken wollen, wenn uns dessen Idee nicht bereits präsent wäre. (iii) Ideen können uns nur dann präsent sein, wenn sie aktual vorhanden sind (Malebranche schließt nämlich aus, dass Ideen im Geiste als Dispositionen vorhanden sind; vgl. K17, K45). (iv) Nur in Gott können alle Ideen aktual vorhanden sein. (v) Ergo: Wir erfassen in Gott die Ideen aller beliebigen Gegenstände. (Pyle 2008, 159, bezeichnet das Argument als „transzendental“.) – Hierzu ist zweierlei zu bemerken: 1) Zum ersten Mal argumentiert Malebranche für seine Ideentheorie nicht im Kontext der Wahrnehmungslehre, sondern im Hinblick auf die erkenntnistheoretische Frage, unter welchen Bedingungen wir überhaupt an Gegenstände denken können. 2) Er lässt zu, dass der Geist trotz seiner kognitiven Passivität (vgl. K46) die Fähigkeit besitzt, seine Aufmerksamkeit („Augenmerk“) zu lenken und sie auf die Ideen beliebiger Gegenstände zu richten (vgl. dazu K26). K19: Auch das vierte Argument ist erkenntnistheoretischer Natur: Hätte der Geist keinen Zugang zu den Ideen in Gott, so würde er über keine allgemeinen Repräsentationen der Gegenstände verfügen, da diese immer nur partikulär sind. – Das Argument beruht auf einer universalienrealistischen Prämisse: Ideen als Essenzen der Gegenstände sind Universalien ante rem, d. h., sie existieren (in Gott) unabhängig von ihren partikulären Instantiierungen. Das Argument setzt zudem die kognitive Passivität des Geistes voraus (vgl. K46): Dieser sei nicht fähig, allgemeine Vorstellungen partikulärer Gegenstände (etwa durch Abstraktion) zu bilden. Schließlich (und vornehmlich): Auch wenn der Geist diese Fähigkeit besäße, so wäre nicht zu erklären, wie er tatsächlich „abstrakte und allgemeine Wahrheiten erkennt“, ohne Ideen in Gott (als Universalien) in Anspruch zu nehmen. Denn keine komparativ-allgemeine Repräsentation einer Klasse von Gegenständen könnte jemals garantieren, dass all und nur die wesentlichen Merkmale dieser Klasse erfasst worden
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sind und dass somit die daraus ableitbaren Wahrheiten allgemein und notwendig auf diese Klasse zutreffen. Diese Garantie können lediglich die Ideen leisten, da nur sie als Essenzen der Gegenstände Erkenntnis a priori ermöglichen (wie im Fall von Gottes Erkenntnis; vgl. K13). Ideen sind demgemäß sowohl universal als auch vollständig bestimmt: Als Essenzen umfassen sie alle Merkmale, die eine bestimmte Klasse von Gegenständen (etwa „Pferd“) vollständig definieren, nicht jedoch die Merkmale, welche die einzelnen Gegenstände dieser Klasse (Bukephalos, Rocinante usf.) individuieren. K20: Das fünfte Argument, das laut Malebranche einen Gottesbeweis liefert, beruht auf der These, dass die Idee des Unendlichen, d. h. Gottes, von keinem endlichen Geist gebildet und somit nur in Gott erfasst werden kann. (Siehe dazu die ausführliche Diskussion ab K27.) K21: In diesem Exkurs wird der Einwand widerlegt, die Idee des Unendlichen besitze keine positive Realität, weil sie aus Ideen endlicher Gegenstände gebildet werde (etwa durch Negation; vgl. Descartes, Meditationes III 24, AT VII 45). Darauf erwidert Malebranche folgendermaßen: 1) Die Idee des Unendlichen liegt allen Ideen endlicher Gegenstände zugrunde, die nur Partizipationen an ihr sind („Partizipation“ heißt hier soviel wie Begrenzung; vgl. K55). 2) Der Geist erfasst demgemäß die Ideen der Gegenstände in der Idee des Unendlichen. K22: Das sechste Argument – erst in der fünften Ausgabe der Recherche (1700) hinzugefügt – ist so aufgebaut: (i) Ideen sind kognitiv „wirksam“ in dem Sinne, dass sie auf den (passiven) Geist „wirken“, wobei sie ihm Gegenstände repräsentieren (der Geist wird dadurch „modifiziert“ in Form einer Perzeption; vgl. K4). (ii) Nur Gott ist ontologisch imstande, auf den Geist kognitiv zu „wirken“ (dazu ist weder Materielles noch Fremdgeistiges in der Lage; vgl. K9, K10). (iii) Ergo: Ideen sind nur deshalb kognitiv wirksam, weil sie sich in Gottes kognitiv wirksamer, intelligibler Substanz befinden. – Dieses Argument bestätigt das Ergebnis von K15 und liefert einen Beleg dafür, dass Ideen nicht per se wirksam sind, sondern nur insofern, als sie (partizipierbare) Bestimmungen von Gottes Wesen sind (siehe Peppers-Bates 2005). K23: Das letzte Argument hat nur theologischen Charakter und wird hier nicht berücksichtigt. K24: Malebranche nimmt hier Abstand von Augustin – seiner wichtigsten Autorität für die Ideentheorie neben Descartes (vgl. Réponse à Arnauld 9, OCM VI 80) –, welcher die These vertrat, man sehe in Gott ewige Wahrheiten (etwa moralische Gesetze). Malebranche berichtigt diese These gemäß den ontologischen Verpflichtungen seiner Wahrheits-
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theorie: Wahrheit ist die Relation, die zwischen Ideen besteht (vgl. Recherche I.2 §1, OCM I 52); die Perzeption dieser Relation ist ein Urteil (vgl. ebd., OCM I 50). Eine Wahrheit ist etwa die Relation „doppelt so groß wie“, welche zwischen den Ideen „zwei“ und „eins“ besteht. Relationen sind aber laut Malebranche keine realen Entitäten, hängen sie doch ontologisch von den Relata ab (vgl. Z. 289f.). Wenn man folglich Wahrheiten in Gott „sieht“, erfasst man eigentlich nur die Relata, d.h. nur die in ihm real existierenden Ideen (vgl. K6): Erfasst man diese Ideen vollkommen, so „sieht“ man zugleich auch all ihre Relationen, d.h. alle daraus ableitbaren Wahrheiten. Alle Wahrheiten sind somit analytische Wahrheiten. K25: Hier hält Malebranche fest, dass in Gott freilich Ideen veränderlicher Gegenstände anzutreffen sind, nicht aber die Empfindungen, die als Modifikationen unseres Geistes die Wahrnehmung solcher Gegenstände begleiten. Denn anhand der Idee unseres Geistes (und auch der Ideen der uns affizierenden Gegenstände) weiß Gott a priori, wie er unseren Geist modifizieren muss, damit dieser Empfindungen bekommt, die den affizierenden Gegenständen entsprechen. – In diesem Absatz formuliert Malebranche auch folgende wahrnehmungstheoretische Thesen: 1) Bei der sinnlichen Wahrnehmung eines Gegenstands O perzipiert der Geist immer zugleich Empfindungen (Farben, Tönen usf.) und die Idee des Gegenstands O. 2) Für diese Koppelung ist Gott verantwortlich, indem er beide Modifikationen des Geistes (beide Perzeptionen) hervorbringt. Somit ist unser Wahrnehmungsgegenstand das Produkt zweier voneinander unabhängiger kausaler Prozesse, die beide ihren Ursprung in Gott haben. K26: Abschließend stellt Malebranche erneut die epistemische Gottesabhängigkeit des Geistes fest, die aus seiner Ideentheorie hervorgeht (vgl. K17). Gott bringt sowohl (a) die „natürliche Vereinigung“ von Geist und Körper anlässlich der Entstehung von Empfindungen als auch (b) die „natürliche Vereinigung“ von Geist und göttlichen Ideen anlässlich der Entstehung von Kognitionen hervor. Beide Verbindungen sind erforderlich für unsere sinnliche Wahrnehmung materieller Gegenstände (vgl. K25). Aber auch im Fall abstrakter Erkenntnis, wobei der Geist bei willensgesteuerten empfindungsfreien Gedanken reine Ideen erfasst, ist es Gott, der gemäß der Vereinigung (b) die Perzeption der Ideen bewirkt, an die der Geist denken will. Die Vereinigung (b) dürfte also erklären, warum der Geist, so sehr er in kognitiver Hinsicht auch passiv ist, die Fähigkeit besitzt, seine Aufmerksamkeit auf die gewünschten Ideen zu richten und seine Denkepisoden zu steuern (vgl. K18; siehe dazu Peppers-Bates 2005).
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Recherche de la vérité, Buch IV, Kapitel 11, § 3 K27: Descartes’ Beweis von Gottes Existenz Malebranche sagt nicht explizit, ob er sich hier auf Descartes’ ideentheoretischen oder ontologischen Gottesbeweis bezieht. Der ideentheoretische Gottesbeweis (in der Dritten Meditation) stützt sich auf die Annahme, dass unsere Idee von Gott nur Gott selbst als Ursache haben kann, weil unser Geist nicht soviel „formale Realität“ besitzt, wie die Idee von Gott „objektive Realität“ besitzt. (Zu Descartes’ zweifachem Realitätsbegriff vgl. die Einleitung von Dominik Perler in Bd. 1, S. 13–16, sowie den Stellenkommentar von Stefanie Grüne in diesem Band, 1.2, S. 8–10.) Descartes’ ontologischer Gottesbeweis (in der Fünften Meditation) beruht hingegen auf der Annahme, dass die Essenz Gottes, der als unendlich vollkommenes Wesen definiert ist, das Merkmal der Existenz notwendigerweise enthält, weshalb Gott gemäß seiner Essenz die Eigenschaft der Existenz notwendigerweise besitzt. (Für eine ausführliche Darstellung beider Beweise siehe Perler 1998, Kap. V.3). K28: Malebranche liefert hier eine zentrale Prämisse seiner Deutung des cartesischen Gottesbeweises, indem er an die Kernthese seiner Ideentheorie anknüpft: Ideen repräsentieren insofern Gegenstände, als sie die Essenzen sind, gemäß denen Gott diese Gegenstände erschafft (vgl. K13). Hier wird erklärt, dass die Ideen als Essenzen nur mögliche Gegenstände repräsentieren. Die Existenz der Gegenstände folgt nicht analytisch aus deren Ideen, da es Gottes Entscheidung ist, ob und welche Essenzen realisiert werden. Gott erkennt freilich in sich selbst (a priori) auch die Existenz der Gegenstände, da es von seinem Willen abhängt, welche Essenzen in welchen Abschnitten des raum-zeitlichen Kontinuums realisiert werden (vgl. Z. 422–425). Da aber die Existenz der Gegenstände nicht von unserem Willen abhängig ist, können wir nicht a priori wissen, ob die Ideen, die Gott uns offenbart, wirkliche oder nur mögliche Gegenstände repräsentieren. Die Existenz der Gegenstände kann uns nicht durch Ideen bekannt werden, sondern lediglich „durch eine Art natürlicher oder übernatürlicher Offenbarung“ (vgl. Z. 435–437). – Die Abkoppelung von Essenz und Existenz bei finiten Wesen ist ein locus classicus in der Scholastik; vgl. etwa Thomas von Aquin, De ente et essentia 5. K29: Nun folgt der Kern von Malebranches Deutung des cartesischen Gottesbeweises. Seine Argumentation beruht auf der Annahme, dass die Idee Gottes (im Gegensatz zu allen anderen Ideen) den Beweis für die Existenz dessen liefert, was sie repräsentiert. Diese Annahme wird (wie bei Descartes’ Gottesbeweis in der Dritten Meditation) ideen-
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bzw. repräsentationstheoretisch begründet: Bei Gott fallen Repräsentation (Idee, Essenz) und repräsentierter Gegenstand zusammen. Gott „sieht“ man also (im Gegensatz zu allen anderen Gegenständen) in ihm selbst, ohne Vermittlung einer Idee; Gott ist direktes Objekt des Geistes. Wenn man an Gott denkt, dann erfasst man unmittelbar Gott selbst (als aktuale Existenz): In strengem Sinne gibt es von Gott keine Idee, sondern nur eine Perzeption. Dass man an Gott denkt, ist für Malebranche eine psychologische Tatsache. – Warum aber fallen bei Gott Repräsentation und Gegenstand zusammen? Malebranches Begründung ist, dass nichts Endliches Gott repräsentieren kann. Diese Begründung darf so ausgelegt werden: Gott ist kein kontingentes Wesen, von dem es eine von ihm abgekoppelte Essenz (Idee) geben könnte, die ihn als bloße Möglichkeit repräsentieren würde. Denn da Gott „unendlich vollkommen“ oder „das Unendliche“ schlechthin ist, ist er ein notwendiges Wesen, bei dem die Abkoppelung von Essenz und Existenz nicht gilt: Die Essenz (Idee) Gottes schließt Gottes Existenz ein (sonst wäre Gott kein unendlich vollkommenes Wesen). Hier sieht man, wie Malebranches Auslegung von Descartes’ Gottesbeweis eine unterschwellige Verschiebung vom ideentheoretischen zum ontologischen Ansatz involviert (vermutlich eine Folge aus der Gleichsetzung von Ideen und Essenzen). – Malebranches impliziter Rekurs auf das ontologische Argument bietet auch eine Erklärung für seine These, Gott sei die einzige „intelligible“, d. h. vom Geist direkt erfassbare Substanz (vgl. K22). K30: Malebranches Gottesbeweis steht und fällt mit der Annahme, das Unendliche (Gott) lasse sich nicht repräsentieren, sondern nur unmittelbar erfassen. Das motiviert die Widerlegung der These, das Unendliche könne durch endliche Entitäten wie die Modi unseres Geistes repräsentiert werden. Malebranche untermauert seine Widerlegung, indem er leugnet, dass die Modi des Geistes überhaupt Gegenstände repräsentieren könnten. Die Zielscheibe dieser Polemik ist Arnaulds These, Ideen seien dasselbe wie Perzeptionen, d. h. Modi des Geistes, die intrinsisch fähig seien, Gegenstände zu repräsentieren (vgl. Des vrais et fausses idées, 198 [Bd. 1, S. 249 ff.]; Défense, 390). Für seine Kritik liefert Malebranche hier keine weitere Begründung als die Anmerkung, die zurückgewiesene Position zerstöre jede Gewissheit in der Wissenschaft (und öffne mithin dem Skeptizismus die Türen; vgl. Eclaircissement X, OCM III 140). K31: Malebranche bezieht sich auf diese Stelle: „Da die in Gott vorliegenden Ideen der Dinge all deren Eigenschaften einschließen, kann derjenige, der die Ideen der Dinge sieht, all deren Eigenschaften nacheinander sehen. Denn sofern man die Dinge so sieht, wie sie in Gott
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sind, sieht man sie immer in einer äußerst vollkommenen Weise; und diese wäre unendlich vollkommen, wenn der Geist, der sie dort sieht, unendlich wäre.“ (Recherche III.ii.7, OCM I 450) K32: Als Beispiel dafür, dass die Modi des Geistes (im Gegensatz zu den Ideen in Gott) keine Repräsentationen sind (vgl. K30), erwähnt Malebranche die „innere Empfindung“, anhand deren der Geist sich selbst erfasst (vgl. K8). Diese ist wie jede Empfindung eine Modifikation des Geistes, und als solche ermöglicht sie keine apriorische Erkenntnis der Eigenschaften des Geistes: Sie ermöglicht keine Aussagen über mentale Zustände, die uns nicht aus Erfahrung bekannt sind (so kann man etwa nicht wissen, wie Schmerz sich anfühlt, ohne ihn zu empfinden). Der Grund dafür ist, dass die innere Empfindung die Essenz des Geistes nicht erschließt und somit nicht zeigt, welche strukturellen Eigenschaften dem Geist eignen. Folglich ist der Geist „sich selbst nur Finsternis“ (Z. 425). Im Gegensatz zu uns erkennt Gott unseren Geist a priori, weil er die Idee erfasst, die den Geist repräsentiert (vgl. K25). K33: Hier wird die These begründet, dass die Modi des Geistes nichts repräsentieren können. Die Beweislast übernimmt der Vergleich zwischen göttlicher und menschlicher Erkenntnis. – Gott erkennt a priori die Geschöpfe, und zwar aus folgenden Gründen: 1) Da die Archetypen (Perfektionen, Essenzen, Ideen), gemäß denen er die Geschöpfe erschafft, Bestimmungen seines Wesens sind, erkennt er sie durch reine Selbsterkenntnis. 2) Da die Geschöpfe nach diesen Archetypen erschaffen werden, sind sie ihnen notwendigerweise ähnlich. 3) Diese notwendige Ähnlichkeit garantiert, dass all die ‚Informationen‘, die Gott aus den Archetypen bezieht, auf die Geschöpfe zutreffen. – Mit dem menschlichen Geist verhält es sich anders: Da der Geist nicht Schöpfer der Gegenstände ist, können seine Bestimmungen (Modi) keine Perfektionen qua Archetypen der Gegenstände sein; daher ist es nicht notwendig, dass die Gegenstände den Modi des Geistes konform sind. Wenn aber zwischen Gegenständen und Modi des Geistes keine Ähnlichkeitsrelation bestehen muss, dann gibt es keine Garantie dafür, dass Erkenntnisse, die man aus den Modi des Geistes ableitet, auf die Gegenstände zutreffen. Insofern dürfen mentale Zustände laut Malebranche nicht als Repräsentationen betrachtet werden und müssen von den Ideen in Gott (als Repräsentationen) unterschieden werden. K34: Hier expliziert Malebranche eine basale Prämisse seines Gottesbeweises (vgl. K29) und seiner Ideentheorie überhaupt: die Intentionalitätsthese. Ihr zufolge sind kognitive Tätigkeiten wie Denken, Wahrnehmen usf. wesentlich objektbezogen: „Nichts zu sehen ist gar nicht Sehen, nichts
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zu denken ist gar nicht Denken.“ Gemäß dieser These ist es unmöglich, dass der Geist, wenn er an Gott denkt, nichts erfasst. Mit seinem Gedanken von Gott erfasst der Geist notwendigerweise ein reales Objekt, das in diesem einzigen Fall (da Gott unendlich ist) keine repräsentierende Idee ist, sondern der Gegenstand selbst. Somit beweist unser Gedanke von Gott Gottes Existenz. (Für die vollständige Entfaltung dieses Arguments siehe K38.) K35: In diesem Exkurs expliziert Malebranche die Rolle der Intentionalitätsthese in seiner Erkenntnistheorie, die auf das methodische Prinzip zentriert ist, man dürfe einem Gegenstand lediglich die Eigenschaften zuerkennen, die man mit Evidenz aus der ihn repräsentierenden Idee folgern könne; dieses gilt ja als „das allgemeine Prinzip aller Wissenschaften“ (Recherche IV.11 § 2, OCM II 94), da es der Erkenntnis die apriorische Gewissheit garantiert, die in der Wissenschaft erforderlich ist. Nun erklärt Malebranche, dieses Prinzip beruhe auf zweien Annahmen: 1) der Objektbezogenheit unserer kognitiven Akte gemäß der Intentionalitätsthese; 2) der göttlichen Natur der Ideen, d. h. ihre Stabilität (Unveränderlichkeit) und ihre Funktion als Archetypen (Essenzen) der Gegenstände. Eine weitere implizite Annahme ist, dass 3) die göttlichen Ideen die Objekte sind, auf die unsere kognitive Akte bezogen sind. K36: Eine weitere Folge der Intentionalitätsthese im Zusammenhang mit Malebranches Ideentheorie ist die Unterscheidung von „sehen“ (voir) und „schauen“ (regarder). Schaut man auf einen Gegenstand O, so ist das, was man sieht bzw. kognitiv erfasst, nicht O selbst, sondern das unmittelbare Objekt des Geistes, d. h. die Idee, die Gott O repräsentiert. Es ist nämlich die Idee, die uns ermöglicht, das, worauf wir den Blick richten, als den Gegenstand O zu „sehen“. (Für eine intentionalitätstheoretische Auslegung dieser Unterscheidung im Zusammenhang mit der Frage, ob Malebranche Repräsentationalist ist, siehe Nadler 1992, 160–167.) K37: Als Beleg für die Unterscherscheidung von voir und regarder rekurriert Malebranche auf den Kern des ‚Spaziergangsarguments‘ (vgl. K2): Nicht alles, was existiert, ist „durch sich selbst sichtbar“ und somit Objekt des Geistes, sondern nur das, was den immateriellen passiven Geist kognitiv affizieren kann (vgl. K10, K22). – Malebranches Beispiel ist das Pendant zum ‚Spaziergangsargument‘: Nicht einmal der Gegenstand, mit dem der Geist räumlich verbunden ist – nämlich das Gehirn –, ist „durch sich selbst sichtbar und intelligibel“. K38: Malebranche nimmt hier die Intentionalitätsthese explizit in Anspruch, um die zentrale Annahme seines Gottesbeweises zu begründen:
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Gott sei nur in sich selbst ‚sichtbar‘ (vgl. K33). Ziel des Arguments ist die Klarstellung, dass das Unendliche (Gott) kein Inhalt einer fiktiven Repräsentation sein kann; die Intentionalitätsthese soll hierbei dem Beweis dienen, dass das Unendliche kein Inhalt einer mentalen Repräsentation, ja einer Repräsentation überhaupt sein kann. Ausgangspunkte der Beweisführung sind die (für Malebranche falschen) Annahmen eines psychologistischen Kontrahenten wie Arnauld: 1) Gegenstände werden durch Tätigkeiten (Perzeptionen, Modi) des Geistes erfasst. 2) Der Geist erkennt seine Modi in adäquater Weise. Die Intentionalitätsthese wird nun zum Nachweis bemüht, dass selbst unter diesen Prämissen die endlichen Modi des Geistes das Unendliche nicht repräsentieren können. Denn in diesem Fall würde der Geist in seinen Modi mehr (objektive) Realität erfassen, als (formale) Realität in ihnen vorliegt, und somit, wie die Beispiele zeigen, etwas Irreales dabei erfassen – was gegen die Intentionalitätsthese verstößt. (Diese Argumentationslinie entspricht Descartes’ ideentheoretischem Gottesbeweis; vgl. K27.) – Zur intelligiblen Ausdehnung siehe K55. K39: Malebranches Gottesbeweis stützt sich auf eine empirische Prämisse: Dass das Unendliche Objekt unseres Denkens ist, ist eine psychologische Tatsache, von der wir eine „innere Empfindung“ haben (vgl. Z. 606 f.). Demnach ist die Feststellung maßgeblich, dass der Geist, obgleich er sich das Unendliche nicht repräsentieren kann, es zu perzipieren vermag (vgl. Z. 515–523). Diese These, die selbst faktischen Charakter hat, wird mit mathematischen Beispielen untermauert, die zeigen sollen, dass das Produkt einer unendlich kleinen und einer unendlichen Größe immer eine endliche Große ist. Dasselbe gilt, so Malebranche, auch für die Denkfähigkeit des Geistes (d. h. seine passive Fähigkeit, von einem ontologisch geeigneten Objekt modifiziert zu werden; vgl. K4). Denn selbst wenn diese Fähigkeit unendlich schwach ist, ist das Unendliche als Denkobjekt unendlich wirksam; das Produkt ihres Zusammentreffens ist somit eine endliche Große, d. h. ein Denkakt. Dieses Ergebnis richtet sich gegen diejenigen (etwa Locke, Essay I, iii, § 8), die ungeachtet unserer „inneren Empfindung“ behaupten, wir hätten von Gott keine „Idee“ (vgl. Z. 601–609). Recherche de la vérité, Erläuterung X K40: In der Zehnten Erläuterung werden weitere Argumente zugunsten der These angeführt, dass wir die Gegenstände durch Ideen in Gott sehen (vgl. K13). In diesem Absatz wird die Unterscheidung von Erkennen und Empfinden präzisiert (vgl. K32). Erkenntnis „durch Licht“
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ergibt sich aus der Analyse der klaren Ideen, die als Essenzen die Gegenstände adäquat repräsentieren. Sie ist mithin apriorische sowie prinzipiell vollständige Erkenntnis der essentiellen Eigenschaften der Gegenstände (vgl. K31) und besitzt daher die für die Wissenschaft erforderliche Gewissheit (vgl. K35). Allerdings liefert sie keine Information über die Existenz der Gegenstände, da Ideen lediglich mögliche Gegenstände repräsentieren (vgl. K28). Erkenntnis „durch Empfindung“ ist hingegen verworren und ermöglicht keine apriorischen Urteile über (Eigenschaften der) Gegenstände, da sie nicht auf deren Ideen (adäquaten Repräsentationen) beruht, sondern auf Modi des Geistes (mentalen Zuständen). Dennoch ergänzt sie die Erkenntnis durch Ideen insofern, als die Empfindung (auch „verworrene Idee“ genannt) ein Urteil über die Existenz der Gegenstände ermöglicht. Diese aposteriorische und nie sichere Erkenntnis der Existenz der Gegenstände wird als „natürliche Offenbarung“ bezeichnet (vgl. Z. 433–437; 648–652). – Der Rekurs auf die Unterscheidung „klar/verworren“ in diesem Kontext darf nicht so verstanden werden, als würden sich Erkenntnis durch Ideen („durch Licht“) und Erkenntnis durch Empfindung graduell unterscheiden. Diese Erkenntnisarten sind nämlich qualitativ verschieden (das Wort „Erkenntnis“ wird im Zusammenhang mit der Empfindung äquivok verwendet), und ihre Verschiedenheit ist ontologisch begründet: Ideen sind objektive Essenzen in Gott, welche reale (primäre) Eigenschaften materieller Gegenstände repräsentieren, während Empfindungen subjektive Zustände des immateriellen Geistes sind, die nicht-reale (sekundäre) Eigenschaften der Gegenstände repräsentieren (vgl. K52). K41: Aus der Unterscheidung von Erkennen und Empfinden zieht Malebranche eine weitere kognitionstheoretische Folge. Die Defizite unserer auf Ideen beruhenden Erkenntnis hängen allein von der kognitiven Begrenztheit des Geistes und dessen „mangelnder Bemühung“ oder Aufmerksamkeit ab (denn Ideen sind immer adäquate Repräsentationen; vgl. Z. 642 f.). Die epistemischen Defizite unserer Empfindungen liegen hingegen in ihrem nicht-repräsentationalen Charakter begründet (denn sie repräsentieren lediglich die Weise, wie unser Körper – durch Gottes Vermittlung – von Gegenständen affiziert wird; vgl. Z. 643–652). K42: Hier führt Malebranche einen erkenntnistheoretischen Beweis seiner Kernthese, dass die Ideen, durch die wir die Gegenstände erkennen, in Gott sind. Der Beweis hat die Struktur eines transzendentalen Arguments: i) Faktisch haben wir von den geometrischen Eigenschaften der Gegenstände eine (prinzipiell) vollkommene Erkenntnis. ii) Unsere Erkenntnis der Gegenstände kann nur durch Ideen vermittelt werden.
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iii) Diese Ideen müssen, um unsere vollkommene Erkenntnis der geometrischen Eigenschaften der Gegenstände zu ermöglichen, in Gott liegen (als die Essenzen, gemäß denen Gott die Gegenstände erkennt und erschafft). – Z. 637–639 weil man … abhängig sind In diesem Nebensatz formuliert Malebranche die These, dass Ideen als Essenzen nicht von Gottes Willkür abhängig sind. Daraus folgt, dass sie absolut unveränderlich sind. Diese ontologische Folge lässt sich erkenntnistheoretisch begründen, da die Unveränderlichkeit der Ideen eine notwendige Bedingung ihrer Adäquatheit als Repräsentationen ist. Denn wären Ideen veränderlich (etwa durch Gottes Willkür), so könnten sie nicht als sichere Grundlagen unserer apriorischen Erkenntnis der repräsentierten Gegenstände gelten (vgl. Conversations Chrétiennes III, OCM IV 70). K43: Malebranche skizziert hier seine okkasionalistische Erklärung für die Entstehung von Empfindungen (vgl. K26). Da keine direkten Kausalinteraktionen zwischen Geist und Körper möglich sind, ist es Gott (als einziger Kausalagent im Universum), der gemäß dem Gesetz der Verbindung von Geist und Körper bewirkt, dass der Geist durch Empfindungen modifiziert wird, die den Veränderungen (Affizierungen) in den Sinnesorganen entsprechen. (Auch die Entstehung dieser Veränderungen ist aus Malebranches Sicht okkasionalistisch zu erklären.) K44: Der erste Einwand gibt die cartesische Angeborenheitslehre wieder: Da der Geist gemäß seiner Natur denkfähig ist, besitzt er Ideen als angeborene Dispositionen, die sich zum gegebenen Anlass – d. h. bei einem angemessenen Reiz – aktualisieren. (Siehe Jolley 1990, 33–39). Als Beispiel wird die Disposition der Sinne erwähnt, sensorische Ideen zu erzeugen. K45: Malebranche weist den Einwand zurück, indem er sich auf die cartesische Polemik gegen die aristotelisch-scholastische Dispositionslehre beruft und sie verallgemeinert: Explanatorische Kraft besitzt der Rekurs auf Dispositionen („Naturen“, „Vermögen“) weder im naturphilosophischen Bereich (wo es tautologisch ist zu behaupten, Feuer schmelze Glaskörper aufgrund des Vermögens, Glaskörper zu schmelzen) noch im geistesphilosophischen (wo es ebenfalls tautologisch ist zu beteuern, der Geist erfasse Gegenstände aufgrund seines Vermögens, Ideen der Gegenstände zu haben). (Vgl. auch K17.) – Zu Malebranches Kritik der Dispositionslehre und zu ihren ideentheoretischen Folgen siehe Jolley 1990, 70–72; Jolley 1994. K46: Zur Bekräftigung seiner Ablehnung angeborener Ideen als Dispositionen knüpft Malebranche hier an die These der Analogie von Materie und Geist hinsichtlich ihrer wesentlichen Passivität an (vgl. Re-
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cherche I.1 § 1, OCM I 43): Der Fähigkeit der Materie, durch Formen gestaltet zu werden, entspricht die Fähigkeit des Geistes, durch in kognitiven Akten erfasste Ideen modifiziert zu werden, während der Beweglichkeit der Materie die Willensfähigkeit des Geistes entspricht. Diese Fähigkeiten sind aber keine aktiven Kräfte, sondern passive Potentialitäten, die nur ein externes Wirkprinzip aktualisieren kann. Ein solches Prinzip kann einzig Gott sein, welcher nach Malebranches Okkasionalismuslehre alle naturgemäßen Prozesse („alles Physische“) im materiellen sowie im geistigen Bereich zustande bringt. K47: Hier spielt Malebranche auf den aristotelischen Begriff von Natur als immanentem Prinzip der Veränderung und auf die damit verbundene Auffassung der Seele als Form an, die dem Körper und seinen Organen (Blut, Lebensgeistern, Sinnen usf.) ihre spezifischen Funktionen (Leben, Wärmung, Bewegung, Wahrnehmung usf.) verleiht. – Zu Aristoteles’ Naturbegriff vgl. Physica II 1, 192b 20–22; zu dessen Seelenbegriff vgl. De anima II 1, 412a 19–21. K48: Der zweite Einwand hält an der These fest, Ideen als Repräsentationen materieller Gegenstände seien Modi des Geistes (als Beispiel wird die Idee der Ausdehnung angeführt). Die These wird mit der Feststellung verteidigt, dass der Substanzdualismus kein Gegenargument liefere, da auch Gott geistig sei und trotzdem in seinen Bestimmungen die materiellen Gegenstände erkenne. – Der Einwand gibt Arnaulds ideentheoretische Position wieder (vgl. K30). K49: Malebranche weist den Einwand zurück, indem er die ontologische Differenz zwischen Gott und menschlichem Geist hervorhebt: Gott als unendlich enthält alle Perfektionen in eminenter Weise, d. h. als reine Seinsmöglichkeiten (Essenzen, Ideen), wobei jede Perfektion alle anderen enthält; der Geist als endlich kann hingegen Perfektionen (etwa die Ausdehnung) erst dann enthalten, wenn er sie als Eigenschaften (Modi) instantiiert (d. h. wenn er selbst ausgedehnt wird). Daher kann der Geist Perfektionen, die er nicht als seine Modi in sich enthält, auch nicht in sich erfassen, sondern nur in Gott. (Implizite Voraussetzung der Argumentation ist hier die Intentionalitätsthese; vgl. K34). – Zum Begriff „Perfektion“ siehe K12. K50: Zum Nachweis der These, dass Ideen als Repräsentationen keine Modi des Geistes sind, sondern Essenzen in Gott, wird hier erneut das epistemologische Argument der Allgemeinheit bemüht (vgl. K19): Perzeptionen (als Modi des Geistes) können keine allgemeinen Inhalte repräsentieren, da sie zwangsläufig partikuläre Entitäten sind; da aber der Geist in seinen Perzeptionen allgemeine Inhalte tatsächlich erfasst (wie etwa bei
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der Vorstellung einer geometrischen Gestalt), kann er diese Inhalte nicht in sich erfassen (sondern nur in Gott). – Als Voraussetzung dieses Arguments wird in Z. 819f. die Intentionalitätsthese evoziert (vgl. K34). K51: Hier fügt Malebranche eine epistemologisch relevante Anmerkung hinzu: Die Empfindungen (vornehmlich Farbempfindungen), die bei jeder sinnlichen Wahrnehmung eines Einzelgegenstands die Perzeption einer allgemeinen, abstrakten Idee begleiten, haben zur Folge, dass der Inhalt dieser Idee partikulär wird. Durch die Begleitempfindungen wird etwa die Perzeption der Idee des Pferdes zur sinnlichen Wahrnehmung eines konkreten, individuellen Pferdes (Bukephalos). Empfindungen erhalten somit in Malebranches Erkenntnistheorie die Funktion, unsere Wahrnehmungsgegenstände epistemisch zu individuieren. (Zur Koppelung von Idee und Empfindung in der sinnlichen Wahrnehmung siehe K25, K26.) K52: Malebranche schließt die Erwiderung auf den zweiten Einwand mit dem Rekurs auf die Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten ab. Sekundäre Qualitäten (sinnliche Eigenschaften wie Farben und Töne, aber auch emotionale Zustände wie Schmerz) sind ihm zufolge verworrene Empfindungen; als solche werden sie zwar vom Geist direkt erfasst, aber nicht deutlich erkannt, da sie nicht quantifizierbar und somit nicht durch mathematische Relationen beschreibbar sind. Primäre Qualitäten (geometrische Eigenschaften ausgedehnter Körper) sind hingegen klare Ideen; als solche eignen sie sich zur Methode mathematischer Erkenntnis. Malebranche stützt sich auf diese epistemologische Unterscheidung, um die ontologische Differenz von Ideen (primärer Qualitäten) und Empfindungen (sekundärer Qualitäten) hervorzuheben und daraus – gemäß der Feststellung, dass Empfindungen mentale Zustände (Modi des Geistes) sind – die Nichtzugehörigkeit der Ideen zur Kategorie mentaler Zustände zu folgern. Diese Schlussfolgerung bekräftigt er mit einer epistemologischen reductio ad absurdum: Wären Ideen mentale Zustände, so wären die primären Qualitäten der Körper nicht mit mathematischer Klarheit erkennbar; denn „Wir sind uns selbst nur Finsternis“ (vgl. K32). Primäre Qualitäten werden folglich nur deshalb „klar“ erkannt, weil sie Ideen in Gottes Substanz sind bzw. in Gottes „Idee der Ausdehnung“ begründet liegen. – Zu Malebranches ontologischem Verständnis der Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten siehe Nadler 1992, 33 f. Zur korrekten Deutung der Unterscheidung „klar/ verworren“ vgl. K40. K53: Aus dem Gegensatz zwischen (a) Unveränderlichkeit der Ideen in Gott und (b) Veränderlichkeit unserer Wahrnehmungsgegenstände
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zieht der dritte Einwand den Schluss, dass die Wahrnehmungsgegenstände nicht in Gottes Ideen „gesehen“ werden können. K54: Der Kern von Malebranches Erwiderung besteht in der These, dass in Gott die Ideen der Wahrnehmungsgegenstände als rein intelligible Gestalten vorliegen, deren Veränderlichkeit ebenfalls rein intelligiblen Charakter aufweist. Somit können in Gott Gestalten und Veränderungen anzutreffen sein, ohne dass hierdurch seine Einfachheit (Gestaltlosigkeit) und Unveränderlichkeit verletzt werden. Diese These wird im Folgenden erläutert und begründet (vgl. vor allem K57). – „Intelligibel“ bedeutet hier soviel wie begrifflich: Gott erkennt (a priori) Gestalten und Veränderungen der von ihm erschaffenen Gegenstände durch Analyse ihrer Ideen (Essenzen, Archetypen), die er in sich vorfindet und die eine begriffliche Natur haben. K55: Hier führt Malebranche den Begriff der „intelligiblen Ausdehnung“ ein. Da Gott nämlich Schöpfer der unendlichen materiellen Ausdehnung ist, muss er über eine Idee verfügen, anhand deren er alle wesentlichen Eigenschaften der Ausdehnung a priori erkennt; eine solche ist die Idee (Essenz, Archetyp) der Ausdehnung, d. h. die intelligible Ausdehnung, die Ausdehnung als Begriff. Malebranche fügt hinzu, dass jede begrenzte Einteilung der intelligiblen Ausdehnung eine „intelligible Gestalt“ und somit eine Idee bzw. die Essenz einer Klasse möglicher Gegenstände ist (vgl. Z. 904 f.). Dieser Zusatz ist durch Malebranches ontologische These gerechtfertigt, dass materielle Gegenstände samt ihren Primäreigenschaften lediglich Modifizierungen (Einteilungen, Begrenzungen) der materiellen Ausdehnung sind (vgl. K14). K56: In diesem Exkurs bettet Malebranche den Begriff der intelligiblen Ausdehnung in seine Wahrnehmungslehre ein. Die Wahrnehmung eines Gegenstands ergibt sich daraus, dass eine intelligible Gestalt (eine Einteilung intelligibler Ausdehnung als Idee einer Klasse möglicher Gegenstände) den Geist zugleich auf zwei Weisen „affiziert“: (a) durch die reine Perzeption, mit der die Gestalt erfasst wird, und (b) durch die sinnliche Empfindung, mit der die perzipierte Gestalt partikularisiert wird; der Geist verbindet beide Affizierungen, indem er die Empfindung auf die perzipierte Gestalt projiziert („aufträgt“). – Diese Darstellung gestattet Malebranche, den Vorwurf zurückzuweisen, seine Ideentheorie siedle in Gott Empfindungen und „aktuale Gestalten“ an. Denn die Gestalten (Ideen) sind ihm zufolge nur Einteilungen der intelligiblen Ausdehnung (d. h. Spezifizierungen des Begriffs der Ausdehnung), welche ihrerseits Sinnesempfindungen im menschlichen Geist hervorrufen, wenn dieser materielle Gegenstände wahrnimmt, die jene Gestalten instantiieren. –
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Diese Ausführung bestätig zwar Malebranches frühere Ablehnung desselben Vorwurfs (vgl. K25) sowie auch die Gesamtarchitektur seiner Wahrnehmungslehre (vgl. K26, K51), nimmt allerdings die fragwürdige These in Kauf, dass die Ideen (intelligible Gestalten) selbst, als kausal wirksam, den Geist sowohl kognitiv als auch sinnlich modifizieren. Für eine kritische Diskussion dieser These siehe Jolley 1994; Schmaltz 2000; Peppers-Bates 2005. K57: In diesen zwei Absätzen liefert Malebranche eine detaillierte Rechtfertigung der These, dass durch die unveränderliche intelligible Ausdehnung Veränderung (Bewegung) auf intelligible Weise repräsentiert werden kann (vgl. K54). Dabei unterscheidet er drei Fälle: 1) Gott erkennt (a priori) die wirklichen Veränderungen der Gegenstände in seinen Willensakten; denn Gottes Wille ist Malebranches Okkasionalismus zufolge die unmittelbare Ursache aller Veränderungen in der Welt. 2) Gott und im Prinzip auch der menschliche Geist erkennen (a priori) die möglichen Veränderungen der intelligiblen Gestalten durch Analyse des Ausdehnungsbegriffs („Idee des Raumes“), aus dem alle möglichen Abstandsverhältnisse unter allen möglichen Teilen der Ausdehnung und somit alle räumlichen Relationen der Gestalten untereinander abgeleitet werden können. 3) Der menschliche Geist nimmt (a posteriori) die wirklichen Veränderungen sinnlicher Gegenstände wahr, indem er seine aufeinanderfolgenden Empfindungen auf jeweils verschiedene Einteilungen intelligibler Ausdehnung projiziert, die dank ihrer Homogenität jeden beliebigen Gegenstand repräsentieren können. Der dritte Fall wird am Beispiel der Wahrnehmung der Sonne veranschaulicht, die bekanntlich mit einer Täuschung einhergeht: Die Sonnenscheibe erscheint größer am Horizont und kleiner am Himmel. K58: In den letzten zwei Absätzen zieht Malebranche aus der Widerlegung des dritten Einwands zwei ideentheoretische Folgen. 1) Ideen unterscheiden sich zwar voneinander hinsichtlich ihrer bestimmten Gestalt (aufgrund deren sie verschiedene Gegenstände wie Pferde oder Sterne repräsentieren), als Modifizierungen der einen intelligiblen Ausdehnung aber sind sie alle zueinander homogen: Alle beliebigen Einteilungen der intelligiblen Ausdehnung, welche die Gestalt O (etwa „Pferd“) aufweisen, sind gleichmäßig die Idee (Essenz) aller möglichen O-artigen Gegenstände (aller möglichen Pferde) und können somit (im Zusammenhang mit den Empfindungen, die mit ihnen in der Sinneswahrnehmung verknüpft sind) zur Repräsentation eines jeden O-artigen Gegenstands (Bukephalos, Rocinante, Marengo usw.) werden. 2) Es gibt in Gott keine partikulären Ideen, die jeweils nur einen partikulären Gegenstand reprä-
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sentieren (d. h. etwa Ideen einzelner Pferde): Andernfalls wäre unsere Wahrnehmung (und Erkenntnis) dieser Gegenstände auf deren partikuläre Ideen festgelegt (vgl. Z. 976–978), weshalb es unmöglich wäre, gleichartige Gegenstände als Elemente einer Klasse zu erfassen (nämlich als Elemente der Klasse aller möglichen Instantiierungen derselben Idee) und somit allgemeingültige Urteile über ihre wesentlichen Eigenschaften zu fällen (vgl. K19, K50); Ideen sind vielmehr allgemeine Entitäten (Universalien), für deren Partikularisierung im Rahmen der Sinneswahrnehmung Empfindungen verantwortlich sind (vgl. K51, K56).
5.3 Essay: Natur und Funktion der Ideen als Repräsentationen Ideen haben laut Malebranche, wie wir festgestellt haben, die Funktion, Gegenstände „sichtbar“, d. h. erkennbar zu machen, da diese nicht „durch sich selbst“ erkennbar sind. Denn Gegenstände sind ihm zufolge nicht „intelligibel“, nicht kognitiv „wirksam“. Dies ist eine Konsequenz seiner strengen Auffassung des cartesischen Substanzdualismus: Als materielle Körper können die Gegenstände mit dem immateriellen Geist nicht ‚kommunizieren‘; somit vermögen sie keine Objekte seiner kognitiven Akte zu sein. Der epistemische Zugang zu den Gegenständen muss deshalb durch immaterielle Entitäten vermittelt werden, die dem Geist die Gegenstände repräsentieren; mit deren Hilfe kann der Geist die Gegenstände erkennen und Urteile über sie fällen. Derartige Repräsentationen nennt Malebranche Ideen. Unsere Erkenntnis von Gegenständen ist allein auf der Grundlage von Ideen möglich. Gemäß den Ansprüchen von Malebranches Erkenntnistheorie sollen aber Ideen als Repräsentationen – wie wir gesehen haben – nicht einfach Erkenntnis, sondern apriorische Erkenntnis ermöglichen, da sie Wissenschaft begründen sollen. Konkret heißt das: Sie sollen ermöglichen, dass der Geist durch reine Begriffsanalyse feststellt, welche Eigenschaften den Gegenständen notwendig zukommen. Wenn dies die Leistung der Ideen als Repräsentationen sein soll, so lässt sich die Frage nicht umgehen, welche Bedingungen Ideen zu erfüllen haben, um derartige apriorische Erkenntnis zu ermöglichen. Diese Frage wollen wir in den folgenden Abschnitten zu beantworten suchen. Hierbei sollen insbesondere die drei Fragen berücksichtigt werden, die in der Einleitung umrissen wurden: (1) Inwiefern sind Ideen adäquate Repräsentationen von Gegenständen? (2) Welche Natur besit-
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zen Ideen als solche Repräsentationen? (3) Welche Funktion haben Ideen für den Aufbau unserer Erkenntnis?11 5.3.1 Ideen als Repräsentationen Malebranches Antwort auf die Frage, inwiefern Ideen Repräsentationen sind, die Erkenntnis im cartesischen Sinn begründen können, ist komplex. Seine Ausgangsthese ist, dass Ideen, um als Grundlagen apriorischer Erkenntnis von Gegenständen zu dienen, die Essenz dieser Gegenstände repräsentieren müssen. Hierbei nimmt er offensichtlich eine essentialistische Ontologie an, die klare Verwandtschaft mit der aristotelisch-scholastischen zeigt: Jeder mögliche Gegenstand weist eine Menge Grundeigenschaften auf, von denen (a) all seine arttypischen Eigenschaften abhängig sind und aufgrund deren (b) er somit nach sicheren Kriterien klassifiziert werden kann. Diese ontologische Annahme erklärt, warum Ideen Essenzen repräsentieren sollen. Wenn nämlich die Idee eines Gegenstands seine Essenz repräsentiert, dann können (zumindest im Prinzip) alle arttypischen Eigenschaften dieses Gegenstands durch Analyse seiner Idee vollständig festgestellt werden – wie die cartesische Methode verlangt, zu der sich Malebranche verpflichtet. Inwiefern aber ist eine Idee die Repräsentation der Essenz eines Gegenstands? Und was garantiert, dass die Idee die Essenz des Gegenstands so repräsentiert, dass alle und nur die arttypischen Eigenschaften des Gegenstands aus der Idee gefolgert werden können? Mit einem Wort: Was begründet die Adäquatheit der Idee als Repräsentation einer Essenz? Bei der Beantwortung dieser Fragen zeigt sich die rationalistische, antiempiristische und vor allem antipsychologistische Ausrichtung von Malebranches Ideen- und Erkenntnistheorie. In der cartesischen Tradition hielt mancher Autor (wie etwa Antoine Arnauld) fest, Ideen seien, ontologisch betrachtet, Eigenschaften oder Modi des Geistes, die wiederum Gegenstände repräsentierten. Jede Idee weise demnach zwei Aspekte auf: Einerseits sei sie als Modus des Geistes ein mentaler Zustand (idea materialiter spectata); andererseits besitze sie einen repräsentationalen Inhalt (idea obiective spectata), weil sie einen 11
Die drei folgenden Abschnitte, die Antworten auf diese Fragen suchen, beruhen auf den Ergebnissen, die im Stellenkommentar bei der Exegese von Malebranches Auswahltexten erreicht worden sind. Wir werden darauf nicht explizit Bezug nehmen (mit wenigen Ausnahmen).
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Gegenstand repräsentiere. Diese Betrachtungsweise setzt demnach voraus, Zustände eines immateriellen Geistes seien imstande, Eigenschaften materieller Gegenstände zu repräsentieren. An diese Stelle knüpft Malebranches antipsychologistische Kritik an: Mentale Zustände können Gegenstände nicht repräsentieren – insbesondere nicht in dem Sinne, dass sie als Grundlagen einer apriorischen Erkenntnis dieser Gegenstände dienen können. Diese Kritik ist wiederum als eine Folge aus Malebranches radikalen Auslegung des cartesischen Dualismus anzusehen: Wenn Geist und Materie heterogene Substanzen sind, die keine charakteristischen Eigenschaften gemeinsam haben, wie könnten dann Eigenschaften des immateriellen Geistes (essentielle) Eigenschaften materieller Gegenstände repräsentieren? Denn eine Repräsentationsrelation setzt nach Malebranches Ansicht eine Ähnlichkeitsrelation zwischen repräsentierender Entität und repräsentiertem Gegenstand voraus: eine Ähnlichkeitsrelation, die ermöglicht, dass die aus der repräsentierenden Entität gewinnbaren Informationen auf den repräsentierten Gegenstand zutreffen.12 Zwischen zwei unterschiedlich gearteten, miteinander nicht ‚kommunizierenden‘ Substanzen kann aber keine Ähnlichkeitsrelation bestehen, wie sie für die Repräsentationsrelation erforderlich ist. Wenn folglich Ideen als Repräsentationen die Funktion haben, (apriorische) Erkenntnis der repräsentierten Gegenstände zu ermöglichen, dann können Ideen keineswegs mentale Zustände sein. Während cartesische Ideen immer zwei Aspekte aufweisen, weisen Malebranches Ideen nur einen auf: Sie sind ausschließlich repräsentationale Inhalte, objektive Realitäten, êtres représentatifs.13 Diese antipsychologistische Argumentationslinie hat eine antiempiristische Folge: die vollständige Trennung zwischen Ideen (als Repräsentationen von Eigenschaften der Gegenstände) und Empfindungen sinnlicher Qualitäten (Farben, Töne usf.). Auch diese Folge beruht auf ontologischen und erkenntnistheoretischen Annahmen. Empfindungen sind Malebranches Okkasionalismus zufolge mentale Zustände, die Gott gemäß dem „Gesetz der Verbindung von Geist und Körper“ hervorbringt: Wenn fremde Körper unsere Sinnesorgane affizieren (ein Prozess, der aus Malebranches Sicht ebenfalls okkasionalistisch zu erklä12
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Vgl. Recherche IV.11 § 3, OCM II 97 f. (Bd. 1, S. 214 f., Z. 391–437) und Stellenkommentar, K33. Aus Malebranches Sicht weist diese Ähnlichkeitsrelation keinen piktorialen Charakter auf (vgl. unten, Abschnitt 5.3.2). Vgl. etwa Réponse à Arnauld XXIV.8–14, OCM VI 170–175; Trois lettres I.3, OCM VI 217.
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ren ist), dann modifiziert Gott unseren Geist so, dass dieser gesetzmäßig festgelegte sinnliche Qualitäten empfindet. Solche Empfindungen besitzen laut Malebranche keinen repräsentationalen Inhalt, da sie nichts anderes als mentale Zustände sind. Ihr Entstehen entspricht pragmatischen Bedürfnissen: Sinnesempfindungen dienen gemäß Gottes Verordnung dem Erhalt des lebendigen Körpers und drücken somit nur die Art und Weise aus, wie der Geist auf die Zustände des Körpers reagiert, mit dem er (okkasionalistisch) verbunden ist.14 Sinnliche Qualitäten sind demnach nur im Geiste angesiedelt, nicht in den Gegenständen, die gemäß der cartesischen Ontologie nichts anderes als Modifikationen der Ausdehnung sind und folglich nur geometrische Eigenschaften besitzen. Daher weisen Empfindungen auch keine Ähnlichkeitsrelation zu den sie veranlassenden Gegenständen auf, weshalb sie diese Gegenstände gar nicht repräsentieren und somit auch keine (apriorische) Erkenntnis von ihnen ermöglichen. Daraus folgt schließlich, dass die Ideen, als adäquate Repräsentationen der Gegenstände, von den Empfindungen radikal verschieden sein müssen: Ideen können ja keine mentalen Zustände sein und lediglich primäre Qualitäten repräsentieren, da allein diese reale Eigenschaften materieller Gegenstände sind. Wenn Ideen nicht empirisch erworben werden, sind sie dann angeboren? Sind sie Dispositionen zu Denkakten, die Gott in unserem Geist eingepflanzt hat und die von ihm mit den Gegenständen so abgestimmt worden sind, dass die resultierenden Denkakte die Essenzen der Gegenstände adäquat repräsentieren? Dies wäre eine rationalistische Alternative zur empiristischen Ideenauffassung (und ist in der Tat die Lösung, die Descartes anzunehmen scheint). Auch diese Lösung fällt jedoch Malebranches Antipsychologismus zum Opfer. Zunächst wird sie von Malebranche verworfen, weil sie auf dispositionale Eigenschaften des Geistes rekurriert. Dispositionen (Vermögen, Naturen, Formen) werden in der mechanistischen Naturphilosophie als explanatorische Mittel abgelehnt, weil sie als tautologisch gelten. Mechanistische Erklärungen dürfen lediglich nicht-dispositionale (d. h. geometrisch-kinema-
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Demgemäß haben Empfindungen einen „adverbialen“ Status (vgl. Jolley 1990, 60; 195): Sieht man die Sonne untergehen, so empfindet der Geist – gemäß den Veränderungen, die auf der Netzhaut sowie im optischen Nerv stattfinden – rotartig, aber nicht Rotes bzw. nicht einen roten Gegenstand (Sonne). Da diese Empfindung immer vom räumlichen Kontext der Wahrnehmung sowie von der Verfassung des Wahrnehmungsapparats abhängig ist, besitzt sie letztlich privaten Charakter, keinen repräsentationalen.
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tische) Eigenschaften der Gegenstände bemühen. Malebranche überträgt dieses methodische Prinzip auf den Geist: Wie die Materie als bloße Ausdehnung dispositionslos ist und nur die Fähigkeit aufweist, Gestalten und Bewegung zu empfangen, so besitzt auch der Geist keine Kraft, Ideen zu erzeugen, sondern nur die Fähigkeit, Ideen zu empfangen. Der menschliche Geist ist somit kein Ort für angeborene Dispositionen. – Darüber hinaus wären angeborene Ideen auch als aktualisierte Dispositionen untauglich. Denn als solche wären sie nichts anderes als mentale Zustände, und diese können laut Malebranche – auch als angeborene Ideen – keine adäquaten Repräsentationen von Gegenständen sein. Dürfen Ideen qua adäquate Repräsentationen in keiner Weise mentale Zustände sein, so müssen sie geistunabhängige Entitäten sein: Ideen als bloße Objekte des Geistes, êtres représentatifs. Malebranches ontologisch und erkenntnistheoretisch motivierter Antipsychologismus kann letztlich zu keinem anderen Ergebnis führen. Wenn die Ideen aber nicht im Geiste sind, wo sind sie dann? Um Malebranches Lösung zu verstehen, müssen wir primär die epistemische Funktion der Ideen in Betracht ziehen: Da sie dem Geist apriorische Urteile über epistemisch nicht direkt zugängliche Gegenstände ermöglichen sollen, müssen sie ihm die Essenzen dieser Gegenstände repräsentieren. Wie können sie das leisten? Malebranches These ist, dass Ideen insofern Essenzen von Gegenständen repräsentieren, als sie diese Essenzen selbst sind, d. h., als sie die Archetypen sind, nach denen die Gegenstände realisiert werden. Ist dies der Fall, so hat man eine apriorische Garantie dafür, dass zwischen Ideen und Gegenständen die Ähnlichkeitsrelation vorliegt, die für die repräsentationale Funktion erforderlich ist. Demnach kann der Geist, wenn er Zugang zu solchen Ideen hat, aus ihnen Erkenntnisse beziehen, die auf die Gegenstände notwendigerweise zutreffen. Urteilt der Geist über Gegenstände aufgrund von Ideen, die Archetypen dieser Gegenstände sind, so kann er sich unmöglich irren. Denn um Malebranche mit Kants Worten zu paraphrasieren: Es sind nicht die Ideen, die sich nach den Gegenständen richten, sondern die Gegenstände, die sich nach den Ideen richten. Angesichts dieser These gibt es einen einzigen Ort, wo die Ideen angesiedelt sein können: nämlich Gott. Denn nur als die Archetypen, anhand deren Gott alle möglichen materiellen Gegenstände a priori erkennt und (eventuell) erschafft, können die Ideen reale Essenzen der Gegenstände sein. Nur auf diese Weise können sie also die archetypische Funktion tatsächlich erfüllen, von der die Adäquatheit ihrer (auf der Ähnlichkeitsrelation beruhenden) repräsentationalen Funktion abhängig ist.
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Mit anderen Worten: Nur weil die Ideen zuerst adäquate kognitive Mittel für Gott sind, können sie adäquate kognitive Mittel auch für den menschlichen Geist sein. Denn Gott erkennt seine Geschöpfe nicht, indem er von ihnen affiziert wird. Er erkennt sie vielmehr anhand der „Perfektionen“, die in seinem allumfassenden Wesen eminenterweise eingeschlossen sind, und indem er überdies entscheidet, welche dieser „Perfektionen“ in welchen Abschnitten des zeiträumlichen Kontinuums instantiiert werden sollen. Als solche „Perfektionen“ in Gott sind Ideen die Urbilder und Essenzen der Gegenstände. Aus Malebranches Überlegungen ergibt sich demnach folgendes Bild: Wenn der Geist Ideen erfasst, dann erfasst er die „Perfektionen“, durch die Gott selbst die Gegenstände erkennt; mithin erfasst er sie in Gott. Der Geist ist aber laut Malebranche grundsätzlich passiv. Deshalb erfasst er nur insofern Ideen, als Gott sie ihm offenbart, ihn sie erfassen lässt. Wenn Gott dem Geist eine Idee offenbart, modifiziert sie den Geist so, wie die ausgedehnte Materie von der Gestalt modifiziert wird, die sie empfängt; eine solche Modifizierung des Geistes ist laut Malebranche eine Perzeption, womit der Geist die Idee erfasst.15 Mit dieser Idee erfasst der Geist die Essenz eines Gegenstands: Er begreift somit, was der Gegenstand ist. Dank der Perzeption dieser Idee kann er bei aufmerksamer Betrachtung alle wesentlichen Eigenschaften des Gegenstands erkennen; er „entdeckt“ sie, soweit seine kognitive Fähigkeit reicht, in der Idee selbst, die er erfasst. Aufgrund der perzipierten Idee kann er somit apriorische Schlüsse über die repräsentierten Gegenstände ziehen und unfehlbare Urteile über sie fällen. Somit ist der Grund ersichtlich, weshalb Malebranche behauptet, „wir sehen alle Dinge in Gott“. Unser epistemischer Zugang zu allen
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Es besteht Spannung zwischen Malebranches Aussagen, der Geist (a) perzipiere die Idee als direktes Objekt und (b) werde durch die Idee modifiziert wie die Materie durch eine Form. Die Aussage (a) scheint die intentionale Geist-Idee-Relation gemäß einer Akttheorie (etwa à la Ockham) zu erklären: Der Geist beziehe sich mit seinem Erfassensakt direkt auf die Idee, und das tue er aufgrund der wesentlich intentionalen Natur seiner kognitiven Zustände. Die Aussage (b) scheint hingegen auf ein Assimilationsmodell nach aristotelischem Muster hinauszulaufen: Der Geist beziehe sich intentional auf die Idee, indem er ihre Form aufnimmt und sich somit der Idee angleicht. (Zu diesen konkurrierenden Modellen siehe Perler 2002.) Welcher dieser Intentionalitätstheorien Malebranche den Vorzug gibt, ist nicht klar. Jedenfalls steht fest, dass Malebranche die Relation kognitiver Akte zu Objektideen nicht als eine repräsentationale, sondern als eine rein intentionale betrachtet.
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materiellen Gegenständen ist nämlich notwendigerweise durch zwei verschiedene Relationen vermittelt:16 1) Idee von O in Gott f Gegenstand O (Instantiierung der Idee von O). Diese Relation ist repräsentational (die Idee repräsentiert den Gegenstand); sie beruht auf „Ähnlichkeit“ und ist durch Archetypizität garantiert. 2) Menschlicher Geist f Idee von O in Gott. Diese Relation ist intentional (der Geist bezieht sich mit einem Perzeptionsakt auf die Idee). Die kognitive Bezugnahme des Geistes auf den Gegenstand O (in einer Sinneswahrnehmung, einer Vorstellung, einem abstrakten Gedanken) ist durch die Perzeption der Idee von O in Gott vermittelt. Würde Gott uns diese Idee nicht zugänglich machen, so bliebe O für uns unerkennbar – selbst wenn O (über Gottes kausale Vermittlung) Empfindungen im Geist verursachte.17 Auch im Fall einer Täuschung, Halluzination oder phantastischen Vorstellung von O (wobei dem kognitiven Akt kein existierender Gegenstand entspricht) perzipiert der Geist die göttliche Idee von O (die in diesem Fall die Idee eines nicht existierenden Gegenstands ist). Im dritten Abschnitt werden wir näher auf die Frage eingehen, wie aus Malebranches Sicht Wahrnehmung und Erkenntnis aufgrund der Ideen in Gott funktionieren. Zunächst wollen wir aber betrachten, welche Struktur Repräsentationen (Ideen) qua Essenzen (Archetypen) haben. 5.3.2 Die Natur der Ideen Nach Malebranches Ansicht sind Ideen insofern adäquate Repräsentationen von Gegenständen, als sie deren Essenzen bzw. Archetypen in Gott sind. Es stellt sich aber die Frage, wie derartige Ideen beschaffen sind. Sind sie etwa bildhafte, partikuläre Urbilder einzelner Gegenstände? Haben sie vielmehr die Struktur abstrakter, allgemeiner Be-
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Die Unterscheidung dieser Relationen in Malebranches Intentionalitätstheorie hebt auch Radner 1976 hervor. Das kommt im Fall unseres Geistes vor, dessen Idee in Gott uns unzugänglich ist und von dem wir deshalb (im Gegensatz zu Gott) keine apriorische Erkenntnis haben, sondern nur eine „innere Empfindung“, die uns zwar die Existenz des Geistes zeigt, seine wesentlichen Eigenschaften jedoch nicht erschließt. Siehe dazu Perler 2003.
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griffe? In letzter Instanz: Wie ist die Ähnlichkeitsrelation zwischen den Ideen und deren Gegenständen zu verstehen? Zuerst ist festzuhalten: Malebranche schließt aus, dass Ideen partikulär sind oder dass es eine einzelne Idee für jeden möglichen Einzelgegenstand gibt. Dagegen spricht nicht nur das Ökonomieprinzip, nach dem sich Gottes schöpferische Tätigkeit richtet. Auch in diesem Fall dürfte vielmehr die erkenntnistheoretische Betrachtungsweise ausschlaggebend sein: Partikuläre Ideen wären keine angemessenen Grundlagen für apriorische Gegenstandserkenntnis gemäß dem cartesischen Methodenprinzip. Wenn nämlich die Idee des Einzelgegenstands O partikulär wäre in dem Sinne, dass sie ausschließlich O repräsentierte, dann könnte unser Geist die Erkenntnisse, die er aus der Perzeption dieser Idee ableitet, nicht verallgemeinern, da er nicht die Klasse aller O-artigen Gegenstände bilden könnte, für die alle Aussagen gelten, die aus der Idee von O ableitbar sind. Somit müssen Ideen Universalien sein.18 Ferner ist zu beachten: Ideen (qua Essenzen in Gott) sind immaterielle Repräsentationen, auf deren Grund Gegenstände klassifiziert und apriorische Erkenntnisse über sie analytisch gewonnen werden können. Es erscheint demnach plausibel anzunehmen, dass Ideen für Malebranche eine begriffliche bzw. definitorische Struktur haben: Die Idee von O ist die Kollektion aller essentiellen Merkmale, durch welche die Klasse aller O-artigen Gegenstände definiert wird.19 So ist die Idee der Katze der definitorische Begriff der Katze: Sie umfasst alle notwendigen und hinreichenden Merkmale, die Katzen vollständig beschreiben und somit von Protozoen, Wölfen und Luchsen unterscheiden. Aus diesem definitorischen Begriff lassen sich analytisch alle wahren Aussagen ableiten, die Katzen im Allgemeinen betreffen: dass sie vierfüßige Lebewesen sind, Fleisch fressen, keinen Winterschlaf haben usf. Diese Charakterisierung der Ideen als definitorischer Begriffe erweist sich als kompatibel mit dem, was wir bisher über Ideen erfahren haben: dass sie Essenzen als Bestimmungen der göttlichen Substanz sind. Denn Definitionen von Gegenständen können erst dann als Grundlagen apriorischer Erkenntnis dienen, wenn sie die essentiellen Eigenschaften ihrer Gegenstände umfassen. Ferner erscheint es plausibel, dass Ideen 18
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Vgl. dazu Recherche III.ii.6, OCM I 441 (Bd. 1, S. 209, Z. 209–216); Eclaircissements X, OCM III 153 f. (Bd. 1, S. 229 f., Z. 957–985) und Stellenkommentar, K19 und K58. Für diese Interpretation und deren systematische Konsequenzen siehe Nadler 1992, 45–54.
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als Essenzen in Gott eine begriffliche Natur haben. Denn Gott, der immateriell und geistig ist, wird von Malebranche als wesentlich „intelligibel“ beschrieben: Gott sei ja sogar das einzige „intelligible“ Wesen im ganzen Universum.20 Somit dürfte er selbst, streng genommen, eine rein begriffliche Natur haben. Ideen bzw. Essenzen als Bestimmungen seiner Substanz sollen ebenfalls diesen Status besitzen. Schließlich ist festzuhalten, dass Ideen als definitorische Begriffe keine piktoriale oder bildliche Ähnlichkeit zu den repräsentierten Gegenständen aufweisen. Die notwendige Ähnlichkeitsrelation zwischen repräsentierender Idee und repräsentiertem Gegenstand ist vielmehr als eine abstrakte Form von Isomorphie zu betrachten, der zufolge Idee und Gegenstand nur insofern „ähnlich“ sind, als allen Elementen (Merkmalen), die die Idee umfasst, Elemente (Eigenschaften) im Gegenstand entsprechen und umgekehrt. Ideen als definitorische Begriffe sind folglich Archetypen von Gegenständen nicht in dem Sinne, dass sie bildliche Modelle sind, sondern vielmehr in dem Sinne, dass sie präskriptive Beschreibungen der Struktur der Gegenstände sind. Die Ähnlichkeit, die zwischen Idee und Gegenstand besteht, ist demgemäß nicht diejenige, die zwischen dem Entwurf eines Hauses und dem nach diesem Entwurf realisierten Hause besteht, sondern diejenige zwischen dem Komplex von Anweisungen, wie ein Haus gebaut werden soll, und dem hiernach gebauten Hause. Dennoch erweitert Malebranche im zehnten Eclaircissement seine Ideentheorie in eine Richtung, die auf den ersten Blick verblüffend wirkt: Er behauptet dort, Ideen seien nichts anderes als Modifikationen der intelligiblen Ausdehnung.21 Die Idee des Dreiecks sowie die der Katze sind demnach verschiedene Begrenzungsweisen der einen und allumfassenden intelligiblen Ausdehnung; solche Begrenzungen sind die Archetypen, anhand deren Gott materielle Dreiecke und Katzen erkennt und erschafft. Dieser Theoriezusatz erweist sich aus zumindest drei Gründen als problematisch: (1) Die Beschreibung der Ideen als Modi der intelligiblen Ausdehnung scheint mit der Auffassung derselben als definitorischer Begriffe nicht kompatibel zu sein. Denn wie können Ideen 20 21
Vgl. etwa Recherche III.ii.1 § 1, OCM I 416 (Bd. 1, S. 205, Z. 85–87). Vgl. Recherche, Eclaircissements X, OCM III 152 (Bd. 1, S. 227 f., Z. 895–909). Die „intelligible Ausdehnung“ ist keine Idee in strengem Sinne, da sie Gottes sämtliche Substanz ist, sofern sie von materiellen Wesen partizipierbar ist; Gott wird aber vom Geist unmittelbar (ohne Vermittlung von Ideen) erfasst (vgl. Recherche III.ii.7 § 2, OCM I 449.) – Zur intelligiblen Ausdehnung vgl. Reid 2003.
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sowohl intelligible Gestalten als auch Komplexe begrifflicher Merkmale sein? Die Definition eines Dreiecks ist ja keine Gestalt. (2) Die Auffassung der Ideen als Modifikationen der intelligiblen Ausdehnung scheint ferner zu implizieren, dass zwischen Ideen und repräsentierten Gegenständen doch eine Art bildlicher Isomorphie besteht (Gegenstände seien materielle Abbildungen der Ideen als Gestalten) – was nach der begrifflich-definitorischen Ideenauffassung nicht möglich ist. (3) Ideen, als Modifikationen der intelligiblen Ausdehnung aufgefasst, dürften nicht imstande sein, alle Bestimmungen einzufangen, die Ideen als definitorische Begriffe umfassen. Wenn die Idee der Katze eine intelligible Gestalt ist, was bedeutet denn, dass sie das Merkmal „Fleischfresser“ umfasst? Malebranches Konzeption der Ideen als Modi intelligibler Ausdehnung wirkt auf den zweiten Blick weniger verwirrend. Zunächst muss man bedenken, dass die intelligible Ausdehnung als eine in Gott angesiedelte Essenz (Perfektion) keine bildliche Vorstellung ist, sondern selbst begrifflichen Status hat. Sie ist nämlich der definitorische Begriff, der alle wesentlichen Eigenschaften der (euklidischen) Ausdehnung im Allgemeinen umfasst (Homogenität, Kontinuität, Teilbarkeit usf.). Anhand dieses Begriffs erkennt Gott (sowie der menschliche Geist in Gott) alle Eigenschaften, die ausgedehnte Gegenstände als solche besitzen. Berücksichtigt man den begrifflichen Status der intelligiblen Ausdehnung, so lässt sich Einwand (1) entkräften: Zwischen Ideen als Modi der intelligiblen Ausdehnung und Ideen als definitorischen Begriffen liegt kein kategorialer Hiatus. Denn auch als Modi der intelligiblen Ausdehnung weisen Ideen begriffliche Natur auf: Sie sind geometrische Begriffe, die den Begriff der Ausdehnung spezifizieren und aus ihm analytisch ableitbar sind. Hiermit erhebt Malebranches Theorieerweiterung den Anspruch, den systematischen Zusammenhang aller Ideen zu erweisen: Als Begrenzungen bzw. Spezifizierungen der einen intelligiblen Ausdehnung erweisen sich alle Ideen als durch logisch-mathematische Relationen miteinander verbunden und bilden insgesamt einen „intelligiblen Kosmos“. Ideen, als Modi der begrifflichen Ausdehnung aufgefasst, genügen somit Malebranches methodischem Anspruch, dass die auf der Grundlage von Ideen gewonnene Erkenntnis rein analytisch sein soll. Auch Einwand (2) lässt sich entschärfen: Ideen als Modifikationen der intelligiblen Ausdehnung sind keine bildlichen, anschaulichen Modelle materieller Gegenstände, sondern definitorische Begriffe mathematisch-geometrischer Natur. Wir können sie uns anschaulich vorstellen als Gestalten im euklidischen Raume, und als solche können sie eine bildliche Ähnlichkeit zu den repräsentierten Gegenständen aufweisen.
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Aber wir sind nicht verpflichtet, uns auf diese Interpretation der Ideen festzulegen. Gemäß ihrer grundlegenden Natur sind Ideen vielmehr nur geometrisch strukturierte Begriffe. Die größten Schwierigkeiten scheint Einwand (3) aufzuwerfen. Auch sie lassen sich aber – zumindest prinzipiell – auflösen, sobald man berücksichtigt, dass Ideen laut Malebranche ihrer epistemischen Funktion (als adäquate Repräsentationen) insofern gerecht werden, als sie allgemeine Archetypen von Gegenständen sind. Mit seiner Theorieerweiterung setzt Malebranche demnach voraus, dass alle essentiellen Eigenschaften materieller Gegenstände mit Hilfe eines rein geometrischen Vokabulars erfasst werden können. Das wirkt zunächst unplausibel: Wie kann man nämlich „Fleischfresser“ anhand einer Begrifflichkeit beschreiben, die nur Modi der Ausdehnung umfasst? Dieses Befremden lässt aber nach, sobald man beachtet, dass Malebranches cartesische Ontologie materielle Körper als bloße Konfigurationen der Ausdehnung und Naturprozesse als bloße Veränderungen solcher Konfigurationen beschreibt. Materielle Körper weisen ausschließlich primäre Eigenschaften auf (die sekundären sind allesamt Modifikationen des Geistes), und primäre Eigenschaften (Gestalt, Größe, Bewegung) lassen sich geometrisch erfassen, d. h. als bloße Modi der Ausdehnung. Berücksichtigt man zudem nicht nur die äußere Gestalt eines Körpers, sondern auch seine Korpuskularstruktur, so kann man prinzipiell auch alle komplexen dispositionalen Eigenschaften des Körpers auf nicht dispositionale geometrische Eigenschaften zurückführen – wie Malebranche verlangt. Ist also „Fleischfresser“ eine essentielle bzw. definitorische Eigenschaft der Katze oder aber eine Eigenschaft, die aus der Essenz bzw. Definition der Katze analytisch ableitbar ist, so muss sie als bloße Modifikation der Ausdehnung beschreibbar sein. Als Essenzen sind Ideen somit lediglich Kollektionen primärer Eigenschaften – allerdings können sie sehr komplexe Kollektionen sein, die sich keineswegs auf die Beschreibung der äußeren geometrischen Gestalt der Gegenstände beschränken, sondern auch (und vornehmlich) deren interne Korpuskularstruktur mitberücksichtigen. Malebranches Lehre der intelligiblen Ausdehnung stellt also eine aufschlussreiche und – angesichts seiner mechanistischen Ontologie – nicht unplausible Ergänzung zu seiner Ideentheorie dar. Allerdings lassen sich nicht alle Zweifel befriedigend beheben. Im folgenden soll auf zwei problematische Aspekte dieser Lehre hingewiesen werden. Zunächst vertritt Malebranche – wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden – eine Wahrnehmungstheorie, der zufolge bei jedem Wahrneh-
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mungsakt eine reine Idee (eine Modifikation intelligibler Ausdehnung) perzipiert und durch Empfindungen (mentale Zustände) partikularisiert wird: Der Geist projiziert gleichsam die Empfindungen auf die perzipierte Idee, und daraus entsteht eine Art sinnlicher Idee des Einzelgegenstandes. Gemäß dieser Theorie sieht es tatsächlich so aus, als seien Ideen räumliche Projektionsflächen für Empfindungen und nicht begriffliche Beschreibungen der Korpuskularstruktur möglicher Gegenstände.22 Eine so fragwürdige Auffassung der Rolle der Ideen in der Sinneswahrnehmung hat überdies zur Folge, dass die repräsentationale Ähnlichkeitsrelation zwischen Idee und Gegenstand doch bildlich-anschaulichen Charakter erhält: Die sinnliche Idee, die aus der Wahrnehmung der Sonne resultiert, scheint sich nämlich auf die Vorstellung eines mit leuchtendem Gelb gefärbten Kreises zu reduzieren. Das Problem lässt sich vielleicht lösen, wenn man berücksichtigt, dass Ideen als Projektionsflächen nur eine intuitiv-geometrische Veranschaulichung der Ideen sind, deren eigentlicher Status rein begrifflich und deren eigentlicher Inhalt viel umfassender ist als der, der sich in bildlichen Gestalten veranschaulichen lässt (die Idee der Sonne enthält etwa nicht nur das Merkmal „kreisförmig“, sondern viele andere, in rein geometrischem Vokabular formulierte Merkmale, welche die chemische Zusammensetzung, das physikalische Verhalten, die Position im Sonnensystem, die Struktur des Gravitationsfeldes usf. betreffen). Trotzdem bleibt der Eindruck, als sei Malebranche hier Opfer eines anschaulichen Verständnisses der Ideen, das den erkenntnistheoretischen Ansprüchen seiner Ideentheorie nicht gerecht wird. Ein weiteres Bedenken betrifft die von Malebranches Theorie der intelligiblen Ausdehnung vorausgesetzte Übersetzbarkeit funktionaler Eigenschaften in ein rein geometrisches Vokabular. Einerseits sind laut Malebranche alle Ideen bloße Modifikationen intelligibler Ausdehnung; andererseits umfassen sie als Essenzen alle Merkmale, die den repräsentierten Gegenständen wesentlich zukommen. So müssen auch die Rela22
Malebranche spricht sogar davon, dass die Empfindung sich auf die Idee „auftragen“ (répandre) lässt. Wie dieser psychologische Prozess aber tatsächlich ablaufen soll, ist mysteriös. Wie kann überhaupt ein mentaler Zustand auf eine Idee (Essenz begrifflicher Natur) appliziert werden? Vielleicht ist das nur eine bildliche Darstellung des Gedankens, dass unser Wahrnehmungsgegenstand stets aus der Zusammensetzung begrifflichen Inhalts (Idee) und sinnlichen Materials (Empfindungen) entsteht und durch die Vereinigung beider Bestandteile konstituiert wird (siehe dazu Abschnitt 5.3.3). Malebranches Redeweise bleibt aber ohnehin problematisch.
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tionen, die die repräsentierten Gegenstände mit anderen Gegenständen wesensmäßig unterhalten, aus den Ideen ableitbar sein: etwa dass das Gravitationsfeld der Sonne auf eine bestimmte Weise mit dem der Erde interagiert.23 Die Frage ist nun, ob es möglich ist, alle Relationen zwischen Gegenständen ins Vokabular der „intelligiblen Ausdehnung“ zu übersetzen. Kann man etwa alle funktionalen Gefüge in diesem Vokabular angemessen ausdrücken? Betrachten wir folgenden Fall: Wenn ich einen Geldschein sehe oder an Geld denke, wird mir von Gott die Idee des Geldes offenbart, in der laut Malebranche alle essentiellen Eigenschaften des Geldes analytisch enthalten sein sollen. Dazu gehören auch funktionale Eigenschaften, die nur im Hinblick auf Normen, soziale Konventionen, Institutionen usf. beschreibbar sind: etwa dass Geld dazu dient, Schulden zu begleichen. Können derartige Eigenschaften adäquat ins Vokabular der intelligiblen Ausdehnung übersetzt werden? – Diese Frage soll hier offen bleiben. Wir werden uns im folgenden vielmehr der Darstellung widmen, wie Wahrnehmung und Erkenntnis auf der Grundlage der Ideen in Gott nach Malebranches Auffassung strukturiert sind. 5.3.3 Die epistemische Funktion der Ideen Wir haben bisher gesehen, dass Ideen Malebranche zufolge ihre Funktion als adäquate Repräsentationen insofern erfüllen, als sie Essenzen bzw. Archetypen von Gegenständen in Gott sind, und dass sie daher als Begriffe geometrischer Natur (nämlich Modifikationen der étendue intelligible) aufgefasst werden sollen. Es bleibt nun zu fragen, wie Erkenntnis aufgrund von Ideen funktioniert, d. h., welche Rolle Ideen bei kognitiven Prozessen spielen. Mancher Interpret unterscheidet hierbei zwei Hauptfälle: die abstrakte Erkenntnis (reine Theorie) und die sinnliche Wahr23
Erkennt man die Idee (Essenz) eines Gegenstands vollständig (was nur bei Gott der Fall ist), so erkennt man all die Eigenschaften des Gegenstands, die mit seiner Essenz zusammenhängen und von ihr ableitbar sind (vgl. Recherche III.ii.7, OCM I 450). Darunter fallen auch relationale Eigenschaften – vorausgesetzt, man verfügt über Ideen (Essenzen) anderer Gegenstände. Denn bei vollständiger Erkenntnis zweier Essenzen weiß man a priori, wie sich die repräsentierten Gegenstände zueinander verhalten. Erkennt man die Essenz von Wasser und Eisen, so kann man daraus ihre relationalen Eigenschaften ableiten und mithin wissen, dass Eisen in Wasser rostet. (Für die These, dass Ideen Erkenntnis relationaler Eigenschaften ermöglichen, siehe Nadler 1992, 26–31).
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nehmung.24 Diese Fälle erscheinen auf den ersten Blick recht heterogen. Malebranche hält aber fest, dass Ideen eine zentrale Rolle in beiden Fällen spielen. Zunächst gilt es daher, diese Rolle differenziert darzulegen. Schließlich soll die Frage diskutiert werden, welches erkenntnistheoretische Potential in Malebranches These steckt. In der Regel werden uns Ideen im Zusammenhang mit der Sinneswahrnehmung offenbart: Wenn wir uns einen Gegenstand anschauen, bewirkt Gott, dass wir die entsprechende Idee perzipieren. Durch diese Idee nehmen wir den Gegenstand als einen bestimmten Gegenstand wahr (etwa als die Sonne und nicht als eine leuchtende Scheibe). Malebranches Ideentheorie ist freilich nicht zur Annahme verpflichtet, dass Ideen uns nur im Kontext der Sinneswahrnehmung zugänglich werden. Nach seiner Ideentheorie erweisen sich im Gegenteil Szenarien als plausibel, in denen wir auch anderswie Ideen erfassen können: etwa indem wir sie aus uns bekannten Ideen logisch ableiten (wie in einer Theorie) oder aber phantastisch kombinieren (wie in einer mythologischen Erzählung). In beiden Fällen bewirkt Gott, dass wir eine Idee erfassen, obwohl wir keinen durch sie repräsentierten Gegenstand sinnlich wahrnehmen. Dennoch ist der normale Fall, in dem Gott uns mit Ideen bekannt macht, auch für Malebranche derjenige, in dem wir materielle Gegenstände sinnlich wahrnehmen. Bevor wir den Mechanismus betrachten, auf dem laut Malebranche die Perzeption einer Idee in der Sinneswahrnehmung beruht, soll der Vorteil hervorgehoben werden, den die Anwendung von Malebranches Ideenlehre im wahrnehmungstheoretischen Kontext anbietet: Bei jeder Wahrnehmung desselben Gegenstands offenbart uns Gott buchstäblich dieselbe (allgemeine) Idee. So verschieden uns die Sonne im Laufe der Zeit – je nach Wahrnehmungskontext und je nach Verfassung des Wahrnehmungsapparats – phänomenal erscheinen mag, wir perzipieren jedes Mal dieselbe Idee (die Idee der Sonne) und nehmen somit jedes Mal den unterschiedlich erscheinenden Gegenstand als die Sonne wahr. Die Bezugname auf die Idee in Gott garantiert jedes Mal den objektiven und intersubjektiven Inhalt unserer Wahrnehmung. (Das ist unter anderem auch der Grund, weshalb wir uns beim Austausch sprachlicher Zeichen verständigen und Gedanken erfolgreich mitteilen können.) Wie aber das Beispiel der Sonne zeigt, beschränkt sich die Sinneswahrnehmung nicht auf die Perzeption einer Idee. Vielmehr umfasst sie
24
Siehe etwa Nadler 1992, 60–66 und Kap. 5.
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immer auch sinnliche Bestandteile, d. h. Empfindungen sekundärer Qualitäten (Farben, Töne usf.). Welche Rolle spielen sie in der Sinneswahrnehmung? Und wie sind sie mit der uns offenbarten Idee verbunden? Wie wir schon wissen, haben Empfindungen laut Malebranche keine repräsentationale Funktion; sie liegen weder in den Gegenständen noch in Gott vor, sondern sind bloße Zustände unseres Geistes. Wir können daher aus ihnen keine Schlüsse ziehen, die für die Erkenntnis der Gegenstände relevant sind. Dass es etwa die Sonne ist, die wir bei einer stimmungsvollen rotartigen Empfindung untergehen sehen, erfahren wir nicht aus dieser Empfindung selbst, sondern aus der Idee, die Gott uns zugleich perzipieren lässt. Inwiefern sind aber Idee und Empfindung gekoppelt? Und hat die Empfindung gar keine Relevanz für die Wahrnehmung des Gegenstands? Gemäß Malebranches Wahrnehmungstheorie ist es Gott, der die Verbindung von Idee und Empfindung in der Sinneswahrnehmung begründet: (A) Bei unserer Wahrnehmung eines Gegenstands O verursacht Gott in unserem Geiste rein sensorische Empfindungen. (Eine direkte wirkkausale Aktion von O auf den Geist ist aufgrund der ontologischen Differenz zwischen materiellem Gegenstand und immateriellem Geist ausgeschlossen.25) Diese Tätigkeit Gottes erfolgt nicht willkürlich, sondern untersteht dem Gesetz der Geist-Körper-Verbindung: Beim Vorkommen einer konstanten Kausalrelation zwischen O und unserem Körper verursacht Gott ceteris paribus eine konstante Empfindung in unserem Geist. Demgemäß empfinden wir in der Regel die Sonne rotartig, wenn wir sie uns beim Untergang anschauen. Das impliziert letztlich, dass Gott unsere Empfindungen sekundärer Qualitäten immer im Hinblick auf die primären Qualitäten der Körper verursacht, die im Wahrnehmungsprozess involviert sind. (B) Zugleich zur Verursachung bestimmter Empfindungen in unserem Geist bewirkt Gott bei unserer Wahrnehmung von O, dass unser Geist die Idee von O perzipiert; die Offenbarung der Idee von O ermöglicht dem Geist, die vorliegenden Empfindungen (die Farbe Rot) als den Gegenstand O (die Sonne) wahrzunehmen. Auch diese Tätigkeit Gottes ist 25
Die Affizierungen im Körper, denen im Geiste Empfindungen entsprechen, entstehen Malebranche zufolge aufgrund der Einwirkung anderer materieller Gegenstände auf den Körper. Auch diese Einwirkung kann aber nach der Okkasionalismuslehre nicht direkt sein, sondern muss von Gott – nach dem Gesetz der Körper-Körper-Verbindung – zustande gebracht werden.
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keine willkürliche, sondern eine nomologisch geregelte, bei der Gott dem Gesetz der Geist-Gott-Verbindung folgt: Immer, wenn Gott O-veranlasste Empfindungen in unserem Geist verursacht, lässt er unseren Geist die Idee von O perzipieren. Die Unveränderlichkeit der Idee von O und die Regelmäßigkeit der göttlichen Offenbarung dieser Idee begründen den gegenständlichen Charakter von O in unserer Wahrnehmung. Was ist dann die Funktion der Empfindung in der Wahrnehmung und in der Erkenntnis überhaupt? Malebranche bietet uns unterschiedliche Antworten, die in einer gewissen Spannung mit der Aussage stehen, Empfindungen besäßen keinen repräsentationalen Charakter: (1) Empfindungen haben für uns, wie es im Abschnitt 3.1 erwähnt wurde, eine lebenserhaltende Funktion. Diese ist aber auch epistemisch relevant: Empfindungen repräsentieren freilich nicht die Gegenstände, wie sie „an sich“ sind, liefern jedoch bedeutsame Informationen im Hinblick auf die Frage, ob die Gegenstände für den Erhalt unseres Körpers zuträglich oder schädlich sind. (Dies tun sie allerdings nur deshalb, weil wir sie mit der Idee eines Gegenstands verknüpfen, d. h. als Eigenschaften eines Gegenstands auffassen.) (2) Empfindungen ermöglichen dem Geist auch implizite Schlüsse über die wahrgenommenen Gegenstände, etwa über deren Entfernung von uns.26 Diese Funktion ist ebenfalls als eine kognitive anzusehen, da auch in diesem Fall die Empfindungen Informationen darüber liefern, wie sich die Gegenstände faktisch zu uns verhalten. (Auch diese kognitive Leistung setzt freilich voraus, dass die Empfindung mit der Idee eines Gegenstands verknüpft worden ist.) (3) Empfindungen haben eine partikularisierende Funktion: Die abstrakte Idee von O (die O-artige Modifikation intelligibler Ausdehnung), die unser Geist bei der Wahrnehmung des Einzelgegenstands O perzipiert, wird durch O-veranlasste Empfindungen zur Repräsentation des Einzelgegenstandes O. Genauer gesagt: Durch O-veranlasste Empfindungen wird die reine Perzeption der Idee von O zur sinnlichen Wahrnehmung von O. Durch eine rotartige Empfindung wird die Perzeption der Idee der Sonne zur Wahrnehmung der untergehenden Sonne in einer konkreten Situation; und durch eine besondere Farbenkombination wird die Idee des Pferdes zur sinnlichen Repräsentation eines besonderen Pferdes (Bukephalos). Die Empfindung übernimmt somit eine epistemisch relevante Funktion in Malebranches Wahrnehmungstheorie: nämlich die Funktion, unsere Wahrnehmungsgegenstände zu individuieren. 26
Für Textbelege und Diskussion siehe Nadler 1992, 21–24.
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(4) Empfindungen spielen eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Aufmerksamkeit unseres Geistes. Grundsätzlich wirken sie ablenkend und behindern den Geist bei seiner Hinwendung zu den reinen Ideen in Gott. Sie können jedoch auch die Aufmerksamkeit des Geistes auf die Ideen richten, mit denen Gott sie verbindet, und als Ansporn wirken, diese Ideen zu untersuchen. Malebranche behauptet sogar, Empfindungen würden Ideen „sichtbar“ machen.27 Damit scheint er zu suggerieren, dass unser epistemischer Zugang zu den Ideen (und über sie zu den repräsentierten Gegenständen) nicht unabhängig von Empfindungen als sinnlichen Komponenten der Wahrnehmung der Gegenstände ist. Diesen Betrachtungen widerstrebt Malebranches Überzeugung, Empfindungen besäßen keinen repräsentationalen Inhalt. Wenn nämlich die Entstehung von Empfindungen im menschlichen Geist nicht zufällig oder willkürlich ist, sondern von Gott nomologisch geregelt wird, und wenn somit eine Kovarianz zwischen Primäreigenschaften im Gegenstand und Empfindungen sekundärer Qualitäten im Geist besteht, so dass letztere etwa implizite Schlüsse über Zuträglichkeit und Entfernung der Gegenstände ermöglichen – warum beharrt Malebranche dann darauf, dass Empfindungen nichts repräsentieren? Die Antwort dürfte in seinem erkenntnistheoretisch aufgeladenen Repräsentationsbegriff liegen. Repräsentieren heißt nämlich für Malebranche – wie wir wissen – apriorische Erkenntnis des repräsentierten Gegenstands zu ermöglichen. Dies wiederum bedeutet: All das, was aus der Repräsentation eines Gegenstands gefolgert werden kann, muss auf den repräsentierten Gegenstand zutreffen. Diese Bedingung ist – wie wir gesehen haben – nur bei Essenzen bzw. Archetypen von Gegenständen erfüllt. Empfindun27
Vgl. etwa Entretiens sur la métaphysique et la religion I.10, OCM XII 46. Hiermit meint Malebranche nicht, dass Empfindungen die kausale Kraft besitzen, uns Ideen erfassen zu lassen; über diese Kraft verfügt in seiner okkasionalistischen Welt lediglich Gott. Er meint vielmehr, dass es nicht unabhängig von unseren Empfindungen ist, (a) wohin wir den Blick unseres körperlichen und geistigen Auges richten und (b) was wir dabei kognitiv erfassen wollen, d. h., (c) welche Gelegenheiten wir damit Gott anbieten, uns Ideen zu offenbaren. Malebranche meint, dass bestimmte Konstellationen von Empfindungen (aufgrund ihrer Lebhaftigkeit, Gefälligkeit, Schmerzlichkeit usf.) mehr als andere unsere Aufmerksamkeit und unseren kognitiven Wunsch erwecken – was dazu führt, dass Gott uns bestimmte Ideen und nicht andere offenbart. Das kann natürlich ein Hindernis darstellen, eine Ablenkung von wichtigeren epistemischen Inhalten; es kann aber auch als Ansporn wirken, weitere Ideen zu bekommen und zu analysieren. Auf ähnliche Weise hat auch Platon die Sinneswahrnehmung als mögliches parakletikón zum Ideendenken aufgefasst (vgl. etwa Res publica VII, 523a-525a).
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gen sind aber keine Essenzen von Gegenständen; auch wenn sie ceteris paribus eine geregelte, konstante Relation zu bestimmten primären Eigenschaften der Gegenstände aufweisen, ermöglichen sie keine sicheren, d. h. apriorischen Inferenzen über weitere Eigenschaften dieser Gegenstände. Die Sinneswahrnehmung ist aber nicht der einzige epistemische Kontext, in dem Ideen laut Malebranche eine zentrale Rolle spielen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass bei jeder Funktion des Geistes, sofern sie kognitiv ist, auf Ideen möglicher Gegenstände Bezug genommen wird. Auch Erinnerungen und Vorstellungen dürften für Malebranche nur insofern Erinnerungen oder Vorstellungen von etwas Bestimmtem sein, als sie (als geistige Vorgänge) mit der Perzeption einer Idee (Essenz) in Gott gekoppelt sind. (Dies ist selbst bei Sinnestäuschungen und Halluzinationen der Fall.) Ideen können aber vom Geiste auch ohne Begleitung sinnlicher Empfindungen, bildlicher Vorstellungen usf. perzipiert werden. Reine Perzeption von Ideen ist das, was bei abstrakter, theoretischer Erkenntnis vonstatten geht. Wir können etwa in einer astronomischen Theorie an die Sonne denken, ohne uns dabei auf eine sinnliche Wahrnehmung oder bildliche Vorstellung der Sonne zu stützen. Infolge eines Willensakts unseres Geistes offenbart uns Gott in diesem Fall – gemäß dem Gesetz der Geist-Gott-Verbindung – die Idee der Sonne (d. h. dieselbe Idee, die er uns auch bei unserer sinnlichen Wahrnehmung der Sonne offenbart). Der Geist perzipiert somit diese Idee und kann sie untersuchen. Durch Analyse dieser Idee und deduktive Inferenzen sowie unter Inanspruchnahme weiterer Ideen kann er Merkmale und Relationen unter Merkmalen „entdecken“, somit Sätze („Urteile“) erfassen, die inferentiell verknüpft sind und insgesamt eine Theorie bilden. Dass eine solche Theorie aus Wahrheiten über den (möglichen) Gegenstand „Sonne“ besteht, ist dadurch gewährleistet, dass die Idee der Sonne die Essenz der Sonne ist – vorausgesetzt, dass der Geist sich bei der Analyse dieser Idee nicht irrt.28 Dafür bedarf der Geist nur Aufmerksamkeit bei der „Entdeckung“ der Merkmale, die diese Idee umfasst; die weite28
Eine empirische Bestätigung von auf Ideen beruhenden Theorien ist für Malebranche im Grunde überflüssig. Sinnliche Empfindung ist im besten Fall zur Feststellung dienlich, ob die möglichen Gegenstände, von denen die Theorie handelt, tatsächlich existieren. Da aber die Empfindung keinen sicheren (apriorischen) Beweis der Existenz von Gegenständen liefert, hat sie auch in diesem Fall keine erkenntnisbegründende Funktion; wie sie keine Essenz der Gegenstände repräsentiert, so ist sie auch kein zuverlässiger Zeuge ihrer Existenz. Vgl. etwa Recherche, Eclaircissement X, OCM III 143 (Band 1, S. 221, Z. 648–652), und Stellenkommentar, K40.
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ren erforderlichen Ideen werden von Gott gesetzmäßig geliefert. Da der Geist aber in kognitiver Hinsicht passiv ist – er kann ja nur Ideen erfassen, die ihm offenbart werden, wie man bei der visuellen Wahrnehmung nur Gegenstände sieht, die im Blickfeld liegen –, beschränkt sich seine Fähigkeit, den kognitiven Prozess zu steuern, auf den initiierenden Willensakt und auf die Aufmerksamkeit des „Blicks“, mit der er das „Gesehene“ (die Idee) untersucht.29 Ein letzter interessanter Aspekt von Malebranches Ideentheorie soll schließlich hervorgehoben werden. Wie heterogen der Kontext der Sinneswahrnehmung und der einer abstrakten Theorie auch sein mögen, sie sind durch ihre gemeinsame Bezugnahme auf Ideen grundsätzlich vereinheitlicht. Die Ideen, die Gott dem Geiste bei der sinnlichen Wahrnehmung von Gegenständen offenbart, umfassen als Essenzen prinzipiell alle Informationen, die in einer raffinierten wissenschaftlichen Theorie über diese Gegenstände entfaltet werden können. Alltägliche Erfahrung und wissenschaftliche Theorien sind demnach unterschiedliche Grade ein und desselben Kontinuums: Die Wissenschaft wächst gleichsam aus der alltäglichen Erfahrung heraus, sofern der Geist imstande ist, die in Sinneswahrnehmungen offenbarten Ideen ungeachtet ihrer sensorischen Verkleidung zu analysieren und als Grundlagen apriorischer Erkenntnis zu verwenden. Das rationalistische Moment in Malebranches Erkenntnis- und Ideentheorie ist freilich stark betont. Dies führt jedoch nicht dazu, Sinneswahrnehmung und theoretische Erkenntnis völlig voneinander abzukoppeln. Die Alltagserfahrung enthält zweifelsohne Irrtumspotential und ist tatsächlich – wie in der Einleitung angedeutet – die Hauptquelle unserer kognitiven Misserfolge – und zwar insofern, als wir unsere Empfindungen als Repräsentationen von Gegenständen betrachten, während sie es als mentale Zustände nicht sind. So führen uns Sinneswahrnehmung und Alltagserfahrung zur trügerischen Überzeugung, die Sonne sei gelb und heiß und drehe sich um die Erde. Erst wenn wir uns auf die reinen Ideen konzentrieren und von den falschen „Berichten unserer Sinne“ absehen, erkennen wir die Dinge, wie sie „an
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Somit scheinen zwei Komponenten erforderlich zu sein, damit es zum Erfassen einer Idee kommt: einerseits unsere Aufmerksamkeit und unser Willensakt, andererseits Gottes Offenbarung der Idee. In der Forschung ist allerdings umstritten, welche Rolle die Aufmerksamkeit unseres (kognitiv passiven) Geistes als Auslöser unserer kognitiven Prozesse tatsächlich spielt. Jolley 1994 und Schmaltz 2000 bestreiten eine aktive Rolle unserer Aufmerksamkeit, während Peppers-Bates 2005 sie verteidigt.
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sich“ sind: reine Modifikationen der Ausdehnung. Dann entdecken wir auch, dass die Sonne lediglich geometrische Eigenschaften aufweist und dass es bessere Beschreibungen für das Sonnen-Erde-Verhältnis gibt als die, welche die Sinne uns nahe legen. Erst damit beginnen wir, Wissenschaft zu betreiben. Dennoch sind aus Malebranches Sicht die Bausteine unserer wissenschaftlichen Erkenntnis der Welt schon immer in unserer alltäglichen Wahrnehmung der Dinge einbegriffen. Da Gott uns mit seinen Ideen die wahren Essenzen der Dinge offenbart und da diese Ideen konstitutive Bestandteile unserer Sinneswahrnehmungen sind, verfügen wir bereits in unserer Alltagserfahrung über notwendige und hinreichende Mittel dafür, wahres (apriorisches) Wissen über die Welt zu erwerben. Wissenschaft erweist sich aus dieser Sicht prinzipiell als ein analytisches Verfahren, durch welches der in der Sinneswahrnehmung enthaltene epistemische Kern fortschreitend expliziert wird. Das, worauf es ankommt – und das ist Thema und Ziel von Malebranches „Suche nach der Wahrheit“ –, ist unser methodisches Verhalten: unsere Fähigkeit, uns nach dem Wesentlichen (den Ideen in Gott) zu richten, ohne uns vom trügerischen Charakter unserer Empfindungen beirren zu lassen.
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Einführung: die Kontroverse zwischen Arnauld und Malebranche
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6. Antoine Arnauld Julia Borcherding und Stephan Schmid
6.1 Einführung: Wahre und falsche Ideen – die Kontroverse zwischen Arnauld und Malebranche Wollte man etwas herausgreifen, das Leben und Person Antoine Arnaulds besonders auszeichnet, so wäre wohl vor allem eines zu nennen: die Kontroverse. Der Theologe und Philosoph stritt und debattierte unaufhörlich – mit den Jesuiten, dem König von Frankreich, und auch der Papst blieb von seinen Angriffen nicht verschont: „Day by day he went into his study, sharpened his pen and attacked someone – or defended someone, or refuted an answer, or answered a pretended refutation, or wrote a Premier Écrit pour la defense de la seconde lettre.“1 Unter diesen vielen Debatten, die über vierzig beachtliche Bände füllen, hat insbesondere eine große Bekanntheit erlangt: Arnaulds Auseinandersetzung mit Malebranche. Die über mehr als ein Jahrzehnt andauernde erbitterte Kontroverse zwischen den zwei einstigen Freunden begann 1683 mit der Veröffentlichung von Arnaulds Des vraies et des fausses idées und selbst Arnaulds Tod im Jahre 1694 vermochte ihr kein Ende zu setzen.2 Den Auslöser der Kontroverse bildete Malebranches Traité de la nature et de la grâce (Traité). Malebranche hatte diesen 1680 veröffentlicht, ohne jedoch Arnaulds Meinung abzuwarten, um die er ihn ein Jahr zuvor ersucht hatte. In diesem Werk präsentierte Malebranche eine Lösung des Theodizeeproblems, welche Arnaulds eigenen theologischen Ansichten zutiefst widersprach. Denn Malebranche bricht im Traité mit der von Augustinus und Thomas geprägten und später auch von Leibniz übernommenen Auffassung der Vollkommenheit der Schöpfung, indem er die 1 2
Kilcullen 2002, S. 7. Arnaulds Freunde fuhren nach seinem Tode fort, posthum dessen Texte gegen Malebranche zu veröffentlichen. Dieser verfasste bis ins Jahre 1704 Erwiderungen darauf. Eine ausführliche Chronologie sowie eine detaillierte Darstellung der Debatte und der Positionen Malebranches und Arnaulds findet sich in Moreau 1999.
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Behauptung aufstellt, unsere Welt sei keineswegs die beste aller möglichen. So entwickelt der Traité eine Theorie göttlichen Handelns, wonach Gott neben der Vollkommenheit seiner Schöpfung auch die seiner Handlungen anstreben muss. Letztere ist gleichbedeutend mit der Einfachheit, welche diese Handlungen auszeichnet. Unsere Welt ist daher weder die bestmögliche, noch ist sie auf dem bestmöglichen Wege erschaffen worden. Vielmehr ist sie diejenige, die der bestmöglichen Zusammensetzung von möglichst einfachen Handlungen und möglichst vollkommenen Ergebnissen entspricht und somit die beste „Gesamtvollkommenheit“ besitzt. Pointiert gesprochen stellt die Welt für Malebranche also so etwas wie eine „Kompromisslösung“ dar. Aus diesen Überlegungen Malebranches folgt zudem – sehr zum Missfallen Arnaulds –, dass Gott nicht über absolute Freiheit verfügen kann. Denn er ist durch sein Streben nach Perfektion in seinem Tun beschränkt und kann nicht durch einzelne Willensakte ins Weltgeschehen eingreifen, da dies das Gesetz der Einfachheit seiner Handlungen verletzen würde. Daher folgert Malebranche in einer Passage, die ganz besonders den Zorn Arnaulds auf sich ziehen sollte, „dass seine [d. i. Gottes] Weisheit ihn gleichsam machtlos macht.“3 Es liegt nahe zu vermuten, dass die im Traité vertretenen Positionen auf den Theologen Arnauld wie eine unbedachte und nahezu ketzerische Überschreitung der Grenzen menschlichen Wissens gewirkt haben müssen. So teilte Arnauld als überzeugter Anhänger der Theologie des Bischofs Cornelius Jansen (1585–1638) auch den jansenistischen Gottesbegriff, der Gott als ein von uns nicht erfassbares Wesen vorstellt, dessen Absichten uns verborgen bleiben müssen. Demjenigen aber, der ein solches Bild von Gott besitzt, muss eine Darstellung und „Beurteilung“ des göttlichen Wirkens, wie Malebranche sie vertritt, geradezu anmaßend und verfehlt erscheinen. Als Entgegnung auf den Traité publizierte Arnauld daher drei Jahre später die Abhandlung Des vraies et des fausses idées (Idées), in der er im Namen Descartes’ die Theorie der Ideenschau in Gott angriff, die Malebranche vor allem in der im Jahre 1774 erschienenen Recherche de la verité (Recherche) entwickelt hatte. Dies erscheint zunächst verwunderlich, ist der Traité doch ein theologisches Werk, in dem ideentheoretische Fragestellungen kaum eine Rolle spielen. Warum sollte Arnauld, der den theologischen Inhalten des Traité offenkundig feindlich gegenüberstand, die
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Traité de la nature et de la grâce I.38, OCM 5:47 (nachfolgend: Traité).
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Debatte ausgerechnet mit einer Schrift eröffnen, die keinerlei Bezug zu diesem Text aufzuweisen scheint?4 Offenkundig stellten sich auch einige Zeitgenossen Arnaulds diese Frage; so nicht zuletzt dessen Kontrahent Malebranche selbst, der sich die Bemerkung nicht nehmen ließ, Arnaulds Buch über wahre und falsche Ideen habe ungefähr soviel mit dem Traité zu tun wie der Krieg der Türken in Ungarn.5 Ein erster Hinweis auf eine mögliche Erklärung findet sich im Vorwort zu den Idées. Dort antizipiert Arnauld selbst die Verwirrung, die sein ideentheoretischer Angriff auslösen würde, und versucht dieser zu begegnen, indem er die Beziehung zwischen seiner Schrift und dem Traité etwas näher erläutert: Ich befürchte, dass du überrascht sein wirst, festzustellen, dass dies noch nicht das Werk ist, das du erwartest […]. Hier ist der Grund dafür: Unser Freund warnte uns in der zweiten Auflage seines Traité de la Nature et de la Grace, dass es, um diesen gut zu verstehen, vonnöten sei, zu wissen, welche Prinzipien er in seinem Buch La Recherche de la Verité aufstelle. Insbesondere betonte er seine These, wir sähen alle Dinge in Gott.6
Arnauld weist hier auf eine Bemerkung Malebranches hin, derzufolge die Kenntnis der in der Recherche entwickelten Thesen Voraussetzung sei, um dessen Überlegungen im Traité richtig verstehen zu können. Dies erkläre seine Absicht, die dem Traktat zugrunde liegende Ideentheorie zu widerlegen, insbesondere die Behauptung, wir sähen alle Dinge in Gott. So hatte Malebranche in der Recherche eine Ideentheorie entwickelt, der gemäß sich Ideen nicht, wie etwa Descartes angenommen hatte, in unserem eigenen Geist befinden. Vielmehr existieren sie als Essenzen oder Archetypen in Gott. Wenn wir also etwas wahrnehmen oder erkennen, so betrachten wir die Gegenstände in der Außenwelt nicht direkt, sondern immer vermittels der Ideen in Gott, die uns diese Gegenstände repräsentieren. Malebranches Theorie zufolge ist uns Gott also keineswegs so unzugänglich, wie der Gottesbegriff Arnaulds behauptet. Vielmehr ist unser Geist aufs Engste mit diesem verbunden. Daher erscheint
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Zahlreiche Briefe Arnaulds bezeugen, dass es tatsächlich der Traité war, der den Ausgangspunkt der Debatte bildete. Vgl. z. B. den Brief an Nercassel vom 13. Januar 1681, OA 2:95; den Brief an Marquis de Roucy vom 26. Mai 1681, OA 2:101; den Brief an Marquis de Roucy vom 4. Januar 1681, OA 2:116. „[S]on livre des vraies et des fausses idées n’ayant effectivement pas plus de rapport au Traité de la Nature et de la Grace que la guerre du Turc en Hongrie …“ (Troisième lettre contre Défense de M. Arnauld, Nr. 5, OCM 6). Des vraies et des fausses idées, OA 38:180 (nachfolgend: Idées).
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es Malebranche auch keineswegs verfehlt oder vermessen, Behauptungen über Gott anzustellen wie die nachfolgende aus dem Traité: Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass alle Menschen nur deshalb vernünftig sind, weil sie von der Ewigen Weisheit erleuchtet und aufgeklärt werden, wäre es zweifellos sehr vermessen von mir, von der Absicht Gottes zu reden und einige seiner Wege (voies) in der Hervorbringung seines Werkes entdecken zu wollen. Da es aber gewiss ist, dass das Ewige Wort die universelle Vernunft jeden Geistes ist, und dass wir alle durch das Licht, welches jene ohne Unterlass in uns verströmt, einen gewissen Umgang mit Gott haben können, so gibt es nichts daran auszusetzen, dass ich diese Vernunft zu Rate ziehe…7
Malebranche zufolge rechtfertigt also die Analyse der grundlegenden Operationen des menschlichen Geistes seine im Traité entwickelten theologischen Thesen. Eine wirksame und vollständige Zurückweisung dieser Thesen scheint Arnauld daher nur möglich, wenn diese eine Kritik der Ideentheorie Malebranches und insbesondere seiner These von der Vereinigung des menschlichen und des göttlichen Geistes miteinschließt. Arnauld ist daher in den Idées hauptsächlich bemüht zu zeigen, dass Malebranches Ideentheorie eine falsche und nicht zu rechtfertigende Konzeption des Inhaltes von Perzeptionen zugrunde liegt. Die unterschiedlichen Auffassungen Arnaulds und Malebranches bezüglich dieser Frage werden besonders anschaulich, betrachtet man ihre grundverschiedene Kommentierung der folgenden Passage aus der dritten Meditation, die von beiden auf Dutzenden von Seiten diskutiert wird.8 Dort schreibt Descartes: Sofern nämlich diese Ideen nur gewisse Modi des Denkens sind, erkenne ich keine Ungleichheit unter ihnen, und alle scheinen auf dieselbe Weise aus mir hervorzugehen, aber sofern eine diese, eine andere jene Sache repräsentiert, ist es klar, dass sie sich stark voneinander unterscheiden. Denn die Ideen, die mir Substanzen darbieten, sind ohne Zweifel etwas Größeres und enthalten in sich sozusagen mehr objektive Realität als jene, die nur Modi oder Akzidenzien repräsentieren.9
Ideen können Descartes zufolge auf zwei Weisen beschrieben werden: (1) hinsichtlich ihrer Relation zum Geist als Modi des Denkens (ihre „formale Realität“), und (2) hinsichtlich ihrer Relation zum repräsentier7 8
9
Traité I.7, OCM 5:24 f.; vgl. auch Dialogues IX.13, OCM 12:221. Vgl. Moreau 2000, 93 f. Für Arnaulds Kommentierung dieser Passage vgl. Idées, 205–207; Défense 386–389; Neuf lettres, OA 39:138f; für Malebranche vgl. Trois lettres; OCM 6:214–218 und für einen Vergleich der verschiedenen Kommentare Arnaulds und Malebranche vgl. Ganault 1992 und Wahl 1988. Meditationen, AT VII, 40; Bd. 1, S. 65 f.
Einführung: die Kontroverse zwischen Arnauld und Malebranche
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ten Gegenstand als Träger eines repräsentationalen Inhaltes (ihre „objektive Realität“). Werden sie auf die erste Weise betrachtet, so erkennt man „keinerlei Ungleichheit unter ihnen“, beschreibt man sie jedoch auf die zweite Weise, so ist „klar, dass sie sich stark voneinander unterscheiden“. Die von Arnauld und Malebranche am heftigsten diskutierte Frage besteht nun darin, ob es sich bei Descartes’ Ideen formaliter und seinen Ideen obiective tatsächlich noch um dieselben Entitäten handeln kann. Arnauld beharrt in seiner Besprechung der Passage darauf, dass jede Idee zwar etwas anderes repräsentieren mag, dass in ontologischer Hinsicht jedoch alle Ideen nicht mehr sind als Modifikationen des Geistes (für den Bezug auf eine Idee unter diesem ontologischen Aspekt verwendet Arnauld den Ausdruck „Perzeption“). Um Descartes’ Bemerkung Rechnung zu tragen, müssen wir ihm zufolge keinesfalls annehmen, dass es sich bei unseren Perzeptionen und unseren Ideen um zwei real distinkte Entitäten handelt. Vielmehr sind die Ideen real identisch mit unseren Perzeptionen, welche strukturell so beschaffen sind, dass sie die „objektive Präsenz“ des Gegenstandes wesentlich miteinschließen.10 So behauptet Arnauld, „dass jedem, der sich überlegt, was in seinem Geist vorgeht, klar ist, dass all unsere Perzeptionen wesentlich repräsentierende Modalitäten sind.“11 Dies jedoch bestreitet Malebranche, der hier den entscheidenden Dissens der Debatte begründet sieht: Es ist wahr, ich habe dieser Behauptung [d. i., dass die Modifikationen der Seele wesentlich ihre verschiedenen Objekte repräsentieren] ungefähr fünfhundert Mal widersprochen. Ich habe Monsieur Arnauld immer erklärt, dass, wenn sie wahr wäre, er bezüglich der Frage der Ideen Recht hätte und ich falsch läge […], denn der gesamte Streit zwischen uns über die Ideen hängt davon ab.12
Im Gegensatz zu Arnaulds strikter Identifikation von Idee und Perzeption verschärft Malebranche die von Descartes’ eingeführte Unterscheidung, indem er die Modifikationen unseres Geistes vollständig von ihrem repräsentationalen Inhalt trennt und repräsentierende Ideen zu distinkten Entitäten erklärt: „Perzeptionen repräsentieren keinesfalls 10
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Zum Begriff der objektiven Präsenz vgl. ausf. den systematischen Essay zu Arnauld in diesem Band, 6.3.3, sowie die Stellenkommentare K25 und K34. Idées, OA 38:199. Lettre III, 19 mars 1699, OCM 7–9:902 f.; Vgl. Réponses aux vraies et fausses idées, V, OCM 6:50: „Monsieur Arnauld behauptet, dass die Modifikationen der Seele wesentlich ihre verschiedenen Objekte repräsentieren, und ich bin der Ansicht, dass diese Modifikationen nichts weiter sind als Empfindungen, die dem Geist nichts von sich selbst verschiedenes repräsentieren…“
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Objekte, und die Ideen, die sie repräsentieren, sind völlig verschieden von Modifikationen unserer Seele.“13 So schließt beispielsweise mein Denken an ein Dreieck zwar ein mentales Ereignis mit ein, welches als „Modifikation“ oder „Perzeption“ des Geistes bezeichnet werden kann. Analysiere ich jedoch den Inhalt dieser Perzeption, also – in Malebranches Terminologie – die Idee des Dreiecks, so muss ich feststellen, dass diese ontologisch nicht auf ihr bloßes Gedacht-werden reduziert werden kann: Zwar perzipiere ich sie, doch ist sie selbst nicht wesentlich an meine Perzeption gebunden. Denn meine Perzeption ist nichts anderes als eine Modifikation meines Geistes, die wahrgenommene Idee des Dreiecks jedoch kann aufgrund ihrer Eigenschaften (wie z. B. Notwendigkeit, Unveränderbarkeit, Allgemeinheit) unmöglich aus mir selbst stammen, also aus einer denkenden Substanz, der solche Eigenschaften nicht zukommen.14 Eine Idee kann also Malebranche zufolge ontologisch nicht wesentlich an eine Perzeption, d. h. an eine Modifikation des Geistes gebunden sein, sondern muss vielmehr real vom Geist verschieden sein und sich außerhalb von ihm befinden, nämlich als Essenz in Gott. Diese Auffassung Malebranches wird von Arnauld mit aller Vehemenz attackiert. Dabei greift Arnauld geschickt nicht direkt die theologischen Aspekte von Malebranches Theorie an, sondern versucht vielmehr in allgemeiner Weise eine Theorie ad absurdum zu führen, die – wie im Fall von Malebranches Konzeption – zusätzliche kognitive Entitäten in den Erkenntnisprozess einführt, um diesen erklären zu können. Eine solche Theorie widerspricht Arnauld zufolge nicht nur dem christlichen Glauben, sondern auch der cartesischen Lehre und nicht zuletzt all dem, was ein jeder feststellen kann, der „ernsthaft überlegt, was in seinem Geist existiert“.15 Daher, so Arnauld, ist es so falsch wie überflüssig, zusätzliche „êtres représentatifs“ wie Malebranches Ideen anzunehmen, die als unmittelbare Objekte unserer Perzeptionen diesen erst Inhalt verleihen. Sie sind die „falschen Ideen“, gegen die Arnauld Descartes’ „wahre Ideen“ verteidigen möchte.
13 14
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Réponse à la troisième lettre de Monsieur Arnauld, OCM 9:905 (nachfolgend: Réponse). Für diese Argumentation Malebranches vgl. etwa Recherche de la verité III.2.iv, OCM 1:429 f.; Recherche III.2.vi, OCM 1:441; Bd. 1, S. 209; Recherche, Eclaircissement X, OCM 3:149. Idées, OA:201.
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6.2 Stellenkommentar 6.2.1 Auszüge aus La logique ou l’art de penser / Die Logik oder Die Kunst des Denkens (1662) K1: Die Logik von Port Royal entspricht in ihrem Aufbau und Inhalt im Wesentlichen den in der Scholastik und bis ins 17. Jahrhundert hinein üblichen Logikkursen, die dazu dienen sollten, zu einer formal richtigen Form des Denkens anzuleiten (vgl. Z. 4 f.). Die von Arnauld und Nicole entwickelte Logik hat also ihre Vorläufer in den auf dem aristotelischen Organon basierenden scholastischen Formen der Logik (vgl. dazu etwa Marenbon 1991, 35 ff.) und entspricht demnach nur sehr begrenzt dem modernen Logikverständnis, wie es ausgehend von Frege entwickelt wurde. Für eine ausf. Darstellung dieser Entwicklungen vgl. Kneale/ Kneale 1968, 297 ff. K2: Arnauld nennt hier (Z. 8 f.) die nach der thomistischen Lehre der tres operationes intellectus grundlegenden drei Tätigkeiten des Intellekts (vgl. Thomas von Aquin, Sentencia de anima III, lectio 11; Summa theologiae II–II, q. 83, art. 1, ad 3): (i) das Erfassen einer Sache (concevoir), (ii) das Urteilen über die Beschaffenheit einer Sache (juger), (iii) das Verknüpfen von einzelnen Urteilen zu Argumentationsketten (raisonner). Als ein vierter Schritt wird das „Anordnen“ (ordonner) genannt, worunter zunächst das Anordnen von Teilen zu einer Lehre zu verstehen ist, das in der Logique jedoch bereits zu einer umfangreichen wissenschaftlichen Methodenlehre ausgearbeitet ist. Die formale Gliederung der Logique ist dieser Stufenfolge der mentalen Operationen entsprechend angelegt, was die damals vorherrschende enge Verbindung von Logik und Erkenntnislehre verdeutlicht. Diese besteht, wie für Logikkurse des 17. Jahrhunderts üblich, aus vier Teilen. In den ersten drei Teilen werden die drei eben genannten grundlegenden mentalen Operationen erörtert: das Erfassen (apprehensio), das Urteilen (iudicatio) und das Schließen (ratiocinatio). Im letzten, der Methode gewidmeten Teil, lernt der Student auf der Grundlage der Analytica Posteriora, wie die formalen Regeln des richtigen Denkens und insbesondere des korrekten Schließens auf die Beweisführung und Forschung in den Einzelwissenschaften angewendet werden können. Dieser vierte Teil ist eine Entwicklung des 17. Jh. und wird erst durch die Logique kanonisch. K3: Der hier behelfsmäßig mit „einfaches Sehen“ wiedergegebene französische Ausdruck simple vûe entspricht dem lateinischen Ausdruck simplex apprehensio, durch den die erste grundlegende Operation
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des Geistes als ein „bloßes Erfassen“ charakterisiert wird (vgl. dazu auch K2). K4: Arnaulds Rede davon, dass wir Dinge nur vermittels Ideen erkennen können, wirft die Frage auf, ob Arnauld als indirekter Realist verstanden werden sollte. Vgl. zu dieser Frage ausführlich K45. K5: Arnauld bestimmt den Begriff der Idee als einen Grundbegriff, der selbst nicht weiter analysiert oder durch andere Begriffe erhellt werden kann (vgl. auch Défense, 381–383). Infolgedessen kann lediglich versucht werden, Missverständnisse auszuräumen, die diesen Begriff betreffen, wie Arnauld gleich anschließend feststellt (Z 24 f.). Die entsprechende methodische Regel, der zufolge es einige klare Grundbegriffe oder evidente Sätze gibt, die nicht weiter analysier- oder begründbar sind, führt Arnauld im Teil V der Logique und im Kapitel 1 der Idées aus. Andere nicht explizierbare Grundbegriffe sind für Arnauld ‚Sein‘ und ‚Denken‘ (vgl. Z. 121). Mit der Annahme selbst-evidenter Grundbegriffe oder Sätze, auf die sich alles Wissen wie auf einem Fundament aufbauen lässt, bekennt sich Arnauld zum so genannten erkenntnistheoretischen Fundamentalismus. K6: Der Ausdruck „Vorstellung“ (frz.: Imagination) meint hier die Tätigkeit der Einbildungskraft (lat.: imaginatio; phantasia). Arnauld argumentiert in dieser Passage gegen eine radikal empiristische Auffassung, die alle Ideen als erworbene bzw. sinnliche Ideen begreift. Genauer scheint Arnauld an dieser Stelle Descartes’ Vorwurf an Pierre Gassendi (1592–1655) zu wiederholen, dieser beschränke „den Ausdruck Idee einzig und allein auf in unserer Einbildungskraft gemalte er (images dépeintes en la fantaisie)“ (Disquisitio Metaphysica, III.321a). Auf Gassendi wird auch im Folgenden wieder Bezug genommen (vgl. Z. 92 ff. sowie K10 und K11). Für eine Diskussion der Frage, ob und inwieweit eine solche Interpretation Gassendis’ Position tatsächlich gerecht wird, vgl. den Aufsatz zu Gassendi in diesem und Bd. 1, S. 90 f., Z. 4–54). K7: Dass der Sündenfall neben der moralischen Folge, dass der Mensch von nun an sündig ist, auch die epistemische Konsequenz nach sich zog, dass der Mensch seit der Vertreibung aus dem Paradies fast ausschließlich der defizitären sinnlichen Erkenntnis unterliegt, ist ein Topos, der Augustins gesamtes Werk durchzieht. (vgl. z. B. De Trinitate XI 1,1). In der Tat war Arnauld stark von Augustin beeinflusst. Er promovierte sich mit einer Arbeit über Augustin und schrieb zahlreiche Verteidigungen der Augustinischen Gnadenlehre und bekannte sich zum Jansenismus – einer theologischen Strömung, die auf den Bischof Cornelius Jansen zurückgeht, der im Namen von Augustin für eine Prädes-
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tinationslehre plädierte. Auch Descartes’ Projekt der Philosophie als Suche nach untrüglicher Gewissheit und Weisheit, auf das sich Arnauld ständig bezieht, scheint stark von Augustinus beeinflusst zu sein (vgl. dazu ausführlich Stephen Menn 1998 und K23). K8: Mit der Unterscheidung zwischen bildlicher Vorstellung (imagination) und dem reinen Begreifen (pure intellection) legt Arnauld eine Unterscheidung zwischen begrifflichen und nicht-begrifflichen oder sinnlichen Vorstellungen nahe. Insofern es sich bei Ideen gerade nicht um die in unserem Gehirn gemalten Bilder handelt, die man Vorstellungen nennt (vgl. Z. 27 f.), sind Ideen für Arnauld als begrifflich strukturierte Gedanken und nicht als sinnliche Eindrücke zu verstehen. Vgl. dazu auch Cook 1994. K9: Was Arnauld unter klaren und deutlichen Ideen versteht, erläutert er in Kapitel 9 des ersten Teils der Logique (Z. 204–240; vgl. auch K17). K10: Diese abschließende Bemerkung, mit der Arnauld erneut die empiristische Annahme zurückweist, der Ideenbegriff sei allein auf sinnliche Ideen beschränkt, mag als ein weiterer Angriff auf Gassendi gewertet werden (vgl. Z. 24–28; K6, K11). So überschreibt dieser den ersten Canon seiner Institutio logica (1658) mit der Maxime: „Die einfache Vorstellung eines Dinges ist so beschaffen wie die Idee, die wir von dem Ding haben. (Simplex rei Imaginatio talis est, qualis est Idea, quae de re habetur)“, (Institutio I.92b; Bd. 1, S. 91, Z. 56 f.). K11: Bei diesem „allseits geschätzten Philosophen“ (Z. 92) handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls um Pierre Gassendi (für alternative Vorschläge vgl. Clair/Girbal 1993, 375 f.), der zu Beginn des ersten Teils seiner Institutio Logica (1658) formuliert: „Jede Idee im Geist hat ihre Herkunft in den Sinnen (Omnae, quae in Mente habetur, Idea ortum ducit a Sensibus)“ (Institutio I.92b; Bd. 1, S. 92, Z. 76), und wenige Sätze später den ‚bekannten Spruch‘ (Z. 85) zitiert, dem zufolge nichts im Verstand ist, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist (nihil in Intellectu est, quod prius non fuerit in sensu). Auch die von Arnauld genannten Beispiele (Z. 98–106), entsprechen vollständig den von Gassendi an dieser Stelle angeführten. Arnauld polemisiert hier insbesondere gegen Gassendis radikal empiristische Position, nach der all unsere Ideen und deren Inhalte sinnlichen Ursprungs sind. Laut Gassendi verfügen wir über keinerlei angeborene Ideen, sondern lediglich über ein „angeborenes Vermögen zur Erkenntnis“ (Disquisitio Metaphysica, III.379a), das es uns erlaubt, vermittels unserer Sinne Ideen zu gewinnen und aus diesen wiederum neue Ideen. Um all jene Ideen zu erklären, die kein direktes sinnliches Korrelat zu haben scheinen, nennt Gassendi in Anlehnung an Epikur drei
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Weisen, wie wir neue Ideen bilden können, welche Arnauld in seiner Zurückweisung auch referiert (Z. 98–104): (1) Vergrößerung oder Verkleinerung, (2) Zusammensetzung, und (3) Analogie (Institutio I.93a; Bd. 1, S. 93, Z. 106–129). Zu Gassendis Empirismus vgl. auch LoLordo 2006, 83 ff. K12: Mit der „wahren Philosophie“ ist hier die Philosophie Descartes’ gemeint, die sich in ihrem Streben nach Weisheit am Platonismus Augustins orientiert und sich gegen den scholastischen Aristotelismus wendet. Descartes expliziert sein Philosophieverständnis besonders konzise in seinem Brief an Picot, der als Vorwort der französischen Ausgabe seiner Prinzipien abgedruckt ist (AT IXb 1–20). So findet sich der im Folgenden von Arnauld angeführte Schluss vom eigenen Denken auf die Existenz eines denkenden Ichs sowohl bei Descartes (Meditationen II.3, AT VII 25, und in den Prinzipien der Philosophie I.7, AT VIII 6 f.) als auch bei Augustinus (in De Trinitate X.10,14 und De Civitate Dei XI 26). K13: Arnauld argumentiert hier, dass der Geist das Vermögen hat, Ideen selbst zu bilden. Im Folgeabschnitt stellt Arnauld klar, dass dies auch für Ideen gilt, die sich auf empirische Sachverhalte beziehen. Obwohl diese Ideen auf Sinneseindrücke zurückgehen, werden sie nicht durch die Sinneseindrücke selbst hervorgerufen, sondern durch den Geist anlässlich dieser Eindrücke gebildet. Arnauld geht also davon aus, dass der Geist im Gegensatz zur Materie aktiv ist. Dafür argumentiert er ausführlich im Kapitel 27 der Idées, wo er behauptet, dass es ziemlich „wahrscheinlich sei, dass sie [i.e. die Seele] von Gott das Vermögen erhalten hat, mehrere [Ideen] zu bilden“ (Idées, 341 f.). Damit setzt sich Arnauld sowohl von Descartes als auch von Malebranche ab: Obwohl sich alle darin einig sind, dass die Materie oder die res extensa völlig passiv ist, unterteilt Descartes den Geist in zwei Vermögen – den Intellekt und den Willen –, und bestimmt den Intellekt als passives und den Willen als aktives Vermögen (vgl. Descartes’ Brief an Regius, Mai 1641, AT III 372). Dagegen wendet Arnauld ein, dass eine solche Unterteilung der res cogitans der substantiellen Einheit des Geistes widersprechen würde. Folglich sind auch „die verschiedenen Vermögen, die man in ihr anerkennt, keine real verschiedenen Dinge, sondern dieselbe Entität auf unterschiedliche Weise aufgefasst.“ (Idées, 343). Malebranche argumentiert auf der Grundlage seines Occasionalismus dafür, dass alle Substanzen außer Gott passiv seien (vgl. dazu auch Nadler 1989, 45–47 und K14). K14: Wenn Körper und Geist wie für den Cartesianer Arnauld zwei real verschiedene Substanzen sind, erscheint es problematisch, wie es zu einer kausalen Interaktion zwischen diesen beiden Substanzen kommen
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kann. Für dieses Problem schlägt Arnauld eine occasionalistische Lösung vor: Streng genommen wirken körperliche und mentale Dinge gar nie aufeinander ein, sondern es ist Gott, der anlässlich gewisser Umstände die Funktion der wirkenden Ursache übernimmt: Wenn sich z. B. mein Arm hebt, weil ich meinen Arm heben will, so ist dies Arnauld zufolge nicht darauf zurückzuführen, dass mein Geist direkt auf meinen Körper einwirkt und dabei eine spezifische Muskelkontraktion verursacht, die das Heben meines Armes zur Folge hat. Vielmehr bietet mein Wille, meinen Arm zu heben, für Gott eine Gelegenheit (occasion), in meinem Körper eine entsprechende Muskelkontraktion herbeizuführen. Auch im Fall der Wahrnehmung gibt es keinen direkten kausalen Einfluss meiner Sinneseindrücke auf meinen Geist. Da der Geist jedoch selbst aktiv ist, scheint hier Gott zunächst nicht aushelfen zu müssen. Nach Arnauld bringt der Geist nämlich seine Ideen selbst anlässlich (à l’occasion de) entsprechender Sinneseindrücke hervor. Allerdings zieht dies das Problem nach sich, dass unklar ist, wie der Geist wissen kann, wann er welche empirischen Ideen hervorbringen muss, wenn die Sinneseindrücke nicht auf ihn einwirken können. Aus diesem Grund hat letztlich auch hier Gott seine Hände im Spiel. An späterer Stelle in den Idées präzisert Arnauld deshalb: „Man kann kaum bezweifeln, dass es Gott ist, der uns unsere Perzeptionen von Licht, Schall und anderen sinnlichen Qualitäten gibt, sowie von Schmerz, Hunger und Durst, obschon dies aufgrund der Gelegenheit in unseren Sinnesorganen oder der Beschaffenheit unseres Körpers geschieht“ (Idées, 349). Diese occasionalistische Auffassung der Entstehung unserer Perzeptionen steht jedoch in einer Spannung zu Arnaulds Überzeugung, dass unser Geist aktiv ist (vgl. K13). Im Gegensatz zu Malebranche vertritt Arnauld allerdings keinen umfassenden Occasionalismus, sondern geht davon aus, dass es zwischen Körpern durchaus echte Kausalrelationen gibt, wie er in seiner Dissertations sur les miracles und in seinen Réflexions philosophiques et théologiques betont. Zu Arnaulds Occasionalismus siehe auch Idées, 212; Examen, 147 f. und Nadler 1989, 57–59. K15: Arnauld wendet sich hier gegen einen so genannten Universalienrealismus, wie etwa Malebranche ihn vertritt. Nach Malebranche sind die Ideen als Essenzen der Gegenstände Universalien ante rem, d. h. sie haben neben ihren partikulären Instantiierungen in den Gegenständen eine unabhängige Existenz in Gott. So kann für Malebranche die allgemeine Idee des Dreiecks nicht allein aus unserer Perzeption eines partikulären Dreiecks gewonnen werden, da diese Perzeption selbst nur partikulär ist (vgl. auch K51). Arnauld hingegen vertritt eine nominalisti-
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sche Position, der zufolge Universalien keine geistesunabängige Existenz zugemessen wird und allgemeine Begriffe durch Abstraktion von unseren Perzeptionen bzw. Ideen einzelner Gegenstände gewonnen werden können. Demnach können wir also die allgemeine Idee eines Dreiecks erwerben, indem wir von unseren Perzeptionen verschiedener einzelner Dreiecke abstrahieren und nur deren gemeinsame Eigenschaften zurückbehalten (vgl. dazu Arnaulds Auseinandersetzung mit Malebranche in Défense, 394 f.). K16: Arnaulds Unterscheidung zwischen dem Umfang (étendue) und dem Inhalt (compréhension) einer Idee entspricht der in der modernen Sprachphilosophie gängigen Unterscheidung zwischen der Extension und der Intension von Begriffen. Während die Extension eines Begriffs die Menge aller Gegenstände umfasst, auf die dieser Begriff zutrifft, ist die Intension eines Begriffes seine Bedeutung oder das, was einem erlaubt, die Gegenstände seiner Extension zu identifizieren. Risse 1970, 70, bemerkt, dass hier, „wohl erstmals in der Geschichte der Logik klar ausgesprochen, der Inhalt des Begriffs von seinem Umfang unterschieden wird“. K17: Es ist nur schwer entscheidbar, ob Arnaulds Klassifikation von Ideen in klare und deutliche einerseits und in dunkle und verworrene andererseits in einem psychologischen oder in einem erkenntnistheoretischen Sinn zu verstehen ist. Dass die Klarheit und Deutlichkeit von Ideen von ihrer Lebhaftigkeit abhängt (Z. 208–212), scheint ein psychologisches Verständnis nahe zu legen, da die Klarheit und Deutlichkeit einer Idee davon abhängig zu sein scheint, wie intensiv wir eine Idee als psychologischen Zustand erleben. Wenn Arnauld (Z. 235–240) aber betont, dass dunkle und verworrene Ideen eng mit falschen Urteilen zusammenhängen, scheint er eher auf eine epistemische Klassifikation abzuzielen, der zufolge wir nur vermittels klarer und deutlicher Ideen Wissen erwerben können. Arnaulds genealogische Schilderung des Sachverhalts, wie wir durch unsere dunklen und verworrenen Ideen zu der falschen Ansicht über den Status sekundärer Qualitäten (wie Farbe und Hitze) gekommen sind (Z. 225–240), deckt sich fast wörtlich mit der Genealogie, die Descartes in seinen Prinzipien der Philosophie I.71, AT VIIIa 35 f., entwickelt.
