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German Pages , 192 Seiten [201] Year 2017
Angela Fabris Jörg Helbig Arno Rußegger Hg.
ISBN 978-3-89472-618-8
Horrorfilme polarisieren. Egal, ob man sie liebt, oder ob man sich dem Nervenkitzel aussetzt wie einer Achterbahnfahrt, zu der man sich wider besseres Wissen überreden lässt – gleichgültig lassen sie kaum jemanden. Funktionieren sie gut, sprechen sie unsere Urängste an und veranlassen uns, die Finger um die Lehnen des Kinosessels zu krampfen. Funktionieren sie schlecht, können wir womöglich befreit darüber lachen, dass sie es nicht schaffen, uns das Gruseln zu lehren. Kultpotential besitzen beide, die guten wie die schlechten Horrorfilme, denn sie graben sich in das kollektive Gedächtnis ein, wie es bei kaum einem anderen Genre der Fall ist. Der Band widmet sich unterschiedlichen Aspekten des Horrorfilms. Analysen von individuellen Filmen stehen neben Ausführungen zu einzelnen Genres (z.B. Gothic Horror, Giallo, Parodien) und zu spezifischen Aspekten wie Gewalt oder Musik im Horrorfilm. Beiträge von Susanne Bach, Angela Fabris, Michael Fuchs, Sabrina Gärtner, Jörg Helbig, Frank Hentschel, Benjamin Moldenhauer, Arno Rußegger und Marcus Stiglegger
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Angela Fabris/Jörg Helbig/Arno Rußegger Hg. Horror-Kultfilme
Horror Kultfilme
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Angela Fabris / Jörg Helbig / Arno Rußegger (Hg.) Horror-Kultfilme
Marburger Schriften zur Medienforschung 78 ISSN 1867–5131
Angela Fabris / Jörg Helbig / Arno Rußegger (Hg.)
Horror-Kultfilme
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Abbildungsnachweis S. 25, 27, 29: 1999 Columbia Tristar Home Video; S. 58, 61, 63, 66: 2016 Eighty four Entertainment; S. 85 London-Cannon Films Ltd.; S. 124, 126, 131: 1974 Vortex Inc.; S. 147: 2011 Universal Pictures Germany; S. 149: 2012 StudioCanal; S. 152: 2012 Twentieth Century Fox; S. 153: 2012 Twentieth Century Fox; S. 169: 2016 Universum Film GmbH, 1974 Vortex Inc.; S. 171: 2015 Weltkino Filmverleih GmbH, 2007 The Weinstein Company; S. 174: 2017 Splendid Film GmbH; S. 180: 2016 Lions Gate Entertainment Inc.
Schüren Verlag GmbH Universitätsstr. 55 · D-35037 Marburg www.schueren-verlag.de © Schüren 2017 Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: Erik Schüßler Umschlaggestaltung: Wolfgang Diemer, Köln, unter Verwendung eines Fotos aus Hotel (2004; Neue Visionen; Regie: Jessica Hausner) Druck: Booksfactory, Stettin, Polen Printed in Poland ISBN Print 978–3-89472–618–8 ISBN ebook 978-3-7410-0072-0
Inhalt
Einleitung
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I. Die Horror-Klassiker – Dracula und Frankenstein Susanne Bach
This motion picture sucks Francis Ford Coppolas Bram Stoker’s Dracula
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Arno Rußegger
I assure you there is nothing to fear Mel Brooks’ Horrorfilmparodie Young Frankenstein
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II. Giallo – Italian Gothic Marcus Stiglegger
Das Ganze ist nichts als ein schrecklicher Traum Italian Gothic Horror und Dario Argentos Suspiria
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Angela Fabris
Ein Labyrinth aus Schein und Sein Intertextuelle Bezüge zu den Filmen Mario Bavas in Dario Argentos Giallo Profondo rosso
69 5
III. Meta-Horror – intertextuelle und selbstreflexive Verwirrspiele Jörg Helbig
Es ist furchtbar, ein Leben lang Angst zu haben Pete Walkers House of the Long Shadows zwischen Gothic Horror und Mindfuck Movie
83
Sabrina Gärtner
Es bleibt ein unbefriedigendes Gefühl zurück Jessica Hausners Spiel mit dem Horror-Genre
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IV. Subgenres – Der drastische Horrorfilm und der Tierhorrorfilm Benjamin Moldenhauer
Die Konstanz der Welt ist dahin Der drastische Horrorfilm
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Michael Fuchs
Entirely outside the cultural? Das Monster als Brücke zwischen Natur und Kultur im US-amerikanischen Tierhorrorfilm
141
V. Musik im Horrorfilm Frank Hentschel
Musik im Horrorfilm: 2010–2017
161
Anhang Die 20 bedeutendsten Horrorfilm-Regisseure der Filmgeschichte Die 30 besten Horrorfilme aller Zeiten Die 25 erfolgreichsten Horrorfilme weltweit Die Horrorfilme von Dario Argento Die Frankenstein- und Dracula-Filmzyklen der Hammer Studios Die 25 besten schauspielerischen Leistungen in Horrorfilmen Die 20 wichtigsten von Frauen inszenierten Horrorfilme Die 10 besten Horrorfilm-Remakes aller Zeiten … …und die 5 schlechtesten
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Die Autorinnen und Autoren
195
6
Einleitung
Wohl kein anderes Filmgenre erscheint so geschaffen für das Prädikat eines «Kultfilms» wie das Horrorgenre. Dies mag daran liegen, dass es sich bei Horrorfilmen um Affektkino par excellence handelt. Ohne große Umschweife zielen sie direkt auf das vegetative Nervenzentrum ihres Publikums. Sie jagen ihm Angst ein, provozieren unkontrollierte Reaktionen und haben noch nicht einmal als Filme versagt, wenn sich die Zuschauer entsetzt von der Leinwand abwenden oder, schlimmstenfalls, das Kino verlassen. Horrorfilme polarisieren. Egal, ob man sie liebt, oder ob man sich dem Nervenkitzel aussetzt wie einer Achterbahnfahrt, zu der man sich wider besseres Wissen überreden lässt – gleichgültig lassen sie kaum jemanden. Funktionieren sie gut, sprechen sie unsere Urängste an und veranlassen uns, die Finger um die Lehnen des Kinosessels zu krampfen. Funktionieren sie schlecht, können wir womöglich befreit darüber lachen, dass sie es nicht schaffen, uns das Gruseln zu lehren. Kultpotenzial besitzen beide, die guten wie die schlechten Horrorfilme, denn sie graben sich in das kollektive Gedächtnis ein, wie es bei kaum einem anderen Genre der Fall ist. Über Horrorfilme wird gesprochen, und selbst Menschen, die diese Filme nie gesehen haben, kennen Titel wie Frankenstein, Nosferatu, Psycho, Rosemary’s Baby, Die Nacht der lebenden Toten, Der Exorzist, Halloween, Freitag der 13., The Texas Chain Saw Massacre, Alien, The Blair Witch Project, Scream, Saw usw. Das ist eine gute Grundlage dafür, das spezifische Wissen des Publikums weiter zu bearbeiten und für metafiktionale Diskursangebote zu nutzen. Daher können sogar Horrorfilme, die an sich keinen so hohen Bekanntheitsgrad erreicht haben, dennoch als Kultfilme gelten, wie die Zusammenstellung des vorliegenden Bands belegt. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Horrorfilmen erschöpft sich keineswegs darin, 7
Einleitung
die immer spektakulärer werdende Explizitheit von Gewaltdarstellungen und deren einhergehende Schockwirkung zu kommentieren. Interessanter und ergiebiger erscheint die Beschäftigung mit dem Hang des Horrorgenres zu Selbstreflexion und Metafiktion. Dieser Hang beruht nicht nur auf einer (in erster Linie kommerziell motivierten) Strategie zur Serien- und Variantenbildung von einmal erfolgreichen Geschichten, sondern stellt geradezu ein notwendiges Gegengewicht zur scheinbaren Authentizität des perfekten Augenscheins dar, der sich auf der Leinwand entfaltet, und von dem sich das Publikum beeindrucken und blenden lässt. Die selbstreflexiven und metafiktionalen Strategien des Horrorfilms bilden auch einen Analyseschwerpunkt der im vorliegenden Sammelband versammelten neun Aufsätze. Die beiden ersten Beiträge behandeln zwei US-amerikanische Filme, die sich ihrerseits auf zwei Klassiker der europäischen Horrorliteratur beziehen: Mary Shelleys Frankenstein (1818) und Bram Stokers Dracula (1897). Susanne Bach analysiert Francis Ford Coppolas Dracula-Adaption von 1992. Unter Heranziehung von Sigmund Freuds Theorie des Unheimlichen betont Bach vor allem die Bedeutung des Blutes und der Sexualität in Coppolas Film. Hierbei zeigt sich auf zahlreichen Ebenen eine Konfusion der sexuellen und gesellschaftlichen Rollen, die darin kulminiert, dass sich auch die Grenzen zwischen Gut und Böse auflösen. Der ‹wahre› Horror in Bram Stoker’s Dracula sei es, so Bach, dass sich am Ende weniger der blutsaugende Graf als vielmehr dessen scheinbar integrer und angesehener Antagonist Professor Van Helsing als das eigentliche Monster erweist. Arno Rußegger rekapituliert in seinem Beitrag Mel Brooks’ Auseinandersetzung mit dem Frankenstein-Stoff, wie er sich filmgeschichtlich in vielfältigen inhaltlich-stilistischen Herangehensweisen und Verästelungen herausgebildet hat. Gezeigt wird, dass Brooks nicht einfach darauf abzielt, einmal mehr die tragische Geschichte einer menschenähnlichen Kreatur zu erzählen, für deren Existenz keine sexuellen Aktivitäten zwischen Mann und Frau vonnöten waren. Brooks’ Dekonstruktivismus geht nämlich vor allem insofern über die ursprüngliche homoerotische Phantasie Shelleys hinaus, als heterosexuelle Beziehungen auf mehreren Bedeutungsebenen (von zotigen Wortspielen bis hin zur bissigen Karikatur kleinbürgerlicher Eheverhältnisse) zur Grundlage der parodistischen Neukonstellation des Originalmaterials gemacht wurden. Von der britischen zur italienischen Tradition führen die beiden folgenden Beiträge. Marcus Stiglegger holt in seiner Studie zu Dario Argentos Suspiria (1977) weit aus und bettet den Gothic-Horrorfilm in eine Vielzahl von filmhistorischen Kontexten ein, von den Anfängen der entfesselten Kamera bei Karl Freund und Mario Bavas Giallo-Thrillern bis hin zu Roger Cormans Poe-Adaptionen und M. C. Eschers albtraumhaftem Universum jenseits des euklidischen Koordinatensystems. So fokussiert Stiglegger die wesentliche ästhetische Qualität Argentos schließlich in dessen Hinwendung zu einem performativen Kino der Sinne, das die Künstlichkeit des Gezeigten stets betont. 8
Einleitung
Neben dem italienischen Horrorspezialisten Mario Bava steht ein weiteres Meisterwerk von Dario Argento, Profondo rosso (1975), im Mittelpunkt des Beitrags von Angela Fabris. Sie geht dabei den intertextuellen Verbindungen zwischen Argentos Giallo und den Genreklassikern von Mario Bava nach, wie beispielsweise La ragazza che sapeva troppo (1963) und Sei donne per l’assassino (1964). Wie Fabris nachweisen kann, wurde Argento nachhaltig von Bava beeinflusst und spielt auf inhaltlicher, formal-stilistischer und musikalischer Ebene immer wieder auf dessen Filme an. Zugleich entwickelte er die bei seinem Vorgänger vorgefundenen Motive und Techniken aber auch innovativ weiter und eröffnete dem Giallo dadurch neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten. Der Beitrag von Jörg Helbig führt von der italienischen zurück zur britischen Horrortradition. In House of the Long Shadows (1983) lässt der Kultregisseur Pete Walker mit Christopher Lee und Peter Cushing nicht nur die berühmtesten britischen Dracula- und Frankenstein-Darsteller in den Hauptrollen auftreten, er knüpft auch explizit an den gotischen Stil der britischen Hammer-Studios an, die das Horrorgenre in den Fünfziger- und Sechzigerjahren prägten. Wie Helbig in seiner Analyse darlegt, ist Walkers Film ein postmodernes Spiel mit den Genrekonventionen, das durch seine komplexe intertextuelle Verweisstruktur und seine selbstreflexive Ironie zu unterschiedlichen Lesarten einlädt: House of the Long Shadows kann als nostalgische Hommage ebenso rezipiert werden wie als lustvolle Parodie oder Mindfuck Movie avant la lettre. In ihrer Analyse von Hotel (2004), einem dekonstruktiv angelegten und ambivalent aufgenommenen Horrorfilm der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner, zeichnet Sabrina Gärtner verschiedene Strategien nach, mit deren Hilfe aus zahlreichen Verweisen und Zitaten, typischen Motiven, Klischees und Handlungsstrukturen gleichsam spielerisch ein komplexes Symbolsystem aufgebaut worden ist, das Genre-Größen wie Stanley Kubrick, Peter Weir, Sam Raimi oder – natürlich – David Lynch umfasst. Hierbei greifen sowohl narrative als auch bildästhetische Elemente ineinander, um schließlich nachvollziehbar zu machen, inwiefern verschiedene Versionen des Endes der Geschichte, die von Hausner umgesetzt worden sind, zu dem Eindruck beigetragen haben, der Film enttäusche nicht nur konzeptuell bestimmte Rezeptionsgewohnheiten und -erwartungen, sondern sei an sich enttäuschend im Sinne offen bleibender Fragen: vergleichbar mit «Jaws with out the shark». Die beiden folgenden Artikel sind zwei bedeutenden Subgenres des Horrorfilms gewidmet. Benjamin Moldenhauer behandelt in Erweiterung seiner Monographie Ästhetik des Drastischen (2016) den Aspekt der Gewalt im Horrorfilm. Ausgehend von Tobe Hoopers The Texas Chain Saw Massacre (1974) diskutiert Moldenhauer eine affektintensive Spielart des Horrorfilms, die Gewaltdarstellungen auf eine betont brachiale und schockhafte Weise inszeniert (jüngere Beispiele hierfür bieten Saw und Hostel). Die gängige Unterscheidung zwischen dem klassischen 9
Einleitung
und dem modernen Horrorfilm (ab ca. 1960) unterlegt Moldenhauer mit einem semantischen Aspekt, indem er die Kategorie des «drastischen» Horrorfilms – im Gegensatz zum unheimlichen Horrorfilm – einführt. Während der unheimliche Horrorfilm im Freudschen Sinne auf verdrängter Sexualität basierte, setzt der drastische Horrorfilm auf eine unmittelbar zerstörerische, «autotelische» Gewalt, die von den (vorwiegend adoleszenten) Zuschauern auch möglichst direkt nachempfunden werden soll. Michael Fuchs fokussiert ein Subgenre des Horrorfilms, das er als Animal Horror bezeichnet. Am Beispiel von Jurassic Park (1993), Mimic (1997) und Shark Night (2011) demonstriert Fuchs, dass Tierhorrorfilme üblicherweise von einer Transgression handeln: Ein Tier (oder eine Spezies) überschreitet die Grenze zwischen den getrennten Lebensräumen von Mensch und Tier, meist mit fatalen Konsequenzen. Da viele Tierhorrorfilme explizit die anthropogene Zerstörung der Umwelt thematisieren, analysiert Fuchs die Filme auch unter ökokritischen Gesichtspunkten und stellt fest, dass sie «interessante Berührungspunkte zu Kernthemen der Environmental Humanities aufweisen». Als besonders weiterführend erweisen sich in diesem Kontext auch die Ausführungen zu den Verbindungen zwischen Technologie und Tierkörper, etwa im Rahmen computergenerierter Tiere. Zum Abschluss des Bands lenkt der Beitrag von Frank Hentschel die Aufmerksamkeit auf ein Phänomen, ohne das wohl kein Horrorfilm funktioniert – die Musik. Anknüpfend an seine umfassende Studie zur Musik im Horrorfilm der Siebzigerjahre (Töne der Angst, 2011) legt Hentschel dar, wie sich die Filmmusik seither geändert hat. Anhand von achtzehn repräsentativen Horrorfilmen der Jahre 2010–2017 erweisen sich Geräuschmusik und Neue Musik zwar nach wie vor als zentrale Musikstile, insgesamt ist die Musik jedoch vielseitiger geworden. Signifikante Unterschiede und Verschiebungen führt Hentschel u. a. auf die Öffnung des Horrorfilms zum Actiongenre sowie auf die postmoderne Ironisierung des Genres zurück. Wie schon der 2016 beim Schüren Verlag erschienene Band Science-Fiction-Kultfilme basiert auch das vorliegende Buch auf einer Ringvorlesung an der AlpenAdria-Universität Klagenfurt. Die interdisziplinäre Vorlesungsreihe ist eine Initiative des dortigen «Arbeitskreises Visuelle Kultur». Die drei Herausgeber haben die Ringvorlesung organisiert und geleitet und sind erreichbar unter Angela.Fabris@ aau.at, [email protected] und [email protected]. Angela Fabris, Jörg Helbig, Arno Rußegger Klagenfurt, Juni 2017
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I Die Horror-Klassiker Dracula und Frankenstein
Susanne Bach
This motion picture sucks1 Francis Ford Coppolas Bram Stoker’s Dracula
I. Als der irische Autor Bram Stoker 1897 seinen bekanntesten Roman Dracula veröffentlichte,2 konnte er nicht ahnen (und das war vielleicht auch gut so), welche Auswüchse, Blüten, Parodien, Witze, Studien, Vertonungen, Video-Games, Vlogs und Comic-Bearbeitungen der Publikation folgen würden. Jeder, der sich mit dem Thema ‹Dracula› befasst, wird überfordert sein von der schieren Quantität der Reaktionen und Objekte. Um zu illustrieren, dass der vampirische Titelheld und die von ihm ausgehende Horror-Faszination schon lange den Bereich des Romans und auch den der Verfilmungen verlassen und sich in weiten Bereichen der westlichen Kultur niedergelassen haben, gehe ich zunächst auf einige willkürlich gewählte Beispiele ein, bevor ich mich dem Roman und seiner Verfilmung widme. Meine Leitthese in diesem ersten Teil der Analyse ist die Annahme, dass der von dem Werk ausgehende Horror so bedrohlich war, dass er einerseits durch Banalisierung, Trivialisierung und Veralberung unschädlich gemacht und andererseits durch Rationalisierung domestiziert werden musste. 1 2
Zitiert nach Welsh 2007: 172. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Welsh. Zur Figur des Vampirs in anderen Werken siehe Holte 1997.
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Susanne Bach
Der bekannte deutsche Hanser Verlag publizierte zwischen 1969 und 1974 eine eigene Reihe, Bibliotheca Dracula genannt.3 Seit 1991 existiert The Transylvanian Society of Dracula,4 und seit 1999 das Journal of Dracula Studies:5 In der Musik produzierte die Gruppe Dracula den Swing of Death;6 aber auch «Dracula – Das Musical» konnte in den USA, Österreich und Deutschland Erfolge feiern.7 Neben Dracula-Socken,8 Kostümen für Erwachsene, Kinder, Babys9 und auch Hunde10 bietet ein findiger Versandhändler die «Badeente Dracula» an: «Quietsch vor Glück!».11 Bei Amazon «Küche und Haushalt» (!) kann man (ökologisch korrekt) wiederverwendbare Dracula-Zähne kaufen.12 Das Dracula Kochbuch ist «sinnlich – erotisch – genüsslich»;13 ausgefallene Dracula sex toys dürfen in dieser Liste genausowenig fehlen14 wie ein Dracula Gruseldinner in u. a. Moers oder Paderborn.15 Für das eigene Wohnzimmer wird das Krimi-Spiel «Die Pracht der Vampire» angeboten; in der Hauptrolle Minni Harkort, Vampirfürstin in London.16 In London selbst gibt es die umfassendere Dracula Experience;17 noch intensiver ist 3 4
https://de.wikipedia.org/wiki/Bibliotheca_Dracula. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. Deutsche Homepage unter http://wiki2.benecke.com/index.php?title=Transylvanian_Society_of_ Dracula/. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 5 https://kutztownenglish.com/2015/04/09/journal-of-dracula-studies/. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 6 https://www.metal-hammer.de/reviews/jorn-lande-trond-holter-present-dracula-swing-ofdeath/. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 7 https://de.wikipedia.org/wiki/Dracula_(Frank_Wildhorn). Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 8 https://ksocks.de/epages/a82badf5-e30d-4782–9054-ac7a8592e5da.sf/de_DE/?ObjectPath=/ Shops/a82badf5-e30d-4782–9054-ac7a8592e5da/Products/203. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 9 https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%9 5%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=dracula+kost%C3%BCme. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 10 https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3% 95%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=dracula+kost%C3%BCm+hund&rh=i%3 Aaps%2Ck%3Adracula+kost%C3%BCm+hund. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 11 http://www.gummienten.de/Badeenten-p1130h37s38-Badeente-Dracula.html. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 12 https://www.amazon.de/Vampirz%C3%A4hne-Sucker-wiederverwendbar-Abformmasse-Thermoplastik/dp/B00EY9M790/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1488216431&sr=8–1&keywords=Vamp irz%C3%A4hne+%27Blood+Sucker%27+wiederverwendbar+mit+Abformmasse. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 13 https://www.amazon.de/Dracula-sinnlich-gen%C3%BCsslich-Walter-Horvath/dp/3866839049/ ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1488216509&sr=8–2&keywords=dracula+kochbuch. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 14 http://www.huffingtonpost.co.uk/2013/11/01/ct-dracula--buckingham-phallus-shed-simovessex-toys-pictures_n_4192082.html; vgl. auch http://pennysdirtythoughts.com/vampire-themedsex-toys/. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 15 https://www.adticket.de/Dracula-Dinnershow-in-funf-Akten-und-mit-vier-Gangen.html. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 16 http://www.krimitotal.de/die_pracht_der_vampire.php. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 17 http://draculaexperience.co.uk/. Zuletzt eingesehen am 28.02.17.
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die tagelange Immersion in ein fiktives Transsylvanien: Man kann etwa die ‹letzte Reise der Demeter› nachspielen.18 In Straßwalchen (Österreich) existiert im dortigen Fantasiana-Erlebnispark ein Schloss Dracula, inklusive Pfählung – Zitat: «Spaß für unsere kleinsten Gäste!»19 Sucht man auf der amerikanischen Seite von Amazon quer über alle Kategorien nach «Dracula», gibt es 87.978 Einträge.20 Bei Google ist der Ertrag deutlich höher: Es existieren «ungefähr 50.500.000 Ergebnisse».21 Der ehemalige Außenseiter Dracula ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, mittlerweile im kollektiven Unbewussten bestens verankert, und das von ihm ausgehende Unheimliche ist auf den ersten Blick so heimisch geworden, dass dies vielen Menschen erst bewusst wird, wenn sie sich die endlos lange Liste der Objekte, Erfahrungen, Mutationen und Manifestationen des Vampirs in der Alltagskultur vor Augen führen.
II. Ich beginne meine Analyse mit einer kurzen Diskussion von Bram Stokers Roman, und gehe auch auf dessen historischen Hintergrund ein, da er die Grundlage für spätere filmische Bearbeitungen darstellt. Besonders konzentriere ich mich auf die Rolle des Blutes, weil ich diesen Aspekt später mit Bezug auf die Verfilmung näher analysieren möchte. Danach gehe ich ebenso kurz auf die Verfilmungen des Romans im Allgemeinen ein und fokussiere dann schließlich ein ausgewähltes Beispiel: Francis Ford Coppolas Bram Stoker’s Dracula von 1992,22 ausgezeichnet nicht nur mit drei Oscars, sondern auch mit diversen anderen Awards der Filmbranche. Vor der Analyse des Films muss ich klären, was einen Horrorfilm ausmacht und wie er wirkt. Warum schauen sich Menschen etwas mit Vergnügen an, wovor sie sich in der Wirklichkeit fürchten oder ekeln würden? 18 http://www.teilzeithelden.de/2015/05/23/vampir-an-bord-die-letzte-fahrt-der-demeter-eininterview-mit-stefan-deutsch/. zuletzt eingesehen am 28.02.17. 19 http://www.erlebnispark.at/de/attraktionen/schlosshof/schloss-dracula. Zuletzt eingesehen am 06.10.16. 20 https://www.amazon.com/s/ref=nb_sb_noss?url=search-alias%3Daps&field-keywords=dracula. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 21 https://www.google.de/search?q=dracula&ie=utf-8&oe=utf-8&client=firefox-b&gfe_ rd=cr&ei=Wly0WKeCLomg8wev1Y_YCw. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 22 Welsh und NN sind sich einig, dass Coppolas Verfilmung nicht Bram Stoker’s Dracula heißen dürfte (meine Hervorhebung). NN schreibt: «[the film] disingeniously claimed to be a completely faithful adaptation of the book. While it did lavishly realize surface details of the novel, it completely subverted Stoker’s conception of the vampire, adding a «Beauty and the Beast»-style reincarnation romance between Oldman and Ryder, presumably for commercial purposes» (406 f.). Welsh ist noch deutlicher: «Just as Dracula sucks (as is in his nature), so does this motion picture as an adaptation» (172).
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Susanne Bach
III. Bram Stoker (1847–1912) war zunächst lange Jahre als Theaterkritiker und als Manager eines bekannten Theaters in London tätig. Er entwickelte in dieser Zeit ein großes Interesse an den Sagen, Riten und vor allem am Vampiraberglauben des osteuropäischen Kulturkreises. Vampire wurden dort als untote Wesen verstanden. Wenn man einen Menschen nach seinem natürlichen Tode begraben hatte, und wenn dieser plötzlich einem anderen im Traum erschien oder angeblich des Nachts gesehen wurde, so ordnete man oft eine Exhumierung des Toten an, um festzustellen, ob an den Beobachtungen Wahres sein könne. Früher existierte noch kein gesichertes Wissen über die physiologischen Ursachen von postmortalen Reaktionen des Körpers. Fingernägel und Haare scheinen zu wachsen, manche männlichen Leichen weisen postmortale Erektionen auf. Verwesungsprozesse können Geräusche hervorrufen, frisches Blut ist ggf. auf den Lippen, was bei abergläubischen Menschen die Vorstellung aufkommen lässt, dass dieser Mensch nicht tot sein kann und folglich nochmals getötet werden muss. Zudem sorgte man sich um den Zustand der Seele des Toten, denn offensichtlich hatten sowohl der Himmel als auch die Hölle den Verstorbenen verschmäht. Erkenntnisse aus dem Tierreich mussten als Erklärungsversuche der unheimlichen Phänomene herhalten – ein blutverschmierter Mund, so hieß es, deute auf kürzlich erfolgte Jagdtätigkeit hin, und recht schnell dachte man an die sogenannte Vampirfledermaus, die auch das Blut ihrer Opfer trinkt. Da gab es nur eins: einen Pflock ins Herz, um den Untoten nun wirklich zu töten. Nur so, dachte man, könne seine Seele endlich Ruhe finden. Der Roman Dracula weiß um die postmortalen physiologischen Phänomene; das Werk wurde prompt bei seinem Erscheinen als Horrorroman tituliert, «probably the greatest horror tale of modern times» (Varma in Holte 1997: 1), und als Trivialliteratur diffamiert. Sehr schnell aber stellte sich der Erfolg ein («from the day it was published»; Holte 1997: 1), der bis heute ungebrochen anhält. Der Inhalt des Romans ist in seiner Grobstruktur schnell referiert: Der blutsaugende Graf Dracula kauft von Transsylvanien aus ein Anwesen in England und bedient sich dabei des jungen Anwalts Jonathan Harker. Dieser muss nach Transsylvanien reisen, wird dort auf dem Schloss des Grafen gefangen gehalten und mit diversen unheimlichen Situationen konfrontiert, die schließlich in einem Treffen mit drei liebeshungrigen Vampirinnen gipfeln und fast sein Leben kosten. Dracula selbst verliebt sich in Harkers Verlobte Mina und begehrt sie fortan. Deren beste Freundin Lucy fällt als Erste dem Grafen zum Opfer und wird trotz diverser Rettungsversuche selbst zum Vampir, kann aber vom Vampirjäger Professor Van Helsing und seinen Helfern besiegt werden. Lucy wird gepfählt und geköpft. Auch Mina, Harkers Verlobte, wird von Dracula angefallen; sie muss sein Blut trinken, kann jedoch noch gerettet werden. Dracula hingegen wird getötet; der Roman 16
This motion picture sucks
endet glücklich, als Mina und Jonathan Jahre später Eltern eines gesunden Jungen werden. Graf Dracula repräsentiert die alte, feudale Aristokratie, die auf Blutlinien beruht und die die Untertanen zu ihren eigenen Gunsten ausblutet, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Das lässt sich auch historisch belegen, denn eine Vorlage für Dracula hat es wirklich gegeben. Der Rumänenherrscher Vlad Ţepeş (eigentl. Vlad III.; ca. 1431–1476) wurde auch Vlad der Pfähler genannt, weil er zwischen 40.000 und 100.000 Menschen foltern und pfählen ließ. Angeblich liebte er es, im Angesicht seiner Opfer zu speisen, wie ein zeitgenössischer Stich zeigt.23 Vlad Ţepeş hatte den Beinamen Dracul – und da wird der Bezug zu Stoker offensichtlich. Drăculea (deutsch: «Der Sohn des Drachen») leitet sich von lateinisch draco – Drache – ab; Ţepeş’ Vater war Mitglied im Drachenorden von König Sigismund.24 Eine andere historische Persönlichkeit, die als Vorlage und Inspiration für Stokers Dracula diente, ist die ungarische Gräfin Elisabeth Bátory (1560–1616), die als ‹die Blutgräfin› in die Geschichte einging, da sie angeblich im Blute von Jungfrauen zu baden pflegte, um ihre Jugend und Schönheit zu erhalten. Bis zu 650 Opfer werden ihr nachgesagt.25 Ein Teil des Horrorpotenzials des Romans (und später auch des Films von Coppola) liegt also in der historischen Grundierung des Stoffes. So wie Vlad Ţepeş und Elisabeth Bátory Blut in unvorstellbaren Mengen vergossen, hat der Untote Dracula einen maßlosen Blutkonsum. Es finden sich im Roman also zunächst Verweise auf Blut, die historisch rückgewandt und mit Folter, Qual und Tod verbunden sind: Die Aristokraten lassen die Leibeigenen aus egoistischen Gründen metaphorisch und real ausbluten.26 Damit knüpft der Roman an fest verankerte Vorstellungen der meisten Menschen an, die Blut mit Leben, und Blutverlust mit Lebensbedrohung verbinden. Des Weiteren werden die Bildbereiche der Liebe (das Herz, das das Blut durch den Körper pumpt), der Leidenschaft (das Blut in Wallung bringen), des Adels (blaublütig), der Vererbung und so auch der Familie (die Blutlinie) damit verknüpft. Bei Frauen kommt noch ihre Jungfräulichkeit mit ins Spiel, denn das Zeichen der Defloration ist klischeehaft Blut. Film und Roman konfrontieren ihre Rezipienten also mit einer historisch fundierten und assoziativ emotional besetzten Verflechtungsstruktur, die die ganz zentralen Bereiche des Lebens geschickt miteinander verknüpft: Abstammung und Familie, Leben und Tod, Gefühle und Leidenschaften, Unschuld und Sexualität, Fakt und Fiktion, Geschichte und Geschichten. 23 Holzschnitt von Markus Ayrer, Nürnberg, 1499. Dieser Stich wird im Film visuell zitiert, vgl. (0:02:11). 24 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Vlad_II._Dracul. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 25 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_B%C3%A1thory. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 26 Im Roman verspeist Dracula beispielsweise einfach die Matrosen, auf deren Schiff Demeter er nach England gelangt, für ihn sind sie reine Wegzehrung.
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Susanne Bach
Es gibt aber auch eine andere Seite des Romans, nämlich die der fortschrittlichen Wissenschaftlichkeit, die sich eben nicht auf die historischen Ursprünge der Blutsymbolik verlässt, sondern die sich – aus Stokers damaliger Perspektive – allerneuester medizinischer Erkenntnisse über das Blut bediente, um es im übertragenen Sinne aus dem Mittelalter herauszuholen und direkt in die wissenschaftliche Zukunft zu transportieren. Blut ist nicht mehr mystisch, archaisch und animistisch, es wird nicht mehr unter der Folter vergossen oder als Jungbrunnen missbraucht, sondern steht im Dienste einer aufgeklärten Wissenschaftlichkeit. Diese wird im Roman repräsentiert durch Professor Van Helsing, dessen akademischer Titel allein schon eine Karriere in der Wissenschaft belegt und der die alte, feudale Gesellschaftsordnung zurückweist, in der sich der transsylvanische Adelige Dracula bewegt. Plötzlich gelten nicht mehr Blut, Abstammung und Geburt als gesellschaftliches Distinktionsmerkmal, sondern Erfolge in Forschung, Lehre und Wissenschaft. Die Thematik des Blutes steht exemplarisch ein für die sehr geschickte Taktik des Romans, bestimmte Handlungselemente in höchst ambiger Hinsicht einzusetzen, um bei den Lesern eine Art kognitives Pendeln hervorzurufen, indem an unterschiedliche oder gegensätzliche Assoziationsbereiche appelliert wird. Mit Bezug auf das Blut bedeutet dies: Es ist zunächst archaisch, mythisch, hoch emotionalisiert und historisch rückgewandt besetzt, wird aber gleichzeitig auch mit der Zukunft verbunden, in der es sich von dieser archaischen Seite mithilfe des forschenden Verstandes absetzen kann, beispielsweise in Form einer Bluttransfusion, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung state of the art war.
IV. Verfilmungen des Stoffes stellen eine eigene Erfolgsgeschichte dar. Gibt man bei der International Movie Database den Suchbegriff ‹Dracula› ein, findet man ca. 200 Einträge.27 Laut Maddrey (2004: 11) gilt ausgerechnet Tod Brownings Dracula von 1931 als der erste genuin amerikanische Horrorfilm überhaupt. Einige Titel der diversen Dracula-Verfilmungen sind manchmal schlicht erheiternd. Es scheint großes Interesse an Draculas ‹Familie› zu geben: Draculas Sohn (1943), Dracula und seine Bräute (1960), Lady Dracula (1977), Draculas Tochter (1936), An Erotic Tale of Ms Dracula (2014), Draculas Witwe (1988), La Fiancée de Dracula (2002), Mama Dracula (1980), Mr and Mrs Dracula (1980), Dynastie Dracula (1980) – und sogar an Zoltan, Draculas Blut27 Zuletzt eingesehen am 06.10.16. Diese lange Liste muss man natürlich mit Abstrichen lesen, denn sie führt auch u. a. TV Episoden und Kurzvideos auf, aber sie zeigt die unglaubliche Faszination, die der blutsaugende Graf auch auf die Medien ausüben konnte.
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hund (1978).28 Andere Filme schreiben Draculas Abenteuer in der Gegenwart fort: Dracula 2012 (2013), Dracula Reborn (2015), Dracula Now (2015), Dracula in Vegas (1999) und Dracula jagt Mini-Mädchen (1972).29 Aus diesen zugegebenermaßen allesamt attraktiven Angeboten habe ich mir eine, nämlich Coppolas Version Bram Stoker’s Dracula von 1992, herausgesucht, da diese sich meines Erachtens sehr gut eignet, um den spezifischen Aspekt des Horrors herauszuarbeiten.
V. Was aber ist Horror? Es ist überraschend, wie wertend die etablierte Sekundärliteratur mit dem Terminus umgeht. Das bekannte Metzler Literaturlexikon drückt sich eindeutig abfällig aus: «Horrorliteratur […] [ist eine] Sammelbezeichnung für literarische Werke aller Gattungen, […] meist gebraucht für die selbstzweckhaft die Sensationslust ihrer Konsumenten befriedigende Schundliteratur» (Schweikle 1990: 207, Hervorhebung SB). Auch das bei Studierenden und Lehrenden beliebte Penguin Dictionary of Literary Terms and Literary Theory ist nicht gefeit gegen wertende Aussagen. Es scheint geradezu eine Warnung auszusprechen: «In the hands of a serious and genuinely imaginative writer the horror story […] explores the limits of what people are capable of doing and experiencing» (Cuddon 1991: 417). Wendet man sich ab von der Abwertung des einen Lexikons und dem pädagogischen Warnfinger des anderen, dass bitte nur ‹ernsthafte› Autoren sich dem Genre widmen sollten, und konsultiert ein Filmlexikon, das Oxford Dictionary of Film Studies, so wird man eher mit einer sachlichen Auskunft bedient, mit der ich hier auch arbeiten werde: «horror film A large and heterogeneous group of films that, via the representation of disturbing and dark subject matter, seek to elicit responses of fear, terror, disgust, shock, suspense, and, of course, horror from their viewers» (Kuhn/Westwell 2012: 211)30 Diese Definition ergänzt der Medienwissenschaftler Jürgen Grimm. In seinem Aufsatz «Die Faszination des Schreckens» konstatiert er, dass das «Paradoxon der Unterhaltungsangst darin [besteht], dass etwas, das man im Leben meidet wie die Pest, plötzlich zur Quelle des Vergnügens wird» (1992: 2). Grimm entwickelt sechs Thesen zur Unterhaltungsangst, die hier nur kurz und ausschnitthaft referiert, nicht aber ausgeführt werden können.
28 http://www.imdb.com/find?ref_=nv_sr_fn&q=dracula&s=all. Zuletzt eingesehen am 28.02.17. 29 Alle Titel zitiert nach http://www.imdb.com/find?q=dracula&s=tt&ref_=fn_al_tt_mr. Zuletzt eingesehen am 06.03.17. 30 Zur generellen Problematik der Definition vgl. den instruktiven Aufsatz von Moldenhauer (2013).
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Gefährliche und angstmachende Situationen sind besonders gut geeignet, um unsere Vorstellungskraft zu stimulieren. Die kognitive Präsenz des Horrors hat, artgeschichtlich betrachtet, die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht. Nur wer schnell und zutreffend eine Gefahrensituation erfasst, kann rechtzeitig fliehen oder andere geeignete Maßnahmen ergreifen (1992: 2).
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Ein wesentlicher Teil der Faszination von Horrorfilmen verdankt sich der supramaximalen Hemmung, die den Körper vor übermäßiger Aufregung schützt. Die Unterhaltungsangst macht sich simulierend einen anthropologisch verankerten Mechanismus zunutze, der eine extreme Gefährdung des Organismus in eine ekstatische Euphorie umschlagen lässt (1992: 3).
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Horrorfilme gehorchen der Logik des Spiels, das in einer abgegrenzten Zone mit besonderen Regeln stattfindet. Wer spielt, unterbricht das normale Alltagsgeschehen, für ihn gelten die Alltagsnormen zeitweilig nicht mehr. Den größten Spielreiz bietet ein Horrorfilm jedoch nicht dann, wenn er sich am weitesten vom Alltag entfernt, sondern dann, wenn der Film sein Spiel mit dem Alltag treibt (1992: 4).
These 6)
Ein bekannter Verhaltensforscher definierte das Gespenst als das nicht mehr existente wilde Tier. In künstlichen Horrorgestalten suche sich die arbeitslos gewordene Angst einen ventilähnlichen Ersatz (1992: 4).31
Horror ist also beileibe kein Nischenphänomen – und die Bedeutung des Horrorfilms für das US-amerikanische Kino ist nicht zu unterschätzen, wie Hantke (emphatisch) ausführt: [E]ven though horror cinema has prospered and developed its unique forms of expression in many film industries around the globe, it is in the United States and the American film industry that horror, for as long as cinema itself has existed, has been a staple genre, a consistently profitable endeavor, an audience favorite, and a richly diverse form of artistic expression for writers and directors. […] Hollywood […] has created horror films that have come to define the genre. Its cinematic reinventions of characters from outside its own national culture – think of Dracula […] or Frankenstein’s creature […] – have supplanted their respective originals in the collective pool of pop-culture images. Up to the present day, horror film directors from around the world tend to end up […] on the American shores. For fans and critics of horror films, America looms large, a touchstone of the genre at its finest. (Hantke 2010: vii) 31 Zu einer Genderung dieser Debatte vgl. Wolf 1995: 41 f.
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Die Frage nach den Gründen für diesen starken Einfluss, für diesen Erfolg schließt sich an. Lowenstein paraphrasiert diesbezüglich den berühmt gewordenen Aufsatz Robin Woods von 1979, «An Introduction to the American Horrorfilm», wie folgt: Wood concludes that «the two phenomena [repression and oppression] are not identical» but «closely connected»: what escapes repression has to be dealt with by oppression […]. So when the horror film seeks to recognize what we have repressed psychologically and oppressed socially, it confronts us with a combination of internal and external otherness. The concept of «the Other» occupies the center of Wood’s argument. The Other is «what bourgeois ideology cannot recognize or accept but must deal with» through rejection, annihilation, or assimilation. Examples include women, the proletariat, foreign cultures, racial or ethnic minorities, homosexuals, alternative political ideologies, and children. (Lowenstein 2015: 260).
Jörg Helbig sieht schließlich im Horrorfilm ein Reservoir für Themen, «die während des Zeitalters von Aufklärung und Rationalismus weitgehend verdrängt gewesen waren» (Helbig 1999: 147). Der Horrorfilm wird von allen genannten Kritikern eingeordnet in eine bestimmte Epoche und in eine bestimmte Bedürfniskategorie, nämlich die Befriedigung von Affekten, die durch rationales Denken nicht erreicht werden kann. Diese Beobachtung findet sich schon in Sigmund Freuds viel zitiertem Essay über ‹Das Unheimliche› im Ängstlichen, das nichts anderes ist als «etwas wiederkehrendes Verdrängtes» (Freud o.S.). Was nach der Aufklärung verdrängt werden musste, das waren die Urängste, oft namenlos, die aber einfach wohl zu unserer anthropologischen Grundausstattung gehören. Diese Urängste, das magische Denken, der Glaube an Animismus und an irrationale Kräfte, sind der Säkularisierung und den Idealen der Aufklärung entgegengesetzt, wie es am besten vielleicht in Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung beschrieben wurde. Das Mythische, das Mysteriöse, das Geheimnisvolle, das Unerklärliche, das den Betrachter erstaunen und jeweils verzaubern oder auch erschrecken kann, ist der modernen, technisierten, nach rationalen Prinzipien handelnden und denkenden Welt größtenteils abhandengekommen. Der Mensch kann das Geheimnisvolle beispielsweise nicht mehr in der Natur finden, da Naturerscheinungen durch wissenschaftliche Erkenntnisse erklärbar wurden, wie Horkheimer/Adorno aufzeigen: «Der Mythos geht in die Aufklärung über und die Natur in bloße Objektivität» (zit. nach Steenblock 2000: 206). Wir finden heute nur noch Reste von magischem Denken, etwa im Aberglauben, in Ritualen, die das Böse bannen sollen oder auch in Phantasien von gefährlichen Tieren.32 Man kann also als ein Zwischenfazit festhalten: Es fehlte und fehlt in der rationalistischen, säkularisierten, materialistischen Welt vom 19. bis zum 21. Jahrhundert oft ein Element der Erfahrung und Wahrnehmung, das zur menschlichen 32 Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Michael Fuchs im vorliegenden Band.
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Anlage gehört – und genau dieses Element wird durch den Horrorfilm angeboten. Der Horrorfilm an sich ist also kein ‹Schund›, sondern er stellt sich den verdrängten Bedürfnissen, die aus der Sicht der Aufklärung Schund sind und als überholt gelten, obwohl sie es gar nicht sind. Diesem Thema hatte sich indirekt auch Sigmund Freud gewidmet. Ich möchte hier die Kernthesen aus seinem Aufsatz «Das Unheimliche» kurz referieren, weil dies zum Verständnis der Filmanalyse beitragen wird. Inhaltlich-argumentativ gehe ich davon aus, dass das, was Freud als das Unheimliche bezeichnet, ein Auslöser ist für das Gefühl des Horrors. Freud analysiert zunächst den Begriff ‹unheimlich›: Das deutsche Wort ‹unheimlich› ist offenbar der Gegensatz zu heimlich, heimisch, vertraut, und der Schluß liegt nahe, es sei etwas eben darum schreckhaft, weil es nicht bekannt und vertraut ist. […] Wir werden überhaupt daran gemahnt, daß dies Wort ‹heimlich› nicht eindeutig ist, sondern zwei Vorstellungskreisen zugehört, die, ohne gegensätzlich zu sein, einander doch recht fremd sind, dem des Vertrauten, Behaglichen und dem des Versteckten, Verborgengehaltenen. (o.S., Hervorhebung i. Orig.)
Hier wird deutlich, wie allein schon der Begriff des Unheimlichen oszilliert und Widersprüchliches in sich vereint. Freud drückt dies klar aus, er sagt: «Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt» (o.S.). Dann kommt Freud auf die Elemente des Unheimlichen zu sprechen. Diese setzen sich u. a. zusammen aus: • dem Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei • einer «intellektuellen Unsicherheit» bezüglich dessen, was wir sehen oder lesen • dem generellen Bereich des Doppelgängertums – «Ich-Verdopplung, Ich-Teilung, Ich-Vertauschung» • Telepathie • der beständigen Wiederkehr des ewig Gleichen • der Angst vor der Regression in Zeiten, in denen das Ich sich noch nicht scharf von der Außenwelt und vom Anderen abgegrenzt hatte • Todesvorstellungen • Im allerhöchsten Grade unheimlich erscheint vielen Menschen, was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten, mit Geistern und Gespenstern, zusammenhängt. […] Unsere Biologie hat es noch nicht entscheiden können, ob der Tod das notwendige Schicksal jedes Lebewesens oder nur ein regelmäßiger, vielleicht aber vermeidlicher Zufall innerhalb des Lebens ist. Der Satz: alle Menschen müssen sterben, paradiert zwar in den Lehrbüchern der Logik als Vorbild einer allgemeinen Behauptung, aber keinem Menschen leuchtet er ein, 22
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und unser Unbewußtes hat jetzt sowenig Raum wie vormals für die Vorstellung der eigenen Sterblichkeit. • Scheintod und Wiederbelebung von Toten33 Der letzte Punkt in Freuds Beitrag, der separat genannt werden soll, widmet sich der literarischen Darstellung des Unheimlichen und stellt einen Kernpunkt in meiner Argumentation dar. Freud postuliert: Die […] Geistererscheinungen in Shakespeares Hamlet, Macbeth, Julius Caesar mögen düster und schreckhaft genug sein, aber unheimlich sind sie im Grunde [nicht]. Wir passen unser Urteil den Bedingungen dieser vom Dichter fingierten Realität an und behandeln Seelen, Geister und Gespenster, als wären sie vollberechtigte Existenzen […]. Anders nun, wenn der Dichter sich dem Anscheine nach auf den Boden der gemeinen Realität gestellt hat. Dann übernimmt er auch alle Bedingungen, die im Erleben für die Entstehung des unheimlichen Gefühls gelten, und alles was im Leben unheimlich wirkt, wirkt auch so in der Dichtung. […] Er verrät uns dann gewissermaßen an unseren für überwunden gehaltenen Aberglauben, er betrügt uns, indem er uns die gemeine Wirklichkeit verspricht und dann doch über diese hinausgeht. Wir reagieren auf seine Fiktionen so, wie wir auf eigene Erlebnisse reagiert hätten; wenn wir den Betrug merken, ist es zu spät, der Dichter hat seine Absicht bereits erreicht … (o.S.)
VI. Im Folgenden möchte ich auf diverse Szenen aus dem Film Bram Stoker’s Dracula von 1992 eingehen und sie mithilfe der oben entwickelten Thesen analysieren.34 Coppolas Werk beginnt mit einer Art historischem Abriss, unterlegt von getragener Musik. Im Voice-over heißt es: The year 1462. Constantinople had fallen. Moslem Turks swept into Europe, with a vast superior force, striking at Rumenia, threatening all of Christendom. From Transsylvania arose a Romenian knight of the sacred order of the Dragon, known as Draculea.35 On the eve of the battle, his bride, Elizabetha, whom he prized above 33 Alle direkten und indirekten Zitate aus Freud, «Das Unheimliche» (o.S.). 34 Eine Vorbemerkung muss jedoch gemacht werden: Ich kann nicht auf die Änderungen eingehen, die der Film gegenüber der Romanvorlage macht, das wäre ein eigener Beitrag. Der Film hat sich beispielsweise für ein anderes Ende entschieden als der Roman. Und: Coppolas Film wird in der Sekundärliteratur häufig unter dem Stichwort der Bricolage bzw. der Hybridität geführt, da bei ihm die Horrorhandlung durch eine Liebesgeschichte ergänzt wird. Vgl. etwa Phillips 1996: 136. 35 Coppolas Film spielt auf zwei Zeitebenen, die durch Dracula und Mina verbunden sind. Zur besseren Differenzierung rede ich von Elizabetha und Draculea, wenn ich den Handlungsstrang des 15. Jahrhunderts meine, und Mina und Dracula, wenn ich auf das 19. Jahrhundert verweise. In der
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all things on Earth, knew that he must face an insurmountable force, from which he might never return. (0:00:00–0:01:30).
Dieser Text wird illustriert durch Landkarten, die den Ort des Geschehens zeigen, und durch symbolische Visualisierungen, in denen beispielsweise ein Kreuz aus großer Höhe herunterfällt und in viele Stücke zerspringt. Es wird initial deutlich, wie aufschlussreich die Aussage Freuds hier ist: Der Dichter «betrügt uns, indem er uns die gemeine Wirklichkeit verspricht und dann doch über diese hinausgeht» (o.S.). Am Anfang erhält der Rezipient den Eindruck einer historischen Dokumentation, denn all ihre Versatzstücke sind versammelt, vor allem in dem sonoren Voice-over durch einen Erzähler, der einen didaktisierten, intellektuell entrückten Kommentar zu dem anbietet, was sichtbar ist – betreutes Kino sozusagen. Hinzu kommt eine Beschriftung, die das Gesehene und Gehörte nochmals distanziert: «London, 1897» (0:05:39). Die schriftliche Übersetzung des im O-Ton Rumänischen durch Untertitel (z. B. 0:04:51) gehört zu den weiteren Authentifizierungsstrategien dieser scheinbaren Docufiction.36 Es ist nicht unmittelbar und first hand, was gezeigt wird, sondern jemand anderes hat die grauenvollen Geschehnisse für die Augen der Zuschauer aufbereitet und damit intellektuell distanziert. Dem Publikum wird versichert, dass es sich um eine längst vergangene historische Epoche handelt, und die eingeblendete Landkarte ergänzt die zeitliche um eine geografische Einordnung – und damit auch um eine Sicherheit suggerierende örtliche Distanzierung. Das Bedürfnis der Zuschauer nach Orientierung in Zeit und Raum und nach Distanz wird scheinbar befriedigt. Aber: Diese Docufiction versucht erst gar nicht, objektiv zu sein. Was gezeigt wird, ist ein Vexierbild: Wird auf der einen Ebene sachliche Information impliziert, so läuft doch parallel dazu eine gleichzeitige Emotionalisierung durch starke Farben (prädominant Rottöne),37 durch schräge Kamerawinkel, durch bedrohlich wirkende Musik und eingeblendeten Rauch, der brennende Städte suggeriert. Die Kostüme, die die Protagonisten tragen, sind nicht durchgängig historisierend angelegt, sondern verweisen vielmehr auf ein Motiv, das den Film durchziehen wird wie ein roter Faden: die Auflösung der Spezies-Grenzen (Abb. 1).38 Die Nähe zu Tieren wird hier schon durch die insektenhafte Panzer-Rüstung mit den Tierohren angedeutet, die gleichzeitig die Muskelstränge eines Mannes anatomisch korrekt nachbildet: Mensch und Tier verschwimmen widernatürlich zu einer Einheit. Binnenlogik handelt es sich natürlich um die ‹gleichen› Charaktere: Dracula als Untoter und Mina als Wiedergeburt Elisabethas. 36 Diese Authentifizierungsstrategien beginnen schon mit dem Titel Bram Stoker’s Dracula; ein Versuch, sich des Namens des Autors zu versichern. 37 Vgl. genauer Bernard. 38 Bild Panzerrüstung: https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/736x/56/a2/0b/56a20bf78562a3580f 269e9bd4ec515b.jpg. Zuletzt eingesehen am 28.02.17.
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Den Zuschauern werden auf der Oberfläche Fakten angeboten, gleichzeitig wird aber eine bedrohliche und nur wenig versteckte Sub-Ebene des Gesehenen präsentiert, die so gar nicht mit der Oberfläche vereinbar scheint bzw. ihr widerspricht. Die bewusste Künstlichkeit wird auch durch die anfänglichen ‹Scherenschnitt›-/‹Schattenbild›Sequenzen (s. u. ab 0:01:48) verdeutlicht, die gar nicht erst auf Mimesis setzen, sondern auf Andeutung (Abb. 2). Die Zuschauer haben schon so viele filmische Schlachten gesehen, dass der Regisseur darauf bauen kann, dass die Phantasie des Publikums die fehlen1 den Informationen ersetzt. Auch dies ist ein bekanntes Mittel der Horrorfilme. Grauenerregendes wird gar nicht erst en detail gezeigt, sondern nur angedeutet. Dadurch werden die individuellen Bilder der Zuschauer aktiviert, die die Auslassung automatisch mit eigenem Material ergänzen. Coppolas Bram Stoker’s Dracula bedient sich also aus dem Bild- und Angstreservoir der Zuschauer, die die fehlenden Teile intuitiv und assoziativ ersetzen. Die dadurch erzeugte Wirkung ist umso größer, als sie hoch individualisiert ist. Der Film appelliert aber auch an den Intellekt, denn den historisch gebildeten Zuschauerinnen und Zuschauern ist klar, dass Coppolas Werk hier einen entsprechenden Holzschnitt von Markus Ayrer von 1499 zitiert, der Vlad Ţepeş darstellt.39 Daneben lebt der Horror im Film vom Brechen gesellschaftlicher Tabus. Es ist Blasphemie und widerspricht dem gesellschaftlichen Konsens, in einer Kirche einen Priester anzugreifen und Gott zu widersagen (0:04:20). Damit wird Dracu-
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39 Vgl. Fußnote 23.
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lea als amoralisch und anti-sozial charakterisiert, auch wenn sein Handeln durch den Verlust seiner Frau plausibilisiert wird. Eine unangenehme Identifikationskette wird so geschaffen – denn als Zuschauer kann man durchaus nachvollziehen, dass Draculea aus extremem Schmerz und Enttäuschung heraus handelt. Sein «I shall rise from my own death» (0:04:25) positioniert ihn allerdings auch nahe an Jesus.40 Draculea widersetzt sich nicht nur dem Christentum, für das er eben noch gekämpft hat, sondern er will dessen Zentrum, nämlich den Tod und die Auferstehung, usurpieren und für sich beanspruchen. Draculas letzte Worte im Film sind (Fast-)Zitate Jesu: «Er hat mich verlassen» (1:53:38; vgl. Mk 15,34) und «Es ist vollbracht» (1:53:47; vgl. Joh, 19:30).41 Damit schließt sich ein blasphemischer Kreis, der im 15. Jahrhundert mit Zitaten des christlichen Gottessohnes begann und im 19. Jahrhundert mit ebensolchen endet. Es finden sich auch andere, von Freud schon entwickelte Parameter des Unheimlichen, die hier in den Dienst des Horrors treten. Draculea gelingt es, sein Schwert in Stein zu stoßen – ein eigentlich den Naturgesetzen widersprechender Akt. Er ‹ersticht› das Kreuz in seinem Zentrum (dort, wo Längs- und Querbalken aufeinandertreffen), das daraufhin zu bluten beginnt. Für Freud stellte ein solches Phänomen den «Zweifel […] darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei» (Freud o.S.) dar. Das Kreuz wird ‹menschlich›, es blutet. Durch die gezeigten Grausamkeiten Draculeas entsteht im Umkehrschluss bei den Zuschauern spätestens jetzt der Zweifel, ob er denn überhaupt beseelt ist – denn da er über Jahrhunderte hinweg nicht stirbt, ist er nicht mehr rein menschlicher Natur. Das Publikum des Films ist also schon von Anfang an mit der Frage nach beseelt/ unbeseelt konfrontiert. Die epistemologische Grauzone, die der Film schafft, verweist auf viele andere Grauzonen, die die Zuschauer verunsichern und ängstigen sollen. Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers schrieb in seinem Werk Psychologie der Weltanschauungen, dass die klare, ungetrübte Erkenntnis, dass in der Welt «nichts Festes da ist, kein unbezweifelbares Absolutes, kein Halt, der jeder Erfahrung und jedem Denken standhielte, […] alles relativ, endlich, in Gegensätze zerspalten, nie das Ganze, das Absolute, das Wesentliche» (1954: 229) wäre, sei auf die Dauer unerträglich. Der Mensch suche Sicherheiten und Halt, und ein großer Bereich, in dem er diese Sinnstiftung finde, sei eben die Religion. Daher ist der Angriff auf die Kirche, das Kreuz und den Priester ein solcher Horror, da er die existenziellen Haltepunkte gläubiger Menschen als verletzbar entlarvt. Aus diesem Grund sind das animistisch blutende Kreuz und der untote Tote ein Angriff auf die Grenzen, die die alltägliche Erfahrung kennzeichnen und die unsere Existenz erst erträglich machen, da sie Sicherheiten anbieten, wo sich sonst nur Abgründe auftun würden. Dies hat schon Nietzsche beschrieben, als er vom «Grausen» sprach, 40 «….am dritten Tage auferstanden von den Toten …» (Apostolisches Glaubensbekenntnis). 41 Zu den religiösen Konnotationen vgl. Weiher.
