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German Pages 245 Year 1978
Bernd Eckardt I lavoleni epistulae
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Alhert·Ludwigs·Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge· Band 1
IAVOLENI EPISTULAE
Von
Bernd Eckardt
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1978 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Prlnted in Germany
© 1978 Duncker
ISBN 3 428 04114 3
Fritz Pringsheim. und Clauclius Freiherr von Schwerin stellten dem ersten, 1931 erschienenen Band der Freiburger Rechtsgeschichtlichen Abhandlungen das folgende Vorwort voran: "D1e Freiburger RechtsgeschichtLichen Abhandlungen werdenArbeiten bringen, die im Rechtsgeschichtlichen Institut an der Universiät Freiburg im Breisgau entstanden oder sonst mit diesem verbunden sind. Sie erstreben die gleichmäßige Pflege der antiken und der germanischen Rechtsgeschichte. Wenn an Stelle der bisherigen Trennung beider Gebiete eine möglichst enge Zusammenarbeit tritt, darf eine gegenseitige Befruchtung erhofft werden. Auch entspricht diese Verbindung dem bei der Begründung des Instituts leitenden Gedanken, daß die historisch gegebene Verbundenheit der abendländischen Rechtsentwicklung auch in der wissenschaftlichen Arbeit zum Ausdruck kommen sollte. Aus gleichem Grunde werden die Abhandlungen auch Arbeiten enthalten, die in die Rechtsvergleichung einmünden oder diese auf der Grundlage rechtsgeschichtlicher Forschung zum Ziele haben." Im Jahre 1935, als Fritz Pringsheim rechtswidrig seilnes Lehramts enthoben wurde, brach die Reihe ab. Die ,Neue Folge' wird das Programm der Begründer fortsetzen und zugleich dokumentieren, daß die Zusammenarbeit von Germanisten und Romanisten vor allem in der mittelalterlichen und neueren Rechtsgeschichte selbstverständliche Wirklichkeit geworden ist.
E. Bund
D. Liebs
K. Kroeschell
J. G. Wolf
Vorwort Diese Arbeit ist im März 1976 abgeschlossen worden; sie hat im Wintersemester 1976/77 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg als Dissertation vorgelegen. Mein Dank gilt vor allem meinem verehrten Lehrer und Betreuer dieser Arbeit, Herrn Professor Joseph Georg Wolf. Er hat in mir schon in frühen Freiburger Semestern das Interesse für das römische Privatrecht geweckt; er hat auch während der Entstehung dieser Arbeit an deren Fortgang in jeder Phase regen und kritischen Anteil genommen und mir jede Förderung zuteil werden lassen. Den Mitgliedern der romanistischen Seminare des Freiburger rechtsgeschichtlichen Instituts verdanke ich vielfältige Anregung und Mithilfe in schwierigen Fragen. Herr Professor Detlef Liebs und Herr Professor Dietrich V. Sirnon haben durch kritische Anteilnahme und geduldiges Zuhören zur Klärung manchen Problems beigetragen; das gleiche gilt für meine Mitdoktoranden, unter ihnen vor allem Jost Henrich Jung, Ulrich Manthe, Klaus Peter Müller und Jürgen Rastätter. Besonders freue ich mich darüber, daß mit dieser Arbeit die Reihe der Freiburger Rechtsgeschichtlichen Abhandlungen neu eröffnet werden kann. Den Herausgebern und dem Verleger, Herrn Professor J. Broermann, sage ich dafür meinen herzlichen Dank. Die Veröffentlichung in diesem Rahmen wäre ohne eine großzügige Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der ich auch auf diesem Wege meinen Dank ausspreche, nicht möglich gewesen. Hamburg, im Februar 1978
B. E.
Inhaltsverzeichnis § 1. Textindividualität und Edltheitskritik
11
§ 2. Javolen
15
§ 3. ,Epistulae'
19
§ 4. ,Responsa'
21
I. Ausführlichere Responsenformen: a) Sachverhalt - quaestio - responsum mit Sachverhaltswiederholung- Fallösung: Pal. 130 (21) mit Pal. 238 (24); Pal. 97 (25); Pal. 129 (27) b) Sachverhalt - quaestio - responsum mit Sachverhaltseinschränkung und Alternativlösung: Pal. 126 (30) c) Sachverhalt - quaestio mit Sachverhaltskonkretisierung responsum: Pal. 86 (33) d) Sachverhalt - quaestio - responsum (gängige Form; Beispiele): Pal. 82 (35); Pal. 84 (37); Pal. 79 (40); Pal. 93 (41); Pal. 124 (46); Pal. 125 (I) (49); Pal. 125 (II) (51); Pal. 135 (53) II. Zweiteiliger Responsenaufbau (quaestio mit Sachverhalt responsum): Pal. 95 (56) III. Ergebnisse und Folgerungen (58) § 5. Fragmente ohne Responsenform
61
I. Stellen, die auf die Herkunft aus einem ,Responsum' hindeuten: Pal. 71 (61); Pal. 72 (63); Pal. 80 (64); Pal. 112 (66); Pal. 127 (67); Pal. 132 (68) II. Stellen, die solche Hinweise nicht enthalten: Pal. 88, 100, 109, 117 (71) III. Formvergleich Pal. 80 (ohne Responsenform) mit Pal. 119 (Responsenform erhalten) (71) IV. Ergebnis: epistulae in Responsenform (73) V. Folgerungen für die Untersuchung (75)
f 6. Problemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Doppelfragen in rechtlichem, aber nicht tatsächlichem Zusammenhang: Pal. 77 (77) mit Pal. 78 (78); Pal. 98 (81); Pal. 90 (83); Pal. 89 (86)
8
Inhaltsverzeichnis I!. Erweiterung der Frage, ausschweifende Antworten: Pal. 96 (88); Pal. 139 (90); Pal. 70 (93); Pal. 118 (101)
III. Schluß von Doppelantwort auf Doppelfrage: Pal. 107 (103) IV. Entscheidungen traditioneller Streitfragen: Pal. 108 (107); Pal. 101 (107); Pal. 102 (108) V. Unmöglicher ,Konsulent': Pal. 83 (109) VI. Ergebnisse (111) § 7. Vorjustinianische Textveränderungen
114
I. Spuren lemmatischer Glossierung: Pal. 87 (114); Pal. 74 (119) ; Pal. 120 (121) II. Explikative Glossen: Pal. 136 (124); Pal. 104 (127); Pal. 105 (133); Pal. 75 (136) III. Nachklassische Begründungen: Pal. 141 (144) mit Pal. 106 (145); Pal. 91 (148); Pal. 137 (151); Pal. 138 (155) IV. Ergebnisse und Folgerungen (156) § 8. Javolenische Darstellungsmängel
162
I. Zwischenbilanz (162) II. Einzelne Stellen: Pal. 99 (163) mit D. 23. 3. 80 (164); Pal. 103 (166); Pal. 123 (167); Pal. 94 (172) mit Pal. 92 (176) und Pal. 115 (177); Pal. 131 (179); Pal. 85 (181); Pal. 113 (184) III. Ergebnisse (187) § 9. ,Moralische' oder rhetorische Argumente und Begründungen . . . . . . 190
Pal. 110 (190); Pal. 111 (194); Pal. 134 (197) § 10. Terminologische Unsicherheiten
200
I. Zwischenbilanz (200) II. possessio: Pal. 73 (200); Pal. 140 (208); Pal. 121 (213); Pal. 114 (215); Pal. 76 (222) III. animus, affectus, consentire: Pal. 133 (223) IV. Ergebnisse (225) § 11. Das Ordnungsschema der ,Epistulae'
227
§ 12. Javolens ,Epistulae'. Ein Text und seine Geschichte . . . . .... . ....... 234
I. Form, Zweckbestimmung, Eigentümlichkeiten (234) I!. Glossierung (236)
III. , Textstufen' (237)
Quellenregister .. . . ... . ...... . .... . .. .. . . .... ... .......... _. . . . . . . . . . . . . 239
Abkürzungen Die Zitierweise von Zeitschriften, Festschriften, Reihen usw. folgt durchweg der der Kaser'schen Handbücher, auf deren Abkürzungsverzeichnisse wir deshalb generell verweisen. Monographien sind stets mit ihrem vollen Titel in den Anmerkungsapparat aufgenommen. Daneben werden abgekürzt zitiert: Beseler, Beiträge 1 - 5
Gerhard Beseler, Beiträge zur Kritik de:r römischen Rechtsquellen (Tübingen) 1 (1910); 2 (1911); 3 (1913); 4 (1920); 5 (1931).
Cuiacius, Opera (Prati)
Jacobi Cuiacii IC. Tolosatis Opera ad Parisiensem Fabrotianam Editionern diligentissime exacta in Tornos XIII distributa auctiora atque emendatiora (Prati) I, li (1836); III, IV (1837); V, VI (1838); VII - IX (1839); X (1840); XI (1841); XII (1843); XIII (1844).
Georges, Handwörterbuch
Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch von Karl Ernst Georges, 8. verbesserte und vermehrte Auflage von Heinrich Georges (Hannover I Leipzig) I (A- H) (1913); li (I- Z) (1918); unveränderter Nachdruck: 11. Aufl. Hannover 1962
Heumann I Seckel,
Heumanns Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, in 9. Aufl. neu bearbeitet von Emil Seckel (Jena 1926); un-
Handlexikon
veränderter Nachdruck: 11. Aufl. Graz 1971. Kaser, RPR P IIP
Max Kaser, Das Römische Privatrecht. Erster Abschnitt: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. neubearb. Aufl. (München 1971). Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen, 2. neubearb. Aufl. mit Nachträgen zum Ersten Abschnitt (München 1975). (Handbuch der Altertumswissenschaft, 10. Abt., 3. Teil, 3. Band, 1. und 2. Abschnitt.)
Kaser, RZP
Max Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht
(München 1966). (Handbuch der Altertumswissenschaft, 10. Abt., 3. Teil, 4. Band.)
10
Abkürzungen
Kühner I Stegmann, Latei-
Raphael Kühner I Carl Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Satzlehre (in zwei Teilen); 4. Auflage durchgesehen von Andreas Thierfelder (München 1962).
Lenel, Palingenesia IIII
Otto Lenel, Palingenesia Iuris Civilis, Volumen prius (Lipsiae 1889); Volumen alterum (Lipsiae 1889).
Lenel, EP3
Otto Lenel, Das Edictum Perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, 3. verbesserte Aufl. Leipzig 1927.
Leumann I Hofmann I Szantyr,
Manu Leumann, J. B. Hofmann, Anton Szantyr, Lateinische Grammatik, auf der
nische Grammatik I!II
Lateinische Grammatik II
Grundlage des Werkes von Friedrich Stolz und J oseph Hermann Schmalz, 2. Band: Lateinische Syntax und Stilistik, von J. B. Hofmann, neubearbeitet von Anton Szantyr (München 1965). (Handbuch der Altertumswissenschaft, 2. Abt., 2. Teil, 2. Band.)
Mommsen, Dig. ed. mai.
Digesta Iustiniani Augusti, recognovit adsumpto in operis societatem Paulo Kruegero Th. Mommsen, Vol. IIII (Berolini 1870).
Th.L. L.
Thesaurus Linguae Latinae (noch nicht abgeschlossen) (Lipsiae 1900 ff.).
§ 1. Textindividualität und Echtheitskritik I. Das Problem bei der Erforschung klassisch-römischen Rechtsdenkens liegt in der Unsicherheit darüber, ob auf die Quellen im Einzelfall Verlaß ist oder nicht. Die äußere Ursache für diese Unsicherheit ist jedem Romanisten geläufig: das Gros der erhaltenen Texte, die uns das klassische Recht dokumentieren oder dies jedenfalls vorgeben- nämlich die Klassikerfragmente der justinianischen Digesten - entstammt einer Sammlung, deren Zweck nach dem ausdrücklichen Bekunden ihres Veranstalters kein rein antiquarischer war, bei deren Zusammenstellung also ihr Material nicht unangetastet geblieben ist1 ; und dieses Material selbst- die einzelnen Werke der klassischen Juristen- hatte bis zur Sammlung und Sichtung durch die Kompilatoren schon eine mehrhundertjährige und oft wechselvolle Geschichte hinter sich. Die wenigen erhaltenen Doppelüberlieferungen aus nachklassischer Zeit lassen das Ausmaß möglicher Veränderungen- wenn auch direkt nur für die Zeit zwischen der Entstehung der vorjustinianischen Fassung und der Kompilation2 - deutlich werden3 •
Wo Doppelüberlieferungen fehlen - und sie fehlen in der großen Mehrzahl der Fälle - steckt die Textkritik im Dilemma4• Ihr Urteil, ob ein Textstück echt ist oder nicht - das doch für Folgerungen aus diesem Textstück auf klassische Rechtszustände erst die Basis liefert5 kann sich nicht auf verläßliche äußere Daten stützen; sie muß sich ihre Kriterien woanders suchen. Die traditionelle Interpolationenforschung kam nach vorsichtigeren Anfängen6 bald dazu, ihre sprachlichen und dogmatischen Anforderungen an die klassischen Texte zu verabsolutieren; das erwies sich besonConst. Tanta 1; eod. 10 u. ö. Kaser, SZ 69 (1952), 66; Wieacker, SZ 91 (1974), 21; 35. 3 Insbesondere hierzu Wieacker, SZ 67 (1950), 360 ff. und Textstufen klassischer Juristen (1960). Vgl. neuerdings zum allgemeinen Problem die überblicke bei Krampe, Proculi epistulae (1969), 10 ff. und Greiner, Opera Neratii (1973), 6 f., auf die wir zur Vermeidung von Wiederholungen wegen näherer Einzelheiten generell verweisen. ' Vgl. Wieacker, SZ 91 (1974), 14: "ziemlich verzweifelte Aporie der textkritischen Aufgabe". 5 Vgl. Wieacker (o. Fn. 4), 27. 8 Überblick bei Wieacker, Atti del secondo congresso internazianale della Societa Italiana di Storia del Diritto II (1972), 1104 ff. 1 2
12
§ 1. Textindividualität und Echtheitskritik
ders dann als verhängnisvoll, wenn so gewonnene Erkenntnisse zu einer Folge von Kettenschlüssen führten, die ihren Ausgangspunkt alsbald aus dem Bli'Ck verloren7 • Demgegenüber steht heute die Textbeurteilung allgemein unter sehr viel Zurückhaltenderen Prämissen. Insbesondere Kaser 8 weist nachdrücklich darauf hin, daß im klassischen Recht mit einer Fülle von Kontroversen und voneinander abweichenden Entscheidungen gerechnet werden muß 9 • Ferner sei den Klassikern ein größerer Spielraum in der Wahl der Ausdrucksmittel zuzubilligen; dabei müsse auch in Betracht gezogen werden, daß sie sich nicht immer auf einem gleichbleibend hohen Niveau der Darstellung bewegt hätten. Mit diesem Urteil stimmt auch Wieacker 10 im wesentlichen überein. Doch verschafft die Anerkennung größerer Variationsbreite in den Äußerungen klassischer Juristen uns noch keine positiven Maßstäbe in der Echtheitsfrage. Sie kann für die Textbeurteilung nur den (erweiterten) Rahmen abstecken, hilft aber im Einzelfall nicht weiter, wenn es um die Frage geht, ob eine konkreteSachaussage ,klassisch' ist oder nicht. Über ein unsicheres ,kann klassisch sein' ist mit diesem Kriterium naturgemäß nicht hinauszukommen; denn die Textkritik als wissenschaftliches Erkenntnisverfahren kennt keine Beweislastregel, die ,im Zweifel für Echtheit' (oder umgekehrt) spricht11 • Damit ist der Wert rein sprachlich-stilistischer wie auch rein juristisch-dogmatischer Kriterien für das Urteil über Echtheit oder UnechtVgl. Wieacker, Textstufen (o. Fn. 3), 13 f. Kaser, Zur Methodologie der römischen Rechtsquellenforschung (1972), 19 ff.; 47 ff. 9 In diesem Zusammenhang ist allerdings auch darauf hinzuweisen, daß voreilige Annahme einer Klassikerkontroverse nicht von der genauen und umfassenden Exegese der zugrundegelegten Texte entbindet: die alte Prämisse der Pandektenharmonistik, alle voneinander abweichenden Entscheidungen in den Quellen beruhten auf unterschiedlichen Sachverhaltsvoraussetzungen, findet ihre negative Entsprechung in der pauschalen Annahme, daß alle vordergründigen Abweichungen auf unterschiedliche Rechtsmeinungen zurückgingen. Beispiele s. unten im Text, vgl. nur Pal. 135 (u. § 4 I d 8). 10 Wieacker, Atti II (o. Fn. 6), 1105, 1107 ff.; ders., SZ 91 (1974), 5 ff. die wesentlichste Abweichung besteht darin, daß hier die Anforderungen an das darstellerische Mindestniveau der Klassiker etwas höher angesetzt werden. 11 Wieacker, SZ 91 (1974), 18; grundsätzlich sicher im gleichen Sinne Kaser, vgl. Methodologie (o. Fn. 8), 104, s. auch seine allgemeine Stellungnahme zu Wieacker in RPR 1!2 (1975), 569 (Nachtrag zu RPR !2, § 2 Fn. 3). Freilich bleibt dies der Angelpunkt der Kontroverse, da aus der im wesentlichen übereinstimmend erkannten Ausgangslage unterschiedliche methodische Folgerungen abgeleitet werden, die sich - vielleicht überspitzt - auf die Frage zurückführen lassen, ob die Textgeschichte als Disziplin notwendige V o r a u s s e t z u n g für die ,Sachgeschichte' ist (Wieacker, 27 f.) oder ob sich beides nur wechselseitig - und notwendig - ergänzt (Kaser, Methodologie, 9). Wir können die Auseinandersetzung hier nicht weiter verfolgen. 7
8
§ 1. Textindividualität und Echtheitskritik
13
heit eines Juristentextes stark gemindert: inhaltliche und formale ,Klassizität' kann nicht gleichzeitig Maßstab und Ziel des rechtshistorischen Erkenntnisprozesses sein. Angesichts der heute weit gezogenen ,Toleranzgrenze' für möglicherweise noch Klassisches können wir näheren Aufschluß nur von der kritischen Analyse der Klassikerfragmente im Werkzusammenhang erhoffen12. Die Untersuchung einzelner Juristenschriften kann neue Erkenntnisse über Eigenheiten der Werke und ihrer Verfasser bringen, die uns die Grundlage für differenziertere Aussagen über die Herkunft ,verdächtiger' Textstücke liefern. Es gilt also, auch aus einem bestimmten Juristentext selbst Kriterien für seine Beurteilung zu entwickeln. Il. Für die epistulae Javolens wollen wir im Folgenden diesen Versuch unternehmen. Die Anordnung des Stoffs entspricht dem skizzierten Programm und ist auch durch die Eigenart des Materials vorgegeben. Nach kurzen Einleitungsbemerkungen über den Juristen Javolen (§ 2) und die Werkgattung epistulae (§ 3) betrachten wir zunächst eine Reihe von Fragmenten unter äußerlich-formalen Aspekten(§§ 4, 5) und stellen die Responsenform als das augenfällige Charakteristikum des Werkes vor. Im folgenden Abschnitt (§ 6) geht es um die literarische Eigenart und die mutmaßliche Zweckbestimmung der epistulae Javolens. Anschließend wenden wir uns dem Echtheitsproblem zu. Der Gang der Darstellung wird durch die Erkenntnis bestimmt, daß eine gängige Prämisse für das Werk Javolens keine Geltung beanspruchen kann: nicht alles, was juristisch unklar oder sogar falsch ist, deutet hier auf nachklassischen Ursprung. Die textkritische Untersuchung der epistulae hat nämlich ergeben, daß zum einen zwar deutliche Spuren einer späteren Glossierung nachweisbar sind, daß die Fragmente aber andererseits auch Darstellungsfehler aufweisen, die Javolen selbst anzulasten sind. Wir untersuchen deshalb zunächst Art und Ausmaß vorjustinianischer Textveränderungen (§ 7) und stellen den Glossemen dann (§ 8) die eigenen Versehen Javolens gegenüber, die von den nachklassischen Stücken deutlich zu unterscheiden sind. Auf der Grundlage der so gewonnenen Resultate betrachten wir anschließend(§§ 9, 10) einzelne problematische epistulae-Stellen. Einem Hinweis Laurias nachgehend, führen wir danach (§ 11) das Ordnungsschema der epistulae vor. Eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse (§ 12) schließt die Arbeit ab. 12 Vgl. die Forderung von Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961), 286.