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6.2.2 Auszüge aus Des vraies et des fausses idées / Über die wahren und falschen Ideen (1683) K18: Arnaulds Schrift Des vraies et des fausses idées ist in erster Linie eine Streitschrift gegen das in den Jahren 1674–75 von Nicolas Malebranche verfasste Werk Recherche de la vérité. Im dritten Buch der Recherche argumentiert Malebranche dafür, dass wir die Dinge nicht direkt, sondern nur vermittels Ideen erkennen können. Weiterhin versucht er mit Hilfe eines Ausschlussargumentes zu zeigen, dass diese Ideen nicht in unserem Geist sein können, sondern dass es sich dabei um repräsentierende Entitäten in Gott handelt. Vgl. dazu Bd. 1, S. 203–213 und für Malebranches Ausschlussargument besonders K11 des Kommentars zu Malebranche, Bd. 2, S. 170 f. K19: Arnauld kontrastiert im Folgenden ein ‚körperliches Sehen‘ (vue corporelle, Z. 250) mit einem „geistigen Sehen“ (vue d’ésprit, Z. 296 ff.). Diese Dichotomie bildet das Rückgrat der nachfolgenden genealogischen Erzählung, welche die falschen Prämissen aufdecken soll, auf denen seiner Ansicht nach sowohl die spätaristotelischen Theorien der Scholastiker als auch eine Ideentheorie wie diejenige Malebranches beruhen. Insbesondere möchte Arnauld hier deutlich machen, wie sich durch eine fälschliche, fast schon naive Angleichung dieser beiden Weisen des Sehens eine falsche philosophische Theorie herausgebildet hat, die sich aufgrund dieser fehlerhaften Angleichung gezwungen sieht, zusätzliche vermittelnde Entitäten im Wahrnehmungsprozess anzunehmen. Die argumentative Funktion dieser Genealogie besteht nicht darin, Malebranches Position zu widerlegen (das leistet Arnauld im Kapitel 5 der Idées, Z. 375–594). Denn dies käme einem Genese-Geltungs-Fehlschluss gleich: Nur weil eine gewisse Position auf der Grundlage zweifelhafter Prinzipien entstanden ist, heißt das noch lange nicht, dass sie deshalb auch falsch ist; sie könnte (aus anderen Gründen und) zufälligerweise wahr sein. Arnaulds Genealogie soll Malebranches Position vielmehr als überflüssig und unnötig herausstellen und erklären, warum uns diese Theorie trotz des Umstandes, dass sie falsch ist – wie Arnauld später zeigen wird – plausibel erscheinen kann. K20: Arnauld unterscheidet hier im Bezug auf das körperliche Sehen zwischen einem ‚direkten Sehen‘ (vue directe, Z. 262) und einem ‚reflektierten Sehen‘ (vue refléchie, Z. 263). Dieses „reflektierte Sehen“ bildet den Ausgangspunkt für die falsche Auffassung der Philosophen, die in einem weiteren Schritt das geistige Sehen analog dem „reflektierten“ körperlichen Sehen verstehen (Z. 296 ff.). Mit der Spiegelmetapher macht
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Arnauld bereits an diesem Punkt die Fehlerhaftigkeit dieser Denkweise deutlich. Denn die entscheidende Frage lautet: Was sehen wir tatsächlich, wenn wir uns im Spiegel betrachten? Wir würden doch, so argumentiert Arnauld in der Defénse gegen Malebranche (Défense, 390), nicht wirklich behaupten, dass wir dort nur unser Spiegelbild sähen, sondern vielmehr sagen wollen, dass es letztlich wir selbst sind, die wir dort wahrnehmen. Wenn dies aber zutrifft, dann irren sich jene Philosophen in ihrer Annahme, die Existenz repräsentierender Entitäten sei notwendig, um eine Verbindung zwischen wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt herzustellen. Und dies gleich in zweierlei Hinsicht: Nicht nur modellieren sie die geistige Art des Sehens (vue d’ésprit ) nach der körperlichen Art des Sehens (vue corporelle), sondern ihr Vorgehen beruht auch auf einem falschen Verständnis der körperlichen Art des Sehens, wie ihre Auslegung der Spiegelmetapher verdeutlicht. Zur Bedeutung der Spiegelmetapher für Arnaulds Theorie vgl. García-Gómez 1988. K21: Die Ansicht, dass die Seele ein subtiler oder feinteiliger Körper ist – „am ehesten zu vergleichen einem Wind mit einer bestimmten Beimischung von Warmem“ – haben die Epikuräer vertreten. Der locus classicus dieser Auffassung ist Epikurs Brief an Herodot, 63–67. Arnauld nennt in der Logique I 9, 75 f., Demokrit, die Epikuräer, die Stoiker, alten Manichäer als auch den englischen paracelsischen Arzt Robert Fludd als Vertreter dieser Ansicht. K22: Arnauld spielt hier auf das so genannte Spaziergangsargument an, das Malebranche in der Recherche de la vérité III.ii.1 (OCM 1:413; Bd.1, S. 203 f., Z. 7–15) vorbringt. Vgl. dazu ausführlich K2 des Stellenkommentars zu Malebranche, Bd. 2, S. 167. K23: Bei Arnaulds These, dass unsere Orientierung an sinnlicher Erkenntnis und unsere Abwendung von der wahren inneren Weisheit mit unserem Abfall von Gott seit dem Sündenfall zu tun hat, handelt es sich um einen augustinischen Topos (vgl. auch K7). K24: Arnauld beschreibt hier einen Analogieschluss von körperlichen auf geistige Phänomene, den er letztlich für unhaltbar erachtet. Dies hängt eng mit seiner methodischen Regel aus den Idées zusammen, wo Arnauld schreibt: „Die 6. [Regel] ist, gut aufzupassen, dass man den Geist nicht als Körper, und den Körper nicht als Geist auffasst, indem man dem einen zuschreibt, was dem andern zukommt, wie wenn man den Körpern die Furcht vor der Leere zuschreibt, und dem Geist, dass er einer räumlichen Präsenz der Objekte bedarf, um diese wahrzunehmen“ (Idées, 182). Arnauld vertritt also neben dem ontologischen Dualismus zwischen Körper und Geist auch einen methodischen Dualismus, die
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verschiedenen Substanzen auch auf verschiedene Weisen zu untersuchen sind. Daher sind auch Analogieschlüsse vom Bereich des Körperlichen auf den des Mentalen (und umgekehrt) abzulehnen. Vgl. auch K36. K25: Arnauld macht hier auf die Zweideutigkeit des Wortes „Präsenz“ aufmerksam. Wenn wir z. B. eine geometrische Figur erfassen, so ist uns diese Figur in gewisser Weise gegenwärtig oder präsent. Wie Arnauld jedoch deutlich macht (Z. 347–352), ist mit dieser Präsenz keine räumliche Präsenz (wie die physische Präsenz materieller Gegenstände) gemeint, sondern eine Form der objektiven Präsenz, die einem Gegenstand zukommt, insofern er als ein von mir erkannter und damit als Inhalt meines Erkenntnisaktes betrachtet wird (vgl. Z. 342–347 und 405–408). Theoretiker, die Ideen als repräsentationale Entitäten annehmen, begehen Arnauld zufolge den Fehler, dass sie die Präsenz geistiger Gegenstände nicht in einem objektiven Sinne, sondern in einem räumlichen (oder zumindest in einem quasi-räumlichen) Sinne verstehen und deshalb fordern, dass Ideen unabhängig von unserem Geist existieren müssen. K26: Der aristotelischen Erkenntnistheorie zufolge besteht die Erkenntnis eines Gegenstandes in der Aufnahme der Wesensform dieses Gegenstandes durch das erkennende Subjekt. Auch in der Wahrnehmung nehmen wir eine Form des Gegenstandes auf, genauer: seine wahrnehmbare Form. Aber wie genau ist diese Aufnahme einer wahrnehmbaren Form zu verstehen? Ist sie als ein Prozess der physiologischen Veränderung zu begreifen oder wird hier nichts weiter übertragen als die immaterielle Form? Als einflussreich erwies sich hier die Antwort des Albertus Magnus, der in seinem De anima – Kommentar (vgl. De anima II, tract. 3, cap. 3–4) die Theorie entwickelte, beim Aufnehmen der bloßen Form werde nicht die Farbe oder der Ton mit „materiellem Sein“ (esse materiale) selbst aufgenommen, sondern nur eine Intention (intentio) des Wahrnehmbaren mit „geistigem Sein“ (esse spirituale). Albertus und seinen Schülern wie Thomas von Aquin zufolge findet im Wahrnehmungsorgan also nicht ein natürlicher Prozess der materiellen Veränderung, sondern lediglich eine intentionale Veränderung statt, bei der das Wahrnehmbare lediglich mit „intentionalem Sein“ aufgenommen wird. Ebenso wie die Wahrnehmung eines Gegenstandes durch die Aufnahme wahrnehmbarer Formen erklärt wurde, wurde auch die Erkenntnis eines Gegenstandes durch den Intellekt Aristoteles folgend als die Aufnahme intelligibler Formen erklärt. Diese sinnlichen Formen wurden auch species sensibiles bzw. species in medio genannt, während die intelligiblen Formen auch als species intelligibiles bezeichnet wurden. Ein Erkenntnisvorgang wurde von den mittelalterlichen Aristoteles-Interpreten daher
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gewöhnlich als ein dreistufiger Prozess aufgefasst. So werden zunächst die wahrnehmbaren Eigenschaften des Gegenstandes durch ein Medium wie etwa Luft übertragen (species in medio) und vom entsprechenden Wahrnehmungsorgan aufgenommen. In einem zweiten Schritt werden diese Eigenschaften von den äußeren Sinnen an die inneren Sinne übertragen und dort zu einem inneren Abbild (species sensibilis) des konkret wahrgenommenen Gegenstandes zusammengefügt. Schließlich abstrahiert der Intellekt von diesem konkreten Abbild eine allgemeine Form (species intelligibilis) und erfasst dadurch das Wesen einer Sache. Die Annahme von Species war jedoch bereits in den mittelalterlichen Debatten umstritten. So wurde beispielsweise ausführlich diskutiert, ob die Annahme solcher Entitäten im Kognitionsprozess erforderlich sei und ob sich diese tatsächlich in einer Abbildrelation zu den Gegenständen befinden. Zur Entstehung der Species-Theorie vgl. Tachau 1988, zu ihrer weiteren Entwicklung bis hin ins 17. Jahrhundert Spruit 1994 und 1995. K27: Arnauld verdeutlicht im Folgenden, dass der Rekurs auf innere Bilder wie den Species das Wahrnehmungsproblem nicht löst, sondern es nur verschiebt. Denn das Problem der geschilderten Philosophen bestand eingangs darin, die folgende Frage zu beantworten: Wie ist die Relation zwischen dem Wahrnehmenden und dem Objekt seiner Wahrnehmung zu erklären? Führt man nun jedoch, wie es Arnaulds Philosophen tun, ein inneres Bild ein, um diese Relation zu erklären, so sieht man sich aufs Neue mit der Frage konfrontiert, wie dann diese Relation zwischen Wahrnehmungssubjekt und innerem Bild zu erklären ist. Wird nun diese Frage analog der ersten mit einem Rekurs auf ein „inneres Sehen“ beantwortet, so stellt sich unweigerlich die neue Frage, wie denn diese mysteriöse „geistige Sehen“ vonstatten gehen soll – eine Frage, deren Beantwortung Arnauld zufolge „mitunter sehr gefährliche“ Schlüsse mit sich bringt, wie er im Folgenden am Beispiel Gassendis zu verdeutlichen sucht (Z. 362–371). K28: Arnauld paraphrasiert hier eine Passage aus Gassendis fünften Einwänden gegen Descartes’ Meditationen (vgl. Objections V, AT VII, 337 f.). Nach Gassendi resultieren aus Descartes’ Konzeption der Seele als einer immateriellen denkenden Substanz zwei schwerwiegende Folgeprobleme: (1) Das Problem der Interaktion von Körper und Geist; (2) das Problem der Repräsentation. Letzteres beruft sich auf Descartes’ Behauptung, die immaterielle Substanz sei einfach und unteilbar und bestehe also selbst nicht aus Teilen. Gassendi fragt: „Wie […] könnte ein Ding, das selbst nicht ausgedehnt ist, die Ähnlichkeit [d. h., die Species]
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eines Körpers empfangen, der ausgedehnt ist? […] Wenn es keine Teile besitzt, wie kann es Teile repräsentieren? Wenn es keine Ausdehnung besitzt, wie kann es ein ausgedehntes Ding repräsentieren?“ (Disquisitio Metaphysica, III.400b). Arnaulds Ansicht nach basiert dieses Argument Gassendis auf einer naiven piktorialen Theorie der Repräsentation, die Ideen mit Bildern gleichsetzt, und illustriert so lediglich die Falschheit einer solchen Auffassung (Z. 296–301). Es scheint jedoch fraglich, ob es sich hierbei tatsächlich um eine adäquate Charakterisierung von Gassendis Position handelt. So könnte Gassendi hier den wesentlich reichhaltigeren Einwand formulieren wollen, dass etwas, um Struktur und Komplexität repräsentieren zu können, selbst komplex und strukturiert sein muss. Zu diesem Argument Gassendis vgl. LoLordo 2001. K29: Wenn Arnauld hier von „wahren“ und „falschen Ideen“ spricht, beziehen sich „wahr“ und „falsch“ nicht auf den Inhalt der Ideen, sondern auf die Theorien, die den jeweiligen Ideenbegriffen zugrunde liegen, und die Arnauld als wahr oder falsch erachtet. K30: Arnauld bedient sich hier der ersten seiner im Kapitel 1 der Idées aufgestellten methodischen Regel, wonach eine Untersuchung „mit den Dingen zu beginnen ist, die am einfachsten und klarsten sind, und an denen man nicht zweifeln kann, wenn man darauf acht gibt“ (Idées, 181). K31: Mit „geometrischer Methode“ bezeichnete man in der frühen Neuzeit ein hypothetisch-deduktives Vorgehen, demzufolge man gewisse Sätze allein aus einer Menge von als wahr angenommenen (deshalb „hypothetisch“) Definitionen, Axiomen und Postulaten ableitete (deshalb „deduktiv“). Diese Methode nannte man „geometrisch“, weil das große Vorbild dieser Vorgehensweise Euklids Elemente waren, in denen Euklid eine Reihe von geometrischen Sätzen auf diese hypothetisch-deduktive Weise bewiesen hatte. K32: Mit der Gleichsetzung von Wahrnehmen und Denken möchte Arnauld sich wohlmöglich Descartes’ weitem Begriff des Denkens anschließen. So schreibt Descartes in der zweiten Meditation, dass ein denkendes Ding für ihn ein Ding ist, das „zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht, nicht will, das auch bildlich vorstellt und empfindet“ (Meditationen II.8, AT VII 28). K33: Attribut und Modifikationen sind beides Eigenschaften von Substanzen. Wie Arnauld in der Logique I 7, 60–64, ausführt, handelt es sich bei Attributen um notwendige Eigenschaften von Dingen (die sich nochmals in essentielle Eigenschaften und nicht-essentielle, aber dennoch notwendige Eigenschaften, d. h. so genannte propria unterteilen), während Modifikationen lediglich akzidentell sind. Auch in dieser Un-
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terscheidung folgt Arnauld Descartes (vgl. Prinzipien I.56–65, AT VIIIa 26–32). K34: Arnauld unterscheidet hier eine räumliche Präsenz eines Gegenstandes von einer geistigen Präsenz des Gegenstands als Inhalt meines Erkenntnisaktes (Z. 396–408, vgl. dazu auch K25). Hierzu greift Arnauld auf die mittelalterliche, von Descartes und anderen übernommene Theorie der objektiven Existenz zurück. Diese wurde in der Scholastik unter anderem verwendet, um die eigentümliche geistige Seinsweise eines von mir erfassten Gegenstandes zu charakterisieren, welche zwar als von der „gewöhnlichen“ Existenzweise materieller Gegenstände verschieden angenommen wurde, von der man jedoch trotzdem nicht sagen wollte, dass sie bloßer Nicht-Existenz gleichkäme. So ist es offensichtlich unplausibel, anzunehmen, der von mir erkannte Gegenstand befände sich tatsächlich genau so in meinem Kopf, wie er in der Außenwelt existiert. Vielmehr, so die Annahme, kommt dem erkannten Gegenstand eine besondere Seinsweise zu, die, wie Arnauld formuliert, zwar eine „viel unvollkommenere“ (Z. 476) ist, aber auch keineswegs „ein Nicht-Sein“, was „keiner Ursache bedarf“ (Z. 478). Ein Gegenstand existiert demnach formaliter bzw. materialiter (d. h. auf materielle Weise) in der Außenwelt, aber obiective im Intellekt, nämlich insofern er Objekt eines geistigen Aktes ist. Auch frühneuzeitlichen Autoren wie Descartes und Arnauld dient die Theorie der objektiven Existenz dazu, die Seinsweise des Gegenstandes als Erkanntem zu charakterisieren – also den Gegenstand, insofern er als Inhalt meines Erkenntnisaktes betrachtet wird (vgl. Z. 400–404). Zum mittelalterlichen und cartesischen Hintergrund der Theorie der objektiven Existenz vgl. unter anderem Normore 1986, Perler 1996, 100 ff. Zur Verwendung der Theorie bei Arnauld vgl. Wells 1994 und den nachfolgenden systematischen Essay in diesem Band (6.3.3). K35: Arnauld betont hier erneut seine in der dritten Definition (Z. 391 ff.) eingeführte Gleichsetzung von Perzeption und Idee, indem er darauf hinweist, dass die zwei Bestimmungen von Akt und Inhalt als unterschiedliche relationale Charakterisierungen derselben Sache zu verstehen sind. Die Ausdrücke „Idee“ und „Perzeption“ benennen demnach zwei verschiedene Aspekte ein und desselben mentalen Zustandes bzw. Erkenntnisaktes, je nach dem, als Relatum welcher Relation dieser gerade betrachtet wird. So bezeichnet das Wort „Perzeption“ den Akt in Relation zu seinem Träger, der geistigen Substanz. Der Ausdruck „Idee“ hingegen verweist auf denselben Akt in Relation zum Erkenntnisobjekt. Ein Erkenntnisakt kann also immer auf zwei Weisen betrachtet werden:
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hinsichtlich seiner ontologischen Beschaffenheit als Modifikation des Geistes und hinsichtlich seines repräsentationalen Inhalts. Zudem ist die Gleichsetzung von Perzeption und Idee von entscheidender Bedeutung für Arnauld, der gegenüber Malebranche die These verteidigen möchte, dass unsere Erkenntnisakte, die ontologisch betrachtet nichts weiter sind als Modifikationen der geistigen Substanz (also „Perzeptionen“), zugleich eine repräsentierende Funktion besitzen. Arnauld zufolge besteht einer der fundamentalen Irrtümer Malebranches darin, unseren Perzeptionen eben diese Funktion abzusprechen und sie stattdessen zusätzlich postulierten Entitäten in Gott zuzuschreiben (vgl. dazu auch die Einleitung zu dieser Textauswahl). K36: Arnauld beruft sich hier auf den methodischen Dualismus, der sich seiner Ansicht nach aus dem ontologischen Dualismus von Körper und Geist ergibt. Diesen methodischen Dualismus formuliert Arnauld explizit als Regel Nr. 6 im Rahmen seiner methodischen Vorüberlegungen zu seiner Auseinandersetzung mit Malebranche. Vgl. dazu auch die Einleitung in Bd. 1, K24 und den systematischen Essay in diesem Band (6.3). K37: Wie schon in der zweiten Definition (Z. 390) wird auch hier deutlich, dass Arnauld von einem sehr weiten Perzeptionsbegriff ausgeht, der alle mentalen Operationen umfasst und sich mit Descartes’ cogitatio Begriff zu decken scheint (vgl. auch K32). K38: Wie bereits zuvor verwendet Arnauld auch hier die scholastische, von Descartes und anderen frühneuzeitlichen Philosophen aufgegriffene Theorie der objektiven Existenz, um den Gegenstand als Inhalt meines Erkenntnisaktes vom äußeren Gegenstand abzugrenzen (vgl. Z. 405–408 u. K34; zum mittelalterlichen Hintergrund vgl. Normore 1986, Perler 1996, 100 ff.). Die Passage ist im Wesentlichen eine Paraphrase einer Stelle aus Descartes’ Erwiderungen an Caterus (vgl. Erste Erwiderungen, AT VII, 102). Während jedoch Descartes zwischen der Idee formaliter bzw. materialiter (die „materiell“ betrachtete Idee als eine Modifikation des Geistes) und der Idee obiective (die Idee als das, was durch ein geistiges Vorkommnis jeweils repräsentiert wird) unterscheidet, verwendet Arnauld stattdessen die Begriffe Perzeption (Descartes’ Idee materialiter oder formaliter) und Idee (Descartes’ Idee obiective). Zur Frage, inwiefern Arnauld in seiner Verwendung der Theorie der objektiven Existenz abweicht, vgl. Wells 1994. K39: Arnauld unterscheidet hier zwischen einer genetischen Frage nach der Ursache von Ideen und einer ontologischen Frage nach der Natur oder dem Wesen einer Idee, die es nicht miteinander zu verwechseln gilt.
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Arnauld wirft den Aristotelikern vor, in ihren Erklärungen nicht immer sorgfältig genug zwischen diesen beiden Arten von Fragen unterschieden zu haben. So betont er in seiner fünften methodischen Regel zu Beginn der Idées, es gelte „die Fragen, auf die man mit einer Formursache antworten muss, nicht mit den Fragen zu verwechseln, auf die man mit einer Wirkursache antworten muss“ (Idées, 182). K40: Arnaulds Axiome bestehen vorwiegend aus den methodischen Regeln, die sich bereits im 1. Kapitel von Idées finden. So lassen sich die Axiome 1 bis 3 auf die Regeln 1 und 2 zurückführen, die besagen, dass man zur Klärung von Schwierigkeiten auf einfache und klare Dinge zurückgehen muss (Idées, 181), die Axiome 4 und 5 variieren die ontologischen Sparsamkeitserwägungen von Arnaulds Regel Nr. 7 (Idées, 182), während die Axiome 6 und 7 die cartesischen Gewissheitseinsichten referieren, die Arnauld bereits in seiner methodischen Regel Nr. 3 vorbringt (Idées, 182). Lediglich das 8., modallogische Axiom ist ein Axiom im klassischen Sinne, das Relationen zwischen den in den Definitionen definierten Objekten spezifiziert. Zu Arnaulds eigenartiger Auffassung von Axiomen und Postulaten vgl. K42. K41: In den Axiomen 6 und 7 versucht Arnauld in getreu cartesischer Manier dem Außenweltskeptizismus zu begegnen, also einem Skeptizismus, der die Gewissheit der Existenz der äußeren Welt bezweifelt. Arnauld betont, dass wir in der Tat über ein solches Wissen verfügen, und dass dieses sowohl durch den Glauben als auch durch Vernunft begründet werden kann (Z. 511 f.; vgl. auch Arnaulds ausführliche Widerlegung des Außenweltskeptikers in Kapitel 28 der Idées). Hierzu beruft sich Arnauld auf die cartesische Annahme, dass Gott kein Täuschergott sein kann (Z. 512). Descartes’ Argument vollzieht sich in zwei Schritten: So argumentiert er zunächst in der drittem Meditation für die Existenz eines vollkommenen Gottes, der kein Täuschergott sein kann (die fünfte Meditation entwickelt ein weiteres solches Argument). In der vierten Meditation dann schließt Descartes von der Existenz dieses Gottes auf die Konklusion, dass alles, was ich klar und deutlich wahrnehme, auch wahr sein muss. K42: In Übereinstimmung mit seinem Anspruch, Malebranches Ideentheorie „nach der Art der Geometer“ zu beweisen (vgl. K31), führt Arnauld hier nach der Auflistung von Definitionen und Axiomen eine Reihe von Postulaten oder Forderungen (Demandes) an. Jedoch handelt es sich bei Arnaulds Postulaten nicht um Postulate im klassischen Sinne, in denen der Leser aufgefordert wird, die Existenz jener Objekte anzunehmen, über deren Zusammenhänge die Axiome Auskunft geben.
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Vielmehr sind sie Anweisungen an den Leser, ein bestimmtes introspektives oder meditatives Verfahren durchzuführen. Arnauld fordert also weniger die Existenz von Dingen, über die mit Hilfe von Axiomen und Definitionen eine Aussage getroffen werden kann, als vielmehr eine Tätigkeit seiner Leser. Damit orientiert sich Arnauld nur noch formal am geometrischen Vorgehen Euklids und vollzieht gleichsam unter dem Deckmantel einer geometrischen Beweisführung eine kontemplative oder meditative Übung. Interessanterweise verfährt Descartes in seiner Erwiderung auf die zweiten Einwände genauso: In seinen Argumenten, die die Existenz Gottes und die Verschiedenheit von Körper und Geist in geometrischer Weise demonstrieren sollen, versteht Descartes seine Postulate wie Arnauld als Forderungen oder Anweisungen zur introspektiven oder reflexiven Tätigkeit seiner Leser (vgl. AT VII 160–164). Da Arnauld aus diesem Teil der Erwiderungen zitiert (Z. 664–677), war ihm dieser Umgang mit der geometrischen Methode bekannt. K43: Arnauld fasst hier die Schritte zusammen, die Descartes in der zweiten und dritten Meditation vollzieht. Die untrügliche Gewissheit der eigenen Existenz stellt Descartes in Meditationen II.3, AT VII 25, fest. Dass die Existenz des Ich gewisser sei, als die des eigenen Körpers findet sich in Meditationen II.5–6, AT VII 25–27. Dass ich eine Idee Gottes habe, ist zudem der Ausgangspunkt für Descartes’ ideentheoretischen Gottesbeweis, den er in der dritten Meditation entwickelt. Auf den Gottesbeweis geht Arnauld weiter unten im Rahmen einer Kritik an Malebranche genauer ein. Siehe Z. 684–689 und Z. 707–730 und dazu K49 und K50. K44: Malebranches 1677 erschienenes Werk Conversations Chretiennes ist als Dialog zwischen Aristarque, Théodore und Erastes aufgebaut. Théodore und Aristarque entwickeln dabei ihre Theorien in einer Art sokratischem Gespräch mit Erastes, der jeweils über seine natürlichen Ansichten über diverse Sachverhalte gefragt wird. K45: Insbesondere dieses Kapitel hat in der Arnauld-Forschung eine Debatte darüber ausgelöst, ob Arnauld als indirekter Realist oder als direkter Realist verstanden werden sollte. Ein indirekter Realist behauptet im Gegensatz zu einem direkten Realisten, dass wir Gegenstände nicht direkt, sondern nur indirekt vermittels unserer Ideen erfassen. Arthur Oncken Lovejoy 1923 und Paul Hoffman 2002 sehen Arnauld als einen indirekten Realisten. Monte Cook 1974, Daisie Radner 1976, Steven Nadler 1989, 107–126, und Elmar Kremer 1994 verstehen Arnauld hingegen als direkten Realisten. Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Einschätzungen – vor allem angesichts der Tatsache, dass Arnauld explizit schreibt, dass wir äußere Gegenstände nicht unmittelbar, sondern nur
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vermittels unserer Ideen erkennen können (insbes. Z. 644–647; vgl. dazu K48)? Das hängt davon ab, wie man die Rede von ‚vermittelnden Ideen‘ versteht: Ein indirekter Realist versteht diese Rede als eine Rede über den ontologischen Status einer Idee als einer vermittelnden oder intermediären Entität. Damit sind Ideen die primären Objekte unserer Erkenntnis, die uns erlauben, äußere Gegenstände zu erkennen, weil sie diese Gegenstände repräsentieren. Ideen lassen sich also in Analogie zu Landkarten verstehen, mit Hilfe derer wir eine gewisse Landschaft erkennen können ohne diese Landschaft direkt zu erfassen. Im Gegensatz dazu versteht ein direkter Realist die Rede von vermittelnden Ideen als eine Rede über die Funktion von Ideen. Dass wir Dinge vermittels Ideen erkennen heißt dann nicht, dass wir primär Ideen erkennen und erst sekundär die durch sie repräsentierten Objekte, sondern dass wir mit Hilfe von Ideen die Dinge selbst erkennen, wie wir mit Hilfe eines Fernrohrs eine Landschaft erkennen (eine solche Unterscheidung bespricht auch Arnauld in Défense, 407). Ideen sind somit nicht die Objekte, sondern das Medium unserer Erkenntnis. Häufig werden indirekte Realisten auch Repräsentationalisten genannt. Das ist allerdings irreführend, weil auch direkte Realisten Repräsentationalisten sein können, wenn sie, wie oben beschrieben, argumentieren, dass Ideen das Medium unserer Erkenntnis sind, insofern sie uns gewisse Dinge repräsentieren. Es lohnt sich deshalb zwischen einem indirekt realistischen, d. h. starken, und einem direkt realistischen, d. h. schwachen Repräsentationalismus zu unterscheiden. Für ersteren sind Repräsentationen die Objekte, für letzteren bloß das Medium unserer Erkenntnis. K46: Die folgenden Abschnitte lassen sich als der Versuch Arnaulds begreifen, auf eine für ihn „unproblematische“ Weise (d. h. ohne die Annahme zusätzlicher, von unseren Perzeptionen verschiedenen Entitäten) den zu Beginn des Kapitels (Z. 596–598) angeführten Redeweisen Malebranches Rechnung zu tragen. Hierzu führt Arnauld eine spezifische Art des Selbstbewusstseins ein, die er in Abgrenzung von einer „expliziteren Reflexion“ als „virtuelle Reflexion“ bezeichnet. Durch virtuelle Reflexion, so Arnauld, ist jeder mentale Akt dem Geist gegenwärtig, ohne dass ein zweiter Akt vonnöten wäre. Vermittels dieser Art des Selbstbewusstseins sind wir uns jedoch nicht nur unserer Akte bewusst, sondern werden zugleich auch der Objekte dieser Akte gewahr, die in dieser Idee „enthalten“ (enfermé) sind. Ein Erkenntnisakt schließt also immer eine intrinsische Reflexion auf den Inhalt des Aktes (den Gegenstand obiective, bzw., ontologisch betrachtet, die Struktur der Modifikation) mit ein, die es uns ermöglicht, uns mit dem Vollzug des Aktes diesen
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Inhalt und damit den Gegenstand zu erfassen, auf den der Akt sich richtet. Dies bewegt Arnauld zu der Behauptung, dass das Repräsentierende zugleich das Repräsentierte sein muss, oder, wie er es selbst formuliert, dass die Idee, obwohl „im eigentlichen Sinne das quo intelligitur“, „durch die ihr wesentliche virtuelle Reflexion zugleich in gewisser Hinsicht auch das id quod intelligitur ist“ (Idées, 246). K47: Augustinus führt in De Trinitate X 10,14 sein berühmtes dubito ergo sum an, das häufig als Vorgänger von Descartes’ Cogito-Argument gesehen wurde. Augustin schließt in seinem Dubito-Argument von der Tatsache, dass er an manchem zweifelt, darauf, dass er lebt, etwas denkt und etwas weiß. Dieses Argument ist in eine größere Argumentation eingebunden, in der Augustin zeigen will, dass der Geist nicht körperlich ist, und dabei herausstellt, dass der Geist eine wesentlich selbst-reflexive Struktur aufweist, die sich vor allem dann äußert, wenn der Geist sich selbst zu erkennen sucht (vgl. De Trinitate X 3,5; vgl. dazu auch K7). K48: Es ist wohl diese Passage (Z. 638–647), die Kommentatoren am häufigsten dazu bewegt hat, Arnauld einen indirekten Realismus zu unterstellen (vgl. etwa Lovejoy 1923, 456; Church 1931, 151 ff.; Hoffman 2002, 175; für eine Diskussion der verschiedenen Lesarten vgl. K45). K49: Arnauld deutet hier an, dass Descartes’ Gottesbeweise, d. h. sowohl der ideentheoretische der dritten als auch der ontologische der fünften Meditation, voraussetzen, dass Ideen nicht von Perzeptionen verschieden sind. Nach Arnauld gilt nämlich der Schluss dieser Gottesbeweise von der Existenz der Idee eines vollkommenen Wesens auf die Existenz dieses Wesens selbst nur, wenn diese Idee keine extramentale, von der Perzeption des Geistes unabhängige Entität ist. Dies führt Arnauld in Bezug auf den ontologischen Gottesbeweis weiter unten (Z. 708–730) als weiteren Grund gegen Malebranches Ideentheorie an. K50: Arnauld setzt sich hier mit dem Gottesbeweis auseinander, den Malebranche in der Recherche de la vérite IV.xi (OCM 2:96 f.; Malebranche Bd. 1, S. 213 f.) entwickelt. Malebranche argumentiert, dass Ideen als Archetypen der Dinge lediglich ihre Essenzen, nicht aber ihre Existenz mit einschließen. Dadurch, dass ich die Idee eines Dinges X erfasse, erkenne ich zwar ganz genau, worin ein X besteht und was ein X zu einem X macht (ich erfasse die Essenz von X), aber ich kann daraus nicht schließen, ob es ein solches X auch tatsächlich gibt (ich erfasse nicht Existenz von X). In Bezug auf Gott, so argumentiert nun Malebranche, verhält es sich jedoch anders: Streng genommen gibt es nämlich keine Idee von Gott – d. h. einen Archetyp, der Gott repräsentiert. Deshalb erfasse ich Gott auch nicht vermittels einer Idee, sondern ich erfasse
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Gott direkt. Damit ist aber klar, dass Gott existieren muss, sobald ich ihn erfasse. Denn da es keine Idee Gottes gibt, kann ich Gott nur erfassen, wenn es Gott auch gibt. Mithin kann ich von meinem Erfassen Gottes auf seine Existenz schließen. (Vgl. zur Rekonstruktion von Malebranches Gottesbeweis auch K27–K30 im Stellenkommentar zu Malebranche, Bd. 2, S. 177 f.). Wenn Malebranche zufolge die Idee Gottes allerdings gar keine echte Idee, d. h. ein Archetyp eines Dinges, ist, sondern Gott selbst, insofern er von mir erfasst wird, dann – so argumentiert Arnauld hier – wird sein Gottesbeweis zu einer petitio principii: Genau besehen, schließt Malebranche nämlich nicht von der Existenz der Idee Gottes auf die Existenz von Gott selbst (da es die Idee Gottes im strengen Sinne ja gar nicht gibt), sondern lediglich von der Existenz Gottes (insofern er von mir erfasst wird) auf seine Existenz. Dieser Schluss, so meint Arnauld, ist eine Instanz von ‚P f P ‘ und damit zirkulär. Vgl. auch K43 und K49. K51: Arnauld attackiert hier erneut eine der zentralen Thesen Malebranches, der etwa folgendermaßen argumentiert: Analysieren wir die Inhalte unserer Perzeptionen, so müssen wir feststellen, dass diese Inhalte (also die Ideen) ontologisch nicht auf ihr bloßes Gedachtwerden reduziert werden können. Denn Perzeptionen sind nichts weiter als Modifikationen des Geistes. Die erfasste Idee kann aber nicht von meinem Geist abgeleitet oder mit ihm verbunden sein, da dieser lediglich eine denkende Substanz mit partikulären Modifikationen darstellt, der bestimmte Eigenschaften der Idee (wie etwa die Unveränderlichkeit und Allgemeinheit einer geometrischen Figur) nicht besitzt. Die Idee ist damit eine Entität, deren intrinsische Eigenschaften nicht von meinem Denken abhängen können. Vielmehr muss sie sich im göttlichen Intellekt befinden, dem diese Eigenschaften zukommen. Vgl. dazu Malebranches Argumente in den Eclaircissement X; OCM 3:148ff., Bd. 1, S. 220–230; Recherche III.2.i-vi; OCM 1: 413–447, Bd. 1, S. 203–213; Dialogues; OCM 12:45.
6.3 Essay: Intentionalität, Repräsentation und Phänomenologie Geistige Zustände wie Überzeugungen, Hoffnungen und Wünsche weisen eine Reihe von Eigenschaften nicht auf, die wir physikalischen Gegenständen wie Steinen und Stühlen ganz selbstverständlich zuschreiben. So ist es unproblematisch zu sagen, dass ein Stein 7 kg wiegt oder ein Stuhl 1.30 m hoch ist. Aber dasselbe von mentalen Zuständen
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zu behaupten, wäre geradezu sinnlos. Wäre jemand ernsthaft der Überzeugung, meine Hoffnung, dass am Wochenende die Sonne scheint, sei 80 m lang, wären wir wohl geneigt zu denken, die betreffende Person hätte nicht verstanden, was eine Hoffnung oder überhaupt ein mentaler Zustand ist. Wie aber verhält es sich umgekehrt? Gibt es auch Eigenschaften, die nur mentalen Zuständen zukommen? Ein einflussreicher Vorschlag für eine solche Eigenschaft stammt von Franz Brentano: Jedes psychische Phänomen ist dadurch charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht eine Realität zu verstehen ist), oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden.16
Mentale Zustände oder psychische Phänomene zeichnen sich nach Brentano also dadurch aus, dass sie eine bestimmte Beziehung auf einen Inhalt aufweisen oder auf ein Objekt gerichtet sind. Damit nehmen mentale Zustände wie Überzeugungen, Wünsche, Hoffnungen wesentlich auf etwas Bezug und sind damit immer Überzeugungen, Wünsche oder Hoffnungen von etwas. Man sagt auch, mentale Zustände seien intentional oder verfügen über Intentionalität. Die Intentionalität mentaler Zustände oder der Umstand, dass mentale Zustände auf etwas bezogen sind, kann jedoch nicht unmittelbar als eine gewöhnliche Beziehung zwischen einem psychischen Zustand und einem Objekt gedeutet werden. Schließlich müssen die Gegenstände, auf die wir uns in unserem Denken beziehen, nicht unbedingt in der Realität existieren. Manchmal irren wir uns auch oder wir denken an fiktionale Entitäten (wie etwa an Spiderman) oder an längst vergangene Ereignisse (wie Cäsars Überschreiten des Rubikons). Die Objekte, an die ich denke, existieren primär in meinem Geist und verfügen somit über eine intentionale oder mentale Inexistenz.17 Brentano greift hier auf die aus der Scholastik stammende 16
17
Brentano 21924, Bd. 1, 124 f. Zum Intentionalitätsverständnis Brentanos vgl. Jacquette 2004. In modernen Intentionalitätstheorien wird die Intentionalität mentaler Zustände noch durch weitere Merkmale charakterisiert, die hier nicht eigens diskutiert und vorgestellt werden. Besonders wichtig für die Intentionalität von mentalen Zuständen ist jedoch ihre Aspektgebundenheit: Intentionale Zustände handeln nicht bloß von etwas, sondern von etwas als etwas, d. h. sie beziehen sich unter einem bestimmten Aspekt auf etwas. Für eine ausführlichere Diskussion der Merkmale der Intentionalität vgl. Dretske 1995, 28–34, und Johannes Haag im Schlusswort zu diesem Band.
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Theorie der objektiven Existenz zurück, auf die später noch genauer einzugehen sein wird. Es ist nun diese eigentümliche Eigenschaft der Bezugnahme oder der Intentionalität, die mentale Zustände nach Brentano von materiellen Gegenständen unterscheidet: Steine haben zwar eine bestimmte Größe und ein gewisses Gewicht, aber im Gegensatz zu psychischen Phänomenen handeln sie nicht von etwas und beziehen sich auf nichts. Wie Brentano ist auch Arnauld der Ansicht, dass sich das Mentale oder das Denken wesentlich durch Intentionalität auszeichnet. Unmissverständlich hält er fest: „So wie es also klar ist, dass ich denke, ist es ebenfalls klar, dass ich an etwas denke, das heißt, ich erkenne und erfasse etwas. Denn Denken ist wesentlich dies.“18 Worin aber besteht für Arnauld die Intentionalität mentaler Zustände und wie kann er mit Hilfe seiner Ideentheorie erklären, dass mentale Zustände diese Eigenschaft aufweisen? Diesen Fragen soll im Folgenden in drei Schritten nachgegangen werden: Im ersten Teil werden wir kurz skizzieren, auf welche Weise Arnaulds Kontrahent Malebranche diese intentionalitätstheoretischen Fragen beantwortet. Dies bildet den Hintergrund für unseren zweiten Teil, in dem wir die Grundzüge von Arnaulds Ideentheorie rekonstruieren, die sich dezidiert von derjenigen Malebranches absetzt. Dabei wird sich herausstellen, dass Arnauld im Rahmen seiner Ideentheorie die Intentionalität auf die Repräsentationalität mentaler Zustände zurückführt, die er aber im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Malebranche nicht weiter erklären kann. Für Arnauld erweist sich somit der Umstand, dass Ideen etwas repräsentieren, als basal oder irreduzibel. Im dritten Teil werden wir schließlich dafür argumentieren, dass Arnauld auf die Irreduzibilität der Repräsentationalität von Ideen reagiert, indem er einen methodischen Wechsel vollzieht und eine phänomenologische Beschreibung einer weiteren begrifflichen Analyse der Repräsentationalität mentaler Zustände vorzieht. 6.3.1 Malebranche und Arnauld über die Intentionalität von Ideen Arnaulds Antworten auf diese Fragen lassen sich am besten verstehen, wenn man sie mit denjenigen von Nicolas Malebranche vergleicht, gegen dessen Position sich Arnaulds Ideentheorie richtet. Auch wenn Male-
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Des vraies et des fausses Idées, 184 (nachfolgend: Idées).
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branche und Arnauld in ihren jeweiligen Ansichten darüber, was Ideen sind, völlig anderer Meinung waren, stimmten sie doch darin überein, dass sich unser Denken wesentlich durch Intentionalität auszeichnet. So stellt Malebranche knapp fest: „Nichts zu sehen, ist gar nicht Sehen; nichts zu denken, ist gar nicht Denken“,19 und macht damit deutlich, dass auch für ihn jedes Denken immer ein Denken an etwas ist und sich damit auf ein ganz bestimmtes Objekt bezieht. Daraus zieht Malebranche jedoch gleich eine ideentheoretische Folgerung: Da sich unsere Gedanken immer auf etwas beziehen, auch im Fall einer Sinnestäuschung, können die unmittelbaren Objekte, auf die wir uns beim Denken beziehen, nicht die Gegenstände der Außenwelt sein. „Dementsprechend“, so meint Malebranche, „verstehe ich unter dem Wort Idee nichts anderes als das, was das unmittelbare oder nächste Objekt des Geistes ist, wenn er ein Objekt wahrnimmt, d. h. das, was den Geist berührt und modifiziert mit der Perzeption, die er von einem Objekt hat“ (OCM 1:414). Wenn wir an etwas denken, so erfassen wir Malebranche zufolge also primär Ideen. Da uns diese Ideen aber echte, d. h. unerschütterliche und ewige Erkenntnis der Dinge ermöglichen, müssen diese Ideen selbst unveränderlich und ewig sein.20 Als solche können sie jedoch nicht in unserem endlichen und vergänglichen Geist existieren. Ideen existieren für Malebranche vielmehr in Gott – und zwar als Essenzen der Dinge, die Gott bei der Schöpfung dieser Dinge als Vorlage oder Archetypen dienen.21 Dementsprechend betrachten wir beim Denken die Ideen in Gott, und zwar in dem Maße, in dem uns Gott Teile seiner Ideen „enthüllt“ (OCM 1:439). Wie Malebranche jedoch sogleich klar stellt, heißt 19
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Malebranche: Œuvres Complètes de Malebranche (nachfolgend: OCM) 3:99. Im Unterschied zu Arnauld sind für Malebranche jedoch nicht alle mentalen Zustände zugleich auch Denkakte, die einen intentionalen Bezug aufweisen. Neben Perzeptionen, die intentional sind, gibt es für Malebranche auch Empfindungen (sentiments), die sich auf nichts beziehen. Intentionalität ist also Malebranche kein Charakteristikum des Geistigen, sondern nur des Denkens oder kognitiver mentaler Zustände. Für Arnauld sind allerdings alle mentalen Zustände als Modifikationen der denkenden Substanz Formen des Denkens und damit intentional (Vgl. Logique, 50 f.). Dieses Argument bringt Malebranche in den Conversations chrétiennes, Entretien III (OCM 4:68 f.) vor. Vgl. dazu auch die K35 und K42 des Stellenkommentars zu Malebranche. „Es ist absolut notwendig, dass Gott in sich selbst die Ideen aller von ihm erschaffenen Seienden hat, weil er diese sonst nicht hätte hervorbringen können; somit sieht er all diese Seienden, indem er die Perfektionen beachtet, die er in sich einschließt und zu denen sie in Bezug stehen“ (OCM 1:437).
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das nicht, dass wir dadurch nie die Dinge in der Außenwelt erkennen könnten und gleichsam in einem Schleier von Ideen gefangen wären. Im Gegenteil, für Malebranche können wir die Dinge in der Außenwelt erst dank der Ideen in Gott erkennen, die diese Dinge repräsentieren: „Außerdem kann man sagen, dass man nicht so sehr die Ideen der Dinge sieht, sondern die Dinge selbst, die durch diese Ideen repräsentiert werden: Denn wenn man beispielsweise ein Quadrat sieht, so sagt man nicht, dass man die Idee dieses Quadrats sieht, die mit dem Geist vereinigt ist, sondern nur das Quadrat, das außerhalb liegt“ (OCM 1:439). Ideen repräsentieren deshalb Gegenstände, weil Ideen die Essenzen und Archetypen der Gegenstände sind, die Gott gleichsam als Vorlage oder Modell für die Schöpfung der Gegenstände dienen.22 Ein mentaler Zustand ist nach Malebranche somit durch drei Elemente charakterisiert: einen geistigen Akt oder eine Modifikation des Geistes, die auf eine Idee in Gott bezogen ist, welche ihrerseits einen Gegenstand repräsentiert.23 Im Rahmen dieser dreigliedrigen Analyse mentaler Zustände ergibt sich eine ganz natürliche Antwort auf die beiden Fragen, warum wir (i) mittels kognitiv mentaler Zustände Dinge erkennen können, und (ii) warum kognitiv mentale Zustände intentional sind oder sich auf etwas beziehen: Die Frage (i) lässt sich beantworten, indem man auf die repräsentationale Relation verweist, die zwischen Ideen und Gegenständen besteht, da die Ideen Archetypen der extramentalen Gegenstände sind. Weil unsere mentalen Zustände auf Ideen bezogen sind, die ihrerseits Gegenstände in der Außenwelt repräsentieren, können wir diese Gegenstände auch erkennen. Die Frage (ii) nach der Intentionalität kognitiver Zustände lässt sich ebenfalls im Rekurs auf eine Relation erklären: Kognitive Zustände handeln genau deshalb von etwas oder sind auf etwas bezogen, weil sie mentale Zustände oder Modifikationen des Geistes sind, die in einer intentionalen Relation zu einer Idee in Gott 22
23
So meint Malebranche in den Entretiens, VIII.2, 175: „Denn schließlich täuscht man sich nie, wenn man Gottes Werke nur gemäß dem beurteilt, was man klar und deutlich in ihren Ideen sieht: Weil Gott sie auf der Grundlage dieser Ideen, die ihre Archetypen sind, geformt hat, müssen sie ihre Natur angemessen repräsentieren.“ In seiner Reaktion auf die Einwände von Pierre-Sylvain Régis schreibt Malebranche zudem: „Aus der Idee der Ausdehnung kann man gut die Eigenschaften erfassen, die den Körpern zukommen, denn diese Idee repräsentiert ihre Natur, insofern sie der Archetyp ist, nach dem Gott sie geschaffen hat, so dass man die Dinge gemäß ihren Ideen beurteilen muss“ (OCM 17:289). Diese dreigliedrige Analyse mentaler Zustände führt Malebranche in OCM 1:445 am Beispiel der Sinneswahrnehmung vor.
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stehen. Der intentionale und der repräsentationale Charakter kognitiver Zustände ergibt sich für Malebranche somit aus den beiden Relationen, die zwischen jeweils zwei der drei Elemente kognitiv mentaler Zustände bestehen: Ihre Intentionalität beruht auf der Relation zwischen einem spezifischen Denkakt und einer bestimmten Idee, während ihre Repräsentationalität in der Relation zwischen der Idee und dem extramentalen Gegenstand begründet ist (sofern er denn existiert).24 Wie aber verhält es sich mit Antoine Arnauld? Im Gegensatz zu Malebranche lehnt Arnauld die Annahme von Ideen als von unseren Perzeptionen verschiedenen Objekten ab. Gegen die Annahme repräsentationaler Entitäten im Sinne Malebranches führt er hauptsächlich zwei Gründe an: Zum einen meint Arnauld, die Postulierung von Ideen, die von Perzeptionen verschieden sind, sei explanatorisch überflüssig. Um zu erklären, dass ich ein Ding erfasse, reicht es ihm zufolge aus, darauf zu verweisen, dass ich eine Perzeption dieses Dinges habe. Neben dieser Perzeption eines Dinges noch eine davon unabhängige repräsentationale Entität zu postulieren, sei unnötig und erkläre nichts.25 Zum andern wirft er Malebranche vor, dessen Konzeption von Ideen sei phänomenologisch unangemessen: Und wenn er – indem er weiterhin die Regeln einhält, wie er es sollte – bei diesem Gedanken innegehalten hätte: Ich erkenne einen Würfel, ich sehe die Sonne, um darüber zu meditieren und zu überlegen, was darin klar enthalten ist, bin ich sicher, dass es ihm, ohne aus sich selbst heraus zu treten, unmöglich gewesen wäre, dort etwas anderes zu sehen als die Perzeption eines Würfels oder den dem Geist objektiv gegenwärtigen Würfel, bzw. die Perzeption der Sonne, oder die dem Geist objektiv präsente Sonne, und dass er dort niemals die kleinste Spur dieser repräsentationalen Entität des Würfels oder der Sonne, verschieden von ihrer Perzeption, gefunden hätte, welche die Abwesenheit des einen [der Perzeption] und des anderen [des Dinges objektive] hätte ersetzen müssen. (Idées, 212 f.)
Mit der Zurückweisung einer Konzeption von Ideen, die diese als von Perzeptionen real verschiedene Entitäten auffasst, steht Arnauld nun nicht mehr die Intentionalitätstheorie zur Verfügung, auf die Malebranche zurückgreifen konnte. Denn während zwar auch für Malebranche jeder Perzeptionsakt wesentlich intentional auf ein Objekt bezogen sein muss, so gibt es für diesen doch nichts an der Perzeption selbst, was sie als Perzeption eines bestimmten Objektes auszeichnen würde. Die Intentionalität eines Erkenntnisaktes wird vielmehr allein durch die Relation zu den Ideen in Gott konstituiert, auf die sich der Akt richtet und 24 25
Vgl. dazu auch Radner 1976. Vgl. dazu Idées, 221.
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Antoine Arnauld
die selbst wiederum in einer repräsentationalen Relation zu einem äußeren Gegenstand stehen. Arnauld jedoch weist ein solches vom Akt verschiedenes Objekt zurück, indem er Idee und Perzeption identifiziert:26 Ich habe gesagt, dass ich Perzeption und Idee als dasselbe Ding auffasse. Dennoch muss bemerkt werden, dass dieses Ding, obwohl es eines ist, zwei Beziehungen hat: die eine zur Seele, die es modifiziert, die andere zum wahrgenommenen Gegenstand, insofern er objektiv in der Seele ist, und dass der Begriff der Perzeption mehr die erste Beziehung betont, und das der Idee mehr die letzte. So betont die Perzeption eines Quadrats mehr meine Seele, insofern sie ein Quadrat wahrnimmt, und die Idee eines Quadrats betont mehr das Quadrat, insofern es objektiv in meinem Geist ist. (Idées, 199)
Arnauld zufolge bezeichnen die Begriffe „Idee“ und „Perzeption“ den gleichen mentalen Zustand (d. i. „an etwas zu denken“ bzw. „etwas wahrzunehmen“), jedoch sind sie verschieden konnotiert: Von einer Perzeption sprechen wir dann, wenn wir den mentalen Zustand im Hinblick auf seine Beziehung zu unserem Geist als eine „Modifikation der Seele“ betrachten. Den Ausdruck Idee hingegen verwenden wir, wenn wir auf seine Beziehung zum äußeren Objekt und damit auf die repräsentierende Funktion des Zustandes hinweisen wollen. Ein Akt kann demnach auf zwei Weisen beschrieben werden: hinsichtlich seiner ontologischen Beschaffenheit und hinsichtlich seiner repräsentierenden Funktion. Eine Perzeption wird bei Arnauld also nicht mehr dadurch zur Perzeption eines bestimmten Gegenstandes, dass sie wesentlich mit einem von ihm verschiedenen Objekt verbunden ist. Vielmehr stellt sie aufgrund basaler, intrinsischer Eigenschaften des Erkenntnisaktes selbst die Perzeption eines bestimmten Objektes dar.27 So ist es zum einen die ontologische Verfasstheit des Aktes als spezifische Modifikation des Geistes, die einen Gedanken von einem anderen unterscheidet. Verschiedene Erkenntnisakte können Arnauld zufolge „nicht mehr sein als verschiedene Modifikationen der Substanz“, deren Beschaffenheit sie zum Gedanken „an diese Sache und nicht an jene“ werden lässt (Idées, 26
27
Wie Norman Wells (Wells 1994) gezeigt hat, lässt sich diese Identifikation von Idee und Erkenntnisakt auf die scotistische, von Francesco Suárez übernommene Theorie zurückführen, derzufolge der Erkenntnisakt (actus cognoscendi) die Rolle eines natürlichen Zeichens zukommt und der Begriff (conceptus, species expressa oder verbum mentis genannt) mit diesem Akt zusammenfällt und nicht mehr als von ihm getrennt aufgefasst werden darf, wie die thomistische Tradition es behauptet hatte. Ebenso reduziert Suárez den Begriff (conceptus) auf den Erkenntnisakt (conceptio). Vgl. Radner 1976, 97: „There is no act of perceiving that is not, by virtue of its own intrinsic nature, the perception of some specified object, particular or general, which may or may not exist.“
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184).28 Zum anderen ist jede dieser Perzeptionen „wesentlich repräsentierend“, weshalb sie auch „Idee“ genannt werden kann: „Die Perzeptionen, die unser Geist von Gegenständen hat, repräsentieren wesentlich diese Gegenstände“, (Défense, 381). Ein Akt steht also immer einerseits qua modifizierender Akt in Beziehung zum Geist, und andererseits qua repräsentierender Akt in Bezug zu einem Objekt: Meine Perzeption des Tisches ist intentional auf den Tisch bezogen, da sie den Tisch repräsentiert. Für Arnauld scheint dies geradezu trivial: Denn wie anders, so fragt er, könnten wir einen Gegenstand wahrnehmen, an ihn denken oder ihn erkennen, würden wir nicht vermittels unserer Akte des Wahrnehmens oder Denkens dieses Gegenstandes gewahr?29 Es gibt also nur einen Erkenntnisakt, der in zweierlei Hinsicht betrachtet werden kann: (i) als modifizierende Perzeption und (ii) als repräsentierende Idee. Die Intentionalität mentaler Zustände besteht Arnauld zufolge also nicht wie bei Malebranche in einer Relation zwischen einer Modifikation des Geistes und einer von ihr verschiedenen Idee, sondern ergibt sich vielmehr daraus, dass unsere Perzeptionen selbst „wesentlich repräsentierende Modalitäten“ sind (Idées, 199). Während Malebranche Ideen als die (unmittelbaren) Objekte unserer Wahrnehmung beschreibt, vermittels derer wir (mittelbar) Gegenstände wahrnehmen, fasst Arnauld Ideen wesentlich als Akte der Wahrnehmung auf: Ideen sind für ihn nicht das, was wir wahrnehmen, sondern vielmehr die Wahrnehmungen bzw. Erkenntnisakte selbst.30 Ein Wahrnehmungsakt ist demnach nicht auf ein von einem realen Gegenstand verschiedenes intentionales Objekt gerichtet, 28
29
30
So führt Arnauld im Zuge seiner Debatte mit Pierre Bayle aus, es sei falsch zu denken, dass die Relation eines Aktes zu seinem Objekt nicht einer intrinsischen Eigenschaft des Aktes selbst geschuldet sei, und also falsch, zu behaupten, dass „die Beziehung, die verschiedene Modifikationen unserer Seele (Gedanken, Wahrnehmungen, Volitionen, Leidenschaften) zu ihren Objekten haben, nichts ihnen wesentliches ist, und sich nicht in ihrer physischen Verfasstheit niederschlägt, […] so dass also die Perzeption, die ich von einer Spinne habe, zur Perzeption eines Elefanten werden kann, ohne dass sich an ihrer physischen Verfasstheit irgend etwas ändert“, Dissertation, OA 40:61. Vgl. Défense, 406: „Denn Ihr macht es euch zum Prinzip Eurer Lehre, […] dass unsere Perzeptionen, die nichts weiter sind als Modifikationen unseres Geistes, nicht in der Lage sind, äußere Objekte zu repräsentieren, wie es die materiellen Gegenstände sind. Wie aber können wir sie dann erfassen, sei es mittelbar oder unmittelbar, wenn unsere Perzeptionen sie uns nicht repräsentieren können?“ Vgl. auch Idées, 210 und Cook 1974, 60. Vgl. dazu Cook 1974, der Malebranche eine „object theory“, Arnauld hingegen eine „act theory“ der Wahrnehmung zuschreibt.
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sondern auf den realen Gegenstand selbst, der qua Objekt dieses Aktes der intentionale Gegenstand ist.31 Für Arnauld ist der intentionale Gegenstand also streng genommen der Akt selbst, jedoch nur, insofern dieser einen auf bestimmte Weise beschaffenen Gegenstand darstellt. So ist also etwa im Falle der Wahrnehmung der intentionale Gegenstand der äußere Gegenstand, wie er im Akt dargestellt ist. Arnaulds Theorie der Intentionalität erweist sich somit als eine Theorie intentionaler Akte, welche die Intentionalität eines Aktes durch dessen repräsentationalen Inhalt erklärt.32 6.3.2 Die Repräsentation und objektive Existenz Im vorhergehenden Abschnitt hat sich gezeigt, dass für Arnauld die Intentionalität eines Aktes in dessen repräsentierender Funktion begründet liegt. Diese Erklärung wirft jedoch sogleich eine neue Frage auf: Wie erklärt Arnauld, dass mentale Zustände oder Ideen etwas repräsentieren? Wie bereits deutlich wurde, liegt es laut Arnauld in unserer Perzeption selbst begründet, dass sie eine Perzeption dieses und nicht jenes Gegenstands ist. So kann beispielsweise ein Geometer durch eine Untersuchung seiner Perzeption eines Dreiecks herausfinden, dass die Summe der drei Winkel der Summe zweier rechter Winkel entspricht. Der Geometer kann also etwas über das Dreieck erfahren, indem er auf den Erkenntnisakt selbst reflektiert.33 Malebranche würde dies selbstredend nie 31
32
33
Der hier vorgeschlagenen Interpretation zufolge vertritt Arnauld also einen direkten Realismus: Ideen fungieren zwar als Medium der Erkenntnis, nicht aber als ihr primäres Objekt. Die Debatte, ob Arnaulds Position als ein direkter oder aber als ein indirekter Realismus aufzufassen ist, kann mittlerweile auf eine lange Geschichte zurückblicken. Für den indirekten Realismus haben unter anderem Lovejoy 1923, Church 1931 und zuletzt Hoffman 2002 argumentiert. Eine alternative Position wurde unter anderem von Ginsberg 1923, Laird 1924 und in jüngerer Zeit unter anderem von Nadler 1986, Cook 1974, Radner 1976 und Kremer 1994 vertreten. Vgl. dazu ausf. K43. Vgl dazu Perler 1996, 113 ff., der sowohl Arnauld als auch Descartes eine solche Theorie zuschreibt. Vgl. Idées, 204. Arnauld führt hierzu eigens eine spezifische Art des Selbstbewusstseins ein, die er in Abgrenzung von „expliziter Reflexion“ als „virtuelle Reflexion“ bezeichnet. Durch virtuelle Reflexion, so Arnauld, ist jeder mentale Akt dem Geist gegenwärtig, ohne dass ein zweiter Akt vonnöten wäre. Vermittels dieser Art des Selbstbewusstseins sind wir uns jedoch nicht nur unserer Akte bewusst, sondern werden zugleich auch den Objekten dieser Akte gewahr, die in dieser Idee „enthalten“ (enfermé) sind.
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zugestehen: Ihm zufolge könnten wir nie etwas über das unmittelbare Objekt unseres Aktes lernen, indem wir auf den Akt selbst reflektierten, da es für ihn nichts an dem Akt selbst gibt, was ihn als die Idee eines bestimmten Objektes auszeichnen würde.34 Für Arnauld hingegen repräsentiert ein Akt gerade aufgrund seiner intrinsischen Natur einen bestimmten Gegenstand. Doch was genau zeichnet nun Arnaulds „AktIdee“ aus, damit dies der Fall sein kann? Im Gegensatz zu Arnauld kann Malebranche diese Frage anhand seiner Auffassung von Ideen problemlos beantworten: Ideen repräsentieren ihre Gegenstände, weil Ideen Archetypen in Gott sind, auf deren Grundlage Gott die Gegenstände in der Welt erschafft. Diese Antwortmöglichkeit steht Arnauld aufgrund seiner Zurückweisung von Ideen als vom Erkenntnisakt verschiedenen Entitäten nicht zur Verfügung. Wie aber ist es dann zu verstehen, dass Ideen etwas repräsentieren? Ein möglicher Vorschlag wäre zu sagen, dass Ideen ihre Objekte repräsentieren, weil sie ihnen ähnlich sind – so wie ein Bild eines Baumes einen Baum repräsentiert, weil es ihm in gewisser Hinsicht ähnlich ist. Arnauld weist solch eine Auffassung jedoch vehement zurück:35 Wenn man sagt, dass unsere Ideen und unsere Perzeptionen (denn ich fasse diese als dasselbe auf) uns die Dinge repräsentieren, die wir erfassen, und dass sie Bilder von ihnen sind, hat das einen ganz anderen Sinn, als wenn man sagt, dass Gemälde ihre Originale repräsentieren und Bilder von ihnen sind, oder dass ausgesprochene oder geschriebene Worte Bilder unserer Gedanken sind. Denn im Hinblick auf die Ideen heißt dies, dass die Dinge, die wir erfassen, objektiv in unserem Geist und in unseren Gedanken sind. Nun ist diese Weise, objektiv im Geist zu sein, so charakteristisch für den Geist oder den Gedanken, insofern es in der Tat dies ist, was seine Natur ausmacht, dass wir in allem, was nicht Geist und Gedanke ist, vergeblich nach etwas Ähnlichem suchen würden. (Idées, 199)
Arnauld zufolge kann die Repräsentationalität (und damit auch die Intentionalität) von Ideen nicht anhand von Vergleichen mit körperlichen Dingen erklärt werden, da Ideen als Modifikationen der denkenden Substanz oder res cogitans fundamental andere Eigenschaften aufweisen als Körper, die Teil der ausgedehnten Substanz oder res extensa sind. Ein solcher Vergleich würde die Angelegenheit der Ideen mehr verdunkeln
34 35
OCM 9:917; 16:28; 17.1:288 f. Vgl. dazu auch Idées, 190–194, wo Arnauld eine genealogische Geschichte des Vorurteils erzählt, Ideen seien von mentalen Zuständen unabhängige repräsentationale Entitäten, deren Repräsentationalität in Begriffen der Ähnlichkeit zu verstehen sei.
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als erhellen.36 Vielmehr wird der repräsentierende Charakter der Ideen durch den Umstand erklärt, dass die von uns erfassten Gegenstände „auf objektive Weise“ in unserem Geist existieren, eine Seinsweise, die Arnauld zufolge „so charakteristisch für den Geist oder den Gedanken“ ist, dass sich außerhalb der Sphäre des Mentalen nichts ihr vergleichbares auffinden lässt. Unsere Perzeptionen repräsentieren also deshalb bestimmte Gegenstände, weil sie „objektiv“ das enthalten, „was formal im Objekt enthalten ist“ (Idées, 205). Mit dieser Erläuterung des repräsentierenden Charakters von Perzeptionen greift Arnauld auf die aus der Scholastik stammende und von Descartes und anderen frühneuzeitlichen Philosophen weiterentwickelte Theorie der objektiven Existenz zurück.37 In der scholastischen Tradition wurde der Terminus „objektives Sein“ zunächst verwendet, um die geistige Seinsweise eines Gegenstandes als Erkanntem zu charakterisieren, die als eine sowohl von aktualer Existenz als auch von bloßer Nicht-Existenz verschiedene Seinsweise angenommen wurde.38 Im Gefolge dieser Tradition unterscheidet auch Descartes zwischen aktualer Existenz und einer Weise, im Geiste zu sein, die zwar nicht im eigentlichen Sinne als ein Sein beschrieben werden kann, wie es etwa materiellen Gegenständen oder auch mentalen Substanzen und ihren Modifikationen zukommt, die aber dennoch „nicht Nichts“ ist. Descartes nennt die erste, aktuale Seinsweise „formales Sein“ (esse formale bzw. modus essendi formalis), während er die zweite als „objektives Sein“ (esse obiective bzw. modus essendi objectivus) charakterisiert. Dieses meint also eine gewisse Weise, im Verstand zu sein, 36
37
38
In dieser Zurückweisung körperlicher Vergleiche zur Erläuterung mentaler Phänomene wird deutlich, dass Arnauld aus Descartes’ ontologischem Substanzdualismus methodische Konsequenzen zieht: Weil Körper und Geist zwei ontologisch verschiedenen Substanzen angehören, dürfen Phänomene des einen Bereichs nicht im Rekurs auf Phänomene des anderen Bereichs erklärt werden. Die Theorie der objektiven Existenz besitzt eine lange Vorgeschichte in der Scholastik, wo sie insbesondere in Analysen göttlicher Erkenntnis verwendet wird. Von Suárez aufgegriffen und weiterentwickelt wird sie in der frühen Neuzeit zu einem Mittel der Beschreibung menschlicher Kognition. Für Darstellungen der Begriffsgeschichte und der frühneuzeitlichen Rezeption vgl. unter anderem Cronin 1966, Dalbiez 1939, Normore 1986, Perler 1996, Wells 1990. So ist etwa Duns Scotus der Auffassung, dass einem wahrgenommenen Gegenstand, obwohl dieser faktisch in der Außenwelt gar nicht existieren mag, dennoch eine gewisse Art des Seins oder der Realität in meinem Geist zukommt (Scotus nennt diese Form des Seins esse intelligibile oder esse cognitum), die einerseits „nicht Nichts ist“ (non est nihil), und andererseits auch kein bloßes ens rationis. Vgl. Quaestiones in Primum Librum Sententiarum, Distinctio 36 (OO 10; 575 ff.)
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jedoch nicht als realer Bestandteil oder als Eigenschaft des Geistes wie etwa dessen formaliter existierende Modifikationen, sondern vielmehr „auf eine Weise, auf die Gegenstände normalerweise dort sind.“39 Arnauld entwickelt seine Theorie der objektiven Existenz in enger Anlehnung an Descartes.40 Wie bereits deutlich wurde, nutzt Arnauld die Theorie der objektiven Existenz, um die Begriffe „Idee“ und „Perzeption“ zu unterscheiden und bemerkt, dass der Ausdruck „Idee“ mehr die Beziehung „zum wahrgenommenen Gegenstand“ betone, „insofern er objektiv in der Seele existiert“ (Idées, 199). Dieselbe Unterscheidung liegt auch Descartes’ eigener Bemerkung in der Vorrede zu den Meditationen zugrunde zu, wonach der Ausdruck „Idee“ äquivok sei, da er zum einen für den Akt selbst und zum anderen für den durch den Akt repräsentierten Gegenstand verwendet werden könne: Aber ich antworte, dass hier eine Äquivokation im Wort „Idee“ vorhanden ist. Es kann nämlich entweder material genommen werden für die Tätigkeit des Verstandes, und in diesem Sinn kann nicht gesagt werden, die Idee sei vollkommener als ich, oder objektiv für das Ding, das durch diese Tätigkeit repräsentiert wird. (Vorrede zu den Meditationen, AT VII, 8; Bd. 1, S. 62)
Allgemein gesprochen sind also zunächst alle Ideen geistige Akte, die auf Gegenstände gerichtet sind, jedoch können hier zwei Aspekte einer Idee unterschieden werden: Fasst man die Idee im materialen Sinne auf, so lenkt man das Augenmerk auf ihre Rolle als Aktivität bzw. Modifikation des Intellekts. Dieser ontologische Aspekt der Idee wird von Arnauld durch den Begriff der Perzeption ausgedrückt. Betrachtet man die Idee hingegen unter ihrem objektiven Aspekt, so betont man mehr ihren Inhalt, d. h. den durch den geistigen Akt (die Perzeption bzw. die Idee materialiter) repräsentierten Gegenstand. Arnauld zufolge ist es dieser Aspekt eines Erkenntnisaktes, der im eigentlichen Sinne mit dem Wort „Idee“ bezeichnet wird. Ein Gegenstand ist laut Descartes genau dann objektiv in meinem Geiste, wenn er von mir erfasst oder gewusst wird, oder wenn ich an ihn denke – also immer dann, wenn er zum Objekt und damit auch zum Inhalt einer meiner geistigen Akte wird.41 Dies betont auch Arnauld, wenn er in der vierten Definition ausführt: 39
40
41
„… esse in intellectu eo modo quo objecta in illo esse solent“, Erste Erwiderungen, AT VII, 102. Vgl. dazu ausf. den Aufsatz zu Descartes in diesem Band, S. 19–41. Zur Frage, inwieweit Arnauld im Hinblick auf die Theorie der objektiven Existenz von Descartes bzw. Suárez abweicht, vgl. Wells 1994. Vgl. dazu ebenfalls Descartes’ Antwort auf Caterus in den Ersten Erwiderungen, AT VII, 102.
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Ich sage, dass ein Ding objektiv in meinem Geist ist, wenn ich es erfasse. Wenn ich die Sonne, ein Quadrat oder einen Ton erfasse, sind die Sonne, das Quadrat und dieser Ton objektiv in meinem Geist, ob sie nun außerhalb meines Geistes existieren mögen oder nicht. (Idées, 198)
Der Gegenstand obiective ist demnach der Gegenstand, auf den sich mein Erfassensakt richtet und der dadurch zum Inhalt dieses Aktes wird. Dabei, so betont Arnauld, spielt es keine Rolle, welchen ontologischen Status der Gegenstand unabhängig vom Geist besitzt; entscheidend ist vielmehr, dass dieser repräsentiert wird.42 Der erkannte Gegenstand existiert dann „auf intelligible Weise“ in meinem Geist, eben so, „wie die Gegenstände dort zu sein pflegen“ (Idées, 199). Doch was genau existiert nun dort? Zunächst mag man vermuten, beim Gegenstand obiective handle es sich um ein inneres Objekt, also um ein distinktes mentales Gegenstück zum extra-mentalen, äußeren Gegenstand. Diese Möglichkeit scheint jedoch aufgrund Arnaulds strikter Ablehnung von vom Erkenntnisakt verschiedenen Entitäten ausgeschlossen.43 Wie Arnauld immer wieder betont, ist eine Idee für ihn nichts anderes als der Erkenntnisakt selbst, insofern der erfasste Gegenstand auf objektive Weise in ihm existiert. So kontrastiert Arnauld die räumliche Präsenz eines Gegenstandes mit dessen bloß objektiver Präsenz, gemäß welcher ein Gegenstand nur objektiv in unserem Geist ist, weil unser Geist ihn erkennt, sodass es das gleiche ist zu sagen, dass ein Gegenstand objektiv in unserem Geist ist (und folglich ihm gegenwärtig [luy est presente]), wie zu sagen, dass er von unserem Geist erkannt wird. (Idées, 192)
Was genau aber meint dann Arnauld, wenn er im Anschluss an Descartes formuliert, unsere Perzeptionen enthielten „objektiv, was formal im Objekt enthalten ist“ (Idées, 199)? Wie ist der spezifische Inhalt einer Perzeption beschaffen, der sie zur Perzeption eines bestimmten Gegen42
43
Wie Malebranche gesteht auch Arnauld zu, dass die Wahrnehmung eines Objektes nicht notwendig dessen Existenz voraussetzt. Jedoch ist Arnauld im Gegensatz zu seinem Kontrahenten der Ansicht, dass die Erklärung von Sinnestäuschungen keineswegs die Annahme zusätzlicher repräsentierender Entitäten voraussetzt: „Wie könnte unser Geist einen Gegenstand wahrnehmen, hätte er nicht die Idee dieses Gegenstandes? Des Weiteren ist gewiss, dass die Perzeptionen vieler Gegenstände tatsächlich in unserem Geist sind, obgleich diese Dinge tatsächlich nicht außerhalb von uns existieren. […] [Ich sehe] keine Notwendigkeit für diese angebliche „repräsentierende Entität“, um einen Gegenstand zu erkennen, sei er vorhanden oder nicht.“ Vgl. dazu auch Arnaulds viertes Postulat (Idées, 202). Für eine ausführliche Diskussion der epistemischen Problematik vgl. Nadler 1989, 130 ff. Hierfür argumentiert unter anderem ausführlich García-Gómez 1988, 551 f.
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stands werden lässt? Auf diese Fragen, so scheint es, gibt Arnauld keine Antwort. Jedoch hält Arnauld eine solche Antwort auch gar nicht für nötig: Reflektieren wir nur aufmerksam unsere gegenwärtige Wahrnehmung der Sonne oder unseren gegenwärtigen Gedanken an einen abwesenden Freund, so reicht dies Arnauld zufolge aus, um zu erkennen, dass die Sonne oder die Person auf eben jene einzigartige, „charakteristische Weise“ (Idées, 199) Teil unserer Wahrnehmung oder unseres Gedanken ist, die wir „objektives Sein“ nennen. Für Arnauld ist es ein basales Faktum, dass unser Geist Gegenstände auf objektive Weise enthält und unsere Gedanken somit über Intentionalität verfügen. Auch wenn Arnauld also die Intentionalität mentaler Zustände auf ihren repräsentationalen Charakter zurückführt, den er mit Hilfe der Theorie objektiver Existenz weiter erläutert, so liefert diese Charakterisierung letztlich keine weiterführende Erklärung des Umstandes, dass unsere Perzeptionen immer „wesentlich repräsentierende Modalitäten“ sind (Idées, 199). So repräsentiert zwar die im Geist objektiv präsente Sonne die in der Außenwelt real präsente Sonne, aber warum sie dies tut, wird nicht weiter erklärt. „Repräsentation“ und „objektive Existenz“ können für Arnauld höchstens wechselseitig erläutert, nicht aber auf weitere Grundbegriffe reduziert werden. Die Begriffe der Intentionalität, Repräsentation, und objektiven Existenz bilden somit einen nicht weiter reduzierbaren Zirkel. Sie sind basal, da „diese Weise, objektiv im Geist zu sein, so charakteristisch für den Geist oder das Denken [ist], insofern es in der Tat dies ist, was seine Natur ausmacht“ (Idées, 199). Dass Gegenstände objektiv im Geist existieren oder etwas repräsentieren und dabei von etwas handeln können, ist für Arnauld das, was die res cogitans gegenüber der res extensa auszeichnet. Hier weiter zu fragen, was es denn genau bedeute, dass etwas objektiv in meinem Geist sei, ich etwas erkenne bzw. eine Idee von etwas habe, würde gegen Arnaulds methodische Regel verstoßen, wonach man „nicht nach Definitionen von Ausdrücken fragen [soll], die durch sich selbst klar sind, und die wir nur verdunkeln können, indem wir sie definieren wollen, weil wir sie nur weniger klar erklären könnten“ (Idées, 181).44
44
Dass der Begriff der objektiven Existenz für Arnauld basal ist und nicht weiter expliziert wird, zeigen auch Radner 1976, 98, García-Gómez 1988, 547, und Kremer 1994, 101.
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6.3.3 Arnaulds methodische Wende: von der Erklärung zur Beschreibung Dass Arnauld den Begriff der objektiven Existenz oder der Repräsentation nicht weiter erklärt, mag unbefriedigend erscheinen. Man könnte ihm vorwerfen, sein Repräsentationsbegriff sei ein unerklärter Erklärer.45 Dieser Vorwurf ist sicher insofern gerechtfertigt, als Arnauld die Repräsentationalität unserer Ideen im Gegensatz zu Malebranche tatsächlich nicht weiter erklärt, sondern den Begriff der objektiven Existenz oder Repräsentationalität als irreduziblen Grundbegriff versteht. Wie in der oben zitierten Passage aus Des vraies et des faussés idées (199) aber deutlich wurde, gibt Arnauld einen prinzipiellen Grund an, warum der Begriff der objektiven Existenz fundamental ist: Das Vermögen, Gegenstände auf objektive Weise zu enthalten, ist das wesentliche Merkmal der denkenden Substanz, genau wie die Ausdehnung das wesentliche Merkmal der ausgedehnten Substanz ist. Deshalb ist der Begriff der objektiven Existenz ebenso wenig auf etwas Grundlegenderes zurückführbar, wie es der Begriff der Ausdehnung ist.46 Aus der Irreduzibilität des Repräsentationsbegriffs folgt aber nicht, dass dieser Begriff unverständlich oder rätselhaft bleiben muss. Anstelle einer reduktiven Erklärungsmethode kann auch eine andere Methode gewählt werden, um verständlich zu machen, was es heißt, dass ein mentaler Zustand von etwas handelt oder etwas repräsentiert. So lässt sich der Eindruck, bei der Repräsentationalität unserer mentalen Zustände handle es sich um etwas, was es zu erklären gilt, zerstreuen, indem man unsere mentalen Zustände möglichst genau beschreibt. Vollzieht man nämlich einen methodischen Wechsel von einer analytisch-reduktiven zu einer deskriptiv-phänomenologischen Methode und versucht stattdessen, zu beschreiben, wie es ist, einen mentalen Zustand zu haben, der einen bestimmten Gegenstand repräsentiert, so lässt sich der Begriff der 45
46
Der Vorwurf an Repräsentationalisten, sie würden den Repräsentationsbegriff als unerklärten Erklärer einsetzen, um den Begriff der Intentionalität zu klären, ist prominent von Robert Brandom 1994, 7, erhoben worden. Arnauld schließt also von der Essentialität des Repräsentierens auf seine Irreduzibilität. Dieser Schluss erscheint aber zweifelhaft, da viele essentielle Eigenschaften nicht irreduzibel sind (so ist z. B. H2O – die Essenz von Wasser – auf H- und O-Atome reduzierbar). Zur Verteidigung von Arnauld lässt sich aber sagen, dass er hier von Essenzen von Substanzen spricht, und Substanzen ontologisch unabhängige Entitäten sind. Ließe sich die Essenz einer Substanz auf etwas anderes reduzieren, widerspräche dies ihrer ontologischen Unabhängigkeit.
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objektiven Existenz oder der Repräsentation auch verständlich machen, ohne dass man diesen Begriff auf einen anderen reduziert. Arnauld bedient sich immer wieder dieser deskriptiv-phänomenologischen Methode, um den Bereich mentaler Phänomene verständlich zu machen.47 Ganz deutlich wird dies bei seiner Widerlegung von Malebranches Ideentheorie, die er mit folgenden Worten einleitet:48 Ich verlange, dass jeder ernsthaft überlegt, was in seinem Geist existiert, wenn er unterschiedliche Dinge erkennt, indem er alles, was er durch einen einfachen Blick bemerken wird, erwägt, ohne nachzudenken oder nach weiteren Vergleichen zu suchen, die von den körperlichen Dingen stammen, und indem er nur bei dem inne halten wird, das so gewiss ist, dass man nicht daran zweifeln kann. Und wenn das jemand nicht selbst machen kann, verlange ich von ihm, dass er mir folgt, und dass er guten Glaubens untersucht, ob das, wovon ich sagen werde, dass es mir klar ist, ihm nicht genauso klar und gewiss sein wird. (Idées, 201)
Die wahre Natur von Ideen oder mentalen Zuständen können wir Arnauld zufolge nicht erkennen, indem wir versuchen, Eigenschaften dieser mentalen Zustände auf andere Eigenschaften zurückzuführen. Es gilt vielmehr, sich wie Descartes in einer Art meditativen Übung auf seinen Geist zu konzentrieren und möglichst nüchtern zu konstatieren, was einem als unbezweifelbar und evident erscheint, ohne diese Evidenzerlebnisse gleich deuten oder erklären zu wollen. Es geht Arnauld um eine sachliche Beschreibung mentaler Phänomene, die von jedem nachvollzogen werden kann, der „guten Glaubens untersucht, ob das, wovon ich sagen werde, dass es mir klar ist, ihm nicht genauso klar und gewiss sein wird.“ 47
48
Es ist wichtig zu betonen, dass Arnauld damit nicht automatisch zu einem Phänomenologen im modernen Sinne (etwa im Stile von Husserl oder Merleau-Ponty) wird: Während moderne Phänomenologen versuchen, traditionelle philosophische Disziplinen wie die Ontologie oder Erkenntnistheorie durch eine Beschreibung der Struktur unserer mentalen Erfahrungen aufzulösen oder zu ersetzen, zweifelt Arnauld nicht an der Berechtigung dieser Disziplinen (und übernimmt dabei im Wesentlichen die Ansichten Descartes’). Die phänomenologische Beschreibung mentaler Zustände dient Arnauld lediglich zur Ergänzung dieser Disziplinen, insofern dadurch der für mentale Zustände fundamentale Begriff der Repräsentationalität verständlich gemacht werden kann. Hier lässt sich eine interessante Parallele zu Franz Brentano – dem „Wiederentdecker der Intentionalität“ – ziehen, der ebenfalls nur sehr wenig dazu sagt, worin die Intentionalität mentaler Zustände bestehen soll, und sich statt dessen für eine „deskriptive Psychologie oder eine beschreibende Phänomenologie“ (Brentano 1982, 129) engagiert. Zu Brentanos Psychologie-Verständnis siehe Brentano 21924, Bd.1, 27, und zur Methode dieser deskriptiven oder empirischen Psychologie ebd., 40–42.
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Arnaulds phänomenologische Ausrichtung zeigt sich auch in seiner Zurückweisung von Malebranches Ideentheorie. Wer sich nämlich nur darauf konzentriere, was in seinem Geist vorgeht, so argumentiert Arnauld, würde nie Ideen im Sinne Malebranches postulieren: Wenn ich einen kleinen Erastes hier hätte, würde ich ihn fragen, wie man es so raffiniert in den Conversations Chrétiennes gemacht hat, und ich bin gewiss, dass er mir im Bezug auf all diese Dinge antworten würde, dass er sich darin vollkommen sicher ist. Wenn ich ihn stattdessen fragen würde, ob man nicht neben diesen noch andere Ideen zulassen müsse, die repräsentationale Entitäten sind usw., bin ich nicht weniger gewiss, dass er mir sagen würde, dass er davon nichts wisse, und dass es überhaupt keine solchen repräsentationalen Entitäten gibt. Und was den Autor der Recherche de la Verité angeht, würde ich glauben, ihm Unrecht zu tun, wenn ich den geringsten Zweifel daran hätte, dass er nicht guten Glaubens bekennen würde, dass es unter all dem nichts gibt, was nicht sehr sicher wäre. (Idées, 202 f.)
Malebranches Ideentheorie ist demnach aus phänomenologischen Gründen zurückzuweisen: Es gibt nichts in der Struktur unserer inneren Erfahrung, was uns dazu bringen würde, Ideen als repräsentationale, von Perzeptionen verschiedene Entitäten anzunehmen. Das einzige, was sich unserem inneren Blick darbietet, sind einzelne mentale Akte oder Perzeptionen, die einen intrinsischen Inhalt aufweisen, der dafür verantwortlich ist, dass sich diese Akte auf etwas beziehen. Dass diese Akte einen solchen repräsentationalen Inhalt aufweisen, ist Arnauld zufolge jedoch nichts, was einer weiteren Erklärung bedürfte. Die objektive Existenz eines Gegenstands im Geist ist deshalb auch nichts Mysteriöses. Vielmehr handelt es sich einfach um das, was ein jeder erfasst, sobald er sich auf seine mentalen Zustände konzentriert und feststellt, dass diese Zustände immer Zustände von etwas sind. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass Arnauld mit seiner phänomenologischen Methode der Irreduzibilität der Begriffe der Repräsentation oder der objektiven Existenz begegnet, indem er ‚Repräsentationalität‘ und ‚objektive Existenz‘ nicht mehr als erklärungsbedürftige Begriffe auffasst, sondern als basale Eigenschaften oder Vorkommnisse mentaler Zustände, die schlicht erlebt oder erfahren werden müssen. Wie der Phänomenologe Edmund Husserl mehr als 200 Jahre später möchte Arnauld in seiner Erklärung der Intentionalität mentaler Zustände weg von den bloßen Begriffen „auf ‚die Sachen‘ selbst zurückgehen.“49
49
Husserl, Edmund 1992, Logische Untersuchungen, Bd. 2, in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von Elisabeth Ströker, Bd. 3, Hamburg: Meiner, 10, grenzt mit folgenden Worten die klassische Logik von der phänomenologischen Untersuchung ab: „An-
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Wie ist zu erklären, dass unsere mentalen Zustände intentional sind oder sich auf etwas beziehen? Malebranche beantwortet diese Frage mit einer Objekt-Theorie der Intentionalität, wonach die Intentionalität einer Perzeption auf einer (intentionalen) Relation dieser Perzeption zu einer Idee in Gott beruht. Im Gegensatz dazu vertritt Arnauld – wie auch später Brentano – eine Akt-Theorie der Intentionalität, wonach Intentionalität eine intrinsische Eigenschaft eines Perzeptionsaktes ist, die sich daraus ergibt, dass dieser Akt einen ganz bestimmten Gegenstand repräsentiert oder dieser Gegenstand auf objektive Weise in einem Geist existieren kann. Da es sich bei dieser intrinsischen Eigenschaft der Repräsentationalität von Perzeptionen jedoch um das wesentliche Merkmal von Modifikationen der res cogitans handelt, lässt sich diese Eigenschaft Arnauld zufolge genauso wenig auf basalere Begriffe reduzieren, wie sich der Begriff der Ausdehnung der Bestandteile der res extensa weiter reduzieren lässt. Trotzdem kann die Repräsentationalität mentaler Zustände weiter verständlich gemacht werden, da jeder introspektiv den repräsentationalen Charakter seiner mentalen Zustände erfahren kann, wenn er nur auf seine mentalen Akte reflektiert, und dabei mit unbezweifelbarer Gewissheit feststellt, dass diese immer auf etwas ganz Bestimmtes bezogen sind oder von etwas handeln. Die primitiven Eigenschaften mentaler Zustände lassen sich Arnauld zufolge nicht in einem substantiellen Sinne weiter erklären. Ihrer Eigenart kommt man besser nach, indem man versucht, sie möglichst genau zu beschreiben. Im Umgang mit der Frage nach der Intentionalität mentaler Zustände geht Arnauld daher auch in methodischer Hinsicht anders vor als sein Kontrahent: So geht Malebranche bei der Entwicklung seiner Ideentheorie vorwiegend von einer Reihe systematischer Probleme aus, die er durch seine Ideentheorie erklären möchte. Entsprechend postuliert er Ideen als extramentale Entitäten, da die Annahme solcher Entitäten erklärt, wie Täuschungen, Halluzinationen, aber auch objektive Erkenntnis möglich sind. Im Gegensatz dazu ist für Arnauld die Phänomenologie unserer mentalen Zustände, d. h. die Art und Weise, wie uns unsere mentalen Zustände erscheinen, Ausgangspunkt seiner Ideentheorie. Die Intentionalität von Ideen wird von Arnauld nicht weiter erklärt oder auf andere Dinge reduziert, sondern so beschrieben, wie wir sie als denkende Wesen erfahren
ders ausgedrückt: Wie wollen uns schlechterdings nicht mit ‚bloßen Worten‘, das ist mit einem bloß symbolischen Wortverständnis, zufrieden geben […]. Wir wollen auf die ‚Sachen selbst‘ zurückgehen.“
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und erleben. Aufgrund seines methodischen Wechsels von einem analytisch-reduktiven zu einem deskriptiv-phänomenologischen Vorgehen lässt sich Arnauld in Bezug auf seine Ideentheorie auch als ein Proto-Phänomenologe im Stile Brentanos verstehen: Statt die unseren psychischen Zuständen wesentliche objektive Existenz oder mentale Inexistenz von Gegenständen weiter zu erklären, gilt es, diese genauer zu beschreiben und als Phänomene sui generis ernst zu nehmen.50 Es ist wichtig zu betonen, dass Arnauld trotz seiner phänomenologischen Ansätze ein Proto-Phänomenologe bleibt, und nicht als ausgeprägter Phänomenologe im Stile des Begründers der Phänomenologie Edmund Husserl verstanden werden kann. Das hängt vor allem mit zwei Gründen zusammen: Zum einen entwickelt Arnauld seine phänomenologische Vorgehensweise nicht systematisch und setzt sie somit auch nicht mit anderen klassischen philosophischen Disziplinen wie der Erkenntnistheorie oder Ontologie in ein Verhältnis. Während Husserl die phänomenologische Beschreibung der Struktur unseres Bewusstseins als eine transzendentale Wissenschaft versteht, in der alle anderen Disziplinen begründet werden, verfolgt Arnauld mit seinem deskriptiv-phänomenologischen Vorgehen kein fundamentalwissenschaftliches Programm, das die traditionellen philosophischen Untersuchungen gleichsam unterfüttern soll. Arnaulds deskriptiv-phänomenologisches Vorgehen ergänzt die Ideentheorie lediglich an den Stellen, wo eine weitere reduktive Erklärung nicht mehr möglich ist. Zum andern würde Husserl Arnaulds Vorgehen wohl wie das seines Lehrers Brentano als ‚psychologistisch‘ zurückweisen: Husserl betont immer wieder, dass die Phänomenologie nicht bloß als deskriptive Psychologie, d.h. als empirische Beschreibung unserer introspektiv erfassten mentalen Zustände verstanden werden dürfe. In diesem Sinne ist die „Phänomenologie nicht als Tatsachenwissenschaft, sondern als Wesenswissenschaft“ zu verstehen, welche nicht die faktische Beschaffenheit unserer mentalen Akte beschreibt, sondern um eine Erkenntnis der essentiellen Struktur solcher Akte bemüht ist.51 Dieser Anti-Psychologismus ist Arnauld fremd. Trotz dieser wichtigen Einschränkungen trägt Arnaulds Vorgehen insofern proto-phänomenologische Züge, als er in der Eigenart mentaler Zustände einen Anlass sieht, diesen Phänomenen mit einer eigenen Me50
51
Dieses Vorgehen hat Brentano in seinem kleinen Aufsatz zur deskriptiven Psychologie (1982) vorgeschlagen. Husserl 1993, Ideen zu einer reinen Phänomeologie und phänomenologischen Philosophie, unveränderter Nachdruck, Tübingen: Niemeyer, 3 f.
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thode zu begegnen, die wesentlich durch die Einnahme der Perspektive der ersten Person geprägt ist. Die auf der Grundlage dieser Methode gewonnene Erkenntnis ist zudem untrüglich und gewiss: Wer in einer meditativen Übung auf seine mentalen Zustände reflektiert, der kann nicht ernsthaft an ihrer Intentionalität zweifeln und dem dürfte sie auch nicht weiter problematisch erscheinen. Es handelt sich einfach um das, wodurch sich diese Zustände in essentieller Weise auszeichnen. Nicht zuletzt mögen Arnauld und nach ihm die Phänomenologen von der Aussicht auf eine untrügliche und gewisse Erkenntnis fasziniert gewesen sein, das Descartes’ meditatives Verfahren verspricht. Zumindest sahen sie darin eine legitime oder gar gebotene Alternative zu einem rein begriffs-analytischen Vorgehen in der Philosophie.
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Einführung: Welche Rolle spielen die Ideen in Lockes Philosophie?
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7. John Locke Martin Lenz
7.1 Einführung: Welche Rolle spielen die Ideen in Lockes Philosophie? Nicht allein wissenschaftliche Tätigkeit, sondern bereits die alltägliche Lebensführung erfordert, dass wir über Wissen ganz unterschiedlicher Art verfügen. Wüssten wir beispielsweise nicht, dass bestimmte Gegenstände über unterschiedliche Grade von Festigkeit verfügen, so wäre es uns kaum möglich, einen Schritt vor den anderen zu tun, ohne zu stürzen. Dass wir uns auf eine schier unüberschaubare Menge von Meinungen verlassen, merken wir besonders dann, wenn diese sich als unsicher oder gar falsch herausstellen. Eine Person, die eine Wand nicht von einem Vorhang unterscheiden kann, wird lehrreiche Erfahrungen machen, wenn sie sich frohgemut gegen ein Stück herabhängenden Stoffes lehnt; mehr noch werden wir von einer Architektin hoffen, dass sie ein Gebäude mit umfassender Kenntnis der Eigenschaften zu verwendender Materialien plant. So sicher es ist, dass wir über Wissen verfügen, so klar erscheint auch, dass unser Wissen Grenzen hat. Will man diese Grenzen ermitteln, so erscheint es kaum sinnvoll, dies schrittweise und womöglich unter Einsatz seines Lebens in Konfrontation mit der Umwelt zu erproben; vielmehr ist es geboten zu überlegen, ob es nicht grundsätzliche Beschränkungen gibt, die uns auferlegt sind. Daher stellt sich das Problem, ob es für den Menschen nicht bestimmte Prinzipien gibt, durch die sein Denken und Handeln ermöglicht, aber auch eingeschränkt werden. John Locke verfolgt in seinem Essay Concerning Human Understanding genau dieses Ziel: die Grenzen durch die Bestimmung des Ursprungs, der Gewissheit und der Reichweite unseres Wissens zu ermitteln.1 1
Siehe Essay I, i, § 2: 43. Bezüge auf den Essay entsprechen dem üblichen Aufbau (Buch, Kapitel, Paragraph: Seitenzahl) und folgen der Ausgabe: John Locke, An Essay Concerning Human Understanding, hrsg. v. P. H. Nidditch, Oxford: Clarendon
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Nun könnte man vielleicht erwarten, dass Locke auf bestimmte theoretische und praktische Prinzipien – sei es der Satz vom auszuschließenden Widerspruch, der Satz der Identität oder auch die goldene Regel – zurückgreift, um diese zu prüfen und zu klären, welche als absolut sichere Grundlage jeden Denkens oder Handelns zu gelten haben. So ließe sich beispielsweise annehmen, dass wir, sofern wir überhaupt eine bestimmte Meinung haben oder gar vertreten wollen, dem Widerspruchsprinzip unterworfen sind, denn selbst und gerade dann, wenn wir versuchen, das Prinzip zu leugnen, akzeptieren wir, dass kontradiktorisch entgegengesetzte Meinungen vertreten werden können. Demnach könnte man davon ausgehen, dass man für alle unsere Meinungen M, über die wir verfügen, mindestens ein Prinzip P angeben kann, sei es nun das Widerspruchsprinzip oder etwas anderes. Mit anderen Worten: Wenn jemand M hat, dann gibt es P; wenn es P nicht gäbe, dann könnte es auch nicht M geben. Wir suchen also etwas, das erklärt, wie eine Person M haben kann oder zu M kommt. Worum aber handelt es sich bei einer Meinung? Genau an diesem Punkt kommen die Ideen ins Spiel: Ideen sind für viele frühneuzeitlichen Autoren die Bestandteile von Meinungen, die durch Sätze ausgedrückt werden können. Wenn ich zum Beispiel die Meinung habe, dass Milch weiß ist, so verfüge ich demnach mindestens über die Ideen von Milch und von Weiße. Das, wonach wir suchen (P), sollte also etwas sein, das erklärt, wie ich zu M und mithin zu den Ideen komme, aus denen M besteht. Ist nun ein Prinzip wie das Widerspruchsprinzip ein sinnvoller Kandidat für P? Um dies zu sehen, müssen wir den Zusammenhang zwischen M und P betrachten. Formal betrachtet scheint das Widerspruchsprinzip ja keine andere Struktur als eine beliebige Meinung zu haben. Es handelt sich um einen Satz, dessen Bestandteile Ideen bezeichnen. Lässt sich aber ein explanatorischer Zusammenhang zwischen dem Widerspruchsprinzip oder irgendeinem anderen in dieser Weise formulierbaren Prinzip und meiner Meinung, dass Milch weiß ist, sehen? Falls ja, so scheint man sagen zu müssen, dass ich in irgendeiner Form über das entsprechende Prinzip verfüge, wenn ich M habe. Dagegen sprechen jedoch zahlreiche Gründe. So kann man z. B. meinen, dass Milch weiß ist, ohne das Widerspruchsprinzip zu kennen; ebenso zeugen zahlreiche Meinungsäußerungen davon, dass vielfach gegen dieses Prinzip versto-
Press 1975. Verweise auf die Übersetzung im ersten Teilband werden direkt im Haupttext angegeben und folgen demselben Muster.
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ßen werden kann. Personen können sich widersprechen, ohne es zu bemerken. P müsste dann auch solche Fälle erklären. Sollte es aber bestimmte Regeln oder Prinzipien unabhängig davon geben, dass wir sie nun gerade erfassen oder nicht? Locke erteilt einem solchen Ansatz von Anfang an eine klare Absage. Dabei bestreitet er gar nicht die Geltung oder Wahrheit solcher Prinzipien; was er aber bezweifelt, ist, dass man aus ihrer Wahrheit schließen könnte, dass sie uns in dieser Form einfach gegeben oder angeboren wären (vgl. IV, i, § 4; Bd. 1, S. 288).2 Ideen lassen sich als Bestandteile von Meinungen und Wissen durch sprachliche Ausdrücke bezeichnen und können letztlich freilich auch Bestandteile solcher allgemeiner Prinzipien sein, die in Formulierungen wie dem Satz vom auszuschließenden Widerspruch oder der goldenen Regel ihren Niederschlag finden. Das Verfügen über solche Prinzipien ist nach Locke aber vielmehr das Ergebnis einer Lerngeschichte, an deren Anfang man sich einen Geist vorstellen muss, der zwar gewisse kognitive Vermögen, aber eben nicht von sich aus schon Inhalte hat. Der Mensch muss demnach zunächst Erfahrungen machen. Erst im kognitiv vermittelten Kontakt mit der Welt (zu der freilich auch Geist und Körper eines Menschen gehören) beginnt der Verstand, den in diesem Kontakt gegebenen Input zu verarbeiten, also wahrzunehmen, Emotionen zu haben, durch Emotionen oder auch durch wiederholte Wahrnehmungen, die die Aufmerksamkeit lenken, gewisse Erinnerungen auszubilden, den Input als etwas aufzufassen, so den Zeichen- und schließlich den Sprachgebrauch zu erlernen (vgl. II, xi, § 8–9; Bd. 1, S. 278).3 Das, was dem Verstand dabei als Input entgegentritt und verarbeitet wird, aber auch das, was Produkt des verarbeiteten Inputs ist, wird mit dem Cluster-Begriff ‚Idee‘ benannt. Damit lässt sich die Frage nach P zunächst als die Frage nach der Herkunft der Ideen präzisieren. Die genannten Fragen des Ur2
3
Locke geht vielmehr davon aus, dass wir das Vermögen haben, die Identität und Verschiedenheit von Ideen unmittelbar zu erkennen (vgl. S. 278 f.). Der Widerlegung der Annahme angeborener Prinzipien (in Form von Sätzen oder Ideen) ist das gesamte erste Buch seines Essay gewidmet. Zahlreiche Argumente liefert er bereits in den auf Lateinisch verfassten, im Jahre 1664 fertiggestellten, aber erst posthum veröffentlichten Questions concerning the Law of Nature, hrsg. v. R. Horwitz et al. 1990, 138 ff. Siehe zur intuitiven Erkenntnis der Identität und Verschiedenheit Thiel 2006, 99 ff. Vgl. dagegen Yolton 1956. Locke hält ausdrücklich fest, dass es ohne die Kopplung der Ideen an Emotionen kaum Präferenzen innerhalb unserer Denkepisoden gäbe, die unsere Aufmerksamkeit lenkten. Siehe Essay II, vii, § 2: 128 f. Vgl. besonders das Kapitel zur Erinnerung in Essay II, x, § 3: 150.
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sprungs, der Reichweite und der Gewissheit unseres Wissens werden bei Locke mithin im Rahmen der Ideentheorie beantwortet und können auf die folgenden zusammenhängenden Thesen zugespitzt werden: (1) Ursprung: Der Ursprung des Wissens liegt in den zwei Quellen der Sinnesempfindung und der Reflexion, aus denen unser gesamtes Ideenmaterial stammt (II, i, § 1–9; Bd. 1, S. 265–268). (2) Reichweite: Unser Wissen kann auf keinen Fall weiter reichen als wir Ideen haben (IV, i, § 1; Bd. 1, S. 288). (3) Gewissheit: Die Gewissheit unseres Wissens liegt in der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung unserer Ideen (IV, i, § 2; Bd. 1, S. 288). Diese drei Thesen besagen in der gegebenen Form freilich noch nicht viel. Vor allem geben sie keine gehaltvolle Auskunft darüber, welchen Bedingungen der Aufbau unseres Wissens eigentlich unterliegt. Schauen wir uns die leitende Fragestellung jedoch genauer an, so lassen sich ihr bereits zentrale Weichenstellungen entnehmen, die den Hintergrund für die Suche nach den ‚Prinzipien‘ deutlich konturieren. Es wird nämlich nicht einfach gefragt, was Wissen sei oder welche Prinzipien für Wissen schlechthin zu veranschlagen seien, sondern es soll dezidiert der menschliche Verstand im Vordergrund stehen. Mit dieser Fokussierung sind drei Aspekte verbunden, aus denen sich sogleich eine genauere Bestimmung der Fragen nach Gewissheit und Reichweite unseres Wissens ergibt. (a) Die Konzentration auf den Menschen: Der menschliche Verstand (und Körper) ist nach Locke im Gegensatz zu den kognitiven Vermögen von Tieren einerseits und zum göttlichen Geist andererseits dadurch gekennzeichnet, dass er auf die Erfordernisse der menschlichen Lebensführung abgestimmt ist. Damit sind einerseits natürliche Grenzen (etwa bezüglich der Schärfe der Sinnesorgane oder der Ausdauer des Denkvermögens) vorgegeben, andererseits aber auch Zweckbestimmungen, die eben nicht allein durch Wissenserwerb, sondern auch durch praktische Erfordernisse des diesseitigen Lebens und die Heilserwartung konturiert sind. So muss eine mitteleuropäische Architektin beispielsweise nicht sämtliche Eigenschaften der relevanten Materialien kennen, um ein Haus zu bauen. Sie braucht z.B. nicht zu wissen, ob die verwendete Art von Steinen und Hölzern für Biber genießbar ist oder wie Mörtel mit Mondgestein reagiert. Mithin kommt es für den Menschen nicht darauf an, alles mögliche wissen zu können oder all das, was er weiß, mit absoluter Gewissheit zu erfassen;4 4
Siehe dazu Essay I, i, § 5–7: 45–47.
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prägnant hält Locke daher fest: „Unsere Aufgabe hier besteht nicht darin, alle Dinge zu erkennen, sondern diejenigen, welche unsere Lebensführung betreffen.“5 Damit sind wir beim zweiten Aspekt. (b) Die Konzentration auf den Verstand: Man könnte mit der Untersuchung der Reichweite unseres Wissens ja bei der Frage ansetzen, mit welchen Dingen wir es zu tun haben, um dann zu klären, durch welche kognitiven Leistungen wir welche Arten von Wissen über diese Gegenstände erwerben.6 Einen solchen gegenstandsorientierten Ansatz könnte Locke aber aus folgenden Gründen nicht akzeptieren: Aus Punkt (a) ergibt sich bereits, dass für die Evaluation unseres Wissens nicht nur eine dyadische Abstimmungsrelation zwischen kognitiven Vermögen und Gegenständen zu berücksichtigen ist, sondern (mindestens) eine triadische Abstimmungsrelation zwischen kognitiven Vermögen, Gegenständen und menschlichen Lebensbedingungen.7 Wer also annimmt, dass unsere Vermögen darauf kalibriert sind, die metaphysische Struktur der Dinge zu erfassen, verkennt nach Locke, dass unsere metaphysischen Klassifizierungen nicht den Dingen allein folgen, sondern den Erfordernissen menschlichen Lebens. Auf welche Gegenstände auch immer sich der Verstand also richten mag, man würde nach Locke den falschen Weg wählen, setzte man bei den Dingen statt beim menschlichen Verstand an: Es geht vielmehr darum, „einen Überblick über unseren Verstand zu gewinnen, unsere eigenen Kräfte zu prüfen und zu sehen, welchen Dingen sie angepasst sind. Bis dies geschehen ist, vermute ich, dass wir am falschen Ende ansetzen.“8 Komplementär dazu verhält sich ein dritter Aspekt. 5 6
7
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Essay I, i, § 6: 46. Ein solcher Ansatz wurde oft im Zusammenhang mit metaphysischen Vorentscheidungen über die Beschaffenheit der Gegenstände und in Anlehnung an die schularistotelische These vertreten, dass die Natur nichts umsonst mache; diese These findet sich beispielsweise auch bei Gassendi, Logica (1981 [1658]), 32: „Deus, et Natura nihil frustra agunt.“ Im Kern wird behauptet, dass uns die Natur bzw. Gott nicht Erkenntnisvermögen gegeben haben könne, mittels deren sich die entsprechenden Gegenstände nicht erkennen ließen; denn dann wären diese Vermögen ja gleichsam vergeblich. Vgl. z. B. Aristoteles, De anima 432b21–22 und 434a30–32. Die Relation zwischen Gegenständen und Vermögen (bzw. Ideen) ist freilich in einem gewissen Rahmen als durch Gott angeordnete zu denken, so dass grundsätzlich von einer „Triangulation“ zwischen Gott, Gegenständen und kognitiven Vermögen auszugehen ist, die hier um den Gesichtspunkt der Lebensbedingungen ergänzt wird. Vgl. S. 274 sowie Bd. 1, 22–26. Essay I, i, § 7: 47.
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(c) Die normativ-pragmatische Dimension des Gegenstandsbezugs: Die Welt, in der wir leben, besteht aus drei Arten von Substanzen: Gott, begrenzten Intelligenzen und Körpern. Es handelt sich dabei nicht nur um ‚unsere Welt‘, wir teilen diesen Lebensraum mit zahlreichen anderen Wesen, die sich (zum Teil) ebenfalls kognitiv darauf beziehen, dies aber – je nach organischer und kognitiver Ausstattung – auf je andere Weise. So wird ein Tier einen anderen Input haben als ein Engel, beide zusammen wiederum einen anderen Input als wir.9 Zieht man allerdings nur den Input in Betracht, so beziehen sich freilich alle Wesen – wenn auch in unterschiedlichen Graden sinnlicher oder intellektueller Schärfe – auf dieselbe Welt. Es scheint aber nicht nur Unterschiede bezüglich der Fein- oder Grobkörnigkeit zu geben, sondern auch bezüglich dessen, was wir anhand des Inputs überhaupt als Gegenstände herausgreifen. Dass die Gegenstandskonstitution nicht allein vom Input abhängt, zeigt sich bereits daran, dass wir unter Menschen über Klassifizierungen in Streit geraten können, und zwar nicht nur mit Blick auf kultur- oder moralbezogene, sondern auch hinsichtlich naturbezogener Einteilungen (vgl. IV, iv, § 11–14; Bd. 1, S. 293–295). Das heißt: Wir haben nicht nur einen ‚menschlichen‘ Verstand, dessen Dingbezug weitgehend durch unsere Lebensbedingungen mitbestimmt wird, sondern es verhält sich so, dass sich das, was wir für Gegenstandsarten halten mögen, in einem gewissen Rahmen nicht bloß rezeptiven Erkenntnisleistungen verdankt, sondern unseren Zuschreibungen. Wenn wir Gegenstände oder Substanzen erkennen, sorgen die durch unser Leben in verschieden Sprachgemeinschaften mitgeprägten kognitiven Gewohnheiten dafür, dass wir uns auf zugeschriebene Wesenheiten – sogenannte nominale Essenzen – beziehen. Es wäre mithin ein Irrtum zu glauben, dass wir uns dabei auf die wirklichen Essenzen beziehen; dazu müssten wir uns nämlich in einen Zustand begeben, der mit unseren Lebensbedingungen gar nicht vereinbar wäre.10 Unsere Zuschreibungen sind zwar nicht beliebig, denn wir leben ja mit allen anderen Wesen in einer Welt, die nun mal so und so beschaffen ist, aber es wäre inkongruent anzunehmen, dass wir uns als Erkennende
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Siehe Essay II, xxvii, § 2: 329. Vgl. zur Unterscheidung zwischen Tieren und Menschen Wild 2006, 214–222, zur Weltordnung und zur Differenz zwischen Menschen und Engeln Yolton 2004, 38–89. Siehe Essay II, xxiii, § 12: 302.
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gleichsam in eine ‚kognitive Totale‘ begeben könnten, von der aus die Abstufungen der verschiedenen Lebensbedingungen innerhalb des geteilten Universums keine Rolle mehr spielten. Aus solchen Überlegungen schließt Locke, dass die Frage nach unseren Ausgangsbedingungen, also nach den Begrenzungen unserer Vermögen und dem Ursprung des Wissens, zu dem wir gelangen können, zentral ist. Denn nur wenn wir wissen, woher unser Wissen stammt und welchen Beschränkungen die Vermögen unterliegen, vermittels deren wir die Elemente, auf die unser Wissen zurückführbar ist, aufnehmen, können wir ermessen, wie weit unser Wissen reichen kann.
7.2 Stellenkommentar: Auszüge aus An Essay Concerning Human Unterstanding / Ein Versuch über den menschlichen Verstand (1689) K1: Locke bestimmt die Idee hier klar als Gegenstand (object ) des Denkens. Dies scheint anderen Bestimmungen zu widerstreiten, in denen Locke Ideen mit Wahrnehmungs- bzw. Denkakten (perceptions) gleichsetzt (vgl. etwa II, xxxii, § 1; Bd. 1, S. 284). In der Literatur wird daher gern von einer „Akt-Objekt-Ambiguität“ gesprochen, bei der unklar bleibe, ob unter einer Idee nun ein mentaler Akt oder ein Objekt zu verstehen ist, auf das sich ein mentaler Akt bezieht (siehe etwa Puster 2004, 277 f.). Diese Schwierigkeit lässt sich jedoch entschärfen, wenn man sich klar macht, dass Locke (wie bereits Descartes) hier keine ausschließende Entscheidung zu treffen hatte, sondern Ideen in zwei Hinsichten betrachten konnte: nämlich zum einen unter dem Gesichtspunkt, dass sie in einem konkreten Akt des Geistes realisiert werden, zum anderen unter dem Gesichtspunkt, dass sie bzw. der Akt einen Inhalt haben, der dem Geist präsent ist. Dass bereits in der hier gegebenen Definition auch der Umstand mit berücksichtigt ist, dass die Präsenz des Inhalts an einen Akt gebunden ist, verdeutlicht Locke durch die temporale Bestimmung, dass die Idee Gegenstand sei, „wenn ein Mensch denkt “ (Hervorh. M.L.). Locke rekurriert zwar nicht explizit auf Descartes’ Unterscheidung zwischen ‚Ideen materialiter betrachtet‘ und ‚Ideen obiective betrachtet‘, doch verdeutlicht er mit seiner Definition, dass er sich vor allem auf den Inhalt und weniger auf den Akt der Idee konzentrieren will. Dass Locke mit der einschlägigen Terminologie vertraut war, verdeutlicht er im Essay (Epistle to the Reader: 13), wo er von den Ideen als
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„objectively in the Mind “ spricht (siehe zu Descartes’ Unterscheidung Perler 1996, 78–112). Auf die Gleichsetzung mit den scholastischen Termini ‚Phantasm‘, ‚Notion‘, ‚Species‘ wird im nachfolgenden Aufsatz eingegangen. K2: Den Geist als „weißes Papier“ zu beschreiben, stellt eine Anspielung auf die seit der Antike grassierende Metapher der tabula rasa dar. Das Motiv findet sich bereits in Platons Theaitetos (191c) und fand vor allem im Rekurs auf Aristoteles’ De anima III 4 (430a1) Verbreitung. Eine Interpretation dieser Metapher bei Locke sollte berücksichtigen, dass er den Geist nicht für ein weißes Papier hält, sondern an dieser Stelle dazu auffordert, uns vorzustellen, dass der Geist ein solches sei. Der Unterschied ist wichtig, weil Locke mit dieser Aufforderung keineswegs darauf festgelegt ist, dass der Geist völlig ‚leer‘ sei; vielmehr kann er davon ausgehen, dass der Geist bereits über Vermögen zur Ideenverarbeitung verfügt, die aktiviert werden, sofern der Geist Ideen (im Sinne von Inhalten) empfängt. K3: Der Ausdruck „Reflexion“ lädt zu Missverständnissen ein, da er hier in einem technischen Sinne eingeführt wird, der von vertrauteren Gebrauchsweisen abweicht. Locke versteht die Reflexion hier nämlich als Quelle von bestimmten Ideen: und zwar genau der Ideen, die man dann erhält, wenn man sich auf die Tätigkeiten des Verstandes richtet. Die wichtige Einschränkung liegt darin, dass unter Reflexion eben nicht die Tätigkeiten des Verstandes (Wahrnehmen, Denken etc.) selbst verstanden werden – diese können ablaufen, ohne dass auf sie ‚reflektiert‘ würde –, sondern das Richten der Aufmerksamkeit auf die Verstandestätigkeiten, das seinerseits Ideen liefert. So kann ich z. B. eine (Idee von einer) Wand wahrnehmen, ohne darauf reflektieren zu müssen, dass ich wahrnehme. Nun kann ich nach Locke aber auch wahrnehmen (reflektieren), dass ich wahrnehme (oder etwas will); wenn ich dies tue, dann empfange ich die Idee von Wahrnehmung (oder Wollen). Insofern liefert die Reflexion bestimmte Ideen (von Verstandestätigkeiten). Es sind mit ‚Reflexion‘ also weder die Verstandestätigkeiten, die sich auf Ideen der Sinnesempfindung richten, noch das ‚Bewusstsein‘ noch eine Art von Überlegung zweiter Ordnung gemeint, die sich auf Ideen der Sinnesempfindung richten, sondern schlicht das Richten der Aufmerksamkeit auf die Verstandestätigkeiten, deren Erfassung Ideen von diesen Verstandestätigkeiten liefert und insofern eine eigenständige Quelle von Ideen ist, die nicht aus der Sinnesempfindung stammen (siehe für eine prägnante Klarstellung zahlreicher Missverständnisse Thiel 2006, 106–112. Vgl. dazu auch II, i, § 8; Bd. 1, S. 267 f.).
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K4: Es ist zu beachten, dass die einfachen Ideen hier relativ zu den Sinnen, durch die sie eintreten, und relativ zu den komplexen Ideen, deren Bestandteile sie sind, eingeführt werden. Locke behauptet keineswegs, dass die einfachen Ideen in einem absolut unhintergehbaren Sinne einfach sind. Siehe dazu II, xxi, § 8: „Ich räume ein, dass Kraft eine gewisse Form von Relation einschließt … und wahrlich, bei welcher unserer Ideen – welcher Art auch immer – wäre das nicht der Fall, wenn sie aufmerksam betrachtet wird? … Folglich mag unsere Idee der Kraft meines Erachtens durchaus ihren Platz unter anderen einfachen Ideen haben …, denn sie ist eine derjenigen, welche einen Hauptbestandteil in unseren komplexen Substanzideen ausmachen …“ Trotz der Relationalität und der darin liegenden Komplexität will Locke diese Ideen also insofern zu den einfachen rechnen, als sie Ingredienzen der komplexen Ideen sind. Ein entscheidendes Kriterium für Einfachheit ist Nicht-Definierbarkeit. Siehe dazu III, iv, § 7: „ … die Namen der einfachen Ideen, und nur diese, sind keiner Definition fähig. Der Grund dafür ist, dass die verschiedenen Termini einer Definition verschiedene Ideen bezeichnen und daher zusammengenommen auf keinen Fall eine Idee repräsentieren können, die keinerlei Zusammensetzung aufweist …“ K5: Hier führt Locke die Qualitätenlehre als naturphilosophisches Pendant zu seiner Theorie der einfachen Ideen ein. Wie Locke auch im Folgenden verdeutlicht, sind unsere Ideen primärer Qualitäten diesen ähnlich, die Ideen sekundärer Qualitäten weisen hingegen keine Ähnlichkeit zu den Qualitäten auf. Die repräsentationale Beziehung der Ideen zu den Qualitäten wird durch die Kausalrelation, nicht durch Ähnlichkeit begründet. Eine konzise Einführung in die Qualitätenlehre Lockes findet sich in Perler & Wild (Hrsg.) 2008, 29–55. K6: Die Veränderung von Ideen der Sinnesempfindung durch Urteile geschieht – wie Locke in den Abschnitten § 8–10 herausstellt – auf unmerkliche Weise, „ohne dass wir davon Notiz nehmen“. Die Passagen sind systematisch wichtig, weil sie verdeutlichen, dass der Verstand nach Locke bereits bei der Wahrnehmung aktiv ist und die Ideen manipuliert, ohne dass uns dessen Operationen bewusst sein müssten. In diesem Zusammenhang diskutiert Locke auch das berühmte Molyneux-Problem, das in der Auswahl-Übersetzung nicht wiedergegeben wurde: Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob die Verknüpfung von Ideen aus verschiedenen Sinnen (etwa haptischer und visueller), die von einem Gegenstand affiziert werden, durch Erfahrung habitualisiert werden muss. Könnte also ein von Geburt an Blinder, der nun plötzlich sehen lernte, durch das bloße Ansehen einen Würfel von einer Kugel unterscheiden, ohne sie zu
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berühren? Locke verneint dies mit der Begründung, dass diese Verknüpfung erworben werden müsse. Siehe für eine ausführliche Analyse des Problems Degenaar & Lokhorst 2005. K7: In der Einleitung zum Essay (I, i, § 2) hatte Locke erklärt, der „Historical, plain Method“ folgen zu wollen, um eine „Darstellung der Wege, vermöge deren unser Verstand zu den Begriffen der Dinge, über die wir verfügen, gelangt“ zu geben. In dieser Passage nun verdeutlicht Locke, dass er die naturgeschichtliche – d. h. antispekulative, an Beobachtung orientierte – Darstellung des Ursprungs der Ideen an dieser Stelle abschließt, um nachfolgend die Perspektive zu wechseln und auf die Struktur der komplexen Ideen sowie ihr Verhältnis zu den einfachen Ideen einzugehen. Passend dazu erklärt Locke unmittelbar anschließend in Buch II, xii, § 3 (Bd. 1, S. 280), die Ideen nun im Hinblick darauf zu behandeln, wie „sie die Gedanken der Menschen füllen und beschäftigen“. Freilich wird auch erneut von den einfachen Ideen die Rede sein; aber eben nicht mit Blick auf ihre Erzeugung durch die Qualitäten, sondern hinsichtlich ihrer Modifikationen und ihrer Rolle als Ingredienzen in komplexen Ideen. Vgl. dazu II, xiii, § 1 sowie Abschnitt 7.3.7 des nachfolgenden Aufsatzes in diesem Band. K8: Diese Passage ist äußerst komplex, da hier nicht nur aufeinander aufbauende mentale Operationen, die zur Bildung der Substanzidee führen, beschrieben werden und mithin das erklärt wird, was man als ‚Gegenstandskonstitution‘ bezeichnen könnte, sondern mit dieser Beschreibung auch eine Kritik an der philosophischen Theorie der Substanz verbunden wird. Das wiederholt gemeinsame Auftreten von konstanten Ideenmustern – Locke spricht auch von patterns – nötigt den Geist zu der Unterstellung (supposition), dass diesen ein Ding zugrunde liegt, zu dem die Qualitäten, von denen die Ideen herrühren, gehören. Wo in Tat und Wahrheit lediglich ein Bündel verschiedener Ideen vorliegt, unterstellt der Geist eine Idee von einem Ding, die dementsprechend mit einem Namen verbunden wird. Mit dieser Beschreibung ist zunächst nur ein psychischer Mechanismus expliziert, der insofern als unvermeidlich gilt, als „wir uns nicht vorstellen können“, wie die Ideen unabhängig von einem Ding (also – modern gesprochen – gleichsam als Tropen) bestehen können. Die Kritik richtet sich nun zum einen darauf, dass die Idee bzw. der Erfassungsakt (apprehension) als einfach aufgefasst wird, wie dies in der scholastischen Theorie der so genannten simplex apprehensio in der Tat der Fall war; zum anderen richtet sich die Kritik gegen die Annahme, dass mit diesem Erfassungsakt die substantielle Form eines Dinges erfasst würde. Nach Locke sind wir nämlich trotz der unvermeidlichen Unter-
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stellung von Dingen nicht zu der Annahme berechtigt, dass es derartige Substanzen in der Welt gibt, da wir – wie er immer wieder betont – gar nicht wissen, was die Substanz ist. Locke leugnet also nicht, dass es Substanzen in Form von materiellen Körpern (sowie begrenzten Intelligenzen und Gott) gibt (vgl. II, xxx, § 2), wohl aber, dass die Gegenstände, die wir für Substanzen halten, tatsächlich so als Substanzen bestehen. Vgl. dazu Punkt (c) der Einleitung sowie Abschnitt 7.3.9 des nachfolgenden Aufsatzes. K9: Von den Ideen partikulärer Arten von Substanzen wie etwa Menschen, Pferden oder Gold unterscheidet Locke hier die Idee der „Substanz im Allgemeinen“. An dieser Stelle setzt Locke mit der in K8 explizierten Kritik der philosophischen Substanztheorie ein. Siehe zu einer Diskussion verschiedener Interpretationen des Substanzbegriffs Lockes Newman 2000. K10: Locke führt den Mythos des indischen Philosophen im Essay erstmals in Buch II, xiii, § 19 ein, um zu illustrieren, warum die traditionelle Substanz-Akzidens-Unterscheidung von sehr geringem Nutzen für die Philosophie sei. K11: Die Rede von der „unbekannten Essenz“ spielt auf Lockes Essenzagnostizismus an. Traditionell werden Substanzen aufgrund bestimmter essentieller Eigenschaften zu einer Art gerechnet. Von den essentiellen Eigenschaften müssen die rein akzidentellen Eigenschaften unterschieden werden. Demnach ist es z. B. nicht die Haarfarbe (akzidentelle Eigenschaft), sondern die Rationalität (Wesenseigenschaft), die Menschen zu dem macht, was sie sind. Mit anderen Worten: Dinge haben ein Wesen oder eine Essenz, aufgrund deren sie genau das sind, was sie sind, und aufgrund deren sie auch die Oberflächeneigenschaften haben, die sie nun mal haben. Locke leugnet zwar nicht, dass es Essenzen gibt, meint aber, dass sie für uns nicht erkennbar sind und deshalb auch keine Rolle für unsere Substanzzuschreibungen spielen. Locke führt diese Überlegung in Buch III, iii, § 15 im Zusammenhang mit seiner Sprachkonzeption genauer aus. Dort unterscheidet er im Hinblick auf Substanzen zwischen realen Essenzen (real essences), die für uns unerkennbar sind, und nominalen Essenzen (nominal essences), die sich unseren Verstandesleistungen (vor allem der Abstraktion und der Benennung) verdanken. Auch wenn wir irrigerweise meinen, in unseren Klassifikationen die realen Essenzen zu ‚treffen‘, greifen wir in Tat und Wahrheit auf die nominalen Essenzen zurück, die wir im Rekurs auf die für uns erkennbaren, meist oberflächlichen Qualitäten definiert haben. Siehe für eine Diskussion des Essenzbegriffs bei Locke Atherton 2007.
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K12: Die Falschheit unserer Essenzpräsuppositionen (d. h. der Unterstellung unseres Geistes, daß sich unsere Ideen auf reale Essenzen bezögen) ergibt sich aus der Unerkennbarkeit der realen Essenzen von Substanzen. Vgl. K11. K13: An dieser Stelle formuliert Locke seine für die Ideen- und Sprachtheorie gleichermaßen zentrale These der Unterstellung der doppelten Konformität. Genauso wie unser Geist stillschweigend die Übereinstimmung seiner Ideen mit den Dingen einerseits und den gleichnamigen Ideen im Geist anderer Menschen andererseits unterstellt, unterstellt er nach Locke nämlich auch, dass die Wörter einerseits die Dinge und andererseits die Ideen im Geist anderer Menschen bezeichnen, während sie in Wahrheit primär nur die Ideen im Geist des Sprechers bezeichnen. Vgl. dazu III, ii, § 4–6. K14: In dieser Passage begründet Locke die naturphilosophische These der Kausalrelation zwischen Qualitäten und einfachen Ideen (vgl. K5) durch eine teleologische These, gemäß der die Qualitäten bzw. Kräfte materieller Gegenstände in Entsprechung mit Gottes Naturgesetzen in uns genau diejenigen Ideen erzeugen, für deren Rezeption wir von Gott her ausgestattet sind. Daher kann Locke im Folgenden sagen, dass Gott die Ideen „als Kennzeichen von Distinktionen in Dingen festgelegt hat“. Darauf aufbauend sind wir wiederum in der Lage, die Dinge nach den Erfordernissen unseres Lebens zu differenzieren. Vgl. dazu auch IV, iv, § 4; Bd. 1, S. 292. K15: Lockes Essay gilt zwar als locus classicus für das Argument vom invertierten Spektrum, doch findet es sich bereits bei Gassendi, wie Puster 1991, 105–111, belegt. K16: Locke kommt hier auf das fundamentale Vermögen unserer Erkenntnis zu sprechen, das nicht in inhaltlichen oder logischen Prinzipien wie etwa dem Satz vom auszuschließenden Widerspruch liegt, sondern in der Fähigkeit, die Identität und Verschiedenheit unmittelbar zu erfassen. Dieses Vermögen benennt er je nach Kontext als das des Unterscheidens (discerning) oder als Intuition (intuition); vgl. Thiel 2006. In Essay IV, viii, § 3 hält Locke fest: „Ich gestehe außerdem zu, dass die Grundlage all unseren Wissens in unserem Vermögen (faculty) liegt, dieselbe Idee als dieselbe wahrzunehmen und sie von denen, die verschieden sind, zu unterscheiden …“ Es handelt sich bei der Intuition also nicht nur um eine Form je aktualen Erkenntnisvollzugs, sondern um das basale Vermögen, auf dem alle Erkenntnisvollzüge gründen. K17: Dies sind Lockes Formulierungen des Satzes der Identität und des Satzes vom auszuschließenden Widerspruch.
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K18: Vgl. K14. K19: Das „Vorurteil“, dass unseren durch Artnamen wie ‚Mensch‘ und ‚Tier‘ bezeichneten Ideen scharfe Artgrenzen in der Natur zugrunde liegen, wird hier in aller Deutlichkeit im Rekurs auf die Unterscheidung nominaler und realer Essenzen (vgl. K11) zurückgewiesen. Denn nach Locke stellen die definitorischen Inhalte unserer Artideen nur von uns gemachte nominale, nicht aber in der Natur als notwendig erkannte reale Essenzen dar, weshalb wir auch nicht sicher wissen, welche Eigenschaften unter einer Artbegriff fallen und welche nicht. Vgl. dazu IV, vii, § 15, wo Locke prägnant festhält, dass „wir nicht mit Gewissheit behaupten können, dass … kein Mensch durch Holz oder Steine ernährt werden kann“ oder „dass alle Menschen durch Schierling vergiftet werden, denn diese Ideen stehen weder in Verbindung noch im Widerstreit zu unserer nominalen Essenz von Mensch, zu dieser abstrakten Idee, für die der Name steht.“ K20: An dieser Stelle greift Locke auch terminologisch explizit auf die scholastische Lehre von den Begriffen (bzw. Ideen) als Zeichen (signs) zurück, die ihrerseits zu mentalen Sätzen (mental propositions) verknüpft werden können (vgl. dazu Ashworth 1984). Allerdings geht er in den nächsten Abschnitten sogleich auf die Grenzen der traditionellen Strukturanalogie von Sprache und Denken ein.
7.3 Essay: Lockes psychologische Logik der Ideen Wie bereits einleitend angedeutet wurde, soll im Folgenden ein Interpretationsvorschlag unterbreitet werden, der die ausgewählten Passagen in einen systematischen Zusammenhang stellt. Dazu soll im Ausgang vom Begriff der Idee zunächst Lockes Anliegen einer psychologischen Logik in epistemologischer Absicht skizziert werden, um dann einige Detailfragen der Ideentheorie verständlich zu machen. Leitend werden dabei die bereits in Band I angesprochenen zwei Perspektiven sein, aus denen die Ideen einerseits hinsichtlich ihres Ursprungs, andererseits als Bestandteile unserer Denkepisoden in den Blick kommen.
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7.3.1 Der Begriff der Idee (I, i, § 8; Bd. 1, S. 264) Locke definiert ‚Idee‘ im Essay ganz allgemein als Gegenstand menschlichen Denkens, wobei unter ‚Denken‘ nicht nur inferentielle Prozesse oder bewusste Grübeleien, sondern auch Wahrnehmungs- und Vorstellungsakte zu verstehen sind. Was auch immer dem menschlichen Verstand präsent ist, wenn er denkt, ist demnach Idee zu nennen. In diesem Sinne kann man unter Ideen kognitive Vehikel verstehen,11 denen ganz verschiedene Funktionen zuerkannt werden. Für die unterschiedlichen Funktionen wurden innerhalb scholastischer Kognitionstheorien verschiedene Fachausdrücke gebraucht. Während die Rolle eines solchen Vehikels als medium quo (also als Mittel, vermöge dessen wir uns auf etwas beziehen) meist unter dem Begriff der sinnlichen oder intelligiblen Species diskutiert wurde, wurde der Inhalt des durch das Vehikel Vermittelten – je nachdem, ob Inhalte der Wahrnehmung oder des Intellekts betroffen sind – als ‚sinnliches Erkenntnisbild‘ (phantasma) oder als geistiger ‚Begriff‘ (conceptus, notio) bezeichnet.12 Locke weist auf diese traditionellen Unterscheidungen im Rahmen seiner Definition hin, will aber all diese Funktionen unter dem Begriff der Idee zusammenfassen und knüpft damit an eine spätestens seit Descartes grassierende terminologische ‚Vereinfachung‘ an. Eine solche Vereinfachung bringt in der Sache freilich insofern Schwierigkeiten mit sich, als sich traditionell ver-
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Man kann Locke als Vertreter eines „schwachen“ Repräsentationalismus lesen (vgl. Bd. 1, S. 20), dem gemäß wir Ideen nicht als Ideen (oder gar Bildchen) wahrnehmen müssen; vielmehr sind Ideen gehaltvolle Repräsentationen, vermöge deren wir uns innerhalb von Wahrnehmungs- oder Denkepisoden in unterschiedlichen Weisen auf etwas beziehen können. Der Ideenbegriff ist dann als Fachausdruck zu verstehen, auf den sich ein Logiker bei der Analyse verschiedener epistemisch relevanter Inhalte beziehen kann, ohne dabei auf extramentale Dinge oder sprachliche Ausdrücke respektive deren Eigengesetzlichkeiten rekurrieren zu müssen. Gegen Kemmerlings Behauptung, der Ideenbegriff sei „neu“, werde bei Locke aber nicht einmal durch eine „Konzeption der allgemeinen Beziehung zwischen Idee und Ideatum“ bestimmt (Kemmerling 2006, 10 f.), ist hervorzuheben, dass Lockes Hinweis auf die scholastischen Hintergründe erstens verdeutlicht, dass er zwar den Fachausdruck ‚Idee‘, keineswegs aber den theoretischen Rahmen, innerhalb dessen Ideen ihren Erklärungswert haben, als neu betrachtet, und dass es zweitens gerade die Pointe seiner Ideentheorie ist, dass Ideen nicht durch eine, sondern durch verschiedenartige Idee-Ideatum-Relationen charakterisiert sind (vgl. S. 274–277). Siehe zum scholastischen Hintergrund Bd. 1, S. 9 sowie Spruit 1994.
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zweigte Diskussionspunkte der Philosophie des Geistes, der Wahrnehmungstheorie, der Epistemologie, aber auch der Metaphysik, der Moralphilosophie und viele weitere Aspekte in einem Fachausdruck manifestieren. Daher kann die Frage nach der Rolle der Ideentheorie bei einem Autor selten mit einer kurzen Bestimmung befriedigend beantwortet werden. Auch wenn Locke den Begriff der Idee gelegentlich in anderen Schriften gebraucht, kann erst mit Blick auf den Essay, der vorwiegend epistemologische Leitfragen verfolgt, von einer ausgearbeiteten Theorie der Ideen die Rede sein, die im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen entfaltet wird.13 Bevor jedoch auf Details dieser Theorie eingegangen werden kann, ist zu klären, warum und inwiefern Locke im Rahmen seiner Epistemologie überhaupt auf eine Ideentheorie zurückgreift. 7.3.2 ‚Idee‘ als Grundbegriff einer psychologischen Logik (IV, xxi, § 1, § 4; Bd. 1, S. 297; IV, v, § 2–3; Bd. 1, S. 295) Wie wir schon wissen, geht es Locke in erster Linie um die Bestimmung des Ursprungs, der Gewissheit und der Reichweite menschlichen Wissens. Wie seine Einteilung der Wissenschaften in Naturphilosophie, Ethik und Semiotik verdeutlicht, ist die Ideentheorie systematisch grundlegend für die Bestimmung des Wissens schlechthin. Während es die Naturphilosophie mit den Dingen in der Welt und die Ethik es mit unseren Handlungen zu tun hat, geht es in der „Semiotik“ um Wörter und Ideen. All unser Wissen und all unsere Meinungen – gleich ob sie sich nun auf Dinge oder Handlungen beziehen – manifestieren sich nach Locke in Aussagesätzen (propositions).14 Als Vorkommnisse einer bestimmten konventionellen Sprache sind Sätze einerseits Verbindungen von Wörtern und mithin verbale Sätze. Wörter jedoch bezeichnen nicht 13
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Dies gilt freilich schon für die Entwürfe zum Essay (die sogenannten Drafts aus dem Jahre 1671), in denen der Ideenbegriff zentral ist (siehe Locke 1990). Allerdings führt Locke den Begriff der Idee (idea) bereits in seinen Questions concerning the Law of Nature V, hrsg. v. R. Horwitz et al. 1990, 152–154, im Rahmen der Frage nach der Erkennbarkeit des moralischen Gesetzes (lex naturae) ein, indem er festhält, dass die Sinnesempfindung (sensus), die die Ideen als Material des Denkens (discursus materia) liefere, und der Verstand (ratio), der die Sinne leite und deren Ideenmaterial verarbeite, stets aufeinander angewiesen seien, so dass das eine nicht ohne das andere Vermögen (facultas) funktionieren könne. Siehe Locke, Essay II, xxxiii, § 19: 401. Vgl. Colman 1997, 197–200, bes. 198, Fn. 2.
