Historische Veränderungen prosodischer Strukturen: Analysen im Licht der nichtlinearen Phonologie [Reprint 2012 ed.] 9783110911367, 9783484304000

This study applies the non-linear models of Autosegmental and Metric Phonology to the description of phonological change

180 60 4MB

German Pages 172 [176] Year 1999

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Theoretische Grundlagen
2 Verners Gesetz
3. Mittelenglische Längung in offener Silbe (MEOSL)
4 Längungen und Kürzungen in der Entwicklung des Deutschen: das Wirken des ,Weight Law‘
5 Resümee
6 Anhang: Hinweise zu Transkriptionen und Abkürzungen
7 Literatur
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Historische Veränderungen prosodischer Strukturen: Analysen im Licht der nichtlinearen Phonologie [Reprint 2012 ed.]
 9783110911367, 9783484304000

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Linguistische Arbeiten

400

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Karl Heinz Ramers

Historische Veränderungen prosodischer Strukturen Analysen im Licht der nichtlinearen Phonologie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ramers, Karl Heinz: Historische Veränderungen prosodischer Strukturen : Analysen im Licht der nichtlinearen Phonologie / Karl Heinz Ramers. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Linguistische Arbeiten ; 400) ISBN 3-484-30400-6

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Nädele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

IX

1 Theoretische Grundlagen 1.0 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit 1.1 Nichtlineare phonologische Modelle 1.1.0 Allgemeine Grundzüge 1.1.1 Prosodische Hierarchie 1.1.2 Silbenstruktur 1.1.2.0 Allgemeines 1.1.2.1 Konstituentenmodell der Silbe 1.1.2.2 Extrasilbizität 1.1.3 Fuß und phonologisches Wort 1.1.4 Merkmalhierarchie 2 Verners Gesetz

1 1 4 4 6 7 7 8 12 15 17 21

2.0 Einleitung 2.1 Verners Gesetz: Datenlage 2.2 Erklärungsansätze 2.2.1 Exspiratorischer Akzent und Stimmton 2.2.2 Stimmton und musikalischer Akzent

21 22 26 26 29

2.3 Verners Gesetz als progressive Assimilation 2.3.1 Formulierung der Assimilationsregel 2.4 Stimmton und Akzent 2.4.1 Das tertium comparationis 2.4.2 Parallelen zu Verners Gesetz 2.5 Verners Gesetz als Merkmalausbreitung im Rahmen der prosodischen Hierarchie 2.5.1 VG als Merkmalausbreitung 2.5.2 Verners Gesetz und prosodische Wortstruktur 2.6 Zusammenfassung

30 30 35 35 36

3 Mittelenglische Längung in offener Silbe (MEOSL) 3.0 Einleitende Bemerkungen

39 39 40 45 47 47

VI 3.1 Prosodische Repräsentation von MEOSL 3.1.1 MEOSL als kompensatorische Längung im Morenmodell 3.1.1.0 Das Morenmodell der Silbe 3.1.1.1 MEOSL in Hayes (1989) 3.1.1.1.1 Repräsentation der mittelenglischen Längung 3.1.1.1.2 Ausschluß nicht-existierender Längungen 3.1.1.1.3 Managerial Lengthening im Mittelenglischen 3.1.2 MEOSL in Noske (1993) 3.1.2.1 Kritik an Hayes (1989) 3.1.2.1.0 Überblick 3.1.2.1.1 Formale Einwände 3.1.2.1.2 Kritik der empirischen Basis 3.1.2.2 Analyse im Rahmen des Konstituentenmodells 3.1.2.3 MEOSL im Rahmen der Domäne ,Fuß' 3.1.3 Managerial Lengthening im Rahmen der Fußstruktur 3.1.4 Probleme der Repräsentation der Längungen MEOSL und ML 3.1.4.1 Minkovas metrisches Modell 3.1.4.2 MEOSL und ML im Konstituentenmodell der Silbe 3.1.5 MEOSL und Extrametrizität 3.2 Fazit 4 Längungen und Kürzungen in der Entwicklung des Deutschen: das Wirken des , Weight Law' 4.1 Fragestellung 4.2 Das ,Weight Law' 4.2.1 Repräsentation der Quantitätsveränderungen 4.2.2 Beispiele für das Wirken des , Weight Law' 4.2.3 Erklärungspotential des , Weight Law' 4.3 Probleme für die prosodische Erklärung der Quantitätsänderungen 4.3.1 Weight-Law-Analyse der Vokalkürzung 4.3.2 Ausnahmen zur Vokallängung 4.3.2.0 Vorbemerkung 4.3.2.1 Fehlende Vokallängung 4.3.2.1.1 Wortmediale Position 4.3.2.1.2 Wortfinale Position..... 4.3.2.2 Unmotivierte Längungen im Sinne des WL 4.3.2.2.0 Überblick

49 49 49 51 51 53 55 58 58 58 58 63 64 67 74 77 77 80 83 84

87 87 88 88 90 93 96 96 111 111 112 112 124 126 126

VII 4.3.2.2.1 Analogische Längungen am Wortende

127

4.3.2.2.2 Vokaldehnungen vor wortfinaler Mehrfachkonsonanz

136

4.3.2.2.3 Vokallängungen vor /r/

138

4.3.3 Zusammenfassung

143

4.3.4 Analyse der nhd. Dehnung nach Auer (1989)

145

5 Resümee

149

6 Anhang: Hinweise zu Transkriptionen und Abkürzungen

151

7 Literatur

153

Vorwort

Das vorliegende Buch bildet die leicht überarbeitete Fassung einer im Wintersemester 1994/95 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Habilitationsschrift angenommenen Arbeit. Mein besonderer Dank gilt Heinz Vater für die jahrelange Unterstützung und zahlreiche Verbesserungsvorschläge. Außerdem danke ich Jürgen Lenerz und Richard Wiese für viele wichtige Anmerkungen, Katja Kreutzer und meiner Frau Rita für ihre Hilfe bei der Formatierung, den Herausgebern der Reihe „Linguistische Arbeiten" für die Aufnahme und dem Max Niemeyer Verlag für die Publikation der Arbeit.

Blankenheim, im September 1998

Karl Heinz Ramers

1

Theoretische Grundlagen

1.0 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit In der phonologischen Forschung der letzten 2 Jahrzehnte hat sich, was die synchrone Beschreibung von Lautsystemen und -prozessen angeht, ein deutlicher Wandel vollzogen: Rein lineare Repräsentationen der segmentalen Struktur von Lautketten wurden zunehmend ersetzt durch nichtlineare, die auch die suprasegmentale, prosodische Struktur umfassen. Im Zuge dieser Umorientierung haben sich u.a. die neueren Modelle ,Autosegmentale Phonologie' und ,Metrische Phonologie' entwickelt (vgl. zusammenfassend van der Hulst/Smith 1982, Goldsmith 1990, Durand 1990, Kenstowicz 1994 und Goldsmith (ed.) 1995), in deren Rahmen eine adäquatere Darstellung prosodischer Phänomene wie Silbenstruktur, Akzent, Ton und Intonation möglich wurde. Diese Forschungsentwicklung wurde in der historischen Phonologie noch nicht im gleichen Umfang nachvollzogen. Erste Ansätze zur stärkeren Berücksichtigung prosodischer Phänomene, vor allem zur Quantitäts-, Silben- und Fußstruktur, sind allerdings unverkennbar.2 In dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden - in Fortführung besagter Ansätze - anhand ausgewählter Beispiele die Tauglichkeit nichtlinearer phonologischer Modelle zur Beschreibung dieser Veränderungen der Lautstruktur zu prüfen. Diese Modelle sind als Teilkomponenten im Rahmen der generativen Grammatik konzipiert und teilen dementsprechend auch deren Grundannahme, daß einzelsprachliche grammatische Systeme auf einer letztlich genetisch verankerten universalen Grammatik basieren.3 Diese UG enthält universale Prinzipien, welche u.a. die Art möglicher phonologischer Repräsentationen beschränken, und Parametrisierungen, die z.T die sprachspezifischen Unterschiede determinieren. Diesem universalgram1

2

Zur Silbe im Deutschen sind in den letzten 10 Jahren eine Reihe von Untersuchungen erschienen (vgl. u.a. Giegerich 1985, Wiese 1986 und 1988, Vennemann 1986 u. 1988, Hall 1992, Eisenberg/Ramers/Vater (eds.) 1992); auch zu Akzent und Intonation liegen neuere Arbeiten im nichtlinearen Rahmen vor, z.B. Giegerich (1985), Uhmann (1991) und Féry (1993). Im übrigen fanden prosodische Phänomene auch in älteren Darstellungen strukturalistischer Provenienz Berücksichtigung (vgl. z.B. Trubetzkoy 1939, Pike/Pike 1947 und Hockett 1955), die aber kaum Einfluß auf die Repräsentation phonologischer Strukturen hatten. Beispiele bilden die Arbeiten von Murray/Vennemann (1983), Murray (1988) und (1991), Vennemann (1988), Lutz (1991), Minkova (1982) und (1985), Lass (1985), Hock (1986), d'Alquen (1988), Iverson/Kesterson (1989), Dresher/Lahiri (1991), Auer (1989a und b), Ritt (1994) und Iverson/Salmons (1995).. Zum generativen Paradigma vgl. Chomsky (1981, 1986 und 1988); zur Frage der genetischen Verankerung der UG ist auch Fanselow (1992) aufschlußreich. Eine kontroverse Debatte über die Grundannahmen der generativen Grammatik liefern sich Jäger (1994), der sie ablehnt, kontra Bierwisch (1994) und Grewendorf (1994), die sie verteidigen. Eine Anerkennung der universalgrammatischen Prämissen im Rahmen der nichtlinearen Phonologie findet sich u.a. bei Kaye/Lowenstamm/Vergnaud (1985), Itô (1986), Piggott (1989), Yu (1992), Archangeli/Pulleyblank (1993), Noske (1993) und Kenstowicz (1994: 1-11).

2 matischen Ansatz wird dadurch Rechnung getragen, daß die verwendeten Modelle Strukturen und Prinzipien enthalten, die sprachübergreifende, universale Gültigkeit beanspruchen; dies gilt beispielsweise für die postulierte prosodische Hierarchie oder das Sonoritätsprinzip (vgl. unten 1.1). Die analysierten historischen Phänomene bilden dabei „neues" empirisches Material zur Überprüfung dieses Anspruchs. Neu sind die untersuchten Daten natürlich nur in Hinblick auf die nichtlinearen Modelle, in deren Rahmen sie bisher nicht - oder nur ansatzweise - interpretiert wurden. Die Zielsetzung der Arbeit besteht folglich in der Darstellung prosodischer Veränderungen im Rahmen von Modellen, die zur synchronen Beschreibung phonologischer Systeme konzipiert wurden. Sie trägt nur insoweit zur Erklärung solcher Prozesse bei, als sie ihre prosodischen Bedingungen und die Art der Veränderung selbst in einer nichtlinearen, in ihren Grundzügen universalen Struktur repräsentiert. Das heißt, Fragen nach den Ursachen der Entstehung des prosodischen Wandels sowie der Art und Reichweite seiner Verbreitung bleiben ausgeklammert. Dies betrifft alle soziolinguistischen, dialektologischen, kulturhistorischen, kommunikations- und handlungstheoretischen Aspekte des phonologischen Wandels als Teil des allgemeinen Sprachwandels.4 Die phonetische Seite wird nur indirekt berührt: Die nichtlinearen Modelle phonologischer Repräsentation bedürfen, zumal sie Universalität beanspruchen, einer phonetischen Fundierung.5 Detaillierter gehe ich auf phonetische Fragen nur ein, wo es zur adäquaten Beschreibung unerläßlich scheint (vgl. Kap. 2). Diese Beschränkung erstreckt sich auch auf die verschiedenen Ansätze zur Beschreibung und Erklärung phonologischen Wandels, die zur Zielsetzung der Arbeit keinen wesentlichen Beitrag leisten und deshalb unberücksichtigt bleiben.6 Dies gilt auch für den generativen 4

Die Frage des Sprachwandels und seiner Ursachen ist in jüngerer Vergangenheit in zahlreichen Publikationen unter verschiedensten Aspekten beleuchtet worden. Im folgenden gebe ich nur eine kleine Auswahl von Veröffentlichungen: Lass (1980) (mit Kritik an einer Reihe von Erklärungsansätzen), Besch/Reichmann/Sonderegger (eds.) (1984) (mit zahlreichen Aufsätzen; zum phonologischen Wandel siehe vor allem Lüdtke 1984), Keller (1990) (aus handlungstheoretischer Sicht), Jones (ed.) (1993) (mit verschiedenen Aufsätzen; aus phonetische Sicht Donegan 1993 u. Ohala, 1993, aus silbenphonologischer Perspektive Vennemann 1993), Wurzel (1991) (im Rahmen der Natürlichen Morphologie), Hock ( 19912), McMahon (1994), Kiparsky (1995) und Luschützky (1997) (umfassende Überblicke). Analysen des syntaktischen Wandels im Rahmen neuerer generativer Ansätze führen Lenerz (1984) und Lightfoot ( 1991 ) durch. Was die Forderung nach Fundierung angeht, sind gerade die neueren Modelle stärker phonetisch orientiert und verankert als die z.T. sehr abstrakten phonologischen Repräsentationen im klassischen Ansatz der generativen Phonologie in Chomsky/Halle (1968). Dies gilt insbesondere für das Modell der Merkmalhierarchie (vgl. 1.1.4 und Kap. 2). Die junggrammatische und strukturalistische Sicht des Lautwandels wird in Reis (1974) ausfuhrlich diskutiert. Die Junggrammatiker sind primär an einzelnen Lautveränderungen interessiert, die sie in Form von Lautgesetzen beschreiben, welche sowohl physiologisch fundiert als auch ausnahmslos gültig sein sollen (zur Kritik dieser Ausnahmslosigkeit vgl. Kiparsky 1988). Die Strukturalisten sehen phonologischen Wandel vorrangig als Veränderung von einzelsprachlichen Phonemsystemen unter Ökonomieprinzipien wie Einfachheit, Symmetrie etc.; zur strukturalistischen Sicht des Sprachwandels allgemein vgl. Lenerz (1984: 16-23).

3

Erklärungsansatz von Kiparsky (1968) (vgl. auch King 1969/71), obwohl dieser eine universalgrammatische Interpretation des Lautwandels vornimmt. Mir scheint Kiparskys Auffassung aus zwei Gründen für diese Arbeit wenig ergiebig: - Er betrachtet, ganz im Geist des SPE-Modells (Chomsky /Halle 1968), nur Veränderungen segmentaler Merkmale. Diese Vernachlässigung prosodischer Faktoren bzw. ihrer nichtlinearen Repräsentation wird weiter unten diskutiert (vgl. 1.1).7 - Der zentrale Begriff, mit dem Kiparsky Lautwandel beschreibt, ist die phonologische Regel. Der Wandel tritt als Regelhinzufügung, Regelvereinfachung oder Änderung der Regelordnung in Erscheinung, wobei dem Spracherwerb eine entscheidende Rolle für den Sprachwandel beigemessen wird. In der Theorieentwicklung der letzten Jahrzehnte ist aber in der Phonologie, parallel zur Syntax, das Konzept der Regel und Regelordnung gegenüber Repräsentationsmodellen und Prinzipiensystemen in den Hintergrund getreten (vgl. zur gleichen Einschätzung Yu 1992: 5). So sind die Regeln selbst stark vereinfacht worden und bestehen nur noch aus wenigen verschiedenen Operationen wie Merkmalausbreitung oder Deassoziation von Merkmalen ^Delinking') (vgl. Kap. 2).8 In der vorliegenden Arbeit wird, diesem Trend folgend, der repräsentationeile Aspekt beleuchtet, der vor allem für die prosodische Struktur von zentraler Bedeutung ist. Im Rahmen der skizzierten Zielsetzung beschränkt sich diese Arbeit auf folgende Teilbereiche: - Es werden nur prosodische oder durch die prosodische Struktur mitbedingte Veränderungen untersucht. Reine Änderungen segmentaler Eigenschaften, die an keinerlei prosodische Bedingungen geknüpft sind, bleiben unberücksichtigt. - Ebenfalls ausgeschlossen bleiben Veränderungen oberhalb der Wortebene, z.B. im Bereich von Satzakzent und Intonation. Positiv ausgedrückt bedeutet dies, daß Phänomene der Silben- und Fußstruktur analysiert werden. - Die untersuchten Prozesse entstammen in der Hauptsache der historischen Entwicklung des Deutschen und - in geringerem Umfang - des Englischen. Ergänzend wer-

7

Die zahlreichen empirischen Arbeiten aus dem Bereich der Historischen Phonologie, vor allem im Rahmen der junggrammatischen Schule, haben desungeachtet wertvolle Ergebnisse erbracht, die eine vorzügliche Materialgrundlage bilden.