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§ 1. Textindividualität und Echtheitskritik
In dem Bestreben, sämtliche epistulae-Fragmente angemessen zu berückischtigen, haben wir gelegentliche Wiederholungen vor allem der formalen Gesichtspunkte in Kauf nehmen müssen. Andererseits waren Überschneidungen nicht zu vermeiden, da auch Stellen, die mehrere der hervorgehobenen Merkmale in sich vereinen, nur unter jeweils einem Hauptaspekt eingeordnet werden konnten. Erforderliche Verbindungen sind durch Querverweise hergestellt.
§ 2. Javolen Für den Lebenslauf1 unseres Juristen haben wir nur spärliche Zeugnisse. Zu nennen sind vier Inschriften, die Javolen gewidmet sind2, sowie Berichte von Plinius d. J. 3, Julian4, Pomponius5 und in der Historia Augusta6 • I. Wo Javolen- mit vollem Namen C. Octavius Tidius Tossianus L. Iavolenus Priscus7 - geboren wurde, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Die in Nedinum gefundene Inschrift8 läßt als möglich erscheinen, daß er aus Dalmatien stammt; doch ist auch eine Herkunft aus Umbrien nicht auszuschließen9• Auch das Geburtsjahr kann nur indirekt und ungefähr erschlossen werden. Nach den fasti Potentiae war Javolen consul suffectus im Jahre 86 10 ; da er dieses Amt kaum vor sei1 Das Folgende fußt durchweg auf den eingehenden Vorarbeiten Ulrich Manthes, dessen Untersuchung der javolenischen libri ex Cassio die Reihe
textgeschichtlicher Abhandlungen demnächst fortsetzen wird. Wir beschränken uns daher unter Verweis auf diese Arbeit auf einen zusammenfassenden überblick. - Vgl. im übrigen aus der älteren und neueren Literatur: Jenichen, De Prisco Iavoleno Iurisconsulto incomparabili et praecipuo saeculi sui ornamento (1734); Alphen, Spicilegium de Iavoleno Prisco Iurisconsulto (1768), erschienen in Oelrichs, Thesaurus novus dissertationum juridiciarum selectissimarum in academiis Belgicis habitarum, Vol. III, 1 (1771); Karlowa, Römische Rechtsgeschichte I (1885), 697 f.; Kalb, Roms Juristen, nach ihrer Sprache dargestellt (1890), 53 f .; Bremer, Iurispr. antehadr. 2, 2 (1901), 394 ff.; Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des römischen Rechts2 (1912), 176f.; Berger, Art. Octavius (Nr. 59) in RE 17, 2 (1937), 1830ff.; Wenger, Die Quellen des römischen Rechts (1953), 502; Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961), 122 f.; Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen2 (1967), 138 ff.; Mayer-Maly, Art. Iavolenus Priscus, RE Suppl. 12 (1970), 500 ff. 2 CIL III, 2864, 9960 = ILS (Dessau) 1015 (Nadin/Nedinum Dalmatien); CIL XVI, 36 = ILS 1998 (Mainz); CIL VIII, 23165 (Gourbata I Thiges Afrika); CIL VIII, 27854 (Tebessa I Theveste - Afrika). 3 Plin. ep. 6, 15; daneben vielleicht ep. 2, 13. 4 Jul. 42 dig., D. 40. 2. 5. 5 Pomp. lb. sing. enchir., D. 1. 2. 2. 53. s Hist. Aug., Vita Antonini Pii c. 12, 1. 7 Vgl. dazu Kunkel (o. Fn. 1), 86 f. 8 CIL III, 2864, 9960 = ILS 1015. 9 Vgl. Syme, Tacitus II (1958), 761; Kunkel (o. Fn. 1), 139. 10 Alfieri, I fasti consulares di Potentia, Athenaeum 26 (1948), 110 ff. (116, 121) = Revue Archeol. 1949, 178 Nr. 23.
16
§ 2. Javolen
nem 37. Lebensjahr erreicht haben kann11, ist das Jahr 49 n. Chr. als wahrscheinliches Geburtsdatum anzusetzen12• Il. Die Ämterlaufbahn unseres Juristen ist der Inschrift aus Nedi~ num13 zu entnehmen: C. OCTAVIO TIDIO TOSSIANO L. IAOLENO PRISCO L(egato) LEG(ionis) IV FLAV(iae) LEG(ato) LEG(ionis) III AUG(ustae) IURIDIC(o) PROVINC(iae) BRITANNIAE LEG(ato) CONSULARI PROVIN [C](iae) GERM(aniae) SUPERlORIS LEGATO CONSULARI PROVINC(iae) SYRIAE PROCONSULI PROVINC(iae) AFRICAE PONTIFICI P. MUTILIUS P. F. CLA. [C]RISPINUS T(estamento) P(oni) I(ussit) AMICO CARISSIMO. Ob Javolen schon unter Vespasian 69 oder 73 14 in den Senatorenstand aufstieg15, ist ungewiß. Seine bezeugte militärische Karriere begann mit dem Amt des Legionslegaten der 4. Flavischen Legion, die in Dalma~ tien16 stand. Aus der weiteren Ämterfolge ergibt sich, daß diese Station spätestens im Jahr 82/83 beendet war. Er führte dann die 3. Augustische Legion in Numidien, und zwar von 82 oder 83 bis 8417• Zwischen 84 und 86 18 war Javolen legatus iuridicus in Britannien; im Jahre 86 wurde er consul suffectus 19• 90 n. Chr. ist er als konsularischer Legat Obergermaniens genannt. Seine Laufbahn führte ihn weiter als konsularischen Legaten nach Syrien. Schließlich war er Prokonsul der Provinz Afrika20, und zwar jedenfalls vor 10621 • III. In Rom war Javolen Pontifex; er hatte das ius respondendi22 , stand der sabinianischen Rechtsschule vor23 und gehörte wohl auch dem 11 Das absolute Mindestalter lag bei 32 Jahren (Mommsen, Römisches Staatsrecht P (1887), 574); als homo novus (vgl. Kunkel (o. Fn. 1), 139) wäre Javolen regulär frühestens mit 42 Jahren in Frage gekommen, doch gab es Ausnahmen (ca. 37 Jahre) bei viri militares, vgl. Syme (o. Fn. 9), 654 f. · 12 Gegen Mommsen, Eph. ep. 5, 656 (Geburt ca. 60 n. Chr.) sprechen die bei Syme (o. Fn. 9), 654 f. gegebenen Daten. 13 CIL III, 2864, 9960 = ILS 1015. 14 Vgl. Tacitus, Hist. II, 82, 2; Sueton, Vespasian 9, 2. 15 So die Vermutung Symes, Tacitus I (1958), 68, 69 mit Fn. 1. 18 Vgl. Filow, Klio Beih. 6 (1906), 46; Ritterling, Art. legio (B) in RE 12, 2 (1925), 1540 ff. 17 Vgl. Piganiol, Mel. d'archeol. et de hist., Ecole fran~. de Rome 28 (1908), 341 ff.; näheres bei Manthe (o. Fn. 1). 18 Birley, Roman Britain and the Roman Army (1953), 51. 19 s. o. Fn. 10. 20 Vgl. dazu auch Jul. 42 dig., D. 40. 2. 5. 21 Der Pliniusbrief, ep. 6, 15, der die dauernde Anwesenheit Javolens in Rom voraussetzt, ist etwa auf 106/107 zu datieren, vgl. Sherwin-Whit e, The letters of Pliny (1966), 36 f., 370; Syme, Tacitus II (1958), 661.
§2. Javolen
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consilium Trajans an24• Ob er auch unter Hadrian noch Mitglied des consilium war, ist ungewiß. Der Bericht der Historia Augusta25, wonach ein Diabolenus zum consilium des Antoninus Pius gehört habe, ist jedenfalls zweifelhaft26• Dagegen spricht nicht nur das hohe Alter, in dem unser Jurist in das consilium aufgenommen sein müßte, sondern auch der merkwürdige Umstand, daß er als Ältester in der Aufzählung an letzter Stelle genannt wäre27• Immerhin mag Javolen ein hohes Alter erreicht und den Regierungsantritt des Antonius Pius noch erlebt haben: sein Nachfolger in der Leitung der sabinianischen Rechtsschule, Aburnius Valens28, war erst 97 geboren29, sein Schüler und späterer Nachfolger Julian um 10030• Das Jahr seines Todes läßt sich aber auch nicht annähernd bestimmen. IV. Ein wenig schmeichelhaftes Bild von Javolen zeichnet Plinius
d. J. 81• Bei einer Dichterlesung in vornehmer Gesellschaft, zu der er als
amicissimus des Vortragenden Passennus Paulus geladen war, reagierte unser Jurist auf das einleitende ,Prisce, iubes •. .' des Dichters mit dem Ausruf ,ego vero non iubeo!'. Wie dem Bericht über die darauf einsetzende allgemeine Erheiterung zu entnehmen ist, entsprach dies zumindest nicht dem üblichen gesellschaftlichen ,Comment'. Ob die Äußerung bewußt placiert war82, vielleicht um Paulus bloßzustellen33, oder ob sie das Ergebnis geistiger Abwesenheit war, ist ihr selbst und der Reaktion der literarischen Runde nicht anzusehen; Plinius jedenfalls sieht in ihr ein Zeugnis für die dubia sanitas unseres Juristen, die diesen aber nicht davon abhalte, Ämter auszuüben, an consilia teilzunehmen und öffentlich Responsa über das ius civile abzugeben. Plin. ep. 6, 15, 3. Pomp. lb. sing. enchir., D. 1. 2. 2. 53. 24 Plin. ep. 6. 15. 3. 25 Hist. Aug., Vita Antonini c. 12, 1. 2' Vgl. Kunkel (o. Fn. 1), 139 Fn. 178. 27 Vgl. Berger, Art. Octavius (Nr. 59), RE 17, 2 (1937), 1831. 2s Pomp. lb. sing. enchir., D. 1. 2. 2. 53. 28 Kunkel (o. Fn. 1), 151 ff. Fnn. 221, 224 f. ao Kunkel, IURA 1 (1950), 192 ff., 201. 31 Plin. ep. 6, 15; wohl106/107 geschrieben, vgl. o. Fn. 21. az In diesem positiven Sinne pflegt die Äußerung Javolens - meist als treffender Witz- heute gemeinhin verstanden zu werden; vgl. K i pp, Geschichte der Quellen des römischen Rechts4 (1919), 118; Wenger, Die Quellen des römischen Rechts (1953), 502; Kunkel, Römische Rechtsgeschichte' (1972), 109f. sa Der Dichter ist vielleicht der Paulus, von dem Martial 2, 20 spottet: (Ed. Lindsay 1929) carmina Paulus emit, recitat sua carmina Paulus, nam quod emas, possis iure vocare tuum. Vgl. Jenichen (o. Fn. 1), 23 f.; Kalb (o. Fn. 1), 54. 22
2a
2 Eckardt
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§ 2. Javolen
Diese Wertung- auch wenn sie stimmen sollte- zeigt zumindest, daß Plinius Javolen nicht sonderlich zugetan gewesen sein kann; ob sie eher dem Mitgefühl für den blamierten Dichter entsprang34 oder ein persönlicher Racheakt war, ist nicht sicher zu entscheiden35• Schließlich ist auch nicht feststellbar, ob und inwieweit Plinius mit seiner allgemeinen Beurteilung Javolens übertreibt. Man kann wohl davon ausgehen, daß sie nicht gänzlich aus der Luft gegriffen war, sondern eher eine etwas böswillige Interpretation gewisser Eigenheiten unseres Juristen darstellt. Das Wahrscheinlichste dürfte sein, daß Javolen ungefähr das Bild personifizierte, das wir uns heute vom ,zerstreuten Professor' machenae. V. Das literarische Werk Javolens besteht zum großen Teil aus Epitomierungen und Kommentierungen älterer Juristen. Aus dieser Gattung erwähnt der Index Florentinus unter seinem Namen 15 Bücher ex Cassio und 5 Bücher ad Plautium; hinzu kommen die in den Digesten relativ reichhaltig ausgewerteten 10 libri ex posterioribus Labeonis. Sie werden im Index Florentinus als Aaßt::ii>vo~ posteriorum ßtßl..(a öexa geführt, während sie in den Digesten meist Iavolenus libro ... ex posterioribus Labeanis (42 Fragmente), häufig aber auch Labeo libro ... posteriorum a Iavoleno epitomatorum (29 Fragmente) inskribiert sind; hinzu kommen zwei Stellen, die mit Iavolenus libro . .. posteriorum Labeanis und zwei weitere, die mit Iavolenus libro ... Labeanis posteriorum angegeben sind. Die verschiedenen Inskriptionen dürften sich eher auf verschiedene (nachklassische) Ausgaben desselben Werkes als auf von Anfang an gesonderte Werke beziehen37• Das einzige eigenständige Werk Javolens sind die 14 Bücher epistularum. Sie sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. 34 Daß Plinius den Passennus Paulus bewunderte, geht auch aus ep. 9, 22 hervor. 35 Auffällig ist, daß der Name des Adressaten (Romanus) sich mit dem eines jungen Mannes (Voconius Romanus) deckt, den Plinius in ep. 2, 13 einem Priscus zur Förderung empfahl. Ep. 6, 15 könnte die ,Vergeltung' dafür sein, daß Javolen als Adressat von ep. 2, 13 die Protektion abgelehnt hatte; die Existenz von ep. 6, 15 spräche dann nicht unbedingt dagegen, daß Javolen der Priscus in ep. 2, 13 ist; vgl. aber Greiner, Opera Neratii (1973), 3 Fn. 11, der Neraz für den Empfänger hält. Eingehend zum Ganzen Manthe (o. Fn. 1). 38 Vgl. Krüger (o. Fn. 1), 177. 37 Vgl. Lenel, Palingenesia I, 299 f. Fn. 4, der freilich meint, erst die Kompilatoren hätten die Fragmente, in denen Iavolen Labeo direkt zu Wort kommen ließ, anders inskribiert als die Stellen aus demselben Werk, in denen Labeo nur indirekt zitiert wird; ähnlich wie Lenel Berger (o. Fn. 1), 1836 ff. Für zwei verschiedene Labeo-Auszüge von der Hand Javolens Kipp, Geschichte der Quellen des römischen Rechts4 (1919), 119 mit Karlowa (o. Fn. 1), 698; unentschieden Krüger (o. Fn. 1), 177 f., wonach das Verhältnis der beiden Auszüge unklar bleibt. Der modernen Romanistik, die generell mit nachklassischen Neuausgaben rechnen muß (vgl. Wieacker, Textstufen klassischer Juristen (1960), 72 ff.), wird die Frage weniger Rätsel aufgeben.
§ 3. ,Epistulae' Ob der Titel epistulae über Zweckbestimmung und Material unserer Schrift etwas aussagt, ist zweifelhaft. I. Die ältere quellengeschichtliche Literatur stimmt darin überein, daß epistulae betitelte Juristenschriften Sammlungen wirklicher Briefe seien. Nach Bremer1, der mit seiner Ansicht freilich allein geblieben ist2, waren die epistulae Rechtsbescheide, die von den adsessores des Magistrats den streitenden Parteien gegeben worden seien. Dagegen sah H. Pernice3 in den epistulae tatsächlich ergangene Responsen wiedergegeben, während A. Pernice4 sie als wissenschaftliche Korrespondenz den praktischen Responsen gegenüberstellte, die die Juristen auch unter dem Titel responsa herausgegeben hätten5• Krüger6 unterscheidet die quaestiones als wissenschaftlichen Briefwechsel von den responsa als Responsen im technischen Sinne und sieht in den epistulaeWerken Sammlungen, in die schriftliche Bescheide beider Art aufgenommen seien7 • Schulz8 dagegen verzichtet darauf, zwischen Digesta, Responsa, Quaestiones, Disputationes - und implizit auch Epistulae9 nach der Zugehörigkeit zu verschiedenen literarischen Gattungen zu differenzieren; er rechnet sie alle zur ,Literatur der Problemata', deren 1 Bremer, Die Rechtslehrer und Rechtsschulen im römischen Kaiserreich (1868), 40 ff. 2 Vgl. näher Krampe, Proculi epistulae (1969), 13. 3 H. Pernice, Miscellanea zu Rechtsgeschichte und Texteskritik (1870), 22ff. • A. Pernice, Labeo I (1873), 64 ff. s Soweit freilich die Notwendigkeit dieser Unterscheidung aus der Tatsache hergeleitet wird, daß von Labeo Werke beider Titel überliefert seien (A. Pernice (o. Fn. 4), 60 f.), so steht das auf schwankendem Grund: es spricht einiges dafür, daß das einzige Zitat labeaniseher epistutae in den Quellen (Pomp. 30 Sab., D. 41. 3. 30. 1) sich in Wahrheit nicht auf Labeo, sondern auf Javolen bezieht, vgl. dazu u. § 10 II 4 mit Fn. 74; § 11. 8 P. Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des römischen Rechts2 (1912), 146; ebenso Peter, Der Brief in der römischen Litteratur (1901, Nachdr. 1965), 220; Schanz I Hosius I Krüger, Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian II!S (1922, Neudr. 1959), 218; Wenger, Die Quellen des römischen Rechts (1953), 494; Riccobono, NNDI 9 (1963), 362. 7 Vgl. Krüger (o. Fn. 6), 167 zu den epistutae des Proculus; eod. 177 zu denen Javolens. 8 Schutz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961) 281 f. 8 Vgl. Schutz (o. Fn. 8), 286 ff.