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einfach Dinge, sondern Ideen, die ihrerseits als Bestandteile von mentalen Sätzen gesehen werden können. Die verbalen Sätze, in denen sich unsere Meinungen manifestieren, sind also Ausdrucksformen für Gedanken oder mentale Sätze, die aus Ideen bestehen. Ideen sind zwar etwas ganz anderes als Wörter, teilen aber mit letzteren ein wesentliches Charakteristikum: sie sind Zeichen. Während nämlich Wörter Ideen bezeichnen, bezeichnen Ideen die Dinge, zu denen wir allein vermöge der Ideen Zugang haben. In diesem Sinne sind unsere Überzeugungen – gleich, ob es sich um bloße Meinungen oder um Wissen handelt – im Rahmen einer Semiotik oder Logik, also einer Lehre von den Zeichen zu behandeln. Damit kann eine genauere Fassung des Ideenbegriffs formuliert werden: Insofern, als unser Wissen als eine Ordnung von Zeichen gesehen werden kann, bemisst sich der epistemologische Status des Wissens, das wir uns zuschreiben, an den Zeichen und deren Verknüpfungen. Die Fragen nach Ursprung, Gewissheit und Reichweite des Wissens müssen sich mithin an Ideen als Zeichen ausrichten. Indem Locke Ideen als Zeichen ausweist, rekurriert er zunächst auf das scholastische Modell der mentalen Sprache, gemäß dem den konventionell bezeichnenden Wörtern der verbalen Sprache eine Sprache aus auf natürliche Weise bezeichnenden Begriffen vorgeordnet ist.15 Allerdings kritisiert und modifiziert Locke dieses Modell in entscheidenden Punkten. Es nützt nämlich nichts, eine klare Unterscheidung zwischen Wörtern und Begriffen bzw. Ideen zu unterstellen, solange nicht gezeigt ist, wie diese Unterscheidung wirklich zu verstehen ist. In diesem Sinne ist sein Versuch, die Unterschiede zwischen den beiden Arten von Zeichen herauszustellen, mit der Forderung verbunden, die Grundlage für eine „andere Art von Logik“ zu schaffen, die die unterschiedlichen Eigengesetzlichkeiten von Sprache und Ideen berücksichtigt, statt die Ideen einfach als vorgeordnete, aber strukturell sprachanaloge Einheiten zu behandeln.16 Mit den epistemologischen Ausgangsfragen ist daher die
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Siehe dazu Panaccio 2003 und Ashworth 1984. Siehe Locke, Essay IV, xxi, § 4. In dem Bemühen, eine Logik der Ideen zu etablieren, steht Locke durchaus in der Tradition der cartesianischen Logique von Port Royal und der Logica Gassendis. Freilich finden sich bereits in den scholastischen Logiken nicht nur unkritische Analogisierungen von verbaler und mentaler Sprache; Locke setzt hier offenkundig eine für die meisten, aber nicht alle Lehrbücher seiner Zeit typische Kanonisierung voraus. Siehe dazu Ashworth 1984, die Lockes Ansatz allerdings als eine unkritische Adaption und Verkürzung scholastischer Positionen versteht.
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Etablierung einer Logik der Ideen17 verbunden, die sich nicht einfach auf oberflächliche Analogien zur Sprache verlässt, sondern Ursprung und Struktur der Ideen eigens untersucht. Dementsprechend lehnt sich der Aufbau des Essay zwar an die traditionelle Einteilung der Logiken gemäß den logisch-psychologischen Stufen (Begriffsbildung, Urteil, Schluss) an, trägt aber gleichzeitig eine detaillierte Kritik mit traditionellen und zeitgenössischen Positionen aus. So geht es im ersten Hauptteil (Buch I) des Essay um eine Zurückweisung der Annahme angeborener Prinzipien und ihrer Konstituenten, also der Ideen, bevor Locke in Buch II mit der Darstellung seiner alternativen Konzeption beginnt und den Ursprung der Ideen aus der Erfahrung begründet. Und bevor er in Buch IV den epistemologischen Status unserer Überzeugungen durch eine Analyse von mentalen und verbalen Satz- und Schlussformen ergründet, liefert er in Buch III eine ausführliche Kritik traditioneller Sprachauffassungen und entwickelt eine eigene Konzeption des Verhältnisses von Wörtern und Ideen. 7.3.3 Ideen im Kontext des epistemologischen Ansatzes (II, i, § 1–9; Bd. 1, S. 265–268) Locke geht stets von der Grundthese aus, dass alles Wissen und Meinen letztlich auf unserer Erfahrung gründet, die sich mit Blick auf das Zusammenspiel des erworbenen Ideenmaterials und der materialverarbeitenden angeborenen mentalen Vermögen analysieren lässt. Diese These hat zunächst eine restringierende Dimension. Eine Person kann niemals ein Wissen von x haben kann, wenn sie nicht irgendwann Ideen von x hatte. Wer beispielsweise blind geboren wurde und nie Ideen von Farben erworben hat, wird auch kein Wissen über farbliche Eigenschaften von Gegenständen haben, ganz gleich, wie viel man ihm über Farben erzählen mag (vgl. II, ii, § 2; Bd. 1, S. 269).18 Aus dieser negativ formulierten Minimalbedingung darf nun allerdings nicht der Umkehrschluss gezogen
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Siehe zu Lockes Essay als einer Logik der Ideen, die das Aristotelische Organon ersetzen sollte, Schuurman 2001. Siehe auch Essay II, iv, § 6: „Die einfachen Ideen, die wir haben, sind derart, wie sie uns die Erfahrung lehrt; wenn wir aber darüber hinaus versuchen, sie im Geist durch Wörter klarer zu machen, werden wir nicht mehr Erfolg haben, als wenn wir uns bemühten, die Dunkelheit des Geistes eines blinden Menschen durch Reden aufzuhellen und ihm die Ideen von Licht und Farben einzusprechen.“
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werden, dass alle Ideen, über die wir verfügen, irgendwann einmal einfach so in der Erfahrung gegeben gewesen sein müssen. Denn dies hätte die absurde Konsequenz, dass etwa die Idee von einem Einhorn oder von einem Tausendeck nur dann in meinem Geist sein kann, wenn sie in der Erfahrung geben war. In einem solchen Fall handelt es sich aber vielmehr um eine Zusammensetzung von Ideen, deren Bestandteile zwar auf die Erfahrung zurückgeführt werden können, nicht aber die Zusammensetzung oder das Muster. Hier kommt die Unterscheidung zwischen gegebenen einfachen und durch Verstandestätigkeit zusammengesetzten, also komplexen Ideen zum Tragen (vgl. II, xii, § 1–7; Bd. 1, S. 279–281). Wer eine Idee von z hat, darf also nicht daraus folgern, dass die Idee von z einfach so in der Erfahrung gegeben sein muss; vielmehr kann es durchaus sein, dass der Geist die Idee von z aus Ideen (z. B. Ideen von x und y) zusammengesetzt hat. Die Idee von z ist dann als komplexe Idee zu verstehen, die aus einfacheren oder sogar nicht mehr weiter analysierbaren einfachen Ideen zusammengesetzt ist. Demnach entspringen unsere Ideen nicht einfach nur aus einer von unserem Geist unabhängigen Quelle der Erfahrung, sondern durchlaufen verschiedene mentale Verarbeitungsmechanismen, die bei der Frage nach dem Ursprung der Ideen ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Es geht also, wie gesagt, um das Zusammenspiel von Ideenmaterial und Materialverarbeitung. Nun sind die Beispiele des Einhorns oder des Tausendecks natürlich Extremfälle. An ihnen lässt sich aber sogleich ein ganz anderer wichtiger Punkt aufzeigen: Ideen treten in der Regel nicht einfach so auf, sondern sind für uns in Zusammenhänge oder Meinungen eingebettet, weil wir eine Lerngeschichte durchlaufen haben.19 Wir beziehen sie nämlich mehr oder weniger bewusst auf andere Ideen, die wir bereits hatten. Die Idee des Einhorns z. B. scheint gleichsam in den Gedanken eingebettet zu sein, dass wir sie nicht anhand einer Beobachtung der Welt gebildet haben; ganz anders als die Idee eines Pferdes, die ja in gewisser Weise eine Komponente der Einhorn-Idee ist. Nun beruhen gewiss beide Ideen auf Zusammensetzungen und sind keine einfachen, sondern komplexe Ideen, doch offenbar scheinen wir die Zusammensetzung der Pferd-Idee aus der Wirklichkeit geschöpft zu haben, die der EinhornIdee jedoch nicht. Auch wenn wir gerade kein Pferd sehen, nehmen wir 19
Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt Locke gezielte Eingriffe in die Lerngeschichte bzw. Erziehung; vgl. dazu bes. das Kapitel zur Assoziation der Ideen in Essay II, xxxiii.
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doch (vermutlich) an, schon mal eines ‚in Wirklichkeit‘ gesehen zu haben. Indem wir Ideen aber auf etwas anderes beziehen, sind sie nolens volens in Meinungen eingebettet und mithin semantisch bewertbar, können also z. B. wahr oder falsch sein (vgl. II, xxxii; Bd. 1, S. 284–288).20 Um Lockes Ansatz richtig zu verstehen, ist es wichtig, sich klar zu machen, dass er die Ideen aus zwei grundverschiedenen Perspektiven diskutiert. Einerseits untersucht er sie bezüglich ihres Ursprungs als Material unseres Wissens; andererseits untersucht er sie im Hinblick darauf, wie sie aufgrund einer Lerngeschichte in unseren Denkepisoden auftreten und strukturiert sind. Grob gesprochen betreffen die Fragen des Ursprungs der Ideen und auch die nach den mentalen Operationen über Ideen zunächst die Ideen als Material (siehe vor allem die Textabschnitte aus Buch I bis Buch II, Kap. IX), während die Fragen nach der Einteilung der Ideen von Modi, Substanzen und Relationen sowie nach der Wahrheit und Falschheit von Ideen die Ideen als Bestandteile von Denkepisoden betreffen (siehe vor allem die Textabschnitte ab Buch II, Kap. XII). So ist etwa der Umstand, dass bestimmte Ideen aus der Sinneserfahrung bzw. aus der Reflexion stammen oder dass bestimmte Ideen von primären oder sekundären Qualitäten verursacht werden, eine Sache, die in unseren Denkepisoden nicht unbedingt eine Rolle zu spielen braucht, denn diese Auffassung der Ideen als Kennzeichen ihrer Ursachen ist bereits auf eine ganz bestimmte naturphilosophische Interpretation verpflichtet. Dagegen stellt sich etwa die Frage, ob eine Idee semantisch bewertbar ist, grundsätzlich dann, wenn wir sie in unserem Denken als Zeichen gebrauchen und auf etwas beziehen. Dies kann man sich wieder anhand eines einfachen Beispiels klar machen: Wenn ich eine Idee von einem Gegenstand habe, den man mit dem Namen ‚Schneeball‘ benennt, so werde ich ohne Zweifel bestimmte Ideen (gehabt) haben, auf die sich die Schneeball-Idee zurückführen lässt und zu denen unter anderem die mit dem Wort ‚weiß‘ benennbare Idee gehört; das heißt aber nicht, dass mir das gesamte Ideenmaterial eigens gegenwärtig sein müsste oder dass die Schneeball-Idee ‚einfach so‘ in der Erfahrung gegeben sein müsste. Das strukturelle Muster meiner Schneeball-Idee lässt sich zwar im Hinblick auf seinen Ursprung in der Erfahrung untersuchen, ist damit aber keineswegs erschöpfend erklärt. Der Umstand, dass Schneebälle in meinen Denkepisoden eine Rolle spielen und dass ich einen Namen dafür habe, kann nämlich nicht
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Siehe auch Essay II, xxxii, § 25: 393.
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einfach damit erklärt werden, dass es Schnee oder Schneebälle ‚gibt‘, sondern hängt mit meiner Lerngeschichte zusammen, in der bestimmte Erfahrungen und Emotionen mit durch Schnee produzierten Ideen aufgetreten sein dürften. Dementsprechend ist die Diskussion der Ideentheorie im Essay bzw. in der Textauswahl hinsichtlich dieser Doppelperspektive zu verstehen. Diese Unterscheidung der Perspektiven zieht wiederum eine gewichtige Konsequenz nach sich, die sich bei Locke zwar nicht terminologisch, wohl aber der Sache nach manifestiert, nämlich die, dass sich Ideen in zweifacher Hinsicht als Zeichen auffassen lassen. Betrachtet man sie unter dem Gesichtspunkt ihres Ursprungs, so stellen sie gleichsam Anzeichen von ihren Ursachen (also der primären und sekundären Qualitäten) dar; betrachtet man sie als Bestandteile unserer Denkepisoden, so stellen sie Zeichen für uns dar.21 Eine Idee als Bestandteil des Materials ist demnach Zeichen von etwas, nämlich von dem, was sie verursacht hat; als Bestandteile von Denkepisoden sind Ideen hingegen zudem Zeichen für jemanden, nämlich für den, der sie in seinem Denken auf eine bestimmte Weise auffasst und gebraucht. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen können wir uns nun einzelnen Aspekten der Ideentheorie zuwenden. 7.3.4 Ursprung der Ideen (II, i, § 1–9; Bd. 1, S. 265–268) Nach der Bestimmung der Ideen als Denkobjekte und der ausführlichen Zurückweisung der These angeborener Prinzipien bzw. angeborener Ideen, aus denen Prinzipien bestehen, wendet sich Locke in Buch II der Frage nach dem Ursprung der Ideen aus der Erfahrung zu. Hierbei ist sogleich hervorzuheben, dass die berühmte Metapher vom Geist als einem „weißen Papier“ offenkundig eine philosophische Fiktion darstellt, die wir zur Kontrastierung mit unserem faktischen Zustand „unterstellen“ sollen.22 Der faktische Zustand, in dem wir uns als erwachsene Men21
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Von ‚Ideen als Zeichen ihrer Ursachen‘ spricht unter anderem Michael Ayers, ohne dies jedoch klar von der Zeichenhaftigkeit der Ideen für uns zu unterscheiden (siehe Ayers 1991 I, 62). Hier spricht er von einfachen Ideen als „the natural signs of their regular causes“ und schließt daraus: „ … Locke conceived of ideas as the elements in a natural language of thought.“ Gerade in unseren Denkepisoden sind wir aber nicht darauf festgelegt, Ideen als natürliche Zeichen ihrer Ursachen aufzufassen. Die Metapher der tabula rasa findet sich bereits in Platons Theaitetos (191c) sowie in Aristoteles’ De anima III 4 (430a1). Dass es sich bei Lockes Rekurs auf sie um eine
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schen befinden, ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass wir über einen „unermesslichen Vorrat“ an Ideen verfügen. Die Aufgabe, die sich damit stellt, liegt in der Auffindung einer plausiblen Erklärung unseres Gedankenreichtums, ohne dabei auf angeborene Inhalte oder Prinzipien in Form von Ideen oder auch auf die physiologischen Grundlagen der Verstandesprozesse zurückgreifen zu müssen. Gegeben sind in diesem (fiktiven) Zustand nur die mentalen Vermögen zur Verarbeitung des Ideenmaterials, dessen Aneignung und Verarbeitung durch den Geist in den ersten Schritten nach dem methodischen Vorbild der Naturgeschichte erklärt werden soll,23 bevor (ab Kapitel XII) auf die Ideen in ihrer „Vielfalt, mit der sie die Gedanken der Menschen füllen und beschäftigen“ eingegangen wird. Die unermessliche Vielfalt unserer Ideen geht nach Locke auf zwei Quellen der Erfahrung zurück: „Sinnesempfindung und Reflexion“. Sofern die Sinnesorgane von bestimmten Gegenständen affiziert werden, werden dem Geist entsprechende Ideen übermittelt, die er wahrnimmt und verarbeitet. Richtet der Geist seine Aufmerksamkeit nun auf seine eigenen Tätigkeiten und Emotionen, die er in der Verarbeitung der Ideen vollzieht bzw. erfährt, so eröffnet sich ihm die zweite Quelle: Er empfängt Ideen von seinen Tätigkeiten. Es ist wichtig zu sehen, dass Locke die Reflexion in diesem Zusammenhang tatsächlich als Quelle von Ideen und nicht etwa als Verstandestätigkeit auffasst.24 Dementsprechend lassen sich Ideen aus der Sinnesempfindung (wie etwa solche, die mit den Ausdrücken ‚gelb‘, ‚heiß‘, ‚kalt‘, ‚süß‘ bezeichnet werden) und Reflexion (wie etwa solche, die mit den Ausdrücken ‚denken‘, ‚wollen‘, ‚zweifeln‘ bezeichnet werden) sowie Ideen, die sich aus beiden Quellen speisen, ausmachen (wie etwa solche, die mit den Ausdrücken ‚Freude‘, ‚Schmerz‘, ‚Einheit‘ bezeichnet werden).25
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methodische Fiktion handelt, die eine naturhistorische Erklärung der für die Wissensgenese relevanten Faktoren ermöglichen soll, wird nicht nur anhand der Aufforderung, man möge dies unterstellen, nahegelegt, sondern auch daran deutlich, dass Locke die Möglichkeit pränatalen Ideenerwerbs einräumt. Siehe Essay II, ix, § 7: 145. Siehe Essay I, i, § 2: 44. Den Abschluss der naturhistorischen Passagen hebt Locke in Essay II, xi, § 15, deutlich hervor. Vgl. dazu prägnant Wild 2006, 220. So bereits Krüger 1973, 50–54. Vgl. auch Thiel 2006, bes. 107–112. Ich danke Katrin Nolte für nachdrückliche Hinweise auf zahlreiche Missverständnisse des Reflexionsbegriffs. Für die letztere Art von Ideen siehe Essay II, vii.
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7.3.5 Gegebenheit von Ideen: Ideenmaterial und Ideenverarbeitung (II, i, § 25; II, ii, § 1; Bd. 1, S. 268) Mit Blick auf die Aufnahme des Materials betont Locke die weitgehende Passivität des Verstandes (II, i, § 25; Bd. 1, S. 268). Die einfachen Ideen bieten sich dem Geist – im Gegensatz zu den durch eigene Tätigkeit verbundenen oder in bestimmter Verbindung erfassten komplexen Ideen – wie einem Spiegel dar. Damit ist allerdings keineswegs gesagt, dass der Verstand die Rolle eines unbeteiligten Rezeptors hätte. Ebenso wenig ist damit gesagt, dass der Verstand die Ideen wie „Atome“ wahrnehmen würde. Vielmehr ist hier die auf den Ursprung konzentrierte Analyseperspektive zu beachten. Wie Locke nämlich sogleich herausstellt, geht es ihm hier wesentlich um zwei Aspekte: Erstens kann der Geist, wenn er wahrnimmt, nicht verhindern, dass er wahrnimmt, was er wahrnimmt; zweitens kann der Geist das Material der einfachen Ideen nicht zerstören oder einfach erfinden. Wenn ich beispielsweise aufgrund einer Affizierung meiner Sinnesorgane eine Weißwahrnehmung habe, kann ich dies nicht abweisen; ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass ich diese Weißwahrnehmung aufgrund einer angeborenen Idee oder einer magischen Erfindungsleistung in meinem Geist hätte. In diesem Sinne kommt den einfachen Ideen eine Schlüsselrolle für die realistische Fundierung unseres Wissens zu, die in der naturphilosophischen Lehre von den Qualitäten ihr Gegenstück hat. Die Qualitäten von Dingen sind nämlich Kräfte, welche infolge göttlicher Festlegung in uns entsprechende einfache Ideen erzeugen (vgl. II, xxxii, § 14; Bd. 1, S. 286). Mit Blick auf vielfache Missverständnisse muss jedoch sogleich betont werden, dass Locke hier nicht die faktischen oder phänomenalen Wahrnehmungsprozesse im Blick hat, sondern hinsichtlich der Ausgangsfiktion der tabula rasa eine für die Ursprungsfrage zentrale Komponente der Materialrezeption herausarbeitet. Andernfalls müssten wir Locke die psychologisch recht merkwürdige Annahme zuschreiben, dass wir es in unseren bewussten Wahrnehmungs- und Denkepisoden nicht etwa mit Gegenständen, sondern mit einer Vielzahl distinkter Ideen oder „Gegebenheitsatome“ zu tun haben.26 Dieser Vorwurf trifft Lockes 26
Siehe für diese Zuschreibung bereits Thomas Reid, Essays on the Intellectual Powers of Man, Edinburgh 2002, 327, für den Atomismusvorwurf exemplarisch Kambartel 1968, 26 u. 104. Specht 2006, 75, unterstellt eine „Vorabstraktion“ von Seiten der Sinne. Siehe für eine Bewertung der Auseinandersetzung Krügers mit diesem
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Konzeption jedoch nicht, denn er stellt dieser Beschreibung der Rezeptivität gleich im nächsten Abschnitt explizit die Beschaffenheit der unsere Sinne affizierenden Gegenstände sowie die von uns faktisch als komplex erfahrene phänomenale Wahrnehmungssituation gegenüber: „Obwohl die Qualitäten … in den Dingen selbst so vereint und vermischt sind …“ und „obwohl“ die Sinne „zur gleichen Zeit verschiedene Ideen vom selben Gegenstand aufnehmen [,] … sind die derart … vereinten einfachen Ideen doch auf so vollkommene Weise distinkt, wie jene, die durch verschiedene Sinne eintreten.“ (II, ii, § 1; Bd. 1, S. 269; Hervorhebung durch M.L.) Demnach treten uns die Ideen innerhalb von Wahrnehmungs- oder Denkepisoden nicht distinkt als einfache Einheiten entgegen, lassen sich aber durchaus als distinkte Komponenten des Materials analysieren. Obwohl ich beispielsweise einen Schneeball zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Begleitumständen wahrnehme,27 sind die Ideen, in die sich diese Wahrnehmung zerlegen lässt, wenn man sie im Hinblick auf ihren Ursprung betrachtet, distinkte einfache Ideen, die – da sie nicht weiter unterscheidbar sind – ihrerseits einheitliche Erscheinungen (uniform appearances) sind.28 Das heißt nichts anderes, als dass Ideen – aus der Materialperspektive betrachtet – distinkt sind, ohne dass wir deren Distinktheit in unseren Denkepisoden bemerken müssten. Locke verdeutlicht dies unter anderem anhand der Raumund Bewegungsidee. So kann die Idee der Bewegung weder ohne die Raumidee auftreten noch vorgestellt werden – man versuche, sich eine Bewegung ohne Raum vorzustellen! –, aber dennoch sind die beiden Ideen keineswegs identisch, da nach Locke Raum ohne Bewegung exis-
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Vorwurf Engfer 1996, 193–199. Dass die Metapher der tabula rasa Locke-Interpretationen zum Verhängnis werden kann, hat Jolley 1999, 28, überzeugend herausgestellt. Die Rede von Begleitumständen (concomitants) setzt freilich eine Unterscheidung von Gegenstand und Begleitumständen voraus; diese Unterscheidung hängt aber nicht in der Luft und bildet auch keinen Zirkel, sondern ließe sich mit Blick auf in unserer Lerngeschichte etablierten Emotionen und Präferenzen begründen, wie dies in Ansätzen in Essay II, vii, § 2: 128, geschieht. Wie Krüger 1997, 77, überzeugend herausgearbeitet hat, handelt es sich bei dem einfachen Ideenmaterial in diesem Sinne um das nur „ostensiv Definierbare“. Das heißt – anders als z. B. Jolley 1999, 54, behauptet – aber gerade nicht, dass Abstraktheit und Einfachheit sich ausschlössen. Was sich hier in Wahrheit gegenübersteht, sind Ideen als Material und Ideen als Bestandteile von Denkepisoden. Einfache Ideen sind, sofern sie in unseren bewussten Denkepisoden in ihrer Einfachheit erfasst werden, grundsätzlich abstrakt, wie die skizzierten Beispiele verdeutlichen.
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tieren kann. Um die Ideen aber als distinkte Ideen zu erfassen, müssen wir eine partielle Betrachtung vollziehen.29 Ein weiteres Beispiel dafür stellt der Umstand dar, dass der Geist das aus den Sinnesempfindungen gewonnene Ideenmaterial nach Locke durch Urteile verändert, ohne dass wir davon Notiz nehmen. So nehmen wir aufgrund kognitiver Habitualisierung etwa bestimmte Bilder als dreidimensional wahr, obwohl wir in Tat und Wahrheit nur eine zweidimensionale Fläche vor uns haben (II, ix, § 8; Bd. 1, S. 276). Hier liegen mithin Aktivitäten des Verstandes vor, die über das bloße Aufnehmen des Materials hinausgehen, aber dennoch nicht bewusstem oder willentlichem Nachdenken geschuldet sind. In diesen Zugriffen auf das Material vollziehen sich nicht nur die Prozesse (etwa des Unterscheidens und Vergleichens), die wir in einem gewissen Grad mit den Tieren gemeinsam haben, sondern auch der Gebrauch der Ideen als Zeichen, die durch das Erfassen der Ideen als von je konkreten Begleitumständen unabhängigen Zusammenhängen zu abstrakten Repräsentationen werden (II, xi, § 8–9; Bd. 1, S. 278). Indem Locke die Betrachtung unserer vielfältigen Denk- und Wahrnehmungsepisoden mit der Perspektive der Herkunft des Ideenmaterials konfrontiert, lenkt er den Blick – grob gesprochen – auf zentrale Unterschiede zwischen Ideen, verarbeitetem Ideenmaterial und dem Gebrauch oder der Interpretation dieses Inputs.30 Damit ergibt sich etwa folgendes Bild: Beschreibt man die kognitiven Vorgänge einer Person, die z. B. einen Baum wahrnimmt, so kann man unter diesen ideentheoretischen Prämissen auf verschiedenen Stufen der Beschreibung ansetzen. Setzt man bei der Wahrnehmung des Baumes, also eines Gegenstandes an, so ist man bereits auf der Ebene des Gebrauchs oder der Interpretation von Ideen, denn der Umstand, dass eine Person einen Gegenstand als Gegenstand (einer bestimmten Art von Gegenständen) wahrnimmt, setzt bereits Verarbeitungsprozesse voraus, die dafür sorgen, dass bestimmte Ideen als eine komplexe Idee erfasst werden, die in unserem mentalen Leben eine Rolle spielt. Man kann auch auf der Stufe der Verarbeitungs29
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Siehe Essay II, xiii, § 11–13: 172–173. Mithin folgt aus einem metaphysischen Atomismus gerade kein ‚phänomenaler‘ Atomismus (der Denkepisoden), innerhalb dessen wir es mit „Gegebenheitsatomen“ zu tun hätten. Der Gebrauch oder die Interpretation von Ideen kann im Laufe der Lerngeschichte eines Menschen allerdings wiederum zu einer unmerklichen Gewohnheit habitualisiert werden. Dies korreliert in frühen Entwicklungsstadien vor allem mit dem Spracherwerb; bei Erwachsenen spielen insbesondere Assoziationsmechanismen eine Rolle, aufgrund deren kontingente Korrelationen von Ideen oder Tätigkeiten habitualisiert werden können. Siehe vor allem Essay II, xxxiii.
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prozesse ansetzen und zu erklären versuchen, welche Verstandestätigkeiten eine solche Gegenstandswahrnehmung voraussetzt: Hier ist zu untersuchen, welche Struktur die Baum-Idee hat und welche Aktivitäten (wie etwa Erinnerungs-, Vergleichs- oder Abstraktionsprozesse) zur Bildung der komplexen Baum-Idee führen. Man kann aber auch bei den einfachen Komponenten der Baum-Idee ansetzen und z. B. zu erklären versuchen, auf welche physischen Prozesse und Sinnesorgane und auf welche extramentalen Faktoren sich die Rezeption derjenigen Komponenten zurückführen lässt, die uns schließlich in die Lage versetzen, dass wir ‚einen Baum‘ wahrnehmen. 7.3.6 Einfache Ideen und Qualitäten (II, viii, § 7–15; Bd. 1, S. 272–275) Wie schon angedeutet wurde, sind die Ideen nicht einfach Zeichen für uns, sondern lassen sich unter der Ursprungsfrage als Kennzeichen von etwas auffassen.31 Locke begnügt sich mithin nicht damit, die Komponenten der Ideen, über die wir verfügen, mit Blick auf die Quellen der Reflexion und Sinnesempfindung sowie auf die Affizierung unserer Sinnesorgane zurückzuführen (II, iii, § 1–2; Bd. 1, S. 271), sondern kombiniert diese Betrachtung mit der von Robert Boyle inspirierten naturphilosophischen Unterscheidung der primären und sekundären Qualitäten.32 Einfache Ideen sind in diesem Zusammenhang als Zeichen derjenigen Qualitäten zu sehen, die ihrerseits die Ideen in uns verursachen. Um möglichen Missverständnissen bezüglich dieser Zeichenrelation zwischen einfachen Ideen und den Qualitäten der Dinge entgegenzutreten, hält Locke sogleich fest, dass die Repräsentationsbeziehung nicht durch Ähnlichkeit oder Bildlichkeit, sondern durch Kausalität begründet ist (§ 7). Das heißt, dass zwar eine Ähnlichkeit zwischen Idee und Qualität vorliegen kann – wie nämlich im Falle der Ideen von primären Qualitäten, die im Unterschied zu den Ideen sekundärer Qualitäten durchaus Ähnlichkeiten sind (§ 15) –, dass jedoch die repräsentationale Beziehung zwischen Idee und Qualität auf kausal wirksamen Impulsen beruht (§ 11–14). Gemäß dieser naturphilosophischen Auffassung lassen sich die Kompo-
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Berkeley wird unter anderem genau den Punkt, Ideen seien als Repräsentationen materieller Gegenstände aufzufassen, bestreiten. Siehe dazu prägnant Saporiti 2006, 9 ff. sowie Bd. 1, 24. Siehe zu dieser Unterscheidung Perler und Wild 2008, 29–48.
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nenten unserer komplexen Ideen also auf Wahrnehmungen der Qualitäten bzw. Effekte von Kräften in den Dingen zurückführen. Wie schon angedeutet wurde, ist mit dieser Entsprechung oder kausalen Kovarianz33 zwischen einfachen Ideen und Qualitäten der Schwerpunkt der realistischen Verankerung der Ideentheorie gegeben, denn die Kausalbeziehung zwischen den Qualitäten und einfachen Ideen ist aufgrund der durch Gott garantierten prästabilierten Passung als eine stets veridische Zeichenrelation deutbar. Auch wenn die äußeren Gegenstände also letztlich nichts anderes sind als mit bestimmten Kräften versehene Materieteilchen oder Korpuskeln, erzeugen deren Kräfte entsprechende Ideen primärer bzw. sekundärer Qualitäten. Das diesen Überlegungen zugrunde liegende Modell kann man sich im Rückgriff auf die in der Einleitung zu Bd. 1 skizzierte Triangulation verdeutlichen:34 Gott hat (gleichsam an der Spitze des Dreiecks) den äußeren Gegenständen (an der zweiten Ecke des Dreiecks) die Kraft gegeben, in uns (an der dritten Ecke des Dreiecks) entsprechende einfache Ideen zu erzeugen, so dass wir in der Lage sind, die Ideen als Kennzeichen der Unterschiede zwischen Dingen zu gebrauchen (vgl. II, xxxii, § 14; Bd. 1, S. 286). 7.3.7 Perspektivenwechsel: Ideen in Denkepisoden (II, xii, § 1–7; Bd. 1, S. 279–281) Allerdings finden sich auch bei Locke charakteristische Transformationen des Triangulationsmodells, und zwar erstens insofern, als Locke die Rolle der Ideen bezüglich menschlicher Lebensbedingungen betont. Die Veridizität des Inhalts der einfachen Ideen liegt nämlich nicht in einer Entsprechung zur metaphysischen Struktur der Qualitäten, sondern schlicht in der Konstanz der Passung und dem damit einhergehenden diskriminativen Verhältnis zu allen anderen Ideen.35 Es kommt für uns mithin gerade nicht darauf an, die realen Essenzen zu erkennen (was wir ohnehin nicht können), sondern allein darauf, Dinge wiederzuerkennen 33
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Von einer „kausalen Kovarianz“ zwischen einfachen Ideen und Qualitäten sprechen treffend Cummins 1989, Kap. 4, und Ferguson 2001. Siehe Bd. 1, S. 22–25. Dies stellt Locke besonders durch die Diskussion invertierter Spektren heraus: So kommt es nicht darauf an, dass dieselbe sekundäre Qualität – ceteris paribus – bei verschiedenen Wahrnehmenden Ideen derselben Farben hervorruft, sondern nur darauf, dass sie für einen jeden Wahrnehmenden jeweils dieselbe Farbidee hervorruft. Siehe Essay II, xxxii, § 15; Bd. 1, S. 286–288.
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und zuverlässig aufgrund ihrer Qualitäten in einem für uns zuträglichen und nützlichen Maße unterscheiden zu können (vgl. II, xxxii, § 14–15; Bd. 1, S. 286–288). Damit ist – zweitens – die Passungsrelation zwischen Qualitäten und Ideen aus zwei entgegengesetzten Richtungen zu interpretieren: Zum einen kann man freilich in naturphilosophischer Absicht die einfachen Ideen als Zeichen von Qualitäten sehen. Offenbar sind wir als Menschen aber keineswegs auf diese repräsentationale Sicht festgelegt. Mit anderen Worten: Wir sind nicht einfach mimetisch agierende Ideenrezeptoren; vielmehr verarbeitet unser Geist aufgrund seiner Lerngeschichte die Ideen durch zahlreiche Operationen, so dass sie Zeichen für uns sind, die wir in unseren Denkepisoden auf vielfältige Weise (und eben nicht nur unter einer bestimmten naturphilosophischen Interpretation) als Modi, Substanzen und Relationen auffassen bzw. gebrauchen. In diesem Sinne könnte man sogar sagen, dass der Geist aus dem Ideenmaterial ‚Dinge‘ oder, genauer gesagt, Zeichen für Dinge macht, wo es streng gesprochen nur Korpuskeln geben soll. Denn es ist die Aktivität des Verstandes, die dafür sorgt, dass wir unterstellen, die wahrgenommenen Qualitäten inhärierten Substanzen, also unter anderem den mittelgroßen Dingen, auf die wir in unserem Leben für gewöhnlich Bezug nehmen (vgl. II, xxiii, § 1–4; Bd. 1, S. 282–284), und dass wir mathematische und moralische bzw. kulturbezogene Begriffe (sog. einfache bzw. gemischte Modi) bilden, mit deren Hilfe wir unter anderem unser Zusammenleben regeln (vgl. II, xxii, § 1, § 4; Bd. 1, S. 281). Daher spricht Locke hinsichtlich der komplexen Ideen von der „Herrschaft“ (II, ii, § 2; Bd. 1, S. 270) oder „Macht“ (II, xii, § 1–2; Bd. 1, S. 279) des menschlichen Geistes, die freilich mit Blick auf die einfachen Ideen als Material restringiert ist und von dort aus in ihrer Reichweite naturphilosophisch zu korrigieren ist. Mit dem Übergang zu den komplexen Ideen wechselt Locke also die Perspektive: Die Ideen werden nicht materialiter bzw. bezüglich ihres Ursprungs untersucht, sondern bezüglich ihrer Strukturen in unseren Denkepisoden und bezüglich ihres Verhältnisses zueinander, so dass schließlich wiederum die im Denken erhobenen Wissensansprüche in der Konfrontation mit den ihnen zugrunde liegenden Materialien überprüft werden können.
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7.3.8 Modus-Ideen (II, xxii, § 1, § 4; Bd. 1, S. 281 f.) Modi sind wie alle anderen komplexen Ideen durch Verstandesoperationen am einfachen Ideenmaterial gebildete Ideen. Neben einfachen Modi, die durch Ausdrücke wie ‚Abstand‘ (ein Modus der einfachen Raum-Idee), ‚Stunde‘, ‚Tag‘ oder ‚Ewigkeit‘ (temporale Modi) bezeichnet werden, spielen die gemischten Modi, die z. B. durch Ausdrücke wie ‚Trunkenheit‘ oder ‚Mord‘ bezeichnet werden, eine wesentliche Rolle. An ihnen lässt sich auch zeigen, was für Lockes Ideentheorie im Allgemeinen gilt: nämlich die starke Abhängigkeit unseres mentalen Lebens vom Gebrauch der Sprache, die eben nicht nur expressive, sondern auch kognitive Funktion hat, indem sie z. B. gemischte Modus-Ideen überhaupt erst als Einheiten verfügbar macht.36 7.3.9 Substanz-Ideen (II, xxiii, § 1–4; Bd. 1, S. 282–284) Im Gegensatz zu den gemischten Modi sind die Verbindungen einfacher Ideen zu einheitlichen Substanzideen derart, dass ihnen entsprechende Muster in der Realität unterstellt werden. Wenn wir etwa Pferde wahrnehmen oder an Bäume denken, unterstellen wir (aufgrund der in unserer Lerngeschichte etablierten unmerklichen kognitiven Gewohnheiten), dass die entsprechenden Gegenstände in der Realität existieren bzw. existiert haben, obwohl wir in Tat und Wahrheit nur Ideen bestimmter Qualitäten als vereint erfassen. Da wir uns aber grundsätzlich nicht vorstellen können, dass Qualitätsideen ohne ein Ding auftreten, an dem die Qualitäten existieren, unterstellen wir, dass sie zu einem Ding gehören. Eine Substanzidee ist demnach das Ergebnis einer Unterstellung, also eines impliziten Urteils.37 Locke eröffnet seine Überlegungen zur Idee der Substanz mit einer dicht formulierten Aufschlüsselung der in dieser Unterstellung involvierten Verstandestätigkeiten. Der Umstand, dass 36
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Siehe neben zahlreichen verstreuten Passagen im Essay vor allem Buch III, das hier leider nicht behandelt werden kann. Siehe zur Sprachphilosophie Lockes und anderer Autoren des 17. Jh.s Dawson 2007. Es ist keineswegs übertrieben, wenn Locke sich insbesondere bezüglich der Rolle der Sprache für die gemischten Modi ein innovatives Verständnis zuerkennt. Siehe dazu Essay III, v, § 16: 437 f. Locke spricht an dieser Stelle nicht ausdrücklich von impliziten Urteilen; vgl. aber Essay II, xxxii, § 1 u. 4 sowie § 26, wo Locke im Anklang an die spätscholastische Tradition von stillschweigenden Unterstellungen und stillschweigenden Sätzen spricht, die „virtuell“ in den Ideen enthalten sind.
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der Verstand Bündel einfacher Ideen zu einer komplexen Idee macht, die mit einem Namen benannt wird, ist offenbar einem psychischen Zwang zur Gegenstandskonstitution geschuldet, bietet aber gleichzeitig auch Anlass zu dem philosophischen Postulat von Substanzen, das Locke einer scharfen Kritik unterzieht. Die Tatsache, dass wir nicht anders können, als konstant vereint auftretende Qualitäten einem Ding zuzuschreiben, verleiht uns nach Locke keinerlei Wissen über die Substanz. Indem Locke den Substanzbegriff als komplexe Idee mit einer implizit propositionalen Struktur ausweist, erschüttert er das in der traditionellen Logik grassierende Modell, gemäß dem Begriffe bzw. Termini von Substanzen als einfache Bausteine gelten, die erst in Urteilen miteinander verknüpft werden, und bricht auf diese Weise mit der Strukturanalogie zwischen sprachlichen und mentalen Einheiten.38 Von hier aus geht er konsequent zu einer Kritik der an den schularistotelischen Kategorien orientierten Metaphysik über, die substantielle Formen zur Erklärung der Beschaffenheit von Gegenständen postuliert (vgl. IV, iv, § 11–14; Bd. 1, S. 293–295): Die realen Essenzen (oder die reale Konstitution) der Dinge sind nach Locke für uns weder erkennbar noch sprachlich verfügbar; und das, was solche Philosophen für Essenzen halten, wird als eine von uns vorgenommene Zuschreibung herausgestellt (II, xxiii, § 3; Bd. 1, S. 283).39 Wie Locke an anderer Stelle ausführt, sind letztlich alle Ideen, über die wir in unseren faktischen Denkvollzügen verfügen – gleich, ob es sich nun um abstrakte einfache Ideen, Substanzideen, Modusoder Relationsideen handelt –, nicht der Erkenntnis der internen Konstitution von Dingen geschuldet. Vielmehr handelt es sich um nominale Essenzen, die sich Verstandestätigkeiten (vor allem der Abstraktion und der Benennung) verdanken.40 Verbindet man diesen Gesichtspunkt mit der naturphilosophischen Qualitätenlehre, so muss die Frage nach dem extramentalen Realitätsgehalt unseres Wissens, das sich in expliziten propositionalen Ideenverknüpfungen (oder sprachlich verfassten Sätzen) manifestiert, konsequenterweise mit Blick auf die Herkunft der Komponenten, also des einfachen Ideenmaterials entschieden und restringiert werden (vgl. IV, iv, § 4–5; Bd. 1, S. 292).
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Siehe zu traditionellen Positionen in der Scholastik Dawson 2007, 17–35, zur Strukturanalogie bei den sog. Sprachplanern Lewis 2007, 11–22. Die Deutung der Bildung und des Status der Substanzideen ist sehr umstritten. Siehe für einen Überblick und eine schlüssige Interpretation Newman 2000. Siehe Essay, II, xxxi, § 12–14: 382–384.
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7.3.10 Ideen und Präsuppositionen (II, xxxii, § 1; Bd. 1, S. 284) Wie deutlich geworden ist, sind unsere Ideen – betrachtet man sie nicht als Material – durch Verstandestätigkeiten und sogar implizite Urteile geprägt. Man könnte dies – etwas anachronistisch gesprochen – dadurch charakterisieren, dass Ideen innerhalb von Denkepisoden in Hintergrundannahmen eingebettet sind, vermittels deren sie (gerechtfertigter- oder ungerechtfertigterweise) auf anderes bezogen werden.41 Es sind diese Hintergrundannahmen oder Präsuppositionen, die bereits Ideen und eben nicht erst explizite Urteile oder Sätze semantisch bewertbar (z. B. adäquat oder inadäquat, wahr oder falsch) machen.42 Locke widmet der Frage der semantischen Bewertbarkeit von Ideen ausführliche Überlegungen. Zu Beginn des Kapitels über wahre und falsche Ideen hält er sogleich fest, dass Wahrheit und Falschheit eigentlich nur Sätzen zukommt, Ideen aber dann wahr oder falsch genannt werden (§ 1), wenn der Geist sie stillschweigend auf etwas bezieht (§ 4), sei es auf die Ideen im Geist anderer Menschen, die reale Existenz von Dingen (z. B. Substanzen) oder eine unterstellte reale Essenz (§ 5). All diese Bezugnahmen – so könnte man sagen – machen die Ideen überhaupt erst zu Zeichen für uns, doch im Gebrauch der Ideen liegt freilich gleichzeitig ihre Fehleranfälligkeit, da natürlich die Grundthese gilt, dass unser kognitiver Zugang auf unsere Ideen selbst beschränkt ist. Ihre Veridität ist nach Lockes Auffassung letztlich mit Blick auf die mit den Qualitäten kovariierenden einfachen Ideen zu entscheiden (§ 14). Neben der Existenz- und der (mit Blick auf Extramentales grundsätzlich falschen) Essenzpräsupposition fällt besonders die Unterstellung der interpersonalen Ideenkonformität ins Auge, die Locke gleich zu Beginn nennt (§ 5).
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Hierdurch wird auch nochmals deutlich, dass selbst die einfachen Ideen in unseren Denkepisoden nicht einfach als distinkte Gegebenheiten auftreten, sondern in Hintergrundannahmen eingebettet sind oder solche implizit mit sich tragen. Vgl. dazu Lockes Bemerkung gegenüber Stillingfleet: „ … all simple ideas, as sensible qualities, carry with them a supposition … of a substance in which they inhere.“ Locke, The Works II, 354. Siehe dazu Lennon 2007, 254. Wollte man diesen Punkt noch stärker systematisieren, so könnte man mit Blick auf Ideen in unseren Denkepisoden – stark verkürzt – sagen: Einzelne Ideen sind (aufgrund bestimmter Verstandesoperationen und impliziter Urteile) in Hintergrundannahmen eingebettet, sie sorgen gewissermaßen dafür, dass das Ideenmaterial überhaupt als Zeicheninventar für uns zur Verfügung steht; demgegenüber beziehen sich explizite Urteile (als propositionale Einstellungen) stets auf Verknüpfungen von Ideen.
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Diese Unterstellung könnte ‚Begriffspräsupposition‘ genannt werden (vgl. K13), denn im Grunde geht es bei dieser Annahme darum, dass es sich bei der Idee in meinem Geist nicht nur um meine Idee handelt, sondern um das, was in der traditionellen Logik als Begriff bezeichnet wird: um eine Idee, über die (unter angemessenen kognitiven Bedingungen) jeder verfügen kann. In der anschließenden Begründung der von uns stets „voreilig“ unterstellten „doppelten Konformität“ der Ideen zu Dingen und Namen (§ 8) wird deutlich, dass die begriffliche Stabilität der abstrakten Ideen im Grunde auf kaum mehr als ein (durchaus erschütterbares) Vertrauen in die geläufige Sprachpraxis gegründet ist (vgl. IV, v, § 4; Bd. 1, S. 296 f.), die nicht zuletzt deshalb einer ausführlichen Analyse unterzogen wird (Buch III). 7.3.11 Ideenverknüpfungen im Verhältnis zu Wissensakten (IV, i, § 1–3; Bd. 1, S. 288) Während die Verstandesoperationen und Hintergrundannahmen uns das Ideenmaterial als Zeichen verfügbar machen, sind es die Verknüpfungen dieser Zeichen, auf die sich unsere Meinungs- und Wissensakte richten. Wie Locke unmissverständlich festhält, manifestiert sich all unser Wissen ebenso wie unser Vermuten und Meinen in Sätzen.43 Wenn wir Ideenverknüpfungen losgelöst von sprachlichen Ausdrücken erfassen, so handelt es sich dabei um mentale Sätze (vgl. IV, v, § 3; Bd. 1, S. 296). Mit dieser Bestimmung des Wissens ist also kein bereits irgendwie inhaltlich gefülltes allgemeines Prinzip oder Fundament für Wissen angegeben, sondern seine formale Struktur. Dieses Strukturprinzip ist allerdings von der fundamentalen Voraussetzung allen Denkens und Wissens her zu begreifen: Sofern der Geist überhaupt etwas erkennt, erkennt er Ideen; und sobald der Geist Ideen wahrnimmt, erkennt er diese als mit sich identisch und als von anderen verschieden. Wichtig für Locke ist dabei, dass dem Geist damit beispielsweise nicht der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch oder der Satz der Identität gegeben wäre, sondern dass es sich hier um ein formal charakterisiertes Vermögen handelt, das alle Akte über Ideen betrifft – unabhängig davon, welchen Inhalt diese Ideen haben mögen.44 43
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Siehe für eine sorgfältige Analyse des Wissensbegriffs und der involvierten kognitiven Prozesse Newman 2007. Siehe Essay IV, viii, § 3: 610; vgl. dazu prägnant Thiel 2006, 99 f.
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Wie ist nun aber das Zusammenspiel von Ideenverknüpfungen und den mentalen Akten, mittels deren unser Geist sich auf diese Verknüpfungen richtet, zu verstehen? Locke spricht zunächst von der „Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung“ (§ 2). Was aber soll das heißen, wenn doch alle Ideen auf irgendeine Weise voneinander verschieden sein dürften? Hier muss man sich erstens klar machen, dass Ideen grundsätzlich in einer Urbild-Abbild-Relation zu verstehen sind (vgl. IV, iv, § 1–7, § 11–14; Bd. 1, S. 290–295).45 Wenn ich z. B. eine Gold-Idee mit bestimmten Hintergrundannahmen (wie z. B. der Unterstellung, dass es sich bei Gold um eine existierende oder existiert habende Substanz handelt) im Gedächtnis habe, dann unterstellt mein Geist ein Urbild, von dem er es zu haben glaubt (in diesem Fall ein Muster in der Realität) und auf das er Bezug nimmt, wenn er z. B. wahrnimmt und die mentale Affirmation „Gold ist gelb“ tätigt. Nun könnte man natürlich sofort zurückfragen, was es zu affirmieren gibt, wenn in meiner komplexen Gold-Idee doch schon längst die Gelb-Idee enthalten ist. Worin soll der Unterschied zwischen komplexer Idee und Ideenverknüpfung liegen? Allerdings enthält die Frage bereits die Antwort, denn zu dem Urbild-Abbild-Modell kommt zweitens eine Logik des Enthaltenseins hinzu.46 Natürlich wird eine einigermaßen korrekte Gold-Idee die Gelb-Idee enthalten (sofern es sich nicht um die Gold-Idee im Geist eines von Geburt an Blinden handelt). Und genau dies wird der Geist wahrnehmen, wenn er die beiden Ideen in Verknüpfung wahrnimmt. Im Unterschied zum Verfügen über ein Urbild (also der komplexen GoldIdee) liegt das Urteil bzw. der Wissensakt nun darin, diese Übereinstimmung explizit zu machen bzw. auszupacken. Mit diesen Hinweisen lässt sich nun auch das nach Locke fundamentale Prinzip allen Denkens und Wissens verstehen: Welche Ideen auch immer der Geist als Verknüpfungen erfasst, er kann sie in der skizzierten Weise als übereinstimmend oder widerstreitend wahrnehmen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Berücksichtigung von Lockes Doppelperspektive auf Ideen einen Interpretationsansatz eröffnet, der einige Probleme der älteren Kommentarliteratur zu umgehen scheint. Hier ging es vor allem darum, einen Blick auf die Ideentheorie zu gewinnen, der ihren Skopus nicht auf Fragen der Wahr45
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Zur Relation zwischen Archetypes und Copies siehe vor allem Essay II, xxxi, § 1–13: 375–387. Zu diesem Aspekt und zu Lockes Begriff der Analytizität im Allgemeinen siehe Katz 1992, 11–12, sowie Newman 2007.
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nehmung oder des Zusammenhangs mit der Qualitätenlehre einschränkt, sondern in einigen Punkten auch ihre Anwendung auf die Leitfragen des Essay einzuholen versucht. Freilich ist damit keineswegs gesagt, dass Lockes Ideentheorie gegen alle möglichen Einwände immun wäre. Doch da Lockes Ansatz wieder und wieder der Inkonsistenz bezichtigt wird, scheint es bei diesem Autor besonders geboten, zunächst einen Zugang zu suchen, der nicht bei Einzelproblemen ansetzt und stehen bleibt, sondern Zusammenhänge verdeutlicht. Denn systematische Einwände sind meines Erachtens nur dann gewinnbringend, wenn die Systemstellen, an denen sie ansetzen, im Kontext situierbar sind. Sofern die angestellten Überlegungen einige Koordinaten hervorheben konnten, ist sicher noch kein Ziel erreicht, vermutlich nicht mal ein Schritt getan, aber vielleicht eine gangbare Richtung angezeigt.
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Einführung: Die theologische Einbettung von Leibniz’ Ideentheorie
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8. Gottfried Wilhelm Leibniz Christian Barth
8.1 Einführung: Gottes Ebenbilder – die theologische Einbettung von Leibniz’ Ideentheorie Alle Ideentheorien des 17. und 18. Jahrhunderts sind wesentlich durch das zu dieser Zeit vorherrschende religiöse Weltbild geprägt. Mit Ausnahme von Spinoza steht im Zentrum dieses Weltbilds die christliche Vorstellung eines personalen Schöpfergottes, der sich durch absolute Vollkommenheit auszeichnet. Diese Vollkommenheit schlägt sich in den Eigenschaften der Allmacht, Allgüte und Allwissenheit nieder. Aufgrund dieser Eigenschaften nimmt Gott eine einzigartige, herausgehobene Stellung unter allen Wesen ein. Allerdings beinhaltet diese Gottesvorstellung systematische Herausforderungen, an deren Bewältigung sich nicht nur frühneuzeitliche Theologen, sondern vor allem auch frühneuzeitliche Philosophen versucht haben. Notorisch ist das Problem der Theodizee,1 das in der frühneuzeitlichen Philosophie Gegenstand intensiver Diskussionen war. Wie kann ein vollkommenes Wesen eine Welt erschaffen, in der offensichtlich moralische Verfehlungen wie unverschuldetes Unglück an der Tagesordnung sind? Die Allwissenheit des Schöpfergotts garantiert, dass dieser die beste aller möglichen Welten erkennt. Seine Allgüte sorgt dafür, dass die Welt, die er erschaffen will, auch die beste aller möglichen Welten ist. Seine Allmacht befähigt ihn schließlich dazu, diesen Willen auch umzusetzen und die beste aller möglichen Welten zu erschaffen. Wenn aber die geschaffene Welt Unglück und moralische Verfehlungen einschließt, wie ist dieses Faktum dann mit der christlichen Vorstellung eines vollkommenen Schöpfergottes vereinbar? Leibniz’ Lösungsversuch des Theodizeeproblems geht auf den Grundgedanken zurück, dass der
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Der Bezeichnung „Theodizee“ für das in Frage stehende Problem geht auf Leibniz’ Werk Essais de Théodizée (1710) zurück.
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Gottfried Wilhelm Leibniz
Maßstab für die Güte einer möglichen Welt keineswegs ein rein moralischer Maßstab ist. Der Maßstab betrifft vielmehr auch die physikalische Vollkommenheit der Welt, d. h., er betrifft die Anzahl, Einfachheit und Harmonie der die Welt bestimmenden physikalischen Gesetze und die Varietät der im Rahmen dieser Gesetze möglichen Phänomene. Da aber moralische und physikalische Vollkommenheit in Konflikt geraten können und nicht zugleich in absoluter Weise realisierbar sind, kann Leibniz die moralische Unvollkommenheit der Welt dadurch erklären, dass er sie als Konsequenz ihrer physikalischen Güte auszeichnet. Kurz gesagt: Wird eine Welt durch eine geringe Anzahl an einfachen Gesetzen bestimmt (relative physikalische Vollkommenheit), führt dies notgedrungen zu einem Weltverlauf, der zu einem gewissen Maß durch moralische Verfehlungen und Unglück geprägt ist (relative moralische Unvollkommenheit). Eine zweite Herausforderung, die mit der christlich-personalen Gottesvorstellung einhergeht, betrifft die göttliche Eigenschaft der Allmacht. Es ist offensichtlich, dass Gott Lebewesen – nämlich Menschen – erschaffen hat, deren Eigenschaften den göttlichen ähneln. Menschen verfügen über einen Willen, der sie dazu befähigt, ihre Wünsche durch Handlungen zu realisieren (entspricht der göttlichen Allmacht). Sie haben zudem die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und Gutes in ihren Handlungen zu bewirken (entspricht der göttlichen Allgüte). Schließlich sind Menschen vernunftfähig und können unter Ausübung dieser Fähigkeit Erkenntnisse gewinnen (entspricht der göttlichen Allwissenheit). Allerdings stellt sich die Frage, wie die Existenz von Lebewesen mit den genannten Fähigkeiten vor dem Hintergrund der göttlichen Allmacht genau zu verstehen ist. Zwei konträre Interpretationen bieten sich an: Erstens könnte Gott seine Allmacht dadurch unter Beweis stellen, dass er eine Welt erschafft, in der Lebewesen existieren, die nicht nur gottähnliche Fähigkeiten aufweisen, sondern die in größtmöglichem Maß selbstständige Wesen sind und diese Fähigkeiten in selbstständiger Weise ausüben können. In diesem Fall würde sich die göttliche Allmacht darin zeigen, dass Gott Wesen erschafft, die in größtmöglichem Maß der göttlichen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von anderen Wesen entsprechen. Dieses Verständnis der göttlichen Allmacht findet Ausdruck in der schöpfungsgeschichtlichen Erläuterung, Gott habe den Menschen nach seinem Bilde erschaffen. Menschen sind demnach Ebenbilder Gottes. Auf der handlungstheoretischen Ebene bedeutet dies, dass Menschen gleichsam wie Gott aus eigener Kraft handeln und
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in ihren Handlungen Gutes bewirken können. Auf kognitiver Ebene impliziert die Ebenbildthese, dass Menschen wie Gott vernunftfähig sind und sich in selbstständiger Weise dieser Fähigkeit – sofern sie entwickelt ist – bedienen können. Auf epistemischer Ebene führt die Ebenbildthese dazu, dass sich Menschen aus eigenständiger Vernunfttätigkeit der göttlichen Allwissenheit zumindest annähern können. Zweitens könnte sich die göttliche Allmacht auch gerade darin manifestieren, dass Gott eine Welt erschafft, die in größtmöglicher Weise von seiner Allmacht abhängig ist. Diese zweite Konzeption der göttlichen Allmacht beinhaltet, dass jegliche Aktivität in der geschaffenen Welt eine göttliche Aktivität ist, d. h., dass sie einem göttlichen Wirken entspringt. Alle Ereignisse in der geschaffenen Welt gehen somit auf göttliches Wirken zurück. Damit ist es auch den Menschen nicht möglich, aus sich heraus aktiv zu sein und die ihnen gegebenen Fähigkeiten selbstständig auszuüben. Stattdessen hat jede Ausübung dieser Fähigkeiten seinen Ursprung in einem göttlichen Wirken. Auf handlungstheoretischer Ebene bedeutet dies, dass alle menschlichen Handlungen auf einer göttlichen Einwirkung beruhen und dass sich die Güte menschlicher Handlungen nur aus der göttlichen Allgüte ableitet. Ebenso beruht auch die menschliche Vernunfttätigkeit auf göttlicher Aktivität. In epistemologischer Hinsicht führt diese Konzeption der göttlichen Allmacht zu der Konsequenz, dass menschlicher Erkenntnisgewinn göttlicher Aktivität zu verdanken ist und jegliches Ausmaß menschlichen Wissens der göttlichen Allwissenheit entnommen ist. Die beiden skizzierten Deutungen göttlicher Allmacht spiegeln Extrempositionen wieder, die eine Vielzahl an abgeschwächten Positionen und Zwischenlösungen erlauben. Die beiden Extrempositionen sind aber hilfreich, um die Ansichten frühneuzeitlicher Autoren zu bestimmen und miteinander in Beziehung zu setzen. Wie wir sehen werden, gilt dies insbesondere auch für Leibniz. Nicolas Malebranche ist wohl derjenige neuzeitliche Autor, der in umfassendster Weise die zweite Konzeption göttlicher Allmacht verficht. Dies kommt zum einen in Malebranches occasionalistischer Kausalauffassung zum Ausdruck. Nach dieser Auffassung ist Gott die einzige wahre Ursache, d.h., alle Ereignisse in der geschaffenen Welt entspringen der göttlichen Verursachung, die zu bestimmten Gelegenheiten (frz. „occasions“) Wirkung zeigt. Entsprechend sind Handlungen keine selbstständigen Aktivitäten des Menschen, sondern sie entspringen allein göttlicher Wirksamkeit. Zum anderen zeigt sich Malebranches Position darin, dass er den im Johannes-Evangelium zu findenden Grund-
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satz betont, nach dem Gott den menschlichen Geist erleuchtet.2 Nach Malebranche impliziert diese Doktrin, dass menschliche Vernunfttätigkeit auf göttlicher Aktivität beruht und erst Gott dem menschlichen Geist Zugang zu den Ideen verschafft, die für jede Vernunfttätigkeit vonnöten sind. Im Gegensatz zu Malebranche kann Descartes als ein Autor verstanden werden, der ein stärkeres Gewicht auf die Ebenbildthese legt und daher eher der zuerst genannten Konzeption göttlicher Allmacht zuzuordnen ist. In der vierten Meditation hebt er ausdrücklich hervor, dass der menschliche Wille wie der göttliche unendlich ist und Menschen in dieser Hinsicht Gott ähneln.3 Auch stellt er fest, dass der menschliche Geist wie der göttliche aus sich heraus zu reiner, d. h. nicht durch sinnliche Elemente verunreinigter, intellektueller Tätigkeit fähig ist. Hierzu ist weder eine occasionalistische Ursache vonnöten, noch müssen die entsprechenden intellektuellen Ideen durch Gott zugänglich gemacht werden, denn nach Descartes sind dem menschlichen Geist die intellektuellen Ideen angeboren. Noch einen Schritt weiter als Descartes geht Leibniz. Wie kein zweiter in der frühen Neuzeit vertritt er die Ansicht, dass die von Gott geschaffenen vernunftfähigen Geistsubstanzen (insbesondere Menschen), ja dass sogar alle geschaffenen individuellen Substanzen in ausgeprägter Weise gottähnlich sind. Leibniz weitet die Ebenbildthese also auf alle geschaffenen Substanzen aus. Dies führt erstens dazu, dass Leibniz allen geschaffenen individuellen Substanzen eine eigenständige Aktivität zuspricht. Leibnizsche Substanzen vollziehen ihre Tätigkeiten selbstständig und sind nur hinsichtlich ihrer Erschaffung und dauerhaften Existenz von Gott abhängig. Zweitens verfügen nach Leibniz alle geschaffenen Substanzen über eine gottähnliche Allwissenheit.4 Alle geschaffenen individuellen Substanzen haben Kenntnis von allem, was in der Vergangenheit in der Welt geschehen ist, was gegenwärtig in der Welt geschieht und was in Zukunft in der Welt geschehen wird. Drittens behauptet Leibniz im Unterschied zu Descartes, dass den vernunftfähigen Geistsubstanzen alle Ideen – intellektuelle wie auch sinnliche – angeboren sind.5 Leibnizsche Geistsubstanzen nehmen keine Ideen von außen auf, weder im
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OCM I 440; Bd. 1, S. 209. AT VII 57. Siehe Metaphysische Abhandlung § 9. Siehe Metaphysische Abhandlung § 26 und § 28; Bd.1, S. 317 und 319.
Einführung: Die theologische Einbettung von Leibniz’ Ideentheorie
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scholastischen Sinn vermittels species sensibiles, noch im empiristischen Sinn durch eine kausale Einwirkung äußerer Gegenstände. Mit seiner starken Lesart der Ebenbildthese bürdet sich Leibniz allerdings einige Erklärungslasten auf: Erstens gilt es zu erläutern, inwiefern alle Substanzen aus eigener Kraft tätig sein können. Leibniz geht auf diese Erklärungsanforderung im Rahmen seiner Substanztheorie ein. Seiner Ansicht nach verfügen alle geschaffenen Substanzen über eine ihnen innewohnende und permanent wirksame Kraft, die es ihnen ermöglicht, aus sich heraus selbstständig tätig zu werden. Dabei ist die Wirksamkeit dieser Kraft durch ein Gesetz bestimmt, welches festlegt, zu welchen Wirkungen die Kraft führt, d. h., welche Tätigkeiten die Substanz ausübt. Zweitens muss Leibniz erläutern, inwiefern alle Substanzen allwissend sein können. Diese Frage beantwortet Leibniz im Rahmen seiner Perzeptionstheorie, die sich mit den repräsentationalen Zuständen befasst, welche nach Leibniz allen individuellen Substanzen zukommen. Jede geschaffene Substanz weist Leibniz zu Folge zu jedem Zeitpunkt Perzeptionen auf, die alle Zustände des Universums repräsentieren. Alle geschaffenen individuellen Substanzen sind daher allwissend in dem Sinn von All-repräsentierend.6 Allerdings ist festzuhalten, dass nicht alle geschaffenen Substanzen in derselben Weise allwissend sind. Geschaffene individuelle Substanzen haben eine mehr oder weniger distinkte Erkenntnis des Universums. Zudem haben ausschließlich Tiersubstanzen und Geistsubstanzen Bewusstsein und somit bewusste Erkenntnis von Dingen. Und nur Geistsubstanzen haben Einsicht in die absolut notwendigen Wahrheiten. Schließlich gilt es darzulegen, wie den Geistsubstanzen (alle) Ideen angeboren sein können. Die Antwort auf diese Frage gibt Leibniz in seiner Ideentheorie. In dieser versucht er eine Konzeption von Ideen zu entwickeln, die es ihm ermöglicht zu erklären, inwiefern Ideen angeboren sein können, d. h., inwiefern Geistsubstanzen von Anbeginn ihrer Existenz über Ideen – genauer: über alle Ideen – verfügen können. Will man Leibniz’ Ideentheorie in seinem philosophischen Gesamtsystem verorten, so besteht somit eine Option darin, diese Theorie als einen wesentlichen Baustein in seinem groß angelegten Versuch zu sehen, die christlich-personale Vorstellung eines Schöpfergottes vor dem Hintergrund seiner radikalen Lesart der biblischen Ebenbildthese 6
Zu dieser These der All-umfassenden Perzeption siehe Abschnitt 8.3.3.3 des systematischen Essays.
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zu interpretieren, ihre Konsequenzen auszuformulieren und die in dieser Vorstellung angelegten Spannungen zu beseitigen. Dass dies überhaupt möglich, dass also Gott und seine Schöpfung überhaupt für uns Menschen verständlich sind, ist durch die Ebenbildthese garantiert: Eben weil Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen und ihn also mit gottähnlichen kognitiven Fähigkeiten ausgestattet hat, ist der Mensch dazu in der Lage, Gott und seine Schöpfung (zumindest bis zu einem gewissen Grad) zu verstehen. Damit soll allerdings keineswegs behauptet werden, dass dies die einzige Möglichkeit sei, Leibniz’ Ideentheorie in seinem philosophischen Gesamtprojekt zu verorten. Sicherlich ist seine Ideentheorie ebenso durch seine Substanzmetaphysik geprägt, nach der Substanzen – und somit auch Geistsubstanzen – nach außen hin abgeschottete, aus sich heraus tätige Einheiten bilden. Eine solche Substanzmetaphysik scheint die These angeborener Ideen wenn nicht zu erzwingen, so doch nahe zu legen. Entsprechend ist eine Ideentheorie gefordert, welche die These, Ideen seien immer schon in den Geistsubstanzen vorhanden und somit angeboren, verständlich macht.
8.2 Stellenkommentar 8.2.1 Quid sit idea? / Was ist eine Idee? (1677) K1: Leibniz betont, dass Ideen (auch) im menschlichen Geist vorhanden sind, und weist damit Malebranches Auffassung zurück, nach der Ideen nur im göttlichen Geist existieren. Zudem ist Leibniz um eine Abgrenzung seines Begriffs nicht-körperlicher Ideen von materialistischen Ideenkonzeptionen bemüht. Descartes hat unter anderem einen Begriff von körperlichen Ideen vertreten (vgl. Bd. 1, S. 60–62 und Perler 1996, I § 4). K2: Leibniz scheint hier den Begriff des Gedankens (cogitatio) widersprüchlich zu verwenden. Auf der einen Seite unterscheidet er zwischen Denkakten, Perzeptionen und Affekten. Auf der anderen Seite sollen aber alle diese geistigen Akte von Ideen, die hier als Denkvermögen verstanden werden, abhängig sein. Wenn aber Perzeptionen und Affekte von Denkakten zu unterscheiden sind, ist fraglich, wieso auch Perzeptionen und Affekte von Denkvermögen abhängig sein sollen. Perzeptionen und Affekte scheinen also zum einen gerade keine Denkakte zu sein, sollen zugleich aber als Aktualisierungen von Denkvermögen eben in Denkakten bestehen.
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Um diesen Widerspruch aufzulösen, bietet es sich an, Leibniz so zu verstehen, dass er den Ausdruck „cogitatio“ in zwei Weisen verwendet, ohne dies offenzulegen: zum einen in einem engen Sinn als Bezeichnung für einen bestimmten Typ geistiger Akte; zum anderen in einem weiten Sinn als Oberbegriff für alle geistigen Akte. Die schmale Textbasis von Was ist eine Idee? erlaubt es aber nicht, den Sachverhalt eindeutig zu klären. Leibniz charakterisiert Ideen als Denkvermögen. Damit grenzt er sich auf der einen Seite von Arnaulds Auffassung ab, nach der Ideen in geistigen Akten bestehen. Zum anderen macht er ein zweites Mal deutlich, dass er Malebranches Theorie ablehnt, nach der Ideen abstrakte Objekte im göttlichen Geist sind. Leibniz ist hier wie Arnauld, aber anders als Malebranche, der Auffassung, dass Ideen im menschlichen Geist vorkommen, jedoch nicht – wie Arnauld glaubt – als temporäre Akte, sondern als dauerhafte Denkvermögen (vgl. hierzu auch den systematischen Essay (8.3)). K3: Leibniz vertritt hier die Position, dass Ideen aufgenommen werden können, während er in § 26 und § 28 der Metaphysischen Abhandlung erklären wird, dass wir schon immer über alle Ideen verfügen; Bd.1, S. 317 und 319. In den Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand 7 wird Leibniz wieder davon sprechen, dass wir Ideen über die Sinne aufnehmen, jedoch nur auf der Ebene der Alltagssicht („systeme commun“ (AA VI.6.74/NA I, i, 1)), auf die er sich in den Neuen Abhandlungen begibt, nicht jedoch auf der Ebene seiner metaphysischen Betrachtung, die er in den Neuen Abhandlungen als „nouveau Systeme“ bezeichnet (AA VI.6.74/NA I, i, 1). Mit dem Ausdruck „nouveau Systeme“ bezieht sich Leibniz auf eine eigene Schrift aus dem Jahr 1695 (GP IV 477–487). Auf der Ebene seines nouveau Systeme ist Leibniz durchgängig der Ansicht, die er bereits in der Metaphysischen Abhandlung vertritt, dass wir schon immer über alle Ideen verfügen. K4: Vgl. zur Unterscheidung zwischen nahen und fernen Vermögen Aristoteles, De Anima, II, 5. 7
Im Folgenden wird die Kurzform „Neue Abhandlungen“ verwendet, um auf Leibniz’ Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand Bezug zu nehmen. In Stellennachweisen findet das Kürzel „NA“ Anwendung. Stellen aus den Neuen Abhandlungen werden zweifach angegeben: nach dem Verweis auf die Akademieausgabe (AA Reihe.Band.Seite) folgt die Angabe des entsprechenden Abschnitts nach Leibniz’ eigener Einteilung der Neuen Abhandlungen in Bücher, Kapitel und Paragraphen (NA Buch, Kapitel, Paragraph). Leibniz folgt in dieser Einteilung Lockes An Essay Concerning Human Understanding.
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K5: Leibniz liefert eine Erläuterung des wichtigen Begriffs des Ausdrückens bzw. der Repräsentation (Leibniz verwendet in seinen lateinischen Schriften das Verb „exprimere“, in den französischen Schriften die Verben „exprimer“ und „représenter“). Diese Erläuterung betrifft alle Formen der Repräsentation und nicht nur die Repräsentation von Gegenständen durch Ideen oder Perzeptionen. Den Sonderfall der perzeptuellen Repräsentation definiert Leibniz an prominenter Stelle in § 2 der Prinzipien der Natur und Gnade8. Für den Fall der Repräsentation durch Ideen liefert Leibniz keine eigenständige Definition. Er sieht diesen Fall offenbar durch die Definition der perzeptuellen Repräsentation abgedeckt. Leibniz charakterisiert die Repräsentationsrelation allgemein als eine Entsprechung von Verhältnissen zwischen Elementen, die in dem Repräsentierenden bzw. dem Repräsentierten anzutreffen sind. Dies lässt sich in die Redeweise von Strukturen übersetzen. Eine Repräsentation liegt also dann vor, wenn in zwei Dingen Strukturen gegeben sind, die einander entsprechen. Dieser Idee folgend, deutet Chris Swoyer Leibniz’ Repräsentationsbegriff im Sinne einer strukturerhaltenden Beziehung (Swoyer 1995; zur Diskussion des Begriffs der Repräsentation bei Leibniz siehe auch Kulstad 1977 und Brandom 2002). Aufgrund dieser strukturerhaltenden Beziehung zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden ist es möglich, anhand der strukturellen Eigenschaften des Repräsentierenden Wahrheiten über das Repräsentierte zu erschließen. Dies gilt insbesondere für das Denkvermögen, das Gott dem Geist eingeprägt hat, damit dieser Wahrheiten über repräsentierte Dinge gewinnen kann. 8.2.2 Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis / Überlegungen zu Erkenntnis, Wahrheit und Ideen9 (1684) K6: Mit den „hervorragenden Männern“ meint Leibniz vor allem die Cartesianer Nicolas Malebranche und Antoine Arnauld. Arnauld hatte 1683 die Schrift Des vrayes et des fausses idées veröffentlicht, die sich vor allem gegen Malebranches Werk Recherche de la Vérité (1674/75) richtete (siehe zu dieser Debatte die Textauswahl und die systematischen Essays zu Antoine Arnauld und Nicolas Malebranche).
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Im Folgenden abgekürzt durch die Kurzform „PNG “. Im Folgenden abgekürzt als „Überlegungen“.
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K7: Thema der Überlegungen ist Descartes’ Wahrheitskriterium der klaren und distinkten Ideen. Zu Leibniz’ Verständnis der propositionalen Wahrheit siehe den in die Textauswahl aufgenommenen Auszug aus dem Entwurf eines Briefes von Leibniz an Arnauld (14. 07. 1686); Bd.1, S. 320 und Metaphysische Abhandlung § 8. K8: Leibniz fügt den für den Cartesianismus typischen Unterscheidungen zwischen dunklen und klaren sowie verworrenen und distinkten Ideen in systematischer Weise die Unterscheidungen zwischen adäquaten und inadäquaten sowie symbolischen und intuitiven Ideen hinzu. Leibniz bezieht diese epistemischen Unterscheidungen in den Überlegungen auf Ideen (vgl. auch AA VI.6.254/NA II, xxix, 2), Erkenntnisse und Begriffe. Offenbar wendet Leibniz diese Unterscheidungen sowohl auf Ideen an, die nicht begriffen oder geformt sind, wie auch auf begriffene oder geformte Ideen (=Begriffe; vgl. K29). Ideen sind dunkel/klar, verworren/distinkt, etc. insofern sie es einer Geistsubstanz ermöglichen, entsprechende Begriffe zu bilden. Zugleich liefern Begriffe aber immer auch Erkenntnisse der Gegenstände, von denen sie handeln, welche es dem erkennenden Subjekt ermöglichen, diese Gegenstände wieder zu erkennen und von anderen ähnlichen Gegenständen zu unterscheiden. K9: Zu Leibniz’ Erläuterung des Unterschieds zwischen dunklen und klaren Begriffen (vgl. Metaphysische Abhandlung §24 und AA VI.6.254–255/ NA II, xxix, 2) sind vier Dinge zu bemerken: (1) Die Frage danach, ob die Erkenntnis einer Sache dunkel oder klar ist, wird daran bemessen, ob diese Erkenntnis ein Wiedererkennen der Sache ermöglicht. Unter einer Erkenntnis versteht Leibniz hier also einen geistigen Akt, der nicht nur eine Sache erkennen lässt, sondern zugleich ein Vermögen zum Wiedererkennen dieser Sache konstituiert. Da die Erkenntnis im Gedächtnis gespeichert werden kann, kann die Erkenntnis wie das Vermögen zum Wiedererkennen dauerhaft bestehen bleiben. (2) Der Akt des Wiedererkennens kann sich, wie Leibniz anhand des Blumen-/Tierbeispiels erläutert, allein in der Vorstellung abspielen. Man könnte hier von einem Wiedererkennen in der Vorstellung sprechen. Denkbar ist aber auch der Fall des Wiedererkennens eines gerade wahrgenommenen Gegenstands (vgl. das Farbbeispiel in AA VI.6.254–255/NA II, xxix, 2). Darüber hinaus verdeutlicht das Beispiel der unzureichend definierten Begriffe, dass ein Wiedererkennen auch anhand der Angabe definitorischer Merkmale möglich ist. In diesem Fall ließe sich von einem Wiedererkennen durch eine Definition sprechen. (3) Ein Vermögen, eine Sache wieder zu erkennen, liegt nur dann vor, wenn die Sache in der sinnlichen Vorstel-
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lung, in der Wahrnehmung oder durch Angabe definitorischer Merkmale von anderen ähnlichen Dingen unterschieden werden kann. Erlaubt die Erkenntnis einer Sache eine solche Unterscheidung nicht in hinreichendem Maße, so ermöglicht sie kein Wiedererkennen der Sache, und die Erkenntnis ist dunkel. Ist eine solche Unterscheidungsfähigkeit gegeben, so ist die Erkenntnis klar. Wichtig ist zu bemerken, dass Leibniz es für die Fähigkeit des Wiedererkennens nicht erforderlich hält, dass die in Frage stehende Sache von allen anderen Dingen unterschieden werden kann. Leibniz fordert gemeinhin nur die Fähigkeit, die Sache von einigen ihr ähnlichen Dingen unterscheiden zu können. Er geht sogar davon aus, dass wir überhaupt keine vollkommen klaren Ideen haben können, also niemals die Fähigkeit besitzen, eine Sache von allen anderen zu unterscheiden (siehe AA VI.6.255/NA II, xxix, 2) (4) Leibniz unterscheidet anhand der von ihm angeführten Beispiele zwischen verschiedenen Objekten der Erkenntnis: Das Blumen- bzw. Tierbeispiel betrifft das Wiedererkennen wahrnehmbarer Einzeldinge. Das Beispiel der unzulänglich erklärten Termini betrifft die Erkenntnis abstrakter Sachverhalte. Das obige Farbbeispiel zeigt, dass eine Erkenntnis auch einzelne wahrnehmbare Eigenschaften von Einzeldingen betreffen kann. K10: Der Begriff des Requisits bezeichnet notwendige Bedingungen der Möglichkeit oder Existenz eines Gegenstands. K11: Eine klare Erkenntnis ist entweder verworren oder distinkt. Eine distinkte Erkenntnis einer Sache zu haben, heißt, über eine Nominaldefinition (vgl. K15) der Sache zu verfügen. In die Extension des Begriffs der distinkten Erkenntnis fallen keine sinnlichen Begriffe, sondern nur gemeinsinnliche und Verstandesbegriffe (vgl. den Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702); Bd.1, S. 325). Siehe zur Unterscheidung zwischen verworrener und distinkter Erkenntnis auch Metaphysische Abhandlung § 24 und AA VI.6.255–256/NA II, xxix, 4. Im Zusammenhang seiner Diskussion der verworrenen und distinkten Erkenntnis präsentiert Leibniz wichtige Aspekte seiner Auffassung sinnlicher Qualitäten (siehe auch K20 und K39). Die Begriffe sinnlicher Qualitäten sind für den menschlichen Geist niemals distinkt, sondern immer verworren, da wir sie nicht in ihre Merkmale zergliedern können. Dass die sinnlichen Begriffe eine innere Struktur aufweisen müssen, begründet Leibniz mit dem Hinweis, dass ihr Auftreten Ursachen hat. Aus diesem Hinweis folgt die Komplexität sinnlicher Begriffe, wenn drei Annahmen von Leibniz berücksichtigt werden: die erste besagt, dass Wirkungen ihre Ursachen repräsentieren (siehe Was ist eine Idee?; Bd.1, S. 310); nach der zweiten Annahme besteht eine Repräsentation in einer
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strukturerhaltenden Beziehung (siehe K5); die dritte Annahme besagt, dass die Ursachen sinnlicher Begriffe in den wahrnehmbaren Qualitäten bestehen, welche von den Begriffen repräsentiert werden und dass diese Qualitäten eine innere Struktur aufweisen (siehe K39). Aus diesen Annahmen ergibt sich, dass sinnliche Begriffe als Wirkungen komplexer wahrnehmbarer Qualitäten eine innere Struktur aufweisen müssen. Diese bleibt uns jedoch in der Wahrnehmung verschlossen (siehe aber K39, in dem auf die Möglichkeit theoretischer Erklärungen sinnlicher Qualitäten hingewiesen wird). K12: Adäquat sind solche Erkenntnisse, für die wir vollständige Analysen angeben können, d. h. Analysen, die bis zu den primitiven Begriffen reichen, aus denen ein jeder distinkter Begriff aufgebaut ist. Alle anderen distinkten Erkenntnisse sind inadäquat. Siehe zu dieser Unterscheidung auch Metaphysische Abhandlung § 24 und AA VI.6.266–268/NA II, xxxi. K13: Distinkte Erkenntnisse sind aber nicht nur adäquat oder inadäquat, sondern auch symbolisch/blind oder intuitiv. In einem intuitiven Erkenntnisakt werden die analysierten Merkmale eines Begriffs gleichzeitig und direkt erfasst; in einem symbolischen Erkenntnisakt werden die Merkmale eines Begriffs vermittels Wörtern oder anderen Symbolen (z. B. mathematische Formeln, vgl. AA VI.6.185–186/NA II, xxi, 35) repräsentiert, die für Merkmale des Begriffs stehen, welche in dem symbolischen Erkenntnisakt selbst aber unanalysiert bleiben. So kann in einer mathematischen Überlegung an ein tausendseitiges, regelmäßiges Polygon gedacht werden, indem der folgende aus drei Wörtern bestehende Ausdruck verwendet wird: „tausendseitiges, regelmäßiges Polygon“. Diese Erkenntnis des Polygons ist distinkt, weil das Polygon anhand einer Nominaldefinition erkannt und von anderen geometrischen Figuren unterschieden wird. Sie ist aber nicht adäquat, sondern inadäquat, weil sie die Idee des Tausendseitigen, des Regelmäßigen und des Polygons unanalysiert lässt. Diese inadäquate Erkenntnis ist zudem symbolisch, weil sie von einem sprachlichen Ausdruck Gebrauch macht, der für eine nominal definierte Idee steht. Leibniz deutet in den Z. 153–158 an, dass intuitive Erkenntnis graduell ist (dagegen legt § 24 der Metaphysischen Abhandlung ein absolutes Verständnis von intuitiver Erkenntnis nahe). Die Unterscheidung zwischen symbolischer und intuitiver Erkenntnis ist also keine Dichotomie, vielmehr kann eine symbolische Erkenntnis zu einem gewissen Grad auch intuitiv sein und eine intuitive Erkenntnis, die nicht zugleich adäquat ist, auch symbolisch. Eine Erkenntnis ist in dem Maße intuitiv, in
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dem analysierte Merkmale eines Begriffs zugleich und direkt erfasst werden. So ist also die obige Erkenntnis des tausendseitigen, regelmäßigen Polygons nicht nur symbolisch, sondern auch zu einem gewissen Grad intuitiv, denn in dieser Erkenntnis werden die Merkmale des Tausendseitigen, des Regelmäßigen und des Polygonseins zugleich und unmittelbar erfasst. Ein solches graduelles Verständnis intuitiver Erkenntnis erhellt auch die kryptischen Z. 156–158. Leibniz scheint hier ausdrücken zu wollen, dass eine distinkte Erkenntnis immer mit einer intuitiven Erkenntnis einhergeht. Diese Passage bliebe unverständlich, wenn ein absolutes Verständnis intuitiver Erkenntnis vorausgesetzt wird, denn wie Leibniz hervorhebt, haben wir (fast) keine absolut intuitive Erkenntnis, während wir jedoch über viele distinkte Erkenntnisse verfügen. Die graduelle Deutung lässt diese Passage verständlich werden, denn nach dieser Deutung ist jede distinkte Erkenntnis eine solche anhand von definitorischen Merkmalen und geht daher immer mit einem gleichzeitigen Erfassen dieser Merkmale einher. Jede distinkte Erkenntnis wäre somit immer zu einem bestimmten Grad intuitiv. Wie Leibniz anfügt, sind wir (fast) ausschließlich zur symbolischen/ blinden und (fast) nie zur intuitiven Erkenntnis in der Lage (vgl. AA VI.6.77/NA I, i, 5 und AA VI.6.212/NA II, xxi, 73). Eine Ausnahme bildet die Erkenntnis mittels primitiver Begriffe, die keine innere Merkmalsstruktur aufweisen und für deren innere Merkmale daher auch keine Symbole stellvertretend eingesetzt werden können. Schließlich hebt Leibniz hervor, dass die symbolische Erkenntnis unzuverlässig ist, weil sie mögliche Widersprüche verdeckt. Leibniz bezeichnet sie daher auch als „blind“. K14: Leibniz arbeitet in dieser Textpassage heraus, dass wir uns darin täuschen können, über die Idee einer Sache zu verfügen. In einem solchen Fall vertrauen wir auf die Widerspruchslosigkeit einer blinden Erkenntnis, die jedoch tatsächlich einen versteckten Widerspruch enthält. Die Einsicht in diese Irrtumsmöglichkeit münzt Leibniz in eine Kritik an dem klassischen ontologischen Gottesbeweis um. Dieser beruhe auf einem blinden Gedanken, der die Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs nicht sicherstellt, sondern einfach voraussetze. Diese Kritik ist vornehmlich gegen Descartes’ Version des ontologischen Gottesbeweises in der fünften Meditation und gegen das Wahrheitskriterium der klaren und distinkten Ideen gerichtet, das Descartes in diesem Beweis anwendet (siehe K17). Jedoch bezweifelt Leibniz nur die Schlüssigkeit des Beweises, nicht die Wahrheit seiner Konklusion. Der ontologische Gottesbeweis findet sich ursprünglich im Proslogion
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des Anselm von Canterbury. Zu Thomas von Aquins Kritik am ontologischen Gottesbeweis siehe Summa Theologiae I, q.2, art.1, ad 2. K15: Nominaldefinitionen geben Merkmale eines Dinges an, welche dieses Ding von anderen ähnlichen Dingen unterscheiden und mit deren Hilfe man dieses Ding wiedererkennen kann (siehe auch den Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702); Bd.1, S. 324). Realdefinitionen zeigen darüber hinaus die Möglichkeit eines Dinges. Sie können in einer apriorischen oder aposteriorischen Erkenntnis bestehen. Die Möglichkeit eines Dinges wird a priori erkannt, wenn sein Begriff in Bestandteile zergliedert worden ist, deren Widerspruchsfreiheit feststeht, oder wenn erkannt worden ist, wie dieses Ding entstehen kann. In dem letzteren Fall besteht die Realdefinition in einer Kausaldefinition (während Leibniz in den Überlegungen Kausaldefinitionen als eine Teilklasse von apriorischen Realdefinitionen zu verstehen scheint (Bd.1, S. 314), identifiziert er in § 24 der Metaphysischen Abhandlung Kausaldefinitionen mit apriorischen Realdefinitionen). Die Möglichkeit eines Dinges wird a posteriori erkannt, wenn es wahrgenommen wird. Zur Unterscheidung von Nominal- und Realdefinitionen siehe auch Metaphysische Abhandlung § 24. Hobbes führt seine Wahrheitsauffassung, die Leibniz kritisch anspricht, in De Corpore, I, 3, 7–9 aus. Leibniz’ Rede von einer falschen Idee scheint ein Widerspruch in sich zu sein, denn – wie Leibniz in § 23 der Metaphysischen Abhandlung ausführt – Ideen handeln nur von Möglichem und sind daher immer widerspruchsfrei. Offensichtlich bezieht Leibniz also den wahr/falsch-Unterschied nicht in ontologischer Betrachtungsweise auf Ideen als bestimmte Entitäten, sondern in epistemischer Betrachtung auf unsere Ansprüche, Ideen und somit bestimmte Erkenntnisse von etwas zu haben. Diese Ansprüche können wahr oder falsch sein, d. h., wir können darin richtig liegen oder uns darin irren, eine Idee von etwas zu haben. Dies hängt davon ab, ob der in Frage stehende Inhalt widerspruchsfrei ist oder nicht und somit davon, ob der in Frage stehende Gegenstand möglich ist oder nicht. K16: Wahrheiten der Form „A ist B“ vollständig zu analysieren, bedeutet nach dieser Passage, sie auf Identitäten der Form „B = B“ zurückzuführen. Um dies zu leisten, muss der Begriff von A selbst nicht notwendigerweise in seine einfachen Bestandteile zergliedert werden. Es reicht für die Analyse aus, den Begriff von A soweit zu analysieren, bis man auf den Begriff von B stößt, wobei der Begriff von B nicht notwendigerweise ein einfacher Bestandteil von A sein muss. Allerdings ist
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anzumerken, dass Leibniz seit der Schrift Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (C 356–399) von 1686 die Auffassung vertritt, dass zumindest kontingente Wahrheiten nicht in endlichen Schritten auf Identitäten zurückgeführt werden können. Siehe dazu K35. K17: Leibniz’ Einsicht in die Möglichkeit einer Selbsttäuschung bezüglich des Besitzes einer Idee wird nun gegen Descartes’ Wahrheitskriterium der klaren und distinkten Ideen gewendet. Nach Leibniz bedarf dieses Prinzip der Unterfütterung durch das Kriterium der Widerspruchsfreiheit. Eine klare und distinkte Idee sei nur dann wahr, wenn sie widerspruchsfrei und der erkannte Gegenstand somit möglich ist. Zudem hebt Leibniz hervor, dass die subjektive Ansicht, eine Idee sei klar und distinkt, häufig einem Irrtum unterliege. Um diesen zu vermeiden, gelte es, die von Leibniz festgelegten Kriterien der klaren und distinkten Erkenntnis anzuwenden. Den Ausdruck „perzipieren“ verwendet Leibniz in dieser Passage nicht in seiner eigenen technischen Weise, sondern in Descartes’ Sinn, nach dem der Ausdruck die Akte des reinen Intellekts bezeichnet. K18: Der spätmittelalterliche Logiker Konrad Dasypodius war ein Schüler Christian Herlins. Dasypodius veröffentlichte 1566 einen Kommentarband zu den sechs Büchern des Euklid, in dem er auch Kommentare seines Lehrers einbezog. K19: Leibniz diskutiert hier (vgl. K31 und K32) eine kontroverse These von Malebranche (siehe dessen Recherche de la Vérité, III, ii, 6; Bd.1, S. 206–213). Nach Malebranche erkennen wir Gegenstände nicht mittels eigener Ideen, sondern vermittels Ideen im göttlichen Geist. Leibniz wendet sich gegen diese Position, indem er darauf hinweist, dass selbst unter der Annahme, dass Malebranche Recht habe, wir dennoch über eigene Ideen verfügen müssten, mit deren Hilfe wir die göttlichen Ideen überhaupt erst erfassen könnten. Da dieses Erfassen in einer Veränderung des Geistes bestünde, müssten diese Ideen als Modifizierungen des Geistes verstanden werden. Leibniz schlägt sich mit diesem Einwand auf die Seite von Antoine Arnauld, der Ideen als Modifikationen des Geistes verstanden hatte. Anders als Arnauld glaubt Leibniz jedoch, dass wir auch über Ideen verfügten, die nicht in aktualen Gedanken bestehen, sondern die wie die Figur des Herkules in einem noch unbearbeiteten Marmor in unserem Geist enthalten seien (vgl. K44 und den systematischen Essay (8.3)). K20: Leibniz liefert hier weitere Versatzstücke seiner Theorie sinnlicher Qualitäten (vgl. K11 und K39). Er deutet hier eine objektiv-mechanistische Konzeption dieser Qualitäten an, denn unsere Wahrneh-
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mungen (so ist die Redeweise von „perceptiones“ hier zu verstehen) dieser Qualitäten sollen in Wahrnehmungen von „Figuren und Bewegungen“ bestehen, also mechanischen Eigenschaften körperlicher Dinge. Jedoch nehmen wir diese Eigenschaften nicht bewusst wahr, weil unser endlicher Geist zu beschränkt ist, um diese Eigenschaften getrennt voneinander bewusst wahrnehmen zu können. Stattdessen nehmen wir diese Eigenschaften in verworrener, d. h. in miteinander vermengter, nicht unterschiedener Weise wahr. Eine solche verworrene Wahrnehmung mechanischer Eigenschaften geht mit der Einbildung eines neuen Wesens einher, womit Leibniz offenbar die Art und Weise meint, in der uns die mechanischen Eigenschaften in der Wahrnehmung erscheinen, nämlich als Farbe, Geschmack etc. 8.2.3 Auszüge aus Discours de Métaphysique / Metaphysische Abhandlung (1686) K21: Unter die hier von Leibniz skizzierte Ideenauffassung fällt die Konzeption Antoine Arnaulds. Für eine Analyse dieser Passage siehe den systematischen Essay (8.3). K22: Malebranche ist der bekannteste Vertreter der hier angedeuteten Ideenkonzeption. Für eine Analyse dieser Passage siehe den systematischen Essay (8.3). K23: Leibniz charakterisiert hier sein eigenes Verständnis von Ideen, in welches Aspekte der beiden zuvor skizzierten Konzeptionen einfließen. Für eine Analyse dieser Passage siehe den systematischen Essay (8.3). K24: Leibniz formuliert hier seine These der All-umfassenden Repräsentation (vgl. Abschnitt 8.3.3.3 des systematischen Essays), die für alle individuellen Substanzen Geltung hat, hier aber nur auf „unsere Seele“ Anwendung findet. Leibniz macht zudem deutlich, dass die menschliche Seele nicht nur alle existierenden Dinge ausdrückt, sondern auch alle Essenzen, d. h. auch alle nur möglichen Dinge. In diesem Punkt gleicht die menschliche Seele dem göttlichen Geist, während alle niederen Substanzen nur alle Existenzen ausdrücken (vgl. Metaphysische Abhandlung § 28; Bd.1, S. 319). K25: Leibniz führt hier eine Konsequenz seiner Ansicht aus, es gäbe keine kausalen Relationen zwischen geschaffenen Substanzen. Die Zurückweisung solcher kausaler Relationen impliziert, dass nichts von außen in die menschliche Seele gelangen kann, wodurch insbesondere
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die scholastisch-aristotelische Species-Theorie der Intentionalität unterminiert wird. Nach dieser Theorie wird die Wahrnehmung sinnlicher Eigenschaften äußerer Dinge dadurch verursacht, dass so genannte species sensibiles von den äußeren Dingen abgesondert werden und in die Sinnesorgane gelangen. Durch eine abstrahierende Tätigkeit des Intellekts können in einem weiteren Schritt aus den species sensibiles abstrakte species intelligibiles gewonnen werden, welche eine intellektuelle Erkenntnis der essentiellen Eigenschaften äußerer Dinge ermöglichen. Leibniz lehnt diese Species-Theorie rundheraus ab, weil er die Idee einer Übertragung sinnlicher Eigenschaften durch species sensibiles für unverständlich hält (für eine umfassende Darlegung und Diskussion verschiedener Varianten der Species-Theorie siehe Spruit 1994 und Spruit 1995). Zu Leibniz’ Zurückweisung der Idee, individuelle Substanzen hätten „Türen“ oder „Fenster“, vgl. Monadologie § 7. K26: Das Beispiel des Jungen, der geometrische Wahrheiten erlernt, findet sich in Platons Meno, 82b–85c. Als inkommensurabel galten in der Antike Größen, die geometrische Verhältnisse betreffen, welche nicht durch rationale Zahlen beschreibbar sind. In dem Fall des Jungen, der geometrische Wahrheiten erlernt, geht es um das Verhältnis von Seite und Diagonale in einem Quadrat. Zu Leibniz’ Theorie der Aktivierung in der menschlichen Seele angelegter Wahrheiten und Ideen vgl. das erste Buch der Neuen Abhandlungen. K27: Die aristotelische Auffassung, die menschliche Seele gleiche einer leeren Tafel, findet sich in De Anima, II, 4. Die These, es gäbe nichts im Verstand, was nicht aus den Sinnen stamme, findet sich nicht wörtlich bei Aristoteles, sondern ist Aristoteles von scholastischen Autoren zugeschrieben worden. Für eine entsprechende Stelle bei Aristoteles siehe De Anima, III, 8, 432a7/8. Zu Leibniz’ Kritik an der Tabula-Rasa-Lehre siehe auch K48. K28: Leibniz ist hier in seiner typisch konzilianten Art bestrebt, auch in den metaphysisch irrigen volkstümlichen Auffassungen, welche die Quelle der Ideen und Wahrheiten sowie die kausalen Relationen zwischen geschaffenen Substanzen betreffen, einen wahren Kern zu entdecken. K29: Leibniz unterscheidet zwei Weisen, in denen Ausdrücke, d. h. Perzeptionen (siehe Metaphysische Abhandlung § 14), unserer Seele verstanden werden können. Die erste Verständnisweise soll der zuvor genannten volkstümlichen Position entsprechen, die zweite der metaphysisch korrekten Auffassung, welche die wahre „Ausdehnung und Unabhängigkeit unserer Seele“ berücksichtigt. Nach der volkstümlichen Auffassung
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gehört nur das zu unserer Seele, „was man offenkundiger wahrnimmt“, also dessen man sich in seiner Seele bewusst ist. Entsprechend verfügt unsere Seele nur über solche Ausdrücke, die „begriffen oder geformt“ sind. Solche Ausdrücke nennt Leibniz „Begriffe“. Gemäß der metaphysisch korrekten Sichtweise verfügt unsere Seele auch über Ausdrücke, die nicht „begriffen oder geformt“ und uns also nicht bewusst sind. Leibniz’ Begriff der Idee bezieht sich sowohl auf die begriffenen, uns bewussten Ausdrücke, wie auf die nicht begriffenen, unbewussten. Begriffe machen also eine Teilklasse der Ideen aus. Während also die volkstümliche Sichtweise in unserer Seele nur Begriffe erkennt, verfügt die Seele nach Leibniz’ metaphysischer Auffassung auch über Ideen, die uns nicht bewusst und nur als Denkvermögen oder Qualitäten, bestimmte Denkakte zu vollziehen (vgl. den systematischen Essay (8.3)), gegeben sind. Schließlich weist Leibniz darauf hin, dass auch im Rahmen der volkstümlichen Auffassung, nach der wir Begriffe von außen über die Sinne aufnehmen, nicht alle Begriffe aus der äußeren Sinnlichkeit stammen können. Denn einige – vor allem metaphysische – Begriffe gehen aus der inneren Erfahrung hervor (vgl. K41). K30: Auch wenn – mit der Genauigkeit metaphysischer Wahrheit gesprochen – Leibniz die Annahme einer kausalen Einwirkung zwischen geschaffenen Substanzen ablehnt, existiert seiner Ansicht nach dennoch eine kausale Einwirkung der einen nicht-geschaffenen Substanz, d. h. Gott, auf uns wie auf alle anderen Substanzen. Auch nach dem Schöpfungsakt wirkt Gott permanent auf alle Substanzen ein und bewahrt deren Existenz. Aufgrund der Tatsache, dass Wirkungen ihre Ursachen ausdrücken (siehe Was ist eine Idee?; Bd.1, S. 310), drücken alle geschaffenen Substanzen Gott aus und ahmen diesen nach bzw. sind wie ein Spiegel Gottes (zu dieser Spiegelthese siehe Jolley 2005, 2–6). Die geschaffenen Substanzen tun dies jedoch nicht alle in derselben Weise. Die nicht-geistigen Substanzen drücken das gesamte Universum aus und somit auch Gottes Allwissenheit, insofern dieser das gesamte Universum repräsentiert (siehe Metaphysische Abhandlung § 9). Nicht-geistige Substanzen teilen auch einige essentielle Eigenschaften Gottes und drücken diese somit aus: wie Gott sind sie wesentlich Einheiten, immateriell, kausal autonom (in Bezug auf andere geschaffene Substanzen) und aus sich selbst heraus aktiv. Allerdings können sie weder das Denken Gottes ausdrücken, noch die in Gott vorhandenen Ideen, denn dazu ist ein Reflexionsvermögen notwendig, über welches nicht-geistige Substanzen aber nicht verfügen (siehe Metaphysische Abhandlung §§ 34–35). Geistsubstanzen besitzen
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dagegen dieses Reflexionsvermögen, weshalb Leibniz ihnen zuschreiben kann, auch Gottes Denken und die in ihm vorhandenen Ideen auszudrücken. K31: Auf den ersten Blick scheint Leibniz zwei Positionen von Malebranche zuzustimmen: Die erste besteht in Malebranches Behauptung, dass wir über keine eigenen Ideen verfügten, sondern alles durch Ideen im göttlichen Geist sähen (vgl. K19 und K32). Die zweite Position, die eine Anwendung von Malebranches Okkasionalismus ist, besagt, dass wir unsere Perzeptionen nicht durch eine uns innewohnende spontane Kraft hervorbringen, sondern allein aufgrund Gottes gesetzlich geregelten Einwirkens. Allerdings trügt dieser Eindruck: Erstens sagt Leibniz explizit, dass uns Gott Ideen gegeben hat, wir also über eigene Ideen verfügen. Zweitens macht Leibniz deutlich, dass wir an der Entstehung der Perzeptionen ebenfalls beteiligt sind, denn Gott wirkt an ihrer Entstehung nur mit. Gottes existenzbewahrendes Einwirken auf uns ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entstehung unserer Perzeptionen. Hinzutreten muss das in uns durch Gott angelegte Vermögen, diese Perzeption zu einem bestimmten Zeitpunkt hervorzubringen. Dieses Vermögen ist nicht als ein rein passives Vermögen zu verstehen, das eines äußeren Stimulus’ bedarf, um aktiviert zu werden, sondern ist selbst immer schon aktiv, schließt also eine aktive Kraft ein (vgl. das Ende von § 29 der Metaphysischen Abhandlung, wo Leibniz von einer „aktiven Möglichkeit“ spricht; Bd.1, S. 320). Das Vermögen drängt von sich aus immer schon zu der Realisierung der entsprechenden Perzeption, wird jedoch solange daran gehindert, bis der durch göttliche Gesetze festgelegte Zeitpunkt zu ihrer Realisierung gekommen ist. Die Averroisten sind Anhänger des Averroes (1126–1198; arabischer Name: Ibn Rushd), dem bedeutendsten arabischen Kommentator der aristotelischen Schriften. Er vertrat die später als häretisch verurteilte Auffassung, dass Menschen nur ein Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen aufweisen, jedoch keinen aktiven Intellekt. Menschen sind nur dadurch zu intellektuellen Akten fähig, dass sie an einen übergeordneten, umfassenden Intellekt gleichsam angeschlossen werden. Wilhelm von St. Amour (gest. 1272) war weltlicher Theologe an der Pariser Universität und Hauptgegner der Bettlerorden im Mendikantenstreit. K32: Zu den „fähigen Philosophen“ zählen Malebranche und seine Anhänger. Leibniz setzt sich kritisch mit Malebranches Position auseinander, nach der wir alles nur durch Ideen im göttlichen Geist se-
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hen. Er lehnt diese Auffassung hier aufgrund von zwei Überlegungen ab (vgl. K19 und K31): (1) Da Gott auf uns einwirkt und Wirkungen ihre Ursachen repräsentieren (siehe Was ist eine Idee?; Bd.1, S. 310), drücken wir die im göttlichen Geist enthaltenen Ideen aus. Leibniz scheint dabei anzunehmen, dass wir die göttlichen Ideen aber nur dann ausdrücken können, wenn wir selbst Nachahmungen der göttlichen Ideen besitzen. In diesen Nachahmungen der göttlichen Ideen bestehen unsere Ideen. (2) Darüber hinaus ist es für Leibniz ganz und gar unvorstellbar, wie wir überhaupt durch die Ideen eines anderen Geistes denken könnten. 8.2.4 Auszüge aus einem Entwurf eines Briefes von Leibniz an Arnauld (1686) K33: Unter rechtlichen Wahrheiten sind hier nicht juristische Wahrheiten zu verstehen, sondern Wahrheiten, die durch die „Verordnungen Gottes“ (Z. 482–483) bestimmt sind. Die Wahrheiten, die durch die göttlichen Verordnungen bestimmt werden, sind aber wiederum eben die Tatsachenwahrheiten (Z. 470 ff.), weshalb das „oder“ in „Wahrheit oder Tatsachenwahrheit“ (Z. 453–454) als ein „das heißt“ zu lesen ist. K34: Leibniz liefert hier eine recht klare Darlegung seines propositionalen Wahrheitsbegriffs, der vom Wahrheitsbegriff, der auf Ideen Anwendung findet (vgl. K15), zu unterscheiden ist. Zur Rolle des Prinzips des zureichenden Grundes in Leibniz’ Metaphysik siehe Monadologie §§ 33–36. K35: Leibniz unterscheidet hier zwischen notwendigen und kontingenten Wahrheiten anhand eines Kriteriums, das auf Gottes Wahl des Besten Bezug nimmt. In der Schrift Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (C 356–399) von 1686 führt Leibniz ein zweites Kriterium ein, nach dem nur notwendige, aber nicht kontingente Wahrheiten in endlichen Schritten analysiert werden können. Während notwendige und kontingente Wahrheiten die obige Definition für propositionale Wahrheit erfüllen und somit in Identitäten bestehen oder auf solche zurückgeführt werden können, ist es nur in Bezug auf notwendige Wahrheiten möglich, diese Zurückführung in endlichen Schritten zu vollziehen. Kontingente Wahrheiten lassen sich dagegen nur in unendlich vielen Schritten auf Identitäten zurückführen. Nach 1686 ist Leibniz daher der Auffassung, dass nur notwendige Wahrheiten in endlichen Schritten analysierbar sind. Kontingente Wahrheiten sind dagegen nur in unendlichen Schritten auf Identitäten zurückführbar.
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K36: Leibniz’ Behauptung, wichtige metaphysische Einsichten aus logischen Prinzipien – vor allem seiner Wahrheitsauffassung – ableiten zu können, wird in der Sekundärliteratur als „logizistische Strategie“ bezeichnet. Vor allem Bertrand Russell und Louis Couturat haben versucht, Leibniz’ Metaphysik vor dem Hintergrund dieser logizistischen Strategie zu rekonstruieren (siehe Russell 1900 und Couturat 1901). Zu den Konsequenzen seiner Auffassung von propositionaler Wahrheit siehe auch § 8 ff. der Metaphysischen Abhandlung. Extrinsische Bezeichnungen beziehen sich auf Eigenschaften eines Gegenstands G, in deren Beschreibung zumindest auf einen von G verschiedenen Gegenstand Bezug genommen wird. Der Ausdruck „ist höher als die Zugspitze“ ist eine extrinsische Bezeichnung, die etwa auf den Mount Everest zutrifft. Intrinsische Bezeichnungen nehmen nicht auf andere Gegenstände Bezug als denjenigen, auf den sie zutreffen. So ist der Ausdruck „ist ein Berg“ eine intrinsische Bezeichnung des Mount Everest. K37: Zu der Unterscheidung zwischen den vollständigen Begriffen individueller Substanzen und den unvollständigen Begriffen von Akzidenzien siehe auch Metaphysische Abhandlung § 8. Leibniz’ Bezug auf Thomas von Aquin betrifft Summa Theologiae I, q.50, art. 4, corp. Siehe hierzu auch Metaphysische Abhandlung § 9. Der Verweis auf Thomas von Aquin legt nahe, hier unter „Intelligenzen“ Engel zu verstehen. 8.2.5 Auszüge aus einem Brief an die Königin Sophie Charlotte (1702) K38: Der Autor des Briefes ist vermutlich der empiristische und materialistische Freidenker John Toland (1670–1722), der sich während des Jahres 1702 zeitweilig in Berlin aufhielt und dessen Bekanntschaft Königin Sophie Charlotte gemacht hatte. Die Königin hatte Leibniz zudem einen Brief von Toland zukommen lassen und war bestrebt, Leibniz’ Meinung zu Tolands Auffassungen zu hören. Leibniz kommt dieser Aufforderung in dem Brief nach, aus dem der vorliegende Textauszug stammt. K39: Leibniz führt hier wichtige Eckpunkte seiner Theorie der sinnlichen Qualitäten und ihrer Ideen aus (vgl. K11 und K20): (1) Leibniz ist der Überzeugung, dass uns die Sinne zwar erkennen lassen, wann eine bestimmte sinnliche Qualität vorliegt. Sie versetzen uns aber nicht in die Lage zu verstehen, worin diese Qualitäten bestehen und wie sie Wahrnehmungen dieser Qualitäten in uns hervorrufen.
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(2) Leibniz macht ebenso deutlich, dass er zwischen der Art und Weise unterscheidet, wie die sinnlichen Qualitäten unabhängig von ihrer Erscheinungsweise beschaffen sind, und der Art und Weise, wie sie uns in der Wahrnehmung erscheinen. Die sinnlichen Qualitäten bestehen in mechanischen, d. h. geometrischen und kinematischen, Eigenschaften von Körpern. Dies geht aus den Hypothesen hervor, die Leibniz beispielhaft für eine Erklärung sinnlicher Qualitäten anführt: die sinnliche Qualität des Rotseins könnte etwa in einem Rotieren von Kugeln bestehen, die Wärme in Wirbeln von feinem Staub und der Schall in Luftwellen. Zur Beschreibung ihrer objektiven Beschaffenheit werden entsprechend vor allem mathematische Ideen „der Größe“ und „der Vielfalt der Teile“ verwendet. In den Wahrnehmungen der sinnlichen Qualitäten erscheinen uns diese Qualitäten aber nicht als bestimmte mechanische Eigenschaften körperlicher Dinge, sondern als Röte, als Wärme, etc. (3) Es ist darüber hinaus festzuhalten, dass Leibniz die für die frühe Neuzeit originelle These vertritt, dass eine Repräsentationsrelation zwischen sinnlichen Ideen und den ihnen entsprechenden sinnlichen Qualitäten bestehe, die er als strukturelle Ähnlichkeit konzipiert (siehe AA VI.6.131–133/NA II, viii, 13–24). Selbst Locke, der ebenfalls annimmt, dass sinnliche Qualitäten unabhängig von ihrer Erscheinungsweise existieren, lehnt die Idee einer irgendwie gearteten Ähnlichkeitsbeziehung zwischen sinnlicher Idee und entsprechender Qualität ab. Er ist nur bereit, eine kausale Relation zwischen beiden anzuerkennen. Leibniz behauptet dagegen, dass die Idee der Röte der mechanischen Eigenschaft des Rotseins – etwa der Eigenschaft, das Licht in bestimmter Weise zu brechen – ähnlich ist. (4) Obwohl Leibniz die sinnlichen Qualitäten in ontologischer Sicht auf geometrische und kinematische Qualitäten zurückführt, erhält er dennoch einen epistemischen Unterschied zwischen beiden aufrecht. Sinnliche Qualitäten zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Ideen für uns prinzipiell verworren und unanalysierbar sind. Wir können von diesen Ideen keine Nominaldefinitionen entwickeln, weshalb die Ideen dieser Qualitäten zwar klar, aber dennoch stets verworren sind. Von mechanischen Eigenschaften hingegen haben wir distinkte Ideen. (5) Dies bedeutet aber nicht, dass wir nach Leibniz die Beschaffenheit sinnlicher Qualitäten überhaupt nicht erkennen könnten. Wir können dies, allerdings nicht aufgrund der Wahrnehmungen, in denen uns die sinnlichen Qualitäten erscheinen, sondern durch eine empirische Untersuchung der äußeren Umstände, in welchen diese Wahrnehmun-
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gen in uns entstehen. Leibniz ist der Ansicht, dass wir den sinnlichen Qualitäten auf die Spur kommen können, indem wir die Ursachen unserer Wahrnehmungen, die wir von diesen Qualitäten haben, untersuchen und Korrelationen zwischen dem Vorliegen bestimmter äußerer Umstände und dem Vorkommen bestimmter Wahrnehmungen herstellen. Indem wir solche Korrelationen bilden, können wir die Ursachen unserer Wahrnehmungen bestimmen. Da die sinnlichen Qualitäten die Wahrnehmungen dieser Qualitäten in uns erzeugen, haben wir auf diese Weise die Möglichkeit, die sinnlichen Qualitäten unabhängig von der Art und Weise, wie sie uns erscheinen, zu untersuchen. Offensichtlich können wir also nach Leibniz aufgrund empirischer Untersuchungen zu theoretischen Ideen sinnlicher Qualitäten gelangen, die uns Einblick in deren mechanische Natur erlauben, auch wenn sie uns dennoch nicht verstehen lassen, wie die Wahrnehmungen durch die entsprechenden sinnlichen Qualitäten erzeugt werden. Leibniz unterscheidet demnach zwei Arten von Ideen sinnlicher Qualitäten (vgl. Puryear 2005): auf der einen Seite haben wir sinnliche Ideen sinnlicher Qualitäten, die uns das Gegebensein sinnlicher Qualitäten in der Wahrnehmung unmittelbar erkennen lassen. Diese sind epistemisch undurchsichtig, da sie uns nicht erkennen lassen, wie diese Qualitäten beschaffen sind und wie sie Wahrnehmungen hervorbringen. Auf der anderen Seite können wir aufgrund empirischer Untersuchungen theoretische Ideen sinnlicher Qualitäten bilden, die wir zwar nicht in der Wahrnehmung anwenden können (nach der Einführung solcher theoretischer Ideen erscheinen uns ja nicht plötzlich rotierende Kugeln in der Wahrnehmung, sondern weiterhin etwas Rotes), die uns dafür aber theoretische Einsichten in die tatsächliche Beschaffenheit sinnlicher Qualitäten erlauben. K40: In der Wahrnehmung äußerer Gegenstände erscheinen uns nicht nur sinnliche Qualitäten, sondern darüber hinaus gemeinsinnliche Qualitäten, d. h. Qualitäten, die nicht sinnesspezifisch sind, sondern in den Wahrnehmungen verschiedener Sinne vorkommen. Dazu gehören die Ideen der Zahlen und Gestalten, also die mathematischen Ideen der Arithmetik und Geometrie, aber auch kinematische Ideen wie die der Bewegung und der Ruhe (AA VI.6.128/NA II, v). Im Unterschied zu den sinnlichen Ideen sind die gemeinsinnlichen nicht verworren, sondern distinkt, weil wir von ihnen Nominaldefinitionen haben können. Aufgrund dieser Eigenschaft zählt Leibniz sie auch zu den Verstandesideen (AA VI.6.128/NA II, v). Die gemeinsinnlichen mathematischen Ideen sind in den Wahrnehmungen der einzelnen Sinne enthalten, weshalb wir Wahrnehmungen
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von bestimmten Anzahlen von Gegenständen und von Gegenständen mit bestimmten Gestalten haben. Zugleich können wir Wahrnehmungen aus verschiedenen Sinnen dahingehend miteinander vergleichen, welche gemeinsinnlichen Eigenschaften sie enthalten. Ein solcher Vergleich bedarf einer eigenen kognitiven Fakultät. Leibniz bezeichnet diese als „inneren Sinn“ bzw. „Einbildungskraft“. Die Einbildungskraft umfasst die gemeinsinnlichen Ideen, insofern diese in ihr miteinander verglichen werden können. Sie umfasst zugleich die sinnlichen Ideen, denn auch diese lassen sich ja miteinander in Beziehung setzen: Der Grünton einer Wahrnehmung lässt sich mit dem Grünton einer anderen vergleichen. K41: Die Wahrnehmung gemeinsinnlicher Eigenschaften wie etwa der Anzahl und der Gestalt reichen zu der Ausbildung einer mathematischen Wissenschaft genauso wenig aus wie der Vergleich solcher Eigenschaften in der Einbildungskraft. Auch induktive Generalisierungen, die auf Wahrnehmungen beruhen, sind hierfür unzureichend. Um über induktive Erkenntnisse hinausgehend zu demonstrativen deduktiven Erkenntnissen gelangen zu können, so meint Leibniz, benötigen wir ein weiteres kognitives Vermögen. Dieses weitere kognitive Vermögen besteht in der „Intelligenz“ bzw. dem „Verstand“. Der Verstand verfügt über eigene „Objekte“, mit denen er operiert. Diese sind weder wahrnehmbar noch in der Einbildungskraft vorstellbar, sondern nur durch den Verstand erfassbar. Dieses nur durch den Verstand erfassbare „Objekt“ besteht in dem Gedanken an äußere Gegenstände selbst. Die Verstandeshandlung, die zu der sinnlichen Aktivität und den Vorstellungen der Einbildungskraft hinzutritt, ist folglich ein Reflexionsakt, dessen Gegenstand ein Gedanke über äußere Gegenstände ist. Weiterführende reflexive Betrachtungen ermöglichen zum einen die Erkenntnis dessen, was eine Substanz ist sowie der Existenz weiterer Geistsubstanzen, die ebenfalls über IchGedanken verfügen; zum anderen liefern sie uns metaphysische, logische und moralische Ideen (vgl. K29). Leibniz erklärt nicht, wie aufgrund dieser reflexiven Verstandestätigkeit demonstrative Wissenschaften ermöglicht werden. Jedoch lässt sich Leibniz’ Behauptung verständlich machen, wenn man folgende Punkte bedenkt: (1) Demonstrative Wissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit deduktiven Schlüssen arbeiten. (2) Deduktive Schlüsse werden vollzogen, indem Definitionen für Ideen bzw. deren symbolische Repräsentationen eingesetzt werden. (3) Definitionen sind aber Zerlegungen von Ideen, d. h. der Akt des Definierens ist ein Meta-Akt, der eine Idee zum Objekt hat. (4) Daher ist die Fähigkeit zur Reflexion auf
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Gedanken und auf ihre Inhalte nicht nur eine Quelle bestimmter Ideentypen (metaphysisch, moralisch, logisch), sondern sie ermöglicht zuallererst Nominaldefinitionen und somit distinkte Ideen wie deduktive Beweise. 8.2.6 Auszüge aus den Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1703–1705) K42: Zum Begriff der Apperzeption beachte die Übersetzungshinweise in den editorischen Vorbemerkungen des Textbandes. K43: In dem abgedruckten Auszug aus dem Vorwort der Neuen Abhandlungen beschäftigt sich Leibniz mit dem ersten Buch aus John Lockes An Essay concerning Human Understanding. (Der angesprochene „fähige Autor“ ist also John Locke.) Leibniz versucht hier in seiner typisch konzilianten Art, den Empiristen Locke mit seiner eigenen These der angeborenen Ideen in Übereinstimmung zu bringen. Dazu bezieht er sich auf Lockes Annahme, es gebe zwei Erkenntnisquellen: Die Sinne und die Reflexion (siehe Lockes Essay, II, i, § 2; Bd.1, S. 265). Leibniz versucht aus Lockes Zugeständnis, es gebe mit der Reflexion eine zweite Erkenntnisquelle, die neben den äußeren Sinnen bestehe, eine Festlegung auf die These angeborener Ideen abzuleiten. Leibniz’ Argument ist in der Sekundärliteratur sehr kritisch bewertet worden (Jolley 1990, Kapitel 10). Und tatsächlich scheint Leibniz ein simpler Fehler zu unterlaufen. Während er zuerst von vornehmlich essentiellen Eigenschaften unseres Geistes spricht, die uns mit unserem Geist angeboren sind (Substanz, Dauer, Veränderung, etc.), geht er kurz darauf dazu über, von der Angeborenheit der Ideen dieser Eigenschaften zu sprechen. Aus der trivialen Behauptung, dass uns diese Eigenschaften unseres Geistes mit diesem Geist selbst angeboren sind, folgt jedoch keineswegs die kontroverse These, dass uns die Ideen dieser Eigenschaften ebenfalls angeboren sind. Allerdings übersieht dieser Einwand eine entscheidende Prämisse, die Leibniz seinem Argument hinzufügt. Leibniz spricht davon, dass „diese Objekte [die Eigenschaften des Geistes; C.B.] unserem Verstand unmittelbar und immer gegenwärtig sind“. Aus dieser Zusatzprämisse P folgt die Angeborenheitsthese sehr wohl, denn natürlich können – jedenfalls für Leibniz – dem Geist seine eigenen Eigenschaften nur vermittels der Ideen dieser Eigenschaften gegenwärtig sein. Da ihm diese Eigenschaften aber immer, also von Anbeginn seiner Existenz an, gegenwärtig sind, müssen die entsprechenden Ideen angeboren sein.
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Dieses Argument steht und fällt mit der keineswegs auf Anhieb einleuchtenden Prämisse P. Für eine grundlegende Verteidigung von Leibniz’ Argumentation müsste vor allem P begründet werden. K44: Leibniz bedient sich wiederum der Marmormetapher, um zu verdeutlichen, in welcher Weise uns Wahrheiten angeboren sind. Interessanterweise präsentiert Leibniz diese Metapher in anderer Form als in den Überlegungen. Leibniz weist sogar die Form der Marmormetapher, die er in den Überlegungen verwendet hat, explizit zurück und nutzt sie, um Lockes Position der Tabula Rasa zu illustrieren. Ideen und Wahrheiten sollen uns nun nicht mehr so angeboren sein, wie die Figur des Herkules potentiell in einem vollkommen gleichmäßigen Marmorblock vorhanden ist, sondern so, wie die Figur des Herkules in einem Marmorblock enthalten ist, der Venen aufweist, welche die Figur des Herkules bereits ‚vorzeichnen‘. Leibniz möchte damit deutlich machen, dass wir nicht nur eine inhaltlich unbestimmte Rezeptionsfähigkeit für beliebige Ideen und Wahrheiten besitzen, sondern Ideen uns als „Anlagen, Dispositionen, Gewohnheiten oder natürliche Virtualitäten“ angeboren sind, die uns in die Lage versetzen, ganz bestimmte Gedanken hervorzubringen (vgl. K19). K45: Leibniz greift hier die cartesianische und von Locke geteilte Ansicht an, dass nur das im Geiste existiert, was dem Geist auch bewusst ist. Die Rede von Virtuellem, das in unserem Geist existiert, bezieht er auf Denkfähigkeiten und Denkinhalte, die unabhängig entsprechender Denkakte im Geist gegeben sind. Als Beispiele für virtuell im Geist Vorhandenes nennt Leibniz Gewohnheiten und die Inhalte unseres Gedächtnisses, aber auch die angeborenen Ideen und Wahrheiten. Zu Platons Wiedererinnerungslehre siehe K26. K46: Philalethes ist der Stellvertreter der Lockeschen Position, während Theophilus der Gewährsmann von Leibniz ist. Philalethes gibt hier Lockes Bestimmung von Ideen wieder. Siehe Lockes Essay, Einführung, § 8 und II, i, § 1; Bd.1, S. 264 und 265. K47: Leibniz unterscheidet zwischen drei Objekten eines Gedankens: (1) das unmittelbare innere Objekt, (2) das unmittelbare äußere Objekt, (3) das mittelbare äußere Objekt. Das mittelbare äußere Objekt ist der körperliche Gegenstand, von dem der Gedanke handelt. Dieser ist nur mittelbar äußeres Objekt, weil Leibniz kausale Einwirkungen zwischen geschaffenen Substanzen ablehnt (vgl. K30). Das unmittelbare äußere Objekt ist Gott, der permanent auf alle Substanzen einwirkt und sie dadurch in ihrer Existenz bewahrt. Das unmittelbare innere Objekt eines Gedankens ist seine Idee. Die Betonung darauf, dass
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Ideen innere Objekte sind, dient wiederum der Abgrenzung von Malebranches Ideenauffassung (vgl. K19, K31, K32). Der Hinweis, dass Ideen als Denkobjekte nicht mit den Denkakten entstehen und vergehen, sondern unabhängig von diesen existieren, drückt Leibniz’ Ablehnung von Arnaulds Ideenkonzeption aus. Leibniz kann somit an seiner These festhalten, dass die Seele bereits alle Ideen beinhaltet und sie uns also angeboren sind. Leibniz’ Identifizierung von Ideen mit Denkobjekten scheint seiner früheren Aussage zu widersprechen, dass Ideen Denkvermögen oder Qualitäten sind, bestimmte Denkakte zu vollziehen (vgl. den systematischen Essay (8.3)). Um Leibniz einen solchen Widerspruch nicht zuschreiben zu müssen, bieten sich drei Interpretationsstrategien an: (1) Man nimmt an, dass Leibniz seine Ideenkonzeption in der Zwischenzeit verändert hat. Dagegen spricht jedoch Leibniz’ ausdrücklicher Bezug auf die Überlegungen und den Erklärungen, die er in dieser Schrift von den epistemischen Unterschieden zwischen Ideen liefert (siehe AA VI.6.256/NA II, xxix, 2). Hätte Leibniz seine Ideenkonzeption in der Zwischenzeit grundlegend verändert, hätte er vermutlich nicht diese Kontinuität zu seiner früheren Position betont. (2) Leibniz’ Rede von Gedanken ist an dieser Stelle als eine Rede von Reflexionsakten zu verstehen, die sich auf Perzeptionen beziehen. Begreift man nun Ideen als Denkvermögen oder Qualitäten (siehe den systematischen Essay (8.3)), bestimmte Denkakte zu vollziehen, und identifiziert diese wiederum mit Perzeptionen, so wird verständlich, inwiefern Ideen, die als Denkvermögen oder Qualitäten des Geistes begriffen werden, dennoch zugleich als Gegenstand eines Denkaktes fungieren können. Die Aktualisierung von Ideen besteht dann darin, dass sich ein Reflexionsakt auf diese Idee richtet. Diese elegante Lösung des Problems stößt jedoch auf ein Problem, denn sie stimmt nicht mit Leibniz’ Definition von Gedanken in den Neuen Abhandlungen überein, nach der Gedanken in Perzeptionen bestehen, die von einem Reflexionsvermögen begleitet werden, nicht aber mit Reflexionsakten gleichzusetzen sind (siehe AA VI.6.173/NA II, xxi, 5). (3) Leibniz vertritt in dieser Passage eine versöhnend-konziliante Haltung gegenüber Locke, d. h., er nimmt aus rhetorisch-strategischen Gründen Philalethes’ Erläuterung von Lockes Ideenkonzeption auf und stimmt ihr vordergründig zu, um dann auf der Grundlage des so gefundenen Konsenses die gegnerische Position mit der eigenen in Einklang zu bringen und Philalethes auf diese Weise von den eigenen Ansichten zu überzeugen. Für diese Deutung spricht erstens, dass Leibniz unmit-
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telbar auf eine Vorgabe von Philalethes antwortet und diese aufgreift. Zweitens nutzt er die Lockesche Position, um zu begründen, warum Ideen auch unabhängig von aktualen Denkakten im Geist existieren können. Dies ist möglich, weil Ideen als Denkobjekte von den Denkakten ontologisch verschieden sind. Ist dies aber der Fall, dann kann Leibniz begründen, warum es möglich ist, dass uns Ideen dauerhaft im Geist gegeben sind, ohne dass sie uns in einem Denkakt bewusst sind, ja dass sie uns sogar angeboren sein können. K48: Leibniz lehnt die Idee einer Tabula Rasa (vgl. K27) als eine Fiktion von Philosophen ab. Insbesondere kritisiert Leibniz, dass die Vertreter einer Tabula-Rasa-Theorie des Geistes nicht angeben können, worin ein Geist überhaupt noch bestehen soll. Die aristotelisch-scholastische Antwort, ein Geist verfüge über „nackte Vermögen“ bzw. „reine Möglichkeiten“, weist Leibniz zurück, denn auch diese hält er für philosophische Abstraktionen, die in der Natur nicht existierten. Die in der Natur tatsächlich vorkommenden Vermögen sind niemals „nackt“, sondern immer schon dahingehend festgelegt, Vermögen zu bestimmten Tätigkeiten zu sein. Zudem sind sie anders als die „nackten Vermögen“ nicht rein passiv, sondern immer schon mit einer aktiven Tendenz versehen, sich zu aktualisieren. Zu der These, dass die Seele keine Fenster habe, vgl. Monadologie § 7. Zu Leibniz’ Behauptung, metaphysische Begriffe stammten aus der Reflexion und nicht aus den Sinnen, vgl. K29 und K41. K49: Leibniz macht hier deutlich, wie er die Behauptung verstanden wissen will, dass die Sinne und die Reflexion die Quellen unserer Erkenntnisse seien. Während Locke annimmt, dass wir die Ideen selbst aus diesen Quellen beziehen, sind die Sinne und die Reflexion nach Leibniz nur verantwortlich für die Aktualisierung dieser Ideen in Apperzeptionsakten. Für Leibniz beziehen wir diese Ideen also keineswegs aus den Sinnen oder der Reflexion. Leibniz deutet hier also seine metaphysische Auffassung an, nach der uns alle Ideen angeboren sind. Er verlässt in dieser Passage also implizit den Standpunkt des „systeme commun“ und begibt sich auf die Ebene seines „nouveau Systeme“ (vgl. K3).
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8.3 Essay: Dauerhafter Adverbialismus 8.3.1 Einleitung Mit der Metaphysischen Abhandlung10 liefert Leibniz die erste zusammenhängende Darstellung weiter Teile seiner philosophischen Auffassungen. Diese Schrift zeichnet sich durch ihren thetischen und wenig argumentativen Charakter aus und ist vornehmlich eine Reaktion auf René Descartes und dessen Nachfolger Antoine Arnauld und Nicolas Malebranche. Während Leibniz eine ganze Reihe vor allem metaphysischer Themen in der Metaphysischen Abhandlung behandelt, wird es in diesem systematischen Essay ausschließlich um die Ideentheorie gehen, die Leibniz in dieser Schrift formuliert. Auch diese ist, wie wir sehen werden, eine Reaktion auf die Konzeptionen von Descartes, Arnauld und Malebranche. Leibniz versucht die Wahrheiten, die er in deren Ansätzen zu erkennen glaubt, in einer eigenen Konzeption zusammenzufügen. Allerdings lassen Leibniz’ knappe Bemerkungen zu seiner Ideenkonzeption in der Metaphysischen Abhandlung viele Fragen offen. Unklar ist zum einen, was Leibniz genau unter Ideen versteht. Leibniz’ Bemerkungen in seiner früheren Schrift Was ist eine Idee? deuten darauf hin, dass Ideen als Denkvermögen („facultates“) zu verstehen sind (Bd.1, S. 309). Der Begriff des Denkvermögens ist aber selbst erklärungsbedürftig, insbesondere wenn – und darin waren sich die Cartesianer und Leibniz einig – dem aristotelisch-scholastischen Begriff „nackter Vermögen“ keine explanatorische Kraft zugeschrieben werden kann. In § 26 der Metaphysischen Abhandlung spricht Leibniz zudem nicht von Denkvermögen, sondern von der Qualität, bei entsprechender Gelegenheit bestimmte Gedanken hervorzubringen (Bd.1, S. 317). Leibniz bestimmt aber nicht, was unter einer solchen Qualität zu verstehen ist. Es ist daher unklar, ob die Rede von einer Qualität in Kontinuität zu Was ist eine Idee? in dem Sinn eines Vermögens zu verstehen ist oder ob er darunter in der Metaphysischen Abhandlung etwas anderes versteht. Zwei Fragen drängen sich daher auf: (1) Die Frage nach der Intension von Leibniz’ Ideenbegriff in der Metaphysischen Abhandlung: Was heißt es für etwas, eine Idee zu sein, d. h., welche Eigenschaften muss etwas aufweisen, damit es unter Leibniz’ Begriff der Idee in der Metaphysischen Abhandlung fällt?
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AA VI.4.b.1529–1588.
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(2) Die Frage nach der Extension von Leibniz’ Ideenbegriff in der Metaphysischen Abhandlung: Mit welchen Entitäten sind Ideen zu identifizieren, d. h., welche mentalen Entitäten fallen unter Leibniz’ Begriff der Idee in der Metaphysischen Abhandlung? In diesem systematischen Essay soll versucht werden, beide Fragen zu beantworten. Hierzu wird in Abschnitt 8.3.2 untersucht, was Leibniz in der Metaphysischen Abhandlung unter Ideen versteht, d. h., wie die Intension von Leibniz’ Ideenbegriff aus der Metaphysischen Abhandlung beschaffen ist. Die Abschnitte 8.3.3 und 8.3.4 wenden sich der Frage zu, worin die Extension dieses Begriffs besteht, d. h., mit welchen mentalen Entitäten Leibniz Ideen identifiziert. Abschnitt 8.3.5 schließt diese Untersuchung mit einer Zusammenfassung ab. 8.3.2 Was versteht Leibniz unter einer Idee? Die Intension von Leibniz’ Ideenbegriff in der Metaphysischen Abhandlung Im Einklang mit seiner philosophischen Methode des versöhnenden Eklektizismus11 entwickelt Leibniz seine Ideenkonzeption in der Metaphysischen Abhandlung in Auseinandersetzung mit cartesianischen Auffassungen von Ideen. Im Zuge dieser Auseinandersetzung charakterisiert er in zwei verschiedenen Textpassagen zwei allgemeine Ideenauffassungen, die ich im Folgenden vorstellen möchte. Sie liefern den theoretischen Hintergrund für Leibniz’ eigene Ideenkonzeption in der Metaphysischen Abhandlung. 8.3.2.1 Leibniz’ Darstellung cartesianischer Ideenkonzeptionen: zwei Textstellen Die erste Textstelle, in der Leibniz die Charakterisierung dieser zwei allgemeinen Ideenkonzeptionen vornimmt, ist Randnotizen entnommen, die Leibniz 1676 zu Simon Fouchers Schrift Réponse pour la critique à la préface du second volume de la Recherche de la verité 12 angefertigt hat:
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Vgl. Mercer 2001, Part I. Simon Foucher war ein Kritiker des Cartesianismus in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Er war in einen argumentativen Schlagabtausch mit Malebranche und dessen Anhängern verwickelt, in dessen Verlauf er 1675 und 1676 drei Schrif-
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Idee kann in zwei Weisen verstanden werden; einmal als Eigenschaft oder Form des Denkens, wie die Geschwindigkeit und die Richtung dies sind in Bezug auf Bewegung; oder als unmittelbares oder nahestes Objekt der Perzeption. In diesem Sinne wäre die Idee keine Seinsweise unserer Seele. Dies ist offensichtlich die Ansicht von Platon oder dem Autor der Recherche. Denn wenn die Seele an das Sein, an die Identität, an das Denken, an die Dauer denkt, dann hat sie ein bestimmtes unmittelbares Objekt oder eine nächstliegende Ursache ihrer Perzeption. Auf diese Weise kann es sein, dass wir alles in Gott sehen und dass die Ideen oder unmittelbaren Objekte die Attribute Gottes selbst sind. Diese Formulierungen oder Redeweisen haben einen wahren Kern, aber um richtig zu sprechen, muss man den Termini eine konstante Bedeutung geben. [AA VI.3.315.20–316.9; Übersetzung Barth]
Leibniz wiederholt acht Jahre später in der Metaphysischen Abhandlung seine Charakterisierung der beiden Ideenkonzeptionen und formuliert zudem im Anschluss an diese Darstellung seine eigene Auffassung von Ideen, d. h., er gibt dem Ausdruck „Idee“ die von ihm geforderte konstante Bedeutung und versucht zugleich, die Wahrheiten zu integrieren, die seiner Ansicht nach in den beiden beschriebenen Ideenkonzeptionen zu finden sind: Um gut zu begreifen, was die Idee ist, muss man einer Äquivokation vorbeugen, denn mehrere halten die Idee für die Form oder Differenz unserer Gedanken, und auf diese Weise haben wir die Idee nur in dem Maße im Geiste, in dem wir daran denken, und jedes Mal, das wir erneut daran denken, haben wir andere Ideen desselben Dinges, auch wenn den vorhergehenden ähnliche. Aber es scheint, dass andere die Idee als unmittelbares Objekt des Gedankens auffassen oder als irgendeine beständige Form, die bestehen bleibt, auch wenn wir sie nicht betrachten. Und tatsächlich hat unsere Seele immer die Qualität in sich, sich jede beliebige Natur oder Form zu repräsentieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt, daran zu denken. Und ich glaube, dass diese Qualität unserer Seele, insofern sie eine Natur, Form oder Essenz ausdrückt, im eigentlichen Sinne die Idee des Dinges ist, die in uns ist, und die immer in uns ist, ob wir daran denken oder nicht. [Metaphysische Abhandlung § 26; Übersetzung Stoichita/Barth; Bd.1, S. 317]
Eine Idee wird nach der ersten Textstelle in der ersten Ideenkonzeption „als Eigenschaft oder Form des Denkens“ charakterisiert. Diese Charakterisierung nimmt Bezug auf Descartes’ Definition von Ideen als „die Form eines jeden beliebigen Denkens, durch deren unmittelbare Perzeption ich mir dieses Denkens bewusst bin.“13 Aus der zweiten Textstelle geht aber hervor, dass auch die zweite Konzeption als eine Variante von Descartes’ Ideendefinition angesehen werden kann, denn nach § 26 der
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ten veröffentlichte, in denen er seine Kritik an Malebranche präsentiert. Leibniz’ Notizen betreffen die dritte dieser Schriften. AT VII 160; Bd.1, S. 76.