Ein interessantes Beispiel für Kiparskys Vorgehensweise ist seine Beschreibung der Vokalkürzungen im Altenglischen und Frühmittelenglischen als Änderung des segmentalen Merkmals [long], ohne g Berücksichtigung prosodischer Faktoren wie der Silbenstruktur (vgl. Kiparsky 1968: 179f.). Der derivationelle Gesichtspunkt ist allerdings keineswegs aus der phonologischen Diskussion verbannt worden. Im Rahmen der Lexikalischen Phonologie ist vielmehr - in Auseinandersetzung mit dem SPE-Ansatz - ein neues Modell verschiedener Ebenen der phonologischen Repräsentation konzipiert worden, in dem das Lexikon eine zentrale Position einnimmt. Diese Theorie entwirft zugleich ein anderes Bild der Position der phonologischen Komponente in der Grammatik, das von einer engen Interaktion der Phonologie mit der Morphologie im Lexikon ausgeht; vgl. zur Lexikalischen Phonologie Kiparsky (1982 und 1985), Mohanan (1986), Wiese (1988), Goldsmith (1990: Kap. 5), Kenstowicz (1994: Kap. 5) und Wiese (ed.) (1994). Das Modell der Lexikalischen Phonologie ist in Ansätzen bereits für die Historische Phonologie fruchtbar gemacht worden (vgl. z.B. Hargus 1994 und McMahon 1994: 56-68).

4 den aber auch parallele Veränderungen in anderen germanischen Sprachen kurz skizziert. Aus dem in dieser Weise abgegrenzten Teilbereich habe ich drei Einzelphänomene ausgewählt, die näher analysiert werden: (a) In Kap. 2 erfolgt eine Neuinterpretation von Verners Gesetz. An diesem Lautwandel läßt sich die Leistungsfähigkeit der nichtlinearen Phonologie besonders gut überprüfen, da er die Veränderung eines segmentalen Merkmals unter prosodischen Bedingungen betrifft. Diese Doppelheit in einer Repräsentation zu erfassen, ist eine Herausforderung für jede phonologische Theorie. (b) Kap. 3 ist der Analyse der mittelenglischen Vokallängung gewidmet. Sie ist eines der wenigen Phänomene der Historischen Phonologie, die im Rahmen nichtlinearer Modelle bereits mehrfach untersucht wurden. Daher bietet sich für diesen Fall ein Modellvergleich an. Ich werde der Frage nachgehen, ob das Moren- oder Konstituentenmodell der Silbe eine adäquatere Repräsentation dieser Längung erlaubt. (c) Im 4. Kapitel werden Vokaldehnungen und -kürzungen vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen unter die Lupe genommen. Diese Vorgänge sind deshalb ein harter Prüfstein für das vorgeschlagene Modell phonologischer Repräsentation, weil sie äußerst verwickelt sind und die bisher vorliegenden Beschreibungen sämtlich eine Unmenge von Ausnahmen einräumen müssen. Daher lohnt sich der Versuch, aus Sicht der nichtlinearen Phonologie ein wenig Licht in dieses Dunkel zu bringen, auch wenn eine vollständige Aufhellung kaum möglich sein dürfte. Den Einzelanalysen stelle ich zunächst eine kurze Skizze der verwendeten nichtlinearen Modelle im Rahmen der Autosegmentalen und Metrischen Phonologie voran. Zusätzliche Ingredienzien dieser Ansätze werden in den einzelnen Kapiteln hinzufügt, sofern sie gebraucht werden.

1.1 Nichtlineare phonologische Modelle 1.1.0 Allgemeine Grundzüge Das Kennzeichen aller rein linearen Modelle der Repräsentation ist die Kodierung der gesamten Information über die phonologische Form eines Wortes (oder einer größeren Einheit) in Form einer eindimensionalen Kette von Einheiten. Im Strukturalismus bilden diese Einheiten Phoneme, in der klassischen Variante der generativen Phonologie (vgl. Chomsky/Halle 1968; im folgenden „SPE") Bündel phonologischer Merkmale. Diese Bündel enthalten auch prosodische Eigenschaften der Lautkette wie Position innerhalb der Silbe oder Akzentuierung, die als segmentale Merkmale von Vokalen oder Konsonanten repräsentiert sind. Das englische Wort algebra erhält beispielsweise in SPE (1968: 165) folgende Repräsentation:

5

(1)

ae

consonantal vocalic nasal tense stress voice continuant

-

+

1 + +

8 + -

+

b

r

-

+

+

-

+ +

+

+

+ +

+

_

+

_

+

+

+ +

ae -

+

4

4

1 +

e

Der Akzent ist in dieser Repräsentation als numerischer Wert eines Merkmals [stress] kodiert, das einzelnen Vokalen, d.h. Segmenten mit dem Merkmal [-consonantal], zugewiesen wird. Die Silbenstruktur des Wortes ist überhaupt nicht erfaßt, weder als Merkmal noch als Grenzsymbol. Kennzeichnend für Repräsentationen wie (1) ist also die Darstellung prosodischer, d.h. suprasegmentaler Eigenschaften als Merkmale einzelner Segmente oder ihre völlige Vernachlässigung. Ein weiteres Charakteristikum solcher Merkmalbündel ist das Fehlen jeglicher internen Strukturierung; d.h., die Merkmale innerhalb des Bündels sind ungeordnet.9 In Auseinandersetzung mit diesem SPE-Ansatz sind in den 70er Jahren neue Modelle der phonologischen Repräsentation entwickelt worden, die es erlauben, suprasegmentale Phänomene wie Ton, Quantität, Silbe und Akzent angemessener in die Beschreibung einzubeziehen. Gemeinsames Kennzeichen dieser Modelle ist ihre Mehrdimensionalität. Die Repräsentation der phonologischen Struktur erfolgt nicht mehr in einer linearen Kette, sondern auf verschiedenen Ebenen, sogenannten ,tiers'. Diese sind durch Assoziationslinien nach bestimmten, z.T. universalen Prinzipien miteinander verknüpft. Universal gültig ist beispielsweise die Konvention, daß sich diese Linien nicht kreuzen dürfen (vgl. Goldsmith 1976: 48 und Sagey 1988). In (2) ist eine solche mehrdimensionale Repräsentation schematisch dargestellt, wobei „A", „B" und „C" jeweils Variablen für beliebige Merkmale darstellen: (2) [+A]

[-A]

[-B] [-C]

[+A]

[+B] [-C]

A-tier

[+B] [+C]

B-tier C-tier

Hauptrichtungen der nichtlinearen Phonologie bilden die Autosegmentale Phonologie, die vor allem zur Beschreibung von Phänomenen wie Ton, Intonation und Vokalharmonie entwickelt wurde (vgl. Goldsmith 1976 und 1990), die Metrische Phonologie, die 9

Diese Eigenschaft der Merkmalbündel führt zu unüberwindlichen Schwierigkeiten bei der Repräsentation von Konturtönen in Tonsprachen (vgl. Goldsmith 1976, van der Hulst/Smith 1982) und komplexen Segmenten wie pränasalierten Plosiven und Affrikaten (vgl. Anderson 1976, van der Hulst/Smith 1982 und Sagey 1986).

6 zunächst zur Repräsentation von Akzentstrukturen (vgl. Liberman/Prince 1977, Hayes 1981 und Hayes 1995) konzipiert, dann aber auch auf die Beschreibung der Silbenstruktur übertragen wurde (vgl. Kiparsky 1979, Giegerich 1985 und 1986), und verschiedene Modelle der Silbenstruktur und prosodischen Struktur allgemein, die in den folgenden Abschnitten kurz skizziert werden.10 Außerdem ist für die in dieser Arbeit zu untersuchenden Phänomene das Modell der Merkmalhierarchie relevant, in dem auch für die Organisation der segmentalen Merkmale eine mehrdimensionale, komplexe Strukturierung angenommen wird (vgl. 1.1.4).

1.1.1

Prosodische Hierarchie

Kerngedanke des Modells der ,Prosodischen Phonologie' (vgl. Nespor/Vogel 1986 und Itô 1986)11 ist die Vorstellung, daß die gesamte suprasegmentale Struktur einer Lautkette in Form einer Hierarchie prosodischer Kategorien repräsentierbar ist. Zentrales, universal gültiges Organisationprinzip dieser Hierarchie ist das Prinzip der ,Prosodischen Lizensierung' : „ All phonological units must be prosodically licensed, i.e., belong to higher prosodie structure (modulo extraprosodicity)." (Itô 1986: 2)

Die Integration in die höhere prosodische Struktur ist nach diesem Prinzip also ein unverzichtbarer Teil der phonologischen Repräsentation einer Lautkette. Auf die genannte Einschränkung „modulo extraprosodicity" komme ich unten (siehe 1.1.2.2) zurück. Die Annahme bestimmter prosodischer Kategorien ist an ihre Funktion in der Beschreibung phonologischer Strukturen und Prozesse gebunden; d.h., die Notwendigkeit einer bestimmten Kategorie ist anhand empirischer Daten zu belegen. Nespor/Vogel (1986: 11) schlagen folgendes, universal gültiges Inventar von 7 Kategorien vor: (3) phonologische Äußerung (U), Intonationsphrase (I), phonologische Phrase (0), klitische Gruppe (C), phonologisches Wort (ω), Fuß (Σ) und Silbe (σ) Wegen der Beschränkung auf die Wortebene sind im Rahmen dieser Arbeit nur die letzten drei Kategorien, phonologisches Wort, Fuß und Silbe, relevant. Zu zeigen ist, inwieweit sie zur adäquaten Repräsentation prosodischer Veränderungen beitragen. Die drei Kategorien bilden folgende Hierarchie:

10

Daneben sind als nichtlineare Modelle die .Dependency Phonology' (vgl. Anderson/Jones 1974 und Anderson/Ewen 1987) sowie die ,Government Phonology' (vgl. Kaye/Lowenstamm/Vergnaud 1985 und 1989) erwähnenswert. Denselben Grundgedanken der prosodischen Hierarchie verfolgen auch McCarthy/Prince (1986, 1990 und 1995) im Rahmen der Prosodischen Morphologie.

7 (4) ω

Σ

σ Die untere Kategorie ist jeweils Teilkonstituente der nächsthöheren (vgl. Nespor/Vogel 1986: 7), eine Parallele zu den Relationen in syntaktischen Strukturen. Im folgenden wende ich mich der prosodischen Kategorie Silbe und ihrer internen Strukturierung zu.

1.1.2

Silbenstruktur

1.1.2.0 Allgemeines Die Existenzberechtigung der Silbe als phonologisch relevanter Einheit wird nach über zwei Jahrzehnten kritischer Diskussion des SPE-Modells, in dem ihre Relevanz geleugnet wurde, heute kaum mehr bestritten. Bereits Vennemann (1972) und Hooper (1976) haben - anhand des Isländischen bzw. Spanischen - gezeigt, daß die Silbe zur adäquaten Beschreibung phonologischer Prozesse unentbehrlich ist. Weitere Evidenzen lieferten neben vielen anderen Kahn (1976), Steriade (1982) und, für das Deutsche, vor allem Wiese (1986) und (1988). Wiese (1988) nennt vier Felder, auf denen die Silbe relevant ist: (a) als zentrale Einheit der Sprachverarbeitung, (b) als Einheit der Phonotaktik, (c) als Domäne für phonologische Regeln und (d) als prosodische Einheit in einer hierarchischen Struktur, die vor allem zur adäquaten Repräsentation von Akzentregeln benötigt wird. Untersuchungen im Bereich der Historischen Phonologie12 haben gezeigt, daß die Silbe auch zur Repräsentation prosodischer Veränderungen erforderlich ist. In der aktuellen Forschungssituation steht folglich nicht mehr die Frage im Mittelpunkt, ob die Silbe als solche eine relevante phonologische Einheit bildet, sondern, mit welcher internen Struktur sie zu repräsentieren ist. In der Hauptsache konkurrieren derzeit zwei Ansätze, das Morenmodell und das Konstituentenmodell.13 Letzteres bildet die Grundlage der Analysen in dieser Arbeit, weshalb ich es im folgenden kurz darstelle. Ein Überblick über das Morenmodell erfolgt in Kap. 3 in Zusammenhang mit der mittelenglischen Vokaldehnung, zu deren Beschreibung es verwendet wurde.

12

13

Einschlägig sind z.B. Murray (1988 und 1991), Vennemann (1988), Murray/Vennemann (1983), Iverson/Kesterson (1989), Hayes (1989), Dresher/Lahiri (1991), Noske (1993) und Ritt (1994). Daneben sind noch das CV-Modell (vgl. Clements/Keyser 1983, Wiese 1986 und 1988) sowie das metrische Modell zu nennen (vgl. Kiparsky 1979 und Giegerich 1985, 1986 und 1992b).

8

1.1.2.1 Konstituentenmodell der Silbe Im Konstituentenmodell14 zerfällt die Silbe zunächst in die Subkonstituenten Onset (O) und Reim (R); letztere enthält die Teilkonstituenten Nukleus (N) und Koda (Ko). Diese Konstituenten sind mit sogenannten X-Einheiten der X-Schicht (Skelettschicht, timingtier) assoziiert. Diese Einheiten wiederum sind mit dem segmentalen Merkmalskomplex der einzelnen Segmente verknüpft, der ebenfalls hierarchisch organisiert ist (vgl. unten 1.1.4). (5) bildet eine Konstituentenstruktur für das monosyllabische Wort Trank (wobei der Merkmalskomplex für die einzelnen Segmente durch Transkriptionssymbole abgekürzt ist).: (5) O

R

N

/ \\ / X t

Ko

/ \

1

X

X R

a

X

X

Η

K

Die X-Schicht bildet eine Art Bindeglied zwischen der prosodischen und der segmentalen Struktur. Außerdem dient sie der Repräsentation von Quantitätsstrukturen und phonotaktischen Regularitäten. Langvokale (z.B. /α:/ in Bahn) und Konsonantengeminaten (z.B. /tt/ im ital. fatto ,Tat') bilden zwei Einheiten auf der X-Schicht, die mit einer Position der Segmentschicht assoziiert sind (vgl. 6a und b); komplexe Segmente wie Affrikaten (z.B. /pf/ in Kopf) dagegen fungieren als eine phonotaktische Einheit auf der X-Schicht, die mit zwei Einheiten der Segmentschicht verbunden ist: (6) a. X X \ / α

b.

Χ \

X / t

c.

X / \ ρ

f

Mehrfachassoziationen zwischen X-Schicht (bzw. CV-Schicht'^) und Segmentschicht wie in (6) sind an anderer Stelle ausreichend begründet worden. Deshalb begnüge ich mich hier mit einem Hinweis auf Kap. 4.3.1, wo gezeigt wird, daß Evidenzen aus dem 14

15

16

Vorgestellt wird dieses Modell u.a. in Pike/Pike (1947), Kury+owicz 1948, Selkirk (1982), Itô (1986), Vater (1992), Yu (1992), Hall (1992) und Noske (1993). Die letzten beiden Autoren arbeiten allerdings mit einem modifizierten, flacheren Konstituentenmodell, das ohne ,Reim' auskommt. Im CV-Modell der Silbe repräsentiert die CV-Schicht anstelle der X-Schicht die Quantitätsstruktur. Die Argumente für die Annahme einer solchen Schicht sind in beiden Modellen die gleichen. Vgl. für das Deutsche z.B. Wiese (1986: 3-5), Wiese (1988: 62-65), Ramers/Vater (1995 4 : 79-81, lOlf. u. 113f.) und Wiese (1992).