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welches «den Menschen ergreift, wenn er plötzlich an Erkenntnisformen der Erscheinung irre wird» (1986: 22). Doch die Zuschauer werden behutsam in die Sicherheit zurückgeführt, weil das Grauen in der Vergangenheit und in einem fremden Land situiert wird. Die Kamera leitet mit einem Schnitt über auf die letzten Jahre des ausgehenden viktorianischen Zeitalters, mehr als 400 Jahre später, in dem die Gesellschaft gefährliche Kreaturen wie Renfield wegsperrt (vgl. 0:05:50ff) und damit die Mitmenschen vor ihnen schützt. In diesem Schutz, so wird gezeigt, kann die zarte Liebesgeschichte zwischen Jonathan und Mina gedeihen. Sie gedeiht, weil es klare Trennungslinien zwischen Mann und Frau, zwischen Trieb und Triebbeherrschung, 3 zwischen Gut und Böse, gesund und krank gibt. Später werden diese Trennungslinien durch Dracula erodiert: Beim Rasieren schneidet sich Jonathan, und als Dracula das Blut sieht, nähert er sich erregt dem jungen Mann (0:25:31). Das ist nichts anderes als die Verwischung der Grenze Mensch-Tier, da sie das Instinkthandeln betont, das ein Tier auszeichnet. Aber auch in anderer Hinsicht ist Dracula ein liminales Wesen. Seine Kleidung und seine Frisur ließe sich – auch wenn man sehr wohlwollend darauf schaut – eher als feminin umschreiben denn als maskulin (Abb. 3).42 Die symbolische Vereinigung mit Harker, eine Bluthochzeit quasi, feiert Dracula, indem er heimlich so genüsslich wie erregt die blutverschmierte Klinge von dessen Rasiermesser ableckt (0:26:07). Hier findet sich auch ein weiterer Parameter von Freuds Unheimlichem in der Verfilmung, nämlich den Zusammenfall von heimisch und heimlich. Das Rasieren ist mit dem Heim verbunden, heimisch also, da hier aber auch ein heimlicher Subtext zum Tragen kommt (das Ablecken), kann das Sicherheit suggerierende Heimische in sein Gegenteil verkehrt werden. Die einseitige Homoerotik, die hier zusätzlich sichtbar wird, mag auf Betrachter ebenfalls bedrohlich wirken. Man konnte mehrfach sehen, dass Dracula seinen Willen durchzusetzen wusste, dann wird es ihm also vermutlich möglich sein, sein Begehren 42 https://de.pinterest.com/pin/496733033872190798/. Zuletzt eingesehen am 01.03.17.
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auch auf diesem Gebiet zu realisieren.43 Dies wird schon in Stokers Roman nur wenig versteckt deutlich. Den drei Vampirinnen, die sich über Jonathan Harker hergemacht hatten, schleudert Dracula entgegen: «Wie kann es eine von euch wagen, ihn anzurühren? […] Zurück! sage ich euch. Dieser Mann ist mein.» (Stoker 2008: 56)44 Des Weiteren zeigt diese Szene das Animalische, das durch die Aufklärung und den Zivilisationsprozess nicht ausgeschaltet werden konnte. Draculas Begehren folgt keinen gesellschaftlich sanktionierten Normen; er begehrt Mann und Frau, wahrscheinlich auch Tier und Vampir. Dies lässt Rückschlüsse zu auf die Wahrnehmung und Darstellung der Sexualität. Maurice Richardson bezeichnete die Handlung von Dracula dann auch als «a vast polymorph-perverse bisexual oral-analgenital sado-masochistic timeless orgy» und «a kind of incestuous necrophilious oral-anal-sadistic all-in wrestling match» (Meier 2002: 355). Draculas Blick ist ein Blick des Begehrens auf einen anderen Mann. Dies war ungewöhnlich im Mainstream Kino, in dem der male gaze prädominant auf Frauen gerichtet wurde. Laura Mulvey postuliert in ihrem einflussreichen Essay «Visual Pleasure and Narrative Cinema»: «In a world ordered by sexual imbalance, pleasure in looking has been split between active/male and passive/female. The determining male gaze projects its phantasy on to the female figure which is styled accordingly.» (1999: 837) Aber nicht nur Männer sind Objekte des Blicks in Coppolas Film, sondern – schon deutlich weniger überraschend – auch Frauen. Interessanterweise ist es aber nicht nur Dracula, der sich visuell und haptisch der schutzlosen weiblichen Körper bemächtigt. Es ist auch sein Gegenspieler, der Repräsentant des Guten, der Aufklärung, der Wissenschaft und des Christentums: Van Helsing. Es gibt eine Szene, in der Van Helsing zum ersten Mal auf Mina trifft. Sie werden einander vorgestellt, und schon wenige Sekunden (!) danach greift er der überraschten jungen Frau um die Taille und zwingt ihr einen Tanz auf, kommt ihr sehr nahe und respektiert ihre körperliche Autonomie weniger, als dies der Vampir tut (Screenshots; 1:07:14–1:08:03; Abb. 4–5). Damit eröffnet der Film zwei sexualisierte Bedrohungsspektakel, die Horror qua Identifikation transportieren können: der Übergriff eines metrosexuellen Mannes, eines Untoten, auf den männlichen Körper; und die schon bekanntere Objektivierung und Verletzungsoffenheit des weiblichen Körpers. Sexualität ist nach Peter L. Berger eine «dionysische, chaotische und ominöse Kraft, die gewaltsam die Routinen des Lebens [unterbricht], indem sie mit einem Griff Männern und Frauen die Masken ihrer sozialen Rollen von den Gesichtern reißt und eine furchterregende Animalität unter dem zivilisierten Dekorum zum Vorschein bringt.» (1983: 235) 43 Dies wird bestätigt durch Craft (1989: 218). 44 In Coppolas Film wird diese Passage auf Rumänisch gesprochen, mit englischen Untertiteln: «He belongs to me!» (0:33:07).
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Und es sind diese sexualisierte Animalität und die animalische Sexualität, die in Coppolas Film bedrohlich wirken, denn ihr Spektrum reicht von der Orgie bis zur Homoerotik, von der Bluttaufe bis zum Sex mit ‹Tieren›, von Mordphantasien bis zur Androhung der oralen Kastration Jonathans durch drei Vampirinnen (0:32:34ff). Diese drei Vampirinnen wiederum stehen ein, so Faulstich, für die «Verkörperung des Inzestwunsches, das heißt der sexuellen Begierde des übermächtigen Vaters nach allen Töchtern und Frauen der Urhorde» (2002: 203). Erneut findet sich in der Verfilmung ein bedrohliches Infragestellen gesellschaftlicher und moralischer Normen, ein Übertreten und vor allem ein Verschwimmen-Lassen von Grenzziehungen. Ein weiterer Parameter, der den Film durchzieht, ist die Verletzung nicht nur der Grenzen zwischen Mann und Frau, der gesellschaftlichen Norm und ihrer tabuisierten Verletzung, der Grenzen 4–5 zwischen ‹akzeptablen› Formen der Sexualität und der im Film markierten Animalität, sondern in noch existenziellerer Hinsicht die Durchbrechung der Schranke zwischen Ich und Anderem und zwischen körperlicher Unversehrtheit und Verletzung. In diesen Film wird gebissen und gesaugt, penetriert, geleckt, zur Ader gelassen und Blut getrunken, dass man keine separate Szene zitieren muss. Das Beißen in den Hals von Jungfrauen beendet ihre reale und metaphorische Unberührtheit und wird in Coppolas Film richtig und nur wenig versteckt als Defloration gedeutet. Meines Erachtens gibt es keine andere Erklärung dafür, warum es sonst so skandalös sein soll, dass Lucy von verschiedenen Männern Blut erhält. Eine entsprechende Passage in Bram Stokers Roman unterstützt diese Deutung, wenn etwa Arthur von seinem Anteil spricht «an der Operation, in der man sein Blut in Lucys Adern geleitet hatte. […] Arthur sagte, er habe das Gefühl gehabt, als sei er seitdem mit Lucy verheiratet und sie vor Gott sein Weib gewesen sei» (2008: 228). Die Diagnose, dass Blut hier für eine andere Körperflüssigkeit einsteht, wird dadurch unterstrichen, dass es ausgerechnet ihr Verlobter ist, der sie pfählen soll, 29
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obwohl Van Helsing emotional dazu viel besser in der Lage wäre, er ist ja schließlich dann auch derjenige, der sie köpft (und dessen Kleidung sowieso schon durch Lucys Blut besudelt ist, da wäre es auf ein bisschen mehr auch nicht angekommen; vgl. 1:23:37 ff.). Was machen diese Szenen mit dem Publikum? Geht man rein physiologisch vor, so muss man an Spiegelneuronen denken; Nervenzellen, die im Primaten-Gehirn «beim Betrachten eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster zeig[en] wie bei dessen eigener Ausführung».45 Das bedeutet für Menschen nichts anderes als: Unser Gegenüber gähnt und wir müssen automatisch auch gähnen, jemand lächelt uns […] an und wir lächeln ohne nachzudenken zurück. Oder wir können unsere Tränen einfach nicht unterdrücken, wenn wir einen traurigen Film sehen. Dass wir empfinden, was andere empfinden, egal ob es nun Mitleid, Trauer oder Freude ist, verdanken wir bestimmten Nerven in unserem Hirn – den Spiegelneuronen. Erst sie machen uns zu einem sozialen, mitfühlenden Wesen.46
Der Psychiater Joachim Bauer erläutert dies anhand eines Primaten-Experiments: Die Sensation war, dass es so etwas wie eine neurobiologische Resonanz gibt: Die Beobachtung einer durch einen anderen vollzogenen Handlung aktivierte im Beobachter, in diesem Fall dem Affen, ein eigenes neurobiologisches Programm, und zwar genau das Programm, das die beobachtete Handlung bei ihm selbst zur Ausführung bringen könnte (2009: 23; Hervorhebung i. Orig.).
Das ist stellvertretendes Erleben, was hier bedeutet, dass die Horrorgefühle, die die Schauspieler darstellen, im sekundären Reaktionsprozess auch physiologische Konsequenzen bei den Betrachtern auslösen können. Diese (bedrohliche) Auflösung der Grenze zwischen Ich und Anderem funktioniert nicht nur auf der Handlungsebene, sondern auch im Prozess des Lesens (und analog im Prozess des Anschauens eines Films, so möchte ich behaupten). Wolfgang Iser erklärt: «[I]f reading removes the subject-object division that constitutes all perception, it follows that the reader will be ‹occupied› by the thoughts of the author, and these in turn will cause the drawing of new boundaries.» (1972: 298) Um die Spiegelneuronen des Publikums zu aktivieren, setzt Coppola intuitiv immer wieder auch das Entsetzen in den Gesichtern der anderen Charaktere als Identifikationsangebot ein, besonders deutlich anlässlich der Pfählung Lucys (vgl. 1:23:47ff); einer Szene, in der Abscheu und Entsetzen in Close-ups gezeigt werden. In einer anderen Passage des Films (0:38:40–0:41:52), die in diesem Kontext interessant ist, wird gezeigt, wie Lucy nachts aus ihrem Bett in den Garten eilt, um 45 https://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelneuron#cite_ref-PMID1301372_2–0. Zuletzt eingesehen am 06.10.16. 46 http://www.planet-wissen.de/natur/forschung/spiegelneuronen/zuletzt eingesehen am 06.10.16.
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dort mit einem Wesen – halb Mensch, halb Tier – Verkehr zu haben. Interessant in dieser Passage ist vor allem die Kameraführung, die dieser Szene vorgeschaltet ist. Anfänglich wird die Perspektive eines überaus schnellen Tieres eingenommen, das auf niedriger Höhe durch die Stadt und dann durch den Garten jagt. Lange wird mit subjektiver Kamera gearbeitet: Die subjektive Kamera ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Sicht eines Protagonisten einnimmt. Der Kamerastandort ist der Standort einer Figur in der Szene, deren «Blick» das Bild wiederzugeben scheint. Versteht man die Kamera als stellvertretendes Auge des Zuschauers, wird dadurch der Blick des Protagonisten zu seinem. (Filmlexikon)
Das ist nicht ohne Brisanz – man muss nur an das Wesen denken, dem man gerade gefolgt ist, und das dem Zuschauer seinen Blick aufgezwungen hat. Das Publikum hat die Sequenz mühelos verstehen können und ist innerlich emotional mitgegangen. Das bedeutet aber, dass die Zuschauer und das Wesen das gleiche Zeichensystem verwenden – dass es also nicht als ‹das Andere› herangezogen werden kann. Die Spiegelneuronen der Zuschauerinnen und Zuschauer haben wahrscheinlich die Codierung ‹Jagd› oder ‹Jagdlust› in ihnen selbst aktiviert. Diese Aktivierung wird unterstützt durch die akustische Untermalung, die eine Melange aus einem einfachen, schnellen Trommel-Rhythmus, der später durch entsprechende Klaviernoten aufgenommen wird, Schreien, animalischen Lauten, Atemgeräuschen und einer kurz einsetzenden hohen Frauenstimme darstellt. Auch die akustische Untermalung ist letztlich also nichts anderes als ein Aufrufen des Vorstellungsbereiches ‹archaische Jagd› durch stimmliche und musikalische Mittel. Lucy gibt sich dem Wesen (Dracula – hier eine Mischung aus Fledermaus, Primat und Mann) willig hin, was bedeutet, dass sie die unsichtbare Verlängerung ihres Namens bestätigt: Lucy ist Luci-fer. Sie ist des Teufels,47 sie verfällt seiner Verführung. Dies geschieht auch bei Mina später, auch sie wird sich nach ihm sehnen, aber aus einem anderen Grund: Der Film identifiziert sie als die Wiedergeburt von Elisabetha; und nur dadurch rechtfertigt sich ihr Begehren. Als Mina/Elisabetha bewegt sie sich im Freudschen Unheimlichkeitsparadigma, denn der Wiener Psychiater sieht «Ich-Verdopplung, Ich-Teilung, Ich-Vertauschung» als einen Kernbereich des Unheimlichen. Die Auflösung der Grenzen, die zum Horror führt, ist hier also nicht durch die Hingabe einer jungen Frau an einen dämonischen Lover zu sehen – etwas, das moderne Kinobesucher nicht mehr so wirklich überraschen kann –, sondern in der Auflösung der Spezies-Grenzen (und damit erneut eine Aufkündigung der Menschlichkeit). Außerdem besteht das Skandalon in rezeptionsästhetischer Hinsicht aus der subjektiven Kamera, die die Grenze zwischen Dracula und dem 47 Drac bedeutet im Rumänischen Teufel.
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Zuschauer aufheben kann. So wie Dracula Jonathan Harker zwingen kann, bei ihm zu bleiben, so kann er auch dem Publikum seine Sicht aufzwingen und dessen Spiegelneuronen entsprechend aktivieren: «Die Kamera läuft schamlos weiter, wo der Blick sich angewidert abwenden möchte, aber doch [….] sich nicht abwenden kann» (Grimm 1992: 2). Gegen Ende des Films werden nochmals alle Register des Horrors gezogen: Lucy wird gebissen, der Raum verwandelt sich in ein phantasmagorisches Schlachtfeld aus Blut. Sie wird exorziert (1:20:00–1:24:50), sie wird gepfählt und enthauptet. Ihr Kopf fliegt im hohen Bogen durch die Luft, um dann durch eine Art Jump Cut in der Folgeszene als transformierter Festtagsbraten auf dem Teller Van Helsings zu landen, der mit Mina und Jonathan im Gasthaus speist und beiden davon anbietet. Der Horror wird aber nicht wie in Stokers Roman durch Van Helsings «Gruppe zu allem entschlossener Biedermänner» (Brittmacher zit. nach Moldenhauer 2013: 50) beendet, sondern im Film durch Mina herbeigeführt. Sie erlöst nicht nur Dracula durch einen finalen Dolchstoß, sie erlöst auch die Männer und sich selbst, indem sie ihren ehemaligen Geliebten enthauptet. Hier haben wir es mit einer (recht schrägen) Hommage an den Feminismus zu tun, dem es nicht mehr reichte, dass Mina im Roman mit Mutterschaft und dann auch noch mit einem Sohn, einem Stammhalter, belohnt wird. Coppolas Mina will mehr und sie bekommt es auch: zunächst sexuelle Erfüllung, die über die Ansätze keuscher Gymnastik der sonst im Hollywood-Film üblichen, viktorianisch markierten Sexualität hinausgeht. War Bram Stokers Mina eine new woman,48 so ist Coppolas Mina eine emanzipierte Frau. Sie genießt die angedeutete Fellatio ebenso wie eine romantische Verführung in einem schönen Lokal bei Kerzenschein. Und auch jenseits des Fleischlichen kann sie bestehen: Sie ist es nämlich, die zur Erlösergestalt wird und die Menschheit von dem Untoten befreit.
VII. Fazit Man konnte Freuds Parameter des Unheimlichen, die in diesem Film zur Erschaffung des Horrors herangezogen werden, wiederfinden. Man wird mit «dem Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei» konfrontiert. Der Film erschafft eine «intellektuelle Unsicherheit» bezüglich dessen, was man sieht. Die Zuschauer sind nicht nur mit Doppelgängern konfrontiert, sondern auch mit der Wiederkehr des Gleichen – in der Beziehung von Dracul(e)a und Mina/Elisabetha. Zudem spielen drei Darstellerinnen und Darsteller jeweils zwei Rollen: Anthony Hopkins ist 48 Vgl. aber genauer Minas Kommentare: http://www.online-literature.com/stoker/dracula/8/. Zuletzt eingesehen am 02.03.17.
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gleichzeitig der Priester im ersten Teil (15. Jahrhundert) und Van Helsing im zweiten Teil; Winona Ryder ist Mina und Elisabetha, und Gary Oldman ist Draculea und Dracula. Die Frage nach «Ich-Verdopplung, Ich-Teilung, Ich-Vertauschung» wird also rekurrent gestellt. Mit «Telepathie» kommunizieren Dracula, Renfield und Mina. Die Zuschauer können eine Regression in Zeiten erleben, in denen das Ich sich noch nicht scharf von der Außenwelt und vom Anderen abgegrenzt hatte, wenn sie sich durch Identifikation auf den Film einlassen. Das «Harmlose» – eine juristische Transaktion – wird unheimlich, und es drängt sich die Idee des Verhängnisvollen, Unentrinnbaren auf, wo man sonst nur vom Zufall gesprochen hätte. Man ist dauernd mit dem Tod – auch in Form von Scheintod und Wiederbelebung von Toten – konfrontiert. Zudem betrügt uns der Film in dem Sinne, dass Coppola sich «dem Anscheine nach auf den Boden der gemeinen Realität» stellt und uns dann erst «an unseren für überwunden gehaltenen Aberglauben» verrät, indem er «uns die gemeine Wirklichkeit verspricht und dann doch über diese hinausgeht.»49 Wir haben es hier also mit zwei Sorten von Horror zu tun – zum einen dem konventionellen Kinohorror: Blut spritzt, Jungfrauen werden geschändet, Leichenteile liegen und fliegen herum.50 Es gibt aber einen noch subtileren, unter der Oberfläche befindlichen Bereich des Films, der viel eher ein Horrorpotenzial entwickelt, weil er gesellschaftsdestabilisierend wirken kann. Coppolas Film entwirft einen neuen, nicht an Bram Stoker angelehnten Horror. Dieser widersetzt sich jeglicher political correctness-Zwänge und deutet zugleich ein neues Männerbild jenseits patriarchalischer Männerbünde, wie sie die Vampirjäger repräsentieren, an. Trotz aller Grausamkeit erscheint am Ende nicht mehr der Vampir als der Böse, sondern seine Gegner; Van Helsing wird überdeutlich als religiöser Fanatiker gezeichnet, der auf Kosten der individuellen Liebe eine schwarz-weiße Weltordnung aufrecht erhalten will. Aus dem Vertreter der Vernunft und Moral ist ein rücksichtsloser Exekutor überkommener Normen geworden, demgegenüber der böse Vampir als Individuum erscheint, das Bewunderung und Mitgefühl des Zusehers verdient. (Heimerl 2010: 535 f.)
Das ist meiner Meinung nach der ‹wahre› Horror von Coppolas Dracula, den dieser zwar versteckt, dennoch aber effektiv umsetzen kann. Er funktioniert analog zu Freuds Mikroskop-Beispiel: «Auch der Student, der die ersten Male ins Mikroskop guckt, wird vom Lehrer unterrichtet, was er sehen soll, sonst sieht er es überhaupt nicht, obwohl es da und sichtbar ist» (Freud, 27. Vorlesung «Die Übertragung»). 49 Alle nicht weiter markierten Zitate aus Freud, «Das Unheimliche». 50 Auch der Subtext ist nur wenig latent und eher manifest, denn die Anspielungen auf die Übertragung von Krankheiten durch Bluttausch und Geschlechtsverkehr sind bei Coppola nur wenig verborgen der AIDS-Epidemie der 1980er- und 1990er-Jahre geschuldet.
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Man muss wissen, worauf man achten soll bei diesem Film, sonst ‹sieht man es nicht, obwohl es da und sichtbar ist›. Bestand das Skandalon in Werken des 19. Jahrhunderts wie Dracula – oder auch Frankenstein – darin, dass sie den Schöpfer oder die Naturgesetze in Frage stellten, so übersetzt Coppolas Verfilmung diesen Horror so adäquat wie genüsslich für ein eher säkularisiertes 20. Jahrhundert. Es ist die gesellschaftlich angesehene Autoritätsperson Professor Van Helsing, der zunächst inmitten eines Kreises von bewundernden Studenten gezeigt, dann aber in Frage gestellt wird. In filmhistorischer Hinsicht ist er der ‹Gute›, der Retter, dessen Retter-Rolle aber subvertiert wird. Es ist nicht nur der ausländische Graf mit den merkwürdigen Kleidern und Sitten, der sich einfach des Körpers einer jungen Frau bemächtigt, sondern es ist der professorale Wissenschaftler, der den Körper einer Jungfrau an sich reißt und wie ein Tier an ihr schnuppert. Universitätsprofessoren standen in den USA im Jahr 199651 an dritter Stelle der BerufsprestigeSkala (National General Survey, National Opinion Research Center, 1996, zit. in Shepard 2013: 211). Obwohl die Bedrohung durch den Feind von Innen (der nach westlichen Werten sozialisierte Mann wird zur Bedrohung) viel weniger deutlich ausbuchstabiert wird, so ist es doch die finale Verunsicherung des Publikums, wenn der abstoßende, fremde, unbeherrschte, triebgesteuerte, unzivilisierte Antagonist zum Schluss einen größeren Mitleidsbonus reklamieren kann als der Vertreter von Recht, Gesetz, Moral, Medizin und Wissenschaft. Dem Transsylvaner kann man ansehen, dass er ‹anders› ist, Van Helsing ist dagegen in jeder Hinsicht integriert und bewegt sich inmitten von anderen angesehenen Repräsentanten des herrschenden Patriarchats. Das us/them-Schema wird dadurch nicht nur hinterfragt, sondern geradezu über den Haufen geworfen. Der Horror hat es sich heimisch gemacht. Er konnte überraschen, da er sich heimlich, quasi hinter dem genretypischen (Pseudo-)Horror des spritzenden Blutes und der abgetrennten Köpfe, die einfach zu einem Vampirfilm gehören, in die Phantasie der Zuschauer einschlich. Und jetzt können letztere nur schlecht vorgeben, diesen Horror nicht zu sehen, weil er «da und sichtbar ist». Dieser Horror kann nicht lächerlich gemacht werden, da er eine hierarchisch hohe Position einnimmt und aus der Mitte der Gesellschaft heraus agiert und wirkt. Eine Desavouierung käme einer ganz basalen Destabilisierung gleich, und das ist ein Gefühl, welches der Verängstigte um jeden Preis zu vermeiden sucht. Der Horror kann auch nicht domestiziert werden, da er im Bereich des Heimischen, des Vertrauten, schon seinen ureigensten Bereich hat. Er ist da, und er ist sichtbar.
51 Also nur vier Jahre nach Coppolas Dracula.
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I assure you there is nothing to fear Mel Brooks’ Horrorfilmparodie Young Frankenstein
Einleitung «Remain in your seats, I beg you. We are not children here, we are scientists. I assure you there is nothing to fear.» – Was Dr. Frederick Frankenstein (Gene Wilder), der Enkel des legendären Baron Viktor Frankenstein, hier vor einem illustren Publikum im Rahmen eines bunten Abends in einem Bukarester Varietétheater zum Ausdruck bringt, könnte generell als Programm für Horrorfilmparodien genommen werden: Einerseits erfolgt die Show für den Betrachter unter Wahrung einer sicheren Distanz, wie sie auch ein analytisch geschulter Blick auf den zu parodierenden Gegenstand automatisch mit sich bringt. Andererseits zielen Parodien auf die Erregung von Lachen und Komik (im weitesten Sinn) ab und nicht, wie Horrorfilme als solche, auf die Erregung von Angst und Schrecken bzw. sogar Abscheu und Ekel. Das ist ein fundamentaler Unterschied, der bei allem zu berücksichtigen ist, was im Folgenden zur Sprache kommt. Gleichzeitig verweist das Zitat aus Young Frankenstein (1974, dt.: Frankenstein junior) darauf, dass in einer typischen Mel Brooks-Parodie die Grenzen zwischen ernst gemeintem Spaß (wie er Kindern zueigen ist) und spaßhaft umcodierter Hommage an filmhistorische Vorbilder nicht ohne Weiteres zu ziehen sind. Denn die Song-and-dance-Szene – wir kommen später darauf zurück –, die Dr. Frankenstein so hübsch choreographiert hat, läuft schon nach kurzem völlig aus dem Ruder, und sein oben zitierter Beschwichtigungsversuch erweist sich zwangsläufig als das, was er von Anfang an ist: ein Ausdruck von Selbstbezüglichkeit bzw. 39
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paradoxer Selbstironisierung, wie sie für die Entwicklung des Horror-Genres konstitutiv geworden ist. Mel Brooks, der berühmte amerikanische Filmregisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler, hat in Young Frankenstein gleich mehrere aus der klassischen Hollywood-Ära stammende Filme aufs Korn genommen und einer umfassenden Neulektüre bzw. Dekonstruktion unterzogen (vgl. Yacowar 1981: 122 f.); beginnend natürlich mit Frankenstein aus dem Jahre 1931 (Regie: James Whale), womit – gemeinsam mit Dracula (Regie: Tod Browning) und Dr. Jekyll und Mr. Hyde (Regie: Rouben Mamoulian) – sozusagen das «Geburtsjahr des Horrorfilms» (Moldenhauer 2013: 194) in seiner ersten Blüte markiert ist, über The Bride of Frankenstein (USA 1935, Regie: James Whale), The Son of Frankenstein (USA 1939, Regie: Rowland V. Lee) und The Ghost of Frankenstein (USA 1942, Regie: Erle C. Kenton) bis hin zu The Revenge of Frankenstein (GB 1958, Regie: Terence Fisher) und Anleihen bei King Kong (USA 1933, Regie: Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack) und sogar Alfred Hitchcocks Rebecca (USA 1940). Dabei war Frankenstein überhaupt der erste Hollywood-Streifen, der mit dem Horror-Begriff beworben wurde (vgl. Moldenhauer 2013: 195). Die Proto- und Stereotypen des Genres etablierten sich erst im Gefolge der genannten drei überaus erfolgreichen Filme von 1931 und umfassten folgende charakteristischen Elemente: Der Horror entstammt dem Bereich des Phantastischen, weil es um Wesen «übernatürlichen Charakters» geht, die «sowohl als bedrohlich wie auch als potenziell ekelerregend empfunden werden» (Moldenhauer 2013: 195). Das einschlägige Setting fußt auf der Tradition der gothic novel; die genre-typische Gewalt wird – ganz anders als heutzutage – noch «vergleichsweise verhalten» (2013: 196) inszeniert, das heißt meist im Off. Hervorzuheben sind jedenfalls auch noch die spezifischen familiengeschichtlichen, genealogischen Handlungsstrukturen, die im Laufe der Zeit oft episch breit ausgefächert werden, weil eine ungesühnte Schuld der Vorfahren wie ein schwerer, dunkler Schatten auf dem Geschick der Nachfahren lastet. Die Entscheidung, die Konzepte des Parodistischen anhand eines spaßhaften Gruselfilms zu erörtern, wurde davon abhängig gemacht, dass der Prozess von der Etablierung bestimmter Genre-Stereotypen als ursprünglich effektive «Wirkungskonserven» (Schweinitz 2006: 43) über deren «endlose Repetition» in «Sequels und Ensemblefilmen» bis hin zum «Umschlag vom Furchterregenden ins (freiwillig oder unfreiwillig) Komische» wohl am besten nachzuvollziehen ist, wenn sich das mittlerweile verbrauchte Motiv- und Figureninventar eben nur mehr für «Verballhornungen» (Moldenhauer 2013: 197 f.) eignet, dafür jedoch eine retrospektive Zusammenschau erlaubt. Zudem macht ein Beispiel aus der Genre-Frühgeschichte viel deutlicher, dass auch der Schrecken und die Angst-Lust, die Menschen im Kino suchen und erleben, einem historischen Wandel unterliegen und keineswegs auf quasi überzeitlichen psychologischen Konstanten beruhen. 40
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Anmerkungen zum Begriff der Parodie Film-Parodien als eigenes, originäres Genre zu bezeichnen, ist problematisch, weil es sich um ein Rezeptions- bzw. Diskursphänomen handelt, das stets auf etwas bereits Vorhandenes rekurriert und in sämtlichen Kunstformen zu finden ist. Denn selbstverständlich gibt es parodistische Verfahrenstechniken ebenso in Literatur, Musik und Malerei oder auf dem Theater. Aber nicht nur die Kunst ist von Parodien geprägt; sie treten darüber hinaus als Teil des täglichen Lebens in Erscheinung, etwa wenn Kinder spielerisch ihre Eltern oder Lehrern nachahmen und im Zuge dessen auch sich selbst veralbern. Andere Parodien haben real existierende Ereignisse bzw. Persönlichkeiten als Bezugsgrößen; gerade Politikern wird mitunter ein größeres Interesse daran nachgesagt, in Faschingssitzungen oder KabarettProgrammen parodiert zu werden, als gar keine Aufmerksamkeit zu erheischen. Einmal mehr verschwimmen hier die Grenzen zwischen künstlerischer, kreativer und direkter, ungebrochener, sozial verankerter Nachahmung, zwischen Mimesis und Kommentar, gesellschaftspolitischer Verhöhnung und intertextueller Komplexität. Daher erscheint es, ohne theoretische Prämissen überstrapazieren zu wollen, angemessener zu sein, den Begriff der Parodie als ein bestimmtes Kalkül zu verstehen, als eine Recycling-Strategie, um sich bekannten Sujets mit doppelsinnigem Witz zu widmen (vgl. «double-coded nature [of parody]», Rose 1993: 242). So hat David Bordwell die Parodie bekanntlich als eine Unter-Kategorie der Komödie klassifiziert: «Subgenres of comedy include romantic comedy, slapstick comedy, and parody.» (Bordwell/Thompson 1997: 52). Und in einem LiteraturSachlexikon wird festgestellt, bei einer Parodie handle es sich um ein literarisches Werk, das in satirischer, kritischer oder polemischer Absicht ein vorhandenes, bei den Adressaten der Parodie als bekannt vorausgesetztes Werk oder Teile davon unter Beibehaltung kennzeichnender Formmerkmale, aber mit gegenteiliger Absicht nachahmt. Der durch das so entstandene Auseinanderfallen von Form und Aussageanspruch gewonnene Reiz des Komischen ist dabei um so wirkungsvoller, je größer die Fallhöhe von der Vorlage zur Parodie ist. (Duden: 312 f.)
Im Laufe der Filmgeschichte haben sich parodistische Bearbeitungen von vielen erfolgreichen Einzelwerken ausgebildet, flächendeckend jedenfalls von praktisch allen Genres. Eine Parodie konstituiert, dem etymologisch-griechischen Wortsinn nach, ein ‹Gegenlied›, d. h. eine kritische, bestimmte Voraussetzungen implizierende Polemik gegenüber einem (von Gérard Genette so genannten) «Hypotext», ohne dessen Kenntnis die Rezeption nicht richtig funktioniert. Das Publikum benötigt wenigstens eine rudimentäre Ahnung vom ursprünglichen Ausgangsmaterial, um ein adäquates Verständnis von der mehr oder weniger (selbst)ironischen Aufbereitung desselben entwickeln und interaktiv darauf antworten zu können. Obwohl Parodien seit jeher aus allen Kulturen überliefert sind, gelten sie doch als ein «Pro41
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totyp der Moderne» (Altman 1999: 141) – und vor allem auch der sogenannten Postmoderne, die ihrerseits von einer Vorliebe für die Mischung von hohen und niederen künstlerischen Elementen, für Zitate und selbstbezügliche Strukturen geprägt ist, wie sie eben auch für die Parodie kennzeichnend ist (vgl. Sturtevant). Horrorfilme zählen zu den populärsten Genres überhaupt, wobei sich das riesige Korpus von Belegfilmen noch in mehrere etablierte Unterabteilungen wie beispielsweise Grusel, Monster, Splatter, Gore usw. gliedern lässt. Die verschiedenen Stillagen des Horror-Genres haben, filmhistorisch betrachtet, in vielfältigen Wiederholungen und Variationen ein System von bestimmten Normen und Praktiken herausgebildet. Dabei hat das Publikum gelernt, aufgrund einschlägiger Hinweise Hypothesen über Handlungsverläufe und inhaltliche Zusammenhänge der Geschichte zu bilden. Hierfür greift der Rezipient unbewusst auf kognitive, historisch wie kulturell variable Schemata zurück, in denen er kategorisch sein durch Erfahrung erlerntes Filmwissen gespeichert hat und somit über gegebene Informationen hinaus zu denken in der Lage ist. (Buchholz 2006: 10)
Es kann also im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass das breite Kinopublikum über ein ausreichendes Wissen verfügt, wie die einschlägigen narrativen Muster, thematischen Vorlieben und Beziehungen sowie stilistischen Eigenarten des Horrorgenres üblicherweise eingesetzt werden, um sie wiederzuerkennen. Gleichwohl unterliegen, wie erwähnt, derartige Prädispositionen durchaus einem historischen Wandel, sodass in Bezug auf Normen und Regeln für die einschlägige Verwendung von Inhalten, Gestaltungstechniken und -konventionen keine ein für allemal gültige Relevanz beansprucht werden darf. Heutige Zuschauerinnen und Zuschauer mögen daher manche Gags aus einem Film wie Young Frankenstein nicht mehr ohne Weiteres entschlüsseln können wie noch das Publikum des Jahres 1974. Mitunter ergibt sich aber die Option, eine Parodie in den Status eines so genannten Kultfilms zu erheben (meinst gemeinsam mit dem Original), was dessen Erfolg und Nachwirkung über Generationen hinweg gewährleistet – im Sinne einer eingeschworenen Teilhabe an kollektiven Formen der Bewusstseinsbildung, Erfahrung, fachlichen Expertise und ästhetischen Genussfähigkeit. Kultfilme sind wesentlicher Teil einer Fan-Kultur, die sich in sozialen Netzwerken fix etabliert hat. Dan Harris (2000: 37 ff., vgl. Sturtevant) hat in seiner Theorie zur Filmparodie folgende Punkte herausgestellt: • reiteration als grundlegende Strategie der Reproduktion und Imitation von den drei Filmebenen «lexicon» (Charaktere, Setting, Kostüme, Ikonographie), «syntax» (Plot, Montage) und «style» (Musik, Geräusche, Kameraführung) • inversion im Sinne der (diametralen) Umkehrung und Verdrehung eines vorgegebenen Bedeutungszusammenhangs 42
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• misdirection als Erzeugung von (falschen) Erwartungen auf Seiten des Publikums durch einen nur vordergründigen, scheinbaren Nachvollzug der bekannten Strukturen und Bauelemente eines Werks bzw. Genres, der jedoch zu einer (mitunter ans Absurde grenzenden) völligen Neukombination des Ausgangsmaterials führt • literalization als eine parodistische Praxis, die in selbstreferenzieller Weise verschiedene Lesarten des Quellentexts gegeneinander ausspielt • extraneous inclusion umfasst den Einbezug sämtlicher Elemente, die nicht zum Inventar des Ausgangsmaterials gehören. • exaggeration schließlich legt durch quantitative oder qualitative Übertreibung ein besonderes Augenmerk auf irgendeinen (Neben-)Aspekt des Ausgangsmaterials, wodurch es zu grotesken Verzerrungen und exzessiven Kuriositäten kommen kann. Freilich hat die (allzu) häufige Anwendung dieser Strategien dazu beigetragen, dass es mittlerweile auch Konventionen der Parodie, der Satire und der Karikatur gibt, die ihrerseits viel von der einstigen kultur- und ideologiekritischen Bissigkeit eingebüßt haben, sodass Gags längst vorhersehbar und langweilig erscheinen und keine subversive Kraft mehr besitzen.
Zur meta-diskursiven Konzeption des Films Mel Brooks scheint sich dieser Problematik durchaus bewusst gewesen zu sein, zieht er sie im Rahmen seiner Fassung des Frankenstein- bzw. Frankensteins-MonsterMythos offensichtlich von vornherein ins Kalkül. Ausgangs- und durchgehender Bezugspunkt ist und bleibt jene ursprüngliche Vision des Dr. Viktor Frankenstein, mit Hilfe von galvanischem Strom Leben zu erschaffen. Das Figurenensemble orientiert sich deutlich an den (oben genannten) filmischen Vorbildern: Viktor und seine Verlobte Elisabeth, der bucklige Gehilfe Fritz, das vertauschte Gehirn, der Einsiedler, die fanatischen Dorfbewohner – sie alle finden ihre Gegenbilder im Rahmen der Geschichte, die Brooks erzählt. Auch dass die Angst einflößende, unberechenbare Kreatur mit den prometheischen Kräften nichtsdestotrotz in ihrer Menschlichkeit gezeigt wird, obwohl sie von den Menschen statt Zuneigung nur Hass und Verachtung erntet, ist als wesentliches Filmmotiv schon bei James Whale der Fall. Er hat aus Mary Shelleys Roman eine gesellschaftskritische Parabel gemacht hat, die Tragödie eines Ausgestoßenen. Denn der eigentliche Handlungskern der Geschichte besteht im Film in einer Hetzjagd auf das Monster, die der Pöbel in seiner Gier nach Lynchjustiz und Blut anzettelt. Das Geschöpf überwältigt schließlich seinen Schöpfer und verbarrikadiert sich mit dem Bewusstlosen in einer Mühle. Als die Dorfbewohner das Gebäude zu stürmen drohen, schleudert der Verfolgte Frankensteins 43
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leblosen Körper wütend aus einem Fenster, doch der Wissenschaftler überlebt. Die aufgebrachte Menge zündet mit Fackeln die Mühle an, sodass man am Ende den Eindruck haben muss, das Monster komme in den Flammen um. Erst Whales Fortsetzung The Bride of Frankenstein belehrte das Publikum eines Besseren. Mel Brooks’ Monster, gespielt von Peter Boyle, erweckt einen überaus zwiespältigen Eindruck. Es ist Repräsentant des Fremden innerhalb der Gesellschaft, die es hervorbringt, und zugleich eine Inkarnation von typischen Eigenschaften, die diese Gesellschaft kennzeichnen und ausmachen. Das Monster tritt uns zunächst wie ein Kind entgegen, wirkt unschuldig und unbeholfen, als ob es erst lernen müsste, die vielen Sinneseindrücke, die auf es eindringen, zu einer einheitlichen Wahrnehmung der Welt zusammenzufügen. Dabei befleißigt es sich eines bemerkenswerten Maßes an Geduld, Offenheit und Selbstbeherrschung. Das Unheimliche, das dennoch von Boyles Performance ausgeht, ist nicht primär gegründet auf Gewaltausübung und Aggression, sondern wird viel unterschwelliger angelegt als bei seinem Urbild, das seit der Darstellung durch Boris Karloff in die Ikonographie der Populärkultur Eingang gefunden hat. Dabei zeigt das von Boyle gespielte Monster viele Ähnlichkeiten mit den anderen Personen im Film (bzw. umgekehrt: Man beachte bloß das Grunzen Fredericks bei sexueller Erregung oder dessen aggressiven Handlungsweisen wie das Würgen eines Kontrahenten und vor allem das Ende des Films, in dem das ehemalige Monster zum völlig integrierten, typischen Kleinbürger im Ehebett mutiert ist, der die Financial Times studiert), sodass sich seine vermeintliche Fremdartigkeit im Laufe der Handlung als reine Projektion seitens der vorgeblich ‹normalen› Menschen erweist. Brooks setzt etablierte Rezeptionsmechanismen ein, um sie zu durchbrechen und auf diese Weise humoristische, absurde, groteske und geradezu burleske Effekte zu erzielen, je nachdem. Das bereits Bekannte wird dabei nicht nur einer Wiederverwertung zugeführt, sondern auch einer qualitativen Neupositionierung in einem dezidiert intertextuellen Verfahren, das eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Rezipienten erfordert. Dadurch verändert sich auch der Blick auf den Hypotext, dessen Machart ursprünglich nicht witzig gemeint war, aus dem Blickwinkel der nachfolgenden Wiederholungen und kritischen Zitationen jedoch komisch bzw. gar lächerlich wirkt. Einen ähnlichen Effekt kann man bei vielen Horrorfilmen feststellen, die aufgrund ihres anhaltenden kommerziellen Erfolgs einen ausgeprägten Hang zur Serienbildung forciert haben, sodass Selbstironie, metafiktionale, illusionsdurchbrechende Elemente sowie Absurditäten und a-logische Trivialitäten zum grundlegenden Repertoire des Genres an sich gehören. Der typische, fließende Übergang zwischen Angst-Schock und Lachreflex seitens des Publikums hat darin ebenfalls seine Ursache und kann bei Brooks geradezu paradigmatisch nachverfolgt werden. Moral ist für den Regisseur offensichtlich keine Kategorie, eher schon Respektlosigkeit, Verspottungslust und Autoritätsfeindlichkeit. Brooks hält allerdings 44
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keine Abrechnung mit den Filmen, die ihn inspiriert haben, sondern inszeniert einen alternativen Zugang zum Frankenstein-Komplex, der sich nicht als diametrale Entgegensetzung versteht. Vielmehr werden der Stoff und seine verschiedenen Aufbereitungen in einen neuen Kontext überführt, was einen durchaus mit Wertschätzung unterfütterten Sinn hervorbringt. Brooks’ Parodie erschöpft sich nicht in belangloser Blödelei, sondern strebt eine eigenständige Aussage als Filmkunstwerk an. Das Motiv des künstlichen Menschen, des Menschen als Schöpfer seiner selbst, durchzieht nicht nur die Filmgeschichte vom Anbeginn bis heute, sondern die Kulturgeschichte insgesamt. Die jüngste Aufbereitung des Frankenstein-Stoffes erfolgte übrigens in Victor Frankenstein (USA 2015, Regie: Paul McGuigan).
Zum Inhalt Dr. Frederick Frankenstein, seines Zeichens angesehener Gehirnchirurg an der amerikanischen Universität Baltimore, hat ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Großvater, Viktor Frankenstein. Einerseits distanziert er sich von den kruden Experimenten seines Ahnherrn, der einst versucht hatte, tote Materie künstlich wieder zum Leben zu bringen. Andererseits duldet er es nicht, wenn der Name Frankenstein in Misskredit gerät. Frederick ist jederzeit bereit, aktiv für seine eigene Rehabilitation einzutreten. Da er aber den dunklen Seiten seiner Familiengeschichte nicht entgehen kann, sondern immer wieder sogar von Seiten der Studenten damit konfrontiert wird, beschließt er, nach Transsylvanien zu reisen, um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen und sich um sein Erbe zu kümmern. Dort angekommen, trifft er auf Igor, der über einen sehr aktiven Wanderbuckel verfügt, was seinen Körper von Szene zu Szene einer anderen Verformung unterwirft, und auf Inga, eine attraktive Laborassistentin. Zu dritt begeben sie sich zu jener Burg, die man aus den klassischen Frankenstein-Filmen gut kennt – immerhin wurden die Laborszenen in den Originalkulissen von 1931 gedreht, die der ehemalige Set-Designer Kenneth Strickfaden noch in seiner Garage aufbewahrt und zur Verfügung hatte (vgl. Yacowar 1981: 122). Die Helden werden von einer gewissen Frau Blücher (Cloris Leachman) empfangen, die schon in den alten Zeiten als Haushälterin gedient hat und entfernt an Mrs. Danvers aus Rebecca erinnert (vgl. Yacowar 1981: 122). Nach Einbruch der Dunkelheit entdecken Frederick, Inga und Igor hinter dem Bücherregal einen Geheimgang, der zu dem Labor und der Privatbibliothek von Viktor Frankenstein führt. Bei der Lektüre, in die sich der neugierige Frederick vertieft, erfasst ihn alsbald eine unbändige Begeisterung für die Theorien des Großvaters, was dazu führt, dass er und Igor auf den Friedhof schleichen und die Leiche eines soeben gehenkten Delinquenten ausgraben. Außerdem soll Igor das Gehirn eines berühmten Wissenschaftlers namens Hans Delbruck stehlen, das sich in einer 45
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anatomischen Einrichtung befindet. Doch Igor erschrickt bei dem unheimlichen Unternehmen vor seinem eigenen Spiegelbild, als einer der vielen Blitzschläge des Films niedergeht, lässt das Delbruck-Hirn fallen und bringt seinem Chef kurzerhand ersatzweise das Organ eines als «abnormal» klassifizierten Toten. Natürlich verschweigt Igor sein Missgeschick. Frederick wähnt sich am Ziel seiner Wünsche. Der erste Versuch allerdings, einer aus verschiedenen Körperteilen zusammengesetzten Kreatur während eines Gewitters neues Leben einzuhauchen, scheint auf den ersten Blick ohne Erfolg zu verlaufen. Frederick ist verzweifelt. Erst als während des Abendessens seltsame Grunz-Geräusche zu vernehmen sind, wird klar, dass der Augenschein getrogen hat. Das Monster benötigte nur einige Zeit, um seine Lebensgeister wachzurufen. Inzwischen sind die Bewohner des Dorfes wegen der Gerüchte beunruhigt, dass Frankensteins Enkel vor Ort sein soll. Man macht sich Sorgen, dass die früheren Probleme wieder von vorne beginnen könnten, denn alle Wissenschaftler hätten bloß eines im Sinn: und zwar die Welt zu beherrschen. Daher wird Polizeiinspektor Kemp (Kenneth Mars), der rechts eine markante Armprothese trägt und insgesamt ebenfalls den Eindruck eines künstlichen MaschinenMenschen erweckt, ins Schloss geschickt, um die öffentliche Ordnung sicherzustellen und herauszufinden, was der Enkel des alten Frankenstein eigentlich vorhabe. Mittlerweile haben Frederick, Igor und Inga das Monster von seinen Fesseln befreit, als Igor sich eine Zigarette anzünden will und damit eine panische Reaktion des Monsters hervorruft. Es geht zum Angriff auf seinen Schöpfer über und kann erst im letzten Augenblick überwältigt werden, bevor es Frederick erwürgt hätte. Erst jetzt erkennt Igor die Konsequenzen aus der Vertauschung der Gehirne und gesteht sein Missgeschick. Mitten in diese Beichte platzt Inspektor Kemp herein. Während einer gemeinsamen Partie Darts, bei der Kemp kräftig mogelt, gelingt es Frederick, die Bedenken des Polizisten und der Dorfbewohner fürs Erste zu entkräften. Er hat aber die Rechnung ohne Frau Blücher gemacht, die das zum Leben erwachte Monster als die ultimative Erfüllung ihrer früheren Liebesbeziehung zu Victor erachtet – so, als handle es sich um ihrer beider leibhaftiges Kind. Nachdem sie herausgeschrien hat, dass der berühmt-berüchtigte Wissenschaftler einst ihr geheimer «boyfriend» gewesen sei, hilft sie dem Monster zu entkommen. Sie ist, wie sich zeigt, diejenige, die den Plan verfolgt und dafür gesorgt hat, dass Frederick aus den USA kommt, um das Werk seines Großvaters zu vollenden. Im Zuge seiner Flucht macht das Monster unter anderem Bekanntschaft mit einem kleinen Mädchen, das in ihm einen willkommenen Spielkameraden erblickt, und mit einem einsamen, blinden Greis namens Harold (Gene Hackman), der den unbekannten Gast freundlich bei sich zu Hause aufnimmt und bewirtet, weil er ihn als die Erfüllung seiner Gebete betrachtet. Solche positiven Verhaltensweisen der Menschen ist das Monster nicht gewohnt, und Brooks macht deutlich, wie fragwürdig der äußere Augenschein bei der Beurteilung von jemandem ist. Dies ist ein 46
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gutes Beispiel dafür, inwiefern der Regisseur über seine parodistischen Anliegen hinausgeht und seinem Film autonome humanistische Aussagequalitäten verleiht. Frederick fängt schließlich die Kreatur wieder ein und bemüht sich fortan um ein entspannte(re)s Verhältnis zu ihr. Zugleich kann er der Versuchung nicht widerstehen, seine wissenschaftliche Großtat der Öffentlichkeit zu präsentieren, und zwar im Rahmen einer großen Varieté-Show. Hier verarbeitet die Parodie, wie erwähnt, auch Szenen aus dem Film King Kong von 1933. Wie weiland Ginger Rogers und Fred Astaire geben Frederick und seine Kreatur in der Folge eine elegante Tanz- und Gesangsnummer zum Besten. Alles geht soweit ganz gut und ist für das erlauchte Publikum überaus beeindruckend, bis der Knall eines überhitzten, zerberstenden Scheinwerfers das Monster in Panik versetzt und von einem Moment zum anderen einen wahren Tumult auslöst. Erneut wird das Monster gefangen und in Ketten gelegt. Frederick ist einem Nervenzusammenbruch nahe. Just in dem Augenblick, als er auf dem Experimentiertisch Geschlechtsverkehr mit Inga zelebriert, um so auf andere Gedanken zu kommen, taucht seine Verlobte Elizabeth auf. Derweil zündet im Gefängnis der wachhabende Polizist ein Streichholz für eine Zigarette an, was beim Monster einmal mehr eine heftige Abwehrreaktion auslöst. Es zerreißt seine Ketten und läuft davon. In der Folge trifft es mit der außer sich geratenen Elizabeth zusammen und entführt sie. Was schrecklich enden könnte, entpuppt sich aber als Quelle erotischer Wonnen für die beiden, denn einen solch feurigen Liebhaber hat Elisabeth noch nie gehabt. Und das Monster hat sowieso noch nie … Danach kehrt es jedenfalls, angelockt durch den Klang einer Geige, anstandslos zu Frankenstein zurück. Als Frederick sich und das Monster an eine Maschine anschließt, um durch eine Übertragung seiner Verstandeskräfte auf das Monster stabilisierend und zivilisierend auf das Un-Wesen einzuwirken, stürmen die fanatisierten Dorfbewohner die Burg. Nur ein dringlicher Appell des Monsters, das nun – zu aller Überraschung – das Wort ergreift, hindert den Mob daran, Lynchjustiz zu begehen. Der Film schließt, wie es sich gehört, mit einem (wenngleich zwiespältigen) Happy-End: Elizabeth nimmt das Monster als Gatten ins gemeinsame Bett. Überraschend schnell übernimmt es die Rolle im Rahmen häuslich-konservativer Beziehungskonstellationen. Frederick und Inga heiraten ebenfalls, wobei die Braut in der Hochzeitsnacht erfreut feststellt, dass bei der Übertragungsprozedur nicht nur Hirnkapazitäten von Frederick auf das Monster übergegangen sind, sondern offensichtlich auch ihr Bräutigam gewisse besonders groß dimensionierte Körperteile des Monsters abbekommen hat. Die Lust-Arie, die sie anstimmt, erinnert jedenfalls eindeutig an Elizabeths analoge Reaktion, als sich das Monster nach der Entführung über sie hergemacht hat («Sweet mystery of life / At last I found you!»).