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Metaphysischen Abhandlung sind Ideen gemäß der zweiten Konzeption „beständige Formen“ von Gedanken. Beide Konzeptionen, die Leibniz skizziert, stellen also alternative Interpretationen von Descartes’ Ideendefinition dar. Leibniz nennt in den beiden Passagen keinen Autor explizit, dessen Position unter die erste Ideenkonzeption fällt. Zu der zweiten Konzeption gehören jedoch, wie Leibniz ausdrücklich sagt, die Auffassungen von Platon und Malebranche. Da Leibniz Malebranches Position unter die zweite Konzeption subsumiert, liegt es nahe, die Ideentheorie von dessen Gegenspieler Antoine Arnauld als eine Ausformung der ersten Konzeption anzusehen. Diese Hypothese wird durch einen späten Brief von Leibniz an Nicolas-Francois Remond gestützt, in dem Leibniz Descartes und Arnauld die Auffassung zuschreibt, dass Ideen (temporäre) Modifikationen des Geistes seien.14 Wie wir sehen werden, entspricht diese Auffassung der ersten Konzeption, die Leibniz in den beiden Textstellen beschreibt. Ich werde im Folgenden die beiden von Leibniz skizzierten Ideenkonzeptionen als „Konzeption1“ bzw. „Konzeption2“ bezeichnen. Ausgehend von den beiden angeführten Textstellen soll Leibniz’ Charakterisierung von Konzeption1 und Konzeption2 nun genauer untersucht werden. Dies ist für unsere Ausgangsfrage wichtig, da Leibniz – wie aus § 26 der Metaphysischen Abhandlung hervorgeht – seine eigene Ideenauffassung in Auseinandersetzung mit diesen beiden Konzeptionen entwickelt. 8.3.2.2 Die adverbial-temporäre Ideenkonzeption1 (Descartes, Arnauld) Wie wir gesehen haben, greift Leibniz in seiner ersten Charakterisierung von Konzeption1 Descartes’ Beschreibung von Ideen als Formen des Denkens auf. Was ist in der ersten Textstelle unter einer Idee als Form des Denkens zu verstehen? Da Leibniz den singulären Ausdruck „Denken“ und nicht den pluralen Ausdruck „Gedanken“ verwendet und da er in einem cartesianischen Kontext argumentiert, ist zu vermuten, dass er sich hier auf das Attribut des Denkens bezieht, unter das jedes denkende Wesen fällt. Formen des Denkens sind entsprechend als
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GP III 659; vgl. auch AA VI 4, 591.
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konkrete Ausformungen des Attributs des Denkens zu verstehen, aufgrund derer eine Geistsubstanz unter dieses Attribut fällt, d. h., Formen des Denkens sind mit inhaltlich bestimmten Denkakten zu identifizieren. Entsprechend ist auch die Analogie zu verstehen, die Leibniz zwischen Formen des Denkens und den Eigenschaften der Geschwindigkeit wie der Richtung von Bewegungen zieht. Eine mit einer bestimmten Geschwindigkeit versehene und in eine bestimmte Richtung verlaufende Bewegung ist eine konkrete Ausformung des Attributs der Bewegung so wie eine Idee eine konkrete Ausformung des Attributs des Denkens ist. Wieso spricht Leibniz dann aber in seiner Darstellung von Konzeption1 in § 26 der Metaphysischen Abhandlung von der „Form oder Differenz unserer Gedanken“? Die Rede von Gedanken in der Mehrzahl schließt aus, dass sich Leibniz hier ebenfalls auf das Attribut des Denkens bezieht. Es geht ihm offensichtlich um einzelne Denkakte. Eine Form ist hier folglich nicht eine konkrete Ausformung des Attributs des Denkens. Leibniz verwendet also den Ausdruck „Form“ in beiden Textpassagen in unterschiedlicher Weise. Was ist aber unter einer Form eines Gedankens im Sinne eines Denkakts im Unterschied zu einer Form des Attributs des Denkens zu verstehen? Einer Antwort auf diese Frage kommen wir näher, wenn wir zwischen einem inhaltlich unbestimmten und einem inhaltlich bestimmten Denkakt unterscheiden. Die in § 26 der Metyphysischen Abhandlung angesprochenen Gedanken sind als inhaltlich unbestimmte Denkakte zu verstehen, deren Formen in inhaltlich bestimmten Denkakten bestehen. Die Formen von Gedanken sind demnach inhaltliche Ausformungen inhaltlich unbestimmter Denkakte. Folgen wir dieser Deutung der in Frage stehenden Textstelle, dann wird auch verständlich, in welchem Sinne diese Formen für die Differenz zwischen Gedanken verantwortlich sind. Sie sorgen für eine Differenz zwischen Gedanken, die in inhaltlich unbestimmten Denkakten bestehen, indem sie diese Gedanken inhaltlich bestimmen. Gedanken verschiedenen Inhalts werden dadurch voneinander unterscheidbar. Soweit haben wir gesehen, dass nach Konzeption1 Ideen inhaltlich bestimmte Denkakte sind. Fraglich ist allerdings, ob Leibniz in diesem Zusammenhang unter Denkakten Typen solcher Akte oder konkrete Denkaktvorkommnisse versteht. Die folgende Passage macht deutlich, dass sich Leibniz auf konkrete Denkaktvorkommnisse bezieht: … und jedes Mal, das wir erneut daran denken, haben wir andere Ideen desselben Dinges, auch wenn den vorhergehenden ähnliche. [Metaphysische Abhandlung § 26; Übersetzung Stoichita/Barth; Bd.1, S. 317]
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Würde Leibniz unter Denkakten Typen solcher Akte verstehen, die zu verschiedenen Zeitpunkten und von verschiedenen Subjekten vollzogen werden können, lägen bei zwei verschiedenen Denkaktvorkommnissen desselben Inhalts nicht zwei verschiedene Ideen vor. Ideen sind also nach Konzeption1 datierbare Vorkommnisse gedanklicher Akte. Daher gilt nach Konzeption1, dass zwei Ideen, die in verschiedenen Zeiträumen vollzogen werden, voneinander verschieden sein müssen. Da Ideen also nach Konzeption1 als inhaltlich bestimmte Denkaktvorkommnisse aufzufassen sind, die in einem bestimmten Zeitraum auftreten, kann Konzeption1 als eine Ideenkonzeption aufgefasst werden, nach der Ideen temporär auftretende Entitäten sind. Wir können somit zusammenfassend festhalten, dass die in der ersten Textpassage angesprochene Form des Denkens als eine Ausformung des Attributs des Denkens zu verstehen ist, also als ein inhaltlich bestimmtes Denkaktvorkommnis; die Formen der Gedanken aus der zweiten Textpassage sind dagegen inhaltliche Ausformungen von zuvor inhaltlich unbestimmten Denkaktvorkommnissen. Die Rede von Formen betrifft somit in beiden Fällen dieselben Entitäten, nämlich inhaltlich bestimmte Denkaktvorkommnisse, auch wenn diese als Ausformungen von zwei verschiedenen Abstrakta (auf der einen Seite als Ausformungen des Attributs des Denkens, auf der anderen Seite als Ausformungen inhaltlich unbestimmter Denkaktvorkommnisse) charakterisiert werden. Der ersten Textstelle lässt sich ein weiterer Hinweis darauf entnehmen, worin Ideen nach Konzeption1 bestehen. Die abgrenzende Bemerkung, dass eine Idee nach Konzeption2 keine Seinsweise unserer Seele („facon d’estre de nostre ame“, AA VI.3.316.2/3) ist, weist darauf hin, dass Ideen nach Konzeption1 eben dies sind, d. h. Seinsweisen oder Modifikationen unserer Seele. Vollzieht eine Geistsubstanz in einem bestimmten Zeitraum einen Denkakt, der von der Sonne handelt, so ist ihre Seinsweise in diesem Zeitraum an-die-Sonne-denkend, d. h., sie unterliegt der Modifikation, an-die-Sonne-denkend zu sein. Ideen sind also nach Konzeption1 als temporäre Modifikationen von Geistsubstanzen zu verstehen, die adverbial zu analysieren sind. Sie zeichnen sich nicht nur durch ihr temporäres Auftreten im Geist aus, sondern auch dadurch, dass sie adverbial zu analysierende Modifikationen der Geistsubstanzen sind, in denen sie vorkommen. Konzeption1 soll daher im Folgenden „adverbial-temporäre“ Ideenkonzeption genannt werden.
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8.3.2.3 Die objektual-dauerhafte Ideenkonzeption2 (Plato, Malebranche) Nach Konzeption2, unter die Leibniz Platos und Malebranches Auffassungen subsumiert, ist eine Idee ein „unmittelbares Objekt des Gedankens … oder … irgendeine beständige Form, die bestehen bleibt, auch wenn wir sie nicht betrachten“.15 Aus dieser Passage geht hervor, dass Ideen zwar wiederum als Formen von Denkakten fungieren, diese Formen nun aber nicht mehr in inhaltlich bestimmten Denkaktvorkommnissen bestehen, die kurzzeitig auftreten und adverbial zu konzipieren sind, sondern in Objekten, die aufgrund einer Relation,16 die zwischen dem denkenden Subjekt und dem Objekt besteht, den Inhalt eines Denkakts ausmachen. Daher können – wie Leibniz hervorhebt – Ideen nach Konzeption2 dauerhaft existieren, also auch dann, wenn sie gerade nicht Inhalt eines gegenwärtigen Denkakts sind, das Subjekt also gerade keinen Denkakt vollzieht und nicht in der angesprochenen Relation zu der Idee als potentiellem Denkobjekt steht. Ideen in diesem zweiten Sinn sind also real verschieden von den Denkaktvorkommnissen, deren Objekte sie sind, und führen eine eigenständige Existenz unabhängig von ihnen. Womit sind nun aber Ideen als dauerhafte, potentielle Denkobjekte zu identifizieren? Leibniz’ Charakterisierung von Konzeption2 lässt dies offen. Eine Antwort auf diese Frage führt zu spezifischen Varianten dieser zweiten Ideenkonzeption, die als „objektual-dauerhaft“ bezeichnet werden kann. Man erhält etwa Malebranches Auffassung von Ideen, wenn man hinzufügt, dass Ideen als abstrakte Objekte in Gott existieren. Platons Ideentheorie ergibt sich, wenn die Ideen im platonischen ‚Ideenhimmel‘ angesiedelt werden. Während Malebranches und Platons Konzeptionen Ideen als Objekte auffassen, die außerhalb des menschlichen Geistes existieren, ließen sich objektual-dauerhafte Ideen im Prinzip aber auch mit Objekten im menschlichen Geist gleichsetzen. Auf diese Weise gewänne man eine psychologistische Version der objektual-dauerhaften Ideenkonzeption, die Ideen als dauerhafte Entitäten im menschlichen Geist begreift.17 15
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Metaphysische Abhandlung § 26; Übersetzung Stoichita/Barth; Bd.1, S. 317. Das „oder“ ist in dieser Passage in dem Sinn eines „das heißt“ zu verstehen. Diese Relation besteht bei Malebranche in einem Sehen der Ideen in Gott. Allerdings hätte eine solche „Psychologisierung“ der Denkobjekte zur Folge, dass entweder der Geist nicht mehr als Substanz in dem Sinn eines Trägers von Modi-
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8.3.2.4 Leibniz’ adverbial-dauerhafter Ideenbegriff in der Metaphysischen Abhandlung Leibniz begnügt sich nicht mit einer Darstellung dieser zwei allgemeinen Ideenkonzeptionen, die seiner Ansicht nach einige Wahrheiten enthalten, aber dem Ausdruck „Idee“ keine konstante Bedeutung zuweisen. Er versucht ein eindeutiges Verständnis von Ideen zu entwickeln, das diese Wahrheiten berücksichtigt. Seine eigene Position skizziert Leibniz im Anschluss an die Darstellung der beiden Ideenkonzeptionen in § 26 der Metaphysischen Abhandlung.18 Leibniz schreibt: Und tatsächlich hat unsere Seele immer die Qualität in sich, sich jede beliebige Natur oder Form zu repräsentieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt, daran zu denken. Und ich glaube, dass diese Qualität unserer Seele, insofern sie eine Natur, Form oder Essenz ausdrückt, im eigentlichen Sinne die Idee des Dinges ist, die in uns ist, und die immer in uns ist, ob wir daran denken oder nicht. [Metaphysische Abhandlung § 26; Übersetzung Stoichita/Barth; Bd.1, S. 317]
Der Satzanfang „Und tatsächlich …“ bringt zum Ausdruck, dass Leibniz der zuvor charakterisierten objektual-dauerhaften Ideenkonzeption2 zumindest partiell zustimmt. Diese Zustimmung betrifft einen zentralen Aspekt der objektual-dauerhaften Ideenkonzeption2, den er in seine eigene Auffassung übernimmt, nämlich die dauerhafte Existenz von Ideen im Geist: Ideen von Dingen sind, wie Leibniz sagt, „immer in uns“, unabhängig davon, ob wir an diese Dinge gerade denken oder nicht. Leibniz versteht Ideen allerdings im Unterschied zur objektualdauerhaften Konzeption nicht als Objekte, sondern setzt sie in einen engen Zusammenhang mit einer bestimmten Qualität („qualité “) des Geistes. Er erläutert nicht, was unter dieser Qualität des Geistes genau zu verstehen ist. Da diese Qualität den Geist aber in die Lage versetzt, bei entsprechender Gelegenheit einen Denkakt zu vollziehen, der von einem bestimmten Ding handelt, könnte man vermuten, das diese geistige Qualität nichts anderes als das Vermögen ist, an dieses Ding denken zu können. Gegen diese Hypothese spricht aber Leibniz’ Wahl des Begriffs der Qualität. Wenn doch Leibniz Ideen als Denkvermögen auf-
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fikationen aufgefasst werden könnte oder aber die Rede von Objekten auf die Rede von Modifikationen der Geistsubstanz zurückgeführt werden müsste. Eine analoge Problematik besteht für Malebranches Verortung der Ideen als abstrakte Denkobjekte in Gott. Eine frühere Fassung dieser Ideenkonzeption hat Leibniz in dem Text Quid sit idea (AA VI.4.b, 1370–1371; Bd.1, S. 309) aus dem Jahr 1677 ausgeführt.
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fasst, warum erläutert er sie dann nicht unter Verwendung des Begriffs des Vermögens („faculté “), wie in Was ist eine Idee? geschehen?19 Im Folgenden werde ich daher bei Leibniz’ eigener Kennzeichnung bleiben und Ideen in erster Annäherung nicht als Denkvermögen beschreiben, sondern eben als Qualitäten des Geistes, bei entsprechender Gelegenheit an ein bestimmtes Ding denken zu können. Über eine Idee zu verfügen, heißt also zuerst einmal nichts anderes als eine solche Qualität aufzuweisen. Es wird im Weiteren zu bestimmen sein, was Leibniz unter einer solchen Qualität einer Geistsubstanz versteht. Wie auch immer Leibniz’ Konzeption dieser Qualitäten im Detail auszubuchstabieren ist, seine Rede davon, dass wir uns „jede beliebige Natur oder Form“ repräsentieren können, macht deutlich, dass wir seiner Ansicht nach im Hinblick auf jedes Ding über die Qualität verfügen, an dieses Ding bei entsprechender Gelegenheit denken zu können. Auf den ersten Blick scheint Leibniz Ideen geradewegs mit derartigen Qualitäten zu identifizieren. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass Leibniz Ideen nicht schlichtweg mit diesen Qualitäten von Geistsubstanzen identifiziert, sondern Ideen als solche Qualitäten auffasst, insofern sie die „Natur, Form oder Essenz“ eines Gegenstands repräsentieren. Offensichtlich trifft Leibniz in dieser Passage wie schon in seiner Beschreibung der adverbial-temporären Ideenkonzeption eine Unterscheidung zwischen etwas inhaltlich Bestimmtem und etwas inhaltlich Unbestimmtem. Während diese Unterscheidung in der Beschreibung der adverbial-temporären Ideenkonzeption Denkakte betraf, bezieht sie sich nun auf die Qualitäten von Geistsubstanzen, bestimmte Denkakte vollziehen zu können. Leibniz identifiziert Ideen mit solchen Qualitäten, insofern deren repräsentationaler Inhalt bestimmt ist, und nicht mit inhaltlich unbestimmten Qualitäten dieser Art. Leibnizsche Ideen sind somit in der Metaphysischen Abhandlung inhaltliche Ausformungen nicht des
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Während Leibniz in der Metaphysischen Abhandlung den Ausdruck „faculté“ gar nicht verwendet, benutzt er in § 29 der Metaphysischen Abhandlung den Ausdruck „puissance active“, mit dem er sich ebenfalls auf Vermögen bezieht (Bd.1, S. 320). In dieser Passage macht Leibniz deutlich, dass eine „puissance passive“ sowie eine „puissance active“ notwendig sind, um an etwas denken zu können. Zugleich behauptet er, dass in einer gewissen Weise Ideen in diesen beiden „puissances“ enthalten sind. Allerdings vermeidet es Leibniz, eine Idee unmittelbar mit einer „puissance passive“ oder einer „puissance active“ oder beidem zu identifizieren. Dies deutet darauf hin, dass Ideen in der Metaphysischen Abhandlung etwas anderes sein sollen als „puissances“, auch wenn sie eng mit diesen verknüpft sind.
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Attributs des Denkens oder inhaltlich unbestimmter Denkaktvorkommnisse, sondern von inhaltlich unbestimmten Qualitäten, bestimmte Denkakte vollziehen zu können.20 Worin bestehen aber Ideen verstanden als Qualitäten von Geistsubstanzen, bestimmte Denkakte vollziehen zu können? Im Rahmen von Leibniz’ Substanzontologie gibt es zwei Grundkategorien von Entitäten: Substanzen und ihre Modifikationen. Die Modifikationen von Substanzen bezeichnet Leibniz der aristotelisch-scholastischen Tradition folgend auch als „Akzidenzien“. Letztere sind als Modifikationen Seinsweisen einer Substanz und daher, wie oben bereits dargelegt, adverbial zu analysieren. Die in Frage stehenden Qualitäten sind selbstverständlich keine Substanzen, sondern sie kommen Substanzen zu. Sie sind Qualitäten von geistigen Substanzen. Sie müssen daher als Entitäten verstanden werden, die mit bestimmten Modifikationen identisch sind. Über die Qualität zu verfügen, bestimmte Denkakte vollziehen zu können, heißt ontologisch betrachtet nichts anderes, als dass eine Geistsubstanz einer bestimmten Modifikation unterliegt, aufgrund welcher sie diese Denkakte vollziehen kann. Da Ideen in solchen Qualitäten bestehen, insofern deren repräsentationaler Inhalt bestimmt ist, müssen Ideen mit Modifikationen identisch sein, die einen bestimmten repräsentationalen Inhalt aufweisen. Zudem sollen Geistsubstanzen nach Leibniz über diese Qualitäten dauerhaft verfügen. Fassen wir zusammen: Leibniz lässt in seine eigene Ideenkonzeption die Dauerhaftigkeit von Ideen aus der objektual-dauerhaften und den adverbialen Status von Ideen aus der adverbial-temporären Konzeption einfließen. Diese beiden Aspekte der objektual-dauerhaften bzw. der adverbial-temporären Position sind damit als die Wahrheiten identifiziert, die Leibniz in diesen beiden Auffassungen erkennt und die er in seiner eigenen Position zu vereinigen sucht. Damit schlägt er sich hinsichtlich der Dauerhaftigkeit von Ideen auf die Seite von Malebranche. Zugleich lehnt er aber Malebranches objektuale Konzeption von Ideen ab. Für Leibniz sind Ideen wie für Descartes und Arnauld mit adverbialen Modifikationen geistiger Substanzen zu identifizieren, die einen bestimmten repräsentationalen Inhalt aufweisen. Allerdings handelt es sich um dauerhaft und nicht – wie bei Descartes und Arnauld – um temporär im
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Leibniz’ Theorie der Repräsentation und somit des Inhalts von Ideen kann im Rahmen dieses Essays nicht behandelt werden. Siehe zu diesem Thema insbesondere Kulstad 1977, Swoyer 1995 und Brandom 2002.
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Geist gegebene Modifikationen. Ideen sind dauerhafte Qualitäten, d. h. Modifikationen von Geistsubstanzen und keine temporären Denkakte. Zudem sind Ideen als dauerhafte Modifikationen für Leibniz auch im menschlichen Geist gegeben. In diesem Punkt schließt sich Leibniz ein weiteres Mal Descartes und Arnauld an und weist Malebranches Position zurück, nach der Ideen nur in Gott existieren. 8.3.3 Worin bestehen Ideen? Die Extension von Leibniz’ Ideenbegriff in der Metaphysischen Abhandlung In dem vorhergehenden Abschnitt haben wir untersucht, was Leibniz unter Ideen versteht, worin also die Intension von Leibniz’ Ideenbegriff besteht. Die Frage, der wir uns in diesem dritten Abschnitt zuwenden, betrifft nicht die Intension von Leibniz’ Ideenbegriff, sondern dessen Extension: Welche Qualitäten, d. h. Modifikationen, des Geistes fallen unter Leibniz’ Ideenbegriff ? Leibniz gibt keine explizite Antwort auf diese Frage, weshalb wir einige Rekonstruktionsarbeit leisten müssen, um sie zu beantworten. Grundsätzlich sind zwei Antworten denkbar: Entweder fallen für Leibniz geistige Modifikationen eines eigenständigen Typs unter den Begriff der Idee; oder er führt Ideen auf bereits anderweitig gekennzeichnete Modifikationen des Geistes zurück. Gegen die erste Option sprechen zwei Passagen aus § 14 und § 27 der Metaphysischen Abhandlung. In § 14 setzt Leibniz Perzeptionen mit Ausdrücken in Substanzen gleich, wenn er sagt: Allerdings ist es sehr wahr, dass sich die Perzeptionen oder Ausdrücke („perceptions ou21 expressions“) aller Substanzen entsprechen … [Übersetzung Barth]
Zudem identifiziert Leibniz in § 27 der Metaphysischen Abhandlung die Ausdrücke in geistigen Substanzen mit Ideen: So können diese Ausdrücke („expressions“), die in unserer Seele sind, ob man sie nun begreift oder nicht, Ideen genannt werden, aber jene, die man begreift oder formt, Begriffe, Conceptus. [Metaphysische Abhandlung § 27; Übersetzung Stoichita/ Barth; Bd.1, S. 319]
Aus der Gleichsetzung von Perzeptionen und Ausdrücken in allen Substanzen sowie der Gleichsetzung von Ausdrücken und Ideen in Geistsubstanzen folgt per Transitivität der Identität eine Gleichsetzung von 21
Das „ou“ ist hier in dem Sinn eines „das heißt“ zu lesen.
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Ideen mit geistigen Perzeptionen (wobei diese Perzeptionen als dauerhaft gegeben und inhaltlich bestimmt zu verstehen sind).22 Fraglich ist allerdings, ob Leibniz in diesen Passagen unter Perzeptionen bzw. Ausdrücken im umfassenden Sinn sämtliche repräsentierende Modifikationen in unserer Seele versteht oder in einem spezifischeren Sinn nur eine Teilklasse von ihnen. Eine Antwort liefert uns wiederum § 14 der Metaphysischen Abhandlung: In der Tat kann uns nichts als Gedanken und Perzeptionen zustoßen, und alle unsere zukünftigen Gedanken und Perzeptionen sind nur Folgen, wenn auch kontingente, unserer vorhergehenden Gedanken und Perzeptionen … [Übersetzung Barth]
Leibniz unterscheidet also in § 14 der Metaphysischen Abhandlung in klarer Weise zwischen Perzeptionen und Gedanken als zwei verschiedene repräsentierende Modifikationen23 unseres Geistes.24 Entsprechend sind die zuvor zitierten Textstellen so zu verstehen, dass Leibniz Ideen auf eine bestimmte Teilklasse repräsentierender Modifikationen des Geistes zurückführt, und zwar auf diejenigen, die er als „Perzeptionen“ bezeichnet. Auf den Unterschied zwischen Perzeptionen und Gedanken werden wir im Folgenden noch näher eingehen.25 Unsere Interpretationshypothese lautet also, dass die Extension von Leibniz’ Ideenbegriff in der Metaphysischen Abhandlung Perzeptionen in Geistsubstanzen umfasst. Um diese Hypothese zu untermauern, gilt es zu untersuchen, ob Perzeptionen die Bedingungen erfüllen, die nach Leibniz gelten müssen, damit sie als Ideen verstanden werden können.
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Zugleich sehen wir anhand der zuletzt zitierten Passage, dass Leibniz eine Teilklasse aller Ideen als „Begriffe“ („notiones“ bzw. „conceptus“) auszeichnet. Begriffe sind die begriffenen oder geformten Ideen, d. h. in Form von Denkakten aktualisierte Ideen. Der Ausdruck „Idee“ bezeichnet bei Leibniz hingegen die Ausdrücke, die in unserer Seele sind, unabhängig davon, ob sie begriffen werden oder nicht. Auch Gedanken repräsentieren Dinge. Siehe Abschnitt 8.3.2 dieses Essays. Leibniz unterscheidet in § 14 der Metaphysischen Abhandlung ebenso zwischen Perzeptionen und Urteilen, wobei letztere als ein bestimmter Typ von Gedanken zu verstehen sind. Leibniz verwendet den Ausdruck „Perzeption“ allerdings in vielen Texten in einem generischen Sinn zur Bezeichnung jeglicher repräsentierender Zustände in individuellen Substanzen (siehe etwa PNG § 2). In § 14 der Metaphysischen Abhandlung hat der Ausdruck demnach eine eingeschränkte Bedeutung, die von dieser generischen Verwendung abweicht.
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Ideen, so haben wir in Abschnitt 8.3.2 gesehen, sind laut der Metaphysischen Abhandlung dauerhafte Modifikationen geistiger Substanzen, wobei diese Modifikationen einen bestimmten repräsentationalen Inhalt tragen und die Geistsubstanzen mit der Qualität versehen, an bestimmte Dinge denken zu können. Zudem behauptet Leibniz – wie die Überschrift des § 26 und der § 28 der Metaphysischen Abhandlung deutlich machen –, dass jeder Geist über alle Ideen verfügt (Bd.1, S. 317 und 319). Wie aus § 28 der Metaphysischen Abhandlung hervorgeht, ist die Rede von allen Ideen in dem Sinne von Ideen aller Dinge zu verstehen (Bd.1, S. 319). Wir haben wie Gott die Ideen aller Dinge in uns, d. h. aller individuellen Substanzen und ihrer Akzidenzien.26 Damit Perzeptionen als Ideen gelten können, müssen sie somit die folgenden fünf Bedingungen erfüllen: (B1) Sie müssen Modifikationen geistiger Substanzen27 sein. (B2) Sie müssen einen repräsentationalen Inhalt aufweisen. (B3) Sie müssen dauerhaft im Geist gegeben sein. (B4) Sie müssen – in einem noch näher zu bestimmenden Sinn – als Qualitäten von Geistsubstanzen gelten können, an bestimmte Dinge denken zu können. (B5) Sie müssen in einer Anzahl in jedem Geist vorhanden sein, die hinreicht, um Leibniz’ These zu erfüllen, dass jeder Geist über die Ideen aller Dinge verfügt. Ob Perzeptionen die Bedingungen (B1) bis (B5) erfüllen, soll in den folgenden Abschnitten untersucht werden.
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Diese These betrifft nicht nur die Ideen aller jemals existenten Dinge, sondern die Ideen aller möglichen Dinge (siehe Metaphysische Abhandlung § 26; Bd.1, S. 317). Darüber hinaus verfügen wir auch über Ideen zur Erkenntnis unserer selbst als Substanzen und zur Erkenntnis unserer inneren Zustände (siehe Metaphysische Abhandlung § 27; Bd.1, S. 319). Auf diese besonderen Aspekte von Leibniz’ Ideentheorie kann aber im Rahmen dieses Essays nicht eingegangen werden. Im Unterschied zu reinen Substanzen und Tiersubstanzen (siehe dazu Abschnitt 8.1.2 der Einleitung zur Textauswahl).
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8.3.3.1 Perzeptionen als repräsentierende Modifikationen Unter Perzeptionen versteht Leibniz Modifikationen individueller Substanzen, die Gegenstände repräsentieren.28 Perzeptuelle Repräsentationen stellen eine bestimmte29 Art der Repräsentation dar, die sich dadurch auszeichnet, dass eine Vielheit in einer Einheit repräsentiert wird.30 Die Einheit, auf die sich Leibniz hier bezieht, ist die individuelle Substanz, die Träger der Perzeption ist.31 Die Vielheit, die in der einheitlichen individuellen Substanz repräsentiert wird, besteht in dem materiellen Universum bzw. in Bestandteilen des materiellen Universums, d. h. den körperlichen Substanzen und ihren Akzidenzien. Jede individuelle Substanz verfügt nach Leibniz über Perzeptionen. Perzeptionen erfüllen somit die ersten beiden Bedingungen (B1) und (B2): Sie sind Modifikationen individueller Substanzen, und sie repräsentieren Dinge. 8.3.3.2 Perzeptionen und Gedanken Um unsere Interpretationshypothese, nach der Leibniz Ideen mit Perzeptionen identifiziert, weiter zu untermauern, muss nicht nur gezeigt werden, dass Perzeptionen repräsentierende Modifikationen individueller Substanzen sind, sondern auch dass sie Qualitäten darstellen, aufgrund welcher Geistsubstanzen bestimmte Denkakte vollziehen können ((B4)). Um dies zu zeigen, müssen wir uns Leibniz’ Konzeption von Denkakten zuwenden. In seinem Briefwechsel mit Antoine Arnauld, der wie ein Kommentar zu der Metaphysischen Abhandlung gelesen werden kann, bestimmt Leibniz Denkakte als repräsentationale Akte individueller Substanzen, die von Bewusstsein begleitet sind und ausschließlich geistigen Substanzen zu-
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Siehe PNG § 2 und Monadologie § 14. Für Beispiele nicht-perzeptueller Repräsentation siehe Was ist eine Idee? (Bd.1, S. 309–310). Siehe Leibniz, 1997, Philosophischer Briefwechsel Bd.1: Briefwechsel mit Antoine Arnauld, 262–263, 294–295, 310–311, 332–333. Im Folgenden wird auf den Band Leibniz, 1997, Philosophischer Briefwechsel Bd.1 mit der Kurzform „LAB“ Bezug genommen. Siehe LAB 294–295, 310–311.
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kommen.32 Da Leibniz in § 34 der Metaphysischen Abhandlung Geistsubstanzen von allen anderen Substanzen dadurch unterscheidet, dass sie zu Reflexionen fähig sind, in denen sie sich selbst und ihre inneren Handlungen erkennen, liegt die Annahme nahe, dass Leibniz Bewusstsein als Reflexion einer Perzeption erster Stufe versteht. Während alle individuellen Substanzen Perzeptionen aufweisen33, sind nur in den geistigen Substanzen Perzeptionen vorhanden, die dem denkenden Subjekt reflexiv bewusst sind und die es somit erkennen kann. Denkakte sind demnach Perzeptionen, denen sich das Subjekt in Folge eines Reflexionsaktes bewusst ist.34 Im Einklang mit diesem Verständnis von Denkakten spricht Leibniz in § 26 der Metaphysischen Abhandlung auch davon, dass Geistsubstanzen die Natur von Dingen nicht nur repräsentieren, sondern dass sie die Natur von Dingen sich repräsentieren („se représenter“; Bd.1, S. 317). Die Verwendung der reflexiven Form des Verbs „représenter“ weist darauf hin, dass Leibniz hier Perzeptionen im Sinn hat, denen sich das Subjekt in Folge eines reflexiven Akts bewusst ist. Damit ein Denkakt entsteht, müssen also zwei Bedingungen erfüllt sein: erstens muss eine Perzeption gegeben sein, die Gegenstand eines Reflexionsakts werden kann; zweitens muss das Reflexionsvermögen des Geistes aktualisiert werden und sich auf diese Perzeption richten. Vor dem Hintergrund dieser Auffassung von Denkakten stellen Perzeptionen Ermöglichungsbedingungen für Denkakte dar, insofern sie 32
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LAB 294–295, 310–311, 332–333. Leibniz unterscheidet drei Typen von Perzeptionen: natürliche Perzeptionen, Wahrnehmungen („sentiments“ bzw. „sensations“) und Gedanken (vgl. LAB 310–311). Auch Wahrnehmungen sind Reflexionen von Perzeptionen erster Stufe. Jedoch wird das wahrnehmende Subjekt in einer Wahrnehmung sich nicht seiner eigenen Perzeption erster Stufe bewusst, sondern des perzipierten Gegenstands. In Wahrnehmungen ist also eine andere Form der Reflexion involviert als in Gedanken. Zu Leibniz’ Wahrnehmungstheorie siehe McRae 1976 und Kulstad 1991. Siehe etwa Metaphysische Abhandlung § 14. Leibniz lässt offen, wie genau Gedanken zu konzipieren sind. Es bieten sich zwei Möglichkeiten an: Nach der ersten Konzeption sind Gedanken zu identifizieren mit Perzeptionen erster Stufe. Den Status, ein Gedanke zu sein, erhalten solche Perzeptionen erster Stufe dadurch, dass sie Gegenstand eines Reflexionsaktes sind. Gedanken wären nach dieser Konzeption Perzeptionen, welche die relationale Eigenschaft tragen, Gegenstand eines Reflexionsaktes zu sein. Nach der zweiten Konzeption bestehen Gedanken aus zwei Akten, nämlich dem Reflexionsakt und dem Perzeptionsakt, der Gegenstand der Reflexion ist. Gedanken wären in diesem Fall nicht Perzeptionen, die Gegenstand eines Reflexionsakts sind, sondern Komplexe bestehend aus einer Kombination aus Perzeptionsakt und Reflexionsakt, für die gilt, dass der Perzeptionsakt Gegenstand des Reflexionsaktes ist.
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Geistsubstanzen mit Objekten möglicher Reflexionsakte versehen. Ohne Perzeptionen könnten Geistsubstanzen vielleicht über ein Reflexionsvermögen verfügen; dieses könnte aber nicht aktualisiert werden und daher nicht zu Denkakten führen, weil die Objekte der Reflexion fehlen würden. Das Reflexionsvermögen bliebe ohne Anwendungsmöglichkeit. Perzeptionen ermöglichen es demnach Geistsubstanzen, Denkakte mit einem bestimmten Inhalt zu vollziehen. Es ist folglich möglich, Perzeptionen in Geistsubstanzen als Qualitäten zu verstehen, an bestimmte Dinge denken zu können. Aufgrund seiner Perzeptionen ist es einer Geistsubstanz möglich, Denkakte zu vollziehen, die von bestimmten Dingen handeln. Über die Qualität zu verfügen, an ein bestimmtes Ding denken zu können, heißt somit nichts anderes, als eine Perzeption aufzuweisen, die dieses Ding repräsentiert und die Gegenstand eines Reflektionsakts werden kann, so dass die Geistsubstanz an dieses Ding denken kann. Die vorgeschlagene Interpretationslinie, nach der Ideen mit geistigen Perzeptionen zu identifizieren sind, wird somit weiter gestützt, denn Perzeptionen erfüllen somit auch (B4). Folgen wir dieser Interpretation, stellt sich heraus, dass Ideen keineswegs als Denkvermögen zu verstehen sind. Vielmehr ermöglichen sie Geistsubstanzen, bestimmte Denkakte vollziehen zu können, indem sie Geistsubstanzen mit potentiellen Objekten für Reflektionsakte versorgen. Nach der hier entwickelten Interpretation bestehen Ideen weder in (passiven) Dispositionen zu Denkakten noch in (aktiven) Kräften, die immer schon ‚auf dem Weg‘ sind, bestimmte Denkakte zu realisieren. Stattdessen stellen sie notwendige Bedingungen dafür dar, dass eine Substanz Denkakte vollziehen kann. Dieser Umstand mag erklären, warum Leibniz Ideen in der Metaphysischen Abhandlung nicht mit Hilfe des Begriffs des Vermögens erläutert, sondern hierzu den Begriff der Qualität verwendet. Daraus wird auch ersichtlich, dass Perzeptionen nur dann als Qualitäten gelten können, bestimmte Denkakte vollziehen zu können, wenn sie in einer Substanz vorkommen, die über ein Reflexionsvermögen verfügt. Daher sind bei Leibniz Ideen auf Geistsubstanzen eingeschränkt. Perzeptionen, die in Substanzen vorkommen, welche nicht reflektieren können, stellen keine Objekte möglicher Reflexionsakte dar und sind somit auch keine Ideen. Aber wie steht es mit der Bedingung (B5)? Besitzt jeder Geist hinreichend viele Perzeptionen, so dass Leibniz’ Behauptung wahr ist, nach der jeder Geist über alle Ideen verfügt?
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8.3.3.3 Die These der All-umfassenden Perzeption Leibniz schreibt allen geschaffenen individuellen Substanzen eine ungeheure Repräsentationsleistung zu. Wie er mehrfach in der Metaphysischen Abhandlung hervorhebt, perzipieren alle individuellen Substanzen zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz das gesamte Welt-All.35 Diese All-umfassende Perzeption betrifft nicht nur den Zustand des Universums zum jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern alle Zustände des Universums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.36 Wie ist diese These der All-umfassenden Perzeption zu verstehen? Da das Weltall eine unendliche Anzahl körperlicher Dinge samt ihrer Akzidenzien in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufweist, ist die All-umfassende Perzeption „unendlich“37. Diese unendliche Perzeption ist ein unendlich komplexer Zustand bzw. Akt, denn eine Perzeption eines komplexen Ganzen beruht nach Leibniz auf Perzeptionen der Teile des Ganzen.38 Wir haben also zu unterscheiden zwischen der unendlichen All-umfassenden Gesamtperzeption, über die eine Substanz zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügt, und den einzelnen Perzeptionen, welche als Bestandteile in diese Gesamtperzeption eingehen.39 Da das zu repräsentierende Universum aus körperlichen Dingen besteht, die zu jedem Zeitpunkt für sie charakteristische Akzidenzien aufweisen, muss die All-umfassende Perzeption zu jedem Zeitpunkt über Einzelperzeptionen aller Akzidenzien aller körperlichen Dinge verfügen. Aufgrund dieser Einzelperzeptionen aller Akzidenzien aller körperlichen Dinge repräsentiert jede individuelle Substanz zu jedem Zeitpunkt alle Zustände, die das Universum in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchläuft. Die These der All-umfassenden Perzeption impliziert also, dass jede individuelle Substanz zu jedem Zeitpunkt über perzeptuelle
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Siehe Metaphysische Abhandlung § 9, § 14, § 16, § 26, § 28, § 33, § 34 und § 35; Bd. 1, S. 317 und 319. Dies bedeutet natürlich nicht, dass alle Substanzen auch Gott in vollständiger Weise perzipieren, denn Gott ist als transzendentes Wesen nicht Teil des Weltalls. Dennoch repräsentieren die geschaffenen Substanzen auch Gott in bestimmten Hinsichten (vgl. dazu Metaphysische Abhandlung § 9, § 26, § 34 und § 35 sowie Monadologie § 83; Bd. 1, S. 317). Siehe Metaphysische Abhandlung § 9. Metaphysische Abhandlung § 9. Siehe GP VI 628. Zu der Unterscheidung zwischen dem perzeptuellen Gesamtzustand und den einzelnen Perzeptionsakten, aus denen er besteht, siehe Kulstad 1982, 72–74.
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Repräsentationen aller körperlichen Dinge und aller ihrer vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Akzidenzien verfügt. Die These der All-umfassenden Perzeption sorgt dafür, dass jeder Geist genügend viele Perzeptionen aufweist, damit – gemäß unserer Interpretationshypothese – Leibniz’ These als wahr gelten kann, dass jeder Geist die Ideen aller Dinge besitzt. Jeder Geist verfügt über Perzeptionen aller jemals im Universum existierenden individuellen Substanzen und Akzidenzien und somit über die Ideen aller jemals existierenden Dinge. Auch (B5) ist erfüllt. Es bleibt somit nur noch die Aufgabe, unsere Interpretationshypothese im Hinblick auf (B3) zu untersuchen. (B3) scheint durch die These der All-umfassenden Perzeption ebenfalls abgedeckt zu sein, denn nach dieser These sollen ja jeder Substanz zu jedem Zeitpunkt Perzeptionen auch aller vergangenen und zukünftigen Zustände des Universums zukommen. Allerdings werden wir in dem nächsten Abschnitt sehen, dass individuelle Substanzen zugleich einer perzeptuellen Dynamik unterliegen, was der dauerhaften Existenz von Perzeptionen aller Zustände des Universums zu widersprechen scheint. 8.3.4 Perzeptuelle Dynamik und die dauerhafte Existenz aller Ideen im Geist In dem letzten Abschnitt haben wir die These der All-umfassenden Perzeption kennen gelernt, nach der jede individuelle Substanz zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz über eine Perzeption des gegenwärtigen wie aller vergangenen und zukünftigen Zustände des Universums verfügt. Diese These gibt Anlass zu einem statischen Bild individueller Substanzen, nach dem jede individuelle Substanz in jedem Zeitpunkt ihrer Existenz dieselbe umfassende Perzeption aufweist, die alle Zustände des Universums zugleich repräsentiert, ohne sich im Laufe der Zeit zu verändern. Diesem statischen Bild entspricht – wenn überhaupt40 – nur der göttliche Geist, denn in diesem vollzieht sich keine Erkenntnisdynamik, da Gott alles zu Erkennende schon immer ‚auf einen Blick‘ erkennt. Anders verhält es sich aber mit geschaffenen individuellen Substanzen, denn – wie wir sogleich sehen werden – jede individuelle Substanz ist
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Da Gott für Leibniz außerhalb der Zeit existiert, ist auch die Rede von einem „statischen“ Bild des göttlichen Geists streng genommen unzutreffend.
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nach Leibniz einer permanenten Veränderung unterworfen, welche ihre Perzeption des Universums betrifft. Wie ist dann aber die These der Allumfassenden Perzeption in geschaffenen Substanzen zu verstehen? Und kann die Ansicht aufrechterhalten werden, dass Ideen als Perzeptionen dauerhaft im Geist gegeben sind? Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich nacheinander darlegen, wie die Perzeption des gegenwärtigen Zustands, der zukünftigen Zustände und der vergangenen Zustände des Universums vor dem Hintergrund einer perzeptuellen Dynamik zu verstehen ist. 8.3.4.1 Die Perzeption des gegenwärtigen Zustands des Universums Nach Leibniz besteht ein wesentliches Merkmal individueller Substanzen in ihrer kausalen Autonomie. Gott hat alle geschaffenen individuellen Substanzen mit einer inneren Kraft ausgestattet,41 welche es den Substanzen ermöglicht, ihre inneren Handlungen unabhängig von kausalen Einflüssen anderer geschaffener Substanzen auszuüben.42 Die inneren Tätigkeiten, die individuelle Substanzen ausführen, bestehen in dem Vollzug von Perzeptionen, die den jeweils gegenwärtigen Zustand des Universums repräsentieren, und in dem Übergang von einer Perzeption zur nächsten, d. h. in der Erzeugung von Perzeptionen des jeweils neuen Zustands des Universums in der Nachfolge vorhergehender Perzeptionen.43 Die innere Kraft geistiger Substanzen wirkt ‚in‘ den perzeptuellen Zuständen der Substanz, indem sie dazu führt, dass Übergänge von einem perzeptuellen Zustand zu dem nächsten stattfinden. Diese Abfolge von Perzeptionen folgt einem vorgegebenen Gesetz, welches Gott den substantiellen Kräften eingeprägt hat.44 Es bestimmt, welche Perzeptionen welchen Inhalts in welcher Reihenfolge realisiert werden. Somit legt das perzeptuelle Verlaufsgesetz einer individuellen Substanz alle Perzeptionen dieser Substanz fest. Vor dem Hintergrund dieser perzeptuellen Dynamik
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Leibniz erwähnt die den Substanzen innewohnenden Kräfte in LAB 252–253 und 360–3, in seinen späteren Schriften rücken sie ins Zentrum seiner Substanzmetaphysik. Siehe Metaphysische Abhandlung § 14. Die Abhängigkeit von Gottes existenzbewahrendem Wirken bleibt davon unberührt. Siehe Metaphysische Abhandlung § 14. Siehe AA VI.4b.1626 und LAB 360–361.
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wird verständlich, inwiefern jede individuelle Substanz zu jedem Zeitpunkt den gegenwärtigen Zustand des Universums repräsentiert. Jede Substanz bringt aufgrund der in ihr angelegten Kraft und des ihr eingeprägten Verlaufsgesetzes zu jedem Zeitpunkt eine Perzeption hervor, welche den gegenwärtigen Zustand des Universums vollständig repräsentiert. 8.3.4.2 Die Perzeption der zukünftigen Zustände des Universums Die der Substanz innewohnende Kraft versieht die Substanz zudem mit einem inhaltlich festgelegten Potential an zukünftigen Perzeptionen, zu deren Realisierung die Substanz permanent hinstrebt. In diesem Sinn verfügt jede individuelle Substanz bereits in dem ersten Moment ihrer Existenz zum einen über eine aktuale Perzeption des Zustands, welches das Universum in diesem Moment aufweist, zum anderen über potentielle Perzeptionen aller zukünftigen Zustände des Universums. Dieses perzeptuelle Potential wird im Verlaufe der Existenz der Substanz schrittweise ausgeschöpft, d. h., es werden in jedem neuen Moment weitere Elemente dieses Potentials aktualisiert. Während Gott alle Zustände des Universums ‚auf einen Blick‘ perzipiert, zeigt sich die Beschränktheit der geschaffenen individuellen Substanzen (unter anderem) darin, dass sie in jedem Moment zwar den gegenwärtigen Zustand des Universums aktual perzipieren, alle zukünftigen Zustände des Universums aber nur in potentieller Weise. Auf diese Weise wird verständlich, warum jede individuelle Substanz zu jedem Zeitpunkt nicht nur über eine Perzeption des gegenwärtigen, sondern auch über Perzeptionen aller zukünftigen Zustände des Universums verfügt. Allerdings verfügt sie über Perzeptionen der zukünftigen Zustände des Universums nur potentiell, während sie stets eine aktuale Perzeption des jeweils gegenwärtigen Zustands des Universums besitzt. Die Rede von Potentialität ist an dieser Stelle allerdings nicht in der aristotelisch-scholastischen Weise als ein rein passives Vermögen zu verstehen, das unter entsprechenden Umständen durch einen Stimulus aktiviert wird. Vielmehr ist die in der Substanz vorhandene Kraft permanent aktiv und immer schon ‚auf dem Weg‘ auch die in ihr angelegten zukünftigen Perzeptionen zu realisieren. Die Kraft tendiert in jedem Augenblick zur Aktualisierung aller dem Verlaufsgesetz entsprechenden Perzeptionen. Aufgrund der Beschränktheit der geschaffenen, individuellen
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Gottfried Wilhelm Leibniz
Substanzen werden diese Perzeptionen aber nacheinander und nicht zugleich aktualisiert.45 8.3.4.3 Die Perzeption der vergangenen Zustände des Universums Um zu klären, wie jede Substanz in jedem Augenblick alle vergangenen Zustände des Universums repräsentieren kann, nimmt Leibniz an, dass jede Perzeption in der individuellen Substanz, zu der sie gehört, eine „Spur“ hinterlässt.46 Diese Spuren ermöglichen eine Erinnerung an die früheren Zustände des Universums, weshalb Leibniz sie auch als „virtuelle Erinnerungen“ („reconoissence virtuelle“47) bezeichnet. Die perzeptuelle Entwicklung, die in einer Substanz stattfindet, ist also keineswegs so zu verstehen, dass die früheren Perzeptionen einfach verschwinden. Im Gegenteil, sie bleiben in der Substanz weiter erhalten, nachdem sich ihre Nachfolgerperzeptionen gebildet haben. Eben weil sie bestehen bleiben, ist eine Erinnerung an sie möglich.48 Die perzeptuelle Dynamik ist also wie das Ausrollen eines Teppichs zu verstehen: Die schon aktualisierten Perzeptionen bleiben bestehen, so wie der schon ausgerollte Teil des Teppichs im weiteren Fortgang des Ausrollens ausgerollt bleibt. Jede individuelle Substanz weist also zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz nicht nur eine aktuale Repräsentation des gegenwärtigen Zustands des Universums, sondern auch aktuale Repräsentationen aller früheren Zustände des Universums auf. Über die Perzeptionen der zukünftigen Zustände des Universums verfügen die geschaffenen Substanzen allerdings nur in rein potentieller Weise. Dennoch sind auch diese in der Substanz permanent gegeben, insofern die Substanz (aufgrund ihrer inneren Kraft und des Verlaufsgesetzes) dazu bestimmt ist, diese zu realisieren.
45
46
47 48
Zu Leibniz’ Abgrenzung seiner Vermögenstheorie von der aristotelisch-scholastischen siehe GP IV 470 und AA VI.6.110/NA II, i, 2; Bd. 1, S. 329–330. Siehe LAB 84–85, 98–99, 102–103, 110–111, 116–117, 150–151, 178–179, und 304–305. LAB 150–151. Natürlich können sich nur solche Substanzen an Perzeptionen erinnern, die über ein Erinnerungsvermögen verfügen. Dies gilt für Geistsubstanzen und Tiersubstanzen.
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8.3.4.4 Die dynamische All-umfassende Perzeption in geschaffenen individuellen Substanzen Leibniz’ These der All-umfassenden Perzeption ist also nicht so zu verstehen dass jede individuelle Substanz zu jedem Zeitpunkt alle Zustände des Universums in aktualer Weise perzipiert. Vielmehr verfügen individuelle Substanzen zu jedem Zeitpunkt über aktuale Perzeptionen aller vergangenen wie des jeweils gegenwärtigen Zustands des Universums und über potentielle Perzeptionen aller zukünftigen Zustände, wobei die entsprechende Substanz schon immer ‚auf dem Weg‘ ist, diese potentiellen Perzeptionen zu aktualisieren. Die All-umfassende Perzeption setzt sich somit aus schon aktualisierten und noch nicht aktualisierten Bestandteilen zusammen. Während eine Substanz in ihrem initialen Perzeptionszustand nur den initialen Zustand des Universums aktual perzipiert und alle anderen, zukünftigen Zustände in noch nicht aktualisierter, potentieller Weise perzipiert, nimmt die Anzahl an aktualisierten Perzeptionen im Laufe der Entwicklung der Substanz kontinuierlich zu. Die Substanz schöpft im Laufe ihrer Entwicklung ihr perzeptuelles Potential schrittweise aus und vergrößert stetig ihr Reservoir an aktualisierten Perzeptionen. Am natürlichen Ende ihrer Entwicklung – sollte es ein solches geben49 – wird jede Substanz alle potentiellen Perzeptionen aktualisiert haben und eine vollständige Perzeption aller Zustände des Universums in aktualisierter Form in sich tragen: Der perzeptuelle ‚Teppich‘ ist dann vollständig ‚ausgerollt‘. Diese Interpretation der These der All-umfassenden Perzeption erlaubt es uns, auch (B3) als erfüllt anzusehen: Wenn wir unserer Interpretationshypothese folgen und Ideen mit Perzeptionen identifizieren, dann erweist sich (B3) als erfüllt, weil Perzeptionen als dauerhaft im Geist gegeben verstanden werden. Allerdings zeigt sich, dass die These, nach der Geistsubstanzen stets über die Ideen aller Dinge verfügen, nicht so zu verstehen ist, dass der Geist über diese Ideen immer in schon aktualisierter Weise verfügt. Vielmehr gilt es zwischen zwei Arten von Ideen hinsichtlich der Art und Weise zu unterscheiden, wie sie in einer Geistsubstanz gegeben sind: Eine Geistsubstanz verfügt über eine proximale Idee eines Dings, wenn der Geist über eine aktualisierte Perzeption eines Dings verfügt, die unter entsprechenden Umständen Objekt eines Reflexionsakts werden kann. Eine Geistsubstanz verfügt hin-
49
Gott hat die Fähigkeit, Substanzen auf nicht-natürliche Weise zu zerstören.
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gegen über eine distale Idee eines Dings, wenn das Vermögen vorliegt, eine Perzeption dieses Dings hervorzubringen, die dann in einem weiteren Schritt Objekt eines Reflexionsakts werden kann.50 Aktualisierte Perzeptionen versorgen eine Geistsubstanz mit proximalen Ideen. Sie ermöglichen dem Geist unmittelbar, Denkakte vollziehen zu können, indem sie als potentielle Objekte der Reflexion bereit stehen. Der Denkakt bildet sich aus, sobald die Gelegenheit dazu besteht, dass sich das Reflexionsvermögen aktualisiert und auf diese Perzeption richtet. Perzeptionen einer Geistsubstanz, die noch nicht aktualisiert sind, aber noch aktualisiert werden, bilden dagegen distale Ideen. Sie ermöglichen es Geistsubstanzen mittelbar, bestimmte Denkakte zu vollziehen. Hierzu bedarf es zweier Schritte: Zuerst muss die Perzeption selbst aktualisiert werden, wodurch eine proximale Idee entsteht. Im zweiten Schritt richtet sich ein Reflexionsakt auf diese Perzeption, so dass ein Denkakt entsteht.51 Die Dynamik der All-umfassenden Perzeption führt also dazu, dass jeder Geist zwar über die Ideen aller Dinge verfügt, dies jedoch nicht in gleicher Weise. Vielmehr besitzen Geistsubstanzen aktualisierte Perzeptionen und somit proximale Ideen nur von den in der Vergangenheit und in der Gegenwart im Universum vorhandenen Dingen. Die Perzeptionen der zukünftigen Dinge, sofern diese Dinge in Vergangenheit oder Gegenwart noch nicht gegeben waren bzw. sind, bilden hingegen distale Ideen. Auch wenn distale Ideen in noch nicht aktualisierten Perzeptionen bestehen, ist die Rede davon berechtigt, dass Geistsubstanzen auch über distale Ideen von Beginn ihrer Existenz an verfügen, weil diese distalen Ideen in der inneren Kraft der Substanz angelegt sind und sich die Geistsubstanzen immer schon ‚auf dem Weg‘ befinden, diese – also die entsprechenden Perzeptionen – zu
50
51
Ich verwende hier die künstlich anmutenden Ausdrücke „proximal“ und „distal“ anstelle der Ausdrücke „nah“ und „fern“, um einer Verwechslung der hier in Frage stehenden Unterscheidung mit Leibniz’ eigener, aber anders gelagerter Unterscheidung zwischen nahen und fernen Denkvermögen in Was ist eine Idee? vorzubeugen. Während die der Substanz innewohnende Kraft dafür sorgt, dass jede Geistsubstanz die Perzeptionen aller Zustände des Universums in ihrer Geschichte auch hervorbringt, ist es aber keineswegs der Fall, dass jede Geistsubstanz in ihrer Geschichte auch alle diese Perzeptionen reflektiert und somit entsprechende Gedanken aufweist. Endliche Geistsubstanzen aktualisieren in ihrer Geschichte nur einen geringen Teil der Denkakte, die ihnen möglich sind.
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aktualisieren und zu proximalen Ideen werden zu lassen. Weder ist hierzu ein äußerer Stimulus notwendig noch die Aufnahme von außen kommender Ideen. 8.3.5 Zusammenfassung Leibniz verfährt in seiner Theoriebildung oftmals nach der Methode eines versöhnenden Eklektizismus. Die grundlegende Annahme dieser Methode lautet, dass verschiedene, inkompatibel erscheinende philosophische Positionen zumeist einen wahren Kern enthalten. Diese wahren Kerne der verschiedenen Positionen gilt es jeweils herauszuschälen und in eine einheitliche Position zusammenzufügen.52 Wie in dem ersten Teil dieses systematischen Essays gezeigt wurde, wendet Leibniz diese Methode in der Entwicklung seiner Ideenkonzeption an, die er in der Metaphysischen Abhandlung vorstellt. Seine adverbial-dauerhafte Ideenkonzeption ist eine Zusammenführung zentraler Aspekte der objektual-dauerhaften Ideenauffassung, die in paradigmatischer Weise von Malebranche verteidigt wurde, und der adverbial-temporären Auffassung, die vor allem Arnauld zuzuschreiben ist. Nach Leibniz’ Auffassung in der Metaphysischen Abhandlung sind Ideen von Dingen adverbial zu analysierende Modifikationen von Geistsubstanzen (daher ist Leibniz’ Ideenbegriff ein adverbialer), welche die Natur dieser Dinge repräsentieren und welche der Substanz die Möglichkeit verleihen, einen Denkakt auszuführen, der von der Natur dieser Dinge handelt. Über diese Modifikationen verfügt ein Geist (in bereits aktualisierter oder noch nicht aktualisierter Weise) dauerhaft (daher ist Leibniz’ Ideenbegriff ein dauerhafter). Allerdings liefert Leibniz in der Metaphysischen Abhandlung keine genaue Erläuterung der Extension seines Ideenbegriffs, d. h., es bleibt unklar, ob sie Modifikationen sui generis sind oder ob sie mit Modifikationen identifiziert werden können, die Leibniz bereits in anderer Weise charakterisiert hat. Im zweiten Teil dieses Essays wird die zweite Antwortmöglichkeit vertreten: Ideen sind in der Metaphysischen Abhandlung mit Perzeptionen zu identifizieren. In der Begründung dieser Interpretationsthese wird auch Leibniz’ These der All-umfassenden Repräsentation genau betrachtet und verständlich gemacht.
52
Vgl. Mercer 2001, Part I.
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Die vorgeschlagene Interpretation ist zudem in einer weiteren Hinsicht wertvoll: Sie liefert auch eine Erklärung für Leibniz’ Behauptung, uns seien die Ideen aller Dinge angeboren.53 Insofern in uns mit den Perzeptionen auch die Ideen aller Dinge von Beginn an angelegt sind, können die Ideen aller Dinge als angeboren gelten. Entsprechend verfügt jeder Geist, wie Leibniz in § 26 der Metaphysischen Abhandlung sagt, zu jedem Zeitpunkt über die (distale oder proximale) Qualität, an jeden beliebigen Gegenstand zu denken (Bd. 1, S. 317).
53
Leibniz verteidigt diese These später vor allem in seinen Nouveaux Essais sur l’Entendement Humain gegen Locke.
Einführung: Berkeleys Welt
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9. George Berkeley Max Barkhausen und Johannes Haag
9.1 Einführung: Berkeleys Welt Das Weltbild des Repräsentationalisten der frühen Neuzeit setzt drei Entitäten zueinander in Beziehung: ein vorstellendes Subjekt, ein Objekt der Vorstellung und Gott, der dafür Sorge trägt, dass die repräsentationale Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zustande kommt. George Berkeley gibt diese triadische Beziehung in seiner Philosophie nicht auf, gibt ihr aber eine entscheidende neue Wendung. Er setzt dabei bei der Konzeption des vorgestellten Objekts an. Zunächst sind vorgestellte Objekte für Berkeley nichts anderes als Bündel von Ideen, die uns die Sinne liefern. Dieser Gedanke für sich genommen war zur Zeit der Veröffentlichung von Berkeleys Werken allerdings keineswegs neu: Ganz ähnlich hatte John Locke die unmittelbaren Objekte der Vorstellung bereits zwei Jahrzehnte zuvor beschrieben – und mittlerweile hatte dessen Theorie weite Verbreitung gefunden und viel Zustimmung erfahren. Zwar gibt es auch an dieser Stelle bereits wichtige Abweichungen von Lockes Theorie, wie etwa die Ablehnung einfacher oder auch die Kritik abstrakter Ideen, doch hätten diese Abweichungen allein Berkeley kaum den Ruf eines philosophischen Phantasten eingebracht, der schnell mit seinem Namen verbunden war. Die Neuartigkeit und Kühnheit von Berkeleys Ansatz bestand vielmehr darin, dass er die Art und Weise für falsch hielt, wie das Zustandekommen der Ideenbündel, die die vorgestellten Objekte ausmachen, von Locke und vielen anderen Repräsentationalisten der Zeit beschrieben wurde. Für dieses Zustandekommen waren nämlich materielle Gegenstände, häufig aufgefasst als Zustände einer materiellen Substanz, von großer Bedeutung – unabhängig davon, ob sie selbst als deren Ursachen für die Vorstellungen verantwortlich gemacht wurden (wie von Descartes oder Locke) oder ob Gott bezüglich dieses Zustandekommens eine Vermittlerrolle zugeschrieben wurde (wie von Malebranche).
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George Berkeley
Berkeley behauptet nun, dass dieses Zustandekommen mit einer materiellen Substanz und deren Zuständen nichts zu tun haben kann: Erstens könne eine solche Substanz nicht Ursache unserer Vorstellungen sein, weil nur intelligente und aktive, also geistige Wesen im strengen Sinne etwas bewirken könnten. Und ebenso wenig könne, zweitens, eine materielle Substanz von Gott zu uns in Beziehung gesetzt werden. Zwar ist Gott als intelligentes und aktives, mithin geistiges Wesen dazu in der Lage als Ursache zu fungieren, doch kann selbst ein allmächtiger Gott keine materielle Substanz erzeugen, da der Begriff der materiellen Substanz, so behauptet Berkeley, widersprüchlich ist. Für die erste Behauptung argumentiert Berkeley, indem er darauf verweist, dass innerhalb des empiristischen Rahmens, vor dessen Hintergrund er seine Theorie entwickelt, der Begriff der Ursache nicht vermittels sinnlicher Ideen gewonnen werden kann. Denn die Sinne liefern uns nur einen unablässigen Strom von Ideen, die zwar zeitlich aufeinander folgen, zwischen denen aber keine anderen Beziehungen bestehen als die des zeitlichen Nacheinanders und die der Gleichzeitigkeit von Ideen aus verschiedenen Sinnen. Eine notwendige Verknüpfung, so argumentiert Berkeley und nimmt damit Überlegungen David Humes vorweg, ist zwischen diesen zeitlich geordneten Ideen nicht wahrzunehmen. Allerdings heißt das nicht, dass wir überhaupt nicht über den Begriff der Ursache verfügen. Nur gewinnen wir ihn nicht durch die sinnliche Erfahrung, sondern auf dem Wege der Reflexion unseres eigenen intentionalen Verhaltens: Wir erleben uns als tätige Wesen, die durch ihr Verhalten Veränderungen hervorbringen können – und sei es auch nur die willkürliche Erzeugung von Vorstellungen mit Hilfe unserer Einbildungskraft. (Diese Reflexion ist bei Berkeley anders als bei Locke keine Funktion eines inneren Sinnes, sondern eine Art unmittelbares Bewusstsein. Deshalb liefert sie uns auch keine Ideen, sondern geistige Zustände anderer Art. Wäre dieses Bewusstsein ein Bewusstsein von Ideen, dann könnte es uns keinen Begriff der Ursache liefern, da wir es dann wieder nur mit einem bloßen Nacheinander solcher Ideen zu tun hätten. Für Berkeley wäre es allein aus diesem Grund unsinnig zu versuchen, die philosophische Beschreibung unseres geistigen Lebens auf den Umgang mit Ideen zu reduzieren.) Damit ist der einzige Begriff der Ursache, über den wir verfügen können, der Begriff der tätigen Ursächlichkeit eines intelligenten und aktiven Wesens. Da die materielle Substanz andererseits als wesentlich nicht-denkend und passiv charakterisiert ist, folgt, dass sie nicht Ursache unserer Vorstellungen und ihrer Objekte sein kann.
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Die Behauptung, der Begriff der materiellen Substanz sei widersprüchlich, scheint schwieriger zu stützen. In der Tat berührt die Argumentation für diese Behauptung den Kern von Berkeleys Philosophie. Seine Überlegung ist folgende: Eine materielle Substanz soll wesentlich passiv und nicht-denkend und dabei gleichzeitig durch die Attribute Ausdehnung, Gestalt und Bewegung charakterisiert sein. Ausdehnung, Gestalt und Bewegung sind aber Ideen. Da Ideen nur im Geist sein können und Ideen nur anderen Ideen ähnlich sein können, beinhaltet der Begriff der materiellen Substanz einen Widerspruch: Es ist der Begriff einer nicht-geistigen Substanz, die Eigenschaften haben soll, die nur geistigen Substanzen zukommen.1 Doch irgendeine Ursache muss es für das Zustandekommen unserer Vorstellungen und der vorgestellten Objekte qua Ideenbündel geben. Wenn sie nicht auf diese Weise zustande kommen, wie dann? Wir wissen bereits, dass als Ursache nur die Aktivität eines geistigen Wesens in Frage kommt. In dem repräsentationalistischen Bild, das den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildete, kommen dafür zwei Kandidaten in Frage: das vorstellende Subjekt und Gott. Wäre das vorstellende Subjekt selbst Ursache seiner Vorstellungen und der vorgestellten Gegenstände, hätte das gravierende Folgen für die Überzeugungskraft des Berkeley’schen Projektes. Denn in diesem Fall wären die Ideen selbst und damit auch die vorgestellten Objekte nichts anderes als Erzeugnisse der Einbildungskraft, „but so many illusions and chimeras on the fancy“ (Principles I, § 34). Unsere Vorstellungswelt wäre radikal subjektiv, ihre Objektivität nur trügerischer Schein. Dieser negative Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass Berkeley auf Grund seiner Kritik am Begriff der materiellen Ursache eine Unterscheidung nicht mehr treffen kann, die seinen Vorgängern dazu gedient hat, zwischen objektiv existierenden und bloß subjektiven2 Eigenschaften der vorgestellten Objekte zu unterscheiden: die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten. Diese Unterscheidung zwischen vorgestellten Eigenschaften mit Entsprechungen in einer unabhängig von uns existierenden materiellen Substanz und Eigenschaften, für die es keine derartigen Entsprechungen gibt, steht Berkeley of1 2
Dieses Argument findet sich z. B. in Principles I, § 9. ‚Subjektiv‘ ist hier nicht als Gegensatz zu ‚intersubjektiv‘ zu verstehen. Sekundäre Qualitäten sind in dem Sinne subjektiv, dass sie nur im Geist, nicht aber in den Dingen selbst existieren, Sie sind aber nicht in dem Sinn subjektiv, dass nicht zwei Individuen qualitativ identische Ideen von sekundären Qualitäten haben können.
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fenbar nicht mehr zur Verfügung. Alle vorgestellten Eigenschaften drohen nun bloß subjektiv zu werden. Doch obwohl Berkeley die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten ganz ausdrücklich aufgibt (und keineswegs nur aus dem genannten Grund), ist er weit davon entfernt, nunmehr alle vorgestellten Eigenschaften für bloß subjektiv zu halten. Er versucht vielmehr Objektivität dadurch zu garantieren, dass er Gott, als allmächtiges geistiges Wesen, und dessen intentionales Handeln ursächlich für unsere Vorstellungen verantwortlich macht: Gott sorgt dafür, das wir sinnliche Ideen perzipieren. Er ist verantwortlich für die Konstanz und Kohärenz unseres sinnlichen Erlebens, die es uns erst ermöglichen, unsere Ideen so zu bündeln, dass aus ihnen vorgestellte Objekte werden. Diese Ideenbündel stehen zwar nicht mehr in einer repräsentationalen Beziehung zu einer materiellen Substanz, wohl aber in einer Beziehung zu nicht-sinnlichen Akten Gottes, die das objektive Dasein der vorgestellten Objekte als ein von unserer Vorstellung unabhängiges Dasein gerade dadurch gewährleistet, dass sie von den Vorstellungen Gottes abhängig sind. Doch woher wissen wir, dass nicht wir selbst, sondern Gott die Ursache unserer Ideen ist? An dieser Stelle führt Berkeley unser Bewusstsein der Passivität in der Wahrnehmung an: Wir können uns, sofern wir uns mit Bewusstsein in unserer Umgebung bewegen, nicht aussuchen, was wir wahrnehmen und was nicht. Diese Passivität der sinnlichen Wahrnehmung kontrastiert mit der Aktivität, derer wir uns bewusst sind, wenn wir selbst Ideen vermittels unserer Einbildungskraft hervorbringen. Passivität allein ist allerdings noch keine hinreichende Bedingung für die Objektivität unserer Vorstellungen und die objektive Existenz der vorgestellten Objekte. Schließlich verhalten wir uns in Träumen und Halluzinationen gleichfalls passiv. Doch diese Vorstellungsfolgen, so argumentiert Berkeley nun mit Descartes, weisen niemals die Kohärenz und die Konstanz auf, die im Normalfall die Abfolge unserer sinnlichen Ideen auszeichnet – und für die eben niemand anders verantwortlich sein kann als Gott. Die Objektivität der Welt, in der wir leben, ist für Berkeley deshalb wesentlich die Objektivität einer Erlebniswelt, in der jede einzelne Wahrnehmung unmittelbares Zeichen von Gottes Aktivität ist. Obwohl Berkeley damit eine Position vertritt, die nicht nur von den meisten seiner Zeitgenossen, sondern auch von heutigen Lesern als kontraintuitiv empfunden wurde und wird, hielt er sich selbst für einen common-sense-Philosophen, dem es ein Anliegen war, den alltäglichen Intuitionen und Vorstellungen des plain man in seiner Philosophie gerecht
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zu werden: Dem eigenen Anspruch nach gibt er uns mit dieser Konzeption die Welt der erfahrbaren Dinge zurück, die das naturwissenschaftlich geprägte cartesische Weltbild verloren hatte, indem es eine Realität postulierte, die nicht unmittelbar erfahrbar war und der Welt unserer alltäglichen Vorstellungen bestenfalls hinsichtlich der primären Qualitäten ähnelt. In Berkeleys Philosophie verliert die erfahrbare Welt ihren Objektivitätsanspruch nicht zugunsten einer Realität, von der wir nie genau wissen können, ob wir sie so erfassen, wie sie ist. Deshalb betont Berkeley immer wieder, dass er nicht Dinge zu Ideen, sondern Ideen zu Dingen machen will: Es ist der Begriff des erfahrbaren Gegenstands, der in Berkeleys Philosophie eine andere Bedeutung und einen anderen Stellenwert erlangt. Das Erfahrbare wird damit wieder zur einzigen Realität.
9.2 Stellenkommentar 9.2.1 Auszüge aus A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge – Introduction / Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Einleitung (1710) (zitiert als: Principles E ) K1: In den ersten Abschnitten der Principles wird deutlich, dass Berkeley sowohl kritische als auch konstruktive Ziele verfolgt. Er möchte zum einen falsche Positionen, die zu absurden Konsequenzen führen, verwerfen und sie zum anderen durch eigene Positionen ersetzen. Eine der „Absurditäten und Widersprüche“, die Berkeley in dieser Passage im Sinn hat, ist ein skeptisches Problem des Repräsentationalisten: Wie können wir uns sicher sein, dass materielle Objekte unseren Ideen ähneln? Eine wichtige Motivation für Berkeleys Idealismus ist also, ein skeptisches Problem zu vermeiden. (Vgl. auch Principles I, § 94, Dialogues, 173.) K2: Berkeley glaubt, dass Lockes Doktrin abstrakter Ideen im Zentrum des kausalen Repräsentationalismus steht, den er ablehnt. Deshalb möchte Berkeley diese Doktrin, die seiner Ansicht nach auf einem inkonsistenten Begriff beruht, und die so für ihn einen Missbrauch der Sprache darstellt, zurückweisen. Dieses Ziel ist gleichsam konstruktiv: Um seinen Idealismus argumentativ zu untermauern, muss Berkeley Lockes Doktrin der abstrakten Ideen zurückweisen. Wie wichtig genau Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen für seinen Antimaterialismus ist, ist umstritten. Winkler 1989 und Jesseph 1993 vertreten beispielsweise die Position,
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dass Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen seinen Antimaterialismus lediglich unterstützt, während Atherton 1987, Bolton 1987, Muehlman 1992, Pappas 2000 und Saporiti 2006 diese Argumentation für bedeutsamer halten. Wir halten Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen für die unentbehrliche Basis von Berkeleys Argumenten gegen den Materialismus (vgl. systematischer Essay, 9.3.7). K3: Hier beginnt Berkeleys Darstellung von Lockes Konzeption der abstrakten Ideen. Wichtig ist, dass diese Abschnitte bereits vor dem Hintergrund von Berkeleys primärem Ziel in den Principles zu verstehen sind: Er möchte seinen Idealismus etablieren. Letztendlich geht es ihm darum, einen Begriff der Materie als inkonsistent zurückzuweisen, der auf einer bestimmten Konzeption von abstrakten Ideen beruht. Man sollte sich also nicht nur die Frage stellen, ob Berkeley hier Lockes Position richtig darstellt, sondern auch die Frage, inwiefern die Arten von abstrakten Ideen, die er darstellt, mit dem Materialismus seiner Vorgänger verquickt sind (für eine Diskussion, inwiefern Berkeleys Antiabstraktionismus ein substantieller Angriff auf John Lockes Substanzbegriff ist, siehe Garber 1987). Die erste Art der Abstraktion, die Berkeley einführt, ist das Für-SichBetrachten einer Eigenschaft von einem sinnlichen Gegenstand, das uns ein mentaler Akt des Trennens ermöglicht (für eine Übersicht über verschiedene Abstraktionsarten und ihre Bedeutung für Berkeley, vgl. unten, systematischer Essay, 9.3.7). Berkeley bezieht sich hier nur auf sinnlich wahrnehmbare Gegenstände. Gäbe es diese Art der Abstraktion, so könnte ich beispielsweise aus meiner Idee eines roten Würfels die Idee des Rottons rot21 abstrahieren (vgl. Principles, § E10). K4: Die Idee der Materie erhalten wir, so Berkeleys Locke in E8 und E9, indem wir Ideen von sinnlich wahrnehmbaren Dingen vergleichen und alle Eigenschaften, die sie nicht gemeinsam haben, von ihnen abtrennen. Durch ähnliche Vergleiche erhalten wir die abstrakte Idee der Farbe und Ideen von komplexen Dingen, wie die abstrakte Idee des Menschen. K5: Hier kritisiert Berkeley die Konzeption von abstrakten Ideen, die er in den vorangegangenen Abschnitten eingeführt hat (für eine Diskussion von Berkeleys Argumenten gegen abstrakte Ideen und unterschiedlicher Arten von Abstraktion, vgl. unten, systematischer Essay, 9.3.1–3. Für eine Diskussion der Relevanz von Berkeleys Antiabstraktionismus für seinen Idealismus, vgl. unten, systematischer Essay, 9.3.4–7). Zum einen vertritt Berkeley die nominalistische These, dass es nur Einzeldinge gibt. So haben wir Berkeley zufolge keine universellen Ideen, die für Klassen von Gegenständen stehen, sondern nur Ideen von
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einzelnen Dingen, über die wir uns auf Klassen von Gegenständen beziehen (für eine Diskussion von Berkeleys Nominalismus, für den er kaum argumentiert und den er glaubt, von Locke übernehmen zu können, siehe unter anderem Weinberg 1965, Muehlman 1992 und Saporiti 2006). Zum anderen glaubt Berkeley, dass wir nur Ideen von sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen haben können. Nun kann ich keinen Menschen wahrnehmen, der weder groß noch klein noch mittelgroß ist, da jeder Mensch eine bestimmte Größe hat. K6: Berkeley glaubt nicht, dass wir keine allgemeinen Begriffe von empirischen Einzeldingen haben. Vielmehr will er abstrakte Ideen durch eine eigene Konzeption von allgemeinen Begriffen ersetzen, die nicht auf abstrakten Ideen beruhen. Berkeley schreibt Locke die Position zu, dass sich unsere (allgemeinen) sprachlichen Ausdrücke via abstrakte Ideen auf extramentale Dinge beziehen. Berkeley, der diese Position ablehnt, ist der Ansicht, dass konkrete Ideen von Einzeldingen für eine ganze Klasse von anderen Ideen stehen können, wenn wir sie als Zeichen auffassen. So kann meine Idee von Peter für alle anderen Ideen von Menschen stehen, wenn ich sie als Zeichen auffasse, oder meine Idee eines bestimmten Dreiecks für alle Dreiecke (vgl. dazu auch Abschnitt E16; Bd.1, S. 341). Leider ist Berkeleys Theorie allgemeiner Begriffe nicht ausgearbeitet und wird hier nur schematisch dargestellt. Im Abschnitt E15 (Bd.1, S. 341) wird jedoch ihre nominalistische Prägung deutlich. Hier formuliert Berkeley seine nominalistische Grundthese: Begriffe sind nur insofern allgemein, als sie sich auf Einzeldinge beziehen. Einzeldinge teilen keine universellen Eigenschaften. (Für ausführliche Diskussionen von Berkeleys Antiabstraktionismus siehe Flage 1986, Flage 1987, Atherton 1987, Bolton 1987.) 9.2.2 Auszüge aus A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge – Part I / Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – Teil I (1710) (zitiert als: Principles I) K7: Im zentralen ersten Abschnitt führt Berkeley seinen Ideenbegriff und seinen Objektbegriff ein. Ideen sind die unmittelbaren Objekte unserer Perzeption. Dabei gibt es zwei Klassen von Ideen: Die unmittelbaren Objekte unserer Sinneswahrnehmung und Ideen zweiter Ordnung, die wir vermittels der Einbildungskraft und der Erinnerung aus den
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Ideen der ersten Art gewinnen. Fraglich ist, ob Ideen Zustände des perzipierenden Geistes sind, oder ob sie subsistente, aber dennoch vom perzipierenden Geist distinkte Gegenstände sind, die der Geist erfasst. Im Abschnitt 3 spricht Berkeley davon, dass Ideen „im Geist existieren“. Diese Passage spricht für die zweite Lesart. Vertreter der ersten, adverbialistischen Lesart sind unter anderem Tipton 1974, Atherton 1983 und Winkler 1989. Ein prominenter Vertreter der zweiten Lesart ist Pappas 2000. Für eine Diskussion der Widersprüche zwischen beiden Lesarten, siehe Grave 1964. Gegenstände sind Bündel von Ideen, zwischen denen weder notwendige noch intrinsische Beziehungen bestehen. Der perzipierende Geist fasst Ideen zu Gegenständen zusammen. Erst dadurch werden Ideenbündel zu Gegenständen. (Für eine Diskussion der Frage, inwiefern mentale Akte konstitutiv sind, siehe unter anderem Ryan 2006, Daniel 2008.) Von perzipierenden Geistern haben wir keine Ideen, sondern nur eine besondere Art von Begriffen, notions, da sie nicht perzipiert werden können. (Für die Frage, woher unsere Begriffe für perzipierende Geister stammen, vgl. unten, Princples I, § 140; Bd.1, S. 350 f. und Kommentar.) K8: In Abschnitt 3 wird deutlich, für wie intuitiv Berkeley seine EsseEst-Percipi-Doktrin hält. Für ihn gibt es eine Verbindung zwischen dem Begriff der Existenz und dem Begriff des Perzipiertwerdens. Nun stellt sich für Berkeley die Frage, wie Sätze über Gegenstände, die gerade nicht wahrgenommen werden, zu verstehen sind. Berkeleys Antwort auf diese Frage ist nicht eindeutig. (Vgl. Principles I, §§ 3, 45–48 und Dialogues, 212, 214–5; Bd.1, S. 342 f., 352 f.). In der Literatur gibt es im Wesentlichen zwei Lesarten dieser Antwort, die aktualistische und die kontrafaktische Lesart. Aktualisten gehen davon aus, dass Gott immer alle Ideen perzipiert und so die Persistenz von Gegenständen garantiert. Vertreter des Kontrafaktualismus gehen davon aus, dass Aussagen über nicht-perzipierte Gegenstände nach Berkeley als kontrafaktische Aussagen analysiert werden sollten. Wenn ich also sage „Johannes arbeitet allein in seinem Büro“, dann bedeutet meine Aussage unter anderem, dass jemand, der in Johannes’ Büro wäre, ihn arbeiten sehen könnte. In beiden Lesarten hat Gott eine wichtige, allerdings unterschiedliche Funktion: Gemäß der aktualistischen Lesart ist er ein ewiger, allwissender Geist, der alle Ideen immer perzipiert. Innerhalb einer kontrafaktischen Lesart garantiert er als Verursacher unserer Perzeptionen, dass wir in den entscheidenden kontrafaktischen Situationen die „richtigen“ Wahrnehmungen hätten.
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Für aktualistische Lesarten siehe unter anderem Pitcher 1977, Pappas 2000. Für kontrafaktische Lesarten vgl. Winkler 1989; Winkler selbst vertritt eine hybride Position, die Aspekte beider Lesarten übernimmt. K9: Hier deutet Berkeley seine allgemeine Argumentationsstrategie gegen den Materialisten an: Er hält den Begriff der Materie für widersprüchlich. Die Principles können als Versuch gelesen werden, für diese Behauptung zu argumentieren. Neben dieser starken Behauptung argumentiert Berkeley aber auch für die schwächere epistemische Behauptung, dass wir keinen Begriff der Materie haben können oder einfach nicht wissen können, ob es Materie gibt aus der die stärkere metaphysische Behauptung nicht unmittelbar folgt. K10: In Abschnitt 6 findet sich eine Anspielung auf sein zentrales Argument für den Idealismus: Um eine Idee von einem nicht perzipierten Gegenstand zu haben, müssten wir den Gegenstand selbst perzipieren; das aber sei widersprüchlich. (Vgl. unten Principles I, §§ 22, 23 und Dialogues, 200; Bd.1, S. 347, 351). K11: In Abschnitt 7 erweckt Berkeley den Eindruck, dass er den Idealismus schon für bewiesen hält. In der Tat findet sich in den Abschnitten 1 bis 6 eine erste Exposition seiner Argumente. Andererseits scheint es, dass Berkeley seine zentrale Folgerung hier nur vorwegnimmt, um anschließend für sie zu argumentieren. (Für eine Diskussion der Bedeutung dieser Abschnitte innerhalb der Principles, siehe Fogelin 1996 und den systematischen Essay, 9.3.5). K12: Berkeley vertritt das sog. Ähnlichkeitsprinzip (in der engl. Literatur: likeness principle): Ideen können nur anderen Ideen ähnlich sein. Aus diesem Prinzip leitet er die Inkonsistenz eines Repräsentationalismus ab, in dem der Begriff der Ähnlichkeit, wie bei Locke, für das Bestehen der Repräsentationsbeziehung wichtig ist: Wenn Ideen nur anderen Ideen ähneln können, dann kann es keine materiellen Gegenstände geben, von denen sie Abbilder sind. Es ist umstritten, ob Berkeley aus der Behauptung, dass wir nicht wissen können, ob Ideen materiellen Gegenständen ähneln, die metaphysische Behauptung ableitet, dass sie ihnen nicht ähneln können, oder ob er nur für die schwächere epistemische Behauptung argumentiert und die stärkere, metaphysische Behauptung auf andere Weise aus dem Ähnlichkeitsprinzip ableitet. Nur wenn Ähnlichkeit als piktoriale Ähnlichkeit aufgefasst wird, ist die Behauptung, dass Ideen extramentalen Gegenständen nicht ähneln können, plausibel. Berkeleys Argument zeigt nämlich nicht, dass zwischen Ideen und extramentalen Gegenständen keine nicht-bildliche Strukturgleichheit bestehen kann, auch wenn
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es verdeutlicht, dass wir von einer solchen Strukturgleichheit aus prinzipiellen Gründen kein Wissen haben könnten. (Die bekannteste metaphysische Rekonstruktion von Berkeleys Argument findet sich in Cummins 1966. Eine einflussreiche epistemische Rekonstruktion gibt Winkler 1989. Ryan 2006 rekonstruiert das Ähnlichkeitsprinzip metaphysisch und glaubt, dass mentale Akte für Ähnlichkeiten konstitutiv sind.) K13: In den vorangehenden Abschnitten 9 bis 13 führt Berkeley die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten ein. Sekundäre Qualitäten sind Wahrnehmungseigenschaften wie Farbe oder Geschmack, die nicht den Dingen selbst inhärieren, sondern nur Eigenschaften von unseren Ideen sind. Primäre Eigenschaften sind intrinsische Eigenschaften der materiellen Dinge selbst. Bei Descartes etwa, der diese Unterscheidung prominent machte, sind primäre Eigenschaften geometrische und kinematische Eigenschaften der Korpuskel. Im Abschnitt 13 argumentiert Berkeley, dass trotz dieser Unterscheidung Einheit nicht den Dingen selbst zukommt, und dass die abstrakte Idee der Einheit für ihn die höchste Stufe der Abstraktion voraussetzt, die er ablehnt (für eine Diskussion dieser höchsten, transkategorialen Klasse der Abstraktion, siehe systematischen Essay, 9.3.3). Berkeley argumentiert nun in den Abschnitten 14 und 15, dass sich alle Argumente dafür, dass sekundäre Qualitäten nur im Geist sind, auf primäre Qualitäten anwenden lassen. Denn auch diese sind, so Berkeley, relativ zur Wahrnehmung. Genau wie mir ein Gegenstand warm erscheinen kann, der jemand anderem kalt erscheint, kann mir ein kreisförmiger Gegenstand elliptisch erscheinen, wenn ich ihn von der Seite betrachte. Das zeigt allerdings noch nicht, dass es keine extramentalen Gegenstände mit Ausdehnung oder Formen gibt, sondern nur, dass man nicht wissen kann, was deren Ausdehnung oder Form ist. Für eine Argumentation für diese weitergehende Behauptung braucht Berkeley seine Kritik an abstrakten Ideen, auf die er am Ende des Abschnitts 15 anspielt. Für eine Diskussion von Berkeleys Argumenten aus der Relativität der Wahrnehmung, siehe unter anderem Muehlman 1992, Muehlman 1991. K14: Berkeley argumentiert im Folgenden für die schwächere, epistemische Behauptung, dass wir nicht wissen können, ob es extramentale Gegenstände gibt. Er glaubt, dass dies aus seinem Ideenbegriff folgt: Es gibt einfach keinen Grund anzunehmen, dass Ideen Informationen darüber enthalten, dass sie von extramentalen Gegenständen verursacht werden. In diesem Zusammenhang scheint es ein Problem zu geben. Denn Berkeley glaubt, dass wir durch Schlüsse auf die beste Erklärung zu neuem Wissen gelangen können. Außerdem glaubt er, dass Ideen passiv
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sind und so von etwas verursacht werden müssen (vgl. Principles I, § 25; Bd.1, S. 347 f.). Der materialistische Repräsentationalist argumentiert nun, dass die beste Erklärung für unsere Wahrnehmung darin besteht, dass unsere passiven Wahrnehmungsideen von materiellen Gegenständen verursacht werden. (Vgl. etwa Descartes, Sechste Meditation.) Hätten wir damit nicht doch ein Argument dafür, dass Ideen materielle Gegenstände repräsentieren? Hinzu kommt, dass Berkeley selbst – ähnlich wie Descartes – von der Passivität der Ideen auf ihre Ursache schließt. Dennoch kommen materielle Gegenstände Berkeleys Ansicht nach nicht als Ursache unserer Ideen in Frage, sondern nur ein aktiver Geist. Berkeley geht nämlich davon aus, dass nur geistige Wesen (spirits) aktiv sein können: Nur ein perzipierender Geist kann deshalb Ideen hervorbringen (der menschliche Geist zum Beispiel durch aktives Vorstellen), während Ideen selbst wesentlich passiv sind und sich nicht selbst hervorbringen können. Kausalität wird so auf die Aktivität eines Geistes zurückgeführt und kann kein primitiver Begriff sein (vgl. Jesseph 2005). Per Analogieschluss kann Berkeley nun folgern, dass nicht materielle Gegenstände Ursache unserer Ideen sind, sondern ein perzipierender Geist, d. i. Gott. K15: Berkeley stellt hier sein sogenanntes Meisterargument vor, das zeigen soll, dass der Begriff eines nicht perzipierten Gegenstandes inkonsistent ist (vgl. auch unten Dialogues 200; Bd.1, S. 351; für eine Diskussion dieses Arguments vgl. unten 9.3.6 und 9.3.7. Eine hilfreiche Zusammenfassung verschiedener Rekonstruktionen des Meisterarguments findet sich in Saidel 1993. Vgl. außerdem: Gallois 1991, Gendler-Szabó 2005, Pappas 2000, Pitcher 1977, Prior 1955, Russell 1961). K16: Berkeley geht davon aus, dass Ideen zwei wichtige Eigenschaften haben: Erstens sind sie, wie oben erläutert, passiv. Zweitens wird alles, was in ihnen ist, perzipiert, da die Ideen im Geist existieren. Daraus geht, so Berkeley, hervor, dass uns die Inhalte von Ideen immer bewusst sind. (Dieser Schluss ist sehr stark und es ist fraglich, ob er für Berkeleys Konzeption wesentlich ist.) Da wir eine kontinuierliche Folge von passiven Ideen perzipieren, und da die Ursache dieser Ideen keine materielle Substanz sein kann (vgl. Abschnitte 18, 19), muss ein Geist (‚spirit‘) die Ursache unserer Ideen sein (vgl. K14 zu den Abschnitten 18, 19; Bd.1, S. 346 f.). Abschnitt 18 erklärt, wie wir den Begriff des aktiven Geistes und so den Begriff der Aktivität erwerben: Wir erkennen, dass wir selbst Ideen hervorbringen können, indem wir uns etwas vorstellen und so Ideen aktiv hervorrufen. Genau diese Prämisse, die wir aus introspektiver Erfahrung von uns
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selbst gewinnen, ermöglicht Berkeley nun seinen Analogieschluss auf Gott als Urheber der passiven Ideen, auf die wir keinen Einfluss haben (vgl. Abschnitt 29; Bd.1, S. 349). K17: Berkeley unterscheidet hier zwei Klassen von Ideen: solche, die Gott in uns hervorruft, und solche, die wir selbst durch die Einbildungskraft hervorbringen. Bemerkenswert ist, dass letztere sich auf erstere beziehen und diese sogar abbilden. Anders als Wahrnehmungsideen haben sie also repräsentationalen Gehalt. Berkeley geht davon aus, dass Ideen aus der Einbildungskraft weniger „regelmäßig, lebendig und konstant“, also inkohärenter sind als Ideen aus der Sinneswahrnehmung. So gibt er ein ähnliches Kriterium wie Descartes in der II. und VI. Meditation an, um zwischen Einbildungen und Sinneswahrnehmung zu unterscheiden. Das beweist aber nicht, dass sie unabhängig vom Geist existieren, obwohl es auf einen Unterschied zwischen zwei Klassen von Ideen hinweist. K18: Berkeley argumentiert in den vorangehenden Abschnitten 34 bis 38 für die intuitive Basis seiner Position: Es geht ihm nicht darum, den Menschen die materiellen Dinge wegzunehmen, sondern darum, ihnen die Wahrnehmungen zurückzugeben. Berkeley betont hier einen Vorzug seiner Position: Das, was es gibt, ist genau das, was wir wahrnehmen. So ist es auch nicht seltsam, dass wir uns in Ideen kleiden und Ideen essen. Wir essen und kleiden uns eben in Dinge, die wir direkt wahrnehmen. Nur ist das, wie Berkeley nun hier in Abschnitt 39 deutlich macht, nicht alles, was man korrekter Weise als Ding bezeichnet. Deshalb wählt er für die wahrnehmbaren Dinge den Ausdruck „Idee“. K19: In Berkeleys Ontologie gibt es, so wird in diesen Abschnitten weiter deutlich, letztlich nur zwei Klassen von Gegenständen: Ideen und spirits. Daraus, dass Ideen passive Entitäten sind, die perzipiert werden, geht hervor, dass es auch aktive Geister geben muss, die sie perzipieren (vgl. oben Principles I, §§ 15, 18, 19; Bd.1, S. 345 ff.). Das erkennen wir jedoch nicht vermittels Ideen, da wir aufgrund von deren nichtsinnlichen Beschaffenheit keine Ideen von spirits haben können. Vielmehr erkennen wir die Existenz unseres eigenen Geistes durch Introspektion sowie die Existenz anderer Geister durch einen Analogieschluss (vgl. oben Principles I, §§ 18, 19; Bd.1, S. 346 f.). In Abschnitt 140 wird besonders schön deutlich, wie solche Analogieschlüsse funktionieren: Wir gehen davon aus, dass unsere Ideen denen anderer Geister ähnlich sind. Eine solche Ähnlichkeit ist für Berkeley unproblematisch, da sie seinem Ähnlichkeitsprinzip nicht widerspricht (vgl. Abschnitt 8). Es stellt sich die Frage, ob Berkeley seinem Esse-Est-
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Percipi-Prinzip an dieser Stelle widerspricht und so die Existenz von spirits für Berkeley ein metaphysisches Problem darstellt. (Siehe unter anderem Muehlman 1992, Pitcher 1977 und Pappas 2000. Für eine ausführliche Rekonstruktion von Berkeleys Begriffs- und Bedeutungstheorie, siehe Flage 1987.) 9.2.3 Auszüge aus Three Dialogues between Hylas and Philonous / Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous (1713) (zitiert als: Dialogues) K20: Dieser Dialogabschnitt ist Berkeleys Version des Meisterarguments in den Dialogues. (Vgl. oben Principles I, §§ 22, 33; Bd.1, S. 347, 349; vgl. außerdem K15.) K21: Nehmen wir einen Gegenstand wahr, so muss man nach Berkeley zwischen den Ideen, die wir unmittelbar wahrnehmen, und den Ideen, die wir mittels anderer Ideen wahrnehmen, unterscheiden. Höre ich zum Beispiel das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens, so ist der einzige direkte Gegenstand meiner Wahrnehmung die auditive Idee, die das Geräusch ausmacht. Dennoch nehme ich in einem bestimmten Sinn einen Wagen wahr: Denn die Geräuschidee suggeriert meinem Geist andere Ideen, die auch zu der Wahrnehmung eines Wagens gehören können. So kann Berkeley nicht nur im speziellen Fall des Wagens erklären, wie ich nicht nur ein Geräusch, sondern einen Wagen wahrnehme, sondern er kann allgemein erklären, wie wir Gegenstände wahrnehmen. Warum Berkeley uns dafür überhaupt eine allgemeine Erklärung geben muss, kann man sich leicht an einem Beispiel klarmachen: Nehme ich einen Würfel wahr, so kann ich nie alle seine Seiten sehen. Dennoch ist das, was ich wahrnehme, ein Würfel mit sechs Seiten. So geht es uns mit allen Gegenständen: Wir nehmen nie alle ihre Eigenschaften gleichzeitig wahr. Für Berkeley könnte hier ein Problem entstehen, weil für ihn im Falle des Würfels kein materieller Würfel Gegenstand unserer Wahrnehmung ist, sondern Würfelideen. Da viele Würfelideen das Objekt Würfel konstituieren, die wir nicht wahrnehmen, ist nicht ersichtlich, wie wir den Würfel wahrnehmen. Berkeleys Antwort: Wir nehmen die für den Würfel konstitutiven Ideen, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen, mittels jener Ideen wahr, die wir direkt wahrnehmen. Letztere „schlagen erstere dem Geist vor“ (suggest ). Der Begriff Vorschlagen ist insofern irreführend, als er Passivität zu implizieren scheint. Wenn uns – in Berkeleys Terminologie – eine Wahrnehmungsidee eine andere Idee vorschlägt, dann verbinden wir die Ideen
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jedoch im Geist durch einen geistigen Akt. Unsere Wahrnehmung von Objekten beruht also immer auf geistiger Aktivität. (Ein besseres Verständnis werden uns weiter unten die Passagen aus dem Essay Towards a New Theory of Vision ermöglichen.) Worin diese geistige Aktivität genau besteht, und inwiefern sie eine Erklärung von der Intentionalität geistiger Zustände ausmacht, ist umstritten. Winkler interpretiert suggestion als Assoziation Locke’scher und Hume’scher Prägung (vgl. Winkler 2005). Pitcher versteht unter suggestion Inferenzen (vgl. Pitcher 1986). In Pappas 1987, Pappas 2000, Pappas 2007 und Glauser 2007 wird die Position vertreten, dass wir uns in der Wahrnehmung bereits dadurch auf Gegenstände beziehen, dass wir Ausschnitte aus Ideenbündeln perzipieren. Hight 2007 und Daniel 2008 betrachten hingegen die suggestion-Relation als konstitutiv für einen erfolgreichen Gegenstandsbezug. K22: Vgl. Principles I, §§ 34 bis 39 und oben K18 zu Abschnitt 39. K23: Berkeley bekennt sich in diesem Abschnitt zum Aktualismus; vgl. K8. K24: Vgl. Principles I, §§ 89, 140; Bd.1, S. 350 f. und K19. K25: Wie kann Berkeley falsche Urteile erklären, die durch wahre Beobachtungssätze gerechtfertigt sind? Wie kann Berkeley überhaupt erklären, dass ich manchmal Dinge nicht so sehe, wie sie sind, und dass es Illusionen gibt? Man sollte hier zwischen einer metaphysischen und einer epistemischen Frage unterscheiden, die Berkeley nicht klar auseinanderhält: was ist darunter zu verstehen, dass ein Satz über einen Gegenstand wahr ist, und wann sind wir in unseren Urteilen über Gegenstände gerechtfertigt? Zunächst zur Frage der Rechtfertigung: Philonous stellt fest, dass die Aussage: „Ich sehe ein gekrümmtes Ruder“ unproblematisch ist. Problematisch ist es aber, wenn uns unsere Beobachtung eines unter Wasser gekrümmten Ruders dazu verleitet, die Aussage „Das Ruder ist gekrümmt“ zu akzeptieren. Der nahe liegende Einwand von Hylas ist nun, dass Berkeley zwischen beiden Aussagen nicht unterscheiden kann. Wenn ich also ein gekrümmtes Ruder im Wasser sehe, so bin ich nach Berkeley darin gerechtfertigt zu urteilen, dass das Ruder gekrümmt ist, und ich kann auch nicht erklären, warum die Aussage falsch ist. Philonous antwortet folgendermaßen: Probleme entstehen nur deshalb, weil Materialisten irrtümlicher Weise davon ausgehen, dass wir über materielle Gegenstände mit einer einzigartigen Natur sprechen können. Das können wir nach Berkeley aber nicht, da unsere Aussagen über (angeblich materielle) Gegenstände immer als Aussagen über (Bündel von) Ideen zu verstehen sind. Da Berkeley unter Gegenständen Ideenbündel
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versteht (vgl. Principles I, §§ 1–6; Bd.1, S. 342 ff. und den systematischen Essay (9.3)), ist diese Ansicht nicht überraschend, wenn auch nicht selbstverständlich. Philonous kann deshalb behaupten, dass eine Person falsch liegt, wenn sie sagt, dass das Ruder gekrümmt ist. Das liegt daran, dass diese Aussage impliziert, dass ich auch dann Ideen eines gekrümmten Stabes hätte, wenn ich den Stab aus dem Wasser zöge. Diese kontrafaktische Aussage ist aber falsch. Diese Strategie von Philonous legt uns eine kohärentistische Erkenntnistheorie nahe. Neben den Minimalkriterien der logischen und begrifflichen Konsistenz, die Berkeley mit Sicherheit akzeptieren würde, würde eine solche Theorie kontrafaktische Stabilität fordern: Kontrafaktische Beobachtungssätze müssen mit meinen anderen Überzeugungen kompatibel sein. Ich bin also genau dann in einer Überzeugung gerechtfertigt, wenn sie zum einen in mein bisheriges Netz von Überzeugungen passt, und wenn das außerdem die relevanten kontrafaktischen Konditionale tun. (Hier stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage, welche kontrafaktischen Konditionale die Bedeutung von Aussagen über Gegenstände ausmachen.) Ob Berkeleys Antwort auf die Frage nach der Wahrheit gleichermaßen kohärentistisch ist, ist nicht eindeutig. In Dialogues, 248; Bd.1, S. 356, sagt Berkeley, dass auch in seiner Theorie Ideen Kopien von etwas sind. Liest man Berkeley aktualistisch, so hat Gott genau die Ideen, die wir gerade nicht perzipieren. Das hat zur Folge, dass Gott auch Ideen des Ruders außerhalb des Wassers hat. Natürlich sind diese Ideen keine Ideen von einem gekrümmten Ruder. Wenn ich also sage, dass das Ruder außerhalb des Wassers gerade ist, dann ist meine Aussage genau deswegen wahr, weil sie eine Aussage über eine göttliche Idee ist. Der Aktualist kann Berkeley also eine Korrespondenztheorie der Wahrheit unterstellen: Die Korrespondenz bestünde zwischen Ideen in uns und Ideen in Gott. Weist man Gott hingegen eine rein kontrafaktische Funktion zu (wofür diese Passagen nicht sprechen!), dann muss man Berkeley auch eine kohärentistische Wahrheitstheorie unterstellen. Denn dann wären unsere Aussagen genau dann wahr, wenn sie die oben formulierten Kriterien dafür, dass sie gerechtfertigt sind, erfüllen.
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9.2.4 Auszüge aus An Essay Towards a New Theory of Vision / Versuch über eine neue Theorie des Sehens (1709) (zitiert als: ETV ) K26: In den ausgewählten Passagen aus ETV geht es Berkeley um folgende Themen: (a) die Heterogenität der Wahrnehmung (b) mittelbare Wahrnehmung (c) Ideen als Zeichen für andere Ideen Die Heterogenität der Wahrnehmung besagt, dass es keine notwendige Verbindung zwischen Ideen aus verschiedenen Sinnen gibt. Wenn ich etwa einen Apfel wahrnehme, so besteht keine notwendige Verbindung zwischen meiner visuellen Idee eines roten, runden Gegenstands und dem süßen Geschmack des Apfels. Ich fasse diese heterogenen Ideen im Geist zu einem Gegenstand zusammen. Das tue ich deswegen, weil eine Idee meinem Geist eine andere Idee „vorschlägt“ (suggest ). Dabei handelt es sich um Aktivität des Geistes, zu der ich in der Lage bin, weil ich aus Erfahrung implizit weiß, dass visuelle Apfelideen auf eine bestimmte Weise mit Apfelgeschmack verbunden sind. Wenn ich einmal erfahren habe, dass Ideen miteinander verknüpft sind, dann nehme ich Ideen mittels anderer Ideen wahr. Da ich beispielsweise erfahren habe, dass rote apfelförmige Dinge süß schmecken, nehme ich mittels meiner visuellen Idee eines Apfels die Idee von der Süße des Apfels wahr. Dies erklärt, dass ich in einem bestimmten Sinne Gegenstände und nicht nur bestimmte Aspekte von Gegenständen wahrnehme (vgl. auch Dialogues, 238; Bd.1, S. 354, und den nachfolgenden systematischen Essay (9.3)). Ich habe Erfahrungswissen und kein notwendiges Wissen davon, wie Ideen verknüpft sind, also davon, unter welchen Umständen sie aufeinander folgen und unter welchen Umständen sie miteinander einhergehen. (Vgl. Pitcher 1977, 7–12, Muehlman 1992, 215 f.) Die Relationen, die zwischen Ideen bestehen, die ich in der Erfahrung miteinander verknüpft habe, sind Zeichenrelationen. Die Ideen, die ich unmittelbar wahrnehme, sind Zeichen für die Ideen, die ich mittelbar wahrnehme. (Berkeleys Analogie zur Sprache ist allerdings irreführend, wenn man sie zu strikt anwendet: Denn Erfahrungswissen ist keineswegs konventionell, da Gott unsere Erfahrungen auf eine bestimmte Weise strukturiert. Dennoch ist diese Auffassung damit vereinbar, dass wir die Erfahrung in gewisser Weise selbst konstruieren müssen – wenn auch so, dass unsere Konstruktion mit den von Gott vorgegebenen Ideenabfolgen übereinstimmt. Vgl. Daniel 2008.)
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(a), (b) und (c) erklären nun Berkeleys Hypothese zum MolyneuxProblem (vergleiche Abschnitte 79, 137; vgl. außerdem K6 des Kommentarteils zu Locke). Das Molyneux-Problem ist eine Frage, die viele frühneuzeitliche Philosophen beschäftigt hat: Könnte ein blinder Mensch, der das Sehen lernt, einen Quader als Quader erkennen, ohne ihn anzufassen? Berkeleys eindeutige Antwort: Nein, schließlich sind haptische und visuelle Ideen nur durch Erfahrung verknüpft – genau die fehlt aber dem Blinden aus unserem Beispiel. Und das, so Berkeley, gilt für alle meine Ideen, selbst meine visuellen und haptischen Ideen von Bewegung sind nicht identisch. Obwohl Berkeley in der Theory of Vision seine EsseEst-Percipi-Doktrin noch nicht ausbuchstabiert, verdeutlichen (a), (b) und (c) schon die nominalistischen und anti-essentialistischen Aspekte seiner Position, die in einem engen Zusammenhang zu seinem Idealismus stehen. Problematisch ist die Frage, inwiefern Berkeley Objektidentität garantieren kann. Wenn Peter und Paul denselben Würfel betrachten, betrachten sie dann wirklich denselben Würfel? Schließlich sind ihre unmittelbaren Ideen des Würfels verschieden. Weiterhin sind ihre mittelbaren Ideen des Würfels unterschiedlich, weil sie verschiedene Erfahrungen mit dem Würfel gemacht haben und so nun andere Inferenzen vornehmen. Während Berkeley dieser Konklusion in ETV und in den Principles ausdrücklich zustimmt, vermeidet Philonous sie in den Dialogues (siehe oben). (Vgl. Atherton 1990, Muehlman 1992, 217.) Vielleicht zeigt sich an dieser Stelle am Deutlichsten, wie ernst Berkeley sein Diktum „Speak with the vulgar, think with the learned“ meinte: Dass zwei Menschen wirklich denselben Gegenstand perzipieren, oder dass ich denselben Gegenstand sehe, den ich anfasse, ist eben ein umgangssprachliches Kürzel dafür, dass zwar die Ideen, aus denen „beide“ Gegenstände bestehen, in Berkeleys Ontologie nicht quantitativ identisch sind, aber dennoch in Ähnlichkeitsrelationen zueinander stehen und außerdem in einem systematischen Zusammenhang eingeordnet werden, der bereits in der Wahrnehmung von Objekten wichtig ist. Eine neue Interpretation, wie Ideen bereits in der Wahrnehmung in einen semantischen Kontext eingeordnet und zueinander in Beziehung gesetzt werden, findet sich in Daniel 2008.
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9.3 Essay: Abstrakte Ideen und die Argumentation für den Idealismus Berkeley beginnt sein systematisches Hauptwerk, die Principles, mit einer ausführlichen Kritik an der Konzeption der abstrakten Ideen. Diese habe „einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet […], dass die philosophische Spekulation so verworren und verwirrend wurde, und [ist] für unzählige Irrtümer und Schwierigkeiten in nahezu allen Bereichen des Wissens verantwortlich“ (Principles, § E6). Was genau sind abstrakte Ideen? Was sind Berkeleys Gründe für seine Kritik an diesem Begriff ? Und welche Rolle spielt die Kritik abstrakter Ideen für die konstruktiven Teile von Berkeleys Philosophie? Dies sind die Fragen, die uns im Folgenden beschäftigen werden. Es wird sich zeigen, dass sie engstens mit den zentralen Thesen von Berkeleys Idealismus verknüpft sind. 9.3.1 Warum abstrakte Ideen? Die empiristische Erklärung unseres repräsentationalen Bezugs auf die Welt nimmt ihren Ausgang von Ideen, die uns durch unsere Sinne gegeben sind und auf die wir uns unmittelbar beziehen können. Diese Ideen sind vollständig bestimmte, wesentlich unwiederholbare und damit einzelne Entitäten; sie sind, modern gesprochen, Vorstellungstoken. Diese Ideenindividuen bilden die Grundlage für unser erkennendes Verhältnis zur Welt; auf ihnen ist das Gebäude unseres Wissens errichtet. Sie mögen dabei, in Abhängigkeit von der jeweiligen ideentheoretischen Konzeption, einfach (Locke) oder bereits komplex (Berkeley) sein, sie können ausschließlich aus den Quellen stammen, die wir üblicherweise unter dem Begriff der Sinne subsumieren, also aus den äußeren Sinnen und der Propriozeption (Berkeley), oder darüber hinaus auch noch aus einem inneren, reflexiven Sinn herrühren, kraft dessen wir ein repräsentationales Bewusstsein unserer eigenen mentalen Zustände haben (Locke) – wie auch immer man die Ideen der Sinnlichkeit im Einzelnen konzipiert: Es bleiben wesentlich einzelne, vollständig bestimmte und unwiederholbare Vorstellungsindividuen. Wiederholbarkeit ist aber eine Eigenschaft, die wesentlich für unseren erkennenden Bezug auf die Welt ist, den der Empirist erklären will. Denn dieser Bezug setzt voraus, dass wir die konkreten sinnlichen Ideentoken klassifizieren, d. h. verschiedene Ideen als Ideen mit demselben oder zumindest ähnlichem Inhalt auffassen können. Der erkennende Bezug auf
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die Welt erfordert die Fähigkeit zur Bildung von Ideentypen, ohne die wir über die einzelnen Vorstellungsereignisse nicht hinausgehen könnten. Wiederholbarkeit stellt nun, prima facie, für die Empiristen keine besondere Herausforderung dar: Da jedes Ideentoken inhaltlich vollständig bestimmt ist, ist jedes weitere Ideentoken mit genau derselben inhaltlichen Bestimmung eine Wiederholung des ursprünglichen Ideentokens – und damit ein Ideentoken vom selben Typ. Offensichtlich sind für unsere Erkenntnis darüber hinaus aber auch Zustände mit Inhalten unabdingbar, bei denen es sich nicht um Ideentoken oder Ideentypen unmittelbar erfahrbarer sinnlich wahrnehmbarer Eigenschafen handelt, sondern um Vorstellungen, für die eine gewisse Allgemeinheit charakteristisch ist, wie beispielsweise die Ideen von Farbe, die keine konkrete Farbe ist, von Größe, ohne dass uns eine konkrete Größe interessiert, von Existenz, ohne dass wir uns fragen, was konkret existiert. Auch dies nicht nur einfach deshalb, weil wir gerne über solche allgemeinen Eigenschaften nachdenken, sondern weil wir ohne die Fähigkeit, solche allgemeinen Ideen zu bilden, nicht dazu in der Lage wären, uns erkennend auf die Welt zu beziehen: Wir blieben immer auf der Ebene des unmittelbar Gegebenen stehen und hätten nicht die Möglichkeit, allgemeine Zusammenhänge zu erfassen, die für uns spätestens dann von zentraler Bedeutung sind, wenn wir miteinander kommunizieren wollen. Ideen solcher Eigenschaften setzen für ihre Entstehung die Typisierung von konkreten sinnlichen Ideen voraus. Dadurch wird ihre Wiederholbarkeit garantiert. Sie verlangen aber noch mehr: Während Typisierung Wiederholbarkeit garantiert, ist es nunmehr die Bestimmbarkeit, die durch die Verallgemeinerung gewährleistet werden muss. Denn wären allgemeine Ideen nicht bestimmbar, so könnten sie nicht für vollständig bestimmte Ideen stehen: Die Ideentoken, die uns durch unsere Sinnlichkeit unmittelbar gegeben sind, sind ja immer vollständig bestimmt. Sie beinhalten beispielsweise eine ganz bestimmte Farbschattierung, eine bestimmte Größe, einen bestimmten Geruch, eine bestimmte Oberflächeneigenschaft usw. Wenn wir aber nicht mehr an der konkreten Farbschattierung, sondern beispielsweise an dem Farbtyp, zu dem diese Schattierung zu rechnen ist, oder gar an der Farbe im Allgemeinen interessiert sind, dann gehen wir von Ideen vollständig bestimmter Eigenschaften sukzessive über zu Ideen von Eigenschaften, die immer weniger bestimmt – und damit immer bestimmbarer sind. Die Verallgemeinerung in diesem Sinne, die Generalisierung, sorgt also dafür, dass aus vollständig bestimmten, wenn auch bereits typisierten
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Ideen bestimmbare, d. h. typisierte und generalisierte Ideen gewonnen werden.3 Ideen mit generalisierten Inhalten stellen für empiristische Repräsentationalisten offenbar eine große Herausforderung dar. Denn sofern unsere Ideen ihren Ursprung in der Erfahrung haben sollen, die Erfahrung uns aber nur immer konkrete und damit vollständig bestimmte Eigenschaften liefert, muss der Empirist uns erklären, wie es möglich ist, dass unsere geistigen Zustände von allgemeinen, nicht unmittelbar erfahrbaren Eigenschaften handeln können. Doch auch bei der Typisierung der vollständig bestimmten, d. h. der konkreten sinnlichen, Ideen tritt schnell eine weitere Schwierigkeit auf, für die uns der Empirist eine Lösung schuldig ist: Die Inhalte unserer Wahrnehmung sind in den meisten Fällen komplex und selten einfach. In einigen zentralen Fällen ist diese Komplexität den Ideen wesentlich. So gilt beispielsweise für die wichtige Klasse der visuellen Wahrnehmungen, dass in ihnen Gestalt und Farbe immer gemeinsam auftreten und nie allein: Wir könnten eine konkrete Gestalt nicht visuell wahrnehmen, wenn nicht ihre Konturen durch unterschiedliche Farbschattierungen sichtbar würden. Für den Empiristen stellt sich deshalb auch hinsichtlich einiger einfacher sinnlicher Ideen die Frage, wie wir sie denn gewinnen können – nämlich hinsichtlich derjenigen Eigenschaften, die immer nur in Komplexen auftreten. Für beide Probleme – also das Problem nicht vollständig bestimmter (einfacher oder komplexer) Ideen und das Problem vollständig bestimmter einfacher Ideen – bietet sich nun ein Lösungsweg an, der historisch mit dem Namen John Lockes verknüpft ist: Solche einfachen Ideen werden genau wie die geistigen Zustände mit nicht vollständig bestimmten Inhalten durch Abstraktion mittelbar oder unmittelbar aus konkreten sinnlichen Ideen gewonnen. (Aus diesem Grund handelt es sich für den Abstraktionisten auch bei den letztgenannten Zuständen um Ideen. Wir werden sehen, dass Berkeley in seiner Lösung hier differenziert.) Sofern diese Ideen das Ergebnis einer Abstraktion sind, sind sie – unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um vollständig bestimmte oder allgemeine und damit bestimmbare Ideen handelt – abstrakte Ideen. Berkeley hat diese Vorstellung von Abstraktion vehement kritisiert: Abstrakte Ideen kann es seiner Ansicht nach nicht geben. Der Grund3
Dass die Ideen typisiert sind, bedeutet natürlich nicht, dass sie selbst Typen sind: Die einzelnen Ideenvorkommnisse bleiben selbstverständlich Token – nur gehören sie nun einem vom vorstellende Subjekt gebildeten Typ an.
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gedanke der folgenden Ausführungen ist, dass es sich bei der Kritik an abstrakten Ideen, die augenscheinlich nur in der Einleitung zu den Principles thematisiert wird, um den Dreh- und Angelpunkt von Berkeleys Ideentheorie handelt, der insbesondere seiner Argumentation für den Idealismus erst Überzeugungskraft verleiht. 9.3.2 Typen abstrakter Ideen Was Berkeley unter der Bezeichnung „abstrakte Ideen“ kritisiert, das umfasst, soviel haben schon die bisherigen Überlegungen deutlich gemacht, sehr verschiedene geistige Zustände. Eine grobe Unterteilung ist bereits durch die Abgrenzung vollständig bestimmter von bestimmbaren abstrakten Ideen gegeben. Allerdings wird schnell deutlich, dass diese Unterteilung hinsichtlich der bestimmbaren abstrakten Ideen weiter differenziert werden muss. Im Ergebnis zeigt sich, dass man mindestens vier Arten von abstrakten Ideen unterscheiden muss, um Berkeleys Kritik an den abstrakten Ideen angemessen würdigen zu können. Das übergreifende Kennzeichen abstrakter Ideen ist, wie wir bereits wissen, die Art und Weise ihrer angeblichen Erzeugung: Abstrakte Ideen sind Ideen, die durch eine Abstraktion gewonnen werden. Die vier Arten abstrakter Ideen lassen sich nun hinsichtlich der unterschiedlichen Art und Weise ihrer abstrahierenden Hervorbringung klassifizieren.4 (i) Beginnen wir mit dem einfachsten Fall: der Abstraktion einer vollständig bestimmten Eigenschaft (quality). Abstrakte Ideen solcher Eigenschaften lassen sich scheinbar einfach durch die Konzentration auf eine bestimmte Eigenschaft einer komplexen Vorstellung (und möglicherweise die Isolierung dieser Eigenschaft5) gewinnen. Wenn ich einen rosaroten Eiswürfel sehe, sehe ich einen Eiswürfel mit einer ganz bestimmten Farbschattierung, nennen wir sie Rosarot21. In unserem Beispiel taucht Rosarot21 in inniger Verknüpfung mit den anderen unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften des rosaroten Eiswürfels auf: Seiner Würfelgestalt, seiner Größe, seiner Transparenz. Die Idee von Rosarot21 scheinen wir nun mühelos gewinnen zu können, indem wir uns auf das Rosarot21 konzentrieren und dadurch von diesen anderen sinnlich wahr-
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Vgl. Craig 1968, Pappas 2000. Die folgende Differenzierung orientiert sich an Pappas’ Ausführungen. Vgl. Mackie 1976, 112–116.
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nehmbaren (in unserem Beispiel: den anderen sichtbaren) Eigenschaften unserer komplexen Wahrnehmung abstrahieren.6 (ii) Eine zweite Form stellt die Abstraktion von Eigenschaften, die nicht vollständig bestimmt sind, dar. In diesem Fall besteht die Abstraktion nicht einfach in der Isolierung einer konkret gegebenen und damit vollständig bestimmten Eigenschaft in einer komplexen Wahrnehmung, sondern in einem weiteren abstrahierenden Schritt. Das Ergebnis dieses Abstraktionsschrittes soll nun, um in unserem Beispiel zu bleiben, nicht mehr die Idee einer konkreten Farbschattierung sein, sondern die allgemeine und gerade deshalb nicht vollständig bestimmte Idee der Farbe. Zu diesem Zweck ist es notwendig, so der Abstraktionist, die allgemeine Idee der Farbe zu bilden, d. h. eine Idee, die nicht die Idee einer beliebigen konkreten Farbschattierung ist.7 (iii) Doch nicht nur hinsichtlich einfacher Eigenschaften muss sich dieser Abstraktionsschritt durchführen lassen, sofern der Abstraktionismus eine vollständige Antwort auf unsere Ausgangsprobleme geben soll, sondern auch hinsichtlich der Ideen von Komplexen. Auf diese Weise können wir aus konkret gegebenen Komplexen von Ideen, die bereits Ideen von vollständig bestimmten Komplexen sind, eine dritte Art von Ideen abstrahieren, nämlich abstrakte Ideen von Komplexen, die nicht vollständig bestimmt sind. Aus einer Reihe von Ideen konkreter Körper wie etwa dem rosaroten Eiswürfel aus unserem Beispiel können wir so unter anderem die allgemeine Idee des Körpers gewinnen.8 (iv) Für Berkeleys eigene Philosophie ist eine weitere Art von abstrakten Ideen von noch größerer Bedeutung. Diese Art umfasst Ideen, die auf einer noch höheren Stufe der Allgemeinheit angesiedelt sind. Unter sie fällt beispielsweise der Begriff der Einheit,9 aber auch der für Berkeley so zentrale Begriff der Existenz, der, sofern er eine abstrakte Idee sein soll, „die abstrakteste und allgemeinste, und das heißt für mich die unverständlichste von allen“ (Principles I, § 81) ist.
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Berkeley erwähnt diesen Typus der Bildung abstrakter Ideen in Principles, § E7; Bd.1, S. 338. Pappas spricht von ‚intrinsischer Allgemeinheit‘. Berkeleys eigenes Modell wäre dann eines der nicht-intrinsischen Allgemeinheit von Ideen, die dennoch dadurch allgemein sind, dass sie – als konkrete Ideen – für viele stehen. Vgl. Principles, §§ E12, E15, E16; Bd.1, S. 340 f. Vgl. Berkeleys Ausführungen über das Beispiel mit Peter, James und John in Principles, § E16, Bd. 1, S. 341. Vgl. Berkeley, Principles I, § 13.
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Warum sollen diese abstrakten Ideen eine eigene Klasse bilden? Weil es sich hier um Ideen handelt, die nicht durch Verallgemeinerung innerhalb einer bestimmten ontologischen Kategorie gewonnen werden können, sondern Kategorie-überschreitend gebildet werden müssen: Einen angemessenen Begriff der Einheit oder der Existenz kann ich nicht dadurch gewinnen, dass ich von Eigenschaften oder Gegenständen sukzessive abstrahiere, obwohl der Begriff auf Eigenschaften und Gegenstände angewendet werden kann.10 Wir werden sehen, dass Berkeley die Idee der Existenz die größten Probleme bereitet, dass sich hinter seinem Umgang mit diesem Begriff aber zugleich auch eine Vorwegnahme späterer Versuche verbirgt. Dass dieser Begriff für Berkeley so wichtig ist, sollte uns nicht mehr überraschen: Durch das Esse-Est-Percipi-Prinzip (EEP) wird Existenz unmittelbar an Wahrgenommenwerden bzw. Wahrnehmen geknüpft. 9.3.3 Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen In Berkeleys Argumentation lassen sich wenigstens vier verschiedene Überlegungen unterscheiden, die nur zum Teil die Unterteilung abstrakter Ideen widerspiegeln, mit der wir uns im vorangegangenen Abschnitt beschäftigt haben. Beginnen können wir allerdings mit einer Argumentation, die sich unmittelbar gegen die Abstraktion durch Konzentration oder Separation richtet, durch die wir vollständig bestimmte, aber dennoch abstrakte Ideen wie die Ideen bestimmter Farbschattierungen gewinnen sollen (i). Diese Argumentation beruht auf einem Prinzip der Untrennbarkeit, das Berkeley in § 10 der Einleitung zu den Principles formuliert11: UP Eigenschaften, die in der Realität nicht unabhängig voneinander existieren können, kann man auch in der Vorstellung nicht voneinander trennen. Berkeley stellt nicht klar, ob es ihm an dieser Stelle um Eigenschaftstoken oder Eigenschaftstypen geht. Für Eigenschaftstoken ist das Prinzip unter Einbeziehung von Zusatzannahmen überzeugend, die allerdings nicht trivial sind. Das kann man sich leicht anhand der Eigenschaften verdeutlichen, um die es Berkeley vor allem geht: Farbigkeit und Ausdehnung. Nehmen wir unseren rosaroten Eiswürfel: In der Realität lässt 10 11
Pappas 2000, 44. Vgl. Principles, § E10; Bd. 1, S. 339 f.
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sich das Farbtoken tatsächlich nicht von der Gestalt lösen, da es wenigstens zum Teil über diese Gestalt individuiert, d. h. von anderen Farbtoken (unter Umständen auch Token desselben Typs) unterschieden wird. Dasselbe gilt umgekehrt auch für das Gestalttoken. In der Vorstellung andererseits scheint eine Trennung nicht prinzipiell ausgeschlossen, wenn man – wie Locke – der Ansicht ist, dass es einfache sinnliche Ideen in dem Sinne gibt, dass sie nur eine Eigenschaft vorstellen. Allerdings lehnt Berkeley diese Konzeption von sinnlich gegebenen Ideen ab: Er ist der Ansicht, dass die sinnlichen Ideen, die uns gegeben sind, eine unauflösliche Einheit verschiedener Ideen enthalten, weil sie nichts anderes enthalten können als die Qualitäten derjenigen Gegenstände, die sie repräsentieren. Sofern in diesen die Einheit nicht auflösbar ist, gilt dasselbe auch für die Ideen.12 Auch bezogen auf Eigenschaftstypen lässt sich das Prinzip rechtfertigen. Allerdings muss es nunmehr so verstanden werden, dass in der Realität ein Eigenschaftstyp nicht ohne den korrespondierenden Typ existieren kann, also eine bestimmte Farbschattierung (Rosarot) nicht ohne irgendeine Gestalt und umgekehrt eine bestimmte Gestalt (Würfelförmig) nicht ohne irgendeine Farbe. Wie sieht es aber in der Vorstellung aus? An dieser Stelle ist es von größter Bedeutung, dass sinnliche Ideen für Berkeley selbst die Eigenschaften haben, die sie repräsentieren – letztlich einfach deshalb, weil die Eigenschaften für Berkeley ja nur in Ideen existieren. Analog gilt deshalb auch in der Vorstellung, dass die Idee einer bestimmten Farbschattierung nicht von der Idee irgendeiner Gestalt getrennt vorgestellt werden kann – und umgekehrt. Das Prinzip der Untrennbarkeit setzt also bei der Methode der Gewinnung von abstrakten Ideen der ersten Art (i) an. Eine andere Struktur hat die Argumentation gegen abstrakte Ideen der Arten (ii) und (iii): Hier ist es die Konzeption der Ideen selbst, die Berkeley als unzulässig erweisen will: Wir können solche Ideen nicht bilden, weil ihr Begriff widersprüchlich ist. Ich kann die Hand, das Auge, die Nase einzeln erwägen, abstrahiert oder getrennt vom Rest des Körpers. Jedoch muss jede einzelne Hand und jedes Auge, die ich mir vorstelle, eine bestimmte Form und Farbe haben. Ebenso muss jede Idee eines Menschen, die ich hervorbringe, die Idee eines weißen, eines schwarzen oder braunen Menschen sein, eines aufrechten oder gebeugten, eines großen, kleinen oder mittelgroßen. Wie sehr ich meinen Geist auch anstrenge, ich kann die abstrakte Idee des Menschen, die ich oben beschrieben habe, nicht erfassen. Und ich finde
12
Vgl. dazu Winkler 1989, Kap. 3.
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es genauso unmöglich, die abstrakte Idee der Bewegung zu bilden, die das Ding, das sich bewegt, auslässt, und die weder flink, noch langsam, noch kurvig, noch gerade ist. Das gleiche gilt für alle übrigen abstrakten allgemeinen Ideen. (Principles, § E10)
In diesen Überlegungen beginnt Berkeley mit einer Kritik an abstrakten Ideen (iii) und überträgt diese dann erst verallgemeinernd auf abstrakte Ideen (ii). Die Argumentation versucht plausibel zu machen, dass Ideen mit generischen, also bestimmbaren, Eigenschaften nicht vorstellbar sind. Berkeleys Punkt scheint zu sein, dass der Begriff einer abstrakten Idee, die eine solche generische Eigenschaft haben soll, widersprüchlich ist.13 Denn dies sei der Begriff einer Idee, die keine bestimmte Eigenschaft haben soll und doch zugleich alle bestimmten Eigenschaften, die sie qua abstrakte Idee repräsentiert („all and none of these at once“, vgl. Principles, § E14). Doch auch diese suggestive Argumentation basiert wieder auf einer substantiellen ideentheoretischen Voraussetzung: Sie ist nämlich nur überzeugend, wenn man davon ausgeht, dass die sinnlichen Ideen immer vollständig bestimmt sind und sich deshalb diese Bestimmtheit auf die ein oder andere Weise in abstrakte Ideen überträgt. Diese Annahme, die bereits im ersten Abschnitt eine wichtige Rolle als Ausgangspunkt eines empiristischen Ansatzes gespielt hat, ist keineswegs unproblematisch. Sie ist nur dann selbstverständlich, wenn wir Ideen tatsächlich so auffassen, wie Berkeley das tut: nämlich als Objekte, die diejenigen Eigenschaften selbst haben, die sie repräsentieren – und diese Auffassung ist nicht ohne Alternative (wenn sie auch in einem streng empiristischen Repräsentationalismus nahegelegt wird). Ein dritter Argumentationsstrang Berkeleys, der an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden soll, basiert auf methodologischen Erwägungen zur Einfachheit der Theorie. Sie betrifft abstrakte Ideen der ersten drei Arten: Auch wenn abstrakte Ideen möglich wären – ein Punkt den Berkeley selbst ausdrücklich bestreitet –, so bräuchten wir sie doch nicht anzunehmen, weil uns eine einfachere Erklärung für das, was abstrakte Ideen leisten sollen, zur Verfügung steht – nämlich Berkeleys eigene Konzeption der Allgemeinheit von Ideen, d. h. die Verwendung vollständig bestimmter Ideen als bestimmbare Ideen.14
13
14
Dieses Problem konnte also bei Ideen (i) allein deshalb nicht auftreten, weil diese ja vollständig bestimmt sein sollen. Vgl. Principles, § E15; Bd. 1, S. 341.
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Mit dieser Konzeption werden wir uns im Anschluss beschäftigen. Vorher müssen wir uns allerdings der Klasse von Ideen zuwenden, die von dieser Argumentation nicht erfasst wird, weil nicht klar ist, wie Berkeleys Konzeption allgemeiner Ideen sich auf diese vorgeblich abstrakten Ideen anwenden lassen soll: Welche konkreten Ideen sollen beispielsweise als Existenzideen verwendet werden? Eine Antwort ist: Jede beliebige. Doch das gleiche gilt für die Idee der Einheit, die Idee des Seins, die Idee des Wesens etc. Wie aber lassen sich diese Ideen dann noch inhaltlich voneinander unterscheiden? Da auch die ersten beiden Argumente Ideen (iv) nicht erfassen15, müssen solche Ideen auf andere Weise kritisiert werden. Eine einheitliche Strategie scheint es für Ideen dieser Art nicht zu geben. Am Beispiel der Existenz kann man jedoch illustrieren, wie Berkeley in solchen Kontexten argumentiert. Eine Überlegung, die sich auf Bemerkungen Berkeleys stützen kann, besagt, dass das EEP, zusammen mit einer Verallgemeinerung des Prinzips der Untrennbarkeit das gewünschte Ergebnis liefert: Wenn Sein nichts anderes ist als Wahrgenommenwerden, dann lässt sich die Idee der Existenz nicht von der Idee dessen, was wahrgenommen wird, trennen, weil beide in der Realität nicht voneinander getrennt werden können.16 Interessanter ist es, Berkeleys Bemerkungen über Existenz mit Lockes Konzeption dieser Idee in Verbindung zu bringen. Für Locke ist die Idee der Existenz eine einfache, konkrete Idee, die jede beliebige sinnliche Idee begleitet.17 Berkeley unterstellt Locke, dieser verwende implizit auch den Begriff der abstrakten Existenzidee.18 Wir haben nun bereits gesehen, dass Berkeley einfache Ideen ablehnt. Damit ist bereits klar, dass es auch keine abstrakte Idee der Existenz geben kann. Allerdings lässt sich mit Bezug auf seine Zurückweisung der Existenzidee (wie auch der Idee der Einheit) ein tiefergehendes Motiv finden: Berke15
16
17 18
Für das Argument der Unabtrennbarkeit ist das klar, da sich dieses Argument nur auf vollständig bestimmte Ideen bezieht. Das Argument gegen bestimmbare abstrakte Ideen andererseits ist auf den Fall der Existenz nicht ohne weiteres anzuwenden, da nicht klar ist, inwiefern beim Existenzbegriff die Weglassmethode zur Annahme unterbestimmter Eigenschaften nach dem Modell „Farbe, aber keine bestimmte Farbe“ führen soll. Berkeleys Bemerkungen in Principles I, § 5; Bd. 1, S. 343 f. lassen sich so interpretieren. Locke, Essay, II, vii, § 7. Vgl. Brief an S. Johnson, 2:293. Tatsächlich legt sich Locke z.B. in III, iii, § 18 darauf fest, dass es abstrakte Ideen einfacher Qualitäten gibt.