9 Gotischen und Ahd. eine Struktur wie (6c) für die Konsonantencluster /Jt/, /Jp/ und /sk/ nahelegen. Die Relevanz der subsilbischen Konstituenten oberhalb der X-Schicht erweist sich vor allem in drei Bereichen: (a) phonologische Prozesse, (b) phonotaktische Restriktionen und (c) Silbengewicht. Einen phonologischen Prozeß im Deutschen, der angemessen nur mit Bezug auf eine Domäne ,Koda' repräsentierbar ist, bildet die Auslautverhärtung. Diese erfaßt nicht nur silbenfmale (z.B. in Hand), sondern alle Obstruenten in der Kodaposition (z.B. in Obst, Magd, Jagd etc.). D.h., in dieser Position ist die Stimmlosigkeit von Obstruenten voraussagbar. Yu (1992: 149) formuliert eine entsprechende Redundanzregel (vgl. auch Rubach 1990: 80): 7 (7)

σ Koda

[-son]

— • [+gesp]18 /

__

Eine dieser Redundanzregel entsprechende phonotaktische Restriktion,19 die sth. Obstruenten in der Koda ausschließt, repräsentiert Yu (1992: 148) wie folgt: (8) *

σ Koda X I -gesp ^son_

Bedingung (8) wird in Kap. 4 - in etwas abgewandelter Form - auch zur Analyse von Vokaldehnungen und -kürzungen vom Mhd. zum Nhd. mitverwendet. Eine phonotaktische Restriktion im Deutschen, die direkte Evidenz für die Kategorie ,Onset' liefert, bildet z.B. der Ausschluß homorganer Obstruent-Sonorant-Cluster wie

17

Yus (1992) Analyse der Auslautverhärtung erfolgt im Rahmen der Unterspezifikationstheorie, deren Grundgedanke darin besteht, alle universal oder sprachspezifisch voraussagbare, redundante Information aus zugrundeliegenden phonologischen Repräsentationen zu eliminieren. Zu dieser Theorie vgl. neben Yu (1992) u.a. Kiparsky (1982), Archangeli (1984) und (1988), Archangeli/Pulleyblank (1993), Kenstowicz (1994: 506-524) sowie Steriade (1995). 18 Zur Verwendung des Merkmals [+gespannt] anstelle von [-stimmhaft] vgl. Kloeke (1982) und unten Kap. 2. 19 Zu Wohlgeformtheitsbedingungen (.constraints') dieser Art siehe Itô (1986 u. 1989), Mohanan (1991) und Kenstowicz (1994: 524-528).

10 20

/pm/, /bm/, Iòni, /vm/, /tn/, /tl/, /kq/ etc. in dieser Position. Diese Restriktion gilt nämlich weder in der Koda (vgl. z.B. Lump, Hand oder Bank)21 noch zwischen einem Obstruenten im Onset und einem folgenden silbischen Sonoranten im Nukleus, wie die Aussprachevarianten [hapm], [zatl] oder [ha:kr]] für Happen, Sattel und Haken zeigen. Es lassen sich auch phonotaktische Restriktionen anfuhren, die fur eine Konstituente ,Nukleus' sprechen.22 Unter der Annahme, daß der Nukleus maximal zwei X-Positionen enthält, kann beispielsweise die Restriktion adäquat beschrieben werden, daß im Deutschen Triphthonge ausgeschlossen sind (vgl. Vater 1992: 127). Auf diese spezielle Beschränkung komme ich - im Zusammenhang mit r-Vokalisierungen - in Kap. 4 zurück. Wie Vater (1992: 126) anmerkt, läßt sich der Nukleus auch rein negativ motivieren, falls man genügend Evidenz für Reim und Koda findet. Eine zentrale Beschränkung für den Nukleus besagt, daß er nur die sonorsten Segmente innerhalb der Silbe enthält. Diese Restriktion ist an die ,Sonoritätsskala' ge23

knüpft, auf der Lautklassen bezüglich ihrer inhärenten Schallfülle geordnet sind. In (9) ist die Sonoritätsskala, wie Wiese (1988: 91) sie zur Analyse des Deutschen benutzt, dargestellt: (9)

Plosive

zunehmende Sonorität

Frikative

Nasale

IV

Irl

hohe Vokale

Vokale

Diese Skala ist in ihren Grundzügen universal, auch wenn sprachspezifisch unterschiedlich starke Differenzierungen zur Anwendung in der Beschreibung der Phonotaktik erforderlich sind. So nimmt Wiese (1988: 92) an, daß zu diesem Zweck das Chinesische nur drei Sonoritätsgrade benötigt, Konsonanten, hohe Vokale und Vokale. 70

Zu Einzelheiten vgl. Vater (1992: 105f.) und Giegerich (1992b: 136-139).

21

Daß die Konsonanten in der Koda in umgekehrter Reihenfolge stehen, hängt mit der Sonoritätshierarchie zusammen, die ich weiter unten erläutere. Vgl. zu Evidenzen aus dem Hopi und skandinavischen Sprachen Anderson (1984); eine ausführliche Begründung fur die Nützlichkeit der Konstituente .Nukleus' zur Beschreibung der Silbenstruktur des 23 Deutschen findet man in Vater (1992). Die phonetische Interpretation der Sonorität als Schall- oder Klangfülle stammt bereits von Sievers (1885 3 : 180) und Jespersen (1904: 191). Aus der Unmenge an Literatur zu diesem Themenkomplex, der in nahezu jeder Abhandlung zur Silbe vorkommt, greife ich nur einige heraus: die phonetische Deutung des Begriffs .Sonorität' wird in Heike (1992) und Butt (1992) ausführlich diskutiert, wobei auch die Probleme bei der Bestimmung des Sonoritätsmaximums zur Sprache kommen. Eine phonotaktische Interpretation der Sonorität findet man u.a. in Selkirk (1982 und 1984), Wiese (1988) und Vennemann (1986). Letzterer benutzt alternativ zur Sonoritätsskala auch eine Skala konsonantischer Stärke (vgl. auch Vennemann 1972, Hooper 1976, Murray 1988 und Lutz 1991), die umgekehrt proportional zu ersterer ist; d.h., wenn die Sonorität steigt, fallt die konsonantische Stärke, und umgekehrt. Zur Relation ,Sonoritätshierarchie - Skala konsonantischer Stärke' und zu den Verwendungsmöglichkeiten beider Hierarchien in der Historischen Phonologie vgl. Luschützky (1997). 22

11

Die Sonoritätsskala steuert die Abfolge der Segmente innerhalb der Silbe nach dem Prinzip der ,Sonority Sequencing Generalization'(SSG): „In any syllable, there is a segment constituting a sonority peak that is preceded and/or followed by a sequence of segments with progressively decreasing sonority values." (Selkirk 1984: 116)

Nach diesem für den Silbenaufbau fundamentalen Prinzip ist die Sonorität im Silbengipfel am höchsten und fällt zu den Silbenrändern hin monoton ab.24 In der Sonoritätsskala findet die Konstituente ,Nukleus' eine phonetische Motivierung, indem der Silbengipfel als Sonoritätsmaximum einer strukturellen Silbenposition, dem Nukleus, zugeordnet ist.25 Der Reim ist vor allem mit Bezug auf das Silbengewicht motivierbar. In einer Reihe von Sprachen, den sogenannten quantitätssensitiven Sprachen, hängt die Position des Wortakzentes von der internen Struktur der Silbe ab.26 In der Regel zählen dabei Silben mit Langvokalen, Diphthongen oder Kurzvokal-Konsonant-Clustern als schwere Silben, die potentiell den Wortakzent tragen, während Silben, die nur einen Kurzvokal enthalten, in diesem Sinne leicht sind. Diese Bedingung ist am einfachsten in einem Silbenmodell mit der Konstituente ,Reim' zu beschreiben, wie das Beispiel des Lateinischen, einer klassischen quantitätssensitiven Sprache, zeigt. Dort fällt der Akzent auf die vorletzte Silbe (Pänultima), wenn diese schwer ist, aber auf die drittletzte (Antepänultima), wenn die Pänultima leicht ist (vgl. Allen 1965: 83 und 1973: 51).27 In (10) sind einige Wortbeispiele aufgeführt (nach Vennemann 1986: 17f.; die Silbengrenze ist jeweils durch einen Punkt markiert): (10)a. Antepänultimaakzent dó.mi.nus ré.fi.cit ín.te.grum

b.

Pänultimaakzent o.rá.tor re.fe.cit mo.lés.tus

Mit Rückgriff auf die Konstituente ,Reim' läßt sich die Akzentregel wie folgt reformulieren: Die Pänultima erhält den Wortakzent, wenn ihr Reim 2 nicht leere, d.h. mit der Segmentschicht assoziierte X-Positionen enthält, bei nur einer Position fällt der Akzent dagegen auf die Antepänultima unabhängig von deren Silbengewicht. In (IIa und b) sind die Reimstrukturen der vorletzten Silben in öräor und moléstus dargestellt: 24

25

26

27

Vgl. dazu die illustrative graphische Darstellung des Sonoritätsverlaufs innerhalb der Silbe in Lenerz(1985: 19). Hierbei bestehen zwei Möglichkeiten, wenn der Nukleus durch einen Diphthong besetzt ist. Bei in der Intensität - und damit Sonorität - fallenden Diphthongen wie [ai, [au] und [oi], bildet die erste X-Position im Nukleus den Silbengipfel, bei steigenden Diphthongen dagegen die zweite Position. Ob im Deutschen der letztere Typ vorkommt (z.B. in Wörtern wie ja oder Pavian), ist strittig; vgl. Hall (1992: 153ff.) und Vater (1992: 106-109). Vgl. u.a. die Darstellungen in Vennemann (1986: 17f.), Goldsmith (1990: 177-190), Hayes (1995: 48ff.) und Kenstowicz (1994: 291-298 u. 427f.). Ob das Deutsche ebenfalls quantitätssensitiv ist und eine ähnliche Pänultimaregel hat wie das Lateinische, ist strittig; ich verweise auf die Diskussion in Ramers (1992) und Wiese (1996).

12

Neben dem lateinischen System, in dem der Wortakzent auf die Zahl der Reimpositionen in der Pänultima Bezug nimmt, existieren - wenn auch in geringerer Zahl Akzentsysteme, in denen (a) nur Langvokale und Diphthonge schwere Silben bilden, Kurzvokal-Konsonant-Cluster dagegen leichte (z.B. Lardil und Cahuilla) oder (b) Sprachen, in denen nur geschlossene Silben als schwer zählen (z.B. Aklan); vgl. Kenstowiczs Übersicht (1994: 427f.). Im in dieser Arbeit verwendeten Konstituentenmodell sind beide Varianten wie folgt zu beschreiben: In Typus (a) zählen Silben als schwer, deren Nukleus mindestens zwei X-Positionen enthält, in Typ (b) Silben, deren Koda mindestens eine solche Position hat. Nachdem das Konstituentenmodell der Silbe andeutungsweise begründet wurde, gehe ich im folgenden Abschnitt kurz auf ein Konzept ein, das - unabhängig von der Annahme eines bestimmten Silbenmodells - fur die Einzelanalysen der historischen Phänomene in Kap. 2-4 von Bedeutung ist, die Extrasilbizität.

1.1.2.2 Extrasilbizität Das Prinzip der Extrasilbizität als Teil einer allgemeinen Extraprosodizität wird, unabhängig vom jeweils gewählten speziellen Silbenmodell, in einer Reihe von Analysen zur Silben- und Akzentstruktur verwendet.28 Wiese (1992: 131) gibt folgende allgemeine Definition der Extraprosodizität: „ Extraprosodizität als Element der Theorie phonologischer Repräsentationen läßt grundsätzlich zu, daß auf einer gegebenen Ebene prosodischer Struktur (z.B. Silbe, Fuß und Wort) ein Element der untergeordneten Ebene nicht,zählt' bzw. unsichtbar ist."

Diese Extraprosodizität kann nur an den Rändern phonologischer Domänen, z.B. silbenfmal, wortfinal etc. auftreten und gilt jeweils nur für ein Element (vgl. z.B. Itô 1986: 13, Kiparsky 1985: 118 und Wiese 1992: 131). So interpretiert beispielsweise Hayes (1982: 228) die oben diskutierte lateinische Akzentregel als Finalakzent, mit der Zusatzannahme, daß die letzte Silbe im Wort extrametrisch, d.h. für die Akzentregel unsichtbar ist. Die Extrasilbizität bildet einen Spezialfall der Extraprosodizität. Silbenfinale Konsonanten können vor allem in zweierlei Hinsicht unsichtbar sein: (a) Sie durchbrechen das Prinzip der Sonoritätshierarchie. 28

Vgl. u.a. Vennemann (1982) - er spricht von Nebensilben - , Hayes (1982), Kiparsky (1985), Itô (1986 und 1989), Borowsky ( 1989), Durand (1990) und Wiese (1988 und 1992).

13

(b) Sie zählen nicht für das Silbengewicht, d.h. die Akzentregeln. Den ersten Aspekt beleuchtet Wiese (1992) für das Deutsche (zum Polnischen vgl. Rubach/Booij 1990, zum Englischen Giegerich 1992a: 147-150). Er zeigt, daß koronale Obstruenten2, entgegen der Sonoritätshierarchie, in wortfinalen Silben anderen Obstruenten folgen können. In (12) sind einige Beispielwörter (nach Wiese 1992: 116) aufgeführt (extrasilbische Konsonanten sind kursiv gesetzt): (12) a. Werft Punki Mark/

b.

Murks Krebs Fuchs

c.

Herbsi Obi/ Paps/

Die finalen Obstruenten Iti, /s/ und /st/ verletzen die Sonoritätshierarchie (vgl. (9)), da sie nach anderen Plosiven oder Frikativen stehen und die Sonorität somit zum Silbenrand nicht monoton fällt. Das Cluster /st/ bildet für Wiese, wie die Affrikaten lisi, /tj/ und /pf/, nur eine phonotaktische Einheit der X-Schicht (bei ihm CV-Schicht), verletzt also nicht die Bedingung, daß nur jeweils ein Element extraprosodisch sein darf. Diese Affrikatenanalyse überträgt er auch auf die initialen Cluster /Jt/, /Jp/ und /sk/ (vgl. Wiese 1992: 118f.). Auf diese Lösung komme ich in Kap. 4 zurück. Die zweite Art der Extrasilbizität wird von Hayes (1982: 238) „Consonant Extrametricality" genannt. Sie schließt wortfinale Konsonanten von der Berechnung des Silbengewichts, d.h. der für den Wortakzent relevanten Reimstruktur aus. Das Konzept der Extrametrikalität ermöglicht die Beschreibung einer auffallenden Asymmetrie zwischen silbenfinalen Konsonanten im Wortinnem und am Wortende: Erstere trafen zum Silbengewicht bei, letztere nicht. In einer Reihe quantitätssensitiver Sprachen zählen Silben mit medialem Kurzvokal-Konsonant-Cluster als schwer, die gleiche Sequenz wortfinal dagegen als leicht. Yu (1992: 56) veranschaulicht die Verteilung der Silbenschwere wie folgt:

29

30

Koronale Obstruenten spielen auch in Bezug auf anderen Phänomene, z.B. Assimilationen oder Harmonieprozesse, eine besondere Rolle, was vor allem für die Unterspezifikationstheorie von Bedeutung ist (vgl. Avery/Rice 1989, Paradis /Prunet 1989 und 1991). Vgl. z.B. Hayes (1982) und Hogg/McCully (1987: 106ff.) ñir das Englische, Hayes (1995: 56f.) fur das Estnische, van der Hülst (1984), Kager (1989) und Zonneveld (1994) für das Niederländische, Giegerich (1985) und Yu (1992) für das Deutsche. Wiese (1988: 104) schlägt dagegen vor, daß im Deutschen nur finales lai extrametrisch ist, da wortfinale Silben, die auf diesen Vokal auslauten, in der Regel unakzentuiert sind; vgl. Sofa, Opa, Kamera etc. Ausnahmen bilden Ausrufe wie Hurrá und Trará (vgl. Wiese 1996: 282).

14 wortfinal V (C) Ί VC(C)31 I V:(C) J

leichte Silbe schwere Silbe

Im Akzentsystem des Deutschen zeigt sich die Asymmetrie zwischen wortfinalen und wortmedialen Konsonanten in folgender Weise:32 Enthält der Reim der Pänultima zwei Einheiten, z.B. ein Cluster ,Kurzvokal+Konsonant' (VC), so wird diese Silbe akzentuiert (14a). Dies gilt jedoch nicht für die Ultima, die den Akzent nur auf sich zieht, wenn sie auf 2 Konsonanten endet33 (vgl. 14b und 14c): (14) a. A.lásJka b. Ve.rán.da Me.nís.kus Pa.lér.mo

Á.mok Át.las Pé.li.kan Á.na.nas

c.

E.le.mént O.be.lísk Ak.zént E.le.fánt

Diese Unterschiede im Akzentverhalten können auf einfache Weise beschrieben werden, wenn man von der Extrametrikalität wortfinaler Konsonanten ausgeht: Der Reim in den wortfinalen Silben in (14b) enthält nur eine X-Position, die für die Berechnung des Silbengewichts zählt, da die 2. Position (der finale Konsonant) extrametrisch ist. In (14c) dagegen bleiben zwei Reimpositionen „metrisch", d.h. die Silben gelten als schwer. In (15a) ist die Reimstruktur für die letzte Silbe in Átlas, in (15b) für die Finalsilbe in Elefánt dargestellt ( „ ]ω " markiert die Grenze eines phonologischen Wortes): (15) a.

^ R ^

b.