2•
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§
3. ,Epistulae'
bestimmendes Merkmal die Erörterung schwieriger und schwerster juristischer Einzelfragen sei1°. II. Auch die allgemeine Literaturgeschichte kann von der Gattung der epistulae kein einheitliches, fest umrissenes Bild vermitteln11• Ein literarisches Werk in Briefform konnte natürlich wirklich geschriebene Briefe wiedergeben12 ; doch bediente man sich auch vielfach des Briefes als Einkleidungsform für literarische Äußerungen verschiedenster Zweckbestimmung13• Solche ,epistulae' waren also nicht vorher individuell geschrieben und abgesandt worden, auch wenn sie in der Sammlung einen konkreten Adressaten nannten14• Die zuletzt genannte Möglichkeit kommt bei unseren älteren Quellenforschern offenbar überhaupt nicht in den Blick, während die philologischen Literaturhistoriker - soweit sie sich nicht ihrerseits auf die romanistische Quellenforschung berufen15 - sie als selbstverständlich in Rechnung stellen: für Sykutris 16 ergibt sich die Beliebtheit der Briefform in der juristischen Literatur schon - sicher zutreffend - aus der ,Natur der Sache', und entsprechend lesen wir auch bei Schanz I Hosius11, daß vor allem Proculus, Celsus d. J., Neraz und Javolen ihre Theorien "in Briefform verfochten" hätten. Dafür, daß auch juristische Autoren sich des Briefes als Einkleidungsfarm bedienen konnten, hat neuerdings Krampe18 den bündigen Beweis geliefert: Proculus benutzte in seinen epistulae die Briefform offenbar gezielt als Darstellungsmittel, unabhängig davon, ob im Einzelfall ein wirklicher Briefwechsel zugrundelag; er verfolgte damit ein didaktisches Ziel. III. Der Bezeichnung epistulae als solcher ist also nicht anzusehen, ob das Werk Javolens einem bestimmten Zweck dienen sollte und ob ihm eine wirkliche Korrespondenz zugrundelag. Wenn diese Fragen bis hierhin offengeblieben sind, so können wir die Antwort nur von der eingehenden Textanalyse erhoffen. 10 Wieder etwas stärker differenzierend jetzt Liebs, Art. ,Juristische Literatur', in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 3 (Fuhrmann (Hrsg.), Römische Literatur, 1974), 197 f.: epistulae seien die freieste literarische Form, Rechtsfälle zu erörtern. 11 Vgl. vor allem Peter (o. Fn. 6); Sykutris, Art. Epistolographie in RE Suppl. 5 (1931), 185 ff. 12 So für die Atticusbriefe Ciceros Peter (o. Fn. 6), 7 f., 38 ff. 13 Peter (o. Fn. 6), 213 ff.; Sykutris (o. Fn. 11), 200 ff. 14 Die Angabe wirklicher oder vom Schreiber für wirklich gehaltener Personen als ,Deckadressen' war offenbar in der lateinischen Epistolographie die Regel, vgl. Sykutris (o. Fn. 11), 203. 15 Vgl. Peter (o. Fn. 6), 220 mit Fn. 1. 16 Sykutris (o. Fn. 11), 220 mit Fn. 1. 17 Schanz I Hosius, Geschichte pp. (o. Fn. 6) II4 (1935, Neudr. 1959), 860. 18 Krampe (o. Fn. 2), 47 ff.; 97.
§ 4. ,Responsa' Viele der insgesamt 74 epistulae-Fragmentet, die in der justinianischen Kompilation dokumentiert sind, weisen die Worte Tespondit oder (seltener) Tespondi auf, mit denen der Jurist jeweils seine Entscheidung der aufgeworfenen Frage einleitet. Diese Fragmente bilden also eine formal bestimmbare Kategorie, die im folgenden anhand von Beispielen vorgeführt werden soll. I. Die meisten dieser Stellen sind dreiteilig aufgebaut: an die Sachverhaltsschilderung schließt sich die quaestio an, die die Rechtsfrage enthält; darauf folgt dann die Entscheidung Javolens. Diese geläufige Dreiteilung tritt in einigen Varianten auf. a) Zuweilen scheint unser Jurist um besondere (manchmal übertrieben anmutende) Deutlichkeit bemüht. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist 1. Pal. 130 = D. 36. 1. 48 Jav. 11 ep. Seius Saturninus archigubernus ex classe Britannica testamento fiduciarium reliquit heredem Valerium Maximum trierarchum, a quo petit, ut filio suo Seio Oceano, cum ad annos sedecim pervenisset, hereditatem restitueret. Seius Oceanus antequam impleret annos, defunctus est: nunc Mallius Seneca, qui se avunculum Seii Oceani dicit, proximitatis nomine haec bona petit, Maximus autem trierarchus sibi ea vindicat ideo, quia defunctus est is cui restituere iussus erat. quaero ergo, utrum haec bona ad Valerium Maximum trierarchum heredem fiduciarium pertineant an ad Mallium Senecam, qui se pueri defuncti avunculum esse dicit. respondi: si Seius Oceanus, cui fideicommissa hereditas ex testamento Seii Saturnini, cum annos sedecim haberet, a Valerio Maximo fiduciario herede restitui debeat, priusquam praefinitum tempus aetatis impleret, decessit, fiduciaria hereditas ad eum pertinet, ad quem cetera bona Oceani pertinuerint, quoniam dies fideicommissi vivo Oceano cessit, scilicet si prorogando tempus solutionis tutelam magis heredi fiduciario permisisse, quam incertum diem fideicommissi constituisse videatur. Seius Saturninus2 , Oberbefehlshaber3 der britannischen Flotte, wollte sicher sein, daß sein Nachlaß seinem Sohn Seius Oceanus nicht sofort 1 Aus der Lenel'schen Zählung (Palingenesia I, 285-297: Pal. 70 -141) ergibt sich nur die Zahl von 72 Fragmenten; wir zählen indessen hier Pal. 125 doppelt, weil dort zwei voneinander unabhängige ,responsa' enthalten sind, und rechnen Pal. 238 hinzu (dazu sogleich). 2 Ob die in diesem Fragment vorkommenden Namen authentisch sind, ist ungewiß. Die Prosapographie verzeichnet Valerius Maximus (PIR1 III, 361, 83) und Seius Saturninus (PJRl III, 192, 245), freilich nur unter Hinweis auf
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§ 4. ,Responsa'
zufiele, sondern erst dann, wenn dieser das sechzehnte Lebensjahr vollendet habe. Deshalb setzte er nicht ihn, sondern den Trierenkommandanten4 Valerius Maximus zum Erben ein mit der fideikommissarischen Bestimmung, daß die Erbschaft an Seius Oceanus herauszugeben sei, sobald dieser das geforderte Alter erreicht habe. Valerius Maximus trat die Erbschaft an. Oceanus starb aber selbst, bevor er sechzehn geworden war. Alsbald meldet sich Mallius Seneca, nach eigener Behauptung ein Onkel des verstorbenen Oceanus, und verlangt auf Grund des Fideikommisses die Erbschaft heraus, da er als nächster Verwandter5 der gesetzliche Erbe sei. Valerius Maximus dagegen ist der Ansicht, die Erbschaft nunmehr behalten zu dürfen, da die Erfüllung des Fideikommisses nicht mehr möglich sei. Valerius Maximus wäre im Recht, wenn Seius Oceanus zu Lebzeiten noch kein vererbliches Recht auf Erwerb des Fideikommisses erworben hätte; es kommt hier also darauf an, wann der dies cedens anzusetzen ist. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der testamentarischen Anordnung jedenfalls nicht unmittelbar: die Bestimmung cu.m ad annos sedecim pervenisset kann sowohl eine Bedingung bedeuten (,falls er sechzehn wird') wie die Festsetzung eines festen Termins (,in dem Zeitpunkt, da er sechzehn wird'). Nur im letzteren Fall hätte Seius Oceanus den dies cedens erlebt6 • Zwar weist das temporale cu.m eher auf eine Zeitbestimmung als auf eine Bedingung hin; gleichwohl kann Valerius Maximus zu seinen Gunsten die offenbar ganz einheitliche Praxis bei der Auslegung gleichlautender Legatsbestimmungen ins Feld führen. Die Juristen lehren nämlich, daß beim Legat ein so festgesetzter Termin dies incertu.s seF, und daß ein solches Vermächtnis eine Bedingung in sich trage8 ; dies cedens kann dann erst der Zeitpunkt des Bedingungseintritts sein, da vorher ungewiß ist, ob überhaupt etwas geschuldet werden wird9 • Pal. 130, ohne andere Zeugnisse beizubringen. Auch den betreffenden Artikeln in der Realenzyklopädie (Stein, RE II A 1 (1921), 1124 f. - Seius Saturninus/Seius Oceanus; Lambertz, RE VIII A 1 (1955), 90- Valerius Maximus; Stein, RE XIV 1 (1928), 912 - Mallius Seneca) ist nicht mehr zu entnehmen. Auffällig ist, daß Pal. 130 - neben Pal. 132 (Statius Primus) die einzige epistu.lae-Stelle ist, die keine offensichtlichen Blankettnamen verwendet. 3 Heumann I Seckel, Handlexikon9 s. v. archigubernus. 4 Heumann I Seckel (o. Fn. 3) s. v. trierarchus. 5 Vgi. Gai 3, 9 f. 8 Vgl. Kaser, RPR 12 , 752. 7 Paul. 2 ad Vitell., D. 36. 2. 21. pr. 8 Pomp. 5 ad Quint. Muc., D. 36. 2. 22. pr.; Ulp. 23. Sab., D. 30. 49. 1 + 2; vgl. Sommer, SZ 34, 394 - 401. 9 Dazu Kaser, RPR P, 752 mit weit. Nachw.
§ 4. ,Responsa'
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Indessen hat diese strenge Regel wohl nur für Legate uneingeschränkt gegolten: beim Fideikommiß dagegen, das - als das flexiblere Rechtsinstitut - bei der Auslegung von Zweifelsfragen eine stärkere Berücksichtigung des Testatorwillens erlaubt, finden wir häufiger Entscheidungen, die eine Terminsbestimmung wie in unserem Fall nicht als dies incertus ansehen10• Wesentlicher Entscheidungsgesichtspunkt ist dabei, was der Erblasser mit einer solchen Terminsbestimmung bezweckt habe11• In einem Reskript des Alexander Severus aus dem Jahr 22612 sehen wir dann Legat und Fideikommiß gleichermaßen der weniger strengen Auslegung zugänglich gemacht. Allerdings scheint dies nicht der erste ,Einbruch' in den Geltungsbereich der alten Regel vom dies incertus zu sein: gerade Javolen selbst war es, der in diesem Zusammenhang schon vorsichtige Zweifel angemeldet hatte, wenn er entgegen der Meinung des Cassius13 - in einem solchen Fall sei magis condicio quam dies legato adiecta - zu bedenken gab, daß der für den Anfall des Legats bestimmte dies pubertatis doch auch ,irgendwie' eine Zeitbestimmung bedeute14. Ob Javolen daraus auch für den Ansatz des dies cedens beim Legat Konsequenzen gezogen hat, können wir der Stelle allerdings nicht entnehmen. Immerhin befindet sich Javolen in unserem Fall, wo es um ein Fideikommiß geht, durchaus in Übereinstimmung mit anderen klassischen Juristen15. Den Grund für seine Entscheidung siehter-was beim Fideikommiß nichts Auffälliges hat - in der inneren Motivation, die den Erblasser zu seiner Anordnung bewogen hat: er habe den Erbschaftserwerb durch seinen Sohn nur aufschieben und dem Valerius Maximus für die Zwischenzeit eine quasi-Tutel einräumen16 wollen; 1o z. B. Scaev. 20 dig., D. 34. 1. 18. 2. 11 Pap. 9 resp., D . 36. 2. 26. 1.
12 C. J . 6. 53. 5: Ob die Entscheidung von Septimius Severus und Antoninus (C. J. 6. 53. 3; a. 204) das Gegenteil besagt, ist nicht mit Sicherheit auszumachen: die dort genannte Voraussetzung si Pontianilla pervenit ad eam aetatem, cui legatum aut fideicommissum delatum erat mag sich auf den vorgelegten Sachverhalt beziehen, der zu Überlegungen wie in C. J. 6. 53. 5. keinen Anlaß gab. 1a Jav. 2 ex Cass., D. 35. 1. 54. pr. 14 •••
diesque pubertatis habet aliquam temporis demonstrationem.
Siehe soeben Fnn. 10, 11. Die rigorosen Streichungen Beselers in TR 10 (1930), 229, die die Aussage der Stelle in ihr Gegenteil verkehren, sind daher jedenfalls aus dogmatischen Gründen nicht geboten. Nach Beseler lautete der Schluß der Stelle kurz und bündig: respondi: si Seius Oceanus [-], 15
priusquam praefinitum tempus aetatis impleret, decessit, fiduciaria hereditas [-] (non debetur ) , quoniam dies fideicommissi vivo Oceano (non) cessit [-]. Uns scheint dies willkürlich.
18 Diese Art ,Tutel' war gar nicht selten, vgl. z. B. Ulp. 57 ed., D. 28. 2. 18; Ulp. 44 ed., D. 38. 2. 12. 2. Dazu näher Kübler, SZ 31 (1910), 188.
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dagegen sei es nicht seine Absicht gewesen, dem fiduziarischen Erben durch Bestimmung eines dies incertus die Chance auf endgültigen Erwerb der Erbschaft zu geben. Dafür, daß innere Beweggründe des Testators bei der Beurteilung von Fideikommissen herangezogen werden konnten, liefert Javolen noch einen weiteren Beleg in Pal. 238
= D. 33.1.15 Valens 7 fideicomm/Jav. 11? epP
Iavolenus eum, qui rogatus post decem annos restituere pecuniam ante diem restituerat, respondit, si propter capientis personam, quod rem familiarem tueri non posset, in diem fideicommissum relictum probetur et perdituro ei id heres ante diem restituisset, nullo modo liberatum esse: quod si tempus heredis causa prorogatum esset, ut commodum medii temporis ipse sentiret, liberatum eum intellegi: nam et plus eum praestitisse quam debuisset. Jemand hatte eine Summe Geldes geerbt mit der fideikommissarischen Bestimmung, dieses Geld nach Ablauf von zehn Jahren einem Dritten herauszugeben; er zahlte den Betrag jedoch schon vor Fälligkeit an den Begünstigten, bei dem das Geld aus irgendwelchen Gründen unterging. Die Frage ist, ob der Begünstigte bei Fälligkeit nochmals aus dem Fideikommiß gegen den Erben vorgehen kann. Javolen antwortet, es gelte zu differenzieren: habe nämlich der Erblasser die Zehnjahresfrist im Interesse des Begünstigten gesetzt, etwa weil dieser (als Minderjähriger) vor Ablauf dieser Zeit zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Familienvermögens nicht in der Lage war, so habe der Erbe durch die vorzeitige Zahlung gegen eine Schutzpflicht verstoßen und sei mithin nicht frei geworden; habe dagegen die Zehnjahresfrist dem Vorteil des belasteten Erben gegolten, damit er sich während dieser Zeit der hinterlassenen Summe erfreue, so habe er durch die vorzeitige Zahlung mehr getan als er hätte tun müssen und sei mithin von seiner Verpflichtung befreit. Die ratio decidendi ergibt sich auch hier nicht direkt aus den äußeren Gegebenheiten, die in beiden Fällen gleich sind; sie leitet sich vielmehr aus der inneren Zweckbestimmung durch den Testator her, die freilich aus äußeren Umständen (si propter capientis personam .. . in diem fideicommissum relictum p r o b e t ur .. .) zu erschließen ist. t7 Dafür, daß das Zitat aus den epistulae stammt, spricht entschieden das respondit: in keinem anderen der in den Digesten überlieferten Werke bedient sich Javolen der Form des Responsums. Die Zuordnung zum 11. Buch ist wegen des engen Sachzusammenhangs jedenfalls wahrscheinlich; doch ist auch die Herkunft z. B. aus dem 7. Buch nicht prinzipiell ausgeschlossen, vgl. dazu u. § 11.
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In dieser gleichen Argumentationsbasis sehen wir die Kongruenz von Pal. 130 und Pal. 238; daher geht es nicht an, mit Siber18 den Schluß von Pal. 130 von scilicet si an für "offenbar unecht" zu erklären. Dagegen spricht auch, daß die Ausdrucksweise magis . .• quam ... videatur Javolen nicht fremd gewesen zu sein scheint; jedenfalls taucht sie bei ihm an anderer Stelle19 wieder auf. Formal auffällig sind in Pal. 130 die häufigen Wiederholungen, die sich aus der Absicht des Verfassers erklären mögen, den Sachverhalt möglichst eindringlich klarzustellen. So wiederholt schon die quaestio, daß Valerius Maximus fiduziarischer Erbe sei und daß Mallius Seneca behaupte, der Onkel des verstorbenen Knaben zu sein; das Responsum gibt dann noch einmal den vorgelegten Sachverhalt in gedrängterer Form wieder. Dabei ist allerdings zu beobachten, daß diese Übernahme nicht rein mechanisch geschieht: Javolen sagt nicht, das Fideikommiß stehe dem Mallius Seneca zu - das wäre nicht korrekt, da Mallius noch nicht dargetan hat, daß er wirklich der Onkel ist - , sondern er hilft sich mit der allgemeinen Wendung, Berechtigter sei numehr derjenige, dem auch das sonstige Vermögen des Oceanus zustünde. 2. Eine ähnliche Darstellungsform finden wir auch in Pal. 97 = D. 39. 5. 25 Jav. 6 ep. Si tibi dederim rem, ut Titio meo nomine donares, et tu tuo nomine eam ei dederis, an factam eius putes? respondit: si rem tibi dederim, ut Titio meo nomine donares, eamque tu tuo nomine ei dederis, quantum ad iuris suptilitatem accipientis facta non est et tu furti obligaris: sed benignius est, si agam contra eum qui rem accepit, exceptione doli mali me summoveri. Ego übergibt tu eine Sache mit der Weisung, tu solle sie im Namen des ego dem Titius schenken; tu ,übereignet' dem Titius die Sache jedoch im eigenen Namen; gefragt wird, ob Titius das Eigentum erwor18 Siber, SZ 48 (1928), 762 (Besprechung von Appleton, Apercus nouveaux sur le terme certain ou incertain en droit romain et moderne, Revue Generale de droit 50 (1926), 154 ff.) argumentiert folgendermaßen: wenn in Pal. 238, 1. Fall der Erbe nicht befreit werde, so sei daraus zu folgern, daß durch die Zeitbestimmung die Wirksamkeit des fc. aufgeschoben war; folglich habe das fc. in diesem Fall - in dem die Frist zu Gunsten des Bedachten lief- auch nicht "transmissionsfähig" sein können. Dazu stehe aber der Schluß von Pal. 130 in offenem Widerspruch, da Transmissionsfähigkeit hier doch gerade dann bejaht werde, wenn die Frist zu Gunsten des Bedachten gesetzt war. - Die Argumentationskette: keine Befreiung, also: Wirksamkeitsaufschub, also: keine Transmissionsfähigkeit erscheint uns schon dogmatisch nicht zwingend und aus dem Zusammenhang der beiden Stellen geradezu widerlegt: denn auch wenn man bei Pal. 130 den Schlußsatz streicht, wird man deshalb kaum den formalen Erben als den durch die Regelung Begünstigten ansehen können; das Gegenteil wird dann immer noch durch das Beispiel in Pal. 238 (quod rem famiZiarem tueri non passet) nahegelegt. 19 Jav. 1 ex Cass. D. 28. 5. 14. quia testator ... magis ordinem quam mo-
dum partibus imposuisse videtur.