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ley scheint die Idee der Existenz, einfach oder abstrakt, abzulehnen, weil Existenz für ihn keine Eigenschaft ist.19 Er argumentiert nämlich nicht, dass die abstrakte Idee der Existenz inkonsistent ist (wie bei Ideen (ii) und (iii)) oder dass sie nicht abgetrennt werden können (wie bei Ideen (i)), sondern stellt fest, dass er selbst nicht über diese Idee verfügt – eine Aussage, die er leicht in eine negative Existenzaussage umwandeln zu können glaubt, da es sich bei dieser Idee ja um eine besonders grundlegende Idee handelt, die sich uns gleichsam aufdrängen müsste.20 Wenn es diese Eigenschaft aber nicht gibt, dann kann es selbstverständlich auch keine Idee dieser Eigenschaft geben, und damit natürlich erst recht keine abstrakte Idee. Berkeley hätte damit eine Einsicht vorweggenommen, die sonst erst mit Hume und Kant in Verbindung gebracht wird: dass nämlich Existenz keine Eigenschaft ist.21 9.3.4. Allgemeine Ideen und Begriffe Doch ebenso wichtig wie die Ablehnung abstrakter Ideen ist die Frage, wie Berkeley mit der durch sie entstehenden Lücke in seiner Konzeption geistiger Zustände umgeht: Wenn es keine abstrakten Ideen gibt, muss es geistige Zustände geben, die diejenige Funktion übernehmen, die Autoren wie Locke den abstrakten Ideen zuschrieben. An dieser Stelle kommt einerseits Berkeleys Konzeption allgemeiner, aber dennoch nicht abstrakter Ideen und andererseits seine Theorie der Begriffe (notions) ins Spiel. Allgemeine Ideen sind solche, die sich auf viele Entitäten beziehen können. Das können die abstrakten Ideen, die Berkeley ablehnt, natürlich auch. Allerdings sollen sie diesen allgemeinen Bezug herstellen, indem sie selbst intrinsisch allgemein sind, d. h. generische Eigenschaften enthalten22 – und genau diese Vorstellung ist Berkeleys Ansicht nach inkonsistent. Intrinsische Allgemeinheit kann es also für Berkeley nicht geben, da für ihn Ideen wesentlich Einzeldinge (particulars) sind. Wie aber können Einzeldinge sich auf eine Vielfalt beziehen? Eine Analogie zur Verwendung von sprachlichen Zeichen kann das illustrieren: So wie sprachliche Zeichen immer konkrete Zeichen sind, die als 19 20 21 22
Eindeutig bezüglich Einheit in Principles I, § 120. Vgl Brief an Johnson und Commentaries, 670 und 671. Vgl. dazu ausführlich Pappas, 2000, Kap. 4. Das gilt nicht für abstrakte Ideen (i).
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Stellvertreter für Vieles verwendet werden, so verwenden wir, Berkeleys Ansicht nach, auch unsere Ideen als Stellvertreter für vieles. Auf welche anderen Ideen und Eigenschaften wir uns dabei vermittels einer vollständig bestimmten sinnlichen Idee beziehen, hängt dabei davon ab, welcher Eigenschaft dieser Idee wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden und welche anderen Eigenschaften wir dadurch als irrelevant kennzeichnen, dass wir sie ignorieren. Auf diese Weise kann eine konkrete sinnliche Idee sich auf viele andere Ideen beziehen – eine Relation, die Berkeley Bezeichnung (signification) nennt. Allgemeine Ideen sind also sinnliche Ideen, die wir als allgemeine Ideen verwenden. (Voraussetzung für diese Verwendung ist dabei, dass wir uns der so verwendeten konkreten sinnlichen Ideen bereits als die konkrete Eigenschaft habend bewusst sind, für die bzw. für deren Verallgemeinerung sie verwendet werden soll.23) Doch nicht alle geistigen Zustände mit Allgemeinheitsbezug sind allgemeine Ideen. Ideen erschöpfen für Berkeley, wie wir bereits angedeutet haben, unser geistiges Inventar nicht. Es gibt geistige Zustände, die Inhalte haben, die nicht aus sinnlichen Ideen stammen können. Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, dass wir nicht nur hinsichtlich unserer sinnlichen Ideen wesentlich passiv sind, sondern auch unsere Ideen selbst keine Aktivität abbilden können, weil sie selbst passiv sind.24 Was sind dann aber unsere geistigen Zustände, die von Aktivität handeln? Und wie erhalten sie ihren Inhalt, wenn uns dieser nicht sinnlich gegeben sein kann? Wir haben keine Ideen von Aktivität, sondern nur Begriffe (notions). Und diese Begriffe gewinnen wir durch Reflexion – nicht verstanden als innerer Sinn, sondern eher als unmittelbares Bewusstsein – auf unsere eigene Aktivität im Umgang mit Ideen. Aktiv sind wir in diesem Umgang nämlich immer dann, wenn wir unsere Willenskraft in der sinnlich gegebenen Welt ausüben. Wir gewinnen auf diese Weise, erstens, einen Selbstbegriff, zweitens, einen Begriff von uns als perzipierenden Wesen, die mit Willenskraft ausgestattet sind und, drittens, den Begriff der Ursache. Allen diesen Begriffen liegt letztlich ein unmittelbares Bewusstsein unserer willentlichen Aktivität zugrunde. Auch den Begriff der Ursache müssen wir aus dieser Reflexion auf unsere eigenen Willensakte herleiten, da wir ihn aus der bloßen Abfolge sinnlicher Ideen nicht gewinnen 23 24
Vgl. dazu Sellars 1975, 297–8. Vgl. Berkeleys Formulierung des „Likeness Principle“ in Principles I, § 8; Bd. 1, S. 345.
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können. (An dieser Stelle nimmt Berkeley einen Teil der Kritik Humes am empiristischen Kausalitätsbegriff vorweg.) Ursache kann deshalb nur die Aktivität eines perzipierenden, mit Willen begabten Wesens sein, da wir nicht verstehen können, wie etwas Willenloses aktiv sein könne. Perzipierende, mit Willenskraft begabte Wesen bezeichnet Berkeley als Geister (spirits) – ein Begriff, der außer uns selbst und unseren Mitmenschen nur noch Gott unter sich begreift, von dessen Aktivität wir wiederum indirektes Wissen haben, weil wir hinsichtlich unserer sinnlichen Ideen passiv sind und geistlose Materie keine Aktivität entfalten kann.25 Begriffe (notions) sind also keine allgemeinen Ideen – und zwar einfach deshalb, weil sie keine Ideen sein können. Dennoch sind solche Begriffe allgemein in dem Sinne, dass sie vieles unter eines begreifen können. In dieser Hinsicht lässt sich Berkeleys Bezeichnungsanalyse der Allgemeinheit vermutlich auf Begriffe übertragen. 9.3.5 Idealismus, Ideen und Objekte In § 5 der Principles schreibt Berkeley: Wenn wir die Überzeugung, dass Dinge unabhängig von unserem Geist existieren, einer gründlichen Untersuchung unterziehen, so werden wir vielleicht herausfinden, dass sie im Grunde von der Doktrin abstrakter Ideen abhängt.
Diese Aussage ist überraschend, da keineswegs auf den ersten Blick ersichtlich ist, wie Berkeleys Antiabstraktionismus seine positive Philosophie stützt. Hinzu kommt, dass sich seine Kritik an abstrakten Ideen lediglich in der Einleitung zu den Principles findet und er seine wichtigen philosophischen Positionen weder im Hauptteil der Principles noch in seinen anderen Werken an diese Doktrin zurückbindet. Im Folgenden soll eine Motivation für Berkeley untersucht werden, diese Aussage zu treffen: der Zusammenhang von Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen und seinem Meisterargument. Gezeigt werden soll, dass Zusatzannahmen, die aus Berkeleys Antiabstraktionismus hervorgehen, ein Fundament für eine interessante Rekonstruktion von Berkeleys scheinbar so schwachem Argument bilden.
25
Vgl. Principles I, §§ 18, 19; Bd. 1, S. 346 f. für eine Begründung, warum wir den Begriff der Ursache nicht aus den Sinnen gewinnen können und Principles I, §§ 89, 140; Bd. 1, S. 350 f. für eine Beschreibung davon, wie wir ihn aus dem Begriff des ‚spirits‘ gewinnen.
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Wenden wir uns also der Bedeutung von Berkeleys Kritik abstrakter Ideen für seine Metaphysik zu. Berkeleys zentrale metaphysische Position ist, wie wir gesehen haben, sein Idealismus: Nur der perzipierende Geist existiert und es gibt weder materiale Gegenstände noch eine materiale Substanz, die die Gegenstände trägt. Im Folgenden soll das wichtigste Argument, das Berkeley für diese These anführt, rekonstruiert und kritisch evaluiert werden. Dabei wird deutlich werden, dass dieses Argument seine Kritik abstrakter Ideen vorraussetzt. Bereits in Abschnitt 7 der Principles schreibt Berkeley, dass aus „dem Gesagten folgt, dass es keine andere Substanz gibt als Geist (spirits), oder dasjenige, was perzipiert.“26 Die Tatsache, dass Berkeley bereits an einer so frühen Stelle des Textes behauptet, den Idealismus bewiesen zu haben, ist überraschend. Was hat zu Berkeleys früher Schlussfolgerung geführt?27 In den Abschnitten 1 bis 6 der Principles fasst Berkeley seine Konzeptionen der Idee und des Objekts zusammen. So liegt es nahe, dass ein enger Zusammenhang zwischen Berkeleys Ideen- und Objektbegriffen und seinem Idealismus besteht.28 Ideen können als private geistige Entitäten nicht unabhängig von einem Geist existieren, der sie perzipiert. Objekte wiederum sind Bündel von (ihrerseits nicht einfachen) Ideen, die wir im Geist verknüpfen.29 Die Relationen zwischen Ideen, die dasselbe Objekt konstituieren, sind keine intrinsischen Beziehungen zwischen Ideen. Vielmehr fassen wir im Geist Ideenbündel zu Objekten zusammen, indem wir inferentielle Schlüsse vornehmen, die auf vergangene Erfahrung rekurrieren. Berkeleys Objektbegriff gibt so einen festen metaphysischen Rahmen vor, innerhalb dessen es in der Tat kaum zu verstehen ist, was ein extramentaler, materieller Gegenstand überhaupt sein soll. Die Gegenstände, die wir normalerweise für materielle Gegenstände halten, sind bereits als Ideen, also als von ihrem Perzipiertwerden abhängige Entitäten, definiert. Neben diesen Gegenständen gibt es, wie wir gesehen haben, nur noch die Geister (spirits), die Ideen perzipieren und deren weitere geistigen Zustände.
26 27
28
29
Principles I, § 7; Bd. 1, S. 344. Siehe Fogelin 1996 für eine ausführliche Diskussion dieser ersten sechs Abschnitte aus den Principles. Für eine interessante Diskussion von Berkeleys Argument aus der Intuition, siehe Fogelin 1996. Für eine Diskussion von Berkeleys Identitätsbegriff für sinnlich wahrnehmbare Objekte, vgl. oben, Stellenkommentar, Abschnitte zur ETV.
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Warum sollten wir diese metaphysischen Annahmen teilen? Im Folgenden soll Berkeleys wichtigstes Argument dafür analysiert werden, das sog. „Meisterargument“. Besonders wichtig sind dabei die Fragen, ob, und wenn ja, warum dieses Argument auf problematischen Zusatzannahmen beruht, und wie es mit Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen und seiner eigenen Begriffstheorie verbunden ist. 9.3.6 Das Meisterargument Das Meisterargument (MA)30 findet sich sowohl in den Principles31 als auch in den Dialogues32. Dass Berkeley in beiden Fällen dazu bereit ist, die Richtigkeit seiner zentralen metaphysischen Doktrin an die Gültigkeit dieses Arguments zu knüpfen, verdeutlicht, wie viel argumentative Kraft Berkeley diesem Argument zuschreibt. Im Folgenden soll uns die Version des Arguments aus den Dialogues als Textgrundlage dienen. Inhaltlich unterscheidet sie sich von der Version aus den Principles nicht. Phil: […] Wenn du dir die Möglichkeit vorstellen kannst, dass eine Mischung oder Kombination von Eigenschaften, oder irgendein sinnlich wahrnehmbares Ding, außerhalb des Geistes existiert, dann werde ich dir zugestehen, dass es in der Tat so ist. Hyl: Mit diesem Test wird das Ergebnis schnell feststehen. Es gibt doch kaum etwas Leichteres, als sich einen Baum oder ein Haus als allein existierend vorzustellen, unabhängig von jedem Geist und von keinem Geist wahrgenommen? Ich stelle sie mir in diesem Moment so vor. Phil: Sage mir, Hylas, kannst du ein Ding sehen, das zur gleichen Zeit nicht gesehen wird? Hyl: Nein, das wäre ein Widerspruch. Phil: Ist es nicht ein genauso großer Widerspruch davon zu sprechen, dass wir uns ein Ding vorstellen, das nicht vorgestellt wird? Hyl: So ist es. Phil: Der Baum oder das Haus, das du dir vorstellst, stellst du dir also vor? Hyl: Wie sollte es sonst sein? Phil: Und was vorgestellt wird, ist mit Sicherheit im Geist? Hyl: Ohne Frage, was vorgestellt wird, ist im Geist. Phil: Was hat dich dann dazu gebracht zu sagen, dass du dir ein Haus oder einen Baum vorgestellt habest, der unabhängig und außerhalb von jedem Geist existiert? Phil: Das war ein Versehen […] (Dialogues 200)
30 31 32
Die Bezeichnung Meisterargument (master argument) stammt von Gallois 1991. Principles I, §§ 22, 23; Bd. 1, S. 347. Dialogues, 200; Bd. 1, S. 351.
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Vergegenwärtigen wir uns die Behauptung, die MA stützen soll, bevor wir in die Analyse des Arguments einsteigen. Im zweiten Dialog diskutieren Philonous und Hylas die Frage, ob es einen konsistenten Begriff der Materie gibt.33 Als Berkeleys Vertreter versucht Philonous zu beweisen, dass der Begriff des materiellen Gegenstands und so auch der Begriff der Materie inkonsistent sind. MA scheint nun zunächst darauf abzuzielen, dass wir uns nicht vorstellen können, dass Dinge existieren, ohne dass sie sich jemand vorstellt, nicht aber darauf, dass es keine extramentalen Gegenstände gibt. Die Konklusion des Meisterarguments (K) und eine Formulierung des Materialismus (M) sind also kompatibel: K Wir können keinen Begriff von materialen Gegenständen haben. M Es gibt materiale Gegenstände. Man könnte nun einen ersten Einwand gegen MA ins Felde führen: Streng genommen, so der Einwand, stützt MA gar nicht das EEP. Dazu müsste bewiesen werden, dass der Begriff des materialen Gegenstands inkonsistent ist. Denn selbst wenn wir Berkeley K zugestehen, lässt sich die These aufrechterhalten, dass es extramentale Gegenstände gibt, von denen wir eben keinen Begriff haben können. Damit das Meisterargument die gewünschte Konklusion liefert, müsste man also zusätzlich annehmen, dass nur solche Gegenstände existieren, von denen wir einen Begriff haben können. Dieser Einwand trifft jedoch nicht den Kern von Berkeleys Argument.34 Denn MA wäre immer noch ein starkes Argument gegen den Materialismus, wenn es die Konklusion liefert, dass wir keinen Begriff von materiellen Gegenständen haben können. Schließlich folgt aus K, dass wir gar nicht begreifen können, was es heißt, dass ein extramentaler Gegenstand existiert: der Begriff des extramentalen Gegenstandes wäre 33
34
Berkeley schwankt sowohl in den Principles als auch in den Dialogues zwischen zwei unterschiedlich starken Behauptungen, die er glaubt, durch seine Argumente stützen zu können. Die stärkere dieser Behauptungen ist, dass wir keinen konsistenten Begriff von materialen Objekten haben können. Die schwächere Behauptung ist, dass wir keinen Begriff von solchen Objekten haben können. Im weiteren Verlauf wird sich zeigen, dass Berkeleys Argumente stärker sind, wenn man sie als Argumente für die schwächere Behauptung liest. Für eine ausführliche Diskussion der Problematik siehe Garber 1987 und Winkler 1983, 63–80. Dass MA nur die schwächere Konklusion liefert, scheint Berkeley durchaus bewusst zu sein. Schließlich sagt Philonous explizit, dass er Hylas nur nachweisen möchte, dass dieser einen Fehler macht, wenn er behauptet, er könne begreifen, dass ein materialer Gegenstand existiert, ohne, dass er geistig erfasst wird.
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so zwar nicht vorstellbar, aber deshalb nicht unmöglich – eine Konsequenz, die den Materialisten kaum zufrieden stellen dürfte. Ein wichtiger Einwand35 gegen MA richtet sich gegen ein naives Verständnis von MA und zielt auf dessen logische Form ab. Eine frühe prägnante Formulierung dieses Einwands stammt von Bertrand Russell: Hylas hätte antworten sollen: ‚Ich meine gar nicht, dass ich das Bild eines Hauses im Geist habe; wenn ich sage, dass ich mir ein Haus vorstellen kann, das niemand perzipiert, dann meine ich eigentlich, dass ich die Proposition „es gibt ein Haus, das niemand perzipiert oder sich vorstellt“ verstehe.‘36
Die wichtige Unterscheidung, die Russell hier trifft, lässt sich anhand folgender drei Sätze verdeutlichen: 1 Hylas erfasst einen Baum geistig, der nicht geistig erfasst wird. Der Satz (1) lässt sich auf zweierlei Art verstehen: 2 Hylas denkt von einem Baum, dass er nicht geistig erfasst wird. 3 Hylas denkt, dass ein Baum geistig nicht erfasst wird. (2) und (3) stellen de-re- und de-dicto-Analysen von (1) dar. Aus der de-reLesart (2) folgt unmittelbar die Aussage, dass Hylas an einen Baum denkt, von dem er denkt, dass niemand an ihn denkt. Und dieser Satz müsste Hylas, wenn er denn aus (1) folgt, von der Falschheit des eigenen Gedankens überzeugen. (3) folgt jedoch weder aus (2), noch ist (3) widersprüchlich, noch folgt ein Satz aus (3), der Hylas unmittelbar von der Falschheit des eigenen Gedankens überzeugen müsste. Deshalb kann (3) wahr sein, obwohl (2) Konsequenzen hat, die Hylas rationaler Weise ablehnen müsste und Hylas könnte auf die Herausforderung genauso antworten, wie Russell es vorschlägt. Wenn Philonous die rhetorische Frage stellt, ob es nicht widersprüchlich sei, „dass wir ein Ding begreifen, das nicht begriffen wird“, so ist es plausibel, ihn hier im Sinne von (2) zu verstehen. Wenn Philonous Hylas jedoch am Ende fragt, was ihn dazu gebracht habe zu sagen, „dass Du ein Haus oder einen Baum begriffen habest, der unabhängig und außerhalb von jedem Geist existiert?“, so scheint es naheliegend, ihn im Sinne von (3) zu verstehen. Analysiert man MA auf diese Weise, so beruht es 35
36
Für ähnliche Versionen und ausführlichere Diskussionen dieses Einwandes siehe Prior 1955, 117–122, Tipton 1975, 158 ff., Gallois 1991, Pitcher 1996, 112 f. und Russell 1961, 627 f. Russell 1961, 627. Der Originaltext lautet: Hylas should have answered: ‚I did not mean that I have in mind the image of a house; when I say that I can conceive a house which no one perceives, what I really mean is that I can understand the proposition „there is a house that no one either perceives or conceives“.‘
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auf einem non-sequitur: Es würde behauptet, dass wir (3) aufgrund der Konsequenzen von (2) ablehnen müssten, was nicht der Fall ist, weil aus der Negation von (2) nicht die Falschheit von (3) folgt. Um eine interessante Rekonstruktion von Berkeleys Argument zu entwickeln, muss gezeigt werden, dass Berkeleys Argument auch die de-dicto-Aussage (3) in Frage stellt. Eine solche Interpretation von (MA) lässt sich unseres Erachtens nur vor dem Hintergrund von Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen und vor dem Hintergrund seiner Begriffstheorie entwickeln. 9.3.7 Abstrakte Ideen und das Meisterargument Die Strategie Berkeleys sollte dabei sein, de-dicto-Aussagen wie (3) auf die entsprechenden de-re-Aussagen wie (2) zurückzuführen. Um zu sehen, wie ihm das gelingen kann, müssen wir uns daran erinnern, dass Berkeley die These vertritt, dass wir nur Ideen von Objekten haben können, die potentielle Gegenstände unserer Perzeption sind. Unsere allgemeinen Ideen wiederum sind nichts anderes als konkrete sinnliche Ideen, die als Namen für Gruppen von konkreten sinnlichen Ideen verwendet werden. Da wir deshalb nur allgemeine Ideen bilden können, unter die mindestens eine Idee fällt, folgt aus dieser Konzeption von Ideen das Exemplifikationsprinzip (EP):37 EP Wenn ein perzipierendes Subjekt eine allgemeine Idee hat, so muss das Subjekt mindestens eine konkrete sinnliche Idee haben, die die allgemeine Idee exemplifiziert. Was heißt es, dass ein Subjekt eine konkrete sinnliche Idee hat, die eine allgemeine Idee exemplifiziert? Wenn Hylas die allgemeine Idee von rosarot21 hat, so muss er eine Idee eines sinnlich erfahrbaren Gegenstandes haben, der rosarot21 ist. Modern gesprochen hat Hylas nur dann den Begriff rosarot21. Eine Voraussetzung dafür, dass ein Subjekt eine konkrete sinnliche Idee von einem Gegenstand hat, scheint zu sein, dass ein solcher Gegenstand in der Tat schon Gegenstand der Wahrnehmung des Subjekts war. Vergegenwärtigen wir uns nun die Aussage (3): 3 Hylas denkt, dass ein Baum nicht perzipiert wird.
37
Vgl. Gallois 1991, der Berkeleys Argument eine ähnliche Unzulänglichkeit zuschreibt.
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Damit Hylas überhaupt denken kann, dass ein Baum nicht perzipiert wird, braucht er eine allgemeine Idee des Baumes. Aus dem EP folgt dann, dass Hylas wenigstens eine konkrete sinnliche Baumidee haben muss, die diesen Begriff exemplifiziert. Allerdings liefert uns diese Beobachtung für sich genommen nicht die gesuchte Zurückführung auf (2). Denn obwohl nach Berkeleys Theorie allgemeiner Ideen eine Idee von einem konkreten Baum als allgemeine Idee für alle Bäume eintreten muss, wenn Hylas denkt, dass sich niemand einen Baum vorstellt, kann das ebenso gut eine Idee von einem Baum sein, der früher tatsächlich Gegenstand von Hylas Erfahrung gewesen ist. Diese Idee könnte es ihm nun ermöglichen, allgemeine Gedanken wie (3) über Bäume zu haben. (3) mündet also nicht in der de-re-Analyse (2). Es lässt sich nun allerdings Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen in plausibler Weise von allgemeinen Ideen von Gegenständen (Einzeldingen) auf allgemeine Vorstellungen von Tatsachen (Komplexen) ausdehnen. Denn auch hinsichtlich unserer Vorstellungen von Komplexen sind wir nach Berkeley an die Grenzen möglicher Erfahrung gebunden und können Ideen keineswegs beliebig kombinieren. So heißt es beispielsweise in den Principles, § 5: „Aber weiter geht mein Erfassen (conceiving) oder meine bildliche Vorstellungskraft nicht: sie überschreitet nicht die Grenzen dessen, was in der Tat existieren oder wahrgenommen werden kann.“ Daraus geht hervor, dass nur ganz bestimmte Aussagen vorstellbar sind, nämlich nur solche, die in der Realität auch instanziiert sein können. Damit wir uns nun vorstellen können, dass p der Fall ist, muss es also zumindest möglich sein, Erfahrungen von Instanzen von p zu machen. Denn abgesehen von unserem intuitiven Wissen von perzipierenden Geistern ist unser einziger Zugang zur Welt nach Berkeley die Erfahrung vermittels Ideen. Aus diesem Aspekt von Berkeleys Philosophie ergibt sich das Vorstellbarkeitsprinzip VP: VP Eine allgemeine Proposition p, die keine Begriffe (notions)38 enthält, ist nur dann vorstellbar, wenn Instanzen von p sinnlich wahrnehmbar sind.
38
Diese Einschränkung ist notwendig. Dinge, von denen wir notions haben, sind nicht sinnlich vorstellbar. Deshalb können Propositionen, die notions als Bestandteile haben, keine Instanzen haben, die Gegenstand unserer sinnlichen Erfahrung sein können und sind deshalb nicht Gegenstand von VP.
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Was genau es heißt, dass eine Tatsache t eine Instanz einer Proposition p ist, soll hier nicht im Detail diskutiert werden. Berkeley selbst gibt keine explizite Antwort auf diese Frage und für unsere Zwecke genügt die Illustration anhand eines Beispiels. Die allgemeine Proposition, dass manche Hunde Rottweiler sind, wird instantiiert durch die Tatsache, dass Fido ein Rottweiler ist. VP impliziert nun, dass Propositionen wie diese nur dann vorstellbar sind, wenn man wenigstens eine Instanz dieser Vorstellungen erfahren kann. VP impliziert deshalb auch, dass mindestens eine Instanz dessen, was Hylas sich in (3) vorstellt, erfahrbar sein muss. In MA treten allerdings zwei grundverschiedene Varianten von (3) auf: Berkeley unterscheidet nicht, dass Hylas (a) etwas wahrnimmt (perceive), das niemand wahrnimmt, und (b) sich etwas vorstellt (conceive), das niemand wahrnimmt. Der Ausdruck „wahrnehmen“ soll hier mit Berkeley in einem faktiven Sinne verstanden werden: Nehme ich also wahr, dass p, so ist p auch wahr. Für die nun folgende Argumentation ist es wichtig, diese Formulierungen von 3 auseinanderzuhalten, da sich ihre Semantik in für Berkeleys Argument wesentlicher Hinsicht unterscheidet. Gehen wir also von folgenden beiden Annahmen aus: 3a Man kann wahrnehmen, dass p und dass niemand wahrnimmt, dass p 3b Man kann sich vorstellen, dass p und dass niemand wahrnimmt, dass p In der Tat scheint sich nun mit Bezug auf (3a) unmittelbar ein offensichtlich gültiges Reductio-Argument zu ergeben: 1 Man kann wahrnehmen, dass p und dass niemand wahrnimmt, dass p. (Prämisse) 2 Es ist möglich, dass jemand wahrnimmt, dass p und dass er wahrnimmt, dass niemand wahrnimmt, dass p. 3 Es ist möglich, dass jemand wahrnimmt, dass p und dass er nicht wahrnimmt, dass p. Da „wahrnehmen, dass“ für Berkeley ein faktives Verb ist, führt (3a) also in der Tat zu einem Widerspruch: Natürlich kann ich nicht wahrnehmen, dass auf meinem Schreibtisch Berkeleys Principles liegen und außerdem wahrnehmen, dass niemand wahrnimmt, dass sie auf meinem Schreibtisch liegen. Liefert uns VP nun ein analoges Argument für (3b)? In der Tat scheint es ein solches Argument zu geben: 1 Es ist vorstellbar, dass p und dass niemand wahrnimmt, dass p. (Prämisse)
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2 Es ist sinnlich wahrnehmbar, dass t39 der Fall ist und dass niemand wahrnimmt, dass t der Fall ist. (aus 1 und VP) 3 Es ist möglich, dass jemand wahrnimmt, dass t der Fall ist und dass er wahrnimmt, dass niemand wahrnimmt, dass t der Fall ist. 4 Es ist möglich, dass jemand wahrnimmt, dass t der Fall ist und dass er nicht wahrnimmt, dass t der Fall ist. Der entscheidende Argumentationsschritt ist der von (3) nach (4): Daraus, dass jemand wahrnimmt, dass niemand wahrnimmt, dass t der Fall ist, wird gefolgert, dass niemand wahrnimmt, dass t der Fall ist. Dieser Argumentationsschritt beruht darauf, dass „wahrnehmen“ als faktives Verb aufgefasst wird. Das hat zur Folge, dass wir die Wahrnehmung, von der hier die Rede ist, als ein grundsätzlich wahrheitsgemäßes Wahrnehmen auffassen müssen. Denn nur dann ist ein faktiver Gebrauch des Verbs „wahrnehmen“ gerechtfertigt. Tatsächlich ist unmittelbare Wahrnehmung für Berkeley immer wahrheitsgemäß. Denn streng genommen gibt es für ihn, wie wir bereits wissen, keine Sinnestäuschungen.40 Wenn wir halluzinieren, träumen, oder unsere Sinne uns täuschen, dann nehmen wir nichts Falsches wahr, sondern verknüpfen die Ideen falsch, die uns die Wahrnehmung liefert. Deshalb darf Berkeley davon ausgehen, dass im obigen Argument ein wahrheitsgemäßes Wahrnehmen gemeint ist, was den faktiven Gebrauch des Wortes „wahrnehmen“ legitimiert. 9.3.8 Schluss MA ist also keineswegs ein schlechtes41, sondern nur ein ausgesprochen voraussetzungsreiches Argument. So wird zum einen deutlich, dass eine kohärente Lesart von MA Berkeleys Kritik an abstrakten Ideen und seine Begriffstheorie voraussetzt. Da Berkeleys Argumentation für seine zentrale metaphysische These, den Idealismus, in MA kulminiert, sollten wir Berkeley also sehr ernst nehmen, wenn er am Beginn seiner Kritik abstrakter Ideen in der Einleitung der Principles schreibt, dass ihn „die
39 40
41
t ist eine Instanz von p. Für eine kurze Diskussion dieser Probleme und Literaturangaben, vgl. oben, Stellenkommentar zur ETV und zu Dialogues, 248 ff. Vgl. Pitcher 1977, der Berkeley eine banale Verwechslung zwischen Ideen und ihren Inhalten unterstellt.
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Exposition dieser Themen dazu führen [wird], meine eigene Konzeption zu einem guten Teil vorwegzunehmen.“ (Principles, § E6). Zum anderen wird deutlich, dass Berkeleys Wahrnehmungstheorie und seine Konzeption des Denkens, das er analog zu bildhafter Vorstellung konzipiert, mit schwierigen philosophischen Problemen einhergeht. Wichtige Probleme, die sich direkt aus unserer Rekonstruktion von Berkeleys zentralem Argument ergeben, hängen mit Berkeleys Erkenntnistheorie und seiner Wahrnehmungstheorie zusammen. Denn was bedeutet es für Berkeley, dass ein perzipierendes Subjekt wahrnimmt, dass t der Fall ist? Offensichtlich hat diese Wahrnehmung propositionale Struktur. Nun nimmt ein perzipierendes Subjekt allerdings nur Ideen wahr – und Ideen haben keine begriffliche, geschweige denn propositionale Struktur. Berkeleys Antwort auf diese Frage ist alles andere als unproblematisch: Er geht davon aus, dass unsere nichtpropositionale Wahrnehmung uns unmittelbar Wissen liefert, beispielsweise Wissen davon, dass bestimmte Objekte sich in unserem Gesichtsfeld befinden.42 Diese Konzeption der unmittelbaren Wahrnehmung ist nicht nur deshalb problematisch, weil sie uns eine Erklärung schuldig bleibt, inwiefern sich Sinnestäuschungen und Halluzinationen von veridischer Wahrnehmung unterscheiden, sondern auch deshalb, weil Berkeley nicht erklärt, wie wesentlich nicht-propositionale Wahrnehmungszustände uns zu wesentlich propositionalem Wissen verhelfen können. Wie kann Berkeley erklären, das wir propositionales, manchmal sogar unfehlbares Wissen aus der Wahrnehmung gewinnen, wenn Wahrnehmung als passive Perzeption von nichtpropositionalen Ideen konzipiert ist? Um zu erkennen, ob Berkeley befriedigende Antworten auf diese Frage hat, müsste man Berkeleys Erkenntnis- und Wahrnehmungstheorien einer genaueren Analyse unterziehen. Fest steht, dass es sich um ein substanzielles Probleme handelt, mit dem sich nicht nur Berkeley konfrontiert sieht, sondern auch jeder Vertreter einer fundamentalistischen Erkenntnistheorie, die davon ausgeht, dass nicht propositionale Wahrnehmung uns propositionales Wissen an die Hand gibt.
42
Vgl. hierzu Winkler 1989, 149 ff.
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10. David Hume Markus Wild
10.1 Einführung: Humes Projekt einer Wissenschaft vom Menschen Descartes verglich die Philosophie mit einem Baum.1 Die Wurzel des Baums bildet die Metaphysik, denn sie liefert die Grundlagen der Erkenntnis. Die Physik ist der Stamm, handelt sie doch von den Prinzipien des materiellen Universums. Die übrigen Wissenschaften bilden die Äste, wobei Medizin, Mechanik und Moral die Hauptäste darstellen, die die wertvollsten Früchte tragen. Vor dem Pflanzen des Baums rät Descartes zum Studium der Logik. Darunter will er keinesfalls die Logik der Scholastiker verstanden wissen – einer weit verbreiteten Polemik zufolge bringt diese Logik nur in didaktische Form, was man schon weiß, und hüllt in viele Worte, was man nicht weiß –, sondern ein an der Mathematik geschultes Studium der Methode des richtigen Verstandesgebrauchs.2 Die vollendete cartesische Philosophie sollte ein fruchtbarer Baum sein. Sie wurde aber nicht vollendet und bereits der Stamm wurde von Newton gefällt.3 Newton konnte die Vorgänge im vielgestaltigen materiellen Universum anhand weniger allgemeiner Gesetze erklären und diese Gesetze formalisieren. Das Vorgehen Newtons erschien seinen Zeitgenossen als wissenschaftlich paradigmatisch. Anhänger Newtons stellten die methodische Forderung auf, „dass die Ursachen der Dinge aus möglichst einfachen Prinzipien abgeleitet werden [sollten]“, und konstatierten andererseits: „[dass sie] aber […] nichts als Prinzip an[erkennen], was nicht von den Erscheinungen bestätigt worden ist. Hypothesen ersinnen sie nicht.“4 Im Unterschied zu den Scholastikern 1 2 3 4
Vgl. Descartes’ Brief an Picot in der frz. Übersetzung seiner Principa philosophiae. Vgl. Descartes’ Regulae (ca. 1628) und seinen Discours de la méthode (1637). Vgl. Schütt 1998, Kap. 1. So Roger Cotes in der Vorrede zur 1713 erschienenen zweiten Auflage von Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (vgl. Newton 1988, 14).
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David Hume
(die bei den Sinnen ansetzen und nichts erklären) und den Cartesianern (die bei der Vernunft ansetzen und alles erfinden), so seine Anhänger, stütze sich Newtons „Experimentelle Philosophie“ auf Erfahrung und Beobachtung. Beeindruckt von diesem Paradigma verfolgte Hume mit dem Treatise ein ehrgeiziges Ziel.5 Er wollte für die „moral philosophy“ (grob gesagt: für die Geisteswissenschaft) leisten, was Newton für die „natural philosophy“ (grob gesagt: für die Naturwissenschaft) geleistet hatte, und in Absetzung von Scholastikern oder Cartesianern eine „Wissenschaft vom Menschen“ (science of MAN ) begründen, die auf Erfahrung beruht und ohne Spekulation auskommt. Aus diesem Grund lautet der Untertitel des Treatise: „An Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into moral subjects“. Das Vorwort (Advertisement ) und die Einleitung (Introduction) zum Treatise erläutern dieses Vorhaben. Unter einer experimentellen Methode versteht Hume jedoch anders als Newton weder die Applikation mathematischer Modelle noch die Präparation kontrollierter Experimente, sondern eine Mischung aus Introspektion und Beobachtung des menschlichen Lebens, „wie es im normalen Weltverlauf, im Verhalten der Menschen in Gesellschaft, im Geschäft und im Vergnügen erscheint“ (T Intro, 10). Das bedeutet: Über die menschliche Natur gibt menschliches Verhalten Aufschluss, etwas davon ist durch Selbst-, anderes durch Fremdbeobachtung zugänglich. Die Wissenschaft vom Menschen sei „die einzige feste Grundlage für die anderen Wissenschaften, und die einzige feste Grundlage dieser Wissenschaft muss selbst auf Erfahrung und Beobachtung beruhen“ (T Intro, 7). In Descartes’ Bild gesprochen: Die Wissenschaft vom Menschen ist die Wurzel und die „Geisteswissenschaften“ sind der Stamm. Sie wachsen auf und im Boden der Erfahrung.6 Humes Ausführungen sind weniger klar als das Bild suggeriert. Was versteht er unter der Wissenschaft vom Menschen? Welche Wissenschaften sollen darauf gründen?7 Die ersten beiden Teile des Treatise handeln von dem Verstand und von den Gefühlen. Hume publiziert diese zwei Teile in einem Band und erklärt im Vorwort, dass die beiden Themen eine Einheit bilden. Sollte, wie Hume schreibt, das Werk die Zustim5
6 7
Zu Hume und Newton vgl. Kemp Smith 1941, Kap. 3; Noxon 1973, Kap. 2 f.; Capaldi 1975; Force 1987; McIntyre 1994. Barfoot 1990 betont Unterschiede und Missverständnisse. Vgl. Passmore 1980, 12. Zu Humes Wissenschaft vom Menschen vgl. Biro 1995; Berry 2007.
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mung der Leserschaft finden, werde darauf aufbauend Moral, Politik und Ästhetik (criticism) behandelt.8 In der Einleitung spricht Hume von vier Wissenschaften, die auf das engste mit der menschlichen Natur verbunden gedacht werden: Logik, Moral, Politik und Ästhetik. Offenbar ist mit der Logik die Untersuchung des Verstandes gemeint. Doch wo sind die Gefühle? Um die Verwirrung zu vergrößern, bemerkt Hume, dass alle Wissenschaften von der Wissenschaft vom Menschen abhängen, sogar Mathematik, Naturphilosophie und Religion (vgl. T Intro, 4). Nicht nur die „Geisteswissenschaft“, auch die Wissenschaften der Natur, der abstrakten Gegenstände und des höchsten Wesens beruhten auf der Wissenschaft vom Menschen. Wie ist dies gemeint? Um den Baum vor lauter Ästen nicht aus den Augen zu verlieren, muss man zuerst darauf achten, was Hume unter „Logik“ versteht. Wie Descartes lehnt er die Logik der Scholastiker ab (vgl. T 1.3.15.11). Für Hume hat die Logik zwei Ziele: Sie erklärt (1.) die Prinzipien und Tätigkeiten unseres Verstandes und (2.) die Natur unserer Ideen (vgl. T Intro, 5). Im Unterschied zum heutigen Verständnis ist Logik für Hume also eine Art Psychologie.9 Betrachten wir zuerst das zweite Ziel dieser Logik. Hume unterscheidet Ideen und Eindrücke. Eindrücke unterscheiden sich von Ideen durch ihre größere Stärke und Lebendigkeit. Die Unterscheidung zwischen Eindrücken und Ideen entspricht derjenigen zwischen Fühlen und Denken. Da Ideen von Eindrücken abstammen und deren schwache Abbilder sind, kann man sagen, dass das Denken auf dem Fühlen beruht. Einige Ideen halten wir für wahr. So meinen wir etwa, Schmerzen tatsächlich gehabt (und nicht nur vorgestellt) zu haben, eine Orange zu sehen (und nicht zu halluzinieren), wirklich wütend zu sein (und nicht nur so zu tun) oder uns wirklich an bestimmte Vorfälle zu erinnern (und nicht nur von ihnen gehört zu haben). Ideen, die wir für wahr halten, haben mehr Stärke und Lebendigkeit, als Ideen, die wir für falsch oder fiktiv halten. Eine für wahr gehaltene Idee nennt Hume Überzeugung oder Glaube (belief ). Ein für das Fürwahrhalten erforderliches Maß an Stärke und Lebendigkeit wird von Eindrücken auf Ideen übertragen. Humes Theorie zufolge ist ein Glaube „eine lebhafte Idee, die 8
9
Der 1740 gesonderte publizierte dritte Teil handelt von der Moral. Die geplanten Teile zu Politik und Ästhetik wurden nicht geschrieben. Hume hat zahlreiche Essays zu politischen, ökonomischen und ästhetische Fragen verfasst, vgl. Hume 1985. Zu Humes Logik vgl. Echelbarger 1997; Owen 1999. Zu Humes Verwandtschaft zur Kognitionspsychologie vgl. Garrett 1997; Fodor 2003.
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mit einem gegenwärtigen Eindruck assoziiert oder verbunden ist“ (T 1.3.7.5). Wenn Hume sagt, dass zweite Ziel seiner Logik bestehe in der Erklärung der Natur der Ideen, so spricht er damit diese Theorie des Glaubens an, denn die Überschrift des Abschnitts, der diese Theorie formuliert, lautet: „Über die Natur der Ideen oder über den Glauben“ (T 1.3.7). Die Logik soll also erklären, was Zustände des Fürwahrhaltens sind. Insofern nun die für den Glauben erforderliche Eigenschaft von den Eindrücken stammt, kann man sagen, dass das Denken auf dem Fühlen beruht. Glauben ist deshalb „eigentlich eher eine Tätigkeit des empfindenden [sensitive] als des denkenden [cogitative] Teils unserer Natur“ (T 1.4.1.8). Hier wird deutlicher, was Hume mit dem Gefühl meint. Er meint nicht nur Emotionen im engeren Sinne, sondern in erster Linie unsere sinnlichen Vermögen. Die These, dass geistige Tätigkeiten eher Tätigkeiten „des empfindenden als des denkenden Teils unserer Natur“ sind, durchzieht wie ein Grundton die Wissenschaft vom Menschen. Drei Beispiele mögen dies illustrieren. Im vierten Teil des ersten Buchs behandelt Hume eine Reihe skeptischer Fragen: Können wir uns auf die Vernunft verlassen (vgl. T 1.4.1)? Können wir unseren Sinnen trauen (vgl. T 1.4.2)? Verfügen wir über so etwas wie die Identität unserer Person (vgl. T 1.4.6)?10 Obwohl Humes Umgang mit diesen Fragen ausgesprochen komplex ist, lässt sich ein bestimmtes Antwortmuster finden. Würden wir uns allein auf unsere Vernunft verlassen, könnten wir keine dieser Fragen positiv beantworten. Zum Glück müssen wir uns aber nicht allein auf den „denkenden Teil unserer Natur“ verlassen. Vielmehr vertrauen wir auf instinktive Weise auf unsere Vernunft, unsere Sinne und auf die Einheit unserer Person. Denn die „Natur lässt uns hier keine Wahl und hat dies zweifellos als eine Angelegenheit von zu großer Wichtigkeit erachtet, um sie allein unseren unsicheren Schlüssen und Spekulationen anzuvertrauen“ (T 1.4.2.1). Kommen wir zum zweiten Beispiel. Das zweite Buch des Treatise handelt von den Emotionen und vom Willen. Hume vertritt die These, dass die Vernunft und Überzeugungen (Ideen) alleine keine Handlungen motivieren können. Handlungen werden durch Willensakte verursacht, wobei ein Willensakt nichts anderes ist als ein „innerer Eindruck, den wir fühlen und dessen wir uns bewusst sind, wenn wir 10
Zu Humes Skepsis allgemein vgl. Fogelin 1983, 1985; Popkin 1997. Zur Vernunftskepsis vgl. Wilson 1985; Morris 1989. Zur Sinnesskepsis vgl. Pears 1990, Kap. 10 f.; Baxter 2006. Zur Identitätsskepsis vgl. Garrett 1997, Kap. 8; Ainslie 2000.
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absichtlich eine neue Bewegung unseres Körpers oder eine neue Perzeption unseres Geistes hervorbringen“ (T 2.3.1.2). Die Vernunft und unsere Überzeugungen zeigen lediglich die Mittel, Gefühle hingegen die Ziele unserer körperlichen und geistigen Tätigkeiten und motivieren dadurch Willensakte. Hume spitzt diese These in einer bekannten Passage polemisch zu: „Die Vernunft ist und soll nichts anderes sein als die Sklavin unserer Gefühle“ (T 2.3.3.4). Das dritte Beispiel stammt aus dem dritten Buch, das von der Moral handelt. Hume vertritt die These, dass moralische Wertungen nicht aus der Vernunft stammen, sondern aus dem Gefühl. Moralisches Lob und moralischer Tadel sind Ausdruck eines moralischen Sinns. Da auch moralische Wertungen unseren Willen und dadurch unsere Handlungen motivieren können, aber nur Gefühle Willensakte motivieren können, folgt, dass moralische Wertungen Gefühle sind (vgl. T 3.1.1–2). Hume verankert sowohl seine Theorie der Überzeugungen, seine Erkenntnistheorie, seine Handlungstheorie als auch seine Moralphilosophie im Gefühl.11 Bereits 1905 hat Norman Kemp Smith in einem wegweisenden Aufsatz festgestellt, dass „durchgehende Unterordnung der Vernunft unter das Gefühl und den Instinkt […] der bestimmende Faktor in Humes Philosophie“ ist.12 Kemp Smith versteht Hume in diesem Sinne als einen „Naturalisten“. Man kann Hume auch in dem Sinne als Naturalisten verstehen, dass sich seine Philosophie in großer methodologischer Nähe zu den Naturwissenschaften bewegt und dass sie – im Unterschied zu allen seinen ideentheoretischen Vorgängern mit der Ausnahme von Hobbes – ohne jede Bezugnahme auf nicht-materielle und übersinnliche Entitäten wie Gott oder die Seele auskommt. In diesem allgemeinen Sinne wird das Etikett „Naturalismus“ häufig in der gegenwärtigen Philosophie verwendet. Inwiefern hängen nun Mathematik, Naturwissenschaft und Theologie von der Wissenschaft des Menschen ab? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich an das erste Ziel von Humes Logik erinnern, nämlich die Erklärung der Prinzipien und Tätigkeiten unseres Verstandes. Hume unterscheidet scharf zwischen zwei Tätigkeiten des Verstandes. Der Verstand entdeckt entweder apriorische Relationen zwischen Ideen 11
12
Zum Zusammenhang von Vernunft und Gefühl vgl. Árdal 1966; Baier 1991. Zu Humes moralischer Epistemologie vgl. Harrison 1976. Zur Moralphilosophie vgl. Mackie 1980. Kemp Smith 1905, 150. Diese These hat das Hume-Verständnis entscheidend geprägt, vgl. Stroud 1977; Strawson 1987; Baier 1991; Garrett 1997; Mounce 1999.
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oder er entdeckt Tatsachen, d. h. aposteriorische Relationen zwischen Ideen und Eindrücken. Die erste Tätigkeit führt zu demonstrativem und die zweite zu probabilistischem Wissen. Als wichtigste Form des probabilistischen Wissens analysiert Hume Kausalschlüsse. Er behauptet, dass wir alle Kausalschlüsse sowie Einsichten in Kausalzusammenhänge und Naturgesetze allein aus Erfahrung (experience) und Gewohnheit (custom) gewinnen. Demnach kann die Projektion von Kausalzusammenhängen und Naturgesetzten auf zukünftige Ereignisse ebenfalls nicht anders als durch die Erfahrung und Gewohnheit gewonnen werden. Hume zufolge liegt der Mathematik demonstratives Wissen und den Naturwissenschaften probabilistisches Wissen zugrunde. Da unsere Erkenntnisse auf diese beiden Formen des Wissens beschränkt sind, müssen auch theologische Wissensansprüche bezüglich Gottes und der Unsterblichkeit der Seele auf sie zurückgeführt werden können. In diesem Sinne also hängen auch diese Disziplinen von der Wissenschaft vom Menschen ab. Die Wissenschaft vom Menschen soll mithin nicht nur die „Geisteswissenschaften“ fundieren, sondern auch die Grundlagen der Naturwissenschaft, der Mathematik und der Theologie aufklären. Deshalb kann Hume schreiben: „Indem wir behaupten, die Prinzipien der menschlichen Natur zu erklären, schlagen wir deshalb tatsächlich ein vollständiges System der Wissenschaften vor“ (T Intro, 6). Nun zeichnet sich das Projekt einer Wissenschaft vom Menschen etwas deutlicher ab. Die Untersuchung der Gefühle (des empfindenden Teils des Menschen) wird deshalb nicht als eigene Disziplin aufgeführt, weil sie eine Grundlage für die anderen Disziplinen abgibt. Gefühle und Instinkte sind jedoch nicht die alleinige Grundlage der Tätigkeiten des menschlichen Geistes. Humes These lautet ja keineswegs, dass die Vernunft nichts ausrichten kann, sondern vielmehr dass sie alleine nichts auszurichten vermag. Aus diesem Grund bilden die Untersuchung des Verstandes und der Gefühle im Treatise eine Einheit.13 Diese Einheit bildet den Stamm des Baums. Aus ihm wachsen die Äste der „Geisteswissenschaften“ (nämlich Moral, Politik und Ästhetik), auf ihn kann man Naturwissenschaft, Mathematik und Theologie gleichsam aufpfropfen. Kommen wir zu den Wurzeln des Baums. Das Projekt einer Wissenschaft vom Menschen wird durch die Ideentheorie ermöglicht. Sind die Zusammenhänge zwischen Perzeptionen verstanden, ist erst die eigentliche Grundlage der Wissenschaft vom Menschen gelegt. Zwei Arten
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Diese Einheit betont Baier 1991.
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von Zusammenhängen sind entscheidend. Erstens führt Hume die Tätigkeiten des Geistes – sowohl diejenigen des empfindenden als auch diejenigen des denkenden Teils unserer Natur – auf Assoziationen zwischen Ideen und Eindrücken zurück (vgl. Bd. 1: Einleitung). Er setzt die Assoziationsprinzipien konstruktiv ein, um die beiden Ziele seiner Logik zu erreichen. Die Theorie der Perzeptionen und ihrer Assoziationen bilden die Wurzel des Baums der Wissenschaft vom Menschen. Sie übernehmen also die Rolle, die die Metaphysik in Descartes’ Projekt spielen soll. Zweitens führt Hume zu Beginn des Treatise das „Kopieprinzip“ ein (vgl. K12 des nachfolgenden Stellenkommentars). Hume setzt dieses Prinzip weitgehend kritisch ein, um Begriffe zu reduzieren, zu eliminieren oder zu rekonstruieren.14 Dies entspricht Humes Bild von Newtons experimenteller Philosophie. Newton sei nämlich „darauf bedacht keine Prinzipien zuzulassen, die nicht in der Erfahrung begründet sind, aber entschlossen, solche Prinzipien resolut anzuwenden, wie neuartig und ungewöhnlich sie auch sein mögen“.15 Auch die Wissenschaft vom Menschen kann nur erfolgreich sein, wenn sie wenige grundlegende Prinzipien findet und resolut anwendet (vgl. T Intro 10). Hume zufolge muss die Wissenschaft vom Menschen vor allem metaphysische Begriffe, Hypothesen und Systeme, die ohne Beobachtung und Erfahrung auskommen, prüfen, revidieren und gegebenenfalls aus dem Weg räumen. Der wichtigste Einwand gegen einen großen Teil der Metaphysik besteht Hume zufolge darin, dass sie nicht eigentlich wissenschaftlich vorgeht.16 Humes Wissenschaft vom Menschen hat also zwei Seiten. Einerseits geht es um die Kritik nicht ausreichend geklärter und begründeter metaphysischer Begriffe und Theorien. Andererseits geht es um die Etablierung einer erfahrungsgestützten Wissenschaft. Diese beiden Seiten werden in Humes genereller These derart vereint, dass Ideen schwache Abbilder von Eindrücken sind oder – allgemeiner formuliert – durch die „durchgehende Unterordnung der Vernunft unter das Gefühl“ entstehen. Diese generelle These zieht sich als Grundton durch das ehrgeizige
14
15 16
Humes Attacken auf die Begriffe der Substanz (T 1.1.6; T 1.4.4–5), der Existenz (T 1.2.6), der Kraft (T 1.3.14) oder der Seele (T 1.4.5) sind reduktionistische oder eliminative, seine Analyse der Begriffe des Glaubens (T 1.3.7), der Notwendigkeit (T 1.3.14) oder der Existenz der Außenwelt (T 1.4.2) hingegen sind rekonstruktive Fälle. Hume 1983, 542. Vgl. Enquiry 1.6.
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David Hume
Projekt einer Wissenschaft vom Menschen. Kemp Smith spricht von einem „Naturalismus“. Wie wir gesehen haben, kann man Hume auch als einen Naturalisten verstehen, der eine Philosophie in großer methodologischer Nähe zu den Naturwissenschaften entwickelt und ohne jede Bezugnahme auf nicht-materielle und übersinnliche Entitäten wie Gott oder die Seele auskommt. Doch gerade die Existenz Gottes und die Existenz einer immateriellen Seele bilden den Kern von Descartes’ Metaphysik. Ohne diese Metaphysik kann der cartesianische Baum der Erkenntnis nicht gedeihen. Hume hingegen hat von Newton gelernt, dass Bäume in den Himmel wachsen können, ohne in ihm Wurzeln schlagen zu müssen.
10.2 Stellenkommentar: Auszüge aus A Treatise of Human Nature / Abhandlung über die menschliche Natur (1739/40) und Abstract (1740) K1: Alle Perzeptionen des menschlichen Geistes … Zu den Grundlagen der Ideentheorie vgl. Broughton 2006, Garrett 2008a. Hume zufolge sind dem Geist nur Perzeptionen gegenwärtig. Hume fasst aber nicht nur Ideen, sondern auch Eindrücke als Perzeptionen auf. Perzeptionen sind in einem sehr umfassenden Sinne Objekte und Akte des Denkens, Wünschens, Fühlens, Wahrnehmens, Erinnerns, Einbildens oder Empfindens. Man kann Perzeptionen als bewusste geistige Zustände charakterisieren (Broughton 2006, 43). Man kann Perzeptionen als Konstituenten des Geistes betrachten, deren wir uns in der Regel bewusst sind, ohne das Bewusstsein als notwendige Charakterisierung der Perzeptionen zu gebrauchen. Dabei sind zwei Ambiguitäten zu bedenken: (1) Sind mit Perzeptionen Akte oder Objekte des Geistes gemeint? Hume verwendet das Nomen „Perzeption“ im Sinne eines Objekts und erklärt an vielen Stellen, dass Perzeptionen Objekte des Geistes sind. Verwendet Hume das Verb „to perceive“, dann ist damit ein Akt gemeint, der eine Idee oder einen Eindruck als Inhalt hat. So ist Beispielsweise eine Überzeugung (belief ) ein solcher Akt. (2) Sind Perzeptionen (als Objekte) nur innere, geistige Objekte und gibt es unterschieden davon noch äußere, geistunabhängige Objekte (vgl. T 1.2.6.7–9; Bd. 1, S. 388 und K46–K49)? Grene 1994 unterscheidet drei Verwendungen von „Objekt“ (object): (a) Objekte der Aufmerksamkeit, d.h. intentionale Objekte, (b) Perzeptionen, (c) reale, äußere Objekte. An vielen Stellen erhellt die Verwendungsweise aus dem Kontext. Diese Kontextabhängigkeit ist Hume bewusst (vgl. T 1.4.2.31).
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K2: EINDRÜCKE und IDEEN … Humes Verwendung der Ausdrücke „Idee“ (idea) und „Eindruck“ (impression) weicht von der zeitgenössischen Verwendung ab. Ideen sind unmittelbare Objekte des Geistes (Chambers 1728, 368). Im Unterschied zu Locke, dem zufolge alles, was dem Verstand gegenwärtig ist, eine Idee ist, sind für Hume dem Geist Perzeptionen gegenwärtig. Ideen bilden eine Unterklasse von Perzeptionen. Hume behauptet, dass er im Gegenzug zu Locke den adäquaten Gebrauch wieder herstelle (T 1.1.1.1 FN; Bd. 1, S. 369). Eindrücke sind im zeitgenössischen Verständnis materielle Einwirkungen oder Einprägungen auf die Sinnesorgane (Chambers 1728, 378). Hume weist auf seinen abweichenden Gebrauch hin: Gemeint seien nicht Sinnesreizungen, sondern das erste Auftreten einer Perzeption im Geist (T 1.1.1.1 FN; Bd. 1, S. 369). Ideen repräsentierten Eindrücke (K12) und entsprechen Lockes repräsentationalistischen Ideen der Sinne und der Reflexion. Eindrücke hingegen sind nicht repräsentational und entsprechen Berkeleys nicht-repräsentationalistischen Ideen. K3: Grad an Kraft und Lebendigkeit … Hume nennt Kraft und Lebendigkeit als ein Unterscheidungskriterium für Ideen und Eindrücke. Er schwankt in seiner Wortwahl und spricht auch von „Festigkeit, Solidität, oder Kraft oder Lebendigkeit“ (T 1.3.8.16). Die Eigenschaft ‚Kraft und Lebendigkeit‘ wird oft so betrachtet, (1) als sei sie das einzige Kriterium der Unterscheidung zwischen Idee und Eindruck, (2) als ob es absolut sein müsste und (3) als würde es sich um eine allein intrinsische und phänomenale Eigenschaft von Eindrücken handeln. Doch als bloße gefühlte Intensität scheinen Kraft und Lebendigkeit ungeeignet, die Unterscheidung zwischen Ideen und Eindrücke zu treffen (Russell 1912, 95 f.; Kemp Smith 1941, 209 f.; Flew 1980, 22 f.; Stroud 1977, 26). Demgegenüber muss man beachten: (Ad 1) Hume weist von Anfang auf die kausale Priorität der Eindrücke als zweites Kriterium hin (K12: Verursachungsthese). Eindrücke treten immer vor Ideen auf und haben keine Vorgänger, d. h. sie sind Ursachen von Ideen (T 1.1.1.8; Bd. 1, S. 371). (Ad 2) Der Unterschied ist nicht absolut, sondern graduell: Erstens können Ideen und Eindrücke sich annähern, etwa in Krankheit und Wahnsinn, zweitens können Eindrücke einen Teil ihrer Kraft und Lebendigkeit auf Ideen übertragen. Der zweite Punkt ist wichtig für Humes Theorie des Gedächtnisses (T 1.1.3; Bd. 1, S. 376 f.), der Überzeugung (T 1.3.7; Bd. 1, S. 389 ff.) oder für das Übertragungsprinzip (T 1.3.8.2; Bd. 1, S. 393 f.). (Ad 3) Govier 1972 betrachtet Kraft und Lebendigkeit nicht allein als phänomenale, sondern als funktionale Eigenschaft und unterscheidet Kraft von Lebendigkeit: Kraft bezieht sich auf den kausalen Einfluss
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einer Perzeption auf den Geist oder Willen (vgl. Laird 1983, 33; Kemp 2000, 685; Wild 2008, 290–302). Kraft ist eine extrinsische und funktionale Eigenschaft, durch die Ideen handlungsrelevant werden (T 1.3.7.7 APP; Bd. 1, S. 392 f.). Eine lebhafte Perzeption hingegen ist phänomenal klar und intensiv. (Zu Kraft und Lebendigkeit vgl. auch Everson 1988; Flage 1990, 168–186; Dauer 1999). K4: Empfindungen, Leidenschaften und Emotionen … Alle Gefühle sind Eindrücke, nämlich Eindrücke der Reflexion (T 1.2.1.1). Diese behandelt Hume im zweiten Buch des Treatise. Auch Lust und Unlust sind Eindrücke, sie sind ebenso wie Sinneswahrnehmungen Eindrücke der Empfindung (T 1.1.2.1; Bd. 1, S. 375). Das Lust-Unlust-Paar spielt im ersten Buch des Treatise keine Rolle, wird aber im zweiten und dritten Buch für die Analyse der Gefühle wie der ästhetischen und moralischen Urteile grundlegend. K5: die blassen Bilder … Die Redeweise von Ideen als Bildern („image“, nicht „picture“) ist in der Neuzeit verbreitet und reflektiert eine starke Beachtung der Optik (Yolton 1984). Humes Ideen sind teilweise bildlich, teilweise nicht. Es gibt auch relative Ideen (K48) und allgemeine Ideen (K33). Hume bezeichnet Ideen als „Bilder unserer Eindrücke“ (T 1.1.1.11; Bd. 1, S. 373) und verleiht Ideen Eigenschaften, die Bilder haben, wie etwa Ausdehnung. Aus diesem Grund betrachten einige Interpreten diese als physiologische Objekte (Anderson 1976; Wright 1983). K6: Fühlen und Denken … Ein für Humes Philosophie wichtiger Unterschied, den er anders als die Tradition interpretiert (vgl. Bd. 2: Einleitung [10.1]). Kemp Smith (1941) hat die These vertreten, dass Humes Philosophie durch die Unterordnung der Vernunft unter das Gefühl charakterisiert werden kann. Dagegen spricht, dass in Humes Philosophie das reflexive Denken eine wichtige Rolle spielt (vgl. Norton 1982, Kap. 5; Baier 1991; Owen 1999). K7: Herr Locke verdrehte … Locke vertritt die These, dass alle Ideen aus den Sinnen oder der Reflexion stammen und dass Ideen der Sinne Repräsentationen äußerer, materieller Gegenstände sind. Diesen letzten Punkt hat Berkeley vehement bestritten. Hume folgt Berkeley in dieser Kritik. Er behält den Ausdruck „Idee“ für repräsentationale Perzeptionen bei und bezeichnet nicht-repräsentierende Perzeptionen als Eindrücke (Laird 1983, 30). K8: EINFACH und ZUSAMMENGESETZT … Hier führt Hume zum ersten Mal die wichtige Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Perzeptionen ein. Sie ist deshalb wichtig, weil das
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Kopieprinzip (K12) mit ihrer Hilfe formuliert wird. Eine Perzeption ist einfach, wenn sie weder Unterscheidung noch Trennung erlaubt, zusammengesetzt, wenn sie Unterscheidung und Trennung erlaubt (vgl. Trennbarkeitsprinzip K35; vgl. Bd. 2: systematischer Essay [10.3]). Es ist fraglich, ob Hume die Unterscheidung auf die gleiche Weise zieht und einsetzt wie Locke (vgl. Garrett 1997, 60 f.). K9: Neue Jerusalem … Paris … Das Neue Jerusalem hat keiner gesehen, es ist eine zusammengesetzte Idee ohne entsprechenden zusammengesetzten Eindruck. Aber es gibt diese zusammengesetzte Idee, die etwa der Verfasser der Apokalypse beschreibt. Folglich hat nicht jede zusammengesetzte Idee einen entsprechenden zusammengesetzten Eindruck. Die Pointe besteht also nicht darin, dass wir von Paris einen bestimmten zusammengesetzten Eindruck haben, vom Neuen Jerusalem hingegen nicht. K10: Eindruck, der im Tageslicht auf unsere Augen trifft … Aus der Perspektive der phänomenologischen Einstellung (K18) ist ein Eindruck nur die Perzeption selbst. Aus der Perspektive eines hypothetischen Realismus (K18), wie sie z. B. der Naturwissenschaftler einnimmt, ist der Eindruck Resultat einer kausalen Einwirkung auf die Sinne. K11: hinsichtlich ihrer Existenz … Hume meint hier die Frage nach der kausalen Relation zwischen Eindruck und Idee. Eine Ursache bringt ihre Wirkung sozusagen zur Existenz. K12: allgemeinen Grundsatzes … Diesen Grundsatz bezeichnet Hume als „das erste Prinzip […] in der Wissenschaft der menschlichen Natur“ (T 1.1.1.12; Bd. 1, S. 373). Er wird häufig als „Kopieprinzip“ (Copy Principle) bezeichnet. Die Bedeutung von „copy“ im 18. Jh. ist „genaue Wiederholung“: Abschriften, Drucke, Reproduktionen von Gemälden und Skulpturen, Imitationen von Personen, Simulationen von Situation sind Kopien (Chambers 1728, 324 f.). Dies entspricht dem dt. „Kopie“ (nicht aber dem Begriff des „Abbildes“). Weitere Bedeutungen von „copy“ sind: erster Entwurf, Plan, Druckvorlage. Eine Idee als „copy“ kann also sowohl ein Token (als genaue Wiederholung eines Eindrucks) als auch ein Typ sein (als Vorlage oder Prototyp für andere Ideen, vgl. Garrett 1997, 61 f.). Der Ausdruck „impression“ meint auch die Anzahl gedruckter Exemplare einer Druckvorlage (Chambers 1728, 328 f.). Dass sich Hume der Herkunft dieser Ausdrücke aus dem Buchwesen im Klaren war, belegt das erste Beispiel für Ideen und Eindrücke (T 1.1.1.1; Bd. 1, S. 368). Das Kopieprinzip gilt nur für einfache Perzeptionen. Hume spricht in der offiziellen Formulierung des Prinzips davon, dass Ideen von Eindrücken „abstammen“ oder „abgeleitet sind“ (are deriv’d from),
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mit ihnen „übereinstimmen“ (are correspondent ) und sie „genau repräsentieren“ (exactly represent ). Dies beinhaltet zwei Thesen (Garrett 1997, Kap. 2). Gemäß der Ähnlichkeitsthese sind einfache Ideen einfachen Eindrücken ähnlich. Hume argumentiert für diese erste These ex negativo und behauptet, dass kein Gegenbeispiel auffindbar sei (T 1.1.1.5). Gemäß der Verursachungsthese werden einfache Ideen von einfachen Eindrücken verursacht. Für die zweite These argumentiert er empirisch und behauptet, dass Eindrücke den Ideen stets vorhergehen (T 1.1.1.8; Bd. 1, S. 371 f.). Stetiger oder regelmäßiger Zusammenhang (constant conjunction) und zeitliche Priorität sind nämlich zwei Bedingungen für Kausalität (T 1.1.4.4; Bd. 1, S. 378; T 1.3.6.15; Bd. 1, S. 388 f.). Die Analyse der Kausalität nimmt Hume jedoch erst im dritten Buch des Treatise vor. Aus diesem Grund schreibt er, dass die „vollständige Untersuchung dieser Frage […] Gegenstand des vorliegenden Traktats“ sei (T 1.1.1.7; Bd. 1, S. 371). Da die Kausalrelation aus der Erfahrung stammt, kann es sich jedoch um kein apriorisches Prinzip handeln. Es handelt sich vielmehr um eine empirische Verallgemeinerung (Garrett 1997, Kap. 2). Hume führt zwei empirische Argumente für das Prinzip an: Erstens erwerben wir Ideen nur aus Eindrücken (T 1.1.1.8; Bd. 1, S. 371 f.); zweitens bilden wir keine Ideen, wenn wir die entsprechenden Eindrücke nicht erwerben können bzw. nicht erworben haben (T 1.1.1.9; Bd. 1, S. 372). Hume wiederholt diese Argumente im Enquiry (2.14–15) und in einem Brief vom 4. Juli 1762, der auf Reids Kritik reagiert (Reid 1997, 257). K13: ein Phänomen, das dem Gesagten widerspricht … Hume formuliert hier einen Einwand gegen das Kopieprinzip: Eine Person kann die einfache Idee einer bestimmten Farbschattierung bilden, etwa diejenige eines Blautons, ohne einen vorgängigen einfachen Eindruck dieser Farbschattierung (vgl. Enquiry 2.16, 20 f.). Dieser Selbsteinwand wirft drei Fragen auf: (1) Warum glaubt Hume dass eine Person eine Idee des Blautons bilden kann (K14)? (2) Warum akzeptiert Hume das Gegenbeispiel? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass er es nicht als solches akzeptiert (K16). (3) Was bedeutet der Einwand für den Status des Kopieprinzips? Das Beispiel weist das Kopieprinzip als empirische Verallgemeinerung aus (K16; zum sog. „Problem des fehlenden Blautons“ vgl. Cummins 1978; Fogelin 1984; Garrett 1997, 50–55; Noonan 1999, Kap. 2). K14: unabhängige Idee hervorbringt … Die Überlegung an dieser Stelle impliziert, dass Hume sich das Farbspektrum als aus distinkten Farben und jede Farbe als aus distinkten Farbschattierungen bestehend vorstellt, denn jede Farbe und jede Schattierung bringt (normalerweise aufgrund
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eines Eindrucks) eine (dem Eindruck entsprechende) selbstständige Idee hervor. Im Spektrum der Ideen von Farbschattierungen kann somit eine bestimmte Schattierung fehlen, wenn die Ordnung der Abstufung gleichsam einen Sprung auf der Ähnlichkeitsskala enthält. Diese Überlegungen können durch Humes Verständnis der „Vernunftunterscheidung“ (vgl. T 1.1.7.17–18; Bd. 1, S. 385 f. und vgl. K41) ergänzt werden. K15: durch eine kontinuierliche Abstufung … Hume scheint anzunehmen, dass mangelnde Unterscheidbarkeit eine transitive Relation ist: Wenn A nicht von B unterscheidbar und B nicht von C unterscheidbar ist, dann ist A nicht von C unterscheidbar. Dies scheint falsch zu sein (vgl. Fogelin 1984, 265ff.). Wer Vierteltöne nicht unterscheiden kann, kann möglicherweise dennoch Halbtöne unterscheiden. Hume muss eher so verstanden werden: In der Idee eines Objekts kann es nichts geben, was nicht unterscheidbar wäre. Es gibt in einer Idee keine unmerklichen Unterschiede. Denn dem Geist kann keine Perzeption gegenwärtig sein, die „nicht hinsichtlich Quantität und Qualität festgelegt wäre“. (T 1.1.7.4; Bd. 1, S. 383) K16: keine Ausnahme von der Regel … Hume akzeptiert das Gegenbeispiel auf den ersten Blick, weil er es als Ausnahme betrachtet, korrigiert sich aber: Es handelt sich um eine Bestätigung. Diese Überlegung kann man wie folgt verstehen: Die Idee des fehlenden Blautons könnte nicht gebildet werden ohne vorhergehende Blaueindrücke. So wird das Kopieprinzip (K12) indirekt bestätigt. K17: ob es angeborene Ideen gibt … Die heute bekannteste Auseinandersetzung des 17. Jahrhunderts hinsichtlich der Frage, ob es angeborene Ideen bzw. Prinzipien gibt oder nicht, ist diejenige zwischen Locke und Leibniz. Der grundlegende Streitpunkt dieser Debatte lautet, ob alle Ideen letztlich aus den Sinnen stammen oder ob nicht vielmehr einige oder gar sämtliche Ideen dem Geist eingeboren sein müssen. Hume meint diese Debatte zu lösen, indem er die Unterscheidung zwischen Idee und Eindruck einführt. Mit „angeboren“ meinen wir so etwas wie „präsent bei Geburt“ oder „keine Kopie eines Vorgängers“ oder „instinktiv“. Ideen sind „nicht angeboren“ insofern sie Eindrücke repräsentieren. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass „all our impressions are innate, and our ideas not innate“ (Enquiry 2.17 FN 22). K18: auf die Erscheinungen von Objekten in unseren Sinnen beschränke … Dieser Absatz präzisiert die Formulierung „begnüge ich mich, genau zu erkennen, wie Objekte meine Sinne affizieren und welche Verbindungen unter ihnen bestehen, sofern mir meine Erfahrung etwas darüber mitteilt“ in T 1.2.5.26. Humes Beschränkung „auf die Erscheinungen“ kann man als „phänomenologische Einstellung“ bezeichnen. Aus der phänomeno-
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logischen Perspektive gilt: Alles, was dem Geist je gegenwärtig ist, sind Perzeptionen. Aus dieser Einstellung gesehen, liegen den basalen Perzeptionen (den Eindrücken der Empfindung) keine Objekte zugrunde: Eindrücke der Empfindung treten ursprünglich in unserem Geist auf (T 1.1.2.1; Bd. 1, S. 375 f.), ihre Herkunft bleibt metaphysisch betrachtet offen (T 1.3.5.2; Bd. 1, S. 374). Manchmal spricht Hume davon, dass primäre Eindrücke Objekte haben oder bemüht sich „genau zu erkennen, wie Objekte meine Sinne affizieren“. Er führt Eindrücke sogar auf physiologische Prozesse zurück (vgl. T 2.1.1.1). An diesem Stellen spricht Hume als hypothetischer Realist. Unter dem Vorzeichen des hypothetischen Realismus sagt ein Physiologe etwa: „Dieses äußere, geistunabhängige Objekt verursacht, vermittelt durch die Aktivität von Lebensgeistern, diesen geistigen Eindruck“. (Zum Ausdruck „Lebensgeister“ vgl. K59.) Diese Redeweise ist als hypothetische angebracht und für den Naturwissenschaftler unabdingbar. Sie muss sich aber, da es sich um eine kausale Redeweise handelt, als Relation zwischen Perzeptionen reformulieren lassen. Denn anders kann man Hume zufolge kausale Relationen nicht verstehen. In der phänomenologischen Einstellung haben Eindrücke keine äußeren Objekte. K19: aus ihrer internen Kohärenz Schlüsse ziehen … Der skeptische Zweifel kann mit einem Trilemma illustriert werden: Entweder bricht die Kette von Rechtfertigungen einer Meinung niemals ab (Regress) oder sie bricht bei einer ungerechtfertigten Meinung ab (Dogma), oder man kehrt zur Überzeugung, die man rechtfertigen wollte, zurück (Petitio principii). Eine abschließende Rechtfertigung einer Meinung scheint unmöglich, da man sich entweder auf ungerechtfertigte Meinungen beziehen oder zu der zu rechtfertigenden Meinung zurückkehren muss. Hume akzeptiert die skeptische Folgerung im Hinblick auf Meinungen über den Ursprung der Eindrücke, begegnet ihr jedoch als Kohärentist. Rechtfertigung verläuft weder vertikal noch linear, sondern holistisch. Ideen stützen sich gegenseitig, erlauben Schlüsse und lassen sich in Ideen-Systeme integrieren (vgl. T 1.3.9). K20: keine repräsentationale Qualität … Im Zusammenhang mit der Ideentheorie ist die Aussage wichtig, dass Gefühle, d. h. Eindrücke der Reflexion (T 1.1.2.1; Bd. 1, S. 375 f.) nicht repräsentieren. Dies gilt auch für Eindrücke der Empfindung (vgl. Cohon und Owen 1997; FrascaSpada 2002). Das hier formulierte Argument ist für Humes Theorie der Motivation zentral (vgl. Harrison 1976 Kap. 1). Da Gefühle nicht repräsentieren, können sie der Vernunft (K23) nicht entgegengesetzt sein. Die Einbildungskraft hingegen bildet Repräsentationen und die Ver-
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nunft stellt – Humes Gabelung zufolge (K52) – durch Vergleich Ideenrelationen oder durch Schluss Tatsachenrelationen fest (vgl. T 3.1.1.9). K21: mehr in das Gebiet der Anatomen und Naturphilosophen … Hume behauptet hier nicht, dass Anatomie und Naturwissenschaft die Grundlage seiner Wissenschaft vom Menschen wären. In der Einleitung zum Treatise erklärt Hume, dass die Naturphilosophie auf der Wissenschaft vom Menschen beruhe. Als empirische Wissenschaften verlassen sie sich z. B. auf Schlussformen, die Hume im Treatise erst untersucht. Aus der Perspektive des hypothetischen Realismus (K18) kann der Naturwissenschaftler die Ursachen von Eindrücken erforschen. Aber der phänomenologischen Einstellung (K18) zufolge sind Eindrücke der Ausgangspunkt. Sie „entstehen ursprünglich in der Seele, aus unbekannten Ursachen“ (T 1.1.2.1; Bd. 1, S. 375). K22: GEDÄCHTNIS … EINBILDUNGSKRAFT … Dies sind die beiden Ideen bildenden und mithin repräsentierenden Vermögen in Humes Theorie des Geistes. Es sind die einzigen repräsentierenden geistigen Vermögen, denn Hume bestreitet hier implizit und später explizit die Existenz eines höheren, geistigen Vermögens (T 1.3.1.7; Bd. 1, S. 386 f.). Entsprechend unterscheidet Hume Ideen: Es gibt Ideen des Gedächtnisses und Ideen der Einbildung (zu Gedächtnis und Einbildungskraft vgl. Traiger 2008; zum Gedächtnis vgl. Kemp Smith 1941, Kap. 11; Flage 1984; Pears 1990, Kap. 3; nur zur Einbildungskraft vgl. Fogelin 1985, 53–63; Garrett 1997, Kap. 1). K23: mit zwei verschiedenen Bedeutungen … Hume setzt die Einbildungskraft einerseits dem Gedächtnis (T 1.1.3; Bd. 1, S. 376f.; T 1.3.5) und andererseits der Vernunft (reason) gegenüber, leugnet aber die Existenz eines eigenständigen höheren geistigen Vermögens (T 1.3.1.7; Bd. 1, S. 386f.). Wie kann er die Einbildungskraft der Vernunft gegenüber stellen? Hume behauptet, dass es zwei repräsentationale Vermögen gibt: Gedächtnis und Einbildungskraft (T 1.1.3; Bd. 1, S. 376f.). Die Vernunft ist jedoch kein repräsentationales, sondern ein inferentielles Vermögen. Dabei werden Ideen in der Einbildungskraft oder Ideen des Gedächtnisses und der Einbildungskraft verbunden. Im ersten Sinne umfasst die Einbildungskraft also alle Ideen, die nicht zum Gedächtnis gehören, im zweiten Sinne umfasst sie alle Ideen, die durch Intuition und Demonstration oder Erfahrung miteinander verbunden sind. Ausgeschlossen sind Einbildungen, Fantasien, ungeprüfte Ideen usw. Auch der Begriff der Vernunft bei Hume hat mehrere Bedeutungen (Winters 1979). Hume bezieht diesen Begriff nicht nur auf intuitive, deduktive oder apriorische Erkenntnis, sondern auch auf Wahrscheinlichkeitserkenntnisse.
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K24: drei Eigenschaften, die für diese Assoziation verantwortlich sind … Das Kapitel über Ideenassoziation bei Locke (Essay II, xxxiii) befasst sich vorwiegend mit der pathologischen und unvernünftigen Verbindung von Ideen. Bei Hume wird die Rolle der Assoziation grundlegend (A 35; Bd. 1, S. 381). Es gibt drei grundlegende Prinzipien der Assoziation: Ähnlichkeit, Kontiguität, Kausalität. Ideen werden nach allen drei Prinzipien assoziiert, Eindrücke primär nach Ähnlichkeit (T 2.1.4.3). Die Ähnlichkeit ist die grundlegendste Assoziationsrelation (vgl. T 1.1.5.3; Bd. 2: Essay [10.3.3–4]). Die drei Assoziationsprinzipien nennt Hume „natürliche Relationen“. Ihnen werden sieben „philosophische Relationen“ an die Seite gestellt: Ähnlichkeit, Identität, räumliche und zeitliche Kontiguität, Quantität und Anzahl, Grade der Qualität, Widersprüchlichkeit und Kausalität (vgl. T 1.1.5). K25: infolge langer Gewohnheit … Gewohnheit (custom), nicht Vernunft, ist für Hume also die Grundlage aller Wahrscheinlichkeitsschlüsse (T 1.3.7.6; Bd. 1, S. 392; vgl. Enquiry 5.1). Gewohnheit spielt, als Konvention, auch in der Theorie der abstrakten Ideen eine wichtige Rolle (T 1.1.7.7; Bd. 1, S. 384 f.). K26: später die Gelegenheit haben … Hume widmet den größten Teil des ersten Buchs des Treatise der Kausalität, nämlich T.1.3.2–15. Dazu gehören die Theorie der Überzeugung (vgl. T 1.3.7–10) und der Wahrscheinlichkeit (vgl. T 1.3.11–13). Für das sog. „Induktionsproblem“ vgl. Enquiry 4–5. K27: in unserer Fantasie … Den Ausdruck „fancy“ verwendet Hume, wenn er die Ungebundenheit der Einbildungskraft (imagination) betonen möchte. Die in der Fantasie verbundenen Ideen verlangen uns keinen Glauben ab (K50; vgl. T 1.3.9). Als Fantasie ist die Einbildungskraft der Vernunft entgegengesetzt (K23). K28: den Platz jener untrennbaren Verbindung … Hume hat in T 1.1.3 (Bd. 1, S. 376 f.) das Gedächtnis von der Einbildungskraft dadurch unterschieden, dass die Ideen im Gedächtnis der Reihenfolge und Ordnung ihres Eintretens bzw. ihrer vorgängigen Erscheinung als Eindrücke gemäß wieder abgerufen werden können. Die Assoziationsprinzipien übernehmen nun die Rolle, den Ideen der Einbildung Reihenfolge und Ordnung zu verleihen. K29: Art von ANZIEHUNG … Hume schreibt „ATTRACTION“. Damit zieht er eine Parallele zu Newtons Mechanik, in der die Gravitation oder Anziehungskraft gleichsam „der Kitt des Universums“ ist. Für uns sind Assoziationen der „Kitt des Universums“ (A35; Bd. 1, S. 381).
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K30: größtenteils unbekannt … Hume behandelt die drei Prinzipien der Assoziation also explanatorisch basal und theoretisch primitiv. Das schließt nicht aus, dass die Mechanismen, die der Assoziation zugrunde liegen, in der Perspektive des hypothetischen Realismus (K18) Untersuchungsgegenstand der Naturwissenschaft werden können. K31: Bildung zusammengesetzter Ideen … Die drei Prinzipien der Assoziation verbinden Ideen aber auf zwei verschiedene Arten: Einfache Ideen werden zu zusammengesetzten Ideen verbunden und (zusammengesetzte oder einfache) Ideen werden zu Folgerungen verbunden, beispielsweise als Kausalschlüsse. K32: Substanz und Akzidenz … Hume folgt in seiner Auffassung von Substanz teilweise Locke. Er verwirft aber dessen reale Essenzen. Seine Auffassung von Substanzen und Modi muss im Zusammenhang mit der Theorie abstrakter Ideen betrachtet werden (T 1.1.7). Für den Stellenwert von Humes Kritik am Substanzmodell vgl. Bd. 2: systematischer Essay (10.3), S. 403 f. K33: ein bedeutender Philosoph … Gemeint ist Berkeley. Hume folgt Berkeleys Kritik, untermauert sie jedoch mithilfe des Kopieprinzips (K12) und des Trennbarkeitsprinzips (K35). Anders als Berkeley greift Hume zur Erklärung allgemeiner Ideen nicht auf individuelle Sprecherabsichten zurück, sondern auf die Konvention und die Sprechergemeinschaft (vgl. Baier 1991). Die Bedeutung eines Ausdrucks ist eine bestimmte Idee, die durch Konvention mit der Äußerung eines Wortes kausal und durch Ähnlichkeit mit einer Klasse weiterer Ideen assoziiert ist. K34: vor einem klaren Dilemma … Wie kann eine Idee für unendlich viele Dinge stehen? Entweder sind Ideen abstrakt oder der Verstand vermag unendlich viele Dinge zu repräsentieren. Hume akzeptiert das zweite Horn des Dilemmas: „Wir haben dadurch das eingangs formulierte Paradox gelöst, dass einige Ideen zwar eine bestimmte Natur haben, aber auf allgemeine Weise repräsentieren.“ (T 1.1.7.10) K35: Wir haben bereits festgestellt, dass alle Objekte, die verschieden sind, auch unterscheidbar sind, und dass alle Objekte, die unterscheidbar sind in Gedanken oder in der skraft getrennt werden können … Dies ist Humes prägnanteste Formulierung des „Trennbarkeitsprinzips“ (Seperability Principle). Das Trennbarkeitsprinzip gilt sowohl für Eindrücke als auch für Ideen und hat einen dem Kopieprinzip (K12) vergleichbaren Stellenwert. Hume führt das Trennbarkeitsprinzip hier als bekannt ein („Wir haben bereits festgestellt …“). Damit verweist er auf T 1.1.3.4 (Bd. 1, S. 376 f.) und T 1.1.4.1 (Bd. 1, S. 377 f.). Das Trennbarkeitsprinzip hängt von der Klarheit der Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Perzeptio-
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nen ab (K8). Das Trennbarkeitsprinzip wird weiter in T 1.1.7.17–18 (Bd. 1, S. 385 f.) diskutiert. Eine ausführliche Verteidigung des Trennbarkeitsprinzips findet sich bei Garrett 1997, Kap. 3; kritisch hingegen ist Weintraub 2007. K36: nur Einzeldinge gibt … Hume bekennt sich wie Berkeley zum Nominalismus. Beide bestreiten die Existenz von abstrakten Ideen, und ersetzen sie durch mit sprachlichen Ausdrücken assoziierte, bestimmte Ideen mit allgemeiner Funktion (K33). Metaphysisch ist Nominalismus die These, dass es nur Einzeldinge, aber keine Universalien gibt (vgl. den systematischen Essay, Bd. 2, 9.3). K37: klare und deutliche Idee … Für Descartes ist eine Idee klar, wenn der Geist alle ihre Eigenschaften erfasst, deutlich, wenn er sie von anderen Ideen unterscheidet (Principia, AT VIII A, 22). Ganz ähnlich ist für Hume eine Idee klar, die in allen Einzelheiten determiniert ist, deutlich, wenn sie von anderen Ideen trennbar ist. K38: nichts, wovon wir eine klare und deutliche Idee bilden können, ist unsinnig oder unmöglich … Dies ist die prägnanteste Formulierung des „Vorstellbarkeitsprinzips“ (Conceivability Principle). Alles, was vorstellbar ist, ist auch möglich. Vorstellbarkeit ist mithin das Kriterium der Möglichkeit (Garrett 1997, 24). Es handelt sich um ein epistemisches Kriterium für die Modalität der Möglichkeit. Hume setzt das Vorstellbarkeitsprinzip an verschiedenen Orten ein (vgl. die Kritik des Substanzbegriffs, vgl. T 1.4.5). Die Rückseite des Vorstellbarkeitsprinzips ist das Unvorstellbarkeitsprinzip (Inconceivability Principle), dem zufolge alles, was nicht vorstellbar ist, unmöglich ist. (Für Kritik am Vorstellbarkeits- und Unvorstellbarkeitsprinzip vgl. Tidman 1994 bzw. Lightner 1997.) K39: der Bezug einer Idee zu einem Objekt ist eine ihr äußerliche Eigenschaft … Hume spricht von „extrinsic denomination“ und verweist damit auf einen scholastischen Fachausdruck, nämlich die denominatio extrinseca, dem die denominatio intrinseca gegenüber steht. Eine Benennung ist extrinsisch, wenn sie der benannten oder erkannten Sache nichts hinzufügt. Hume macht hier eine wichtige Aussage. Er behauptet, dass die Repräsentationsrelation keine einer Idee intrinsische, sondern eine ihr äußere Relation ist. Ähnlichkeit allein kann eine Repräsentationsrelation also nicht fundieren, hinzu kommen muss die Kausalität (K12). K40: so geben wir ihnen den gleichen Namen … Eine allgemeine Idee ist eine individuelle Idee, die eine Menge unterschiedlicher, aber ähnlicher Einzeldinge repräsentiert. Humes Theorie werden verschiedene Probleme nachgesagt. Ein bekannter und schwerwiegender Vorwurf an nominalistische Ähnlichkeitstheorien lautet, dass sie zirkulär sind: Damit ein Aus-
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druck („Hund“) und eine mit diesem Ausdruck assoziierte Einzelidee (Fido) eine Klasse ähnlicher Ideen (Fido, Lassie usw.) repräsentieren kann, muss bereits die relevante Ähnlichkeit zwischen diesen Ideen festgestellt worden sein. Aber die Feststellung der relevanten Ähnlichkeit scheint die allgemeine Idee von Hund (das, worin alle Hunde übereinstimmen) bereits vorauszusetzen. Hume sieht dieses Problem und versucht in T 1.1.7.7.APP (Bd. 1, S. 384 f.) eine Antwort zu geben. K41: Vernunftunterscheidung (distinction of reason) … Es handelt sich um einen Ausdruck der Scholastiker. Allgemein gesagt verweist eine distinctio realis auf einen Unterschied in den Gegenständen, die Unterscheidungen der distinctio rationis hingegen „sind durch unseren Geist den Dingen aufgeprägte Unterschiede, wie derjenige zwischen der linken und der rechten Seite eins Dinges“ (Micraelius 1661, 396 f.). K42: sind aber außerstande, Farbe und Form zu trennen oder zu unterscheiden … Dieser Absatz wirft ein Interpretationsproblem auf. Dem Trennbarkeitsprinzip zufolge ist alles, was verschieden ist, unterscheidbar, und alles, was unterscheidbar ist, trennbar, und umgekehrt (K35). Nun behauptet Hume, dass Farbe und Form, Form und Körper, Körper und Bewegung nicht verschieden sind, aber durch eine Vernunftunterscheidung (K41) unterscheidbar. Dem Trennbarkeitsprinzip müssten diese Eigenschaften auch verschieden sein. Einige Interpreten behaupten, Hume schränke das Trennbarkeitsprinzip ein (Kemp Smith 1941, 266; Bricke 1980, 71). Hume setzt das Prinzip jedoch weiterhin uneingeschränkt ein (vgl. T 1.2.1–5; T 1.3.3.3; T 1.4.5.5). Man kann sagen, dass durch die Vernunftunterscheidung Aspekte von Perzeptionen unterschieden werden. Diese Aspekte entstehen durch assoziative Relationen, es handelt sich deshalb um relationale Eigenschaften von Perzeptionen, nicht um intrinsische Eigenschaften oder um Teile von Ideen (vgl. Garrett 1997, Kap. 3). K43: allein die höheren Seelenvermögen … Viele Vorgänger Humes unterscheiden scharf zwischen Einbildungskraft und Intellekt, so etwa Descartes (Med. 6, AT VII 72 f.; Bd. 1, S. 71 f.). Hume argumentiert, dass ein höheres Vermögen wie der Intellekt überflüssig sei. Hume kennt nur Gedächtnis und Einbildungskraft als Ideen herstellende und verarbeitende Vermögen. Warum? (1) Es gibt keine abstrakten Ideen (T 1.1.7), aus diesem Grund braucht es auch kein Vermögen der Abstraktion und der Verarbeitung abstrakter Ideen. (2) Höhere Vermögen verarbeiten unbestimmte Ideen oder repräsentieren unbestimmte Objekte. Wir können uns aber keine unbestimmten Ideen und keine klaren Ideen von unbestimmten Objekten bilden (T 1.1.7.6; Bd. 1, S. 383 f.). (3) Da der
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Ursprung der Ideen in den Eindrücken liegt, bedarf es lediglich der Ideen als Kopien in der Einbildungskraft (T 1.1.1.7; Bd. 1, S. 371). K44: die wir uns nicht als existierend vorstellen … Hume schließt hier an Berkeleys esse est percipi an: Wenn Sein nicht anderes als Perzipiertwerden ist, lässt sich die Idee der Existenz nicht von der Idee dessen, was perzipiert wird, trennen, weil beide nicht voneinander unterschieden werden können: „Über etwas nachdenken und über es als existierend nachdenken ist nichts Unterschiedenes.“ (T 1.2.6.4; Bd. 1, S. 388; vgl. Cummins 1991) K45: jede Idee aus einem ihr ähnlichen Eindruck entsteht … In diesem Absatz bringt Hume das Kopieprinzip (K12) und das Trennbarkeitsprinzip (K35) zur Anwendung. Das Kopieprinzip stellt die beiden Alternativen zur Verfügung. Das Trennbarkeitsprinzip wird nun eingesetzt, um die zweite Alternative zu begründen: Die Idee der Existenz kommt allen Perzeptionen zu, wir finden aber nichts, dass sich gleichermaßen von allen Perzeptionen abtrennen ließe. K46: Idee der äußeren Existenz … Gemeint ist die Existenz kontinuierlicher und vorstellungsunabhängiger Gegenstände. Der Glaube an die kontinuierliche und unabhängige Existenz äußerer Gegenstände existiert natürlich und instinktiv und ist deshalb gegen Argumente, wie diejenigen Berkeleys, immun (vgl. T 1.4.2.1, Enquiry 122, 155 FN). Allerdings muss die Wissenschaft vom Menschen die Ursachen für diesen Glauben rekonstruieren können (vgl. T 1.4.2). K47: der Art nach verschieden … Humes Ausdruck ist „specifically“. Mit „spezifisch“ ist hier aber „gemäß der Art“ gemeint. Der Schluss des Arguments lautet, dass wir uns nichts vorstellen können, das von anderer Art ist als eine Perzeption. K48: relative Idee … Hume wird häufig als Philosoph betrachtet, der wie Berkeley die Idee perzeptionsunabhängiger Objekte, die unsere Perzeptionen verursachen und von unseren Perzeptionen repräsentiert werden, als sinnlos betrachtet (vgl. Enquiry 12.1.123). Warum aber behauptet Hume dann, dass wir eine relative Idee von solchen Objekten bilden können? Flage (1981, 1990, 2000) hat eine einflussreiche Deutung der relativen Idee bei Hume entwickelt. Flage zufolge unterscheiden Autoren des 17./18. Jh.s zwischen positiven (bildlichen) und relativen (deskriptiven) Ideen, so auch Hume (Flage 1981, 1990). Eine relative Idee „functions in the cognitive realm (realm of ideas) in the same way that a definite description functions in the linguistic realm“. (Flage 1982, 158) Flage greift damit auf die Theorie der definiten Beschreibungen von Russell (1912) zurück. Eine relative Idee besteht aus einer positiven
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Idee und einer Relation zu etwas, von dem man keine positive Idee hat oder haben kann. So kann man die relative Idee einer „äußeren Existenz“ oder „eines perzeptionsunabhängigen Dinges“ wie folgt formulieren: Das äußere oder perzeptionsunabhängige Objekt, das diese Idee verursacht hat. K49: Davon aber später mehr … Hume verweist hier auf den Abschnitt „Of Scepticism with regard to the Senses“ (T 1.4.2). Dieser Abschnitt handelt von der äußeren Existenz der Wahrnehmungsobjekte. Hume analysiert dabei „äußere“ Existenz als „kontinuierliche“ und „von uns unabhängige“ Existenz (vgl. Price 1940; Wright 1983; Fogelin 1985, 64–79; Wilson 1989; Wild 2008). K50: die Natur der Überzeugung bzw. die Eigenschaften jener Ideen, denen wir unsere Zustimmung geben … Humes Theorie der Überzeugung ist überraschend simpel: „Eine Meinung oder eine Überzeugung kann deshalb am besten definiert werden als eine lebhafte Idee, die mit einem gegenwärtigen Eindruck assoziiert oder verbunden ist.“ (T 1.3.7.5; Bd. 1, S. 391) Sie hat wenig Zustimmung und viel Kritik gefunden (pointiert: Kemp Smith 1941, 378; Flew 1980, 98 f.; Hodges und Lachs 1976; Stroud 1977, 10; differenzierter: MacNabb 1966, Kap. 5; Bricke 1980, Kap. 6; Passmore 1980, Kap. 5; Pears 1990, Kap. 4–5; rekonstruktiv: Loeb 2002). Folgende Punkte sind bei einer Interpretation zu beachten: (1) Humes Theorie der Überzeugung will erklären, wie man glauben kann, dass etwas, das weder den Sinnen noch dem Gedächtnis gegenwärtig ist, existiert. (2) Hume ist der Ansicht, dass er eine neue Frage stellt, da er glaubt, dass das Tatsachenwissen und daraus resultierende Überzeugungen bislang nicht adäquat vom intuitiven und demonstrativen Wissen unterschieden worden sind. Überzeugungen sollen nicht als Produkt der Vernunft, sondern von Erfahrung und Gewohnheit erklärt werden. Hume betrachtet Überzeugungen in starker Analogie zu Wahrnehmungen. Überzeugungen sind deshalb keine unsicheren Abschwächungen von intuitivem oder demonstrativem Wissen, sondern stabilisierte Formen von Erinnerung und Wahrnehmung. (3) Humes Theorie der Überzeugung findet in der oben zitierten Definition noch nicht ihren Abschluss, denn er formuliert in T 1.3.9. einen Selbsteinwand und erweitert die Theorie. (Zu Überzeugung und Rechtfertigung vgl. Costa 1981; Loeb 2002.) K51: dass Gott existiert … Vgl. zu diesem Beispiel T 1.3.7.5 FN (Bd. 1, S. 391 f.) und K56. Hume argumentiert: Würde die Idee der Existenz der Idee Gottes etwas hinzufügen, dann würde sich A, der überzeugt ist, dass Gott existiert, eine andere Idee vorstellen, als B, der einfach an Gott denkt, ohne von seiner Existenz überzeugt zu sein. Doch A und B bilden
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die gleiche Idee, wenn sie sich Gott vorstellen. Beide stellen sich Gott als existierend vor, aber nur A hat die Überzeugung, dass Gott wirklich existiert. Der Unterschied zwischen A’s und B’s Vorstellung kann also nicht in der Idee der Existenz bestehen. Der Unterschied, so Hume, muss in der Weise bestehen, wie A die Idee Gottes vorstellt. K52: Für Sätze, die sich durch Intuition oder Demonstration beweisen lassen, ist die Antwort leicht … Hume unterscheidet strikt zwischen Relationen zwischen Ideen [Relations of Ideas] und Tatsachen [Matters of Fact], was für seine Philosophie von zentraler Bedeutung ist. Sie wird als „Humes Gabelung“ oder „Humes Gabel“ bezeichnet (Flew 1980, Kap. 3). Intuitionen und Demonstrationen gehören auf die Seite der Relationen zwischen Ideen, Kausalschlüsse auf die Seite der Tatsachen. Humes Gabelung wird bisweilen im Sinne des logischen Positivismus interpretiert oder im Sinne der Unterscheidung analytisch/synthetisch (Dicker 1998, Kap. 2). K53: sich beiden Seiten der Frage zuzuwenden … Hume meint eigentlich beide Seiten einer Aussage bzw. Reaktionsmöglichkeiten auf Aussagen, denn Aussagen kann man zustimmen oder nicht zustimmen. Eine Aussage kann man auch als Frage formulieren, etwa: „Ist Cäsar im Bett gestorben?“ Hierauf kann man affirmativ mit „Ja“ oder negativ mit „Nein“ antworten, d. h. man kann der Aussage „Cäsar ist im Bett gestorben“ zustimmen oder nicht. Der Einbildungskraft steht es frei, einer Aussage oder einer Idee die Zustimmung zu geben oder zu verweigern. K54: nur einen Teil der Wahrheit enthält … Hume stellt kurz die Überlegung auf, dass die Überzeugung hinsichtlich einer Idee x der Effekt eines anderen „Ideensystems“ sein könnte. Wenn A und B sich die Idee x vorstellen, so könnte A’s Überzeugung, dass das durch x repräsentierte Objekt wirklich ist, ein Effekt seiner sonstigen Ideen, Überzeugungen und den Relationen zwischen ihnen sein. B verfügt nicht über dieses Ideensystem. Dieser Unterschied könnte erklären, warum A eine Überzeugung über x hat, B hingegen nicht. Hume führt diese Überlegung an dieser Stelle aus methodischen Gründen nicht weiter. Er möchte zuerst den „Unterschied zwischen Glauben und Nichtglauben“ (T 1.3.7.3; Bd. 1, S. 390) analysieren, bevor er auf Ursachen (T 1.3.8) und Wirkungen dieses Unterschieds eingeht (T 1.3.9). K55: repräsentiert die Idee ein anderes Objekt oder einen anderen Eindruck … An dieser Stelle macht Hume das erste Unterscheidungskriterium zwischen Idee und Eindruck stark, nämlich den Grad an Kraft und Lebendigkeit (K3). Aus dem Kopieprinzip folgt (K12), dass eine (einfache) Idee ihrem entsprechenden (einfachen) Eindruck exakt ähnlich ist.
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K56: Unterteilung der Verstandestätigkeiten in Vorstellung, Urteil und Schluss … Diese FN ist der (ersten) Definition der Überzeugung angefügt. Sie ist für das Verständnis von Humes Theorie der Überzeugung wichtig. Humes Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Logik ist durchgehend kritisch. Dies gilt sowohl für die scholastische als auch für die neue Logik, wie sie sich etwa in der Logique du Port Royal findet (vgl. Echelbarger 1997; Owen 1999). Aus den Logiklehrbüchern der Zeit übernimmt Hume die Dreiteilung von „conception, judgment and reasoning“, die freilich bereits den scholastischen Logiken zugrunde liegt. Eine Vorstellung ist die Bildung oder Wahrnehmung einer Idee, ein Urteil das Verbinden mehrer Ideen, ein Schluss die Verbindung mehrer Urteile. Hume ist der Auffassung, dass in einer bestimmten Art der Vorstellung, nämlich in der Überzeugung, bereits alle drei Akte enthalten sind (hier scheint Hume Gedanken von Locke weiterzuführen, vgl. Essay II, ix, 8, 10). Wie ist dies zu verstehen? (1) Erklärungsziel: Humes Theorie der Überzeugung will erklären, wie man glauben kann, dass etwas, das weder den Sinnen noch dem Gedächtnis gegenwärtig ist, existiert. (2) Urteil: Der Inhalt einer solchen Überzeugung ist eine Idee (Gott). Eine solche Überzeugung ist zwar ein Urteil (Gott existiert), aber der Inhalt verbindet nicht zwei oder mehr Ideen, denn Existenz ist keine eigene Idee (T 1.2.6). Deshalb sagt Hume, es sei nicht wahr, „dass in jedem Urteil, das wir bilden, zwei verschiedene Ideen vereint“ sind. Wir können „einen Gedanken [proposition] bilden […], der nur eine Idee enthält“. Doch versteht man unter einer Proposition nicht etwas Strukturiertes? Überzeugungen werden bisweilen als Relationen zu Propositionen aufgefasst. Beispiel „Ich glaube, dass es gleich knallen wird.“ Diese Überzeugung besteht aus mehreren Teilen (oder Ideen). Der Inhalt dieser Überzeugung ist die Proposition „Es wird gleich knallen“. Auch sie besteht aus mehreren Teilen (oder Ideen). Hume leugnet nicht, dass wir derart zusammengesetzte Gedanken bilden können. Er ist aber der Ansicht, dass wir Überzeugungen haben können, die nur eine Idee zum Inhalt haben wie „Gott existiert“, „Ich bin“, „Rom existiert“, „Es wird heiß“, „Es ist laut“, „Ich sehe Schnee“, „Ich habe Hunger“, „Ich liebe Hans“ oder „Ich denke an die 17“. Die ein-ideeige Überzeugung „Gott existiert“ unterscheidet sich nicht von der bloßen Vorstellung „Gott existiert“ (T 1.3.7.2; Bd. 1, S. 389). Was macht sie zu einer Überzeugung? Humes Antwort (T 1.3.7.5; Bd. 1, S. 391 f.) lautet, der Unterschied bestehe in der Kraft und Lebendigkeit (K3). Diese werden auf Ideen übertragen (T 1.3.5.1; T 1.3.6.15; Bd. 1, S. 388 f.). Die Übertragung erfolgt durch Assoziation (T 1.3.8.2), und zwar durch die Assoziation von Ur-
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sache und Wirkung. (3) Schluss: Hume betrachtet diese Assoziation als Schluss, man schließt von einem präsenten Sinneseindruck oder einer präsenten Idee des Gedächtnisses auf eine Idee. Durch diesen Schluss wird der Idee Kraft und Lebhaftigkeit übertragen. Folglich gibt es keine Überzeugung ohne zugrundeliegenden Schluss. Der Schluss wird durch die Vernunft (K23) vollzogen. Deshalb meint Hume, man könne die „Vernunft zum Einsatz bringen, ohne mehr als zwei Ideen zu verwenden“. Somit sind in einer Überzeugung vereint: Eine Vorstellung (die Idee von Gott), ein Urteil (die Idee von Gott als existierend), ein kausaler Schluss (von einem Eindruck auf die Idee). Aus diesem Grund schreibt Hume über Urteil und Schluss: „Sie fallen letztlich alle mit der ersten zusammen, d. h. sie sind nur besondere Arten der Vorstellung“, d. h. eine Überzeugung im Sinne des Erklärungsziels. K57: Für die Prämisse: „ … entweder dem Gedächtnis oder den Sinnen“ wurde in T 1.3.5 argumentiert. Für diese Prämisse: „ … der Geist kann seinen Schlüssen nicht in infinitum hinterher laufen …“ wurde in T 1.3.4 argumentiert. Für diese Prämisse: „… nicht durch die Vernunft bestimmt, sondern …“ wurde in T 1.3.6 argumentiert. K58: das folgende allgemeine Prinzip … Dieses Prinzip ist für Humes Wissenschaft vom Menschen (vgl. Bd. 2: Einleitung [10.1]) von größter Bedeutung. Man kann es als „Übertragungsprinzip“ bezeichnen. Es ist in vager Analogie zu Newtons zweitem Bewegungsgesetz gebildet und stellt die Grundlage der kognitiven Dynamik in Humes Psychologie dar. K59: Lebensgeister … Lebensgeister sind materielle Übermittler von äußeren oder inneren Einwirkungen auf das Nervensystem. Hume nimmt hier die Perspektive des hypothetischen Realisten (K18) ein und akzeptiert diese gängige physiologische Theorie seiner Zeit (vgl. Wright 1983).
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10.3 Essay: Humes Nominalismus – einfache Eindrücke als Tropen Tropes are brought before the mind by an act of abstraction. That is the sense, and the only sense, in which they are abstract entities. They are in Humes sense substances, and indeed resemble his impressions, conceived realistically rather than idealistically. (Campbell 1983, 130)
10.3.1 Hume als Metaphysiker Hume gilt als strenger und scharfsinniger Kritiker der Metaphysik seiner Vorgänger. Thomas Reid aber, der Kritiker Humes, preist den Verfasser des Treatise „as the greatest Metaphysician of the Age“. Wie passt das zusammen? Hat Hume die Metaphysik nicht durch Epistemologie und Psychologie ersetzt? Tatsächlich ist Reid (und viele weitere Leser von Hume) dieser Ansicht, denn er glaubt, Humes System sei „founded upon one principle“ nämlich, dass „all objects of human thought are either Impressions or Ideas“.1 Reid versteht Hume so, dass dieser mit seiner Unterscheidung zwischen Eindrücken und Ideen schlicht eine Unterscheidung innerhalb der Ideentheorie und mithin innerhalb einer Klasse psychischer oder epistemischer Entitäten eingeführt hat. Demgegenüber soll in diesem systematischen Essay behauptet werden, dass man Humes einfache Eindrücke nicht als psychische oder epistemologische Entitäten auffassen muss, sondern mit guten Gründen als eine ontologische Kategorie verstehen kann. Humes Eindrücke sind keine Einwirkungen auf die Sinne oder Resultate von Einwirkungen auf die Sinne, sondern partikuläre oder spezifische Eigenschaften. Solche Eigenschaften werden in der gegenwärtigen Metaphysik als „Tropen“ bezeichnet (vgl. Abschnitt 3.3).2 Hume ist also in der Tat ein großer „Metaphysician of 1 2
Reid 1997, 257. Der Ausdruck „Tropen“ mag seltsam klingen. Normalerweise versteht man unter „Tropen“ ein bestimmtes Klima, einen Bereich um den Äquator, Figuren der Rhetorik und der Argumentation oder bestimmte Tonfolgen. Einzeleigenschaften werden manchmal auch als „abstrakte Individuen“, „individuelle Eigenschaften“, „Qualitons“, „individuelle Akzidentien“ bezeichnet. Edmund Husserl nannte sie „Momente“. Eine systematische Ausarbeitung findet sich bei Campbell 1990 und Bacon 1995. Der Ausdruck „Trope“ wurde von Donald C. Williams eingeführt,
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the Age“, aber anders als Reid denkt. Er steht mit einem Bein außerhalb der Ideentheorie und ist unterwegs zu einer Ontologie, die ohne Substanzen, Essenzen und Universalien auszukommen versucht. Zweifellos sind Ideen für Hume mentale Repräsentationen und Assoziationen zwischen Ideen mentale Assoziationen. Aber was ist mit Eindrücken? Genauer: mit Eindrücken der Empfindung? Ideen repräsentieren Eindrücke, doch Eindrücke repräsentieren nicht. Folglich sind sie auch keine Repräsentationen. Ähnlich wie Berkeley macht Hume nicht Dinge zu geistigen Eindrücken, sondern Eindrücke zu Dingen. Eindrücke repräsentieren nicht Dinge, sie sind die Dinge (genauer: Dinge sind Bündel von Eindrücken). Deshalb verbergen sich in Humes Ontologie hinter diesen Dingen auch keine merkwürdigen realen „Doppelgänger“ mehr. Aber sind Eindrücke nicht doch mentale Entitäten, nämlich nichtrepräsentationale? Anders als Berkeley beharrt Hume nicht darauf, dass Eindrücke geistige Entitäten sein müssen, sie können nämlich prinzipiell auch unabhängig vom Geist existieren. Hume bezeichnet Eindrücke häufig als „Objekte“. Mit dem Ausdruck „Objekt“ meint Hume je nach dem „Dinge, die im Geist existieren“, oder „intentionale Objekte von Ideen“ oder aber „äußere, geistunabhängige Dinge“ (vgl. K1).3 Weiter ist Hume der Auffassung, dass Eindrücke unabhängig von ihrem Perzipiertwerden, d.h. unabhängig vom Geist, existieren können (vgl. T 1.4.2.40). Perzeptionen können selbständig existieren, denn sie sind abtrennbar (vgl. K35). Es ist vorstellbar und deshalb möglich, dass Perzeptionen unabhängig vom Geist existieren (vgl. T. 1.4.2.40; siehe außerdem K38). Es ist also durchaus möglich, Eindrücke als nicht-mentale Entitäten aufzufassen, und zwar nicht allein als intentionale Objekte (die stets einen Bezug zum Geist haben), sondern eben als geistunabhängige Objekte. Dieses Prinzip ist für die folgende Deutung einfacher Eindrücke als Tropen entscheidend.4 Es gibt darüber hinaus einen natürlichen Grund in der Metaphysik mit Tropen anzufangen: die spezifischen Eigenschaften von Dingen sind nämlich das erste, was uns im über die Sinne vermittelten Umgang mit der Welt begegnet. Für einen empirischen Philosophen ist es deshalb
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der bereits bemerkt, dass „the ideas of Locke and Berkeley, the ideas and impressions of Hume“ mit Gewinn als Tropen aufgefasst werden können (Williams 1953, 17). Da der Ausdruck sowohl von Williams als auch von Campbell 1983 (vgl. das obige Motto) mit Bezug auf Hume verwendet wird, soll er hier beibehalten werden. Vgl. Grene 1994. Kail 2007, 28 f. spricht von einem grundlegenden Prinzip der Humeschen Philosophie.
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auch natürlich mit diesen Eigenschaften anzufangen. Doch dies bedeutet nicht, dass er diese Eigenschaften nur deshalb, weil wir ihnen in der sinnlichen Erfahrung begegnen, zu psychischen oder epistemischen Entitäten machen muss. Offenbar wird Hume jedoch oft so verstanden.5 Man kann die These, dass Eindrücke die basale ontologische Kategorie in Humes Philosophie sind, auch durch eine Betrachtung seiner Kritik des Substanzmodells motivieren. Perzeptionen sind nämlich ontologisch nicht darauf angewiesen im Geist zu existieren, sie inhärieren dem Geist nicht wie Attribute einer Substanz und sind auch keine Modifikationen einer Substanz (vgl. T 1.4.5). Der Geist ist nämlich „ein Bündel oder eine Ansammlung verschiedener Perzeptionen, die durch bestimmte Beziehungen untereinander verbunden sind“ (T 1.4.6.4; vgl. T 1.1.6.1–2). Perzeptionen bildet sich der Geist nicht ein, sondern sie bilden den Geist. Hume erläutert: „Ich sage, dass sie den Geist bilden [compose], und nicht zu ihm gehören. Der Geist ist keine Substanz, dem Perzeptionen inhärieren.“ (A 28)6 In der Philosophie des 17. Jahrhunderts gibt es verschiedene Auffassungen davon, was Ideen sind. Aber fast allen Auffassungen zufolge sind Ideen Eigenschaften eines Geistes, d. h. einer immateriellen Substanz. So sind sie Modifikationen der denkenden Substanz (Descartes), Eigenschaften von Geistern (Berkeley), Modifikationen von Gottes Attribut des Denkens (Spinoza) usw. Das ontologische Modell, das diesen Auffassungen zugrunde liegt, kann man als „Substanzmodell“ bezeichnen: Eigenschaften (Attribute oder Modi) inhärieren einer Substanz, die sie gleichsam trägt, selber aber nicht getragen wird, sondern selbstständig existiert. Das Substanzmodell wird nicht nur auf den Geist angewandt, sondern auch auf die Materie. Entweder sind Gegenstände selbst Substanzen, die Eigenschaften haben, oder Gegenstände sind Modifikationen einer Substanz. Hume verwirft das Substanzmodell (vgl. T 1.4.3–5). Das hat erhebliche Folgen. So betrachtet er 5
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Daran trägt sicher auch Humes vieldeutige Begriffsverwendung Schuld. Die folgende Stelle etwa scheint gegen die hier vorgeschlagene Deutung zu sprechen: „When we feel a passion or emotion, or have the images of external objects conveyed by our senses; the perception of the mind is what he calls an impression.“ (A 5, vgl. T 1.1.1.1 FN). Hier spricht Hume noch von Eindrücken als Bildern (obwohl sie keine Kopien sind), von Perzeptionen des Geistes (als würden sie einer Substanz inhärieren) und trennt noch nicht zwischen dem Akt des Empfindens oder Wahrnehmens und dem Objekt (dem Empfundenen oder Wahrgenommenen). „Humean perceptions cannot possibly be defined as an object of knowing or awareness, unless we completely disregard his explicit rejection of a self that can make such knowing or awareness possible.“ (Butchvarov 1959, 104)
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den Streit um die Frage, ob Ideen und andere Perzeptionen einer materiellen oder einer immateriellen Substanz inhärieren, als müßig (vgl. T 1.4.5.6). Hume kritisiert das Substanzmodell auf vielfältige Weise. Für unsere Zwecke ist die folgende Überlegung wichtig, die von einer verbreiteten Definition der Substanz ausgeht: „substance is something which may exist by itself.“ (T 1.4.5.5)7 Hume diskutiert diesen Vorschlag, indem er sich auf zwei für ihn grundlegende Prinzipien beruft. Dem Vorstellbarkeitsprinzip (K38) gemäß ist „nichts, wovon wir eine klare und deutliche Idee bilden können, […] unsinnig oder unmöglich“ (T 1.1.7.6). Was klar auf bestimmte Weise vorgestellt werden kann, dem ist es möglich, auf diese Weise zu existieren. Anders gesagt: Was keinen Widerspruch einschließt und deshalb nicht vorgestellt werden kann, dem ist es Hume zufolge auch nicht möglich zu existieren. Das Trennbarkeitsprinzip (K35) besagt, „dass alle Objekte, die verschieden sind, auch unterscheidbar sind, und dass alle Objekte, die unterscheidbar sind, in Gedanken oder in der Einbildungskraft getrennt werden können“ (T 1.1.7.3). Sobald sie getrennt werden können, ist es ihnen aufgrund des Vorstellbarkeitsprinzips auch möglich getrennt zu existieren. Humes Überlegung lautet, wie wir gesehen haben, dass Perzeptionen unterscheidbar und somit verschieden sind, und deswegen getrennt existieren können (vgl. T 1.4.5.5).8 Perzeptionen brauchen also keine Substanzen, denen sie inhärieren, vielmehr sind Perzeptionen (der geläufigen Definition zufolge) selbst Substanzen. So kann man sagen, dass Perzeptionen die ontologischen Einheiten in Humes Philosophie sind, so wie Substanzen die ontologischen Einheiten im kritisierten Substanzmodell sein sollten. Allerdings 7
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Diese Definition ist unter Vertretern des Substanzmodells verbreitet (vgl. Descartes, Principia philosophiae 1.51; AT VIII/1, 24; Spinoza, Ethik 1 def. 3, Bd. 1, S. 179). Es ist wichtig, stets in Erinnerung zu behalten, dass Hume keine realen und notwendigen Verbindungen zwischen Perzeptionen zulässt. David Lewis hat dieses „Humesche Prinzip“ so formuliert: „anything can coexist with anything else […]. Likewise, anything can fail to coexist with anything else.“ (Lewis 1986, 87 f.) Der zweite Teil der Reformulierung ist zweideutig. Man kann sagen: Von zwei beliebigen Objekten kann jedes ohne das andere existieren. Oder: Jedes Objekt kann selbständig existieren, ohne ein von ihm verschiedenes Objekt. Die zweite Formulierung ist sehr stark. Denn sie impliziert, dass etwas unabhängig von allen anderen Einzeldingen existieren kann. A könnte das einzige Individuum in einer für uns vorstellbaren Welt sein. In der A-Welt existiert nur A, sonst nichts. A wäre nicht aus etwas anderem hervorgegangen, würde nicht neben oder nach oder in etwas anderem existieren. Da ein Individuum aber mit keinem anderen Individuum notwendig verbunden ist, ist eine A-Welt möglich. Hume, so scheint mir, vertritt diese stärkere Version.
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gibt es zweierlei Perzeptionen: Ideen und Eindrücke (vgl. K2). Da Ideen Eindrücken nachgeordnet und somit von ihnen abhängig sind (vgl. K12), ist im strengen Sinne nur ein Eindruck „something which may exist by itself“.9 Führt man diesen Gedanken weiter, so betrachtet man Humes Eindrücke „realistically rather than idealistically“ (wie es im oben vorangestellten Motto von Campbell heißt) und kann annehmen, dass die Eindrücke nicht nur subjektive Grundelemente der Welt sind, sondern kategoriale. 10.3.2 Humes ontologische Grundthese: Tropen-Nominalismus Hume vertritt als ontologische Grundthese, dass die basalen Strukturen der Realität durch einfache Eindrücke gebildet werden. Diese sind, wie wir sehen werden, durch Ähnlichkeit und Kontiguität miteinander verbunden. Hume selbst formuliert seine These jedoch auf andere Weise. In der Diskussion abstrakter Ideen, behauptet er, „dass es in der Natur nur Individuen gibt [everything in nature is individual ]“ (T 1.1.7.6). Hume sollte hier so verstanden werden, dass es nicht nur im Bereich der Natur ausschließlich Individuen gibt, sondern dass es alles in allem nichts als Individuen gibt.10 Nominalismus ist die These, dass es nur Individuen, aber keine Universalien gibt. Hume ist also ein Nominalist. Was ist mit einem Individuum gemeint? Individuen können entweder einzelne Gegenstände oder einzelne Eigenschaften sein. Einzelne oder partikuläre Gegenstände sind beispielsweise Rosen, Pferde oder Personen. Einzelne oder partikuläre Eigenschaften hingegen sind dieses Rot der Rose, die besondere Schönheit eines Pferdes oder die Sokrates eigene Weisheit. Einzeleigenschaften werden, wie bereits erwähnt, als „Tropen“ bezeichnet. Nun sehen wir, dass die positive These des Nominalismus mindes9
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Hier könnte man einwenden, dass nach der vorgestellten Überlegung auch Ideen getrennt und selbständig existieren können müssen. Das trifft zu. Doch wie wir sehen werden, sind Eindrücke Ideen gegenüber basal (Abschnitt 3.3). Die Art und Weise, wie hier „Individuum“ verwendet wird, weicht vom Alltagsgebrauch ab. Dort bezeichnet ein Individuum in erster Linie eine Person. In der Metaphysik hingegen wird jedes Einzelding als „Individuum“ bezeichnet. Logische Individuen können von raumzeitlichen Individuen unterschieden werden. Ein logisches Individuum ist alles, was mit Prädikaten versehen werden kann und auf das mit singulären Termen Bezug genommen wird. Der Gegenbegriff ist „Prädikat“. Raumzeitliche Individuen hingegen sind z. B. mittelgroße Gebrauchsgegenstände oder physischen Objekte. Der Gegenbegriff ist „Universalie“.
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tens zwei Versionen zulässt, denn Individuen können entweder einzelne Gegenstände oder einzelne Eigenschaften sein. Der „Gegenstandsnominalist“11 lässt nur Gegenstände zu und bestreitet, dass es Eigenschaften gibt, sei es in der Form von allgemeinen oder abstrakten Eigenschaften (Universalien) oder in der Form von Einzeleigenschaften (Tropen). Der „Tropennominalist“ lässt zwar Einzeleigenschaften zu, betrachtet aber Gegenstände als Tropenbündel. Dinge (z. B. eine bestimmte Rose) bestehen ganz aus Tropen, d. h. sie bestehen nur aus den bestimmten Qualitäten, die sie haben, nämlich aus Farben, Form, Größe, Duft usw. Eine Rose, ein Pferd oder Sokrates sind Tropenbündel. Nicht nur Dinge bestehen aus Tropen, sondern auch Eigenschaften (Rotheit, Schönheit, Weisheit). Eigenschaften sind Ähnlichkeitsklassen von Tropen. Nun können wir die These, dass Humes einfache Eindrücke als basale ontologische Kategorie betrachtet werden sollen, präzisieren: Einfache Eindrücke sind Tropen. Hume ist ein Tropennominalist. Wir werden die These in Abschnitt 3.3. begründen. Hier ist es zunächst hilfreich, sich eine Vorstellung davon zu machen, was Tropen sind. Stellen wir uns eine Rose vor (keine bestimmte Rosenart, sondern ein Exemplar einer Art). Sie hat einen ganz bestimmten hellen Pinkton, ihr Pink. Dieses Pink ist eine Qualität einer bestimmten Rose, die diese und nur diese Rose hat, sie ist keine Instanz der allgemeinen Eigenschaft (Universalie) der Pinkheit. Cicero und Hitler sind beide beredt, aber sie haben verschiedene Arten der Beredtheit. Damit ist nicht gemeint, dass Ciceros Beredtheit elegant und Hitlers Beredtheit brachial ist, sondern Ciceros Beredtheit ist eine Eigenschaft allein von Cicero, Hitlers Beredtheit (glücklicherweise) nur von Hitler. Manchen mag der Gedanke unmittelbar einleuchten, dass es individuelle, unwiederholbare Eigenschaften gibt. Keine zwei Blütenblätter sind genau gleich und das Pink meiner Rose ist nicht das Pink deiner Rose. Einige Philosophen halten diese Vorstellung für mysteriös. Der Unterschied zwischen dem Pink meiner Rose und dem qualitativ identischen Pink deiner Rose, so würden sie sagen, ist ganz und gar 11
Weil für den Gegenstandsnominalisten keine Eigenschaften existieren, wird seine Version des Nominalismus auch als „extremer Nominalismus“ bezeichnet. Der Tropennominalist hingegen ist ein „moderater Nominalist“, weil er Eigenschaften zulässt (Armstrong 1989). Ausgehend von dieser Unterscheidung kann man weitere Versionen unterscheiden (vgl. Moreland 2001). Der hier relevante Tropennominalismus, behauptet jedoch, dass es nur Tropen gibt, und dass Gegenstände Tropenbündel sind. Auch dies ist, wenn man so möchte, eine extreme, dafür aber elegante Position.
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abhängig vom numerischen Unterschied der beiden Rosen. Nun ist es natürlich eine Sache von Erfahrung und Beobachtung, dass Tropen sozusagen immer zusammen unterwegs sind. Doch man kann von den anderen Eigenschaften einer Rose abstrahieren, indem man lediglich auf ihre Farbe achtet (vgl. das Motto von Campbell). Es ist also vorstellbar, dass Tropen selbständig existieren und nicht zu einem bestimmten Bündel gehören. So können sie auch an zwei verschiedenen Orten existieren, nämlich dort, wo dein Rosentropenbündel ist, und hier, wo sich mein Rosentropenbündel befindet. Und deshalb handelt es sich um verschiedene Eigenschaften. Aber ist es nicht ausgesprochen seltsam, dass Farbe, Masse oder elektrische Ladung existieren können sollen, ohne Farbe, Masse oder Ladung von etwas zu sein?12 Das ist nur seltsam, wenn man glaubt, Gegenstände seien zusammengesetzt aus einem Etwas, das Eigenschaften hat. Der Tropennominalist lehnt diese Sichtweise ab. Für ihn sind Einzeldinge Tropenbündel. Eine Eigenschaft eines Gegenstands sein, heißt dann nicht, durch etwas „instantiiert“ zu sein oder in etwas zu „inhärieren“, sondern Teil eines Bündels zu sein. Alle Nominalisten müssen mindestens drei Fragen beantworten: Warum bestreiten sie die Existenz von Universalien und wie glauben sie die Erklärungskraft von Universalien ersetzen zu können? Was sind Individuen als basale ontologische Kategorie? Wie baut sich aus Individuen die uns vertraute Welt oder die weniger vertraute Welt der Naturwissenschaft auf ? Im Folgenden werde ich mich in erster Linie Humes Antwort auf die zweite Frage zuwenden. Die dritte Frage ist Gegenstand des ersten Buchs des Treatise überhaupt (vgl. T 1.3.9). Auf sie werden wir im Folgenden nicht weiter eingehen. Die erste Frage behandelt Hume innerhalb seiner Diskussion abstrakter Ideen (vgl. T 1.1.7). 10.3.3 Einfache Eindrücke sind Tropen Die positive These des Nominalismus lautet, dass es nur Individuen gibt. Wie wir gesehen haben, setzt Hume Perzeptionen mit Substanzen gleich. Dies erlaubt die Vermutung, dass die Individuen in Humes Ontologie Perzeptionen sind. Zusammengesetzte Ideen bestehen aus einfachen Ideen und diese lassen sich auf einfache Eindrücke zurückführen (vgl. T 1.1.1.4). Da einfache Ideen von einfachen Eindrücken abstammen, können Ideen nicht die basalen Einheiten in Humes Ontologie sein. 12
Armstrong 1989, 74.
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Vielmehr muss es sich dabei um einfache Eindrücke handeln. Während einfache Eindrücke ohne Vorgänger auftreten, wiederholen nämlich einfache Ideen die ihnen entsprechenden einfachen Eindrücke. Ideen repräsentieren Eindrücke insofern, als sie ihnen ähnlich sind und von ihnen verursacht werden. Eindrücke hingegen sind keine Repräsentationen, denn sie sind keinen vorgängigen Perzeptionen ähnlich und werden auch nicht verursacht. Ein Eindruck „enthält keine repräsentationale Qualität, die sie zu einer Kopie [copy] irgendeiner anderen Existenz oder Modifikation macht“ (T 2.3.3.5). Sie sind „original existences“ (T 1.1.1.2). Folglich sind einfache Eindrücke die basalen ontologischen Einheiten in Humes Philosophie. Bei einfachen Eindrücken handelt es sich um eine Klasse von Perzeptionen. Einfache Ideen, als einfache Perzeptionen betrachtet, sind ebenso basal wie einfache Eindrücke. Als Ideen betrachtet sind sie jedoch einfachen Eindrücken nachgeordnet und nicht basal. Aus diesem Grund verdienen nur einfache Eindrücke die Bezeichnung „basale ontologische Einheit“. Zwar sind alle Perzeptionen selbständig existierende Einheiten (im Sinne von Humes Bemerkung, dass Perzeptionen nach der entsprechenden Definition von Substanz Substanzen sind), aber nur einfache Eindrücke sind basal selbstständig existierende Eindrücke. Die positive nominalistische These, dass es nur Individuen gibt, bezieht sich als ontologische These also auf einfache Eindrücke. Perzeptionen werden durch drei Assoziationsprinzipien verknüpft: Ähnlichkeit, Kontiguität, Kausalität. Die Relation, die allen anderen zugrunde liegt, ist die Ähnlichkeit (vgl. T 1.1.5.3). Einfache Eindrücke, so Hume, werden in erster Linie durch die Relation der Ähnlichkeit miteinander verbunden (vgl. T 2.1.4.3). Die Ähnlichkeit ist folglich eine basale ontologische und nicht nur eine psychologische oder epistemologische Relation. Sie ist auf der Ebene der Eindrücke keine bloße Zutat des Geistes, sondern gehört zur Wirklichkeit selbst. Zu den wichtigsten Eigenschaften von Gegenständen gehören (für uns und andere Tiere) Farben. Betrachten wir, inwiefern eine Farbe für Hume ein einfacher Eindruck ist, und beginnen wir mit der Stelle, an der Hume den Unterschied zwischen einfachen und zusammengesetzten Perzeptionen erstmals einführt. Man kann den Rest dieses systematischen Essays durchaus als ausführliche Interpretation allein der folgenden Passage verstehen, genauer: als Interpretation der Frage, was ein einfacher Farbeindruck sein soll: Einfache Perzeptionen (Eindrücke und Ideen) erlauben keine weitere Unterscheidung noch Trennung. Im Gegensatz dazu können zusammengesetzte Perzeptionen in Teile zerlegt werden. Obwohl etwa eine bestimmte Farbe, ein bestimmter
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Geschmack und ein bestimmter Geruch jeweils die Qualitäten dieses Apfels ausmachen, kann man doch leicht erkennen, dass sie nicht dasselbe, sondern zumindest voneinander unterscheidbar sind. (T 1.1.1.2)
Bei Geschmack, Geruch und Farbe scheint es sich um einfache Eindrücke zu handeln. Hume spricht ganz im Sinne der Tropentheorie davon, dass „eine bestimmte [particular] Farbe, ein bestimmter Geschmack und ein bestimmter Geruch“ die Qualitäten oder Eigenschaften dieses Apfels ausmachen. Hume betrachtet einfache Eindrücke also als partikuläre Eigenschaften. Ein Gegenstand (wie etwa der Apfel) besteht aus solchen Eigenschaften. Gemäß der Bündeltheorie müsste es nicht heißen, dass Farbe, Geschmack usw. die Qualitäten des Apfels ausmachen, sondern dass diese Qualitäten den Apfel ausmachen. Deshalb spricht Hume von „Teilen“. Die Tropen sind Teile des Apfels und „stecken“ nicht „im“ Apfel, werden nicht vom Apfel „getragen“, sind nicht „an“ den Apfel „geklebt“, „inhärieren“ nicht „im“ Apfel. Was bedeutet es nun, dass eine Perzeption einfach ist? Eine Perzeption ist einfach, wenn sie „keine weitere Unterscheidung noch Trennung“ erlaubt. Zusammengesetzte Perzeptionen erlauben sowohl Unterscheidung als auch Trennung, denn Humes Trennbarkeitsprinzip zufolge sind Unterscheiden und Trennen koextensive Tätigkeiten der Einbildungskraft.13 Nun können wir sehen, warum Humes Eindrücke „Tropen“ genannt werden können. Keith Campbell hat im 20. Jahrhundert eine Tropen-
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Die Einbildungskraft operiert allerdings nur mit Ideen. So kann sie beispielsweise zusammengesetzte in einfache Ideen zerlegen. Dem Kopieprinzip zufolge ist eine einfache Idee eine Wiederholung eines einfachen Eindrucks, also gilt die Zerlegbarkeit auch für Eindrücke. Warum vermag aber die Einbildungskraft getrennte Ideen immer auch zu unterscheiden? Perzeptionen sind dem Geist transparent, d. h. sie haben keine Eigenschaften, die nicht bewusst wären (Transparenzprinzip): „For since all actions and sensations of the mind are known to us by consciousness, they must necessarily appear in every particular what they are, and be what they appear.“ (T 1.4.2.7) Wenn Perzeptionen unterscheidbar erscheinen, so sind sie es auch, d. h. sie sind trennbar. Es gibt hier keinen Platz für einen Irrtum, denn Perzeptionen sind als Perzeptionen betrachtet immun gegen Irrtum (Immunitätsprinzip): „Every thing that enters the mind, being in reality a perception, ’tis impossible any thing shou’d to feeling appear different. This were to suppose, that even where we are most intimately conscious, we might be mistaken.“ (T 1.4.2.7) Ein anderer Argumentationsstrang, der Hume offen steht, lautet: Die Vorstellung von x ohne die Vorstellung von y impliziert keinen Widerspruch. Also gibt es zwischen x und y keine reale oder notwendige Verbindung. Was getrennt vorstellbar ist, kann auch getrennt existieren (Vorstellbarkeitsprinzip, K46). Also können x und y getrennt existieren.
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theorie ausgearbeitet (vgl. Motto). Campbell charakterisiert Tropen als einfach, basal und unabhängig. Eine Entität A ist einfach, wenn sie keine realen Teile (keine Teile, die nicht nur in einer Vernunftunterscheidung unterschieden werden können) hat. Eine Entität A ist basal relativ zu B, wenn A ohne B, B aber nicht ohne A existieren kann. Eine Entität A ist unabhängig, wenn A ohne eine von ihm verschiedene Entität existieren kann. Dies ist nichts Anderes als Humes Charakterisierung einfacher Eindrücke: Sie haben keine Teile, sind basal relativ zu Ideen und zusammengesetzten Perzeptionen und können unabhängig von allen anderen Objekten existieren. 10.3.4 Einfache Eindrücke, zum Beispiel Farbschattierungen Doch welche Art von Einfachheit ist gemeint? Es scheint sich um qualitative Einfachheit zu handeln, denn Farbe, Geruch oder Geschmack sind „Qualitäten dieses Apfels“.14 Aber welche Art qualitativer Einfachheit? Farbigsein ist kein basaler einfacher Eindruck, sondern eine abstrakte allgemeine Idee. Ebenso ist Rotsein kein basaler einfacher Eindruck, denn Hume unterscheidet Farbschattierungen: „Man wird, wie ich glaube, ohne Weiteres zugestehen, dass sich die etlichen einzelnen Ideen von Farbe, die durch die Augen eintreten […], wirklich unterscheiden, obwohl sie sich zugleich ähneln mögen. Wenn dies nun auf verschiedene Farben zutrifft, so trifft es nicht weniger auf verschiedene Schattierungen derselben Farbe zu, dass jede von ihnen eine eigene und von den anderen unabhängige Idee hervorbringt. (T 1.1.1.10)
Diese Stelle impliziert, dass Hume sich das Farbspektrum als aus distinkten Farben und jede Farbe als aus distinkten Farbschattierungen bestehend vorstellt (streng genommen ist jede Schattierung eine Farbe), denn jede Farbe und jede Schattierung bringt eine „eigene und von den 14
Es könnte sich auch einfach um modulare Einfachheit handeln: Perzeptionen sind einfach, insofern sie aus einer bestimmten Sinnesmodalität stammen. So ist eine visuelle Perzeption einfach, insofern sie aus der visuellen Modalität stammt. Dies würde bedeuten, dass einfache Ideen qualitativ komplex sein können. Ein Beleg dafür scheint Humes Theorie der Vernunftunterscheidung, der zufolge Farbe und Form an sich nicht trennbar sind, sondern nur durch Vergleich (T 1.1.7.17–18). Wir werden gleich sehen, dass Farbschattierungen basale einfache Eindrücke sind. Dies spricht dafür, dass es Hume um qualitative Einfachheit geht. Denn die Farbwahrnehmung der visuellen Modalität lässt die Wahrnehmung verschiedener Farbschattierungen zu.