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Kurzanalyse Young Frankenstein gilt in der Forschung als Paradebeispiel für eine Umsetzung des Parodie-Konzepts von Mel Brooks (vgl. Yacowar 1981: 120 ff.). Dies betrifft schon den Umstand, dass Brooks in herkömmlichem Schwarz-Weiß gedreht hat, im Sinne einer bewussten Hommage an die Ästhetik der Vorlage (siehe oben reiteration bei Harris). Außerdem gibt es noch weitere formale Eigenheiten, die das Filmwerk prägen und letztlich auf James Whales frühere Regiearbeit (wie auch auf den deutschen Filmexpressionismus im Stile eines Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau) zurückgeführt werden können. In seinem Audio-Kommentar, den Brooks für die DVD-Edition des Films gesprochen hat, erwähnt er beispielsweise • längere Kamerafahrten (diesbezüglicher DVD-Kommentar: «We trundled.»), in denen der Erzählvorgang sich verlangsamt, um genügend Zeit für Details zu haben • keine Verwendung von Zooms • die Positionierung der Kamera an Stellen, von denen aus sie möglichst wenig bewegt werden muss, um verschiedene Aspekte der Handlung einzufangen • Innenaufnahmen mit Weitwinkelobjektiven Von grundsätzlicher Bedeutung ist auch, dass der Regisseur und Co-Drehbuchautor (gemeinsam mit Gene Wilder, dem Hauptdarsteller) große Aufmerksamkeit auf Wortspiele (z. B. Inga: «What time is it?» – Igor: «Almost time.»), Wortwitz, Wortgefechte, akustische Gags (meist aus dem Off), komische Missverständnisse und Fehlleistungen in der Kommunikation der Protagonisten gelegt hat, wobei es auch viel Freiraum für spontane Ideen und Improvisationen des Ensembles gegeben hat. Im Sinne der literalization impliziert eine Parodie immer eine Norm, gegen die ihre zuwiderlaufende Imitationsmaschinerie gelesen werden muss. So werden beispielsweise metaphorisch gemeinte Formulierungen wörtlich genommen. Dies beginnt schon damit, dass der Enkel des legendären Victor Frankenstein zunächst besonderen Wert auf eine andere Aussprache seines Namens legt, nämlich: «Fronkensteen», obwohl die richtige Aussprache in der Öffentlichkeit (und uns allen) natürlich allbekannt und die Familie überaus berühmt ist. In dieser Attitüde Fredericks spiegeln sich nicht nur die Hirngespinste, die man Wissenschaftlern gerne nachsagt und unter Umständen auch als selbstironischer Reflex verstanden werden könnten, sondern ein tief sitzender Selbstzweifel, was die eigene Identität betrifft. Daher wird er sich erst an einem dramaturgisch genau markierten Punkt der Handlung besinnen und zu seiner Herkunft bekennen, indem er den Namen in der üblichen Weise auf sich anwendet und laut deklamiert: «My name is Frankenstein!» (1:13:04) Vergleichbare Spielereien mit Namen setzen sich konsequent fort im Zusammenhang mit dem buckligen Gehilfen Igor, gespielt von dem britischen Komiker Marty Feldman, der aufgrund von Hyperthyreose (einer krankhaften Überfunktion der 48
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Schilddrüse) über stark hervorquellende Augen (Morbus Basedow) verfügte, was kurioserweise zu seinem beruflichen Markenzeichen werden sollte. Igor also korrigiert Frederick und möchte nicht «I-gor», sondern «Ei-gor» gerufen werden – ohne Zweifel ein sarkastischer Seitenhieb auf die eigene Physiognomie (man vergleiche in diesem Zusammenhang auch das alte Viktorianische Sprichwort «Damn› your eyes!», das Frederick in einer Szene Igor gegenüber benutzt). Als Frederick sich nicht fügen will, droht Igor damit, ihn im Gegenzug «Froderick» zu nennen. An anderen Stellen imitiert Igor/Marty Feldman rein vokal sogenannte DrummRiffs – in Anlehnung an Mel Brooks› Jugend, als er Schlagzeuger in einer Band war (vgl. Gnauk 2012: 235). Wenn später das Monster von dem Blinden nach seinem Namen gefragt wird, aber nur Grunz-Laute hervorzustoßen in der Lage ist, vermeint der Einsiedler eine göttliche Himmelsfügung darin zu erblicken, dass ein Blinder und ein Stummer zusammengeführt worden sind. Als Igor das Hirn von Hans Delbruck (man beachte die Assonanz zwischen Mel Brooks und Delbuck!) kaputt gemacht hat und stattdessen das Hirn eines psychisch kranken, als abnormal eingestuften Menschen an sich nimmt, behauptet er kurz darauf in seiner Verteidigung gegenüber Frederick, ein gewisser «Abby Normal» sei der Name des Patienten gewesen. Und jedes Mal, wenn der Name der Haushälterin Frau Blücher ausgesprochen wird, werden irgendwo im Off die Pferde scheu und wiehern ungestüm. Derartige Gags im Off kommen häufig vor: Eine Katze wird einmal von einem verirrten Dart-Pfeil getroffen und jault irgendwo schmerzerfüllt auf; Igors Erscheinen kündigt sich mit einem Schleifgeräusch an; das Monster liebt Geigentöne und versucht, sie mit bloßen Händen zu erhaschen. So bilden verschiedene running gags (z. B. auch Streichhölzer) eine Art roten Faden, der die – wie im Original von 1931 – episodisch gereihten Handlungsteile stilistisch zusammenhält. Auf verwandter, jedoch etwas anders gelagerter Ebene lassen sich zwei Szenen ausmachen, in denen es ebenfalls um Sprache und ihre problematische Funktionalität als Kommunikationsmedium im Film geht. Als die Kreatur nach geradezu kindlich anmutenden Augenblicken des Erwachens, in denen ein zartes, schüchternes, freundliches Lächeln ihre Augen und Mundwinkel umspielt, tollpatschig, wimmernd wie ein kleines Kind, die ersten Schritte setzt, verliert es überraschenderweise im nächsten Augenblick die Fassung, weil Igor ein Zündholz entflammt. Das Wesen greift Frederick an und würgt ihn, bis auch dessen Augen fast so weit hervorstehen wie jene von Igor. Bei dem verzweifelten Versuch, seine Gehilfen anzuweisen, dem Monster doch endlich ein Sedativ zu verabreichen, kann Frederick sich nicht präzise artikulieren, weil ihm dauernd die Luft abgedrückt wird. Anstatt ihrem Chef sofort zu helfen, beginnen Inga und Igor herumzurätseln, was die gepresst hervorgestammelten Silben und Röchel-Geräusche wohl bedeuten könnten. Sie buchstabieren letztlich «Said a give», wissen aber natürlich mit dieser inhaltsleeren Wortfolge nichts anzufangen. Kurz darauf verliert Frederick die 49
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Contenance, genauso wie zuvor das Monster, und würgt seinerseits Igor fast bis zur Bewusstlosigkeit, wenn er nicht durch Polizeiinspektor Kemp, der lautstark an der Eingangstür klopft, dabei gestört würde. Eine eigene Dimension des Sprachwitzes eröffnen die deutschsprachigen Akzente, die sowohl die Sprechweise Ingas und Frau Blüchers kennzeichnen, als auch die Sprache der Transsylvanier (darunter vor allem von Polizeiinspektor Kemp), die immer wieder deutsche bzw. deutsch klingende Begriffe in ihre Äußerungen einflechten. (Transsylvanien liegt bei Brooks nämlich irgendwo angrenzend an den bayrisch-österreichischen Raum.) Inga hat einen ausgeprägten s-Fehler, sie lispelt, was Frederick in intimen Momenten sogar übernimmt und nachahmt, wohl um seiner neuen Geliebten zu gefallen. Des Weiteren hat Inga, ähnlich wie Frau Blücher, die Gabe, treffende Neologismen zu schaffen, wie etwa «enormous Schwanz-stucker», als sie sich in der Phantasie das Gemächt der Kreatur ausmalt. Frau Blücher hingegen säuselt dem Monster liebevoll den Ausdruck «meine Seuchekopf» ins Ohr – als handelte es sich um ein Kosewort. Wortspiele infolge von Doppeldeutigkeiten und Homonymie betreffen beispielsweise Igors Aufforderung an Frederick: «Walk this way!», woraufhin der Angesprochene ebenfalls mit einem kurzen Gehstock und gekrümmt wie der Bucklige eine Treppe hinabsteigt, anstatt einfach dem ortskundigen Igor nachzufolgen. Als dann bei der Fahrt zur Burg der Frankensteins Wolfsgeheul zu vernehmen ist, was Frederick mit dem Begriff «Werewolf!» kommentiert, möchte Igor wissen: «Where wolf?», um den anschließenden Dialog, ob sich der «werewolf» nun «there» oder «there» befinde, kalauernd abzuschließen mit den Worten: «There wolf, there castle.» Derartige Wortspiele dienen zusätzlich oft überaus zweideutigen, erotischen Vergleichen und Neckereien. Wenn etwa mit riesigen, runden Türklopfern gegen den Eingang des Schlosses gehämmert wird, sodass es durch sämtliche Gemäuer hallt, und Frederick gerade Inga in den Armen hält und ihren Busen bewundert, erhält sein Ausruf «What knockers!» eine geradezu obszöne Bedeutung. Ähnlich funktioniert die Szene, in der Frederick während eines Gewitters mit einer Hebebühne auf das Dach des Schlosses gehievt werden möchte, um das Experiment der Wiederbelebung eines Toten zu überwachen. Seine Anordnung «Elevate me!» wird von Inga prompt falsch verstanden, könnte sie sich doch im Augenblick nicht recht für ein Schäferstündchen mit ihrem Chef in Stimmung bringen: «Here? Right now?» Als besonders typische Sequenz, in der die Komik von Mel Brooks in paradigmatischer Weise hervortritt (vgl. im Folgenden Gnauk 2012: 236 ff.), gilt die Episode mit der Kreatur und dem Blinden. Die Missverständnisse zwischen den beiden Figuren entzünden sich daran, dass Harold zu der Auffassung gelangt, sein Besucher sei stumm, weil er seinen Namen nicht nennt. Das Monster hingegen fühlt sich zum ersten Mal als menschliches Wesen wahrgenommen und genießt offensichtlich die respektvolle Behandlung, die es erfährt, auch wenn alles schief 50
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läuft: das Ausschenken der heißen Suppe, die Harold letztlich in den Schoß des Monsters schüttet; das Weinglas, das beim allzu heftig ausgeführten Toast-Spruch zersplittert; und schließlich die Genuss-Zigarre am Ende des Mahls, die Harold mit dem Daumen des Monsters verwechselt, weshalb sich dieser arg verbrennt und im Schock, aber ohne Aggression gegen seinen Gastgeber, aus dem Haus stürzt, bevor noch Ärgeres geschieht. Menschlichkeit und humanitäre Gesinnung erscheinen als eine peinliche Abfolge von Unfällen und Unglücken (vgl. inversion bei Harris). Körperliche Versehrungen spielen insgesamt eine große Rolle. Frederick rammt sich während der Vorlesung versehentlich ein Skalpell in den Oberschenkel, weil er über die insistierenden Fragen eines Studenten nach seinem Großvater in Rage gerät. In einer Parallelszene pflanzt sich Polizeiinspektor Kemp später ein paar Dart-Pfeile in die Prothese seines rechten Arms, was ihm natürlich keine Schmerzen verursacht, aber dennoch bzw. gerade deswegen komisch wirkt (vgl. exaggeration bei Harris). Andere Szenen wirken aufgrund ihrer inversion (s. o.): Wenn Frau Blücher die Gäste empfängt und ihnen mit einem Kerzenständer zu den Zimmern im Schloss vorangeht, brennen die Kerzen gar nicht, weil sie sich offensichtlich wie blind in dem verwinkelten Gebäude zurechtzufinden vermag; als Frederick beschließt, die Experimente seines Großvaters fortzusetzen, grinst dessen Ölporträt in der Ahnengalerie; als Igor in das anatomische Institut einbricht, um ein Gehirn zu stehlen, erschrickt er plötzlich in einem Spiegel vor sich selbst und lässt das große Einmachglas samt dem Gehirn von Hans Delbruck fallen. Ein durchgehendes Element des Films besteht in der ironischen Kritik an den Wissenschaftlern und ihrer Überheblichkeit, Eitelkeit und Machtgier. Die Demonstration von willkürlichen und unwillkürlichen Reflexen führt Frederick im Hörsaal mit Hilfe eines alten Herrn (Mr. Hilltop) durch, den er als neuen Patienten vorstellt. In Wirklichkeit zeigen dessen Reaktionen, dass es sich um eine eingespielte, oft wiederholte Lehrdarbietung handelt, um die Studierenden im Auditorium zu beeindrucken. Wissenschaftlern wie Frederick wird auch eine ziemlich verklemmte Sexualität zugeordnet; zu versponnen und theoretisch sind oft ihre abstrakten Gedanken, zu umständlich und unbeholfenen kommen ihre Annäherungsversuche bei Frauen an. So hat es Frederick mit seiner Verlobten Elizabeth nicht leicht, zumal auch sie selbst nicht frei von Eigendünkeln ist, was ihren Aufputz (Kleidung, Frisur, Makeup) betrifft. Um sich beim Abschied nicht völlig zu derangieren, hat man sich demzufolge darauf geeinigt, nur die abgespreizten Ellbogen aneinander zu reiben und verliebte Blicke auszutauschen. Mehr ist nicht drin, da Elizabeth so bigott und puritanisch veranlagt ist, dass sie Sex ohnehin erst nach der Hochzeit haben möchte. Höhepunkt der Wissenschaftsparodie ist ohne Zweifel die Tanzeinlage, die Frederick zusammen mit dem Monster auf der Bühne eines altmodischen Varietés zum Besten gibt, wobei er das Publikum als «Wissenschaftler» adressiert und Nach51
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druck auf den experimentellen Charakter der Darbietung legt. Zu den Klängen von Irving Berlins Evergreen «Puttin’ on the Ritz» vollführen die beiden daraufhin in Frack und Zylinder einen Stepptanz, der an Eleganz nichts zu wünschen übriglässt, zugleich aber aufgrund der Behäbigkeit des Monsters und des Refrains, den es auf Fredericks Zeichen hin in kaum verständlichen, gepressten Lall-Lauten mehrmals zu Gehör bringt, an grotesker Verzerrung film-musical-artiger Vorbilder nicht zu überbieten ist. (Es handelt sich demnach um eine Kombination von inclusion und exaggeration nach Harris.) Die eigenartig berührende Szene, in der das Monster für seine Leistung mit kleinen Happen belohnt wird wie ein dressiertes Zirkustier, endet in einem wahren Tumult, als ein Scheinwerfer unabsichtlich in einem feurigen Funkensprühregen zu Bruch geht und das erschreckte Monster die Flucht ergreift, quer durch den Zuschauerraum des Theaters. Nachdem es von der Polizei überwältigt und in einem Kerker in Ketten gelegt worden ist, beklagt Frederick die Situation: «Chained like a beast in the cage» – nicht bedenkend, dass er selbst das Monster vor kurzem noch keineswegs anders behandelt hat. Dass Fredericks Absichten, das Monster zu domestizieren, letztlich doch von Erfolg gekrönt sind, beweist eine Rede, die es knapp vor Filmschluss an die Dorfbewohner hält, die ihm gerade noch an den Kragen wollten: «I decided that if I could not inspire love, which was my deepest hope, I would instead cause fear. […] [Frederick] used his own body as a guinea pig to give me a calmer brain and a somewhat more sophisticated way of expressing myself.» (1:35:30 ff.) Parodistisch unterlaufen wird diese pathetische Ansprache durch Inspektor Kemp, der sich als «leader» des Dorfes aufspielt und daher als Erster dem Monster seine Hand zur Freundschaft reichen möchte – freilich eine Hand, die genauso künstlich ist (und dauernd metallische Geräusche von sich gibt) wie das ganze Monster als solches. Einmal mehr wird eine vorgeblich humanistische Geste ins Lächerliche gezogen, denn als das Monster die Prothesenhand nicht gleich loslässt (so wie sich zu Beginn des Films das Skelett von Henry Frankenstein, dem Urgroßvater von Frederick, an die Schatulle mit seinem Vermächtnis klammert), reißt sie mit einem «Plop» ab, was Kemp mit einem «Oh, shit!» quittiert.
Conclusio Mel Brooks’ Auseinandersetzung mit dem Frankenstein-Stoff, wie er sich filmgeschichtlich auf der literarischen Grundlage des Romans von Mary Shelley in vielfältigen inhaltlich-stilistischen Herangehensweisen und Verästelungen herausgebildet hat, zielt nicht einfach darauf ab, einmal mehr die tragische Geschichte einer menschenähnlichen Kreatur zu erzählen, für deren Existenz keine sexuellen Aktivitäten vonnöten waren. Brooks’ Dekonstruktivismus geht nämlich vor allem insofern über die ursprüngliche homoerotische Phantasie Shelleys hinaus (vgl. 52
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Yacowar 1981: 132 ff.), als heterosexuelle Beziehungen auf mehreren Bedeutungsebenen (von zotigen Wortspielen bis hin zur bissigen Karikatur kleinbürgerlicher Eheverhältnisse) zur Grundlage der parodistischen Neukonstellation des Originalmaterials gemacht worden sind.
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lyse: Eine Einführung, hg. Markus Kuhn, Irina Scheidgen, Nicola Valeska Weber, Berlin/Boston: de Gruyter, S. 193–208. Rose, Margaret A. 1993. Parody: ancient, modern, and post-modern. Cambridge: University Press. Schüler-Duden. Die Literatur. Hrsg. von der Redaktion für Literatur des Bibliographischen Instituts unter der Leitung von Gerhard Kwiatkowski. Mannheim/ Wien/Zürich: Dudenverlag 1980. Schweinitz, Jörg. 2006. Film und Stereotyp: Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses. Berlin: Akademie Verlag. Sturtevant, Victoria. Parody and the Postmodern.http://www.filmreference.com/ encyclopedia/Independent-FilmR o ad-Mov ies/Paro dy-PARODYAND-THE-POSTMODERN.html. Zuletzt eingesehen am 25.8.2016. Yacowar, Maurice. 1981. Method in Madness: The Comic Art of Mel Brooks. New York: St. Martin’s Press.
Zitierte Filme Frankenstein USA 1931. Regie: James Whale.
Dr. Jekyll und Mr. Hyde USA 1931. Regie: Rouben Mamoulian.
Dracula USA 1931. Regie: Tod Browning.
King Kong USA 1933. Regie: Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack. 53
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The Bride of Frankenstein USA 1935. Regie: James Whale.
The Revenge of Frankenstein GB 1958. Regie: Terence Fisher.
The Son of Frankenstein USA 1939. Regie: Rowland V. Lee.
Victor Frankenstein USA 2015. Regie: Paul McGuigan.
Rebecca USA 1940. Regie: Alfred Hitchcock.
Young Frankenstein USA 1974. Regie: Mel Brooks.
The Ghost of Frankenstein USA 1942. Regie: Erle C. Kenton.
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II Giallo Italian Gothic
Marcus Stiglegger
Das Ganze ist nichts als ein schrecklicher Traum Italian Gothic Horror und Dario Argentos Suspiria
Performativer Horror Mit treibend-rhythmischen Geräuschen sind die Vorspanntitel untermalt. Erst langsam legt sich eine einschmeichelnde Glockenspielmelodie darunter. Doch dieses ebenso kindliche wie versöhnliche Element wird bald umso unheimlicher, als eine heiser flüsternde Stimme einsetzt: die Stimme der dämonischen Mutter der Seufzer, mater suspiriorum, die ausgerechnet im süddeutschen Freiburg ihre Residenz aufgeschlagen hat. Während die junge Amerikanerin Suzy Benyon (Jessica Harper) auf dem Weg zu ihrer Ballettschule in München am Flughafen ankommt, werden zwei Schülerinnen dieser Schule auf bizarre Weise ermordet. Überhaupt entpuppt sich die labyrinthhafte Ballettschule als mysteriöse Ansammlung unheimlicher Gestalten: der blinde Pianist, die autoritäre Lehrerin, die schweigsame Haushälterin und nicht zuletzt die legendäre Besitzerin Markovich, die niemand je zu Gesicht bekommt. Suzy erhält Kenntnis von dem unerklärlichen Verschwinden einiger Mädchen und dem mysteriösen Tod des Pianisten, der von seinem Blindenhund getötet wurde. Der Schlüssel sei die «blaue Iris» – das erfährt sie gleich zu Beginn. Als schließlich ihre Freundin Sara von einem nächtlichen Ausflug im Haus nicht zurückkehrt, beschließt Suzy den Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Auf ihrem Weg durch das an M. C. Escher erinnernde Labyrinth des Gebäudes begegnet sie der Besitzerin Markovich, einer steinalten Hexe, die sich zudem als die legendäre «infernale» mater suspiriorum entpuppt. Indem Suzy die Frau tötet, vernichtet sie auch deren getreue Anhänger und letztlich das ganze Gebäude. 57
Marcus Stiglegger
1 Jessica Harper im Alptraumland (DVD Screenshot, 84 Entertainment)
Die geschilderte Handlung ist ein geradezu klassisches Märchen mit einem tapferen kleinen Mädchen, das in einem Geisterschloss die böse Hexe besiegen muss. Und die Handlung auf diese Weise nachzuerzählen, transportiert wenig von der eigentlichen Qualität, die Dario Argentos Gothic-Horrorfilm Suspiria 1977 zu einem Welterfolg machte und noch immer dessen Kultpotenzial erklärt. In Suspiria qualifizierte sich der italienische Filmemacher als Meister eines performativen Terrors, der sich aus dem Genrekino ebenso speist wie aus der klassischen Kunst. Argento entwickelte ein Kino der absoluten Gegenwärtigkeit, des beängstigenden Irrationalen, das stets auf Kritik stieß, doch retrospektiv in seinem enormen internationalen Einfluss gewürdigt werden muss. Nähert man sich Argentos Werk chronologisch, fallen zunächst unterschiedliche Schaffensphasen auf, die auf seine anfänglichen Karrieren als Filmkritiker und Drehbuchautor folgten (siehe hierzu vor allem McDonagh 1991; Gallant 2000; Jones 2011; Flintrop/Stiglegger 2013). Da Argento einer Familie von Filmschaffenden entstammt, gelang es ihm bereits 1969, seinen Debütfilm L’uccello dalle piume di cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) zu inszenieren. Er leitete die, wenn man so will, ‹unschuldige› Phase des klassischen Giallo-Thrillers ein, der den Spuren von Mario Bavas Thrillern und den deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen der 1960er-Jahre folgte. Argento blieb den Tiermetaphern im Originaltitel treu und vollendete seine Giallo-Trilogie mit Il gatto a nove code (1970, Die neunschwänzige Katze) und 4 mosche di velluto grigio (1971, Vier Fliegen auf grauem Samt). Während der erste Film noch einer klassischen Spannungsdramaturgie folgte, die auf dem Roman The Screaming Mimi von Frederic Brown basierte, entstanden die beiden folgenden Filme nach Originaldrehbüchern und stellten obskurere Erklärungsmuster ins Zentrum: Im zweiten Film geht es um ein «Killer-Chromosom» namens XYY, im dritten Film 58
Das Ganze ist nichts als ein schrecklicher Traum
um eine Kamera, die den letzten Bildeindruck auf der Netzhaut eines Verstorbenen sichtbar macht (Needham 2003). Nach dem internationalen Erfolg dieser ungewöhnlichen Trilogie strebte Argento nach einer Neuorientierung und versuchte sich an einem historischen Stoff: Mit Le cinque giornate (1973, Die Halunken) drehte er eine historische Abenteuerkomödie. Die Besetzung mit Italiens späterem Komödienstar Adriano Celentano mag rückblickend eine reine commedia italiana signalisieren, doch so einfach ist es nicht, zumal Celentano im Jahr 1973 seinen Starstatus noch nicht in vollem Umfang erreicht hatte. Der Film versuchte, den schwarzen Humor des Italo-Western mit der lockeren und erotischen italienischen Komödie sowie blutigen Actionszenen zu verbinden (Jones 2011). Schon 1975 kehrte Argento zum Giallo-Thriller zurück, reflektierte das Genre jedoch auf einer Metaebene: Profondo rosso (Rosso – Farbe des Todes; vgl. hierzu den Beitrag von Angela Fabris im vorliegenden Band) ist deutlich inspiriert durch Michelangelo Antonionis Blow-Up (1966), der ebenfalls David Hemmings in der Hauptrolle besetzte. In beiden Filmen hat Hemmings’ Charakter mit seinem Bildgedächtnis zu kämpfen, das die Auflösung eines Kriminalfalles verspricht. Durch avancierte audiovisuelle Stilismen dominiert in Profondo rosso endgültig der Stil die Erzählung und lässt die performative Qualität Argentos in den Fokus treten. Seine Stärke ist die Atmosphäre, der innovative Umgang mit Licht, die Entfesselung der Kamera und der mitunter kontrapunktische Einsatz von Sound und Musik. Die entfesselte Kamera funktioniert in den Filmen von Dario Argento als performative Kadenz. In der Musik bezeichnet man das eingeschobene Solospiel eines Instruments im Kontext der gesamtorchestralen Darbietung als Kadenz. Eine solche Kadenz kann die Virtuosität des Interpreten beweisen, aber auch die Aufmerksamkeit des Publikums auf besondere Weise fesseln, denn statt des Zusammenklangs aller beteiligten Elemente tritt hier eines in den Vordergrund und lässt z. B. ein bestimmtes Motiv noch einmal auf andere, reduzierte Weise erklingen. Kadenzen sind somit von Kontrastmomenten geprägt, die die Aufmerksamkeit des Rezipienten unwillkürlich fesseln. Überträgt man den Begriff der Kadenz auf das Medium Film, erscheinen Momente purer Kinetik als geeigneter Moment, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers mittels einer performativen Kadenz zu fesseln. Die performative Kadenz gehört somit zu den seduktiven Strategien des Films, die dessen narrativen Fluss überschreitet und in letzter Konsequenz sogar zerbricht (Stiglegger 2006: 210–211). Dario Argento hat mit den Besten ihres Fachs gearbeitet: mit den Kameraleuten Vittorio Storaro, Luigi Kuveiller, Luciano Tovoli (Suspiria), dem Engländer Ronnie Taylor und Giuseppe Rotunno. Sie alle motivierte er zu radikaler Bildakrobatik, denn um die Körperlichkeit des ‹Cinematic Body› (Shaviro 1993) zu evozieren, eignen sich einige filmische Mittel: Neben einer dronebasierten Tongestaltung und suggestiven Montage sind das die intensiven Kamerabewegungen, die Kadenz der Kamera. Historisch muss vor allem die Einführung und Benennung der ‹entfessel59
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ten Kamera› als wichtiger Schritt betrachtet werden. Der Dutch angle ist im Amerikanischen ein stehender Begriff für verkantete oder anderweitig außergewöhnliche Kamerapositionen und Bewegungen. Dabei kommt Dutch hier nicht von holländisch, sondern von deutsch, was auf die Kreativität und Experimentierfreude der deutschen Filmschaffenden in den 1920er-Jahren verweist, unter denen sich der Kameramann Karl Freund besonders profilierte. Seine Kameraarbeit in Friedrich Wilhelm Murnaus Der letzte Mann (1924) wird häufig als der erste Film mit entfesselter Kamera gewertet. Waren bis dahin die Kameras meist auf Holzstativen montiert, die nur behäbige horizontale und vertikale Bewegungen zuließen, brachte Freund die Kamera beispielsweise auf einem Fahrrad oder einem primitiven Kamerawagen an bzw. schnallte sie sich vor die Brust. Solche entfesselten Szenen bleiben jedoch stets streng funktional und narrativ, so bleiben lineare Blickbzw. Bewegungsachsen sowie der Point of View gewahrt. Die entfesselte Kamera bei Argento entfesselt jedoch auch den Blick selbst: Der Betrachterstandpunkt ist nicht immer motiviert und mitunter auch an unerwartete Objekte und Wesen gebunden, etwa einen steineren Adler auf dem Münchener Königsplatz in Suspiria. Die entfesselte Kamera erkundet Argentos bizarre visuelle Labyrinthe, die ebenso an Piranesis Carceri wie an Eschers Tableaus erinnern. Es sind Architekturen des Albtraums, undurchschaubar verschachtelte Räume, die in meist unmotivierten, primärfarbigen Lichtquellen erstrahlen.
Gotico italiano Diese Handschrift mündete schließlich in eine der bis heute von Argento bewahrten Hauptströmungen seines Œuvres: seine spezielle Vision eines Italo-Gothic-Stils, des Gotico italiano. Gothic fiction ist die unheimliche Tradition in der Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts – vertreten etwa durch Edgar Allan Poe, Bram Stoker und Mary W. Shelley –, doch gefiltert durch Expressionismus und Existenzialismus muss das ‹Gothic-Gefühl› als ein nahezu zeitloses Phänomen betrachtet werden, das immer wieder einen zeitgemäßen Ausdruck finden wird. Noch die spätromantischen Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts lebten in dem Bewusstsein einer verfallenden Kultur, die sie in ihrer Kunst auf beklemmende Weise reflektierten: Degeneration, Deformation, Krankheit, Tod, erotische Extravaganz, Vampirismus – der lange Schatten der Schwarzen Romantik prägte selbst spätere Texte von Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud, Oscar Wilde und Joris-Karl Huysmans. Zahlreiche der damals etablierten Elemente kehren bis heute wieder. Und auch das gegenwärtige Kino zelebriert eine Wiederkehr der gothic fiction, der Irrationalität der Schwarzen Romantik aus der Literatur. Ausgehend von Horace Walpoles Schauerroman The Castle of Otranto (1764) lassen sich einige essenzielle Motive des Gothic-Phänomens isolieren, die nicht nur 60
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für entsprechende Literatur, sondern nachhaltig auch für Subkultur, Film und die populäre Musikszene gelten: Die Atmosphäre wird beherrscht von einem Geheimnis, von oft unerklärlichen, irrationalen Vorgängen. Oft steht eine uralte, mythische Prophezeiung im Hintergrund, mit der das Figurenarsenal oder der Schauplatz schicksalhaft verknüpft sind. Visionen und (Alb-)Träumen kommt gerade in diesem Kontext eine tragende Bedeutung zu. Als Schauplatz dient dabei nicht selten ein sehr altes Gebäude, oder aber explizitere Orte des Todes: abgelegene Gebiete, Schluchten, Ruinen oder Friedhöfe. Hinzu kommt ein meist unüberschaubares Ausmaß dieser Orte und Gebäude, eine mythische Größe, die das Individuum unter sich zu begraben scheint. Menschliche Konflikte erreichen in diesem pathetischen Umfeld mitunter hysterische Dimensionen: Panik, Angst, Trauer, Wut, Begierde, Leidenschaften aller Art tragen das Ihre zum Exzess der GothicAtmosphäre bei. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen daher oft fragil anmutende Protagonistinnen, die unverhofft in beklemmende Zusammenhänge geraten und am Ende um ihr Leben kämpfen müssen. Eine genderspezifische Zuschreibung ‹weiblicher Schwäche› wird dabei oft unterwandert: Die Gothic-Heroin entwickelt ihre eigenen Mechanismen der Aktion und Gegenaktion – gerade, wenn sie sich dem destruktiven Begehren eines bösartigen Mannes ausgesetzt sieht. Auch andere Modelle romantischer Verflechtung ordnen sich dem morbiden Setting unter: unerfüllte Liebe, einseitige Leidenschaft, endgültiger Abschied, der gemeinsame Liebestod und natürlich das disharmonische Liebesdreieck. All diese Konstrukte werden ins Irrationale gesteigert durch ein symbiotisches Zusammenspiel von Fabel, Setting, Atmosphäre und Charakterzeichnung. Gerade in Dario Argentos Italo-Gothic kehren auch die Metonymien der gothic fiction wieder: deutlich zuzuordnende Stereotypen, die eine Atmosphäre des Unheimlichen beschwören sollen (Gewitter, Sturm, undefinierbare Geräusche, Klirren, Knarren, flackerndes Kerzenlicht). Zuvor hatten sich die Horrorfilme der britischen Hammer Produktion und Roger Cormans Poe-Adaption der 1960er-
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Jahre ausgiebig dieser Mittel bedient, doch das Unheimliche, Morbide und Okkulte wurde von Argento radikal gesteigert und in eine Gothic-Essenz transformiert. Mit dem märchenhaft konstruierten Suspiria gelang es Argento, diesen Schritt in Richtung eines neuen Horrorkinos zu unternehmen. Wie Alice hinter den Spiegeln ließ er seine mädchenhafte Heldin durch die Escher’sche Architektur einer Freiburger Tanzakademie streifen und dort auf die mythische mater suspiriorum treffen. In Horror Infernal (1980, Inferno) setzte er diesen Weg noch radikaler fort und ließ die Erzählung völlig unter verschiedenen Protagonisten aufsplittern. Der finale Tod der mater tenebrarum wurde von seinem filmischen Vorbild Mario Bava kurz vor dessen Tod veredelt. Erst Phenomena (1985, Phenomena) führte wieder eine Kriminalerzählung ein, die mit phantastischen Elementen gekoppelt wurde. Und mit dem Episoden-Film The Black Cat aus Two Evil Eyes (1990, Due occhi diabolici) widmete sich Argento direkt einer Adaption seines literarischen Idols Edgar Allan Poe, dessen gleichnamige Kurzgeschichte er mit Harvey Keitel in der Hauptrolle modernisierte und in Koproduktion mit George A. Romero umsetzte, dessen Zombiefilm Dawn of the Dead (1978, Zombie) er bereits in Italien vermarkten half. Ungewöhnlich ist die märchenhaft reduzierte Gothic-Adaption Il Fantasma dell’opera (1998, Das Phantom der Oper), in der Julian Sands einen nicht entstellten, aber missachteten Komponisten spielt, der in den Gewölben der Pariser Oper sein Unwesen treibt. Mit dieser zweiten Umsetzung eines klassischen Gothic-Stoffes war der Weg für den aktuellen Dracula 3-D (2012) bereits geebnet. Und mit La terza madre (2007, The Mother of Tears) konnte auch die berühmte Trilogie der drei Mütter ihren Abschluss finden, wobei hier – wie zuvor in Phenomena – phantastische und sehr reale Elemente sich durchdringen. Die 2005 und 2006 für die amerikanische Pay-TV-Serie Masters of Horror inszenierten Vignetten Jenifer (Jenifer) und Pelts (Pelts– Getrieben vom Wahn) zeigten Argento als Regisseur von internationalem Format, ließen jedoch seine Handschrift nicht vollkommen zur Entfaltung kommen.
Die Mutter der Seufzer In der Karriere des ehemaligen Filmkritikers Dario Argento bildet Suspiria samt seiner Fortsetzung Inferno eher eine Ausnahme. Suspiria fügt den aus Argentos ersten Filmen bekannten Elementen einen hohen Stilisierungsgrad bei. Die Handlung begnügt sich mit einem bloßen Gerippe, das Hauptaugenmerk liegt auf den ausführlich präsentierten Morden, die von den diabolischen Klängen der Goblins («Kobolde») nahezu hysterisch überhöht werden. Zudem scheut Argento nicht mehr vor metaphysischen Elementen zurück, die er bisher mit überstrapazierten ‹logischen› Erklärungen gemieden hatte. Suspira (der Titel spielt auf das Atmen der alten Frau an) präsentiert eine durch und durch künstliche Welt voller Bedro62
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3 Bizarre Tode, Ästhetik der Form (Screenshot, 84 Entertainment)
hungen, die keiner Erklärung mehr bedürfen: sei es die Mechanik der Schiebetür, der Wind, der Suzy ins Gesicht weht, der undurchdringliche Regen zu Beginn, der Blindenhund oder die Drahtrollen, in denen sich ihre Freundin verfängt. Argentos Begriff von Grauen deckt sich mit audiovisuellem Terror. Er erschafft eine albtraumhafte Welt, die nur von drei Farben dominiert scheint (blau-gelb-rot) und sich in der labyrinthartigen Architektur die Zeichnungen Eschers realisiert. Die Protagonistin erweist sich als Spielball ihres grauenvollen Schicksals, einer Welt, in die sie mehr und mehr eingesogen wird, und aus der sie sich lediglich in panischer Flucht befreien kann. Die Existenz des Grauens ist garantiert – auch wenn das befreiende Lachen der Überlebenden angesichts des lodernden Feuers am Ende Gegenteiliges zu suggerieren scheint. Suspiria präsentiert auf eindrucksvolle Weise den expressiven Stil des Horrorregisseurs Argento und kann durch die pointierte Inszenierung als Prototyp des italienischen Horrorfilms der späten siebziger und frühen achtziger Jahre stehen. Suspiria erzählt im Grunde eine an Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln erinnernde märchenhafte Fabel in der literarischen Tradition der Schwarzen Romantik des 19. Jahrhunderts. Wie eine ‹Alice im Alptraumland› lässt er seine Heldin durch die Escher’sche Architektur des Jugendstilgebäudes irren. Das Grauen ergibt sich dabei aus den unheimlichen Räumen: Die unheimlichen Räume von Suspiria gehorchen, genau so wie die unmöglichen Architekturen in den Zeichnungen Eschers, nicht mehr der euklidischen Geometrie. Es sind topologisch verkrümmte Wahngebilde, aus denen es kein Entrinnen geben kann, weil man am Ende eines Ganges immer nur an dessen Anfang steht. (Binotto 2013)
Visuell ist Suspiria also von Escher inspiriert, vom Théatre du Grand Guignol, aber auch vom klassischen Märchen und seinen Adaptionen. So gibt es zahlreiche 63
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visuelle Zitate aus dem Walt Disney-Zeichentrickfilm Schneewittchen (1939), dessen expressives Farbschema hier nachempfunden wird. Die okkulten Elemente des Films sind metaphorisch zu betrachten (Argento selbst ist Katholik), deutlicher dagegen sind die Bezüge zur psychedelischen Phantastik der Schriften von Thomas de Quincey. Argento greift die delirierenden Schilderungen aus dessen Confessions of an English Opium Eater (1821) und De Profundis (1845) auf, um sie zu einer originellen filmischen Vision zu verdichten. Während sich Argento selbst nach Inferno erneut dem Giallo-Thriller zuwandte (etwa in Opera, 1985), wiesen einige Werke von Argentos Kollegen deutliche Züge Suspirias auf, am gelungensten wahrscheinlich Lucio Fulcis Die Geisterstadt der Zombies (1980), der einiges von der ‹alogischen›, albtraumhaften Intensität des Vorbildes bewahren konnte. Die spezielle Farbtrennungstechnik, die eine scharfe Unterteilung des filmischen Bildes in ‹reine› Farbflächen bewirkt, beeinflusste u. a. die Leopardenbaumträume aus Paul Schraders Cat People (1981, Katzenmenschen) und den Stil von La lune dans le caniveau (1982, Der Mond in der Gosse) von Jean-Jacques Beineix. Wegweisend war auch die Tongestaltung des Films, die Musik, welche später auch in anderen Medien immer wieder zitiert wurde (u. a. als Untermalung bei den olympischen Sommerspielen, im Synchronschwimmen 2012). Suspiria ist ein Film von erschreckender wie faszinierender Schönheit, dessen Blickdramaturgie immer wieder Täuschung und Irritation hervorbringt. «Alles ist Form in Suspiria, die reine Abstraktion,» so Schnelle und Thiemann (2010: 66). Die Bedrohung kann hier förmlich aus dem Nichts kommen, bleibt aber entsprechend irreal. Argento ist stets darauf bedacht, die Künstlichkeit des Geschehens zu betonen. Hierin liegt seine Hinwendung zu einem performativen Kino der Sinne. «Ohne dass es der Film betonen muss, ist es doch klar,» schreibt Georg Seeßlen in seinem Handbuch Horror: Grundlagen des populären Films (2006: 379), «das Ganze ist nichts als ein schrecklicher Traum.» Der Spielfilm Suspiria ist bis heute ein Werk von hohem künstlerischen Wert und internationalem Einfluss. Als solches wird es vor allem in der englischsprachigen Filmliteratur gewürdigt. Mehr ein Fantasy- und Märchenfilm als ein Horrorfilm, ist Suspiria in seiner ausgestellten Künstlichkeit fern vom grausamen Naturalismus aktueller Horrorproduktionen und kann daher durchaus als später Vertreter eines surrealistischen Kinos im Gefolge von Luis Buñuel betrachtet werden.
Nachwirkungen Bevor Suspiria in Deutschland 2015 von seiner Indizierung befreit war und wieder offen beworben werden konnte, waren vor allem die ästhetischen Zitate und Einflüsse bekannt, oft jedoch ohne dass sich das Publikum darüber bewusst war. 64
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Lag dieser Einfluss bei Amer (2009) von Hélène Cattet und Bruno Forzani oder Berberian Sound Studio (2012) von Peter Strickland noch vergleichsweise nah, dachten bei dem Martial-Arts-Drama Only God Forgives (2013) und seiner exzessiven Primärfarbpalette die wenigsten an das vierzig Jahre ältere Vorbild. Dario Argento hatte sich nach einer Reihe von erfolgreichen Giallo-Thrillern mit diesem Film künstlerisch neu erfunden, indem er an etwas sehr Archaischem, Primordialem rührte. Er kreiert eine Art filmische Ursituation, die uns als Zuschauer in eine ähnliche Situation zwingt wie die Protagonistin: Wir werden selbst wieder zum Kind, das mit offenem Mund, aufgerissenen Augen und starr vor Schrecken auf die Leinwand blicken soll, um dort zu bezeugen, wie das Medium in extremen Klängen und Farben zu sich selbst kommt; wie es aufgeht in Form, Textur, Klang und Bewegung; wie es nach einem Moment absoluter Intensität und Gegenwärtigkeit strebt. Genau das lässt Argentos Stil ‹performativ› erscheinen: weil er nach dem Ereignis strebt statt nach der Erzählung. Und das lässt den Film so zeitlos erscheinen und jenseits üblicher Urteile hindurch gleiten. Die filmische Ursituation – glaubt man den filmhistorischen Mythen – ist ängstliches Staunen, das Überwältigtwerden von der real anmutenden Dynamik, Fasziniertsein von dem aktuellen Geschehen, das quasi in Echtzeit vor den Augen abläuft. Als die filmische Langform erstmals erschien, war das Medium bereits fast zwei Jahrzehnte alt. Dario Argento sehnt sich nach einem solchen cinéma pur, einem nicht-literarischen Kino der ‹Sensation›, etwa im Sinne von Gilles Deleuze – also die Sinne direkt angehend. Echtes Kino ist stets ein solcher Angriff auf die Sinne. Suspiria ist von Beginn an konfrontativ. Kaum hat man das aufwühlende Titelthema überstanden, gleiten die Glastüren des Münchener Flughafens zur Seite und lassen den Regenschutt uns ungehindert ins Gesicht klatschen. Dazu braucht es keine Vorgeschichte – wir sind bereits mitten drin. Suspiria ist in Patricia MacCormacks (2008) Sinne ein cinesexuelles Erlebnis: Farben, Texturen und Formen brennen sich förmlich in unsere Retina ein, dringen durch das Auge in unseren Körper und unser Gehirn vor. Argento penetriert uns förmlich mit allen Mitteln, er stellt keine Sexualität auf der Leinwand dar, sondern er evoziert diese durch den gezielten Angriff auf unseren Körper: cine-sexuell. Er dringt mit seinen Eindrücken in die Sinne ein wie ein Virus – durch seine «contageous allegories» (Shaviro 1993: 83–106). Und dieser Virus setzt sich in unserer Wahrnehmung fest – dann im Bewusstsein – und schließlich in der Erinnerung. Das hinterlässt Spuren, diffuse Impressionen, aber auch konkrete Bilder, die einen nie mehr loslassen. Genau hierin liegt die seduktive Kraft des Kinos im Sinne der Seduktionstheorie des Films (Stiglegger 2006). Hier liegt auch der Schlüssel zum Verständnis der aktuelleren Filme von Nicolas Winding Refn (speziell Only God Forgives und The Neon Demon, 2016). Refn ist zweifellos von Suspiria infiziert worden, und er verbreitet den Virus nun selbst durch infektiöse Bilder (in diesem Sinne auch Klang-Bilder). 65
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4 Jessica Harper in einer Welt der Riesen (Screenshot, 84 Entertainment)
Wer in seinen letzten Filmen nach dem Plot sucht, wird verzweifeln oder aufgeben. Wer sich aber willig öffnet für eine sinnliche Attacke auf die Wahrnehmung, wer dieses Serum in sich strömen lässt, wird belohnt. Das Geheimnis des Films bleibt seine hermetische Architektur, denn diese will sich auch nach unzähligen Sichtungen nie ganz offenbaren, lässt offene Enden, rätselhafte Verbindungsgänge und unerwartete Türen zurück. Was von einem konservativen Blick gerne als Inkohärenz kritisiert wird, ist hier eine Art Howard Philipp Lovecraft’sches Prinzip der Auflösung des Irdisch-Verlässlichen hin zu einem kosmischen Grauen, das sich der menschlichen Vorstellungskraft bereits auf dieser scheinbar banalen Ebene entzieht. Und mit Blick auf die Protagonistin erscheint es dabei wichtig, dass wir mit ihr buchstäblich auch zur Kind/Frau werden, denn diese Architektur ist scheinbar für Riesen gebaut: Die Türklinke ist auf Augenhöhe im Haus der Hexen – Suzy wird zu einer Alice im Albtraumland bei der Erkundung dieser Topographie der Angst. Mit großen, aber wachen Augen erschließt sie diese Topographie ganz rational: durch das Mitzählen von Schritten. Jessica Harpers Figur ist dabei nicht nur ein kindlichtrotziges Final Girl, sondern eine Detektivin, die dem Irrationalen die Aufklärung entgegenstellt. Sie ist im modernen Sinne eine Heldin – und tatsächlich bringt sie eine (temporäre) Lösung für das Hexenproblem, das in Flammen aufgeht. In Inferno scheint das nicht mehr so recht zu funktionieren am Ende, denn obwohl dieses Sequel die Auflösung narrativ noch weiter treibt, will Argento dort nicht auf das exorzierende Ende verzichten. Bei Suspiria macht das noch mehr Sinn. Das ist an Suspiria von bleibendem Wert: Der Weg hin zur totalen Auflösung des Verlässlichen. In Filmen wie dem Science-Fiction-Drama Under the Skin (2013) von Jonathan Glazer bieten generische Mechanismen keinen Halt mehr. Nicht einmal der Protagonistin (Scarlett Johanssen) gelingt die Menschwerdung – was bei Argento noch märchenhaft-metaphorisch anmutete, ist in den letzten zwei Jahrzehnten einem bangen Bewusstsein gewichten, dass die Welt selbst der kosmische Abgrund sein könnte, dass der Ruf des Cthulhu sich am Ende als das Echo von unzähligen menschlichen Schmerzensschreien erweisen könnte. Dann sind wir in der Welt von The Neon Demon. 66
Das Ganze ist nichts als ein schrecklicher Traum
Literaturverzeichnis Binotto, Johannes. 2013. Tat/Ort. Das Unheimliche und sein Raum in der Kultur. Zürich: Diaphanes. Flintrop, Michael, Marcus Stiglegger (Hrsg.). 2013. Dario Argento. Anatomie der Angst. Berlin: Bertz + Fischer. Gallant, Chris (Hrsg.). 2000. Art of Darkness. The Cinema of Dario Argento, Surrey: FAB Press. Jones, Alan. 2011. Dario Argento. The Man, the Myth, and the Magic, Surrey: FAB Press. MacCormack, Patricia. 2008. Cinesexuality. Aldershot: Ashgate. McDonagh, Maitland. 1991. Broken Mirrors, Broken Minds. The Dark Dreams
of Dario Argento. London: Sun Tavern Fields. Needham, Gary. 2003. «Playing with genre: defining the Italian giallo». In: Schneider, Steven J. (Hrsg.). Fears Without Frontiers. Horror in the World Cinema. Surrey: FAB Press, S. 136f Schnelle, Frank, Andreas Thiemann: Die 50 besten Horrorfilme. Berlin: Bertz + Fischer. Shaviro, Steven. 1993. The Cinematic Body. Minneapolis/London: University of Minnesota. Stiglegger, Marcus. 2006. Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film. Berlin: Bertz + Fischer.
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Angela Fabris
Ein Labyrinth aus Schein und Sein Intertextuelle Bezüge zu den Filmen Mario Bavas in Dario Argentos Giallo Profondo rosso
Mario Bava In den 1960er-Jahren entstand in Italien mit dem sogenannten Giallo ein neues Filmgenre, das von Anfang an ein hohes Maß an Originalität besaß. Mit La ragazza che sapeva troppo (1963, engl.: The Girl Who Knew Too Much1) und Sei donne per l‘assassino (1964, dt.: Blutige Seide) legte der Italiener Mario Bava die Grundsteine dieses Genres. Sein Film La maschera del demonio (1960, dt.: Die Stunde, wenn Dracula kommt) markiert zudem den Beginn des italienischen Gothic Horrorfims. Bava (1914–1980), der ursprünglich Kunst studiert hatte, besaß ein ausgeprägtes Gespür für visuelle Komposition und Farbdramaturgie, das er für sein Filmschaffen zu nutzen wusste, zunächst als Kameramann, später als Regisseur. Insbesondere die expressive Farbgebung entwickelte sich zu einem Markenzeichen seiner Filme, in denen die Grenzen zwischen Giallo, Horrorfilm und Thriller häufig verschwimmen.2 Andere Regisseure wurden schon bald von Bavas Ideen beeinflusst und zollten dem Horrorspezialisten in ihren Filmen durch intertextuelle Referenzen Hommage. Ein Beispiel hierfür bietet der Giallo Profondo rosso (1975, dt.: 1 2
Der Titel ist natürlich eine Hommage an Alfred Hitchcock. Einen deutschen Verleihtitel gibt es für diesen Film nicht. Zum italienischen Giallo siehe Seeßlen, Jung 2006: 258–279, Hutchings 2016: 79–92 und Olney 2013: 103–141.
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Angela Fabris
Rosso – Farbe des Todes), ein Meisterwerk des Genres, geschaffen von dem jungen Regisseur Dario Argento (* 1940).3 In diesem Film lassen sich zahlreiche intertextuelle Referenzen erkennen, u. a. an Bavas La ragazza che sapeva troppo.4 Die Handlung von La ragazza che sapeva troppo beginnt an Bord eines Flugzeugs, das auf dem Weg nach Rom ist. Man sieht eine attraktive, blonde Frau, Nora Davis (Letícia Román), die einen Kriminalroman liest. Bei dieser Lektüre handelt es sich um einen selbstreflexiven Hinweis auf den literarischen Ursprung des filmischen Giallo, dessen Name auf den gelben Einband der populären Kriminalromane zurückgeht, die in Italien in den Dreißigerjahren – die Buchreihe erschien seit dem Jahr 1929 – vom Verlag Mondadori herausgegeben wurden. Die filmische Variante des Giallo wurde maßgeblich durch Bavas geniale Einfälle geprägt. Ein Beispiel hierfür bietet der Prolog von La ragazza che sapeva troppo, dessen Bilder und Musik die Zuschauer auf eine falsche Fährte locken sollen. In der Eröffnungssequenz, die wie eine harmlose Tourismuswerbung wirkt, hört man ein Lied aus dem Off, das mit den Zeilen «Non vivo più, non voglio più l’amore / perché l’amor vuol dire amar solo te / voglio soffrir, soffrire tu, odiare / dimenticare cosa sei stata per me» beginnt. Dieser Titelsong «Furore», gesungen von Adriano Celentano, untermalt die Ankunft der Protagonistin in Rom und suggeriert dem Publikum, dass der Film einen romantischen oder sentimentalen Plot haben wird, denn der Text des Liedes handelt von einer zerbrochenen Liebe. Hierbei handelt es sich um eine effektive Form der Rezeptionslenkung: Da die Zuschauererwartung in Richtung einer Liebesgeschichte geht, kann die eigentliche grausame Handlung des Films eine umso überraschendere Wirkung entfalten. Diese Form der Emphatisierung der Tonspur bildet den Auftakt zu einem Spiel mit den Erwartungen und Enttäuschungen der Zuschauer bzw. zu einer wiederkehrenden Herausforderung des Publikums durch den Regisseur Mario Bava. Ein leitmotivisch verwendeter Soundtrack ist ein Grundelement, das auch in Profondo rosso eine wesentliche Rolle spielt. Alles beginnt mit einem mysteriösen Kinderlied (gesungen von einem Knaben), das aus dem Off erklingt, während das Schattenbild eines Messerstiches gezeigt wird (0:51–1:16). Der Kontrast zwischen den gewalttätigen Bildern und der Musik ist umso größer, als der weitere Vorspann des Films mit einer dissonanten Mischung aus Jazz, progressivem Rock und Heavy Metal untermalt ist. Welch große Bedeutung der vielstimmige Soundtrack für Profondo rosso besitzt, kann man in der nächsten Sequenz erkennen, als der Protagonist des Films zum ersten Mal auftritt. Es handelt sich dabei um den englischen Jazzkomponisten Marcus Daly (David Hemmings), der seiner Band sein musikalisches Credo mitteilt: 3 4
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Siehe Landy 2016: 93–110. Zum Intertextualitätsbegriff siehe Helbig 1996: 58–63. Zur Systematik intersemiotischer Beziehungen siehe Helbig 2008.
Ein Labyrinth aus Schein und Sein
Okay, okay, stopp. Großartig. Wirklich. Das war wirklich sehr gut. Vielleicht ein bisschen zu gut. Zu sauber. Zu präzise. Formelhaft. Er sollte eher dreckig klingen. Wissen Sie, worauf ich hinaus will? Bedenken Sie, dass diese Spielart des Jazz in den Bordellen entstand … und demnach auch viel verruchter und freier klingen sollte. (01:53–02:56)5
Dieses musikalische Konzept – die Vorliebe für eine unperfekte musikalische Aufführung – spiegelt sich in der unheimlichen und beängstigenden Melodie wider, die mit Folkgitarre, Bass, Cembalo, Minimoog und Schlagzeug von der italienischen Rockband Goblin produziert wurde.6 In Profondo rosso trägt der durch progressiven Rock und ein Kinderlied geprägte Soundtrack wesentlich dazu bei, die filmische Spannung zu erhöhen, indem er bestimmte Ereignisse vorausdeutet (vgl. Hatch 2016: 182–187). Die Musik unterstützt daher maßgeblich die Narration und beeinflusst durch ihre zwei kontrastiven Leitmotive – das Rockmotiv begleitet die Vorbereitungen des Serienkillers, während das Kinderlied einen bevorstehenden Mord ankündigt – nachhaltig die emotionale Wirkung auf die Zuschauer. Die Musik trägt somit maßgeblich zur Einheit des Films bei (vgl. Gorbman 1987: 73–91). In La ragazza che sapeva troppo greift Mario Bava auf eine Konvention der Kriminalliteratur und des Film Noir zurück, indem eine männliche Stimme aus dem Off die Absichten und Gedanken der Protagonistin Nora Davis verrät. Dabei nimmt der Film zwar eine Diskrepanz zwischen der männlichen Stimme und der weiblichen Darstellerin in Kauf, erhält dadurch aber eine zusätzliche intertextuelle Dimension. Bava knüpft explizit und fast ironisch an die literarische Tradition an, wenn etwa der heterodiegetische voice-over-Erzähler in pedantischer Weise erklärt: «Jetzt suchte sie Rat bei ihren Freunden, den Krimis, bei Edgar Wallace, Mickey Spillane und Agatha Christie» (36:05–36:14). In dieser Hinsicht ging Dario Argento einen anderen Weg als Mario Bava. Anstelle literarisch konnotierter Erzähltechniken bevorzugte Argento stets rein filmische Lösungen, also eine visuelle Repräsentation des Geschehens.
Ein Labyrinth aus Schein und Sein Ein weiteres Element, das Dario Argento von Bavas La ragazza che sapeva troppo übernahm, ist das Motiv einer (möglicherweise) trügerischen Erinnerung und die damit verbundene Frage, ob ein Ereignis authentisch oder imaginär ist. In Rom wohnt Nora Davis bei einer kränklichen Freundin ihrer Mutter, die kurz 5 6
Es handelt sich hierbei um die deutschen Untertitel auf der DVD. Im Gegensatz zu der deutschen Synchronfassung des Films geben die Untertitel die italienische Originalfassung korrekt wieder. Der Soundtrack von Profondo rosso blieb 52 Wochen lang auf dem ersten Platz der italienischen Charts, vgl. Lanzo/Fanelli 2009: 78.
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nach Noras Ankunft eines natürlichen Todes stirbt. Da das Telefon nicht funktioniert, läuft Nora zum Krankenhaus, um den behandelnden Arzt zu verständigen. Unterwegs wird sie an der Spanischen Treppe überfallen und niedergeschlagen und verliert kurzfristig das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kommt, beobachtet sie eine Gestalt, die ein Messer aus dem Rücken einer toten Frau zieht. Daraufhin wird Nora erneut ohnmächtig. Als sie später der Polizei erklärt, Augenzeugin eines brutalen Mordes gewesen zu sein, will niemand ihre Geschichte glauben, da es keine Hinweise auf ein Verbrechen gibt. Man hält Noras Beobachtung für eine Halluzination, zumal ihre Glaubwürdigkeit dadurch erschüttert wird, dass sie sich nicht an alle Details erinnern kann. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen dem, was jemand gesehen hat, und an was er sich erinnert, entsteht auch am Beginn von Profondo rosso. Wie in La ragazza che sapeva troppo gibt es für den ersten Mord, der in seiner ganzen blutigen Entwicklung gezeigt wird, ebenfalls einen Augenzeugen: Während Marcus Daly mit einem Freund einen Platz in Rom7 überquert, sieht er, wie in einem Wohngebäude offenbar eine Frau auf brutale Weise angegriffen wird. Er rennt zu der Wohnung und betritt sie, kommt jedoch zu spät, denn die Frau ist bereits tot. Als er später von der Polizei zu den Vorgängen befragt wird, glaubt er, ein wichtiges Detail vergessen zu haben. Während im Fall von Nora Davis das Verhältnis zwischen Realität und Erinnerung gänzlich in Frage gestellt wurde,8 gibt es bei Marcus Daly also lediglich eine problematische Lücke in seinem Gedächtnis, eine Lücke, die er den ganzen Film über zu füllen versucht. Die Ähnlichkeiten zwischen La ragazza che sapeva troppo und Profondo rosso enden hiermit jedoch noch nicht. Wie in Filmkritiken oft betont wurde, sind die Protagonisten beider Filme Ausländer, die sich vorübergehend in Italien aufhalten. Im einen Fall handelt es sich um die Amerikanerin Nora Davis, im anderen um den Briten Marcus Daly, verkörpert durch den Schauspieler David Hemmings, dessen Gesicht vor allem durch Michelangelo Antonionis Blow-Up (1966) bekannt wurde. Dario Argentos Entscheidung, David Hemmings für die Hauptrolle zu casten, dürfte kein Zufall gewesen sein. In Blow-Up spielte Hemmings einen Londoner Fotografen, der auf einigen von ihm selbst angefertigten Fotografien nach verborgenen Details sucht, die möglicherweise auf einen Mord hindeuten. Ganz ähnlich wie der Fotograf in Antonio nis Film anhand einer bildlichen Repräsentation ein (reales oder vermeintliches) Verbrechen zu rekonstruieren versucht und sich letztlich in einem Labyrinth aus Schein und Sein verstrickt, sucht auch Marcus Daly in Gemälden und in den verschwommenen Bildern seines Gedächtnisses nach der Wahrheit. In beiden Filmen 7 8
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Die Handlung spielt in Rom, der Film wurde jedoch zu großen Teilen in Turin gedreht. Erst später stellt sich heraus, dass sich Noras Erinnerung nicht auf das angegriffene Opfer, sondern auf die angreifende Täterin bezieht (vgl. Stiglegger 2013: 19).
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werden mithin anhand eines verlorenen Details die Grenzen zwischen der Realität und deren künstlerischer Repräsentation gezielt aufgelöst. Aufgrund des intertextuellen Bezugs zu Michelangelo Antonionis auteur-Kino gewinnt Profondo rosso an Komplexität und semantischer Tiefe. Obwohl der italienische Giallo in den Sechzigerjahren oft unterschätzt wurde, sind auch viele Filme dieses Genres echtes auteur-Kino. Dies drückt sich auch dadurch aus, dass das Genre neue stilistische und ästhetische Normen geschaffen hat. Ähnliches gilt für das Mordmotiv, das, wie gleich deutlich wird, dem Gebiet des Obskuren und Irrationalen zugeordnet wird.
Das Trauma Einige der typischen Merkmale des Genres sind schon in La ragazza che sapeva troppo angelegt.9 Hierzu zählt die häufig wiederkehrende Figur eines Amateurdetektivs (in diesem Fall eine Frau), der aus Neugier versucht, das Geheimnis einer Serie besonders gewalttätiger Morde aufzuklären. Ein weiterer Aspekt dieses Films, der später zu einer Konvention des Giallos wurde, ist die Präsenz eines bedrohlichen und mysteriösen Serienkillers. Dieser tritt in La ragazza che sapeva troppo allerdings noch nicht in der für den Giallo typischen Ikonographie auf: Er trägt keine schwarzen Handschuhe, keinen dunklen Mantel und keine Maske. Sein Aussehen kann man nur aus Berichten und Presseartikeln entnehmen. Erst in der letzten Szene des Films wird die Identität des Mörders (bzw. in diesem Fall der Mörderin) aufgedeckt. Das Motiv für die Morde bleibt in diesem Film indes ungeklärt. Die Zuschauer erfahren lediglich, dass die Mörderin eine gestörte Psyche besitzt und unter einem nicht näher spezifizierten pathologischen Zustand leidet. Profondo rosso bietet dem Publikum hingegen am Schluss eine Erklärung. In Argentos Film werden die zahlreichen und verschiedenartigen Morde darauf zurückgeführt, dass die Mörderin ein Trauma erlitten hat, als ihr Mann, das erste Opfer, sie wieder in eine psy chiatrische Anstalt einliefern lassen wollte. Das Trauma spielt hier somit eine wesentliche Rolle und situiert sich – anders als bei Bava – auf der Inhaltsebene. Es wird zum Auslöser der Mordserie und liefert zugleich ein konkretes Tatmotiv. Zugleich treibt es die Mörderin an, weitere Verbrechen zu begehen, um den ersten Mord zu verschleiern. Das Konzept des Traumas, das von Argento als handlungstreibendes Motiv eingeführt wurde, war für die damaligen Zuschauer ein wahrer Schock. Wäh9
La ragazza che sapeva troppo ist aber auch, stärker als es bei späteren Gialli der Fall ist, dem klassischen Kriminalfilm verpflichtet. Dies zeigt sich u. a. daran, dass Nora Davis den Fall auf der Basis ihrer Kenntnis von Kriminalliteratur löst sowie daran, dass es in der entscheidenden Szene um die Auflösung eines locked room mystery geht.
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rend das Trauma als narratives Element in La ragazza che sapeva troppo nur am Rande vorhanden war, bildet es bei Argento eine effektive Neuerung. Den Zuschauern stand eine neue Art von Mörder gegenüber, dessen Taten nicht auf rationaler Ebene erklärbar waren, sondern auf einem finsteren Wahnsinn basierten. Für den Begründer des filmischen Giallos, Mario Bava, war die Darstellung der Psychologie des Mörders weit weniger wichtig. Seine Aufmerksamkeit galt dem visuellen Ausdruck und der Herausforderung der Rezipienten. Er legte Wert darauf, die Zuschauer und Zuschauerinnen nicht nur zu verblüffen, sondern auch in die Irre zu führen, bis zur finalen Wende mit völlig unerwartetem Ausgang. Ein typisches Beispiel hierfür liefert La ragazza che sapeva troppo: Dort fragt sich Nora in der letzten Szene auf der Aussichtsterrasse des Monte Pincio, ob Ihre Abenteuer in Rom nur ein Traum waren. Bava unterstreicht die Bedeutung dieser Szene noch durch einen Bruch auf der Erzählebene, denn die männliche voice-over-Stimme wird hier durch eine weibliche (Noras eigene) ersetzt. Ausgerechnet die Szene, in der die Protagonistin alles Gesehene in Frage stellt, erhält dadurch ein besonderes Gewicht – eine Strategie, mit der Bava sein Publikum gezielt verunsicherte.