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ben hat. Der Jurist gibt darauf die Antwort: gemäß der Strenge des ius civile sei Titius nicht Eigentümer geworden, und tu hafte dem ego aus furtum; aber der Billigkeit entsprechend sei ego mit der exceptio doli zurückzuweisen, wenn er von Titius die Sache vindiziere. Die Stelle hat in der Vergangenheit vielfach Anstoß erregt20 ; die Wendungen quantum ad iuris suptilitatem und sed benignius est rell galten geradezu als Musterbeispiele für byzantinische Denkungsart. Solchen pauschalen Annahmen ist vor einiger Zeit Wubbe 21 mit über~ zeugenden Argumenten entgegengetreten; er weist nach, daß das Wort benignus sich in der ganzen Latinität finde 22, dagegen in nachklassischen Quellen und Justinianischen Erlassen sehr selten vorkomme23• Gerade in dem angefochtenen Teil unserer Stelle tritt die Unterscheidung zwischen ius civile und ius honorarium klar hervor; das spricht entscheidend gegen die Annahme Koschakers 24, daß die vorliegende Textfassung ausgerechnet auf einen kompilatorischen Eingriff zurückgehe. Inhaltlich gibt die Stelle klassisches Recht wieder25 : der Eigentumserwerb scheiterte, weil zwischen ego und Titius keine Einigung über die causa traditionis (Schenkung) zustandegekommen ist; demnach wäre die Vindikation begründet. Tatsächlich ist aber das eingetreten, was ego wollte: nämlich daß Titius die Sache hat. Deshalb handelt ego dolos, wenn er nun die Sache zurückfordert, so daß sich Titius mit der exceptio schützen kann. Auch daß tu aus furtum haftbar ist, liegt innerhalb der klassischen Doktrin26 • Javolen geht auf dieses Thema weiter nicht ein: er befaßt sich nur mit der Frage des Eigentumsüberganges. Wir sehen deshalb keinen Grund, die Echtheit von Pal. 97 anzuzweifeln27. 20 Der Kürze halber sei hier ,en bloc' auf die im Ind. Itp. Zitierten verwiesen; seitdem Burdese, Autorizzazione ad alienare in diritto romano (1950) m. Rez. Kreller, IURA 2 (1951), 275 ff.; Koschaker, IURA 4 (1953), 81 n. 200; Albanese, La nozione del furtum fino a Nerazio (APal. 23 (1953), estr.) 192 f. m. Rez. Niederländer, IURA 5 (1954), 344 ff. 21 F. B. J . Wubbe, Benigna interpretatio, Symb. David I (1968), 237 - 262. Zustimmend Mayer-Maly, IURA 21 (1970), 299. 22 Wubbe (o. Fn. 21), 238 f. 23 Wubbe (o. Fn. 21), 240 f. 24 Koschaker, IURA 4 (1953), 81 n. 200. 25 Darauf weist auch Riccobono, APal 14 (1930), 440 hin (vorher schon APal3/4 (1917), 597 ff.), der gleichwohl die Stelle für interpoliert hält. 28 Vgl. z. B. Jul. bei Ulp. 37 ed., D. 47. 2. 52. 16 und dazu Albanese, Furtum (o. Fn. 20), p. 152 f. Ob für die Annahme eines furtum in solchen Fällen stets ein lucrum beim Täter erforderlich war (Albanese), sei hier dahingestellt; kritisch dazu schon Niederländer in der Rez., IURA 5 (1954), 355.
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4. ,Responsa'
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Festzuhalten bleibt, daß auch hier das Responsum den vorgelegten Sachverhalt wiederholt, und zwar so gut wie wörtlich. Dadurch tritt hier - weil die beteiligten Personen ego und tu genannt werden - ein Personenwechsel ein: war ego in der quaestio der Anfragende, so ist es im Responsum der antwortende Jurist. 3. Ein weiteres Beispiel ist Pal. 129 = D. 35. 1. 67 Jav. 11 ep. Cum sub hac condicione fundus alicui legatus esset ,si servum non manumiserit' et, si manumiserit, legatum fundi ad Maevium translatum esset, legatarius de non liberando satisdedit et legatum accepit et postea liberavit: quaero, an aliquid Maevio detur. respondit, si cui ita legatum erit ,si servum non manumiserit', satisdatione interposita accipere ab herede legatum poterit et, si postea servum manumiserit, commissa stipulatione heredi vel fundum vel quanti ea res est restituet eoque casu heres ei, cui ex sequenti condicione legatum debuerit, restituet. Jemandem ist ein Grundstück vermacht worden unter der Bedingung, ,daß er den Sklaven nicht freilasse'. Für den Fall, daß er den Sklaven doch freilasse, war der Übergang des Legats an einen Dritten - Maevius- angeordnet. Der Legatar gab die cautio Muciana28 ab, erhielt daraufhin das vermachte Grundstück und ließ dann den Sklaven frei. Gefragt wird, ob dem Maevius ,irgendetwas gegeben werde'. Die Antwort holt zunächst etwas aus: wenn einem mit solcher Maßgabe vermacht sei, so werde man nach Stellung der satisdatio das Legat vom Erben erhalten können; lasse der Legatar aber dann den Sklaven frei, so werde er aus der Stipulation dem Erben das Grundstück oder dessen Wert zurückerstatten; und in diesem Fall werde der Erbe seinerseits (das Empfangene) demjenigen herausgeben, dem er das Legat gemäß der [eingetretenen] Bedingung schuldete. Die Bedingung si servum non manumiserit ist eine ,negative Potestativbedingung', also eine Bedingung, die durch Unterlassen einer Handlung zu erfüllen ist und deren endgültiger Eintritt oder Nichteintritt sich daher möglicherweise erst mit dem Tode des Bedachten entscheidet. War die Bedingung von der Art, daß ihr Eintreten oder Ausfallen unter allen Umständen erst mit dem Tod des Legatars feststand, so war dadurch ein Legatserwerb zu Lebzeiten praktisch ausgeschlossen; hier half jedoch wohl als erster Q . Mucius Scaevola mit der nach ihm benannten cautio, in der der Legatar versprach, das Empfangene zurückzugewähren, wenn er der Bedingung zuwidergehandelt 27 Ähnlich argumentiert Javolen in 5 ex Cass., D. 34. 5. 22 und 6 eod. D. 40. 7. 28; vgl. auch Jul. 18 dig. D. 12. 1. 20. 28 Vgl. zur cautio Muciana Scialoja, BIDR 11 (1898- 1900), 265- 280; Levy, SZ 24 (1903), 122- 151; H. Krüger, Melanges P. F . Girard II (1912), 1- 34; Masi, IURA 13 (1962), 175 -192; weitere Hinweise bei Kaser RPR ! 2 , 254.
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habe29• Der Wortlaut der cautio ist nicht überliefert30 ; die Bestimmung des Leistungsgegenstandes in unserer Stelle - commissa stipulatione heredi vel fundum vel quanti ea res est restituet - ist jedenfalls ein Indiz dafür, daß sie alternativ auf den vermachten Gegenstand selbst oder auf quanti ea res est gestellt werden konnte. War die Handlung, die der Bedachte zu unterlassen hatte, auf eine konkrete Person oder Sache bezogen (z. B. si Titio non nubserit; si servum non manumiserit), so konnte der Eintritt der Bedingung auch schon zu Lebzeiten des Bedachten feststehen: die Legatarin k o n n t e Titius nicht mehr heiraten, wenn er vor ihr gestorben war31 ; ebenso konnte man einen toten Sklaven nicht mehr freilassen und so der Bedingung zuwiderhandeln. Für solche Fälle stand die cautio Muciana prinzipiell nicht zur Verfügung; als Ausnahme belegen die Quellen lediglich die Bestimmung si servum non manumiserit32• Nach der Deutung Ernst Levys33 wollten die Juristen so verhindern, daß der Sklave, der dem Legatserwerb im Wege stand, kurzerhand getötet würde34• Der Auffassung Levys widerspricht Hugo Krüger 35 ; er vermutet, daß die Juristen den Anwendungsbereich der cautio Muciana in zwei Schritten verändert haben. Die cautio sei zunächst auf den Fall si u.xor non nubserit beschränkt gewesen36 ; etwa in trajanischer Zeit hätten die Juristen sie bei sämtlichen negativen Patestativbedingungen zugelassen37• Diese Ausdehnung habe dann Julian wieder eingeschränkt38• Aus diesem Grunde sei es nicht verwunderlich, wenn Javolen ebenso wie Ari28 Wem gegenüber die cautio abzugeben war, scheint in den Quellen kontrovers zu sein. Pap. 19 quaest., D. 35. 1. 73 benennt den Erben als Erklärungsgegner. Gai. 18 ea. prov., D. 35. 1. 18 scheint für Fälle wie den unseren den Alternativerwerber im Auge zu haben; so versteht insbesondere Biondi, Successione testamentaria e donazioni2 (1955), 545 die Stelle und folgert daraus, die cautio sei s t e t s dem sonst Begünstigten zu leisten. Wir möchten hingegen aus Pap. D. 35. 1. 73 sowie aus unserer Javolenstelle folgern, daß regelmäßig der Erbe die cautio entgegennahm; das mag sich schon daraus erklären, daß nur zwischen ihm und dem Erstbedachten überhaupt eine Rechtsbeziehung bestand. Ob Gaius unseren Fall bei seiner sehr allgemein gehaltenen Aussage überhaupt mitgemeint hat, können wir hier nicht ergründen. 3° Kaser, RPR !2, 254 Fn. 17. 31 So ausdrücklich Jul. 25 dig., D. 35. 1. 106. 32 Ulp. 18 Sab., D. 35. 1. 7. pr; Jul. bei Ulp. 8 Sab., D. 28. 7. 4. 1; Jav. Pal. 129. as Levy, zur Lehre von der Muciana cautio im klassischen römischen Recht,
sz 24 (1903), 122 34
35 38
37
as
151 (134- 140).
Dieser Erklärung folgt auch Biondi, Succ. (o. Fn. 29) 544 n. 4. H. Krüger, Melanges Girard II (1912), 1 - 34. H. Krüger (o. Fn. 35), 2, 15.
H. Krüger (o. Fn. 35), 3, 15. Jul. 25 dig., D. 35. 1. 106; Krüger (o.
Fn. 35), 3, 14.
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sto und Nerazas von dem Julianischen Kriterium noch nichts wußte und die cautio Muciana ohne Bedenken auch dort gelten ließ, wo der Eintritt der Bedingung sich auch vor dem Tode des Bedachten entscheiden konnte. Weiche dieser Ansichten mehr für sich hat, können und müssen wir hier nicht entscheiden; für unsere Aufgabe reicht es aus, wenn wir feststellen, daß wegen der Anwendung der cautio Muciana bei der Bedingung si servum non manumiserit Echtheitsbedenken nicht zu erheben sind. Gleichwohl ist aus anderen Gründen auch diese Stelle nicht von Verdacht freigeblieben. Die Echtheit ist zuerst von Beseler 40 bestritten worden; eine tiefgreifende Überarbeitung hat in jüngerer Zeit auch Talamanca 41 angenommen. Beide stützen sich auf sprachliche wie auf sachliche Kriterien, die jedoch im Ergebnis das Unechtheitsurteil nicht zu tragen vermögen42• 39 Bei Ulp. 18 Sah., D. 35. 1. 7. pr. (daß auch Julian hier genannt sei, liege an kompilatorischer Verkürzung; und was die Konstitution des Pius angehe, so wisse man über deren Inhalt nichts. Möglich sei, daß dort eine Ausnahme für die Bedingung si servum non manumiserit vorgesehen gewesen sei: H. Krüger (o. Fn. 35), 17). •f"'Beseler, SZ 47 (1927), 64. •'1Talamanca, Revoca testamentaria e ,translatio legati', in Studi Betti IV (1962), 179 - 348 (258 ff.). 42 Beselers Einwände: 1. "aliquid statt legatum": diese Ausdrucksweise ist ganz korrekt, stellt sich doch heraus, daß Maevius eben nicht ,das Legat', sondern das bekommt, was der Erbe auf Grund der cautio erhält. - 2. "detur statt debeatur": dazu sogleich bei der Erörterung der Argumente Talamancas. - 3. "accipere statt petere": Javolen stellt nur klar, daß das, was geschehen ist - nämlich daß der Legatar den fundus erhalten hat, rechtlich ,in Ordnung' ist: er kann eben nach Abgabe der cautio die vermachte Sache ,bekommen'; daß er sie auch einklagen kann, wenn der Erbe die Herausgabe verweigert, versteht sich von selbst. - 4. "da der Legatar satisdedit et legatum acceperit, ist der angebliche Bescheid satisdatione poterit unbegreiflich": dazu soeben; "obendrein ist er falsch": wieso? - 5. "eoque casu: nein, nicht nur dann": eben doch, siehe Pap. 19 quaest, D. 35. 1. 73. - 6. "sequenti statt sequente" und 7. "legatum ex condicione debetur!": nur übertriebener Sprach- und Sachpurismus wird hier Anstoß nehmen. - 8. "debuerit statt debet": das Futur II debuerit ist ganz ohne Tadel: der Erbe schuldete ja nicht mehr das Legat selbst, sondern nur noch das auf Grund der cautio Erlangte, vgl. Pap. D. 35. 1. 73. Talamanca befaßt sich (s. 253 ff.) mit der Frage, was geschehe, wenn die ,translative Verfügung' als Vindikationslegat ausgestaltet ist: da durch die cautio der Eintritt der Patestativbedingung fingiert werde, stelle sich das zweite Legat als Legat über eine fremde Sache dar, das nur als Damnatianslegat zulässig war. Fraglich sei insbesondere die Anwendbarkeit des SC Neronianum (Umdeutung des Vindikationslegats in ein Damnationslegat, vgl. Kaser, RPR !2, 746). Was unsere Stelle betrifft, so meint Talamanca, der Satz quaero an aliquid Maevio detur sei "troppo atecnica anche per esser posta in bocca ad un consulente digiuno di diritto" (258 f.). Verbessere man in
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Wir halten fest, daß auch in Pal. 129 der Sachverhalt im Responsum nochmals wiedergegeben wird, hier sogar verbunden mit einem Ausgreifen vor die gestellte Frage: daß die zwischen dem Erben und dem ersten Legatar vorgenommenen Transaktionen rechtens waren, hatte schon die quaestio unterstellt. Ein Unechtheitsindiz ist das nicht43• b) Es kommt vor, daß Javolen auf die vorgelegte Frage alternativ antwortet; dies begegnet z. B. in Pal. 126 = D. 19. 2. 51. 1 Jav. 11 ep. Locavi opus faciendum ita, ut pro opere redemptori certarn mercedem in dies singulos darem: opus vitiosum factum est: an ex locato agere possim? respondit: si ita opus locasti, ut bonitas eius tibi a conductore adprobaretur, tametsi convenit, ut in singulas operas certa pecunia daretur, praestari tarnen tibi a conductore debet, si id opus vitiosum factum est: non enim quiequam interest, utrum uno pretio opus an in singulas operas colloeatur, si modo universitas consummationis ad eonductorem pertinuit. poterit itaque ex loeato eum eo agi, qui vitiosum opus fecerit, nisi si ideo in operas singulas merees eonstituta erit, ut arbitrio domini opus efficeretur: turn enim nihil eonductor praestare domino de bonitate operis videtur. Ego hat ein Werk in der Weise verdungen, daß er dem Unternehmer44 den fest vereinbarten Werklohn tageweise zahlte. Die Werkleistung wurde fehlerhaft erbracht; haftet der Unternehmer ex locato? Javolen antwortet, der vereinbarte Zahlungsmodus schließe die Haftung dann nicht aus, wenn der conductor gemäß der lex locationis45 die debeatur, so deute dies auf ein Damnationslegat hin; der Inhalt der Stelle
mit seinem auffälligen Beharren darauf, daß der zweite Legatar nur das bekomme, was der Erbe aus der cautio erhält, mache aber die Annahme wahrscheinlicher, daß Javolen für die translative Verfügung ein Vindikationslegat angenommen habe. Da dem Text also mit der einfachen Änderung des detur in debeatur nicht beizukommen sei, müsse eine stärkere Überarbeitung angenommen werden, die insbesondere dann wahrscheinlich sei, wenn die quaestio einen Hinweis auf das SC Neronianum enthielt. - An detur ist aber kein Anstoß zu nehmen: im Zusammenhang mit Legatsbestimmungen, die doch regelmäßig das Wort dare enthalten (do lego beim Vindikationslegat; dare damnas esto beim Damnationslegat; dazu Kaser, RPR ! 2 , 742 f.) hat der Gebrauch dieses Wortes nichts Auffälliges an sich, wenn gefragt wird, ob ein Legatar etwas erhalte oder nicht. - Damit ist die von Talamanea aufgeworfene dogmatische Frage noch nicht präjudiziert, der wir aber hier nicht nachzugehen brauchen, da ihre Beantwortung für die Frage der Echtheit oder Unechtheit unseres Fragments nichts ausgibt: auch wenn man detur stehen läßt, kann man (mit Talamanca) annehmen, Javolen habe ein Vindikationslegat gemeint; andererseits steht die Textfassung auch der Annahme eines Damnationslegats (so besonders H. Krüger, Mel. Girard II (1912), 4 f.) nicht im Wege. •a Vgl. näher u. § 6. 44 Der redemptor mag beispielsweise eine Erntekolonne unterhalten haben: vgl. A. Pernice, SZ 3 (1882), 51 mit Hinweis auf die Vertragsformulare bei Mare. Pore. Cato, de re rustica 144 - 146. u So Mayer-Maly, Locatio Conductio (1956), 41.