^ R ^

Ν

Ko

Ν

Ko

Χ

(Χ) ]ω

Χ

Χ

a

η

(Χ) ]ω t

Man könnte gegen die Strukturen in (15) einwenden, daß sie dem universalen Prinzip der prosodischen Lizensierung (vgl. oben 1.1.0) zuwiderlaufen, da die extrametrischen

31

Die Klammer umschließt jeweils extrametrische Konsonanten. Ich weiche insofern von Yus (1992: 56) Schema ab, als ich auch den letzten Konsonanten eines finalen Konsonantenclusters CC als extrametrisch markiere. Dies entspricht auch Yus eigener Regel (ebd.). Diese Regularität betrifft u.U. nur den nicht-nativen Wortschatz des Deutschen; außerdem folgen komplexe Wörter z.T. anderen Akzentregeln. Zu Einzelheiten und möglichen Problemen vgl. Ramers (1992). Hiervon ausgenommen sind, mit wenigen Ausnahmen wie Märschall, alle Wörter, die in der Schrift auf Doppelkonsonanz enden, z.B. Fagott, Kriställ, Progrâmm etc. Wegen dieses abweichenden Akzentverhaltens und der Doppelschreibung habe ich (vgl. Ramers 1992) vorgeschlagen, diese Konsonanten als Geminaten zu analysieren.

15 X-Einheiten nicht mit Koda und Reim, d.h. den höheren Konstituenten der prosodischen Hierarchie assoziiert sind. Nach Itô (1986: 13f.) sind extraprosodische Elemente von dieser Bedingung nur innerhalb der lexikalischen Komponente ausgeschlossen, postlexikalisch, d.h. in wortübergreifenden satzphonologischen Strukturen, wird die Extraprosodizität dann aufgehoben. Wiese (1992: 112f.) hält dagegen auch eine postlexikalische, d.h. in der gesamten phonologischen Komponente gültige Extraprosodizität für möglich. Da der Wortakzent eine lexikalische Eigenschaft von Wörtern ist, bilden extrametrische Strukturen wie (15) in beiden Lösungsansätzen keine Verletzung des Prinzips der prosodischen Lizensierung. Sowohl in der Analyse der mittelenglischen Längung (Kap. 3) als auch der Dehnungen und -kürzungen in der Entwicklung zum Nhd. (Kap. 4) wird das Prinzip der Extrametrizität verwendet.

1.1.3 Fuß und phonologisches Wort Die Erweiterung der nichtlinearen Repräsentation über die Silbe hinweg nach oben fuhrt zu sogenannten metrischen Füßen. Die hierarchische Darstellung von Akzentstrukturen wurde in der Metrischen Phonologie entwickelt. Bahnbrechend war der Aufsatz von Liberman/Prince (1977), auf das Deutsche angewendet wurde das Modell in Giegerich (1985). Die Metrische Phonologie geht von folgenden Annahmen aus: (a) Der Akzent bildet eine prosodische Eigenschaft, die nicht einzelnen Vokalen, sondern ganzen Silben zukommt (im Gegensatz zur Beschreibung in SPE; vgl. (1)). (b) Der Akzent ist eine relationale, keine absolute bzw. inhärente Eigenschaft. Silben sind akzentuiert, wenn sie prominenter sind als benachbarte Silben. Diese Relationalität wird in einer s-w-Etikettierung der Silben erfaßt, wobei s für „stronger" (stärker) und w für „weaker" (schwächer) steht.34 Die prosodische Grundeinheit für Wortakzentstrukturen bildet der Fuß. Ich fasse, in Anlehnung an Nespor/Vogel (1986: 84), Goldsmith (1990: 170ff.) und Yu (1992: 13), den Fuß als eine prosodische Einheit auf, die genau eine akzentuierte (starke) Silbe und (optional) benachbarte unakzentuierte (schwache) Silben enthält. Diese besonders hervorgehobene Silbe wird auch „Designated Terminal Element (=DTE)" (Yu 1992: 14) genannt. Die für die Metrische Phonologie insgesamt konstitutive Prominenzrelation wird vor allem durch die Akzentzuweisung motiviert (vgl. dazu Selkirk 1980, Hayes 1981 und 1995, Hogg/McCully 1987); deshalb ist sie auch von der Ebene der Silben auf die der Füße selbst übertragbar. Diese bilden phonologische Wörter (ω), wobei wie34

Eine alternative Repräsentation von Prominenzrelationen bilden sogenannte ,metrische Gitter' (,metrical grids'), die vor allem zur Beschreibung der rhythmischen Struktur von Äußerungen konzipiert wurden (vgl. Liberman/Prince 1977, Prince 1983, Halle/Vergnaud 1987, Hogg/ McCully 1987: Kap. 4 u. 5, Goldsmith 1990: 190-216, Kenstowicz 1994: 553-614; für Anwendungen auf das Deutsche vgl. Féry 1986 und Uhmann 1991: 29-37). Die prosodischen Kategorien Silbe, Fuß, phonologisches Wort usw. sind, worauf Nespor/Vogel (1986: 83f.) - mit Bezug auf den Fuß hinweisen, auch unabhängig von Akzentphänomenen motiviert, weshalb metrische Gitter zwar in Ergänzung zu hierarchischen Baumstrukturen fungieren, sie aber nicht vollständig ersetzen können.

16 denim ein Element prominenter ist als die anderen. Nach Yu (1992: 21) enthält dieser stärkste Fuß im phonologischen Wort die Wortakzentsilbe.35 Das Wort Organismus hat nach diesem Modell folgende metrische Struktur (nach Yu 1992: 19):

Die Subskripte stehen jeweils für starke (s = strong) und schwache (w = weak) Silben bzw. Füße. Wie aus (16) unschwer zu entnehmen ist, geht Yu (1992) davon aus, daß im modernen Standarddeutschen Füße mit einer starken Silbe beginnen, während in phonologischen Wörtern der am weitesten rechts stehende Fuß der prominenteste ist. Dem entsprechen die jeweiligen Akzentverhältnisse im Beispielwort: Nebenakzent (starke Silbe in einem schwachem Fuß) auf der 1. Silbe und Hauptakzent (starke Silbe in einem starken Fuß) auf der 3. Silbe. Nespor/Vogel (1986) fuhren zahlreiche phonologische Prozesse aus verschiedenen Sprachen an, deren Anwendungsbereich (Domäne) Fuß oder phonologisches Wort sind (vgl. zum Deutschen Wiese 1996). Hall (1992: 58f.) und Yu (1992: 84-88) nennen die Einfügung des Glottisverschlußlautes (Glottal Stop) als Beispiel für einen Prozeß, der nur mit Bezug auf die Kategorie ,Fuß' adäquat beschrieben werden kann. Der Glottal Stop wird nicht nur vor vokalisch anlautenden Wörtern wie in (17a), sondern auch wortintern zwischen Vokalen eingefugt, wenn der 2. Vokal akzentuiert ist (vgl. (17b)), nicht jedoch vor unbetonten Vokalen (vgl. (17c)): (17)a. [?]Atem [?]oder [?]Uhr b.

c.

* Chá[?]os * Musé[?]um * Ri[?]o

The[?]áter Schi[?]íten cha[?]ótisch

Geht man von Yus Annahme aus, daß Füße im Standarddeutschen immer mit einer starken Silbe beginnen, so läßt sich der Glottisschlageinsatz als fußinitialer Prozeß beschreiben. Er formuliert folgende Regel (1992: 84):

35

Diese Bedingung gilt nur für einfache Wörter. Nach Yu (1992: 20f.) enthalten Komposita, aber auch Wörter wie Arbeit, Hamburg, Predigt, Kobold oder Abenteuer, mehrere phonologische Wörter.

17

(18)0



Χ / Σ[_ν [+CG]36

Die Regel ist folgendermaßen zu interpretieren: Vor einem Vokal, der das erste Segment eines Fußes bildet - d.h., die fußinitiale Silbe hat einen leeren Onset - , wird ein glottaler Verschlußlaut eingefügt. Nach diesem Überblick über die prosodische Hierarchie bis zur Ebene des phonologischen Wortes wende ich mich jetzt der segmentalen Struktur zu, für die in der neueren Forschung ebenfalls eine nichtlineare, hierarchische Repräsentation vorgeschlagen wird.

1.1.4 Merkmalhierarchie Im Hierarchiemodell37 bilden die Merkmale eines Segments kein ungeordnetes Bündel mehr, wie im SPE-Ansatz, sondern eine Baumstruktur mit folgenden Elementen: - einem Wurzelknoten (root-node), der eine Inkorporation von Oberklassenmerkmalen wie [sonorant] und [konsonantisch] bildet; - Klassenknoten (class-nodes), die ganze Gruppen von Merkmalen umfassen und selbst einwertig, d.h. nicht binär (oder ternär usw.) sind (z.B. LARYNGAL, ORT, KORONAL); - binäre Merkmale wie [±sth], [±rund] als terminale Elemente des Merkmalbaums. Als Beispiel diene McCarthys (1988: 105) Hierarchiemodell:38

36

„CG" steht für das Merkmal „constricted glottis", das von Halle/Stevens (1971) zur Kennzeichnung des Glottisverschlusses eingeführt wurde. 37 Erläutert wird dieses Modell u.a. in Clements (1985), McCarthy (1988), Goldsmith (1990: Kap.6), Kenstowicz (1994), Clements/Hume (1995) und Halle (1995). 38 Klassenknotennamen sind mit Großbuchstaben geschrieben, binäre Merkmale stehen in eckigen Klammern.

18

[rund]

[dist] [ant] [lat]

[hoch] [tief] [hint]

Vorteile dieses Modells gegenüber SPE sind u.a. präzisere Repräsentation natürlicher Klassen (vgl. Clements 1985), bessere phonetische Fundierung (vgl. Dogil 1988 und Browman/Goldstein 1989) und, last but not least, adäquatere Darstellung phonologischer Prozesse, insbesondere von Assimilationen (vgl. Clements 1985 und McCarthy 1988). Letztere werden im Hierarchiemodell nicht mehr als Merkmalswertänderungen, sondern -ausbreitungen (sog. spreading') repräsentiert: (20) W [+kons]__ [+nas]

W [+kons] ORT

Die gestrichelte Linie zeigt an, welcher Knoten des Baumes - d.h. welche Merkmalmenge - wohin ausgebreitet wird, in diesem Fall der Klassenknoten ORT eines Konsonanten auf einen vorangehenden Nasalkonsonanten. Mit anderen Worten, (20) bildet eine Regel für die regressive Assimilation aller Ortsmerkmale. Dieser Typ von Nasalassimilation ist in den Sprachen der Welt sehr verbreitet, u.a. findet man ihn im Deutschen (z.B. u[ng]ern —> u[qgjern) und Katalanischen (z.B. sofnj grans —> so[q] grans ; vgl. Kiparsky 1985: 95). Die Vorzüge einer Regelformulierung im Hierarchiemodell werden deutlich, wenn man (20) mit der entsprechenden Regel im Rahmen der SPE-Phonologie vergleicht:

19 (21) [+nas]

». aant ßkor

/

+kons aant ßkor_

Die umständliche Notation in (21) bringt nicht klar zum Ausdruck, daß alle an der gleichen Artikulationsstelle gebildeten Segmente, d.h. hier, alle mit den gleichen Werten für [anterior]39 und [koronal], eine natürliche Klasse bilden, während diese Klassenbildung in (20) durch den gemeinsamen Ortsknoten repräsentiert ist. Eine Regel, in deren Kontext stattdessen ein Merkmalbündel wie [α rund, β nasal] stände, hätte in SPE den gleichen Komplexitätsgrad wie (21). Das hieße, ein entsprechender phonologischer Prozeß wäre genauso natürlich und unmarkiert wie die regressive Nasalassimilation. Dies entspricht aber nicht den Fakten, da eine Assimilation, welche Rundung und Nasalität eines Segmentes gleichzeitig an den Lautkontext angleicht, nicht nur selten sein dürfte, sondern meines Wissens überhaupt nicht vorkommt. Diese „Unmöglichkeit" oder zumindest Markiertheit der Assimilation ist dagegen aus einer Merkmalskonfiguration wie in (19) eindeutig ablesbar, weil in ihr die Merkmale [nasal] und [rund] völlig verschiedene Positionen innerhalb der Hierarchie einnehmen und deshalb ihre gleichzeitige Ausbreitung eine erheblich komplexere Regelformulierung erfordert als die des Ortsknotens in (20). Im folgenden Kapitel wird das Modell der Merkmalhierarchie die Grundlage zur Analyse von Verners Gesetz bilden, einer historischen Veränderung eines segmentalen, genauer laryngalen Merkmals, unter prosodischen Bedingungen.

39

Eine weiterer Nachteil der Regel (21) ist die Benutzung des Merkmals [anterior], das eine künstliche Differenzierung der Artikulationsorte im palato-alveolaren Raum ermöglicht und alleine nicht zur Charakterisierung natürlicher Klassen verwendbar ist (vgl. Ladefoged 1971: lOlf. und Ramers/Vater 19954: 39).

2

Verners Gesetz

2.0

Einleitung

Die Historische Phonologie hat, wie in Kap. 1.0 bereits erwähnt wurde, nichtlineare Modelle der phonologischen Repräsentation erst in Ansätzen als neues Beschreibungsinstrumentarium nutzbar gemacht, obwohl für einzelne Lautentwicklungen der Zusammenhang mit der prosodischen Struktur seit langem bekannt ist. Dies gilt z.B. für die Abschwächung der unakzentuierten Mittel- und Endsilben in der Entwicklung der germanischen Sprachen in Verbindung mit dem Initialakzent.1 Ein weiteres Beispiel hierfür bildet ein Lautwandel von stimmlosen zu stimmhaften Obstruenten, der mit weitreichenden Veränderungen des Konsonantensystems vom Indogermanischen zum Germanischen in Zusammenhang steht. Relikte dieses Wandels finden sich noch heute in den modernen germanischen Sprachen, z.B. in den folgenden Wortpaaren: (dt.)

war mehr zogen

gewesen meist ziehen

(engl.)

were more forlorn

was most lose

(schwed.)

slog drog gick

slâ2 dra gâ

Dieser Lautwandel wird nach seinem Entdecker, dem dänischen Indogermanisten Karl Verner (vgl. Verner 1877) als ,Verners Gesetz' 3 bezeichnet. In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, dieses Gesetzes neu zu interpretieren und insbesondere die Interdependenz prosodischer und segmentaler Faktoren sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck ist die Relation zwischen Akzent und Stimmton zu klären, die oberflächlich betrachtet nichts miteinander zu tun haben.

'

2

3

Es ist allerdings anzumerken, daß der Initialakzent allein als Erklärung der Abschwächung keineswegs ausreicht, worauf van Coetsem/Hendricks/McCormick (1981: 298) mit Blick auf das Finnische hinweisen. Dieses habe wie das Deutsche Initialakzent, zeige aber keine Tendenz zur Reduktion der Nebensilben. Die Wörter der rechten Spalte gehen auf Formen mit auslautendem /h/ zurück, das in der späteren Lautentwicklung geschwunden ist (vgl. Noreen 19705: 230f.)); ursprünglich liegt also eine Alternation ,/h/ - /g/' vor, die im modernen Schwedisch zum Wechsel ,0 - /g/' geworden ist. Im nachfolgenden Text benutze ich für dieses Gesetz das Kürzel ,VG'.

22 2.1 V e r n e r s G e s e t z : D a t e n l a g e Die in Verners Gesetz beschriebenen Alternationen sind, w i e die folgenden Erläuterungen zeigen werden, nur vor dem Hintergrund der weitreichenden Umstrukturierung des Obstruentensystems v o m Indogermanischen zum Germanischen interpretierbar. Schema (2) illustriert diesen Wandel: 4 Urgerm.