Die spektakuläre Inszenierung des Todes Mario Bava gilt seit seinem zweiten Giallo, Sei donne per l’assassino (1964), nicht nur als Vorreiter dieses filmischen Genres, sondern auch als Erfinder seiner klassischen Regeln und stilistischen Konstanten. Hierzu gehören u. a. die äußeren Merkmale des Mörders bzw. der Mörderin: schwarze Handschuhe, ein dunkler Mantel, eine Gesichtsmaske, aber auch ein Wechselspiel von Licht und Schatten und phallische Tatwaffen (vgl. Stieglegger 2013: 18–21, Gomarasca 2015). Im Mittelpunkt der Handlung steht üblicherweise ein Serienmörder, dessen Taten sadistische Züge aufweisen. In Sei donne per l’assassino beispielsweise werden die Opfer, fünf attraktive junge Mannequins, auf äußerst brutale Weise ermordet. Dabei lassen sich erneut deutliche intertextuelle Verbindungen zu der dramatischen Mordserie in Argentos Profondo rosso erkennen. Der zentrale Aspekt dieses Films ist die theatralische Inszenierung gewalttätiger Morde. Zu den Opfern zählt u. a. eine Schriftstellerin, deren Ermordung an diejenige des Models Peggy in Sei donne per l‘assassino erinnert. Peggy wird in Bavas Film brutal gefoltert: Zuerst wird ihre Hand und danach ihr Gesicht an einem glühenden Heizofen verbrannt, bis sie stirbt (40:14–42:03). Das tödliche Ergebnis ist in ihrem verbrannten Gesicht ersichtlich, als ihre Leiche im Kofferraum eines Autos gefunden wird (56:25). Dieses Bild wird von Argento aufgegriffen, als er das entstellte Gesicht der getöteten Schriftstellerin in Profondo Rosso zeigt. Bei Argento geschieht der Mord zwar nicht mittels eines Heizofens, sondern durch das brühend heiße Wasser in einer Badewanne (1:03:48–1:05:36). 74
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Dies wiederum erinnert stark an die Tötung eines weiteren Models in Sei donne per l’assassino, das von der Killerin in einer Badewanne ertränkt wird. Danach inszeniert die Mörderin einen angeblichen Selbstmord, indem sie die Pulsadern ihres Opfers aufschneidet. Man kann somit feststellen, dass eine intertextuelle Verbindung zwischen diesen drei Morden besteht. Ein weiterer, wenn auch impliziter, intertextueller Bezug wird in der Badewannenszene sichtbar, die in Sei donne per l’assassino mit dem eindringlichen Auftreten der Farbe Rot endet. Nachdem die Mörderin die Pulsadern ihres bereits toten Opfers aufgeschnitten hat, wird das quälend langsam rinnende Blut fokussiert, während es das starre Gesicht des unter Wasser liegenden Models bedeckt. Hierbei handelt es sich um eine der eindrucksvollsten Einstellungen des Films (1:13:40–1:13:49). Diese Sequenz steht in figurativer Verbindung zur finalen Szene in Profondo Rosso, in der die Mörderin durch ihre im Fahrstuhlgitter hängen gebliebene Halskette enthauptet wird. Ihr Blut sammelt sich in einer Lache und reflektiert das Gesicht des Protagonisten Marcus, der sich darin selbst betrachtet, während der Abspann läuft (2:04:38–2:06:37). In Bavas Film vermengt sich das Blut also mit dem Wasser und bedeckt das Gesicht des toten Models, während der Protagonist in Argentos Film sein eigenes Spiegelbild in der Blutlache betrachtet. Diese prägnanten Beispiele lenken die Aufmerksamkeit auf die besondere Inszenierung der Morde, oder besser gesagt auf die Suche der Regisseure nach visuellen Effekten in einer detailreichen Mise en Scène. In diesem Sinne liegt die wahre Anziehungskraft von Sei donne per l’assassino in dem spektakulären ‹In-Szene-Setzen› der Morde, oftmals mit sadistischen Auswirkungen zu Lasten der kriminologischen und investigativen Aspekte, die zweitrangig bleiben. Bezüglich der Inszenierung des Todes in Profondo rosso, die sich stilistisch an Bava orientiert, findet man als zusätzliches bereicherndes Element die Darstellung der Vorbereitungsrituale, die der Tat vorangehen. Diese ritualisierten und fetischisierten Vorzeichen betreffen nicht nur das Äußere der Serienmörderin (zum Beispiel die Nahaufnahme ihres Auges, während sie sich mit schwarzem Kajal ihren Lidstrich zieht),10 sondern auch eine Reihe von Objekten, die im Vordergrund auftauchen: eine Kinderwiege, eine mit Nadeln durchbohrte Stoffpuppe, Glasmurmeln, Puppen und Messerklingen (10:40–12:07).11 Während die Filmka10 Die Detailaufnahme des Auges der Mörderin (1:01:15–1:01:18) erinnert zudem stark an eine ähnliche Aufnahme des Auges des Killers in Bavas Reazione a catena (1971, dt. Im Blutrausch des Satans) die zweimal eingesetzt wird (18:42–18:45 und 23:47–23:56). Die Ähnlichkeit zwischen diesen zwei Filmen betrifft auch die Figur eines rothaarigen Mädchens, das in Reazione a catena gemeinsam mit seinem Bruder – man weiß nicht, ob vorsätzlich oder aufgrund eines gestörten Verhaltens – die eigenen Eltern ermordet (1:21:06–1:22:59). Dieselbe Schauspielerin, Nicoletta Elmi, übernahm vier Jahre später in Profondo rosso die Rolle eines gestörten Kindes, das Insekten foltert (1:18:50–1:19:46). 11 Die Tatsache, dass in Profondo rosso Glasmurmeln als eines des Fetischobjekte der Killerin fungieren, ist insofern interessant, als auch Mario Bava in seinem Film Cinque bambole per la
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mera langsam über die Fetischobjekte der Mörderin schwenkt, erklingt kontrastiv hierzu die eindringliche leitmotivische Rockmusik von Goblin.
Settings der Ängste Sowohl die Handlung von La ragazza che sapeva troppo als auch die von Profondo rosso spielt sich in einer präzise gestalteten urbanen Atmosphäre ab. Mario Bava arbeitet mit zahlreichen Aufnahmen der Spanischen Treppe in Rom, die als topographischer Kern des gesamten Films fungiert. Ihre erste Aufnahme erfolgt zu Beginn, als eine nächtliche, beängstigende und unheimliche, von unten aufgenommene Spanische Treppe zur Bühne eines Mordes wird. Der Einsatz einer kontrastreichen schwarzweiß-Fotografie verstärkt zusätzlich den Effekt des Unheimlichen. Auch in Profondo Rosso wird der erste Mord auf einem öffentlichen Platz inszeniert. Es handelt sich um die Piazza CLN in Turin, die wichtigste urbane externe Location des Films. An diesem Platz liegen die Wohnungen, in denen sowohl das Medium Helga Ullman – das erste Opfer – als auch Marcus Daly, der Protagonist, leben. Es handelt sich um einen urbanen Raum, der architektonisch von zwei liegenden Statuen beherrscht wird, unter denen sich jeweils ein Brunnen befindet. Seitlich daneben befindet sich ein Nachtlokal, das mit grellem Neonlicht und intensiven Farben hervortritt – eine Rekonstruktion der Bar aus dem Gemälde «Nighthawks» (1942) von Edward Hopper (vgl. Barck 2013: 39–43). Diese heterogenen Elemente werden von Argento achtsam durch abwechselnde Einstellungen in Szene gesetzt, ähnlich wie die Aufnahmen Bavas an der Spanischen Treppe in La Ragazza che sapeva troppo. Ein weiterer gemeinsamer Nenner liegt im feinfühligen Gebrauch von hell-dunkel-Kontrasten und farbintensiven Aufnahmen (wie beispielsweise die Galerie im Apartment des Mediums mit expressionistischen Gemälden an den Wänden). Neben der Fokussierung öffentlicher Schauplätze in den italienischen Städten – eingefangen in einer nächtlichen und von Angst gekennzeichneten Atmosphäre – lässt sich eine prägnante Verbindung zwischen La ragazza che sapeva troppo und Profondo rosso auch hinsichtlich der Darstellung von Wohnräumen nachweisen. In der Tat ist das Haus ein Ort, der Ursprung für eine sonderbare Spannung sein kann, wie es etwa in Sei donne per l’assassino der Fall ist: Die Ereignisse geschehen nicht nur in einem Gebäude, in dem ein Modeatelier untergebracht ist, sondern auch in einem Antiquitätengeschäft und letztendlich in einer Villa außerhalb der Stadt. Die Konstante, die alle drei Schauplätze verbindet, ist ihre verwinkelte, labyrinthähnliche Bauweise, die in Opposition zum Konzept des ‹Heims› luna d’agosto (1969; engl.: Five Dolls for an August Moon) Glasmurmeln einsetzt: Dort rollen sie unter eine Treppe, was zur Entdeckung einer Leiche führt (52:09–52:32).
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steht, das im Grunde Schutz und Zuflucht symbolisiert. Wenn also die Zuschauer zunächst versuchen werden, sich in den Räumen der Schauplätze zurecht zu finden, werden die daran gestellten Erwartungen im Laufe des Films zunichte gemacht, und die vertrauten Räume werden zu Orten der Verstörung und der Verwirrung.12 Die Angst steht in gegensätzlichem Wechselspiel mit der für den Rezipienten typischen Tendenz, den Raum zu domestizieren. Dies geschieht mit noch stärkerem Nachdruck in Profondo Rosso, wo das Publikum mit der Darstellung einer verlassenen Villa konfrontiert wird, einem Ort, der sich durch seine labyrinthische Anlage und kraft seiner außergewöhnlichen topografischen Beschaffenheit als Falle präsentiert – ähnlich wie das Antiquitätengeschäft bei Mario Bava.
Subjektive visuelle Wahrnehmungen Ein zusätzliches Element, das einen intertextuellen Vergleich zwischen Bava und Argento im Kontext des filmischen Giallos ermöglicht, ist die Nutzung subjektiver Point-of-View-Shots. Während in Profondo Rosso diese subjektiven Einstellungen tendenziell aus der Perspektive der Mörderin erfolgen, geben sie zu Beginn von La ragazza che sapeva troppo die Sicht der Protagonistin Nora wieder, als sie, umgeben von einer Gruppe Nonnen, im Krankenhausbett erwacht. Auch in Sei donne per l’assassino gibt es in einer Schlüsselszene Einstellungen aus der subjektiven Sicht der Mörderin. Dies geschieht aber, für die Zuschauer überraschend, erst gegen Schluss, als man glaubt, dass sich der Film nach den Morden eines der beiden Killer seinem Ende zuneigt. In dieser Szene bahnt sich unerwarteterweise die Ateliersleiterin und Mörderin ihren Weg durch die farbenfrohen Schaufensterpuppen und Vorhänge. Ihr verlangsamtes und bedrohliches Voranschreiten verweist auf die Sequenz in Profondo Rosso, in der die Zuschauer aus der subjektiven Perspektive der Mörderin miterleben, wie diese ein Theater betritt. Die Verwendung der Point-of-View-Shots zwingt die Zuschauer gewissermaßen dazu, mit den Augen eines Serienkillers zu sehen – ein nicht unumstrittenes Verfahren, das durch Michael Powells Horrorfilm Peeping Tom (1960, dt.: Augen der Angst) Berühmtheit erlangt hatte. Subjektive Kameraeinstellungen mörderischer Figuren finden sich auch in zwei anderen Filmen von Mario Bava, nämlich Il segno rosso della follia (1970, dt.: Red Wedding Night) und der schon erwähnte Reazione a catena (1971, aka Ecologia del delitto dt.: Im Blutrausch des Satans). Im ersteren Film versucht Bava oft, den Gesichtspunkt des Mörders wiederzugeben, nicht nur durch den Einsatz subjektiver Einstellungen, sondern auch durch die emotionale Färbung 12 Man denke dabei an Freuds Konzept des un-HEIM-lichen. Vgl. hierzu die Beiträge von Susanne Bach und Benjamin Moldenhauer im vorliegenden Band.
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der Sequenzen, die dem geistigen Zustand des Mörders entsprechen. Auch im zweiten genannten Film ist die subjektive Perspektive des Serientäters – wie in Profondo rosso – von Anfang an vorhanden und bewirkt, dass das Kinopublikum von Zeit zu Zeit emotional stark an der Angst der Opfer beteiligt ist. Dario Argento übernahm nicht nur Bavas häufigen Einsatz von subjektiven Kameraeinstellungen, sondern entwickelte das Verfahren innovativ weiter, beispielsweise in der Mordsequenz an einem Parapsychologen, die durch ein fortwährendes Variieren der Perspektiven und Blickwinkeln realisiert wurde (1:33:44–1:36:32).
Fazit Mario Bava entwickelte und etablierte in seinen Filmen einige essenzielle und wiederkehrende Elemente des Giallos, die von Dario Argento in Profondo rosso aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. Zu nennen wären hier beispielsweise die facettenreiche Bedeutung der Titelmusik, die zum Spektakel avancierte Inszenierung des Todes, die Schlüsselfunktion der Bildgestaltung oder der geschickte Einsatz von Licht und Farbe. Häufig spielte Argento auf Bava an und übernahm Motive aus dessen Filmen. Er variierte sie jedoch zugleich und baute Innovationen ein, die das Genre weiterentwickelten. Man denke an das inhaltliche Novum des Traumas der Mörderin, das seinen Ursprung in bestimmten Episoden ihrer Vergangenheit hat. Der spektakulären Inszenierung der Morde in Profondo rosso, die deutliche Analogien zur Mordserie in Sei donne per l’assassino besitzt, stellte Argento Szenen der rituellen Vorbereitung und Fetischisierung voran. Obwohl Dario Argento die Bedeutung Mario Bavas heruntergespielt hat (vgl. z. B. Pugliese 2011: 10, Knott 2013: 127–130), gibt es zahlreiche Berührungspunkte zwischen den beiden Regisseuren. Unbestritten ist, dass Argento von seinem Vorgänger stark beeinflusst wurde und in Profondo rosso immer wieder durch intertextuelle Referenzen an dessen Schaffen anknüpfte. Ohne Mario Bava wären Dario Argentos Filme, trotz der Einzigartigkeit ihres visuellen Repertoires, nicht dieselben gewesen.
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Filmografie Blow-Up GB/I 1966. Regie: Michelangelo Antonioni.
Peeping Tom GB 1960. Regie: Michael Powell.
Cinque bambole per la luna d’agosto I 1969. Regie: Mario Bava.
Profondo rosso I 1975. Regie: Dario Argento.
Il segno rosso della follia I 1970. Regie: Mario Bava.
Reazione a catena (ecologia del delitto) I 1971. Regie: Mario Bava.
La ragazza che sapeva troppo I 1963. Regie: Mario Bava.
Sei donne per l’assassino I 1964. Regie: Mario Bava.
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III Meta-Horror Intertextuelle und selbstreflexive Verwirrspiele
Jörg Helbig
Es ist furchtbar, ein Leben lang Angst zu haben Pete Walkers House of the Long Shadows zwischen Gothic Horror und Mindfuck Movie
Hammer – House of Horror Nimmt man die Literaturgeschichte zum Maßstab, könnte Großbritannien als das Mutterland des Horrorfilms gelten. In Anknüpfung an die Gothic Novel des späten 18. Jahrhunderts entstanden im 19. Jahrhundert auf den britischen Inseln viele klassische Erzählungen, die später den Stoff für unzählige Horrorfilme bereitstellten. Berühmte Titelfiguren wie Frankenstein, Dracula, Carmilla oder Dr. Jekyll und Mr. Hyde – sie alle stammen aus der Feder englischer, schottischer oder irischer Autorinnen und Autoren. Auch die britische Filmgeschichte ist eng mit dem Horrorgenre verbunden. In seiner wegbereitenden Studie A Heritage of Horror (1973) verglich David Pirie die Rolle des britischen Horrorfilms mit der Bedeutung des Westerns für das amerikanische Kino. Der Horrorfilm sei, so Pirie, der einzige große Kinomythos, den Großbritannien hervorgebracht habe (vgl. Helbig 1999: 147). Dennoch sah es anfangs gar nicht danach aus. Das Erfolgspotenzial des Gruselkinos hat die britische Filmindustrie zunächst nicht erkannt und versäumte dadurch die Chance, den Horrorfilm als populäres Genre zu etablieren. Dieses Vakuum füllten stattdessen die US-amerikanischen Universal Studios, die die britischen Vorlagen überaus erfolgreich verfilmten. In den Dreißigerjahren setzte Universal Standards und wurde zum Inbegriff des Horrorfilms. Eine signifikante Gewichtsverlagerung 83
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von den USA nach England erfolgte erst Ende der Fünfzigerjahre, als die britischen Hammer Studios von Universal die Lizenzen für deren Horrorfilme erwarben. Ab 1957 schöpfte Hammer hieraus den Stoff für zahlreiche Filme, die fast fließbandartig produziert und mitunter zu Zyklen erweitert wurden. Die bekanntesten Zyklen rankten sich um Frankenstein mit sieben Filmen zwischen 1957 und 1973 und Dracula mit acht Filmen zwischen 1958 und 1973 (vgl. u. a. Maxford 1996). Die Horrorfilme der Hammer Studios zeichneten sich durch eine eindrucksvolle Farbfotografie aus sowie durch ein an die viktorianischen Vorlagen angelehntes Set-Design, das den sog. «gotischen» Stil der Filme prägte. Zudem brachten die Studios eine Reihe von Stars hervor, die fortan eng mit dem Hammer Horror assoziiert wurden, allen voran Peter Cushing und Christopher Lee. Gleich im ersten Frankensteinfilm, The Curse of Frankenstein (1957), spielte Cushing den Wissenschaftler Victor Frankenstein und Lee die von ihm geschaffene Kreatur. In Dracula (1958) übernahm Lee den Titelpart des blutsaugenden Grafen, Cushing verkörperte dessen Jäger, Professor Van Helsing. Hammers Konzept war anfangs äußerst populär und erfolgreich, ab Ende der Sechzigerjahre wirkte es jedoch nicht mehr zeitgemäß. Mangelnde Härte und harmlose Schockeffekte versuchte man zunächst noch durch den Einsatz von Erotik zu kompensieren. Das Ergebnis war jedoch eher peinlich. Filme wie Dracula A.D. 1972 (1972, dt.: Dracula jagt Mini-Mädchen) konnten das Publikum nicht mehr begeistern. Als wenige Jahre später die ersten Slasherfilme die Kinos eroberten, war der gotische Horrorfilm längst zu einem Auslaufmodell geworden.
Pete Walker Damit kommt der 1939 in Brighton geborene Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Pete Walker ins Spiel. Walker ist eine der schillerndsten Figuren des britischen Horrorfilms und einer der wenigen veritablen britischen Kultregisseure. Seine Regiekarriere begann in den späten Sechzigerjahren mit Sexploitationfilmen wie The Big Switch (1968, dt.: Die Sexparty) oder School for Sex (1969, dt.: School for Sex – Rund ums Bett). In den Siebzigerjahren verlegte sich Walker darauf, Sexfilme mit Horrorelementen zu kombinieren, oder – dies ist eine Frage der Gewichtung – er drehte Horrorfilme mit Sexelementen.1 Ein Film wie House of Whipcord (1974, dt.: Das Haus der Peitschen), in dem junge Mädchen in einem einsamen Haus gefangen gehalten und gefoltert werden, bedient plakativ sowohl voyeuristische Erwartungen als auch sadomasochistische Fantasien. Walker 1 Eine ähnliche Entwicklung lässt sich praktisch zeitgleich im italienischen Giallo beobachten, besonders in den Filmen von Dario Argento. Vgl. hierzu die Beiträge von Angela Fabris und Marcus Stiglegger im vorliegenden Band.
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1 Filmposter zu House of the Long Shadows © London-Cannon Films Ltd.
hatte sich also einen durchaus berüchtigten Ruf erarbeitet, als er 1983 seinen siebzehnten und letzten Spielfilm inszenierte, House of the Long Shadows (dt.: Das Haus der langen Schatten), der auf dem 1913 erschienenen Bestseller Seven Keys to Baldpate des amerikanischen Autors Earl Derr Biggers basiert. Der Roman, bzw. das nach ihm entstandene Theaterstück, wurde zwischen 1916 und 1947 nicht weniger als sechsmal verfilmt. Pete Walkers Version ist also bereits die siebente Verfilmung von Seven Keys to Baldpate.2 Obwohl House of the Long Shadows relativ unbekannt blieb, ist der Film ein Juwel des britischen Horrorkinos. Er besitzt alle Voraussetzungen für den Status eines Kultfilms, und dies liegt nicht zuletzt an seiner außergewöhnlichen Besetzung, die sich wie ein Who Is Who des Horrorfilms liest: Die Horror-Ikonen Christopher Lee, Peter Cushing, Vincent Price und John Carradine standen in diesem Film zum ersten und einzigen Mal gemeinsam vor der Kamera, und sie wurden auf dem Filmposter entsprechend prominent herausgestellt (Abb. 1). Es sind diese Schauspieler und die geballte Filmgeschichte, die sie repräsentieren, die ihre langen Schatten auf Pete Walkers Film werfen. 2
Laut Andy Boot gehören die Verfilmungen von Biggers’ Roman zu Walkers Lieblingsfilmen (1996: 222).
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In Anbetracht von Walkers zweifelhafter Reputation war die Mitwirkung von Cushing und Lee keineswegs selbstverständlich. Beide Schauspieler hatten in der Vergangenheit wiederholt ihre Aversion gegen drastische Gewaltszenen kundgetan. Kurz nach der Premiere von House of the Long Shadows bekannte Cushing in einem Interview mit Prevue: «I can’t stand blood, gore or so-called splatter effects just for the sake of shock» (zit. n. Chibnall 1998: 204). Christopher Lee vertrat ähnliche Ansichten und fühlte sich bemüßigt, seine Mitwirkung in dem Film zu rechtfertigen: «It is not, in any sense, a horror film, and I have told the producers I am not interested in doing a horror film. There is some violence, but there’s no graphic mutilation or any of that nonsense» (zit. n. Chibnall 1998: 205). Da sich die Namen Christopher Lee und Peter Cushing untrennbar mit der Goldenen Zeit der Hammer Studios verbinden, kann man House of the Long Shadows durchaus als eine Hommage an die Ära der Hammer Horrorfilme bezeichnen. Walkers Film ist ganz an den gotischen Stil dieser Filme angelehnt und besitzt zahlreiche selbstreflexive Momente, die bewusst an Hammer erinnern. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn es war nicht zuletzt Pete Walker selbst, der mit Filmen wie House of Whipcord dazu beigetragen hatte, die Hammer-Filme veraltet aussehen zu lassen. House of the Long Shadows ist bei näherer Betrachtung indes eine gebrochene, selbstironische Hommage. Walker dekonstruiert das Muster des gotischen Horrorfilms mit einer inhaltlichen tour de force und einer komplexen Struktur, die den Sehgewohnheiten der Zuschauer einiges abverlangt.
Inhalt Der Film beginnt mit der Ankunft des amerikanischen Bestsellerautors Kenneth Magee (Desi Arnaz Jr.) in London. Magee möchte dort seinen neuesten Roman promoten. Dieser trägt ausgerechnet den Titel «The Lie» – die Lüge – und könnte damit das Motto für Pete Walkers Film abgeben. Dies wird aber erst rückblickend ersichtlich. Magee verabredet sich mit seinem Verleger Sam Allyson (Richard Todd) zum Mittagessen. Beim Betreten des Restaurants stößt er versehentlich mit einer hübschen jungen Frau (Julie Peasgood) zusammen, von der er offensichtlich angetan ist. Als diese sich auch noch an den Nebentisch setzt, wirft Magee ihr immer wieder verstohlene Blicke zu. Allyson entgeht dies nicht, und er fragt Magee, ob es sich hier um Liebe auf den ersten Blick handele. An so etwas glaube er nicht, entgegnet Magee, er habe eher an Sex gedacht. Dies nimmt Allyson zum Anlass für ein freundschaftliches Streitgespräch mit seinem Autor. Der Verleger moniert, er vermisse in Magees Romanen jegliche Romantik und bedauert dessen Verzicht auf die Schilderung menschlicher Leidenschaften, wie sie in den großen Romanen von Tolstoi, Hugo oder Dickens zu finden waren. 86
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Magee teilt Allysons Auffassung nicht. Er versteht sich als unverbesserlichen Realisten und hält die Darstellung großer Gefühle für antiquiert. Er glaubt, in der heutigen, von Zynismus geprägten Welt interessiere sich das Publikum nicht mehr für Romantik. Auch Magees künstlerische Wertschätzung für die Romane des 19. Jahrhunderts hält sich in Grenzen. Einen «Schinken» wie Emily Brontës Wuthering Heights könne er innerhalb von 24 Stunden zu Papier bringen, behauptet er, und bietet Allyson eine Wette über 20.000 Dollar an, dass er dies schafft. Alles, was er dafür brauche, sei totale Abgeschiedenheit und eine inspirierende Atmosphäre. Einen solchen Ort kenne er, entgegnet Allyson – einen seit vierzig Jahren unbewohnten walisischen Landsitz namens Baldpate Manor (eigentlich Bllyddpaetwr Manor). Dieser gehöre einem Freund von ihm und stehe seit langem zum Verkauf. Das Haus sei allerdings sehr einsam gelegen und verfüge nicht einmal über elektrisches Licht. Obwohl Allyson versucht, ihm den verrückten Plan auszureden, ist Magee von der Idee begeistert und macht sich unverzüglich auf den Weg nach Wales. Als er abends in einem schweren Unwetter den Landsitz erreicht, begibt sich Magee ins obere Stockwerk, spannt das erste Blatt Papier in seine Schreibmaschine ein und beginnt mit der Arbeit an seinem Roman «Midnight Manor». Soweit der vergleichsweise konventionelle Beginn von House of the Long Shadows. Von nun an verkompliziert sich die Handlung jedoch. Anstelle der erwarteten Ungestörtheit hält das alte Herrenhaus zahlreiche Überraschungen bereit, und schon bald überstürzen sich die Ereignisse. Zunächst muss Magee feststellen, dass er keineswegs allein in dem Haus ist. Er stößt auf einen Mann und eine Frau, die ihm versichern, die Hausverwalter zu sein und rechtmäßig im Haus zu wohnen. Kurz darauf dringt eine maskierte Gestalt in das Haus ein. Als Magee sie überwältigt und ihr die Maske vom Gesicht reißt, entpuppt sie sich als die attraktive junge Frau aus dem Restaurant. Sie stellt sich als Kathryn vor und warnt Magee vor einer politischen Geheimorganisation, die ihm nach dem Leben trachtet. Er sei in größter Gefahr und müsse das Haus unbedingt sofort verlassen. Magee glaubt ihr jedoch nicht und schickt sie fort. Anschließend belauscht er ein Telefongespräch der jungen Frau, das die erste Lüge des Films entlarvt: Die angebliche Geheimagentin Kathryn heißt in Wahrheit Mary Norton und arbeitet im Auftrag des Verlegers Sam Allyson. Sie soll Magee von der Arbeit abhalten und so verhindern, dass er seine Wette gewinnt. Aber auch die angeblichen Hausverwalter haben offenbar gelogen, denn Allyson teilt Mary am Telefon mit, dass der Landsitz keine Verwalter besitzt. Im Laufe des Abends treffen noch weitere Personen in Baldpate Manor ein. Darunter ein Mr. Rand (Peter Cushing), der behauptet, eine Autopanne gehabt zu haben, sowie ein Mr. Corrigan (Christopher Lee), der beabsichtigt, Baldpate Manor und seine Ländereien zu erwerben, um dort einen Industriekomplex zu errichten. Zu ihnen gesellt sich noch Lionel Grisbane (Vincent Price), der in dem Haus aufgewachsen ist und erklärt, nach einem langen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt zu sein, um sein Familienerbe anzutreten. 87
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Wie sich bald herausstellt, haben alle Figuren gelogen. Bei den beiden angeblichen Hausverwaltern handelt es sich um Lord Grisbane (John Carradine) und seine Tochter Victoria (Sheila Keith). Baldpate Manor, so erfahren die Zuschauer, befindet sich seit 300 Jahren im Familienbesitz der Grisbanes. Der Herr mit der vermeintlichen Autopanne ist in Wahrheit der Sohn seiner Lordschaft, Sebastian Grisbane. Lionel Grisbane hat zwar seine richtige Identität preisgegeben, den wahren Grund seiner Anwesenheit jedoch (bislang) verheimlicht. Spätestens jetzt deutet sich an, dass wir in House of the Long Shadows auf ein Phänomen stoßen, das in der Literaturwissenschaft als unzuverlässiges Erzählen bzw. unreliable narration bezeichnet wird. Für die Zuschauer manifestiert sich diese Unzuverlässigkeit zunächst nur auf der innersten Kommunikationsebene des Films, der Handlungs- und Figurenebene. Fast alle Figuren haben bisher gelogen, falsche Identitäten angegeben oder Geschichten frei erfunden. Sie nähren damit Zweifel, wem man vertrauen kann und was glaubwürdig ist – insbesondere, weil die Handlung von nun an rasante und unvorhersehbare Wendungen erfährt. Nach einigen Gläsern Punsch werden die vier Grisbanes gesprächig genug, um zuzugeben, dass sie sich an diesem Abend keineswegs zufällig in dem Haus eingefunden haben. Es stellt sich heraus, dass ihre Zusammenkunft seit langem geplant war, denn sie beabsichtigen, in dieser Nacht eine alte Familientragödie beizulegen. Vor vierzig Jahren hatte Lord Grisbanes dritter Sohn, Roderick, eine sexuelle Affäre mit einem einfachen Mädchen aus dem Dorf. Als das Mädchen schwanger wurde, lockte es der damals Vierzehnjährige nach Baldpate Manor und ermordete es auf grausame Weise. Da er Schande über die Familie gebracht hatte, nahmen die Grisbanes Rodericks Bestrafung selbst in die Hand. Man beschloss, ihn für vierzig Jahre in sein Zimmer einzusperren, und heute, genau um Mitternacht, sei das verhängte Strafmaß abgelaufen. Man sei daher zusammengekommen, um Roderick aus seiner Gefangenschaft zu entlassen. Als das Zimmer aufgeschlossen wird, findet man es jedoch verlassen vor. Die daraufhin einsetzende Angst der Anwesenden vor Rodericks Vergeltung ist nur allzu begründet, denn offenbar treibt dieser sich noch in Baldpate Manor herum und beginnt nun, einen nach dem anderen umzubringen. Ein tödliches Katz-undMaus-Spiel nimmt seinen Lauf, dem alle vier Grisbanes zum Opfer fallen. Schließlich wird auch die letzte falsche Identität gelüftet. Mr. Corrigan ist niemand anders als Roderick Grisbane, der in dieser Nacht Rache für die Selbstjustiz seiner Familie nimmt. Dabei deckt Roderick eine weitere Lüge auf: Nicht er war es, der seinerzeit das Mädchen geschwängert und ermordet hat, sondern sein älterer Bruder Lionel. Nicht eingeplant war die zufällige Anwesenheit von Kenneth Magee und Mary Norton. Da diese zur falschen Zeit am falschen Ort sind, muss Roderick auch sie beseitigen. Es kommt zu einem dramatischen Kampf auf Leben und Tod, in dessen Verlauf Roderick eine Treppe hinunterstürzt und sich dabei mit seiner eigenen Waffe, einer Axt, tödlich verletzt. Damit ist die verbrecherische Familie ausgerottet, Magee und Mary sind in Sicherheit. 88
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House of the Long Shadows als selbstreflexiver Metatext House of the Long Shadows erzählt eine Schauergeschichte, die an Melodramatik kaum zu überbieten ist. Der Film lässt kaum ein Klischee des Horrorfilms aus, von dem düsteren, alten Landsitz mit Spinnweben, Geheimgängen und verschlossenen Türen, über das Unwetter, die dramatischen Auftritte der zwielichtigen Figuren, eine fauchende schwarze Katze, bis hin zu einer madenzerfressenen Puppe und abgenagten Ratten. Dass die Häufung der Klischees dem Film stellenweise fast parodistische Züge verleiht, war Regisseur Pete Walker und seinem Drehbuchautor Michael Armstrong vollauf bewusst. Walker bezeichnete den Film als «self-satire» (Chibnall 2002: 170) und inszenierte ihn absichtlich over the top.3 Trotzdem gelingt es dem Film, sein Publikum in den Bann zu ziehen. Das liegt vor allem daran, dass es sich nie ganz sicher sein kann, was denn nun stimmt und was nicht. Stellvertretend für die Zuschauer durchläuft der Protagonist Kenneth Magee einen sehr suggestiven Rezeptionsprozess. Aufgrund seines ausgeprägten Realitätssinns betrachtet Magee die haarsträubenden Ereignisse, die sich in dem Herrenhaus entfalten, anfangs noch skeptisch und distanziert. Allmählich werden die nächtlichen Vorkommnisse jedoch so komplex und glaubwürdig, dass Magees ursprüngliche Annahme, sie seien von seinem Verleger Sam Allyson lediglich inszeniert worden, immer abwegiger erscheint. Wir als Zuschauer teilen das Dilemma des Protagonisten: Sind die Ereignisse in dem Landhaus authentisch oder wurden sie von Allyson arrangiert, um die Wette zu gewinnen? Ungeachtet der geradezu absurden Prämissen schafft es der Film nach und nach, unsere Zweifel zu zerstreuen, und spätestens wenn die Morde beginnen, weicht das Misstrauen des Publikums der Überzeugung, dass die Familientragödie authentisch ist. Nach dem dramatischen Höhepunkt der Handlung schlägt der Film jedoch seine nächste Volte. Es stellt sich heraus, dass die Ereignisse in Baldpate Manor tatsächlich nur inszeniert wurden. Der soeben scheinbar tödlich verwundete «Mörder» Roderick Grisbane steht unverletzt auf, und seine angeblichen Opfer betreten nacheinander wieder die Szenerie. Mit süffisantem Lächeln geben sich alle als Schauspieler zu erkennen, die in Sam Allysons Auftrag ein Melodrama aufführten. Sinn und Zweck des Theaters war es weniger, Magee vom Schreiben abzuhalten, als ihm vor Augen zu führen, wie mächtig menschliche Leidenschaften und Emotionen sind. Die filmische Handlung verlagert sich nun vorübergehend auf eine Metaebene. Die Schauspieler feiern nach ihrer eindrucksvollen Aufführung eine Party und treten dabei aus ihren bisherigen Rollen heraus. Untereinander diskutieren sie ihre darstellerischen Qualitäten und verkörpern mithin das, was sie de facto sind, näm3 Unter anderem wurde House of the Long Shadows auch als «camp parody and pastiche» (Chibnall 2002: 170) und als «affectionate burlesque of the old-dark-house chiller» (Burton, Chibnall 2013: 424) bezeichnet.
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lich Schauspieler. Natürlich ist sich das Publikum bewusst, dass Cushing, Price, Lee und Carradine berühmte Kultfiguren des Horrorfilmgenres sind, und natürlich erhalten die Dialoge dadurch eine doppelte, metatextuelle Bedeutung. Während sich die Darsteller in dieser Szene wie Diven aufführen und die schauspielerischen Leistungen ihrer Kolleginnen und Kollegen mit spitzen Bemerkungen herabwürdigen, enthielten ihre Dialoge zuvor eher selbstreflexive Kommentare über ihre eigenen Karrieren als Filmstars und über das Genre des Horrorfilms. John Carradine thematisiert als erster die «Schatten der Vergangenheit» (0:48:18–0:48:22), und Christopher Lee spielt auf das Ende des gotischen Horrorfilms an, wenn er bemerkt, «Die Vergangenheit kann nicht Schritt halten mit der Gegenwart.» (0:47:32–0:47:35)4 Vincent Price betont das Fatalistische dieser Entwicklung, wenn er sagt, «Dieses Schicksal war uns vorgezeichnet. Es ist sinnlos, sich dagegen aufzulehnen.» (1:21:02–1:21:08) Und der greise Peter Cushing zieht folgende doppeldeutige Bilanz seiner Schauspielerlaufbahn: «Ich fühle mein Ende kommen. Es ist furchtbar, ein Leben lang Angst zu haben, in ständiger Furcht zu leben.» (1:18:37–1:18:46) Dass moderne Horrorfilme nicht unbedingt besser sind als die alten Klassiker, lässt sich aus Cushings Urteil ableiten, er sei «nicht auf dem Laufenden, was die moderne Literatur [sprich: den modernen Horrorfilm] betrifft, was ja nicht bedeutet, dass ich irgendetwas versäumt habe.» (0:34:25–0:34:29) Schließlich deutet Vincent Price an, dass sich die Karrieren der vier Granden des Horrorfilms ihrem Ende zuneigen: «Der Vorhang hebt sich zum letzten Akt, mein lieber Bruder.» (1:17:38–1:17:41) Steve Chibnall stellt die selbstreflexiven Äußerungen der Schauspieler auch in einen Zusammenhang mit dem Karriereende des Regisseurs Pete Walker: It was a fitting elegy for both a version of Gothic melodrama that faded away in the 1970s and for Walker’s own career as an astringent genre revisionist. As Vincent Price gloomily intones in House of the Long Shadows, «the old order is gone forever, and now we too must crumble into dust.» (Chibnall 2002: 170)
Nach einem kontinuierlichen Spannungsaufbau und einem spektakulären Höhepunkt entlässt House of the Long Shadows seine Zuschauer also mittels eines Plot Twists in die entspannte Atmosphäre einer Party. Die wichtigste Botschaft dieser Szene ist, dass der zynische Schriftsteller Magee seine Lektion gelernt hat. Er muss einsehen, dass die großen Emotionen – Liebe, Hass, Furcht – ein unverzichtbarer Teil des menschlichen Dramas sind. Als er erfährt, dass Mary Norton, in die er sich in dieser Nacht verliebt hat, verheiratet ist, gesteht er: «Ich habe viel gelernt in dieser Nacht. Menschliche Gefühle sind mehr, sie bedeuten alles.» (1:31:16– 1:31:24) Der Film endet allerdings nicht mit dieser elementaren Erkenntnis, sondern hält einen weiteren, finalen Plot Twist bereit. 4
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Alle Zeitangaben beziehen sich auf die DVD Das Haus der langen Schatten, Koch Media, Black Hill Pictures, 2012.
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House of the Long Shadows als Mindfuck Movie avant la lettre Während die Schauspieler ihre Party feiern, erfolgt plötzlich eine Überblendung auf Magee, der soeben ein Manuskript in seiner Schreibmaschine beendet. Er sitzt an demselben Tisch, an den er sich setzte, als er in Baldpate Manor eintraf. Inzwischen ist es früher Morgen, und alles, was nach Magees Ankunft angeblich passierte, entpuppt sich als der Inhalt jenes Romans, der den Gegenstand der Wette bildete. Der Film hat sein Publikum also die ganze Zeit über manipuliert und in Unkenntnis darüber gelassen, dass sich die Handlung auf zwei verschiedenen Realitätsebenen abspielt. Die Rahmenhandlung um die Wette zwischen Kenneth Magee und Sam Allyson bildet die primäre Realitätsebene des Films. In diese eingelagert ist eine sekundäre Realitätsebene, nämlich der von dem Schriftsteller Magee erdachte Roman «Midnight Manor». Dieser bildet eine Fiktion in der Fiktion, und dementsprechend erweist sich der ganze Film als eine Konstruktion ineinander verschachtelter Handlungsebenen mit zunehmend schwerer durchschaubaren Lügen und Wendungen. Im Wesentlichen lassen sich drei Handlungsebenen unterscheiden: Ebene 1 Die äußere Rahmenhandlung, bestehend aus den beiden Begegnungen zwischen Kenneth Magee und Sam Allyson am Beginn und Ende des Films, die sich um die 20.000-Dollar-Wette drehen (0:00:00–0:05:16 und 1:33:01–1:35:49)
Diese äußere Rahmenhandlung spielt in der diegetischen Wirklichkeit. Man kann davon ausgehen, dass die Erzählung in diesem Teil zuverlässig ist, allerdings hält auch sie am Schluss zwei Wendungen bereit, die ihren Realitätsanspruch relativieren. Nachdem Magee von Allyson in dessen Club einen Scheck über 20.000 Dollar erhalten hat, zerreißt er diesen und wirft ihn in den Kamin. Als er gedankenverloren im Raum steht, tritt plötzlich die junge Frau vom Beginn des Films auf ihn zu und stellt sich als Mary vor. Auf Magees verblüffte Frage, ob sie Mary Norton heiße, verneint sie. Ihr Name sei Mary Jameson und sie arbeite für Sam Allyson als dessen Sekretärin. Das Verwirrspiel mit den verschiedenen Realitätsebenen wird hierdurch fortgesetzt, denn sowohl in der diegetischen Wirklichkeit als auch in Magees Roman trägt die weibliche Hauptfigur denselben Vornamen und arbeitet als Allysons Sekretärin. Von der Handlungslogik her ist dies insofern erklärbar, als Magee Mary zu Beginn tatsächlich begegnet ist und von ihr so beeindruckt war, dass er sie als Figur in seinen Roman einbaute – immerhin ist er es nun, der Mary, quasi in Umkehrung der Ausgangssituation fragt, ob sie an die Liebe auf den ersten Blick glaube. Eine weitere, nur schwer erklärbare Vermischung der Realitätsebenen erfolgt unmittelbar darauf: Als Magee mit Mary den Club verlässt, fällt sein Blick auf einen Kellner, und dieser ist niemand anders als Lionel Grisbane / Vincent Price.
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Ebene 2 Die innere Rahmenhandlung, bestehend aus der Autofahrt von London nach Wales und zurück sowie dem Betreten und Verlassen von Baldpate Manor (0:05:16–0:15:56 und 1:31:43–1:33:01)
Diese Zwischenebene ist mit hoher Wahrscheinlich ebenfalls in der diegetischen Wirklichkeit angesiedelt und zuverlässig erzählt, sie beinhaltet jedoch einige Aspekte, die ihren ontologischen Status ambivalent erscheinen lassen. Magees Autofahrt von London nach Wales beginnt in heiterer, unbeschwerter Stimmung in einer ildyllischen, grünen Landschaft unter blauem Himmel. Es ist warm, und das Schiebedach des Autos ist geöffnet. Außenaufnahmen des Autos wechseln sich mit Nahaufnahmen von Magee hinter dem Lenkrad ab. Dann folgt eine auffällige und technisch ungewöhnliche Einstellung: Man sieht zunächst eine Großaufnahme von Magees Gesicht hinter der Windschutzscheibe, dann vergrößert die Kamera plötzlich und scheinbar unmotiviert die Distanz zu dem Protagonisten. Die Einstellung wirkt wie eine visuelle Metapher für die abdriftenden Gedanken des Schriftstellers und könnte signalisieren, dass wir uns von nun ab in der Welt seines entstehenden Romans befinden. Hierfür spricht, dass unmittelbar darauf das Wetter abrupt umschlägt. Von einer Sekunde zur anderen verwandelt sich der blaue Himmel in schwarze Wolken, und ein heftiges Gewitter bricht los. Das Licht, die Hintergrundmusik und die ganze Atmosphäre wirken plötzlich düster und bedrohlich. Zudem überschreiten auch hier Figuren die Grenze zwischen den Realitätsebenen. Kurz bevor er den Landsitz erreicht, hält Magee an einem Bahnhof, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Dort begegnet er zwei jungen Rucksacktouristen, die im Bahnhofsgebäude Schutz vor dem Unwetter suchen. Diese beiden Figuren tauchen später in Baldpate Manor (also in Magees Roman) auf und werden von Roderick Grisbane ermordet. Im zweiten Teil der inneren Rahmenhandlung wird enthüllt, dass es sich bei Magee um einen unzuverlässigen Erzähler handelt. Dieses ist der Plot Twist mit der größten Tragweite, weil er auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung angesiedelt ist und nicht, wie im folgenden Punkt, auf der Figurenebene. Ebene 3 Die Binnenhandlung, bestehend aus der fiktiven Handlung von Kenneth Magees Roman «Midnight Manor» (0:15:56–1:31:43)
Diese Erzählebene erweist sich als dichtes Geflecht verschiedener Spielarten unzuverlässiger Erzählweisen, die sich in ihrer Intensität steigern und für die Zuschauer zunehmend unerwartet kommen. Was mit eher harmlosen und schnell durchschaubaren Lügen beginnt, mündet letztlich in eine komplette Umdeutung des gesamten Geschehens. Zu den Rätseln und Irreführungen gehören die vorgetäuschten Identitäten sämtlicher Gäste im Haus, die angeblichen Gründe ihrer Anwesenheit, die Geschichte von Rodericks Verbrechen, der unbekannte Aufenthaltsort und die Identität von Roderick, und schließlich die Enthüllung, dass sämtliche Ereignisse 92
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Teil eines abgekarteten Schauspiels waren. Da dieses Spiel von Sam Allyson inszeniert und gelenkt wurde, gibt es in dem Film eigentlich zwei unzuverlässige Erzählinstanzen, nämlich Magee und den in täuschender Absicht agierenden Allyson, der wiederum selbst nur eine Figur in Magees unzuverlässiger Erzählung ist. Angesichts der Komplexität der Erzählstruktur sah sich Drehbuchautor Michael Armstrong offenbar veranlasst, dem Publikum die kausalen Zusammenhänge in einem abschließenden Dialog explizit zu erklären: ALLYSON: Du hast die Wette tatsächlich gewonnen. MAGEE: Trotzdem mache ich sowas nie wieder. ALLYSON (mit einem Blick auf das Romanmanuskript): Etwas kurz. MAGEE: Ich hatte nur 24 Stunden Zeit. Es ist komisch, aber irgendwie beim Schrei-
ben sind mir die Figuren ans Herz gewachsen. Es ist verrückt. Ich meine, es ist nur eine simple Geschichte um einen Verleger, der eine Wette abschließt mit seinem Autor. ALLYSON: Und hat nichts zu tun mit tatsächlichen Begebenheiten. MAGEE: Natürlich nicht. Sam, es mag verrückt klingen, auch mit diesem Dreh am Ende, wo sich herausstellt, dass alles nur ein Spaß war. Ich weiß nicht, …es klingt wirklich verrückt.
Zur zusätzlichen Verwirrung des Publikums trägt bei, dass einige Figuren verschiedene Rollen ausfüllen. Kenneth Magee beispielsweise ist in der Rahmenhandlung eine Filmfigur, in der Binnenhandlung hingegen eine Romanfigur. Gleiches gilt für Sam Allyson und, mit Einschränkungen, für Mary Norton alias Mary Jameson sowie für die beiden Rucksacktouristen. Magees und Allysons Doppelrollen gehen einher mit einem Wechselspiel zwischen Aktivität und Passivität. Als Romanfigur ist Magee scheinbar passiver Rezipient einer von Allyson erdachten Erzählung, als Filmfigur bildet er jedoch als deren Autor die aktive Kontrollinstanz sämtlicher Romanfiguren. Für die Zuschauer kommt die Erkenntnis, über die längste Strecke des Films manipuliert worden zu sein, völlig unerwartet, denn sie haben keine Chance, den Wechsel der Realitätsebenen zu durchschauen. Sobald sich die Unzuverlässigkeit der Erzählung von der Handlungs- und Figurenebene auf die übergeordnete Ebene der erzählerischen Vermittlung verlagert, konspiriert der cinematic narrator (vgl. Chatman 1999) gewissermaßen mit dem unzuverlässigen Erzähler Magee. Was das Publikum von diesem Moment an zu sehen und zu hören bekommt, ist das Romanmanuskript, das sich im Moment seines Entstehens in den Gedanken des Erzählers Magee visualisiert. Der Film liefert zunächst jedoch keinen erkennbaren Hinweis darauf, dass sich der ontologische Status der Bilder geändert hat. Es gibt zwar eine deutliche Markierung, die die Rückkehr von der sekundären zur primären Fiktionsebene anzeigt (die Überblendung von der Party zu Magees Schreibmaschine). Die korrespondierende Markierung, die den Übergang von der 93
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diegetischen Wirklichkeit in die subjektive Vorstellungswelt des Erzählers signalisiert, ist hingegen so subtil, dass sie der Aufmerksamkeit der meisten Zuschauer entgeht. Als Magee bei seiner Ankunft in Baldpate Manor die Stufen zum ersten Stockwerk emporsteigt, liegt auf dem Treppenabsatz ein umgeworfener Stuhl. Da der Stuhl seinen Weg behindert, schiebt ihn der Schriftsteller im Vorbeigehen ein paar Zentimeter zur Seite. Dieses scheinbar nebensächliche Detail findet beim Publikum kaum Beachtung, zumal der Stuhl in der Dunkelheit nur undeutlich zu erkennen ist. Am nächsten Morgen, als Magee die Treppe wieder hinabsteigt, liegt der Stuhl noch in derselben Position wie an Vorabend. Diesmal wird er vom hereinfallenden Sonnenlicht angestrahlt und sticht leuchtend rot hervor. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird vollends auf das Möbelstück gelenkt, als Magee eigens stehenbleibt, seine Taschen abstellt und den Stuhl in eine aufrechte Position stellt, sodass er kein Hindernis mehr bildet. Erst jetzt dürfte den meisten Zuschauern bewusst werden, dass dieser Stuhl in der gesamten Handlung, die sich während der Nacht in dem Herrenhaus abspielte, nicht vorhanden war. Rückblickend wird also klar, dass der Übergang zur sekundären Realitätsebene tatsächlich erst erfolgte, als Magee mit dem Schreiben begann. Solche subtilen Hinweise auf einen Wechsel der Realitätsebenen sind typisch für sog. Mindfuck Movies bzw. Puzzle Filme. Wie House of the Long Shadows arbeiten diese Filme mit Rätseln, unvorhersehbaren Plot Twists und nachträglichen Umdeutungen des Filmgeschehens. Als eigenes Genre konnten sich Puzzle Filme jedoch erst viele Jahre später etablieren. Ab dem Ende der 1990er-Jahre lösten Filme wie Fight Club (1999, Regie: David Fincher), Memento (2000, Regie: Christopher Nolan) oder Vanilla Sky (2001, Regie: Cameron Crowe) eine Modewelle aus und bereiteten den Boden für zahllose spätere Filme ähnlicher Machart, bis hin zu Inception (2010, Regie: Christopher Nolan) oder Shutter Island (2010, Regie: Martin Scorsese). Einige dieser Filme besitzen große strukturelle Ähnlichkeiten mit House of the Long Shadows. Verblüffende Analogien bestehen beispielsweise zu David Finchers Puzzle Film The Game (1997). Protagonist dieses Films ist Nicholas Van Orton (Michael Douglas), ein erfolgreicher, aber gefühlskalter und zynischer Mann, dem Profit wichtiger ist als Privatleben und Freundschaften. Da er bereits allen Luxus besitzt, schenkt ihm sein Bruder Conrad (Sean Penn) zum Geburtstag einen Gutschein für die Teilnahme an einem «Spiel», das eine geheimnisvolle Firma für ihre Kunden veranstaltet. Den Teilnehmern werden allerdings weder die Regeln noch die Zielsetzung des Spiels bekannt gegeben. Van Orton meldet sich für das Spiel an, doch nach einem ausführlichen medizinisch-psychologischen Test erhält er den Bescheid, dass die Firma ihn als Kunden ablehnt. Wenig später beginnen in Van Ortons Leben verschiedene Dinge schief zu laufen. Wie in House of the Long Shadows entwickeln sich die Vorkommnisse von harmlosen Ärgernissen zu hochkomplexen Machenschaften, die sich nicht mehr als Verket94
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tung unglücklicher Zufälle erklären lassen und Van Orton in lebensbedrohliche Situationen bringen. Ebenso wie in Pete Walkers Film muss sich der Protagonist (und mit ihm das Publikum) auch hier fragen, ob mit ihm ein überaus raffiniertes Spiel getrieben wird, oder ob die ungeheuerlichen Ereignisse, in die er verwickelt wird, authentisch sind. Obwohl es mit fortschreitender Handlung immer unwahrscheinlicher wird, dass die Vorkommnisse Teil des von Conrad in Auftrag gegebenen Spiels sind, ist letztlich doch genau dies der Fall. Nahezu alle Personen, die Van Orton seit Beginn des Spiels begegnet sind, erweisen sich als Schauspieler, die er schließlich auf einer Party wiedertrifft, auf der das erfolgreiche Ende der aufwändigen Inszenierung gefeiert wird. Sogar der Zweck des Spiels ist der gleiche wie in House of the Long Shadows, nämlich die Wandlung des Protagonisten vom herzlosen Zyniker zu einem Mann, der seine Gefühle entdeckt und erst dadurch wahrhaft zu leben beginnt. Pete Walkers letzter Spielfilm vereinigt vieles auf sich: Er ist nostalgische und liebevolle Hommage an die Goldene Ära des britischen Horrorfilms, zugleich deren selbstreflexive Parodie, postmodernes Spiel mit den Genrekonventionen, Vorläufer des Mindfuck Movies, aber vor allem eines – ein Kultfilm par excellence.
Filmografie Big Switch, The GB 1968, Regie: Pete Walker.
House of Whipcord GB 1974, Regie: Pete Walker.
Curse of Frankenstein, The GB 1957, Regie: Terence Fisher.
Inception USA 2010, Regie: Christopher Nolan.
Dracula GB 1958, Regie: Terence Fisher.
Memento USA 2000, Regie: Christopher Nolan.
Dracula A.D. 1972 1972. GB 1972, Regie: Alan Gibson.
School for Sex GB 1969, Regie: Pete Walker.
Fight Club USA 1999, Regie: David Fincher.
Shutter Island USA 2010, Regie: Martin Scorsese.
Game, The USA 1997, Regie: David Fincher.
Vanilla Sky USA 2001, Regie: Cameron Crowe.
House of the Long Shadows GB 1982, Regie: Pete Walker. 95
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Literaturverzeichnis Boot, Andy. 1996. Fragments of Fear: An Illustrated History of British Horror Films. London: Creation Books. Burton, Alan, Steve Chibnall. 2013. Historical Dictionary of British Cinema. Plymouth: Scarecrow Press. Chatman, Seymour. 1999. «The Cinematic Narrator.» In: Film Theory and Criticism: Introductory Readings, ed. Leo Braudy and Marshall Cohen, New York: Oxford University Press, pp. 473–86. Chibnall, Steve. 2002. «A heritage of evil: Pete Walker and the politics of Gothic revisionism.» In: British Horror Cinema, ed. Steve Chibnall and Julian Petley, London: Routledge, pp. 156–171. Chibnall, Steve. 1998. Making Mischief: The Cult Films of Pete Walker. Guildford: FAB Press.
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Helbig, Jörg (Hrsg.). 2006. «Camera doesn’t lie»: Spielarten erzählerischer Unzuverlässigkeit im Film. Trier: WVT. Helbig, Jörg. 1999. Geschichte des britischen Films. Stuttgart, Weimar: Metzler. Hunter, Jack (Hrsg.). 2000. House of Horror: The Complete Hammer Films Story. London: Creation Books. Maxford, Howard. 1996. Hammer, House of Horror: Behind the Screams. London: Batsford. Pirie, David. 1973. A Heritage of Horror: The English Gothic Cinema 1946–1972. London: Gordon Fraser. Walker, Johnny. 2016. Contemporary British Horror Cinema: Industry, Genre and Society. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Sabrina Gärtner
Es bleibt ein unbefriedigendes Gefühl zurück Jessica Hausners Spiel mit dem Horror-Genre
Schauplätze in Horrorfilmen haben viele Gesichter: So sind es in Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu (1922), in John Carpenter’s The Fog (1980) und in Wes Cravens A Nightmare on Elm Street (1984) die vermeintlich idyllischen Kleinstädte, in denen unvermittelt das Grauen Einzug hält. Einsame Waldhütten bilden in The Evil Dead (1981), Wrong Turn (2003) und in The Cabin in the Woods (2012) das Zentrum des Geschehens. Auch Kellerverliese à la Saw (2004), eine Farm auf dem Land wie in The Texas Chainsaw Massacre (1974), ein unheimliches Wachsfigurenkabinett wie in House of Wax (1953) oder eine Truckerbar im Nirgendwo wie das «Titty Twister» in From Dusk till Dawn (1996) eignen sich als Handlungsorte, in denen Angst und Schrecken herrschen können. Obwohl aus unterschiedlichen filmhistorischen Perioden und differenten Subgenres entstammend, findet sich in den genannten Filmen doch eine Konstante: «Wichtig […] ist, dass die Welt des Horrorfilms ein überschaubarer Mikrokosmos ist […].» (Vossen 2004: 13), denn durch diese definierte räumliche Beschränkung und die klare Abgrenzung zur Alltagswirklichkeit des Publikums wird der nötige Rahmen geschaffen, um Horrorfilme in der «verabredeten geschützten Rezeptionssituation» (Vossen 2004: 13) konsumieren zu können. In Hotel (2004), dem zweiten Spielfilm der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner, ist besagter filmischer Mikrokosmos das Waldhaus, ein traditionsreiches Kurhotel, am Rand eines dunklen Waldes gelegen, in dem sich mysteriöse Geschehnisse zutragen. Doch Hausner verlegt die Handlung ihres Horrorplots nicht nur in ein österreichisches Setting – ihr 97
Sabrina Gärtner
Spiel mit dem Genre ist weitaus vielschichtiger: Sie bedient etablierte Klischees und jongliert mit Konventionen des Horrors, imitiert und zitiert bekannte HorrorfilmKlassiker, verweist explizit und deutlich sichtbar auf gruselige Kultfilme, biegt und bricht aber auch die Genreerwartungen des Publikums, was im Folgenden Gegenstand der Erörterung sein soll. Als Jessica Hausner Hotel am 17. Mai 2004 im Rahmen des 57. Internationalen Filmfestivals in Cannes präsentierte, war sie an der Croisette keine Unbekannte mehr: Bereits für Inter-View (1999), ihre Abschlussarbeit an der Wiener Filmakademie, hatte sie im Jahr 1999 eine Einladung zum exklusiven Cannes-Nachwuchswettbewerb Cinéfondation erhalten und wurde mit einer lobenden Erwähnung der Jury rund um Dogma-Begründer Thomas Vinterberg geehrt (vgl. festival-cannes. fr, Les Sélections 1999). Ihr Spielfilmdebüt Lovely Rita (2001) wurde zwei Jahre später in die Sélection officielle der Sektion Un Certain Regard aufgenommen (vgl. festival-cannes.fr, Les Sélections 2001). Mit Hotel wagte sich Hausner zum ersten Mal ins Horrorfach und damit auf unbekanntes Terrain. Zwar verließ sie das französische Festival ohne Auszeichnung, ihr Film blieb jedoch nicht unbeachtet. Auf der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, wurde Hotel im Jahr 2005 mit dem Großen-Diagonale-Preis zum besten österreichischen Spielfilm gekürt (vgl. derstandard.at 2005). In der Jurybegründung hieß es: Der Regisseurin Jessica Hausner ist es gelungen, dem schon von vielen großen Namen ausgeloteten Genre des Horrorthrillers einen Film mit neuer und ganz eigener Handschrift hinzuzufügen. (2005.diagonale.at 2005: 1)
Mit dieser Einschätzung waren die Jurymitglieder nicht alleine, am Ende der Diagonale wurde Hausner außerdem der mit € 11.000,00 dotierte Thomas-PluchDrehbuchpreis zugesprochen (vgl. kunstkultur.bka.gv.at 2005). Auf dem Leeds International Film Festival 2005 gewann ihr Horrorfilm den Grand Prize of European Fantasy Film in Silber und war im gleichen Jahr für den Max-Ophüls-Preis nominiert. Martin Gschlachts Kameraarbeit wurde bei der 25. Ausgabe des International Film Camera Festivals «Manaki Brothers» mit der Bronze Camera 300 gewürdigt.