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Güte der Werkleistung nachzuweisen hatte46 • Anders sei es hingegen, wenn die tägliche Zahlung mit der Maßgabe vereinbart war, daß das Werk nach dem Gutdünken (also gemäß den Weisungen) des die Arbeiten überwachenden47 dominus hergestellt werden sollte: eine solche Vereinbarung deute man dahingehend, daß der conductor eine Haftung für die Qualität der Werkleistung nicht übernommen habe. Für die Haftungsfrage entscheidend ist also nicht die vereinbarte Zahlungsweise, sondern die Regelung, die die Parteien über das Verfahren der Abnahme getroffen haben und der Grad der Selbständigkeit, mit der der Unternehmer seine Leistung erbringen darf48• Die Entscheidung Javolens ist sachgerecht; ihr wird auch in den Quellen nirgends widersprochen. Gleichwohl ist auch Pal. 126 in der Literatur nicht unangefochten geblieben. Aus sachlichen Gründen will Cannata49 den Schluß unserer Stelle von si modo universitas an streichen: der dort vorausgesetzte Vertrag, der tageweise Zahlung vorsehe und bei dessen Durchführung der dominus die technische Leitung habe, wäre locatio conductio operarum, der daminus müßte also conductor, der Arbeiter locator sein. Diese Beanstandung ist freilich nicht überzeugend. Die Grenze zwischen l. c. operis und l. c. operarum ist ohnehin schwer zu ziehen50 ; und die Tatsache, daß der dominus die Arbeiten überwacht, läßt diese noch nicht automatisch zu ,Dienstleistungen' werden. An sprachlichen Interpolationsindizien werden genannt: der Subjektswechsel am Schluß ab poterit itaque51 ; das Wort consummatio52 (resp. universitas consummationis) 53 ; der mit nisi si eingeleitete SchlußVgl. Kaser, RPR 12 , 571 Fn. 89. Nur dann kann er sein arbitrium täglich äußern. 48 Insofern liegt die Entscheidung unserer Stelle in der Tat auf einer Linie mit der LehreLabeosin Lab post 5 a Jav epit, D. 19. 2. 60 (61). 3: Amirante, BIDR 62 (1959) 89. Die von Amirante ebenfalls herangezogene Florentinstelle 7 inst, D. 19. 2. 36 hat dagegen mit unserem Fall wohl direkt nichts zu tun, zumalesdort um die Gefahrtragung und nicht um Mängelhaftung geht. ' 9 Cannata, Per lo studio della responsabilita per colpa nel diritto romano classico, corso di diritto romano (1967/68), 211 f. 5o Vgl. Alzon, Problemes nHatifs a la location des entrepöts en droit romain (1965), 237 f. Alzons Annahme (p. 238 n. 1103), der Hersteller habe sich hier darauf berufen, daß der geschlossene Vertrag l. c. operarum gewesen sei und er deshalb nicht hafte, ist allerdings nicht zwingend: auch bei der l. c. operis schloß ja die adpro'batio des dominus gewöhnlich Mängelansprüche aus, vgl. Lab./Jav. D. 19. 2. 60 (61). 3 und vor allem Faul. 34 ed, D. 19. 2. 24. pr. a. E. 51 Eisele, SZ 10 (1889), 312. 52 Levy, SZ 37 (1916), 69 Fn. 5; Beseler, SZ 57 (1937), 18. n Eisele (o. Fn. 51); Heumann I Seckel s. v. universitas, 5 (zweifelnd); Albertario, Actio de universitate e actio specialis in rem, Ann. Perugia 31 (1919), estr. 25 Fn. 2. Daß Javolen selbst das Wort universitas gebrauchte, wird schon durch das wörtliche Zitat in Faul. 9 ad Plaut., D. 34. 2. 8 außer Zweifel gestellt. 46
47
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passus54 ; tametsi56 und schließlich der Ausdruck nihil de bonitate operis praestare58• Daß Wörter wie tametsi in den Quellen für sich genommen unverdächtig sind, dürfte heute allgemein anerkannt sein. Für unbedenklich halten wir auch consummatio51• Wer nihil de bonitate operis praestare bemängelt, stellt wohl zu hohe Anforderungen an technischen Sprachgebrauch. nisi si als Wendung ist durchaus nicht ungewöhnlich58• Es bleibt der Subjektswechsel von poterit itaque an, der in der Tat auffallend ist. Für einen kompilatorischen Eingriff ist aber kein Motiv zu sehen; durch eine Rechtsänderung ist der Passus nicht veranlaßt. Einen nachklassischen Zusatz anzunehmen, wäre nicht ausgeschlossen. Wir können aber beobachten, daß in den epistulate solche Personenwechsel nicht ganz ungewöhnlich sind: häufig antwortet Javolen in allgemeinen Wendungen auf eine Anfrage, in der die beteiligten Personen konkret benannt sind59• poterit itaque - fin. schließt sich hier an die ebenfalls allgemein gefaßte Begründung non enim quicquam interest pertinuit an. Die Funktion des Satzes wird deutlich, wenn wir, abweichend von der Interpunktion in den gängigen Digestenausgaben, den Punkt vor nisi si durch ein Komma ersetzen. Der Satz poterit itaque ex locato cum eo agi, qui vitiosum opus fecerit, nisi si ideo in operas singulas merces constituta erit, ut arbitrio domini opus efficeretur zieht dann nur die Bilanz aus dem vorher Gesagten, erweitert um eine Einschränkung: ,(Auf die Zahlungsweise kommt es nicht an.) Man wird also ex locato gegen den klagen können, der die Werkleistung fehlerhaft erbracht hat, außer wenn ...'. u Eisele (o. Fn. 51) moniert auch aus sachlichen Gründen: nisi si rell negiere den vom Juristen gesetzten Ausgangsfalt Das ist zwar richtig; es erscheint uns aber nicht anstößig, da es nicht fernliegt, die Alternativlösung zu bringen, wenn man vorher die Lösung auf Grund einer Sachverhaltseinschränkung (si i t a opus tocasti .. .) gefunden hat. 55 Beseler, SZ 66 (1948) (,Beiträge VI'), 374. ss Eisele (o. Fn. 51): "barbarische Wendung"; VIR 4, 1, 131, 20 s. v. praestare. - Keine Bedenken bei v. Mayr, SZ 42 (1921), 222 Fn. 12, 13: praestare hier = haften. 57 Levy (o. Fn. 52) liest (und mit ihm der Thesaurus L. L. s. v. consummatio II C 1) hier consummatio = ,Vollendung•, ,Ausführung•; der Ausdruck dürfte sich aber eher auf die Werklohnraten beziehen (vgl. vorher uno pretio) und ganz technisch ,Zusammenzählung•, ,-rechnung' heißen (vgl. Pomp. 23 Sab., D. 21. 1. 36); das fügt sich auch mit universitas besser zusammen. G8 Vgl. die Nachweise bei Leumann I Hofmann I Szantyr, Lat. Grammatik II, 668lit. c; zum sachlichen Einwand soeben Fn. 54. se Vgl. Pal. 74 (insoweit unverdächtig; dazu unten § 7 I 2); Pal. 83 (unten § 6 V); Pal. 87 (unten § 7 I 1); Pal. 93 (unten § 4 I d 4); vgl. auch unten § 4 III 2.
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c) Sachverhaltsdarstellung und juristische quaestio werden nicht immer streng geschieden; ein Beispiel ist Pal. 86
=
D. 38. 2. 35 Jav. 3 ep.
A liberto suo herede Seius usum fructum fundi Maevio legavit: is libertus Maevio herede relicto decessit: quaero, cum contra tabulas testamenti petierit filius Seii adversus Maevium, utrum deducto usu fructu pars debita ei fundi restituenda sit an solida, quia eorum bonorum acceperit possessionem, quae liberti cum moreretur fuerunt. respondit: usum fructum in causam pristinam restituendum puto. optimum itaque erit arbitrum postulare, ut arbitrio eius usus fructus in integrum restituatur. Seius setzte seinen Freigelassenen zum Erben ein und belastete ihn mit einem Nießbrauchslegat zur Gunsten des Maevius; der Erbfall trat ein. Nach einiger Zeit starb auch der libertus und hinterließ Maevius als Erben, ohne dem Sohn des Seius den ihm zustehenden Pflichtteil80 zu hinterlassen. Der Sohn geht mit der bonorum possessio contra tabulas gegen Maevius vor. Das Problem ergibt sich aus Folgendem: den Nießbrauch an dem fundus hatte Maevius schon durch das Legat des Seius erworben. Als er dann vom libertus das Grundstück erbte, erlosch mit dem Anfall der Erbschaft der Nießbrauch durch confusio. Bekommt nun der Sohn des Seius mit der bonorum possessio den ihm zustehenden Teil des fundus, so erwirbt er diesen zu vollem Recht, obwohl Maevius vorher den Nießbrauch am ganzen Grundstück zu Recht ausübte und der libertus dementsprechend nicht mehr als die nuda proprietas zu vererben hatte. Der Sohn des Seius bekäme also mehr, als er bekommen hätte, wenn er vom libertus ordnungsgemäß eingesetzt worden wäre: denn dann hätte er nur die nuda proprietas an dem ihm gebührenden Grundstücksteil erhalten, so aber würde ihm die volle proprietas zufallen. Javolen antwortet, der Nießbrauch müsse in seinen früheren Zustand zurückversetzt werden; am zweckmäßigsten sei es, dies durch einen arbiter besorgen zu lassen. Der Text enthält eine justinianische Interpolation: statt pars debita ei ist pars dimidia zu setzen81 • Die Kompilatoren haben nicht etwa die alte, überholte Angabe durch die gültige neue ersetzt, sondern eine allgemeine Umschreibung gefunden, die beide deckt. Die Entscheidung Javolens: daß der Nießbrauch in seinen früheren Zustand zurückversetzt werden müsse (usum fructum in causam pristi80 Zum prätorisehen Erbrecht des patronus s. Kaser RPR 12 , 708 f.- Dieses Erbrecht überträgt sich vom patronus auf dessen Sohn: Gai III, 45 f. 81 So schon (vorsichtig) Lenel, Palingenesia I, 288 Fn. 4. Die Textänderung hat ihren Grund darin, daß Justinian den Pflichtteil von der Hälfte auf ein Drittel verminderte, vgl. Inst. 3. 7. 3; Schutz, Classical Roman Law (1951) 274; Kaser, RPR ! 2, 709 Fn. 29.
3 Eckar dt
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ist sachgerecht und nicht zu beanstanden. Kritische Bedenken hat dagegen der Schlußsatz (optimum itaque rell.) hervorgerufen62• Bemängelt wird neben der Gleichsetzung von iudex und arbiter63 vor allem, daß die vorzunehmende Transaktion als in integrum restitutio bezeichnet wird64. Beseler65 hält den Satz für "gedankenloses Machwerk" der Kompilatoren, die sich vorgestellt hätten, die Sache bedürfe eines komplizierten Auseinandersetzungsverfahrens, während die Parteien als "verständige Leute natürlich nicht miteinander prozessieren, sondern den sehr einfachen Rechtsakt66 , zu dessen Vollziehung der arbiter sie anhalten würde, von selbst untereinander abschließen" würden. - Die Argumentation mit den "verständigen Leuten" ist aber schwerlich tragfähig: Rechtsprobleme entstehen ja gerade daraus, daß "Leute" von sich aus nicht das tun, was sie verständigerweise tun sollten. Zum anderen versteht es sich nicht von selbst, daß der Nießbrauch wieder einzuräumen ist: Julian67 entscheidet in einem ähnlich gelagerten Fall anders. nam restituendum puto),
Schließlich ist es eine gängige Erscheinung, daß im Interdiktenverfahren6B der Gegner einen arbiter postulierte69, um durch ihn Zweifelsfragen klären zu lassen. So bleibt als Verdachtsgrund die Wendung in integrum restituere. Eine prozessuale ,Wiedereinsetzung in den vorigen Stand'70 ist hier sicher nicht gemeint. Es ist aber die Frage, ob der Ausdruck nicht auch, 62 Beseler, Beiträge III (1913), 109 f.; Levy, SZ 36 (1915), 16 Fn. 5; ders., SZ 68 (1951) 361 Fn. 4, 423 ff.; Kaser RZP 472 Fn. 56. ea Levy, SZ 68 (1951), 423 ff. Die Nennung des arbiter dürfte hier aber nicht verfehlt sein; vgl. im übrigen Pal. 81 = D. 10. 3. 18 Jav. 2. ep: Ut fundus
hereditarius fundo non hereditario serviat, arbiter disponere non potest, quia ultra id quod in iudicium deductum est excedere potestas iudicis non potest. Dazu Kaser RZP 285 Fn. 17. Die Korrektur Beselers in SZ 50 (1930), 68: [arbiter disponere] ( iudex arbitrari) ist willkürlich, seine Bedenken gegen disponere als griechisches Lehnwort (SZ 66 (1948), 281) schlagen nicht
durch. 64 s. die in Fn. 62 Genannten (außer Beseler). 85 o. Fn. 62. 66 Nämlich (nach Beseler) Manzipation der ideellen Eigentumshälfte detracto usufructu an den Sohn des Seius. 87 Jul. 35 dig., D. 7. 4. 17. Der Grund für die Abweichung besteht darin, daß hier der Betroffene die consolidatio durch eine eigene Handlung herbeigeführt hat, indem er das Grundstück zu eigen erwarb: da dem tu nichts weiter als der Nießbrauch vermacht war, konnte er auch pendente condicione aus dem Legat nur den Nießbrauch erworben haben. Ein Beispiel für Begriffsjuristerei (Liebs, Römisches Recht (1975), 150 f.) ist in dieser Entscheidung Julians also nicht zu sehen. 68 Die bonorum possessio contra tabulas erlangte man mit dem interdieturn quorum bonorum: Ulp 67 ed, D. 43. 2. 1; Kaser, RPR P, 740. 69 Gai 4, 163. 70 So die technische Bedeutung des Ausdrucks: Kaser RZP 330 ff., 390 f.
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wie für die Wiedereinräumung eines untergegangenen Klagerechts durch den Prätor, so für die Wiedereinräumung eines anderen untergegangenen Rechts durch den arbiter (oder durch die Parteien auf dessen Geheiß} gebraucht werden k o n n t e. Für die Echtheit des letzten Satzes spricht, daß wir solchen ,Ratschlägen' bei Javolen öfter, und nicht nur in den epistulae, begegnen71 • Wir nehmen deshalb an, daß auch dieser Satz seiner Feder entstammt72 • d} Eine ganze Reihe epistulae-Stellen folgt dem üblichen Responsenaufbau: Sachverhalt - quaestio - Responsum ohne weitere Auffälligkeiten. Die folgenden Beispiele mögen das belegen. 1. Ein Problem der Aufrechnung bei gegenseitigen Forderungen, die an verschiedenen Orten zahlbar sind, behandelt Pal. 82
=
D. 16. 2. 15 Jav. 2 ep.
Pecuniam certo loco a Titio dari stipulatus sum: is petit a me quam ei debeo pecuniam: quaero, an hoc quoque pensandum sit, quanti mea interfuit certo loco dari. respondit: si Titius petit, eam quoque pecuniam, quam certo loco promisit, in compensationem deduci oportet, sed cum sua causa, id est ut ratio habeatur, quanti Titii interfuerit eo loco quo convenerit pecuniam dari. Ego hat sich von Titius73 Zahlung an einem bestimmten Ort versprechen lassen; Titius verlangt von ego seinerseits eine geschuldete Summe. Ego möchte aufrechnen und fragt, ob er dabei das Interesse aufschlagen kann, das er an der Zahlung certo loco hatte. Die Antwort: auch die certo loco geschuldete Summe sei zur Aufrechnung zu stellen, aber unter Berücksichtigung der Lage des Schuldners (si Titius petit .. . cum s u a causa), d. h. es sei zu berücksichtigen, wie groß das Interesse war, das Titius daran hatte, das Geld an dem vereinbarten Ort zu zahlen. Ego muß sich also belehren lassen, es werde nicht nur sein Interesse nicht berücksichtigt, sondern er müsse sogar gewärtigen, daß ihm von seiner zur Aufrechnung gestellten Forderung noch wegen des Schuldnerinteresses ein Abzug gemacht werde. 71 Vgl. Pal. 113: itaque ... arbiter •.. sumendus est (zur Stelle unten § 8 II 6); Pal. 85: ceterum ... spectandum id erit ... (unten § 8 II 5); Jav., 10 ex Cass. D. 8. 3. 13. 1: igitur arbiter dandus est; eod. 2: hoc ab arbitro statuen-
dum est. 72 Vgl. im übrigen die unten §§ 8, 10 behandelten Stellen. 73 Wohl seinem argentarius, s. Ferrini I Grosso, Manuale di Pandette• (1953) 491 Fn. 3; Biondi, Sulla dottrina romana dell'actio arbitraria (1911), 29 f. m. Verw. Pernice, Labeo2 II 1 (1895), 306 Fn. 1; vgl. Kaser, RPR !2, 645. Dafür, daß Titius der bonorum emptor wäre (Beseler, TR 8 (1928), 333 ff. und Solazzi, La compensazione nel diritto romano2 (1950), 58 ff.) sehen wir keine hinreichenden Anhaltspunkte.
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Daß man eine certo loco promittierte Summe überhaupt an einem anderen als dem vereinbarten Zahlungsort zur Aufrechnung verwenden konnte, folgt schon daraus, daß eine solche Summe auch an einem anderen Ort einklagbar war: im Edikt war dafür die actio de eo quod certo loco dari oportet verheißen74• Deren Formel erlaubte eine angemessene Berücksichtigung des Interesses, das beide Parteien an der Erfüllung certo loco hatten75 • Wessen Interesse im konkreten Fall zu berücksichtigen war, wird man danach entschieden haben, ob es am Kläger oder am Beklagten lag, daß nicht am vereinbarten Ort gezahlt wurde76• Unser Text enthält keinen Hinweis darauf, daß Titius etwa nicht bereit gewesen wäre, seiner Verpflichtung entsprechend certo loco zu leisten; wer die Leistung am vereinbarten Ort verhindert, ist vielmehr ego, der die Aufrechnung erklärt. Die Entscheidung Javolens, nicht das Interesse des ego, sondern das des Titius sei zu berücksichtigen, ist deshalb konsequent und richtig77• An der Echtheit der Lösung sind nur von Arangio-Ruiz18 Zweifel angemeldet worden. Dagegen hat das quanti mea interfuit certo loco dari vielfach Anstoß erregt79• Bemängelt wird, daß Frage und Antwort inkongruent seien; die allgemein eingeleitete Antwort (eam quoque peLenel, EP3 (1927), 240 ff. Ulp. 27 ed., D. 13. 4. 2. 8. Die Frage, wessen Interesse zu berücksichtigen war, war eine Zeitlang heftig umstritten: vgl. Gradenwitz, SZ 24 (1903), 238 ff.; Beseler, Das Edictum de eo quod certo loco (1907), 90 ff.; Biondi, Sulla dottrina (o. Fn. 73) 19 ff.; Arangio-Ruiz, BIDR 25 (1912), 130 f. Zwischen Biondi und Arangio-Ruiz entspann sich daraufhin eine geradezu persönliche Kontroverse, vgl. BIDR 26 (1913), 41 (Biondi); ebda. 147 (Arangio-Ruiz); ebda. 153 (Biondi). Zuletzt Kaser, Festschrift Schulz II (1951), 66 f. Zur Frage, ob zur Zeit Javolens das Gläubigerinteresse berücksichtigt werden konnte, ist unserer Stelle nichts zu entnehmen, vgl. LeneZ, SZ 37 (1916), 127 Fn. 1. 75 Das mag folgender Beispielsfall (in Anlehnung an Ulp. 27 ed., D. 13. 4. 2. 8 verdeutlichen: G läßt sich von S Bereitstellung einer Summe von 10 000 HS in Ephesus versprechen, weil er dort Waren einkaufen will. - a) Er reist nach Ephesus, bekommt dort aber das Geld und den Schuldner nicht zu Gesicht (Gai. 9 ed prov, D. 13. 4. 1) und muß sich kurzfristig Ersatz beschaffen; wieder nach Rom gekommen, verklagt er S.- b) Er reist nicht nach Ephesus, sondern verlangt die 10 000 HS in Rom, S will aber nur in Ephesus leisten (etwa, weil er das Geld dort bereithält). Wiederum klagt G gegen S.Fall a) verlangt Berücksichtigung des Gläubiger-, Fall b) des Schuldnerinteresses. 77 Daher geht es nicht an, etwa mit Arangio-Ruiz, BIDR 25 (1912), 176 die Lösung durch Streichen von [sed] und {id est ut - fin.] in ihr Gegenteil zu verkehren oder mit der Glosse (gl. ,Titii' ad h.l.) anzunehmen, Javolen habe die Personen vertauscht. 78 Soeben Fn. 77. 79 Vor allem Biondi, Sulla dottrina ... (o. Fn. 73), 31; Lenel, SZ 37 (1916), 127 und EP8 , 242 Fn. 3; Beseler, Edictum (o. Fn. 75), 91 f.; sehr viel radikaler dann Beseler, TR 8 (1928), 333. Vgl. im übrigen den Ind. Itp. 74
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cuniam ... deduci oportet) setze eine ebenso allgemein gehaltene Frage voraus. Daß die Frage nach dem Gläubigerinteresse ursprünglich ist, erscheint aber gerade durch die Hervorhebung s e d cum s u a causa in der Antwort gut beglaubigt; und daß Javolen seine Antwort gelegentlich mit einer allgemeinen Feststellung einleitet, haben wir bereits an anderer Stelle beobachten können80• Im übrigen wäre es merkwürdig, daß der Bearbeiter die Veränderung ausgerechnet in der quaestio anbringt81. Immerhin konnte ja der ,Konsulent' der Meinung sein, sein Interesse müsse berücksichtigt werden; oder Javolen wählte diese Form der Darstellung, um seine Lösung möglichst plastisch hervortreten zu lassen82• 2. Ein Problem des Gläubigerverzugs bei Wahlschulden behandelt Pal. 84
= D. 45. 1. 105 Jav. 2 ep.