(2) Idg. Ρ φ bh s

t d dh

k

&h g

k' y g wh g1

=>

f (p) (P) u b

1> t j d

X k _ g

χ kw w5 g S

Die Lautveränderungen in (2) werden in der Forschungsliteratur auch als 1. Lautverschiebung oder (im angelsächsischen Raum) als Grimm's Law (nach Jakob Grimm) bezeichnet. D i e erste Verschiebungsreihe (stimmlose Plosive zu stimmlosen Frikativen) kann in folgende phonologische Regel gefaßt werden:

(3)

-son -sth -kont

[+kont] 6

In (4) sind einige Beispiele für diesen Prozeß angeführt; die unverschobenen lateinischen Formen sind den altenglischen und althochdeutschen gegenübergestellt:

4

5

6

In (2) ist die traditionelle Sicht (vgl. z.B. Moulton 1954) des indogermanischen Systems wiedergegeben. Seit den Forschungen von Gamkrelidze/Ivanov (1973) wird diese allerdings angezweifelt. Im „New Look" des idg. Konsonantismus geht man nicht mehr von einer Reihe stimmhafter, sondern von glottalisierten stimmlosen Plosiven aus. Zur Diskussion dieser neuen These vgl. die Beiträge in Vennemann (ed.) (1989) und die Kritik in Hock (19912: 621-626). Da die Wahl des traditionellen oder neuen idg. Obstruentensystems die Darstellung des Vernerschen Wandels nicht grundlegend berührt (vgl. dazu unten Fußn. 33), diskutiere ich die Frage nach der plausibleren Rekonstruktion im folgenden nicht. Ich weiche in diesem Fall vom traditionellen Schema ab und schließe mich Vennemann (1984: 7f.) an, der mit überzeugenden Argumenten, u.a. aus dem Bereich der Sprachtypologie, die ältere Auffassung (z.B. von Moulton 1954) widerlegt, daß die aspirierten sth. Plosive im Urgermanischen zunächst zu sth. Frikativen geworden wären. Vennemann nimmt vielmehr an, daß sich die spirantischen Realisierungen, z.B. in holl./niederdt. leven, engl, live gegenüber hochdt./oberdt. leben erst aus den sth. Plosiven entwickelt haben und nicht umgekehrt. In (3) verwende ich die allgemein übliche verkürzende Schreibweise für phonologische Merkmale: „[kont]" steht für „[kontinuierlich]", „[son]" für „[sonorant]".

23 (4)

Latein pater tres octö

[p] [t] [k]

Altenglisch faeder [f] J>reo ü>] eahta M

Althochdeutsch fater [f] dñ [d] ahto M

Regel (3) hat eine Reihe von Ausnahmen, von denen sich einige relativ leicht erklären lassen; so verhindert ein vorangehender Obstruent die Verschiebung des Plosivs, wie folgende Gegenüberstellung (nach Hock 19912: 38) zeigt:7 (5)

Latein

Altenglisch

Althochdeutsch

captus piscis stö

haeft fisc standan

haft fisc stantan

Andere Ausnahmen sind nicht so leicht erklärbar. Alternationen wie in (6) bildeten lange Zeit ein Rätsel für die Indogermanistik und Germanistik: (6) Latein pa/er aber: fraier ne/?ös aber: Septem

Althochdeutsch

Nhd.

fa/er bruoc/er

Vater Bruder

ne/o sièun

Neffe sieben

socer aber: socrus

sweÄur swigar

Schwiegervater Schwiegermutter

Dieser Wechsel zwischen stl. und sth. Obstruenten findet sich übrigens nicht nur in wenigen Wortpaaren, sondern - wie ein Vergleich vieler germanischer mit anderen indogermanischen Sprachen zeigt (vgl. z.B. Verner 1877, Noreen 19705 und Krähe 19856) - in zahllosen Fällen. In (6) bewahren die lateinischen Formen alle den idg. stl. Plosiv, während dieser in den ahd. Wörter nefo und swehur9, wie Grimm's Law voraussagt, jeweils zu einem stl. Frikativ verschoben wurde. Die Formen sibun und swigar enthalten dagegen nicht die zu erwartenden Frikative [f] und [x], sondern die sth. Plosive [b] und [g]. Der Plosivcharakter erklärt sich aus dem rein allophonischen Status der sth. Frikative (vgl. Hock 19912: 37 und Vennemann 1984) und ihre Ersetzung durch Plosive in

7

8

9

Die unverschobenen Plosive, auf die es ankommt, sind jeweils kursiv gesetzt. Man beachte, daß im Latein auch die anderen Plosive nicht frikativiert sind. Entsprechende Alternationen finden sich auch - allerdings in geringerer Anzahl - zwischen den labiovelaren Obstruenten; vgl. z.B. im Nhd. Reichenau - Salzach (die fettgedruckten Teile sind etymologisch verwandt mit lat. aqua) oder sehen - sagen (verwandt mit lat. sequi). Intervokalisches in swehur wurde im Ahd. aller Wahrscheinlichkeit nach bereits als Hauchlaut [h] realisiert (vgl. die Kontraktionsform swä·) und nicht mehr, wie ursprünglich im Germanischen, als velarer Frikativ [x]. Letzere Realisierung ist nur im Wortauslaut oder vor Konsonant erhalten, z.B. in ahd. ahto (vgl. ausführlich Braune/Eggers 198714: 143-150).

24 fast allen Kontexten (vgl. Krahe/Meid 1969 7 : 100-103). Rätselhaft dagegen bleiben die Bedingungen für den Wechsel im Stimmton. D i e gleiche Alternation liegt im Wortpaar ,bruoder - fater' vor, nur werden die ursprünglichen Verhältnisse durch die späteren Lautentwicklungen , φ / ~ > /ö/ ~ > /d/' und ,/d/ ~ > /t/' im Germ, und Ahd. verdeckt (vgl. z.B. Penzl 1975). bruoder kann auf urgerm. *bro¡jar zurückgeführt werden, dieses wiederum auf idg. *bhrâtër; Iti ist regulär zu φ / verschoben, fater aber geht auf germ. *faôar (bzw. *fadar ; vgl. obige Diskussion) und idg. *pater zurück; d.h., anstelle eines stimmlosen Obstruenten φ / steht im Urgerm. der sth. Obstruent /δ/ (bzw. /d/). 1 0 Das Vorkommen sth. Varianten beschränkt sich nicht nur auf die verschobenen Plosive der 1. Reihe (vgl. 2), sondern erfaßt auch den aus dem Idg. ererbten Frikativ /s/, 11 12 der sich in den germanischen Sprachen in die Varianten /s/ und Irl spaltet: (7) Engl.:

Dt.:

was most lost

-

were more forlorn

gewesen meist Verlust

-

war mehr verlieren

Die Verstimmlichung erfaßt Obstruenten 13 in stimmhafter Lautumgebung im Wortinund -auslaut, 14 nicht jedoch am Wortanfang. 15 Diese Kontextbedingung reicht allerdings nicht aus zur Beschreibung der Alternation, da nur ein Teil der betreffenden Obstruenten

10

11

12

13

14

15

Der Vergleich der lateinischen und althochdeutschen Formen in (6) ist folglich für die dentalen Plosive irreführend, weil die Übereinstimmung im Stimmton (,pater - fater1), anders als bei den Labialen und Dentalen, gerade kein Zeichen fur eine reguläre Verschiebung nach Regel (3) bildet. Im Gotischen ist die ursprüngliche Alternation ,/s/ - /z/' erhalten, vgl. saihs ,sechs', aber * aiz ,Erz' (vgl. lat. sex ([ks]) und aes). Im Germanischen wurde sth. IzJ - bis auf wenige Ausnahmen - durch Rhotazismus zu Irl, so daß die ursprüngliche Alternation ,/s/ - /z/' in den historisch belegten Quellen als ,/s/ - /r/' in Erscheinung tritt. Ich beziehe mich an dieser Stelle und im folgenden auf die allgemeinere Lautklasse ,Obstruenten' statt ,Frikative'. Diese läßt auch Raum für eine von der traditionellen Sicht abweichende Chronologie, in der Verners Gesetz der 1. Lautverschiebung nicht folgt, sondern vorangeht. Dieser Auffassung ist z.B. Vennemann (1984), der von folgender Reihenfolge ausgeht: 1) Vernerscher Lautwandel, 2) 1. Lautverschiebung und 3) Akzentwechsel vom freien Akzent zum Initialakzent (vgl. ebd.: 20-22). D.h., Vennemann (1984) geht davon aus, daß der Wechsel im Stimmton, neben dem Frikativ Isl, nicht die stl. Frikative Iii, φ / und Ixl, sondern die Plosive /ρ/, Ν und /k/ erfaßt. Da die Frage ,Frikativ oder Plosiv' den Kern meiner Interpretation des VG nicht berührt, wähle ich die Oberklasse der stl. (nicht-glottalen; vgl. Fußn. 4) Obstruenten, ohne damit eine bestimmte chronologische Reihenfolge vorauszusetzen; vgl. zur Chronologie die Diskussion in Szulc (1978) und von Stechow (1986). Den Stimmtonwechsel auch im Wortauslaut illustriert z.B. die Entwicklung von idg. *ayos über Urgerm. *ayaz zu got. *aiz. Eine mögliche Ausnahme bildet die Alternation lat. com- vs. germ. *ga-, die als Verstimmlichung im Wortanlaut interpretierbar ist. Zu möglichen Erklärungen vgl. Rooth (1974: 46) und Bennett (1968).

25 stimmhaft wird, wie die Gegenüberstellungen in (6) und (7) zeigen. Karl Verner entdeckte den entscheidenden zusätzlichen Faktor im idg. Akzentsystem und charakterisierte die Alternation folgendermaßen (1877:114): „ Indogerm. k, t, ρ gingen erst überall in h, p,f über; die so entstandenen tonlosen fricativae nebst der vom indogermanischen ererbten tonlosen fricativa s wurden weiter inlautend bei tönender nachbarschaft selbst tönend, erhielten sich aber als tonlose im nachlaute betonter silben [Hervorhebung von mir, H. R.]."

Die Gegenüberstellungen in (8) illustrieren diese Akzentabhängigkeit der Stimmtonalternation: * bhrâtër * patér

* bröjjar * faöar * nefan * seban * tehan *svegra * kiusan * snuzö

germ.

* népôt * septm * * * *

dékm suekru géusonom snusá

,Bruder' ,Vater' ,Neffe' ,sieben' ,zehn' .Schwiegermutter' ,wählen' , Schwiegertochter'

Die betreffenden Obstruenten werden im Germanischen nur dann stimmlos realisiert, wenn im Indogermanischen der akzentuierte Vokal unmittelbar vorausgeht.16 Dieser reguläre Zusammenhang zeigt sich insbesondere im Paradigma der starken Verben des Germanischen: Im Präsensstamm und Infinitiv sowie im Singular des Präteritums finden sich stimmlose Obstruenten, im Präteritum Plural und Partizip Präteritum dagegen stimmhafte. Folgende Gegenüberstellung (nach Lehmann 1969: 93) verdeutlicht diese als ,Grammatischer Wechsel' bezeichnete Alternation:17 (9)

Inf.

1. Sing. Prät

1. PI. Prät.

Part.Prät.

aisl. ae. as. ahd

kiösa cëosan keosan kiosan

kaus cëas kös kôs

korom curon kuran kurum

kjarenn coren gikoran gikoran

16

17

Die Akzentverhältnisse des Indogermanischen sind im übrigen auf der Grundlage des Altindischen, Altgriechischen und Litauischen rekonstruierbar, weil diese im Gegensatz zum Germanischen die ursprünglichen Akzentuierungen z.T. bewahrt haben (vgl. z.B. Verner 1877, Hirt 1929, Krähe 19856). Die r-Realisierungen haben sich durch Rhotazismus aus sth. /z/ entwickelt (vgl. Fußn. 12). Das Gotische zeigt bis auf wenige Ausnahmen keine entsprechenden Alternationen im Verbalparadigma, da es die Unterschiede zugunsten der stl. Varianten beseitigt hat (vgl Rooth 1974: 127-131, Hock 19912: 46 und Braune/Ebbinghaus 1981 47).

26 Die stl. Variante (Spalte 1 und 2) findet sich genau in den Teilen des Verbalparadigmas, die im Altindischen - von diesem kann man auf die entsprechenden Verhältnisse im Indogermanischen schließen - Wurzelbetonung (vor dem Obstruenten) hat; die stimmhafte (Spalte 3 und 4) erscheint dort, wo das Altindische Endbetonung (nach dem Obstruenten) aufweist (vgl. ausfuhrlich Verner 1877: l l l f . ) . Dies verdeutlichen z.B. einige Formen des Paradigmas von ,werden' im Sanskrit und Altenglischen (nach Lass 1994: 23): (10)

Altenglisch

l.Ps. Sg. Präs. 1. Ps. Sg. Prät. Prät. Plural Part. Perf.

weorjj-e wearj) wurd-on -word-en

Sanskrit l.Ps.Sg.Pr. l.Ps.Sg.Perf. LPs.Pl.Perf. Verbalnomen

várt-a-mi va-várt-a va-vrt-i-má va-vrt-a-ná

Die enge Korrelation zwischen Stimmton und Akzent ist aufgrund der geschilderten Datenlage unbestreitbar. Aber wie ist dieser Zusammenhang zwischen einer rein segmentalen und einer prosodischen Eigenschaft erklärbar? Im folgenden skizziere ich zunächst einige Lösungsansätze in der Literatur, ehe ich dann einen eigenen Vorschlag unterbreite.

2.2

Erklärungsansätze

2.2.1 Exspiratorischer Akzent und Stimmton Verner selbst liefert die folgende physiologische Erklärung der Stimmtonalternation (1877: 115-117): „ Dass die tonlose fricativa in accentuirten silben sich der allgemeinen neigung zum tönendwerden enthielt, ist physiologisch leicht erklärlich. Wir müssen für die ältere periode des germanischen von einem accente ausgehen, der nicht rein chromatisch war wie der accent im altindischen und in den classischen sprachen, sondern wie die modernen accentuationen etwas exspiratorisches an sich hatte, d.h. auf größerer thätigkeit der exspirationsmuskeln und daraus folgendem stärkerem luitausströmen beruhte. Der wesentliche unterschied zwischen den tonlosen und tönenden consonanten hängt vom zustande der Stimmbänder ab (Brücke, Grundzüge der Physiologie s. 8.56). Bei den tonlosen stehen die Stimmbänder weit offen; der luftstrom aus dem brustkasten hat freien lauf, ist daher stärker als bei den tönenden consonanten, und dieses stärkere luftausströmen bekundet sich bei den explosivae durch einen muskelfesteren verschluss und eine gewaltsamere explosion. Bei den tönenden consonanten sind die Stimmbänder dagegen beinahe bis zur berührung zusammengebracht; die schmale Stimmritze hindert das freie luftausströmen; der luftstrom ist daher schwächer, der verschluss im mundcanale bei den tönenden explosivae und die explosion nicht so energisch wie bei den tonlosen. Also - das stärkere luftausströmen ist ein moment, das der exspiratorische accent mit den tonlosen consonanten gemein hat. Daher konnte der verstärkte luftstrom in der accentuierten silbe die tonlose explosiva tonlos erhalten, d.h. verhindern, dass die Stimmbänder zum tönen verengert blieben, wie dies bei normalem luftausströmen in der unaccentuierten silbe geschah."

27 Diese aerodynamische Erklärung, die Luftstrommechanismus und Glottisverhalten in Verbindung bringt, klingt auf den ersten Blick plausibel und läßt sich in mehrfacher Hinsicht stützen. (a) Zunächst bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, zu begründen, warum Verners Gesetz in den germanischen Sprachen wirksam wurde, die ein dynamisches Akzentsystem entwickelt haben,18 und nicht in anderen indogermanischen Sprachen wie Altindisch und Griechisch, die das musikalische (von Verner „chromatisch" genannte) Akzentsystem des Indogermanischen bewahrten. (b) Die gemachten Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen Luftdruck und Stimmbeteiligung werden auch durch phonetische Untersuchungen bestätigt (vgl. z.B. Fischer-Jergensen 1963: 30). (c) Auch in heute gesprochenen Sprachen der germanischen Sprachfamilie19 finden sich parallele Variationen des Stimmtons im Vernerschen Kontext (vgl. 11):20 (11) engl, exhibit [igz] exhibition [eks] lwxúrious [Agz] luxury [AkJ] (zu den engl. Daten vgl. Jespersen 1933) dt. Hannó[f]er Hanno[v]eráner Jé[f]er Je[v]eráner (vgl. Schröder 1918 und Kuhn 1964)21 Solche lexikalisierten Alternationen sind allerdings selten. Auf Satzebene dagegen sind - in Abhängigkeit von Sprechtempo, Stil und anderen Faktoren der Sprachverwendung - Verstimmhaftungen von Obstruenten in nicht-akzentuierten Silben im Deutschen relativ häufig. So konstatiert Kohler (1977: 219):

18

19

20

21

Allerdings wirkte das Gesetz zu einer Zeit, als der Wandel zu einem überwiegenden Initialakzent noch nicht vollzogen war, da dieser gerade die Kontextbedingungen der Alternation aufgehoben hätte. Übrigens gilt dies nicht nur für die germanischen Sprachen. Hammerich (1955: 25) erwähnt ein Beispiel aus dem Alaska-Eskimoischen, das demselben Muster folgt: (a) stl. [x] steht nach akzentuiertem Vokal in LtóXum und LtöXa (Kasusformen von LtóX ,Enkel'), sth. [R] nach unbetontem Vokal in LtoRáni und LtoRanikim (andere Kasusformen des gleichen Wortes). Einen zusammenfassenden Überblick über solche Variationen und die Forschungsliteratur zu dieser Thematik gibt Rooth (1974: 122-126). Die Gültigkeit dieser Paare als Parallelen zu VG wird allerdings von Kuhn (1964) in Zweifel gezogen; er weist darauf hin, daß im Niederdeutschen selbst in intervokalischer Position nur sth. M realisiert wird, kein stl. Iii, ganz unabhängig von den Akzentverhältnissen. Die Aussprache der Ortsnamen Hannover und Jever mit Iii sei eine unter dem Einfluß der hochdeutschen Schriftsprache entstandene Neuerung. Allgemein sprechenRooth (1974: 124f.) verteidigt dagegen den exemplarischen Charakter dieser Wortpaare fur VG, da die Realisierung [f] vs. [ν] in der heutigen hochdeutschen Aussprache offenbar, zumindest für ,Hannover - Hannoveráner', durch die Akzentverhältnisse gesteuert wird. Für die Irrelevanz des Akzentes im Lexikon des Standarddeutschen sprechen wiederum sth. Realisierungen nach akzentuiertem Vokal in Wörtern wie Aufenthalt, Élfer, Dóo/er (mit [v]) und auserwählt (mit [z]) (auf diese Beispiele hat mich Jürgen Lenerz hingewiesen).