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anderen unabhängige“ Idee hervor. Darüber hinaus muss die Anzahl der Schattierungen endlich sein. Andernfalls könnte nicht jede Schattierung eine eigene, unabhängige Idee hervorbringen, denn Hume ist der Ansicht, dass der Geist nicht unendlich viele Schattierungen (oder was auch immer) unterscheiden kann. Das Farbspektrum ist also diskret und endlich. Farbschattierungen sind also (ein Beispiel für) basale einfache Eindrücke. Weder das Farbigsein noch das Farbehaben (Rotsein, Blausein, Gelbsein usw.) sind einfache Eindrücke. Wie sieht das Verhältnis zwischen Farbigsein, Farbehaben und Farbschattierung aus? Aus der Tatsache, dass etwas eine bestimmte Schattierung (Kobaltblau, Bordeauxrot) hat, folgt, dass es eine Farbe hat (Blau, Rot), und aus dieser Tatsache folgt, dass es farbig ist. Wir können das Verhältnis anhand der Unterscheidung von „Determinablen“ und „Determinanten“ charakterisieren. Farbigsein ist relativ zu einzelnen Farben eine Determinable, d. h. Farbigsein ist eine Disjunktion aus Rot, Blau, Gelb usw. Die Farben Rot oder Blau sind relativ zum Farbigsein Determinanten. Da das Farbspektrum diskret und endlich ist, ist die Eigenschaft des Farbigseins vollständig durch die Disjunktion aller Farben determiniert (festgelegt). Das Blausein ist relativ zu einem bestimmten Blauton wiederum eine Determinable, d. h. die Eigenschaft des Blauseins ist eine Disjunktion aus Blau1, Blau2, Blau3, … Blaun. Da das Farbspektrum endlich ist, ist die Eigenschaft des Blauseins vollständig durch die Disjunktion aller Blauschattierungen determiniert. Solche Schattierungen lassen sich nicht weiter trennen. Das bedeutet, dass sie sich nicht weiter determinieren lassen. Somit sind Farbschattierungen kleinste Determinanten, d. h. eine Farbschattierung ist eine Determinante, aber keine Determinable. Wie werden Disjunktionen zwischen kleinsten Determinanten hergestellt? Durch Ähnlichkeiten. Die Ähnlichkeit zwischen Blau2 und Blau3 (eine Ähnlichkeit zwischen Farbschattierungen) ist eine andere Ähnlichkeit als jene zwischen Blau3 und Blau18. Es gibt partikuläre Ähnlichkeiten. Die Ähnlichkeit ÄB zwischen der partikulären Ähnlichkeit Blau1-Blau3 und der partikulären Ähnlichkeit Blau3-Blau18 (auch eine Ähnlichkeit zwischen Schattierungen) ist wiederum eine andere als die Ähnlichkeit ÄG zwischen der Ähnlichkeit Grün2-Grün3 und der Ähnlichkeit Grün3-Grün18. Doch zwischen ÄB und ÄG gibt es die (wiederum partikuläre) Ähnlichkeit ÄBG (eine Ähnlichkeit zwischen Farben) und so weiter. Die Ähnlichkeit Blau1-Blau3 ist eine Ähnlichkeit erster, die Ähnlichkeit ÄB eine Ähnlichkeit zweiter, die Ähnlichkeit ÄBG eine Ähnlichkeit dritter Stufe. Ähnlichkeiten erster Stufe sind Ähnlichkeiten zwischen
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kleinsten Determinanten. Wir sprechen dann vage von „großen“ Ähnlichkeiten. Ähnlichkeiten dritter Stufe (etwa die zwischen Determinablen wie Blau und Grün) sind weniger große Ähnlichkeiten.15 Ebenso wie Farbigsein, Farben und Farbschattierungen können Ähnlichkeiten Determinablen und Determinanten sein. Ähnlichkeiten erster Stufe sind kleinste Determinanten, Ähnlichkeiten zweiter Stufe werden durch jene der ersten Stufe determiniert usw. Stellen wir uns nun vor, eine Blüte, eine Zwetschge und ein Wollschal hätten einen bestimmten Farbton, nämlich Blau18. Blau18 ist ein Teil des Blütenbündels, aber auch ein Teil des Zwetschgen- und Wollschalbündels. Die drei Farbtöne sind zwar qualitativ identisch (Blau18), als Teile unterschiedlicher Bündel jedoch numerisch verschieden. Qualitative Identität bedeutet maximale Ähnlichkeit oder Gleichheit. Das heißt, dass zwischen den drei partikulären Ähnlichkeiten zwischen den drei Farbtönen kein Unterschied wahrnehmbar ist. Also sind die Ähnlichkeiten (im Unterschied zu den Qualitäten) nicht verschieden. Die drei Farbtöne (Qualitäten) sind unterscheidbar, insofern sie verschiedenen Bündeln angehören. Einfache Eindrücke sind also einfach in folgendem Sinne: Sie haben keine Teile, sie sind qualitativ einfach, sie sind kleinste Determinanten. Zwischen einfachen Eindrücken gibt es gestufte partikuläre Ähnlichkeiten, deren Grenzwert Gleichheit ist. Haben wir nun nicht zwei ontologische Kategorien, einfache Eindrücke und Ähnlichkeiten? Nein, beides sind Tropen. Ebenso, wie es das bestimmte Blau eines Wollschals gibt, gibt es diese bestimmte Ähnlichkeit zwischen dem Blauton des Wollschals und dem Blauton des Pullovers. Auch Ähnlichkeiten sind Individuen. Die Ähnlichkeiten erster Stufe sind zwar einfach (ohne Teile), aber nicht basal (da sie nicht ohne einfache Eindrücke bestehen) oder unabhängig (da sie nicht ohne eine weitere Entität existieren). Das heißt: Einfache Eindrücke sind die basale ontologische Kategorie. 10.3.5 Zwei Probleme einer Humeschen Tropentheorie: Regress und Selektion Gegen Nominalisten werden häufig zwei Vorwürfe formuliert. Wenn sich der Nominalist der Relation der Ähnlichkeit bedient, nimmt er nicht 15
Vgl. T 1.1.7.7 APP: „Blau und grün sind verschiedene einfache Ideen, doch sind sie sich ähnlicher als blau und scharlach, auch wenn ihre vollkommene Einfachheit jede Möglichkeit der Trennung oder der Unterscheidung ausschließt.“
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doch Universalien in Anspruch? Auch Relationen sind doch Universalien, und wenn Hume Relationen in Anspruch nimmt, dann doch auch Universalien! Der Regressvorwurf lautet also, dass der Nominalist mit Ähnlichkeitsrelationen Universalien in Anspruch nimmt. Wenn die Klasse der Gegenstände, die die Eigenschaft F haben, durch Ähnlichkeit konstituiert wird, stellt sich die Frage, welche Art von Ähnlichkeit zwischen diesen Gegenständen überhaupt für ihre Zugehörigkeit zur Klasse der Gegenstände mit F relevant ist. Vermutlich die Eigenschaft F. Aber die soll ja erst durch die Zugehörigkeit konstituiert werden! Wie werden also die relevanten Eigenschaften selektiert, für deren Ähnlichkeit wir uns interessieren? Der Selektionsvorwurf lautet also, dass man zuerst ähnliche Eigenschaften auswählen muss, bevor man Individuen überhaupt in Ähnlichkeitsklassen einordnen kann. Anders als der Gegenstandsnominalist kann der Tropennominalist auf beide Vorwürfe antworten. Doch die Antworten sind selbst wieder problematisch. Gegenüber dem Regressvorwurf kann der Tropennominalist zunächst einfach sagen, dass er mit der Ähnlichkeitsrelation keine Universalie in Anspruch nimmt, da es sich um partikuläre Ähnlichkeiten handelt. Doch damit ist der Regressvorwurf nicht aufgehalten. Selbst wenn wir zugeben, bei der Ähnlichkeit zwischen zwei Eindrücken handle es sich um eine partikuläre Ähnlichkeit, so kann weiter gefragt werden, worin die Relation zwischen dieser partikulären Ähnlichkeit und den partikulären Eindrücken besteht. Ist die Ähnlichkeit den Eindrücken etwa ähnlich und diese zweite Ähnlichkeit der ersten und dem Eindruck wiederum ähnlich usw.? Oder besteht gar eine andere Art von Relation zwischen ihnen? Dieses Problem entsteht, weil Hume suggeriert, dass die Ähnlichkeit, auch wenn er sie natürlich nicht als Universalie versteht, eine ontologische Relation ist. Wir sagten aber, dass Eindrücke die einzige ontologische Kategorie sind, die Hume zulassen möchte: sie sind einfach, basal und unabhängig. Ähnlichkeiten sind zwar auch einfach, sie sind aber weder basal noch unabhängig. Was ist das aber für eine Kategorie, eine abhängige Kategorie? Könnte man eine Ähnlichkeit zwischen zwei Eindrücken von eben diesen Eindrücken trennen, wäre die Ähnlichkeit etwas, das selbstständig existieren könnte. Doch in diesem Falle wäre die Ähnlichkeit dem Trennbarkeitsprinzip zufolge ebenso unabhängig und basal wie ein Eindruck. Wenn man die Ähnlichkeit nicht von den Eindrücken abtrennen kann, dann wäre die Ähnlichkeit keine eigenständige ontologische Relation mehr. Wie kann Hume diesen Problemen begegnen? Er könnte die Ähnlichkeit zwischen zwei einfachen Eindrücken statt als externe Relation als interne Relation auffassen. Die Ähnlichkeit
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ist kein drittes Element, das zu den beiden einfachen Eindrücken hinzukommt, sondern ergibt sich aus der Natur der einfachen Eindrücke. Sobald zwei Eindrücke qualitativ identisch sind, sind sie sich ähnlich. Diese maximale Ähnlichkeit zwischen qualitativ identischen Eindrücken haben wir oben als „Gleichheit“ bezeichnet. Gleichheit ist ein primitives, d. h. nicht weiter erklärbares Phänomen. Es besteht objektiv zwischen qualitativ identischen Eindrücken, kann aber nicht von den Eindrücken abgetrennt werden. Damit kann Hume sowohl dem drohenden Regress entgehen als auch dem Vorwurf, das Unding einer abhängigen, nichtbasalen Kategorie in seine Theorie einzubauen. Er braucht auch das Trennbarkeitsprinzip nicht abzuschwächen. Doch diese Lösung hat ihren Preis: Alle höherstufigen Formen der Ähnlichkeit müssen dann als Geschöpfe des Geistes betrachtet werden, denn sie resultieren nicht aus der qualitativen Identität von Eindrücken und können deshalb nicht als interne Relationen verstanden werden. Kommen wir zum Selektionsvorwurf. Der Tropennominalist muss nicht zuerst ähnliche Eigenschaften auswählen, bevor er Individuen in Ähnlichkeitsklassen einordnen kann, denn die basalen Individuen (die einfachen Eindrücke) haben keine Eigenschaften, unter denen es eine Auswahl zu treffen gäbe: Einfache Eindrücke sind qualitativ einfach, sie haben, wenn man so will, nur eine einzige Eigenschaft. Gegenüber dieser Antwort lassen sich zwei Bedenken äußern. Das erste Bedenken bezieht sich darauf, dass jeder einfache Eindruck nicht nur eine Eigenschaft haben kann, sondern viele. So verweist Hume darauf, dass jede einfache Perzeption die Eigenschaft hat, einfach zu sein: „Dessen können wir uns schon aufgrund der beiden sehr abstrakten Ausdrücke einfache und Idee sicher sein. Sie umfassen alle einfachen Ideen.“ (T 1.1.7.7 APP) Wir müssen hier unterscheiden zwischen Effekten der Prädikation einerseits und ontologischen Kategorien andererseits. Die Eigenschaft der Einfachheit kann eine prädikative Eigenschaft sein, die dem Blauton als allgemeine Idee und vermittels des abstrakten Ausdrucks „einfache Perzeption“ und nicht als einfache Perzeption zukommt. Ist eine Eigenschaft ein Effekt der Bildung einer allgemeinen Idee (etwas, das Hume zufolge nur mittels der Sprache gebildet werden kann, vgl. T 1.1.7), so handelt es sich bei ihr nicht um einen Bestandteil einer einfachen Perzeption, sondern um einen „Aspekt“ (K42). Schwerer wiegt aber das folgende Bedenken: Eine Farbschattierung nimmt Raum ein, sie hat Ausdehnung und Form. Es scheint, als ob ein einfacher Farbeindruck so etwas wie ein winziger Farbtupfer oder -fleck wäre. Es macht somit den Anschein, als ob ein Farbfleck zusammenge-
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setzt ist und aus einem Farbton (Blau18), einer bestimmten Ausdehnung (2 mm) und Form (rund) besteht. Folglich handelt es sich bei einem Farbfleck um keinen einfachen, sondern um einen zusammengesetzten Eindruck. Hume würde dieser Folgerung zustimmen. Ein Farbfleck ist ein zusammengesetzter Eindruck; dennoch ist er nicht aus den einfachen Elementen Qualität, Ausdehnung und Form zusammengesetzt. Denn die Idee einer Ausdehnung ist nicht einfach, sondern stets zusammengesetzt, und dem Kopieprinzip zufolge muss auch der entsprechende Eindruck zusammengesetzt sein. Deshalb erwähnt Hume bei der Einführung der Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Perzeptionen weder Form noch Ausdehnung, sondern nur Qualitäten wie Farbe oder Geruch. Lassen wir die Form beiseite, denn sie ist eine bestimmte Modifikation der Ausdehnung (vgl. T 1.4.6), und konzentrieren wir uns auf die Ausdehnung: Woraus ist die Ausdehnung zusammengesetzt? 10.3.6 Lokalisierbare, zusammengesetzte Eindrücke, zum Beispiel Farbflächen Humes Auffassungen von Ausdehnung und Raum (bzw. von Dauer und Zeit) unterscheiden sich erheblich von den Auffassungen seiner Zeitgenossen. Seine These ist überraschend: Der Blick auf den Tisch vor mir allein reicht aus, um mir eine Idee der Ausdehnung zu geben. Diese Idee ist nämlich gleichsam von den Eindrücken, die in diesem Moment den Sinnen erscheinen, geborgt und repräsentiert sie. Doch meine Sinne liefern mir lediglich Eindrücke von Farbpunkten, die auf bestimmte Weise angeordnet sind [colour’d points dispos’d in a certain manner ]. Sollte das Auge noch auf irgendetwas Anderes treffen, so bitte ich darum, dass man es mir zeigt. Sollte es aber unmöglich sein auf etwas Anderes zu weisen, können wir mit Gewissheit folgern, dass die Idee der Ausdehnung nichts weiter als die Kopie dieser Farbpunkte und ihrer Erscheinungsweise [the manner of their appearance] ist. (T 1.2.3.4)
Die Idee der Ausdehnung ist eine Kopie von (mindestens zwei) Farbpunkten, die auf bestimmte Weise angeordnet sind. Farbpunkte haben weder Ausdehnung noch Form. Ein einfacher Farbeindruck ist also kein Farbtupfer oder -fleck, sondern ein Farbpunkt. Betrachten wir zwei Merkmale der Humeschen Auffassung, die ihn (mit der Ausnahme von Berkeley) von seinen Vorgängern absetzt. Erstens ist der Raum Hume zufolge nicht unendlich teilbar, es gibt kleinste Teile (minima visibilia). Diese kleinsten Teile sind ausdehnungslose, diskrete Punkte. Humes
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Raum ist nicht kontinuierlich, sondern diskret. Zweitens vertritt Hume keine absolute Raumauffassung (wie Newton oder Clarke), sondern eine relationale. Ausdehnung besteht in der Relation zwischen Punkten. Man kann Humes Raumauffassung im Sinne des mathematischen Begriffs eines (diskreten, topologischen oder metrischen) Raums rekonstruieren.16 Begnügen wir uns mit einer anschaulichen Analogie. Hume vergleicht die Welt der sichtbaren Dinge – und dieser Vergleich ist sehr sprechend für die metaphorologische Fundierung von Humes Sichtweise – mit gemalten Bildern auf einer Fläche: „Philosophen stimmen gewöhnlich darin überein, dass sämtliche Körper, die sich dem Auge darbieten, so erscheinen als wären sie auf eine glatte Fläche gemalt [as if painted on a plain surface].“ (T 1.2.5.8) Man kann die sichtbaren Dinge auch mit Bildern auf einem Computerbildschirm vergleichen. Um das farbige Bild einer Rose auf den Bildschirm zu projizieren (oder um es auszudrucken), muss der Computer sich mit einer Oberfläche zufriedengeben, die aus einer begrenzten Anzahl von Pixeln besteht. Das Wort „Pixel“ ist aus „picture“ und „element“ gebildet. Pixel sind also Bildpunkte in einem Raster. Dreht man beispielsweise das Bild auf dem Schirm um 90°, so berechnet der Computer für die Rotation für jeden Pixel im Raster den entsprechenden Farbwert, und zwar mit einer endlichen Anzahl von Pixeln. Ein Bildschirm mit sehr hoher Auflösung ist eine gute Analogie für Humes Auffassung von Ausdehnung: Sie ist nichts weiter als die Relation zwischen diesen Bild- bzw. Farbpunkten. Nehmen wir nun an, so Hume, wir hätten die Idee der Ausdehnung das erste Mal von einem purpurnen Gegenstand empfangen. Diese Idee würde nicht nur die Farbpunkte (d. h. einfache Eindrücke) und ihre Anordnung repräsentieren, sondern auch diese spezifische Schattierung (Purpur). Später abstrahieren wir vom Farbton „und bilden eine abstrakte Idee allein auf der Basis der Anordnung der Punkte bzw. ihrer Erscheinungsweise [manner of appearance]“ (T 1.2.3.5). Durch weitere Abstraktionsschritte gelangen wir zur Idee der Ausdehnung (und durch die Einbeziehung von Tasteindrücken gelangen wir schließlich zur Idee des Raums). Doch warum soll der Raum diskret sein? Warum bestreitet Hume seine unendliche Teilbarkeit? Erstens sind die Fähigkeiten des Geistes endlich, folglich kann keine Perzeption des Geistes aus unendlich vielen Teilen bestehen (vgl. T 1.2.1.1–3). Zweitens fordert uns Hume zu folgendem Experiment auf (vgl. T 1.2.3.4): Man male einen
16
Vgl. Falkenstein 2006, 62 ff.; Franklin 1994.
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Tintenfleck auf ein Papier und entferne sich so weit vom Papier bis der Fleck nicht mehr zu sehen ist. Man wird feststellen, dass der Eindruck im Moment vor dem Verschwinden vollkommen unteilbar ist. Dieser Umstand verdankt sich nicht der biologischen Beschaffenheit unseres visuellen Systems. Führen wir denselben Versuch mit optischen Geräten durch, wird sich zuletzt auch ein unteilbarer Eindruck finden. Auch wenn Farbpunkte (einfache Farbeindrücke, Farbtropen) Ausdehnung konstituieren, so muss doch ein Farbpunkt zumindest eine Lage haben. Stellen wir uns eine endliche diskrete Linie vor. Jeder Punkt auf dieser Linie hat einen unmittelbaren Vorgängerpunkt und einen unmittelbaren Nachfolgerpunkt, mit Ausnahme des letzten und des ersten Punktes. Zwischen allen diesen Punkten befinden sich keine weiteren Punkte, denn die Linie ist diskret und die Punkte sind nicht teilbar.17 Nun bilden wir aus mehreren solcher Linien eine Fläche, die aus roten und blauen Punkten besteht, wobei die roten Farbpunkte einer bestimmten Rotschattierung (immer Rot1) und die blauen Punkte einem bestimmten Blauschattierung (immer Blau2) entsprechen, d. h. zwischen den einzelnen Farbpunkten einer Farbschattierung besteht maximale Ähnlichkeit oder Gleichheit.
17
R1
R2
R3
R4
R5
B1
B2
R6
R7
B3
B4
R8
R9
R10
R11
R12
Da eine Linie stets eine bestimmte Länge hat und aus einer endlichen Anzahl von Punkten besteht, müsste man auch sagen können, wie viele es sind. Erinnern wir uns an Humes Experiment: Entferne Dich vom Tintenfleck, bis er gerade noch sichtbar ist. Nun messe man den spitzen Winkel beim Auge. Dem Kartographen und Astronomen Tobias Mayer (1723–1762) zufolge beträgt er 34 Winkelsekunden. Wüsste man nun noch den Abstand zwischen Auge und Punkt, könnte man die Anzahl der Punkte in einer Linie zählen.
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Die Punkte R1, R5, R7, R9 oder die Punkte R3, B2, B4, R11 beispielsweise bilden eine diskrete Linie. R5 und R8 haben je drei direkte Nachbarn, nämlich R1, B1, R7 bzw. R6, B4, R12. Ein Farbpunkt hat nun relativ zu seiner Nachbarschaft eine Lage, d. h. die Lage wird durch Nachbarschaft bestimmt. R5 beispielsweise hat dieselbe Lage wie R8, wenn R5 in der Nachbarschaft von R6, B4, R12 ist.18 Eine der assoziativen Relationen zwischen den Farbpunkten, die Hume neben der Ähnlichkeit zulässt, ist die räumliche Kontiguität. Nachbarschaftsrelationen sind also räumliche Kontiguitätsrelationen. Beispielsweise ist B2 in direkter Kontiguität mit R6. Wir können diese Kontiguitätsrelationen K wie folgt ausdrücken: K(B2, R6). K(B2, R6) ist ein zusammengesetzter Eindruck, „der zusammengesetzt und teilbar ist und deshalb in zwei Teile unterschieden werden kann, von denen jeder sein deutliches und getrenntes Sein beibehält“ (T 1.2.4.6). Aus wie vielen Eindrücken besteht K(B2, R6)? Zwei. Die Kontiguitätsrelation K(…) ist kein Eindruck, sondern die „Erscheinungsweise.“ (T 1.2.3.4). Eine andere assoziative Relation zwischen Farbpunkten ist, wie wir wissen, Ähnlichkeit. In unserem Beispiel sind sich B1, B2, B3 und B4 maximal ähnlich. Wir können diese wie folgt ausdrücken: Ä(B1, B2, B3, B4). Dies ist ein zusammengesetzter Eindruck, der aus vier einfachen Eindrücken besteht. Die vier Farbpunkte in Ä(B1, B2, B3, B4) sind sich ähnlicher als die zwei Farbpunkte in K(B2, R6), sie sind maximal ähnlich (qualitativ identisch, numerisch verschieden). Zugleich sind die vier blauen Punkte auch benachbart: K(B1, B2, B3, B4). Dies bedeutet, dass die assoziative Verbindung zwischen den vier blauen Punkten stärker und lebendiger ist als diejenige zwischen den beiden anderen Punkten. Deshalb bilden (B1, B2, B3, B4) einen Farbflecken oder -tupfer, nicht aber (B2, R6). Sie erscheinen als ausgedehnte Farboberfläche.19
18
19
Wenn R5 dieselbe Lage hat wie R8, teilen R5 und R8 dann nicht eine Eigenschaft, nämlich die der Nachbarschaft von R6, B4, R12? Die Nachbarschaft ist eine Relation zwischen einfachen Eindrücken, keine Eigenschaft eines einfachen Eindrucks. Da qualitative identische Eindrücke wie R5 und R8 sich in der dargestellten Fläche durch ihre Lage unterscheiden, würden sie gleichsam ihre Identität tauschen. Die Idee der Farbfläche (B1, B2, B3, B4) ist eine genaue Kopie des zusammengesetzten Eindrucks. Diese Idee ist in Wirklichkeit eine zusammengesetzte Idee, aber wir können sie als einfache Idee behandeln. Nicht nur für alle praktischen Fälle reicht uns diese Sichtweise aus, sondern auch für viele theoretische Analysen.
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Das ist ihre „manner of appearance“. Die einzelnen B-Farbpunkte bilden eine blaue, die einzelnen R-Farbpunkte eine rote Oberfläche. Jeder Punkt ist ein Teil der jeweiligen Farbfläche. 10.3.7 Nichtlokalisierbare einfache Eindrücke, Bündelbündel und ich selbst Wir haben mit dem vorigen Abschnitt die Frage, was einfache Eindrücke sind, bereits hinter uns gelassen und uns zusammengesetzten Eindrücken (Farbflächen) zugewendet. Hume versucht an verschiedenen Stellen des Treatise zu zeigen, wie aus Tropen Wahrnehmungsobjekte gleichsam zusammengesetzt werden. Sowohl der Seh- als auch der Tastsinn haben es mit ausgedehnten und lokalisierbaren Eindrücken zu tun, doch während der Sehsinn Farbtropen wahrnimmt, nimmt der Tastsinn Solidität (solidity) wahr (vgl. T 1.2.3.15). Solide Farbflächen sind also zusammengesetzt aus einfachen Eindrücken, aus Farb- und Tastpunkten. Das Braune und Trockene der Feige oder das Grüne und Glatte der Olive befindet sich nicht auf der jeweiligen Haut, sondern ist die jeweilige Haut. Der Umstand, dass Farben und tastbare Eigenschaften Oberflächen bilden, erklärt, warum uns Farben und tastbare Eigenschaften als an einem bestimmten Ort lokalisiert erscheinen. Wie steht es aber mit Ton, Geruch und Geschmack? Erstaunlicherweise behauptet Hume, dass die einfachen Eindrücke dieser drei Sinnesmodalitäten (und auch alle Eindrücke der Reflexion, d. h. Empfindungen und Gefühle) nicht lokalisiert sind. Sie existieren an keinem Ort, nirgends.20 Nicht-lokalisierte Eindrü20
Abstrakte Entitäten werden bisweilen als Entitäten bezeichnet, die nicht räumlich oder zeitlich lokalisiert sind. Humes Nominalismus verwirft abstrakte Entitäten in
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cke können sich folglich nicht in räumlicher Kontiguität zu anderen Eindrücken befinden. Wie ist es dann zu erklären, dass Gerüche, Düfte und Töne räumlich lokalisierbar sind? Hume erklärt in T 1.4.5.9–13 wie sich diese nicht-lokalisierten Qualitäten mit ausgedehnten Objekten mittels zeitlicher Kontiguität und Kausalität assoziieren. Wir haben durch Gewohnheit gelernt, dass beispielsweise Feigen süß und Oliven bitter schmecken. Beim Anblick dieser Früchte schließen wir also unwillkürlich auf die entsprechenden Wirkungen. Nicht nur die Kausalität verbindet Geschmäcker mit lokalisierten Farbflächen, sondern auch die zeitliche Kontiguität: Sobald wir die Olive in den Mund befördern, entfaltet sich der bittere Geschmack. Hume behauptet weiter, dass wir eine natürliche Tendenz haben, starke Assoziationsrelationen zusätzlich zu verstärken, sodass wir die räumlich Relation auf die vorhandenen Assoziationen projizieren, „um die Verbindungen weiter zu stärken“ (T 1.4.5.12). Auf dieselbe Weise, wie nichträumliche Eigenschaften wie Geschmack, Ton oder Geruch in einem lokalisierbaren Objekt sein können, können nichträumliche Eigenschaften wie Schmerzen, Geistesblitze, Erinnerungen oder Gedanken in einem lokalisierbaren Körper sein. Eine Olive ist ein relativ einfaches Bündel von (lokalisierbaren und nichtlokalisierbaren) Tropen und eine Person ist ein ungeheuer komplexes Bündel von (lokalisierbaren und nichtlokalisierbaren) Tropen. In T 1.4.2 bemüht sich Hume zu zeigen, wie wir solche momentanen Tropenbündel (die Olive, die wir jetzt wahrnehmen) in einer zeitlichen Abfolge als dauerhaft existierende Objekte repräsentieren können. Er behauptet, dass Dinge nicht nur Tropenbündel sind, sondern Bündel von Tropenbündeln: Bündelbündel. Die Olive gestern, vorhin und jetzt ist ein dauerndes Bündel von momentanen Bündeln.21 Während momentane Bündel Komplexe kopräsenter Eindrücke sind, sind dauernde Bündel eine Serie von momentanen Bündeln. Wenn wir unterschiedliche zeitliche Abschnitte einer Olive sehen, liegt ein dauerndes Bündel vor (eine zusammengesetzte Idee), das auf unterschiedliche momentane Tropenbündel (mit Tropen wie grün, oval, glänzend, bitter usw.) zurückgeführt werden kann. Diesem Bündelbündel können wir über Wahrnehmungsunterbrechungen hinweg Konstanz und über Veränderungen hinweg Kohärenz zuschreiben.
21
diesem Sinne nicht. Er behauptet, dass „an object may exist, and yet be no where“ (T 1.4.5.10). Vgl. Casullo 1988; Wild 2008.
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Am Ende des Treatise wirft Hume in einem berühmten Abschnitt ein vertracktes Problem auf, nämlich das Problem der personalen Identität (vgl. T 1.4.6). Hume fragt, ob wir in der Introspektion einen Eindruck unserer selbst finden können. Doch wenn ich auf mein Bewusstsein achte, so finde ich nur einen Fluss von Ideen, von sekundären und primären Eindrücken, aber keinen Eindruck meiner selbst. Die Idee des Selbst kann also nicht direkt von einem Eindruck abgeleitet werden. Doch die sekundären Eindrücke (Empfindungen, Gefühle) schreibe ich mir und meinem Körper zu, die primären Eindrücke finde ich etwa in der Sinneswahrnehmung vor (aber ich schreibe sie mir nicht zu), Ideen schließlich handeln von inneren und äußeren Dingen, doch ich bin es, der diese Ideen hat. Humes radikale Ontologie lässt offenbar keinen Platz für etwas, dem Eigenschaften zukommen, auch nicht für mich.22 Der einzige Ausweg scheint zu sein, dass ich ein Bündel bin. Aber wie kommt es, dass ich mich als dieselbe Person über Zeit hinweg auffasse? Ich muss, wie andere Dinge auch, ein Bündelbündel sein. Doch Bündelbündel werden von mir vorgestellt. Wer stellt das Bündelbündel vor, das ich bin? An zwei Prinzipien möchte Hume nicht rütteln: Alle Perzeptionen sind trennbar und zwischen Perzeptionen bestehen keine realen Verbindungen. Aus dem ersten Prinzip folgt, dass die Perzeptionen keiner Substanz inhärieren, ich bin also keine (geistige) Substanz, die Perzeptionen hat. Aus dem zweiten Prinzip folgt, dass meine Perzeptionen nicht durch reale Relationen verbunden sind, somit sind meine Perzeptionen (bin ich) durch die von mir vorgestellten Verbindungen verbunden. Aber wer denkt diese Verbindungen? Humes Tropenontologie führt ihn auf ein wichtiges Problem: Offenbar kann ich mir mich selbst nicht als Ding (als Substanz, Trope, Bündel oder Bündelbündel) vorstellen. Aber was bin ich dann? Hume gesteht, hier keine Antwort zu wissen, schließt aber nicht aus, dass es eine geben kann. Auch dieses Eingeständnis ist ein Schritt über die Ideentheorie und ihren metaphysischen Rahmen hinaus.
22
Vgl. Van Cleve 1985.
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11. Thomas Reid Johannes Haag und Markus Wild
11.1 Einführung: Reids Begriff des Common Sense Wer Berkeleys These vernimmt, dass es keine materiellen Dinge gibt, oder Descartes zuhört, der sich seiner Existenz versichert, reagiert vielleicht mit Kopfschütteln und Lachen. Dies, so würde Reid sagen, ist die natürliche und richtige Reaktion des Common Sense auf eine falsche Philosophie. In Reids Augen muss die Ideentheorie, da sie zwangsläufig in den Skeptizismus führt, dem Common Sense widerstreiten. Normale, reife Menschen glauben ganz natürlich, dass sie materielle Dinge sehen und dass sie selbst existieren, dafür brauchen sie keine Beweise. Philosophen sollten dem Skeptiker auch keine Beweise dafür geben. Die Überzeugung, dass vor mir ein Baum steht, ist für sich allein gewisser, als alle Thesen des Ideentheoretikers zusammen, die zur Relativierung oder gar zur Negation dieser Gewissheit führen. Aber weshalb sollte sich ein Skeptiker mit meiner Behauptung zufrieden geben, dass ich gewiss einen Baum vor mir stehen sehe? Wie lautet mein Schluss auf die Existenz des Baums? Doch solche Fragen des Skeptikers sollen gerade nicht beantwortet werden. Reid ist der Ansicht, dass wir nicht durch Vernunftschlüsse dazu gebracht werden, an die Existenz wahrgenommener Dinge zu glauben, sondern durch unsere natürlichen Wahrnehmungsvermögen.1 Aber gebietet uns nicht die Vernunft, dass wir uns des Urteils über die Existenz des Baums enthalten, wenn wir seine Existenz nicht beweisen können? Reid zufolge wird die Vernunft gegenüber anderen Vermögen einseitig privilegiert:2 „Wenn unsere Vermögen uns täuschen, warum 1
2
Vgl. Essays 2.5, 258; 2.21, 332. Reids Überlegung gleicht G. E. Moores Beweis für die Außenwelt. Moore meint, dass seine Überzeugung, dass er zwei Hände hat, gewisser ist, als die Prämissen des Skeptikers, der dies bezweifelt, vgl. Moore 1993; Greco 2003. Vgl. die Deduktionsthese in der Einleitung zu Bd. 1, 11.1.2.
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sollten sie uns bei einem Schluss nicht ebenso täuschen wie bei einer anderen Tätigkeit?“ (Essays 4.4, 447) Normalerweise vertrauen wir allen kognitiven Vermögen gleichermaßen. Deshalb optiert Reid gegen die Ideentheorie und für den Common Sense. (Seine Philosophie wird deshalb als Philosophie des Common Sense verstanden.) In der Betrachtung der Reidschen Auffassung des Common Sense werden wir feststellen, dass sie zweideutig ist. Der Grund für diese Zweideutigkeit besteht darin, dass sich Reid nicht ganz von jenem falschen Philosophieverständnis frei gemacht hat, das er der Ideentheorie vorhält. Die Philosophie des Common Sense ist Reids methodologischer Gegenentwurf zur Ideentheorie, die zuerst als Irrweg erkannt werden muss. Warum aber muss das Ideensystem als Irrweg verstanden worden sein, um eine Philosophie des Common Sense entwickeln zu können? Nun, Reid glaubt, dass die Ideentheoretiker nicht nur falschen Thesen, sondern auch einer falschen Auffassung von Philosophie anhängen. Erstens achten Ideentheoretiker zu wenig auf die Sprache. Nicht nur verwenden sie Begriffe (wie etwa den Begriff der Idee) vieldeutig oder abweichend vom üblichen Gebrauch, sie gehen auch der Oberflächengrammatik der Sprache auf den Leim. So legt es etwa die Struktur der Sprache nahe, dass wir uns mit geistigen Zuständen immer auf Objekte beziehen (vgl. systematischen Essay, 11.3). Zweitens wählen Ideentheoretiker den Weg der Analogie und nicht den Weg der Reflexion (Inquiry 7, 201; Bd. 1, S. 414 f.). Sie analogisieren den Geist mit Körpern und glauben, dass dem Geist äußere Gegenstände nur über Vermittler präsent sein können, wie zwischen Körpern nur über Vermittler kausale Interaktionen stattfinden können. Die richtige Philosophie betrachtet geistige Phänomene als Phänomene sui generis und widmet sich ihnen über den Weg der Reflexion. Drittens schließlich zielen Ideentheoretiker auf den Bau eines Systems, ohne auf eine vorherige sorgfältige Analyse einzelner Phänomene zu achten (Inquiry 1.2, 99; Bd. 1, S. 403). Deshalb neigen sie dazu, Resultate aus einem bestimmten Phänomenbereich auf andere zu übertragen und dadurch zu verfälschen. Erst wenn wir die sprachlichen, analogischen und systematischen Verzerrungen erkennen, die die Ideentheorie unserem Denken aufgeprägt hat, können wir zur wahren Philosophie gelangen. Diese Philosophie besteht nicht in der Akklamation der Meinungen der Menge. Sogar wenn Reid die Vertreter der Ideentheorie ostentativ zum Gespött der Menge macht, hat dies eine philosophische Funktion, denn Theorien, die dem Common Sense widersprechen, „kann man von Irrtümern durch folgendes Mittel unterscheiden: sie sind nicht nur falsch, sondern absurd. Die Natur hat uns eine bestimmte
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emotionale Reaktion gegeben, mit der wir die Absurdität zurückweisen, nämlich die Lächerlichkeit“ (Essays 4.4, 438). Die Meinungen der Ideentheoretiker sind lächerlich, weil sie dem Common Sense widerstreiten. „Common Sense“ ist jedoch ein vieldeutiger Begriff. Personen mit „gesundem Menschenverstand“ haben eine unüberblickbare Menge von Meinungen, wie etwa, dass es besser ist, bei Gewittern nicht über Gebirgskämme zu gehen, oder dass man nicht am weiter entfernten Rand eines Glases trinkt. Man schreibt jemandem auch gesunden Menschenverstand zu, wenn er Situationen und Personen richtig zu beurteilen vermag. Spezifischer jedoch meint „Common Sense“ eine Menge nicht begründbarer Grundsätze (principles), die sich in allen reifen, normalen Menschen finden, und in diesem spezifischen Sinn verwendet Reid den Begriff. Primär bestimmt Reid den Common Sense als ein Urteilsvermögen, nämlich als „jenes Maß an Urteilsvermögen, das den Menschen gemein (common) ist, mit denen wir uns unterhalten und mit denen wir uns auf Unternehmungen einlassen“ (Essays 6.2, 421). Common Sense ist ein Vermögen zur Beurteilung von ersten Grundsätzen als erste Grundsätze. Der Common Sense entdeckt, „was wahr und was falsch ist bezüglich selbstevidenter Dinge“, denn „alle Erkenntnis und alle Wissenschaft muss auf selbstevidenten Grundsätzen beruhen“ (Essays 6.2, 422). In diesem Sinne versteht Reid unter „Common Sense“ auch eine Menge von ersten Grundsätzen. Obschon Reid behauptet, dass erste Grundsätze allen Menschen gemeinsam sind, leugnet er nicht, dass wir uns darüber streiten können, welche Grundsätze dazugehören und welche nicht, und dass wir erste Grundsätze bestreiten können.3 Wichtig ist für Reid die Beobachtung, dass man am Ende der argumentativen Möglichkeiten angekommen ist, wenn man sich über erste Grundsätze uneins wird. Man ruft aus: „Aber das ist doch selbstverständlich!“ und bricht die Debatte ab. Abbruch der Debatte bedeutet aber nicht Abbruch des Gesprächs, denn es gibt durchaus Mittel und Wege, sich über erste Grundsätze zu verständigen. Von den ersten Grundsätzen und dem Common Sense als Urteilsvermögen muss man nämlich diejenigen Strategien unterscheiden, die Reid aufzählt, um den Common Sense gegen seine Verächter ins Recht zu setzen. Wir haben das Mittel der Lächerlichkeit bereits erwähnt. Reid verweist 3
Zwar hat der Ausdruck „Common Sense“ Reid zufolge eine klare Bedeutung (so wie man weiß, was man mit „Bayern“ bezeichnet), aber es ist unklar, was alles zum Common Sense gehört. Gehört Lindau am Bodensee zu Bayern? Reids Beispiel ist York County (Essays 6.2, 423).
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weiter auf ad-hominem-Argumente („Warum akzeptierst Du diese, aber nicht jene Grundsätze?“), auf die Möglichkeit einer Reductio ad absurdum („Wenn Du das bestreitest, kannst Du nicht mehr glauben, dass p, und das ist absurd!“), auf den Konsens der Gebildeten und Ungebildeten aller Zeiten, auf den allgemeinen Sprachgebrauch, auf Grundsätze, die wir als angeboren betrachten müssen, und auf die praktische Unverzichtbarkeit gewisser Grundsätze. Selbstevidente Grundsätze können nicht direkt bewiesen oder begründet, sondern nur indirekt aufgezeigt werden. Ist der Common Sense nun nicht eher Bestandteil des Vernunftvermögens? In gewisser Weise ja, denn Reid unterscheidet zwei Grade der Vernunft: Wir schreiben der Vernunft zwei Aufgaben oder Grade [degrees] zu. Die erste besteht darin, über selbstevidente Dinge zu urteilen [to judge of things self-evident], und die zweite darin, daraus Schlüsse zu ziehen. Das erste ist der Bereich des Common Sense, und zwar sein alleiniger Bereich … [Common Sense] ist nur ein anderer Name für einen Zweig oder einen Grad der Vernunft. (Essays 6.2, 425)
Reid bestimmt Vernunft als das Vermögen Schlüsse zu ziehen. Selbstevidente Prinzipien werden aber nicht aus anderen abgeleitet, da sie ja selbstevident sind. Der Common Sense darf also nicht als Vermögen des Schließens betrachtet werden, er ist auch nicht das Vermögen, aus ersten Grundsätzen Schlüsse zu ziehen.4 Bei gesunden Personen entwickelt sich der Common Sense wie das Sehvermögen oder das Gehen. Die Vernunft hingegen wird durch Unterweisungen und Regeln eingeübt, aber nur, wenn der Common Sense vorhanden ist. Der Common Sense kann deshalb als „Grad der Vernunft“ bezeichnet werden, weil nur er uns zu rationalen Wesen macht. Der Common Sense als Vermögen die Wahrheit und Falschheit selbstevidenter Grundsätze zu beurteilen, ist nämlich grundlegender als das Vermögen zu schließen. Selbstevident bedeutet einfach „nicht abgeleitet“. Der Common Sense urteilt, dass Grundsätze selbstevident sind, er urteilt nicht mithilfe selbstevidenter Dinge. Auch ist der Common Sense nicht das Vermögen, erste Grundsätze hervorzubringen, denn er kann selbstevidente und nicht abgeleitete Grundsätze nicht erzeugen, sondern nur aufspüren und als solche beurteilen.5 Schließlich ist der Common Sense kein Vermögen zur Aufdeckung notwendiger oder analytischer Grundsätze, denn Reid betrachtet auch kontingente Wahrheiten als erste Grundsätze (Essays 6.5). Der 4 5
Gegen die These von Lehrer 1989, 152. Gegen die Deutung von Rysiew 2003, 29–30.
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Common Sense ist also ein Vermögen zur Beurteilung von ersten (notwendigen oder kontingenten) Grundsätzen als selbstevident und nicht abgeleitet, d. h. er beurteilt erste Grundsätze als erste Grundsätze. Wie steht es mit dem Common Sense als Menge von Grundsätzen? Reid nennt zwölf kontingente Grundsätze des Common Sense (Essays 6.5, 442–452): (1) Alles, dessen ich mir bewusst bin, existiert. (2) Die Gedanken, deren ich mir bewusst bin, sind meine Gedanken. (3) Jene Dinge, an die ich mich deutlich erinnere, sind wirklich geschehen. (4) Unsere Identität als Person reicht so weit zurück wie wir uns deutlich erinnern. (5) Jene Dinge, die wir mit unseren Sinnen deutlich wahrnehmen, existieren wirklich, und sie existieren so, wie wir sie wahrnehmen. (6) Wir haben Macht über unsere Tätigkeiten und unseren Willen. (7) Die natürlichen Vermögen, durch die wir Wahres von Falschem unterscheiden, sind nicht trügerisch. (8) In unseren Mitmenschen ist Leben und Verstand. (9) Das Verhalten der Mitmenschen zeigt ihre Gedanken und Neigungen an. (10) Das Zeugnis anderer über Tatsachen wird mit Achtung aufgenommen. (11) Das Verhalten von Personen folgt gewissen wahrscheinlichen Regelmäßigkeiten. (12) In der Natur ist dasjenige, was war, unter gleichen Umständen wahrscheinlich demjenigen ähnlich, was sein wird. Einige Sätze sind nach Reids Auffassung von Ideentheoretikern als erste Grundsätze ausgewiesen worden, beispielsweise (1) von Descartes oder (12) von Hume. Einige Sätze müssen mit dem richtigen Ohr gehört werden. So meint Reid mit (3) nicht, dass ein subjektives Gefühl einer deutlichen Erinnerung die Existenz der erinnerten Ereignisse garantiere, sondern vielmehr, dass es begrifflich so ist, dass erinnerte Ereignisse ipso facto wirkliche Ereignisse sind, andernfalls handelt es sich nicht um Erinnerungen. Betrachten wir (7) genauer. Warum sollte ich meinem Gedächtnis, den Sinnen, dem Bewusstsein, dem Zeugnis anderer usw. überhaupt Vertrauen schenken? Reid meint, dass die natürlichen Vermögen, durch die wir Wahres von Falschem unterscheiden, nicht trügerisch sind. Bei (7) scheint es sich um einen Meta-Grundsatz zu handeln, der nicht auf derselben Ebene angesiedelt ist wie die anderen. Reid versucht die Unabdingbarkeit des Vertrauens in alle unsere kognitiven Vermögen auf verschiedenen Wegen zu begründen. Hier ist einer dieser Wege: Reid unterscheidet zwei Arten von Skeptikern (Inquiry 5.7, 130; Bd. 1, S. 412–414). Der Totalskeptiker zweifelt an allen Überzeugungen, solange nicht die Zuverlässigkeit aller kognitiver Vermögen bewiesen ist. Ihm wirft Reid nicht nur vor, dass es psychisch und praktisch unmöglich ist, keine Überzeugungen zu haben. Da dieser Skeptiker gar keine Über-
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zeugungen hat, besitzt er natürlich keine Ausgangsbasis für einen Beweis der Zuverlässigkeit seiner Vermögen. Deshalb kann er weder Gründe für seine Zweifel noch gegen meine Überzeugungen angeben, akzeptiert er doch das Vermögen, Gründe zu geben, nicht als zuverlässig (Inquiry 5.7, 130; Bd. 1, S. 413; Essays 6.5, 447). Eine totale Skepsis ist also nicht vertretbar. Der Semiskeptiker hingegen akzeptiert einige Überzeugungen und betrachtet sie als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit seiner anderen kognitiven Vermögen. Er akzeptiert beispielsweise die Vertrauenswürdigkeit seines Vernunftvermögens und die Überzeugung, dass er existiert und denkt, alles andere muss abgeleitet werden. Reid wirft dem Semiskeptiker vor, dass er seine Überzeugungen arbiträr wählt und sein Vertrauen willkürlich verschenkt (Inquiry 6.20, 183). Deshalb gibt es, seiner Auffassung nach, keine guten Gründe, dem Vorgehen des Semiskeptikers zu folgen. Es bleibt nur noch eine Option: Wir müssen allen unseren Vermögen gleichermaßen vertrauen.6 Das bedeutet nicht, dass die Vermögen nie etwas hervorbringen, das falsch oder irreführend ist. Aber wenn wir dies überhaupt feststellen wollen, müssen wir die Zuverlässigkeit von anderen kognitiven Vermögen grundsätzlich akzeptieren. In diesem Sinne ist (7) ein Meta-Grundsatz. Nun stellt sich eine wichtige Frage: Sind diese Grundsätze explizit geglaubte Grundsätze, die wir mit allen reifen und normalen Menschen teilen, oder handelt es sich um implizite Grundsätze, die wir für all unser praktisches und theoretisches Tun stillschweigend akzeptieren müssen?7 Vieles von dem, was Reid sagt, deutet darauf hin, dass er sie für explizite, geteilte Überzeugungen hält, auf denen wir unsere weiteren Überlegungen aufbauen. Reid teilt also ein fundamentalistisches Bild der Erkenntnis. Seine Begründung für die Existenz erster Grundsätze lautet ja, dass Erkenntnis auf nicht abgeleiteten Grundsätzen beruhen müsse. Anders als Descartes, der das Fundament zu schmal anlegt und nur Grundsatz (1) vertraut, möchte Reid mit (7) ein breites Fundament. Aber müssen wir tatsächlich alle unsere Erkenntnisse aus expliziten Grundsätzen ableiten, unsere Praktiken auf expliziten Prinzipien gründen? An vielen Stellen sagt Reid, dass erste Grundsätze „bei den meisten Menschen ihre Wirkungen hervorbringen, ohne dass man je auf sie achtet oder zum Gegenstand des Nachdenkens macht. Kein Mensch denkt je an diesen Grundsatz 6 7
Vgl. DeRose 1989, 326 ff. Es stellt sich ein zweite wesentliche Frage, die hier aber nicht behandelt werden soll: Können wir einfach nicht umhin, diese Grundsätze für wahr zu halten, oder sind sie auch tatsächlich wahr? Für einen Versuch vgl. de Bary 2002, Kap. 9.
Einführung: Reids Begriff des Common Sense
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[(7)], solange er nicht über den Ursprung des Skeptizismus nachdenkt, und dennoch beherrscht es immerzu seine Meinungen.“ (Essays 6.5, 448) Wir sind genötigt, die Grundsätze „im Alltag stillschweigend zu akzeptieren [must take for granted ], ohne dass wir dafür Gründe angeben können“ (Inquiry 2.6, 108). Aber etwas stillschweigend zu akzeptieren, das unser Denken und Tun immerzu beherrscht, scheint nicht dasselbe zu sein, wie bestimmte Sätze zu glauben, und es scheint nicht dasselbe zu sein wie ein Fundament nicht abgeleiteter Prinzipien, von denen wir durch Schlüsse Erkenntnisse und die Regeln unseres Tun ableiten. Einerseits versteht Reid die Grundsätze des Common Sense als explizite, geteilte Sätze, die wir tatsächlich glauben und auf denen wir aufbauen, andererseits fasst er sie als etwas auf, das wir in unserem Denken und Tun stets stillschweigend akzeptieren. Im ersten Verständnis, das Reids offizieller Position entspricht, sind Grundsätze eine Art Untergrund. Im zweiten Verständnis, das sich wie ein inoffizieller roter Faden durch Reids Ausführungen zeiht, sind sie eine Art Hintergrund.8 Das offizielle Bild lebt von einer Analogie zwischen unserem Wissen und dem Errichten eines Gebäudes. Reid scheint anzunehmen, dass wir die ersten Grundsätze gleichsam vor dem Geist haben müssen, um ihnen folgen zu können. Schließlich suggeriert das Bild vom Wissensgebäude, dass wir unser Wissen aus ersten Prinzipien deduzieren können. Eine Analogie leitet also Reids Explikation der ersten Grundsätze. Er scheint mit den Ideentheoretikern der Ansicht zu sein, dass diese Grundsätze wie Ideen dem Geist gegenwärtig sein müssen, und dass wir aus ihnen alles Weitere ableiten können. Im Bild, dem Reid offiziell folgt, sind erste Grundsätze so etwas wie Anleitungen oder regulative Prinzipien für unser Denken und Tun, die unabhängig von diesem Denken und Tun sind. Genau dies ist aber die Sichtweise des Skeptikers, der Reid doch entgegentreten möchte. Denn der Skeptiker zieht die Grundsätze des Common Sense in Zweifel und betrachtet sie dabei als etwas, das von seiner Tätigkeit des Zweifelns unabhängig ist. Es sieht mithin so aus, als würde Reid hier in jene falsche Philosophie verfallen, die er den Ideentheoretikern vorgeworfen hat. Was besagt das inoffizielle Bild? Der Common Sense beurteilt selbstevidente Grundsätze nicht als selbstevident, um sie danach in seinem 8
Diese Überlegungen halten sich an die Analyse von Wolterstorff 2001, Kap. 9. Wolterstorff ist darüber hinaus auch noch der Ansicht, dass Reid sich anschickt, mit dem roten Faden etwas auszuarbeiten, das wir erst durch Wittgenstein zu verstehen gelernt haben; vgl. ebd. 231–244.
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Denken und Tun anzuwenden. Vielmehr sind diese Grundsätze konstitutiv für unser Denken und Tun, und deshalb sind unser Denken und Tun und die Grundsätze nicht voneinander unabhängig. Wir denken und handeln, indem wir die Grundsätze des Common Sense stillschweigend akzeptieren. Man kann sich den Unterschied zwischen den beiden Bildern anhand einer Unterscheidung von regulierenden Regeln und konstitutiven Regeln vor Augen führen. Die Regeln, wie man im öffentlichen Raum mit heftigen Emotionen umgeht oder wem man auf der Straße den Vortritt lassen soll, sind bloß regulierend, denn sie regeln die unabhängig von ihnen existierende Emotionen bzw. den Verkehr. Das Schachspiel hingegen existiert nicht unabhängig von den Regeln des Schachspiels, Schachspielen heißt diesen Regeln zu folgen. Wer den König wie eine Dame führt, der spielt nicht schlecht oder ungewöhnlich Schach, sondern gar nicht. Die Grundsätze des Common Sense gleichen solchen konstitutiven Regeln. Im Unterschied zu den konstitutiven Regeln des Schachspiels beruhen die Grundsätze des Common Sense jedoch nicht auf einer definitiven Menge expliziter Regeln. Vor allem aber konstituieren die Grundsätze nicht nur einen bestimmten Bereich unseres Denkens und Tuns, sondern sie bestimmen unser Denken und Tun überhaupt.9 Reid vergleicht die ersten Grundsätze des Common Sense bisweilen mit wissenschaftlichen Axiomen (Essays 1.2, 230, Inquiry 5.7, 130). In diesem konstitutiven Sinne sind die Grundsätze des Common Sense quasi-axiomatische Konstanten unseres Denkens und Tuns, die normale, reife Personen stillschweigend als Hintergrund akzeptieren.
11.2 Stellenkommentar 11.2.1 Auszüge aus An Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense / Eine Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Prinzipien des Common Sense (1769) (zitiert als: Inquiry) K1: Descartes’ Wirbeltheorie versucht die Bewegungen der Himmelskörper zu erklären. Ein Wirbel (vortex) ist ein kreisender Strom materieller Teilchen. Die Planeten und Kometen bewegen sich auf solchen Strömen (vgl. Principia philosophiae III). Descartes’ Theorie sollte mit der 9
Zur Unterscheidung zwischen regulierenden und konstitutiven Regeln vgl. Searle 2004, Kap. 6. Für eine Anwendung auf Reid vgl. Rysiew 2003. Searle 2004, Kap. 4 verwendet auch den Begriff des Hintergrunds.
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mechanistischen Naturphilosophie kompatibel sein. Sie galt in der ersten Hälfte des 18. Jh. als Konkurrentin von Newtons Theorie der Gravitation, vermochte aber deren mathematische Präzision und empirische Testbarkeit nicht zu erreichen (vgl. auch Essays 4.2; Bd. 1, S. 433). Der Ausdruck „archeus“ wird von Vertretern der frühneuzeitlichen Iatrochemie (wie Paracelsus oder Jan Baptist van Helmont) verwendet, um das vitale Prinzip zu bezeichnen. Der Archeus reguliert den Stoffwechsel in Organismen (mit Sitz im Magen) und in der ganzen Natur. Obwohl z. B. van Helmont eine relativ ausgereifte Theorie der Verdauung aufstellt, wird die Theorie des Archeus aufgrund ihres Hintergrunds von den Vertretern der experimentellen Wissenschaften verworfen. K2: Reids Rekonstruktion der Ideentheorie reicht nicht allein von Descartes bis Hume, sondern spannt den Bogen bis in die Antike zurück: „Doch von Plato bis Hume stimmen alle Philosophen darin überein, dass wir äußere Gegenstände nicht unmittelbar wahrnehmen und dass das unmittelbare Objekt der Wahrnehmung ein dem Geist gegenwärtiges Bild sein muss.“ (Essays 2.7, 263) Reid ist der Ansicht, dass die Ideentheorie seit rund 2000 Jahren stets durch die gleichen Vorurteile gestützt worden sei. Auch die „forms“ und „species“ der Aristoteliker und die „simulacra“ und „phantasms“ der Atomisten betrachtet Reid als Ausprägungen der Ideentheorie (vgl. Essays 4.2; Bd. 1, S. 433; Inquiry 7). Reids Kritik und ihre Ausweitung wird von einigen einflussreichen Philosophen des 20. Jh. wie Richard Rorty oder Martin Heidegger geteilt. K3: Reid versteht seine Philosophie als Philosophie des Common Sense (vgl. Einleitung, Bd. 2). Reid ist jedoch nicht der erste Philosoph, der sich auf einen reichhaltigen Begriff des Common Sense stützt. Der französische Jesuit Claude Buffier (1661–1737) hatte in Traité des premières véritez (1724) bereits den Common Sense (sens comun) vom aristotelischen Gemeinsinn (sensus communis) unterschieden und eine eigenständige Philosophie des Common Sense entwickelt. Buffier beginnt, wie Descartes, mit einem ersten Prinzip der Erkenntnis, nämlich „der unmittelbaren Empfindung [sentiment intime], die jeder von uns von seiner eigenen Existenz und davon hat, was er in sich vorfindet“ (Buffier 1724, 9). Wenn wir jedoch allein dieses Prinzip für gewiss halten, sind uns viele Dinge zweifelhaft, z. B. dass es Körper gibt, dass wir nicht seit Ewigkeit existieren oder dass es andere denkende Wesen gibt. Doch diese Dinge halten wir faktisch für gewiss und an ihnen zu zweifeln ist lächerlich. Kein verständiger Mensch bezweifelt sie. Da aber diese Gewissheiten nicht aus der unmittelbaren Empfindung unserer eigenen Existenz folgen, müssen wir annehmen, dass es eine andere Regel der Wahrheit
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(règle de la vérité ) gibt als die unmittelbare Empfindung unserer Existenz. Diese Regel bezeichnet Buffier als „sens comun (sic! )“ und definiert sie als natürliche Disposition, Urteile über andere Gegenstände als über unsere unmittelbaren, bewussten Perzeptionen zu bilden, die nicht von vorgängigen Urteilen ableitbar sind (ebd., 25). Die Überschneidungen zwischen Reid und Buffier erschienen bereits den Zeitgenossen auffällig; der englische Übersetzer Buffiers witterte gar ein Plagiat, wie der Titel zeigt: First Truths, and the Origin of Our Opinions Explained, with an inquiry into the sentiments of moral philosophers relative to our primary notions of things to which is prefixed a detection of the Plagarism, Concealment and Ingratitude of Doctors Reid, Beattie, Oswald (London 1780). Reid setzt sich allerdings kritisch mit Buffier in Essays 6.7 auseinander (vgl. Maril-Lacoste 1982). Reids Philosophie ist es dann auch, die als Philosophie des Common Sense schulbildend geworden ist. Zur sogenannten schottischen Schule gehören etwa James Oswald (1727–1793), James Beattie (1735–1803), Dugald Stewart (1753–1828), Sir William Hamilton (1788–1856) oder James Frederick Ferrier (1808–1864); vgl. Broadie 2003. Reids Common-Sense-Philosophie wurde durch Pierre-Paul Royer-Collard (1763–1845, vgl. Royer-Collard 1913) und Victor Cousin (1792–1867; vgl. Cousin 1865, 540 ff.; Madden 1984) in Frankreich einflussreich, was sich unter anderem darin niederschlug, dass in Frankreich die erste Gesamtausgabe der Werke Reids entstand (Oeuvres complètes de Thomas Reid, hrsg. von Th. Jouffroy, Paris, 1828–1936; vgl. Madden und Manns 1987). Im 20. Jh. schließlich wurde die Philosophie des Common Sense durch zwei Autoren einflussreich, nämlich G. E. Moore und Roderick Chisholm (vgl. Lehrer 1976 und 1989, 6). K4: Die Rede von einer „Anatomie der menschlichen Natur“ bzw. einer „Anatomie des Geistes“ findet sich in Humes Treatise on Human Nature 1.4.6 bzw. 2.1.12. Mit Hume teilt Reid zwar die generelle Auffassung, dass es der Philosophie des Geistes noch nicht gelungen ist, zu einer Wissenschaft zu werden, doch lehnt Reid Humes Ansatz bei Ideen und Eindrücken entschieden ab (vgl. Wood 1994). K5: Zu Reids Rekonstruktion der Ideentheorie vgl. einführend RoyerCollard 1913, 195–212; Lehrer 1989, Kap. 2; de Bary 2002, Kap. 6. Zur Vertiefung vgl. Daniels 1989, Kap. 4; Gallie 1989, Kap. 2. Wolterstorff 2001 rekonstruiert insgesamt sieben Vorwürfe Reids gegen die Ideentheorie (IT): (1) Es gibt keine (guten) Argumente zugunsten der IT (ebd., 65 ff.); (2) Die IT macht das Bewusstsein von äußeren Objekten zu einem Bewusstsein von inneren, geistigen Bildern (85 ff.); (3) Die IT setzt voraus, dass Wahrnehmungsüberzeugungen aus Sinnesempfindun-
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gen abgeleitet werden (92 ff.); (4) Ideen als geistige Objekte und kausale oder assoziative Relationen zwischen ihnen können Wahrnehmung, Erinnerung und Denken nicht erklären (46 ff.); (5) Die IT erklärt die Tätigkeit von Personen wie Aktivität von Materie (54 ff.); (6) Die IT nimmt an, dass Empfindungen ihren Objekten ähnlich sein müssen (86 ff.); (7) Die IT vermischt intentionale Wahrnehmungen und nicht-intentionale Empfindungen (80 ff.). – In diesem Abschnitt liegt das Augenmerk auf (1) bis (3), wobei (2) der „Unmittelbarkeitsthese“ und (3) der „Deduktionsthese“ entspricht (vgl. Einleitung, Bd. 1, 11.1.2). K6: Reids philosophiegeschichtliches Narrativ lautet wie folgt: Descartes hat der Philosophie mit dem Begriff der Idee einen neuen Weg gezeigt (den sog. „Way of Ideas“, eine Bezeichnung, die vermutlich aus Edward Stillingfleet „The Bishop of Worcester’s Answer to Mr Locke’s Letter“ stammt; vgl. Stillingfleet 1987, 80). Dabei handle es sich freilich um einen Irrweg, dem Autoren wie Malebranche, Locke, Berkeley und Hume bis zu seinem unvermeidlichen Ende gefolgt sind, nämlich bis zum Skeptizismus. Die Ideen legen sich gleich einem Schleier zwischen den Geist und die Wirklichkeit materieller und von uns unabhängiger Objekte der Außenwelt. Als Konsequenz davon wird nicht nur fraglich, ob wir diese Wirklichkeit erkennen können, sondern auch, ob sie überhaupt existiert. Während sich Descartes oder Locke noch darum bemühten, über den Umweg der Ideen den Zugang zu dieser Wirklichkeit zu behaupten, glaubt Berkeley den drohenden Skeptizismus nur dadurch vermeiden zu können, dass er die Existenz dieser Wirklichkeit bestreitet. Berkeley habe gezeigt, dass „alles im Universum auf zwei Kategorien reduziert werden kann, nämlich geistige Wesen (minds) und Ideen im Geist“ (Essays 2.10, 281). Humes Treatise, den Reid als Ausdruck eines destruktiven Skeptizismus versteht, geht diesen Weg konsequent zu Ende, indem er auch noch die Realität der Geister leugnet „und in der Natur nichts übrig lässt als Ideen und Eindrücke, ohne ein Subjekt, dem sie eingedrückt werden könnten“ (Inquiry 1.5, 102). Humes Skeptizismus, so Reids Pointe, lässt nun aber mit aller Deutlichkeit hervortreten, was am Anfang diese Irrwegs gestanden und ihn erst ermöglicht hat: Ideen. Reid widmet der Analyse der Schriften der Ideentheoretiker vor allem in den Essays viel Raum und lässt sie auch selbst zu Wort kommen. Im Inquiry werden jedoch Arnauld und Leibniz nicht erwähnt und Malebranche entweder stets im Verbund mit Descartes und Locke oder nur beiläufig behandelt. Die Integrationen von Autoren wie Arnauld bereitet Reid in den Essays dann erdenkliche Mühe (Essays 2.13, 297/8; vgl. Nadler 1986). Malebranche und Leibniz werden als Spezialfälle behandelt
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(Essays 2.15, 309). Reids philosophiehistorisches Narrativ wurde bereits früh angefochten. Bereits Thomas Brown (1733–1820) meinte, dass alle Philosophen vor Reid (außer Berkeley und Malebranche), „noch bevor sie auch nur ein einziges seiner [Reids] Argumente gehört hätten, zugeben würden, wären sie von ihm gefragt worden, dass ihre Ansichten über die Ideen exakt dieselben sind wie die seinigen“ (Brown 1820, Bd. 1, 339). Zur Kritik an Reids Rekonstruktion der neuzeitlichen Ideentheorie vgl. Yolton 1984; für Interpretationen einzelner Autoren, die von einem durch Reid geprägten Verständnis abweicht, Perler 1996 (zu Descartes) oder Saporiti 2006 (zu Berkeley); für eine Verteidigung der Interpretationen Reids vgl. de Bary 2002, 105–129; für eine systematische Aneignung der Reidschen Rekonstruktion vgl. Willaschek 2003, 112–119. K7: Anspielung auf Descartes’ Erste Meditation (AT VII, 19). Descartes weist dort die Vorstellung zurück, dass der Meditierende ein Wahnsinniger sein könnte, der glaubt, er sei ein Kürbis oder aus Glas gemacht. Diese Annahme, die ein Äquivalent zum Vertrauen auf das rationale Vermögen darstellt, darf von den Zweifeln der Ersten Meditation nicht betroffen sein (vgl. Frankfurt 1970). Jenseits des ironischen Tonfalls, dessen sich Reid befleißigt, artikuliert diese Passage einen fundamentalen Unterschied zwischen der Descartesschen und der Reidschen Auffassung einer rationalen Person: Descartes zufolge ist eine Person rational, die sich ihrer Vernunft bedient, Reid zufolge ist eine Person rational, die den Grundsätzen des Common Sense vertraut. In Reids Augen kommt die einseitige Privilegierung der Vernunft einer Beschneidung der Grundsätze des Common Sense gleich und ist deshalb eine Form der Irrationalität (vgl. Reids Rede von einem „metaphysischen Wahnsinn“, Inquiry 7.4; Bd. 1, S. 423). Der ironische Tonfall ist nicht unangemessen, denn Reid zufolge begegnet man den Leugnern des Common Sense am besten mit der Waffe der Lächerlichkeit. K8: Thomas Hobbes hat im Zuge seiner Einwände gegen Descartes’ Zweite Meditation kritisiert, auf die eigene Existenz könnte ebenso gut aufgrund einer beliebigen Tätigkeit geschlossen werden, es müsse sich nicht um das Denken handeln: Ich spaziere; es ist unmöglich, dass ich spazieren gehe und nicht existiere; also existiere ich (vgl. AT VII, 195 ff.). Reid scheint hier Hobbes’ Einwand aufzunehmen. Beide übersehen aber, wie zentral für Descartes’ Argumentation der Bezug auf das Denken als generische und nicht-körperliche Tätigkeit ist. K9: Ein Enthymem ist eine unvollständige Schlussform, nämlich ein um die Oberprämisse verkürzter Syllogismus. Descartes’ Cogito-Argument könnte als Enthymem rekonstruiert werden, dem die Oberprä-
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misse „Alles, was denkt, existiert“ fehlt. Doch Descartes hält das „Ich denke, ich existiere“ für unmittelbar gewiss und betrachtet es nicht als Ergebnis eines Schlusses. K10: Entgegen der gängigen Auffassung, die Descartes und Locke als Rationalisten bzw. Empiristen kontrastiert, führt Locke der theoriegeschichtlichen Narration von Reid zufolge Descartes’ ideentheoretischen Ansatz konsequent weiter. Von der Ideentheorie und ihrer Abkehr von den Grundsätzen des Common Sense wird nämlich in erster Linie auch die Auffassung des denkenden Subjekts, der Person, nachteilig beeinflusst. Subjekt und Person werden als Bewusstsein, als Träger von Ideen bestimmt. Reid zufolge kommt diese Entwicklung in Humes These, Personen seien nichts weiter als Bündel von Ideen, zu einem konsequenten Abschluss. Reid hat sich insbesondere in Essays 3.6 mit Lockes Theorie der personalen Identität auseinandergesetzt. Der zweiten Auflage seines Essays hat Locke das Kapitel „Of identity and diversity“ (Essay II, xxviii) hinzugefügt, in welchem er eine einflussreiche Theorie der personalen Identität (der Identität einer Person als dieselbe Person über die Zeit hinweg) vertritt. K11: Nicht zuletzt aufgrund solcher Stellen ist Reids Common-Sense-Philosophie als Ausdruck eines Anti-Intellektualismus verstanden worden, wozu auch ein Strang der positiven Rezeption Reids beigetragen hat; vgl. etwa A. Schimberg, in: Royer-Collard 1913, xvii: „Das Haupt der schottischen Schule ist ein frommer anglikanischer Priester, der sich anschickt, aufgeschreckt durch das Wüten der Humeschen Philosophie und mit einem moralischen und religiösen Ziel vor Augen, den grundlegenden Spiritualismus zu retten und eine Philosophie auf unbestreitbaren und unerschütterlichen Sicherheiten aufzubauen, nämlich den Gegebenheiten des Common Sense.“ Einige Interpreten betrachten die Missverständnisse, die die Rezeption von Reid als einem Common-Sense-Philosophen hervorgerufen haben, und die Verworrenheit, mit der Reid selbst diesen Begriff behandelt, als guten Grund, ihn soweit es geht nicht mehr zu gebrauchen, vgl. Nichols 2007, 21: „Given the historiographical role of common sense in misinterpretations, students of Reid’s work are faced with the choice of either explaining in detail just what he means by describing his theories as commonsensical, or in stating his theories in ways that minimally play upon his appeal to common sense.“ Reids Gebrauch des Ausdrucks „Common Sense“ ist bereits früh als unpräzise kritisiert worden, da in ihm, wie etwa Joseph Priestley es ausdrückte „independent, arbitrary, instinctive principles“ bunt vermischt vorliegen. In den Prolegomena warf Kant Reid vor, er und andere schottische
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Philosophen des Common Sense hätten die skeptischen Herausforderungen Humes ganz missverstanden, „indem sie immer das als zugestanden annahmen, was er gerade bezweifelte, dagegen aber mit Heftigkeit und mehrentheils mit großer Unbescheidenheit dasjenige bewiesen, was ihm zu bezweifeln niemals in den Sinn gekommen war“ (AA. 4:258). Auch der Biograph und Common-Sense-Philosoph Dugald Stewart empfand den Ausdruck als vieldeutig und schlug die Bezeichnung „fundamental laws of human belief“ vor. Wolterstorff hält Reids Begriff für „not just confusing but confused“ (2001, 218) und beurteilt die Rezeption der Reidschen Philosophie unter diesem Etikett als „its great misfortune“ (ebd., 215). Andere sind optimistischer, vgl. Marcil-Lacoste 1982; Schulthess 1983; Rysiew 2003; Pakaluk 2003. K12: Juristischer Ausdruck aus dem angelsächsischen Common Law. Das ursprünglich aus dem Mittelalter stammende Quo warranto („Mit welcher Berechtigung?“) wurde später zur Bezeichnung einer schriftlichen Aufforderung, die Rechtmäßigkeit der Ausübung amtlicher oder staatlicher Befugnisse auszuweisen. Quo-warranto-Verfahren spielten in der englischen Geschichte insbesondere im 16. Jh. im Vorgehen der Stuarts gegen Städte wie London eine Rolle (vgl. Hume, History of England, Bd. VI, Kap. 59). K13: Bei dieser Aufzählung handelt es sich um ein und dieselbe Ähnlichkeitsthese: Materielle Objekte und Sinnesempfindungen dieser Objekte müssen sich ähnlich sein. Gegenüber der Ähnlichkeitsthese ist für Reid Folgendes entscheidend: Wenn eine Eigenschaft eines Objekts in unseren Sinnen eine Empfindung (sensation) verursacht, so hat diese Empfindung keinerlei Ähnlichkeit mit der Eigenschaft. Vielmehr veranlasst uns die Empfindung dazu, dass wir uns das Objekt als so und so beschaffen vorstellen (conceive), und zwar direkt, ohne bewusste Wahrnehmung der Empfindungen. Die Art und Weise dieser Veranlassung ist durch unsere natürliche Konstitution (durch die menschliche Natur) festgelegt (vgl. DeRose 1989). Reid vergleicht die Weise, in der wir Objekte wahrnehmen, mit dem Verstehen der Bedeutungen einer Sprache: Obschon Sprecher Worte verwenden, sind sich Hörer des Gesagten unmittelbar bewusst. Unsere Empfindungen sind einer natürlichen Sprache vergleichbar, die den Zweck hat, wirkliche Objekte zu bezeichnen (dieser Gedanke findet sich auch in Berkeleys An Essay Towards a New Theory of Vision §§ 139 ff., Bd. 1, S. 358; vgl. Atherton 1990, 104–5. u. 195 ff.). Reids Zuschreibung einer Ähnlichkeitstheorie ist stark bis grob vereinfachend. Den Aristotelikern zufolge beinhaltet der Prozess der Wahrnehmung eine Angleichung oder Assimilation des Wahrnehmungs-
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subjekts an das Wahrnehmungsobjekt: das Subjekt nimmt die Form des Objekts auf und gleicht sich ihm so an. Die Ideentheoretiker bestreiten, dass Wahrnehmungsobjekte aus Materie und Form bestehen. Wenn es aber in den materiellen Gegenständen keine Formen gibt, kann sich das Subjekt nicht an Formen angleichen. An die Stelle einer Assimilation tritt eine Kausalrelation zwischen Objekten und Ideen. Ideen repräsentieren Objekte, doch sie müssen ihnen gerade nicht ähnlich sein. So behauptet Descartes keineswegs die Notwendigkeit einer Ähnlichkeit zwischen Ideen und ausgedehnten Körpern. Insbesondere die körperlichen sinnlichen Ideen (oder Bilder) müssen keine Ähnlichkeit mit den von ihnen repräsentierten materiellen Gegenständen aufweisen. Sie sind vielmehr eine Art kodierte Zeichen für jene Gegenstände, die kausal für ihr Auftreten verantwortlich sind (vgl. AT VI, 130; AT X, 413). Locke allerdings behauptet im Zuge seiner Unterscheidung zwischen sekundären Qualitäten (Farben, Gerüche, Töne usw.) und primären Qualitäten (Form, Größe, Bewegung usw.), dass zwar nicht sekundäre Qualitäten, wohl aber primäre Qualitäten den Ideen, die wir von ihnen haben, ähnlich sind (vgl. Essay II, viii, § 15; Bd. 1, S. 275). Diese Ähnlichkeitsthese ist aber von Berkeley und Hume scharf kritisiert worden (vgl. Treatise 1.4.4). K14: Diese Stelle ist wohl wie folgt zu verstehen: Reid ist der Ansicht, dass der Ideentheorie eine Ähnlichkeitsthese (vgl. K13) zugrunde liegt, für die die Ideentheoretiker nicht eigens argumentieren. Dieser These zufolge muss die materielle Welt unseren Empfindungen ähnlich sein und umgekehrt. Diese These hält Reid für völlig unbegründet, denn es ist offensichtlich, so Reid, dass sich eine Empfindung und ein Gegenstand in der Welt ganz und gar unähnlich sind. Er illustriert dies zunächst am klaren Fall einer Schmerzempfindung und einer Schwertspitze, die, so dürfen wir ergänzen, den Schmerz verursacht. Diesen offensichtlichen Sachverhalt versucht Reid nun per analogiam auf das Verhältnis von anderen Empfindungen und den kausal für sie verantwortlichen Eigenschaften von Gegenständen in der Welt zu übertragen: So wie der Schmerz der Schwertspitze ganz und gar unähnlich ist, seien auch unsere (Begriffe von) subjektiven Empfindungen von Ausdehnung oder Härte (unseren Begriffen von) Ausdehnung oder Härte als Eigenschaften von Gegenständen in der Außenwelt ganz und gar unähnlich. Zwar begegnen uns gewisse Eigenschaften der materiellen Gegenstände (wie etwa Härte) stets als empfundene Härte (wir spüren oder fühlen die Härte eines Objekts). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die tastbaren Eigenschaften der Gegenstände und unsere Tastempfindungen einander ähnlich sein müssen. Auch funktionieren Begriffe für objektive Eigenschaf-
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ten (wie Härte oder Ausdehnung) nicht gleich wie Begriffe für unsere durch diese Eigenschaften verursachten Empfindungen. Dieser letzte Gedanke über unterschiedliche Begriffe wird von Reid ebenfalls angedeutet. K15: Als „Peripatetiker“ werden die Schüler des Aristoteles bezeichnet. Ursprung dieser Bezeichnung ist der Ort, in dem Aristoteles und seine Nachfolger in Athen Unterricht erteilten, nämlich im Peripatos (Wandelhalle). K16: 1739 ist das Erscheinungsjahr des ersten Bands von Humes Traktat über die menschliche Natur. K17: Reid deutet Descartes so, dass lediglich das Cogito (der Grundsatz des Bewusstseins) selbst-evident ist, alles andere aber durch die Vernunft evident gemacht werden muss. Demgegenüber sind für Reid alle Grundsätze des Common Sense (vgl. Einleitung, Bd. II) selbst-evident. Worin besteht der Unterschied zwischen Selbstevidenz und Evidenz? Viele englischsprachige Autoren brauchen „evident“ im Sinne von: Es liegt auf der Hand, warum X so ist, wie es ist, und zwar aufgrund von etwas anderem als X. Das bedeutet, dass der Grund für X evident ist. Was selbst-evident ist, erhellt aus sich selbst und kann nicht aus etwas anderem, dessen Begründungskraft auf der Hand liegt, bewiesen werden. K18: Reids Vorwurf an Descartes lautet also, dass dieser die Ausgangslage aufgrund einer unausgewiesenen Vorliebe für theoretische Einfachheit unzulässig auf einen einzigen Grundsatz reduziert. Für Reid ist Descartes deshalb ein „Semiskeptiker“, der einigen Grundsätzen und kognitiven Vermögen vertraut, anderen hingegen nicht (vgl. oben Einleitung, 11.1). Auf den ersten Blick erscheint es seltsam, Descartes als Skeptiker zu betrachten, ist er doch angetreten, den Skeptizismus zu bekämpfen. Diese Auffassung passt jedoch zu Reids These, dass die Skepsis der Ideentheorie von Beginn an innewohnt (vgl. Inquiry 1.7; Bd. 1, S. 407). K19: Reid übernimmt aus aristotelischen und cartesianischen Logiklehrbüchern der Zeit die Dreiteilung in Vorstellung (conception, concevoir, apprehensio), Urteil (judgement, jugements, iudicium) und Schluss (reasoning, raisonnement, ratiocinatio). Eine Vorstellung oder Apprehension ist etwa der Logik von Port Royal zufolge die Bildung oder Wahrnehmung einer Idee, ein Urteil das Verbinden mehrer Ideen, ein Schluss die Verbindung mehrer Urteile. Eine „apprehensio“ ist das geistige Erfassen eines Vorstellungsinhalts oder eines Dings. Es handelt sich um eine bloße Vorstellung der Dinge, ohne Beurteilung der Wahrheit des Vorgestellten. Ein einfaches Erfassen ist entsprechend die Erfassung eines einfachen Vorstellungsinhalts oder eines Dings simpliciter. So kann ich einen Apfel sehen,
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einen Kuckuck hören, an Gott denken oder mir einen Kuchen vorstellen. Mit dem Urteil meint Reid (wie die Formulierung „Urteil und Glaube“ zu verstehen gibt) weniger die Zusammensetzung zweier Vorstellungsinhalte zu einem Urteil als vielmehr den Glauben an die Existenz des aufgefassten Dinges. Einen Apfel sehen oder einen Kuckuck hören heißt urteilen oder glauben, dass ein Apfel bzw. ein Kuckuck existiert, hingegen heißt an Gott denken oder einen Kuchen vorstellen nicht urteilen oder glauben, dass Gott oder der Kuchen existieren. Aus diesem Grund gehören in der Sinneswahrnehmung Glaube oder Urteil und Vorstellung oder Erfassung stets zusammen. K20: Locke zufolge stammen alle Ideen aus der Sinnesempfindung (sensation) oder aus der Reflexion (reflection), denn unser Geist befasst sich entweder mit äußeren sinnlichen Gegenständen oder mit den inneren Tätigkeiten des Geistes. Locke behauptet, dass es sich hierbei um die beiden einzigen Quellen für Ideen handelt (Essay II, i, § 2; Bd. 1, S. 266). K21: Locke definiert Wissen als die Wahrnehmung des Zusammenhangs und der Übereinstimmung oder der Nichtübereinstimmung und des Widerstreits irgendwelcher unserer Ideen (Essay IV, i, § 2; Bd. 1, S. 288). K22: Reid bezieht sich hier auf Inquiry 2.3–5, vgl. Essays 2.5; vgl. den systematischen Essay (11.3). K23: Reid bezieht sich hier auf die Grundsätze des Common Sense, vgl. oben Einleitung, 11.1. 11.2.2Auszüge aus Essays on the Intellectual Powers of Man / Versuche über die intellektuellen Vermögen des Menschen (1785) (zitiert als: Essays) K24: Die Formulierung, die Reid hier Locke zuschreibt („Ideas are nothing but the immediate objects of the mind in thinking“), findet sich so nicht wörtlich bei Locke. Allerdings kann man inhaltlich ähnliche Formulierungen in dessen Essay Concerning Human Understanding finden. Dort heißt es z. B. in I, i, § 8 auf die Frage, was eine Idee sei: „das …, was auch immer der Gegenstand des Verstandes ist, wenn ein Mensch denkt“ (Vgl. dazu die entsprechende Textstelle im Kapitel über Locke, Bd. 1, S. 264, und den dazugehörigen Kommentar K1). Im offenen Brief an Edward Stillingfleet, Bischof von Worcester, findet sich zudem fast wörtlich dieselbe Formulierung: „The things signified by ideas are nothing but the immediate objects of our minds in thinking“ (John Locke, A Letter to the Bishop of Worcester, 1697).
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K25: Johann Jakob Brucker (* 22. Januar 1696, Augsburg, † 26. November 1770, ebd.) war evangelischer Theologe und Verfasser einer Philosophiegeschichte. Reid spielt hier wohl auf seine Schrift Historia Philosophicae Doctrinae de Ideis (Augsburg 1723) an. K26: Erst im 5. Essay („Of Abstraction“) nimmt Reid diesen Faden wieder auf. In Kapitel 5 dieses Essays („Observations Concerning the Names Given to Our General Notions“) macht er deutlich, dass er selbst unter Allgemeinbegriffen (general notions) oder Allgemeinvorstellungen (general conceptions) „immer die vorgestellten Dinge, und nicht den geistigen Akt des Vorstellens“ (Essays 5.5, 404) versteht. Und er fährt fort: „Die Pythagoräer und Platoniker haben ausschließlich diese allgemeinen Objekte der Vorstellung als Ideen bezeichnet. Da wir das Wort Idee von ihnen entlehnt haben, das nunmehr in allen Sprachen Europas bekannt ist, hielte ich es für das Richtige, wenn wir auch dessen Bedeutung entlehnen und es nur dazu verwenden würden, uns auf das zu beziehen, was auch sie damit meinten. Ich gehe davon aus, dass wir ein Wort ohne Mehrdeutigkeit brauchen, das die Dinge, die wir ausschließlich vorstellen, von den Dingen unterscheidet, die existieren. Würde das Wort Idee ausschließlich zu diesem Zweck verwendet, hätten wir es in seiner ursprünglichen Bedeutung wiederhergestellt und diesem Bedürfnis Rechnung getragen. Selbstverständlich können wir mit den Platonikern hinsichtlich der Bedeutung des Wortes Idee übereinstimmen, ohne deren Theorie bezüglich der Ideen zu übernehmen“ (ebd.). K27: Die folgende Diskussion betrifft das Problem, das wir heute als Problem der intentionalen Inexistenz bezeichnen würden. Reid bestreitet vehement, dass wir ein unmittelbar gegenwärtiges Objekt unserer Vorstellung benötigen, wenn wir uns auf etwas intentional beziehen (d. h. vermittels einer Vorstellung), das nicht existiert oder existiert hat. Dass eine derartige Argumentation erfolgreich ist, ist eines der zentralen Fundamente einer Alternativkonzeption zum ideentheoretischen Paradigma. Denn gerade der elegante Umgang mit der intentionalen Inexistenz scheint einer der systematischen Vorteile der Ideentheorie zu sein, die ja mit den Ideen genau solche unmittelbaren Objekte zur Verfügung stellt. Reids Antwort scheint nur vor dem Hintergrund einer adverbialen Analyse auch des Vorstellungsbegriffs überzeugend, die aber ihrerseits Probleme aufwirft. Vgl. dazu den systematischen Essay (11.3), unten S. 445 f. Außerdem zum Thema: Nichols 2007, Kap. 2 & 7. K28: Die meisten Aristoteliker des Mittelalters gingen davon aus, dass es vermittelnde Entitäten geben muss, damit eine Wahrnehmungsrelation zwischen zwei getrennten Dingen entsteht. Dieser Wahrnehmungstheorie zufolge werden Eigenschaften materieller Objekte auf das wahr-
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nehmende Subjekt übertragen, und zwar mithilfe besonderer Entitäten, sog. „species in medio“. Die „species in medio“ vermitteln über ein Medium (Luft, Licht) zwischen Objekten und ihrer Wahrnehmung. Erblickt ein Betrachter ein Objekt, nimmt er dessen wahrnehmbaren Eigenschaften auf und bildet auf dieser Grundlage Vorstellungsbilder (species sensibilis), die der Intellekt in Verstandesbegriffe (species intelligibilis) umformt. So werden nicht nur Vorstellungsbilder, sondern die Form von Objekten erfasst. In der Wahrnehmung aufgenommen wird jedoch nicht die Materie, sondern nur die Form dieser Eigenschaften. Wer etwa eine Farbe sieht, nimmt nur das auf, was für die Struktur der Farbe verantwortlich ist: ein immaterielles Prinzip. Sobald dieser Prozess des Aufnehmens abgeschlossen ist, befindet sich die Form der wahrnehmbaren Eigenschaft im Wahrnehmenden. Wahrnehmung ist passiv: Der Wahrnehmende „erleidet“ etwas, wenn die Formen der wahrnehmbaren Eigenschaften auf ihn übertragen werden, und er gleicht sich diesen Eigenschaften an, ohne dazu eine besondere Leistung erbringen zu müssen (vgl. Spruit 1994; Pasnau 1997). Dieser Theorie stellt sich die Frage, was ein Betrachter sieht: das Objekt selbst oder nur eine Species? Einige Autoren sind der Ansicht, dass die Species ein Bild von der Sache sei, nicht die Sache selbst. Aus diesem Grund rechnet Reid der Ideentheorie auch die Theorie der Species und der Formen zu.
11.3 Essay: Empfindung und Wahrnehmung – Reids Adverbialismus Der Versuch einer konsequenten Unterscheidung zwischen Empfindung und Wahrnehmung nimmt gleichermaßen einen zentralen Platz in Reids Kritik an der Ideentheorie wie in seiner eigenen, als Alternative zur Ideentheorie entwickelten Theorie der Wahrnehmung ein. Im Inquiry von 1764 heißt es dazu programmatisch: Empfindung und die Wahrnehmung äußerer Gegenstände durch die Sinne sind gemeinhin für ein und dasselbe gehalten worden, obwohl sie ihrer Natur nach sehr verschieden sind. Die Zwecke des alltäglichen Lebens machen eine solche Unterscheidung nicht erforderlich und die überkommenen Meinungen der Philosophen neigen dazu, sie durcheinander zu bringen. Doch es ist unmöglich, eine angemessene Auffassung der Operationen unserer Sinne zu erlangen, ohne sorgfältig auf diese Unterscheidung zu achten. (Inquiry 6:20, 183)
Um die Leistungsfähigkeit, aber auch die Grenzen dieser Unterscheidung soll es im Folgenden gehen.
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11.3.1 Adverbialismus Ausgangspunkt der Untersuchung ist Reids Analyse der Empfindungen. Empfindungen sind für Reid Zustände des Bewusstseins und damit Zustände des Geistes. Doch Empfindungen sind keine intentionalen Zustände, sondern müssen von diesen scharf abgegrenzt werden. Der Grund dafür ist, dass Empfindungen kein intentionales Objekt haben. Daraus ergibt sich natürlich unmittelbar, dass in Reids Konzeption des Geistes die Brentano’sche These nicht gilt: Nicht alle geistigen Zustände sind intentionale Zustände in Brentanos Sinne.10 In seinem Inquiry von 1764 bringt Thomas Reid diese Analyse folgendermaßen auf den Punkt: Die Form des Ausdrucks ‚Ich empfinde Schmerzen‘ scheint zu implizieren, dass es sich bei der Empfindung um etwas von dem empfundenen Schmerz Verschiedenes handelt. Tatsächlich gibt es aber keinen derartigen Unterschied. Genau so wie ‚einen Gedanken denken‘ ein Ausdruck ist, der nichts anderes bezeichnet als ‚denken‘, bezeichnet ‚einen Schmerz empfinden‘ [feeling a pain] nichts anders als ‚schmerzen‘ [being pained ]. Was wir über Schmerzen gesagt haben, kann auf jede andere bloße Empfindung angewendet werden. (Inquiry 4:20, 183)
Was Reid in dieser kurzen Passage skizziert, ist eine adverbialistische Analyse von Empfindungsausdrücken, wie wir sie in der Zuschreibung von Empfindungen verwenden, und – obwohl die Unterscheidung zwischen sprachlicher Ebene und Objektebene auch bei Reid, wie bei allen anderen Autoren der frühen Neuzeit, in der Regel nicht hinreichend beachtet wird – auch eine adverbialistische Theorie der Empfindungen selbst. Was macht eine Analyse geistiger Zustände adverbialistisch? Adverbialistisch ist eine Analyse mentaler Zustände, wenn sie mentale Zustände der Art A -t, (wobei A das Subjekt des Zustands ist) nicht etwa relational analysiert als ARo, (wobei R eine Beziehung bezeichnet und o das Objekt dieser Beziehung), sondern As -en vielmehr als adverbiale Kennzeichnung eines Zustands von A auffasst, also als
10
Vgl. Brentano 21924. Zum Verhältnis von Reids Theorie zu dieser These vgl. Lehrer 1976, 15; Nichols 2007, 67.
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A -t in der [o]-Weise analysiert. So wird in Reids Beispiel A empfindet Schmerz nicht als A steht in einer Beziehung zu Schmerz analysiert, sondern als A schmerzt es, was – da „es“ hier kein Objekt hat, sondern so funktioniert wie das „es“ in „es regnet“ –, auch ausgedrückt werden kann als A empfindet schmerzlich. In diesem Ausdruck wird der adverbiale Charakter dieser Analyse besonders schön deutlich: „schmerzlich“ fungiert hier als adverbiale Modifikation des Verbums „empfinden“. Der Adverbialismus kann sowohl als ontologische wie auch als semantische These vertreten werden. Der Grund für diese Unterscheidung ist, dass wir bei geistigen Zuständen zwischen ihrem Inhalt und ihrem ontologischen Status unterscheiden können: Adverbialismus kann nun entweder eine Theorie über den Inhalt geistiger Zustände sein oder eine Theorie über ihren ontologischen Status – oder beides zusammen. Als ontologische These besagt der Adverbialismus, dass (bestimmte) geistige Zustände nichts anderes sind als Modifikationen des Subjekts dieser geistigen Zustände. Als semantische These besagt er, dass der Inhalt (bestimmter) geistiger Zustände vollständig adverbial zu analysieren ist – unabhängig davon, was letztlich die Natur dieser geistigen Zustände ist. Reid will nun in seiner Analyse der Empfindungen offenbar beide Thesen vertreten und systematisch zueinander in Beziehung setzen. So heißt es an einer Stelle in den Essays von 1785 (dem Werk also, das üblicherweise als ausgereiftere Darstellung von Reids Theorie betrachtet wird): Der angenehme Geruch [einer Rose] ist, für sich genommen, […] nichts anderes als eine Empfindung. Sie affiziert den Geist in bestimmter Weise; und diese Affektion kann man zum Gegenstand der Vorstellung machen [may be conceived ], ohne den Gedanken an eine Rose oder an irgendeinen anderen Gegenstand. Die Empfindung ist nichts anderes als das, was zu sein man sie empfindet [it is felt to be]. Ihr Wesen besteht im Empfundenwerden; und wenn sie nicht empfunden wird, ist sie nicht. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Empfindung und ihrem Empfinden. Das ist der Grund dafür, […] dass in der Empfindung kein Gegenstand unabhängig von dem geistigen Akt existiert, durch den sie empfunden wird. (Essays 2.16, 310)
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Auf Reids Auffassung von Affektion in diesem Zusammenhang müssen wir weiter unten noch eingehen.11 Für den Moment reicht es festzuhalten, dass der Inhalt einer Empfindung, hier der Geruch der Rose, offenbar adverbialistisch zu analysieren ist: Das Wesen der Empfindung ist das Empfundenwerden in einer bestimmten Weise, das in keiner Weise auf einen Gegenstand gerichtet ist. Empfindungen, so können wir diesem Zitat weiterhin entnehmen, sind bloße Modifikationen des Geistes, weil ihr Inhalt adverbial analysiert werden kann. Der semantische Adverbialismus stützt bei Reid also den ontologischen argumentativ. Dieser Zusammenhang ist allerdings keineswegs zwingend: Eine alternative Konzeption könnte sich die semantische These zu eigen machen, aber dennoch die ontologische These ablehnen – und umgekehrt. Der Grund dafür ist, dass die Analyse des Inhalts geistiger Zustände begrifflich unabhängig ist vom ontologischen Status dieser Zustände.12 Worin liegt nun Reids Ansicht nach der besondere Nutzen einer derartigen Analyse? Die Art und Weise, in der wir uns häufig sprachlich auf unsere Empfindungen beziehen, ist, wie aus dem Zitat aus dem Inquiry hervorgeht, mit dem wir diese Ausführungen begannen, irreführend: Sie legt nahe, dass wir bei Empfindungen zwischen einem Objekt der Empfindung und der Empfindung selbst in ähnlicher Weise unterscheiden können, wie wir es unproblematischer Weise im Falle intentionaler Zustände wie Gedanken, Überzeugungen, Wünschen, Hoffnungen etc. zu tun gewohnt sind, indem wir zwischen dem intentionalen Zustand und dem Objekt unterscheiden, auf das sich dieser Zustand kraft seines Inhalts bezieht. Irreführend, so Reid, ist diese Ausdrucksweise deshalb, weil sie die tatsächliche Natur der Empfindungen verschleiert: Empfindungen mögen mentale Zustände sein, intentionale Zustände sind sie jedoch keinesfalls. Ihnen fehlt dazu etwas für intentionale Zustände Wesentliches, nämlich ein (sei es auch möglicherweise nichtexistentes) Bezugsobjekt,
11 12
Vgl. unten S. 460. So vertreten Ducasse und Chisholm den Adverbialismus ausschließlich als semantische bzw. epistemologische These, Sellars ausschließlich als ontologische These. Vgl. Ducasse 1942; Chisholm 1957; Sellars 1975. Es ist deshalb problematisch, wenn man, wie Pappas 1989, Reid einmal einen Adverbialismus à la Ducasse und Chisholm unterstellt und später auf die enge Verwandtschaft zwischen Reids und Sellars’ Konzeption von Empfindung verweist. Vgl. Pappas 1989, 162 und 164 Fn. 11.
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das sie qua geistiger Zustand haben13. Eine adverbialistische Analyse von Empfindungsausdrücken wird diesem besonderen Charakter von Empfindungen gerecht, da diese Analyse nicht erst den Eindruck erweckt, wir könnten die Empfindung von dem Empfinden der Empfindung in ähnlicher Weise trennen wie das Bezugsobjekt eines Gedankens vom Denken dieses Gedankens. Denn das, so Reid, ist nicht richtig: Die Empfindung verhält sich zum Empfinden der Empfindung nicht so wie der Gedanke zum Denken eines Inhalts, sondern so wie ein Gedanke zum Denken des Gedankens. Genau wie das Denken des Gedankens, dass ich bin, nichts anderes ist als der Zustand des Denkens, dass ich bin, so ist das Empfinden einer Schmerzempfindung nichts anderes als der Zustand des Schmerzempfindens, d. h. die Schmerzempfindung selbst. Gerade die Analogie zwischen Empfindungen und Gedanken, die Reid in seiner Überlegung so geschickt einsetzt, legt allerdings auch nahe, dass man unter dieser Voraussetzung streng genommen auch intentionale Zustände wie Gedanken oder Überzeugungen adverbial analysieren sollte: Auch für Gedanken gilt ja, dass sie qua Gedanken erst einmal Zustandsweisen des denkenden Subjekts sind. Hinsichtlich ihrer ontologischen Kategorisierung scheinen sich Gedanken also ganz genauso zu verhalten wie Empfindungen – beide sind Modifikationen eines Subjekts, d.h. in Reids dualistischem Weltbild: eines Subjekts, sofern es Geist ist.14 Doch wir können, wie bereits erwähnt, bei geistigen Zuständen zwischen zwei Betrachtungsweisen unterscheiden: wir können einen geistigen Zustand qua Zustand betrachten und wir können ihn qua Inhalt betrachten. Im Falle der Empfindungen ändert sich durch diesen Wechsel der Betrachtungsweise nichts: Eine Empfindung ist qua Zustand nach Reid genau die Empfindung, die sie qua Inhalt ist. So ist eine Schmerzempfindung nichts anderes als das schmerzliche Empfinden. Der Inhalt der Empfindung ist, mit anderen Worten, die Art und Weise des Empfindens selbst. Dasselbe gilt nun aber nicht für Gedanken: das Denken eines Gedankens qua Zustandsweise ist vom Denken eines Gedankens qua Inhalt ver-
13
14
Diese Qualifikation ist nötig, da wir sehen werden, dass Empfindungen bei Reid in anderer Weise durchaus ein Bezugsobjekt haben: Sie fungieren als natürliche Zeichen für Eigenschaften von Gegenständen. Dieses Bezugsobjekt macht die Empfindungen, wie sich zeigen wird, allerdings nicht selbst intentional, da dieses Bezugsobjekt nicht ihr intentionales Objekt ist, sondern das intentionale Objekt eines anderen geistigen Zustands. Vgl. dazu unten S. 451. Vgl. Essays 1.2.
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schieden. Inhalte von Gedanken sind nichts anderes als intentionale Objekte, wobei der Ausdruck „Objekt“ hier in einem sehr weiten Sinne verwendet wird. Dieser Umstand veranlasst Reid nun nicht etwa dazu, die adverbialistische Ontologie für Gedanken ohne weiteres abzulehnen, wohl aber dazu eine entscheidende semantische Disanalogie zwischen Empfindungen und Gedanken zu entwickeln, die auch die ontologische Analogie beeinträchtigt. Für diese semantische Disanalogie und ihre ontologischen Auswirkungen argumentiert Reid wiederum anhand der Analyse unserer alltäglichen Redeweise. Zunächst finden wir hier wieder die Feststellung einer oberflächlichen Ähnlichkeit der grammatischen Struktur, von der wir bereits wissen, das Reid sie letztlich ablehnt: So etwa ‚Ich empfinde einen Schmerz‘; ‚Ich sehe einen Baum‘: Der erste Satz bezeichnet eine Empfindung, der zweite eine Wahrnehmung. Die grammatische Analyse beider Ausdrücke ist dieselbe: denn beide bestehen aus einem aktiven Verb und einem Objekt. Wenn wir uns aber den Dingen zuwenden, die von diesen Ausdrücken bezeichnet werden, so werden wir feststellen, dass im ersten die Unterscheidung zwischen Handlung [act] und Gegenstand [object] nicht real, sondern bloß grammatisch ist, während sie im zweiten nicht bloß grammatisch ist, sondern real. (Inquiry 6:20, 182–3)
Wenn wir davon ausgehen, dass Wahrnehmungen für Reid (zumindest auch) Gedanken sind, dann finden wir in diesem Zitat also einmal mehr die Begründung einer ontologische These auf der Basis einer semantischen Analyse unserer alltäglichen Redeweise und deren epistemologischer Interpretation: Die ontologische These ist nunmehr, dass das Sein eines Gedankens sich nicht in seinem Zustandsein erschöpfen kann. Er ist mehr als bloße geistige Tätigkeit; er ist eine Tätigkeit, die sich wesentlich auf ein Objekt richtet. Die Begründung für diese These ist, dass dieses Zustandsein für sich genommen nicht erklären kann, in welchem Sinne Gedanken ein intentionales Objekt haben. Und diese Begründung ist ihrerseits nichts anderes als die philosophische Interpretation der Analyse unserer alltäglichen Redeweise: Die Erklärung dafür, dass unsere Gedanken wesentlich ein intentionales Objekt haben, ist nötig, weil sich der Ausdruck der Gedanken – im Gegensatz zu unserem Sprechen über Empfindungen – nicht restlos adverbial analysieren lässt.15 15
Dass diese Disanalogie zumindest umstritten ist, zeigen die adverbialistischen Analysevorschläge von intentionalen geistigen Zuständen durch Sellars 1975 und Tye 1984.
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Mit dieser Begründung der ontologischen These bleiben Gedanken zwar qua geistige Zustände einer adverbialen Beschreibung zugänglich; allerdings ist diese Beschreibung auch als ontologische Charakterisierung des Denkens nun nicht mehr vollständig: Sie charakterisiert Gedanken bloß als Zustände und vernachlässigt die Inhaltsdimension, die sie erst zu den Gedanken macht, die sie jeweils sind. Der Grund für die skizzierte semantische Disanalogie und ihre ontologischen Auswirkungen ist also darin zu sehen, dass Reid einen engen Zusammenhang zwischen der Analyse der alltäglichen Redweise über geistige Zustände und ihrer ontologischen Interpretation sieht. Dieser Zusammenhang ist allerdings alles andere als selbstverständlich. Wieso also glaubt Reid, dennoch so argumentieren zu können? An dieser Stelle muss man sich an die Rolle erinnern, die Reid dem Common Sense zuschreibt: Den Grundsätzen des Common Sense kommt, wie wir gesehen haben, die Rolle quasi-axiomatischer Konstanten unseres Denkens und Handelns zu. Und welche Grundsätze tatsächlich die Dignität solcher Konstanten haben, hängt wiederum davon ab, welche Konstanten im System unserer alltäglichen Überzeugungen eine unverrückbare Rolle spielen. Welche aber sind das? Einen wichtigen Wegweiser kann hier die Analyse unserer alltagssprachlichen Redeweise darstellen. Doch dabei muss man äußerst vorsichtig vorgehen, da uns die Oberflächengrammatik in die Irre führen kann, wie das Beispiel der Empfindungen zeigt: Was scheinbar in geistige Tätigkeit und ihren (gedachten) Gegenstand zerfällt, ist, wenn Reid recht hat, in Wirklichkeit nichts anderes als bloße, gegenstandslose geistige Tätigkeit. Wie kann uns vor dem Hintergrund solcher Täuschungsfälle die Alltagssprache noch als Wegweiser der philosophischen Analyse dienen? Nun, beispielsweise, indem man sich an genau diejenigen sprachlichen Verwendungsweisen hält, die sich durch eine alternative Analyse unseres Sprechens nicht weganalysieren lassen. Denn im Normalfall ist der Sprachgebrauch Reids Ansicht nach tatsächlich ein wichtiger Indikator für eine am Common Sense orientierte Analyse16 – allerdings nur dann, wenn nicht auf einen alternativen Sprachgebrauch verwiesen werden kann, der die fragliche Implikation nicht nahe legt. Genau von dieser Art, so argumentiert Reid, sind aber unsere Auffassungen über die Common
16
Vgl. Einleitung 11.1.
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Sense-Analyse intentionaler geistiger Zustände – und das unterscheidet sie eben von der Analyse unserer Empfindungszuschreibungen. Dieser Umstand liefert uns also zunächst den entscheidenden Beleg für eine im Common Sense verankerte Unterscheidung der Analyse des Inhalts von Empfindungen und des Inhalts intentionaler Zustände. Denn, so kann Reid argumentieren, wir können intentionale Zustände tatsächlich nicht ohne Verweis auf ihr (intentionales) Objekt vollständig charakterisieren; für Empfindungen ist das, wie wir gesehen haben, möglich. Diese semantische Analyse hat aber, so können wir vor dem Hintergrund der Reidschen Methodologie des Common Sense nun feststellen, auch eine ontologische Dimension: Das Sein von Empfindungen erschöpft sich also tatsächlich im Empfundenwerden; das Sein von intentionalen Zuständen hingegen besteht in mehr als dem Gedachtwerden – auch wenn dies ein wesentlicher Teil dieses Seins ist. Das Sein der Gedanken besteht darüber hinaus im Bezug auf ein (intentionales) Objekt des Gedankens – und unabhängig von dem Bezug auf dieses Objekt ist der Gedanke eben nicht vollständig charakterisierbar und damit in seinem Wesen nicht vollständig erfasst. Die adverbiale Analyse ist im Falle intentionaler Zustände also nach Maßgabe von Reids Common Sense Theorie nicht nur semantisch abzulehnen, sondern auch ontologisch unvollständig, weil sie die (vorgeblichen) relationalen Eigenschaften nicht mit einbezieht, die die intentionalen Zustände kraft ihres intentionalen Objekts erst zu den Zuständen machen, die sie sind. An dieser Stelle entsteht allerdings ein Problem für Reids Disanalogie, da die intentionale Bezugnahme nicht erfolgreich sein muss, damit der intentionale Zustand zu dem Zustand wird, der er kraft seines Inhalts ist. Sofern wir etwas wahrnehmen, hat ein intentionaler Zustand zwar ein reales Objekt: Wahrnehmen ist ein Erfolgsverb17; dennoch bleiben Probleme für Fälle wie Halluzination, Träume, Produkte der Einbildung oder Erinnerungen, in denen unser intentionaler Zustand kein unmittelbar gegenwärtiges Objekt zu haben scheint. Reid legt viel Wert darauf, dass die Objekte unserer intentionalen Zustände nicht existieren müssen, damit wir uns intentional auf sie beziehen können. Dieser Punkt ist ihm sogar ausgesprochen wichtig, denn er stellt einen Grundpfeiler seiner Kritik an der Ideentheorie dar:18 Eine wesentliches Argument der Ideentheoretiker, so wie Reid sie verstand, 17 18
Vgl. dazu Austin 1962, 85–104. Vgl. dazu Einleitung Bd.1, 11.1.2.
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war gerade das angebliche Vorhandensein eines Stellvertreterobjekts in Fällen, in denen kein irgendwie gegenwärtiges Objekt als intentionales Objekt zur Verfügung steht. Die Ideen waren genau solche Stellvertreterobjekte: Sie sind die unmittelbaren Objekte der intentionalen Bezugnahme, da sie auch dann existieren, wenn ihnen kein reales Objekt entspricht, während letztere nur als unmittelbare Objekte intentionalen Bezugs fungieren. Reid greift diese Auffassung vehement an,19 indem er insistiert, dass das intentionale Objekt geistiger Zustände immer der Gegenstand ist, auf den sie sich kraft ihres Inhalts unmittelbar beziehen – und dieser Gegenstand existiert zwar in vielen Fällen, in vielen anderen existiert er jedoch nicht (häufig ohne dass wir als Subjekte dieser intentionalen Zustände uns dessen bewusst sind). So funktionieren eben intentionale Zustände. Dass wir uns häufig auf Dinge intentional beziehen, die nicht existieren, ist, mit anderen Worten, eine nicht weiter erklärbare oder auch nur erklärungsbedürftige Grundeigenschaft unserer intentionalen Bezugnahme. Man mag das für überzeugend halten oder nicht: Problematisch ist dieser Aspekt seiner Analyse auf jeden Fall für die von ihm vertretene Disanalogie zwischen Empfindungen und intentionalen Zuständen, die wir diskutiert haben. Denn diese Auffassung legt nahe, dass sich intentionale Zustände eben doch vollständig und eindeutig ganz aus sich selbst heraus charakterisieren lassen, ohne die Einbeziehung relationaler Eigenschaften. Denn der intentionale Bezug ist dann nicht wesentlich ein erfolgreicher Bezug – und damit überhaupt nicht wesentlich ein realer Bezug. Als nicht wesentlich reale Bezugnahme handelt es sich dann aber nur um eine Tätigkeit oder Handlung des Geistes – eine Handlung, die eben nicht mehr „real“ (Inquiry 6.20, 183) unterschieden ist von ihrem Gegenstand. Und diese Tätigkeit sollte sich doch ebenso vollständig adverbial charakterisieren lassen wie andere bloße Tätigkeiten des Geistes auch. Und damit eröffnet sich einer vollständigen adverbialen Analyse wieder eine vielversprechende Perspektive.
19
Vgl. vor allem Essays 4.2; Bd. 1, S. 427.
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11.3.2 Die Natur der Empfindung Empfindungen sind, soviel wurde bisher deutlich, für Reid geistige Zustände, die kein intentionales Objekt haben. Anders gesagt: Ihr Sein erschöpft sich im Empfundenwerden, ihr esse ist sentiri.20 Das heißt aber nicht, dass es in Reids Konzeption keinerlei Zusammenhang gäbe zwischen einer Empfindung und dem wahrgenommenen Gegenstand, der kausal für diese Empfindung verantwortlich ist: Empfindungen fungieren bei Reid nämlich als Zeichen für Eigenschaften von Gegenständen.21 Auf diese Weise spielen sie ihre (in der Regel) unentbehrliche Rolle in der Wahrnehmung, mit der wir uns im Weiteren noch beschäftigen werden. An dieser Stelle ist zunächst nur wichtig, dass jede einzelne Empfindung vermittels einer natürlichen, d. h. hier rein kausalen, Zeichenrelation genau eine Eigenschaft bezeichnet.22 Kraft dieses natürlichen Zeichens bilden wir dann intentionale Vorstellungen (conceptions) dieser Eigenschaften, die wir in komplexen Wahrnehmungen von Gegenständen integrieren. Dass Empfindungen als natürliche Zeichen fungieren, macht sie nicht selbst zu intentionalen Zuständen: Empfindungen werden vielmehr, in einem näher zu bestimmenden Sinne, als Zeichen für Eigenschaften verwendet. Diese Verwendung ist im Großen und Ganzen so automatisiert, dass wir uns ihrer nicht bewusst sind.23 Zu einem erheblichen Teil müssen wir sie wohl sogar als angeboren auffassen. Empfindungen, die wir als Zeichen verwenden, „schlagen uns [Eigenschaften] vor“ (Inquiry 2.8, 111) – manche nur auf Grund unserer Erfahrungen und der Gewohnheit, die durch diese Erfahrungen erworben wurde, andere aber auch auf eine natürliche Weise (natural suggestions). Für die Verbindung
20
21
22 23
Vgl. Staudacher 2008. Dieselbe Formulierung findet sich auch bei Sellars 1982 mit Bezug auf seine eigene Theorie. Wir werden auf die Frage zurückkommen, ob Reid eine vergleichbar klare Abgrenzung der Empfindung von intentionalen Zuständen gelingt. Vgl. dazu ausführlich den hilfreichen Essay Staudacher 2008. Staudacher wählt für Reids Wahrnehmungstheorie die suggestive Bezeichnung „semiotischer Realismus“. Vgl. z. B. Essays 5.3, 395. Dieser automatisierte Vorgang lässt sich jedoch durch viel Übung wieder bewusst machen und so von der eigentlich intentionalen Bezugnahme im Wahrnehmungsvorgang trennen. Reid führt das in Inquiry 6.3. am Beispiel eines Malers aus, der durch viel Übung diese unnatürliche Trennung erlernt hat.
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von einfachen Eigenschaften und Empfindungen sind die letzteren von großer Wichtigkeit:24 Es scheint mir, dass es natürliche Vorschläge [natural suggestions] gibt. Insbesondere, dass Empfindung uns den Begriff gegenwärtiger Existenz vorschlägt und die Überzeugung, dass das, was wir fühlen und wahrnehmen, gegenwärtig existiert; […] Vermittels eines ähnlich natürlichen Prinzips schlägt uns der Anfang der Existenz oder irgendeines Wechsels in der Natur den Begriff der Ursache vor und bringt uns dazu, an seine Existenz zu glauben. Und in ähnlicher Weise […] schlagen uns gewisse Tastempfindungen kraft der Konstitution unserer Natur die Ausdehnung [extension], Festigkeit und Bewegung vor, die in keiner Weise den Empfindungen ähnlich sind, obwohl sie bisher mit ihnen verwechselt wurden. (Inquiry 2.7, 111)
Empfindungen sind also nicht konventionelle, sondern natürliche Zeichen für Eigenschaften von Gegenständen. Dass Empfindungen für uns diese Rolle spielen können, ist teils angeboren, teils ein Produkt von Erfahrung und Gewohnheit.25 Einerseits kommt ihnen als natürlichen Zeichen überhaupt keine Intentionalität zu; sofern wir diese natürlichen Zeichen andererseits als Zeichen für etwas verwenden – eine Verwendungsweise, die zumindest zum Teil auch konventionell geprägt sein kann –, ist ihre daraus resultierende Intentionalität eine bloß abgeleitete, keine ursprüngliche Intentionalität.26 Empfindungen sind also nicht in demselben Sinne intentional wie Gedanken, Wahrnehmungen oder Erinnerungen, denen ursprüngliche Intentionalität zukommt. Der Zeichencharakter der Empfindungen gefährdet deshalb die Abgrenzung der Empfindungen von im eigentlichen Sinne intentionalen Zuständen nicht, sondern zwingt uns nur zur Klarstellung, dass Empfindungen weder als natürliche Zeichen, noch als Zeichen mit abgeleiteter Intentionalität ursprünglich intentionale Zustände sind. Schließen wir nun unsere Diskussion der Abgrenzung von Empfindungen und intentionalen geistigen Zuständen, indem wir kurz die Frage aufgreifen, welche Eigenschaften die Empfindungen selbst haben und welche Eigenschaften wir als Eigenschaften der äußeren Gegenstände auffassen dürfen, die von den Empfindungen bezeichnet (signifyed) wer24
25 26
Den Begriff des Vorschlagens (suggestion) übernimmt Reid von Berkeley. Er führt ihn sogar ein, indem er dessen berühmtes Kutschenbeispiel zitiert. Vgl. Bd. 1, S. 352. Das Kutschenbeispiel ist für Reid Beispiel einer nicht-natürlichen, bloß erworbenen suggestion. (Vgl. ebd). Vgl. Inquiry 6.4, 252. Vgl. zu dieser Unterscheidung Searle 1983.
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den. Eine traditionelle Antwort auf diese Frage könnte auf die Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten zurückgreifen: Sekundäre Qualitäten wahrgenommener Gegenstände, so ließe sich vielleicht behaupten, rufen Eigenschaften der Empfindungen hervor, die uns unmittelbar bewusst sind, primäre Qualitäten hingegen liefern uns ein unmittelbares Bewusstsein der Eigenschaften der wahrgenommenen Gegenstände ohne Rekurs auf Eigenschaften von Empfindungen. Dass dies nicht Reids Auffassung sein kann, erhellt bereits das Zitat über die suggestion: Die dortigen Beispiele für Empfindungen, die natürliche Zeichen für Eigenschaften sind, sind allesamt klassische Beispiele primärer Qualitäten. An anderen Stellen macht Reid allerdings auch klar, dass auch sekundäre Qualitäten von Empfindungen vorgeschlagen werden. Gibt es dann für ihn überhaupt eine sinnvolle Unterscheidung primärer von sekundären Qualitäten oder lehnt er diese Unterscheidung mit Berkeley ab? Reid hält die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten für eine substantielle Unterscheidung, die sich nicht etwa auf eine unfundierte Hypothese stützt. Sie hat ihren Ursprung vielmehr in der unmittelbaren Erfahrung bzw. der aufmerksamen Reflexion (attentive reflection) der Natur der Qualitäten und unseres Wissens von ihnen hat: Sie werden dadurch unterschieden, dass wir von den primären Qualitäten vermittels unserer Sinne einen direkten und deutlichen Begriff [direct and distinct notion] haben; von den sekundären hingegen nur einen relationalen Begriff [relative notion], der dunkel bleiben muss, weil er bloß relational ist. Sie werden nur als unbekannte Ursachen oder Gelegenheiten gewisser Empfindungen vorgestellt, mit denen wir vertraut sind. (Essays 2.17, 314)
Von primären Qualitäten haben wir also einen direkten und deutlichen Begriff, d. h. unsere Sinne liefern uns Informationen darüber, was diese Qualitäten an sich selbst sind (Essays 2.17, 313). Von sekundären haben wir hingegen einen bloß relationalen Begriff, d. h. einen Begriff, der „strenggenommen überhaupt kein Begriff von einem Ding ist, sondern bloß von einer Relation, in der es zu etwas anderem steht“ (ebd. 314) – in diesem Fall uns selbst bzw. unseren Empfindungen. Da Empfindungen sekundärer Qualitäten nur in dieser Weise unbestimmt, wenn auch nicht unbestimmbar,27 über sich selbst hinausweisen, sind sie selbst „der 27
Reid ist der Ansicht, dass die Naturwissenschaft dazu in der Lage ist, die Korrelate dieser Empfindungen zu erforschen (vgl. ebd. 185). Auf diese Weise, so kann man vermuten, könnten Empfindungen sekundärer Qualitäten auch erworbene Zeichen für Eigenschaften von Dingen werden.
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hauptsächliche Teil des Begriffs, den wir [von diesen Qualitäten] bilden“ (ebd. 315). Wir stellen sie nur als das vor, was eine bestimmte Empfindung in uns hervorruft und können deshalb nicht über sie nachdenken, ohne an die Empfindung zu denken, die sie hervorrufen. (ebd.)
Anders die primären Qualitäten, auf die wir uns mit unserem direkten und deutlichen Begriff unmittelbar beziehen können. In diesem Fall gibt es, so Reid, keine Veranlassung dafür, uns bewusst auf die Empfindung zu beziehen, um uns vermittels dieser dann auf die Qualität zu beziehen, die sie hervorruft. Das heißt allerdings nicht, dass die fraglichen Empfindungen dann nicht mehr als Zeichen für die entsprechenden primären Qualitäten fungieren würden. Dieser Prozess ist nur vollständig automatisiert und daher weitgehend unbewusst: „Wenn eine primäre Qualität wahrgenommen wird, dann leitet die Empfindung unser Denken unmittelbar auf die bezeichnete (signifyed) Qualität und wird selbst vergessen.“ (ebd.) Die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten wird bei Reid also nicht durch Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit der Empfindung mit der Qualität, die sie hervorruft, definiert, wie etwa bei Locke; vielmehr sind sowohl sekundäre als auch primäre Qualitäten den Empfindungen völlig unähnlich, die sie hervorrufen.28 Allerdings geben uns die Empfindungen primärer Qualitäten einen unmittelbaren und deutlichen Begriff dieser Qualitäten, während die Empfindungen sekundärer Qualitäten gleichsam nur von sich selbst sprechen. 11.3.3 Eine anti-repräsentationalistische Theorie der Wahrnehmung? Am Beginn dieser Überlegungen haben wir festgestellt, dass die Unterscheidung von Empfindung und Wahrnehmung in Reids Kritik der Ideentheorie einen ebenso wichtigen Platz einnimmt wie in seiner konstruktiven Wahrnehmungstheorie. Wenden wir uns deshalb nun zunächst dem zweiten Bestandteil dieser Unterscheidung und damit Reids Analyse der Wahrnehmung zu. Im abschließenden Teil dieser Überlegungen (vgl. unten 3.4) werden wir uns dann dem komplizierten Zusammenwirken von Empfinden und Wahrnehmen bei Reid widmen.
28
Vgl. oben das Zitat bei der Einführung von suggestion.
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Reid fasst in einem berühmten Zitat aus den Essays drei wichtige Elemente der Wahrnehmung zusammen, nämlich Konzeption (conception) (alternativ auch Begriff [notion] oder Bild [image]), Unmittelbarkeit (immediacy) und Überzeugung (conviction oder belief ): Wenn wir uns nun also dem Akt unseres Geistes zuwenden, den wir als Wahrnehmung eines äußeren Sinnesgegenstandes [external object of sense] bezeichnen, so finden wir in diesem die folgenden drei Dinge: Erstens eine Vorstellung [conception] oder einen Begriff [notion] des wahrgenommenen Gegenstands; zweitens eine starke und unwiderstehliche Überzeugung [conviction] seiner Gegenwart; und drittens dass diese Überzeugung oder dieser Glaube [belief ] unmittelbar sind und nicht das Ergebnis einer Überlegung [reasoning]. (Essays 2.5, 258)
Zurecht weist Van Cleve darauf hin, dass diese Aufzählung keine vollständige Definition von Wahrnehmung enthält. So fehlt beispielsweise der Verweis auf die Notwendigkeit einer Kausalkette zwischen dem wahrgenommenen Gegenstand und unserer Überzeugung.29 Und vor diesem Hintergrund muss an dieser Stelle auch offen bleiben, ob nicht der Zustand der Empfindung in dieser Kausalkette einen wesentlichen Beitrag zu leisten hat. Doch zunächst müssen wir klären, was die Elemente der dreifachen Charakterisierung jeweils zum Wahrnehmungsbegriff beitragen. Beginnen wir mit dem Begriff der Überzeugung. Überzeugungen sind, genau wie Urteile, propositionale Entitäten: Sie weisen propositionale Struktur auf.30 Doch zusätzlich zu dieser propositionalen Struktur geht es Reid bei Überzeugung und Urteil auch noch um einen Vorgang des Zustimmens, der Bejahung, der Affirmation. Was in jedem Fall der Wahrnehmung affirmiert wird, ist die Existenz des wahrgenommenen Gegenstandes. Wir sind, so sagt er an anderer Stelle, „unwiderstehlich von der Existenz [des wahrgenommenen Gegenstandes] überzeugt. Das ist immer der Fall, wenn wir uns sicher sind, dass wir ihn wahrnehmen.“ (Essays 2.5, 258) Wir mögen, so Reid weiter, bisweilen im Unklaren darüber sein, ob es sich bei einem geistigen Zustand tatsächlich um eine Wahrnehmung handelt; sofern wir aber sicher sind, dass es eine Wahrnehmung ist, sind wir auch sicher, dass der Gegenstand dieser Wahrnehmung existiert (ebd.). Zwar beschränkt Reid in seinen Beispielen die fragliche Gewissheit auf die Gewissheit der Existenz des wahrgenommenen Gegenstandes, doch spricht nichts dagegen, diese Gewissheit auf dessen wahrgenom29 30
Van Cleve 2004, 106. Vgl. für die Bedeutung der Kausalkette z. B. Essays 2.2. Vgl. Essays 6.1, 414.
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mene Eigenschaften zu übertragen: Ich bin mir, um ein Beispiel Reids zu verwenden, nicht nur sicher, dass das Schiff, das ich sehe, existiert, sondern auch dass das, was ich da sehe, ein Schiff ist.31 Während Überzeugungen und Urteile wesentlich propositionale Entitäten sind, lässt sich ähnliches über die Vorstellung (conception) eines Gegenstands der Wahrnehmung oder den Begriff (notion) dieses Gegenstands nicht sagen. Die Vorstellung oder der Begriff wird in diesem Zusammenhang von Reid vielmehr der „einfachen Apprehension [simple apprehension]“ (Essays 4.1, 360) angenähert. Was ist damit gemeint?32 Reid unterscheidet verschiedene Arten von Vorstellung. Jede Vorstellung ist ein Prozess: Dabei wird entweder sinnliches Material aus der Wahrnehmung oder der Erinnerung verwendet oder neue Begriffe werden aus alten zusammengesetzt. Im ersten Fall handelt es sich immer um die Vorstellung von Individuen, im zweiten Fall um die Vorstellung von Individuen oder von Universalien. Für die Analyse der Wahrnehmung ist zunächst die Vorstellung von Individuen interessant.33 Doch welche Art der individuellen Vorstellung hat Reid in der Aufzählung der Elemente der Wahrnehmung im Sinn? Die Vorstellung von Individuen vermittels des Arrangements innerer Bilder oder die Vorstellung von Individuen vermittels des Arrangements von Begriffen? Oder gibt es noch eine dritte Art der Vorstellung, die nur in einer mentalen Hinweisgeste besteht, wie Wolterstorff und Van Cleve meinen?34 Wie wir sehen werden, ist strenggenommen keine dieser Auffassungen von Reidschen Vorstellungen korrekt. Die Konzeption vermittels des Arrangements von Begriffen können wir schnell ausschließen: Denn Reid verhandelt in diesem Zusammenhang ausschließlich das, was wir als „knowledge by description“ bezeichnen würden.35 Und dieses Wissen setzt gerade keinen unmittelbaren Kontakt zum so beschriebenen Gegenstand voraus, wie er in der Wahrnehmung präsupponiert wird, die Reid ja grundsätzlich veridisch auffasst.
31
32 33
34 35
Reids Überzeugung entspricht also in etwa dem, was Peter Strawson einmal als Wahrnehmungsüberzeugung bezeichnet hat. Vgl. Strawson 1974a, 66. Vgl. zum Folgenden Essays 4.1. Auch die Vorstellung von Universalien ist für Wahrnehmung relevant, insbesondere für das, was Reid als mature state of conception bezeichnet. Vgl. Essays 6.3, 418. Vgl. Wolterstorff 2001, Kap. 1 und Van Cleve 2003, 108. Vgl. Van Cleve 2004, 108.
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Auch die Konzeption von Individuen vermittels des Arrangements innerer Bilder ist kaum in Reids Auffassung von Wahrnehmung integrierbar. Denn gerade die Zurückweisung einer Wahrnehmung innerer Bilder ist ein zentraler Bestandteil seiner Kritik an der Ideentheorie: Sie verletzt die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung. Wenn wir deshalb in der Reidschen Wahrnehmung immer innere Bilder wahrnehmen würden, dann hätten wir gegenüber der Ideentheorie nichts gewonnen. Wäre das Reids einziger Kritikpunkt, so ließe sich eine Bildchenauffassung von Vorstellung allerdings noch retten. Denn was zur Diskussion steht, ist ja nicht die Wahrnehmung innerer Bilder, sondern einfach das Haben innerer Bilder. Und in der Tat scheint Reid der Analogie zwischen Vorstellungen und Bildern in diesem Sinne etwas abgewinnen zu können: Wenn ein Sprachunkundiger fragen sollte: ‚Was heißt es, ein Ding vorzustellen [conceiving a thing]?‘, so wäre eine natürliche Antwort: Es heißt ein Bild von diesem Ding im Geist zu haben – und vermutlich könnten wir das Wort nicht besser erklären. Das zeigt, dass ‚Vorstellung‘ und ‚Bild eines Dinges im Geist‘ bedeutungsgleiche Ausdrücke sind. Das Bild im Geist ist demnach nicht der Gegenstand der Vorstellung, noch ist es eine Wirkung, die durch die Vorstellung als ihre Ursache hervorgerufen wurde. Es ist die Vorstellung selbst. Genau der geistige Zustand [mode of thinking], den wir als Vorstellung bezeichnen, kann ebenso wohl ein Bild im Geist genannt werden. (Essays 4.1, 363)
Das klingt so, als könnten wir die bilderzeugende Auffassung von Konzeption sehr wohl mit Reids Kritik an der Ideentheorie vereinbaren. Er vermeidet ja gerade den von ihm monierten Fehler, Bilder im Geist zum Gegenstand der Wahrnehmung zu machen und so die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung zu gefährden: Bilder im Geist, Vorstellungen, wären vielmehr ein unverzichtbarer Bestandteil der Wahrnehmung, der den wahrgenommenen Gegenstand im Wortsinne abbildet und als Abbildung die Grundlage der Überzeugung von der Existenz des Wahrnehmungsgegenstands bildet. Doch auch das kann nicht Reids Ansicht sein. Sehr deutlich schreibt er beispielsweise in seinen Essays: Natürlich erleichtern es analoge Wörter und Ausdrücke, wie sie in allen Sprachen verwendet werden, um sich auf Vorstellungen zu beziehen, sie wörtlich zu nehmen. Wenn wir aber sorgfältig darauf achten, was uns in diesen Operationen des Geistes bewusst ist, so werden wir nicht mehr Anlass dafür finden, zu glauben, dass in unserem Geist wirklich Bilder existieren, als dass es dort […] mechanische Maschinen gibt. (Essays 4.2, 373–374)
Keine Bilder im menschlichen Geist – deutlicher kann man, wie es scheint, kaum sein. Und dennoch finden wir bei Reid mehr von der
Essay: Reids Adverbialismus
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Bilder-Auffassung von Vorstellungen, als Zitate wie dieses vermuten ließen. Wie viel genau, das wird deutlich, wenn man sich genauer ansieht, wie Reid hinsichtlich der analogen Redeweise von Bildern im Geist die Disanalogie zwischen Bildern und Vorstellungen konstruiert. Zum Teil haben wir sie ja bereits ausgeführt: Vorstellungen funktionieren nicht wie Bilder, weil sie, erstens, keine Gegenstände der Wahrnehmung sind. Zweitens kann man bei Vorstellungen nicht zwischen dem Produkt und dem Vorgang der Produktion unterscheiden – Vorstellungen sind der Vorgang des Vorstellens, nicht dessen Produkt; Bilder hingegen sind nicht der Vorgang des Malens, sondern dessen Produkt.36 Drittens sind Vorstellungen ihrem Gegenstand nicht ähnlich, Bilder in der Regel schon.37 Reid expliziert andererseits die Analogie zwischen Vorstellungen und Bildern vor allem hinsichtlich der verschiedenen Arten von Bildern und der verschiedenen Arten von Vorstellungen: Bilder und Vorstellungen können reine Produkte der Einbildungskraft, also Phantasiegebilde, sein; sie können andere Vorstellungen kopieren oder replizieren; und sie können Vorstellungen oder Bilder ‚nach der Natur‘ sein, d. h. sie können natürliche Gegenstände, Individuen (individuals), vorstellen oder abbilden. Im Kontext dieser Explikation der Analogie bezüglich der Arten von Vorstellungen und der Arten von Bildern bemerkt Reid ausdrücklich, dass darüber hinaus eine andere Analogie sehr stark ist, nämlich die Analogie zwischen dem Verfertigen von Bildern und Vorstellungen, die für Reid ja zunächst schlicht der Vorgang des Vorstellens sind: „Wir können eine starke Analogie zwischen dem Malen von Bildern und dem Vorstellen beobachten“ (Essays 4.1, 363). Worin genau besteht diese Analogie? Anhand der von Reid hervorgehobenen Disanalogien können wir die Analogie zwischen Vorstellungen und dem Hervorbringen von Bildern zunächst folgendermaßen charakterisieren: Vorstellungen sind, erstens, der Vorgang des Vorstellens und nicht dessen Gegenstand, so wie das Malen des Bildes dessen Hervorbringung ist und nicht das Bild selbst. Vorstellungen sind, zweitens, der Vorgang des Vorstellens, so wie das Malen der Vorgang der Hervorbringung eines Bildes ist. Und Vorstellungen sind, drittens, dem Gegenstand der Vorstellung nicht ähnlich, so wie das
36 37
Vgl. Essays 4.1, 363. Vgl. Essays 4.2, 374; Bd. 1, S. 423.
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Thomas Reid
Malen des Bildes dem Gegenstand des Bildes nicht ähnlich ist. Wie es scheint, besteht die Analogie zwischen Bildern und Vorstellungen für Reid demnach vor allem in einer Analogie zwischen dem Malen und dem Vorstellen. Doch auch das kann nicht die ganze Wahrheit sein: Denn Reid bezeichnet nun einmal Vorstellungen auch als Bilder und er unterscheidet Arten von Vorstellungen gemäß den Arten von Bildern. Wenn es, wie Reid formuliert, keine Bilder gibt, „die vom Vorstellen des Gegenstandes unterschieden sind“ (Essays 4.2, 373; Hervorhebung J.H.) bzw. keine „Bilder im Geist, die vom Denken verschieden sind “ (ebd., 374; Hervorhebung J.H.), so heißt das eben auch, dass Vorstellungen in Analogie zu Bildern aufgefasst werden können. Bilder stellen ihren Gegenstand als etwas dar, indem sie ihn abbilden, ihm ähnlich sind, so Reids Auffassung. Reicht es für die Analogie zwischen Bildern und Vorstellungen vielleicht aus, dass Vorstellungen etwas darstellen oder sich auf etwas beziehen, obwohl sie ihm unähnlich sind? Das wäre eine Auffassung von Vorstellung, die – so wie das Malen von Bildern – der Prozess des Hervorbringens eines geistigen Bildes ist, und gleichzeitig ein Prozess, der selbst bereits ein Bild ist, indem er sich auf etwas als etwas bezieht. Dabei ist die Vorstellung, oder besser: der Vorstellungsprozess, selbst dem Gegenstand unähnlich, auf den wir uns in der Wahrnehmung beziehen, deren wesentlicher Teil sie ist. Diese Sichtweise erfasst sicherlich einen wesentlichen Teil von Reids Bildanalogie; allerdings greift auch sie noch zu kurz. Um das zu sehen, müssen wir die Empfindungen wieder in den Blick nehmen und ihr Verhältnis zur Vorstellung. Empfindungen sind zunächst Zeichen für einzelne Eigenschaften; Vorstellungen sind hingegen Vorstellungen von Gegenständen, d. h. Entitäten, denen eine Vielzahl von Eigenschaften zukommt. Reid schuldet uns deshalb eine Theorie darüber, wie wir von den Empfindungen von einfachen Qualitäten zur Vorstellung – und damit mittelbar zur Wahrnehmung – von Komplexen von Qualitäten übergehen können. Reid hat eine solche Theorie nicht ausbuchstabiert; dennoch kann uns die Bildanalogie hier weiterhelfen. Wir haben weiter oben die Interpretation abgelehnt, die Reids Auffassung von Vorstellung als bilderzeugendes Verfahren im Sinne einer Abbildung des wahrgenommenen Gegenstandes im Geiste beschreibt. Nun können wir diese Konzeption aber so modifizieren, dass daraus eine Auffassung wird, die mit Reids Ablehnung der Bildchenauffassung zumindest verträglich erscheint und eine Antwort auf die Frage der Gegenstandskonstitution im Reidschen
Essay: Reids Adverbialismus
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Geiste zulässt: Reid könnte Vorstellungen als Verfahren der Erzeugung von komplexen geistigen Zuständen auffassen, die den wahrgenommenen Gegenständen qua Zustände natürlich nicht ähnlich sein können, aber qua Arrangementvorgänge von Zeichen für Eigenschaften von Dingen – d. h. als Arrangementvorgänge von Empfindungen –, kausal und semiotisch mit ihnen in systematischer Verbindung stehen. Vorstellungen von Gegenständen wären demnach die Konstruktionsprozesse von Eigenschaftskomplexen aus primären Qualitäten und (Empfindungen von) sekundären Qualitäten.38 Diese Eigenschaftskomplexe funktionieren nicht wie Bilder hinsichtlich derjenigen Eigenschaften von Gegenständen der Wahrnehmung, die diese Eigenschaften selbst so haben, wie wir sie wahrnehmen (primäre Qualitäten); und sie wären wie Bilder hinsichtlich der Eigenschaften, die die wahrgenommenen Gegenstände selbst nicht haben (Empfindungen sekundärer Qualitäten). Als genau dieser Eigenschaftskomplex würde sich ihre Existenz auf das Haben der Vorstellung, den Vorstellungsprozess, beschränken, da nur in ihm beide Eigenschaftsarten in der beschriebenen Weise zusammenwirken können.39 Ein für unsere Zwecke wichtiger Einwand lässt sich gegen diese Rekonstruktion vorbringen: Wird durch die Einbeziehung dieses Zwischenglieds nicht die Unmittelbarkeitsforderung verletzt, d. h. der dritten Bestandteil von Reids Wahrnehmungscharakterisierung? Ein wesentlicher Teil der Antwort wurde bereits mit Reids am alltäglichen Sprachgebrauch orientierten Common-Sense-Analyse des Begriffs der Vorstellung geleistet: Denn Reid insistiert in dieser Analyse ja darauf, dass die Vorstellung nicht ein vom Bild im Geiste verschiedener Akt der Aufmerksamkeit ist. Ein solcher Akt der Aufmerksamkeit wäre, sofern er für die Wahrnehmung eines äußeren Gegenstandes notwendig wäre, tatsächlich ein Zwischenglied im Wahrnehmungsprozess, das die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung des äußeren Gegenstandes gefährden würde: Wir stünden in einer epistemischen oder kognitiven Relation zu dem Bild des Gegenstandes, das so gleichsam zum epistemischen Mittler zwischen dem Gegenstand und unserer Wahrnehmung würde. Doch dieser Verdacht ist unbegründet: Von einer derartigen epistemischen Mittleraufgabe kann in der skizzierten Auffassung keine Rede 38 39
Vgl. zu Reids Auffassung der Primär/Sekundär-Unterscheidung oben S. 452–453. Diese Rekonstruktion passt übrigens gut zu Staudachers Differenzierung verschiedener Dimensionen des Reidschen Realismus hinsichtlich der Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten. Vgl. Staudacher 2008, 340–344.