Stipulatus sum Damam aut Erotem servum dari: cum Damam dares, ego quo minus acciperem, in mora fui: mortuus est Dama: an putes me ex stipulatu actionem habere? respondit: secundum Massurii Sabini opinionem puto te ex stipulatu agere non posse: nam is recte existimabat, si per debitorem mora non esset, quo minus id quod debebat solveret, continuo eum debito liberari. Ego hat sich von tu Leistung des Sklaven Dama oder des Sklaven Eros nach Wahl des Schuldners83 versprechen lassen; als tu den Dama anbot84, nahm ego ihn nicht an und kam dadurch in Gläubigerverzug. Daraufhin starb Dama. Ego fragt, ob Javolen der Meinung sei, daß er ex stipulatu klagen könne. Die Antwort: gemäß der Ansicht des Massurius Sabinus sei anzunehmen, daß ego nicht ex stipulatu klagen könne; denn dieser sei zu Recht der Auffassung gewesen, wenn der Verzug, der die Erfüllung verhindert habe, nicht am Schuldner gelegen habe, werde der Schuldner sogleich von seiner Verbindlichkeit befreit. Die Stelle ist in der Vergangenheit vor allem in den Abhandlungen zur Frage des Gefahrübergangs beim Kauf85 herangezogen worden, und Vgl. Pal. 129; dazu oben§ 4 I a 3. So Kilbter, SZ 46 (1926), 387 f . 82 Ein solcher darstellerischer ,Kunstgriff' findet sich auch in Pal. 73, wo Javolen eine in der quaestio als selbstverständlich hingestellte rechtliche Voraussetzung im Responsum schlichtweg ablehnt: . . . quaero, si vinxero liberum hominem i t a , u t e u m p o s s i d e a m , an omnia, quae iste possidebat, ego possideam per illum. respondit: si vinxeris hominem liberum, e um t e p o s s i d e r e n o n p u t o ...; zur Stelle unten § 10 I 1. 83 Vgl. Paul 33 ed, D. 18. 1. 34. 6. 8' dares ist nur als imperfectum de conatu denkbar: eine datio kann nicht vollzogen werden, wenn niemand da ist, der den Gegenstand annimmt. 8.'5 In der berühmten Kontroverse zwischen Haymann (SZ 41 (1920), 44 185; SZ 48 (1928), 314- 418) einerseits und Seckel I Levy, SZ 47 (1927), 117263 andererseits. 80
8t
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§
4. ,Responsa'
zwar von beiden Seiten jeweils zu ihren Gunsten; das wurde durch die etwas allgemeine Fassung des Schlußsatzes möglich, der deshalb auch von Verdacht nicht freigeblieben ist. aa) Nach Seckel I Levy86 besagt der von Javolen mitgeteilte Lehrsatz des Sabinus: wenn der Promittent versprochen habe, die Sache A oder B nach seiner Wahl zu leisten, und die Sache A (oder B) gehe unter, so werde er stets sofort frei, e s s e i d e n n , er befinde sich im Schuldnerverzug87. Demnach hätte es also eine Meinung gegeben, die den Schuldner/Verkäufer schon dann frei werden ließen, wenn er infolge des Untergangs der einen Sache sein Wahlrecht nicht mehr wie vorgesehen ausüben konnte88. Indessen können Sabinus und Javolen auf Grund unserer Stelle für diese Lehre nicht in Anspruch genommen werden. Seckel I Levy deuten den Schlußsatz so, als ob dort stünde: ,wenn es nicht am Schuldnerverzug liege, daß er das nicht leistete, was er schuldete, werde er sogleich frei'. Javolen sagt aber nicht: ,per mor a m debitor i s', sondern: ,per debitor e m mor a', so daß der Satz zu lesen ist:
,wenn der V e r z u g , um dessentwegen er das nicht leistete, was er schuldete, nicht am Schuldner lag, werde er sogleich frei'.
Der Jurist geht also davon aus, daß auf alle Fälle Verzug vor1 i e g t 89 . Verzug kann aber nur entweder Schuldner- oder Gläubigerverzug sein; wenn also der Satz besagt, der Schuldner werde nicht frei, wenn der Verzug an ihm lag, also Schuldnerverzug war, so ist die positive Aussage eindeutig bestimmbar: der Wahlschuldner, bei dem eine der Sachen untergeht, wird mit dem Untergang sofort (und nur Seckelt Levy, SZ 47 (1927), 216. Seckelt Levy (o. Fn. 86) sehen unsere Stelle damit in Gegensatz zu Ulp. 27 ed., D. 13. 4. 2. 3. und Pap. 28 quaest. D. 46. 3. 95. 1. und halten einen Schulenstreit für möglich. - Ulpian referiert aus dem 15. Buch der Quaestioneo Scaevolas: das Wahlrecht des Schuldners, der Stichusoder Pamphilus zu leisten versprochen habe, gelte natürlich nur, solange noch beide Sklaven am Leben seien; denn sobald der eine gestorben sei, schulde er nur noch den anderen. Hier ist also nicht die Rede davon, daß der Schuldner - außer in dem Fall, daß er im Verzug ist- stets frei würde.- Von Pap. D. 46. 3. 95. 1 interessiert hier vor allem der Anfang: quod si promissoris fuerit electio, defuncto altero qui superest aeque peti poterit. Auch hier ist nicht gesagt, daß dies nur im Falle des Schuldnerverzugs gelte. 88 So wohl auch schon Pescatore, Wahlschuldverhältnisse (1905), 84: "Zur Befreiung des Schuldners durch kasuelles Unmöglichwerden der Leistung genügt es, daß er sich nicht in mora befindet." 89 Eine solche Deutung wäre sogar auch bei si per moram debitoris ... nicht ausgeschlossen; bei unserer Textfassung ist sie hingegen zwingend geboten. Auffällig ist die stilistische Ähnlichkeit mit Lab. 5 post. a Jav. epit. D. 19. 1. 51 pr. 88
87
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dann) frei, wenn G 1 ä u b i g e r v e r z u g vorliegt, also - so können wir unserem Fall gemäß hinzufügen - wenn die untergegangene Sache die war, die er zuvor durch sein Angebot als die geschuldete konkretisiert hat. Da Ulpian I Scaevola und Papinian in den erörterten Stellen90 vom Gläubigerverzug gar nicht sprechen, besteht hier auch kein Gegensatz91.
Haymann92 sieht dagegen in dem referierten Satz des Sabinus einen Beleg für seine These, die Gefahr der verkauften Sache sei stets erst mit der Übergabe oder mit Eintritt des Gläubigerverzugs auf den Käufer übergegangen; bis zu diesem Zeitpunkt habe der Schuldner die Gefahr der geschuldeten Sache getragen. Er hält also den (von ihm im Gegensatz zu Seckel I Levy 93 richtig gelesenen) Satz für eine allgemeine Maxime des Obligationenrechts: der Schuldner, bei dem die geschuldete Sache untergeht, werde stets (aber auch nur dann) frei, wenn Gläubigerverzug vorliege. Eine solche Deutung ist zwar nach dem Wortlaut des Satzes nicht ausgeschlossen; doch sie steht unter der Prämisse, daß diese Lehre des Sabinus nicht allein auf die Wahlschuld gemünzt war. Der Zusammenhang, in dem sie bei Javolen erscheint, macht aber das Gegenteil wahrscheinlicher. Wir können uns indessen hier mit der Feststellung begnügen, daß unserer Stelle allein für oder gegen die Lehre Haymanns nichts zu entnehmen ist. bb) Dient der letzte Satz unserer Stelle den einen zur Untermauerung widersprüchlicher Thesen zum periculum emptoris im klassischen Recht, so schreiben andere ihn den Kompilatoren zu94. Nach Beseler paßt der Satz nicht auf den Tatbestand und sagt etwas Unsinniges (gemeint sei: wenn vor Schuldnerverzug die Sache untergeht, wird der Schuldner frei); Interpolationsindizien sind für ihn das Wort continuo, das seiner Meinung nach falsche Tempus debebat statt debet und existimabat statt existimavit95 • Der sachliche Einwand Oben Fn. 87. Das betont zutreffend Krückmann, SZ 60 (1940), 53. 92 SZ 41 (1920), 145 f.; SZ 48 (1928), 398 Fn. 5. 93 o. Fn. 86. 94 Beseler, TR 8 (1928), 309; Kaser, RIDA 2 (1949), 521 unter Hinweis auf Beseler (wohl nicht mehr in RPR !2, 517 Fn. 38) ; Nitschke, SDHI 24 (1958), 206, der seine Interpolationsannahme zu Unrecht auch von Guarneri Citati, APalll (1923), 175 (estr. 15) gestützt sieht. 95 Letzteres wird abgestützt durch eine grammatische Betrachtung in B 4 (1920), 3 f . nota: putavi bedeute: ",ich habe endgültig meine Meinung dahin ausgesprochen, daß' oder ,ich habe eine Meinung ausgesprochen, mit der ich durchgedrungen bin"'; putabam dagegen ",ich hegte eine Meinung, von der ich später zurückgekommen bin' oder ,ich äußerte eine Meinung, die sich 9o
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darf durch das oben Gesagte als widerlegt gelten; auch die sprachlichen Bedenken erscheinen nicht zwingend96 •
Nitschke91 will den Satz streichen, da er in seiner Abstraktheit auszusagen scheine, der Schuldner werde schon allein durch den Gläubigerverzug befreit, ohne daß es noch auf den Untergang des Leistungsgegenstandes ankomme; daher sei er als kompilatorische Verallgemeinerung anzusehen. Demgegenüber hat aber schon Guarneri Citati98 darauf hingewiesen, daß der Sinn aus dem Zusammenhang klar zu ersehen sei, da ja Verzug und Tod des Dama die tatsächlichen Voraussetzungen der Fallentscheidung sind. Auch Pal. 84 stammt also in der vorliegenden Form von Javolen. 3. Eine Frage des Gerichtsverfahrens bei der actio negatoria behandelt Javolen in
Pal. 79 = D. 8. 5. 12 Jav. 2 ep. Egi ius illi non esse tigna in parietem meum immissa habere: an et de futuris non immittendis cavendum est? respondi: iudicis officio contineri puto, ut de futuro quoque opere caveri debeat. Ego hat gegen seinen Nachbarn auf Feststellung geklagt, dieser habe nicht das Recht, in der Mauer des ego Balken zu befestigenDD; er fragt an, ob sein Gegner auch wegen künftiger Störungen Sicherheit leisten müsse. Darauf antwortet der Jurist, er meine, daß es zum officium iudicis100 gehöre, dem unterlegenen Beklagten auch eine cautio wegen eines zukünftigen Baues aufzuerlegen. Bei den Servitutsklagen konnte der Beklagte durch restitutio die Geldkondemnation vermeiden101 : behauptete ihm gegenüber der Klänicht durchgesetzt hat: man hat das Gegenteil gutgeheißen!'", worauf der Rat folgt: "Pandektenausleger sollten das beherzigen." - Die Differenzierung mag durchaus richtig sein, wenn man es bei den gegebenen Beispielen beläßt, in denen eine Person in der Gegenwart von sich selbst spricht; sagt man aber von einem längst Verstorbenen existimabat, so kann das durchaus auch bedeuten: ,zeit seines Lebens war er der Ansicht'; daß er in der Gegenwart nicht mehr dieser Ansicht ist, liegt einfach daran, daß er es, da gestorben, nicht mehr sein k a n n. 98 Zum existimabat soeben Fn. 95; debebat ist ebenfalls nicht anstößig: es erklärt sich aus der (notwendigen) ex post-Betrachtung des ganzen Vorgangs. 97 o. Fn. 94. 98 o. Fn. 94. •• Negatorische Servitutsklage; s. die Formel bei Lenel, EP3 (1927), 194 sub IV2. 100 Zum officium iudicis Bekker, Aktionen II (1873), 156 f.; Steinwenter, SZ 65 (1947), 89 f.; Kaser, RZP 142, Fn. 36.- iudicis officio continetur findet sich auch in Jav. 1 ex Plaut., D. 5. 3. 44. 101 Ob die Restitutionsklausel in der Formel enthalten war oder ob die
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ger, Servitutsberechtigter zu sein, wurde er freigesprochen, wenn er dem Kläger die Ausübung der Servitut noch einräumte; behauptete im umgekehrten Fall der Kläger, daß der Beklagte nicht servitutsberechtigt sei (actio negatoria), erreichte dieser die absolutio, wenn er die tatsächliche Ausübung der Servitut einstellte und entstandene Schäden beseitigte. Statt dessen konnte dem Beklagten aber auch eine cautio auferlegt werden, mit der auch zukünftige Verstöße erfaßt wurden102• In unserer Stelle geht es um die Fassung der cautio. Fraglich ist offenbar, ob die cautio nur auf die Beseitigung der gegenwärtigen Beeinträchtigungen eingerichtet werden muß, oder ob sie eine Formel enthalten muß, nach der die versprochene Summe auch dann verfällt, wenn der Nachbar zwar zunächst die Balken entfernt und die Löcher zuzementiert hat, später aber gleichwohl wieder Balken anbringt. Die Entscheidung deckt sich mit der Darstellung, die Paulus von der Form der cautio gibt103• Sie erweckt in der Sache keine Bedenken; auch formal ist die Stelle zweifellos in Ordnung. Die dreiteilige Darstellungsform des ,Responsum', die wir bisher durchgehend feststellen konnten, ist auch hier bei aller Kürze gewahrt. 4. Ein Problem der aestimatio bei der actio furti erörtert Javolen in
Pal. 93
=
D. 47. 2. 75 Jav. 4 ep.
Furtivam acillam bona fide duorum aureorum emptam cum possiderem, subripuit mihi Attius, cum quo et ego et dominus furti agimus: quaero, quanta aestimatio pro utroque fieri debet. respondit: emptori duplo, quanti eius interest, aestimari debet, domino autem duplo, quanti ea mulier fuerit. nec nos movere debet, quod duobus poena furti praestabitur, quippe, cum eiusdem rei nomine praestetur, emptori eius possessionis, domino ipsius proprietatis causa praestanda est. Ego besaß eine gestohlene Sklavin, die er guten Glaubens (vielleicht vom Dieb) für 2 000 Sesterzen104 gekauft hatte. Diese Sklavin wurde Restitutionsmöglichkeit nur officio iudicis gewährt wurde, ist streitig: für letzteres Lenel, EP3, 193, dagegen Kaser RZP 257 Fn. 5 mit Segre, BIDR 41 (1933), 17 ff. tot Paul. 21 ed., D. 8. 5. 7.; vgl. Kaser, RPR J!, 438, Fn. 61; jedenfalls für die actio negatoria auch nicht bestritten von Biondi, Le servitu predialit (1954), 354 f.
103 s. Fn. 102: cautio haec est, ut eum iubeat de rejiciendo pariete cavere neque se neque successores suos prohibituros altius tollere sublatumque habere. Die cautio de futuro ist danach sehr allgemein gefaßt: der Beklagte und seine Nachfolger würden nichts tun, was den Kläger daran hindere, die Mauer zu erhöhen oder abzureißen. Maßgeblich ist offenbar nicht, daß die Mauer durch die tigna immissa Schaden erleiden könnte oder daß der Kläger in ihrer Nutzung beeinträchtigt würde; dem Juristen wesentlich ist die Beschränkung in der V e r f ü g u n g s b e f u g n i s. 104 Den aureus, den es erst seit Konstantin gab (Heumann I Seckel s. v. aureus 2), haben die Kompilatoren planmäßig für 1000 HS interpoliert, vgl. Inst. 3. 7. 3. u. ö.
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wiederum ihm geraubt, und zwar von Attius, gegen den nun sowohl ego als auch der Eigentümer mit der actio furti klagen. Ego fragt, wie hoch die aestimatio für jeden ausfallen müsse. Die Antwort: dem Käufer (ego) müsse das duplum seines Interesses zugesprochen werden, dem Eigentümer aber das duplum des Wertes, den die Sklavin hatte. Und es brauche uns nicht zu beunruhigen, daß zweien die Diebstahlsbuße gezahlt werde: zwar werde sie derselben Sache wegen gezahlt, doch sei sie dem Käufer wegen der possessio, dem Eigentümer aber wegen des Eigentums zu leisten. Der Sachverhalt unserer Stelle ist in der Literatur verschieden aufgefaßt worden. Landsberg 105 sah in dem Wort furtivam eine Prolepsis, ging also davon aus, daß die ancilla überhaupt nur einmal geraubt worden war. Dagegen meinte Brinz106 , furtivam deute zwar auf einen vorangegangenen Diebstahl hin; auch dieser müsse aber von Attius begangen gewesen sein. Die gleiche Ansicht hat Schulz101 wieder aufgenommen, und zwar mit der Begründung, daß der Eigentümer gegen den fur posterior nur deshalb die Diebstahlklage haben könne, weil sie ihm schon aus dem ersten Diebstahl zustand. Solche Sachverhaltsauslegungen dürften beeinflußt sein von dem Dogma, daß die actio furti jeweils nur ein e m zustehe, wie dies z. B. aus einer Ulpianstelle108 geschlossen werden könnte. Abweichende Fallgestaltungen mögen aber abweichende Lösungen rechtfertigen. Wir entnehmen dem Text unserer Stelle, daß die ancilla zweimal geraubt war, und zwar von verschiedenen Tätern109 ; die Worte furtivam ancillam bona fide ... emptam zu Anfang haben dann vor allem die Funktion, das Verhältnis des ego zum dominus sowie die (mindere} Art des verletzten Besitzes110 zu kennzeichnen. Demnach behandelt Javolen in Pal. 93 einen Fall, in dem wegen eines Diebstahls die Klage mehreren Personen gegeben wird111 • So erklärt sich auch die ausdrückliche Rechtfertigung der Entscheidung mit 105 Landsberg, Das Furtum des bösgläubigen Besitzers (1888), 33 ff. Dagegen mit Recht schon Stampe in der Rez., SZ 9 (1888), 436. 108 Brinz, Zum Rechte der bonae fidei possessio (1875), 120 f. Auch dagegen mit Recht Stampe (o. Fn. 105); vgl. ferner Schirmer, SZ 5 (1884), 214. 1o1 F . Schulz, SZ 32 (1911), 98. 1os Ulp. 29 Sab., D. 47. 2. 12. pr. 109 Mit Schirmer (o. Fn. 106); Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen im klassischen römischen Recht I (1918), 399 ff.; ders., Nachträge zur Konkurrenz der Aktionen und Personen (1962), 59; ders., Privatstrafe und Schadensersatz im klassischen römischen Recht (1915), 137; Voci, Risarcimento e pena privata (1939), 39 f. uo Vgl. Olde Kalter, TR 38 (1970), 122. 111 Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht (1972), 131 Fn. 259; vgl. Ulp. 42 Sab. D. 47. 2. 46. 1.