28 „ Intervokalische stimmlose Frikative und Plosive können stimmhaft werden, wenn die ganze Folge in der Senkung eines Taktes steht."

„Senkung eines Taktes" impliziert nach Kohler in jedem Fall, daß die betreffenden Obstruenten nach Vokalen stehen, die nicht den Satzakzent tragen, wie seine eigenen Beispiele (1977: 219) belegen:22 (12) das mu/? ich 'machen das hat er doch ge'macht das scha^ich 'doch nicht das mach ich 'doch nicht

[z] [d] [v] [γ]

Die satzphonetischen Befunde bilden allerdings keine eindeutige Evidenz für die Erklärung des Vernerschen Gesetzes mit Hilfe des exspiratorischen Akzentes; neuere Untersuchungen zur Intonation im Deutschen (vgl. z.B. Altmann 1988 (ed.), Altmann et al. (eds.) 1989, Uhmann 1991 und Féry 1993) belegen im Gegenteil die entscheidende Rolle des Tonhöhenverlaufs für die Satzakzentuierung. Aus phonetischer Sicht ist jedenfalls zunächst Verners Deutung der Alternationen weder voll bestätigt noch widerlegt. Verner (1877: 117) verbindet seine Erklärung mit der Annahme einer bestimmten Silbenstruktur für die betroffenen Wörter, die nicht der modernen Silbentrennung entspricht. Nach seiner Auffassung gehört der intervokalische Obstruent immer zur vorhergehenden Silbe, steht folglich in der Silbenkoda: (13) fad $ ar finjj $ an bröjj $ ar

statt statt statt

fa $ dar fin $ £>an brö $ J)ar

Verner selbst begründet diese Silbifizierung mit Daten aus der germanischen Metrik (vgl. Sievers 1893, Lehmann 1956 und Murray 1988: 139-148). Sie bietet allerdings eine Reihe von Nachteilen, wie Murray (1991: 226-230) in einer ausführlichen Replik auf Liberman (1990) darlegt: - Die Silbifizierung -C$V ist unter universalem Aspekt sehr markiert oder gar unmöglich. Dieses Phänomen ist im sogenannten ,Maximal Onset Principle (MOP)' ausgedrückt, nach dem Silbenansätze nach Möglichkeit maximiert werden.23 Das heißt für die hier diskutierte Struktur, daß intervokalische Konsonanten im unmarkierten Fall im Ansatz der 2. Silbe (V$CV) und nicht in der Koda der 1. Silbe (VC$V) stehen. Die Silbifizierung des Konsonanten in der Koda ist insbesondere dann extrem unwahrscheinlich, wenn der nachfolgende Vokal akzentuiert ist (VC$V), wie Murray mit Bezug auf Bailey (1978: 11) betont. - Die von Verner (1877) und Liberman (1990) propagierte Silbifizierung wird durch 22

23

Daneben kommen allerdings auch - in anderen Varietäten des Deutschen - Lenisierungen nach Satzakzent vor, z.B. in das schaff [\] ich doch . Zum MOP vgl. u.a. Kahn (1976: 23), Selkirk (1982: 359), Vennemann (1986: 33), Lutz (1991: 195) und Giegerich (1992b).

29 Worttrennungen in geschriebenen Texten des Gotischen (vgl. Schulze 1908 und Vennemann 1987) und Altenglischen (vgl. Wetzel 1981 und Lutz 1986) nicht gestützt; im Gegenteil, die schriftlichen Befunde sprechen eindeutig für eine Silbentrennung V$CV. So stellt Wetzel (1981: 466) für Wörter mit intervokalischem Einzelkonsonanten in der Schrift (Muster ) bei 30.200 Belegen (= 99,4%) die Worttrennung fest, z.B. in cy-nins, dagegen nur in 188 Fällen (= 0,6 %) die Trennung (vgl. cyn-in3). Daß die Präferierung eines Musters nicht bloß ein Schriftphänomen ist, zeigen Silbentrennungen bei einem Einzelkonsonanten in der Schrift, dem eine Konsonantenverbindung in der Aussprache entspricht; dies gilt für , das als /ks/ realisiert wird (vgl. Lutz 1986: 196). In diesem Fall überwiegt mit 46 Trennungen (= 85,2%) der Typ (vgl. ax-ode) gegenüber 8 Belegen des Musters (siehe a-xode). Lutz (1986: 196) vermutet, daß die Schreiber durch die Präferierung des Musters anzeigen wollten, daß die erste Silbe geschlossen ist, also für folgende Silbifizierung vorliegt: a[k $ sjode. Wie dem auch sei, die unterschiedlichen Strategien der Silbentrennung deuten darauf hin, daß die Aussprache von den Schreibern berücksichtigt wurde. Murray (1991: 229) lehnt aus diesen Gründen die Vemersche Silbifizierung ab und ersetzt zudem die aerodynamische Erklärung der Stimmtonalternation durch eine andere phonetische Deutung, die nicht die Realisierung des dem Obstruenten vorangehenden, sondern des folgenden Vokals in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt.24 Ich wende mich im folgenden diesem zweiten Erklärungsansatz zu.

2.2.2 Stimmton und musikalischer Akzent d'Alquen (1988) verfolgt die These einer Beeinflussung des Stimmtons des Obstruenten durch den folgenden Vokal; diese wird von Murray (1991) übernommen. d'Alquen (vgl. d'Alquen 1988: 17 und 232f.) geht von der Grundidee aus, daß nicht der für die germanischen Sprachen typische dynamische Akzent Auslöser der Stimmtonalternation ist, sondern vielmehr der vom Idg. ererbte musikalische Akzent. Er nimmt an, daß der Akzent im Idogermanischen als tief-steigender Ton realisiert wurde,25 der einen vorangehenden stimmhaften Obstruenten begünstigte, und zwar aufgrund folgender Relation: (a) Stimmhaftigkeit bei Konsonanten korreliert mit einer tiefen Grundfrequenz, also einem Tiefton, bei Vokalen und (b) Stimmlosigkeit korreliert mit einer hohen Grundfrequenz, also einem Hochton. 24

Verners phonetische Erklärung mit Hilfe des exspiratorischen Akzentes ist übrigens nicht untrennbar mit seinem Silbifizierungsvorschlag verknüpft. Es ist durchaus denkbar, daß ein dynamisch akzentuierter Vokal die Verstimmhaftung eines Konsonanten der Folgesilbe blockieren oder ein unakzentuierter sie auslösen kann. In diesem Fall wäre nicht die Silbe, sondern eine höhere prosodische Einheit (Fuß oder phonologisches Wort) die relevante Domäne für diesen phonologischen Prozeß. Auer (1994) schlägt eine solche Alternative für eine Reihe von Prozessen im Nhd., z.B. die Auslautverhärtung, vor.

25

Im Rahmen der nichtlinearen Phonologie ist ein solcher Tonverlauf als Sequenz von Tief- und Hochton (Τ H; engl. L (low) H (high)) repräsentierbar (vgl. Pierrehumbert 1980, Goldsmith 1990, Uhmann 1991 undFéry 1993).

30 d'Alquen (1988: 17) verdeutlicht die Konsequenzen dieser Korrelation fìir Verners Gesetz anhand des Paares in (14): (14) a. φ / in *wérj)an(an) b. Idi in *wuröum

(stl.) ,werden' (sth.) ,wurden'

In (14a) verhindert der Hochton auf dem vorangehenden akzentuierten Vokal lèi die Verstimmhaftung von φ/, in (14b) löst der mit einem Tiefton beginnende Akzent auf dem Folgevokal /ú/ die Verstimmhaftung von φ / zu /ö/ aus. Abgesehen von der Frage der phonetischen Plausibilität dieser Analyse, auf die ich weiter unten (vgl. 2.3.2) eingehen werde, stößt d'Alquens und Murrays Ansatz auf zwei Probleme: - Warum unterliegen stl. Obstruenten im Wortanlaut vor akzentuierten Vokalen nicht der Verstimmhaftung (vgl. z.B. idg. *tréyes > got. preis ,drei')? - Wie erklärt sich die Stimmhaftigkeit im Wortauslaut, wo gar kein Vokal folgt (vgl. 15)? (15) idg. * áyos > germ. *áyas > *áyaz (vgl. ahd. ër ,Bronze') Wegen solcher Beispiele lehnt Hock (1991 : 40f.) die Bezugnahme auf die Folgesilbe zur Erklärung des Vernerschen Gesetzes ab. Ist aufgrund der genannten Probleme der Ansatz von d'Alquen (1988) vollständig zu verwerfen oder kann er so modifiziert werden, daß die Grundidee - musikalischdynamischer Akzent als Auslöser des Prozesses - erhalten bleibt? Ich gehe im folgenden der letzteren Alternative nach und schlage folgende Modifikation vor: Nicht der Ton des folgenden, sondern der des vorangehenden Vokals bestimmt die Stimmhaftigkeit/ Stimmlosigkeit des Obstruenten. Mit anderen Worten, ich gehe von einer progressiven Assimilation des Konsonanten an den vorangehenden Vokal aus. Doch welche Eigenschaft wird assimiliert und wie sieht eine entsprechende Regel aus?

2.3 Verners Gesetz als progressive Assimilation 2.3.1 Formulierung der Assimilationsregel Wenn man von einer Assimilation ausgeht, kommt als involvierte Eigenschaft zunächst nur Stimmhaftigkeit in Betracht. In Anlehnung an Hock (1991 : 41) schlage ich folgende Regelformulierung im Rahmen der SPE-Phonologie vor:

Die Regelformulierung nach Hock (19912) erfaßt auch - was bisher unerwähnt blieb das fehlende Stimmhaftwerden vor folgendem stl. Obstruenten:

31 (17) got. ahd.

hafts aengl. haeft slahan - gislagan, aber wahsan - giwahsan

Insoweit repräsentiert sie die Bedingungen fur den Vernerschen Wandel völlig korrekt. Andererseits erscheint das gewählte Regelformat in mehrfacher Hinsicht inadäquat: - Der progressive Charakter der Assimilation kommt nicht klar zum Ausdruck, da auf beiden Seiten des Kontextes das Merkmal [+sth] erscheint. - Die Kontextbedingung [-akz] wirkt wie ein Fremdkörper, da sie in keinerlei Beziehung zu den übrigen Merkmalen steht. Um diesen Nachteilen einer Regelformulierung im Rahmen der segmentalen Phonologie à la SPE zu begegnen, benutze ich im folgenden das im Paradigma der nichtlinearen Phonologie entworfene Hierarchiemodell phonologischer Merkmale, das in Kap. 1.1.4 erklärt wurde. Im Rahmen dieses Modells schlage ich für Verners Gesetz zunächst folgende Spreading-Regel vor (zum Format vgl. Kap. 1, (20)): (18) W [+son]

W [-son]

LAR

, LAR

[+sth] Die Regel ist folgendermaßen zu interpretieren: Das Merkmal [+sth] unter einem Klassenknoten LARYNGAL 26 wird von einem Sonorlaut (Vokal oder Sonorant) auf einen folgenden Obstruenten ausgebreitet. In dieser Repräsentation kommt der progressive Charakter der Stimmtonassimilation klar zum Ausdruck, was in Hocks Regel (vgl. (16)) nicht der Fall ist. Regel (18) bedarf allerdings noch der Modifikation: Geht man davon aus, daß die Assimilation einen stimmlosen Obstruenten erfaßt,27 so ist die Angabe dieser Spezifikation in (19) zu ergänzen: (19) W [+son] I LAR [+sth] · - ' ' '

26

27

W [-son] I „

LAR [-sth]

Dieser Klassenknoten umfaßt alle Merkmale, welche mit der Phonation im Kehlkopf (der Larynx) zusammenhängen, z.B. neben Stimmton auch Aspiration, Glottalisierung u.ä. Eine Alternative wäre, den Obstruenten für den Stimmton unspezifiziert zu lassen, d.h. vor Anwendung der Assimilationsregel den Merkmalswert für [sth] nicht festzulegen. Diese Möglichkeit wird im Rahmen der Unterspezifikationstheorie in vielfältiger Weise genutzt (vgl. u.a. Archangeli 1984, Archangeli/Pulleyblank 1986 und - für das Deutsche - Yu 1992; vgl. auch die Kritik von Mohanan 1991).

32 Das Resultat von (19) ist aber in dieser Form nicht akzeptabel, da der Laryngalknoten des Obstruenten sowohl [+sth] als auch [-sth] dominiert. Nach der Assimilation ist jedoch der Obstruent stimmhaft, und nicht zugleich stimmlos. Das bedeutet, daß die ursprüngliche Spezifizierung [-sth] auf irgendeine Weise gelöscht werden muß. Für diese Operation steht im Merkmalhierarchiemodell der Mechanismus des ,Delinking' zur Verfügung,28 die Kappung einer Verbindungslinie (Assoziationslinie) im Merkmalbaum: (20) W [+son] LAR 1 ^ [+sth]

W [-son]

^

^ ^

LAR ± I [-sth]

Aufgrund des Prinzips ,Prosodische Lizensierung' (vgl. oben Kap. 1.1.1) müssen alle Elemente einer prosodischen Struktur mit höheren Konstituenten assoziiert sein. Dieses Prinzip läßt sich auch auf die Merkmalsebene übertragen: Merkmale, die nicht mit höheren Knoten der Hierarchie verbunden sind, werden getilgt, d.h. haben für die phonetische Realisierung keine Bedeutung mehr. Diese Tilgungsoperation aufgrund des besagten Prinzips nennt Itô (1986: 4) „stray erasure" (vgl. auch Kenstowicz 1994: 285f.). Allerdings können extraprosodische Elemente als „Streuner" zugelassen sein (vgl. oben Kap. 1.1.2.2); Extraprosodizität wird aber fur Einheiten der Merkmalhierarchie bisher meines Wissens nicht angenommen. Merkmalausbreitung und Delinking bilden in (20) nicht zwei Stufen eines Prozesses; letzteres ist vielmehr eine Konsequenz der Assimilation, weil Sprachen allgemein, also auch das Germanische, Strukturen wie (21) nicht zulassen: (21) W [-son] I

[+sth]

[-sth]

Die Struktur (21) widerspricht Bedingungen über die Wohlgeformtheit phonologischer Repräsentationen und wird deshalb ausgefiltert bzw. „repariert" (vgl. dazu Paradis 1988, Mohanan 1991 und Kenstowicz 1994: 528-532). Solche Reparaturmechanismen sind ein Mittel, den eigentlichen phonologischen Prozeß selbst (hier die Assimilation) von etwaigen Folgewirkungen für die Repräsentation zu trennen, die selbst nicht Resultat eines eigenen Prozesses sind.29 28

29

Dieser Mechanismus dient im Hierarchiemodell nicht nur zur Löschung einer Merkmalsspezifikation, sondern auch zur Tilgung ganzer Segmente. Zum Ausdruck dieser Differenzierung benutzen Chomsky/Halle (1968) sogenannte ,LinkingRegeln', die den Output phonologischer Regeln an universale Markiertheitskonventionen anpassen.