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Thomas Reid
sein. Denn dieses innere Bild ist, sofern die richtige Form der kausalen Abhängigkeit von dem wahrgenommenen Gegenstand besteht40, nichts anderes als das Vorstellen des Gegenstands selbst, das – nach offizieller Reidscher Doktrin: zusammen mit der Überzeugung – nichts anderes ist als die unmittelbare Wahrnehmung des Gegenstands. 11.3.4 Die Rolle der Empfindung in der Wahrnehmung Wenn Vorstellungen tatsächlich in der beschriebenen Weise charakterisiert werden können, d. h. als unmittelbar auf den wahrgenommenen Gegenstand bezogene innere Bilder, die sinnliche und begriffliche Aspekte in sich vereinen, stellt sich natürlich die Frage, ob nicht in diese Aspekte der Wahrnehmung ein Aspekt der Empfindung wesentlich eingeht. Was sonst, so ist man versucht zu fragen, könnte in Reids Wahrnehmungstheorie das sinnliche Material für die Vorstellung liefern? In der Tat sieht es an vielen Stellen, sowohl im früheren Inquiry als auch in den Essays, so aus, als wäre Reids Bild des Wahrnehmungsvorgangs etwa folgendes: affiziert Wahrnehmungsgegenstand
f
affiziert Empfindung
f
Vorstellung & Überzeugung
Dieses Bild ist nicht unplausibel: Es wird den bisherigen Überlegungen gerecht und fügt die Empfindungen an der Stelle in das Bild ein, an der das gewonnene Bild der Vorstellung uns dies erwarten lässt. Allerdings ist das Bild auch nicht unproblematisch und wirft einige wichtige Fragen im Zusammenhang von Reids Theorie der Wahrnehmung auf. Die zentrale Frage betrifft dabei die Notwendigkeit der Empfindung: Gibt es nicht Fälle von Wahrnehmung, oder sind solche nicht zumindest vorstellbar, in denen Empfindung keine Rolle spielt? Die positive Beantwortung dieser Frage würde die Bemühung um Empfindung als Teil der Wahrnehmung von vorneherein zum Scheitern verurteilen. Wenigstens zwei Aspekte von Reids Theorie scheinen hier Schwierigkeiten zu bereiten: Erstens scheint er es für vorstellbar zu halten, dass Wahrnehmung auch ohne Empfindung möglich wäre; und zweitens
40
Vgl. oben S. 450.
Essay: Reids Adverbialismus
461
scheint er, stärker noch, sogar tatsächliche Fälle zu beschreiben, in denen die Empfindung ausdrücklich keine Rolle spielt: nämlich in der visuellen Wahrnehmung von Formen (visible form). Den ersten Fall können wir schnell beiseite lassen: Bloße Vorstellbarkeit sollte in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, da andernfalls auch die Rolle der Vorstellung (weitgehend unabhängig von der gewählten Auffassung!) verzichtbar erscheint. Reid scheint es im Zusammenhang der Analyse unserer Wahrnehmung allgemein um Deskription zu gehen. Begriffsanalyse, die die erforderlichen Notwendigkeiten implizieren würde, ist hier immer nur eine Form des deskriptiven Zugangs. Eine andere, gleichfalls legitime und von Reid häufig hervorgehobene Form des deskriptiven Zugangs ist die Methode sorgfältiger Introspektion. Und diese scheint seiner Ansicht nach durchaus der Empfindung den Platz zuzuschreiben, den sie in der obigen Grafik innehat. Wie sieht es mit den Fällen aus, in denen Wahrnehmung ohne Empfindung aufzutreten scheint? Dieses Problem wiegt tatsächlich schwer. Visible forms dienen Reid als physische Zeichen für externe Körper, die sie unter verschiedenen Perspektiven vermittels der eigenen Ausdehnungseigenschaften als ausgedehnte Körper abbilden. Diese Perspektivität kann deshalb auch keine Empfindungseigenschaft sein, da Empfindungen selbst nicht ausgedehnt sind. Sind visible forms also ein Beispiel für Wahrnehmung ohne Empfindung? Eine Reaktionsmöglichkeit bestünde darin, darauf zu verweisen, dass diese Beobachtungen sich ausschließlich im früheren Inquiry finden und in den Essays nicht wiederholt werden. Allerdings ist die textliche Situation nicht ganz eindeutig: Reid spricht auch in den Essays ausführlich über visible figure – ohne dabei jedoch die Behauptung bezüglich Empfindung zu wiederholen.41 Das Verhältnis bleibt also unklar und lässt deshalb interpretatorischen Spielraum. In exegetischer Hinsicht spricht gegen diese Interpretation der Wahrnehmung visueller Formen als empfindungslose Wahrnehmung allerdings, dass Reid den Ausdehnungseigenschafen, wie wir gesehen haben, explizit Empfindungen zuordnet.42 Und Ausdehnungseigenschaften schließen sicherlich die Formeigenschaften ein. Vor diesem Hintergrund
41 42
Vgl. Essays 2.19, 324 ff. Vgl. oben S. 453.
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Thomas Reid
scheint es unplausibel, Reid auch noch in den Essays die Form-Auffassung aus dem Inquiry zu unterstellen.43 Darüber hinaus lässt sich aber auch in der folgenden Weise systematisch argumentieren: Visuelle Formwahrnehmung im von Reid intendierten Sinne ist uns niemals allein gegeben. Wir nehmen nie bloß visuelle Form wahr, sondern immer visuelle Form mit bestimmten Farbeigenschaften etc. Und es verhält sich keineswegs so, dass wir etwa bloß faktisch keine derartigen Fälle bloßer visueller Formwahrnehmung hätten: vielmehr ist visuelle Formwahrnehmung immer abhängig von Kontrastwahrnehmung, da wir ohne die Wahrnehmung von Kontrasten keine Form wahrnehmen würden.44 Die Wahrnehmung von Kontrasten ist aber eine durch Empfindungen vermittelte. Selbst wenn also die visuelle Gestalt keine Eigenschaften enthielte, die Empfindungen hervorrufen, so wäre doch die Wahrnehmung der visuellen Gestalt ohne begleitende Empfindungen unmöglich. Abschließend können wir deshalb über die Rolle der Empfindungen in Reids Konzeption der Wahrnehmung sagen: Gerade weil Empfindungen so verschieden von intentionalen geistigen Zuständen sind, sind sie ein wesentlicher Bestandteil seiner realistischen Wahrnehmungstheorie. Empfindungen sind wesentliche Bestandteile der Vorstellungen und damit wesentliche Bestandteile der Wahrnehmung.
43
44
Das Argument mit dem Blinden, der einen Begriff der visuellen Form entwickeln könnte, wenn er über die nötigen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse verfügt, das Reid selbst im Inquiry (…) anführt, wird zwar immer wieder als Grund dafür angeführt, das Reid diese These mit guten Gründen dauerhaft vertreten hat, ist aber – gemäß seiner eigenen Überlegungen in den Essays – offensichtlich unbefriedigend: Denn dort schildert Reid ein naturwissenschaftliches Verständnis auch des Zusammenhangs von sekundären Qualitäten und ihren Empfindungen – ohne doch einzuräumen, dass wir nun ein Verständnis von den Empfindungen sekundärer Qualitäten hätten, das dem entspräche, das wir haben, wenn wir selbst diese Empfindungen empfunden haben. Analog sollte auch der Blinde die relevanten Qualia entbehren. Ähnlich auch Staudacher 2007, 336–337.
Essay: Reids Adverbialismus
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Nachwort Ideen Systematischer Ausblick Johannes Haag
Repraesentatio rei dicitur idea, quatenus rem quandam refert, seu quatenus obiective consideratur. Die Repräsentation eines Gegenstandes heißt Idee, sofern sie sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, d. h. sofern sie objektiv betrachtet wird. (Christian Wolff, Psychologia empirica § 48)
Die Autoren, deren Texte im vorliegenden Band kommentiert wurden, formulieren eine jeweils eigene, teils konstruktive teils kritische Position hinsichtlich eines Begriffs, der in der Philosophie der frühen Neuzeit paradigmatisch für geistige Zustände und deren Inhalt steht: der Begriff der Idee. Sofern Ideen paradigmatische geistige Zustände mit einem bestimmten Inhalt sind, wird man erwarten können, dass viele der Autoren eine eigene Konzeption der Intentionalität dieser Zustände entwickeln, die entweder auf dem (gemäß den eigenen philosophischen Absichten interpretierten) Ideenbegriff aufbaut oder aber sich von diesem ausdrücklich abgrenzt. Wir haben betont,1 dass es einer unzulässigen Verengung des Blickfeldes gleichkommt, wenn man Ideen ausschließlich in ihrer Rolle als intentionale Zustände untersucht. Ihre Funktion innerhalb der theoretischen Konzeptionen der frühen Neuzeit ist, wie schon die Textauswahl gezeigt hat und wie in den Kommentaren noch weiter untermauert wurde, ungleich vielschichtiger und komplexer als eine derartige Fokussierung nahe legt. 1
Vgl. Einleitung, Bd. 1, S. 6 ff.
464
Nachwort
Dennoch soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die Diversität moderner Ideentheorien gerade aus einer solchen Konzentration zu entwickeln. Der Grund dafür ist letztlich derselbe, der die erwähnte unzulässige Simplifizierung ursprünglich motiviert: Die systematische Relevanz der Ideentheorie erschließt sich besonders gut, wenn wir ideentheoretische Ansätze und deren Kritik vor dem Hintergrund einer Schlüsselfrage auch der zeitgenössischen Philosophie des Geistes und Erkenntnistheorie betrachten. Das Problem der Intentionalität geistiger Zustände ist eine solche Schlüsselfrage. Zu diesem Zweck will ich zunächst eine sehr allgemein gehaltene Skizze dessen vorlegen, was man gemeinhin unter der Intentionalität geistiger Zustände versteht. Diese Skizze soll keine Theorie der Intentionalität vorstellen, sondern vielmehr die begrifflichen Rahmenbedingungen dieses Problemfeldes so umreißen, dass vor ihrem Hintergrund dann die verschiedenen ideentheoretischen Entwürfe als im Detail höchst unterschiedliche Beiträge verstanden werden können, den vielfältigen Aspekten dieses Problemfeldes gerecht zu werden. Anschließend wird anhand einer ganzen Reihe von grundlegenden ideentheoretischen Unterscheidungen, die im Kontext der Frage nach der Intentionalität geistiger Zustände relevant sind, die Vielfalt der Ansätze der in diesen Bänden vorgestellten Philosophen im Umgang mit dem Problem der Intentionalität umrissen. Auf diese Weise soll ein komplexes Bild der ideentheoretischen Lösungsangebote innerhalb des skizzierten Problemfeldes entstehen. Im dritten sowie dem abschließenden vierten Teil der folgenden Überlegungen werden dann zwei Problemkomplexe diskutiert, auf die prima facie keiner der vorgestellten Philosophen überzeugende Antworten zu geben vermag: Einerseits ist dies die Unterscheidung zwischen sinnlichen und begrifflichen geistigen Zuständen; andererseits das bereits am Beginn des ersten Bandes thematisierte Problem des ‚Schleiers der Wahrnehmung‘. Während die ideentheoretische Lösung des ersten Problems sich tatsächlich als schwierig, wenn nicht unmöglich erweisen wird, soll zum Ende hin wenigstens kurz angedeutet werden, wie ein konstruktiver Kritiker der ideentheoretischen Ansätze mit dem Problem des Schleiers der Wahrnehmung umgehen könnte.
Intentionalität
1.
465
Intentionalität
Unsere geistigen Zustände sind charakterisiert von einer Reihe von Eigenschaften, die diesen Zuständen in den Augen vieler Philosophen einen einzigartigen Charakter verleihen. Wenn wir an etwas denken, sagen wir an einen rosaroten Eiswürfel, dann handeln unsere Gedanken von diesem Objekt: Sie beziehen sich auf dieses Objekt. Allerdings entsteht diese spezifische Bezugnahme nicht einfach dadurch, dass zwischen unseren Gedanken und diesem Objekt eine kausale Verbindung besteht.2 Eine derartige Verbindung ist weder notwendig noch hinreichend dafür, dass unsere geistigen Zustände von etwas handeln: Sie ist nicht notwendig, weil wir auch über Dinge nachdenken können, die nicht existieren, wie Don Quixote, den goldenen Berg oder die größte Primzahl. Und sie ist nicht hinreichend, weil kausale Verbindungen meist gerade keine intentionalen Zustände hervorrufen – das gilt trivialer Weise für kausale Beziehungen zwischen Gegenständen, aber auch für die meisten kausalen Beziehungen zwischen Gegenständen und denkenden Wesen oder Personen. (Auch eine naturalistische Theorie des Geistes, der gemäß Intentionalität vollständig auf Kausalvorgänge reduzierbar ist, muss deshalb erklären, weshalb denn bestimmte Kausalbeziehungen geistige Zustände hervorrufen, andere aber nicht.) Dass geistige Zustände von etwas handeln, scheint also noch mehr vorauszusetzen als eine kausale Beziehung zwischen ihnen und ihren Objekten – oder aber zumindest eine besondere Art der kausalen Beziehung. Um hier diesen Sachverhalt weiter aufzuklären, müssen wir die charakteristischen Eigenschaften geistiger Zustände genauer analysieren. 1.1
Merkmale intentionaler Zustände
Eine wichtige Rolle bei der Analyse der spezifischen Art der Bezugnahme geistiger Zustände spielt offenbar, dass wir uns vermittels eines geistigen Zustands auf ein Objekt als ein bestimmtes Objekt beziehen, 2
Die Grenzen einer rein kausalen Theorie geistiger Bezugnahme führt unter den in den vorliegenden Bänden behandelten Autoren exemplarisch Thomas Hobbes vor Augen: Er zeigt, wie weit man mit einer rein kausalen Theorie in diesem Zusammenhang kommen kann – und an seinem Beispiel wird auch deutlich, weshalb ein solcher Ansatz letztlich scheitern muss. Vgl. dazu insbesondere den Beitrag von Klaus Corcilius im vorliegenden Band.
466
Nachwort
indem wir über Don Quixote beispielsweise als einen verhinderten Ritter nachdenken oder über Maria Theresa als Königin von Frankreich. Vermittels unserer geistigen Zustände schreiben wir also den Objekten dieser Zustände unwillkürlich bestimmte Eigenschaften zu. Das zweite Beispiel macht uns auf eine weitere Eigenschaft der Bezugnahme unserer geistigen Zustände aufmerksam: nicht nur wenn das Objekt, über das wir nachdenken, wie im Falle Don Quixotes oder des goldenen Berges, nicht existiert, sondern auch dann, wenn ein existierendes Objekt unseres geistigen Zustands nicht die Eigenschaften hat, die wir ihm in diesem geistigen Zustand zuschreiben, können wir uns geistig auf dieses Objekt beziehen. Unsere geistigen Zustände können sich also in ungeeigneter Weise auf das Objekt beziehen, das sie zum Gegenstand haben, ohne dass deshalb die Bezugnahme notwendigerweise fehlgeht: Obwohl Maria Theresa nie Königin Frankreichs war, können wir uns offenbar auf sie als Königin von Frankreich beziehen. Etwas anders liegen die Dinge prima facie, wenn wir über etwas nachdenken, ohne an ein bestimmtes Objekt zu denken. Unser Nachdenken über die physikalischen Eigenschaften von Eiswürfeln etwa nimmt nicht diesen oder jenen bestimmten Eiswürfel in den Blick, sondern handelt von Eiswürfeln im Allgemeinen, ohne dass wir dabei notwendig an einen bestimmten Eiswürfel denken. Solche geistigen Zustände handeln in anderer Weise von Gegenständen: Sie nehmen nicht Bezug auf Einzelnes, sondern handeln von Arten, Typen oder Klassen von Gegenständen. Dass sich allerdings auch bei dieser Art und Weise des Nachdenkens über etwas letztlich wieder die charakteristischen Eigenschaften geistiger Bezugnahme ausmachen lassen, wird deutlich, wenn man diese Fälle der Bezugnahme als Verallgemeinerung der Bezugnahme auf Einzeldinge auffasst. Diese Verallgemeinerung kann sich, ausgehend von unserem Beispiel des Denkens an einen ganz bestimmten rosaroten Eiswürfel in zweierlei Hinsicht vollziehen: So können wir zum einen rosarote Eiswürfel ganz allgemein in den Blick nehmen, ohne uns auf diesen oder jenen rosaroten Eiswürfel zu beziehen, ja unabhängig davon, ob überhaupt rosarote Eiswürfel existieren. Und wir können darüber hinaus auch noch von den spezifischen Charakteristika der ursprünglichen Bezugnahme abstrahieren: So hat die Farbe von Eiswürfeln beispielsweise vergleichsweise wenig Einfluss auf deren (andere) physikalischen Eigenschaften – wir können diese also vernachlässigen, sofern es uns um letztere geht. Auch wenn wir uns aber in dieser Weise auf Eiswürfel im Allgemeinen beziehen, kann diese Bezugnahme sich in ungeeigneter Weise vollziehen – etwa wenn wir eine falsche physikali-
Intentionalität
467
sche Hintergrundtheorie zur Erklärung des Eiswürfelverhaltens in Anschlag bringen. Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen, dass geistige Zustände (i) von etwas handeln, indem sie ihr Objekt (ii) als etwas charakterisieren. Und sie leisten dies (iii) auch dann, wenn sie sich auf etwas zu beziehen vorgeben, das entweder nicht existiert oder das, sofern es existiert, zumindest nicht die Eigenschaften hat, die wir ihm zuschreiben. Geistige Zustände verfügen also, gemäß einer mittelalterlichen Terminologie, die Franz Brentano im 19. Jahrhundert wiederbelebt hat, über Intentionalität.3 Die genannten Charakteristika können geradezu als definitorische Merkmale intentionaler Zustände aufgefasst werden:4 Geistige Zustände sind dementsprechend intentionale Zustände.5 Eine Möglichkeit, die Intentionalität geistiger Zustände auf einen Nenner zu bringen, besteht nun darin zu sagen, dass geistige Zustände – unabhängig davon, ob wir uns mit ihnen auf etwas Bestimmtes beziehen oder ob wir die Bezugnahme unbestimmt lassen, ob wir uns korrekt auf etwas beziehen oder falsch, und unabhängig davon, ob das Bezugsobjekt existiert oder nicht – einen ganz bestimmten Inhalt haben. Dieser Inhalt macht sie – gemeinsam mit unserer Einstellung zu diesem Inhalt – zu denjenigen geistigen Zuständen, die sie sind, er charakterisiert sie eindeutig und macht sie von anderen geistigen Zuständen unterscheidbar. Die Tatsache, dass geistige Zustände einen bestimmten Inhalt haben, legt nahe, sie mit einer anderen Klasse von Entitäten in Beziehung zu setzen, die, was diese Aspekte angeht, ganz ähnliche Eigenschaften haben wie geistige Zustände: sprachliche Ausdrücke. Der Inhalt sprachlicher 3 4
5
Vgl. Brentano 21924, Psychologie vom empirischen Standpunkte, 124 f. Vgl. z. B. Dretske 1995, 28 ff. Brentano selbst erläutert Intentionalität an der zitierten Stelle übrigens nicht vermittels der genannten Merkmale. Ihm geht es vielmehr um das Problem der intentionalen Inexistenz. Vgl. zur Abgrenzung von Brentanos eigener Intentionalitätskonzeption von modernen Konzeptionen Jacquette 2004. Das gilt, wie man sich leicht klar macht, auch für geistige Zustände, die anders als unsere Beispiele nicht einfachen Behauptungen oder Aussagesätzen angeglichen sind, wie beispielsweise Wünsche, Hoffungen, Fragen oder Vorsätzen. Denn auch solche geistigen Zustände besitzen einen Inhalt. Allerdings enthalten sie darüber hinaus noch etwas mehr als das, nämlich eine Einstellung zu diesem Inhalt, also etwa die Sehnsucht nach einem goldenen Berg oder die Verzweiflung am Sinn des Lebens. (Die These, dass alle geistigen Zustände intentionale Zustände seien, ist natürlich nicht unumstritten. Sofern man Schmerzen für geistige Zustände hält und ihnen gleichzeitig Intentionalität abspricht, wird man nicht bereit sein, ihr zuzustimmen. Vgl. z. B. Searle 1983.)
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Nachwort
Ausdrücke ist ihre Bedeutung. Eine grundlegende Funktion sprachlicher Ausdrücke ist es, dass sie uns ermöglichen, uns vermittels ihrer auf etwas zu beziehen – auf Dinge, Eigenschaften, Tatsachen, Sachverhalte, Ereignisse etc. Indem wir uns vermittels sprachlicher Ausdrücke auf etwas beziehen, charakterisieren wir dieses Bezugsobjekt in bestimmter Weise: Wir sagen etwas über das Bezugsobjekt aus. Diese sprachliche Charakterisierung kann, genau wie die Art und Weise der geistigen Bezugnahme, angemessen sein oder nicht. Und wir können etwas über Dinge aussagen, die nicht existieren. Die Ausdrücke einer Sprache scheinen also über dieselben Eigenschaften zu verfügen, die wir oben als Charakteristika geistiger Zustände ausgemacht haben: das Handeln von etwas als etwas, auch dann, wenn das Objekt der Bezugnahme die ihm zugeschriebenen Eigenschaften nicht hat oder gar nicht existiert. Sofern die Ausdrücke einer Sprache über eben diese Eigenschaften verfügen, müssen sie selbst auch als intentional aufgefasst werden. Allerdings verfügen sie nur über eine Art der abhängigen oder, wie John Searle schreibt, abgeleiteten Intentionalität.6 Sprachliche Ausdrücke hätten diese Intentionalität nicht, wenn sie nicht von Sprechern verwendet würden, die ihrerseits über intentionale Zustände in einem nicht-abgeleiteten, ursprünglichen Sinne verfügen würden. Die Intentionalität der Sprache ist, mit anderen Worten, eine geborgte Intentionalität: Sätze und allgemein sprachliche Ausdrücke sind, in einem näher zu bestimmenden Sinne, immer entweder der Ausdruck von Gedanken oder sie sind selbst Instanzen von lautem Denken, d. h. sie sind selbst (Bestandteile) geistige(r) Zustände.7
6 7
Vgl. Searle 1983. Diese Expressionsfunktion der Sprache ist ein phänomenologisches Faktum, dass auch in solchen Theorien nicht obsolet wird, die davon ausgehen, dass Denken ohne Sprache nicht möglich ist oder, noch stärker, Denken in Analogie zum Sprechen verstanden werden sollte. So berücksichtigt etwa Wilfrid Sellars, der eine derartige Konzeption in zahlreichen Arbeiten vertreten hat, dieses phänomenologische Faktum durchaus. Allerdings unterscheidet er zugleich sorgfältig die Ordnung des Verstehens oder Begreifens (order of conceiving) von der Ordnung des Seins (order of being): Dass jeder Satz Ausdruck eines Gedankens ist, heißt nicht, dass jeder Satz uns als Ausdruck eines Gedankens bewusst ist bzw. dass wir uns irgendwie vorher oder unabhängig vom Satz eines Gedankens bewusst sein müssten oder auch nur immer könnten. Vgl. z. B. Sellars 1967, Kap. 6.
Intentionalität
1.2
469
Struktur intentionaler Zustände
Dennoch erlaubt uns gerade dieses Abhängigkeitsverhältnis, etwas über den Phänomenbereich zu sagen, den eine geeignete Theorie der Intentionalität geistiger Zustände erfassen muss. Denn die Struktur unseres Denkens muss, sofern die Intentionalität sprachlicher Ausdrücke nur eine abhängige ist, prinzipiell wenigstens so komplex sein, wie die Struktur der möglichen Ausdrücke einer gesprochenen Sprache. Und sofern wir uns auf spontane Äußerungen konzentrieren, d.h. Äußerungen ohne kommunikative Absicht, können wir sogar noch einen Schritt weitergehen und Denken in Analogie zur Sprache verstehen, ohne deshalb am abgeleiteten Charakter sprachlicher Intentionalität etwas zu ändern: Sprache wird so gleichsam zum heuristischen Werkzeug für die Verständnis der Funktionsweise unseres Denkens.8 Für die Sprache hat etwa Gottlob Frege behauptet, dass sprachliche Ausdrücke nur dann tatsächlich Bedeutung haben, wenn sie Bestandteile von Sätzen sind: Nur im Satzzusammenhang haben sprachliche Ausdrücke Bedeutung, so lautet Freges Kontextprinzip.9 Die grundlegende Satzform ist die des Aussagesatzes, im einfachsten Fall die Struktur eines Satzes mit Subjekt-Prädikat-Struktur.10 Die Angemessenheit oder Unangemessenheit der Charakterisierung des Objekts wird auf der Ebene von Sätzen deren Wahrheit oder Falschheit. Aussagesätzen entsprechen im Bereich geistiger Zustände die Urteile. Auch im Urteilszusammenhang wurde von Immanuel Kant ein Kontextprinzip formuliert: Unsere Vorstellungen – Kants Ausdruck für die Ideen der frühneuzeitlichen Philosophie – treten immer nur im Zusammenhang des Urteils auf, nie einzeln und von diesem unabhängig.11 Wir werden in unserer Auseinandersetzung mit den Ideenkonzeptionen der frühen Neuzeit darauf zu achten haben, wie sich die Autoren hinsichtlich dieser Frage verhalten.12 8
9 10
11 12
Dieses Vorgehen, das von Wilfrid Sellars in die analytische Diskussion eingebracht wurde, hat bemerkenswerter Weise prominente Vorläufer in der Philosophie der frühen Neuzeit: Antoine Arnauld und Pierre Nicole verfolgen in ihrer Logique ou l’art de penser eine ganz ähnliche heuristische Strategie zur Analyse der Komplexität des Denkens im Ausgang von der Analyse sprachlicher Ausdrücke. Vgl. Frege 1884, Grundlagen der Arithmetik, § 60. Vgl. für eine Diskussion der philosophischen Interpretation dieser Tatsache Strawson 1974b. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A68/B 93. Vgl. dazu Haag 2007, 162. Vgl. unten S. 484 f.
470
Nachwort
Der Inhalt von Sätzen, ihre Bedeutung oder ihr Sinn, wird manchmal als Proposition bezeichnet.13 Propositionen sind Intensionen und können als solche gleichermaßen als Bedeutungen von Sätzen, Inhalte von Gedanken und Sachverhalte, d. h. mögliche Tatsachen, aufgefasst werden. Sofern sie wahr sind, sind sie Tatsachen in der Welt. Propositionen werden in gegenwärtigen Debatten häufig als abstrakte Gegenstände konzipiert. Doch das impliziert einen für manche Philosophen unattraktiven Platonismus abstrakter Entitäten. Diese platonistische Konzeption von Propositionen ist allerdings keineswegs zwingend.14 Dazu muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass wir die propositionalen Inhalte von Sätzen auch funktional charakterisieren können: Die Bedeutung eines Satzes – die Proposition, die er ausdrückt – wäre dementsprechend nichts anderes als die funktionale oder begriffliche Rolle, die der Satz in der Sprache oder dem begrifflichen Netz als Ganzem spielt, dessen Teil er ist.15 (Diese funktionale Rolle kann dann ihrerseits auf bestimmte Verhaltensregularitäten reduziert werden.) Der Begriff der Proposition wird so zu einem metasprachlichen Begriff innerhalb einer holistischen Konzeption, der eine bestimmte funktionale Klassifikation des sprachlichen Ausdrucks thematisiert. Sofern nun Inhalte von Gedanken in Analogie zur Bedeutung von Sätzen konzipiert werden können, werden propositionale Inhalte von Gedanken ihrerseits als funktionale Rollen charakterisiert. Da nun allerdings Propositionen auch als Sachverhalte dienen sollen, die realisiert sein können oder nicht (d. h. Tatsachen sein können oder nicht), scheint die Auffassung von Propositionen als funktionalen Rollen prima facie an ihre Grenzen zu stoßen. Denn diese Dimension des Funktionsbegriffs kann nicht mehr gleichsam innerhalb der Sprache oder des Denkens gelöst werden. Hier geht es nicht mehr um Sprache oder Denken, sondern um die Entitäten, auf die wir uns vermittels Sätzen und Gedanken beziehen: einerseits Tatsachen ‚in der Welt‘, andererseits aber auch beispielsweise mathematische und logische Sachverhalte. Anders gesagt, 13 14
15
Vgl. zum Propositionsbegriff die informative Übersicht in McGrath 2008. Im Folgenden stelle ich eine Strategie vor, mit Propositionen in harmloser Weise umzugehen. Andere sind möglich, etwa Stephen Schiffers pleonastische Auffassung von Propositionen. Vgl. Schiffer 2003. Vgl. z. B. Sellars 1967 Kap. 3–5. Die Idee einer Begriffsrollensemantik, die diesen Überlegungen zu Grunde liegt, ist in verschiedene Richtungen weiterentwickelt worden von unter anderem Field 1977, Block 1987, Harman 1987. Kritisch Fodor/LePore 1992 Kap. 3. Einen Überblick über die gegenwärtige Debatte gibt Block 1998.
Intentionalität
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es geht um die Wahrheit oder Falschheit der geäußerten Sätze bzw. der gedachten Gedanken. Wie soll diese ohne Bezug auf eine sprach- und geistunabhängige Realität begriffen werden? Natürlich hängt die Möglichkeit einer Lösung hier vom Wahrheitsbegriff ab, den wir in unserer Theorie verwenden. Letztlich liegt der Skepsis gegenüber einer möglichen Lösung nämlich eine einfache korrespondenztheoretische Wahrheitskonzeption zu Grunde, die keineswegs ohne Alternative ist. Wenn man Wahrheit hingegen als gerechtfertigte Behauptbarkeit auffasst, wie das in verschiedenen kohärentistischen Konzeptionen der Fall ist, eröffnet sich ein anderer Weg: Propositionen sind dann die disquotationalen Entsprechungen der quotierten Ausdrücke in metasprachlichen Sätzen wie z. B. „„Schnee ist weiß“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist.“. Auf diese Weise würde auch diese Funktion von Propositionen letztlich wieder zu einer sprach- bzw. gedankeninternen Funktion. Intensionen von Sätzen oder Gedanken können wir also in platonistischer Weise als abstrakte Gegenstände konzipieren – müssen dies jedoch nicht tun: Es gibt ontologisch harmlosere Alternativen, die es uns erlauben, mit diesem begrifflichen Werkzeug zu operieren, ohne Festlegungen zu treffen, die möglichen nominalistische Neigungen entgegenstehen. Einstweilen können wir davon also einen unproblematischen heuristischen Gebrauch machen Die Sätze einer Sprache sind aus einzelnen Bestandteilen gemäß bestimmten grundlegenden Operationen zusammengesetzt; dadurch lassen sich im Prinzip beliebig komplexe Sätze bilden. Wenn Gedanken nun ihrerseits möglicherweise auch nicht unbedingt kompositionale Struktur aufweisen müssen – also nicht unbedingt so beschaffen sein müssen, dass sich die Bedeutung eines Satzes aus der Bedeutung seiner Bestandteile ergibt16 –, so müssen sie doch diese Komplexität in geeigneter Weise spiegeln können. Mit anderen Worten: Gedanken müssen ihre Komplexität nicht in derselben Weise erhalten, wie die Ausdrücke einer Sprache – sie müssen nicht im selben Sinne kompositional sein, wohl aber muss die Komplexität, die im Falle der Sprache durch ihre Kompo16
Diese Frage ist in der Philosophie des Geistes kontrovers diskutiert worden. Vgl. dazu – wiederum mit kritischen Seitenhieben auf eine Begriffsrollensemantik und die damit verbundenen holistischen Annahmen – Fodor/LePore 2002. Eine Verteidigung der Begriffsrollensemantik gegen die Einwände von Fodor und LePore liefert Brandom 2008, 133–136.
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sitionalität ermöglicht wird, auf irgendeine Weise im Bereich der geistigen Zustände eingeholt werden. Andere Intensionen, die es in einer Theorie der Intentionalität auf Grund der Gemeinsamkeiten von Denken und Sprechen zu berücksichtigen gilt, sind die Intensionen abstrakter Terme wie „würfelig“, die Intensionen von Individuentermen wie „Descartes“ oder Kennzeichnungen wie „der Begründer der neuzeitlichen Philosophie“, von demonstrativen Elementen der Sprache sowie von logischen Junktoren. Als Intensionen entsprechen diesen Universalien (abstrakte Terme), Individuen (Individuenterme und Kennzeichnungsterme) und Funktionen von Extensionen in Kontexten (Demonstrativa). Die Intension der Junktoren wird in der Regel synkategorematisch, d. h. in Abhängigkeit von ihrem Auftreten in komplexen Ausdrücken, festgelegt. Wie wir am Beispiel der Propositionen bereits gesehen haben, sind Intensionen heuristisch geeignete (und nicht notwendig abstrakte) Entitäten, um die Verbindung zwischen Sprache und Denken sowie beider Beziehung auf die Welt in den Blick zu nehmen: Intensionen sind gleichermaßen Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken, Inhalte von Gedanken (oder Bestandteilen von Gedanken) und können in der Welt realisiert werden – als existierende Individuen, exemplifizierte Eigenschaften und bestehende Sachverhalte. (Bestandteile von) Propositionen
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(Bestandteile von) Sätze(n)
Wir haben auf diese Weise sprachliche Entitäten, geistige Zustände, abstrakte Entitäten und Tatsachen in der Welt zueinander in Beziehung gesetzt. Skizziert ist damit natürlich keine philosophische Theorie, keine
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Lösung eines Problems, sondern ersteinmal nur das Problem der Intentionalität geistiger Zustände in der Komplexität dargestellt, die ihm zugrunde liegt. Philosophische Lösungsversuche müssen sich daran messen lassen, ob und wie sie dieser Komplexität gerecht werden: Sofern sie das Beziehungsnetz im Großen und Ganzen für angemessen halten, müssen sie eine Theorie konzipieren, die die hier vorgestellten Platzhalter mit philosophischem Leben füllt. Sofern sie aber etwa bestimmte Elemente dieses Beziehungsnetzes ablehnen, müssen sie deutlich machen, welche Aspekte ihrer Theorie die Aufgabe überflüssig machen, die dem fraglichen Element in diesem Netz zukommt. Aufgabe einer Theorie der Intentionalität muss es also sein, dieses Beziehungsnetz und seine Bestandteile so auszugestalten oder aber so zu revidieren, dass sich daraus eine Erklärung der vielfältigen Abhängigkeiten ergibt, die in dieser Graphik veranschaulicht werden sollen.
2.
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Im Folgenden soll nun der Ideenbegriff allgemein hinsichtlich seiner für eine Theorie der Intentionalität relevanten Aspekte und Unterscheidungen entwickelt werden. Dabei werde ich mich weitgehend auf Autoren konzentrieren, die in konstruktiver Weise mit dem Ideenbegriff operieren. Da die sprachliche Ebene von den meisten Ideentheoretikern eher beiläufig thematisiert wird – mit der bedeutenden Ausnahme von John Locke und Leibniz sowie der Logique ou L’Art de Penser (1662) von Antoine Arnauld und Pierre Nicole17 – wird sie im Folgenden weitgehend außer Acht gelassen: Ideentheoretische Konzeptionen der Intentionalität bewegen sich vorwiegend im Beziehungsgeflecht von geistigen Zuständen, deren Inhalten und denjenigen Entitäten, auf die sie kraft dieses Inhalts Bezug nehmen. Die folgenden Unterscheidungen reflektieren die Beziehung zwischen geistigen Akten und geistigen Inhalten (i), das Verhältnis von geistigen Akten und ihren Inhalten zu einem Subjekt dieser geistigen Zustände (ii und iii), ihr Verhältnis zum Objekt der Bezugnahme (iv und v), die genaueren Eigenschaften ihres Inhalts (vi bis viii), sowie unseren 17
Vgl dazu Lowe 2005, Kap. 4 und ausführlich Lenz im Ersch. Zu Leibniz vgl. Dascal 1987. Natürlich sind andererseits für einen nominalistischen Kritiker der Ideentheorie wie Thomas Hobbes sprachphilosophische Überlegungen wieder sehr wichtig.
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epistemischen Zugriff auf diese Inhalte und somit auch auf die Objekte unserer Bezugnahme (ix und x). i) Ideen sind Akt oder Inhalt. Diese erste Unterscheidung ist gleichermaßen zentral wie gefährlich für das Verständnis ideentheoretischer Konzeptionen. Denn ohne dass sie immer eigens thematisiert wird, findet sich diese Unterscheidung bei fast jedem der in den vorangehenden Kommentaren diskutierten Autoren. Nicht immer wird dabei deutlich, ob der jeweilige Verfasser sich selbst im fraglichen Kontext über die Relevanz der Unterscheidung im Klaren ist. Als Idee wird nämlich gleichermaßen der geistige Zustand oder Akt bezeichnet, in dem ein denkendes Subjekt sich zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet bzw. den es vollzieht, wie auch der Inhalt dieses geistigen Zustands. In der zeitgenössischen Philosophie des Geistes wird entsprechend zwischen dem Träger eines bestimmten Inhalts und dem Inhalt selbst unterschieden, zwischen dem, was repräsentiert und dem repräsentierten Inhalt. Auf der Ebene strukturierter, komplexer geistiger Zustände, die ich am Ende des vorangehenden Abschnitts skizziert habe, entspricht dieser Unterscheidung die Differenzierung zwischen Gedanken als Träger und Propositionen als Inhalten.18 Sofern man in der Beschäftigung mit der Ideentheorie die Unterscheidung zwischen Akt und Inhalt vernachlässigt wird, kann der Eindruck entstehen, als würden Ideen inkompatible Eigenschaften zugeschrieben. Doch bei Descartes und Autoren, die wie Arnauld oder auch Spinoza unmittelbar an ihn anknüpfen, wird diese zentrale Unterscheidung in der Differenzierung zwischen idea materialiter und idea objective explizit thematisiert19: Betrachten wir die Idee in materialer Hinsicht, dann interessiert sie uns nur als geistiger Akt oder Zustand, d. h. bei Descartes als Modifikation der geistigen Substanz. Die Beschaffenheit dieses Zustands (mit Descartes gesprochen: seine Form) ist dabei durchaus relevant dafür, welchen Inhalt der Zustand hat, d. h. was wir feststellen, wenn wir ihn in objektiver Hinsicht betrachten. Dennoch werden beide Betrachtungsweisen streng voneinander unterschieden. 18
19
Vgl. für eine zeitgenössische Übersicht über die relevanten Unterscheidungen Sellars 1967, 36. Vgl. dazu die Textauswahl in Bd. 1 zu Descartes S. 62, Arnauld S. 255 ff. und Spinoza S. 172, 180 sowie die Erläuterungen in den Beiträgen im vorliegenden Kommentarband (zu Descartes: K10, K15, K19 und Abschnitt 1.3.2 im systematischen Essay; zu Spinoza: K3; zu Arnauld: K34).
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Bei Leibniz hingegen steht, ähnlich wie auch bei Malebranche, die Identifikation der Ideen mit den Inhalten des Denkens im Vordergrund, wenn er Ideen einerseits als Denkvermögen auffasst, andererseits von den aktualisierten Ideen als Objekten des Geistes spricht: Ideen qua Vermögen werden bei ihm als Inhalte aktualisiert, d. h. sie sind primär Dispositionen zur Aktualisierung von Objekten des Denkens, nicht zur Aktualisierung von Denkakten.20 Ähnliches scheint, zumindest prima facie, für Locke und Berkeley zu gelten, die von Ideen gleichfalls als Objekten des Denkens (oder der Perzeption) sprechen.21 Gerade bei diesen Autoren, wie auch bei David Hume, wird jedoch oft nur beiläufig zwischen Ideen als (perzeptuellen) Akten und Ideen als Inhalten unterschieden. ii) Ideen sind Modifikationen von denkenden Substanzen oder selbständige Entitäten. In der klassischen Formulierung der Ideentheorie bei Descartes ist noch völlig klar, dass Ideen Modifikationen von Substanzen sind: Ideen modifizieren bei ihm die geistige Substanz, die diese Ideen hat oder – im Jargon der Zeit – perzipiert. Die Auffassung von Ideen als Modifikationen des Geistes legt eine Deutung des Ideenbegriffs nahe, die man heute als adverbialistisch bezeichnet: Ideen modifizieren eine Substanz unter einem bestimmten Attribut, nämlich dem Attribut des Denkens. Ideen können deshalb aufgefasst werden als adverbiale Modifikationen des Denkaktes: Wenn ich beispielsweise an einen rosaroten Eiswürfel denke, denke ich in einer (ein-rosaroter-Eiswürfel)-igen Weise.22 Interessant ist auch in diesem Zusammenhang wieder die Position von Leibniz: Nicht nur wenn Ideen von uns apperzipiert und damit Dispositionen aktualisiert werden, existieren Ideen abhängig als Modifikationen der bewusst perzipierenden, denkenden Substanz, sondern auch die Dispositionen selbst werden in die adverbiale Deutung der Ideen einbezogen: Sie sind selbst qua Perzeptionen aktuale adverbiale Modifikationen der Substanz.23
20 21 22
23
Vgl dazu für Leibniz Bd. 2, S. 323 f. und für Malebranche Bd. 2, S. 192 f. Vgl. für Locke Bd. 1, S. 265 und für Berkeley Bd. 1, S. 347. Vgl. zu adverbialistischen Tendenzen in der Philosophie der Frühen Neuzeit Yolton 1984 und für adverbialistische Wahrnehmungstheorien der Gegenwart Tye 1984. Vgl. dazu den systematischen Essay von Christian Barth im vorliegenden Band, S. 323.
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Dennoch wird spätestens mit Locke der Begriff der Substanz problematisch, für den es – wenigstens aus empiristischer Perspektive – keine ideentheoretische Fundierung und damit keine Rechtfertigung zu geben scheint. Während Berkeley der Konsequenz freischwebender Ideenbündel noch ausweicht, indem er Begriff wie den der Substanz von Ideen systematisch unterscheidet und Ideen so wieder adverbial konzipieren kann, wird diese Option von Hume ausdrücklich ergriffen. Ideen können dementsprechend keine Modifikationen von Substanzen mehr sein, weil es hier nichts mehr zu modifizieren gibt. Sie sind vielmehr Ereignisse oder Prozesse, die keines Trägers bedürfen. An dieser Stelle setzt unter anderem auch Reids Kritik an Hume an: Reid ist ein Verfechter des Substanzbegriffs auf der Basis einer CommonSense-Philosophie. Er greift die adverbialistische Deutung von geistigen Zustände auf, interpretiert diese jedoch anti-repräsentationalistisch und macht sie so zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Kritik an dem, was er für das ideentheoretische Paradigma hält.24 Das Beispiel Malebranches wiederum macht deutlich, dass wir den Substanzgedanken keineswegs erst aufgeben müssen, um eine objektuale Deutung von Ideen, d. h. eine Deutung, der gemäß Ideen Objekte sind, in die Theorie einzuführen: In Malebranches platonistischer Position sind Ideen Objekte unserer Perzeption, die nur in Gott existieren und zu denen wir in eine partizipierende Beziehung treten.25 iii) Ideen sind geistabhängig oder geistunabhängig. In adverbialistischen Positionen scheint sich die Geistabhängigkeit von Ideen unmittelbar zu ergeben: Sofern Ideen Modifikationen von (endlichen oder unendlichen) Substanzen sind, sind Ideen abhängig von diesen Substanzen. Doch an dieser Stelle muss man vorsichtig sein: Nur von endlichen perzipierenden Substanzen kann man strenggenommen sagen, dass sie geistige Substanzen sind. Für Gott als unendliche Substanz gilt das nicht ohne weiteres. Denn in welchem Sinn können wir von Gott sagen, dass er (diskursiv) denkt? In der cartesischen Theorie ist dafür kein Platz: Das diskursive Denken (cogitare) ist bei ihm wesentliches Kennzeichen von
24
25
Vgl. dazu die Einleitung zur Reidauswahl in Bd. 1, sowie den Kommentaressay zu Reid im vorliegenden Band 11.3. Vgl. dazu ausführlich unten S. 501 ff. und die Interpretation, die Paolo Rubini in seinem Komentaressay vorgeschlagen hat.
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uns endlichen Substanzen, die von der unendlichen Substanz Gottes ausdrücklich abgegrenzt werden.26 Spinoza andererseits gewinnt dieser Redeweise einen neuen Sinn ab, indem er das Denken zu einem der Attribute Gottes und jeden geistigen Akt zu einer Modifikation der einen, göttlichen Substanz unter diesem Attribut macht. Zwar gibt es Bemerkungen bei Spinoza, in denen er das göttliche Denken vom menschlichen unterscheidet, doch lassen sich diese vielleicht auch mit einer bloß graduellen Unterscheidung vereinbaren.27 Auch vor dem Hintergrund von Berkeleys Konzeption Gottes als Geist (spirit ) scheint es nicht unsinnig, so zu sprechen. Doch Berkeleys Beispiel zeigt auch, wie schnell eine derartige Betrachtungsweise problematisch wird, wenn man, anders als Spinoza, endliche von unendlichen Substanzen unterscheidet: Gott ist zwar eine geistige Substanz und in diesem Sinne sind Ideen, sofern sie von Gott abhängig sind, auch immer von einer geistigen Substanz abhängig; doch ist diese Abhängigkeit eine ganz andere, als die Abhängigkeit der Existenz der Ideen von der Perzeption durch uns endliche Geister, die bei Berkeley immer als sinnliche Perzeption beschrieben wird.28 Der Begriff der Geistabhängigkeit ist also mehrdeutig und abhängig davon, ob es sich bei dem fraglichen Geist um eine unendliche, eine endliche oder überhaupt nicht um eine Substanz handelt: Ideen können, wie das Beispiel Berkeleys zeigt, unabhängig von endlichen Substanzen existieren und dennoch abhängig von einer unendlichen, göttlichen Substanz. Noch deutlicher wird dies, wenn wir die Unabhängigkeit der Ideen von endlichen Substanzen betrachten, die wir bei Malebranche finden, der Ideen nicht nur als Inhalte zu Objekten des Denkens macht, sondern sie auch als ontologisch eigenständige Objekte betrachtet.29 Diese existieren zwar in Gott, sind aber dennoch keine Modifikationen der göttlichen Substanz, sondern existieren in ihm als Bestandteile der göttlichen 26
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Was nicht so verstanden werden darf, dass Gott überhaupt nicht denken (intelligere) würde. Nur unterscheidet sich seine Art des Denkens radikal von unserer, da er wesentlich nicht-diskursiv denkt. Kant thematisiert diese Unterscheidung in seiner Differenzierung zwischen diskursivem (menschlichen) und intuitiven (göttlichen) Verstand. Vgl. z. B. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 76–77. Vgl. Spinoza, Ethik, 1p17s, 2p7s; Bd. 1, S. 180 f. Eine prinzipielle, nicht-graduelle Interpretation des Unterschieds schlage ich in Haag 2009 vor. Vgl. Bd. 1, S. 352 und Bd. 2., S. 346 f. Vgl dazu Bd. 2, S. 193.
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Substanz – mit der Konsequenz, dass der Vorgang der Perzeption, der in den meisten Ideentheorien das bewusste Haben einer Idee bezeichnet, hier der (direkten und unmittelbaren30) Wahrnehmung angenähert wird. Ideen sind bei Malebranche also abhängig vom göttlichen Geist ohne deshalb Modifikationen der göttlichen Substanz zu sein: Sie sind selbst Bestandteil der göttlichen Substanz, an der wir im Perzeptionsakt in endlicher und beschränkter Weise partizipieren. Ich habe bereits erwähnt, dass David Hume eine radikale Version der Unabhängigkeit geistiger Zustände von einer Substanz, als deren Modifikationen sie aufgefasst werden können, vertritt: Nach Hume sind Sinneseindrücke, genau wie die Ideen, die diese Sinneseindrücke repräsentieren, keine Modifikationen einer geistigen Substanz, sondern bilden vielmehr selbst gemeinsam mit den Ideen diese Substanz. Damit ist für Hume nicht mehr der geistige Zustand abhängig von einem Geist, sondern der Geist ist abhängig von der Menge von Eigenschaftsbündeln, die ihn in ihrer Gesamtheit erst konstituieren.31 Und für diese Eigenschaften ist der Ausdruck „Zustand“ deshalb auch unangemessen, sofern er nicht vortheoretisch verwendet wird, sondern bereits auf eine ontologische Klassifikation verweist: Zustände setzen etwas voraus, dessen Zustände sie sind. Humes Sinneseindrücke und Ideen hingegen sind die Voraussetzung dafür, dass etwas konstituiert wird, von dessen Zuständen wir dann in einem uneigentlichen Sinne überhaupt erst reden können.32 iv) Ideen repräsentieren etwas oder sie repräsentieren nicht. Häufig wird die Ideentheorie einfach als eine frühe Form des neuzeitlichen Repräsentationalismus betrachtet. Repräsentationen lassen sich, genau wie Ideen als Träger von Inhalten auffassen oder als diese Inhalte selbst: Sie sind die Entitäten (Akte), die etwas repräsentieren, und sie repräsentieren etwas als etwas (Inhalte). Zusätzlich zu dieser zweifachen Betrachtungsweise kommt allerdings noch ein dritter Gesichtspunkt ins Spiel: Repräsentationen stehen in einer – in Abhängigkeit von der jeweiligen Theorie unterschiedlich zu charakterisierenden – Relation zu dem, was sie repräsentieren, sofern 30 31 32
Vgl. unten S. 508. Vgl. dazu Bd. 2, S. 421. Die ontologische Klassifikation der Eigenschaften, die die Grundbausteine der Humeschen Ontologie bilden ist nicht einfach. Markus Wild greift diese Frage in seinem Essay auf und schlägt eine tropentheoretische Interpretation vor.
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dieses Objekt unabhängig davon existiert, dass es repräsentiert wird. So existiert der rosarote Eiswürfel, den ich gemäß solchen Theorien in meiner Wahrnehmung als einen rosaroten Eiswürfel repräsentiere, auch unabhängig davon, dass ich ihn gerade wahrnehme – vorausgesetzt, meine vorgebliche Wahrnehmung entpuppt sich nicht als Halluzination. Repräsentationen können, wie die Zusatzbedingung in diesem Beispiel deutlich macht, auch fehlgehen – und zwar nicht nur, indem sie uns die Existenz von etwas vorspiegeln, was gar nicht existiert, sondern auch indem sie uns etwas als etwas repräsentieren, was die fragliche Eigenschaft nicht hat. In diesem Fall sprechen wir von Fehlrepräsentationen. Etwas, das diese Charakteristika hat, stellt prima facie einen idealen Kandidaten für eine Theorie der Intentionalität dar.33 Sofern Ideen deshalb als Repräsentationen aufgefasst werden können, sind sie unter systematischen Gesichtspunkten für zeitgenössische Intentionalitätskonzeptionen besonders interessant, die ihrerseits häufig dem repräsentationalistischen Paradigma verpflichtet sind. In der Tat sind viele ideentheoretische Ansätze in diesem Sinne repräsentationalistisch. Als Repräsentationen sind Ideen gerade nicht nur Akt und Inhalt, sie beziehen sich darüber hinaus auch noch auf eine Welt, die unabhängig von ihnen existiert. Diese Beziehung wird entweder als kausale Abhängigkeit von den repräsentierten Gegenständen oder Tatsachen selbst konstruiert oder als quasi-kausale Abhängigkeit von Gott, der dann als Ursprung sowohl der repräsentierten Entitäten als auch der Repräsentationen für deren repräsentationalen Inhalt unmittelbar verantwortlich ist. Die Gegenstände oder Tatsachen, auf die sich unsere Ideen beziehen, werden von diesen repräsentiert, weil sie zu diesen sowie deren Eigenschaften in einer näher zu bestimmenden systematischen Abhängigkeit stehen. Diese systematische Abhängigkeit garantiert die generelle Zuverlässigkeit unserer Ideen als Repräsentationen. Was sie gewährleistet, ist in der Regel keine (problematische) Ähnlichkeit zwischen Repräsentation und Repräsentiertem. Eine derartige Ähnlichkeit ist prinzipiell problematisch, da sie eine Annäherung von z. B. Ausdehnungseigenschaften an repräsentierte Ausdehnungseigenschaften impliziert: Was auch immer intentionale Inhalte aber auch genau seien, ihr philosophischer Charme liegt gerade darin, dass sie die repräsentierten Eigenschaften nicht selbst 33
Ob solche Ideen selbst komplex oder ‚satzartig‘ sind, wie es das Kontextprinzip verlangt, oder nicht, soll an dieser Stelle offen bleiben. Dazu unten mehr. Vgl. S. 485.
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realisieren. (Es bleibt natürlich das Problem, worin denn dann die repräsentationale Beziehung besteht. Arnauld besteht deshalb darauf, dass die Repräsentationalität der Ideen letztlich einen nicht weiter analysierbaren Grundbegriff darstellt. Malebranche löst das Problem durch den Umweg über die Ideen Gottes, an denen wir ebenso partizipieren wie die ausgedehnten Gegenstände. Und Spinoza begegnet ihm mit der Reduktion von Repräsentationalität auf die Identität geistiger mit körperlichen Zuständen und die kausale Abhängigkeit zwischen körperlichen Zuständen.34) Kaum ein Autor behauptet also eine Ähnlichkeit zwischen repräsentationalem Inhalt und repräsentierten Eigenschaften, viele lehnen sie, so wie Spinoza, ausdrücklich ab. Und selbst bei Locke, der über Ähnlichkeit zwischen repräsentationalem Inhalt und Repräsentiertem spricht, wenn es um die Abgrenzung der Ideen primärer von den Ideen sekundärer Qualitäten geht, muss der Ähnlichkeitsbegriff erst einer genauen Analyse unterzogen werden. Immerhin scheint klar, dass auch bei ihm die Ähnlichkeit, die bestehen kann, die repräsentationale Beziehung nicht begründet. Das leistet gerade auch bei Locke eine kausale Beziehung zwischen Repräsentation und Repräsentiertem.35 Der einzige Philosoph unserer Auswahl, der die Rede von der Ähnlichkeit sehr ernst nimmt, ist ausgerechnet ein Kritiker der repräsentationalistischen Ideentheorie, nämlich Berkeley: Die angeblich von den Repräsentationalisten behauptete Ähnlichkeit zwischen Idee und repräsentiertem Objekt ist einer seiner zentralen Gründe dafür, die Repräsentationsbeziehung ganz zurückzuweisen, da gemäß seinem ÄhnlichkeitsPrinzip nur eine Idee einer Idee ähnlich sein kann und eine Ähnlichkeit zwischen Idee und einem außergeistigem repräsentiertem Gegenstand deshalb ausgeschlossen ist. Die vorangegangenen Überlegungen machen deutlich, dass Berkeleys Kritik an der Ideentheorie, soweit sie auf diesem Punkt beruht, ihrerseits problematisch ist. (Ähnliches gilt für Hume und Reid, die sich in ihrer Rezeption der Ideentheorie zu einem erheblichen Teil auf Berkeley stützen.36)
34
35 36
Vgl. dazu auch die Kommentare von Schmid & Borcherding zu Arnauld, Rubini zu Malebranche sowie von Schmid & Stoichita zu Spinoza im vorliegenden Band. Vgl dazu den Beitrag von Martin Lenz im vorliegenden Bd. S. 277. Vgl. Hume, A Treatise of Human Nature, 1.1.7, Bd. 1, S. 381 f. und Reid, Bd. 1, S. 418; dazu Falkenstein 1995.
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v) Ideen sind Gegenstand oder Mittler der intentionalen Beziehung. Im Gegensatz zur Ähnlichkeit ist bei den meisten Vertretern einer repräsentationalistischen Ideenkonzeption für eine gelungene Repräsentationsbeziehung eine strukturelle Isomorphie zwischen der Repräsentation und wenigstens einigen Aspekten des Repräsentierten tatsächlich erforderlich. Bei Descartes ist diese Isomorphie beispielsweise dadurch gewährleistet, dass Ideen und ihre Gegenstände an denselben Urformen in der göttlichen Substanz Anteil haben, die beiden dieselbe, für sie charakteristische Struktur aufprägt.37 Ähnlich verhält es sich bei Malebranche, mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, dass wir bei ihm nicht selbst die Ideen haben, sondern uns partizipierend zu den Ideen in Gott verhalten. Bei Spinoza wird die Isomorphie durch die Parallelität der Modifikationen der Substanz unter den Attributen der Ausdehnung und des Denkens gewährleistet, bei Locke wird sie durch die kausale Beziehung zwischen den repräsentierten Gegenständen und den (einfachen) Ideen erzeugt: Die kausale Abhängigkeit garantiert so die Kovarianz einfacher Ideen und repräsentierter Gegenstände. Eine ganz eigene Form des Repräsentationalismus entwickelt Hume in seiner Differenzierung von Eindrücken (impressions) und Ideen (ideas). In gewissem Sinne sind die einzigen Entitäten, die bei ihm repräsentiert werden, die Eindrücke selbst, die als atomare sinnliche Eigenschaften aufgefasst werden. Diese beziehen sich nun aber nicht etwa ihrerseits (als kausale Mittler) auf eine hinter ihnen liegende Realität, deren Gegenstände und Tatsachen für ihre Hervorbringung verantwortlich sind: Die Eindrücke (oder besser: Bündel von Eindrücken) sind vielmehr selbst nichts anderes als diese Gegenstände und Tatsachen, die unsere Ideen dann ‚kopieren‘ und sie so repräsentieren. Sie können dies, weil sie selbst letztlich von derselben Art sind wie die Eindrücke – Hume nimmt Berkeleys Ähnlichkeitsprinzip, demgemäß nur eine Idee einer Idee ähnlich sein kann, also ernst, gibt ihm aber seinerseits eine repräsentationalistische Wendung: Ideen können Eindrücke abbilden, weil beide als atomare exemplifizierte Eigenschaften von derselben Art sind. Was hier also repräsentiert wird, sind zwar ganz besondere Entitäten und Humes ontologische Konzeption wird auf diese Weise äußerst anspruchsvoll – doch die Repräsentationsbeziehung selbst ist in dieser Theorie letztlich ziemlich konventionell: Es gibt Gegenstände (Bündel von Eindrücken)
37
So jedenfalls interpretieren Perler 2004 und Pessin 2008 die cartesische Ideentheorie. Anders Stefanie Grüne in ihrem Beitrag zum vorliegenden Band (1.3).
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und Mittler (Ideen) der intentionalen Beziehung. Beide sind bei Hume jedoch ideenartige Entitäten – wenn auch nicht dieselben.38 Wie eine alternative, nicht-repräsentationalistische Ideenkonzeption aussehen könnte, kann man anhand der Theorie Berkeleys sehen. Aus dem erwähnten Ähnlichkeitsprinzip zieht er eine ganz andere Schlussfolgerung: Wenn nur Ideen Ideen ähnlich sein können, dann sollten wir die Vorstellung einer Repräsentationsbeziehung ganz aufgeben: Warum sollten wir denn eine Realität hinter den Ideen annehmen, die uns selbst nur als repräsentierte zugänglich wäre? Diese Realität erfüllt, so Berkeley, keine Erklärungsansprüche, sie ist ein Rad, das sich gleichsam leer dreht. Das einzige, was noch erklärungsbedürftig ist, so stellt er fest, ist unsere Passivität in der Perzeption unserer Ideen – dass wir uns, mit anderen Worten, nicht aussuchen können, was wir wahrnehmen. Dieser Umstand legt uns aber gerade nicht zwingend auf die Annahme unbelebter Materie fest, wie Locke noch annimmt, da etwas Unbelebtes gemäß empiristischen Prinzipien für sich allein überhaupt nicht kausal wirksam sein kann. Unser Kausalitätsbegriff kann deshalb nicht aus den Ideen kommen, sondern muss aus unserer eigenen kausalen Wirksamkeit als Handelnde extrapoliert werden. Ursprünglich kausal wirken kann demnach nur ein Wesen, das selbst mit Absichten ausgestattet ist und willentlich handeln kann. Als Ursache unserer Ideen kommt daher nur ein geistiges Wesen in Frage, das wir uns angesichts der immensen Aufgabe der Wahrnehmungskoordination als unendliches Wesen denken müssen. Natürlich könnte Gott nun in diesem Wirkprozess auch noch die unbelebte Materie als kausalen Mittler gleichsam zwischenschalten – doch für diese Annahme gibt es keinen zwingenden Grund: Unsere Passivität im Wahrnehmungsprozess ist durch Gott als kausalen Ursprung der Wahrnehmung bereits hinreichend erklärt. Während Gott also auch bei Descartes oder Malebranche eine unersetzliche Rolle für das Gelingen einer intentionalen Beziehung spielt, wird er bei Berkeley zum einzigen Explanans des Inhalts unserer Ideen. Ideen sind so keine Mittler der intentionalen Beziehung, sondern als bewusste geistige Zustände gleichzeitig Inhalt und Objekt geistiger Zustände. vi) Ideen sind klar und deutlich (distinkt) oder dunkel und verworren. Ganz unabhängig davon, wie die Intentionalität der Ideen erklärt wird, muss die Erklärung den Spielraum lassen für inadäquate Inhalte. Der Inhalt der
38
Vgl. die Interpretation von Wild im Beitrag zu diesem Band.
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Ideen muss, sofern Ideen für eine Theorie der Intentionalität überhaupt interessant sein sollen, so beschaffen sein, dass er Formen intentionaler Bezugnahme zulässt, die nur teilweise erfolgreich ist – wenn sie überhaupt gelingt. Diese Bedingung wird in der Ideentheorie von Descartes über Spinoza und Locke bis hin zu Leibniz durch die Unterscheidung zwischen klaren und deutlichen Ideen einerseits und dunklen und verworrenen Ideen andererseits erfüllt: Ideen sind klar, wenn sie unserem Bewusstsein unmittelbar und intensiv präsent sind; sie sind deutlich, wenn sich in ihnen ihre verschiedenen Aspekte genau differenzieren lassen. Der schrittweise Verlust von Klarheit bzw. Deutlichkeit geht dann einher mit einer proportionalen Zunahme von Dunkelheit bzw. Verworrenheit.39 So formuliert verhält sich die Unterscheidung neutral gegenüber der Frage, ob die jeweilige Ideentheorie repräsentationalistisch ist oder nicht. Denn Klarheit und Deutlichkeit sind keine relationalen Eigenschaften der Ideen, sondern intrinsische. Was für diese Eigenschaften verantwortlich, ist damit zunächst offen. Natürlich können Klarheit und Deutlichkeit dadurch hervorgerufen werden, dass die Eigenschaften repräsentierter Objekte sich möglichst vollständig und differenziert in der repräsentierenden Idee wieder finden. Sie können aber ebenso gut das Produkt der Transparenz der vielfältigen Relationen einer Idee zu anderen Ideen und damit von deren Einbindung in das Ideengeflecht insgesamt sein. Auf diese Weise kann auch eine nicht-repräsentationalistische, kohärentistische Theorie eine interessante Konzeption der Klarheit und Deutlichkeit von Ideen entwickeln. Die skizzierten unterschiedlichen Arten und Weisen, wie Klarheit und Deutlichkeit in Ideen hervorgerufen werden, verweisen auf eine Thematik, die mit diesen Eigenschaften in der Philosophie der frühen Neuzeit untrennbar verbunden ist: die Wahrheit oder Falschheit von geistigen Zuständen. Die beiden Alternativen entsprechen deshalb auf der Ebene der Ideen der korrespondenztheoretischen bzw. kohärentisti39
Strenggenommen sind bei Descartes zwei Skalen im Spiel: eine Skala, die vom höchsten Maße der Klarheit bis hin zum größten Grad an Dunkelheit reicht, und eine weitere, die vom höchsten Maß an Deutlichkeit bis zum größten Grad an Verworrenheit reicht. Gemeinsam charakterisieren die Eigenschaftspaare klar/dunkel und deutlich/verworren in einer Kreuzklassifikation die Art und Weise, in der ein spezifischer Inhalt uns in einer Idee gegeben ist. Dabei können dunkle Ideen zwar niemals deutlich sein – Klarheit ist eine notwendige Bedingung für Deutlichkeit –, aber Ideen, die in hohem Maße klar sind, sind häufig verworren, wie das Beispiel vieler sinnlicher Ideen zeigt. Vgl dazu Haag 2008, 112 ff.
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schen Wahrheitskonzeption, die ich bereits im Zusammenhang der Skizze des Intentionalitätsbegriffs angesprochen habe.40 Klarheit und Deutlichkeit sind als Wahrheitskriterien allerdings bereits in der frühen Neuzeit heftig kritisiert worden. In diesem Zusammenhang ist besonders die Kritik von Gassendi an Descartes zu nennen, die spätere Einwände von Malebranche gegen Arnauld vorwegnimmt41: Gassendi weist darauf hin, dass intrinsische Eigenschaften einer Repräsentation grundsätzlich keine verlässlichen Hinweise darauf geben können, ob dieser Repräsentation etwas Repräsentiertes entspricht.42 Und Malebranche weist Arnauld darauf hin, dass die Auffassung von Klarheit und Deutlichkeit als Eigenschaft geistiger Zustände (ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Auffassung von Klarheit und Deutlichkeit als Eigenschaft platonischer Ideen) keinerlei Rückschluss auf die Eigenschaften der repräsentierten Gegenstände zulässt. Dies sei nur möglich, so Malebranche, wenn es sich um Ideen desjenigen handelt, der die Gegenstände selbst gemäß diesen Ideen hervorgebracht hat – also um Ideen Gottes.43 vii) Ideen haben Objekte oder Sachverhalte zum Inhalt. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass Klarheit und Deutlichkeit zwar Kriterien für die Wahrheit geistiger Zustände sind, mit dieser aber nicht ohne weiteres identifiziert werden dürfen. Descartes etwa insistiert, dass Ideen nicht die geeigneten Kandidaten für etwas sind, das wahr oder falsch sein kann. Wahr oder falsch, so betont er, sind strenggenommen nur Urteile. Allerdings haben nur solche Urteile das Zeug zur Wahrheit, die auf klaren und deutlichen Ideen basieren. An dieser Stelle wird eine ideentheoretische Entsprechung des Kontextprinzips erkennbar: Für Wahrheit und Falschheit müssen Ideen in Urteile eingebettet sein. Allerdings würde Descartes vermutlich darauf beharren, dass Ideen, unabhängig von ihrer Wahrheitsfähigkeit und damit unabhängig von ihrer Einbettung in ein Urteil genommen, einen bestimmten Inhalt haben können, der nicht satzartig strukturiert sein muss: Ideen sind für Descartes in der Regel Ideen von Gegenständen, nicht von Sachverhalten. 40 41 42 43
Vgl oben S. 471. Vgl. dazu Pyle 2008, 160 ff. und den Beitrag von Maria Seidl im vorliegenden Band. Vgl. Gassendi, Fünfte Einwände zu den Meditationen; AT VII, 277 f. Vgl. Malebranche OCM 9:925. Vgl. für die Diskussion zwischen Arnauld und Malebranche die Einleitung zum Arnauld-Kommentar von Julia Borcherding und Stephan Schmid im vorliegenden Band.
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Als Grund dafür, dass Ideen selbst nicht wahr oder falsch sein können, kann also der Umstand dienen, dass Ideen einfach nicht die nötige Komplexität für Wahrheit haben. Wahr sind Urteile oder Aussagen, also Entitäten, denen wir eine propositionale Struktur zuschreiben. Ideen könnten demnach nur dann wahr sein, wenn sie selbst propositionale Struktur aufwiesen – und die meisten der im vorliegenden Band behandelten Theorien scheinen Ideen eher als Entitäten zu behandeln, die selbst nicht über eine derartige Struktur verfügen. Das aber ist ein sehr wichtiger Unterschied zu den meisten späteren Theorien der Intentionalität geistiger Zustände, in denen die propositionale Struktur grundlegend für das Verständnis der Inhalte komplexer geistiger Zustände ist, von der ausgehend wir auch die Inhalte ihrer Bestandteile verstehen müssen. Selbst wenn allerdings der Inhalt von Ideen propositional verfasst wäre, so wäre man damit noch keineswegs auf die Position festgelegt, Ideen als diejenigen Objekte aufzufassen, die wahr oder falsch sein können. Der Sachverhalt, den die Idee dann zum Inhalt hat, besteht entweder oder er besteht nicht. Allerdings ist die Idee damit selbst noch nicht zwingend wahr oder falsch. Aus cartesischer Perspektive könnte man argumentieren, dass sie es erst dadurch wird, dass wir zu dieser Idee eine bestimmte Einstellung einnehmen, d. h. wenn wir urteilen – und uns so darauf festlegen –, ob der Sachverhalt, der den Inhalt der Idee bildet, besteht oder nicht. Der propositional verfassten Idee fehlt zur Wahrheit oder Falschheit also gleichsam die behauptende Kraft: Sie stellt nur etwas vor, ohne über dessen Wahrheit etwas auszusagen. (Auf der sprachlichen Ebene spiegelt sich diese Differenz in der Unterscheidung zwischen Sätzen und Aussagen.) Die Abwesenheit der propositionalen Struktur ist es demnach für Descartes vermutlich nicht allein, die Ideen zu ungeeigneten Kandidaten für Wahrheit oder Falschheit macht. Cartesische Ideen scheinen dafür grundsätzlich ungeeignet zu sein. Allerdings sind sie als Grundbausteine des Inhalts geistiger Zustände unentbehrlich um die Intentionalität aller geistigen Zustände zu erklären und damit eine umfassende Theorie der Intentionalität geistiger Zustände zu ermöglichen. Spätere Autoren sind Descartes in dieser Hinsicht größtenteils nicht gefolgt: Philosophen wie Spinoza und Leibniz, aber auch Locke, Berkeley und Hume bezeichnen Ideen selbst als wahr oder falsch. Die Frage der Propositionalität bleibt allerdings auch bei ihnen oft unterbestimmt. Selten wird ganz klar, ob nur komplexe Ideen, d. h. Ideen, die Sachverhalte repräsentieren, wahr oder falsch sein können.
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Nachwort
viii) Ideen sind einfach oder komplex. Die Rede von Ideen als (Grund-)Bausteinen des Inhalts geistiger Zustände ist allerdings erläuterungsbedürftig. Sie bringt uns einerseits zurück zur Frage nach der Kompositionalität geistiger Zustände, die wir bereits im Zusammenhang der allgemeinen Darstellung des Intentionalitätsproblems kurz angesprochen haben; andererseits verweist sie auf die grundsätzliche Frage nach Einfachheit und Komplexität der Ideen, die in eine derartige propositionale Struktur eingebettet werden sollen. Es ist vor dem Hintergrund der angesprochenen Vernachlässigung der Problematik, ob Ideen Objekte oder Sachverhalte zum Inhalt haben, bei vielen Autoren jener Zeit nicht einfach, deutliche Worte zur Frage der Kompositionalität zu finden. Der Frage nach der Einfachheit oder Komplexität von Ideen haben einige Autoren allerdings breiten Raum gegeben. Sie stellt sich insbesondere für Theorien, in denen Wahrnehmungsideen den Ausgangspunkt der Analyse bilden. Mit der These, dass Ideen zunächst einfach sind in dem Sinne, dass ihr Inhalt genau eine sinnlich wahrnehmbare Qualität repräsentiert, beginnt Locke die Darstellung seiner eigenen Ideentheorie im zweiten Buch seines Essay Concerning Human Understanding. Ausgehend von diesen einfachen Ideen werden durch eine Reihe verbindender Operationen komplexe Ideen gebildet, die dann auch Gegenstände, die zahlreiche Eigenschaften in sich vereinen, so repräsentieren können, wie wir sie üblicherweise wahrnehmen. Dass eine derartige Komplexbildung nicht ohne die Möglichkeit zur Repräsentation von Relationen auskommt, ist klar. Entsprechend finden wir bei Locke nicht nur im skizzierten strengen Sinne einfache Ideen, sondern auch einfache Ideen von Relationen.44 Diese atomistische Konzeption ist selbst bei Kritikern wie Berkeley oder Hume auf vergleichsweise viel Zustimmung gestoßen.45 Wir haben ja bereits Humes Vorstellung von einfachen Eindrücken und Ideen solcher Eindrücke kurz angesprochen. Anders als Locke ist Hume allerdings vorsichtiger, was die Möglichkeit einer unmittelbaren Wahrnehmung relationaler Eigenschaften angeht und führt diese ausschließlich auf die regelmäßige Aufeinanderfolge der
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45
Gemäß der offiziellen Relations-Definiton sind Relationen komplexe Ideen; allerdings stellt Locke an anderer Stelle fest, dass es einfache Ideen von Relationen geben muss. Vgl. Locke Essay II, xxi, § 3. Wie atomistisch Lockes Auffassung wirklich war, ist umstritten. K.-F. Walter hat dafür argumentiert, dass Locke komplexe Ordnungsprinzipien annehmen muss, die nicht aus der Erfahrung entlehnt sind und die er bereits in einem an Kant erinnernden Sinn verwendet. Vgl. Walter 1995. Dazu auch Lenz im Erscheinen.
Ideen
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Eindrücke zurück, die dazu führt, dass bestimmte Verknüpfungen von Ideen als Komplexe von Ideen aufgefasst werden. Für einen alternativen Umgang mit Ideenkomplexen kann stellvertretend Leibniz stehen. Für Leibniz war klar, dass echte Einheit von Komplexen von Eigenschaften nicht durch das bloße Aneinanderreihen von Eigenschaften erzielt werden kann.46 Möglicherweise war er auch aus diesem Grund der Auffassung, dass unsere Ideen wenigstens zum Teil nicht einfach aus der Erfahrung stammen können: Solchen Ideen fehlt die nötige Einheit. Wir benötigen zu diesem Zweck angeborene Ideendispositionen, die gegebenenfalls aktualisiert werden können. ix) Ideen sind angeboren oder erworben, bewusst oder unbewusst. Der direkte Vergleich zwischen Locke und Leibniz hinsichtlich der Frage der Einheitlichkeit komplexer Ideen hat bereits auf zwei alternative Auffassungen davon aufmerksam gemacht, woher Ideen stammen: Ideen können angeboren oder erworben sein. Die beiden Alternativen schließen sich keineswegs aus, wie schon das Beispiel der cartesischen Ideentheorie zeigt: Sinnliche Ideen sind in dieser Theorie das Ergebnis kausaler Interaktion der denkenden Substanz mit der ausgedehnten Substanz, während begriffliche Ideen angeboren sind.47 Allerdings zeigt das Beispiel Descartes’ auch, dass der Begriff der Angeborenheit mehrdeutig ist: Angeboren können Ideen erstens als bewusste intentionale Zustände sein, zweitens als unbewusste intentionale Zustände oder aber drittens als bloße Dispositionen zur Bildung intentionaler Zustände, vorausgesetzt die Umstände sind von der geeigneten Art. Die erste Alternative ist philosophisch nicht attraktiv, wie John Lockes Kritik an angeborenen Ideen zeigt.48 Eine Konzeption angeborener unbewusster Ideen ist allerdings durchaus interessant. Diese zweite Option vermeidet viele der Probleme, die bewusste angeborene Ideen so unattraktiv machen. Insbesondere wird sie leicht der Tatsache gerecht, dass wir Ideen, die bevorzugt als angeboren betrachtet wurden, wie etwa mathematische Vorstellungen, offensichtlich erst erwerben müssen: Gemäß einer solchen Auffassung wird dieser Erwerb von Ideen 46
47
48
Vgl. Leibniz an Des Bosses, 11. Juni 1706: „[…] perceptio nihil aliud sit, quam multorum in uno expressio […]“. Allerdings macht Descartes in den Notae in programma eine radikale Angeborenheitsthese geltend, der gemäß alle Ideen angeboren sind. Vgl. Descartes Notae in programma AT VIII-2, 357 ff.; Bd. 1, S. 82 f. Vgl. Locke, Essay, I.
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einfach als ein Vorgang der Bewusstwerdung beschrieben. Sofern Ideen qua Dispositionen auf aktualisierte ‚kleine‘ Perzeptionen reduziert werden können, hat Leibniz angeborene Ideen in dieser Weise konzipiert.49 Eine alternative Interpretation50 rückt Leibniz in dieser Hinsicht eher an Descartes heran, den man am besten als einen Vertreter der dritten Option verstehen kann: Dieser war der Ansicht, dass uns Ideen nur in einem dispositionalen Sine angeboren sind – und zwar nicht als Vermögen zur Ausbildung von Ideen im allgemeinen, sondern für jede Idee eine eigene Disposition. Sobald die Umstände dann von der geeigneten Art sind, werden wir diese Ideen, die Gott uns als Dispositionen eingepflanzt hat, auch ausbilden. So gelingt es Descartes auch, die eigene Forderung der Bewusstheit aller geistigen Zustände mit einer innatistischen Konzeption wenigstens der nicht-sinnlichen Ideen zu vereinbaren: Dispositionen zu Ideen können angeboren sein ohne uns bewusst zu sein, weil sie eben selbst keine Ideen sind.51 Wenn Ideen allerdings im cartesischen Sinne angeboren sind, dann sind sie, sofern die Dispositionen aktualisiert werden, nicht mehr nur angeboren, sondern auch erworben: Diese Konzeption soll ja der Tatsache gerecht werden, dass wir über die angeborenen Ideen nicht immer schon verfügen, wohl aber über die Fähigkeit, sie zu erwerben. Der Begriff des Erwerbs von Ideen erweist sich durch die Wahl dieser Option demnach selbst als mehrdeutig: Auf der einen Seite steht der Erwerb durch Aktualisierung, auf der anderen Seite der Erwerb durch Erfahrung. In der Erfahrung werden neue Ideen in uns durch eine Einwirkung auf unsere Wahrnehmungsvermögen hervorgerufen. Sofern die untersuchten Autoren, anders als Leibniz, eine derartige Einwirkung überhaupt für möglich halten, werden für sie entweder die unabhängig von uns existierenden, wahrgenommenen Gegenstände oder Tatsachen selbst verantwortlich gemacht – wie bei Descartes52, Arnauld oder Locke – oder wir verdanken diese Vorstellungen der unmittelbaren Aktivität Gottes – so etwa, wenn auch höchst unterschiedlich konzipiert, bei Malebranche oder Berkeley. 49 50 51
52
Vgl. für eine derartige Deutung Jolley 2007. Vgl. dazu ausführlich den Essay von Barth im vorliegenden Band. Sofern Ideen bei Leibniz selbst bloß Dispositionen sind, die ihrerseits auf Perzeptionen zurückgeführt werden müssen, muss eine Leibniz-Interpretation, die mit dem hier vorgestellten Angeborenheitskonzept arbeiten möchte, nicht aktualisierte Perzeptionen ihrerseits dispositional analysieren. Vgl. dazu den systematischen Essay von Barth. Das gilt jedenfalls für die Meditationen; vgl. aber oben Anm. 47.
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Auch diesen Erwerb durch Erfahrung kann man dabei grundsätzlich als Aktualisierung von Dispositionen auffassen. In diesem Fall werden allerdings nicht Dispositionen zur Ausbildung einzelner Ideen mit einem ganz bestimmten Inhalt aktualisiert, sondern Dispositionen, die den Charakter von Vermögen haben und so ganze Klassen von Ideen betreffen. Auf diese Weise lässt sich die angesprochene Unterscheidung zwischen zwei Arten des Erwerbs aufrechterhalten. Da bei Leibniz andererseits zumindest unter metaphysischen Gesichtspunkten jeder Erwerb von Ideen eine Bewusstwerdung angeborener Perzeptionen bzw. die Aktualisierung bestimmter Dispositionen – Ideen im eigentlichen Sinne – ist, hat er die Aufgabe zu erklären, wie das mit dem phänomenologischen Befund zu vereinbaren ist, dass wir in der Wahrnehmung nun einmal mit neuen sinnlichen Eindrücken konfrontiert sind, die von außer uns existierenden Dingen herzustammen scheinen. Die sinnlichen Ideen, so wird man ihm einwenden, sind doch offensichtlich Ideen, die irgendwie ‚von außen‘ stammen. Leibniz’ elegante Lösung dieses Problems instrumentalisiert das Wesen intentionaler Zustände: Intentionale Zustände können, wie wir gesehen haben, auch dann auf etwas als etwas Bestimmtes Bezug nehmen, wenn dieses Objekt die Eigenschaften nicht hat, die wir ihm vermittels dieser Zustände zuschreiben. Genau das geschieht üblicher Weise in der Wahrnehmung: Wir repräsentieren etwas, das – uns unbewusst – bereits in uns vorhanden war, als etwas, das aus der Beziehung zu etwas außer uns Existierendem herrührt. Leibniz nimmt hier also in Kauf, dass wir – zumindest gemäß einem naiven Weltbild – etwas grundsätzlich als etwas anderes fehlrepräsentieren. x) Ideen sind uns gegeben oder sie sind aufgefasst. Durch Leibniz’ Umgang mit dem Problem der scheinbar von etwas außer uns herrührenden Ideen kommt eine weitere wichtige Unterscheidung in den Blick, die in der Theorie der Intentionalität eine wichtige Rolle spielt und die sich auch in den ideentheoretischen Ansätzen der frühen Neuzeit immer wieder bemerkbar macht – auch wenn ihr andere Autoren dieser Zeit häufig nicht die gebührende Aufmerksamkeit widerfahren ließen. Sofern wir uns in Leibniz’ Theorie nämlich Ideen als etwas bewusst machen, was sie nicht wirklich sind, werden uns diese Ideen nicht einfach gegeben, sondern wir fassen sie in bestimmter Weise auf. Gegeben ist uns etwas, wenn wir, einfach durch unseren unmittelbaren Kontakt damit, seinen tatsächlichen kategorialen Zustand erfassen, d. h. wenn wir es durch diesen unmittelbaren Kontakt als das erfassen, was es
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wirklich oder an sich ist.53 Wilfrid Sellars hat diese Auffassung als Mythos des Gegebenen bezeichnet und einer fundamentalen Kritik unterzogen: Epistemisch wirksame geistige Zustände sind gemäß dieser Kritik immer schon begrifflich verfasste Zustände und begrifflich verfasste Zustände sind ihrerseits irreduzibel normativ: „The essential point is that in characterizing an episode or a state as that of knowing, we are not giving an empirical description of that episode or state, we are placing it in the logical space of reasons, of justifying and being able to justify what one says.“ (Sellars 1956, 169) Ideen sind gemäß einer nunmehr schon klassischen Auffassung geradezu paradigmatisches Gegebenes im Sinne dieses Mythos: Ideen präsentieren uns etwas – nämlich sich selbst – als das, was es wirklich oder an sich ist. Dass diese Auffassung jedoch sehr vorsichtig formuliert werden muss, zeigt schon das Beispiel Leibniz’. Leibniz’sche Wahrnehmungsvorstellungen sind uns nicht in diesem Sinne gegeben: Sie werden nicht einfach als das erfasst, was sie wirklich sind – Komplexe bewusster Perzeptionen –, sondern als etwas anderes. Ihr wirkliches Sein erschließt sich erst in philosophischer Analyse.54 Und auch hinsichtlich der von Wahrnehmungsvorstellungen repräsentierten Inhalte war Leibniz kein Vertreter des Mythos: Erst die bewusste inferentielle Einbettung dieser Zustände erlaubt uns eine adäquate Repräsentation wahrgenommener Sachverhalte. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen angeborenen Ideen und Ideen, die wir in der Erfahrung erwerben, können wir nun auch zwei Arten des Gegebenen unterscheiden: Etwas ist uns gegeben, weil es angeboren ist; oder uns ist etwas gegeben, weil es aus der Erfahrung stammt. Weder die eine noch die andere Auffassung schützt demnach per se vor dem Mythos. Wie Vertreter der ersteren Konzeption den Mythos unter Umständen vermeiden können, zeigt das Beispiel Leibniz’, das sich allerdings auch in seinem Fall nicht ohne weiteres auf Ideen ausdehnen lässt, die nicht aus der Wahrnehmung stammen. Bezüglich unserer Ideen von mathematischen, logischen oder in einem weiteren Sinne begrifflichen Wahrheiten propagiert Leibniz, wie auch andere Vertreter der Angeborenheit, durchaus ein im Sinne des Mythos problematisches unmittelbar53 54
Vgl. Sellars 1981, 11. Ein ähnliches Bild entwirft gemäß der Interpretation von Schmid und Stoichita auch Spinoza. Vgl. dazu die Unterscheidung zwischen epistemischem und faktischem Gehalt einer Idee oben S. 157 f.
Sinnliche Ideen
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adäquates, intuitives Erfassen. Ein Erfassen der von den Ideen repräsentierten Inhalte, nicht unbedingt der Ideen selbst, als den Trägern dieser Inhalte. Andere Vertreter einer solchen Konzeption, wie etwa Descartes, waren bereits hinsichtlich der repräsentationalen Inhalte von Wahrnehmungsideen, die von außer uns existierenden Dingen handeln, nicht erfolgreich: Sofern wir uns die passenden Ideen der wahrgenommenen Dinge Descartes’ Ansicht nach überhaupt zugänglich machen, indem wir die sinnlichen Anteile unserer Ideen ignorieren bzw. uns zumindest nicht von ihnen in die Irre führen lassen, erfassen wir in ihnen auch das Wesen der wahrgenommenen Dinge unmittelbar und adäquat. Die Inhalte dieser Ideen sind uns in diesem Sinne zumindest prinzipiell unmittelbar gegeben. Wie sieht es andererseits mit den Eigenschaften der Ideen in Theorien aus, denen gemäß die Ideen gänzlich aus der Erfahrung stammen? Sind sie uns gegeben im Sinne des Mythos oder können diese empiristischen Theoretiker den Mythos des Gegebenen vermeiden? In diesem Zusammenhang spielt die Unterscheidung von begrifflichen und sinnlichen Aspekten der Ideen eine wichtige Rolle, der wir uns zunächst zuwenden müssen, um diese Fragen klar zu beantworten. Dabei werden die Ideentheorien wieder insgesamt in den Blick genommen. Erst am Ende des folgenden Abschnitts werde ich mich wieder auf empiristische Theorien konzentrieren und versuchen, die Frage nach deren Anfälligkeit für den Mythos zu beantworten.55
3.
Sinnliche Ideen
Unsere Wahrnehmung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sinnliche und begriffliche Aspekte in sich vereint. Meine Wahrnehmung eines rosaroten Eiswürfels schließt die Wahrnehmung bestimmter sinnlicher Eigenschaften ein, darunter seine Kälte, seine Farbe, seine Gestalt. Indem ich den Würfel als Eiswürfel wahrnehme, nehme ich außerdem wahr, dass der Würfel aus Eis ist und damit bestimmte kausale und dispositionale Eigenschaften besitzt, die keine sinnlichen Eigenschaften sind. Sowohl die sinnlichen als auch die kausalen und dispositionalen Eigenschaften schreibe ich dem Würfel zu, indem ich ihn als einen rosa-
55
Vgl. unten S. 506 f.
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Nachwort
roten Eiswürfel wahrnehme. In diesem Sinne handelt es sich bei all diesen Eigenschaften um Merkmale meines Begriffes von genau diesem rosaroten Eiswürfel. Sie alle gehören also zu dem, als was ich den rosaroten Eiswürfel repräsentiere: Sie bilden, mit anderen Worten, den intentionalen Inhalt meiner Eiswürfel-Wahrnehmung. Nun sind aber ganz offensichtlich einige dieser Eigenschaften in meiner Wahrnehmung noch auf eine andere Weise enthalten als bloß als intentionaler Inhalt. Wenn ich den Eiswürfel beispielsweise sehe (oder ihn mir bildlich vorstelle) – um bei der in der Wahrnehmungstheorie üblichen (und natürlich nicht unproblematischen) Konzentration auf die visuelle Wahrnehmung zu bleiben –, sind seine Farbe und seine Gestalt mir in anderer Weise gegenwärtig, als wenn ich an einen rosarote Eiswürfel bloß denke: Ich sehe von dem rosaroten Eiswürfel seine Rosaröte und seine Würfelform. Dasselbe gilt nicht für seine kausalen oder dispositionalen Eigenschaften: Ich sehe etwa seine Eigenschaft, bei Hitze zu schmelzen, nicht von dem Eiswürfel – auch wenn ich ihn als einen Gegenstand sehe, der bei Hitze schmilzt. Dieser anderen Art des Gegenwärtigseins der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften gilt es in einer Theorie des intentionalen Gehalts von Wahrnehmungen gerecht zu werden. Pointiert gesagt sind kausale und dispositionale Eigenschaften uns in der Wahrnehmung bloß begrifflich gegenwärtig, während sinnliche Eigenschaften sich dadurch auszeichnen, dass sie uns begrifflich (wir sehen den Eiswürfel als rosarot und würfelförmig) und sinnlich (wir sehen von dem Eiswürfel seine Rosaröte und seine Würfelform) gegenwärtig sind. 3.1
Desiderata – Gegebenheitsweisen und Nahtlosigkeit
Wie gehen Ideentheoretiker mit dieser Differenzierung um? Wird sie überhaupt berücksichtigt? Zunächst ist festzuhalten, dass Ideen meist so konzipiert werden, dass sie die sinnliche und begriffliche Repräsentation von Eigenschaften in einem repräsentationalen Zustand vereinen – im Gegensatz beispielsweise zur Vereinigung verschiedener geistiger Zustände in einem Wahrnehmungsakt. Damit ist noch nicht unbedingt etwas darüber ausgesagt, ob hier sinnliche und begriffliche Aspekte unzulässig vermischt werden. Wenn das Problem sich darauf beschränken ließe, dass man zwischen sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften einerseits und kausalen und dispositionale Eigenschaften andererseits differenzieren muss, weil die letz-
Sinnliche Ideen
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teren nicht im selben Sinne sinnlich wahrgenommen werden können wie die ersteren, ließe sich leicht eine positive Antwort geben: Diesbezüglich unterscheiden Ideentheoretiker von Descartes bis Hume häufig sehr genau – und dies ist letztlich auch der Grund dafür, dass Kausalität in der empiristischen Tradition von Locke über Berkeley bis zu Hume als unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaft zunehmend problematisch wird. Denn Kausalität ist nicht wahrnehmbar, wenn man Wahrnehmung als Folge von sinnlichen Ideen auffasst. Das führt dann, abhängig von der jeweiligen Theorie dazu, dass der Kausalitätsbegriff entweder aus anderen Quellen stammen muss, als aus der sinnlichen Erfahrung; oder aber dass der Kausalitätsbegriff wie bei Hume selbst reformuliert wird. Ob solche Konzeptionen andererseits eine überzeugende Antwort darauf geben können, wieso diese Eigenschaften dennoch mit den übrigen Eigenschaften des unmittelbar wahrgenommenen Gegenstandes in ein und demselben intentionalen Zustand in großer Homogenität vereint sind, ist damit noch nicht geklärt. Selbst wenn man aber bereit wäre, diese Schwierigkeit zu vernachlässigen, weil man in Frage stellt, dass wir kausale und dispositionale Eigenschaften überhaupt unmittelbar wahrnehmen, wird man von einer analogen Problematik eingeholt, wenn man sich auf die sinnlichen Eigenschaften als einzig unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaften konzentriert. Denn die Frage nach der Vermischung sinnlicher und begrifflicher Aspekte in der Wahrnehmung ist nicht auf diese Differenzierung beschränkt. Gerade das Beispiel der unmittelbar sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften zeigt ja, dass diese gleichzeitig sinnlich und begrifflich in der Wahrnehmung gegenwärtig sind: Wir nehmen den Eiswürfel als rosarot wahr und wir sehen von ihm seine Rosaröte. Das heißt aber, dass eine Theorie der Wahrnehmungsideen die Frage des Verhältnisses sinnlicher und begrifflicher Aspekte der Wahrnehmung nicht gleichsam auslagern kann: Beide sind auch dann in unseren Wahrnehmungszuständen untrennbar ineinander verwoben, wenn man nur die sinnlichen Eigenschaften der Wahrnehmung berücksichtigt. Roderick Firth hat in diesem Zusammenhang von der ‚Nahtlosigkeit‘ (seamlessness) der Wahrnehmung gesprochen56: Sinnliche und begriffliche Eigenschaften sind in jedem Wahrnehmungsakt nahtlos miteinander verbunden. Eine erfolgreiche Theorie der Wahrnehmung muss dieser Nahtlosigkeit ebenso gerecht werden wie der wesentlichen Verschieden-
56
Vgl. Firth 1964.
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heit der begrifflichen und sinnlichen Gegebenheitsweise von im weitesten Sinne wahrnehmbaren Eigenschaften. Wir haben also zwei Desiderata für den ideentheoretischen Umgang mit Wahrnehmungsideen: 1) Die wesentlich unterschiedliche Gegebenheitsweise von begrifflichen und nicht-begrifflichen Eigenschaften in Wahrnehmungsideen muss berücksichtigt werden. 2) Gleichzeitig soll der Nahtlosigkeit der Integration begrifflicher und nicht-begrifflicher Eigenschaften in einem Wahrnehmungsakt Rechung getragen werden. Im Folgenden soll zunächst weitgehend von spezifischen ideentheoretischen Entwürfen abstrahiert werden und ganz allgemein die systematischen Ressourcen analysiert werden, die dem ideentheoretischen Paradigma zur Erfüllung dieser Desiderata grundsätzlich zur Verfügung stehen. 3.2
Bestimmtheit und Sinnlichkeit
Um genauer zu untersuchen, in welcher Hinsicht sich sinnliche und begriffliche Aspekte in der Wahrnehmung, die wir nunmehr auf die Wahrnehmung sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften reduziert haben, unterschiedlich verhalten, müssen wir zunächst eine weitere Unterscheidung berücksichtigen: die zwischen vollständig bestimmten Vorstellungsinhalten und Vorstellungsinhalten, die weiter bestimmbar sind. Ohne festzulegen, ob es sich um eine Unterscheidung in der Sache oder bloß eine begriffliche Differenzierung handelt, werde ich dabei im Folgenden zwischen sinnlichen Ideen und begrifflichen Ideen heuristisch unterscheiden, um die sinnlichen von den begrifflichen Aspekten der Wahrnehmungsideen klar voneinander zu trennen. Sinnliche Ideen sind dann Ideen, die den gesamten nicht-intentionalen Inhalt der Wahrnehmung in sich fassen, begriffliche Ideen enthalten hingegen ausschließlich deren intentionalen Inhalt. Der Inhalt sinnlicher Ideen ist immer vollständig bestimmt: Die sinnliche Idee eines rosaroten Würfels ist immer die Idee einer ganz bestimmten Farbschattierung (z. B. Rosarot21) und einer ganz bestimmten Gestalt (z. B. Würfelform32). Die sinnliche Idee ist dann eine Idee von Rosarot21 und Würfelform32 oder, wenn wir uns an die adverbialistische Formulierung erinnern, eine (Rosarot21-und-Würfelform32)-lich-Idee.57 57
Vgl dazu oben S. 475 f. und auch den Kommentaressay zu Reid, S. 442 f.
Sinnliche Ideen
495
Der Inhalt begrifflicher Ideen andererseits ist nicht notwendig vollständig bestimmt: Er kann vollständig bestimmt sein, und hat dann zumindest oberflächlich betrachtet, dieselbe Form wie die entsprechende sinnliche Idee; ebenso gut kann er aber auch generische Eigenschaften der Rosaröte oder der Würfelförmigkeit enthalten. Im einen Fall nehme ich den partikulären rosaroten Würfel dann also als rosarot21 und würfelförmig32 wahr, im anderen als rosarot und würfelförmig. Im ersten Fall sind die Eigenschaften, die den Inhalt der begrifflichen Ideen bilden, also vollständig bestimmt, in letzterem sind sie weiter bestimmbar. Für alle Ideen, sinnliche und begriffliche, gilt nun: Eine Idee, die eine vollständig bestimmte Eigenschaft repräsentiert, ist eine Idee dieser vollständig bestimmten Eigenschaft. Nur für die sinnlichen Ideen gilt allerdings auch, dass eine Idee einer vollständig bestimmten Eigenschaft zugleich immer auch die Idee einer nicht vollständig bestimmten Eigenschaft ist: Jede sinnliche Rosarot21-Idee ist also auch eine sinnliche Rosarot-Idee, genau wie umgekehrt jede sinnliche Rosarot-Idee die RosarotIdee eine ganz bestimmten Farbschattierung sein muss. Nicht die Idee ist dabei zugleich bestimmt und nicht bestimmt, sondern unter den repräsentierten Eigenschaften sind zugleich solche die vollständig bestimmt sind (z. B. Rosarot21) und solche, die nicht vollständig bestimmt sind (z. B. Rosarot). Der Grund dafür, dass sinnliche Ideen in dieser Weise gleichzeitig vollständig bestimmte und die zugehörigen generischen Eigenschaften repräsentieren, liegt darin, dass der Inhalt sinnlicher Ideen noch nicht begrifflich fixiert ist: Jede von einer Idee repräsentierte konkret exemplifizierte Eigenschaft exemplifiziert aber nicht nur sich selbst, sondern auch all die Eigenschaften, denen sie klassifikatorisch direkt untergeordnet ist. D.h. in unserem Beispiel: Die Exemplifikation von Rosarot21 exemplifiziert auch die Eigenschaften Rosaröte und Farbigkeit. Diese exemplifikatorischen Zusammenhänge übertragen sich aber in Ideen, deren Inhalt gerade noch nicht begrifflich fixiert sein soll, auf den Inhalt der Repräsentationen. Eine begriffliche Rosarot21-Idee ist im Gegensatz dazu aber keine begriffliche Rosarot-Idee: Rosarot21 ist eine andere Eigenschaft als Rosarot. Und wenn wir etwas als Rosarot21 betrachten, betrachten wir es zwar auch als Rosarot, nicht aber als Rosarot simpliciter. Der springende Punkt der begrifflichen Idee von Rosarot21 ist nämlich genau die Bestimmtheit als eine ganz bestimmte Farbschattierung und eben nicht der Bezug auf die generische Eigenschaft der Rosaröte. Deshalb können wir umgekehrt auch nicht sagen, dass die begriffliche Rosarot-Idee immer auch eine vollständig bestimmte Rosarot-Idee
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Nachwort
sein muss, d. h. ein Glied der Disjunktion aller möglichen Rosarot-Schattierungen: Eine begriffliche generische Rosarot-Idee, die Idee von etwas als rosarot, ist möglicherweise tatsächlich als eine ausschließende Disjunktion möglicher vollständig bestimmter Rosarot-Schattierungen zu konzipieren, d. h. als eine „Idee von etwas als rosarot21 oder rosarot22 oder rosarot23 etc.“ Allerdings ist das etwas anderes, als die generische Rosarot-Idee als eine Disjunktion aller möglichen begrifflichen Ideen von vollständig bestimmten Rosarot-Schattierungen zu konzipieren, d. h. eine „Idee von etwas als rosarot21 oder eine Idee von etwas als rosarot22 oder eine Idee von etwas als rosarot23 usw.“ Im ersten Fall bin ich mir einer Disjunktion von vollständig bestimmten begrifflichen Inhalten wenigstens implizit bewusst; im zweiten Fall durchlaufe ich eine Disjunktion von Ideen vollständig bestimmter Farbschattierungen. Sinnliche Ideen bleiben, auch wenn sie hinsichtlich eines generischen Charakteristikums klassifiziert werden, immer vollständig bestimmt, d. h. sie realisieren immer ein Glied der ausschließenden Disjunktion, die durch das generische Charakteristikum bezeichnet wird. Anders die begrifflichen Ideen: eine begriffliche Idee, die nur generische Eigenschaften enthält, kann nicht gleichzeitig als ein Glied einer ausschließenden Disjunktion vollständig bestimmter Idee verstanden werden. Wer begriffliche Ideen, so wie Berkeley in seiner Kritik an Lockes Theorie abstrakter Ideen, in dieser Hinsicht an sinnliche Ideen annähert, vernachlässigt also einen grundlegenden Unterschied zwischen beiden Klassen von Ideen.58 Worauf beruht dieses unterschiedliche Verhalten sinnlicher und begrifflicher Ideen? Es erklärt sich daraus, dass der vollständigen Bestimmtheit sinnlicher Ideen eine andere Eigenschaft zugrunde liegt als der vollständigen Bestimmtheit begrifflicher Ideen. Sinnliche Ideen sind wesentlich Ideenindividuen und als solche nicht wiederholbare geistige Vorkommnisse; sofern wir Typen solcher Vorkommnisse bilden, klassifizieren wir Individuen gemäß ihrer Eigenschaften und vor dem Hintergrund des Eigenschaftsraums aus Spezies und Genera, dessen Verhältnisse sich in den Klassifikationsmöglichkeiten niederschlagen. (Deshalb ist es, wie wir gesehen haben, vor dem Hin58
Vgl. Sellars’ Kritik an Berkeley in Sellars 1978, 301–2: „confusion of an awareness of a disjunction and a disjunction of awareness“.
Sinnliche Ideen
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tergrund des Eigenschaftsraums der Farben auch möglich, eine sinnliche Idee von Rosarot21 als Rosarot-Idee zu klassifizieren.) Vollständig bestimmte begriffliche Ideen sind hingegen wesentlich wiederholbar; auch sie sind natürlich Ideenvorkommnisse, allerdings keine Vorkommnisse von Individuen, sondern Vorkommnisse von Bestimmungen von Individuen. Ihre vollständige Bestimmtheit ist, anders als bei den sinnlichen Ideen, keine Folge ihrer Individualität. Hier scheint sich nun aber ein neues Problem zu ergeben: Sofern alle Ideen, sinnliche genau wie begriffliche, immer individuelle geistige Akte sind,59 wie kann dann die Individualität sinnlicher Ideen das sein, was dafür verantwortlich ist, dass sich ihr Verhalten so sehr von dem der begrifflichen Ideen unterscheidet? An dieser Stelle kann der Ideentheoretiker, die Unterscheidung zwischen Akt und Inhalt der Ideen instrumentalisieren, um der Eigentümlichkeit begrifflicher Ideen gerecht zu werden, d. h. der Art und Weise wie sie Individualität mit Wiederholbarkeit vereinen. Descartes tut genau das, wenn er zwischen idea materialiter und idea objective unterscheidet: Eine Idee kann qua Akt ein Individuum und damit vollständig bestimmt sein, gleichzeitig aber qua Inhalt etwas Bestimmbares zum Gegenstand haben. Derselbe Ausweg steht andererseits etwa Berkeley nicht wirklich zur Verfügung, auch wenn er zögert zu behaupten, dass Ideen selbst die Eigenschaften haben, die ihren intentionalen Inhalt bilden, und die Unterscheidung zu diesem Zweck in Anschlag bringt. So nähert er hier zwar sinnliche Ideen an begriffliche Ideen an, in denen etwas nur als etwas dargestellt wird. Doch müssen diese Ideen die wahrgenommenen Eigenschaften bei ihm in irgendeinem Sinne selbst haben, da sie sonst keine Wahrnehmungen von diesen Eigenschaften im für sinnliche Ideen charakteristischen Sinne wären. Zudem macht seine Auseinandersetzung mit abstrakten allgemeinen Ideen aber deutlich, dass er umgekehrt auch Verhalten, das für sinnliche Aspekte der Wahrnehmung charakteristisch ist, ohne gebotenes Zögern auf ihre begriffliche Aspekte überträgt.60
59 60
Vgl oben S. 474 und zum Folgenden Sellars 1978, 294 f. Vgl. dazu den Beitrag zu Berkeley oben S. 363.
498 3.3
Nachwort
Intentionalisierung vs. Differenzierung
In der geschilderten Angleichung sinnlicher und begrifflicher Aspekte der Ideen erweist sich Berkeley allerdings letztlich doch als typischer Ideentheoretiker – auch wenn er diese Angleichung in besonderer Weise in beide Richtungen verfolgt. Das grundsätzliche Bedürfnis, hier eine einheitliche Behandlung zu ermöglichen, lässt sich bei fast allen Theoretikern der frühen Neuzeit beobachten, auch wenn in der Regel – wie bei Descartes – umgekehrt die sinnlichen Aspekte der Wahrnehmung den begrifflichen angenähert werden.61 Doch genauso, wie es falsch ist, begriffliche Ideen als sinnliche zu behandeln, darf man auch die sinnlichen Bestandteile der Wahrnehmung nicht einfach als begriffliche auffassen. Was man bei einer Angleichung in dieser Richtung aus dem Blick verliert, ist die Tatsache, die ich weiter oben als das erste Desiderat ausgezeichnet habe: dass uns sinnliche Eigenschaften in der Wahrnehmung nicht bloß als etwas gegenwärtig sind. Sinnliche Eigenschaften treten nicht bloß als gedachte oder intentionale Eigenschaften auf – wenngleich sie auch als intentionale Eigenschaften auftreten. Was für Eigenschaften sind dann aber sinnliche Eigenschaften? Anders gefragt: Wovon sind sie Eigenschaften? Prinzipiell gibt es hier zwei Möglichkeiten: Entweder sie sind Eigenschaften der wahrgenommenen Gegenstände oder sie sind Eigenschaften der Wahrnehmungszustände. Die erste Option erweist sich gerade im Wahrnehmungskontext schnell als problematisch. Argumente, die in der frühneuzeitlichen Diskussion hier im Vordergrund standen, waren meist Variationen des Arguments der Täuschung:62 In Fällen der Täuschung oder Halluzination nehmen wir scheinbar Eigenschaften wahr, die der wahrgenommene Gegenstand nicht selbst hat – entweder weil er, im Falle der Täuschung, andere als die wahrgenommenen Eigenschaften hat (er ist z. B. nicht rot, sondern grün; nicht eckig, sondern rund) oder weil er, im Falle der Halluzination, gar keine wahrnehmbaren Eigenschaften hat, da er nicht existiert. Da in diesen Fällen der wahrgenommene Gegenstand die fraglichen Eigenschaften also nicht selbst hat, muss es etwas 61
62
Eine interessante Ausnahme bildet hier Malebranche. Mit seiner Theorie werde ich mich im Folgenden noch beschäftigen. Vgl. unten S. 501 ff. Vgl. z. B. Descartes, Erste Meditation; Malebranche, Bd. 1, S. 204 und Bd. 2, S. 168, K5.
Sinnliche Ideen
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anderes geben, was diese Eigenschaften hat – und das ist der geistige Zustand. Eine andere Möglichkeit, sich diesen Schluss vor dem Hintergrund grundlegender ideentheoretischer Annahmen plausibel zu machen, besteht in der Einbeziehung der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten, die zahlreiche Ideentheoretiker akzeptierten. Denn diese Unterscheidung erzwingt die Verlagerung einer ganzen Eigenschaftsklasse in die Vorstellung: nämlich die Eigenschaften repräsentationaler Zustände, die von sekundären Qualitäten hervorgerufen werden und daher keine auf Ähnlichkeit basierende Entsprechung in den wahrgenommenen Gegenständen haben. Wenn diese Eigenschaften so wie wir sie repräsentieren also keine Eigenschaften von Gegenständen sein können, müssen wir sie als Eigenschaften geistiger Zustände konzipieren.63 Damit sind wir bei der zweiten Option angelangt: Sinnliche Eigenschafen sind Eigenschaften von geistigen Zuständen. Diese zweite Option lässt im ideentheoretischen Repräsentationalismus offensichtlich ihrerseits zwei unterschiedliche Deutungen zu: Entweder die sinnlichen Eigenschaften sind Eigenschaften von Ideen qua Akt oder Träger von Inhalten oder sie sind Eigenschaften von Ideen qua Inhalt. Im letzteren Fall wären die sinnlichen Eigenschaften selbst intentionale Eigenschaften, also Eigenschaften, die sie qua Zustände nicht selbst realisieren; im ersteren wären sie Eigenschaften, die sie selbst qua Zustände realisieren. Es ist vor dem Hintergrund des ideentheoretischen Paradigmas nicht einfach, genauer zu klären in welchem Sinne sinnliche Ideen die Eigenschaften selbst realisieren sollen, die wir den Gegenständen unserer Wahrnehmung zuschreiben, wenn wir sie nicht bloß als intentionale Inhalte auffassen. Denn alle Theoretiker der frühen Neuzeit (möglicherweise mit Ausnahme von Gassendi64) verweigern sich zurecht dem Schluss, dass unsere Ideen die Eigenschaften im selben Sinne haben können, wie die 63
64
Diesen Bemerkungen liegt die Konzeption sekundärer Qualitäten von Locke und Boyle zu Grunde, d. h. als Kräften, die Ideen von sekundären Qualitäten in uns hervorrufen, die diesen nicht ähnlich sind. Andere Konzeptionen, die auf Galilei zurückgehen, fassen (Bestandteile von) Ideen selbst als sekundäre Qualitäten auf. Der Punkt, um den es hier geht, gilt natürlich mutatis mutandis ganz genauso für diese Theoretiker. Vgl. für eine hilfreiche Übersicht über unterschiedliche Konzeptionen sekundärer Qualitäten Perler/Wild 2008, 29–48. Vgl. dazu Sellars 1976 und den Beitrag von Maria Seidl im vorliegenden Band.
500
Nachwort
wahrgenommenen Gegenstände diese Eigenschaften haben. Unsere sinnliche Idee eines rosaroten Würfels kann nicht im selben Sine rosarot und würfelförmig sein, wie der Eiswürfel ‚da draußen‘. Der Eigenschaftsraum, der charakteristisch ist für geistige Zustände (in einem weiten Sinne, der nicht bloß die intentionalen Zustände einschließen soll) qua Zustände oder Akte, kann nicht derselbe sein, der wahrnehmbare Gegenstände charakterisiert. Geistige Akte und raum-zeitliche Gegenstände sind schlicht nicht von derselben Art. Diese Überlegung ist es denn auch, die zahlreiche Ideentheoretiker den Schritt hin zu einer Intentionalisierung sinnlicher Ideen gehen lässt. Denn diese Intentionalisierung erlaubt es, wie wir am Beispiel Descartes gesehen haben, Inhalte geistiger Zustände von diesen als Akten zu unterscheiden. Leider verliert man durch diesen Schachzug genau die für sinnliche Ideen charakteristische andere Art des Gegenwärtigseins im geistigen Zustand, die diese Überlegungen allererst notwendig gemacht hat. Die Konsequenz ist eine im kantischen Sinne ‚bloß logische‘65, graduelle Unterscheidung zwischen sinnlichen und begrifflichen Ideen, d. h. eine Unterscheidung, die bloß die Form der fraglichen Ideen betrifft und keine Unterscheidung in der Sache ist: Sinnliche Ideen sind letztlich von derselben Art (und stammen aus derselben Quelle66) wie begriffliche Ideen, nur sind sie im Gegensatz zu jenen wesentlich verworren, d. h. einer notwendigen Differenzierung durch das erkennende Subjekt nicht zugänglich, die diese zur Deutlichkeit und damit zur Wahrheitsfähigkeit erheben würde. Dass diese Intentionalisierung nicht wirklich das letzte Wort sein konnte, mag Descartes selbst geahnt haben, als er bemerken musste, dass sinnliche Ideen in hohem Maße klar, d. h. bewusst, sein können, obwohl sie nicht das Zeug zur Deutlichkeit haben – eine Eigenschaft, die sie begrifflichen Ideen äußerst unähnlich macht. Dennoch vermochte er einen wesentlichen Unterschied nicht theoretisch zu erfassen. Hier ging, wie wir gleich sehen werden, erst Malebranche einen entscheidenden Schritt weiter. Zuvor sei aber bemerkt, dass die Intentionalisierung des sinnlichen Erlebens in der Wahrnehmung mit der Ablösung der Ideentheorie keineswegs obsolet geworden ist, sondern gerade bei zeitgenössischen repräsentationalistischen Theoretikern einen wesentlichen Bestandteil der 65 66
Vgl. Kant, Anthropologie, 7:140 Fn. Das macht Descartes insbesondere in den Notae in programma deutlich. Vgl. AT VIII-2, 357 ff.; Bd. 1, S. 81 ff.
Sinnliche Ideen
501
Erklärung intentionaler Bezugnahme bildet.67 Die Hoffnung dabei ist, genau wie bei den Ideentheoretikern, die ihre geistigen Ahnen sind, dass damit eine einheitliche Erklärung der Bestandteile unseres geistigen Erlebens in einem sehr weiten Sinne ermöglicht wird. Dass wir diesbezüglich skeptisch sein sollten, ist vielleicht die wichtigste Lehre, die wir aus den Problemen ziehen sollten, mit denen ideentheoretische Konzeptionen in der frühen Neuzeit sich konfrontiert sahen. Ein neuzeitlicher Autor, der sich der Intentionalisierung sinnlicher Eigenschaften des Wahrnehmungsinhalts ausdrücklich verweigert hat, war Nicholas Malebranche. Er weist den cartesischen Umgang mit sinnlichen Ideen ausdrücklich zurück und insistiert auf der im kantischen Sinne realen oder psychologischen Unterscheidung zwischen sinnlichen und begrifflichen Vorstellungen oder Wahrnehmungen (bei Malebranche ausdrücklich unterschieden von Ideen!), d. h. einer Unterscheidung nicht bloß in der Form, sondern in der Sache, die (ganz im von Kant als eine Bedingung für eine korrekte reale Unterscheidung nahe gelegten Sinne) in der Unterschiedenheit der Quellen dieser Vorstellungen ihre genetische Entsprechung hat. Für Malebranche gibt es keine sinnlichen Ideen. In der Wahrnehmung werden Empfindungen und intellektuelle Wahrnehmungen von platonischen Ideen, die nur in Gott existieren, miteinander zu Wahrnehmungen von Gegenständen in der Welt verbunden. Empfindungen werden durch wahrgenommene Gegenstände kausal hervorgerufen68, repräsentieren aber für sich genommen überhaupt nicht. Intellektuelle Wahrnehmungen werden hingegen als Repräsentationen (und damit als intentionale Zustände) konzipiert. Dieser Unterscheidung entspricht eine ontologische Unterscheidung zwischen adverbial gefassten Zuständen einerseits (Empfindungen) und Zuständen mit intentionalem Gehalt (intellektuelle Wahrnehmungen), der durch Partizipation an platonistisch konzipierten Ideen in Gott zustande kommt. Empfindungseigenschaften werden dann vom wahrnehmenden Subjekt vermittels der intellektuellen Wahrnehmungen auf Gegenstände projiziert und so als Eigenschaften dieser Gegenständen aufgefasst. Durch diese Schein-Intentionalisierung von Empfindungseigenschaften wird Malebranche auch dem ‚als‘-Aspekt sinnlicher Eigenschaf67 68
Vgl. Shoemaker 1994, 252–3, Dretske 1991, 181, Tye 1995. Diese Kausalbeziehung wird von Malebranche ihrerseits okkasionalistisch konzipiert. Vgl. dazu die Ausführungen von Paolo Rubini S. 190 f.
502
Nachwort
ten gerecht. Er vermag also mit dieser Theorie die scheinbare zweifache Seinsweise sinnlicher Eigenschaften in Wahrnehmungsvorstellungen einzufangen: Sinnliche Eigenschaften, die wir scheinbar von wahrgenommenen Gegenständen und als Eigenschaften dieser Gegenstände wahrnehmen, sind eigentlich nur adverbiale Modifikationen geistiger Zustände, die in keinerlei repräsentationaler Beziehung zu den Gegenständen stehen, denen wir sie fälschlicher Weise gemäß unserer naiven Weltsicht zuschreiben. Leider ist auch Malebranche in seiner Ablehnung der Intentionalisierung sinnlicher Eigenschaften nicht konsequent. Der Grund dafür ist, dass er die Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten letztlich als Voraussetzung akzeptiert: Seine Theorie der Empfindungen ist ausdrücklich nur eine Theorie der auf sekundären Qualitäten beruhenden sinnlichen Eigenschaften. Ausdehnungseigenschaften sind davon ausdrücklich nicht betroffen. Das aber zwingt Malebranche, dazu unsere Wahrnehmung von Ausdehnungseigenschaften rein intentional zu konzipieren. Seine Theorie kann deshalb der phänomenologischen Tatsache nicht gerecht werden, dass wir auch räumliche Eigenschaften nicht nur als Eigenschaften von Gegenständen wahrnehmen, sondern sie auch von diesen wahrnehmen, um an unsere oben gewählte Terminologie anzuknüpfen. Auch räumliche Eigenschaften haben, mit anderen Worten, eine qualitative Dimension, die in einer rein intentionalen Auffassung von ihnen verloren geht. (In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, dass Malebranche der Ausweg über eine qualitative Realisierung dieser Eigenschaften in den Ideen Gottes nicht offen steht: Er bezeichnet die Ausdehnungseigenschaften in Gott ausdrücklich als intelligible Ausdehnung.69) Dabei verhindert die Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten nicht grundsätzlich die phänomenologisch angemessene Konzeption aller sinnlichen Eigenschaften. Diese lässt sich im Prinzip aufrecht erhalten, indem man eine Binnendifferenzierung der Empfindungen zulässt, die nicht ontologisch, sondern epistemologisch begründet ist – gerade wenn man Malebranches Idee aufgreift, dass Empfindungseigenschaften gleichsam auf vorgestellte Gegenstände projiziert werden, um
69
Vgl. Malebranche OCM 3:153–4; Bd. 1, S. 225.
Sinnliche Ideen
503
den abstrakten und universellen platonischen Ideen die Konkretion in der Erfahrung zu verschaffen, die wir benötigen, um Wahrnehmung durch sie zu erklären.70 Indem man nämlich zwischen formalen und materialen Eigenschaften der projizierten Empfindung unterscheidet, kann man in der notwendigen Weise die Vorstellungen primärer Qualitäten den formalen und die Vorstellungen sekundärer Qualitäten den materialen Empfindungseigenschaften zuordnen. Kants spätere Unterscheidung von raum-zeitlichen Anschauungsformen und Empfindungen lässt sich genau in diesem Sinne interpretieren.71 Die für Malebranche bedeutende Konsequenz wäre natürlich, dass ausgerechnet die Ausdehnungsideen, die er als Ideen intellektueller Ausdehnung in Gott begreift, keine Ideen mehr wären – eine Konsequenz, die ihn einerseits von einer großen argumentativen Last befreien würde, andererseits aber mit seinem Verständnis von überzeitlicher Objektivität gerade dieser Eigenschaften nur schwer in Einklang zu bringen wäre. Für Malebranche ist eben alles Apriorische wesentlich nur in Gott. (Hier wäre der einzige Ausweg wohl die faktische, nicht-begriffliche Realisierung der Ausdehnungseigenschaften in göttlichen Ideen – eine Vorstellung, die mit der Unveränderlichkeit der göttlichen Ideen nicht vereinbar gewesen wäre.72) 3.4
Nahtlosigkeit
In der vorliegenden Form von Malebranches Theorie stellen sich zwei weitere Probleme, die erwähnt werden müssen, weil sie einerseits über die Ideentheorie hinausweisen, andererseits aber auch zeitgenössische Theorieentwürfe mit ihnen konfrontiert sind.
70
71
72
Vgl. Malebranche OCM 9:1066–7. Diesen Unterschied zum Augustinischen Bild betont besonders Pyle, der auch daraus resultierenden Schwierigkeiten diskutiert. Vgl. Pyle 2008, 167–174 und zum selben Thema auch Jolley 1990, 88 ff. Vgl. dazu Haag 2007. Dies scheint mir der eigentliche systematische Ort zu sein, an dem Kants Begriff der Anschauungsform Malebranche weiterhelfen könnte. Anders Pyle, der Malebranche die Anschauungsformen für die Lösung des Problems der Konkretion von Ideen intellektueller Ausdehnung in ‚echte‘ Ausdehnung wahrgenommener Gegenstände nahe legt. Vgl. Pyle 2008, 173. Das scheint mir nicht plausibel, da auf diese Weise gerade der sinnliche Aspekt der Anschauung verloren geht. Vgl. Pyle 2008, 167.
504
Nachwort
Das erste Problem betrifft den Umgang des vorstellenden Subjekts mit den göttlichen Ideen in der Wahrnehmungssituation, den ich oben als Konkretion bezeichnet habe. In dieser Konkretion werden abstrakte, platonische, universale und daher überindividuelle Ideen mit konkreten, nicht-begrifflichen, individuellen Empfindungseigenschaften verbunden zu konkreten, einheitlichen Vorstellungen von Gegenständen, die begriffliche und nicht-begriffliche Eigenschaften in sich vereinen. Die Frage ist nun, wie denn die platonischen Entitäten, die an diesem Vorgang beteiligt sind, in der erforderlichen Weise unter den Bedingungen der durch Empfindungseigenschaften charakterisierten Sinnlichkeit gleichsam individualisiert werden können. Malebranches offizielle platonistische Antwort auf dieses Problem – wir stehen kraft der Ideenschau in einer Partizipationsrelation zu den göttlichen Ideen – löst das Problem nicht wirklich, da gemäß dieser Lösung die Ideen wesentlich allgemein bleiben. Gefragt war aber gerade nach der Möglichkeit der Verbindung solcher wesentlich universeller Eigenschaften mit den wesentlich individuellen sinnlichen Eigenschaften zur einheitlichen Vorstellungen von Gegenständen. Die offizielle Antwort löst das Problem nicht, sondern betont es nur: Die entscheidende Frage lässt sich vor dem Hintergrund von Malebranches Theorie reformulieren als Frage danach, wie die Partizipationsrelation beschaffen sein muss, damit diese Einheitlichkeit in den Vorstellungen von Gegenständen erklärt werden kann. Auf diese Frage bleibt Malebranche eine Antwort schuldig. Das zweite Problem ist zu diesem strukturell analog, betrifft jedoch nicht die begrifflichen Eigenschaften, die wir durch die Partizipation an göttlichen Ideen erfassen, sondern die Empfindungseigenschaften: Diese sind ja adverbial Modifikationen geistiger Zustände, mithin Eigenschaften dieser Zustände. Wie aber können Eigenschaften geistiger Zustände von uns aufgefasst werden als Eigenschaften wahrgenommener Gegenstände? Beide Probleme benennen ontologische Sprünge in der Wahrnehmungstheorie: Sprünge, die keineswegs nur in Malebranches Theorie auftreten, sondern mit denen jede repräsentationalistische Konzeption konfrontiert ist, die sich mit, wie wir gesehen haben, guten Gründen der vollständigen Intentionalisierung der Wahrnehmung verweigert.73 Es handelt sich um Probleme, die immer dann auftreten, wenn Elemente so
73
Vgl. oben, S. 499 f.
Sinnliche Ideen
505
heterogener Eigenschaftsklassen wie der begriffliche und der nicht-begrifflichen Eigenschaften, zu einem einheitlichen Ganzen verbunden werden sollen. Letztlich thematisieren beide Probleme Spielarten des Desiderats der Nahtlosigkeit der Integration begrifflicher und nicht-begrifflicher Eigenschaften in der Wahrnehmung. Viele der in unserer Auswahl vereinigten Philosophen haben eine einfache Antwort auf diese Probleme: Sie benötigen dank der Intentionalisierung der Empfindungseigenschaften keine Erklärung der Nahtlosigkeit: Das Problem tritt bei ihnen schlicht nicht auf, weil alle Inhaltseigenschaften unserer Ideen intentionale Eigenschaften sind – und die lassen sich natürlich leicht miteinander verbinden. Der Preis, den sie dafür bezahlen, ist offensichtlich die Unfähigkeit zur Unterscheidung der Gegebenheitsweisen von begrifflichen und nicht-begrifflichen Eigenschaften, die phänomenologisch geboten ist. Erst bei Kant finden wir erstmals den Versuch, diese Unterscheidung begrifflicher und nicht-begrifflicher Eigenschaften unserer Wahrnehmung vollständig in ihr Recht zu setzen und konsequent durchzuführen. Seinen Arbeiten müssen wir uns deshalb zuwenden, wenn wir nach einer erhellende Antwort auf diese Problematik im Allgemeinen und die der Nahtlosigkeit im Besonderen suchen. Einen wesentlichen Beitrag leisten in diesem Zusammenhang vor allem der Begriff des Schemas einerseits und die Verlagerung der Quelle apriorischer Strukturen in das vorstellende Subjekt andererseits. Der theoretische Zug, apriorische Strukturen als epigenetisch74 verankerte Dispositionen im Subjekt zu verorten und nicht wie Malebranche in Gott, ermöglicht ihm, auf die platonistische Konzeption Malebranches und die damit verbundenen Probleme zu verzichten. Dabei spielt insbesondere der Umstand eine Rolle, dass Kant auf diese Weise apriorische Strukturen auch für die sinnlichen Eigenschaften postulieren kann: Die formalen Bedingungen sinnlicher und begrifflicher Vorstellungen sind dadurch gleicher Maßen als Dispositionen in uns angelegt, die in der Bildung von Vorstellungen notwendig zusammenwirken. Der Begriff des Schemas wiederum erlaubt Kant zu erklären, wie begriffliche Eigenschaften den formalen Bedingungen unserer Sinnlichkeit so unterworfen sein können, dass die materialen Empfindungseigenschaf-
74
Vgl. dazu Hanna 2001, 31.ff.
506
Nachwort
ten in unproblematischer Weise nahtlos mit den so restringierten begrifflichen Eigenschaften integriert werden können. Transzendentale Schemata haben dabei die Aufgabe, die allgemeinsten formalen Strukturprinzipien in der Bildung von Vorstellungen – Kants Kategorien – so auf die formalen Bedingungen, unter denen uns sinnliche Eigenschaften gegeben sind – Raum und Zeit als Anschauungsformen –, einzuschränken, dass jede einzelne Kategorie dadurch gleichsam sinnlich interpretiert wird. So wird beispielsweise die Kategorie von Ursache und Wirkung unter den Bedingungen der zeitlichen Ordnung als Abfolge der Vorstellungen, sofern sie einer Regel folgt, gedeutet.75 Empirische Schemata wiederum sind komplexe Anweisungen oder ‚Rezepte‘, vermittels derer empirischen Begriffen ‚Bilder verschafft‘76 werden, d. h. gemäß deren wir als vorstellende Subjekte die Teilvorstellungen, die uns im zeitlichen Nacheinander der Wahrnehmung gegeben sind, zu komplexen Vorstellungen von Gegenständen verbinden.77 3.5
Empiristischer Fundamentalismus
Eng mit der ungenügenden Unterscheidung sinnlicher und begrifflicher Aspekte in der Wahrnehmung ist die Antwort auf die Frage verknüpft, derentwegen wir unseren Ausflug in die Analyse der Wahrnehmungsideen überhaupt erst in Angriff genommen haben: nämlich die Frage nach dem Gegebenen in empiristischen ideentheoretischen Konzeptionen, die behaupten, dass wir unsere Ideen aus der Erfahrung erwerben. Theorien, die sinnliche und begriffliche Aspekte der Erkenntnis nicht in geeigneter Weise voneinander trennen, neigen zu einer im Sinne des Mythos problematischen Interpretation des Gegebenen: Sofern sinnlich Gegebenes nämlich immer selbst schon als intentional und damit als begrifflich strukturiert aufgefasst wird, gibt es in unserem unmittelbaren Erfassen sinnlicher Eigenschaften keinen interpretatorischen Spielraum mehr, der aber für eine Vermeidung des Mythos unbedingt erforderlich ist. Wir nehmen den Inhalt von Ideen dann nämlich unmittelbar so auf, wie er wirklich ist. Die integrierte begriffliche Struktur ist also zumindest im unmittelbaren Akt der Perzeption oder des Erfassens der Idee voll75 76 77
Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A144 / B183. Vgl. ebd. A 140 / B 179/80. Vgl. dazu Haag 2007, Kap. 7.
Schleier der Wahrnehmung?
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kommen autark: Gegebenes ist uns als das gegeben, was es wirklich oder an sich ist. Die begriffliche Struktur des so Gegebenen prägt sich dem perzipierenden Subjekt ein ‚wie ein Siegel einem Stück Wachs‘. Natürlich bleibt auch hier interpretatorischer Spielraum in der Einbettung der Ideen in Urteile – und tatsächlich war dies, wie wir gesehen haben, etwa bei Descartes der Ort, an dem weitere begriffliche Interpretation des uns bereits begrifflich verfasst gegebenen Inhalts der Ideen der Wahrnehmung stattfinden sollte.78 Doch diese Interpretation war strenggenommen immer eine Reinterpretation von etwas, das bereits aus sich selbst unmittelbar verständlich war. Bei solchen unmittelbaren Ideen der Wahrnehmung haben wir es also mit etwas zu tun, was gleichsam sein eigenes Wesen offen zur Schau stellt – und kraft der damit verbundenen epistemischen Autorität in einzigartiger Weise dazu geeignet ist, ein Fundament für die auf solche Wahrnehmungen aufbauende Erkenntnis zu liefern. Dieses (problematische) Fundament gilt es freilich weiter zu differenzieren und zu evaluieren. Nicht alles, was uns so gegeben ist, kann gleicher Maßen für bare Münze genommen werden. Denn geistige Zustände sind uns dieser Konzeption gemäß zwar selbst als das gegeben, was sie wirklich sind; sie verweisen aber kraft ihres intentionalen Gehalts darüber hinaus auch auf eine scheinbar unabhängig von ihnen existierende Wirklichkeit, um deren Erkenntnis es uns, so würden viele Ideentheoretiker zustimmen, doch eigentlich zu tun ist – und hinsichtlich deren Erkenntnis wir auf dieses Fundament nicht ohne große Vorsicht bauen dürfen.
4.
Schleier der Wahrnehmung?
An dieser Stelle macht sich ein Problemkomplex schmerzlich bemerkbar, der bereits (in der Einleitung zu ersten Band79) angesprochen wurde – nur um ihn dort bis auf weiteres hintanzustellen: die Frage, ob Ideen einen, möglicherweise undurchdringlichen Schleier der Wahrnehmung bilden, der sich zwischen uns als erkennende Subjekte und die Objekte der Außenwelt legt, auf die unsere Erkenntnisbemühungen gerichtet sind.
78 79
Vgl. oben S. 484. Vgl. Perler, Einleitung Bd. 1, S. 4 f.
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Nachwort
Wir haben bereits gesehen, dass viele, wenn auch nicht alle, Ideentheorien repräsentationalistisch sind. Berkeleys Position bildet hier eine interessante Ausnahme und zumindest bei ihm ist die Rede von einem Schleier der Wahrnehmung völlig falsch: Bei Berkeley gibt es keinen Schleier der Wahrnehmung, da gar nichts anderes existiert als Wahrnehmungen und Wahrnehmendes. Der Begriff des wahrgenommenen Gegenstandes fällt bei ihm in eins mit dem Begriff der Wahrnehmung eines Gegenstandes. So problematisch diese Konzeption sich auch in vieler Hinsicht erwiesen hat: Berkeley ist immun gegen den Vorwurf des ‚Schleiers der Wahrnehmung‘.80 Wenn nun auch viele andere Ideentheorien repräsentationalistisch sind, so sind es doch die wenigsten in dem Sinne, in dem häufig von repräsentationaler Theorie der Wahrnehmung oder, allgemeiner, der Erkenntnis gesprochen wird. Repräsentationale Theorien der Wahrnehmung sind Theorien der indirekten Wahrnehmung äußerer Gegenstände. Direkte Wahrnehmung ist die Wahrnehmung ohne epistemische Zwischenglieder; unmittelbare Wahrnehmung ist die Wahrnehmung ohne kausale Zwischenglieder. Direkt und unmittelbar wahrgenommen werden repräsentationalen Theorien gemäß nur die (vorgeblichen) Repräsentationen dieser Gegenstände, nicht diese selbst. Diese Repräsentationen sind die direkten Objekte unserer Wahrnehmung, die ihrerseits auf die äußeren Gegenstände verweisen und uns so deren indirekte und durch Repräsentationen vermittelte Wahrnehmung ermöglichen. Doch nur weil Ideen Repräsentationen sind, heißt das nicht, dass sie im Sine der repräsentationalen Theorie als die eigentlichen Objekte der Wahrnehmung als epistemische Mittler zwischen uns und die Welt geschaltet sind. Gerade adverbiale Theorien erlauben hier offensichtlich eine Alternative: Wenn Ideen als Zustände des Geistes und nicht als Objekte der Wahrnehmung konzipiert werden, sind sie nicht Gegenstände der Wahrnehmung, sondern die Wahrnehmungen selbst, die sich intentional auf etwas als physische Gegenstände beziehen. Tatsächlich scheint es vor dem Hintergrund einer adverbialen Konzeption möglich, Ideentheorien vor dem Vorwurf eines Schleiers der Wahrnehmung in Schutz zu nehmen und gerade vielen repräsentationalistischen Ausformungen dieser Theorie eine Form der direkten Wahrnehmung der Außenwelt zuzuschreiben. Ideen fungieren in diesen Theorien weder als epistemische noch als kausale Mittler zwischen der Welt und den erkennenden Subjekten.