Zum Inhalt Nachdem Rezeptionistin Eva Steiner spurlos verschwunden ist, wird im Hotel Waldhaus eine neue Mitarbeiterin gesucht. Irene (Franziska Weisz) nimmt die vakante Stelle an und erhält – da ihr Elternhaus zu weit entfernt liegt, um täglich an die Arbeitsstätte zu pendeln – freie Kost und Logis. In ihrer Freizeit besucht sie mit Kollegin Petra (Birgit Minichmayr) die örtliche Diskothek und lernt beim Tanzen Erik (Christopher Schärf) kennen. Ein gemeinsamer Spaziergang durch den 98
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Wald führt Irene und Erik in die Grotte der mysteriösen Waldfrau, die angeblich im 16. Jahrhundert verbrannt wurde und schuld am Verschwinden einer Gruppe von Wanderern im Jahr 1962 sein soll. Fortan geschehen unheimliche Dinge im und rund um das Hotel Waldhaus, für die Irene keine Erklärung findet. Frau Liebigs (Rosa Waissnix) Rat, rasch von hier fortzugehen, und das Auffinden von Evas Leiche durch die ermittelnde Polizei bewegen die junge Frau dazu, sich bei Hoteldirektorin Maschek (Marlene Streeruwitz) einige freie Tage zu erbitten. Für den dazu nötigen Schichttausch verlangt Petra im Gegenzug Irenes Halskette inklusive des Schutz versprechenden Anhängers in Form eines Kreuzes als Leihgabe; eine Forderung, der Irene nur widerwillig zustimmt. Während der letzten Nachtschicht vor ihrer Heimreise verlässt Irene, nach dem obligaten Kontrollgang durch den Keller, wie gewohnt das Hotel durch den Lieferanteneingang, um eine Zigarette zu rauchen. Doch als sie den Rückweg an die Rezeption antreten will, um sich wieder an die Arbeit zu machen, ist die Türe verschlossen, der Weg zurück ins Hotel versperrt. Irene wendet sich dem angrenzenden Wald zu und verschwindet im Dunklen. Einen Moment herrscht Totenstille, dann erklingt ein markerschütterndes Kreischen.
Hausner meets Horror – eine Spurensuche Hausners Horrorfilm polarisiert. Während die einen in Hotel ein «souveränes Spiel mit dem Genre» erkennen, «das darüber hinaus geht, seine Regeln bloß kompetent zu exekutieren» (2005.diagonale.at 2005: 6), sind andere von der österreichischen Horrorfilm-Variation wenig begeistert bis enttäuscht. Dieser Film klaut wie ein Rabe auf Koks. Nicht nur bedient sich Jessica Hausner schamlos bei anglo-amerikanischen Horror-Größen […], sie stellt sogar deren berühmteste Sequenzen fast Bild für Bild nach. (Bickermann 2004)
Die ambivalente Rezeption wirft die Frage auf, wie sich das Hausner’sche Spiel mit dem Genre im konkreten Fall fassen lässt. Hotel erweckt vor allem den Eindruck, als Dekonstruktion des Horrorgenres verstanden werden zu wollen. Hausner spürt «inhärente Routinisierungen, aber auch Widersprüche» (Wulff 2012) auf, zerlegt das Horrorgenre in seine Einzelteile und setzt diese dann zu einem neuen Kunstwerk zusammen. Um den Film in seinem Anspielungsreichtum und seinen zahlreichen Verweisen und Zitaten vollständig zu decodieren, würde es wohl des fiktiven «idealen» Rezipienten (vgl. Pfister 200111: 21) bedürfen. Die nachfolgende Spurensuche kann somit nur als Versuch einer Annäherung verstanden werden und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 99
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Haunted Hausner Horror Mit dem titelgebenden Schauplatz ihres Spielfilms entwickelt Jessica Hausner einen Handlungsort, der sich gekonnt in die Reihe der Haunted-House-Filme stellt. Der Name lässt es bereits vermuten: Zentrale Handlungsorte dieser Spielform des Horrorgenres sind Bauwerke, in denen es zu unerklärlichen Ereignissen kommt. Dabei sind es nicht nur feudale Residenzen wie das idyllische Schloss Bly in The Innocents (1961), der ausladende Landsitz Hill House in The Haunting (1963), das schlossartige Anwesen im gleichnamigen Remake (1999) oder das einsame Herrenhaus in The Others (2001), die in der Filmgeschichte als Spukhäuser auftauchen. Auch schmucke Einfamilienhäuser wie Haus Nummer 112 in der Ocean Avenue, Long Island in The Amityville Horror (1979) oder das verschachtelte Gebäude in Beetlejuice (1988) eignen sich als Schauplätze des Schreckens. In William Malones Remake von House on Haunted Hill (1959/1999) wird die Handlung sogar in eine verlassene Irrenanstalt verlegt. Die vollkommene Isolation der Figuren und das damit verbundene Gefühl, dem Haus und seinen Spukgestalten hoffnungslos ausgeliefert zu sein, trieb Stanley Kubrik in The Shining (1980) auf die Spitze: Familie Torrance hütet das Overlook Hotel während der außersaisonalen Sperrzeit. Das weitläufige Gebäude ist eine Insel der Einsamkeit, die Zivilisation scheint in unerreichbare Ferne gerückt. Um die Abschottung des «Schlachtfeldes, auf dem der existenzielle Kampf zwischen Gut und Böse ausgetragen werden kann» (Vossen 2004: 13), noch greifbarer zu machen, beschwört Kubrick im Filmverlauf einen heftigen Schneesturm herauf und verwehrt dem kleinen Danny und seiner Mutter damit endgültig sämtliche Fluchtwege. Hausners Waldhaus, ein in die Jahre gekommenes Hotel, das seine Gäste mit ambivalentem Charme aus alter Bausubstanz und modernisiertem Wellnessbereich anzulocken versucht, bildet den filmischen Mikrokosmos in Hotel und ist dabei – wie es die Genrekonvention verlangt – klar überschaubar und von der restlichen Umwelt separiert. Als Drehort für einen Teil der Innenaufnahmen diente – nach umfassenden Recherchen und Hotelbesichtigungen der Regisseurin in Südengland und Frankreich – der Thalhof in Reichenau an der Rax: «Weil das ja auch lustig ist, in so einem traditionsreichen Hotel einen amerikanischen Horrorplot zu erzählen», begründet die Regisseurin ihre Wahl (vgl. Hausner 2016). In eindringlicher Weise erzählt sich der Film über Räume und lässt so das Unheimliche allgegenwärtig sein. Ohne je auf billige Schockeffekte zu setzen, wird eine verstörende Atmosphäre aufgebaut und auch gehalten. (2005.diagonale.at 2005: 1)
Das Hausner’sche Horror-Raum-Konzept in und um das Waldhaus entspricht dabei in bester Manier den Haunted-House-Horror-Erwartungen des Publikums: Mit dem Keller, den verwinkelten Gängen, dem grünlich beleuchteten Swimmingpool, den Türen, die sich auf unerklärliche Weise selbst zu verschließen scheinen, 100
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dem umliegenden Wald sowie der Grotte der Waldfrau werden zahlreiche Orte des möglichen Schreckens etabliert. Doch Hausner bedient die räumlichen Konventionen des Genres nicht nur, sondern entscheidet sich, ein ungeschriebenes Gesetz der Haunted-House-Filme weitgehend außer Acht zu lassen: Um den Isolationscharakter der Spukhäuser sichtbar zu machen und dem Publikum zu verdeutlichen, dass es für die Protagonisten kein Entfliehen vom Ort des Schreckens gibt, setzen Filmschaffende die Schauplätze meist bildgewaltig und mit eindrucksvollen Establishing Shots in Szene. Hausner bricht diese Usance, indem sie ihrem Publikum kein vollständiges Bild des Waldhauses und seiner näheren Umgebung präsentiert, sondern lediglich die nächtliche Silhouette eines Gebäudes andeutet. Einen bedeutungsschweren Traveling Shot mit initialer Sichtbarmachung des Spukhauses, wie ihn Stanley Kubrick seinem Publikum in der vielbesprochenen Eingangssequenz von The Shining bietet, findet man bei Hausner also nicht. Stattdessen steckt sie Protagonistin Irene und ihren Vorgesetzten, den Hotelmanager Kos, zu Filmbeginn direkt in die beklemmende Enge eines Aufzuges, knackendstockende Fahrstuhlmusik inklusive. The Shining stand zwar nicht für den filmischen Prolog Pate, wird in Hotel aber mehrfach zitiert, beispielsweise mit den «schwebenden Steadycam-Fahrten [sic] durch verwinkelte Hotelflure» (Bickermann 2004). Kubrick nutzte diese, um Danny bei seinen kindlich-wilden Tretroller-Fahrten durch das weitläufige Areal des Hotels zu verfolgen. In Imitation der Ästhetik der The Shining-Bildkompositionen lässt Hausner ihre Protagonistin durch die Flure des Waldhaus gehen, ahmt dabei nicht nur die Froschperspektive der Kameraposition, sondern auch die Kamerabewegung nach. Die Bilder Kubricks und Hausners muten verblüffend ähnlich an, zeigen in der Wirkung jedoch frappierende Unterschiede. Während Dannys Dreirad-Fahrten ungeschnitten von der Kamera begleitet werden und dem Publikum bei der Orientierung im Overlook Hotel helfen (vgl. Belton 2006: 444)1, ist ein Zurechtfinden in Hausners Waldhaus unmöglich, da den Zuschauern die Hotellobby, die schwach beleuchteten Flure und Kellerräumlichkeiten, aber auch der Angestelltentrakt und der Wellnessbereich in montierten Sequenzen präsentiert werden. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass Hausner wesentlich geringere finanzielle Mittel zur Verfügung standen und die Aufnahmen an verschiedenen Drehorten realisiert wurden, während Kubrick die innere Architektur des Overlook Hotels auf dem Gelände der EMI Elstree Studios 1
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle vermerkt, dass sich einige Interpreten, unter ihnen auch Thomas Allan Nelson, intensiv um das Erforschen des labyrinthartigen Handlungsortes von The Shining bemüht haben (vgl. Nelson 20002: 211 f.). Den entsprechenden Theorien und Thesen hat Schnittassistent Gordon Stainforth entgegenzuhalten: «[P]eople have tried to work out the geography/layout of the Overlook Hotel, without success, and without realising that they have missed the point completely. This is not a real 3D place, but a place which exists in the viewer’s imagination. Each person who sees The Shining builds up their own personal image of the hotel from the disparate fragments they are provided with. The real geography of the hotel does not work, nor was it intended to.» (http://www.visual-memory.co.uk/faq/html/shining/shining2.html)
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in Borehamwood nach seinen Wünschen und unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen hinsichtlich der geplanten schnittlosen Steadicam-Fahrten bauen lassen konnte (vgl. Hildebrand 2006: 193). Charakteristisch für Haunted-House-Filme ist nicht nur, dass die Gebäude ihre Bewohner und Gäste gefangen halten, sondern dass sich in ihren Mauern «die Geschichte von Generationen abgelagert» hat (vgl. Horst 2004: 348). Auch diesbezüglich offenbaren The Shining und Hotel eine Gemeinsamkeit, denn in beiden Häusern sind in vergangenen Tagen unheimliche Dinge passiert. Die dunkle Vergangenheit des Overlook Hotels ist mehrschichtig und hinlänglich erörtert worden; exemplarisch sei an dieser Stelle das Geständnis des geisterhaften Barkeepers Grady angeführt, der gegenüber Jack Torrance beiläufig den Mord an seinen beiden Töchtern andeutet. Die dunkle Vergangenheit des Waldhauses ist neueren Datums: Es ist das mysteriöse Verschwinden von Eva Steiner, das nicht nur Irene und die Belegschaft des Hotels, sondern auch die Kriminalpolizei beschäftigt.
Mysteriöses Verschwinden Bert Rebhandl verwies mit dem spurlosen «Verschwinden einer Gruppe junger Mädchen in Peter Weirs berühmtem naturmystischen Film ‹Picknick am Valentinstag›» (Rebhandl 2006) auf eine interessante Parallele. Im australischen Spielfilm Picnic at Hanging Rock (1975) kommen am Valentinstag des Jahres 1900 auf ungeklärte Weise drei Schülerinnen und eine Lehrerin des Appleyard College, eines Mädcheninternats, bei einem Ausflug abhanden. Tatsächlich verschwindet auch Rezeptionistin Eva in Hotel auf geheimnisvolle Weise. Sowohl bei Weir als auch bei Hausner wird intensiv nach den Abgängigen gesucht, doch hier enden die Analogien der beiden Filme. Im Gegensatz zu ihrem australischen Kollegen lässt Hausner die Suchaktion nach der ehemaligen Rezeptionistin erfolgreich enden. Die zur Hilfe gerufene Polizei findet Evas Leiche – das erfährt das Publikum zwar nicht aus erster Hand, doch Irene beobachtet von ihrem Rezeptionsposten aus, wie die Frau des Hausmeisters vom leitenden Ermittler zur Identifikation der Leiche gebeten wird. In Hotel verschwinden Figuren nicht nur auf narrativer Ebene, sondern auch in bildästhetischem Sinn. Inspiration für diese Szenen fand Hausner in den Werken von David Lynch, der «einfallsreich mit den klassischen Genres des Films» arbeitet und «künstlerisch eigenständige Filme» (Nowell-Smith 2006: 529) kreiert, die nicht nur von einem elitären Kreis von Cineasten rezipiert werden, sondern ein breites Mainstream-Publikum adressieren (vgl. Nowell-Smith 2006: 529). Hausner lässt Irene in ihren Träumen durch das Waldhaus wandeln. Die junge Rezeptionistin passiert uneinsehbare Ecken und verschwindet in der Finsternis der partiell unbeleuchteten Flure, nur um sich plötzlich und völlig unerwartet im dunklen Wald wiederzufinden. Die intertextuelle Referenz zu David Lynch, dem das Zitat «Ich 102
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liebe es, wenn Menschen aus der Dunkelheit hervortreten» zugesprochen wird (vgl. Donlon 2007: 58), und Filmen wie Lost Highway (1997) liegt auf der Hand. Und wie Lynch den FBI-Agent Dale Cooper in der Fernsehserie Twin Peaks (1990–1991, 2017) im Schlaf nach Antworten suchen lässt, die den grauenvollen Mord an Laura Palmer erklären, schickt auch Hausner ihre Protagonistin auf die Traumreise, lässt sie jedoch ohne konkrete Erkenntnisse wieder erwachen. Wie gefährlich das Einschlafen für Protagonisten in Horrorfilmen sein kann, ist den Zuschauern dank Freddy Krueger, dem Serienmörder aus A Nightmare on Elm Street, nur allzu bewusst und im deutschsprachigen Verleihtitel sogar explizit benannt: Als Nightmare – Mörderische Träume kam der erste Teil der Filmreihe im August 1985 in die bundesdeutschen Kinos. Zahlreiche Sequels, die Fernsehserie Freddy’s Nightmares (1988), mehrere Dokumentationen sowie das Spin-off Freddy vs. Jason (2003) und das Remake A Nightmare on Elm Street (2010) haben ihren Teil dazu beigetragen, dem schlitzenden, in Träumen mordenden Freddy Krueger einen Platz im kollektiven Bewusstsein des Kinopublikums einzuräumen. Auch Irene ist vor der Gefahr nicht gefeit: Im Gemeinschaftsraum des Angestelltentrakts nimmt sie – während ihre Arbeitskolleginnen eine ausgelassene Party feiern – in einem Sessel Platz und schläft ein. Als sie erwacht, liegt plötzlich der Kopf der Waldfrauenpuppe, die sich eigentlich an ihrem angestammten Platz in einer Schauvitrine in der Hotellobby befinden sollte, in ihrem Schoß – erschreckt schleudert Irene den Puppenkopf von sich. Die Frage, ob es sich um einen bösen Scherz der Kolleginnen oder um eine unheimliche Kontaktaufnahme seitens der Waldfrau handelt, beantwortet Hausner nicht.
Wackelige Bilder, eine Hexe und mehrdeutige Schreie Das unerklärliche Verschwinden der Protagonisten bildet auch in einem weiteren zum Kult gewordenen Horrorfilm den narrativen Rahmen: The Blair Witch Project (1999), einem als vermeintliche Dokumentation inszenierten Film, der durch die geschickte Nutzung moderner Informationstechnologie bereits vor dem Kinostart eine breite Öffentlichkeit erreichte (vgl. Monaco 20056: 408). Daniel Myrick und Eduardo Sánchez, die Macher der Low-Budget-Produktion, nutzen auf intensive Weise Hand- bzw. Wackelkamera-Sequenzen, um den Filmbildern «eine besondere Dynamik und Lebendigkeit» zu verleihen und «die Bewegung der Figuren im Unterholz nahezu authentisch wiederzugeben» (Mikos 2003: 194). Die Technik und ihre Wirkungsintention sind im Jahr 1999 keine Neuheit mehr: erste experimentelle Versuche mit der Handkamera sind bereits in Ewald André Duponts Varieté (1925) und Abel Gances Napoléon (1925) zu sehen, in Jean-Luc Godards Gangsterfilm À bout de souffle (1960) kommt die Handkamera dann als bewusstes Stilmittel zum Einsatz (vgl. Mikos 2003: 194). 103
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Das knappe Produktionsbudget zwang Sam Raimi bei den Dreharbeiten von The Evil Dead zur Improvisation; unter Zuhilfenahme eines Holzbrettes entstanden erste Aufnahmen mit der Shaky Cam, einer günstigen Alternative zur wesentlich kostenintensiveren Steadicam (vgl. Konow 2013). Auch «hektische HandkameraSubjektiven, die durch den Wald rasen» (Bickermann 2004) sind für die The Evil Dead-Bildästhetik symptomatisch. Beispiele neueren Datums für den gezielten Einsatz von Handkameras finden sich in den Produktionen der Dogma 95-Bewegung rund um die dänischen Regisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg. In ihrem im Jahr 1995 gefertigten Manifest verpflichteten sich die unterzeichnenden Filmschaffenden, klar definierte Regeln im Rahmen eines Vow of Chastity zu befolgen. Da heißt es unter anderem: «I swear to submit to the following set of rules drawn up and confirmed by DOGMA 95: … The camera must be hand-held. Any movement or immobility attainable in the hand is permitted […].» (Trier/Vinterberg 1995). Der kurze filmhistorische Rückblick macht deutlich, dass die Nutzung der Handkamera keineswegs genrespezifisch, sondern vielmehr der Wirkungsintention im jeweiligen Handlungskontext verpflichtet ist (vgl. Mikosch 2003: 193 ff.). Unabhängig davon, ob die wackeligen Bilder nun in Gangster-, Horror-, Experimentaloder Arthouse-Filmen zum Einsatz kommen, scheint ihnen eine visuelle Intensität, gepaart mit eindringlicher Authentizität, zu eigen zu sein. Die realistisch-bedrohliche Ästhetik, die durch die wackelige Kameraführung entsteht, macht sich Hausner in Hotel gekonnt zu nutze: Auf dem Weg zur Grotte der Waldfrau lässt sie Irene und Disko-Bekanntschaft Erik durch den geisterhaften Wald stolpern. Statt eines romantischen Spaziergangs wird der Weg durch den Wald aufgrund des beständig wechselnden Point of View und der unsteten Bilder der Wackelkamera zu einem emotionalen Spießrutenlauf, der das Publikum hinter jedem Baum, jedem Ast und jedem Laubhaufen Gefahr vermuten lässt. Hausners ominöse Waldfrau weckt weitere The Blair Witch Project-Assoziationen. In einem Schaukasten, der vor dem Eingang zur Grotte positioniert ist, liest Irene: Mit Hilfe von Kräutern und Pilzen heilte die Waldfrau vor allem Rheumatismus und Erkältungen. Im Jahr 1591 wurde sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. [Sprechpause] Im Jahr 1962 begab es sich, dass eine Gruppe Wanderer ein Nachtlager in der Gegend der Grotte errichtete und seither nicht mehr zurückgekehrt ist. Ihr Verbleib ist bis heute ungeklärt. (Hotel, 0:27:50–0:28:18)
Die Parallelen sind unverkennbar: Die Hexe von Blair findet in der – dem österreichischen Lokalkolorit entsprechenden – kräuterkundigen Waldfrau eine Analogie. Bei Hausner kommt eine Gruppe Wanderer im Jahr 1962 auf Nimmerwiedersehen abhanden, bei Myrick und Sánchez sind es die drei Filmstudenten Heather, Josh und Mike, die im Oktober 1994 im Black Hills Forrest campen und (beinahe) spurlos von der Bildfläche verschwinden. Nur ihre Kameras und Bilddokumente lassen 104
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eine Ahnung von den Geschehnissen zurück. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Filme findet sich auf akustischer Ebene: Während in The Blair Witch Project nachts Geräusche durch den Wald hallen, die wie verzweifelte Kinderschreie klingen, sind es in Hotel vermeintliche Tierstimmen, die auch als das panische Kreischen einer Frau gedeutet werden könnten. Ein ambivalentes Geräusch, das sowohl als Heulen eines wilden Tieres wie auch als Kriegsruf eines Indianers verstanden werden kann, lässt übrigens auch Kubrick in The Shining ertönen (vgl. Hildebrand 2013: 37). Einen weiteren Schrei, der sich einer eindeutigen Zuordnung verweigert, kommt aus Irenes Mund. In einem ihrer Albträume steht sie «dem Monster», durch dessen Augen das Publikum aufgrund der subjektiven Kamera blickt, gegenüber: ein panischer Schrei bricht aus ihr hervor, ihre Gesichtszüge sind schmerzhaft verzerrt, das «dem Horrorfilm genuine Rollenfach der ‹Scream Queen›» (Vossen 2004: 12) in Hotel ist besetzt. Zur etablierten Ikonografie des Grauens gehört des Weiteren das rätselhafte Gesicht, das nicht nur dazu dient, mimische Detailarbeit der Schauspielerinnen und Schauspieler herauszufordern; denn vor allem spiegelt sich auch unsere numinose Furcht und Panik darin. (Rußegger 2014: 103)
Irenes Schrei, der akustisch zum ohrenquälenden Schrillen der Hotel-Alarmglocke mutiert, dient nicht nur der Nachvollziehbarkeit von Furcht und Grauen, sondern ist zugleich Spiel mit der Horrorikonografie sowie parodistische Hommage an die Scream Queens der Filmgeschichte. Denn wenn es auch nicht der dominanten Lesart des Hausner’schen Horrorfilmes entspricht, finden sich in Hotel auf einer Metaebene mehrere witzige Momente und humorvolle Anspielungen, die zum Lachen oder zumindest zum amüsierten Schmunzeln reizen.
Death prefers Blondes Dass das Böse selbst vor dem Eindringen in die Privatsphäre nicht Halt macht, verdeutlicht Hausner nicht nur damit, dass sich für das Publikum unsichtbare Akteure Zutritt zu Irenes persönlichem Rückzugsort (i.e. ihr Mitarbeiterzimmer) verschaffen und dort einen üblen Geruch zurücklassen, sondern auch mit einer Duschszene. Nachdem Irene ihre abendliche Schwimmeinheit im Hallenbad des Hotels absolviert hat, sucht sie die Gemeinschaftsduschen auf und wird von einer gesichtslos bleibenden Figur beobachtet, die vor dem Duschabteil Position bezogen hat. «Spätestens seit Hitchcocks Psycho sind Baderäume Orte unfreiwilligen Aderlasses […].» (Gräper 2004: 268) Auch wenn Hausners Duschszene in puncto Inszenierung und Bildsprache stark von Hitchcocks Vorlage abweicht, ist die intertextuelle Referenz zu Psycho (1960) und dessen zahlreichen filmischen Geschwistern offensichtlich. Zwar wird Hausners Heldin nicht wie Marion Crane mit einem 105
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Messer gemeuchelt, symbolische Opfer gibt es in der Szene aber doch zu beklagen: Irene findet ihre Brille zerbrochen am Boden, und ihre Halskette, die als Glücksbringer dient, ist spurlos verschwunden. In Psycho nutzt Alfred Hitchcock in einer frühen Phase des Films eine narrative Strategie, die im Englischen mit red herring, im deutschen Sprachgebrauch mit dem Metonym Nebelkerze bezeichnet wird. Das Publikum wird durch den Autor bewusst in die Irre geführt und/oder abgelenkt, um eine falsche Antizipation hinsichtlich der folgenden Handlung zu erreichen (vgl. Fuxjäger 2007: 46). Im Interview mit François Truffaut erklärte Hitchcock: Es ist nicht üblich, daß der Star eines Filmes im ersten Drittel umkommt. Ich habe das absichtlich getan, auf diese Weise kommt der Mord noch unerwarteter. […] In Psycho habe ich das Publikum geführt, als ob ich auf einer Orgel gespielt hätte. (Truffaut, 20033: 264)
Dass der Mord an der blonden Marion Crane für das damalige Publikum völlig überraschend schien, ist in der gegenwärtigen Rezeption von Psycho ohne entsprechenden filmhistorischen Kontext nur mehr schwer verständlich. Nur im Rückblick kann man Psycho dem «Horror»-Genre zuordnen. Diese Bezeichnung ist angemessen, weil der Film uns Horror empfinden läßt, aber zu seiner Zeit wurde er als Mischung aus erotisierter Lust und Angst wahrgenommen, die nicht mit Genre-Formeln erklärt werden konnte oder sich darauf reduzieren ließ. (Williams 2006: 449)
Aus heutiger Sicht liegt ein in der Duschszene geltendes Horrorgenre-Klischee klar auf der Hand; denn anders als in der US-amerikanischen Komödie Gentlemen prefer Blondes (1953) ist Blondinen in Horrorfilmen selten ein glückliches, langes Leben vergönnt – viel häufiger sind sie von Anfang an zum Tode verurteilt, wie eben auch die blonde Marion Crane. Weitere Beispiele sind etwa die Schülerin Casey Becker in Scream (1996), der die zweifelhafte Ehre zuteil wird, das erste on-screenOpfer des Ghostface-Killers zu werden oder die Schönheitskönigin Helen Shivers, die in I Know What You Did Last Summer (1997) vom Mörder mit einem Packhaken niedergemetzelt wird. Nach dem gezielten Wurf eines Holzstiels durchbohrt Vincent, einer der getrennten siamesischen Sinclair-Zwillinge, den Schädel von College-Studentin Paige Edwards in House Of Wax (2005). Cheerleaderin Lynda van der Klok wird in Halloween (1978) von Michael Myers mit einem Telefonkabel stranguliert, die Bankangestellte Christine Brown wird in Drag Me to Hell (2009) vor den Augen ihres Verlobten Clay von der Hand des Dämons Lamia in den Höllenschlund gezogen. Selbst die freundlich-empathische Turnlehrerin Miss Collins muss in Carrie (1976) einen grausamen Tod sterben (vgl. O’Hayre 2010: 10 f.). «Death prefers blondes» könnte man nach diesem Blick auf die zerstückelten, erstochenen, erwürgten, erhängten, kurzum: massakrierten Blondschöpfe schluss106
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folgern. Dass die ebenfalls blonde Irene sich im großen Finale von Hausners Hotel dem dunklen Wald zuwendet und darin verschwindet, ist – zumindest im Rahmen der Horror-Genrekonventionen – logische Konsequenz. Noch eindeutiger und ausdrücklicher als in der Final Cut-Version ist das Filmende in der originalen Schnittfassung. Darin bekommt das Publikum nach Irenes Verschwinden im Wald ein Bewerbungsgespräch zu sehen. Ein junges Mädchen spricht für die vakante Position der Rezeptionistin im Waldhaus vor. Der Kreis des Grauens schließt sich: Wie Irene als neue Mitarbeiterin ins Hotel gekommen ist und in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin Eva Steiner getreten ist, tritt nun eine neue Protagonistin auf den Plan und wird (möglicherweise) dasselbe Schicksal wie Eva und Irene erleiden. Obwohl Hotel bereits in Cannes seine Premiere gehabt hatte, entschied sich Hausner aus ästhetischen Gründen, diese letzte Szene des Films zu entfernen. Unter erheblichen Kosten wurden die Kopien eingesammelt, das Negativ gekürzt und erst dann für den Weltvertrieb freigegeben (vgl. Hausner 2016). Hausners Begründung dieses einschneidenden Eingriffs las sich im Jahr 2006 noch so: Dieses Stückchen Zucker, dieses fehlende Teil im Irrgarten, will ich nicht geben. Durch dieses Ende sind die Zuschauer irritiert. Es bleibt ein unbefriedigendes Gefühl zurück, eine Welt, die lückenhaft ist und die nicht durch Erklärungen zusammengehalten werden kann. (Dockhorn 2006)
Zehn Jahre später revidierte die Regisseurin ihre Aussage und erklärt, dass Hotel ohne das finale Bewerbungsgespräch zwar in Wirklichkeit auch nicht besser [ist] – es fehlt jetzt ein bisschen was am Ende – aber ich fand es dann immer noch besser als dieses schlecht[e] […] Ende. Aber es ist schade! Eigentlich hätte die eine Szene noch drauf gehört. (Hausner 2016)
Während das Filmende des Final Cut eine offene Rezeption erlaubt und Schlussfolgerungen Irenes Schicksal betreffend der Phantasie des Publikums überlassen werden, ist das Finale in der Originalversion konkreter. Das Bewerbungsgespräch verdeutlicht, dass die Stelle der Rezeptionistin im Waldhaus vakant ist, und eine neue Mitarbeiterin gesucht wird. Zwar lässt Hausner die Frage nach Irenes Verbleib unbeantwortet, ihr Verschwinden ist aber unweigerliche Gewissheit.
Sex-Verbot für Final Girls Es ist nicht nur Irenes Haarfarbe, die sie im Sinne der Genrekonvention zum Tod verurteilt, sondern auch ihre völlige Ignoranz einer der wichtigsten Regeln des Horrorfilms. Diese proklamiert Randy Meeks beim Filmabend mit seinen Freunden in Scream: «Number One: You can never have sex!», klärt er seine Zuhörerschaft auf 107
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und erntet dafür Buh-Rufe und Popcorn-Würfe. Diese Quintessenz, die Randy so salopp formuliert, enthält einen Verweis auf eine stereotype Figur, die besonders in klassischen Slasher-Filmen zum Standardpersonal zählt und dem Publikum im Regelfall bereits zu Beginn der Handlung vorgestellt wird. Sie ist die einzige Figur, zu der das Publikum eine psychologische Nähe aufbauen kann, und außerdem die einzige, die das mörderische Gemetzel des schlitzenden Killers überleben wird: das Final Girl (vgl. Clover 1989: 201 ff.). She is intelligent, watchful, level-headed; the first character to sense something amiss and the only one to deduce from the accumulating evidence the patterns and extent of the threat; the only one, in other words, whose perspective approaches our own privileged understanding of the situation. (Clover 1989: 207)
Damit das Mädchen bis zum Ende des Filmes überlebt, gilt es, sämtliche erotischen Kontakte peinlichst zu vermeiden, um dann in der finalen Szene alle unterdrückte sexuelle Energie freizulassen, oder in John Carpenters Worten: [T]he one girl who is the most sexually uptight just keeps stabbing this guy with a long knife. She’s the most sexually frustrated. She’s the one that killed him. Not because she’s a virgin, but because all that repressed energy starts coming out. She uses all those phallic symbols on the guy. […] She and the killer have a certain link: sexual repression. (Carpenter 1980: 23 f.)
Irene vereint viele Eigenschaften des Final Girl in sich – sie ist intelligent, aufmerksam, vernünftig und versucht, dem Geheimnis der mysteriösen Geschehnisse im und um das Waldhaus auf die Spur zu kommen; vor allem aber ist sie die Hauptfigur in Hausners Horrorfilm, das Augenmerk des Publikums gilt von Beginn an ihr und ihrer Geschichte. Die Zeichen für Irenes Überleben stehen somit zunächst scheinbar gut, doch dann lernt sie beim Besuch der Disko Erik kennen, trifft sich mit ihm zum Kaffeeplausch, küsst ihn in der Grotte der Waldfrau. Obwohl sie von Arbeitskollegin Petra explizit darauf hingewiesen wird, dass Männerbesuch im Angestelltentrakt des Hotels strengstens untersagt ist, missachtet sie dieses Gebot und lädt Erik nicht nur auf ihr Zimmer, sondern auch in ihr Bett ein. Petras spitze Bemerkung, dass es die auf mysteriöse Weise verschwundene Vorgängerin Eva mit dieser Regel nicht so genau genommen und ständig wechselnde Bekanntschaften in ihrem Zimmer beherbergt hat, sollte alle Alarmglocken zum Schrillen bringen.
Kryptische Botschaften Das Sex-Verbot ist nicht die einzige Warnung, die Irene in den Wind schlägt. Eine ihrer Aufgaben im Rahmen der Nachtschicht ist der Kellerrundgang und die Überprüfung der ordnungsgemäßen Versperrung des Lieferanteneingangs. «Der Teufel 108
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schläft nicht», begründet Hotelmanager Kos diese Aufgabe geheimnisvoll, erklärt aber nicht explizit, welche Gefahr durch die geöffnete Tür zu erwarten sein könnte. Von Frau Liebig, der Rosenkranz betenden Ehefrau des Hausmeisters, bekommt sie den eindringlichen Rat, das Hotel auf schnellstem Wege zu verlassen. Hausner greift hier auf ein beliebtes Horror-Klischee zurück – eine Botschaft und/oder Warnung könnte die Protagonisten im Horrorfilm vor Schaden bewahren, wird von ihnen aber geflissentlich ignoriert. In Candyman (1992) will Doktorandin Helen Lyle eine «urbane Legende» überprüfen. Trotz ausdrücklicher Warnung vor der drohenden Gefahr stellt sie sich vor einen Spiegel, spricht fünf Mal den Namen «Candyman» und weckt damit den Untoten, der daraufhin mordend durch Chicago zieht. Eine Variante dieser Story findet sich in der Legende der «Bloody Mary», wie sie etwa in der TV-Serie Supernatural (2005- ) vorkommt. Von ihren Freundinnen angestachelt, fordert die junge Lily Shoemaker ihr Glück heraus und spricht dreimal den Namen «Bloody Mary» in ihren Badezimmerspiegel. Wenig später stirbt ihr Vater an einem Herzinfarkt, sein toter Körper wird vor dem Spiegel liegend gefunden – und er wird nicht das einzige Opfer des bösartigen Geists bleiben (vgl. de.supernatural.wikia. com, s.v. Bloody Mary). Eine Botschaft oder eine Warnung sollte – das lehrt die Horror-Genreerfahrung – für bare Münze genommen werden. In Hotel lässt sich Irene mit dieser Erkenntnis lange Zeit – und agiert damit in völliger Übereinstimmung mit den Genrekonventionen, da die Handlung nur durch die Weigerung, die Warnung ernst zu nehmen, Fahrt aufnehmen kann. Erst als sich die mysteriösen Ereignisse im Waldhaus mehren und Evas Leiche gefunden wird, erkennt Irene den Ernst der Lage und beschließt, ein paar Tage frei zu nehmen. Bevor sie den Spätzug nach Hause nehmen kann, muss sie aber noch eine Nachtschicht im Waldhaus absolvieren – es wird ihre letzte sein.
Vorsätzliche Genreenttäuschung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die österreichische Regisseurin ihre Zuschauer durch einen Irrgarten aus populären Horrorbildern schickt. Sie bedient bekannte Klischees, Stereotype und Konventionen des Genres, zitiert und imitiert populäre Horrorfilme und deren Regisseure, schafft unzählige intertextuelle Referenzen, lässt das Publikum nach des Rätsels Lösung suchen und verwehrt ihm im großen Finale doch die Antworten auf (fast) alle Fragen. Hotel ist ein Genre-Film, der sich über das Genre stellt, ein Horror-Film, den nur die Andeutung von Horror interessiert – ein Kunst-Thriller im eigentlichen Sinn. Unbefriedigend ist er trotz technischer Raffinesse, weil er sich im Akt der Nivellierung erschöpft: Zwar gibt es sorgsam ausgelegte Fährten, schön komponierte Momente, aber sie bleiben reaktionslos nebeneinander stehen. (Huber 2005) 109
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Mit diesen Worten zeigte sich Christoph Huber in seiner Filmkritik für die Presse enttäuscht und machte damit zugleich auf Hausners Bruch des impliziten Genrevertrags aufmerksam, der unausgesprochen zwischen Produzenten und Konsumenten von Horrorfilmen gelten sollte (vgl. Altman 2006: 253 f.). Es herrscht ein Einverständnis zwischen den Machern und Publikum, fernab wirklicher Gefahren und Bedrohungen Schauergefühle und Gänsehaut, Schrecken und Angst miteinander zu zelebrieren, den eigenen dunklen Seiten, unausgelebten Begierden, uneingestandenen Neigungen, größten Ängsten zu begegnen. (Vossen 2004: 13)
Die Weigerung der Regisseurin, ihrem Publikum die zu erwartenden Inhalte zu zeigen, führt zu «Emotionen, die durch das Abweichen eines Films von GenreNormen erzeugt werden» (Altman 2006: 256) und endet letztlich in der Genreenttäuschung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Hausner kam damit einer Aufforderung von Michael Haneke nach, der in seinen «Notizen zum Film» das Aufbrechen der Rezeptionsgewohnheiten als explizite Aufgabe der Filmemacher benennt. Das Publikum, so seine These, erwartet von Film und Fernsehen, dass die Welt möglichst erklärbar vorgestellt wird. Diesem insgeheimen Verlangen sollen sich Filmschaffende verweigern. Sobald sich der Zuschauer mit den Fragen, die ihm durch die erzählte Geschichte gestellt sind, ohne gleichzeitig mitgelieferte Interpretationsanleitung allein findet, fühlt er sich bedrängt und beginnt, sich dagegen zu wehren. Ein produktiver Konflikt, wie ich denke. (Haneke 2008: 12 f.)
Erst wenn die «klassische Kette der Abwehrreaktion» (Haneke 2008: 13) – bestehend aus Irritation, Langweile und Verärgerung – durchbrochen ist, werden «Inhalte wieder empfindbar statt als bloße Informationen abgehakt zu werden.» (Haneke 2008: 13 f.). Vorsätzlich verwehrt Hausner ihren Zuschauern nicht nur die Antworten auf offene Fragen, sondern enthält ihnen auch die Sichtbarmachung des Monsters vor. [Hotel] imitiert absichtlich die Stilmittel eines Horrorfilms, damit sozusagen das Weglassen des Monsters noch ärgerlicher ist. Für mich war es so gedacht: Wenn ich das Genre quasi ärgern will oder eben verändern will, muss ich die Mittel des Genres benutzen – zugleich ist es eine Stilfrage. (Hausner 2016)
Die Reaktionen von Kritik und Publikum auf das Hausner’sche Spiel mit dem Genre fielen gemischt aus. Zwei Kommentare, die im Internet von Zuschauern veröffentlicht wurden, sind Hausner im Gedächtnis geblieben: Damals war das Posten von Kommentaren noch nicht so üblich, aber von Hotel habe ich zwei Postings in Erinnerung: das eine war «I want my money back!» […] 110
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und das andere war «It is like Jaws without the shark». […] Das war das beste Kompliment, weil ich das machen wollte – Jaws without the shark. (Hausner 2016)
Die Jury des Thomas-Pluch-Drehbuchpreises, der im Rahmen der Diagonale für das beste verfilmte Drehbuch eines abendfüllenden Kinospielfilms vergeben wird, benennt in ihrer Entscheidungsbegründung das Zurückspielen der offenstehenden Fragen als eine ausdrückliche Stärke des Drehbuches und hält fest, «dass sich keineswegs Frustration einstellt, sondern vielmehr die Bereitschaft, sich auf ganz persönliche Weise auf den anhaltenden Nachklang der Geschichte einzulassen.» (2005.diagonale.at. 2005: 6). Die Genreenttäuschung wird durch diese Betrachtungsweise zum konstruktiven Impulsgeber für die individuelle Rezeption und Reflexion.
Horror-Fortsetzung folgt Hausners Horrorfilm kann als Initialzündung für die folgende Entwicklung im neuen österreichischen Film betrachtet werden, denn nach dem Erfolg von Hotel näherten sich mehrere österreichische Regisseure dem Horrorgenre. Auf die multinationale Koproduktion Metamorphosis (2007) und den ambivalent rezipierten Slasherfilm Auf bösem Boden (2007) folgten in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Horrorfilmen «made in Austria». Neben diversen Independent-Produktionen waren es Horrorfilme wie One Way Trip 3D (2011), der Kurzfilm Spitzendeckchen (2012), der Body-Snatcher-Horror Blutgletscher (2013), Tartarus (2010) und Biest (2014), der 15-minütige Experimentalfilm Hades (2015) sowie Angriff der Lederhosenzombies (2016), die als Genreproduktionen Beachtung fanden. Mit In 3 Tagen bist du tot (2006), der laut Filmwirtschaftsbericht 82.618 Kinobesuche verzeichnen konnte (vgl. filmwirtschaftsbericht.filminstitut.at 2006), gelang es einem Horrorfilm sogar, zu einer der erfolgreichsten österreichischen Produktionen des Jahres 2006 zu werden. Zehn Jahre nachdem Hausner Hotel in Cannes präsentiert hatte, sorgte der mehrfach ausgezeichnete Spielfilm Ich seh Ich seh (2015) weltweit für Furore. Der österreichische Haunted-House-Film schaffte es nicht nur mittels Filmbesprechung in The New York Times (vgl. Catsoulis 2015), sondern lief ab dem 13. September 20152 – und damit deutlich nach dem Österreichisch-Start am 9. Jänner 2015 (vgl. Philipp 2014/2015: 1) – unter dem Titel Goodynight, Mommy in den amerikanischen Kinos. «Ein Horrorfilm? Ein Autorenfilm? Unser Film ‹Ich seh Ich seh› soll beides sein. Wir lieben körperliches Kino. Kino, das physisch überwältigt.», erklärt das Regie-Duo Veronika Fiala und Severin Franz (derstandard.at 2016) und 2
siehe http://www.imdb.com/title/tt3086442/business?ref_=tt_dt_bus
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deutet damit auf den in der Wissenschaft vorherrschenden Diskurs um die beiden konstruierten «Gegenpole» Genre- und/oder Autorenkino hin. In der Filmgeschichtsschreibung wird das Genrekonzept vor allem dem amerikanischen Kino und das Autorenkonzept dem europäischen Kino zugeordnet. Diese Zuordnung ist jedoch nur teilweise zutreffend. (Hickethier 20073: 74)
Knut Hickethier verweist damit nicht nur auf amerikanische Regisseure wie Howard Hawks, Ethan und Joel Coen, David Lynch oder Quentin Tarantino, denen es im genreaffinen System Hollywoods gelungen ist, sich mit Filmen mit individueller Handschrift zu etablieren, sondern auch auf europäische Autorenfilmer wie Wim Wenders, Lars von Trier oder Aki Kaurismäki, die in ihren Produktionen gekonnt Genrekonzepte variieren (vgl. Nowell-Smith 2006: 529). Ein Auszug aus der Jury-Begründung zur Vergabe des Thomas-Pluch-Drehbuchpreises 2005 verdeutlicht, wie diffizil der Versuch einer exakten Genrezuordnung in Hausners Fall ist: Der Leser [des Drehbuchs] glaubt sich in einem Suspense Thriller zu befinden und versucht, diese Hinweise genrespezifisch zu deuten. […] Immer wieder bietet Jessica Hausner bekannte Versatzstücke aus dem Werkzeugkoffer des Thrillers, die eine Erwartungshaltung aufbauen, die nicht eingelöst wird. (2005.diagonale.at 2005: 5 f.)
Die Mitglieder der Jury verstanden Hausners Drehbuch nicht als Script zu einem Horrorfilm, sondern hatten einen Thriller vor dem inneren Auge. Diese Assoziation entstand nicht zu Unrecht, denn per Genrekonvention bildet meist die «Geschichte eines möglichen Opfers» (Wulff 2002: 614) das Zentrum der Thriller-Handlung, die Hauptfigur muss sich mit ihren Ängsten und den eigenen psychischen Dispositionen auseinandersetzen, die Handlungsorte sind häufig «einsame alte Häuser, dunkle verfallene Straßen, vergessene architektonische Orte ohne Zukunft» (Seeßlen 2013: 30). All diese Aspekte treffen in hohem Maß auf Hausners Hotel zu, eine Rezeption als Thriller scheint genauso schlüssig wie diejenige als Horrorfilm. Dementsprechend statuiert Hausner mit Hotel auch ein Exempel und ist eindrucksvolles Beispiel dafür, wie obsolet der Versuch einer verbindlichen Genrezuordnung (zumindest im Hinblick auf Hausners Filme) ist. Wirft man einen Blick auf die harten Zahlen, so ist Hotel Hausners bisher schwächste Performance. Trotz Cannes-Präsenz, trotz Auszeichnung mit Filmpreisen und trotz der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit boten die Einspielergebnisse und Kartenverkäufe in Kinos und auf Festivals keinen Grund zum Jubeln. Hotel lockte nach dem Kinostart am 1. April 2005 nur etwa 5.200 Besucher vor die Leinwände.3 Obwohl das Interesse des Kinopublikums – selbst für 3 Das Österreichische Filminstitut vermerkte 5.249 Besuche (vgl. filminstitut.at. s.v. Hotel), der
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österreichische Verhältnisse – gering ausfällt, schaffte es der Horrorfilm, wohl auch dank des Film- und Fernsehabkommens, bislang dreimal in das Spätprogramm des Österreichischen Rundfunks (ORF) und erreichte nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Teletest jeweils zwischen 24.000 und 49.000 Zuschauer.4 Doch Hausner wäre nicht Hausner, würde sie sich von Einspielergebnissen und Zuschauerzahlen in ihrem kreativen Schaffen beeinflussen lassen. In den Unterlagen des Österreichischen Filminstituts (ÖFI) findet sich im Jahr 2011 ein Antrag der Regisseurin zur Förderung einer Drehbuch- und Konzepterstellung: Der geplante Spielfilm Ich-Du-Er-Sie-Es soll – so die erste Idee – auf Jack Finneys Roman Invasion of the Body Snatchers basieren. Filmische Adaptionen der literarischen Vorlage sind bereits vorhanden: dem in Schwarzweiß gedrehten Invasion of the Body Snatchers (1956, dt. Titel: Die Dämonischen) folgte 22 Jahre später das (zumindest im englischsprachigen Original) gleichnamige Remake (1978, dt. Titel: Die Körperfresser kommen). Sporen aus dem Weltall befallen die Menschheit und fressen die Erdenbewohner von innen heraus auf – ein Plot, den Hausner auf ihre spezielle Weise in Szene setzen will. Im Interview bestätigte die Regisseurin, dass sie dieses Projekt nach wie vor aktiv verfolgt. Es geht um eine Pflanzenzüchterin, die in einem kommerziellen Pflanzenzüchtungsbetrieb arbeitet und eine spezielle Pflanze züchtet, die dann ein bisschen macht, was sie will. (Hausner 2016)
Die Genreverwandtschaft zu den Body-Snatcher-Filmen und die thematische Nähe zu Roger Cormans The Little Shop Of Horrors (1960) sind – wie nicht anders zu erwarten – nicht zufällig, sondern bewusste intertextuelle Referenz. Aus heutiger Sicht bleibt Hotel somit weder Hausners einzige noch ihre letzte Horrorfilmproduktion. Das Publikum darf auf ein weiteres Spiel mit dem Genre gespannt sein, denn sicher ist: Eine bloße Neuinszenierung des Bekannten und die ledigliche Reproduktion bewährter Genrekonventionen und Genretraditionen wird es unter Hausners Regie nicht geben.
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österreichische Filmwirtschaftsbericht 2004 verzeichnete 5.190 Besuche. (filmwirtschaftsbericht. at 2004) Die ORF-TV-Premiere fand am 27. August 2007 statt (24.000 Zuschauer), die zweiten Ausstrahlung erfolgte am 10. November 2011 (49.000 Zuschauer), zum dritten Mal wurde Hotel am 29. Oktober 2013 gezeigt (27.000 Zuschauer). (vgl. filmwirtschaftsbericht.filminstitut.at. 2007, 2011, 2013).
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Es bleibt ein unbefriedigendes Gefühl zurück
Zitierte Filme À bout de souffle F 1960. Regie: Jean-Luc Godard.
Gremlins USA 1984. Regie: Joe Dante.
A Nightmare on Elm Street USA 1984. Regie: Wes Craven.
Halloween USA 1978. Regie: John Carpenter.
A Nightmare on Elm Street USA 2010. Regie: Samuel Bayer.
Hades D 2015. Regie: Kevin Kopacka.
Angriff der Lederhosenzombies A 2016. Regie: Dominik Hartl.
Hotel A 2004. Regie: Jessica Hausner.
Auf bösem Boden A 2007. Regie: Peter Koller.
House of Wax USA 1953. Regie: André De Toth.
Beetlejuice USA 1988. Regie: Tim Burton.
House of Wax USA 2005. Regie: Jaume Collet-Serra.
Biest A 2014. Regie: Stefan Müller.
House on Haunted Hill USA 1959. Regie: William Castle.
Blutgletscher A 2013. Regie: Marvin Kren.
House on Haunted Hill USA 1999. Regie: William Malone.
Candyman USA 1992. Regie: Bernard Rose.
I Know What You Did Last Summer USA 1997. Regie: Jim Gillespie.
Carrie USA 1976. Regie: Brian De Palma.
Ich seh Ich seh A 2015. Regie: Veronika Fiala / Severin Franz.
Drag Me To Hell USA 2009. Regie: Sam Raimi. Freddy vs. Jason I/USA 2003. Regie: Ronny Yu. From Dusk till Dawn USA 1996. Regie: Robert Rodriguez. Gentlemen prefer Blondes USA 1953. Regie: Howard Hawks.
Inter-View A 1999. Regie: Jessica Hausner. Invasion of the Body Snatchers USA 1956. Regie: Don Siegel. Invasion of the Body Snatchers USA 1978. Regie: Philip Kaufman. in 3 Tagen bist du tot A 2006. Regie: Andreas Prochaska. 117
Sabrina Gärtner
John Carpenter’s The Fog USA 1980. Regie: John Carpenter.
The Amityville Horror USA 1979. Regie: Stuart Rosenberg.
John Carpenter’s Halloween USA 1978. Regie: John Carpenter.
The Blair Witch Project USA 1999. Regie: Daniel Myrick / Eduardo Sánchez.
Lost Highway F/USA 1997. Regie: David Lynch. Lovely Rita A 2001. Regie: Jessica Hausner. Metamorphosis A/CAN/UK/D/HU 2007. Regie: Jenö Hodi.
The Cabin in the Woods USA 2012. Regie: Drew Goddard. The Evil Dead USA 1981. Regie: Sam Raimi. The Haunting USA 1999. Regie: Jan de Bont.
Napoléon D 1927. Regie: Abel Gance.
The Haunting USA/UK 1963. Regie: Robert Wise.
Nosferatu, eine Symphonie des grauens D 1922. Regie: Friedrich Wilhelm Mur nau.
The Innocents UK 1961. Regie: Jack Clayton.
One Way Trip 3D CH/A 2011. Regie: Markus Welter. Picnic at Hanging Rock. AUS 1975. Regie: Peter Weir. Psycho USA 1960. Regie: Alfred Hitchcock. Saw USA/AUS 2004. Regie: James Wan. Scream USA 1996. Regie: Wes Craven. Spitzendeckchen A 2012. Regie: Dominik Hartl. Tartarus A 2010. Regie: Stefan Müller. 118
The Little Shop of Horror USA 1960. Regie: Roger Corman. The Others ES/F/I/USA 2001. Regie: Alejandro Ame nábar. The Ring USA/Japan 2002. Regie: Gore Verbinski. The Shining UK/USA 1980. Regie: Stanley Kubrick. The Texas Chainsaw Massacre USA 1974. Regie: Tobe Hooper. Varieté D 1925. Regie: Ewald André Dupont. Wrong Turn CAN/USA/D 2003. Regie: Rob Schmidt.
Es bleibt ein unbefriedigendes Gefühl zurück
Zitierte Fernsehserien Freddy’s Nightmares USA 1988. Idee: Wes Craven.
Supernatural USA 2005-. Idee: Eric Kripke.
Twin Peaks USA 1990–1991, 2017. Idee: David Lynch / Mark Frost.
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IV Subgenres Der drastische Horrorfilm und der Tierhorrorfilm
Benjamin Moldenhauer
Die Konstanz der Welt ist dahin Der drastische Horrorfilm
I get this ache and I thought it was for sex. But it’s to tear everything to fucking pieces. –– Ginger Snaps
In der subjektiven Erinnerung kann sich ein ganzes Genre in einem einzigen filmischen Moment verdichten. Eine Szene, die den Kern dessen enthält, was einem für die ästhetische Erfahrung, die man mit einem Korpus an Filmen gemacht hat, wesentlich erscheint. Für die Phase des Horrorfilms, die man in der Genregeschichtsschreibung mit dem Adjektiv «modern» versehen hat, ist es in meinem Fall eine knapp einminütige Szene aus The Texas Chain Saw Massacre (1974) (0:33:22–0:34:15). Ein junger Mann betritt den Flur eines Hauses. Draußen scheint die Sonne, drinnen ist es finster. Am anderen Ende des Flurs ist hinter einer Tür eine rote Wand zu sehen, an der Tierschädel hängen. Schweinegrunzen ist zu hören. Der Mann geht auf die Tür zu, stolpert und fällt durch den Türrahmen, hinter dem sich mit einem Mal eine riesige maskierte Gestalt in einer Fleischerschürze ins Bild schiebt. Die Kamera fährt an dem massigen Körper empor und geht mit der Bewegung seines Armes mit, der ohne Hast einen massiven Hammer hebt. Den Schlag sehen wir nicht von nahem, sondern in einer Totalen vom anderen Ende des Flures aus. Der Hammer geht nieder und trifft mit einem schmatzenden Geräusch auf den Körper, der sich einmal um die eigene Achse dreht und dann zu Boden geht. Dem Close-up auf den blutigen Kopf, der sich im Schock panisch hin- und herwirft, folgt eine Einstellung auf den unkontrolliert-spastisch zuckenden Körper. Das ein123
Benjamin Moldenhauer
1 The Texas Chain Saw Massacre, Mord mit dem Hammer
zige Geräusch in diesem Moment kommt von den auf den Holzboden trommelnden Füßen. Dann entfernt sich die Kamera mit einem abrupten Schnitt und zeigt, wie der Riese ein zweites Mal den Hammer niedergehen lässt, sein Opfer aus dem Sichtfeld zieht und die Tür mit einem dumpfen Knall zuschlägt. The Texas Chain Saw Massacre habe ich als 15-Jähriger gesehen, eine schlechte VHS-Kopie mit niederländischen Untertiteln. Die Szene tauchte dann zwanzig Jahre später in meiner Dissertation wieder auf, als erster einer Reihe von drastischen Momenten im Horrorgenre, die dem Zuschauer ein bestimmtes Verhältnis zur Welt, einen bestimmten Blick auf die Welt außerhalb des Kinos anbieten. Sie steht für mich für die Speicherressourcen des Filmgedächtnisses – was einmal affektiv durchschlagend war, wird vielleicht vergessen, ist aber bei erneuter Sichtung sofort wieder abrufbar, mitsamt der Erinnerung des Erwachsenen an die Emotionen, die er als Jugendlicher bei der Filmsichtung gehabt hat; natürlich nicht eins zu eins, sondern gefärbt sowohl von den Hunderten Filmen, die man seitdem gesehen hat, wie auch von dem Erfahrungs- und dem Weltwissen, das man seitdem gesammelt hat. Ich nehme The Texas Chain Saw Massacre zum Ausgangspunkt, um einen zentralen Wirkungsmoment vieler aktueller Horrorfilme zu rekonstruieren, für die ich die Kategorie des drastischen Horrors vorschlage. Mit ihr sind nicht nur eine bestimmte affektive Wirkung, sondern auch eine Filmerfahrung verbunden, in der die Welt als porös und unzuverlässig erscheinen soll. Das Mittel, mit dem dieser Eindruck sich einstellen soll, ist das affektintensive, möglichst schockhafte Gewaltbild. In einem letzten Schritt soll gezeigt werden, inwiefern die vom drastischen Horrorfilm nahegelegte Weltwahrnehmung vor allem in der Adoleszenz an Bedeutsamkeit gewinnt. 124
Die Konstanz der Welt ist dahin
Drastik Für den promovierenden Filmwissenschaftler hatte diese Szene eine exemplarische Qualität, und um die zu erkennen, war die Erinnerung an die Intensität der damaligen Filmerfahrung hilfreich1. In dem im Vergleich zu aktuelleren filmischen Gewaltszenarien dezent inszeniert wirkenden Hammerschlag zeigte sich die Effektivität einer Gewaltinszenierung, die beim Zuschauer das Gefühl evoziert, er hätte gerade das Schlimmste zu sehen bekommen – egal, ob sich der Kamerablick im entscheidenden Moment abgewendet oder nicht. Dieser Eindruck des Schlimmstmöglichen ist natürlich abhängig von dem zeitgenössischen Genrekontext und der Erfahrung, die der jeweilige Zuschauer zuvor mit dem Genre gemacht hat.2 Wo er sich einstellt, realisiert sich das in meinen Augen zentrale Wirkungspotenzial der Filme, die ich unter dem Begriff des drastischen Horrors zusammengefasst habe. Der Begriff der Drastik meint eine betont heftig inszenierte Gewalt, deren Bilder, wenn überhaupt, dann nur sekundär von den Anforderungen des Plot-Fortgangs bestimmt werden. Sie haben eine Eigendynamik, die die Erzählökonomie zugunsten einer mit allem Nachdruck versuchten konfrontativen Attacke des Zuschauers vernachlässigt.3 Hermann Kappelhoff sieht in The Exorcist «drastische Worte, Bilder und Töne, die nichts verschleiern, verschlüsseln, verrätseln, die vielmehr klar benennen, gezielt attackieren, präzise treffen und effektiv verletzen wollen» (2008: 177) und umschreibt damit den hier gemeinten inszenatorischen Modus sehr genau. Wo der klassische amerikanische Horrorfilm, erzwungenermaßen nicht zuletzt von den Zensurbestimmungen des bis 1967 geltenden Hays Code, die Gewalt in Schattenspielen, Auslassungen oder Dialogen nur andeutete und das direkte Bild vermied, fungiert das Gewaltbild im drastischen Horror als Medium einer Attacke auf den Wahrnehmungsapparat des Zuschauers. Die Gewalt, die auf der Leinwand zu sehen ist, soll nicht einfach nur gezeigt, sie soll vom Zuschauer selbst gespürt werden; als eine ästhetisch vermittelte Gewalt im Modus des Als-ob freilich, nicht als körperlich manifester Schmerz.4 1 2 3
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Die folgenden Überlegungen basieren auf meiner Dissertation Ästhetik des Drastischen: Welterfahrung und Gewalt im Horrorfilm (Moldenhauer 2016). Was gestern schockierend war, kann schon kurze Zeit später harmlos wirken. Kaum ein Genre ist in seiner Wirkung so gefährdet durch die Gewöhnung und die Abgeklärtheit des filmerfahrenen Zuschauers wie der Horrorfilm. In dieser Hinsicht korrespondiert der Begriff des drastischen Horrors mit dem Exzess-Konzept Kristin Thompsons. Thompson verortet den Exzess dort, wo einzelne Szenen dem Zuschauer in Hinblick auf ein zielorientiertes Fortschreiten der Handlung als unökonomisch erscheinen (vgl. Thompson 1986). Vgl. die Überlegungen Vivian Sobchacks zur leiblich spürbaren Verbindung zwischen Zuschauerund Figurenkörper (Sobchack 2004). Am genauesten beschrieben hat die körperliche Involvierung des Zuschauers im Modus des Als-ob so weit ich sehe Christiane Voss (vgl. Voss 2006).