33 Das in (19) und (20) verwandte Regelformat ermöglicht es nun, die Ausnahmen in (17) - keine Verstimmhaftung vor stl. Obstruenten - auf einfache Weise zu beschreiben. Die Beispiele in (17) erfüllen nämlich nicht die Kontextbedingung der Regel, da sie folgende Struktur haben: (22) W [+son] I LAR [+sth]

W [-son] \

W [-son] / LAR [-sth]

In (22) ist, anders als in (18 und 19), der Laryngalknoten nicht mit einem, sondern mit zwei Wurzelknoten assoziiert.31 Sowohl die „Shared Features Convention" (vgl. Steriade 1982:48 und 67-72), als auch das Prinzip der Obligatorischen Kontur (vgl. McCarthy 1986, Yip 1988 und Goldsmith 1990: 309-318) erzwingen diese Struktur. Das erste Prinzip besagt, daß bei aufeinanderfolgenden Segmenten identische Merkmalsspezifikationen nur einmal, d.h. nur durch einen Knoten im Merkmalbaum repräsentiert werden. Das zweite verbietet umgekehrt die direkte Aufeinanderfolge identischer segmentaler Merkmale auf der gleichen Schicht in der Hierarchie (vgl. 23): (23)* W [-son] I LAR I [-sth]

W [-son] I LAR I [-sth]

Hayes (1986a und b) und Schein/Steriade (1986) haben in der Analyse verschiedener Sprachen gezeigt, daß phonologische Prozesse, die einfache Segmente erfassen, auf Strukturen mit doppelten Assoziationslinien wie in (22) nicht anwendbar sind. Hayes (1986a: 472) spricht von der „Inalterabiltity" dieser Komplexe - es sind zum größten Teil Konsonantengeminaten - und formuliert folgendes Prinzip: ( 2 4 ) „ Linking Constraint Association lines in structural descriptions are interpreted as exhaustive."

Hayes (1986a: 471-473) und Schein/Steriade (1986: 692f.) verdeutlichen dieses Prinzip anhand eines Spirantisierungsprozesses in der semitischen Sprache Tigrinja, die in Äthiopien gesprochen wird. Dieser Prozeß erfaßt postvokalische velare Plosive, die zu Frikativen werden, vgl. z.B. /¿Albi/ ,Hund' vs. /?acalib/,Hunde'. Im Rahmen der Merk30

31

In Regel (16) mußte zu diesem Zweck das Merkmal [+sth] im rechten Kontext eingefügt werden, das den progressiven Charakter der Assimilation verschleiert. Nimmt man an, daß sich die beiden Obstruenten in anderen laryngalen Merkmalen als dem Stimmton unterscheiden, so muß man (22) durch eine Struktur mit zwei Laryngalknoten, aber nur einem Knoten für [-sth] ersetzen. Die Wahl dieser alternativen Möglichkeit hat keinen Einfluß auf die hier vorgetragene Argumentation.

34 malhierarchie kann folgende Spreading- und Delinking-Regel für diese Spirantisierung formuliert werden (vgl. zur Notation Kap. 1, (19) und (20); Ν = Nukleus): (25)

Ν

X

+son -kons

ORT

[+kont]

DORSAL

[+hint] Dieser Spirantisierungsprozeß ist blockiert, wenn der Plosiv eine Geminata bildet (z.B. in /fAklovrA/ ,er prahlte'). Eine solche Restriktion kann im Rahmen des ,Linking Constraint' wie folgt beschrieben werde. Eine Geminata ist eine Einheit der Segmentschicht - im Hierarchiemodell durch einen Wurzelknoten mit den Merkmalen [sonorant] und [konsonantisch] repräsentiert - , die mit zwei Einheiten der X-Schicht assoziiert ist (vgl. 26): (26)

Χ

X

-son +kons Die Struktur (26) erfüllt aber nicht die Kontextbedingung der Regel (25), da der Wurzelknoten dort nur mit einer X-Position assoziiert ist. Der Ausdruck „exhaustive" in Prinzip (24) ist folglich so zu verstehen, daß die Angabe einer Assoziationslinie auch als genau eine zu interpretieren ist, d.h. eine Mehrfachassoziation explizit ausschließt. Dieser ,Linking Constraint' kann in folgender Weise auf Regel (19) angewendet werden: Nur Obstruenten mit einfach assoziiertem Laryngalknoten, nicht doppelt verbundene, werde von der Regel erfaßt, also nur Strukturen wie (27a), nicht (27b): (27)a. W [-son] I LAR

b. W[-son]

W [-son] /

\ LAR

35 Ein Nachteil der segmentalen Regel (16), die fehlende Richtungsangabe für die Assimilation, ist durch die Verwendung des Merkmalhierarchiemodells mit - für die Theorie der nichtlinearen Phonologie insgesamt gültigen, d.h. auch unabhängig von den hier betrachteten Phänomenen motivierten - einschränkenden Prinzipien über die Wohlgeformtheit von Strukturen behoben. Ein weiteres Manko weist allerdings auch die von mir vorgeschlagene Lösung auf: In der vorliegenden Regelformulierung (19) unterliegen Verners Gesetz sowohl Obstruenten nach nicht-akzentuierten als auch nach akzentuierten Vokalen; der Einfluß des Akzentes ist folglich nicht dargestellt. Wie ist dieser im Merkmalhierarchiemodell repräsentierbar? Zu diesem formalen Problem gesellt sich die Frage nach der Eigenschaft, die Stimmton und musikalischen Akzent im Sinne d'Alquens (1988) verbindet. Im folgenden wende ich mich dieser Frage zu.

2.4 Stimmton und Akzent 2.4.1 Das tertium comparationis Der musikalische Akzent determiniert (neben anderen Faktoren wie der Vokalqualität; vgl. Hombert 1978) die Tonhöhe von Vokalen in folgender Weise: Akzentuierte Vokale werden mit - relativ zu den umgebenden Vokalen - hohem Stimmton, nicht-akzentuierte mit relativ tiefem realisiert. Was verbindet diese Tonhöhenopposition bei Vokalen mit der Stimmtonopposition bei Obstruentenpaaren wie /p/ - Ibi, Ν - lál, etc ? Ein mögliches Bindeglied bilden die von Halle/Stevens (1971) vorgeschlagenen laryngalen Merkmale [stiff vocal cords] und [slack vocal cords]: Ersteres Merkmal bezeichnet - grob gesagt32 - eine Anspannung und Versteifung der Stimmbänder, letzteres dagegen ihre relative Entspannung und Schlaffheit. Das Merkmal [+stiff vocal cords] findet sich sowohl bei hohen Vokalen als auch bei stimmlosen Obstruenten, das Merkmal [+slack vocal cords] wiederum bei tiefen Vokalen und stimmhaften Obstruenten (vgl. Stevens 1977: 275f.).33 Da akzentuierte Vokale nach dem Ansatz von d'Alquen (1988) zugleich Vokale mit hohem Stimmton

32

33

Eine genaue Beschreibung der beiden Merkmale in artikulatorischen und akustischen Details bietet Stevens (1977). Zum Zusammenhang zwischen Stimmbandspannung und Tonhöhe vgl. auch Flanagan (1973), zur Relation zwischen Stimmbandspannung, Tonhöhe und Aspiration siehe Iverson/Salmons (1995). Diese Unterscheidung gilt nur für die neutrale Glottisposition. Ist diese verengt (constricted) oder erweitert (spread), treten noch andere Lauttypen wie „Breathy Vowels", „Creaky Vowels", „Implosive", „Ejektive" usw. auf (vgl. dazu Stevens 1977: 274-277). Die Verwendung eines Merkmals [+constricted glottis] (vgl. Stevens 1977: 276) für glottalisierte Plosive ermöglicht übrigens auch die Charakterisierung der von VG erfaßten Obstruenten /p, t, k, k kw, s/ als natürliche Klasse. Sie sind durch die Merkmale [+stiff vocal cords] und [-constricted glottis] gekennzeichnet. Damit ist ein Kritikpunkt von Stechows (1986: 165) - stl. Frikative bilden eine natürliche Klasse, nicht jedoch stl. Plosive und der stl. Frikativ Is/ - an Vennemanns Rekonstruktion des idg. Obstruentensystems (vgl. oben (2) und Fußn. 4) und seiner Chronologie , Verners Gesetz vor der 1. Lautverschiebung' entkräftet.

36 sind, ist das tertium comparationis zwischen Akzentvokal und stimmlosem Obstruenten gefunden: das Merkmal [stiff vocal cords]. Das Gleiche gilt umgekehrt für unbetonten Vokal und stimmhaften Obstruenten; in diesem Fall ist [slack vocal cords] die verbindende Eigenschaft.34 Man kann also das VG als Ausbreitung der Eigenschaft [slack vocal cords] interpretieren.

2.4.2 Parallelen zu Verners Gesetz Die vorgeschlagene Beschreibung des Vernerschen Gesetzes liefert zwar eine theoretische Erklärung des Phänomens, aber keine empirische Untermauerung. Es bleibt zu zeigen, daß der Zusammenhang zwischen Tonhöhe bei Vokalen und Stimmton bei Obstruenten in der Phonologie irgendeiner existierenden Sprache tatsächlich eine Rolle spielt. Als Basis zur Überprüfung dieser Hypothese bieten sich zunächst Tonsprachen an, da in ihnen der Tonhöhe als distinktivem Merkmal besondere Bedeutung zukommt. Im Sammelband von Fromkin (1978) werden die Ergebnisse umfangreicher Untersuchungen zu Tonsprachen vorgestellt. Parallelen zu Verners Gesetz finden sich darin so gut wie überhaupt nicht. Der Stimmton von Obstruenten beeinflußt zwar häufig die Tonrealisierung von benachbarten - vor allem folgenden - Vokalen und ist mitverantwortlich für die Entstehung oder Modifizierung von Tonsystemen (vgl. Hombert 1978 und Schuh 1978), eine umgekehrte Einwirkung ist dagegen nicht bezeugt: „ Consonants affect tone, but tone does not affect consonants."

(Hyman/Schuh 1974:21)

Anderson (1978) weist z.B. nach, daß Eigenschaften von Konsonanten für Tonphänomene wie Downdrift oder Tonspreading keine Rolle spielen. Das Gegenteil wäre zu erwarten, legte man das Merkmalsystem von Halle /Stevens (1971) für die Analyse von Tonsprachen zugrunde. Maddieson (1974) nennt allerdings 6 Beispiele für phonologische Systeme, in denen Töne Konsonanten affizieren. Ein Beispiel ist die in Burma gesprochene Sprache Jingpho. In dieser Sprache findet ein mit Konsonantengeminierung verbundener Prozeß der Verstimmhaftung von Obstruenten nach Tiefton statt (1974: 18f.): (28)

yàk cát

,difficult' ,tight'

yàggai cáttai

,it is difficult' ,it is tight'

Wie das 2. Beispiel belegt, unterbleibt die Verstimmhaftung nach hochtonigem Vokal. Hyman (1976: 94) zeigt aber, daß dieser Effekt mit anderen Eigenschaften der Töne gekoppelt ist, bei tiefem Ton mit,breathy voice', bei hohem mit größerer Intensität. Er glaubt, daß diese Faktoren die eigentlichen Auslöser der Verstimmhaftung sind, 34

Zur Analyse des Vernerschen Wandels greift auch Noyer (1991) in einem Paper (zitiert nach Kenstowicz 1994: 497f.) auf die Merkmale [stiff vocal cords] und [slack vocal cords] zurück. Nach Fertigstellung des Manuskripts habe ich erfahren, daß Page (1998) ebenfalls diese Merkmale verwendet.

37 während die Tonhöhe selbst nur eine sekundäre Begleiterscheinung des Prozesses bildet. Eines scheint nach den Untersuchungen von Hyman und Maddieson jedenfalls festzustehen: Töne affizieren Konsonanten in der Regel nur gemeinsam mit anderen Eigenschaften wie Breathiness oder Intensität. Eine enge Verbindung von Intensität und Tonhöhe ist aber, wie oben in 2.2.1 angedeutet wurde, ein Charakteristikum des Satzakzents in Intonationssprachen.35 Nach Ladefoged (19933: 250) bildet die Tonhöhe sogar den primären Faktor bei der Kennzeichnung der Akzentsilbe. Wie die Beispiele in (12) zeigen, treten nach unbetonten Vokalen in Sätzen des Deutschen häufig die gleichen Effekte auf wie im Vernerschen Wandel. Das heißt, Parallelen zu Verners Gesetz findet man vorwiegend nicht in Tonsprachen, wie ursprünglich angenommen, sondern in Intonationssprachen. Dann kann aber kein rein tonales Akzentsystem für die Verstimmhaftung im historischen Wandel vom Indogermanischen zum Germanischen verantwortlich sein, sondern nur ein Mischsystem zwischen musikalischem und dynamischem Akzent. Für ein solches gemischtes System plädiert auch Connolly (1980: 118), der eine strikte Trennung von exspiratorischem und musikalischem Akzent überhaupt ablehnt: „ However, although the Pre-Gmc. (IE.) accent was supposedly .musical' rather than ,dynamic', few if any languages show stress patterns where the accent is exclusively musical or dynamic: although one element or the other may be dominant, stress is almost always both musical and dynamic. It seems more probable that VL. was sensitive to stress, i.e. to the musical-dynamic accent, than to pitch alone."

Die Auffassung, daß eine strikte Trennung von musikalischem und dynamischen Akzent nicht sinnvoll ist, teilen auch van Coetsem/Hendricks/McCormick (1981: 297), die im übrigen - wie Ladefoged (19933) - die Tonhöhe als primäres phonetisches Korrelat des Akzents betrachten, zu dem Dauer und Intensität hinzukommen können. Diese Befunde aus Intonationssprachen legen es nahe, für die phonetische Interpretation des Vernerschen Wandels nach einem Kompromiß zwischen der Erklärung mit Hilfe des exspiratorischen vs. musikalischen Akzentes zu suchen. Meines Erachtens ermöglichen die Merkmale [slack vocal cords] und [stiff vocal cords] eine Lösung, die von einer Kopplung von Tonhöhe und Intensität ausgeht. Stevens (1977: 270-272) führt die Steifheit („stiffness") oder Schlaffheit („slackness") der Stimmbänder auf die Aktivität verschiedener Kehlkopfmuskeln, z.B. des musculus vocalis oder des Ringknorpelmuskels, zurück. Er betrachtet allerdings nur die Wirkung dieser Muskelaktivität auf den Stimmton bei Obstruenten und die Tonhöhe bei Vokalen. Die Aktivität der Kehlkopfmuskeln hat aber auch Auswirkungen auf die Lautstärke, wie u.a. Ladefoged (19933: 250) bestätigt. Hauptverantwortlich für die Intensität ist allerdings die Rippenmuskulatur, die den subglottalen Luftdruck steuert (vgl. Lehiste 1970 und 1976). Gemeinsames Kennzeichen des musikalischen und exspiratorischen Akzentes ist offensichtlich nicht eine isolierte artikulatorische Eigenschaft, sondern ein allgemein 35

Unter „Intonationssprachen" verstehe ich Sprachen, in denen Tonhöhenunterschiede nur auf Satzebene eine distinktive Funktion erfüllen und im Gegensatz zu Tonsprachen nicht zur Unterscheidung lexikalischer Einheiten verwendet werden. Der Terminus impliziert natürlich nicht, daß umgekehrt in Tonsprachen Tonhöhendifferenzen im Satz keine Rolle spielen.