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nec nos movere debet - fin., die unsinnig wäre, wenn den zwei Diebstahlsklagen auch zwei Diebstähle zugrunde liegen würden. Die Entscheidung, daß dem bonae fidei emptor die actio furti zusteht, finden wir in knappen Worten im Ediktskommentar Ulpians wieder112 ; sie scheint die klassischen Juristen nicht vor dogmatische Probleme gestellt zu haben. Daß daneben einem weiteren Interessenten die actio gewährt wurde, war nicht grundsätzlich ausgeschlossen113 ; er mußte nur sein Interesse dartun. Wie die Juristen dieses Interesse ermittelten, wird deutlich am Fall des fullo (oder sarcinator), dem die zur Bearbeitung anvertrauten Kleidungsstücke gestohlen werden114 ; daraus ergibt sich zugleich, warum in Pal. 93 beide die Klage bekommen müssen. Dem fullo (sarcinator) steht stets die Diebstahlsklage zu, weil er dem dominus für custodia einzustehen hat (also auch für schuldlosen Verlust); das Klagerecht ,kehrt aber dann zum dominus zurück', wenn der Handwerker nicht zahlungsfähig ist: nam qui non habet quod perdat, eius periculo nihil est115• Gaius sagt dazu ausdrücklich, w a r u m der dominus die Klage nicht hat, solange der fullo zahlungsfähig ist: solange er mit der actio locati Ersatz erlangen könne, fehle es ihm für die actio furti am In t e r e s s e116. Ein solches Interesse hat aber in unserem Fall derdominusvon vornherein; denn vom bona fide emptor, dem die Sache ohne eigenes Verschulden gestohlen worden ist, kann er sicher keinen Ersatz verlangen. Andererseits liegt einem möglichen Interesse des Käufers jedenfalls keine Ersatzpflicht gegenüber dem dominus zugrunde. Schon deshalb können sich die beiden nicht gegenseitig mit dem Klagerecht ausschließen. Wie die Interessen vondominusund bona fide emptor zu bestimmen und gegeneinander abzugrenzen waren, ist unserer Stelle nicht zu entnehmen117. Daß der dominus nur das duplum der ,nuda proprietas' erhalten dürfe, der bona fide emptor dagegen das Besitzinteresse118, sagt der Text nicht. Ob die jeweilige aestimatio unbedingt so ausfallen Ulp. 37 ed., D. 47. 2. 52. 10. na Vgl. nur die Beispiele bei Liebs (o. Fn. 111). 114 Ulp. 29 Sab. D. 47. 2. 12. pr.; Gai 3, 205, ähnlich Inst. 4. 1. 15. m Ulp. D. 47. 2. 12. pr. 11 8 Das Interesse ist also offenbar eine nach Tatbegehung noch durchaus variable Größe: nachträgliche Ereignisse können es zum Entstehen wie zum Erlöschen bringen. 117 Dies ist einer der Gründe, warum Beseler, Beiträge 4 (1920), 296 sie für interpoliert hält (dazu sogleich). 118 Beseler (o. Fn. 117): "für den Gedanken lebenswichtige Einschränkung": von Voci (o. Fn. 109) als selbstverständlich unterstellt. 112
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mußte, daß der Dieb in summa nicht schlechter dastand, als hätte er die ancilla dem wahren Eigentümer gestohlen, erscheint aber zweifelhaft; daß er mit seinem furtum in zwei Rechtskreise eingegriffen hat, mag ihm durchaus zum Nachteil gereichen119• Dafür spricht eine weitere Überlegung: mit den sich ergänzenden Begriffen possessio und nuda proprietas wird einerseits die rein rechtliche Eigentümerstellung, andererseits die tatsächliche Herrschaft und damit in erster Linie die Nutzung s b e f u g n i s bezeichnet. In diesem Sinne hatte aber für den bonae fidei emptor eine von der nuda proprietas abgespaltene possessio überhaupt keinen Wert, da er, solange er die ancilla besaß, der jederzeitigen Vindikation des Eigentümers ausgesetzt war; auch Ersitzung kam nicht in Frage12o. Diese possessio konnte folglich auch kein rechtlich relevantes Interesse begründen. Ein Interesse wegen der possessio konnte sich für den emptor überhaupt nur ergeben, wenn er aus anderen Gründen dem dominus gegenüber zum Besitz berechtigt war, also wenn er etwa wegen Verwendungen ein Zurückbehaltungsrecht besaß121• Ein solches Zurückbehaltungsrecht als bloßes Sicherungsmittel läßt aber die Rechtsstellung desdominusnicht zur nuda proprietas werden, zumal dieser durch Zahlung des Geschuldeten das Retentionsrecht jederzeit zum Erlöschen bringen kann. Nehmen wir also an, der wahre Wert der ancilla habe tatsächlich 2000 HS betragen; 200 HS habe der emptor anläßlich einer Erkrankung für Heilungskosten aufgewendet. Mit der Zahlung der 2000 HS an den Verkäufer (Dieb?) und der ,Übereignung' der ancilla hatte er weder das Eigentum n o c h dem Eigentümer gegenüber rechtlich geschützten Besitz erworben. Sein Recht zum Besitz gründet sich allein auf die Aufwendung der HS 200; nur so hoch kann folglich für ihn der Wert des Besitzes aestimiert werden. Daß damit der ,Nutz w er t' der ancilla nicht erschöpft ist, liegt auf der Hand; da dieser Wert dem emptor nicht zustand, der ancilla jedoch immanent ist, muß er dem dominus zugestanden haben. Dem ego muß also das duplum von 200 HS zugesprochen werden; damit ist die Verletzung seines Besitzinteresses abgegolten. Der dominus aber bekommt das duplum von 2000 HS; der Dieb kann ihm die Zahlung an egonicht entgegenhalten. Er hat nämlich damit nicht den Verwendungsanspruch des ego gegenüber dem dominus zum Erlöschen gebracht; diese Zahlung ist nur die Buße für die Vereitelung des Sich er u n g s recht s. Der weiterbestehende Ersatzanspruch des ego ist 11t Levy, Nachträge (o. Fn. 109) geht ohne Bedenken davon aus, daß die getrennte aestimatio den Dieb natürlich teurer zu stehen komme, als wenn er von besitzenden Eigentümer gestohlen hätte. 12° Kaser, RPR 12 , 419 m. weit. Nachw. 121 Beispiele für solche Zurückbehaltungsrechte bei Jul/Paul. 39 ed., D. 47.
2. 54. 4.
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genauso anzusehen wie eine - unterstellt, Attius hätte direkt vom Eigentümer gestohlen - im Zeitpunkt des furtum offenstehende Arztrechnung: niemand wird auf den Gedanken kommen, durch die Tatsache, daß der dominus einem Dritten wegen ,werterhaltender Aufwendungen' noch etwas schuldet, werde der Wert der gestohlenen Sache gemindert. Die Entscheidung Javolens, dem Käufer sei das duplumseines Interesses, dem Eigentümer aber das duplum des Sachwerts zuzumessen, kann also keine Bedenken erregen. Demgegenüber ist der Schlußsatz nec nos movere debet - fin allerdings nicht ganz deutlich, da er die Aufspaltung der aestimatio in possessio und nuda proprietas zumindest nicht ausschließt. Andererseits ist er aber auch nicht falsch; aestimiert wird ja in der Tat für den emptor der Wert seines Besitzrechts, für dendominusdagegen der Wert seines verletzten Eigentums, das, da es nicht nur nuda proprietas ist, das Recht zum Besitz mit umfaßt. Im übrigen soll der Satz auch nur dazu dienen, möglichen Einwänden hier müsse der Dieb doppelt büßen - zu begegnen; für diesen Zweck ist seine allgemein gehaltene Aussage völlig ausreichend. Textkritische Bedenken gegen unsere Stelle hat BeseZer122 geäußert. Er meint, ego habe angefragt, "welcher siegen muß"; die Antwort streicht er ganz, ohne einen Rekonstruktionsvorschlag zu machen. Zum sachlichen Einwand123 haben wir bereits Stellung genommen; auch die sprachlichen Indizien tragen die Annahme der Unechtheit nicht124• 122 Beseler, Beiträge 4 (1920), 296. Ihm folgt Kaser, Quanti ea res est (1935), 155 f. Wohl keine Bedenken mehr in RPR 12, 615 Fn. 17 und 617 Fn. 40 (dort freilich mit der Annahme, Javolen habe das Interesse des ego an Gebrauch und Nutzung geschützt; dazu soeben). 123 Oben Fn. 118. 124 Beseler (o. Fn. 122): res alicui aestimatur sei kein Latein; interest statt interfuit: das Präsens sehen wir wieder bei Jav. 15 ex Cass., D. 47. 2. 72. 1: furti agere potest is, cui inter es t rem non subripi; fuerit statt fuit: das Futur II mag sich daraus erklären, daß der Aestimationsvorgang in der Zukunft gedacht wird: ,wieviel sich dann erweisen wird, daß sie wert war'. Ganz korrekt ist es freilich nicht, aber der sprachliche Maßstab sollte nicht zu hoch angesetzt werden; dazu Kaser, Methodologie (1972), 48. - cum eiusdem nomine praestetur sei unverständlich: wir lesen das cum adversativ. Der sachliche Einwand: duplo ... aestimari debet sei unkorrekt, da sich die aestimatio in der Berechnung des Grundwertes erschöpft habe, ist sicher zu streng. - Schließlich streicht Beseler duorum aureorum ersatzlos. Die Preisangabe hat tatsächlich keine ohne weiteres sichtbare Funktion; als Interpolation (bis auf die Veränderung der Währung) ist sie aber ganz undenkbar - wer sollte auf die Idee gekommen sein, sie nachträglich einzufügen? Vielleicht sollte der Preis zur Veranschaulichung des Falles dienen, oder er sollte die bona fides unterstreichen: wenn es z. B. der zu Javolens Zeit gängige Marktwert, nicht etwa ein verdächtiger Schleuderpreis war. Zum Subjektswechsel vgl. oben Fn. 59.
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5. Einelex emptionis beschäftigt unseren Juristen in Pal. 124 = D. 19. 2. 21 Jav. 11 ep. Cum venderem fundum, convenit, ut, donec pecunia omnis persolveretur, certa mercede emptor fundum conductum haberet: an soluta pecunia merces accepta fieri debeat? respondit: bona fides exigit, ut quod convenit fiat: sed non amplius praestat is venditori, quam pro portione eius temporis, quo pecunia numerata non esset. Ego verkaufte ein Grundstück und vereinbarte dabei mit dem Käufer, daß dieser es bis zur Zahlung des Kaufpreises gegen einen festgesetzten Zins zur Pacht haben solle. Er fragt, ob nach der Kaufpreiszahlung der Pachtzins erlassen werden müsse. Javolen antwortet, die bona fides gebiete, daß das geschehe, was vereinbart war; aber dieser (der Käufer) hafte dem Verkäufer aus der Pachtabrede nicht für eine längere Zeit als die, die bis zur Preiszahlung vergangen war. Solche Vereinbarungen waren in Rom offenbar nicht selten; die Digesten überliefern mehrere Beispiele dafür125• Welchen wirtschaftlichen Zweck man damit verfolgte, liegt auf der Hand: der Pachtzins war gedacht als Äquivalent für die Stundung des Kaufpreises. Außerdem behielt der Verkäufer auf Grund des Pachtverhältnisses den Besitz an der verkauften Sache. Woraus konnte sich hier der Zweifel ergeben haben, ob ein solches
pactum ex post, d. h. nach Kaufpreiszahlung betrachtet, wirksam sei? Auf nichts anderes läuft es ja hinaus, wenn die quaestio es für möglich hält, daß der Pachtzins erlassen werden müsse.
aa) Eine Erklärung unserer Stelle hat in neuerer Zeit zuerst Daube126 versucht. Er stellt sich den Fall so vor: man habe sich darauf geeinigt; daß der Kaufpreis in (beispielsweise) 5 Jahren abbezahW27 werden sollte; für diese 5 Jahre habe man ein Pachtverhältnis zu einem festen Zins vereinbart. Der Käufer zahlte jedoch schon innerhalb von 2 Jahren. Muß ihm die Pacht für die restlichen 3 Jahre erlassen werden?Vielleicht sei die quaestio gekürzt, da sie auf die vorzeitige Zahlung keinen Hinweis enthalte; möglicherweise habe aber Javolen auch diese Vorstellung beim Leser vorausgesetzt. 123 Vgl. die Beispiele bei Pringsheim, SZ 50 (1930), 407. Nach Ehrhardt, Iusta causa traditionis (1930), 151 mußte in solchen Fällen der Kaufvertrag bedingt abgeschlossen werden; dagegen aber Schulz in der Rez., SZ 52 (1932), 542 (wohl zu Recht; die Frage ist aber hier nicht von Belang). 126 Daube, The Cambridge Law Journal 10 (1950), 77- 83. Der Aufsatz bezieht sich auf Monro, Digest 19. 2 (1891), 30, der freimütig eingesteht, er verstehe die Antwort (besonders den letzten Satz) nicht, weil doch der Käufer mehr zu tun nie versprochen habe. 127 Daube (o. Fn. 126) weist gegenüber Heumann I Seckel, s. v. persolvere ("Lieblingsausdruck Justinians") zu Recht darauf hin, daß persolvere hier ganz in Ordnung ist i. S. v. ,to pay completely', ,to pay up'.
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Die Antwort habe nur gelautet: bona fides exigit ut quod convenit fiat, und gemeint habe Javolen damit, daß die Pacht für volle 5 Jahre zu zahlen sei: denn dadurch, daß der Käufer abredewidrig schon nach 2 Jahren zahlte, könne er nicht dem Verkäufer den Pachtzinsanspruch vereiteln. Der Rest sei, wie man schon am Personenwechsel merke, nachklassisches Anhängse112s. bb) Dagegen gibt Thomas 129 zu bedenken, Javolen habe doch wohl nicht gemeint, die bona fides gebiete es, daß der Käufer entgegen der allgemeinen RegeP30 als Pächter seines eigenen Grundstücks dastehen müsse. Die Antwort, es sei nur für die Zeit vor der Preiszahlung Pacht zu entrichten, sei daher ganz richtig, wenn auch der Schlußsatz überarbeitet sei. cc) Beide Autoren werden damit aber der quaestio nicht gerecht. Gefragt ist ja, ob ,der Pachtzins', also doch wohl der gesamte, erlassen werden müsse; dagegen lesen wir in ihr nichts von bestimmten Zahlungsterminen oder vorzeitiger Erfüllung. Die Zeitbestimmung donec pecunia omnis persolveretur läßt den Termin gerade offen; und der Zusatz sed non amplius rell. in der Antwort bezieht sich offenbar nicht auf ein Detail der vorgelegten Frage, sondern enthält eine Einschränkung der generellen Antwort, die auf eine generell gefaßte Frage gegeben wird. Freilich sprechen einige Indizien dafür, daß Javolen an ein Pachtverhältnis dachte, das auf einen bestimmten Zeitraum veranschlagt war: certa mercede deutet an, daß man als Zins eine feste Summe angesetzt hatte; accepta fieri kann ein Hinweis darauf sein, daß der Verkäufer sich diese Summe in einer Stipulation hatte versprechen lassen. Auch pro portione eius temporis, quo pecunia numerata non esset scheint den entsprechenden Bruchteil einer festen Summe zu meinen. Gleichwohl sind diese Hinweise zu indirekt gegeben, als daß es für das Hauptproblem unserer Stelle entscheidend auf die spezielle Sachlage ankommen könnte, die sie widerspiegeln. Die Frage ist grundsätzlicher gestellt: sie bezweifelt die Wirksamkeit des Pachtpactums im Ganzen. Woraus konnte sich dieser Zweifel ergeben? Ausgangspunkt der ratio dubitandi ist offenbar die Tatsache, daß ein Pachtvertrag über die eigene Sache unwirksam ist131 • Das könnte auch in unserem Fall gelten, wenn das gekaufte Grundstück schon vom Kaufabschluß an Vermögensbestandteil des Käufers war. 128 Diese Interpretation zieht Daube dann in RIDA 5 (1958), 427 - 435 noch einmal bei der Betrachtung von Paul. 34 ed., D. 19. 2. 20 und 22 pr. heran, wo unsere Stelle in den Digesten eingefügt ist. 129 J. A. C. Thomas, IURA 10 (1959), 103 ff., der sich im übrigen der Sachverhaltsdarstellung Daubes anschließt. tao Vgl. Pal. 98 (u. § 6 I 2).
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(X) Der römische Kaufvertrag war kein rein abstraktes Verpflichtungsgeschäft: die verkaufte Sache rechnete normalerweise schon vom Vertragsschluß an nicht mehr zum Vermögen des Verkäufers132. Das Kaufrecht ist durch die Barkaufvorstellung geprägt133. Das hat vielfältige Konsequenzen. Hier interessiert vor allem der Umstand, daß dem Käufer vom Abschluß an die Nutzungen der gekauften Sache gebührten134: wenn dem Käufer schon von Anfang an kostenlos zustand, was er sich nach dem Willen des Verkäufers erst mit der Pachtabrede ,erkaufen' sollte, dann konnte man die Wirksamkeit eines solchen Pachtverhältnisses mit Recht bezweifeln.