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2 The Texas Chain Saw Massacre, Close-up des Opfers
Der Begriff des Drastischen meint also einen bestimmten Wirkmodus und weniger ein konstantes Set von Merkmalen. Gleichwohl lassen sich retrospektiv einige Inszenierungsstrategien auflisten, die sich als wirkmächtig etabliert haben und dementsprechend häufig zu finden sind. Am Beispiel von The Texas Chain Saw Massacre: • Das Kino im Allgemeinen adressiert das mimetische Vermögen des Zuschauers. Der Horrorfilm im Besonderen baut auf die von Zuschauer zu Zuschauer unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit, auf den Anblick von Bildern leidender Menschen empathisch zu reagieren. Close-ups auf Gesichter, die Schmerz und Verzweiflung erkennen lassen, sind im Genre virulent. Im Finale von The Texas Chain Saw Massacre finden sich zahlreiche Einstellungen aus nächster Nähe auf das schmerz- und angstverzerrte Gesicht des Opfers (1:05:53–1:18.30, s. Abb. 2).5 Ich fasse das mimetische Vermögen des Zuschauers als Möglichkeit, intuitiv Ähnlichkeiten zwischen dem zur Schau gestellten Empfinden der Leinwandfigur und den eigenen Empfindungspotenzialen herzustellen.6 • Schnittrhythmus und Kamerabewegungen erzeugen bereits selbst, als Fundament der affektintensiven Gewaltinszenierung, den Eindruck von Gewalt – immer Bezug nehmend und in vielen innovativen Fällen in Abgrenzung von dem, was die Filmemacher zur jeweiligen Entstehungszeit als geläufig eingeschätzt haben. Im Falle von The Texas Chain Saw Massacre sind das unter anderem 5 6
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Zur zentralen Rolle, die das Bild des Gesichts bei der Stimulation des mimetischen Vermögens spielt, vgl. Plantinga 1999. Zum Begriff der affektiven Mimesis vgl. Plantinga 2009.
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die extremen, eine unangenehme körperliche Nähe herstellenden detail shots auf das Auge, dem verletzlichsten Sinnesorgan (1:11:41–1:11:58). • Ein Sounddesign, das gleichfalls den Eindruck von Gewalt transportiert. Im drastischen Horror der Siebzigerjahre waren das oftmals Soundtracks, die an die Tradition der Neuen Musik anschlossen und eine mit Schmerzeindrücken verbundene Atonalität zu Gehör brachten (vgl. hierzu den Beitrag von Frank Hentschel in diesem Band). Diese Verstörung, die das primäre Ziel der Drastik bildet, entfaltet sich im affektiven Erleben des Zuschauers. Ein drastischer Horrorfilm, der es ernst meint, will das Gefühl der Vertrautheit mit dem Genre erschüttern, das der geübte Horrorfan ins Kino mitbringt. Es geht in diesem Sinne um eine körperliche Wahrnehmung, die sich niederschlägt in einer intensiv erlebten Affektkurve. Bereits in diesem Sinne entfaltet sich die filmische Erfahrung immer im Zusammenspiel von zwei Polen, den Zuschauern und den Bildern, die sie betrachten und die in ihrer Affektivität auf sie wirken. Es geht, im Horror noch weniger als sonst im Kino, nicht zuallererst (und wahrscheinlich auch noch nicht in einem zweiten oder dritten Schritt) um eine bewusste Interpretation der Bilder. Das zentrale Versprechen des Mediums lautet: «The cinema offers complex and varied experiences; for most people, however, it is a place to feel something.» (Smith 2003: 4)7
Vom unheimlichen zum drastischen Horrorfilm Das auf maximale Wirksamkeit zielende Gewaltbild unterscheidet sich, wie gesagt, von den vergleichsweise verhaltenen Bildern aus den Anfangstagen des Genres. Für die Genrephase von 1931 an hat sich in der Forschung der Term «klassischer Horrorfilm» etabliert, für die Jahre ab 1960 der Term «moderner Horror».8 Diese Kategorisierung ist, bei allen Vermischungen und Rückgriffen auf den klassischen Horror, die sich bis heute finden lassen, sinnvoll. Allerdings wird eine Verschiebung in der genrehistorischen Literatur meist nicht thematisiert: Mit der Erschließung neuer Wirkungsressourcen ab den Sechzigerjahren, von denen die vielleicht wichtigste in den Szenen drastischer Gewalt besteht, ging eine Verschiebung auf der semantischen Ebene einher. In den Worten Georg Seeßlens: Zu Mitte der siebziger Jahre entwickelte sich ein neues Horrorkino, das auf die Vorgaben des ‹gothischen› Horrors beinahe vollständig verzichtete. Zu den Eigenhei7
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Carl Plantinga schreibt: «Films are sensual to their very core, in ways which are not widely acknowledged.» (2009: 115) Und Steven Shaviro formuliert in seiner phänomenologisch argumentierenden Studie The Cinematic Body einen ähnlichen Gedanken: «Cinema produces real effects in the viewer, rather than merely presenting phantasmatic reflections to the viewer.» (2006: 51) Vgl. Newman 2010, Wells 2000, Hutchings 2004 und Worland 2007.
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ten dieses neuen, wilden Horrorfilms, der auf den direktesten Schock, die genaueste Schilderung des körperlichen Schmerzes, der Zerstückelung, des Blutes und des Fleisches hinauszielt, gehört eine extreme Reduzierung der handelnden Personen. Die Situation ist fundamental: Ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen geraten in eine Situation äußersten Terrors. (Seeßlen/Jung 2006: 347)
Im Gegensatz zum Terror, den die klassischen Genremonster – die Werwölfe, Vampire und Mr. Hydes – entfaltet haben, ist die drastische Situation nicht mehr im selben Maße freudianisch konnotiert. Ihre Inszenierung ist bestimmt von dem Versuch, den Eindruck einer möglichst verstörenden Direktheit zu erreichen.9 Während die klassischen Monster unermüdlich von der Wiederkehr eines verdrängten, als Monstrosität zurückkehrenden Begehrens erzählen, kreist der drastische Horrorfilm unerbittlich um den Einbruch brachialer Gewalt in eine als alltäglich codierte Welt. Um diese Verschiebung kategorial zu fassen, schlage ich die Unterscheidung zwischen einem unheimlichen und einem drastischen Horrorfilm vor. Wenn ich hier vom Unheimlichen spreche, ist der Begriff in der Prägung Freuds gemeint, der das Heimelige, das die Grundlage für das Gefühl den Unheimlichen bilden soll, mit verdrängter Libido und Kastrationsängsten in kausale Verbindung bringt (vgl. Freud 2000; s. hierzu auch den Beitrag von Susanne Bach in diesem Band). Damit entspricht der Begriff des Unheimlichen den Deutungsangeboten, die der klassische Horrorfilm gemacht hat. Eine weitere konstitutive Größe des das Genre damals dominierenden Freudianismus ist der Rückgriff vieler Filmplots auf die Tradition der gothic literature des 18. und 19. Jahrhunderts, die wiederum bereits viele Momente der Psychoanalyse vorweggenommen hat (vgl. Day 1985). Die Differenzierung zwischen dem unheimlichen und dem drastischen Horrorfilm korrespondiert genrehistorisch mit der Unterscheidung zwischen dem klassischen und dem modernen Horror, fokussiert aber die graduelle Verabschiedung des Topos einer verdrängten Sexualität zugunsten einer unmittelbar zerstörerischen Gewalt. Der Hammerschlag in The Texas Chain Saw Massacre trifft die Figur völlig unvorbereitet, und selbst wenn die Zuschauer auch 1974 von Filmbeginn an wussten, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis das Grauen sich zeigt, war die Rabiatheit dieser Bilder schockhaft. Ein Zeitzeugenbericht von Paul Roen, der sein Filmerleben 1975 im Fanzine Castle of Frankenstein wie folgt beschreibt: «The movie extends the boundaries of cinematic terror and revulsion to the point where we were forced to redefine the term ‹horror film› […]. I consider myself a hardened observer of horror films, but this one reduced me to a pale and quivering bulk.» (zit. nach Zinoman 2011: 148) 9
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Mit der expliziten Inszenierung von Gewalt steht das Horrorgenre freilich nicht allein da. Sie ist ein Merkmal des Hollywood-Kinos ab den späten 1960er-Jahren (vgl. Dammann 2007: 274–292). In Relation zu anderen Genres und zu den Filmen der Regisseure des New Hollywood bildet das Horrorgenre jedoch den Ort, an dem die explizitesten Bilder zu finden sind.
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The Texas Chain Saw Massacre war keineswegs die Initialzündung, stilbildende Prototypen für exzessive Gewaltinszenierungen im Horror sind Blood Feast (1960), Night of the Living Dead (1968), The Exorcist (1972), der sowohl als drastischer wie auch als unheimlicher Horrorfilm beschreibbar ist, und in gewisser Weise auch bereits Psycho (1960); die legendäre Duschmordszene lässt sich als ein Urmoment der drastischen Gewaltinszenierung beschreiben.10 Der Kanon des modernen US-Horrors seit den Siebzigerjahren muss hier nicht mehr im Einzelnen aufgeführt werden.11 Wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass sich mit der Direktheit der Drastik auch der metaphorische Gehalt des Leinwandgeschehens minimiert: Die Gewalt in diesen Filmen soll als das wahrgenommen werden, was sie ist – als Gewalt.12 Die freudianischen Topoi und damit auch diejenigen freudianischen Lesarten, die die Bilder als Symptome einer kulturell verdrängten Sexualität lesen, verlieren im drastischen Horror an Bedeutung. In Zeiten der sogenannten sexuellen Befreiung wirkten das viktorianische Setting des klassischen Horrors und die Probleme seiner Bewohner – beispielsweise Dr. Jekyll, der in der kanonischen Verfilmung von 1931 von seinem Schwiegervater in spe gehindert wird, mit der Verlobten zu schlafen – anachronistisch.13 Aber nicht nur die Fixierung auf Libido, Kastrationskomplex und ödipale Konstellationen wirkt heute seltsam antquiert, auch die Art und Weise, in der das Fixierte aufgedeckt werden sollte, hat an Stimmigkeit verloren. Die Grenzen der psychoanalytischen Filmtheorie liegen nicht zuletzt in der mit dem Freudianismus verbundenen hermeneutischen Methode. Auch wo die Semantik der Wiederkehr der verdrängten Sexualität variiert wurde – beispielsweise durch einen Inzestwunsch (vgl. Twitchell 1985), das Abjekt (vgl. Kristeva 1982), männlichen Masochismus (vgl. Clover 1992) oder Krankheit und körperlichen Verfall (vgl. Shelton 2008) –, bleibt die methodische Prämisse die gleiche: Die Bilder werden als Ensembles von Symbolen verstanden, und die Affektivität des Zuschauers spielt für die Filminterpretation kaum eine Rolle oder wird dem jeweils präferierten Zentralsignifikanten untergeordnet. Die Grenzen der psychoanalytischen Filmtheorie bestehen auch in den Grenzen einer Interpretation, die Filme primär als subtextlastige «meaning 10 Jason Zinoman sieht in den Filmen der ersten Regisseursgeneration des US-Horrors u. a. eine fortwährende filmische Auseinandersetzung mit dem Werk Hitchcocks (vgl. Zinoman 2011). 11 Der umfassendste genrehistorische Überblick findet sich bei Newman 2010. 12 Wo im Genre raptive Gewalt im Modus der Drastik inszeniert wird, kippt sie oftmals in autotelische Gewalt – etwa in The Last House on the Left oder I Spit on Your Grave, in denen Vergewaltigungen in der Zerstörung des Körpers des Opfers enden (vgl. Moldenhauer 2016: 219–232). 13 Aus der im drastischen Horror zu beobachtenden Verschiebung hin zur direkten Gewaltinszenierung, in der die Kettensäge kein Phallus, sondern einfach nur eine Kettensäge ist, folgt allerdings nicht, dass die Idee einer verdrängten Sexualität nicht in anderen Segmenten des Genres weiterhin präsent wäre (zur Wiederkehr der gothic fiction vgl. etwa den Beitrag von Marcus Stiglegger in diesem Band).
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machines» (Halberstam 1995: 21) in den Blick nimmt, anstatt sich auf die offensichtlichen affektintensiven Aspekte des Filmgeschehens zu konzentrieren. Im Falle des drastischen Horrors sind diese offensichtlichen Aspekte die gewaltvollen Bilder, die von einer anderen sozialen Konstellation als der Repression der Libido in einer viktorianisch bzw. puritanisch geprägten Gesellschaft zehren.
Vertrauensbruch Drastischer Horror heißt: Die Gewalt, die den Figuren auf der Leinwand angetan wird, soll möglichst intensiv auch vom Zuschauer vor der Leinwand (oder dem Bildschirm) als eine gewaltvolle ästhetische Erfahrung erlebt werden. Dieses Erleben ästhetischer Gewalt erschöpft sich aber nicht in der affektintensiven Sensation. Mit ihr ist ein bestimmter Blick auf die Welt außerhalb des Kinos verbunden. Wie die freudianischen Monster des klassischen Horrorfilms mit der Welt, in der sie erfunden wurden, verknüpft sind, speist sich das Verstörungspotenzial der Drastik aus einer historisch gewachsenen sozialen Konstellation, die über das Medium hinausweist und der Kinoerfahrung vorausgeht. Die Drastik kann anknüpfen an das Verhältnis zur realen Gewalt, das in modernen Gesellschaften – und wenn wir Jan Philipp Reemtsma glauben, ausschließlich in modernen Gesellschaften – herrscht. Reemtsma konstatiert, dass die Moderne von einer Abnahme der Grausamkeit begleitet ist: «Dass eine als Hexe verdächtigte und gefolterte Frau leide, hat niemand je bestritten, aber dass ihr Leid Grund sei, sie nicht zu foltern, ist ein Argument, mit dem modernes Denken und Empfinden beginnt.» (Reemtsma 2008: 262).14 Mit der weitgehenden Delegitimierung von Gewalt unterscheide sich die Moderne von allen anderen historisch bekannten Kulturen. Der drastische Horror schließt an das Verhältnis von Gewalt und Zivilisiertheit an, das uns in der Welt außerhalb des Kinos nahegelegt wird. Die Grausamkeit der Bilder ist der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Im Krimi dient der Gewaltakt einem bestimmten Zweck – der Mann, der die Bank bewacht, muss aus dem Weg geräumt werden; im Actionfilm ist er Mittel zum guten Zweck des Helden. Die drastische Inszenierung hingegen weist ein größeres Beklemmungspotenzial auf als Inszenierungen zweckgebundener Gewalt. In The Texas Chain Saw Massacre eskaliert die Gewalt in einer quälenden, offenbar nicht einmal mehr sexuell motivierten Folterszene. Eine Frau wird von vier Männern mit einem Hammer traktiert, der eine hält ihren Kopf über einen Eimer, ein nahezu lebloser Greis versucht sie zu schlagen, gleitet aber immer wieder ab; das alles unter lautem, Stress evozierenden Geschrei aller Beteiligten (1:13:52–1:15:23). 14 Empirisch nachgewiesen wurde die quantitaitve Abnahme von Gewalt von Steven Pinker (vgl. Pinker 2011)
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3 The Texas Chain Saw Massacre: Folterszene
Freilich kann man die Szene als den grotesken Versuch lesen, die Arbeit im Schlachthof zu wiederholen und dadurch mit einem sozialen Subtext versehen: Die Schlachterfamilie ist der Technisierung eines traditionell fordistischen Berufszweigs zum Opfer gefallen und übt Rache an den Vertretern der folgenden Generation. In dieser Richtung argumentiert etwa Rick Worland, wenn er Tobe Hoopers Film als Abgesang auf den Süden der USA und Parodie auf amerikanische Klassenverhältnisse interpretiert: «Texas in the American imagination meant the rural South with its tragic dynamics of race and class; but it also symbolized the West itself, with all the accumulated cultured mythology from cattle drives and Indian fighting to the Alamo.» (2007: 210 f.). Diese Interpretation mag eine affektive Entsprechung im Filmerleben des Kulturwissenschaftlers finden, der von Berufs wegen Filme als symptomatischen Ausdruck von unbewusst weiterwirkenden gesellschaftlichen Mythen versteht. Im Filmerleben der meisten Zuschauer ist der Eindruck aber ein unmittelbarer und damit ungleich direkterer. Worland nennt auch diesen Aspekt, geht ihm allerdings nicht weiter nach: Wir sehen, schreibt er, in The Texas Chain Saw Massacre «the heartless slaughter of people unable to defend themselves» (2007: 210). Die Folterszene spielt in seiner Filmexegese, die einen lesenden Zuschauer voraussetzt, jedoch keine nennenswerte Rolle, dabei ist sie doch offensichtlich der affektive Glutkern des Films – die Sequenz, auf die das gesamte Geschehen zuläuft und die es abrupt beendet. Geht man von diesem Primat der Affekte aus und konzentriert sich auf ihn und nicht auf etwaige Subtexte im oben beschriebenen Sinne (deren Konstruktion wohlgemerkt nicht zwangsläufig unsinnig sein muss), zeigt sich, dass die Gewalt in 131
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diesem Film Selbstzweck ist und keinen Grund außerhalb ihrer selbst hat. Sie betritt die Bühne, weil sie Gewalt sein will, weil sie denen, die sie ausüben, als Gewalt, die den Körper eines anderen Menschen zerstört, Lust bereitet. In dieser Hinsicht ist The Texas Chain Saw Massacre noch stilbildend für die in den Nullerjahren im Gefolge von Hostel (2005) erschienenen Filme der sogenannten Torture-PornWelle.15 Diese Lust an der Grausamkeit, der die Gewalt nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck ist, fasst Reemtsma mit dem Begriff der «autotelischen Gewalt» (2008: 117). Sie ist verrätselt, anders als die «lozierende Gewalt» (2008: 110), der es darum geht, ein Hindernis wie etwa den Wachmann, der vor dem Tresorraum steht, aus dem Weg zu schaffen. Dass jemand aus Habgier Gewalt anwendet, verstehen wir; auch die Formen militärischer Gewalt, die das Kriegsrecht nicht verletzen, gehören zum Feld der lozierenden Gewalt. Wird der Wachmann nicht nur gewaltsam außer Gefecht gesetzt, sondern vergewaltigt, liegt nach Reemtsma ein Fall von «raptiver Gewalt» vor (2008: 115). Auch dass jemand Gewalt ausübt, um sich Lust zu verschaffen, ist verurteilungswürdig – aber es ist nicht sonderlich rätselhaft. Die autotelische Gewalt hingegen, die selbstzweckhafte Grausamkeit, hat ein fundamentales Irritationspotenzial. Wenn der Wachmann nicht mehr nur außer Gefecht gesetzt, sondern auch zerteilt und ausgeweidet wird, touchiert der Vorgang die Grenzen dessen, was man bereit ist nachzuvollziehen. Diese Räselhaftigkeit ist nach Reemtsma ein spezifisch modernes Phänomen, das konstitutiv für das Vertrauen in moderne Gesellschaftsordnungen ist. Dabei ist Quantität der Gewalt nicht der entscheidende Punkt. Es geht nicht um die absolute Zahl der Opfer. «Kulturen», schreibt Reemtsma, «sind in unterschiedlicher Weise gewalttätig» (2008: 190). Entscheidend sei, wie die Bereiche definiert werden, in denen Gewalt verboten oder erlaubt und im Zweifelsfall gar geboten ist. Für die Gesellschaft, in der wir leben, bedeutet das: Die einzige Gewalt, die als legitim anerkannt wird, ist die, die zur Verhinderung anderer, vorgeblich schlimmerer Gewalt dient. Ihre einzig legitime Form ist damit die instrumentelle, also die lozierende Gewalt, die selbst gegen die Gewalt gerichtet sein soll. Der Einkesselung der Gewalt ist die angstvolle Phantasie ihrer Entgrenzung aber immer inhärent. Wo im Krieg oder in der zivilen Welt die selbstzweckhafte Gewalt, die Grausamkeit, aufblitzt, wenn etwa Soldaten beginnen, aus Lust an der Folter zu foltern oder ein Massaker veranstalten, Schüler Amok laufen oder eine Gruppe Männer ein zufällig gewähltes Opfer zu Tode tritt, machen sich Ratlosigkeit und Verstörung breit: Die Kulturentwicklung der Moderne kann nicht aus der Welt schaffen, dass der Mensch zu Gewalt […] nach wie vor fähig bleibt, und dass die Ausübung der 15 Zur Kritik des zugleich werbewirksamen und abwertenden Schlagwortes «Torture Porn» vgl. Stiglegger 2010: 17.
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Gewaltform, die die Moderne schlechthin delegitimiert hat, eine Lustquelle ersten Ranges darstellt. (Reemtsma 2008: 325)
Das moderne Verständnis von Gewalt ist damit sehr fragil. Immer, auch in vormodernen Zeiten, erschüttert die autotelische Gewalt die Welt dessen, der sie erleidet und überlebt. Fragilität entsteht durch die fortdauernde Bedrohung durch Gewalt, die als etwas Außerweltliches erlebt wird, aber zugleich mit der immer wieder aufblitzenden Wahrnehmung einhergeht, dass auch die Angehörigen der eigenen Kultur fähig zur Grausamkeit sind.16 Diese kulturell verankerte Anfälligkeit bildet sich in der kulturell verinnerlichten Wahrnehmung ab: «Wo [die Gewalt] auftritt, bricht sie herein. Sie wird zu einem Außerordentlichen, Unbewältigbaren.» (Reemtsma 2008: 136) Sie hat, mit Wolfgang Sofsky gesprochen, damit das Potenzial, die Gewissheiten über die Verfasstheit der Welt zu torpedieren: «Die Konstanz der Welt ist dahin, dieses Fundament allen Vertrauens und Handelns.» (2005: 72) Auf diese Achillesferse des modernen Selbstverständnisses zielt der drastische Horrorfilm. Er insistiert auf der unhintergehbaren Gefährdetheit des Menschen und enthält damit eine implizite Ahnung davon, dass das Selbstbild der Moderne als einer Gesellschaft, die die Gewalt überwunden hat, äußerst angreifbar ist. Seine Wirkungsressourcen zehren ganz wesentlich von diesem genuin modernen Angstimplantat.17 Nicht umsonst werden die Monster, durch mitunter abstruse Plotvolten, wieder mit dem Eigenen assoziiert. In Night of the Living Dead bleibt der Auslöser der Katastrophe ungeklärt, offensichtlich ist nur, dass vor allem Familienmitglieder aufeinander losgehen und einander auffressen. In The Texas Chain Saw Massacre leben die Schlächter an einem vertrauten Ort, der Gegend, in der die Großeltern des Final Girl einst gelebt haben – eine Peripherie, aber doch noch Teil der eigenen Welt, die sich, wenn einem nur das Benzin im falschen Moment ausgeht, im Handumdrehen in die Hölle auf Erden verwandeln kann. In The Hills Have Eyes (1977) sind die Mutanten, die die in der Wüste gestrandete Kleinfamilie zerlegen, das ungewollte Nebenprodukt von Atombombentests der amerikanischen Regierung. Derartige Plot-Ideen sind nicht notwendige Bedingung für die Wirkungen der Filme – die synchronisierte Fassung von The Hills Have Eyes etwa, Hügel der blutigen Augen, erklärt die Atombombenopfer zu Außerirdischen; die Heftigkeit, mit der die Kleinfamilie in diesem Film zerlegt wird, bleibt trotzdem spür16 Diese Fragilität bestimmt auch das subjektive Erleben von Gewalt: «Wer in Zeiten permanenter Gewaltpräsenz aufwächst, dürfte durch Gewalt weniger erschütterbar sein. Natürlich gibt es extreme Gewalt, die jeden zerbricht, um den Verstand und sein Ich bringt, aber dem vorgelagert dürften die Empfindlichkeiten in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich sein. Es ließe sich also formulieren, dass es ein Ziel des Zivilisationsprozesses sei, uns alle immer leichter traumatisierbar zu machen.» (Reemtsma 2008: 137) 17 Zum Begriff des modernen Angstimplantats vgl. Reemtsma 1996.
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bar. Im Original wie in der verhunzten deutschen Fassung wird das Vertraute, das, bei allem, was an ihm konfliktreich und potenziell destruktiv ist, zerstört. Zurück bleibt der Eindruck einer (Film-)Welt, in der die Gewalt als fortwährende Drohung über allem schwebt. Interessant wird die Verortung der Gewalt am Rand der eigenen Gesellschaft und/oder als Teil von ihr, wenn man nicht mehr nur nach dem ausschließlich affektiven Filmerleben fragt, sondern auch nach der Weltkonstruktion dieser Filme, die dem Zuschauer implizit ein bestimmtes Verhältnis zur Welt nahelegen.
Adoleszenz Warum man sich diesen auf den ersten Blick nur unangenehmen Bildern des Horrorgenres im Gesamten und des drastischen Horrors im Besonderen aussetzt, wurde in der Literatur zum Genre ausgiebig diskutiert. Noël Carroll hat die Frage mit der Neugier des Zuschauers beantwortet, für deren Befriedigung dieser auch die unangenehmeren Aspekte des Genres in Kauf nehmen würde (vgl. Carroll 1990: 189). Damit ist das angebliche Paradox allerdings weniger aufgelöst, sondern im Bild eines wesentlich vom Forscherdrang bestimmten Betrachters eher noch eskamotiert. Michael Balint hat die aus psychoanalytischer Perspektive inzwischen weithin akzeptierte Antwort gegeben, im Genre ginge es in der Hauptsache um Angstlust: Wer sich willentlich Angst evozierenden Situationen aussetzt und zugleich berechtigterweise davon ausgehen kann, dass er sie unbeschadet überstehen wird, kann mit der Angstlust eine ambivalente Mischung aus «Furcht, Wonne und zuversichtlicher Hoffnung genießen» (Balint 1994: 20). Das Kino ist eine solche Situation, mehr noch die Filmsichtung in den eigenen vier Wänden. Alle wissen, dass keine reale Gefahr droht. In der Verbindung von Lust und Angst fungiert das auf den ersten Blick nur negative Gefühl nicht als Hindernis, sondern als das eigentlich gesuchte Ziel. Angstgefühle können in einem geschützten Raum lustvoll erlebt werden. Anders als bei Carroll wird das Paradox von Balint in seiner Ambivalenz ernst genommen, und die Angstlust-These ist eine grundlegende erste Antwort auf die Frage, warum negative Emotionen im geschützten Raum des Als-ob als ästhetische Erfahrung nicht gemieden, sondern gesucht werden. Damit ist aber noch nicht erklärt, warum das Genre gerade für viele Jugendliche so eine große Bedeutung hat. Der überwiegende Teil des Publikums des drastischen Horrors setzt sich aus jugendlichen Zuschauern zusammen: «Mit steigendem Alter sinken der Horrorfilmkonsum sowie die Neigung einer Person, ‹ängstlich› zu reagieren.» (Grimm 1999: 49) Eine naheliegende Erklärung wurde in der Filmtheorie, die den filmischen Horror mitsamt seinem Publikum als Ensemble unbewusst ausagierter Symptomatiken verstand, selten diskutiert. Der Horrorfilm erlaubt den 134
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Kontakt mit den bedrückenderen Aspekten der Welt, die im Genre zumeist implizit als Welt erkennbar wird, die die vorangegangene Generation der jungen hinterlassen hat: Wir erkennen unsere Verletzbarkeit und Gefährdetheit sowie die Bedrohung durch die Welt, sind jedoch zugleich durch die Künstlichkeit, die das Geschehen von uns entfernt und als ‹Gemachtes›, als fiktionale Kunstwelt bewusst sein lässt, in der Position, uns diesem doppelt überlegen zu fühlen – einerseits ist es ‹bloß ein Film›, nicht Wirklichkeit (denn in Wirklichkeit sitzen wir im Kino), andererseits ist die erzählte Geschichte mit ihren Genreregeln und -topoi etwas, das so in der Wirklichkeit nicht vorkommen wird, obwohl es Gewalt und Vernichtung gibt. (Hausmanninger 2002: 240)
Der Medienwissenschaftler Thomas Hausmanninger bricht mit der Pathologisierung des jugendlichen Horrorfilmfans und gesteht ihm zu, auf der Suche nach Bildern und Erzählungen zu sein, die er als bedeutsam empfindet und sich in seine Weltdeutung integrieren lassen. Es scheint so, als wäre für ihn die bewusste Reflexion des Gesehenen damit eine zwangsläufige Bedingung: «Wir genießen in der Reflexivität uns selbst als aktives Zentrum und erleben eine spezifische Souveränität, nämlich unsere Position als ‹Konstrukteure› unserer Welterfahrung und Bedeutungszuweisung.» (2002: 234 f.) An anderer Stelle spricht Hausmanninger dann allerdings davon, dass die Bearbeitung von lebensgeschichtlichen Themen sich «nicht nur ‹im Kopf›, sondern ebenso ‹im Bauch›, d. h. auf der emotionalen Ebene und oftmals im Rahmen des intuitiven Selbstumgangs und der intuitiven Selbstformierung abspielt.» (2002: 248). Man kann also davon ausgehen, dass sich auch in dieser Perspektive ein Primat des Affektiven und die Suche nach lebensweltlicher Bedeutung im Gesehenen nicht ausschließen. Diese Bedeutsamkeit liegt in dem immer wieder aufs Neue durchexerzierten Eindruck eines Vertrauensbruches, für den der Einbruch der Gewalt in die filmische Welt gleichsam das Mittel darstellt. Laut Reemtsma stellt die autotelische Gewalt Gewissheiten infrage, sie widerspricht dem gesellschaftlichen, von den Erwachsenen tradierten Konsens, dass die Welt zumindest in den sicheren Zonen des Eigenen eine sei, in der Grausamkeit aus dem Bereich des Menschlichen ausgeschlossen ist. Die adoleszente Lust am Horror speist sich auch aus dem vielleicht nicht gleich subversiven, aber doch störrischem Insistieren des drastischen Horrors, das dem nicht so ist und dass die Welt anders aussieht, als die befriedeten Bilder der Erwachsenen, die in diesen Filmen zumeist als entweder ineffektive oder mörderische Figuren auftreten, es einem versprochen haben. Kim Newman meint etwas Ähnliches, wenn er schreibt, dass im Zentrum des Horrorfilms das Insistieren auf einer Gefährlichkeit steht, die ansonsten verleugnet wird: «To me, the central thesis of horror in film and literature is that the world is a more frightening place than is generally assumed»» (1988: xii). 135
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Es genügt eine falsche Abzweigung oder, wie in The Texas Chain Saw Massacre, ein leerer Tank zur falschen Zeit, um wenig später abgeschlachtet zu werden. In diesem Sinne insistiert die Drastik auf der Brüchigkeit der Welt, eher noch als dass sie uns Bedenkenswertes über das Böse erzählen würde.18 Diese immer wieder aufs Neue wiederholte Veranschaulichung der Porosität – die meisten Horrorfilmfans sind Serientäter und neigen zum wiederholten Schauen – hat zum einen, wie von Hausmanninger beschrieben, Züge der Selbstvergewisserung. Auch in einem ganz sportlichen Sinne: Man fühlt sich stark, weil man sich als Zuschauer erlebt, der das – etwa das auch heute noch zermürbende Finale in The Texas Chain Saw Massacre – alles freiwillig sieht und aushält. Filme, die Gewalt mit affektiv wirkungsvollen (und selbst gewalttätigen) Bildern präsentieren, können «Verletzbarkeit und Verletzungsmächtigkeit» (Hausmanninger 2002: 248) spürbar werden lassen. Und sie bieten dem Zuschauer Gelegenheit, sich mit den Bildern zu messen. Diese beiden Aspekte der ästhetischen Erfahrung, die man als jugendlicher Zuschauer anhand dieser Filme machen kann, bilden eine mögliche Erklärung der Wahrnehmung Georg Seeßlens, dass sich Jugendliche im Kino «merkwürdigerweise […] am besten dort repräsentiert […] fühlen, wo sie entweder abgrundtief peinlich sein dürfen oder fachgerecht abgeschlachtet werden.» (2005) Die in The Texas Chain Saw Massacre mit Lust zelebrierte Zerstörung des Vertrauens in die Welt kann an etwaige krisenhafte Züge adoleszenter Welterfahrung andocken. Adoleszenz meint in diesem Zusammenhang die Phase der potenziell konfliktreichen und krisenhaften Loslösung von der Familie und den Eintritt in die Welt der Erwachsenen. In den Worten des Kinderpsychologen Mario Erdheim: «Der Adoleszente muß den Übergang von der Ordnung der Familie in die Ordnung der Kultur finden.» (1996: 205) Ausgangsort und Ziel tragen beide ambivalente Züge: «Die Familie ist der Ort des Aufwachsens, der Tradition, der Verleugnung, der Intimität im Guten wie im Bösen, der Pietät und der Verfemung», schreibt Erdheim weiter und ergänzt: «In der Familie schaffen Liebe und Haß gefühlsmäßige Abhängigkeiten, die Geborgenheit vermitteln, aber auch Angst und Ausgesetztheit.» (1996: 205) Die Kultur dagegen sei «der Ort der Arbeit, der Innovation, der Revolution, der Öffentlichkeit und der Vernunft.» (1996: 205) Dieser Ort ist dem drastischen Horror Anlass für ein fundamentales Misstrauen. Das Bild bestätigt die eigene Skepsis gegenüber der Kultur der Erwachsenen, in die man mit dem Verlassen der Familie Eingang finden soll. Entweder zeichnen sich die erwachsenen Vertreter der Kultur – wie etwa in The Texas Chain Saw Massacre – durch Abwesenheit aus oder sie sind selbst Teil der Gewalt, und die Kultur ist nicht mehr – wie zuletzt am deutlichsten in Hostel und Martyrs (2008) – Camouflage der virulenten, omnipräsenten Gewalt. 18 Ähnlich Charles Derry: «the fear […] is not particularly of death or symbolic evil; the fear is instead of living in a crazy world, a world in which one can be mutilated physically in close-up» (2009: 31).
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Die spielerisch-ästhetische Selbstvergewisserung darüber, wie es um die Welt im schlimmsten Fall bestellt ist und welche Bilder man noch aushält, ist das Eine. Das unermüdliche Insistieren des drastischen Horrors auf der Grausamkeit und auf der Zerbrechlichkeit der Welt hat darüber hinaus auch performatives Potenzial. Das Genre verspricht nicht eine der Welt außerhalb des Kinos adäquate Beschreibung, sondern Erzählungen und Bilder, die es dem Zuschauer erlauben, sich in ein bestimmtes Verhältnis zu dieser Welt zu setzen. Die Bilder der Gewalt fungieren als Signum von Devianz. Für den adoleszenten Horrorfilmfan kann die ästhetische Erfahrung inszenierter Gewalt ein Weg sein, sich seiner Weltablehnung zu versichern; besser man bleibt jung, als Teil der Lüge zu werden. Die wirkungsvolle Inszenierung der Lust an einer Grausamkeit, die als tabuisierte menschliche Potenzialität in modernen Gesellschaften vertrauenserschütterndes Potenzial birgt, ermöglicht dem Zuschauer so die filmisch gestützte Imagination der eigenen Differenz. Der Konsument drastischer Filme kann sich selbst als Subjekt einer vollkommenen Negation dessen, was als legitim und richtig anerkannt ist, imaginieren – und die bis vor wenigen Jahren noch sehr präsenten Zensur- und Einschränkungsversuche von Seiten offizieller Stellen werden zu diesem performativen Potenzial noch beigetragen haben, schlicht, weil sie die Filme keineswegs zum Verschwinden gebracht, sondern sie im Gegenteil als deviante kulturelle Artefakte massiv aufgewertet haben. Diese beiden kraftmeiernden Aspekte der Filmrezeption – das Messen mit nervenzehrenden Bildern im geschützten Raum des Kinos und die performative Devianz – können aber eine These, die erst einmal nicht mehr als ein Verdacht ist, nicht ausräumen: dass exzessiver Horrorfilmkonsum oft mit der Trauer über den Verlust von Geborgenheit und Aufgehobensein verkoppelt ist (einen Zuschauer vorausgesetzt, dem die Kindheit nicht schon eine Reihung von Gewalterfahrungen war). Das Genre zeugt vielleicht auch, so banal das klingen mag, vom Verlust dessen, was man ‹kindliche Unschuld› nennt. Jan Philipp Reemtsma schreibt über diesen Verlust und seine Notwendigkeit: Die Gesichter einigermaßen gewaltfrei aufwachsender Kinder heißen einfach die Welt in einer einen Erwachsenen verblüffenden Weise willkommen, obwohl die Kinder ja schon wissen, dass man sich in dieser Welt zum Beispiel ziemlich wehtun kann. Aber der Erwachsene, der sich an einem solchen Gesicht zu freuen versteht, weiß doch auch, dass wir alle – Eltern, Großeltern, Freunde, Verwandte, Unbekannte – gemeinsam daran arbeiten werden, das Strahlen in diesem Gesicht zum Erlöschen zu bringen, es auszuwischen und das Kind auf den Weg zu einem Erwachsenen zu bringen, der nicht unbedingt stupide sein muss, aber der es gründlich verlernt hat, die Welt als solche willkommen zu heißen. […] Kurz, dieses Strahlen muss verschwinden, weil wir nicht anders können, als es zum Verschwinden zu bringen, weil es so ist, war und sein wird. (2008: 44). 137
Benjamin Moldenhauer
In diesem Prozess des Verschwindens, seiner abschließenden Phase sozusagen, der Adoleszenz, kann der drastische Horror Wahrnehmungsschule und Bestätigung sein: Die Filme beglaubigen im spielerischen Als-ob-Setting des Genrekinos die pubertäre Ahnung, dass das Schlimmste – von dem man ahnt, dass die Erwachsenen es nicht für berichtenswert halten, weil das Wissen um die Gewalt ihnen das reibungslose In-der-Welt-Sein erschweren würde – wahr und in Wirklichkeit noch schlimmer als im Kino ist.
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Benjamin Moldenhauer
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Dr. Jekyll and Mr. Hyde USA 1931. Regie: Rouben Mamoulian.
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Exorcist, The USA 1972. Regie: William Friedkin.
Night of the Living Dead USA 1968. Regie: George A. Romero.
Ginger Snaps CAN 2000. Regie: John Fawcett.
Psycho USA 1960. Regie: Alfred Hitchcock.
Hills Have Eyes, The USA 1977. Regie: Wes Craven.
Saw USA 2004. Regie: James Wan.
Hostel USA 2005. Regie: Eli Roth.
Texas Chain Saw Massacre, The USA 1974. Regie: Tobe Hooper.
I Spit on Your Grave USA 1978. Regie: Meir Zarchi.
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Michael Fuchs
Entirely outside the cultural? Das Monster als Brücke zwischen Natur und Kultur im US-amerikanischen Tierhorrorfilm
Topologische Oppositionen bilden das Fundament menschlicher Kulturen, folgerte der bedeutende russische Literaturwissenschaftler und Semiotiker Juri Lotman. Die Welt des Menschen präsentiert sich als kultiviert, sicher und organisiert, während die Natur gefährlich, feindselig und chaotisch ist (1990: 131). Im Kontext der US-amerikanischen Kulturgeschichte nimmt dieser Gegensatz zwischen Natur und Kultur (respektive Wildnis und Zivilisation) eine besondere Bedeutung ein, da die Erfahrungen der frühen europäischen Siedler auf dem neuen Kontinent vom Kampf zwischen der zivilisierten Welt der Europäer und der barbarischen natürlichen Umwelt sowie zwischen «the mental landscape of European consciousness and the physical and psychical landscape of the New World» (Mogen, Sanders und Karpinski 1993: 15) geprägt waren. Nicht von ungefähr postulierte William Bradford in seinem Werk Of Plymouth Plantation (1630–1651), dass die Wälder Neuenglands von unzivilisierten Menschen bevölkert seien, die sich kaum von wilden Tieren unterschieden (1981: 26), während Cotton Mather in On Witchcraft (1692) die Waldgebiete der Neuen Welt gleich zum Territorium des Teufels erklärte (2005: 14). Dieser Gegensatz zwischen Wildnis und Zivilisation bildet auch die Basis für amerikanische Horrorgeschichten, die soziale, psychische und psychologische Grenzen (und deren Überschreitungen) austesten. «[S]ome spook invades our commonplace reality, or our apparently sane and rational self enters a categorically malign environment» (2002: 9), folgert zum Beispiel Roger B. Salomon in seinem 141
Michael Fuchs
Buch Mazes of the Serpent. Das narrative Grundgerüst des Tierhorrors beruht ebenfalls auf dieser räumlichen Symbolik. Schließlich erzählt eine typische Geschichte aus dem Subgenre1, wie ein Tier (bzw. eine Gruppe von Tieren) «a transgression against humanity» (Gregersdotter, Hållén und Höglund 2015: 3) begeht. Somit nimmt der Mensch-Tier-Konflikt eine zentrale Rolle im Tierhorror ein. In den meisten Fällen ergibt sich ein derartiger Konflikt aus der Überschreitung von Grenzen. Zumeist dringen Tiere in das Hoheitsgebiet der Menschen ein, greifen sie an, und schließlich gibt es Todesfälle unter den Zweibeinern zu beklagen. Alfred Hitchcocks Klassiker The Birds (1963) bietet ein exzellentes Beispiel für die symbolische Kraft von räumlichen Metaphern im Tierhorror. Die Handlung des Films dürfte weithin bekannt sein: Zufällig sieht Mitch Brenner (Rod Taylor) das It-Girl avant la lettre Melanie Daniels (Tippi Hedren) in einer Tierhandlung in San Francisco. Kurzentschlossen geht Mitch auf die Blondine zu und erzählt, dass er ein Pärchen Unzertrennliche («love birds») sucht, welches er seiner jüngeren Schwester Cathy (Veronica Cartwright) zum Geburtstag schenken möchte. Melanie zeigt sich von Mitchs Avancen beeindruckt und findet heraus, dass der Anwalt die Wochenenden normalerweise bei seiner Familie im Küstenörtchen Bodega Bay verbringt. Sie beschließt, möglichst unentdeckt zwei Vögel bei seinem Elternhaus abzuliefern, doch nachdem sie den Käfig abgestellt hat, sieht Mitch, wie Melanie mit einem Boot Richtung Hafen fährt, überholt sie kurzerhand auf dem Landweg und erwartet sie schließlich im kleinen Hafen des Ortes. Bevor Melanie allerdings anlegen kann, wird sie von einer Möwe angegriffen. Dies ist die erste von zahlreichen Vogelattacken auf die Einwohner und Touristen in der kalifornischen Gemeinde, die umso brutaler und hartnäckiger ausfallen, je intimer das Verhältnis zwischen Mitch und Melanie wird. Die Angriffe der Vögel unterstreichen, dass die Tiere die Bucht an der Pazifikküste (und das kleine Küstenörtchen) schon immer bewohnten, doch kaum (wenn überhaupt) von den Menschen bemerkt wurden. Aber sobald die Tiere in Räume vordringen, in denen sie normalerweise selten bis gar nicht auftauchen, werden sie für die Menschen sichtbar. Dies wird besonders augenscheinlich, wenn sich die 1 Hans J. Wulff plädiert dafür, «den Tierhorror als Motivkreis anzusehen, nicht als ein Genre» (2014: 121). Ich möchte mich in diesem Aufsatz allerdings nicht in konzeptionellen Irrgärten verlaufen, da mir eine zufriedenstellende Definition von ‹Genre›, derer man sich von unterschiedlichen Gesichtspunkten (Produktion, Distribution, Rezeption) annähern und diese dann auf einen gemeinsamen Nenner bringen müsste, unmöglich erscheint. «Genre is first and foremost a boundary phenomenon», hält Christine Gledhill in einem vielbeachteten Aufsatz fest (2000: 221). Als solches Grenzphänomen behandelt ‹Genre› Grenzverschiebungen zum gleichen Maße wie die Erhaltung jener Grenzen. Zudem sei betont, dass selbst wenn Gérard Genette (und andere) die «confusion between modes and genres» kritisierte (1992: 61), die aktuelle anglophone Genretheo rie einen Schwerpunkt auf die Modalität und damit auch Variabilität («[m]elodrama is not nor ever was a singular genre», unterstreicht Gledhill [2000: 227]) von Genres legt. Diese Prozesse sind einer Definition von ‹Genre› ebenfalls nicht zuträglich.
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Entirely outside the cultural
Handlung zuspitzt und die Vögel das Haus der Familie Brenner attackieren und schließlich auch in das Gebäude eindringen. In der menschengeschaffenen Unterkunft sind die gefiederten Monster «out of place» und somit «physically and symbolically displaced» (Brownlow 2000: 147). Wenn die Mitglieder der Brenner-Familie und Melanie dann am Ende des Films Bodega Bay verlassen, werden die Vögel symbolisch «re-placed» (Brownlow 2000: 147), da die Menschen das Schlachtfeld räumen und den Küstenort somit den Tieren überlassen. Im gleichzeitig apokalyptischen und offenen Ende des Films offenbart sich die Bedeutung der titelgebenden Vögel: The Birds, betont Robin Wood, «is quite insistent that either the birds can’t be explained or that the explanation is unknown» (2002: 153). Indirekt erkennt Wood hier an, dass Tierhorror das Potenzial besitzt, anthropozentrische Verständnismuster auszuhebeln und somit die Zentralität des Menschen bzw. des anthropozentrischen Verständnisses der Welt in Frage zu stellen. Wie die Feministin und Ökokritikerin Val Plumwood, die 1985 beinahe von einem Salzwasserkrokodil getötet wurde, bemerkte, sind es vor allem Begegnungen mit großen, potenziell tödlichen Raubtieren, die Menschen mit «an unrecognizable bleak landscape composed of raw necessity […] that would go on without [us]» (2000: 132) konfrontieren. Diese Umkehr des naturalisierten anthropozentrischen Weltbildes stellt eine zentrale Funktion von Monstern dar, denn diese sind, argumentiert Jeffrey Jerome Cohen in seinen sieben Thesen über Monstrosität, unter anderem «harbinger[s] of category crisis» (1996: 6). Wie eingangs angedeutet, stellt die Opposition zwischen (Techno-)Kultur und Natur einen Eckpfeiler für das Ausklammern des Menschen aus ‹natürlichen› Prozessen auf unserem Planeten dar. Die Moderne, so Bruno Latour, basierte auf dem Prozess der «purification», welcher dazu führt, dass «two entirely distinct ontological zones» kreiert werden – «that of human beings on the one hand; that of nonhumans on the other» (1993: 10 f.), was ein dualistisches Weltbild mit sich bringt, in welchem die Menschheit «entirely outside the natural» (Cronon 1996: 17) situiert sei. Anhand dreier filmischer Beispiele wird mein Beitrag zu diesem Sammelband über Horrorfilme allerdings veranschaulichen, inwiefern Tierhorror dazu beiträgt, dass Natur und Kultur nicht derart einfach voneinander trennbar sind. Latour hat aufgezeigt, wie sich besonders seit den 1990ern auffällig heterogene Elemente «entangled» in einem «maze of unexpected associations» (2003: 36) finden. Zwei dieser Elemente sind die Natur und die Technokultur, die nicht mehr als Gegenüber verstanden werden, sondern deren komplexe Verbindungen von zunehmendem wissenschaftlichem Interesse sind. In diesem Sinne wird dieses Kapitel die Verbindungen zwischen der Natur und dem technokulturellen Apparat thematisieren. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Frage gelegt, wie die Technokultur Natur formt und filmisch rahmt.
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Das Designen von Natur «The past is gone. It can never be re-created. What we’ve done is reconstruct the past – or at least a version of the past», erklärt der leitende Gentechniker Dr. Henry Wu in Michael Crichtons Roman Jurassic Park (1991: 121). Da Dr. Wu die (Re-) Konstruktion von Dinosauriern durch Genmanipulation basierend auf Extrapolationen beschreibt, die zu erklären versuchen, wie diese prähistorischen Wesen ausgesehen haben mögen, evoziert seine Feststellung Jean Baudrillards Charakterisierung von Hyperrealität – «the generation by models of a real without origin or reality» (1993: 2).2 Die mit dieser hyperrealen Welt einhergehende Penetration menschlicher Erfahrungen durch technologische Umwelten hat laut Donna Haraway dazu geführt, dass unsere gesamte Welt nur mehr unnatürlich wirken kann (1992: 295). Manch ein Kritiker geht sogar so weit zu behaupten, dass diese globalen Technisierungsprozesse die Natur auszuschließen versuchen, um eine «artificial world in which we can live on the cusp of fantasy and reality» (Tiffin 2001: 133) zu erschaffen. Jurassic Park (1993) verdeutlicht früh, dass dieser Themenkomplex eine prominente Rolle im Film einnimmt. Nach zwei expositorischen Szenen, in denen ein (zunächst) unbekanntes, reptilienartiges Tier einen anonymen Arbeiter tötet und eine Gruppe von Arbeitern unter der Leitung von Juanito Rostagno (Miguel Sandoval) in Bernstein verewigte Moskitos sucht, führt der Film den Paläontologen Dr. Alan Grant (Sam Neill) und die Paläobotanikerin Dr. Ellie Sattler (Laura Dern) ein. Damit einher geht ein recht dramatischer Szenenwechsel – die ersten beiden Szenen spielen in den Regenwäldern von Costa Rica und der Dominikanischen Republik, während Dr. Grant und Dr. Sattler in der Wüste von Montana arbeiten. Die grünen, saftigen und üppig bewachsenen tropischen Wälder müssen somit einer kahlen und unwirtlichen Einöde Platz machen. In Montana stößt das Ausgrabungsteam auf das Skelett eines Velociraptors3, welches, wie Susanne Hamscha zutreffend beobachtet, als «metaphor for the loss of wilderness […] and for man’s alienation from nature» (2013: 137) dient. Diese Interpretation wird durch den markanten Unterschied zwischen dem Wüstensetting in den Vereinigten Staaten und den exotischen Regenwäldern unweit des US-amerikanischen Festlandes unterstützt. 2 Zu Jurassic Park und Hyperrealität siehe u. a. Cholodenko (1997), Fuchs (2016), Heise (2003) und Laist (2015). 3 Sowohl der Ort der Ausgrabungsstätte in den Vereinigten Staaten als auch die Größe des Skeletts lassen eher auf Deinonychus antirrhopus denn auf den Genus Velociraptor schließen. Beide Spezies des Genus Velociraptor, die heute bekannt sind (wobei einer erst 15 Jahre nach der Fertigstellung von Jurassic Park entdeckt wurde), hatten eine Schulterhöhe von kaum mehr als einem halben Meter (und nicht die knapp zwei Meter, die Dr. Grant erwähnt, als er das Skelett sieht) und lebten in etwa in dem Gebiet, in dem sich heutzutage die Wüste Gobi befindet.
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Die Gegenüberstellung Mensch–Natur wird besonders wirkungsvoll eingesetzt, wenn die Handlung auf die fiktive Insel Isla Nublar verlegt wird, wo Dr. Grant und Dr. Sattler ein Wochenende in einer von John Hammond (Richard Attenborough) errichteten «biological preserve» (0:11:27)4 verbringen sollen. Der Helikopter, der Dr. Grant und Dr. Sattler zusammen mit Hammond, dem Chaostheoretiker Dr. Ian Malcolm (Jeff Goldblum) und dem Anwalt Donald Gennaro (Martin Ferrero) zur Insel befördert, nähert sich dem grünen Paradies zur John Williams-typischen, pompösen Jurassic Park-Titelmelodie. Die Kombination aus visuellem Spektakel und bombastischer Musik führt beinahe zu einer Überstimulierung dieser beiden Sinne. Anne Rutherford hat derart spektakuläre filmische Szenen, die manchmal auch (anscheinend) natürliche Phänomene in den Mittelpunkt des (audiovisuellen) Fokus stellen, als ‹anthropomorphe Momente› beschrieben. Wie sie erklärt, zielt das audiovisuelle Spektakel hierbei primär darauf ab, wie «motion, texture and sound are experienced across the sensorium of the viewer, the way they stir up the viewer, hook them into the moment on a level of heightened awareness, out of the habitual, into the senses» (2011: 29). Kurz darauf landet der Hubschrauber nahe einem pittoresken Wasserfall. Der Helikopterlandeplatz scheint der einzige Hinweis auf die Gegenwart der Spezies Mensch auf der kleinen paradiesischen Insel zu sein. Dieser erste Eindruck wird aber bald richtiggestellt, wenn der aufs Festland zurückkehrende Hubschrauber durch einen riesigen Elektrozaun in Szene gesetzt wird und die Tour Hammonds und seiner vier Gäste mit dem Durchfahren eines Tores beginnt, auf dem sich ein riesiges Hinweisschild findet: «DANGER: 10,000 VOLTS» (0:18:59). Die Warnung macht die Gefahr, die auf der Insel auf die Besucher wartet, explizit, auch wenn Dr. Grant, Dr. Sattler und Dr. Malcolm noch keine Ahnung haben, was sie auf der Insel erwartet. Außerdem zeigt der Zaun an, wie technische Mittel eingesetzt werden, um (mehr oder weniger) natürliche Phänomene zu kontrollieren, zu instrumentalisieren und zu verdinglichen. Der Film greift die Implikationen dieser menschlichen Kontrollmechanismen auf, wenn Dr. Grant, Dr. Sattler, Dr. Malcolm und Gennaro den ersten Dinosaurier erblicken. Die beiden Jeeps, mit denen die Gäste ein paar Kilometer landeinwärts gefahren wurden, halten in einer offenen Graslandschaft. Als der Brachiosaurus im off-screen space auftaucht, sehen die Zuschauer zunächst, wie sein Anblick Grant in Erstaunen versetzt. Sattler konzentriert sich noch auf eine Pflanze, die sie kurz davor entdeckt hat und stammelt: «[T]his species of vermiform has been extinct since the Cretaceous Period; I mean, this thing is obviously …» (0:20:11–0:20:16). In diesem Moment unterbricht sie Alan, indem er vorsichtig ihren Kopf dreht – die Verblüffung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Nach diesen reaction shots dür4
Die Laufzeiten beziehen sich auf die Blu-Ray-Version des Filmes, die sich in der deutschen ‹Ultimate Trilogy-Box› findet (Universal Pictures Germany, 2011).