80
Vgl. oben, S. 482.
Schleier der Wahrnehmung?
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Allerdings regen sich schnell neue Zweifel daran, ob diese Interpretation konsequent durchgehalten werden kann, wenn man eine Unterscheidung in den Blick nimmt, die gerade für die repräsentationalistischen Ideentheoretiker von zentraler Bedeutung war: die Unterscheidung zwischen Ideen primärer und sekundärer Qualitäten. Sie verläuft innerhalb der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften (im Gegensatz zu den kausalen und dispositionalen Eigenschaften) und unterteilt diese in Eigenschaften, die die wahrgenommenen Gegenstände selbst haben und solche, die wir diesen kraft unserer Ideen nur naiver Weise und zu Unrecht zuschreiben. Die Ausdehnungseigenschaften, die das Weltbild der mechanistischen Naturwissenschaften neben den kinematischen Eigenschaften wesentlich charakterisieren, gehören in die erste Rubrik, Farbeigenschaften sind paradigmatische Eigenschaften der zweiten Art. Diese Unterteilung der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften wirft nun ein etwas anderes Licht auf die Frage nach dem Schleier der Wahrnehmung. Denn Ideen stellen gemäß dieser Konzeption Gegenstände systematisch als etwas dar, was diese Gegenstände selbst nicht sind – in unserem Beispiel als farbig. Natürlich verfügen wir über die Mittel, diese Darstellung zu hinterfragen und in Urteilen über Ideen der Wahrnehmung richtig zu stellen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass unmittelbar perzipierte Wahrnehmungsideen Gegenstände systematisch fehlrepräsentieren und die ‚Reinigung‘ dieser Fehlrepräsentation eine Aufgabe ist, der wir, wenn überhaupt, nur im Rahmen einer gründlichen philosophischen und wissenschaftlichen Analyse gerecht werden können. Während wir uns bei Descartes auf diese Weise noch adäquate Ideen der Außenwelt erarbeiten können, geht Locke schon einen entscheidenden Schritt weiter und spricht uns die Fähigkeit ab, zu einer adäquaten Erkenntnis der bei ihm als korpuskulare Struktur konzipierten Außenwelt zu gelangen. Alles was wir dementsprechend erreichen können, ist ein Zustand, indem wir unsere Ideen zwar als Fehlrepräsentationen erkennen, nicht aber zu einer adäquaten Repräsentation der Außenwelt gelangen können. Der Vorwurf des Schleiers der Wahrnehmung scheint vor dem Hintergrund der Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten berechtigt – und mit ihm die Bedrohung durch den Skeptizismus. So weit verbreitet die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten aber auch ist: Es ist fraglich, ob sie zum Kern der vielfältigen Intentionalitätstheorien gehört, die uns die Ideentheoretiker der frühen Neuzeit mit ihren Entwürfen zur Verfügung stellen. Man kann
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Nachwort
zumindest den Versuch unternehmen, sie als eine Unterscheidung zu verstehen, die den Philosophen der frühen Neuzeit durch die Naturwissenschaft ihrer Zeit vorgegeben wurde und nicht im jeweiligen Ideenbegriff selbst begründet ist. Dieser Versuch müsste seinen Ausgangspunkt in einer vermutlich anachronistischen Konzentration auf die Analyse der Wahrnehmung finden, wie wir sie in unserem alltäglichen Weltbild verstehen: als Wahrnehmung materieller Gegenstände mittlerer Größe, die ihre Ausdehnungseigenschaften in genau demselben Sinne selbst haben wie ihre Farbeigenschaften – und in der diese beiden Eigenschaftsräume so untrennbar ineinander verwoben sind, wie wir sie gemäß einer realistischen Wahrnehmungstheorie gewöhnlich begreifen. Als Bestandteil einer solchen Analyse kann ein an ideentheoretischen Paradigmen orientierter adverbialistisch konzipierter Repräsentationsbegriff, in dem sinnliche und begriffliche Aspekte der Wahrnehmung klar unterschieden werden, auch heute noch einen wesentlichen Beitrag zu einer systematischen philosophischen Analyse unserer Wahrnehmung und deren spezifischer Intentionalität leisten. Wie auch immer man zu diesen theoretischen Details stehen mag, die in einer ausgearbeiteten philosophischen Wahrnehmungstheorie natürlich genauestens erörtert werden müssen, so sollte doch klar sein: Für einen Schleier der Wahrnehmung wäre in einer solchen Theorie kein Platz mehr.
Glossar
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Glossar Abstraktion (abstractio / abstraction / abstraction): Vorgang der / Vermögen zur Bildung allgemeiner Ideen aus partikulären Ideen. Gassendi : Abstraktion ist einer der Prozesse, durch die allgemeine Ideen gebildet werden, das heißt Ideen, die sich auf mehr als einen Gegenstand beziehen. Dies geschieht, indem der Geist die für die Gegenstände wesentlichen Merkmale von den unwesentlichen absondert. Leibniz : Vorgang des Abziehens eines oder mehrerer Prädikate von einem vollständigen Individualbegriff. Das Ergebnis einer solchen Abstraktion ist ein abstrakter Begriff, der zugleich immer ein unvollständiger Begriff ist. Locke: Abstraktion ist ein grundlegendes mentales Vermögen, vermittels dessen die partikulären Ideen so betrachtet werden, wie sie im Geist sind, d. h. unabhängig von den sie (innerhalb einer bestimmten Wahrnehmungssituation) konkretisierenden raumzeitlichen Umständen, unter denen sie auftreten. Durch diese Betrachtungsweise wird das Material der partikulären Ideen innerhalb menschlicher Denkepisoden zu abstrakten Ideen, so dass dem Geist Ideen als generelle Zeichen für alle unter sie fallenden (partikulären Ideen der) Dinge verfügbar sind. Insofern abstrakte Ideen ihrerseits die unmittelbaren Signifikate von Wörtern bilden, die mit ihnen verbunden sind, bewegt sich der Mensch als sprechendes Wesen im Gegensatz zu Tieren, die nicht abstrahieren können, stets im Abstrakten. Berkeley : Berkeley kritisiert Lockes Konzeption von Abstraktion. Insbesondere die Vorstellung, dass es möglich sei, partikuläre Ideen unabhängig von einer konkreten Realisierung zu betrachten, lehnt er ab. Hume : Hume teilt Berkelys Kritik. Da es keine abstrakten Ideen gibt, braucht es kein Vermögen der Abstraktion und der Verarbeitung solcher Ideen (Verstand, Intellekt). Zur Erklärung der allgemeinen Repräsentationsfunktion konkreter Ideen greift Hume auf die Sprechergemeinschaft zurück: Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ist eine konkrete Idee, die durch Konvention mit der Äußerung eines Wortes kausal und durch Ähnlichkeit mit einer Klasse weiterer Ideen assoziiert ist. So entstehen allgemeine Ideen (oder Begriffe). Apperzeption (apperception; (s’)appercevoir (de)): Leibniz : Perzeptionsakt zweiter oder höherer Stufe, der einen Perzeptionsakt oder einen Perzeptionsinhalt der nächst niederen Stufe zum Gegenstand hat. Assoziation (association): Hume : Hume unterscheidet drei Prinzipien der Assoziation: Ähnlichkeit, (räumliche und zeitliche) Kontiguität, Kausalität. Ideen werden nach allen drei Prinzipien assoziiert, Eindrücke nach Ähnlichkeit (und teilweise Kontiguität). In Assoziation nach Ursache und Wirkung sind stets Ideen involviert. Die Assoziation ist ein grundlegendes und ursprüngliches Prinzip geistiger Aktivität, das nicht weiter erklärt werden kann.
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Glossar
Ausdehnung (extensio / étendue / extension): Geometrisch beschreibbare Eigenschaft von Körpern. Descartes : Wesentliche Eigenschaft der körperlichen Substanz. Gassendi : Zusammen mit Größe, Gestalt, Gewicht und Dichte wesentliche Eigenschaft der Atome. Arnauld : Wesentliche Eigenschaft oder Attribut der körperlichen Substanz. Spinoza : Eines der unendlich vielen Attribute Gottes oder der einen Substanz. Malebranche : Malebranche betrachtet Ausdehnung als konstitutive Eigenschaft der Materie. Da Materie (gemäß der cartesischen Ontologie) mit Ausdehnung identisch ist, besitzen materielle Körper lediglich geometrische Eigenschaften. Als Archetyp der materiellen Ausdehnung nimmt Malebranche eine „intelligible Ausdehnung“ in Gott an. Alle Ideen (als Archetypen möglicher Körper) sind Modifikationen dieser intelligiblen Ausdehnung. Berkeley : Für Berkeley ist Ausdehnung eine Idee. Das ist ein wichtiger Bestandteil seiner Kritik am Begriff materieller Körper: Da auf Grund seines Ähnlichkeitsprinzips nur Ideen einander ähnlich sein können, kann Ausdehnung keine Eigenschaft materieller Körper sein. Ausdruck (expressio; exprimere / expression; exprimer): Leibniz : Die Ausdrucksrelation ist eine strukturerhaltende Beziehung zwischen zwei Entitäten (Ausdrückendes und Ausgedrücktes). Die in Frage stehende Struktur ist definiert auf zwei Mengen von Elementen, die entweder die Komponenten zweier Entitäten umfassen oder mit zwei solchen Entitäten assoziiert sind. So drückt das architektonische Modell eines Gebäudes dieses Gebäude aus, weil die Komponenten des Models in einer strukturerhaltenden Beziehung zu den Komponenten des Gebäudes stehen. Ebenso drückt eine mathematische Gleichung eine zweidimensionale geometrische Figur aus, weil die Zahlentupel, die als Lösungsmenge der Gleichung assoziiert sind, in einer strukturerhaltenden Beziehung zu den Punkten stehen, aus denen die Figur besteht. Begriff (conceptus; notio / notion / concept; notion): Mittel zur Klassifikation und Erkenntnis von Gegenständen. Descartes : Begriffe werden mit Ideen insgesamt identifiziert. Gassendi unterscheidet nicht zwischen Begriffen und Ideen. Spinoza : Der Begriff ist eine Aktivität des Geistes, wodurch der Geist Objekte erfasst. Es handelt sich dabei um eine Idee oder eine Modifikation der Substanz unter dem Attribut des Denkens. Leibniz : Ideen ermöglichen Denkakte bzw. befähigen rationale Substanzen zu Denkakten. Eine Idee wird dann zu einem Begriff, wenn sie tatsächlich in einem Denkakt auftritt. Leibniz beschreibt Begriffe daher auch als (in einem Denkakt) begriffene Ideen. Locke: Im weiten Sinne ist unter ‚Begriff‘ eine Idee zu verstehen; im engen Sinne eine komplexe Idee, deren Muster nicht aus der Natur gewonnen ist, sondern im Verstand gebildet wurde wie beispielsweise die Idee der Schuld oder Gerechtigkeit. Berkeley : Begriffe (notions) im eigentliche Sinne sind ausdrücklich keine Ideen, sondern intentionale Zustände, die Inhalte haben, die nicht aus (wesentlich passiven) sinnlichen Ideen gewonnen sein können – nämlich alle geistigen Zustände, die von Aktivität handeln (Begriffe von Gott, anderen geistigen Wesen; Willen). Hume: Begriffe sind allgemeine Ideen (vgl. Abstraktion).
Glossar
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Reid verwendet Begriff (notion) wie Vorstellung (conception): als Bezeichnung für einen nicht-propositionalen Vorgang des unmittelbaren Erfassens (simple apprehension). Bild (imago / image / image): Descartes : In seiner Frühphilosophie versteht Descartes unter Ideen Bilder bzw. Figuren auf der Oberfläche des Gehirns. Später charakterisiert er Ideen nicht mehr als Bilder, vergleicht sie aber mit Bildern, um darauf hinzuweisen, dass Ideen ähnliche repräsentationale Leistungen aufweisen wie Bilder. Gassendi : Bilder sind Resultate von Vorstellungsprozessen. Ein solches Bild wird als Idee, Spezies, Notion, Pränotion, Prolepse und Begriff bezeichnet. Arnauld : 1. Gemälde, das einen Gegenstand aufgrund von Ähnlichkeit abbildet. Viele Philosophen stellen sich die Repräsentationalität von Ideen nach dem Modell solcher Bilder vor, was nach Arnauld allerdings falsch ist und die wahre Natur immaterieller Repräsentationen verkennt. 2. Materielles Vorstellungsbild im Gehirn, das auf der Grundlage von Sinneseindrücken und deren Assoziationen entsteht. Spinoza : Vorstellungsbilder sind Affektionen des menschlichen Körpers, deren Ideen äußere Körper als gegenwärtig darstellen, obwohl sie die äußere Gestalt von Dingen nicht wiedergeben. Hume : Die Redeweise von Perzeptionen oder Ideen als Bildern ist in der Neuzeit verbreitet und reflektiert eine starke Beachtung der Optik. Humes Perzeptionen sind teilweise bildlich, teilweise nicht. Ideen werden als Bilder unserer Eindrücke oder als Bilder im Geist beschreiben. Visuelle und taktile Ideen haben Eigenschaften, die auch Bilder haben, wie etwa Ausdehnung. Eindrücke werden nicht als Bilder bezeichnet, ebenso nicht-imaginative Ideen. Denken (cogitatio; cogitare / penser / thought; thinking): Intentionaler Akt des Geistes. Descartes : Wesentliche Eigenschaft der geistigen Substanzen. Arnauld : Wesentliche Eigenschaft oder Attribut der geistigen Substanzen. Spinoza : Eines der unendlich vielen Attribute Gottes oder der einen Substanz. Malebranche : Denken ist genau genommen der Akt, mit dem der Geist reine Ideen in Gott erfasst. Beim Denken ist der Geist nicht spontan tätig, sondern wird von den Ideen affiziert, die Gott ihm offenbart. Leibniz verwendet den Ausdruck „Gedanke“ zum Teil synonym mit dem generischen Ausdruck „Perzeption“. In einem spezifischeren Sinn kennzeichnet Leibniz Gedanken in den Nouveaux Essais als Perzeptionen, die von der Fähigkeit zur Reflexion begleitet sind (NA II, xxi, 5). Locke : Mentale Operation, die stets Ideen als Objekt hat, und sich in sprachlichen (verbalen) und mentalen Sätzen vollzieht. Im weiteren Sinne werden auch Wahrnehmungen als Denkprozesse verstanden; im engeren Sinne ist unter ‚Denken‘ eine Aktivität zu verstehen, bei der der Geist sich aufmerksam auf einen Gegenstand bezieht. Berkeley : Mentale Operation, die nicht auf Ideen beschränkt ist. Einbildung, Einbildungskraft (imaginatio / imagination / imagination): Vermögen, bildliche Vorstellungen oder Ideen hervorzubringen. Descartes : Vermögen, bildliche Ideen zu bilden. Leibniz : Die Einbildungskraft umfasst die sinnlichen Ideen, die für die einzelnen Sinne spezifisch sind, und die gemeinsinnlichen Ideen, die dem Verstand zugehö-
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Glossar
ren und in die Wahrnehmungen aller Sinnesmodalitäten Eingang finden können. In der Einbildungskraft werden die Perzeptionen aus den Einzelsinnen zu einer Gesamtwahrnehmung zusammengefügt. Hume unterscheidet zwei ideenbildende (repräsentierende) Vermögen: Einbildungskraft und Erinnerung. Die Einbildungskraft bildet schwächere Ideen und vermag diese prinzipiell frei umzustellen und zu verändern, sie wird aber tatsächlich durch die Prinzipien der Assoziation reguliert. Ideen der Einbildungskraft differenzieren sich aufgrund von Gewohnheit zu Vorstellungen (conceptions) bzw. Überzeugungen (beliefs) aus. Die Einbildungskraft ist das zentrale kognitive Vermögen für Hume, denn sie legt die Grundlage für kausale Schlüsse (für Tatsachenerkenntnisse), für den Glauben an die Existenz der Außenwelt, für die personale Identität und für die Zuverlässigkeit der Vernunft. Eindruck ((sense-) impression): Resultat der kausalen Einwirkung äußerer Dinge auf die Sinnesorgane oder den Geist. Hume: Im zeitgenössischen Verständnis sind Eindrücke materielle Einwirkungen auf die / Reizungen der Sinnesorgane. Hume weicht bewusst vom alltäglichen Gebrauch ab: Eindrücke sind nicht Sinnesreizungen, sondern bezeichnen das erste Auftreten einer Perzeption im Geist. Eindrücke sind gegenüber Ideen primär und nicht-derivativ, sie sind stärker und lebhafter als Ideen. Im Gegensatz zu Ideen sind Eindrücke nicht repräsentational. Humes Eindrücke entsprechen Berkeleys Ideen. Empfindung (sensus, sentiment, sensation / sensation): Qualitativ-phänomenales Erlebnis, das insbesondere in Zuständen sinnlicher Wahrnehmung auftritt. Descartes : Eine Empfindung ist eine bestimmte Art der Perzeption, die darin besteht, etwas (scheinbar) wahrzunehmen. Malebranche : Empfindungen sind rein subjektive Modi (Modifizierungen) des Geistes, die Gott anlässlich einer Affizierung der Sinnesorgane hervorbringt. Als solche besitzen sie keinen repräsentationalen Inhalt. Reid : Eigenschaften von Objekten verursachen in uns zwar Empfindungen, diese haben aber keine Ähnlichkeit mit diesen Eigenschaften und werden uns als solche auch nicht bewusst. Empfindung sind Veranlassungen für Vorstellungen von Objekteigenschaften. Erinnerung (memory): Vermögen der Speicherung und späteren Reaktivierung gemachter Erfahrungen. Hume unterscheidet zwei ideenbildende (repräsentierende) Vermögen: Einbildungskraft und Erinnerung. Die Erinnerung stellt kräftigere und lebendigere Ideen von Eindrücken her und behält die ursprüngliche Reihenfolge und Anordnung der Eindrücke bei. Ohne die Erinnerung wäre es der Einbildungskraft nicht möglich, Grundlage für das kausale Schließen usw. zu sein. Essenz, objektive (essentia obiectiva): Spinoza : Essenz eines Modus der Substanz, insofern er unter dem Attribut des Denkens aufgefasst wird. Es handelt sich dabei um nichts anderes als eine Idee, die sich deshalb auf einen bestimmten Modus der Ausdehnung bezieht, weil sie dessen Essenz auf objektive Weise enthält. Existenz, objektive (esse obiective / existence, objéctive): Spezifische Existenzweise intentionaler Objekte: Wenn S an ein Einhorn denkt, braucht das Einhorn deswegen nicht wirklich oder „formal“ zu existieren, wie die scholastischen Philosophen sagten. Dennoch existiert das Einhorn als Objekt des Denkaktes von S
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oder eben objektiv. Insofern jemand an ein Einhorn denkt, kommt diesem als Objekt eines Denkaktes objektive Existenz zu. (Die Unterscheidung zwischen der formalen und der objektiven Existenz eines Dinges geht auf die intentionalitätstheoretischen Debatten in der Scholastik zurück. Prägend dafür war insbesondere Johannes Duns Scotus.) Reid zufolge lassen sich die Extreme von Aristotelismus und Ideentheorie vermeiden, wenn sowohl die reale Existenz dessen, was wir wahrnehmen, als auch die reale Existenz der Dinge, deren wir uns bewusst sind, als Grundsatz akzeptiert werden. So existieren fiktive Dinge (ein Kentaur) oder abstrakte Dinge (ein Kreis) nicht als Ideen, sondern als Objekte der Vorstellung. Fähigkeit; Vermögen (facultas; potentia / faculté / faculty): Instanz oder Eigenschaft, die eine Entität zu gewissen Tätigkeiten oder Veränderungen befähigt. Dieser Begriff stammt aus der aristotelisch-scholastischen Tradition, der zufolge ein Vermögen (potentia, virtus, vis, facultas) die feste und eigentümliche Disposition einer Substanz ist, eine besondere Funktion (etwa Verdauen, Wahrnehmen, Denken) auszuführen. Arnauld unterscheidet drei Arten von Vermögen. 1. aktives: Fähigkeit, auf etwas einzuwirken, 2. passives: Fähigkeit, etwas zu erleiden, und 3. neutrales: Disposition, eine ganz bestimmte Beschaffenheit oder Modifikation aufzuweisen. Malebranche lehnt den explanatorischen Rekurs auf Vermögen vehement ab: Vermögen seien bloße Tautologien und besäßen keine Erklärungskraft. Leibniz unterscheidet generell zwischen dem aktiven Vermögen zur Handlung und dem passiven Vermögen, etwas zu erleiden. In seiner eigenen Metaphysik begreift er aktive Vermögen als in ihrer Tätigkeit vorbestimmte Kräfte, die permanent aktiv sind und in jedem Augenblick zu neuer Tätigkeit streben. Reid versteht Philosophie als reflexive Analyse der intellektuellen (aber auch aktiven) menschlichen Vermögen, worunter Sinne, Gedächtnis, Vorstellung, Abstraktionsvermögen, Urteilskraft, Vernunft und Geschmack fallen. Falschheit, materiale (falsitas materialis): Descartes : Eigenschaft von Ideen, die darin besteht, Nicht-Dinge als Dinge zu repräsentieren. Geist; Seele (mens; anima / ésprit; âme / mind; soul; spirit): Die hier behandelten Autoren bezeichnen den Träger von oder das Vermögen zu Denkakten als Geist oder Seele. Sie weichen damit von der klassisch aristotelischen Verwendung ab, die strikt zwischen der Seele und dem Geist oder dem Intellekt unterschieden haben: Mit „Seele“ bezeichneten jene nämlich das Prinzip des Lebendigen und mit „Geist“ oder „Intellekt“ das speziell vernünftige Vermögen, das nur rationalen Lebewesen zukommt. Descartes verwendet sowohl „Seele“ als auch „Geist“ zur Bezeichnung nicht-körperlicher Substanzen. Arnauld verwendet Seele und Geist synonym für die denkende Substanz, die für die intellektuellen Vermögen und die Identität rationaler Wesen verantwortlich ist. Spinoza verwendet „Geist“ und „Seele“ wie Descartes synonym. Der Geist ist allerdings keine eigene Substanz, sondern lediglich ein Bündel von Ideen, d. h. Modi der einen Substanz unter dem Attribut des Denkens. Der menschliche Geist ist nichts anderes als die Idee des menschlichen Körpers. Malebranche: Der Geist ist eine erkenntnis- und willensfähige immaterielle Substanz. Er weist einen passiven Charakter auf, d. h. er kann seine Objekte (Ideen)
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nur insofern erfassen, als er von ihnen affiziert wird. Er verfügt trotzdem über die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu steuern. – Auch Malebranche verwendet „Geist“ und „Seele“ als Synonyme. Leibniz unterscheidet zwischen drei Typen von Substanzen: den nackten oder reinen Substanzen, den Tierseelen und den rationalen oder Geistsubstanzen. Geistsubstanzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über ein Reflexionsvermögen verfügen und Einsicht in die ewigen notwendigen Wahrheiten gewinnen können. Berkeley : Vom Geist als aktiver Entität haben wir keine Idee, sondern nur einen Begriff. Berkeley unterscheidet meist Geist als Individuum (spirit) von Geist als Vermögen (mind). Individuelle Geister bezeichnet er auch als Seelen (souls). Hume zufolge sind Geist, Seele oder Selbst keine Substanzen oder Modi, sondern (für unsere Introspektion) ein Bündel von Perzeptionen, die durch bestimmte Relationen verbunden sind. Im sozialen Umgang mit anderen erwerben wir (vermittelt über den Mechanismus der Sympathie) den Begriff von Anderen als Objekten und Trägern reaktiver emotionaler und moralischer Einstellungen und daraus resultierender Handlungen. Gelegenheitsursache (cause occasionelle): Ein Umstand, der Gott die Gelegenheit bietet, kausal wirksam zu werden und einen Folgezustand hervorzubringen. Arnauld : Da Körper und Geist zwei wesensverschiedene Substanzen sind, ist eine direkte Interaktion zwischen den beiden ausgeschlossen. Deshalb sind gewisse Körperzustände nicht echte Ursachen mentaler Zustände, und umgekehrt, sondern lediglich Gelegenheitsursachen oder Umstände, anlässlich derer Gott kausal wirksam wird. Malebranche: Dieser technische Ausdruck bezeichnet die kausale Rolle, die nach Malebranches Okkasionalismuslehre allen endlichen Agenten zukommt. Keine endliche Entität vermag nämlich als Wirkursache Veränderungen hervorzubringen, sondern nur der allmächtige Gott; endliche Entitäten geben ihm nur den Anlass dazu und fungieren somit als „Gelegenheitsursachen“ seiner wirkkausalen Tätigkeit. In seiner Rolle als universale Wirkursache aller Veränderungen in der Welt operiert Gott allerdings nicht willkürlich, sondern nach festen Gesetzen. Gemeinsinn (sensus communis / sens commun / common sense): Begriff der aristotelischen Wahrnehmungstheorie, der in den frühneuzeitlichen Theorien allerdings auf zahlreiche Weisen umgedeutet wurde. Nach Aristoteles ist der Gemeinsinn die Instanz, die einen dazu befähigt (a) verschiedene Wahrnehmungseigenschaften (sensibilia propria) miteinander zu verbinden wie bei der Milch die Weiße und die Süße und (b) die so genannten gemeinen Wahrnehmungseigenschaften (sensibilia communia) wie etwa Gestalt und Bewegung zu erfassen. Descartes : Vermögen, bildliche Ideen zu bilden. Leibniz : Der Gemeinsinn umfasst diejenigen Verstandesideen, die in Sinneswahrnehmungen Eingang finden. Zu diesen gemeinsinnlichen Ideen gehören die arithmetischen Ideen der Zahlen, die geometrischen Ideen der Gestalten und die dynamischen Ideen der Bewegungen. Reid verwandelt den klassischen Begriff des sensus communis zu einem Fundamentalbegriff. Für die Philosophie des Common Sense ist „Gemeinsinn“ das allen Menschen gemeinsame und für alle Tätigkeitsbereiche vorausgesetzte Maß an Urteilsvermögen, und zwar das Vermögen zur Beurteilung von ersten Grundsätzen als erste Grundsätze (principles). Alle wissenschaftlichen und alltäglichen Erkenntnisse müssen auf selbst-evidenten Grundsätzen beruhen und der Common Sense
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entdeckt die Wahrheit selbst-evidenter Dinge. Common Sense ist somit auch eine Menge erster, selbst-evidenter Grundsätze. Idee, adäquat, inadäquat (idea, adequata, inadequata / idea, adequate, inadequate): Descartes : Eine adäquate Idee muss alle Eigenschaften enthalten, die die repräsentierte Entität besitzt. Als endliche Wesen können wir zwar prinzipiell zahlreiche derartige Ideen haben, können das aber nicht wissen, sofern Gott uns das nicht in einem besondern Akt offenbart. Spinoza : Eine Idee ist adäquat, wenn sie die inneren Merkmale einer wahren Idee aufweist. Die inneren Merkmale einer Idee bestehen in der Verknüpfung dieser Idee mit ihren Ursachen oder Gründen in einem spezifischen Geist. Eine Idee ist mit Bezug auf einen bestimmten Geist also in dem Maße adäquat, in dem sie in diesem Geist mit ihren Ursachen verbunden und damit erklärbar oder verständlich ist. Leibniz : Ein Subjekt verfügt über eine deutliche Idee, die adäquat ist, wenn das Subjekt diese Idee vollständig bis zu den primitiven Begriffen analysieren kann, aus denen diese Idee aufgebaut ist. Andernfalls verfügt das Subjekt über eine inadäquate Idee. Locke : Die Adäquatheit/Inadäquatheit von Ideen bemisst sich daran, in welchem Maße sie die Urbilder bzw. Archetypen repräsentieren, auf die sie unterstelltermaßen bezogen sind. Idee, deutlich, verworren (idea, distincta, confusa / idée, distincte, confuse / idea, distinct, confused): Descartes : Klare Ideen können entweder deutlich oder verworren sein. Deutliche Ideen sind Ideen, die nur das enthalten, was klar ist. Verworrene Ideen sind das Gegenteil von deutlichen Ideen. Arnauld : Deutlichkeit und Verworrenheit bezeichnen Grade der Richtigkeit, mit denen Ideen ihre Gegenstände repräsentieren. Spinoza : Eine Idee ist in dem Maß deutlich, in dem sie ihr Objekt so repräsentiert, wie es an sich ist, und nicht mit anderen Objekten oder Eigenschaften vermischt, die dem Objekt nicht zukommen. In dem Maß, zu dem letzteres der Fall ist, ist eine Idee verworren. Die Deutlichkeit einer Idee kovariiert mit ihrer Adäquatheit. Malebranche : Ideen sind immer klar und deutlich; denn als Archetypen der Gegenstände repräsentieren sie die Gegenstände immer adäquat und ermöglichen somit sicheres (apriorisches) Wissen über sie. Empfindungen sind hingegen immer verworren (sie werden gelegentlich auch „verworrene Ideen“ genannt); denn als bloße Modi des Geistes repräsentieren sie keine Gegenstände adäquat (sie respräsentieren ja gar nichts) und ermöglichen mithin kein sicheres Wissen über sie. Locke : Die Deutlichkeit/Verworrenheit von Ideen bemisst sich daran, inwieweit der Geist die Ideen als von anderen Ideen unterschieden wahrnimmt, wobei die Richtschnur für die Unterschiedenheit letztlich in den die Ideen bezeichnenden Namen liegt. Hume : Wie für Descartes ist für Hume eine Idee deutlich, wenn sie von anderen Ideen trennbar ist. Idee, einfach, komplex (idea, simple, complex): Locke : Das einfache Ideenmaterial kann der Verstand weder herstellen noch zerstören, sondern lediglich passiv empfangen, wohingegen die Zusammensetzung
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zu komplexen Ideen auf Tätigkeiten des Geistes an diesem Material zurückgeht. Die durch den menschlichen Verstand erfassten Ideen (etwa von Äpfeln oder Steinen) sind mithin insofern komplex, als sie aus zahlreichen Bestandteilen bestehen, die letztlich auf einfache Ideen (wie z. B. von grün oder rund) zurückgeführt werden können. Berkeley : Ideen sind grundsätzlich komplex (nicht allerdings im Sinne von zusammengesetzt); einfache Ideen gibt es nicht. Hume : Für Hume ist die Unterscheidung wichtig, insofern ein basales Prinzip an ihr hängt, nämlich das Kopierprinzip, demzufolge jeder einfachen Idee ein einfacher Eindrucke zugrunde liegt. Eindrücke und Ideen sind einfach, wenn sie weder Unterscheidung noch Trennung erlauben, zusammengesetzt, wenn sie dies zulassen. Obwohl bestimmte Perzeptionen für ein spezifisches Sinnesobjekt konstitutiv sind, kann man sie doch voneinander unterscheiden, und insofern sie unterscheidbar sind, sind sie auch verschieden. Idee, intuitiv, blind, symbolisch (idea, intuitiva, caeca, symbolica): Leibniz : Eine deutliche Idee eines Subjekts ist intuitiv, insoweit das Subjekt deren Teilideen zugleich und unmittelbar erfasst. Eine deutliche Idee eines Subjekts ist symbolisch oder blind, wenn das Subjekt an Stelle der Teilideen Wörter verwendet, um an einen Gegenstand zu denken. Idee, klar, dunkel (idea, clara, obscura / idée claire, obscure): Descartes : Eine klare Idee ist eine Idee, die dem aufmerksamen Geist präsent und offenkundig ist. Eine dunkle Idee ist das Gegenteil einer klaren Idee. Arnauld : Klarheit und Dunkelheit bezeichnen Grade der Lebhaftigkeit, mit denen Ideen erfahren werden. Spinoza kontrastiert klare Ideen nicht mit dunklen, sondern mit verstümmelten Ideen (ideae mutilatae). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Klarheit wie die Deutlichkeit einer Idee mit ihrer Adäquatheit zusammenfällt, und eine Idee in dem Maß inadäquat ist, in dem sie nicht mit ihren Gründen oder Ursachen verbunden, und in diesem Sinne verstümmelt ist. Leibniz : Ein Subjekt verfügt über eine klare Idee von einem Gegenstand, wenn es in der Lage ist, diesen Gegenstand von anderen Gegenständen zu unterscheiden und ihn wiederzuerkennen. Andernfalls verfügt das Subjekt über eine dunkle Idee des Gegenstands. Hume: Eine Idee, die in allen Einzelheiten determiniert ist, ist klar. Idee, material, objektiv, formal (idea materialiter, obiective, formaliter spectata): Descartes : Ideen materialiter betrachtet sind Tätigkeiten des Verstandes bzw. Perzeptionen. Ideen objektive betrachtet sind die durch diese Tätigkeiten repräsentierten Dinge. Ideen formaliter betrachtet sind Tätigkeiten des Verstandes, insofern sie etwas repräsentieren. Idee, singulär, allgemein (idée singulière, générale / idea, singular, general): Gassendi : Singuläre Ideen sind Ideen von Einzeldingen. Allgemeine Ideen sind aus ähnlichen singulären Ideen gebildete Ideen von mehreren Dingen. Arnauld : Singuläre (oder partikuläre oder individuelle) Ideen beziehen sich auf Einzeldinge. Allgemeine (oder universelle oder gemeine) Ideen beziehen sich auf mehrere Dinge oder Eigenschaften. Malebranche schließt aus, dass es singuläre Ideen gibt, d. h. Ideen einzelner Gegenstände. Alle Ideen sind somit allgemein: Sie repräsentieren immer Klassen möglicher Gegenstände. Partikularisiert werden Ideen durch die Empfindungen, mit de-
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nen sie im Geist bei Akten der Sinneswahrnehmung gekoppelt werden (für diese Koppelung ist Gott verantwortlich). Berkeley kennt allgemeine Ideen, die sich wie die Begriffe der anderen Ideentheoretiker verhalten: Es sind singuläre Ideen, die als Einzelne dafür verwendet werden, für Vieles zu stehen. Modus (modus / modification; modalité / mode): (Nicht-essentielle) Eigenschaft einer Substanz. Spinoza : Unter Modus versteht Spinoza das, was in einem anderen ist, durch das es auch begriffen wird. Modi sind Affektionen der Substanz. Es handelt sich dabei um ontologisch und explanatorisch abhängige Entitäten, die ohne die Substanz weder sein noch begriffen werden können. Modi werden von der Substanz verursacht. Malebranche : Malebranche übernimmt die cartesische Auffassung von Modi als Entitäten, die nicht selbstständig, sondern nur abhängig von einer materiellen oder geistigen Substanz existieren können (wie etwa Eigenschaften, Zustände). Er lehnt aber (gegen Arnauld) strikt ab, dass die Modi der geistigen Substanz – d. h. Perzeptionen – einen repräsentationalen Inhalt besitzen, da sie keine „Ähnlichkeit“ zu materiellen Gegenständen aufweisen können. Leibniz : Singuläre Ideen beziehen sich auf genau einen Gegenstand, allgemeine Ideen auf mehrere Gegenstände. Singuläre Ideen sind für Leibniz vollständige Individualideen, allgemeine Ideen sind hingegen unvollständige Ideen und ergeben sich durch Abstraktion aus den Individualideen. Locke : Modi sind komplexe Ideen, die im Gegensatz zu Substanzideen nicht die Unterstellung selbstständiger Existenz enthalten. Hume: Modi sind, wie Substanzen, nichts als Sammlungen einfacher Ideen, die durch die Einbildungskraft vereint werden und mithilfe eines sprachlichen Ausdrucks als allgemeine Ideen fungieren können. Perzeption; perzipieren (perceptio; percipere / perception; percevoir / perception; perceiving): Im nicht-technischen Sinne handelt es sich um eine Wahrnehmung. Im technischen Sinne bezeichnet „Perzeption“ das Haben einer Idee. (Der Ausdruck „perception“ wird im 17./18. Jh. in diesem technischen Sinne also oft mit „conception“ gleichgesetzt, d. h. mit der bloßen Vorstellung oder Idee von etwas.) Vgl auch Wahrnehmung, wahrnehmen. Descartes : Perzeptionen sind Tätigkeiten des Verstandes. Unter diese fallen das Empfinden, Einbilden und das reine Verstehen. Arnauld : Eine Perzeption ist eine Modifikation des Geistes und ist dasselbe wie eine Idee. Leibniz : Perzeptionen sind Modifikationen individueller Substanzen, die eine Vielheit (paradigmatisch: Körper) in einer Einheit (der Substanz) ausdrücken. Locke: Wahrnehmung ist das Haben von Ideen. Berkeley verwendet den Ausdruck „perception“ sowohl als Terminus technicus für das Haben einer Idee als auch im herkömmlichen Sinne als Wahrnehmung. Hume: Perzeptionen im technischen Sinne sind die basalen, atomaren Entitäten in Humes System. Man kann Perzeptionen als bewusste Zustände (Akte und/oder Objekte) charakterisieren, die dem Geist unmittelbar, vollständig und irrtumsfrei gegeben sind. Perzeptionen können auch unbewusst wirken und sind ontologisch nicht darauf angewiesen in Verbindung aufzutreten oder im Geist zu existieren. Hume unterscheidet zwei Arten von Perzeptionen, nämlich Ideen und Eindrücke.
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Proposition; Satz (propositio / proposition): Aussagesatz oder Inhalt eines Aussagesatzes. Gassendi : Im Gegensatz zur Idee, die Teil einer einfachen Vorstellung ist, ist eine Proposition eine durch eine propositionale Einstellung verbundene komplexe Vorstellung. Leibniz : Eine Proposition ist eine Verbindung aus Subjekt und Prädikat zu einem Satz bzw. von Subjektbegriff und Prädikatbegriff zu einem komplexen begrifflichen Inhalt. Locke : In Anknüpfung an die scholastische Tradition unterscheidet Locke aus Wortverbindungen bestehende verbale Sätze und aus Ideenverbindungen bestehende mentale Sätze. Qualität, primäre, sekundäre (quality, primary, secondary): Eine Folge des Siegeszugs der mechanistischen Naturwissenschaft ist die Unterscheidung zwischen geometrischen und kinematischen Eigenschaften, die die wahrgenommenen Gegenstände tatsächlich haben, und solchen Eigenschaften, die wir den Gegenständen auf der Grundlage unserer sinnlichen Vorstellungen zuschreiben, die aber weder geometrisch noch kinematisch sind und sich deshalb einer (reduktiven) mechanistischen Beschreibung entziehen. Diese Unterscheidung ist die Grundlage der Differenzierung zwischen primären und sekundären Qualitäten. Primäre Qualitäten werden dabei grundsätzlich mit den geometrischen und kinematischen Eigenschaften identifiziert, die die Gegenstände selbst haben. Hinsichtlich der sekundären Qualitäten muss man zwischen der subjektiven Auffassung (Galilei, Descartes) und der objektiven Auffassung (Boyle, Locke) unterscheiden: Gemäß der subjektiven Auffassung dieser Unterscheidung repräsentieren die sinnlichen Ideen, die weder geometrische noch kinematische Eigenschaften als Inhalt haben, überhaupt nichts. Deshalb werden die Inhaltseigenschaften solcher sinnlichen Ideen selbst als sekundären Qualitäten bezeichnet. Die objektive Auffassung (Boyle, Locke) andererseits betrachtet auch solche sinnlichen Ideen als Repräsentationen der Gegenstände (bzw. deren Kräfte), die diese Ideen kausal in uns hervorrufen. Sie repäsentieren allerdings keine Eigenschaften, die die repräsentierten Gegenstände in ähnlicher Weise selbst haben (d. h. deren primäre Qualitäten), sondern bloß die kausalen Kräfte dieser Gegenstände (d. h. ihre sekundären Qualitäten). Malebranche: Primäre Qualitäten sind reale Modi (geometrische Eigenschaften) materieller Körper. Sie werden von Ideen (als Archetypen möglicher Körper) adäquat repräsentiert. Sekundäre Qualitäten sind hingegen Empfindungen, die Gott im Geist hervorbringt, wenn die Sinnesorgane durch äußere Körper affiziert werden. Als bloße Modi des Geistes repäsentieren sie keine Eigenschaften dieser Körper. Locke: Die infolge göttlicher Festlegung bestehende Kraft eines Gegenstands, in uns eine Idee zu verursachen, nennt Locke ‚Qualität‘. Während die von primären Qualitäten erzeugten Ideen den Qualitäten ähnlich sind, sind die von sekundären Qualitäten erzeugten Ideen diesen nicht ähnlich. Berkeley : Berkeley weist die Lockesche Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten ausdrücklich zurück, da sich die Argumente für die Geistabhängigkeit der Ideen der letzteren mutatis mutandis auf die Ideen primärer Qualitäten anwenden lassen. Hume zufolge trägt diese Unterscheidung die gesamte neuere Philosophie. Ebenso wie Berkeley hält er sie jedoch für schlecht fundiert.
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Reid hingegen hält die Primär/Sekundär-Unterscheidung für fundiert: Sie hat ihren Ursprung in der unmittelbaren Erfahrung. Von primären Qualitäten haben wir demnach einen direkten und deutlichen Begriff, d. h. unsere Sinne liefern uns Informationen darüber, was diese Qualitäten an sich selbst sind. Von sekundären Qualitäten haben wir hingegen einen bloß relationalen Begriff, nämlich einen Begriff von einer Relation, in der etwas zu uns selbst bzw. unseren Empfindungen steht. Realität, objektiv, formale (realitas obiectiva, formalis): Die objektive Realität eines Dinges ist die ontologische Beschaffenheit eines Dinges, das auf objektive Weise, d. h. als Objekt eines Denkaktes existiert. Die formale Realität eines Dinges ist die ontologische Beschaffenheit dieses Dinges, insofern es auf formale Weise, d. h. wirklich oder tatsächlich – und nicht bloß als vorgestelltes oder eingebildetes Objekt existiert. Descartes : Formale Realität ist eine Eigenschaft von wirklich existierenden Sachen. Wieviel formale Realität eine Sache hat, hängt davon ab, zu welchem Grad sie in ihrer Existenz von der Existenz anderer Sachen abhängig ist. Objektive Realität ist eine Eigenschaft, die nur Ideen zukommt. Welchen Grad an objektiver Realität eine Idee enthält, hängt davon ab, wieviel formale Realität die durch die Idee repräsentierte Sache hat bzw. – für den Fall, dass sie nicht wirklich existiert – hätte, falls sie wirklich existieren würde. Gassendi : Von Descartes in den Einwänden gegen die Meditationen übernommene Redeweise. Wieviel objektive Realität eine Idee hat, hängt für Gassendi allerdings nicht von der gesamten formalen Realität des durch die Idee repräsentierten Gegenstands ab, sondern von der formalen Realität des Teils des Gegenstands, der in der Idee repräsentiert wird. Reflexion (réflexion, reflection): Arnauld unterscheidet zwischen einer expliziten Reflexion (reflexion expresse) und einer virtuellen Reflexion (reflexion virtuelle). Die virtuelle Reflexion kommt jeder Perzeption zu, insofern sie auf ihre Idee, d. h. auf sich selbst gerichtet ist. Dadurch sind Ideen bzw. Perzeptionen bewusst. Im Gegensatz dazu besteht die explizite Reflexion in einer eigenen Idee (zweiter Stufe), die sich ihrerseits wieder auf eine Idee (erster Stufe) bezieht. Nach Arnauld gewinnt unter anderem die Mathematik ihre Erkenntnisse auf der Grundlage einer solchen expliziten Reflexion. Leibniz : Das Vermögen rationaler Substanzen, eigene Perzeptionen zu erfassen und sich ihrer bewusst zu werden. Locke : Neben der gebräuchlichen Rede von ‚Reflexion‘, mit der in der Regel die Tätigkeit des Nachdenkens gemeint ist, führt Locke eine technische Verwendung dieses Ausdrucks ein: In diesem Sinne ist unter ‚Reflexion‘ – neben der Sinnesempfindung – eine Quelle von Ideen zu verstehen, die wir durch Introspektion der Verstandestätigkeiten erhalten. Wer etwa denkt, kann dies tun, ohne darauf zu achten, dass er denkt; erst wer seine Aufmerksamkeit auf die Denktätigkeit lenkt, erhält Ideen der Reflexion. Berkeley übernimmt zum einen den technischen Begriff der Reflexion von Locke. Andererseits spricht er auch von einem nach innen gerichteten Gefühl als Reflexion das nicht im selben Sinne passiv sein kann wie der innere Sinn und das uns ein Bewusstsein unserer Existenz als aktiver, geistiger Wesen verschafft. Reid betrachtet Reflexion nicht nur als die Tätigkeit des Geistes sich seiner Tätigkeiten bewusst zu werden, sondern er sieht den analytischen Einsatz dieser Fähig-
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keit als einzige wahre Methode der Philosophie. Davon unterscheidet er den falschen Weg der Analogie, nämlich die Analyse menschlicher Vermögen durch deren Ähnlichkeit mit externen Objekten und Prozessen. Die Philosophie des Common Sense beruht auf Reflexion, die Ideentheorie auf Analogien. Repräsentation (représentation/ representation): Relation zwischen geistigen Inhalten und Gegenständen, durch welche die Inhalte für die Gegenstände stehen und Informationen über diese Gegenstände vermitteln. Malebranche: Repräsentation ist die Funktion, die Ideen als kognitive Vehikel erfüllen: Als Repräsentationen vermitteln sie sowohl Gott als auch dem Menschen Erkenntnis (Informationen) über die repräsentierten Gegenstände. Diese repräsentationale Funktion beruht auf der „Ähnlichkeit“ (Isomorphie), die zwischen Gegenständen und Ideen (als Archetypen der Gegenstände) besteht. Leibniz : Siehe ‚Ausdruck‘. Hume : Ideen sind Repräsentationen. Einfache Ideen repräsentieren einfache Eindrücke, zusammengesetzte Ideen zusammengesetzte Eindrücke. Sekundäre Ideen repräsentieren primäre, abstrakte Ideen repräsentieren Serien einfacher oder zusammengesetzter (pimärer und sekundärer) Ideen und Eindrücke. Die Relation der Repräsentation ist Perzeptionen äußerlich und nicht abhängig von ihren inneren Merkmalen. Spezies (species/ species): Dieser technische Ausdruck aus der scholastischen Tradition bezeichnet im psychologisch-erkenntnistheoretischen Kontext Formen („species“ übersetzt das griechische „eîdos“) als kognitive Vehikel. Scholastische Autoren unterschieden grundsätzlich drei Typen davon: Species in medio, die für die ‚Übertragung‘ der wahrnembaren Formen der Gegenstände durch das Medium der Sinneswahrnehmung hindurch verantwortlich sind; Species sensibiles, die die Aufnahme dieser Formen im Apparat der Sinnesorgane bewirken; und Species intelligibiles, die die Aufnahme der essentiellen Formen der Gegenstände im Intellekt ermöglichen. Eine weitere Unterscheidung, die in der Scholastik eingeführt wurde, ist die zwischen Species impressae und Species expressae. Erstere sind Spezies in der Rolle von Agenten, die die Aktualisierung eines kognitiven Vermögen (Sinneswahrnehmung, Intellekt) veranlassen; zweitere (auch intentiones genannt) sind Formen der Gegenstände, sofern sie vom aktualisierten Vermögen kognitv erfasst werden. Gassendi : Spezies entstehen, wenn von außen ein Gegenstand auf einen Sinn einwirkt. Gassendi unterscheidet zwischen zwei Arten von Spezies, Species impressae und Species expressae. Die Spezies impressa ist ein körperlicher Abdruck im Gehirn, der durch den körperlichen Prozess entsteht; die Species expressa ist das, was sich das Vorstellungsvermögen aufgrund dieses Abdrucks vorstellt. Substanz (substantia / substance / substance): Grundbegriff der aristotelischen Ontologie, der in der frühen Neuzeit verschiedentlich adaptiert wurde. Nach Aristoteles sind Substanzen Entitäten, die 1. Eigenschaften haben können, und 2. Veränderungen unterliegen, wenn sich diese Eigenschaften austauschen. Als solche sind Substanzen ontologisch unabhängig von ihren partikulären Eigenschaften: Sie können auch ohne diese Eigenschaften existieren. Descartes’ Ontologie enthält ausschließlich Substanzen und deren Modi. Substanzen können entweder körperlich oder geistig sein. Gassendi : Wir können keine Idee einer Substanz bilden. Da eine Substanz nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sondern immer nur ihre Eigenschaften wahrgenommen werden können, kann auf die Existenz der Substanz nur geschlossen werden.
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Spinoza : Unter einer Substanz versteht Spinoza das, was in sich selbst ist und durch sich selbst begriffen wird. Eine Substanz ist demnach etwas ontologisch und explanatorisch völlig Unabhängiges. Deshalb muss sie auch kausal autark sein. Für Spinoza gibt es nur eine Substanz: Gott. Malebranche fasst (cartesische) Substanzen als Entitäten auf, die unabhängig von weiteren Entitäten (außer Gott) existieren können und selbst Träger von Modi sind. Er unterscheidet ebenfalls körperliche und geistige Substanzen. – Im Fall Gottes verwendet Malebranche „Substanz“ als Synonym für „Essenz“. Leibniz kennzeichnet Substanzen als Gegenstände von Prädikationen, als Einheiten, und als aus sich selbst heraus spontan agierende Entitäten. Locke: Wir wissen nichts über Substanzen; unsere Substanzideen sind vielmehr das Resultat gewohnheitsmäßiger Unterstellung. Locke leugnet zwar nicht, dass Gott, begrenzte Intelligenzen und Körper Substanzen sind, nimmt aber an, dass wir von den mittelgroßen Gegenständen, die wir für Substanzen halten, lediglich Qualitäten erfassen. Dass wir gewohnheitsmäßig unterstellen, konstant zusammen auftretende Qualitäten gehören zu einer Substanz, beruht demnach nicht auf Erkenntnis, sondern auf unserer Unfähigkeit, uns vorzustellen, dass die Qualitäten unabhängig von einem Träger existieren können. Berkeley : Wir haben keine Ideen von Substanzen, sondern nur Begriffe (notions), da Substanzen für Berkeley wesentlich aktiv sind. Diese Begriffe gewinnen wir durch Reflexion auf unsere eigene Aktivität und durch Analogieschlüsse. Hume : Eine Substanz ist entweder etwas, das selbständig existieren kann. Da Perzeptionen als selbständig existierend gedacht werden können, wäre jede Perzeption eine Substanz. Das scheint den Begriff überflüssig zu machen. Oder eine Substanz ist Trägerin von Eigenschaften. Für Hume ist ein Ding oder ein Geist ein Bündel von Perzeptionen. Unabhängig von diesem Bündel gibt es jedoch keinen Eindruck von einer Trägerin, die die Idee der Substanz rechtfertigen könnte. Folglich lehnt Hume den Begriff der Substanz ab, es sei denn als Bezeichnung für Ansammlungen einfacher Ideen, die durch die Einbildungskraft vereint und durch einen sprachlichen Ausdruck als allgemeine Ideen fungieren können. Überzeugung (belief): Geistiger Zustand, in dem ein Subjekt einen gewissen Inhalt für wahr hält. Hume: Überzeugung (oder Glaube) ist ein Kernbegriff von Hume, der ihn in erster Annäherung als Idee, die mit einem Eindruck assoziiert ist definiert. Hume kritisiert die Dreiteilung von Vorstellung (Bildung einer Idee), Urteil (Verbinden von Ideen) und Schluss (Verbinden von Urteilen). Er meint, dass in der basalen Überzeugung, der Existenzüberzeugung, alle drei Akte enthalten sind. Da Existenz keine eigene Idee ist, sind Existenzurteile (X existiert) keine Verbindungen von Ideen, sondern Auffassungsweisen einer Idee. Eine Existenzüberzeugung unterscheidet sich nicht von bloßer Vorstellung, insofern beides Ideen von X sind. Eine Vorstellung wird zur Überzeugung durch Kraft und Lebendigkeit, die auf sie durch Kausalschlüsse von Eindrücken auf Ideen übertragen werden. Somit sind in einer Überzeugung Vorstellung (Idee von X), Urteil (die Idee von X als existierend) und Schluss (von einem Eindruck auf die Idee von X) vereint. Urteil (iudicium / jugement / judgement): Geistiger Akt, in dem Erfasstes in eine Form gebracht wird, das durch einen Aussagesatz ausgedrückt werden kann.
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Descartes : Laut den Principia und der Vierten Meditation handelt es sich bei einem Urteil um eine komplexe Handlung, die sich aus einer Tätigkeit des Verstands und einer Tätigkeit des Willens zusammensetzt. Gassendi : Synonym zu Proposition. Locke: Im weiteren Sinne basieren Urteile (affirmations, judgments) und Wissensakte auf der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung von Ideen. Urteile sind also affirmative oder negative Ideenverbindungen (mentale Sätze), die durch verbale Sätze ausgedrückt werden können. Viele Urteile sind nach Locke oft so sehr habitualisiert, dass sie unmerklich bzw. implizit vollzogen werden. Im vierten Buch des Essay (Kap. 14) legt Locke zudem einen technischen Sinn von ‚Urteil‘ (judgment) fest, um diesen deutlich vom Wissensbegriff zu unterscheiden: Demnach bestehen Urteile – anders als Wissensakte – nicht in der Wahrnehmung, sondern in der Unterstellung der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung von Ideen. Reid : Urteil oder Überzeugung (in Wahrnehmung und Erinnerung) sind bei Reid ein Vorgang der Affirmation. Affirmiert werden die Existenz der (wahrgenommenen und erinnerten) Objekte, Eigenschaften und Ereignisse. Vernunft (ratio / raison / reason): Geistiges Vermögen des Schlussfolgerns. Leibniz : Die Vernunft ist das Vermögen zur deduktiven Schlussfolgerung gemäß den ewigen notwendigen Wahrheiten. Hume: Vernunft hat bei Hume mehrere Bedeutungen und bezeichnet nicht nur die Fähigkeit zu intuitiven oder deduktiven, sondern auch zu wahrscheinlichen Erkenntnissen. Es gibt aber kein eigenständiges Vermögen der Vernunft. Sie ist die Einbildungskraft als intuitives bzw. als inferentielles Vermögen betrachtet. Vernunft besteht in nichts als Vergleichen und in der Aufdeckung entweder konstanter oder inkonstanter Relationen zwischen zwei oder mehr Ideen. Entweder werden Ideen aufgrund interner Eigenschaften mittels Intuition und Demonstration miteinander verglichen oder aufgrund von Erfahrung und Gewohnheit miteinander assoziiert. Reid bestimmt Vernunft als das Vermögen, Schlüsse zu ziehen. Grundlegender als dieses Vermögen ist der Common Sense als Vermögen der Beurteilung selbstevidenter Grundsätze. Verstand (intellectus / entendement / intellect): Geistiges Vermögen des Erfassens von Ideen. Descartes : Geistiges Vermögen, Ideen zu perzipieren. Malebranche : Der Verstand ist laut Malebranche der Geist selbst, sofern er denken, d. h. reine Ideen erfassen kann. Der Verstand ist aber ein rein passives Vermögen: Er vollzieht seine Denkakte nicht spontan, sondern nur insofern er durch die Ideen affiziert wird, die Gott ihm offenbart. Leibniz : Der Verstand umfasst alle klaren und deutlichen Ideen sowie das Vermögen zur Reflexion. Er erlaubt den Geistsubstanzen, Einsicht in die ewigen notwendigen Wahrheiten zu gewinnen. Locke : Im weiten Sinne das Wahrnehmungs- bzw. Denkvermögen des Menschen. Im zweiten Buch des Essay (Kap. 21) wird die Wahrnehmung von Ideen unterschieden von der Verstandesleistung im engeren Sinne, welche in der Wahrnehmung der Signifikation von Zeichen und in der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung von Ideen liegt. Vorschlagen (suggest): Berkeley : Da Objekte für Berkeley nur Ideenbündel sind, diese Objekte aber auch durch zahlreiche Ideen konstituiert werden, die wir in ihrer Wahrnehmung nicht
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perzipieren – etwa ihre Rückseite, ihr Inneres etc. –, muss Berkeley erklären, wie es dennoch zur Wahrnehmung solcher Objekte kommt. Seiner Ansicht nach perzipieren wir die für diese Objekte konstitutiven Ideen, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen, vermittels der Ideen war, die wir unmittelbar wahrnehmen, indem die unmittelbar wahrgenommenen Ideen uns die mittelbar wahrgenommenen vorschlagen. Diese Beziehung beruht auf Erfahrung. Reid greift Berkeleys Begriff des Vorschlagens auf, wendet ihn aber auf sein realistisches Common Sense Weltbild an und ergänzt Berkeleys durch Gewohnheit etablierten Vorschlagsbeziehungen durch angeborene Beziehungen („natural suggestion“): Empfindungen dienen uns als Zeichen für Eigenschaften der Gegenstände, die sie uns vorschlagen. Vorstellung (imaginatio; phantasia / imagination / imagination): Geistiger Akt oder Zustand, der Gegenstände sinnlich repräsentiert. Gassendi : Eine Vorstellung ist eine Handlung des Geistes. Wenn diese Handlung keine propositionale Einstellung mit einschließt, ist es eine einfache Vorstellung, die in einem Bild, das heißt einer Idee, eines Gegenstands resultiert. Beinhaltet die Vorstellung eine propositionale Einstellung, ist das Ergebnis eine zusammengesetzte Vorstellung, nämlich ein Urteil. Arnauld : Sinnliche Repräsentationen von Gegenständen in unserem Gehirn oder das Vermögen, diese körperlichen Repräsentationen zu erfassen. Nach Arnaulds Diagnose bedienen wir uns naturgemäß meist dieses Vermögens, obwohl damit keine klaren und deutlichen Ideen gewonnen werden können. Spinoza : Der Geist hat Vorstellungen, wenn er den Körper mittels der Ideen von Vorstellungsbildern betrachtet. Hume: Vorstellungen sind Ideen, denen die Kraft und Lebendigkeit von Überzeugungen fehlen. Reid : Die Vorstellung (conception) eines Gegenstands der Wahrnehmung (oder der Begriff (notion)) dieses Gegenstands ist keine propositionale Entität. Die Vorstellung wird der einfachen Apprehension (simple apprehension) angenähert. Alles Vorstellen ist ein Prozess: Dabei wird entweder sinnliches Material aus der Wahrnehmung oder der Erinnerung verwendet oder neue Begriffe werden aus alten zusammengesetzt. Im ersten Fall handelt es sich immer um die Vorstellung von Individuen, im zweiten Fall um die Vorstellung von Individuen oder von Universalien. Wahrheit, Falschheit (veritas, falsitas / vérité, fausseté; vrai, faux / truth, falsity): Descartes unterscheidet zwischen formaler und materialer Falschheit und Wahrheit. Formale Falschheit und Wahrheit kommt nicht Ideen, sondern ausschließlich Urteilen zu. Ideen dagegen können material falsch oder material wahr sein. Siehe auch Falschheit, materiale. Gassendi : Wahrheit bezieht sich in ihrem eigentlichen Sinn auf Urteile und besteht in der Übereinstimmung eines Urteils mit der Welt. In diesem Sinn kann sie auch auf Ideen angewendet werden. Außerdem gibt es einen Sinn von Wahrheit, dem keine Falschheit gegenübersteht, nämlich Wahrheit der Existenz oder Wahrheit der Essenz. Damit ist gemeint, dass jeder Gegenstand der Gegenstand ist, der er ist, unabhängig davon, wie wir ihn erfassen. Arnauld : Arnauld verwendet die Wörter „vrai “ / „faux“ sowohl in einem propositionalen als auch in einem ontologischen Sinn: Im propositionalen Sinn ist Wahrheit eine Eigenschaft der durch Ideen repräsentierten Inhalte. Im ontologischen
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Sinn sind die „vraies idées“, die richtigen Ideen (oder Perzeptionen), die von Malebranches falschen Ideen (den abstrakten Entitäten in Gott) unterschieden werden müssen. Spinoza : Wahrheit ist eine Eigenschaft von Ideen. Eine Idee ist genau dann wahr, wenn sie mit ihrem Gegenstand übereinstimmt. Wahre Ideen repräsentieren die Essenz ihres Gegenstandes und werden deswegen mit objektiven Essenzen gleichgesetzt. Eine wahre Idee ist immer auch eine Erkenntnis: Man kann nur wahre Ideen haben, wenn man weiß, dass sie wahr sind. Das Kriterium der einer wahren Idee ist ihre Adäquatheit. Malebranche hält Wahrheit für eine Relation zwischen Ideen: Erfasst man Ideen, so „sieht“ man auch Relationen, d. h. „Wahrheiten“, die zwischen ihnen bestehen. Wahrheit ist somit rein analytisch aus den Ideen ableitbar: Würde man alle Ideen vollständig erfassen, so könnte man auch alle Relationen zwischen ihnen, d. h. alle möglichen „Wahrheiten“, a priori erkennen. Da Ideen (als Archetypen der Gegenstände) die Gegenstände adäquat repräsentieren, ist der Gegenstandsbezug dieser „Wahrheiten“ a priori garantiert. – Falschheit bzw. Irrtum entsteht demnach, wenn der Geist sich bei seinen Urteilen über Gegenstände nicht auf adäquate Repräsentationen (Ideen) verlässt, sondern sich allein auf Sinnesempfindungen stützt, die keine Repräsentationen sind. Leibniz : Eine Proposition, die Subjekt-Prädikat-Struktur aufweist, ist genau dann wahr, wenn das Prädikat im Subjekt enthalten ist. Andernfalls ist sie falsch. Die Wahrheit/Falschheit von Propositionen aller anderen logischen Formen lassen sich auf die Wahrheit/Falschheit von solchen Propositionen zurückführen. Eine Idee ist genau dann wahr, wenn sie widerspruchsfrei ist. Andernfalls ist sie falsch. Berkeley : Bei Berkeley finden sich sowohl Hinweise auf ein kohärentistisches als auch ein korrespondenztheoretisches Wahrheitsverständnis. Wahrheit als Korrespondenz kann bei ihm allerdings nur als Übereinstimmung unserer Ideen mit den Ideen Gottes gedeutet werden, da es für ihn keine materielle Außenwelt gibt. Wahrnehmung, wahrnehmen (perceptio, percipere / perception, (ap-)percevoir / perception, perceive): vgl. auch Perzeption, perzipieren. Spinoza : Wahrnehmung ist die Repräsentation eines wirklich existierenden körperlichen oder geistigen Gegenstandes oder seiner Essenz. Der menschliche Geist nimmt alles wahr, was sich in seinem Körper ereignet und repräsentiert mithin alle Affektionen dieses Körpers. Er nimmt sogleich die Ideen dieser Affektionen wahr. Weil die Idee einer Affektion aber immer die Natur des affizierten und des affizierenden Körpers mit einschließt, nimmt der Körper vermittels seiner Affektionen auch seinen eigenen Körper und dessen Idee, sowie auf ihn einwirkende Körper und deren Ideen wahr. Malebranche : Mit „Wahrnehmung“ bzw. „wahrnehmen“ bezeichnet Malebranche undifferenziert sowohl das Erfassen von Gegenständen (Sinneswahrnehmung) als auch das Erfassen von Ideen. Im Fall einer Sinneswahrnehmung erfasst der Geist zugleich eine reine Idee in Gott und eine sinnliche Empfindung in sich. Reid : Wahrnehmungen äußerer Objekte involvieren immer drei Elemente: die Vorstellung (conception) oder den Begriff (notion) des Objekts, eine starke Überzeugung (conviction) seiner Präsenz, und dass die Wahrnehmungsüberzeugung (belief) direkt und nicht abgeleitet sei.
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Wille (voluntas / volonté, voulvoir / will): Aktives, geistiges Vermögen, Entscheidungen zutreffen. Descartes : Geistiges Vermögen, das für das Ablehnen, Begehren, Bejahen und Verneinen zuständig ist. Malebranche : Der Wille ist neben dem Verstand die zweite wesentliche Fähigkeit des Geistes. Um zu erläutern, wie sich Verstand und Wille zum Geist verhalten, rekurriert Malebranche auf eine Analogie mit der Materie: Als Verstand ähnelt der Geist der Materie, sofern sie Gestalten aufnehmen und durch sie geformt werden kann; als Wille ist er der Materie ähnlich, sofern sie Bewegung empfangen kann. In beiden Fähigkeiten erweist sich der Geist als gottesabhängig: Als Verstand wird er durch Gottes Ideen affiziert; als Wille wird er durch die natürliche Liebe zu Gott bewegt, die Gott ihm eingepflanzt hat. Hume zufolge ist der Wille kein Vermögen. Der Wille ist lediglich der innerlich gefühlte, bewusste Eindruck, den Akteure haben, wenn sie den Körper bewegen oder eine Idee bilden. Zeichen (sign, mark): Locke : Die Lehre von den Zeichen bildet nach Locke neben der Naturphilosophie und der praktischen Philosophie die dritte Kerndisziplin der Wissenschaften und beschäftigt sich mit den Ideen als mentalen und den Wörtern als verbalen Zeichen. Neben unserem mentalen und verbalen Zeichengebrauch gelten die einfachen Ideen als (von Gott festgelegte) Zeichen ihrer Ursachen, nämlich der Qualitäten der Dinge, die in uns Ideen erzeugen. Berkeley verwendet in seinem Essay towards a new theory of vision den Zeichenbegriff um die Beziehung des Vorschlagens (suggestion) zu beschreiben: Unmittelbar wahrgenommene Ideen dienen demnach als durch häufige Verknüpfung in der Erfahrung etablierte Zeichen für die nicht unmittelbar wahrnehmbaren Ideen, die Bestandteil des Ideenbündels (Gegenstands) sind. Reid : Empfindungen dienen uns als Zeichen für Eigenschaften der Gegenstände, die sie uns vorschlagen.
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Personenregister für Band 2
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Personenregister für Band 2 Seitenzahlen (n = in Fußnote)
1. Personen vor 1800 Albertus Magnus 223 Alexander v. Aphrodisias 103 Anselm v. Canterbury 299 Aristoteles 10, 17, 53, 88, 95–96, 120n, 134, 184, 223, 257n, 260, 272n, 293, 302, 438, 516 Arnauld, A. 24, 56, 128, 175, 178, 181, 184, 189, 190n, 209–232, 234–251, 293–295, 300–301, 305, 312, 314, 317, 323–324, 327, 337, 433, 469, 473–474, 480, 484, 488, 512–513, 515–519 Aubrey, J. 103 Augustin 170, 173, 180, 183, 224–226, 230, 239, 511n Averroes / Ibn Rushd 312 Beattie, J. 440 Berkeley, G. 277n, 339–376, 386, 393–394, 396, 402–403, 415, 423, 433–434, 436–437, 451–452, 475, 477, 480, 482, 486, 488, 493, 496–498, 508, 511–516, 518–519 Brucker, J. J. 448 Buffier, C. 439–440 Burman, F. 2n, 3, 13–14, 19, 33 Caterus, J. 27, 29, 35–38, 227, 243n Chambers, W. 385, 387 Cicero, M. T. 49, 406 Clark, S. 416 Cotes, R. 377n Cousin, V. 432 Dasypodius, C. 300 De Aesculo, J. 29
Des Bosses, B. 487n Descartes, R. passim Diogenes Laertius 63, 65, 69 Epikur 43, 54, 62–66, 76–77, 80, 217, 222 Euklid 197, 225, 229, 300 Fludd, R. 222 Foucher, S. 315 Galen, C. 91 Galilei, G. 84, 499n Gassendi, P. 43–82, 216–218, 224–225, 227, 264, 268, 484, 499, 511–513, 518 Gibieuf, G. 7, 13 Hamilton, W. 432 Harvey, W. 84 Helmont, J. B. van 431 Herkules 300, 311 Herlin, C. 300 Hobbes, Th. 83–122, 299, 238, 434, 465n, 473n Hume, D. 103, 340, 352, 365, 367, 377–421, 427, 431–433, 435–438, 475–476, 478, 480, 481–482, 485–486, 493, 511–514, 516–519 Jansen, C. 210, 216 Johannes Duns Scotus 29, 242n, 515 Johnson, S. 364n–365n Jouffroy, Th. S. 432
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Personenregister für Band 2
Kant, I. 192, 304, 365, 435, 469, 477n, 500n, 501, 503, 505–506 Leibniz, G. W. 101, 174, 209, 287–338, 389, 433, 473, 475, 483, 485, 487–490, 511–519 Locke, J. 58, 103, 181, 253–285, 293, 307, 310–313, 338–340, 343–345, 347, 352, 355–356, 358, 362, 364–365, 385–387, 389, 392–393, 399, 402, 433, 435, 437, 439, 473, 475–476, 480–483, 485–488, 493, 496, 499, 509, 511–513, 517, 519 Malebranche, N. 161–237, 239–241, 244, 246–249, 289–290, 293–294, 300–301, 304, 314–317, 320–321, 323–324, 339, 433–434, 475–478, 480–482, 484, 488, 498, 500–505, 512–519 Mayer, T. 417n Mersenne, M. 3, 13, 18–19, 58 Micraelius, J. 395 Newton, I. 377–378, 383–384, 392, 400, 416, 431 Nicole, P. 215, 469, 473 Oswald, J. 432
Paracelsus 431 Platon 204, 260, 272, 302, 311, 316–317, 320, 431 Plotin 167 Porphyr(ius) 53 Priestley, J. 435 Reid, Th. 27n, 169n, 274, 288, 401–402, 423–462, 476, 480, 494n Remond, N.-F. 317 Sophie Charlotte (Königin von Preußen) 296, 299, 306 Spinoza, B. de 123–159, 287, 403–404, 474, 477, 480–481, 485, 490n, 512–515, 517–519 Stewart, D. 432, 436 Stillingfleet, E. 282n, 433, 439 Suárez, F. 128, 171, 238n, 242n–243n, 238 Thomas von Aquin (Thomas de Aquino) 58, 171, 177, 215, 223, 299, 306 Toland, J. 306 Wilhelm von Alnwick 29 Wilhelm von St. Amour 304 Wolff, Chr. 463
2. Personen nach 1800 Ainslie, D. 380n Alanen, L. 11, 31n–32n, 36n, 39n Anderson, R. 386 Anscombe, E. 103 Árdal, P. 381n Armstrong, D. 406n–407n Ashworth, E. J. 265, 268n Atherton, M. 263, 344–346, 355, 436 Ayers, M. 30n, 39n, 272n Bacon, J. 401n Baier, A. 381n–382n, 386, 393 Baker, G. 8 Barfoot, M. 378n
Barnouw, J. 93 Barth, Ch. 174, 287, 316, 318, 320n–321, 324–325, 475n, 488n Baxter, D. 380n Bennett, J. 130, 137–138, 140–141, 144n, 153n Berry, Ch. 378n Biro, J. 378n Block, N. 470n Bolton, M. 344–345 Borcherding, J. 209, 480n, 484n Brandom, R. B. 246n, 294, 323n, 471n
Personenregister für Band 2 Brentano, F. 233–234, 247n, 249–250, 442, 467 Bricke, J. 395, 397 Broadie, A. 432 Broughton, J. 384 Brown, D. 31n–32n Butchvarov, P. 403n Campbell, K. 401–402n, 405, 407, 409–410 Capaldi, N. 378n Casullo, A. 420n Chappell, V. 2n, 9, 12, 20n–21, 30n, 32n, 39n Chisholm, R. 432, 444n Church, R. 231, 240n Cohon, R. 390 Connell, D. 171 Cook, M. L. 39n, 217, 229, 239n–240n Corcilius, K. 83, 465n Costa, M. J. 32n, 397 Couturat, L. 306 Craig, E. 359n Cronin, T. 242n Cummins, Ph. 348, 396 Cummins, R. 278n, 388 Curley, E. 12, 130–135 Dalbiez, R. 242n Daniel, S. H. 346, 352, 354–355 Daniels, N. 432 Dascal, M. 101 Dauer, F. 386 Davidson, D. 139 Dawson, H. 280n–281n de Bary, Ph. 428n, 432, 434 Della Rocca, M. 134, 136–137, 141, 144n, 151n Degenaar, M. 262 DeRose, K. 428n, 436 Deveaux, S. 135 Dicker, G. 398 Donagan, A. 135 Doney, W. 16 Doyle, J. P. 35n Dretske, F. 233n, 467n, 501n Ducasse, C. J. 444n
551
Echelbarger, Ch. 379n, 399 Edelberg, W. 16 Esfeld, M. 101 Everson, S. 386 Falkenstein, L. 416n, 480n Ferguson, S. 278n Ferrier, J. F. 432 Field, H. 470n Field, R. 11 Firth, R. 493 Flage, D. 345, 351, 386, 391, 396 Flew, A. 385, 397, 398 Fodor, J. 379n, 471n Fogelin, R. J. 347, 368n, 380n, 388–389, 391, 397 Force, J. 378n Frankfurt, H. 434 Franklin, J. 416n Frasca-Spada, M. 390 Frege, G. 215, 469 Gallie, R. 432 Gallois, A. 349 Ganault, J. 369n, 371n, 372n Garber, D. 344, 370n García-Gómez, S. 222, 244n–245n Garrett, D. 134, 139, 379n, 380n, 381n, 384, 387–388, 391, 394 Gendler-Szabo, Z. 349 Gewirth, A. 5 Ginsberg, M. 240n Glauser, R. 352 Govier, T. 385 Grave, S. A. 346 Grene, M. 384, 402n Grüne, S. 1, 177, 419, 481n Haag, J. 14, 233n, 239, 423, 463, 469n, 477n, 483n, 503n, 506n Hampe, M. 90 Hanna, R. 505n Harman, G. 470n Harrison, J. 381n, 390 Heidegger, M. 431 Hight, M. 352 Hodges, M. 397 Hoffman, P. 32n, 229, 231, 240n
552
Personenregister für Band 2
Horwitz, R. 255n, 267n Husserl, E. 247n, 248n, 250, 401n Jacquette, D. 233n, 467n Jesseph, D. 435 Jolley, N. 3, 7, 16–17, 19, 24n, 163n, 163n, 173, 183, 187, 191n, 206n, 275n, 303, 488n, 503n Kail, P. 402n Kambartel, F. 274n Katz, J. 284n Kaufman, D. 9, 11 Kemmerling, A. 2n, 6, 14, 17, 24n, 39, 40n, 266n Kemp Smith, N. 378n, 381, 384–385, 391, 395, 397 Kemp, C. 386 Kenny, A. 12, 16–17, 27n, 30n Kilcullen, J. 209n Kneale, M. 215 Kneale, W. 215 Kremer, E. 229, 240n, 245n Krüger, L. 273n, 274n, 275n Kulstad, M. 294, 323n, 328n, 330n Lachs, J. 397 Laird, J. 240n, 386 Lehrer, K. 426n, 432 Leijenhorst, C. 91–93, 95, 110n Lennon, Th. 282n Lenz, M. 253, 473n, 480n, 486n LePore, E. 470n, 471n Lewis, D. 404n Lewis, R. 281n Lightner, D. T. 394 Loeb, L. 397 Lokhorst, G. J. C. 262 LoLordo, A. 50–51, 79n, 225 Lovejoy, A. O. 229, 231, 240n Lowe, J. 473n Mackie, J. 359n, 381n MacNabb, D. 397 Madden, E. H. 432 Malcolm, N. 6 Manns, J. 432 Marcil-Lacoste, L. 436
Marenbon, J. 215 Martial, G. 134 McGrath, M. 470n McIntyre, J. 378n McRae, R. 328n Menn, S. 217 Mercer, Ch. 315n, 337n Moore, G. E. 423n, 432 Moreau, D. 164n, 168, 209n, 212n Moreland, J. 406n Morris, K. 8 Morris, W. E. 380n Mounce, H. O. 381n Muehlman, R. G. 344–345, 348, 35, 254–355 Nadler, S. 31n, 139, 141, 162n, 167–168, 173, 180, 185, 195n, 200n, 201n, 203n, 218–219, 229, 240n, 244n Newman, L. 263, 281n, 283n, 284n Nichols, R. 435, 440, 442n Nidditch, P. H. 253n Nolte, K. 273n Noonan, H. 388 Normore, C. 226–227, 242n Norton, D. F. 386 Noxon, J. 378n Owen, D. 379n, 386, 390, 399 Pakaluk, M. 436 Panaccio, C. 268n Pappas, G. 344, 346–347, 349, 351–352, 359n, 360n, 361n, 365n. 444n Pasnau, R. 58, 441 Passmore, J. 378n, 397 Patterson, S. 5 Pears, P. 380n, 391, 397 Peppers-Bates, S. 173, 175–176, 187, 206n Perler, D. 2, 5, 6, 7, 9, 12, 16, 17, 18, 29n, 31n, 33n, 35n, 36n, 138, 177, 193n, 194n, 226–227, 240n, 242n, 260–261, 277n, 292, 499n, 507n Pessin, A. 481n Pitcher, G. 347, 349, 351–352, 354, 371n, 375n Popkin, R. 380n
Personenregister für Band 2 Price, H. 397 Prior, A. 349, 371n Puryear, S. 308 Puster, R. W. 259 Pyle, A. 171, 174, 484n, 503n Radner, D. 194n, 229, 237n, 238n, 240n, 245n Reid, J. 196n Risse, W. 220 Rorty, R. 27n, 431 Royer-Collard, P.-P. 432, 435 Rubini, P. 161, 476n, 480n, 501n Russell, B. 306, 349, 371, 385, 396 Ryan, T. 346, 348 Rysiew, P. 426n, 430n, 436 Saidel, E. 349 Saporiti, K. 277n, 344–345, 434 Schiffer, S. 470n Schimberg, A. 435 Schmaltz, T. 187, 206n Schmid, S. 123, 135, 209, 480n, 484n, 490n Schuhmann, K. 89 Schulthess, D. 436 Schütt, H.-P. 377n Schuurman, P. 269n Searle, J. R. 430n, 451n, 467n, 468 Seidl, M. 43, 484n, 499n Sellars, W. 366n, 444n, 446n, 450n, 468n–470n, 490, 496n–497n, 499n Shoemaker, S. 501n Specht, R. 274n Spruit, L. 49, 56, 94, 224, 266n, 302, 441 Staudacher, A. 450n, 459n, 462n Stoichita, P. 123, 316, 318n, 320n, 321, 324, 480n, 490n Strauss, L. 85n Strawson, P. 381n, 455n, 469n
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Stroud, B. 381n, 385, 397 Swoyer, C. 294, 323n Tachau, K. 94, 224 Thiel, U. 255n, 260, 264, 273n, 283n Thöle, B. 37n Tidman, P. 394 Tipton, I. 346, 371n Tönnies, F. 97 Traiger, S. 391 Tye, M. 446n, 475n, 501n Van Cleve, J. 454–455 Wahl, R. 212n Walker, R. 133, 156n Walter, K.-F. 486n Watkins, J. W. N. 88n Weinberg, J. 345 Weintraub, R. 394 Wells, N. 32n, 36n, 226–227, 238n, 241n–243n Wild, M. 258n, 261, 273n, 277n, 377, 386, 397, 420n, 423, 478n, 482n, 499n Willaschek, M. 434 Williams, B. 27n Williams, D. C. 401n–402n Wilson, F. 380n, 397 Wilson, M. 11, 14, 16–17, 129, 132, 135 Winkler, K. 343, 346–348, 352, 362n, 370n, 367n Wittgenstein, L. 429n Wolfson, H. A. 134 Wolterstorff, N. 429n, 432, 436, 455 Wood, P. B. 432 Wright, J. 386, 297, 400 Yolton, J. 31n, 255n, 258n, 386, 434, 475n Yovel, Y. 141
554
Personenregister für Band 2
Sachregister für Band 2
555
Sachregister für Band 2 Seitenzahlen (n = in Fußnote) Abstraktion / abstrakt 45, 48–50, 58, 60–61, 69–71, 73–76, 112–115, 135–136, 173–174, 176, 185, 194, 196, 200, 203, 205–206, 220, 224, 263, 265, 274n, 275n, 276–277, 281, 283, 293, 296, 302, 313, 319–320, 321n, 339, 343–345, 348, 356, 358–365, 367–369, 372–373, 375, 379, 392–395, 401, 405–407, 410, 414, 416, 419n, 466, 470–472, 494, 496, 504, 511, 515, 519 Abstraktionismus 344–345, 360, 367 Adäquatheit / adäquat 60, 126–127, 129, 132, 136, 140–141, 150–159, 163, 165–166, 181–183, 188–189, 191–194, 198, 200, 282, 295, 297, 482, 490–491, 509, 517–518 Adverbialismus 191n, 314–324, 337, 346, 440–449, 475–476, 494, 501–502, 504, 508, 510 Affekt / Affektion 2, 21–22, 86, 89, 92, 94, 102–103, 125, 127, 136, 139–140, 148–150, 152–153, 170, 172, 176, 180, 182–183, 186, 190, 193, 202n, 261, 273–275, 277, 292, 389–390, 443–444, 460, 513–514, 516, 519 Aggregation 50, 69–70 Ähnlichkeit / ähnlich 57, 63, 65–66, 82, 179, 190–192, 194–196, 199, 224, 241, 261, 277, 307, 316, 318, 341, 347–348, 350, 355, 388–389, 392–396, 398, 405–406, 408, 411–414, 417–418, 427, 433, 436–437, 453, 457–459, 479–481, 512–514, 519 – Ähnlichkeitsprinzip 347–348, 350, 481–482, 512
– Ähnlichkeitsthese 388, 436–437 Aktivität / aktiv / aktivieren 4, 12, 19, 21, 55, 146, 170–171, 184, 206n, 218–219, 243, 260–261, 276–277, 279, 289–290, 302–304, 309, 313, 329, 333, 340–342, 349–350, 352, 354, 366–367, 390, 433, 488, 511–516 Akzidenz/ akzidentell 34, 36, 46, 88–89, 104n, 106–115, 117, 119, 212, 225, 263, 306, 323, 326–327, 330–331, 393, 401n Analogie / Analogieschluss / analog 60, 63, 65–66, 76, 91, 218, 222–223, 265, 268, 281, 318, 349–350, 354, 365, 376, 397, 400, 416, 424, 429, 437, 445–446, 456–458, 468n, 469–470 Analyse / analysierbar / analysieren 43, 77, 81–82, 84, 182, 186–189, 204n, 205–206, 212, 214, 216, 232, 234, 236, 242n, 266n, 269–270, 274–275, 297–299, 301, 305, 319, 323, 337, 346, 367, 371, 373, 386, 388, 397–398, 418n, 424, 433, 440, 442–449, 453, 455, 459, 461, 465, 469n, 480, 488n, 490, 494, 506, 509–510, 515, 517 Antiabstraktionismus 344–345, 367 Anti-Intellektualismus 435 Antimaterialismus 343–344 Antirealist / antirealistisch 91, 107f Anti-Repräsentationalismus 476 Apprehension / apprehensio (lat.) / apprehension (engl.) 215, 262, 438, 455, 513 Archetyp / archetypisch 171, 179–180, 186, 192, 194, 196, 198, 200, 204, 211,
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Sachregister für Band 2
231–232, 235–236, 241, 284n, 512, 517 Aristotelismus / aristotelisch 10, 16, 53, 56, 93–95, 128, 170, 183–184, 189, 193n, 215, 218, 221, 223, 257n, 269n, 281, 302, 304, 313–314, 323, 333, 334n, 431, 438, 515 Art / Artbegriff 52–53, 67, 263, 265 Assoziation / assoziativ / assoziieren 81–82, 95, 97–98, 100, 270n, 276n, 352, 380, 383, 392–395, 397, 399–400, 402, 408, 418, 420, 433, 511–514 Atomismus / Atomisten / atomistisch 43–45, 47, 56, 63, 76, 274n, 276n, 431, 486 Attribut 16, 50–51, 124, 126, 128, 130, 134–138, 142–144, 151–152, 154, 225, 316–319, 323, 341, 403, 475, 477, 481, 512–515 Aufmerksamkeit 95, 129, 165, 174, 176, 182, 204–206, 255, 260, 273, 366, 384, 459, 516 Augustinismus / augustinisch 216, 222, 503n Ausdehnung / ausgedehnt / Ausgedehntheit 4, 16, 90, 111–112, 114, 117, 124, 127–128, 130, 132, 134, 136–139, 142–149, 154–157, 159, 161, 169, 173, 184–187, 191–193, 197–198, 207, 224–225, 236n, 241, 246, 249, 302, 341, 348, 361, 386, 414–420, 437–438, 451, 461, 479, 480–481, 487, 502–503, 509–510, 512–514 – A. als Prinzip der Körperlichkeit 172–173, 198 – intelligible A. 181, 186–187, 196–200, 203, 512 Bedeutung 113, 142, 158–159, 220, 316, 321, 346, 351, 353, 393, 436, 440, 454n, 456, 468–472, 511 Begriff (notion) 63–64, 67, 147–148, 186, 195, 238n, 266, 283, 299, 452–454, 462n, 512–513 – Begriffsbildung 48, 77, 269
– Begriffspräsupposition 283 – Begriffsrollensemantik 470n, 471n Betrug / Irrtum der Sinne 119, 141, 162–163, 166 Bewegung 14, 17, 54–55, 78, 82, 84–87, 89–93, 95–100, 104–106, 109, 112, 114–122, 125, 131, 138–139, 141, 153–154, 173, 184, 187, 192, 198, 275, 301, 308, 316, 318, 341, 355, 363, 381, 395, 400, 430, 437, 451, 516 – Bewegungsursache 93, 98, 102, 115–116, 122 – Trägheit von B. 95 Bewusstsein / bewusst 50, 73, 81–82, 98, 125, 127, 147, 230, 240n, 250, 260–261, 266, 270, 274, 275n, 276, 291, 301, 303, 311, 313, 316, 327–328, 340, 342, 349, 356, 366, 380, 384, 409n, 421, 427, 432, 435–436, 438, 442, 449–450, 452–453, 456, 468n, 475, 478, 482–483, 487–490, 496, 500, 514–515, 519 Bezeichnung, extrinsische 27, 29–30, 35–38, 306, 394 Bezugnahme, intentionale 234, 448–449, 450n, 465–466, 501 Bild 16, 45n, 51, 57, 60, 64, 71, 75, 78, 81, 102, 224, 241, 371, 378, 416, 431, 441, 454, 456–460, 513 Bündel 45, 148, 154, 262, 281, 339, 346, 352, 368, 402–403, 421, 435, 481, 515–516 – Tropenbündel 406–407, 412, 420–421 – Bündelbündel 420–421 Cartesianismus / Cartesianer / cartesianisch / cartesisch 1–2, 14, 39, 163, 177, 183, 188–191, 195, 198, 214, 218, 226, 228, 268n, 294–295, 311, 314–315, 317, 344, 377–378, 384, 438, 476, 481, 485, 487–488, 501, 512, 519 cogito 231, 434, 438 Common-Sense 342, 432, 435–436, 459, 476 conatus 90, 93, 136
Sachregister für Band 2 Definition 51–53, 66–72, 81, 85–86, 88, 97, 99, 113–114, 121, 195, 198, 261, 295, 299, 309 – Nominaldefinition 52–53, 113–114, 296–297, 299, 307–308, 310 – Realdefinition / Wesensdefinition 52–53, 79, 113–114, 299 Denken / Denkakt 4, 6–7, 16, 18–20, 23n, 29, 40, 63, 78, 99–102, 121, 124–125, 128, 134, 136–138, 142–147, 151–152, 154, 174, 179–181, 191, 205, 212, 214–216, 218, 224–225, 232, 234–235, 237–239, 241, 245–246, 249, 253–254, 259–260, 265–266, 267n, 271–273, 276, 279–280, 283–284, 292, 303–304, 311–313, 316–329, 336–338, 340, 376, 379–380, 383–384, 386, 403, 431, 433–434, 445, 453, 458, 465–466, 469–470, 472, 474–477, 481, 512–515 – Denkepisoden 172, 176, 255n, 265–266, 271–272, 274–276, 278–279, 281–282, 511 – Denkvermögen / Denkfähigkeit 181, 183, 256, 292–294, 303, 311–312, 314, 322, 329, 336, 475 Determinablen und Determinanten 411–412 Differenzwerte 92, 121 Ding passim – ausgedehntes D. 4, 12, 136, 225 – denkendes D. 225 Disposition / dispositional 2–3, 7, 12, 17–19, 36, 97, 103, 165, 170, 173–174, 183, 191–192, 198, 311, 329, 432, 475, 487–489, 491–493, 505, 509, 515 – Dispositionslehre / dispositionale Theorie 12, 173, 183 – kognitive D.en (Vermögen) 173, 183–184 distinctio rationis / distinction of reason / Vernunftunterscheidung 134–135, 395, 389, 395, 410 distinctio realis 395 Druck 104
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– Druckbewegung 90–91, 95, 120 – Druck-Reaktions-Modell 121 Dualismus / dualistisch 4, 12, 161–162, 164, 169–170, 184, 188, 190, 222, 227, 242n, 445 Eigenschaft vgl. auch Qualitäten – dispositionale E. 191, 198, 491–493, 509 – essentielle / wesentliche E. 4–5, 33, 34, 36, 50–52, 70, 134, 136, 171, 174, 182, 186, 188, 190, 193, 194n, 195, 197, 198–200, 225, 246, 263, 302, 303, 310, 332, 356, 504, 512–513, 519. – geometrische E. 185, 191–192, 198, 207, 307, 348, 512, 516 – primäre vs. sekundäre E. bzw. Qualitäten 11, 182, 185–186, 191, 198, 202, 204–205, 220, 261, 271–272, 277–278, 341–344, 348, 437, 452–453, 459, 462n, 480, 499, 502–503, 509 – reale E. 168, 182, 191, 421 – sinnliche E. bzw. Qualitäten 51, 61, 72, 91, 185, 190–191, 219, 296–297, 300, 302, 306–308, 481, 491–493, 498–499, 501–502, 504–506 – supervenierende E. 119 Einbildung / Einbildungskraft / einbilden 3–5, 10, 13–14, 17–21, 84, 104, 216, 301, 309, 340–342, 345, 350, 384, 390–392, 395–396, 398, 404, 409, 448, 457, 513–514, 519 Eindruck/ Sinneseindruck 44–46, 49–51, 54–56, 60, 68, 70–72, 74–75, 77–82, 86, 89, 91–93, 105, 107–109, 114, 121, 149, 164, 217–219, 379–380, 382–393, 396–398, 400–403, 405–421, 432–433, 478, 481, 486–487, 489, 511, 513–514, 518–519 Einzelding / Individuum 32–34, 51–52, 75, 138, 142, 145–146, 152–153, 290–291, 296, 301–302, 306, 325n, 326–328, 330–335, 341n, 344–345, 356, 365, 373, 394, 401n, 404n, 405–408, 412–414, 455–457, 466, 472, 496–497, 516, 518
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Sachregister für Band 2
eminent 11, 171, 184, 193 Emotion / emotional 84, 96, 102, 123, 127, 185, 255, 272–273, 275n, 380, 386, 403n, 425, 430, 516 Empfindung / empfinden 3–8, 14, 20–21, 83–86, 88–93, 95–96, 99, 104–107, 109–112, 114–121, 142–143, 162n, 165–166, 168, 176, 179, 181–183, 185–188, 190–191, 194, 199, 202–207, 213n, 225, 235n, 256, 260–261, 267n, 273, 276–277, 380, 382–384, 386, 390, 402, 403n, 419, 421, 431–433, 436–439, 441–454, 458–462, 501–505, 514, 517–519 – E. als nicht repräsentierend 182, 190–191, 203–205 – E.en partikularisieren Ideen 186, 188, 199, 203, 518 – innere E. 169, 179, 181, 194n Empirismus / Empirist / empiristisch 74, 88, 107, 170–171, 189–191, 216–218, 291, 306, 310, 340, 356, 357–358, 363, 367, 435, 476, 482, 491, 493, 506 Engel 4, 7, 19, 22, 258, 306 Erfahrung 45–47, 49, 51, 60, 63, 65–66, 68–69, 73, 77, 82, 96, 112, 115, 120, 122, 147, 166, 179, 206, 207, 247n, 248, 253, 255, 261, 269–273, 303, 340, 349, 354, 355, 358, 373, 378, 382–383, 388–389, 391, 397, 403, 407, 450–452, 486n. 487–491, 493, 503, 506, 514 Erinnerung/ Erinnerungsvermögen / erinnern 13, 63, 92, 95–96, 98, 139, 150n, 205, 255, 277, 311, 334, 345, 379, 384, 397, 420, 427, 433, 448, 451, 455, 486n, 514 Erkenntnis – analytische E. 155, 177, 195, 197–198, 200, 207 – apriorische E. 15, 131, 163, 165–166, 172, 175–177, 179, 180, 182–183, 186–195, 200n, 204–207, 391, 503, 517 – diskursive E. 102, 141, 476–477
– intuitive E. / Intuition 141, 255n, 264, 295, 297–298, 391, 397–398, 477n, 491, 518 – irrtumsfreie E. 161–163, 166, 519 – menschliche E. 83–84, 86, 88, 94, 99, 164, 179, 289 – sinnliche E. 88, 216, 222 – Erkenntnisformen 83–85, 87–89, 95, 98–99, 102, 104 – Erkenntnisvermögen 48, 257n – E. von Fremdgeistigem 169, 172 – Selbsterkenntnis 179, 185 Erkenntnistheorie/ erkenntnistheoretisch 43–45, 61, 62n, 63, 81, 83–84, 86, 88–89, 92, 95, 98, 102, 104, 107, 121, 123, 124–126, 142, 145–147, 164–166, 167n, 174, 181, 183, 185, 188–190, 192, 195, 199, 201, 204, 216, 220, 223, 247n, 250, 353, 376, 381, 464 Erscheinungen/ Erscheinungsweise (manner of appearance) 48, 86, 88, 94, 96–97, 104n, 106–111, 113–115, 117–120, 122, 275, 307, 377, 389, 392, 415–416, 418–419 Essenz / essentiell 52–53, 57, 79, 128–131, 133, 135, 140, 143, 144, 148, 150–151, 157–159, 164, 171–175, 177–180, 182–184, 186–187, 189–200, 204–207, 211, 214, 219, 225, 231, 235–236, 246n, 250–251, 258, 263–265, 278, 281–282, 301–302, 310, 316, 321–322, 355, 393, 402, 514 – objektive E. 128–129, 148, 150, 157, 514 Ethik 123, 127, 267 Ewigkeit/ ewig 45, 57, 126, 141, 165, 175, 212, 235, 246, 280, 431, 516 Existenz (Sein) – formale E. 8–10, 28, 30–35, 39–41, 56, 128, 242–243, 514–515 – objektive E. 8–10, 12, 27–41, 56–57, 78, 145, 213, 223, 226–227, 234, 237–238, 241–250, 514–515 – E. von Körpern bzw. Gegenständen 112, 177, 182, 205n
Sachregister für Band 2 Extension 50, 220, 296, 315, 324–325, 337, 472 Falschheit / falsch 54, 59, 101, 129, 132, 136, 141, 148n, 157–159, 206, 209, 211, 214, 220, 225, 271, 282, 299, 352–353, 375, 379, 425–427, 467, 469, 471, 483–485 – materiale F. 10–11, 24, 34, 515 Farbe 11, 51, 71–72, 74–75, 79, 104, 170, 176, 185, 190, 202–203, 220, 223, 263, 269, 278n, 301, 344, 348, 357–358, 360–362, 364n, 388, 395, 406–417, 419, 437, 441, 462, 466, 491–492, 495, 497, 509–510 – Farbpunkt 415–419 – Farbschattierung 357–362, 388–389, 410–412, 414, 417, 494–496 – Farbton 412, 415–416 Fehlrepräsentation/ fehlrepräsentieren 479, 489, 509 Figur 1–2, 16, 223, 232, 297, 300–301, 311, 461, 512–513 Fiktion 12–13, 15, 131–132, 181, 233, 272–274, 313, 379, 515 Form 2, 6–7, 10, 16–17, 19, 47, 55–57, 72, 78–79, 94, 128, 131, 164, 184, 193n, 196, 215, 223–224, 262, 316–322, 348, 362n, 395, 406, 410n, 414–415, 437, 441, 462, 474, 500–501 Freiheit 123–127, 132, 210, 398, 514 Fundamentalismus, erkenntnistheoretischer 216, 376, 428, 489 ff., 506 f. Gedanken 5, 16, 20–23, 26–27, 35, 41, 58, 63, 83, 101, 106, 143, 146–147, 162n, 168–169, 176, 180, 194, 199n, 201, 217, 235, 237–238, 239n, 241–242, 245, 262, 268, 273, 292, 298, 300, 309–312, 314, 316–320, 325, 328n, 336n, 371, 373, 393, 399, 427, 443–448, 451, 465, 468, 470–472, 474, 513 – einfache G. 6, 22–23, 24n, 88–89, 97 – Gedankenkette 97–98 – gelenkte / ungelenkte G. 97–98
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Gefühl siehe Affekt, Emotion, Leidenschaft Gegenstand – Gegenstandskonstitution 258, 262, 281, 458 – G., materieller 28, 162, 176, 182, 184, 190–192, 194, 197–198, 201, 202n, 223, 226, 234, 239n, 242, 264, 277n, 339, 347, 349, 352, 368, 370, 386, 437, 510, 519 Gehalt/ Inhalt 6, 16, 18–19, 44–45, 50, 57, 60, 62, 64, 68–82, 84–85, 87–90, 92–93, 95–96, 99–106, 109–111, 114–116, 118–121, 128, 136, 142, 145, 147–148, 157–159, 165–166, 169, 181, 184–185, 189–191, 199, 201, 204, 210, 212–215, 217, 220, 223, 225–227, 230–233, 240, 243–244, 248, 255, 259–260, 264–266, 273, 278, 283, 299, 310–311, 318–320, 322–323, 325–326, 329, 332–333, 349–350, 356–358, 364, 366, 369, 375n, 384, 399, 438–439, 443–449, 463, 467, 470, 472–475, 477–480, 482–486, 489–492, 494–497, 499–501, 505–507, 511–512, 514, 519 Gehirn 1, 4, 14, 54–57, 77–79, 82, 90, 96, 144, 146, 170, 180, 217, 513 Geist (=spirit) 349, 351, 367–368, 477, 515–516 Geist / Seele passim – Passivität des G.s 21, 46, 164, 173, 175–176, 180–181, 184, 193, 206, 218, 348–350, 360, 366–367, 376, 441, 512, 515, 517 Gemeinsinn / gemeinsinnlich 3, 14, 296, 308–309, 431, 513, 516 Genealogie (von Vorurteilen) 220–221 Gestalt 55–56, 63, 185–187, 192–193, 197–199, 308–309, 341, 358–359, 362, 377, 462, 491–492, 494, 512–513, 516 Gewissheit 47, 59, 129, 163, 165, 178, 182, 217, 228–229, 253, 256, 265, 267–268, 415, 423, 431, 454 – apriorische G. 165, 180
560
Sachregister für Band 2
– epistemische vs. psychologische G. 163 Gleichheit / Ungleichheit 212–213, 347–348, 412, 414, 417 Glück / Unglück 123–127, 136, 287–288 Gott / göttlich passim – Schöpfergott 61, 179, 186, 195, 278, 291 – Abhängigkeit des Geistes von G. 164, 173, 176 – G. als dem Geist gegenwärtig / mit ihm vereint 164, 172, 176 Gottesbeweis 167n, 175, 177–181, 232 – ideentheoretischer G. 15, 181, 229, 231 – ontologischer G. 15, 177, 231, 298–299 Grundsätze, erste 425–430, 434–435, 516 Handlung 125–126, 144, 210, 267, 288–289, 328, 332, 380–381, 446, 449, 515–516 Humes Gabelung (Hume’s fork) 391, 398 Idealismus 343–344, 347, 355–356, 359, 367–368, 375, 401, 405 Idee passim – abstrakte I. 60, 344–345, 348, 356, 358–360, 362–365, 372, 511 – adäquate / inadäquate I. 60, 129, 141, 151, 153, 155, 517 – angeborene I. 2, 6, 19, 45, 61, 80, 192, 217, 389, 487, 488 – bildliche I. 3, 22, 513, 516 – deutliche / verworrene I. 13, 50, 127, 129, 140, 150–151, 155, 158, 182, 220, 295–296, 307–308, 394, 404, 482–483, 500, 517, 518 – einfache / komplexe I. 6, 22–23, 24n, 45, 48, 53, 73, 77, 80, 83–86, 88, 89, 92–93, 97, 100, 103, 116, 120–121, 132, 142, 215, 217, 261–262, 264, 269n, 270, 272n, 274–282, 284, 328, 330, 339, 356, 358–359, 360, 362, 364, 368, 388,
– – – –
– – – – – – – –
–
– – –
393, 398, 410n, 450, 459, 474, 479n, 485–487, 506, 512, 517–519 erworbene I. 19, 191, 216, 269, 388, 487–488 göttliche I. (I. in Gott) 176, 180, 194, 242n, 300, 305, 353, 503–504 intellektuelle I. / sinnliche I. 11, 18, 61, 71–73, 199, 216, 290, 308, 362, 364, 372, 487, 491, 494–497, 499–500 klare / dunkle I. 5, 13, 19, 33, 34, 50, 127, 140, 155, 163, 182, 185, 217, 220, 245, 295–296, 300, 394, 395, 404, 482–483, 517–518 material falsche I. 10, 11, 24, 34 positive I. 11, 396–397 relative I. 386, 396–397 sinnliche I. (siehe intellektuelle Ideen) verworrene I. 182, 185, 220, 517 von außen hinzukommende I. 7, 12–13, 18, 489 I. als definitorischer Begriff 51–53, 66–70, 72, 74, 195–197 I. als Disposition (Vermögen) zum Denken 2, 3, 7, 12, 17, 18, 19, 36, 103, 170, 173–174, 183, 191, 293, 303, 311–312, 322, 329, 334n, 475, 487–489 I. als Essenz / Perfektion / Archetyp der Gegenstände 49, 128–129, 133, 140, 148, 150–151, 157, 171–175, 177–180, 182–184, 186–187, 192–200, 204–207, 211, 214, 219, 231, 235–236, 514 I. als kognitiv wirksam 175, 200, 266 I. als Modus der intelligiblen Ausdehnung 186–187, 196–200, 502, 512 I. als Repräsentation 6, 16–17, 22, 26, 30, 32, 55, 57, 61, 64, 139, 145–148, 162, 165–166, 169–170, 172, 178–179, 182, 183, 184, 188–195, 198–201, 213, 223, 225, 230, 234, 236, 238, 241n, 246, 248–249, 266n, 276–277, 279, 294, 307, 322–323, 326, 327, 343, 347, 350, 356, 385–386, 391, 394, 402, 463, 476, 478–483, 491–492, 495, 499, 508–511, 513, 514
Sachregister für Band 2 – I. als unmittelbares Objekt des Geistes 17, 27, 30, 41, 149, 162, 167–168, 180, 214, 229, 235, 239, 311, 316, 320, 345, 357, 385, 431, 440, 456 – Ideenbündel 45, 151n, 154, 262, 281, 339, 341, 342, 346, 352, 368, 435, 476, 515 – I. der Einbildungskraft 13, 18, 341, 342, 345, 350, 391, 395, 396, 409n, 513, 514, 519 – I. des reinen Geistes 13, 18 – I. Gottes 7, 12, 13, 15, 19, 60, 61, 99, 103, 130, 138, 145, 177, 229, 232, 397, 398 – Ideenkonformität 264, 282–283 – I. materialiter / objective / formaliter betrachtet 4, 6, 9, 16–18, 20, 24–25, 27–28, 78–79, 130, 145, 189, 213, 226–227, 243, 259–260, 279, 474, 497, 518 – Ideentheoretiker 61, 423–424, 429, 433, 437, 448, 473, 492–493, 497–501, 509 – Ideentheorie 2, 4, 15, 19, 43–44, 55, 58, 60–62, 66–67, 126–127, 155, 159, 161–163, 167, 170–181, 183, 186–187, 196, 198–199, 201, 206, 210–212, 221, 228–229, 231, 234–235, 247–250, 256, 265–267, 272, 276,278, 280, 284–285, 287, 291–292, 314, 317, 320, 326n, 356, 359, 363, 381–382, 384, 390, 401–402, 421, 423–424, 427, 429, 431–432, 434, 435, 437–438, 440–441, 448, 453, 456, 464, 473–476, 478, 480, 481n, 483–484, 486–489, 491–494, 497–501, 503, 506, 508–510, 515 – Ideenverarbeitung 260, 274 – Ideenverknüpfung 281, 283–284 – I. von einer wahren und unveränderlichen Natur 13 – I. von mir selbst gemacht 7, 12 Identität 105–106, 119, 137, 144–148, 150, 153, 254, 255n, 264,283, 299–300, 305, 316, 324, 355, 368, 380, 392, 412, 414, 418, 421, 427, 435, 480, 514–515
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– Identität der Person / personale I. 380, 427, 435 – qualitative I. 137, 412, 414, 418 Inhärenz 134 Innatismus / innatistisch 170–171, 174, 389, 488 Intellekt 48–49, 58, 215, 218, 223–224, 226, 232, 243, 266, 300, 304, 395, 441, 515 Intelligibilität / intelligibel 94, 170, 172, 175, 178, 180–181, 186–188, 196–203, 223–224, 242, 244, 266, 302, 441, 502, 512 Intension 50, 220, 314–315, 324, 470–472 Intentionalität / intentional passim Introspektion 85n, 249–250, 349–350, 378, 421, 461, 516 Irreduzibilität 234, 246, 248, 490 Jansenismus 210, 216 Jesuit 209, 431 Kausalität 55–56, 59, 61, 84, 86, 89–95, 97, 102, 104, 106, 110–111, 115, 117–119, 121, 126, 130–131, 134–138, 142–143, 153, 162, 170, 176, 183, 187, 194, 202, 204n, 218–219, 261, 264, 277–278, 289, 291, 299, 301–303, 307, 311, 332, 343, 349, 367, 382, 385, 387–388, 390, 392–394, 398, 400, 408, 420, 424, 433, 437, 450, 454, 459–460, 465, 479–482, 487, 491–493, 501, 508–509, 511, 514, 516 Kennzeichen 99, 256, 264, 271, 273, 277–278, 322, 324, 359, 366, 442, 472, 476, 513 Klugheit 98 Kohärenz 132–133, 156, 158, 342, 390, 420 Komplexität 261, 296, 358, 469n, 471, 473, 485, 486 Kompositionalität 86–87, 95–96, 486 Kontextprinzip 469, 467n konventionalistisch 101 Kopieprinzip 383, 387–388, 393, 396, 398, 409n, 415
562
Sachregister für Band 2
Körper passim – K. als Modi / (Konfigurationen) der Ausdehnung 142, 149, 198 – Korpuskularstruktur von Körpern 77, 82, 198–199, 278–279, 348, 509 – Körperbewegungen 84–87, 90, 104–106, 114–120 – Ontologie der K. 90, 106, 145, 169, 191, 323, 421, 478n, 512n – Wissenschaft vom K. 84n, 89, 109 Korrespondenzthese 53–54, 58–59, 86–87, 90–91, 116, 119, 128, 132, 156–158, 353, 483 Kraft 3–4, 10, 13, 17–19, 44, 46, 48, 61, 78, 110n, 130, 132, 136, 145, 174, 183, 192, 204n, 216, 261, 278, 288, 291, 304, 309, 314, 332–334, 336, 340–342, 345, 350, 356, 359, 366–367, 369, 373, 383n, 385–386, 390–393, 395–396, 398–400, 404, 407, 409, 438, 444, 448–451, 457, 473, 477, 485, 504, 507, 509, 513–515, 519 Leben 59, 91–93, 97–98, 123–124, 127, 165n, 184, 191, 203, 209, 220, 250, 253, 256–259, 264, 203, 209, 220, 250, 253, 256–259, 264, 276, 278–280, 340, 342, 350, 378–379, 385–386, 390, 398–400, 418, 427, 441, 467, 473, 500–501, 514–515 – Lebensbedingungen 257–259, 278 – Lebensbewegung 98 – Lebensführung 253 – Lebensgeister 91, 93, 98, 184, 390, 400 Leidenschaften 102, 125, 127, 166, 239n, 386 Lerngeschichte 255, 270, 271, 272, 275n, 280 Licht, natürliches 8 Logik 53, 87, 215, 220, 248n, 265, 266n, 267–269, 281, 283–284, 300, 377, 379–381, 383, 399, 438 Material 4, 6, 8–11, 16–17, 20, 24, 34n, 39, 74, 79, 87, 89, 95, 97, 105–106, 116, 120, 189, 199, 223, 226–227,
243, 256, 259, 267n, 269–276, 279–283, 292, 343–344, 347, 349, 352, 368, 370–371, 455, 460, 474, 497, 505, 511, 515, 517–518 Materialismus 87, 97, 105, 116, 120, 343–344, 370 – reduktiver M. 105, 116, 120 Materie 10, 12–13, 16–17, 28, 44, 47, 75, 79, 103–104, 120–121, 143, 161–162, 164–165, 169–173, 175–176, 180, 182–184, 186, 188, 190–194, 196–198, 201–202, 218, 223–224, 226–227, 234, 239, 242, 263–264, 277n, 278, 303, 327, 339–344, 347, 440–441, 482, 510, 512–515, 519 – Analogie von M. und Geist 164, 183–184, 192–193, 218, 482 – M. als Ausdehnung 4, 130, 173, 186, 192–193, 218, 512 mechanisches Erklärungsmodell 84, 93, 96–97, 105, 120–121 Mechanismus / mechanistisch 84, 86–87, 89, 95, 117, 120–121, 173, 191, 198, 201, 262, 270, 393, 431, 509, 516 Meditation 1–15, 17–24, 25n, 26–28, 30–31, 34n, 35, 38, 53–54, 58–59, 96, 99, 102, 132, 145n, 167, 177, 212n, 218, 224–225, 228–229, 231, 243, 290, 294, 298, 349–350, 434, 484n, 488n, 498n Meisterargument 349, 351, 367, 369–370, 372 Metaphysik / metaphysisch 44, 58, 123–125, 156, 171, 216–217, 225, 257, 267, 276n, 278, 281, 290n, 292–293, 295–297, 299, 301–304, 306, 309–310, 313–318, 320n, 321–322, 324–330, 332n, 337–338, 347–348, 351–352, 368–369, 375, 377, 383–384, 390, 394, 401–402, 405n, 421, 434, 489, 515 Methode / methodisch 58, 70, 84–85, 87–88, 96–97, 109, 120–122, 129, 161–163, 165–166, 180, 185, 189, 192, 195, 197, 207, 215–216, 222, 225, 227–229, 234, 242n, 246, 247n, 248–251, 273, 315, 337, 362, 364n, 377–378, 398, 461
Sachregister für Band 2 – resolutiv-kompositive M. 85, 87, 88, 97, 111, 114, 120–122 Modallogik 228 Modell vgl. auch Archetyp 68, 76, 84, 95, 100, 103, 118, 121, 171, 193n, 196, 222, 236, 268, 278, 281, 284, 360n, 364n, 378, 393, 403–404, 512 Modifikation 34, 79, 118, 138, 142, 144, 162, 168–169, 175–176, 179, 181, 183–184, 186–187, 191, 193, 197–200, 213–214, 225, 227, 230, 232, 235–236, 238–239, 241–243, 262, 268, 300, 317, 319, 321n, 323–327, 337, 403, 408, 415, 443–445, 458, 474–478, 502, 504, 512, 514–515, 519 Modus 1, 2, 6, 8–9, 16, 20, 23, 28, 36, 124–127, 130–132, 134, 136–139, 142–147, 149, 154, 168–169, 178–179, 181–182, 184–185, 189, 196–198, 212, 242, 280–281, 393, 514–515, 517, 519 Molyneux-Problem 261, 355 Monismus, methodischer 85, 87 Moralphilosophie 123, 267, 378–379, 381–382, 432 Muster 84, 193, 262, 270–271, 380, 512 Mythos des Gegebenen 490, 491, 506 Namen 78, 87, 99–102, 112–115, 121–122, 210, 261–262, 265, 271, 281, 283, 339, 358, 372, 394, 517 – abstrakte N. 112–114 – konkrete N. 113–114 Natur 7, 8, 12–16, 18–19, 52–54, 80–85, 97, 99, 101, 111–115, 121, 123, 127, 130–131, 135–136, 138, 139, 142, 145, 149–153, 157, 161, 164–166, 169, 172–173, 176–177, 180, 182–184, 186, 188, 191, 193–194, 196–198, 199n, 200, 209, 210n,211, 223, 227, 229, 236, 238n, 241, 245, 247, 255n, 256–258, 261–262, 264–265, 267–268, 271, 272n, 273–274, 277, 279, 281, 294, 308, 311, 313, 316, 321, 322, 328, 335, 337–379, 352, 378–379, 380–384,
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390–393, 396–397, 402, 405, 407, 414, 420, 423–424, 427, 431–433, 436, 438, 441, 443–445, 450–452, 456–457, 462n, 465, 480n, 509–510, 512–513, 520, 525–527 – Naturgeschichte 262, 273 – Naturgesetz 264, 267n, 382 – Naturphilosophie 84, 85n, 173, 191, 261, 264, 267, 271, 274, 277, 279, 281, 377–379, 391, 431, 527 – wahre und unveränderliche N. 12–15, 18–19 Naturalismus / Naturalist / naturalistisch 381, 384, 465 Naturwissenschaft 343, 378, 381, 384, 390–391, 393, 407, 462n, 509–510, 520 Nominalismus / nominalistisch 101, 219, 344–345, 355, 401, 405–408, 412–413, 419n, 471, 473 – Gegenstandsnominalismus 406, 413 – Tropennominalismus 405–407, 413–414 Objekt, materielles siehe Gegenstand, materieller Objektivität 503, 341–343 Okkasionalismus / okkasionalistisch 162n, 164, 171–172, 183–184, 187, 190–191, 202n, 204n, 304, 501n Ontologie 12, 15, 25–26, 30, 39–41, 43–46, 75–76, 87, 89, 105–106, 112–115, 169, 189–192, 198, 247n, 250, 323, 350, 355, 361, 401–408, 412–414, 421, 443–448, 471, 477–478, 481, 501–502, 504, 512, 519, 521, 522–523, 525 Operationen 101, 212, 215, 227, 261, 262, 271, 279, 280, 282–283 Ordnung 22, 82, 126, 130, 134, 142–145, 152–155, 191, 258, 260, 268, 345, 389, 392, 416, 468n, 486n, 506, 514 Panpsychismus 139, 145, 147–148 Pansensismus 92 Parallelismus 130, 137–138, 142–145, 147, 154, 156, 157
564
Sachregister für Band 2
Partizipation / partizipieren 173, 175, 196, 476, 478, 480, 481, 501, 504 Passivität 21, 46, 63, 130, 164,171, 173–176, 180–181,183–184, 193, 206, 218, 274, 304, 313, 322, 329, 333, 340–342, 348–351, 366–367, 376, 441,482, 512, 515, 517, 521, 524 Perfektion vgl. auch Essenz 49, 130, 171–173, 179, 184, 193, 197, 210, 235n Peripatetiker vgl. auch Aristotelismus 438 Perzeption / perzipieren passim – deutliche / undeutliche P. 18 – klare / dunkle P. 5, 18 – P. als Modifikation des Geistes 175, 176, 181, 184, 325 Phänomenologie 232, 247n, 249–250 Phantasie 17, 457 Physik 43–44, 56, 89–90, 105,119, 121, 138–140, 153, 199, 232, 288, 377, 466 Platoniker 167, 218, 320, 440, 470–471, 476, 484, 501, 503–505 politische Theorie 83–84 Prinzip 10, 87, 95, 96, 102, 128, 138, 163, 165, 172, 180, 184, 192, 195, 198, 206, 207, 211, 218, 220–221, 226, 239n, 246, 253–256, 264, 269, 272–273, 283–284, 294, 300, 305–307, 343, 345, 347–348, 350–351, 361–362, 364, 372–373, 377, 379, 381–383, 385, 387–389, 392–396, 398, 400, 402,404, 408–409,413, 415, 421, 426, 428–431, 441, 451,469, 471, 477, 479, 480–482,484,486, 491,498, 502, 506, 511, 512, 514–515, 517–518 Proposition 132, 265, 267, 281, 282n, 295, 305–306, 371, 373, 374, 376, 399, 454–455, 470–471, 472, 474, 485–486, 513, 520, 524–526 Psychologismus / psychologistisch 5, 46, 93, 136, 163, 178, 181, 189, 190–192, 250, 320 Pythagoräer 440 Qualia-Problem 121, 462n Qualitäten vgl. auch Eigenschaften 11, 68–69, 71–72, 89, 91–92, 94, 104n, 105–107, 109n, 110, 115, 120–121,
137, 182, 185, 190–191, 202, 204, 219–220, 261–264, 271–272, 274–275, 277–282, 285, 296, 297, 300–301, 303, 306–308, 312, 314, 316, 321–324, 326–327, 329, 338, 341–343, 348, 362, 389–390, 392, 406, 408–410, 412, 414–415, 418, 420, 437, 452–453, 458–459, 462, 480, 486, 499, 502–503, 509, 514, 520–521, 523, 527 – Qualitätenlehre 261, 274, 281, 285 – primäre / sekundäre Q. 11, 185, 191, 202, 204, 220, 261, 271–272, 277–278, 341–343, 348, 437, 452–453, 459, 462, 480, 499, 502–503, 509, 520–521 Rationalismus / rationalistisch 135, 189, 191, 206 Realismus 57, 94, 230–231, 240n, 274, 278, 387, 390–391, 393, 450n, 459n, 462, 510, 525 Realität 8–11, 15, 28n, 40, 94, 105, 175, 177, 181, 212, 233, 242n, 280–281, 284, 343, 361, 362, 364, 373, 405, 433, 471, 481–482, 521 – formale R. 8–10, 15, 28n, 40, 177, 181, 212, 521 – objektive R. 8–10, 15, 177, 181, 190, 212, 213, 521 – Realitätsgrad 11, 40 Rechnen, mit Namen 100, 102 Rede, geistige 97, 100 Reduktion 86, 92–93, 96, 98, 104–105, 116–117, 119–120, 121n, 246, 249–250, 383n, 480, 520 – mechanische R. 93, 105, 120 – R. der Final- auf Bewegungsursachen 93, 98, 121n – R. der Sinnesempfindungen 92, 104–105, 117, 119–120 Reflexion 81, 230–231, 240n, 256, 260, 271, 273, 277, 303–304, 309–310, 312–313, 328–329, 335–336, 340, 356, 366, 385–386, 390, 419, 424, 439, 452, 513, 515–516, 521–524 – explizite R. 240n, 521 – virtuelle R. 230–231, 240n, 521
Sachregister für Band 2 Relation 10, 35–38, 87, 89, 101, 116, 118–119, 121, 128, 134, 136–137, 142, 146, 162n, 164, 173, 176, 179, 185, 187, 190–192, 193n, 194–197, 199–200, 202, 205, 212, 219, 224, 226, 228, 236–239, 249, 257, 261, 264, 266n, 271, 276n, 277–279, 281, 284, 294, 301–302, 307–308, 320, 328, 352, 354–355, 366, 368, 381–382, 387–392, 394–395, 397–399, 408, 412–414, 416, 418, 420–421, 433, 437, 440, 442, 448–450, 452, 459, 478, 483, 486, 504, 512, 516, 521–522, 524, 526 – Urbild-Abbild-R. 284 – Idee-Ideatum-R. 266n – Relationsideen 281 Remanenz 121 – Remanenzsthese 95 Repräsentation / repräsentieren / repräsentational passim – adäquate R., 163, 165–166, 182, 188, 191–192, 194, 198, 200, 490, 509, 520, 526 – Repräsentationsbeziehung 32, 57, 64, 277, 347, 480–481, 482 Rolle passim – funktionale R. 470 – kausale R. 516 Satz 46, 131, 137, 156, 205, 216, 225, 254–255, 264, 267–269, 282–283, 346, 352, 398, 427, 429, 468–472, 520, 523–524 Schein 84, 89, 91, 115, 117–119 Schleier der Wahrnehmung 464, 507–510 Schließen / Schluss/ Inferenz 74, 130, 205, 215, 218, 266, 269, 352, 355, 368, 391, 399–400, 424, 426, 435, 438, 490, 514, 523–524 Scholastik / Scholastiker / scholastisch 9–10, 28–29, 33n, 35–36, 38, 48–49, 56, 58, 79, 94, 97, 106–107, 112, 115, 128, 162, 170–173, 177, 183, 189, 215, 218, 221, 226–227, 233, 242, 260, 262, 265–266, 268, 280n, 281n,
565
291, 302, 313–314, 323, 333, 334n, 377–379, 394–395, 399, 514–515, 520, 522 Seele vgl. auch Geist 1–2, 21, 23n, 48, 132, 147–148, 167, 184, 213–214, 218, 222, 224, 238, 239n, 243, 301–303, 312–313, 316, 319, 321, 324–325, 381–382, 383n, 384, 391, 515–516 Sein (oder Seinsweise) 1–2, 6, 8–12, 28–30, 31n, 32–38, 39n, 40–41, 56–57, 79, 130, 136, 138, 145, 184, 216, 223, 226, 242, 245, 316, 319, 323, 364, 396, 418, 446, 448, 450, 468n, 490, 502 – formales S. 10, 33n, 34n, 35n, 40–41, 242 – objektives S. 8–10, 12, 28–30, 31n, 33n, 34n, 35–38, 39n, 40–41, 56–57, 242, 245 Semantik 374 Sinn / sinnlich 2, 11, 13–14, 18–19, 34n, 35n, 43–49, 51–52, 54–56, 58, 60–61, 65–66, 68–77, 79–80, 82–86, 88–99, 104–112, 114–121, 148, 164–166, 168, 176, 183–188, 190–191, 194, 199–207, 216–219, 222–224, 235, 236n, 244n, 256, 258, 260–261, 266, 267n, 271, 273–277, 290, 293, 295–297, 300, 302–303, 306–310, 313, 339–340, 342, 344–345, 350, 354, 356–359, 362–364, 366–367, 368n, 369, 372–373, 375–376, 378, 380–381, 385–387, 389–390, 397, 399–403, 410n, 415, 419, 421, 427, 432, 436–437, 439, 441, 452, 454–455, 460, 464, 477–478, 481, 483n, 486–489, 491–502, 503n, 504–506, 509–510, 512–516, 518–522, 525–526 – Sinneserfahrung 45–47, 51, 60, 65–66, 68–69, 73, 77, 271 – Sinnesorgan 14, 77, 88, 90–91, 106, 120–121, 148, 183, 190, 219, 256, 273–274, 277, 302, 385, 514, 520, 522 – Sinneseindruck 44–46, 49, 51, 55–56, 72, 77, 82, 86, 89, 92, 105, 218–219, 400, 478, 513
566
Sachregister für Band 2
Sinnesempfindung vgl. auch Empfindung, Ideen, intellektuelle / Ideen, sinnliche 83–93, 95–96, 99, 104–107, 109–111, 114–121, 186, 191, 256, 260–261, 267n, 273, 276–277, 436, 439, 521, 526 – phänomenale Inhalte der S. 84–85, 87–88, 90, 92–93, 104–106, 109–111, 114–116, 118–121 – Reduktion der S. 92, 104–105, 117, 120 – Ursache der S. 83, 85, 89, 116 Skeptizismus / skeptisch/ Skeptiker 47, 59, 163, 165, 178, 228, 343, 380, 390, 423, 427–429, 433, 436, 438, 501, 509 Species 49, 54–57, 62, 76–81, 94, 102, 170, 223–224, 238n, 260, 266, 291, 302, 431, 441, 522 – Species impressa / expressa 56–57, 78–79, 238n, 522 – Species intelligibilis 223–224, 266, 302, 441, 522 – Species in medio 223–224, 441, 522 – Species sensibilis 170, 223–224, 266, 291, 302, 441, 522 – Species-Theorie 102, 224, 302 Sprache 16, 86, 97, 99–102, 112–113, 159, 191, 201, 220, 255, 258, 263–265, 266n, 267–269, 276n, 280–281, 283, 297, 343, 345, 354–355, 365, 394, 414, 424, 426, 436, 442, 444, 447, 456, 459, 467–473, 485, 511, 513, 519, 523 – Spracherwerb 276n – Sprachgebrauch 16, 100, 255, 426, 447, 459 – Sprachgemeinschaft 258 – Sprachkonzeption 263 – Sprachkritik 99, 112 – Sprachphilosophie 220 – Sprachplaner 281n – Sprachpraxis 283 – Sprachtheorie 191, 264 Struktur 1, 16, 45–46, 79–80, 87, 101, 112, 130, 132, 148, 150, 179, 194–196, 198–200, 213, 217, 225, 230–231, 247n, 248, 250, 254, 257, 262, 265, 268–269, 271, 277–279,
281, 283, 294, 296–298, 307, 347–348, 354, 376, 399, 405, 424, 441, 446, 454, 469, 471, 474, 481, 484–486, 505–507, 509, 512, 526 Substanz passim – S. / Akzidens-Unterscheidung 212, 306, 323, 326–327, 393 – körperliche / geistige S. 1–2, 4, 12, 162n, 169, 226–227, 303, 323–324, 326–328, 332, 341, 421, 474–478, 512–513, 519, 523 – materielle S. 169, 224, 339–342, 349, 403, 404, 515 – Substanzdualismus 161, 184, 188, 242n – Substanzmodell 393, 403–404 System 43, 52, 77, 83, 85, 88–89, 102, 104, 109n, 114, 116–117, 119–120, 285, 293, 313, 382–383, 390, 401, 417, 424, 447, 519 Tätigkeit(en) 1–2, 5, 7, 16–25, 27, 39, 58, 75n, 100, 103, 179, 181, 195, 202, 215–216, 229, 243, 253, 260, 270, 273–274, 276n, 277, 280–282, 289, 290–292, 302, 309, 313, 332, 340, 379–383, 399, 409, 424, 427, 429, 433–434, 439, 446–447, 449, 513, 515–516, 518–519, 521, 524 Theodizee 209, 287 Theologie 164, 166, 175, 209–210, 212, 214, 216, 287, 381–382 Theorie passim – computationale Theorie 100–101 – reduktiv-materialistische Theorie des Geistes 105 Traum 32, 96, 104, 342, 375, 448 Trennbarkeitsprinzip 387, 393–396, 404, 409, 413–414 Trope 262, 401–402, 405–407, 409–410, 412–414, 417, 419–421, 478n Typ (vs. Token) 357, 361, 362 Übertragungsprinzip 385, 400 Überzeugung, Glaube, Meinung (belief ) 44–47, 56, 59, 62–63, 76, 82, 100, 110, 126, 141–142, 159, 165, 206, 232–233, 253–255, 267–271, 283,
Sachregister für Band 2 353, 367, 371, 379–381, 384–385, 390, 392, 396–400, 423–429, 432, 439, 444–445, 447, 451, 454–456, 460, 514, 523–526 Unendliches 175, 178, 181 – U. als Grundlage der Ideen 175 – U. als Nicht-Repräsentierbares 178, 181 Universalien 101, 174, 188, 195, 219–220, 394, 402, 405–407, 413, 455, 472, 525 – Universalienrealismus 174, 219 Unmittelbarkeit 433, 454, 456, 459 Unsterblichkeit 141, 382 Untrennbarkeit, Prinzip der 361–362, 364 Ursache 9, 11, 15, 57, 78, 83, 85–93, 95–96, 98, 102, 108–109, 113–118, 121–122, 125–130, 133–137, 146, 149–150, 153–159, 165, 177, 187, 202, 219, 226–228, 271–272, 289–290, 296–297, 303, 305, 308, 316, 339–342, 346, 349, 366–367, 377, 385, 387–391, 396–398, 451–452, 456, 482, 506, 511, 516–518, 527 – Gelegenheitsursache 516 – mechanische U. 88, 92, 114 – Ursachenforschung 91 – Wirkursache 228, 516 Ursprung 77, 84, 89, 176, 217, 253, 256, 259, 262, 265, 267–272, 274–275, 277, 279, 289, 357–358, 390–391, 396, 429, 451–452, 466, 468, 479, 482, 511, 521 Urteil 22–23, 45–48, 54, 58, 62–64, 71, 77, 80–81, 92–93, 98, 132, 164–166, 176, 182, 188, 192–193, 195, 210, 215, 220, 236n, 261, 269, 276, 280–282, 284, 325n, 352, 386, 399–400, 423, 425–429, 432, 438–439, 454–455, 469, 484–485, 507, 509, 515–516, 523–526 Vermögen 3, 7, 13–14, 18, 48, 55–56, 61, 78, 90, 92, 108, 173, 183, 188, 191, 217–218, 246, 255–257, 259–260, 264, 267n, 269, 273, 283, 292–295,
567
303–304, 309, 312–314, 321–322, 328–329, 333–334, 336, 380, 391, 395, 423–428, 434, 438–439, 475, 488–489, 511, 513–516, 521–522, 524–525, 527 Vernunft 75, 98, 102, 107, 109, 212, 228, 288–290, 378, 380–383, 386, 389–392, 395, 397, 400, 410, 423, 426, 428, 434, 438, 514–515, 524 – Nutzen der V. 102 Verstand 1–2, 5, 10, 13, 16–18, 20–21, 23–25, 27, 29–36, 38–39, 48, 58, 61, 74, 94, 129, 134–135, 138, 140–141, 143n, 151, 164, 217, 242–243, 255–263, 266, 267n, 270, 273–274, 276–277, 279–283, 296, 302, 308–310, 377–379, 381–382, 385, 393, 399, 427, 439, 441, 477n, 511–513, 516–519, 521, 524, 527 – Verstandesoperation 280, 282–283 – Verstandestätigkeit 260, 270, 273, 277, 280–282, 309, 399, 521 Verstehen 5, 7, 13, 20–21, 97, 99–100, 102, 436, 468, 519 – reines V. 5, 7, 13, 20–21, 519 Vorschlagen (suggest) 351, 451, 524–525, 527 Vorstellbarkeitsprinzip 373, 394, 404, 409 Vorstellung, vorstellen passim Wahrheit 5, 7, 24, 45, 47, 53–54, 58–59, 63–64, 101, 128, 131–133, 135, 137, 140–142, 155–159, 161–166, 174–176, 205, 207, 255, 271, 282, 291, 294–295, 298–300, 302–303, 305–306, 311, 314, 316, 321, 323, 353, 398, 426, 431, 438, 469, 471, 483–485, 490, 500, 516–517, 524–526 – analytische W. 176, 195 – kontingente W. 163, 300, 305, 426 – notwendige W. 163, 291, 305, 516, 524 – W. als Relation unter Ideen 176, 526 – Kohärenztheorie der W. 132–133, 156, 158
568
Sachregister für Band 2
– Korrespondenztheorie der W. 53–54, 58–59, 128, 132, 135, 156–158, 353, 471, 483, 526 Wahrnehmung passim – W. als Modifikation des Geistes 168, 186, 193, 201–203 – W. als Verbindung von reiner Idee und Empfindung 198–199, 201–203, 526 – Wahrnehmungsepisoden 276 – Wahrnehmungsprozess 79, 202, 221, 274, 459, 482 – Wahrnehmungstheorie 2, 77, 94, 149, 173, 198, 201–203, 267, 328n, 376, 440, 450n, 453, 460, 462, 475n, 492, 504, 510, 516 – Wahrnehmungsvermögen 90, 423, 488 – Wahrnehmungsrealismus 94 Welt 4, 19, 26, 43–44, 46–47, 53–54, 59–60, 76, 84–85, 88–89, 91–92, 94, 103–107, 109–110, 112, 115, 121, 124, 126, 131, 138, 143, 145, 147, 148, 150n, 162n, 164, 187, 204n, 207, 210–211, 226, 228, 235–236, 241, 242n, 245, 253, 255, 258, 263, 267, 270, 287–290, 330, 339, 341–342, 343, 356–357, 366, 373, 378, 383n, 402, 404n, 405, 407, 416, 423n, 433, 437, 445, 470, 472, 479, 489, 501–502, 507–510, 514, 516, 525–526 Wesen/ wesentlich 4–5, 7, 13, 15–16, 19, 31n, 33–34, 36, 47, 50–52, 70, 81, 109n, 111–115, 116n, 134–136, 148, 150, 157, 164, 174–175, 177–179, 186, 188, 193, 194n, 196–197, 199–200, 207, 210, 213, 223–224, 227, 231, 246, 249–250, 258, 263, 287–288, 301, 317, 330n, 332,
340–342, 349, 364, 366–367, 379, 426, 431, 433, 443–444, 448, 465, 482, 489, 491, 507, 511–512, 513, 515, 517, 521 Wiedererinnerung 98, 311 Wille 5, 16–17, 20–23, 125, 143–144, 177, 184, 187, 205–206, 210, 218–219, 287–288, 290, 366–367, 380–381, 386, 427, 512, 524, 527 Wirkung vgl. auch Kausalität, Ursache 88, 98, 108, 111, 115–118, 122n, 127, 129, 130, 135, 137, 153n, 175, 219, 291, 296–297, 303, 305, 333n, 387, 400, 420, 456, 482, 506, 511, 519 Wissen 5, 43–45, 52, 60, 76, 91, 102, 126–127, 133, 140–142, 159, 162–163, 165–166, 207, 210, 216, 220, 228, 253, 255–257, 259, 264, 267–269, 271, 274, 281, 283–284, 289, 348, 354, 356, 367, 373, 376, 382, 397, 429, 452, 455, 517 – Wissensakt 283–284, 524 – Wissenserwerb 162–163, 256 Wissenschaft / wissenschaftlich 83–85, 87, 89, 91, 98, 101–102, 109, 112, 115, 146, 161, 163, 165–166, 178, 180, 182, 188, 206–207, 215, 250, 253, 267, 309, 343, 377–384, 387, 390–391, 393, 396, 400, 407, 425, 430–432, 452n, 462n, 509–510, 516, 520, 527, 531 – W. als analytisches Verfahren 207 Zeichen 55, 87, 97–98, 100, 102, 201, 238n, 265, 268, 271–272, 276–279, 282–283, 345, 354, 365, 437, 450–453, 458–459, 461, 511, 524–525, 527 Zirbeldrüse 1, 2, 4, 14, 17 Zweckursache 93