ß) Die questio hält allerdings das Pachtpactum nicht von vornherein, sondern erst soluta pecunia für möglicherweise unwirksam. Sie berücksichtigt also den Umstand, daß das pactum, das bis zur Preiszahlung galt, den Kaufvertrag gewissermaßen suspendierte, also seine ,Perfektion' hinausschob. Sie fragt aber nach der Unwirksamkeit des ganzen pactum. Das bedeutet, daß sie mit einer Art Rückwirkung dieser ,Perfektion' rechnet. Dieser Gedanke ist den Quellen nicht gänzlich fremd 135 ; er beschäftigt auch Javolen mehrfach in den epistulae138• y) Die Vorstellung der quaestio, daß die Vollendung des Kaufs die Pachtabrede rückwirkend vernichte, lehnt Javolen als treuwidrig ab: bona fides exigit ut quod convenit fiat. Dieser Hinweis wirkt freilich in seiner Allgemeinheit etwas platt und auch nicht ganz treffend: das Ansinnen, das in der quaestio zum Ausdruck kommt, verstößt nicht nur gegen die bona fides (etwa im Sinne von ,unzulässiger Rechtsausübung'); es ist einfach ohne Grundlage. Denn die Nichtigkeit des Pachtpactums könnte sich nur aus dem Kaufvertrag ergeben; dieser Kaufvertrag ist aber gerade durch die Pachtabrede einverständlich modifiziert. Gleichwohl ist der Satz für echt zu halten, zumal Javolen sich an ganz anderer Stelle einer ähnlichen Formulierung bedient137•
dd) Mit sed non amplius praestat is venditori, quam pro portione eius temporis, quo pecunia numerata non esset wird die generell gefaßte Antwort in dem Sinne eingeschränkt, den Thomas138 der ganzen Vgl. Pal. 98 (u. § 6 I 2 und soeben Fn. 130). Vgl. Kaser, RPR !2, 552. 133 Kaser, RPR !2, 547. 1u Kaser, RPR It, 553. 135 Vgl. Pomp. 9 Sab., D. 18. 1. 8 pr.; Gai lb. sing. de form. hypoth., D. 20. 4. 11. 1; Paul62 ed., D. 45. 1. 78. pr.; Pomp. 15 Sab., D. 46. 3. 16; dazu Kaser, RPR !2, 256. 13 ' Vgl. nur Pal. 127 (u. § 5 I 5); Pal. 107 (u. § 6 III). 13 7 Jav. 5 ex post. Lab., D. 18. 1. 79: Labeo et Trebatius negant posse ex vendito agi, ut i d q u o d c o n v e n e r i t f i a t. 138 0. Fn. 129. 181
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Stelle beilegen wollte. Erst hier wird die Möglichkeit vorzeitiger Zahlung erwogen und festgestellt, daß - unabhängig von der vereinbarten Dauer der Pacht - der Käufer Pachtzins nur für die Zeit zu entrichten habe, während der das Pachtverhältnis - donec pecunia omnis persolveretur - den Kauf wirksam suspendierte. Mit Perfektion des Kaufs ist das ihm untergeordnete Pachtverhältnis erledigt; von diesem Zeitpunkt an wird es mit dem perfekten Kauf unvereinbar. In diesem Moment hat es auch seinen Zweck erfüllt. Denn der Pachtzins diente ja als ,Entgelt' für die Stundung des Kaufpreises, war also wirtschaftlich Kreditzins; und das Pachtverhältnis sicherte dem Verkäufer den Besitz an dem nicht voll bezahlten Grundstück. Die befristete locatio als ,Annex' des Kaufvertrages kann also vom Pächter entgegen der allgemeinen Regel ohne weiteres139 auch vorzeitig beendet werden. ee) Für Pal. 124 in der gegenwärtigen Textform gibt es also eine Erklärung, die keine Sachverhaltseinschränkungen unterstellen muß. Dementsprechend erscheint der Verdacht unbegründet, daß die Stelle sinnverändernd gekürzt oder sonst überarbeitet sei1 40 • Der Personenwechsel im Schlußsatz ist für sich allein kein Überarbeitungsindiz141• 6. Um die Interpretation einer lex locationis geht es in
Pal. 125 (I), D. 19. 2. 51 pr. Jav. 11 ep. Ea lege fundum locavi, ut, si non ex lege coleretur, relocare eum mihi liceret et quo minoris locassem, hoc mihi praestaretur, nec convenit, ut, si pluris locassem, hoc tibi praestaretur, et cum nemo fundum colebat, pluris tarnen locavi: quaero, an hoc ipsum praestare debeam. respondit: in huiusmodi obligationibus id maxime spectare debemus, quod inter utramque partem convenit: videtur autem in hac specie id silentio convenisse, ne quid praestaretur, si ampliore pecunia fundus esset locatus, id est ut haec conventio pro locatore tantummodo interponeretur. Ego hat ein Grundstück verpachtet und dabei dem Pächter in einer lex vorgeschrieben, wie es zu bestellen sei; für den Fall, daß es nicht vereinbarungsgemäß bestellt würde, behielt er sich das Recht vor, den fundus erneut zu verpachten und für einen dabei etwa entstehenden Mindererlös vom ersten Pächter Ersatz zu verlangen. Für den Fall, daß die zweite Verpachtung mehr einbringe als die erste, wurde keine Regelung getroffen. Eben dieser Fall aber trat ein. Die Frage ist, ob der Verpächter den Mehrerlös dem ersten Pächter herausgeben müsse. Die Antwort beginnt mit der allgemeinen Bemerkung, bei solchen Schuldverhältnissen sei hauptsächlich zu betrachten, was die Parteien m Vgl. Kaser, RPR 12 , 568 mit Fn. 50. Anders Daube (o. Fn. 126); Thomas (o. Fn. 129); vgl. noch Beseler, St. Bonfante 2 (1930), 81 mit sehr freier ,Rekonstruktion'. 141 Vgl. o. Fn. 59. 140
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vereinbart hätten. Hier sei man offenbar stillschweigend übereingekommen, daß nicht gehaftet werde, wenn der fundus zu einem höheren Preis verpachtet würde; die conventio sei, mit anderen Worten, lediglich zugunsten des Verpächters in den Vertrag aufgenommen worden. Die Entscheidung ist einleuchtend: daß der erste Pächter aus seinem Verstoß gegen die vertragliche Vereinbarung auch noch Gewinn ziehen sollte, wäre ein geradezu absurdes Ergebnis142• Dagegen ist die Form, in der diese Entscheidung vorgetragen wird, von Eisele, Beseler und Mayer-Maly 143 beanstandet worden.
Mayer-Maly streicht zunächst mit Beseler [et cum - colebat] und [tamen]1 44 ; weiterhin aber auch [in huiusmodi obligationibus - convenit], [autem], [id] und [si ampliore - fin], so daß als Antwort Javolens übrigbleibt: ,videtur in hac specie silentio convenisse, ne quid praestaretur'. Der Jurist habe als Grundlage für seine Entscheidung das argumentum e silentio aus der lex locationis verwendet. Bearbeiter und Kompilatoren hätten dagegen auf den Parteiwillen zurückgegriffen und dabei noch (mit id est - interponeretur) ein gegen die conductores gerichtetes ,Günstigkeitsprinzip' für die Auslegung des Parteiwillens ersonnen. Indessen sehen wir weder, wie bei dem so übrigbleibenden Text der Rückgriff auf den Parteiwillen ausgeschlossen sein, noch wie er sich aus der überlieferten Fassung zwingend ergeben soll: id maxime spectare debemus, quod ... convenit sagt ja nur, daß, aber nicht wie die conventio auszulegen sei. Und die angeblich zur Begründung angefügte Auslegungsregel (,im Zweifel zu Gunstendes Verpächters') erweist sich bei genauerer Betrachtung als nur auf unseren Fall bezogene Folgerung aus dem vorgetragenen Sachverhalt145, der eine andere Entschei142 Man würde auch heute unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm nicht anders entscheiden. 143 Eisele, SZ 11 (1890), 9; Beseler, Beiträge 3 (1913), 62 und SZ 56 (1936), 57; Mayer-Maly, Locatio conductio (1956), 108 f. - Eiseie hält den Schluß id est rell. für kompilatorisch, da er eine allgemeine Feststellung enthalten solle, dabei aber fälschlich von videtur - conveni sse abhängig gemacht sei. Diese grammatische Abhängigkeit kommt uns aber gar nicht so falsch vor: Gegenstand der conventio ist nach .Tavolen eben auch die (stillschweigende) Einigung darüber, daß die Klausel nur zu Gunsten des Verpächters wirken solle. - Beseler, Beiträge 3 (1913), 62 bemängelt das ,cum causale' mit dem Indikativ und streicht deshalb [et cum - colebat], ferner [tamen]. SZ 56 (1936), 57 enthält die (richtige) Feststellung, daß das cum nicht kausal, sondern temporal sei (gegen das VIR). Der Indikativ ist aber kein hinreichendes Interpolationsindiz; vgl. die Beispiele für seinen Gebrauch bei Leumann I Hofmann I Szantyr, Lateinische Grammatik II (1965), 622 f. 144 Dazu soeben Fn. 143. 145 Vgl. oben Fn. 143 zu Eisele.
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dungauch kaum rechtfertigen würde146• Eine generelle Tendenz der (sei es nachklassischen) Juristen zur Benachteiligung der Pächter ist deshalb wenigstens unserer Stelle nicht zu entnehmen. Es geht ja auch nicht etwa um die Auslegung einer mehrdeutigen Bestimmung147, sondern um die Frage, ob eine für sich genommen völlig eindeutige Bestimmung zu Gunsten des ersten Pächters analog angewendet werden soll; das wird- zu Recht- abgelehnt. Deshalb dürfte es auch verfehlt sein, die Stelle mit dem verba-voluntas-Problem148 in Verbindung zu bringen; denn der eingetretene Fall (günstigere Verpachtung) ist von den Parteien offenbar nicht nur nicht geregelt, sondern auch gar nicht bedacht worden. Folglich kann es auch keine Diskrepanz zwischen verba und voluntas gegeben haben. Auch die formalen Einwände149 begründen den Verdacht der Überarbeitung nicht. 7. Ebenfalls aus dem Bereich der locatio conductio stammt Pal. 125 (II), D. 46. 1. 44 Jav. 11 ep.tso Stipulatus es opus arbitratu tuo ante certarn diem fieri, quod si effectum non esset, quanti ut efficiatur opus locasses, tanti fideiussores cepisti: et quia opus effectum non erat, alii locasti et, cum posterior conductor satis non daret, ipse opus fecisti: quaero, an fideiussor teneatur. respondit: secundum ea verba stipulationis, quae a te proposita sunt, fideiussores non tenentur. non enim id fecisti, quod in stipulatione convenerat, id est opus alii non locasti, tametsi postea locasti: ea enim locatio, quam secutus es, perinde est, ac si interposita non esset et si statim tu opus facere coepisses. ue Oben Fn. 142. w Wie z. B. bei Alf. 7 dig., D. 19. 2. 29; dazu Mayer-Maly (o. Fn. 143), 108. us Mayer-Maly (o. Fn. 143), 109. 149 Mayer-Maly (o. Fn. 143), 109, mit Fn. 18: et cum colebat sei "überflüssige und schleppende, rein explikative Glosse": vgl. dazu nur Pal. 130 (o. § 4 I a 1); überdies fügt sich der Satz in die auch sonst relativ ausführliche Sachverhaltsschilderung gut ein: nec convenit - praestaretur wird (zu Recht) auch nicht bemängelt.- Die Einleitung des responsum sei "äußerst lehrhaft, dabei banal und generalisierend" : warum sollte sie deshalb dem ,Klassiker' abgesprochen werden? Vgl. Pal. 124: bona fides exigit ut quod convenit fiat (dazu oben § 4 I d 5).- überflüssig sei "die mit si ampliore pecunia fundus esset locatus gegebene Feststellung, daß der in der quaestio vorausgesetzte Sachverhalt eingetreten sei". Das dürfte auf Irrtum beruhen: der Satz sagt nicht, daß der Sachverhalt eingetreten sei, sondern daß gemäß der Auslegung der conventio für diesen Fa 11 der locator nichts zu zahlen habe; es korrespondiert mit si pluris locassem in der Sachverhaltsdarstellung. 150 Lenel weicht hier in der palingenetischen Anordnung vom üblichen Schema (Legalordnung der Digesten) ab und schiebt D. 46. 1. 44 zwischen D. 19. 2. 51. pr/Pal. 125 (I) und D. 19. 2. 51. 1/Pal. 126 ein, wohl weil es in beiden unter Pal. 125 zusammengefaßten Stellen um N e b e n b e s t i m m u n g e n bei der locatio conductio geht, während in Pal. 126 nur eine besondere Art der Pachtzinszahlung vereinbart ist (vgl. dazu oben § 4 I b). Gegen diese Anordnung spricht aber ein formaler Gesichtspunkt: in Pal. 125 (I) wie in Pal.
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Tu hat ein Werk in der Weise verdungen, daß es nach seinen Weisungen bis zu einem bestimmten Tag fertiggestellt sein sollte; für den Fall, daß dies nicht geschehe, verpflichtete sich der conductor, für die durch die Weitervergabe des Auftrags entstehenden Mehrkosten Ersatz zu leisten151 und stellte dafür Bürgen. Tatsächlich mußte das Werk weiterverdungen werden; da aber der zweite conductor nicht ebenfalls Sicherheit (für die rechtzeitige Fertigstellung) leisten wollte, führte tu das Werk kurzerhand selbst aus. Die Frage ist, ob der Bürge hafte. Javolen entscheidet, die Bürgen hafteten nicht. Denn sie sollten nur für die Kosten der zweiten Verdingung einstehen; die zweite Werkvergabe sei aber als nicht erfolgt zu betrachten, da es ja schließlich der Auftraggeber und nicht der zweite Werkunternehmer gewesen sei, der das Werk fertiggestellt habe. Auch hier geht es - wie in Pal. 125 (I) - um die entsprechende Auslegung einer Vertragsbestimmung: fallen die Kosten, die durch die eigenhändige ,Ersatzvornahme' entstanden sind, noch unter die Klausel quanti ut efficiatur opus locasses (-m)? Für seine ablehnende Entscheidung greift Javolen auf den Wortlaut der Stipulation zurück, die eine erneute Werkvergabe voraussetzte152• Das hätte eine Verdingung sein müssen, die auch praktisch wirksam wurde. Denn so dürften durch die zweite Verdingung schon gar keine Kosten entstanden sein; quanti locasses war also gleich Null. Eine Ersatzvornahme durch den Auftraggeber selbst ist vom Stipulationswortlaut nicht gedeckt. Die Entscheidung ist für den im Stich gelassenen Besteller hart, aber konsequent; er hätte eben die Garantiestipulation anders fassen oder sich der abgeschlossenen entsprechend verhalten müssen. Die Lösung mit Beseler158 in ihr Gegenteil zu verkehren, erscheint deshalb unbegründet. Formale Bedenken sind sonst gegen unseren Text nicht erhoben worden. Man hat lediglich angenommen, hinter secutus sei ein non einzufügen: ea enim locatio, quam secutus non es154• Diese Lesart ist aber 126 - also den beiden §§ von D. 19. 2. 51 - spricht die quaestio in der ersten, dagegen in Pal. 125 (II) in der zweiten Person. 151 Das steht zwar nicht im Sachverhalt, ergibt sich aber daraus, daß eine Bürgschaft ja eine Hauptschuld voraussetzt (Akzessorietät); vgl. Talamanca, Studi Senesi 80 (1968), 93 Fn. 37 mit Verweis auf die Glosse. - Solche Nebenverpflichtungen waren bei größeren opera nicht selten, s. die Hinweise bei Samter, SZ 26 (1905), 142. 152 Mayer-Maly, Locatio conductio (1956), 100. Ob die tragende materielle Erwägung die war, daß das Haftungsausmaß bei der Ersatzvornahme zu schwierig zu bestimmen sei (Mayer-Maly), lassen wir dahingestellt. 153 Nach Beseler, SZ 66 (1948), 376 (s. v. tametsi, tamenetsi) sagte .Javolen schlicht: secundum ea [verba stipulationis], quae a te proposita sunt, fide-
iussores [non] tenentur.
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nicht unbedingt besser, zumal der Sinn des Textes sie nicht zwingend erfordert. Javolen kann natürlich geschrieben haben: ,die locatio nämlich, die du (zwar abgeschlossen, aber dann) nicht weiterverfolgt hast'; nicht weniger Sinn gibt aber der Satz: ,..., der du nachgegangen bist'155, ,die du (abschließen und) durchführen wo 11 t es t'. Die Lesung ohne non ist schon unter dem Gesichtspunkt der lectio difficilior für echt zu halten; sie erklärt sich auch aus der Struktur dieses Teils der Stelle. Der Satz (id est) opus alii non locasti, tametsi postea locasti spricht ein scheinbares Paradox aus: ,du hast nicht verdungen, obwohl zu verdungen hast'. Dieses Paradox wird dann als auf juristischer Fiktion beruhend erklärt: denn die locatio, die du durchzuführen bemüht warst, wird als nie abgeschlossen b e trachte t. Der Gegensatz zwischen (zwar) gültigem Abschluß und (aber) rechtlicher Irrelevanz der zweiten locatio kommt sehr viel stärker zur Geltung, wenn wir in quam secutus es einen Hinweis auf den tatsächlichen Abschluß, statt in quam secutus non es einen auf die faktische Nichtdurchführung haben. 8. Ein Problem beim Nießbrauch an Geldbeträgen hatte Javolen zu lösen in Pal. 135 = D. 19. 5. 10 Jav. 13 ep. Partis tertiae usum fructum legavit: heredis bona ab eius creditoribus distracta sunt et pecuniam, quae ex aestimatione partis tertiae fiebat, mulier accepit fruendi causa et per ignorantiam stipulatio praetermissa est. quaero, an ab herede mulieris pecunia, quae fruendi causa data est, repeti possit, et qua actione. respondi in factum actionem dari debere. Ein Ehemann hatte seiner Frau156 den Nießbrauch an einem Drittel seines Vermögens vermacht. Nach dem Anfall der Erbschaft wurde über das Vermögen des Erben der Konkurs eröffnet. Die Ehefrau erhielt einen Betrag, der dem Wert des Drittels entsprach, zum Nießbrauch; dabei unterließ man es aus Unwissenheit, sich die Rückzahlung der Valuta nach Beendigung des Nießbrauchs versprechen zu lassen157• Auf die Frage, ob (und wie) das Geld vom Erben der mulier eingeklagt werden könne, antwortet Javolen, es sei eine actio in factum zu gewähren. m Wir finden das non in zwei Vulgathss.: codd. 0 und (ähnlich) C. Mommsen, ed. mai. ad h. 1. hat sich für diese Lesart ausgesprochen; außerdem sind Appleton, NRH 40 (1916), 50 und Cannata, Per lo studio della responsabilita per colpa nel diritto romano classico (1967/68), 184 f. für sie eingetreten. m Zu dieser Bedeutung von sequor vgl. Georges, Handwörterbuch II, 2619
s. h. V. II, 1. 1se Vgl. mulier accepit im Text und Ulp. 15. 3. 157 Diese cautio usufructuaria konnte beim Nießbrauch an verbrauchbaren Sachen der Geber vom Nießbraucher verlangen: Kaser, RPR It, 454. Für Nießbrauchsvermächtnisse ist die cautio ediktal: Lenel, EPB (1927), 368 f.; 538f.
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Von wem die mulier das Geld zum Nießbrauch erhielt, sagt der Text nicht. Wir können annehmen, daß das Wort distracta auf justinianischer Interpolation für vendita beruht158• Wenn also das Konkursverfahren die zu Javolens Zeiten übliche venditio bonorum war, wird der bonorum emptor der Frau den Nießbrauch an der Schätzsumme eingeräumt haben159, um damit die bona lastenfrei (und so erst verwertbar) zu bekommen: mit Vermögensgegenständen, an denen die Frau noch bis zu ihrem Lebensende zu einem Drittel berechtigt war, konnte er schwerlich etwas anfangen. Die Entscheidung, daß der Geber das Geld zurückbekommt, obwohl er vergessen hat, sich dies ausdrücklich versprechen zu lassen, deckt sich im Ergebnis mit dem, was wir auch von Sabinus, Celsus und Ulpian hören180• Nur gibt es einen bedeutsamen Unterschied: die drei Juristen wollen als Klage keine actio in factum, sondern eine condictio161 geben. Diese Diskrepanz hat jedoch nicht zu Interpolationsbehauptungen geführt; sie pflegt vielmehr mit divergierenden Ansichten der klassischen Juristen über den Anwendungsbereich der condictio er4 klärt zu werdent&2, 158 Solazzi, 11 concorso dei creditori nel diritto romano II (1938), 89 Fn. 3. Der Grund liegt darin, daß für die Kompilatoren nicht mehr die Gesamtvollstreckung (venditio bonorum), sondern die Einzelvollstreckung (distractio bonorum) das normale Verfahren war, vgl. Kaser RZP 514 f. Anschaulich die Veränderung von Gai. 2, 154 (veneantur) in Inst. 2. 19. 1 (a creditoribus possideantur vel distrahantur vel inter eos dividantur). 159 Solazzi (o. Fn. 158), 90 f. Möglich wäre immerhin auch, daß die creditores mit Einverständnis der mulier ihr das Geld zahlen, um damit den Nießbrauch abzulösen und die bona unbelastet verkaufen zu können. Wirtschaftlich läuft das auf dasselbe hinaus: der bonorum emptor zahlt im zweiten Fall eben entsprechend mehr als im ersten; die Tatsache, daß der Nießbrauch bestand, wirkt sich so oder so zu Lasten der vollstreckenden Gläubiger aus. Die Stelle läßt beide Deutungen zu; und offenbar kommt es für die Lösung darauf nicht an: Javolen interessiert sich nur dafür, ob das Geld herausgegeben werden muß und was für eine Klage einschlägig ist, nicht aber, a n w e n es herauszugeben ist. Deshalb scheint die Annahme Solazzis nicht zwingend, daß Javolen in factum actionem