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fen endlich auch die Zuschauer das Spektakel, das sich vor den Augen der Figuren abspielt, bewundern: Der Brachiosaurus bewegt sich nur ein paar hundert Meter von der Gruppe entfernt. Ein low-angle shot lässt den riesigen Dinosaurier noch größer erscheinen als er ohnehin schon ist. Die beiden Wissenschaftler verlassen das Auto, um sich dem prähistorischen Tier zu nähern, es zu spüren und eine Art Verbindung zu ihm herzustellen. Diese intradiegetischen Vorgänge zwischen zwei der Hauptfiguren und dem urzeitlichen Pflanzenfresser spiegeln die affektive Verbindung wider, die das «image of astonishment» (Isaacs 2013: 157) zwischen dem Publikum, dem Film und dem digitalen Dinosaurier herstellt,. Zudem veranschaulicht Jurassic Park hier einen Prozess, den John Berger in seinem wegweisenden Aufsatz «Why Look at Animals?» (1977) genauer behandelt hat. Berger argumentiert darin: «[A]nimals are always the observed. […] What we know about them is an index of our power, and thus an index of what separates us from them» (2009: 27). Obwohl Dr. Sattler und Dr. Grant zunächst von der «power of this place» (1:27:42) übermannt werden, gelingt es ihnen innerhalb weniger Augenblicke, den Brachiosaurus auf Informationsbrocken zu reduzieren. Dr. Grant zieht den Schluss: «[W]e can tear up the rule book on cold-bloodedness. It doesn’t apply, they’re totally wrong! This is a warm-blooded creature». Dem fügt Dr. Sattler hinzu: «This thing doesn’t live in a swamp» (0:21:01–0:21:09). Die beiden Charaktere können den Dinosaurier in einer gewissen Weise ‹lesen›, während er anscheinend die Menschen nicht verstehen kann. Damit bestätigen die Figuren auch das Argument von Eugene Thacker, dass biologische Diskurse das Leben auf Daten und Informationen reduzieren (2005: xvi–xvii). Genauer gesagt, die Wissenschaft (repräsentiert von Dr. Sattler und Dr. Grant) erhebt durch das Verständnis des Tieres Anspruch auf die Kontrolle des Tieres, welches seinerseits Leben verkörpert. Besonders in Jurassic Park stellen die Wissenschaft und technologischer Fortschritt ein unzertrennliches Paar dar. Die (re-)konstruierten Dinosaurier sind «the result of human intervention, industry, and technology» und eben nicht «something […] found in nature» (Thacker 2005: xviii). In einem der komplexeren Momente im Verlauf des Films zerstören die Raptoren das Steuerzentrum des Parks. Eines der Tiere startet ungewollt ein Programm, was dazu führt, dass ein Beamer DNACode auf die Haut des prähistorischen Tieres projiziert. Dieses Bild (Abb. 1) unterstreicht, dass die Dinosaurier künstliche Kreationen sind, deren Erschaffung auf der Entschlüsselung und folgenden (Re-)Codierung des Lebens an sich basiert.
Digitale visuelle Effekte und die Simulation von Natur Auf einer anderen Bedeutungsebene verdeutlicht die DNA-Szene, dass es sich bei den Dinosauriern um visuelle Effekte (und oftmals digitale visuelle Effekte) handelt. Durch die explizite Thematisierung der Dinosaurier als «pure creations of 146
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1 DNA-Code wird auf die Haut eines Velociraptors projiziert. Jurassic Park © Universal Pictures, 1993. Screenshot von der deutschen Blu-Ray © Universal Pictures Germany, 2011.
information science» (Mitchell 1998: 213) unterstreicht Jurassic Park, dass die prähistorischen Tiere nicht nur in der dargestellten Welt menschliche Konstrukte (d. h. gentechnisch veränderte Organismen) sind, sondern auch auf der Ebene der Repräsentation von Menschen (oder eher: computerunterstützt) erschaffen wurden. Während die Dinosaurier in der Welt von Jurassic Park die natürliche Ordnung erschüttern, erschüttern die digitalen Dinosaurier «the notion that everything within the frame is evidence of an event occurring before the camera» (North 2008: 4), denn «CGI [computer-generated imagery] manipulates the natural pattern of the reproduction of images» (Laist 2015: 155). In diesem Sinne kreieren digitale Bilder nicht eine Realität auf Basis der materiellen Realität, sondern produzieren eine komplett andere Realität. Diese neue Realität bedarf der Illusion, dass sowohl die menschlichen Figuren als auch die anderen Lebewesen als «discrete beings that are equally alive and consistently animate» (Whissel 2014: 92) wahrgenommen werden und die «ontological differences between live-action actors, binary code, and inanimate matter» (Whissel 2014: 92) praktisch verschwinden. Obwohl Zuschauer anno 1993 empfanden, dass es dem Produktionsteam gelang, die Dinosaurier nahtlos in die Welt von Jurassic Park zu integrieren, so betonen selbst die besten, nahtlos integrierten, visuellen Effekte immer ihre Effekthaftigkeit – ihre Künstlichkeit. Die Brachiosaurus-Szene zum Beispiel soll zu gleichem Maße die Illusion einer kohärenten diegetischen Welt unterstützen und damit dem Publikum helfen, in die Welt von Jurassic Park einzutauchen, und die Zuschauer aus der Welt herausreißen, um die technischen und technologischen Errungenschaften des Films zu bewundern. Durch die digitalen visuellen Effekte gelingt es, das Publikum zu über147
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zeugen, dass «the effects are real within the referential terms of the story» (Prince 2012: 33). Diese Überzeugungskraft basiert auf dem Verhalten der digitalen Kreaturen, die sich bewegen, als ob «they were corporeal beings subject to Newtonian space» (Prince 2012: 150). Das Set-Design, die handelnden Figuren und die Bilder implizieren die Existenz der Dinosaurier, wodurch sie «perceptually realistic» (Prince 2012: 32) erscheinen und authentifiziert werden. Die digitalen visuellen Effekte helfen hierbei, denn sie sind «more sensually immersive than their analog counterparts; lightning is organic and consistent across the layers of an image blend, and scene action can be staged with much greater Z-axis articulation than in the analog era» (Prince 2012: 8). Allerdings birgt visuelles Spektakel auch immer ein störendes bzw. zerstörendes Potenzial in sich, was die Immersion der Zuschauer betrifft. Wie bereits Tom Gunning in seinen Ausführungen zum ‹cinema of attractions› erklärte, verwechselt das Publikum extrem spektakuläre filmische Bilder eben nicht mit der Realität, denn das visuelle Spektakel «expose[s] the hollow center of cinematic illusion» (1989: 42). Visuelles Spektakel, so Kristin Thompson, befreit die Zuschauer aus der Umklammerung der klassischen Hollywooderzählung und lädt sie ein, «to linger over devices longer than their structured fiction would warrant» (2004: 516). Obwohl Jurassic Park in der Brachiosaurus-Szene die Abschottung der Menschen von ihren Umwelten durch die Überwindung der künstlichen Schranken durch Dr. Sattler und Dr. Grant aufgreift (da sie aus dem Jeep aussteigen), wird diese Thematik von Guillermo del Toros Mimic (1997) expliziter aufgegriffen. Mimic spielt in New York City und erzählt die Geschichte von der Entomologin Dr. Susan Tyler (Mira Sorvino), welche drei Jahre vor der diegetischen Gegenwart die sogenannte ‹Strickler’s Disease› bezwang. Die Krankheit wurde von den in New York allgegenwärtigen Kakerlaken übertragen, doch Dr. Tyler und ihr Team setzten genmanipulierte Insekten ein, um die infizierten Kakerlaken zu besiegen. Obwohl die als ‹Judas Breed› bezeichnete Spezies unfruchtbar hätte sein sollen und innerhalb von sechs Monaten hätte sterben sollen, muss Dr. Tyler feststellen, dass Individuen ihrer Zucht in der diegetischen Gegenwart den New Yorker Untergrund bevölkern – zudem sind die Kreaturen auf die Größe eines erwachsenen Menschen herangewachsen. Die mutierten Insekten bevölkern Orte, die zwar grundsätzlich Teil der menschlichen Lebenswelt sind, aber schon lange verlassen wurden oder zumindest kaum frequentiert werden. Von U-Bahn-Tunneln und der Kanalisation bis zu Kellern und verlassenen Gebäuden – dies sind Grenzbereiche am Rande der Zivilisation, die die Tiere geradezu einladen, weiter in den Raum des Menschen vorzudringen, wo ihnen das Überleben durch den Überfluss an potenzieller Nahrung erleichtert wird. Anhand der räumlichen Symbolik illustriert Mimic die komplexen Wechselwirkungen zwischen der zivilisierten Welt und der Natur. Der Schwerpunkt des Films liegt aber eindeutig auf der Ergründung der menschlichen Eingriffe in die Natur und den damit einhergehenden Versuchen, die Natur zu 148
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2 Die genmanipulierten Individuen der ‹Judas Breed› sind digitale Kreaturen, während die nicht genmanipulierten Kakerlaken in der profilmischen Realität existierten. Mimic © Miramax Films, 1997. Screenshot von der deutschen Blu-Ray © StudioCanal, 2012.
kontrollieren, was zur Verknüpfung der menschlichen und natürlichen Sphären führt. In diesem Kontext setzt Mimic digitale visuelle Effekte gekonnt ein, um die gentechnisch veränderten Tiere mit dem kontrollierenden Filmapparat zu verknüpfen. Wie Akira Mizuta Lippit aufgezeigt hat, wurden seit der Erfindung der Fotografie von Menschen entwickelte (audio)visuelle Technologien unter anderem gezielt eingesetzt, um Tiere wieder in die Lebenswelten von (vor allem) Großstädtern zu integrieren und der «imminent disappearance of animals from the […] urban environment» (2000: 185) entgegenzuwirken. Dies wurde allerdings vom nahezu zwanghaften Drang begleitet, die (oft nur geisterhaften) Tierkörper zu kontrollieren. Mimic betont vor allem den letzten Punkt durch den Einsatz von digitalen visuellen Effekten, die nicht nur dazu dienen, die monströsen Insekten darzustellen, sondern sie zu kreieren, ihnen (simuliertes) Leben einzuhauchen und sie unter Kontrolle zu bringen. Als Dr. Tyler zum Beispiel ihre ‹Judas Breed› in den U-Bahn-Schächten der Stadt mitten in einer Kolonie infizierter Kakerlaken freilässt, handelt es sich bei den beiden genmanipulierten Individuen offensichtlich um digitale Kreaturen, während die nicht gentechnisch veränderten Tiere auf traditionelle Weise aufgenommen wurden (Abb. 2), sprich ihre filmische Präsenz ein analoges Indiz für ihre Existenz in der profilmischen Realität darstellt. Die im Computer generierten Bilder unterstreichen hingegen, dass diese «digital creatures […] excessive forces of nature aided by […] the technological» (Whissel 2014: 96) sind. Es handelt sich bei der ‹Judas Breed› explizit nicht um eine natürliche Spezies, allerdings auch nicht um eine rein technokulturell erschaffene Gattung. Sowohl in der diegetischen Welt als auch für die Produktion haben die genmanipulierten respektive computergenerierten Tiere einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihren in der Natur vorkommenden Verwandten – sie sind «[n]o longer limited by the real animal» (Fudge 2002: 88). Erica Fudge führt weiter aus, dass digitale Technologien uns ermöglichen, «to scan and refigure the real animal to make it exactly what we please» (2002: 88). Die digitalen Tiere sind somit auch viel einfacher zu kontrollieren als reale Tiere, welche aus diesem Grund von ihren digi149
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talen Simulationen ersetzt werden. Allerdings müssen die Verbindungen zwischen Technologie und tierischen Körpern nicht unbedingt so weit gehen, dass Tiere gleich ersetzt werden, wie Shark Night (2011) zeigt.
Das Verschmelzen von Natur und Technokultur im Haikörper Wie der Titel verrät, handelt es sich bei Shark Night um einen Haihorrorfilm. Nach der Eröffnungsszene, die sehr stark an Spielbergs Jaws (1975) erinnert, führt der Filmtext genretypisch die naiven sowie stereotypen College-Kids ein, um die sich die Handlung drehen wird. An der Tulane University in Louisiana hat der afroamerikanische «projected top-ten draft pick» (0:10:02)5 – von welchem Sport hier die Rede ist, wird allerdings nie hundertprozentig klargestellt – Malik (Sinqua Walls) eine entscheidende Prüfung bestanden. Seinem Tutor Nick (Dustin Milligan) dankt er für dessen Einsatz in den letzten Wochen, indem er ihn auf einen Wochenendtrip zum nahegelegenen Lake Crosby mitnimmt, an dem die Familie von Nicks Flamme Sara (Sara Paxton) ein Haus besitzt. Begleitet werden die drei von Nicks Freund Gordon (Joel David Moore), Maliks Freundin Maya (Alyssa Diaz), Beth (Katharine McPhee), Blake (Chris Zylka) und Saras Golden Retriever Sherman. In äußerst klischeehafter Manier trifft die Gruppe bei einer Tankstelle auf die beiden Hillbillys Dennis (Chris Carmack) und Red (Joshua Leonard), mit denen es auch sofort zu einem verbalen Konflikt kommt. Wie für eine stereotype ländliche Gemeinde üblich, kennt Sara die beiden Taugenichtse und hatte eine Beziehung mit Dennis, die nach einem Unfall endete, an den Dennis durch eine sehr auffällige Narbe im Gesicht ständig erinnert wird. Beim Haus angekommen verfallen die Studenten in eine Art Dauerpartyzustand. Malik unterbricht diesen kurzfristig mit einer kleinen sportlichen Aktivität und schwingt sich auf ein Wakeboard, wird aber nur Minuten später von einem Hai attackiert und verliert einen Arm. Blake stammelt entsetzt: «A shark? That’s insane! This is a lake!» (0:32:56) Beim See, erklärt Gordon, handelte es sich allerdings um einen Salzwassersee, was bedeutet, führt Nick weiter aus, dass es für einen Hai durchaus möglich sei, in den See zu gelangen und zu überleben. Diese Schlussfolgerung wird von Red unterstützt, denn die «heavy hurricane season» könnte dazu geführt haben, dass ein im Golf von Mexiko ansässiger Hai «flooded up over the interstate, wound up here, got comfortable, and made a home» (0:47:07–0:47:13). Allerdings war es weder der Wille der Natur noch eine Anhäufung von unglücklichen Zufällen, die dazu führte, dass der See von einer Vielzahl unterschiedlicher Haispezies bevölkert wird – Dennis, Red und der Sheriff des Ortes brachten die 5
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Die Laufzeiten beziehen sich auf die US-amerikanische 2D-Blu-Ray, die von 20th Century Fox veröffentlicht wurde (2012).
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Tiere in den See, da sie meinen, dass der anhaltende Erfolg von Discovery Channels alljährlicher ‹Shark Week› ein unmissverständliches Indiz für das Vorhandensein einer unerschlossenen Marktlücke sei – die Zuschauer, die «the real hardcore shit you can’t get on basic cable» (1:08:34) sehen möchten. Somit stellt der Film klar, dass es sich beim Vorstoß der Haie in die Lebenswelt des Menschen um keinen natürlichen Prozess handelt, in dem die Haie die Aggressoren sind, sondern vielmehr um einen Eingriff des Menschen in die Natur. Diese Verknüpfung zwischen der menschlichen Lebenswelt und der natürlichen Umwelt findet auch in der Verwendung des Blickwinkels von Haien Niederschlag. Die traditionelle Nutzung der ‹Hai-Perspektive› wurde von der kultigen Eröffnungssequenz von Jaws begründet (welche ihrerseits bei The Beast from 20,000 Fathoms [1953] abgeschaut worden sein dürfte): Begleitet von unbekannten, verstörenden Geräuschen erscheint das Universal-Logo auf der Leinwand. Nach dem Verschwinden des Logos beginnt der Vorspann und die unbekannten Geräusche werden zusehends von einer einfachen Melodie übertönt, die – so wird später klar – den musikalischen Hinweis auf die Gegenwart des Weißen Hais darstellt. Die Kamera bewegt sich durch die Unterwasserlandschaft, als plötzlich vier Buchstaben auf der Leinwand erscheinen: «JAWS» (0:00:49)6. Die Kamera / der Hai bewegt sich weiter, begleitet von der immer schneller werdenden Melodie, die zum Spannungsaufbau beiträgt. Durch einen unvorhersehbaren Schnitt springt die Handlung an den Strand, wo eine Gruppe Jugendlicher feiert. Die Kamera konzentriert sich binnen weniger Sekunden auf Chrissie (Susan Backlinie) und Tom (Jonathan Filley), die sich von der Gruppe entfernen. Chrissie springt ins kühle Nass, doch Tom ist zu betrunken und schläft auf dem Weg zum Meer ein. Plötzlich zeigt die Kamera den nackten, schwimmenden Körper von Chrissie in einem extremen low-angle shot, begleitet von musikalischer Untermalung, die düstere Vorahnungen heraufbeschwört. Nach ein paar Momenten über dem Wasserspiegel ändert sich der Blickwinkel wieder und das Publikum sieht Chrissie aus der Unterwasserper spektive. Die Melodie aus den ersten paar Sekunden des Films ertönt abermals und deutet an, dass sich jemand oder etwas unter Chrissie befindet. Die Kamera bewegt sich dann auf ihren Körper zu, während die Melodie stetig schneller wird. Als der Hai zubeißt, wechselt die Perspektive wieder zum eher objektiven Blickwinkel über dem Wasserspiegel, von wo aus Chrissies Kampf um ihr Leben gezeigt wird. In einem Aufsatz zum Blickwinkel des Tieres im Horrorfilm schlagen Katarina Gregersdotter und Nicklas Hållén vor, dass die Anthropomorphisierung des Tieres «the representation of the animal as antagonist in the struggle between animal and human» (2015: 209) ermöglicht. Dies impliziert, dass das tierische Monster nicht unbedingt als Tier verstanden wird, sondern vielmehr als eine Ausformung des ‹Anderen›, gegenüber dem sich der Mensch respektive Normalität definiert. Obwohl 6
Die Laufzeit bezieht sich auf die US-amerikanische ‹Universal 100th Anniversary› Blu-Ray (2012).
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3 Nick entdeckt die Kamera, die am Bauch eines Hammerhais angebracht ist. Shark Night © Rogue, 2011. Screenshot von der US-amerikanischen Blu-Ray © 20th Century Fox, 2012.
Shark Night die visuellen Motive von Spielbergs ikonischem Haifilm einfach zu adaptieren scheint, da bereits die Eröffnungsszene mit einer Unterwasserperspektive, die einen Hai impliziert, beginnt und die Haiattacken immer wieder aus dem Blickwinkel der Haie dargestellt werden, verkompliziert der Film die Implikationen der ‹Haiperspektive›. Im Laufe des Filmes wird nämlich klar, dass die Hinterwäldler Kameras auf den Haien angebracht haben (Abb. 3), wodurch eine komplexe Verbindung zwischen dem tierischen Körper und der menschlichen Technologie entsteht. Nach Donna Haraway stellt eine derart an einem Tier angebrachte Kamera «both physical ‹high technology› and immaterial channel to the interior reaches of another» (2008: 252) dar. «Through the camera’s eye glued, literally, to the body of the other», fährt sie fort, «we are promised the full sensory experience of the critters themselves, without the curse of having to remain human» (2008: 252). Die Kamera verspricht die Möglichkeit, die Körper der Haie praktisch zu bewohnen. Allerdings handelt es sich hierbei um ein Versprechen, das nicht erfüllt werden kann. In einem Aufsatz über die interaktive Dokumentation Bear 71 (2012) schreibt Anat Pick, dass die für die Dokumentation auf Halsbändern angebrachten Kameras eine Remediation von «early cinema’s phantom ride» darstellen, die nur «the production of thrill» zum Ziel hätten (2015: 114). Die Situation in Shark Night präsentiert sich ähnlich: Dennis, Red und der Sheriff hoffen auf die Spannung und die Schockelemente (und die dadurch erzielten Gewinne), die ein Snuff-Video mit sich bringt, und sind nicht an den Möglichkeiten des becoming-animal (Deleuze und Guattari 2013: 256–341) interessiert, die die ‹Haiperspektive› eröffnet. Der Film stellt aber Verbindungen zwischen den Körpern verschiedener Lebewesen und dem techno-kulturellen Apparat in den Mittelpunkt. Während einige 152
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4 Die visuelle Gestaltung betont, wie wir Menschen in Medien existieren. Shark Night © Rogue, 2011. Screenshot von der US-amerikanischen Blu-Ray © 20th Century Fox, 2012.
der männlichen Hauptfiguren in den ersten paar Minuten eingeführt werden, spielen sie eine Multiplayer-Partie von Halo: Reach (2010). Bevor die Kamera allerdings den Fokus auf die Figuren legt, die von zentraler Bedeutung für den Rest der Handlung sein werden, werden die Zuschauer mit den virtuellen Präsenzen von unwichtigen Nebenfiguren konfrontiert. Diese Charaktere sind auf Bildschirmen abgebildet, die sich neben dem Bildschirm befinden, auf dem Nick und Gordon spielen. (Abb. 4) Die visuelle Komposition des Bildes, das von Bildschirmen dominiert wird, auf denen digitale und digitalisierte Inhalte wiedergegeben sowie die virtuellen Körper von anderen menschlichen Figuren repräsentiert werden, die praktisch von digitalen Technologien überwacht werden, unterstreicht nicht nur die Verknüpfungen zwischen dem materiellen Körper und seinen virtuellen Doppelgängern, sondern auch die Omnipräsenz von Videokameras und anderen Technologien, die unsere Alltagshandlungen aufzeichnen. Durch die Nutzung der ‹Haiperspektive› zeigt Shark Night somit auf, dass von dieser Verknüpfung des physischen Körpers und Technologien nicht nur Menschen, sondern auch Tiere betroffen sind. Die ‹Haiperspektive› lädt hierbei allerdings nicht zur Identifikation mit dem Hai ein oder versucht, die Welt durch die Augen des Hais darzustellen; Shark Night bringt Menschen und Haie dadurch einander näher, dass der Film betont, dass beide Spezies in der heutigen Zeit dauernder Überwachung ausgesetzt sind. Die wissentlich von Menschen eingesetzten Technologien werden dadurch zu einem Werkzeug, mit dem sowohl andere Menschen als auch Tiere kontrolliert werden. Allerdings stellt Shark Night – wie so viele Tierhorrorfilme – klar, dass sich die Haie der Kontrolle durch den Menschen entziehen. Des Menschen Traum von der Kontrolle der Natur wird dadurch als 153
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reine Fantasie enthüllt; gleichzeitig wird durch die komplexen Verbindungen zwischen der Natur und dem technologischen Apparat auch dieser zu einem unkontrollierbaren Monster. Shark Night deutet somit darauf hin, dass «the world we are making through our own choices and inventions is a world that neutralizes [any] meaningful link[s] between action and consequence» (Allenby und Sarewitz 2011: 64–65).
Naturecultures und US-amerikanischer Tierhorror Bereits 2001 wies Stacy Alaimo darauf hin, dass nature horror «the single most significant genre for ecocriticism and green cultural studies» sein könnte, da das Genre Umweltthemen explizit behandelt und oft keine klaren Antworten auf die Fragen bietet, die die anthropogene Zerstörung der Welt mit sich bringt (2001: 279). Andererseits gibt David Ingram zu bedenken, dass Filme, die Umweltthemen explizit thematisieren, zumeist «the topicality of [their] environmentalist concerns» ausbeuten und gleichzeitig «business-as-usual for American consumer capitalism» unterstützen (2000: 182). Oberflächlich betrachtet scheinen die drei hier diskutierten Filme kaum ökologische Fragestellungen zu behandeln – Jurassic Park und Mimic sind in der mad scientist-Tradition verortet und thematisieren menschliche Hybris, während Shark Night einen nicht untypischen Mix aus Hillbilly- und White Trash-Horrorfilm darstellt, bei dem die Raubfische als Mordwerkzeuge dienen. Allerdings hoffe ich aufgezeigt zu haben, dass diese Horrorfilme (ob nun bewusst oder unbewusst sei dahingestellt) interessante Berührungspunkte zu Kernthemen der Environmental Humanities aufweisen. Wie Sarah Whatmore unterstrich, gibt es komplexe Netzwerke, die Menschen und Tiere miteinander verbinden. Diese Netzwerke werden «performed in and through multiple places and fluid ecologies» (2002: 14). In allen drei Filmen werden vor allem die Monster zu Schnittpunkten zwischen der Welt des Menschen und der Natur, womit diese Kreaturen auf die vielfältigen Schnittstellen zwischen diesen so oft getrennt betrachteten Welten hinweisen. «[N]o society has been so deeply alienated as ours from the community of nature», konstatiert der Ethnograph Richard Nelson (1993: 203). Daher ist die westliche Gesellschaft, so führt er weiter aus, «into a murk[y] comprehension of its connections with the sustaining environment» (1993: 203) abgeglitten. Der technokulturelle Apparat hat hierbei eine bedeutende Rolle eingenommen. Wie Berger ausführte, gelang es den Menschen vor allem durch die Fotografie «to obtain ever more arresting images» von Tieren, was dazu führte, dass sie zusehends verdinglicht und schließlich zu purem Spektakel wurden (2009: 26). Überspitzt zog daher Lippit den Schluss, dass Tiere «found a proper habitat […] in the recording devices of the technological media» (2000: 25). Selbst wenn Jurassic Park, Mimic und 154
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Shark Night keine anderen Ökothemen aufgreifen mögen, zeigen alle drei Filme ein Bewusstsein für diesen Prozess. Allerdings tragen sie durch den Einsatz digitaler Technologien auch dazu bei, dass Tiersimulationen die realen Wesen ersetzen.
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Jurassic Park USA 1993. Regie: Steven Spielberg. Mimic USA 1997. Regie: Guillermo del Toro. Shark Night USA 2011. Regie: David R. Ellis.
Jaws USA 1975. Regie: Steven Spielberg.
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V Musik im Horrorfilm
Frank Hentschel
Musik im Horrorfilm: 2010–2017
1 Einleitung In einem Band über den Horrorfilm einen einzelnen Beitrag zur Musik beizusteuern, ist nicht leicht. Zwar hat die Musik im Horrorfilm sehr spezielle Mittel entwickelt, Horror zu unterstützen, zu vermitteln, assoziativ anzureichern und auf ihn zu reagieren. Aber das Thema ist dennoch viel zu breit für einen einzelnen Aufsatz. Da die genrespezifischen musikalischen Merkmale im Laufe der Sechzigerjahre entstanden sind und sich daraus in den Siebzigerjahren endgültig eine dem Horror eigene Filmmusiksprache entwickelte, habe ich in einer Studie von 2011 versucht, die Musik des Horrorfilms im Ausgang von diesem Jahrzehnt darzustellen, freilich mit einigen Blicken zurück und nach vorn (vgl. Hentschel 2011). Die Änderungen des Genres in den Achtzigerjahren bis heute konnten darin trotz einiger Andeutungen nicht mehr ausführlich behandelt werden. Dies ist auch hier nicht möglich. Stattdessen soll ein Blick auf die Horrorfilme der letzten Jahre Licht auf die Frage werfen, inwiefern die in Bezug auf die Siebzigerjahre gefundenen Ergebnisse auch für aktuelle Horrorfilme Gültigkeit besitzen. Die in der genannten Studie angewandte Methode, aus einer möglichst vollständigen Sichtung des vorhandenen Materials (den Horrorfilmen eines Jahrzehnts) das Typische herauszuziehen, kann hier allerdings nicht angewandt werden. Stattdessen wurden die bei rottentomatoes.com in der Liste der hundert besten Horrorfilme mit mindestens 85% bewerteten Horrorfilme des Zeitraums 2010 bis 2017 ausgewählt, um an ihnen die charakteristischen Merkmale der Musik des Horrorgenres herauszuarbeiten. Die Liste hat allerdings einen Mangel: Sie bildet nicht die 161
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Zahl der vorhandenen Kritiken ab (d. h. die Zahl wird angeführt, aber nicht von den Prozentangaben dargestellt), sodass den Filmen kein einheitliches Kriterium der Repräsentativität zugrunde liegt. Überdies bietet die Orientierung an einer öffentlichen Liste zwar den Vorteil, dass die Selektion der Filme und die Definition dessen, was in die Rubrik ‹Horror› fällt, unabhängig von den eigenen subjektiven Eindrücken vorgenommen werden können, aber die Unterschiedlichkeit der Filme, die sich natürlich auch in ihrer Musik reflektiert, bleibt erörterungsbedürftig. Auf diese Problematik wird zum einen reagiert, indem die Charakteristika der einzelnen Filme ggf. thematisiert werden; und zum anderen wurden einige Eingriffe vorgenommen, um die Konsistenz des Materials zu erhöhen: Der eindeutig als Komödie anzusehende Film The Loved Ones, der Dokumentarfilm Room 237 und der zu offensichtlich am Western orientierte Film Bone Tomahawk wurden ebenso ausgeschlossen wie Filme, die auf IMDb.com nicht als Horror klassifiziert wurden: This is the End, Chronicle, Frankenweenie, Red Riding Trilogy. Nicht zugänglich waren mir The Love Witch und The Autopsie of Jane Doe. So blieb folgendes Filmkorpus übrig, auf das sich die nachstehenden Ausführungen beziehen: • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Let Me In (USA 2010, R: Matt Reeves, M: Michael Giacchino) The Cabin in the Woods (USA 2012, R: Drew Goddard, M: David Julyan) A Field in England (UK 2013, R: Ben Wheatley, M: Jim Williams) The Conjuring (USA 2013, R: James Wan, M: Joseph Bishara) We Are What We Are (USA/F 2013, R: Jim Mickle, M: Jeff Grace, Darren Morris Philip Mossman) Willow Creek (USA 2013, R: Bobcat Goldthwait) A Girl Walks Home Alone at Night (USA 2014, R: Ana Lily Amirpour, M: Johnny Jewel) The Babadook (AUS 2014, R: Jennifer Kent, M: Jed Kurzel) Backcountry (CAN 2014, R: Adam MacDonald, M: Vince Nudo alias Frères Lumières) Ich seh ich seh (A 2014, R: Severin Fiala und Veronika Franz, M: Olga Neuwirth) It Follows (USA 2014, R: David Robert Mitchell, M: Rich Vreeland alias Desasterpeace) Spring (USA 2014, R: Justin Benson und Aaron Moorhead, M: Jimmy Lavalle) Green Room (USA 2015, R: Jeremy Saulnier, M: Brooke und Will Blair) We Are Still Here (USA 2015, R: Ted Geoghegan, M: Wojciech Golczewski) The Witch (USA u. a. 2015, R: Robert Eggers, M: Mark Korven) Don’t Breathe (USA 2016, R: Fede Alvarez, M: Roque Baños) Train to Busan (Südkorea 2016, R: Yeon Sang-ho, M: Jang Young-gyu) Under the Shadow (UK 2016, R: Babak Anvari, M: Gavin Cullen, Will McGillivray)
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Die Frage, inwieweit die für die Horrorfilme der Siebzigerjahre geltenden filmmusikalischen Charakteristika, weiterhin Gültigkeit besitzen, ist sinnvoll, weil das Genre wie alle kulturellen Artefakte ständig Veränderungen unterliegt und sich auch jederzeit die kulturellen Codes verschieben können, die die Produktion und Rezeption solcher Artefakte mit steuern. Zwischen den Siebzigerjahren und der Gegenwart unterlag das Genre, wie kaum anders zu erwarten, tatsächlich einigen Wandlungen, die hier einleitend lediglich aus einer subjektiven Perspektive heraus angerissen werden sollen, um einen Hintergrund für die nachfolgenden Untersuchungen zu liefern. Der ‹Modern American Horror Film› war durch Verlagerung des Horrors in die Gegenwart der westlichen Zivilisation, die subkutane Politisierung seiner Inhalte, durch Tabubrüche und die im Vergleich zur früheren Filmgeschichte sehr viel drastischere Gewaltdarstellung gekennzeichnet. Heute spielen diese Aspekte keine so zentrale Rolle mehr: Tabubrüche und Politisierung lassen sich kaum mehr feststellen, die Filme können in der Gegenwart spielen, müssen es aber nicht. Gewalt kann wie in Green Room oder Backcountry sehr explizit sein, muss es aber nicht; und sie ist in der Regel auf einzelne Szenen beschränkt. Im Sample befindet sich weder ein Splatter- noch ein Torture porn-Film, wie sie in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren bzw. im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende verbreitet waren. Tatsächlich konzentrieren sich die aktuellen Horrorfilme eher auf das Unheimliche oder auf Hochspannung, die durch ausweglos erscheinende Bedrohung der Protagonisten erzielt wird. Die Mischung von Horror und Klamauk wie sie in den Achtzigerjahren nachgerade zur Norm geworden war (z. B. Re-Animator, USA 1985, Stuart Gordon; Texas Chainsaw Massacre 2, USA 1986, Tobe Hooper), aber auch die selbstreflexive Ironie vieler Horrorfilme insbesondere der Neunzigerjahre (z. B. Scream, USA 1996, Wes Craven) spielen derzeit kaum noch eine Rolle. Es gibt gegenwärtig eine deutliche Grenze zwischen Horrorfilmen im engeren Sinne und Horrorkomödien wie Shaun of the Dead (UK/F 2004, Edgar Wright) oder Zombieland (USA 2009, Ruben Fleischer). The Cabin in the Woods ist wohl die bemerkenswerteste Ausnahme, die nicht von ungefähr aus der Feder des Drehbuchautors Joss Whedon stammt, der mit Buffy in den Neunzigerjahren eine berühmte selbstreflexiv-ironische Horror-Comedy-Show geschaffen hatte. Ansonsten bleibt diese ironische Selbstreflexivität ein Aspekt von kurzen Momenten – wie etwa im Abspann von We Are Still Here, wo noch einmal eines der Zimmer des Haunted House in unbeweglicher Kameraeinstellung gezeigt wird und sich nach einer ganzen Weile eben nicht der erwartete Schockmoment, die Wiederkehr des Monsters, ereignet, sondern in Anspielung auf Klassiker wie Robert Wises The Haunting (UK/USA 1963) lediglich ein Klavierton von Geisterhand erklingt. Mit diesem Comeback der Ernsthaftigkeit und gleichzeitig mit der Abwendung vom Splatter mag man sowohl die Tatsache in Zusammenhang bringen, dass Teen163
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ager keine vorrangige Rolle im Genre mehr spielen als auch dass die schlabbrigen, tropfenden und schleimigen Monster, wie sie in den Achtzigerjahren eingeführt wurden, weitgehend verschwunden sind. Nur in The Cabin in the Woods tauchen solche Monster als selbstreflexive Referenz noch einmal auf. Vielleicht sind an dieser Stelle auch die wiederkehrenden Brandleichen aus We are Still Here zu erwähnen, die vermutlich nicht zufällig an John Carpenters The Fog (USA 1980) erinnern. Die seit Ende der Neunzigerjahre zu beobachtende Tendenz des Horrorfilms zur Integration von Actionelementen, die die Grenze nicht nur zu Actionfilmen, sondern auch zu Militärfilmen geöffnet hatte, war am besten im Verhalten der Zombies zu erkennen. Denn diese in den Siebzigerjahren schleichenden Untoten waren bezeichnenderweise mit einem Mal schnell und sportlich geworden (28 Days Later, UK 2002, Danny Boyle); analog rüsteten sich die Protagonisten militärisch zur Verteidigung (Land of the Dead, USA/F/CAN 2004, George Romero) und verloren damit die für das Genre vorher und auch gegenwärtig wieder charakteristische Unterlegenheit und Hilflosigkeit der Protagonisten. Insgesamt zeigen gegenwärtige Horrorfilme bei allen Differenzen eine weitaus deutlichere Orientierung an Ästhetik, Dramaturgie und Inhalt der SiebzigerjahreHorrorfilme als an den Horrorfilmen der Achtziger- und Neunzigerjahre. Dieses neue Interesse am Stil des ‹Modern American Horror Film› wurde eingeleitet durch eine beispiellose Remake-Welle, in der so gut wie jeder erfolgreichere Horrorfilm der Siebzigerjahre neu gedreht wurde (The Texas Chain Saw Massacre, Amityville Horror, Dawn of the Dead, The Hills Have Eyes, Black Christmas usw.). Viele der aktuellen Horrorfilme spielen explizit auf die Siebzigerjahre an und unterstreichen damit diese Rückwendung. Neu scheint allerdings das Phänomen der Horror-Romanzen zu sein, in denen sich eine Liebesbeziehung zwischen einem Monster und einem menschlichen Protagonisten entfaltet. Dieses Subgenre wurde spätestens mit Buffy eingeführt, scheint aber erst in den letzten zehn Jahren an Bedeutung gewonnen zu haben (Marebito, J 2004, Takashi Shimizu; Låt den rätte komma in, SE 2008, Tomas Alfredson, und sein Remake Let Me In, USA 2010; A Girl Walks Home Alone At Night; Spring).
2 Neue Musik Neben Kinderliedern und geistlicher Musik stellen die sogenannte ‹Neue Musik› und Geräuschmusik die zentralen musikalischen Stilrichtungen dar, die sich im Horrorfilm der Siebzigerjahre durchsetzten. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Fundamente der übrigen in den USA und in Europa gebräuchlichen Musikarten radikal negieren. Ob Jazz (außer Free Jazz), Pop oder Klassik: All diese Musiken 164
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stützen sich auf eine tonale Harmonik, d. h. eine Harmonik, die einen Zentralton besitzt und in der eine klare Hierarchie von Konsonanz und Dissonanz herrscht, auf eine periodische Rhythmik und in aller Regel auf memorierbare Melodielinien. All diese Merkmale werden von der Neuen Musik bzw. der Geräuschmusik aufgehoben. Charakteristisch für diese musikalischen Stilrichtungen ist der Einsatz von Extremen: Besonders hohe, besonders tiefe, besonders laute oder leise und schrille Klänge finden Verwendung. Solche Musik eignet sich für den Horrorfilm, weil sie einerseits geradezu schmerzhafte Klänge erzeugen, andererseits durch anhaltend hohe Lautstärke die Intensität des Stresszustandes der Rezipienten steigern oder aufrechterhalten kann. Hintergründige, leise Geräusche vermögen außerdem, die Präsenz einer Bedrohung anzudeuten. Wo diese Klänge aus unbekannten, nicht zuordenbaren Geräuschen bestehen, kann die Erfahrung des Unheimlichen unterstützt werden, z. B. durch Polter- oder Raschelgeräusche oder durch Atem- und Stimmlaute, auf die unten noch einzugehen sein wird. Insbesondere aber kann Neue Musik unheimlich wirken, weil dem vom Vertrauten Abweichenden dieses Vertraute subkutan eingeschrieben bleibt (Hentschel 2018). Aufgrund der Aufhebung der für herkömmliche Musik konstitutiven Merkmale ist schon im Hinblick auf die Siebzigerjahre keine scharfe Grenze zwischen Neuer Musik und Geräuschmusik zu ziehen. Doch ließ sie sich prinzipiell aufrechterhalten, insofern sich Neue Musik im Wesentlichen auf Instrumente eines traditionellen Orchesters stützte und auch immer wieder Allusionen an traditionelle Musik für ihre expressiven Zwecke nutzt, während die Geräuschmusik die traditionellen Elemente vollständig ausschloss. Diese Unterscheidbarkeit trifft für die Musik im aktuellen Horrorfilm nur noch sehr eingeschränkt zu. Die Entwicklung der digitalen Musiktechnologien hat es sowohl zur Selbstverständlichkeit werden lassen, traditionelle Instrumente mit digital erzeugten Klängen zu bearbeiten oder zu vermischen, als auch Geräuschklänge zu erzeugen, die sich mehr oder weniger stark Klangfarben oder Harmonien traditioneller Musik annähern. Dennoch gibt es Filme oder Filmszenen, in denen die Grenze noch deutlich zu ziehen ist. In Let Me In spielt Michael Giacchino offensichtlich gezielt auf die Neue Musik von Horrorklassikern der Siebzigerjahre an. Denn unverkennbar sind die Anklänge an Pendereckis Als Jakob erwachte … (1976) und Ligetis Lux aeterna (1966). Die tiefen, schweren Akkorde in den Blechbläsern, die die Filmhandlung eröffnen, nehmen direkten Bezug auf Pendereckis Tondichtung (0:00:48–0:02:31). Die wie bei Penderecki äußerst langsam wiederholten, statischen Klänge sind zunächst nur mit dumpfen paukenartigen Schlägen kombiniert, die eine bis ins 19. Jahrhundert und vermutlich darüber hinaus weisende Tradition in der Darstellung des Unheimlichen besitzen (vgl. Hentschel 2016). Zusammen mit dem Schnee und dem düsteren Dämmerungslicht setzt Giacchino so gleich zu Beginn eine genretypische, finstere Atmosphäre. Die unaufhaltsame Langsamkeit der Musik wird selbst 165
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aufrechterhalten, nachdem die Kamera von der anfänglichen Vogelperspektive in den Krankenwagen gewechselt hat, wo Sanitäter hektisch um das Leben eines Schwerverletzten kämpfen. Nach dem Mord an dem Polizeibeamten erklingt ein Chor, dessen filigrane und sich wieder in einen Einklang verflüchtigende Clusterbildung (enge Dissonanzballung) unmittelbar an Ligetis Lux aeterna angelehnt zu sein scheint. Während Pen dreckis Komposition in Stanley Kubricks The Shining (UK/USA 1980) ausgiebig Verwendung fand, ist Ligetis Chorstück eher aus Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) bekannt. Auch andere Werke beider Komponisten wurden in Genreklassikern wie The Shining und The Exorcist sehr häufig eingesetzt oder dienten Filmkomponisten als Vorbild für die Musik im Horrorfilm. Dass Let Me In wie schon das Original Låt den rätte komma in zu Beginn der Achtzigerjahre spielt, ist sicher kein Zufall. Mit der Anspielung auf die genannten Komponisten stellt sich der Film auch musikalisch in die Tradition des ‹Modern American Horror Film›. Musik dieser Tradition begegnet darüber hinaus an zahlreichen anderen Stellen. Sehr hohe und sehr tiefe Töne, Tremoli, stehende Streichercluster oder Glissandi (kontinuierliche Tonhöhenveränderungen) tauchen an zahlreichen Stellen auf, in denen Spannung herrscht oder die grausigen Lebensumstände des Vampirmädchens angedeutet werden. Ähnlich häufig und durch das klassische Instrumentarium sowie die soeben angeführten charakteristischen musikalischen Mittel im engeren Sinne als Neue Musik abzugrenzende Musik ist auch in Cabin in the Woods, The Conjuring und We Are Still Here zu finden. Und wieder dürfte es kein Zufall sein, dass die beiden letztgenannten Filme in den Siebzigerjahren spielen. Die Verwendung typischer Neuer Musik korrespondiert insofern mit der Bezugnahme der Filme auf die Horrortradition jener Zeit. Am reichhaltigsten ist The Conjuring mit Neuer Musik ausgestattet. Die Musik kann, leise eingesetzt und in sich ruhend, das Unheimliche vermitteln und Spannung erzeugen, oder sie kann in hoher Lautstärke und intensiv bewegt Stress und Aufregung evozieren oder durch den Einsatz schriller Klänge durch die Erfahrung des Körperlichen auf Gewalt und Verwundbarkeit verweisen. Irritation, das Unheimliche und Spannung kommen beispielsweise in einer Szene zum Ausdruck, in der ohne erkennbaren Grund die über der Treppe aufgehängten Bilder von der Wand abfallen. Carolyn Perron, die Stimmen und Klatschen gehört hat, kontrolliert die Kinderzimmer, wo sie alle ihre Töchter friedlich schlafend vorfindet. Verwirrt schaut sie sich im Haus um, ohne etwas zu finden. Die unruhig umherblickenden Kamerabewegungen kommen ohne Musik aus; Stille steigert die Erwartungshaltung. Begleitet von kichernden Stimmen tritt plötzlich ein Getöse auf, das von den hinabfallenden und zerberstenden Bilderrahmen verursacht wird. Erst nachdem die Bilder zerschlagen auf dem Boden liegen und Carolyn Perron auf sie herabschaut, setzt Musik ein. Sie untermalt nicht den Schreckmoment, sondern vielmehr das Bewusstwerden des unerklärlichen Ereignisses, die Verunsicherung 166
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der Protagonistin. Tiefe Bässe, tremolierende Streicher und hohe dissonierende Streichertöne, angereichert mit metallischen, vielleicht mit einem Tamtam erzeugten Klängen, begleiten sie, während sie ängstlich um sich schauend die Treppe hinuntersteigt (0:35:40–0:36:17). Anders akzentuiert ist der Einsatz Neuer Musik z. B. in einer späteren Szene, in der Cindy von einem unsichtbaren Geist gefolgt in ihr Zimmer geht. Zunächst sind sehr hohe, leise Streichercluster zu hören, u. a. gemischt mit dumpfen und verfremdeten Klängen eines Klaviers. Als hinter Cindy die Tür tosend zufällt, laufen ihr Vater und Ed Warren hinter ihr her. Im selben Moment erhöht sich die Lautstärke der Musik deutlich, ihre Bewegung nimmt drastisch zu, Blechbläser und diffuse Bassklänge setzen ein. So scheint die Musik sowohl Angst und Aufregung der Protagonisten einzufangen als auch die Handlungsbewegung aufzunehmen (1:09:50–1:10:12). The Conjuring, The Cabin in the Woods und We Are Still Here setzen Neue Musik ein, wie es seit den Siebzigerjahren im Horrorfilm üblich ist; zugleich wird sie, zumindest in zwei Filmen, mit einer Spur Selbstreflexivität versehen, indem sie bewusst auf die Siebzigerjahre verweist. In The Witch entstammt die Neue Musik selbstverständlich derselben Tradition, aber zum einen steht ihr Gebrauch hier nicht im Zusammenhang mit einer Anspielung auf die Siebzigerjahre, und zum anderen wird die Musik sehr speziell mit Konnotationen von Folklore und Früher Neuzeit aufgeladen. Damit nimmt die Musik sowohl den Untertitel des Films, A New England Folktale, als auch den Zeitpunkt seiner Handlung, 1630, auf. Zu Beginn des Films, bei einer Art Gerichtsverhandlung, ist Musik zu hören, die durch die Verwendung von Bordunbässen volkstümliche Musik aufruft und durch die Verwendung einer Viola da Gamba auf Musik des 17. Jahrhunderts anspielt. In dem Moment, da sich hinter der verbannten Familie die Tore der Gemeinde schließen, wird die Musik atonal und orientiert sich am Idiom der Neuen Musik: Das Unheil nimmt seinen Lauf. Die alten und volkstümlichen Instrumente, neben Viola da Gamba und Drehleier auch Nyckelharpa und Jouhikko, werden nur durch Cello und Waterphone ergänzt (unabhängig davon kommt auch ein Chor zum Einsatz). Das gemessen an dem heute üblichen Mitarbeiterstab winzige Sound-Team (6 Personen) lässt darauf schließen, dass Musik und Sound Design ausschließlich oder weitestgehend mit diesen Instrumenten erzeugt wurden. Bemerkenswert ist, wie durch die anfängliche volks- und altertümliche Musik und die anschließende konsequente Verwendung derselben Instrumente die Neue Musik mit Konnotationen des historischen Umfeldes und der ‹Folktale› aufgeladen bleibt. In anderen Filmen begegnet Neue Musik nur vereinzelt; dies gilt für We Are What We Are, A Girl Walks Home Alone at Night, The Babadook, It Follows und Train to Busan. Die meisten dieser Filme stützen sich stattdessen auf Geräuschmusik. Es ist äußerst bemerkenswert, dass Neue Musik offenbar ausschließlich in Filmen eingesetzt wird, die übernatürlichen Horror thematisieren. 167
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3 Geräuschmusik Insbesondere aufgrund der unendlichen Möglichkeiten digitaler Klangsynthese und -bearbeitung besitzt Geräuschmusik ein äußerst breites Spektrum an Erscheinungsformen. Die hier gemeinte Geräuschmusik ist eine Musik, die mit Neuer Musik insofern verwandt ist, als sie atonal ist und periodische Rhythmik und Melodielinien vermeidet. Im Gegensatz zur Neuen Musik im engeren Sinne setzt sie aber keine herkömmlichen Instrumente ein und definiert sich nicht durch eine Störung der eben genannten Elemente, und während für Neue Musik fixe Tonhöhen zumindest ebenfalls als etwas, wovon sie abweicht, im Hintergrund stehen, spielen sie in der Geräuschmusik keine Rolle. Doch auch unter Anwendung einer derartigen negativen Bestimmung von Geräuschmusik ist die Grenze zwischen diesen zwei Musikrichtungen fließend, denn Geräuschmusik kann so gestaltet sein, dass sie sich der Neuen Musik annähert oder schließlich tatsächlich deren Eigenschaften teilt, also mit ihr zusammenfällt. Dies ist z. B. an manchen Stellen in The Conjuring, The Babadook und We Are Still Here der Fall, wo Glissandi, Dissonanzen oder Schwebungen in die Geräuschmusik eingearbeitet sind. Seltener gilt das gleiche auch umgekehrt, denn selbstverständlich können traditionelle Instrumente derart ungewöhnlich und unabhängig von herkömmlichen Kompositionsverfahren eingesetzt werden, dass sie als Geräuschmusik begriffen werden müssen. The Witch liefert hierfür einige Beispiele. Ein Großteil der Filme setzt Geräuschmusik in aller Regel leise ein; die Art der Musik ist am ehesten als Ambient zu bezeichnen. Sehr deutlich ist dies in A Field in England, We Are What We Are, Ich seh ich seh, Backcountry, Spring, Green Room, The Witch und Under the Shadow zu beobachten. In We Are What We Are werden sogar Schreckens- und Gewaltszenen nur mit leiser Ambient-Musik untermalt; in Under The Shadow gibt es fast ausschließlich Geräuschmusik, die sich häufig an der Grenze zur Hörbarkeit bewegt. Oft vermischt mit Windgeräuschen, deutet sie die Präsenz des tatsächlich von Wind herangetragenen Dämons an. Aber Windgeräusche sind ohnehin ein traditioneller Bestandteil charakteristischer Horrorfilm-Atmos; sie begegnen auch in The Conjuring und The Babadook – bezeichnenderweise also in Filmen, die sich an klassischen Dämonen-Geschichten orientieren. Geräuschmusik deutet oft an, dass die Bilder trügen, dass sich hinter dem Gesehenen etwas Geheimnisvolles, Bedrohliches versteckt. Die Landschaftsaufnahmen in A Field in England (0:12:16–0:13:15) oder Bilder von den in freier Natur friedlich spielenden Geschwistern in Ich seh ich seh (0:02:35–0:06:03) werden mit leiser Geräuschmusik versehen, die den Bildern zu widersprechen scheint. In A Field in England wird der Effekt durch die Ausblendung der Außengeräusche intensiviert. Zu einer schönen Landschaft und zu Bildern von spielenden Kindern erwarten wir keine atonalen, elektronischen Klänge. Die Geräusche verweisen auf 168
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1-2 Green Room, 0:11:07– 0:11:14; The Texas Chain Saw Massacre, 0:23:03–0:23:18
die bereits angelegte, aber noch nicht explizite Bedrohung. Dabei macht es keinen Unterschied, dass die Irritation im einen Fall übernatürlichen, im anderen Fall psychologischen Ursprungs ist (erst am Ende von Ich seh ich seh erfahren wir, dass Elias seinen bereits verstorbenen Bruder Lukas nur imaginiert). Aber nicht nur, wo übernatürliche oder psychologische Phänomene die Wirklichkeit oder deren Wahrnehmung verändern und schwer fassbare Gefahren hervorrufen, wird Geräuschmusik eingesetzt, sondern auch dort, wo die Bedrohung einen gewöhnlicheren Ursprung hat wie in Backcountry und Green Room. In Backcountry teilt die Musik den Zuschauern von Anfang an mit, dass der Wald nicht von seiner schönen, sondern seiner tödlichen Seite gezeigt werden wird, und in Green Room wird das drohende Unheil ebenfalls von Beginn an hörbar gemacht. Dass Green Room diesbezüglich in einer bis zu The Texas Chain Saw Massacre zurückreichenden Tradition steht, macht eine Szene deutlich, in der der Van der Punk-Band mit einem Teleobjektiv auf der Straße gefilmt wird, begleitet lediglich von leiser Geräuschmusik. Dabei dürfte es sich um ein Zitat der ganz analogen Szene aus The Texas Chain Saw Massacre handeln. In The Conjuring, The Babadook, We Are Still Here und Don’t Breathe ist die Geräuschmusik deutlicher Momenten des Unheimlichen, des Schreckens und der Spannung vorbehalten. Zugleich ist sie in diesen Filmen ab und zu auch lauter; mitunter erinnert sie aufgrund von Effekten, die mit Dissonanzen und Schwebungen erzielt werden, an Neue Musik, d. h. diese Filme, die ja auch Neue Musik im engeren Sinne aufweisen, heben die Grenze zwischen Neuer Musik und 169
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Geräuschmusik auf. Geräuschmusik ist hier nicht so sehr auf Ambient beschränkt, sondern übernimmt auch punktuellere expressive Funktionen wie Schockmomente und Spannungssteigerungen. Es scheint, als ließen sich Geräusche, die für übernatürliche oder extreme psychologische Phänomene und Bedrohungen eingesetzt werden, hinsichtlich ihrer Klangcharakteristik von solchen Geräuschen unterscheiden, die für natürliche Bedrohungen (wie Bären und Menschen) eingesetzt werden. Doch Mangel an vorhandener Forschung und insbesondere an einer hinreichend differenzierten Terminologie erlauben es derzeit nicht, weitere Aussagen darüber zu treffen. In beiden Fällen handelt es sich jedenfalls um Klänge, die einen abweisenden Charakter haben, indem sie latente Dissonanzen aufweisen, schrill sind, unregelmäßig pulsieren, brummende Basstöne aufweisen usw. Der Film Don’t Breathe verwendet ein sehr breites Spektrum unterschiedlicher Geräusche, die z. B. bald an Schaben oder das Scheppern metallischer Gegenstände erinnern, bald sehr hohe und sehr schrille Klänge enthalten und so Stress- oder Schmerzerfahrungen auf die Zuschauer übertragen. In der Regel nutzen die Filme auch Handlungselemente, um die Geräuschkompositionen zu ergänzen. Relativ laute Außengeräusche, Windrauschen oder permanente Zuggeräusche sorgen für mehr oder weniger konstante Geräuschkulissen, die in die Musik eingearbeitet worden sind. Die zentrale Angriffsszene in Backcountry verlässt sich stattdessen auf die lauten Schreie des Angegriffenen und das Brüllen des Bären. In Train To Busan werden die zahlreichen technisch effektvoll aufbereiteten diegetischen Geräusche durchgängig genutzt, um die Geräuschmusik zu unterstützen. The Green Room verwendet nicht nur die Geräusche eines Feuerlöschers und eines Hochdruckreinigers, um die Musik zu ergänzen, sondern nutzt auch die in anderen Gebäudeteilen gespielte Punk-Metal-Musik als ambientähnliche Atmo etc. Mikrofonrückkopplungen und Feedbackeffekte der E-Gitarren werden ebenfalls eingeflochten, um eine dem Handlungsort angemessene, die Geschehnisse unterstützende Geräuschkomposition zu erzeugen. E-Gitarren- oder E-Bass-Klänge sind auch immer wieder der eigentlichen Geräuschmusik beigemischt. Eine eigene Erwähnung verdient die Geräuschmusik von It Follows, auf die manches, was hinsichtlich Geräuschmusik bereits gesagt wurde, ebenfalls zutrifft. Zugleich hat die Musik einen selbstreflexiven Charakter. Die Verwendung eines Synthesizers oder die Produktion synthesizerähnlicher Klänge ruft die Ästhetik der Horrorfilmmusik der Achtzigerjahre auf, insbesondere die Musik John Carpenters, der die Musik zu seinen eigenen Filmen komponiert hat. Sehr explizit wird diese Bezugnahme, wo eine Art von Minimal Music (aus kleinen, häufig widerholten Motiven bestehende Musik) zum Einsatz kommt, die direkt mit Carpenter verknüpft ist, der diesen Stil, beginnend mit dem Klassiker Halloween (USA 1979), in das Genre eingeführt hatte. Die Häufigkeit, mit der diese Musik im Horrorfilm der Achtzigerjahre anzutreffen war, lässt sich wohl nur aus dem Einfluss der Filme Carpenters erklären; entsprechend begegnet sie in aktuellen Filmen in aller Regel 170
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3–4 It Follows, 0:12:08; Halloween, 0:23:17
nicht mehr. It Follows aber setzt sie als Anspielung ein, freilich in Szenen der Entspannung oder Ruhepause (insbesondere bei Autofahrten). Die Allusion an die Musik von Halloween ist überdeutlich und korrespondiert mit der die heile Welt repräsentierenden amerikanischen Neighborhood (Abb. 3–4), in welche in den Achtzigerjahren das Grauen einbrach, und sie korrespondiert mit dem Alter der Protagonisten (Teenager) sowie der zentralen Handlungsidee: Dass in It Follows der Fluch durch Geschlechtsverkehr weitergegeben wird, ist sicher als direkte Anspielung auf die Tatsache zu verstehen, dass in den Achtzigerjahre-Slasher-Filmen, beginnend eben mit Halloween, das Monster sehr häufig nach sexuellen Handlungen seiner Opfer zuschlug. Neue Musik und Geräuschmusik sind die genretypischen Musikrichtungen, d. h. aber nicht, dass die Musik auf diese Idiome beschränkt bliebe. Filme, die sich darum bemühen, die Atmosphäre des Unheimlichen, Bedrohlichen oder Schrecklichen konsequent aufrechtzuerhalten, indem sie gar keine andere Musik integrieren, sind gegenwärtig, wie auch in den Siebzigerjahren, eher selten. Allerdings kommen sie vor: Aus den Siebzigerjahren sind The Texas Chain Saw Massacre (Geräuschmusik) und The Shining (Neue Musik) sehr berühmte Beispiele; aus der vorliegenden Selektion trifft es mit kleinen Einschränkungen auf The Conjuring, The Babadook, We Are Still Here, The Witch und Under The Shadow zu und mit etwas größeren Einschränkungen auf Ich seh ich seh, Backcountry und Don’t Breathe, wobei in den meisten Fällen der Abspann, anders als bei den Beispielen aus den Siebzigerjahren, davon abweicht. Die übrigen Filme verwenden zahlreiche weitere Musiken, je nachdem welche Akzente sie setzen möchten. So akzentuieren Let Me In und Train to Busan mit 171
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melancholischer Musik die tragische Dimension ihrer Handlungen, denn Let Me In ist ebenso Liebesdrama wie Horrorfilm, und Train to Busan verknüpft den Horror mit einem Familiendrama. The Cabin in the Woods steht in der Tradition der Postmoderne und lädt den Horror nicht nur selbstreflexiv-ironisch auf, sondern muss als regelrechte Genre-Collage gelesen werden, die Musik aus Horror- und Militärfilm, Science Fiction und Komödie vermischt. A Girl Walks Home Alone At Night ist ein Film, der seinen mit einer sehr direkten feministischen Moral kombinierten ‹Kunstcharakter› durch die divergierenden Musikstile regelrecht zur Schau stellt, indem er Chansons, an Italo-Western erinnernde und typische Horrorfilm-Musik aufeinandertreffen lässt. We Are What We Are weist ausgeprägte Elemente eines Psychodramas auf, weshalb melancholische Musik zum Einsatz gelangt; zugleich wird aber immer wieder die Perspektive eine Arztes eingenommen, der dem kannibalistischen Tun auf die Schliche kommt, sodass ein weiterer Strang mit rhythmisch bewegter Musik eher an Kriminalfilme oder Thriller erinnert.
4 Periodische Rhythmik «You can’t create any tension with that, you’d defeat the whole purpose. The minute you got to a foot-tapping rhythm you’ve destroyed the bizarre or odd or fascinating or horrifying aspect of the music», schrieb der Filmkomponist Paul Dunlop bezüglich der Frage, warum sich Rockmusik-Idiome für den Horrorfilm nicht eignen (zit. nach Larson 1985: 181). Sofern Filme nicht wie The Last House on the Left (USA 1972, Regie: Wes Craven, Musik: David Hess) oder Profondo Rosso (I 1975, Regie: Dario Argento, Musik: Goblin) Popmusik absichtsvoll als Mittel der Irritation einsetzten (vgl. Smuts 2002; Tompkins 2010), findet Dunlops Aussage in der Filmmusik der Siebzigerjahre volle Bestätigung. Doch die Tradition komischen Horrors seit den Achtzigerjahren hatte Popmusik (in sehr weitem Sinne) in das Horrorgenre integriert. Im Anschluss daran haben viele ansonsten nicht-komische Horrorfilme Popmusik, insbesondere Hard Rock oder Heavy Metal, wenigstens im Abspann aufgegriffen, um den Horrorfilm als bloßes Theaterspektakel zu markieren (sehr deutlich ist das Dawn of the Dead-Remake von 2004, das die Aufdeckung des Spektakelcharakters im Abspann zudem durch witzige und entspannende, vermutlich inszenierte, Outtakes der Dreharbeiten offenlegte). Zugleich fand Beat, und damit periodische Rhythmik, über eine andere Tendenz Eingang in den Horrorfilm, nämlich die spätestens 2002 mit 28 Days Later beginnende partielle Verschmelzung der Horrorfilme mit dem Actiongenre. Es bietet sich also an, die Rolle von Popmusik, die Gestaltung der Abspänne und die Präsenz von ‹Actionmusik› in den aktuellen Horrorfilmen zu befragen. Seit den Siebzigerjahren konnte Popmusik in Momenten der Entspannung als diegetische Musik z. B. aus dem Autoradio oder dem Fernseher eingesetzt wer172
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den. The Conjuring, Backcountry, We Are Still Here besitzen auch solche Momente. Backcountry inszeniert den Kontrast zwischen entspannender Popmusik und der mit Horror assoziierten Geräuschmusik effektvoll zu Beginn: Der dezidiert gute Laune verbreitende und von den Protagonisten ironisch rezipierte Song «Always Keep an Edge On Your Knife» von Corb Lund reißt bei der geräuschhaften Einblendung des Titels jäh ab (0:03:05). Extradiegetische Popmusik tritt im gesamten Sample während der Filmhandlung (mit einer gleich zu behandelnden Ausnahme) nur ein einziges Mal auf, und zwar in The Conjuring. In einem Moment der Ruhepause und einem Wendepunkt der Handlung, während die Warrens ihr technisches Equipment im Geisterhaus installieren, erklingt der Song «In The Room Where You Sleep», ein stilistisch mit der Rockmusik der späten 60erund frühen 70er-Jahre spielendes Lied der Dead Man’s Bones. Inhaltlich passen die Lyrics zur Filmhandlung, musikalisch aber unterstreicht die Musik, vor allem der gewählte Ausschnitt, das Entspannungsmoment (0:55:40–0:56:20). Der einzige Film des Samples, der Popmusik nicht quantitativ, aber qualitativ eine sehr dezidierte Rolle zuweist, ist der postmoderne Horrorfilm The Cabin in the Woods. Schon im Vorspann erklingt aufwendige spätromantisch wirkende Orchestermusik mit einer getragenen, pathetischen Melodie, angereichert mit einem Schlagzeugbeat: Sie inszeniert sich bewusst und festlich als Musik eines Hollywood-Blockbusters. Die zentrale Protagonistin wird durchs offene Fenster und dadurch mit einem Hauch von Voyeurismus eingeführt, während sie sexy im Slip zu Popmusik (OK Go, «White Knuckles») tänzelnd ihre Koffer packt. Der Film nutzt die diegetische Popmusik zugleich, um eine Stimmung der Ausgelassenheit zu verbreiten, die nur aufgrund der Genrekonventionen eine Doppelbödigkeit besitzt. Zugleich präsentiert die Szene die ca. Zwanzigjährige geradezu wie auf einem Silbertablett als mustergültiges Opfer der Slasher-Film-Tradition (0:02:55–0:03:35). Bei der Abfahrt des Vans mit den Twens – selbst schon wieder eine Anspielung auf die Horrorfilm-Tradition seit The Texas Chain Saw Massacre – erklingt extradiegetische Popmusik, die beim Drehen des Zündschlüssels hochgepegelt wird: Die Show kann beginnen (0:07:03–0:07:40). Tatsächlich eine Show ist das Horrorgeschehen für das Überwachungsteam, das den Horror von ihrer an eine NASA-Station erinnernden Zentrale aus selbst inszeniert. Als das Ritual vollendet erscheint – nur die als Jungfrau bezeichnete Protagonistin scheint in Anspielung an die Tradition des Final Girls überlebt zu haben –, steigt in der Überwachungsstation eine Party. Das Auftauchen eines Zombies, der im Begriff ist, die junge Frau zu töten, wird von Popmusik begleitet, die aus der Überwachungszentrale ertönt; die Kameraperspektive wechselt ebenfalls vom Horrorgeschehen in die Überwachungszentrale, sodass der Horror nur noch auf den Bildschirmen als Hintergrundunterhaltung zu sehen ist: Kino im Kino, offengelegte Selbstreflexivität (1:01:30–1:03:05). Schon zuvor hatte es ähnliche Schnitte gegeben: als zu den auferstehenden Zombies aufwendige Hollywood-Orchestermusik erklang (0:31:53–0:32:30) und als die Twens um ihr 173
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Leben kämpfen, während die Leiter des Überwachungsteams Popcorn knabbern (0:47:28). Der wuchtige Einsatz des Songs «Last» der Industrial Rock-Band Nine Inch Nails zu Beginn des Abspanns fügt sich in dieses spaßig-ironische, postmoderne Genrespiel bestens ein. Hier wird der Kinobesuch selbst zur Party. Die Musik in den Abspännen der Filme ist sehr uneinheitlich und spiegelt die unterschiedlichen Ausrichtungen der Filme wider. Aber mit der Ausnahme von The Conjuring, der konsequent an Neuer Musik und Geräuschen im Abspann festhält, gehen alle Abspänne tendenziell mit einer Aufhellung der Musik einher, zu der häufig auch die Hinzunahme eines Beats gehört. Dabei suchen die Filme allerdings in der Regel eine Anknüpfung an die vorherige Musik. Let Me In rückt durch melancholische Streichermusik den Romanzencharakter in den Vordergrund. We Are What We Are setzt Country-Musik ein, die an jene erinnert, die zuvor einige Male während der kannibalistischen Rituale als diegetische Musik erklang. The Babadook greift die verfremdete Klaviermusik auf, die nun reiner klingt als sonst, aber sämtliche ihrer Elemente aus der vorigen Filmmusik bezieht. Ich seh ich seh eröffnet den Abspann mit der versöhnlichen, den Zuschauern schon bekannten Glasharmonika-Musik, lässt dann aber wieder Geräuschmusik erklingen. In Backcountry beginnt der Prozess der Aufhellung noch während der Filmhandlung; als Jenn das Kanu wiederfindet, wird die Geräuschmusik immer harmonischer und mit einem Beat versehen, und die Geräusche werden von vertrauten E-GitarrenKlängen überlagert. It Follows greift auf die Minimal Music à la John Carpenter zurück. Don’t Breathe knüpft an die Geräuschmusik an, versieht sie aber mit einem dumpfen Beat, sodass sie an Industrial erinnert. In Under The Shadow entsteht aus dumpfen Geräuschen eine rhythmische Musik mit einem klaren Beat, die immer tonaler wird und schließlich an (vermutlich) persische traditionelle Musik gemahnt. Train to Busan setzt melancholische Musik ein, die auf den tragischen Aspekt der Handlung fokussiert, bevor pathetisch-rhythmische Orchestermusik mit Schlagzeug (wohl digital erzeugt) in Entsprechung zum großen Aufwand des Films die verhangene Stimmung verdrängt. A Field in England und The Witch, die beide in der Frühen Neuzeit spielen, greifen die historische Musik auf. In der Regel verändert sich die Musik in den Abspännen noch einige Male, aber einen
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dezidierten Kontrasteffekt durch den plötzlichen Einsatz von Rock- oder Popmusik erzeugen nur Willow Creek, Green Room und eben The Cabin in the Woods. Der koreanische Film Train to Busan ist der einzige des Samples, der an die Zombie-Action-Filme seit 28 Days Later anknüpft, mit dem er auch seine explizite moralische Botschaft teilt. Ansonsten setzt er ganz auf effektvolle Massenszenen – Zombies, die in großer Zahl gleichzeitig durch die Fensterscheiben eines umgekippten Zuges stürzen, sich durch kleinere Durchgänge zwängen und dann zu regelrechten Menschenbergen auftürmen usw. – sowie auf Kampf- und Schlachtsequenzen. Die stark rhythmische Musik unterstreicht dies. Das Fremdartige, Eklige, Unheimliche der Zombies wird hingegen sehr viel weniger in Szene gesetzt. Insofern ist es folgerichtig, dass der Film in sehr vielen Szenen eine stark rhythmisch akzentuierte Musik verwendet, die Action, Geschwindigkeit und Kampfgeist hervorhebt. Symptomatisch ist die Verwendung des Solo-Schlagzeugs, als drei der Protagonisten sich ihren Weg durch mehrere von Zombies besetzte Wagons bahnen wollen. Sie posieren geradezu mit ihren zusammengestückelten Rüstungen; das Schlagzeug setzt ein: Die Schlacht kann beginnen. All diese Nutzungen periodischer Rhythmik widersprechen nicht Dunlops zu Beginn dieses Abschnitts zitierter Feststellung, denn sie brechen den Horror ironisch, führen Ruhe- oder Entspannungsmomente ein, akzentuieren das ActionMoment oder feiern den Spektakel-Charakter des Horror-Theaters. Doch es gibt zwei Typen periodischer Rhythmik, die ohne die Funktion der Brechung oder einen Genreshift im Horrorfilm anzutreffen sind. Der eine findet sich zumindest in The Entity (USA 1982, Regie: Sidney J. Furie, Musik: Charles Bernstein), The Hills Have Eyes (Remake, USA 2006, Regie: Alexandre Aja, Musik: tomandandy) und It Follows. Hierbei handelt es sich um laute Klangrepetitionen, die durch ihre Unaufhaltsamkeit, Eindringlichkeit und dynamische Intensität Unruhe und Stress vermitteln. In einer in dieser Hinsicht charakteristischen Szene aus It Follows befindet sich Jay im Klassenzimmer und schaut aus dem Fenster. Von dem gegenüberliegenden Gebäude aus bewegt sich eine alte Frau im Nachthemd auf die Betrachterin zu. Langsam, aber zielstrebig nähert sie sich und versetzt Jay zunehmend in Unruhe. Die eher leise, aus aufwärts glissandierenden Pfeiflauten sowie einem brummenden Basston bestehende Geräuschmusik erhält allmählich eine anfangs accelerierende periodische Rhythmik im Basston. Jay verlässt den Klassenraum; ein Rhythmus rascher Repetitionen unterstreicht ihre Angst und Unruhe. Während die alte Frau näherkommt, werden die periodischen Klänge kontinuierlich lauter und dissonanter, bis Jay rennend das Gebäude verlässt (0:27:52–0:29:20). Eventuell sind in diesem Zusammenhang auch wenige, wenn auch insgesamt leisere, Stellen aus The Witch zu erwähnen, in denen ein von Schlaginstrumenten gespielter Rhythmus dynamisch zunimmt, z. B. gegen Ende des Films bei der Entscheidung der Tochter, ihre Mutter zu töten (1:15:30–1:16:42). 175
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Der andere Typ rhythmisch-periodischer Musik steht in einer oben bereits in Bezug auf Let Me In angedeuteten Tradition: Dumpfe, leise, sich in größeren Abständen regelmäßig wiederholende Schläge evozieren eine unsichtbare Präsenz und damit das Unheimliche. Wieder ist es der Film It Follows, der dieses Mittel mustergültig einsetzt. In einer Szene verstummen die Schläge tatsächlich in dem Moment, in dem die vorher nur suggerierte Präsenz sichtbar wird: Jay bewegt sich ängstlich und sehr langsam in der Ahnung, dass sich etwas im Haus befindet, durch die Räume. Die Schläge werden allmählich lauter, bis das Wesen in Erscheinung tritt (0:36:14–0:36:52). In Backcountry sind dumpfe Schläge zu hören, als morgens deutlich wird, dass in der Nacht irgendetwas in unmittelbarer Nähe des Zeltes gewesen ist (0:33:27–0:33:37), und in Under the Shadow, als die Mutter mit ihrem Kind nach der Begegnung mit dem Dämon nachts auf die Straße läuft (0:56:00–0:56:10). Etwas stärker weicht die Verwendung dumpfer, regelmäßig wiederkehrender Schläge in We Are What We Are ab, denn insbesondere beim brutalen Mord an Deputy Anders kann vom Unheimlichen nicht die Rede sein. Doch die Verwendung solcher Musik taucht die Szene in eine finstere Atmosphäre ein, anstatt auf den Gore-Charakter zu fokussieren.
5 Kinderlieder und Spieluhren Ganz anders als Geräuschmusik bzw. Neue Musik wirken Kinderlieder und geistliche Musik, die beide ebenfalls zu den musikalischen Topoi des Horrorfilms gehören. Anspielungen auf Kinder im Horrorfilm erklären sich aus den Konnotationen von Unschuld, Hilfsbedürftigkeit und Verletzlichkeit, die mit ihnen verknüpft sind. Zugleich wird die Erwartungshaltung im Horrorfilm häufig verkehrt, indem Kinder zum Ursprung des Bösen werden oder das Gute und Böse im Kindlichen changieren. Nicht nur Kinderlieder im engeren Sinne gehen mit derartigen Assoziationen einher, sofern sie im Horrorfilm erklingen. Auch beispielsweise das, hier wohl selbstreflexive, fest in der Genre-Tradition verankerte Quietschen der Schaukel in It Follows kann dazugerechnet werden. In Let Me In singt Owen beim Verzehr von Süßigkeiten «eat some now, save some for later», wodurch die Kindlichkeit des sich an der Schwelle zur Jugend befindlichen Jungen unterstrichen wird; in Train to Busan singt die tränenüberströmte Soo-an am Ende des Films, nachdem sie ihren Vater verloren hat, selbst aber gerettet scheint, ein Lied, das sie für ihren Vater gelernt hatte. Anders als in diesen beiden Filmen wird das Kinderlied in We Are What We Are deutlicher im Sinne der Horrorfilm-Tradition inszeniert. Der kleine Rory summt ein Lied, als er mit seinen beiden älteren Schwestern allein zu Hause ist und mit ihnen dicht an dicht im Bett liegt. Dabei erzeugt ein hoher elektronischer Halteton mit den Tönen des Liedes immer wieder scharfe Dissonanzen, die auf die tiefen Abgründe hinter der Familienfassade verweisen. Die Wirkung 176
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des Liedes wird intensiviert, indem es vor schwarzer Leinwand einige Zeit weiter erklingt (0:16:48–0:17:22). Spieluhren begegnen vor allem in The Conjuring und in The Babadook, wo der Dämon seine Opfer aufgrund der Lektüre eines scheinbaren Kinderbuches heimsucht. In The Conjuring sind Geister im Spiegel einer Spieluhr zu sehen, wenn sie läuft (erstmals 0:07:50–0:08:03). Mit dem Spiegel und dem Clownsgesicht integriert die Spieluhr gleich zwei weitere Topoi des Genres, und sie wird am Ende genutzt, um eine Erwartung aufzubauen, die sich nicht erfüllt: Die Kamera fährt in der letzten Einstellung auf den Spiegel der laufenden Spieluhr zu, aber nichts geschieht. Mit einem, selbst topischen, Knall- oder Donnergeräusch wird die Leinwand schwarz und eröffnet den Abspann. Ähnlich zentral sind Spieluhrenklänge in The Babadook, ohne dass eine Spieluhr als Requisit auftauchte. Realistische Klänge einer Spieluhr sind der Filmmusik prominent beigemischt, als sich Samuels Mutter Amelia das Babadook-Buch anschaut (0:11:53–0:12:35). In einer späteren Szene signalisiert die Musik der Spieluhr die Präsenz des Babadook. Amelia schaut Fernsehen und sieht dabei Dinge, die offenbar nicht zum Fernsehprogramm gehören: s/w-Bilder, die aus der frühesten Stummfilmzeit zu stammen scheinen, mit einem Clown, der seine Extremitäten verliert, einem Mann, der seinen Kopf abreißt, einer Art Vampir usw. Begleitet werden die Bilder von der Spieluhr-Musik, deren Tonhöhe am Ende absinkt, sodass die Melodie ‹schief› erscheint (0:49:06–0:49:52). Immer wieder treten diese oder ähnliche Klänge auf; teils sind sie in den Hintergrund der Musik eingearbeitet, teils erinnert die leicht verfremdete Klaviermusik daran. Wie die Spieluhr in The Conjuring ist das Kinderbuch des Babadook das Tor zu einer anderen Welt, das irgendwie mit dem Kindlichen verknüpft ist (in der Tradition des Horrorfilms sind es oft kleine Kinder oder Tiere, die die Geister wittern oder sehen, nicht hingegen die Erwachsenen, die ihre Unschuld verloren haben). Den Film Ich seh ich seh durchziehen Kinderlieder geradezu leitmotivartig. Sie stehen für das verlorene Familienglück und die Mütterlichkeit, die Elias nach dem Unfall seiner Mutter an ihr vermisst. Entsprechend erklingen die Kinderlieder alle nur als Reste der Vergangenheit oder als Elemente der Imagination: So eröffnet den Film ein Ausschnitt aus Die Trapp-Familie (AT 1956, Wolfgang Liebeneiner), in dem ein Kinderchor zusammen mit einer Mutterfigur Brahms’ Schlaflied «Guten Abend, gute Nacht» singt. Später singt Elias’ Mama selbst ein Schlaflied: «Weißt du, wieviel Sternlein stehen», aber es erklingt von einem Tonträger, den die Mutter für ihr Kind vor ihrem Krankenhausaufenthalt angefertigt haben muss (0:17:05– 0:17:36). In einer weiteren Szene spielt der verstorbene und nur noch in der Vorstellung des Elias lebende Lukas am Klavier wieder Brahms’ Lied (0:32:39–0:33:50). Und ganz am Ende des Films erklingt noch einmal «Weißt du, wieviel Sternlein stehen»: Elias summt dieses Lied, nachdem Elias das Haus samt seiner vermeintlich falschen Mutter in Brand gesteckt hat. Es leitet zur Wahnvorstellung des wiederhergestellten Familienglücks (allerdings ohne Vater) über: Als ob der Brand die echte Mutter wieder freigelassen hätte, taucht diese zwischen den Feuerwehrfahrzeugen 177
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im Hintergrund auf, um von der Leinwand zu verschwinden. Hinter einem Maisfeld treffen Elias, Lukas und ihre Mutter, die das Lied nun mitsingt, zusammen und posieren als glückliche Familie wie in der zitierten Eingangsszene des Films für die Kamera (1:30:22–1:31:52). Nur ein einziges Mal ist das Lied nicht an Imagination und Erinnerung gebunden: Die Geschwister singen das Lied gleichsam als Folter und gewissermaßen in verkehrten Rollen am Bett der Mutter, an das sie sie gefesselt haben (1:21:35–1:22:10). Hier knüpft der Film an die Tradition böser Kinder an. Die kurze Sequenz mit Spieluhrenklängen in The Cabin in the Woods, die mit einer Ballerinafigur verknüpft ist und daher auf Amityville Horror (USA 1979, Stuart Rosenberg) verweist, während andere Elemente The Evil Dead (USA 1981, Sam Raimi) und Hellraiser (UK 1987, Clive Barker) aufrufen, ist lediglich als weitere Zutat dieses Genre-Cocktails zu verstehen.
6 Geistliche Musik Geistliche Musik tritt in Horrorfilmen häufig auf, weil viele ihrer Motive aus der christlichen Mythologie stammen, zumal die Religion der kulturell verankerte Ort des Aberglaubens ist, und weil Religion und Gewalt eng miteinander zusammenhängen. Religionen wurden und werden verfolgt, aber Religionen verfolgen auch selbst. Und der Schrecken kann ein Mittel sein, religiösen Glauben durchzusetzen: Die Apokalypse des Johannes ist ein Meisterstück antiken Horrors. Dennoch findet sich religiöse Musik in Filmen des Samples nur selten und versteckt. Ähnlich wie Kinderlieder setzt der Film Ich seh ich seh auch das Christentum als Leitmotiv ein. Die Brüder haben biblische Namen, Elias und Lukas, im Haus hängt ein Kruzifix, und Kruzifixe befinden sich in der Landschaft. Beide bereits zitierte Kinderlieder weisen religiöse Bezüge auf, und die Geschwister suchen einmal Hilfe in der Kirche. Es verwundert daher nicht, dass mit Schuberts Psalm 23 eine geistliche Komposition interpoliert wird. Ihr Einsatz ist allerdings schwer zu deuten: Erst verbrennt Lukas die Wange seiner gefesselten Mutter mit einer Lupe, dann verarztet er sie mit einer Salbe. Während dieses ambivalenten Akts der Zuneigung setzt Schuberts Psalm 23, gespielt von einer Glasharmonika, ein. Die Musik wird mehrstimmig, als nach einem Schnitt die beiden Brüder gezeigt werden, die vor einem Kruzifix am Waldrand knien und beten (1:11:05–1:12:24). (Wie schon zuvor beim Besuch der Kirche erweist sich einer der beiden als strenger im Umgang mit den katholischen Verhaltensregeln als der andere.) Die Wichtigkeit dieser Musik wird vom Abspann, der mit Schuberts Komposition beginnt, noch einmal unterstrichen. Die Geschehnisse in The Witch setzen Religiosität voraus. William beklagt gegenüber seinen Richtern mangelnden Glauben, und seine Familie führt nach der Verbannung ein strenges religiöses Leben. Es ist so, als würde die strenge Religiosität 178
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der Familie die schwarzen Mächte geradezu heraufbeschwören. Jedenfalls sucht eine Hexe die Familie heim und fordert viele Todesopfer, bis nur noch die älteste Tochter übrig ist, die sich schließlich selbst in eine Hexe verwandelt. Ein geistliches Lied über den Erlöser «Alas! and did my Savior bleed» beendet den Film, doch dürfte das Zeitkolorit, nicht das sakrale Moment die Rezeptionserfahrung dominieren. Wie in diesen beiden Filmen, so muss man auch in Let Me In genau hinhören, um religiöse Musik aufzuspüren (dazu weiter unten). Plakative Markierungen, etwa die Verwendung einer Orgel, die Anspielung auf einen Choral oder Glockenklänge, sind nicht anzutreffen. Es ist also eher die Perspektive der Siebzigerjahre, die die Verwendung religiöser Musik in diesen Filmen, als relevant erscheinen lässt. Dennoch ist sie vorhanden – vielleicht mehr als Relikt der Genretradition.
7 Body Sounds Horrorfilme sind voll von körperlichen Lauten wie Schreien, Atmen, Kichern, verfremdeten Stimmen usw. Sie stellen ein wichtiges Element des Sound Designs dar, sollen hier aber nur behandelt werden, sofern sie als Elemente der extradiegetischen Filmmusik auftreten. In dem vorliegenden Sample begegnen uns vor allem Stimmen und Herzschlagrhythmen. Die Musik zu The Babadook nutzt Stimmen wie ein eigenes Thema, bald klingen sie wie entfernte Kinder- oder Babystimmen, bald handelt es sich um Vokalisen einer Frauenstimme, die meist nur eine einzige Tonhöhe hält, bald handelt es sich um verfremdete Stimmlaute, die zusammen mit Spieluhrklängen in Erscheinung treten und ein wenig an die Stimmen der elektronischen Musik zu The Shining von Wendy Carlos erinnern, bald wirken sie schon fast wie Chorgesang, der hohe Dissonanzen erzeugt. Insofern greifen die Stimmlaute mal den Aspekt des Kindlichen auf, mal deuten sie eher die Präsenz des Dämonischen an und durchbrechen dadurch die Grenze zwischen diegetischer und extradiegetischer Musik. Die dämonisch wirkenden Stimmlaute machen für die Zuschauer die Nähe des Dämons fühlbar, der sich für die Protagonisten über andere Phänomene bemerkbar macht. Nicht ganz so häufig und vielfältig, aber trotzdem ebenfalls sehr zentral sind Stimmlaute in The Conjuring. Hier treten sie allerdings in der Regel als Bestandteil elektronischer Ambient-Musik auf. Nicht immer ist zu entscheiden, ob tatsächlich Stimmen in die Musik eingearbeitet wurden oder ob sie elektronisch nachgeahmt werden – was auch unerheblich ist. Schon bei der Einblendung des Titels sind Stimmen wahrzunehmen; auch hier handelt es sich um höhere Frauenstimmen. Während des Exorzismus sind mit dem Dämon assoziierte hohe Frauenstimmen fast solo zu hören. Erst bei der erfolgreichen Vertreibung des Dämons wandelt sich die Rolle der hohen Frauenstimmen. Während Carolyn Perron Erinnerungsfetzen schöner Tage vor Augen hat, hellt sich die Harmonik auf, die Stimmen nehmen den 179
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6 The Witch, 1:25:12
Charakter harmonischen Chorgesangs an. Die zuvor mit dem Dämonischen assoziierten Stimmen werden umkodiert; die korrekte Auflösung einer großen Sekunde gemahnt an eine aus der Vokalpolyphonie der Renaissance bekannte Schlusskadenz, sodass hier eventuell sogar eine weitere Anspielung auf geistliche Musik vorliegt, zumal der Kontext des Exorzismus eine religiöse Symbolik nahelegen könnte (1:37:56–1:38:35). Den Stimmen in The Conjuring ähneln mindestens zwei Stellen in Ich seh ich seh, wo ebenfalls Stimmen in die elektronische Ambient-Musik eingearbeitet zu sein scheinen (0:03:09–0:03:58; 0:51:50–0:52:13). In Let Me In und The Witch sind die Stimmen grundsätzlich deutlicher als Gesang zu erkennen. Wieder handelt es sich um hohe Frauenstimmen. An mindestens drei Stellen lassen sich Textfetzen ausmachen, die auf lateinische Texte hindeuten; einmal sind deutlich die Worte «Dies irae, dies illa» zu verstehen. Ganz in der Tradition des Horrorfilms wird damit auf das Jüngste Gericht Bezug genommen, allerdings ohne die Melodie der berühmten Dies irae-Sequenz zu verwenden (0:53:05–0:53:27). Diesem geistlichen Einschlag entspricht aber keine Thematisierung von Religion in der Handlung, sondern er steht nur in intertextueller Beziehung zur Genretradition. Spätere Textfetzen scheinen die Wörter sanguinis und animus zu enthalten und damit wiederum die geistliche Sphäre aufzurufen (1:22:00; 1:24:35). Doch das assoziative Spektrum der Frauenstimmen ist breiter, denn zu Beginn des Films, beim ersten Auftritt Abbys, scheint die Musik eher Kindlichkeit zu suggerieren, und an vielen anderen Stellen fügt sie sich als Topos des Übernatürlichen wie in The Conjuring und The Babadook in den Horrorfilm ein. In The Witch ist ein Chor hoher Frauenstimmen fast leitmotivisch den Hexen zugeteilt. Die Chormusik wird eingeführt, als die Familie ihren neuen Siedlungsplatz findet. Die Kamera bewegt sich auf den Wald zu, parallel wird der Chorgesang lauter, um vor der plötzlich schwarzen Leinwand fast in eine Art Schrei zu münden. Der Hinweis auf die Präsenz dunkler Mächte im Wald ist unmissverständlich (0:04:29–0:04:40). Kurz darauf wird dieses Mittel aufgegriffen, nun in Verbindung mit einer extrem langsamen Kamerafahrt in Richtung Wald, die zusammen mit 180
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den Chorstimmen geradezu den Eindruck erweckt, der Wald sei belebt (0:06:07– 0:06:49). In späteren Szenen ist die Chormusik an Auftritte der Hexe gebunden, etwa bei ihrem Ritual mit Babyblut (0:07:10–0:09:18) oder bei der Verführung Calebs (0:39:04–0:40:37). Schon hier und dann wieder am Schluss, wo die Chormusik beim Hexensabbat erklingt (1:24:40–1:24:15), erinnert sie sehr deutlich an Ligetis bereits erwähntes Werk Lux aeterna. Beim Hexensabbat wird die Chormusik außerdem erst parallel mit einer Fantasiesprache des Hexenritus eingeführt (ähnlich derjenigen, die Hector Berlioz in Damnation de Faust einsetzte) und bald darauf mit offensichtlich extradiegetischem Geflüster angereichert. Solche Flüsterlaute treten sehr häufig diegetisch als Topos des Unheimlichen auf: Stimmen ohne Körper (z. B. in The Babadook, 0:55:57–0:56:16). In The Witch aber unterstreichen sie eher den rituellen Charakter des Geschehens und strahlen aufgrund des Kontextes die Atmosphäre einer schwarzen Messe aus. Mit dieser korrespondiert dann mit umgekehrten Vorzeichen die geistliche Musik im Abspann, wobei es bemerkenswert ist, dass die letzte Einstellung der emporschwebenden Thomasin offensichtlich an eine Kruzifix-Figur erinnert (Abb. 6). Durchaus vergleichbar den Flüsterlauten sind Kichern und Atemgeräusche, die auch immer wieder begegnen. In The Conjuring und We Are Still Here sind Atemlaute anzutreffen, bei denen selten klar ist, ob sie diegetisch sind oder nicht. In The Conjuring wird auch Kichern eingesetzt, von dem ebenfalls nicht immer gesagt werden kann, ob es diegetisch ist. In Let Me In wird es eindeutig extradiegetisch ganz am Schluss im Abspann verwendet. Wie Neue Musik werden Stimmen, einschließlich Chor, Kichern, Atem und Geflüster, nur in Filmen übernatürlichen Horrors eingesetzt. Auch Herzschlagrhythmen sind nach wie vor ein weit verbreitetes Klang-Element im Horrorfilm. In aller Regel wird es extradiegetisch eingesetzt. Es ist daher eine Ausnahme, wenn in The Babadook der Herzschlagrhythmus lediglich abbildet, was der Arzt abhorcht. Eindeutige oder mutmaßliche Herzschlagrhythmen finden sich auch in The Conjuring, Backcountry, Green Room, Don’t Breathe, Train to Busan und Under the Shadow. Dabei kann der Einsatz bald realistischer, bald stärker musikalisch verarbeitet sein. In einzelnen Fällen, insbesondere in Bezug auf Green Room, ließe sich darüber diskutieren, ob ein Herzschlagrhythmus vorliegt oder ob die Musik eher eine leise Variante der oben am Beispiel von It Follows erörterten Stress-Rhythmen darstellt. Sehr deutlich erscheinen hingegen einzelne Passagen in The Conjuring, Backcountry und Train to Busan. Im Vergleich zu Horrorfilmen der Siebzigerjahre wird der Herzschlag allerdings in anderen Szenen eingesetzt: Während er in den Siebzigerjahren offene Wunden, kulminierende Gewaltmomente begleitete und auf Verletzlichkeit, Verwundbarkeit und Sterblichkeit hinwies, wird er nun sehr konsequent für Momente höchster Angst oder höchsten Stresses verwendet. Er bildet in der Regel das rasch schlagende Herz der bedrohten, verängstigten Protagonisten ab. Deshalb pulsiert das 181
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Herz sehr rasch, während es in den Siebzigerjahren eher der Intensivierung der Erfahrung von Körperlichkeit und Schmerz diente und daher verlangsamt schlug (in ‹akustischer Zeitlupe›: Hentschel 2011: 82). Die einzige Ausnahme des Samples findet sich in Train to Busan, wo ein langsamer Herzschlagrhythmus zu hören ist, als Seok Woo am Telefon offenbar mit anhören muss, wie sich seine Mutter in einen Zombie verwandelt.
8 Fazit Nach wie vor – oder erneut – stellen Geräuschmusik und Neue Musik die zentralen Musikstile des Horrorfilms dar. Unversöhnliche, atonale, a-rhythmische, a-melodische Musik scheint immer noch am besten zur Sphäre des Horrors zu passen. Innerhalb dieser Musikarten aber hat sich eine Verschiebung ergeben, die nicht nur mit der selbstverständlichen Veränderung der Klangästhetik durch die digitalen Technologien zu erklären ist: Neue Musik im engeren Sinne spielt eine geringere Rolle im Vergleich zur Geräuschmusik, während es in den Siebzigerjahren umgekehrt war. Außerdem neigt Geräuschmusik mehr zum Ambient und ist tendenziell leiser als in den Siebzigern. Gerade vor dem Hintergrund dieser Umgewichtung wäre eine Differenzierung der hier pauschal als Geräuschmusik bezeichneten Musiken wichtig. Die verschiedenen Arten von Geräuschmusik und ihre expressiven Qualitäten wären zu erforschen, wofür bislang nicht einmal ein Grundstein gelegt wurde. Auch wenn die zentralen Musikrichtungen des Horrorgenres die aus den Siebzigerjahren bekannten Musikrichtungen sind, ist die Musik des Horrorfilms doch durch die Hinzunahme neuer Traditionen vielseitiger geworden. So hat die zwischenzeitliche Hinwendung des Horrorfilms zum Actionfilm ebenso Spuren hinterlassen wie die postmoderne Ironisierung des Genres. Geistliche Musik spielt eine deutlich geringere Rolle, ist aber keineswegs absent, sondern eher in den musikalischen Hintergrund abgesunken, wo sie subtilere oder weniger direkte Funktionen übernimmt. Und der immer noch wichtige Herzschlagrhythmus hat sein Tempo angezogen und findet sich nun eher in Szenen der Angst und des Stresses. Ähnliche Studien zu Filmen der Achtziger- und Neunzigerjahre wären interessant, insbesondere auch um die Resultate mit sozialen, politischen und anderen historischen Wandlungen in Beziehung setzen zu können. Denn die Frage, warum sich geändert hat, was sich geändert hat, konnte im vorliegenden Beitrag nicht mehr aufgegriffen werden.
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Literatur Hentschel, Frank. 2011. Töne der Angst: Die Musik im Horrorfilm, Deep Focus 12, Berlin: Bertz & Fischer. Hentschel, Frank. 2016. «Musik und das Unheimliche im 19. Jahrhundert.» In: Archiv für Musikwissenschaft 73, S. 9–50. Hentschel, Frank. 2018 (im Druck). «Das Unheimliche in Krzysztof Pendereckis Als Jakob erwachte … Zur Wirkung Neuer Musik im Horrorfilm.» In: Emotionsgeschichte und Musik. Forschungsperspektiven und Methoden, hg. von Marie Louise Herzfeld-Schild, Sven Oliver Müller und Lena van der Hoven, Hildesheim: Olms Verlag Larson, Randall D. 1985. Musique Fantastique: A Survey of Film Music in the Fan-
tastic Cinema, Scarecrow Press: Metuchen, N.J. Rottentomatoes, zuletzt eingesehen am 28.2. 2017. https://www.rottentomatoes.com/ top/bestofrt/top_100_horror_movies/ Smuts, Aaron. 2002. «The Principles of Association: Dario Argento’s PROFONDO ROSSO (Deep Red, 1975).» In: Kinoeye. New Perspectives on European Film 2/11, zuletzt eingesehen am 28. 2. 2017. http://www. kinoeye. org/02/11/smuts11.php Tompkins, Joe. 2010. «Pop Goes the Horror Score. Left Alone in THE LAST HOUSE ON THE LEFT.» In: Music in the Horror Film: Listening to Fear, hg. Neil Lerner, Routledge: New York, London, S. 98–113.
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Die 20 bedeutendsten Horrorfilm-Regisseure der Filmgeschichte 1. Wes Craven (USA, 1939–2015) 2. John Carpenter (USA, * 1948) 3. George A. Romero (USA, 1940–2017) 4. David Cronenberg (Kanada, * 1943) 5. Mario Bava (Italien, 1914–1980) 6. Dario Argento (Italien, * 1940) 7. Tobe Hooper (USA, 1943–2017) 8. Roger Corman (USA, * 1926) 9. Terence Fisher (GB, 1904–1980) 10. Alfred Hitchcock (GB, 1899–1980) 11. James Whale (GB, 1889–1957) 12. David Lynch (USA, * 1946) 13. Brian De Palma (USA, * 1940) 14. Guillermo Del Toro (Mexico, * 1964) 15. Sam Raimi (USA, * 1959) 16. Takashi Miike (Japan, * 1960) 17. Joe Dante (USA, * 1946) 18. John Landis (USA, * 1950) 19. James Wan (Australien, * 1977) 20. Rob Zombie (USA, * 1965) Quelle: Yasmin Kleinbart, Taste of Cinema, 2015 http://www.tasteofcinema.com/2015/the-20-greatest-horror-movie-directors-in-cinema-history/ 187
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Die 30 besten Horrorfilme aller Zeiten 1. Das Cabinet des Dr. Caligari (Deutschland 1920, Regie: Robert Wiene) 2. Nosferatu (D 1922, Regie: F. W. Murnau) 3. Repulsion (GB 1965, Regie: Roman Polanski) 4. King Kong (USA 1933, Regie: Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack) 5. Psycho (USA 1960, Regie: Alfred Hitchcock) 6. Bride of Frankenstein (USA 1935, Regie: James Whale) 7. Alien (GB/USA 1979, Regie: Ridley Scott) 8. Get Out (USA 2017, Regie: Jordan Peele) 9. The Night of the Hunter (USA 1955, Regie: Charles Laughton) 10. The Invisible Man (USA 1933, Regie: James Whale) 11. Rosemary’s Baby (USA 1968, Regie: Roman Polanski) 12. Frankenstein (USA 1931, Regie: James Whale) 13. The Babadook (AUS/CAN 2014, Regie: Jennifer Kent) 14. Jaws (USA 1975, Regie: Steven Spielberg) 15. It Follows (USA 2014, Regie: David Robert Mitchell) 16. Vampyr (D/F 1932, Regie: Carl Theodor Dreyer) 17. Invasion of the Body Snatchers (USA 1956, Regie: Don Siegel) 18. Låt den rätte komma In (S 2008, Regie: Tomas Alfredson) 19. Aliens (USA/GB 1986, Regie: James Cameron) 20. Freaks (USA 1932, Regie: Tod Browning) 21. Les yeux sans visage (F/I, Regie: Georges Franju) 22. Evil Dead II (USA 1987, Regie: Sam Raimi) 23. Peeping Tom (GB 1960, Regie: Michael Powell) 24. The Birds (USA 1963, Regie: Alfred Hitchcock) 25. Dead of Night (GB 1945, Regie: Alberto Cavalcanti, Charles Crichton, Basil Dearden, Robert Hamer) 26. Night of the Living Dead (USA 1968, Regie: George A. Romero) 27. The Cabin in the Woods (USA 2012, Regie: Drew Goddard) 28. Don’t Look Now (GB/I 1973, Regie: Nicolas Roeg) 29. The Witch – A New-England Folktale (USA/GB/Kanada/Brasilien 2015, Regie: Robert Eggers) 30. The Innocents (GB 1961, Regie: Jack Clayton) Quelle: Rotten Tomatoes, 1976 https://editorial.rottentomatoes.com/guide/best-horror-movies-of-all-time/
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Die 25 erfolgreichsten Horrorfilme weltweit (Stand Oktober 2016) 1. The Sixth Sense (1999, Einspielergebnis: $ 672.806.292,-) 2. Jaws (1975, Einspielergebnis: $ 470.653.000,-) 3. The Exorcist (1973, Einspielergebnis: $ 441.306.145) 4. Signs (2002, Einspielergebnis: $ 408.247.917,-) 5. Hannibal (2001, Einspielergebnis: $ 351.692.268,-) 6. Seven (1995, Einspielergebnis: $ 327.311.859,-) 7. The Conjuring 2 (2016, Einspielergebnis: $ 320.170.008,-) 8. The Conjuring (2013, Einspielergebnis: $ 318.000.141),9. Van Helsing (2004, Einspielergebnis: $ 300.257.475,-) 10. Shutter Island (2010, Einspielergebnis: $ 294.804.195,-) 11. What Lies Beneath (2000, Einspielergebnis: $ 291.420.351,-) 12. The Silence of the Lambs (1991, Einspielergebnis: $ 272.742.922,-) 13. Annabelle (2014, Einspielergebnis: $ 256.873.813,-) 14. The Village (2004, Einspielergebnis: $ 256.697.520,-) 15. The Ring (2002, Einspielergebnis: $ 249.348.933,-) 16. The Blair Witch Project (1999, Einspielergebnis: $ 248.639.099,-) 17. Interview with the Vampire (1994, Einspielergebnis: $ 223.664.608,-) 18. Paranormal Activity 3 (2011, Einspielergebnis: $ 207.039.844,-) 19. Paranormal Activity (2009, Einspielergebnis: $ 193.355.800,-) 20. Jaws 2 (1978, Einspielergebnis: $ 187.884.007,-) 21. The Grudge (2004, Einspielergebnis: $ 187.281.115,-) 22. The Haunting (1999, Einspielergebnis: $ 177.311.151,-) 23. Scream (1996, Einspielergebnis: $ 173.046.663,-) 24. Alien vs. Predator (2004, Einspielergebnis: $ 172.554.654,-) 25. Scream 2 (Einspielergebnis: $ 172.363.301,-) Quelle: Box Office Mojo, 2016 http://www.newsday.com/entertainment/movies/highest-grossing-horror-movies-top-25-worldwide-1.3245901
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Die Horrorfilme von Dario Argento 1. Dracula 3D (2012, Dario Argentos Dracula) 2. Giallo (2009, Giallo) 3. La terza madre (2007, Mother of Tears) 4. Il cartaio (2004, The Card Player – Tödliche Pokerspiele) 5. Non ho sonno (2001, Sleepless) 6. Il fantasma dell’opera (1998, Das Phantom der Oper) 7. La sindrome di Stendhal (1996, Das Stendhal Syndrom) 8. Trauma (1993, Aura) 9. Opera (1987, Terror in der Oper) 10. Phenomena (1985, Phenomena) 11. Tenebre (1982, Tenebre – Der kalte Hauch des Todes) 12. Inferno (1980, Horror Infernal – Feuertanz der Zombies) 13. Suspiria (1977, Suspiria – In den Krallen des Bösen) 14. Profondo rosso (1975, Rosso – Die Farbe des Todes) 15. 4 mosche di velluto grigio (1971, Vier Fliegen auf grauem Samt) 16. Il gatto a nove code (1971, Die neunschwänzige Katze) 17. L’uccello dalle piume di cristallo (1970, Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) Quelle: Internet Movie Database, 2017 http://www.imdb.com/name/nm0000783/?ref_=nv_sr_1#director
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Die Frankenstein- und Dracula-Filmzyklen der Hammer Studios 1. The Curse of Frankenstein (1957, Regie: Terence Fisher) 2. Dracula (1958, Regie: Terence Fisher) 3. The Revenge of Frankenstein (1958, Regie: Terence Fisher) 4. The Brides of Dracula (1960, Regie: Terence Fisher) 5. The Evil of Frankenstein (1964, Regie: Freddie Francis) 6. Dracula, Prince of Darkness (1966, Regie: Terence Fisher) 7. Frankenstein Created Woman (1967, Regie: Terence Fisher) 8. Dracula Has Risen from the Grave (1968, Regie: Freddie Francis) 9. Frankenstein Must Be Destroyed (1969, Regie: Terence Fisher) 10. Taste the Blood of Dracula (1970, Regie: Peter Sasdy) 11. The Horror of Frankenstein (1970, Regie: Jimmy Sangster) 12. Scars of Dracula (1970, Regie: Roy Ward Baker) 13. Dracula A.D. 1972 (1972, Regie: Alan Gibson) 14. The Satanic Rites of Dracula (1973, Regie: Alan Gibson) 15. Frankenstein and the Monster from Hell (1974, Regie: Terence Fisher) Quelle: Jörg Helbig, Geschichte des britischen Films, 1999: 151.
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Die 25 besten schauspielerischen Leistungen in Horrorfilmen 1. Boris Karloff in Frankenstein 2. Anthony Hopkins in The Silence of the Lambs 3. Sissy Spacek in Carrie 4. Lon Chaney, Sr. in The Phantom of the Opera 5. Robert Englund in A Nightmare on Elm Street 6. Jack Nicholson in The Shining 7. Jeff Goldblum in The Fly 8. Anthony Perkins in Psycho 9. Kathy Bates in Misery 10. Linda Blair in The Exorcist 11. Duane Jones in Night of the Living Dead 12. Robert Mitchum in Night of the Hunter 13. Christopher Lee in Hammers Dracula-Zyklus 14. Sigourney Weaver in Alien und Aliens 15. Bela Lugosi in Dracula 16. Vincent Price in Theatre of Blood 17. Michael Rooker in Henry: Portrait of a Serial Killer 18. Elsa Lanchester in The Bride of Frankenstein 19. Max Schreck in Nosferatu 20. Robert Shaw in Jaws 21. Kevin Spacey in Se7en 22. Jamie Lee Curtis in Halloween 23. Peter Cushing in Hammers Frankenstein-Zyklus 24. James Woods in Videodrome 25. Bette Davis in Whatever Happened to Baby Jane? Quelle: Robert Berry, Retrocrush, o. J. http://www.retrocrush.com/horror/49–25.html
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Die 20 wichtigsten von Frauen inszenierten Horrorfilme 1. American Psycho (USA 2000), Regie: Mary Harron 2. The Babadook (AUS/CAN), Regie: Jennifer Kent 3. Blood Diner (USA 1987), Regie: Jackie Kong 4. Buffy the Vampire Slayer (USA 1997–2003), Regie: Fran Rubel Kuzui 5. Carrie (USA 2013), Regie: Kimberly Peirce 6. The Rage: Carrie 2 (USA 1999), Regie: Katt Shea 7. Freddy’s Dead: The Final Nightmare (USA 1991), Regie: Rachel Talalay 8. A Girl Walks Home Alone at Night (USA 2014), Regie: Ana Lily Amirpour 9. Humanoids from the Deep (USA 1980), Regie: Barbara Peeters 10. Jennifer’s Body (USA 2009), Regie: Karyn Kusama 11. Near Dark (USA 1987), Regie: Kathryn Bigelow 12. A Night to Dismember (USA 1983), Regie: Doris Wishman 13. Office Killer (USA 1997), Regie: Cindy Sherman 14. Organ (JP 1996), Regie: Kei Fujiwara 15. Pet Sematary (USA 1989), Regie: Mary Lambert 16. Ravenous (CZ/GB/USA 1999), Regie: Antonia Bird 17. The Slumber Party Massacre (USA 1982), Regie: Amy Holden Jones 18. Sorority House Massacre (USA 1986), Regie: Carol Frank 19. Trouble Every Day (F/D/JP 2001), Regie: Claire Denis 20. The Velvet Vampire (USA/Philippinen 1971), Regie: Stephanie Rothman Quelle: Cheryl Eddy, Gizmodo, 2016 http://io9.gizmodo.com/the-io9-guide-to-essential-horror-films-directed-by-wom-1787684070
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Die 10 besten Horrorfilm-Remakes aller Zeiten … 1. The Thing (USA 1982, Regie: John Carpenter) 2. The Fly (USA/GB/CAN 1986, Regie: David Cronenberg) 3. Dawn of the Dead (USA/CAN/JP/F 2004, Regie: Zack Snyder) 4. Nosferatu the Vampyre (D/F 1979, Regie: Werner Herzog) 5. The Ring (USA/JP 2002, Regie: Gore Verbinski) 6. Quarantine (USA 2008, Regie: John Erick Dowdle) 7. Evil Dead (USA 2013, Regie: Fede Alvarez) 8. The Crazies (USA/Vereinigte Arabische Emirate 2010, Regie: Breck Eisner) 9. Let Me In (GB/USA 2010, Regie: Matt Reeves) 10. The Hills Have Eyes (USA 2006, Regie: Alexandre Aja)
… und die 5 schlechtesten 1. Chaos (USA 2005, Regie: David DeFalco) 2. The Fog (USA 2005, Regie: Rupert Wainwright) 3. Prom Night (USA/CAN 2008, Regie: Nelson McCormick) 4. Poltergeist (USA 2015, Regie: Gil Kenan) 5. A Nightmare on Elm Street (USA 2010, Regie: Samuel Bayer) Quelle: Mark Hughes, Forbes, 2016 https://www.forbes.com/sites/markhughes/2016/04/20/the-best-and-worst-horror-remakes-of-alltime/#3bb09bdd3644
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Die Autorinnen und Autoren
Susanne Bach ist Professorin für anglistische Literaturwissenschaft an der Universität Kassel. Im Zentrum ihrer Forschungsinteressen stehen u. a. Literatur und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts, gender studies, und psychoanalytische Theorien. Sie ist research fellow der Universität Edinburgh, war mehrfach visiting professor an der University of Massachusetts at Amherst, und assoziierte Partnerin des Forschungsverbundes Verlust der Nacht. Zu ihren Buchpublikationen gehören Theatralität und Authentizität zwischen Viktorianismus und Moderne (2006), Intertextual Transitions in Contemporary Canadian Literature (hg. 2013), Gewalt, Geschlecht, Fiktion. Gewaltdiskurse und Gender-Problematik in zeitgenössischen englischsprachigen Romanen, Dramen und Filmen (hg. 2010), Michael Frayn in Germany (2008; hg. mit A.-R. Glaap), Das gute Leben. Reflexionen zur Lebenskunst im britischen Roman vom Viktorianismus zur Postmoderne (hg. mit S. Glomb et al.), Spiritualität und Transzendenz in der modernen englisch-sprachigen Literatur (hg. 2001). Neuere Aufsätze widmen sich der Bibel in Literatur und Kultur (2016) und der Rocky Horror Picture Show (2016). 2017 erschien eine Anthologie mit Universitätsgeschichten (Affen im Hörsaal). Angela Fabris ist Assoziierte Professorin für Spanische und Italienische Literaturund Kulturwissenschaft am Institut für Romanistik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Ihre Forschungsgebiete umfassen u. a. die spanische und italienische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, Jüdische Literatur, Intermedialität, Visuelle Kultur sowie italienische Filmgeschichte. Zu ihren Buchpublikationen gehören Science-Fiction-Kultfilme (Marburg 2016 mit J. Helbig), Nuevos enfoques sobre la novela corta barroca (Frankfurt a.M. 2016 mit M. Albert, U. Becker, R. Cerezo), «Gazzetta Veneta», 1760–1762 – L’architettura della «Gazzetta Veneta»: dialogo tra generi e forme (Venedig 2015), Charakterbilder: Zur Poetik des literarischen Por 195
Die Autorinnen und Autoren
träts (Bonn 2012 mit W. Jung), Un «de/scrittore irriverente»: Le strategie letterarie di Francesco Burdin (Udine 2004). Derzeit leitet sie gemeinsam mit Jörg Helbig ein Forschungsprojekt zur Geschichte des erotischen Films in Italien und England. Michael Fuchs ist aktuell als Postdoc-Universitätsassistent am Institut für Amerikanistik der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Er ist Mitherausgeber von Space Oddities: Difference and Identity in the American City (LIT Verlag, im Druck), ConFiguring America: Iconic Figures, Visuality, and the American Identity (Intellect Books 2013), Placing America: American Culture and Its Spaces (transcript Verlag 2013) sowie Landscapes of Postmodernity: Concepts and Paradigms of Critical Theory (LIT Verlag 2010) und der Autor von rund 30 Aufsätzen über Horrorfilme, Videospiele, US-amerikanisches Fernsehen, Intermedialität und zeitgenössische US-amerikanische Literatur. Aktuell arbeitet er u. a. an einem Habilitationsprojekt zu tierischen Monstern in der amerikanischen Kulturgeschichte und gibt Aufsatzsammlungen über die Darstellung von Tieren im US-amerikanischen Fernsehen, die Bedeutung von Städten in der Fantastik und die Schnittstellen von Videospielen und anderen Medien heraus. Weitere Details unter www.fuchsmichael.net. Jörg Helbig ist Professor für Englische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seine Forschungsgebiete umfassen u. a. Film- und Mediengeschichte, Filmnarratologie, die populäre Kultur der 1960er-Jahre sowie Intertextualität und Intermedialität. Zu seinen jüngeren Buchpublikationen zählen Science-Fiction-Kultfilme (Marburg 2016 mit A. Fabris), I saw a film today, oh boy! Die Beatles Film Enzyklopädie (Marburg 2016), Digitale Spiele (Köln 2016 mit R. Schallegger), Visuelle Medien (Köln 2014 mit A. Rußegger und R. Winter), Visualität, Kultur und Gesellschaft (Köln 2014 mit A. Rußegger und R. Winter), Intermedialität (London 2009), Summer of Love (Trier 2008 mit S. Warner) und Camera doesn’t Lie: Spielarten erzählerischer Unzuverlässigkeit im Film (Trier 2006). Er ist Mitherausgeber der Buchreihen Focal Point: Studies in English and American Media sowie Klagenfurter Beiträge zur Visuellen Kultur. In seinem aktuellen Forschungsprojekt widmet er sich gemeinsam mit Angela Fabris der Geschichte des erotischen Films in Italien und England. Frank Hentschel, Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und der neueren deutschen Literatur in Köln und London. 1995–1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thomas-Institut der Universität zu Köln. 1999 Promotion in Köln. 1999– 2006 Wissenschaftlicher Assistent am Musikwissenschaftlichen Seminar der Freien Universität Berlin (Lehrstuhl Albrecht Riethmüller). 2003/2004 Forschungsaufenthalt an der Harvard University Cambridge, MA. 2006 Habilitation an der FU Berlin. April bis September 2007 Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Historische Musikwissenschaft mit einem Schwerpunkt auf der Musik vor 196
Die Autorinnen und Autoren
1600). Oktober 2007 bis September 2011 Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Historische Musikwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Sozialgeschichte der Musik). Seit Oktober 2011 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität zu Köln. Benjamin Moldenhauer arbeitet als Filmjournalist und schreibt vor allem für Spiegel online, das Filmmagazin ray und Standard. Außerdem ist er als Lehrbeauftragter an der Universität Bremen tätig. Promoviert hat er zur Geschichte und Theorie des Horrorfilms. Seine Dissertation Ästhetik des Drastischen: Welterfahrung und Gewalt im Horrorfilm ist 2016 im Bertz+Fischer Verlag erschienen. Arno Rußegger studierte Germanistik und Anglistik; Promotion über Robert Musil, Habilitation 2004. Derzeit ist er Ao.Univ.-Prof. am Institut für Germanistik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seine Lehr- und Publikationstätigkeiten umfassen folgende Schwerpunkte: Österreichische Literatur seit 1900, Film und Literatur, Filmanalyse, Kinder- und Jugendliteratur, angewandte Germanistik (Buchforschung, Literatur- und Filmvermittlung, Literaturbetrieb). Er ist u. a. Mitherausgeber der Bände Visuelle Medien und Visualität, Kultur und Gesellschaft (beide 2014), die in der Buchreihe Klagenfurter Beiträge zur Visuellen Kultur erschienen sind. Marcus Stiglegger, Prof. Dr. phil. habil., Film- und Kulturwissenschaftler, lehrt Fernsehen und Film an der DEKRA Hochschule für Medien (Berlin). Lehrtätigkeiten an Universitäten und Filmhochschulen in Berlin, Siegen, Mannheim, Klagenfurt, Regensburg, Mainz, Ludwigsburg, Köln, Wroclaw und Clemson/SC. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Filmästhetik, Filmgeschichte und Medientheorie, darunter 7 Monographien. Promotion über Geschichte, Film und Mythos (SadicoNazista,1999, 3. Auflage Hagen 2014), Habilitation zur Seduktionstheorie des Films (Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel & Sinnlichkeit im Film, Berlin 2006). Seine Forschungsschwerpunkte sind die Körpertheorie und Seduktionstheorie der Medien, die Dialektik von Mythos und Moderne in der populären Kultur, Medienkulturanthropologie und Genretheorie. Mitglied der GfM sowie der Fipresci. Aktuelle Veröffentlichungen: Kurosawa. Die Ästhetik des langen Abschieds (München 2014), Auschwitz-TV. Reflexionen des Holocaust in Fernsehserien (Wiesbaden 2014) und Verdichtungen. Zu Ikonologie und Mythologie der populären Kultur (Hagen 2014). Herausgeber des Kulturmagazins :Ikonen: und der Buchreihen ‹Medien/Kultur›, ‹Kultur + Kritik› (Bertz+Fischer), ‹Genrediskurs› (Springer VS) sowie ‹Mythos|Moderne› (Eisenhut). Zudem ist er Drehbuchautor, Filmemacher, Autor von Bonusmaterial für Heimmedien und Musiker.
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