38 erhöhter Energieaufwand bei der Lautproduktion, der sich in der Aktivität verschiedener Muskeln zeigt. Zur Formulierung des Vernerschen Gesetzes ist das Merkmal [slack vocal cords] folglich nur dann geeignet, wenn es nicht mit einem einzigen phonetischen Parameter korreliert, sondern mit einem ganzen Bündel. Letzteres ist ein allgemeines Kennzeichen der meisten phonologischen Merkmale, z.B. auch des Paares ,fortis-lenis'. Dieses wird ebenfalls zur Klassifikation von Obstruenten - als Alternative zur Stimmtonopposition - verwendet, vor allem für das heutige Standarddeutsch. Die Charakterisierung des Merkmalpaars ,fortis - lenis' ähnelt der oben für die Eigenschaften [+slack v.c.] und [+stiff v.c.] gegebenen sehr stark; die gleichen phonetischen Korrelate sind relevant: Luftdruck, Muskelspannung und Stimmton (vgl. Ezawa 1972, Kohler/Künzel 1978 und Ramers/Vater 19954: 91-93).36 Letzterer ist sowohl bei Lenisobstruenten als auch bei solchen mit dem Merkmal [+slack v.c.] nur potentiell vorhanden.37 Die Tendenz zur Verstimmhaftung scheint von der Position abhängig: Intervokalisch ist sie stark ausgeprägt (vgl. z.B. die zahlreichen Belege in Knetschke/Sperlbaum 1987), in wortfinaler Position dagegen ist die umgekehrte Tendenz zur Entstimmlichung beobachtbar,38 wofür die Auslautverhärtung im Deutschen nur ein Beispiel unter vielen ist. Außerdem kann die Verstimmhaftung in bestimmten Dialekten auch ganz unterbleiben, was für das Oberdeutsche gilt. Mit anderen Worten, VG ist nicht als Sonorisierungsprozeß, sondern als Lenisierung (bzw. Slackening) zu interpretieren, die nur potentiell eine Verstimmhaftung zur Folge hat. Im Sinne von Lenisierung versteht auch Griffen (1993: 480) im Rahmen eines dynamischen Artikulationsmodells VG als plausiblen phonetischen Prozeß. Wenn auch, wie obige Diskussion gezeigt hat, die Charakterisierung der Merkmalpaare ,fortis - lenis' und ,stiff - slack vocal cords' viele gemeinsame Züge aufvveist, bleibe ich doch bei letzteren Termini, da sie nicht nur zur Klassifikation von Obstruenten, sondern auch zur Differenzierung von akzentuierten vs. nicht-akzentuierten Vokalen brauchbar sind.39 36

37

38

39

Iverson/Salmons (1995) verwenden statt ,fortis - lenis' das laryngale Merkmal [spread glottis] (.gespreizte Glottis') zur Klassifikation der Obstruenten im Deutschen und anderen germanischen Sprachen (außer Holländisch). Sie erläutern ausfuhrlich den phonetischen Zusammenhang zwischen Aspiration, Muskelspannung und Akzent. Das Merkmal [spread glottis] ist allerdings anders als das Paar ,[slack vocal cords] - [stiff vocal cords]' - nicht geeignet zur Charakterisierung von Tonhöhenunterschieden zwischen Vokalen, da diese (außer beim Flüstern) generell nicht mit gespreizter (offener) Glottis produzierbar sind. Deshalb bleibe ich bei der oben vorgeschlagenen Analyse. Stevens' (1977: 272) Interpretation des Merkmals [+slack vocal cords] impliziert nicht, daß die entsprechenden Obstruenten tatsächlich [+voice], d.h. mit vibrierenden Stimmbändern, realisiert werden. Er spricht lediglich von „facilitation" - und bei [+stiff vocal cords] von „inhibition" - des Stimmtons. Daher hatte VG im Wortauslaut aller Wahrscheinlichkeit nach keine Verstimmhaftung zur Folge, sondern nur eine Lenisierung bzw. ein Slackening'; d.h., idg. * áyos wurde zu germ. * áyaz, nicht * áyaz (vgl. oben 15). Als Alternative bietet sich der Ausdruck .gespannt' an, der u.a. von Jakobson/Halle (1963) und Chomsky/Halle (1968: 324-326) in diesem Sinne für Obstruenten verwendet wird. Das Merkmal [gespannt] wird auch zur Differenzierung von Vokalen benutzt, aber nicht - wie im hier diskutierten Zusammenhang sinnvoll - in der Bedeutung .akzentuierter Vokal' (vgl. Ramers 1988: 124-131).

39 Im folgenden bleibt darzustellen, wie die gegebene Interpretation des Vernerschen Gesetzes als Merkmalsausbreitung zu repräsentieren und in den Rahmen eines hierarchischen Aufbaus der prosodischen Akzentstruktur zu integrieren ist.

2.5

Verners Gesetz als Merkmalausbreitung im Rahmen der prosodischen Hierarchie

2.5.1 VG als Merkmalausbreitung Interpretiert man VG, wie im vorigen Abschnitt begründet, als Ausbreitung des Merkmals [slack vocal cords], so ist folgende Repräsentation dieses Prozesses möglich: (29) W [+son]

W [-son]

LAR

, LAR

*

[+slack V.C.]

[-slack v.c.]

Diese Regel hat die gleiche Struktur wie (19), das Merkmal [sth] wurde lediglich durch [slack v.c.] ersetzt. Die Veränderung des Stimmtons beim Obstruenten bildet in dieser Analyse nicht mehr den eigentlichen Vernerschen Wechsel, sondern nur noch eine mögliche Folge der Alternation. Ohne Verstimmhaftung entstände nach Anwendung von Regel (29) folgende Repräsentation des Obstruenten: (30) W [-son]

LAR

[+slack v.c.]

[-sth]

Diese Konstellation ist zwar möglich (vgl. die Diskussion in 2.4.2), aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen schlaffen Stimmbändern und Stimmbandschwingungen bei der Produktion von Obstruenten (vgl. Stevens 1977) besteht aber, vor allem in intervokalischer Position, die Tendenz zur Verstimmhaftung im Gefolge der Regel (29). Das Ausbleiben des Stimmtonwechsels nach akzentuierten Vokalen folgt indirekt ebenfalls aus (29). Diese sind [-slack v.c.] und werden folglich von der Regel überhaupt nicht erfaßt. Somit entsteht auch nicht die Konfiguration (30) als Auslöser für die Verstimmhaftung.

40 2.5.2 Verners Gesetz und prosodische Wortstruktur Die Repräsentation von VG als Spreading (vgl. 29) ist noch unvollständig, da eine Integration in die höhere prosodische Struktur fehlt. Diese ist aber gerade zur vollständigen Beschreibung unerläßlich, da der Vernersche Wandel die Ausbreitung eines laiyngalen Merkmals [+slack v.c.] unter prosodischen Bedingungen ist. Im folgenden versuche ich daher, VG als domänenspezifischen Prozeß im Rahmen der in Kap. 1.1 erläuterten prosodischen Hierarchie zu beschreiben. Für die Übergangsperiode vom Indogermanischen zu den germanischen Einzelsprachen sind zwei verschiedene Akzentsysteme denkbar: (a) Wörter enthalten nur eine Hauptakzentsilbe und daneben völlig unbetonte Silben. (b) Außer der Hauptakzentsilbe sind auch Nebenakzente möglich. d'Alquen (1988) favorisiert die zweite Möglichkeit, u.a. gestützt auf die in Notkers Handschriften verwendeten Akzentzeichen, z.B. in Formen wie habest, tugedîg, rédolîh etc. mit Zirkumflex auf dem Suffix, für d'Alquen ein Hinweis auf Sekundärakzent.40 Dresher/Lahiri (1991: 259f.) stützen d'Alquens Auffassung mit Daten aus dem Altenglischen. Sie nehmen beispielsweise in Wörtern wie épèrne (,other, acc.sg.masc.') und aspelinges (,prince, gen. sg.') Sekundärakzente an. Von Nebentönen geht auch Bennett (1972: 102-105) für Komposita wie ahd. gròbe-hùs (,Grabstätte') und Quasikomposita41 wie ahd. mihilnèssi (.Majestät') aus. Über Nebenakzente im Indogermanischen und Urgermanischen ist allerdings aufgrund der Datenlage recht wenig bekannt, so daß entsprechende Überlegungen noch nicht beweiskräftig sind. Daher betrachte ich im folgenden beide Alternativen, auch wenn die Möglichkeit (b) die wahrscheinlichere ist, und formuliere dementsprechend zwei Varianten des VG im metrischen Rahmen. In Variante (a) genügt die Annahme eines Fußes pro phonologischem Wort, da Nebenakzente entfallen. (31)a und b zeigen die entsprechende metrische Struktur fur die Wörter *fapár und *brojiar vor Anwendung des VG (zur Darstellung vgl. Kap. 1, (16):

40

41

d'Alquen stützt seine Auffassung u.a auf Arbeiten von Fleischer (1882), Roethe (1919) und Lloyd (1961) zu Notkers Akzentzeichen. Übrigens geht auch Hirt (1929: 108f.) von Nebenakzenten für das Indogermanische und Germanische aus. Unter Quasikomposita verstehen van Coetsem/Kufner (1972: 104) komplexe Wortformen, die wie Komposita akzentuiert werden.

41 (31)a.42

/

ω

\

CTw

(Js

fa

Jjar

Δ

Δ

Wie oben in 2.2.1 begründet, steht der von VG affizierte Obstruent in den Beispielwörtern im Onset der 2. Silbe, und nicht, wie Verner (1877) annahm, in der Koda der 1. Folglich muß VG als silbenübergreifender Prozeß beschrieben werden, d.h., der Fuß bildet die relevante Domäne. Der Unterschied in den beiden Fußstrukturen liegt nun darin, daß in (31a) eine schwache Silbe im Fuß dem Obstruenten vorangeht (VG ist wirksam), während es in (31b) eine starke Silbe ist (VG ist nicht wirksam). Der relevante Kontext für die Anwendung von VG ist aber nicht in jedem Fall vorangehende schwache Silbe', wie die folgenden Beispiele zeigen: (32) *áyos •uúlfas

> >

*áyas > *áyaz ,Bronze' (vgl. (15)) *uúlfaz ,Wolf o

"

In diesen Wörtern wird /s/ zu /ζ/ nach einem Vokal der gleichen schwachen Silbe; d.h., in diesem Fall appliziert VG silbenintern. Die Kontexte in (31a) und (32) haben aber eines gemeinsam: Die Obstruenten stehen nach einem Sonorlaut (Vokal oder Sonorant43) im Reim einer schwachen Silbe. Dieser Kontextangabe entspricht folgende metrische Repräsentation: (33)

CTw

R [44 W[+son] 42

43

44

Für (31 a) besteht die Alternative, keinen jambischen Fuß der Struktur [σ„ o j z anzunehmen, sondern zwei Füße, deren erster nur aus einer schwachen Silbe besteht; die Möglichkeit solcher „degenerierten" Füße erwägen z.B. Selkirk (1980: 583) und Hayes (1991: 75f.). Mir ist nicht klar, ob die Annahme eines „degenerierten" ersten Fußes in Fällen wie *fapdr gerechtfertigt ist. Der letztere Fall gilt z.B. für urgerm. *xwidä aus idg. *ítrntóm (.hundert'), wo der lenisierte Obstruent einem Nasal folgt. Der Doppelpunkt zeigt an, daß die zwischen Reimkonstituente und Wurzelknoten liegenden Konstituentenknoten (Nukleus, Koda, X-Position) weggelassen sind, da ihre spezielle Form für den Kontext von VG irrelevant ist. Entscheidend ist allein, daß der Frikativ dem letzten sonoranten Wurzelknoten im Reim unmittelbar folgt.

42 Aufgrund der Analyse in 2.5.1 gehe ich davon aus, daß diese Struktur nicht als Kontext für die Regelformulierung des VG selbst fungiert, weil für diese die Angabe eines vorangehenden Sonorlauts mit dem Merkmal [+slack v.c.] - das sich auf den folgenden Obstruenten ausbreitet - genügt (vgl. oben Regel (29)). Das Auftreten dieses Merkmalwerts unter der Kontextbedingung (33) kann als positive Wohlgeformtheitsbedingung45 folgendermaßen dargestellt werden: (34)

Σ

CTw

R

W[+son]

LAR

[+slack v.c.] Für die Variante (b), in der auch Nebenakzente Berücksichtigung finden, ist entsprechend folgende Analyse möglich: Eine Veränderung der Regel für VG selbst ist wiederum nicht erforderlich (vgl. (29)), sondern nur eine Modifizierung der prosodischen Konfiguration (34), in die das Merkmal [+slack v.c.]. eingebettet ist. In (31) ist die metrische Struktur phonologischer Wörter ohne Nebenakzent dargestellt. Welche Änderungen ergeben sich für die Repräsentation, wenn ein Sekundärakzent hinzukommt? Nehmen wir an, daß fapár bereits im Urgermanischen einen Nebenakzent auf der ersten Silbe besaß (also *fapär), der dann in der weiteren Entwicklung zum Hauptakzent wurde.47 Dann ist (3 l)a in folgender Weise zu modifizieren.:

45 46

47

Zu Bedingungen dieser Art vgl. Itô (1986) und (1989). Eine Art komplementäre Wohlgeformtheitsbedingung, die im Reim einer starken Silbe im Fuß nur Sonorlaute mit dem Merkmalswert [-slack v.c.] zuläßt, ist nach dem gleichen Muster formulierbar. Bessere Beispiele sind vielleicht dreisilbige Wörter wie *xòfumé > *xôôumé (.hoben') oder *kùsanà > *kùzanâ, da in diesen Fällen die Wahrscheinlichkeit höher ist, daß die 1. Silbe einen Nebenakzent erhält. Die Kontextbedingung für VG ändert sich dadurch allerdings nicht, so daß ich, um die Strukturen direkt vergleichen zu können, auf das Beispiel *fàpàr zurückgegriffen habe.

43

fa

f>ar

Die Domäne für VG bildet nach dieser Variante nicht mehr der Fuß, sondern das phonologische Wort. Als Kontextangabe für das Auftreten von [+slack v.c.] (vgl. 34) ergibt sich folglich ,Sonorlaut im Reim einer Silbe eines schwachen Fußes'. Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Daneben muß auch weiterhin eine prosodische Struktur wie (34), schwache Silbe in starkem Fuß, berücksichtigt werden, da man auch bei Annahme von Sekundärakzenten nicht davon ausgehen kann, daß alle Wörter oder gar alle Silben solche Nebenakzente besaßen. Wie können nun beide Kontexte, schwache Silbe oder schwacher Fuß, zusammengefaßt werden? Dazu betrachte ich zunächst den komplementären Kontext, in dem VG nicht wirksam wird, z.B. *~brö[)ar (vgl. oben 3 lb), allerdings jetzt in einer Variante mit Nebenakzent, also *brojjàr \ (36)

ω

brö

Jjar

Die Strukturen in (36) und (31)b haben eines gemeinsam: Dem von VG erfaßten Obstruenten φ / geht ein Vokal voran - hier löl - , der nur von starken Knoten in der metrischen Struktur (,o s 'oder ,cs und E s ') dominiert wird. Das heißt umgekehrt, daß im komplementären Kontext, in dem der Vokal das Merkmal [+slack v.c.] trägt, mindestens ein w-Element in der prosodischen Struktur des phonologischen Wortes steht, entweder eine schwache Silbe oder ein schwacher Fuß (oder auch beides). Diese Wohlgeformtheitsbedingung für [+slack v.c.] kann folgendermaßen formalisiert werden (vgl. oben (34)):

44 (37)

Xw

I R

I

W[+son]

LAR

[+slack V.C.]

Bedingung: X = σ oder Χ = Σ

„X w " steht in der Struktur (37) für eine schwache Silbe oder einen schwachen Fuß.48 Die Punkte deuten wiederum an, daß die dazwischen liegenden Knoten in der prosodischen Hierarchie von beliebiger Anzahl oder Art sein können, ohne daß dies für die Bedingung selbst relevant wäre. Unter der prosodischen Bedingung (37) wird dann das Merkmal [+slack V.C.] auf den folgenden Frikativ ausgebreitet (vgl. Regel (29)). Schließlich entsteht als Folge der Ausbreitung die Struktur (30), welche im Falle einer zusätzliche Verstimmhaftung des Obstruenten durch Delinking (Tilgung einer Assoziationslinie) des Merkmals [-sth] und Zuweisung des Wertes [+sth] umgewandelt werden kann (vgl. (38)): (38)

W [-son]

Verners Gesetz wird in meiner Analyse somit in drei Teilschritte aufgespalten: (a) Wohlgeformtheitsbedingung für das Auftreten des Merkmals [+slack v.c.] bei Sonoranten (vgl. 37). Dies ist die prosodische Bedingung des VG. (b) Ausbreitung dieses Merkmals auf den folgenden Obstruenten (Regel 29). Diese progressive Assimilation betrachte ich als den eigentlichen Kern des Vernerschen Wandels. (c) Die Verstimmhaftung eines Obstruenten mit dem Merkmal [+slack v.c.] als mögliche Folge der Assimilation (vgl. Regel 38). 48

Zieht man zusätzlich Komposita für die Analyse mit heran, so kann die entsprechende Bedingung auch auf das phonologische Wort selbst ausgedehnt werden. In diesem Fall wäre dieses dann nicht mehr die relevante Domäne für V G , sondern eine höhere prosodische Kategorie, z.B. die phonologische Phrase (0) oder die klitische Gruppe (C) (vgl. Nespor/Vogel 1986: 16).

45 Der Schritt (c) ist fakultativ und von der Position des Obstruenten im Wort oder dem jeweiligen Dialekt abhängig (vgl. 2.4.2). Die hier gegebene Darstellung des Vemerschen Gesetzes stellt den Versuch einer adäquaten Repräsentation einer segmentalen Veränderung (Lenisierung/Slackening) unter prosodischen Bedingungen (vorangehender Schwach- oder Nebenton) dar.

2.6 Zusammenfassung Karl Verner entdeckte im Jahre 1877 als erster in einem berühmt gewordenen Aufsatz den Akzent des Indogermanischen als Kontextbedingung für das Stimmhaftwerden von Obstruenten im Urgermanischen. Dieses Vernersche Gesetz gab Anlaß für eine über hundertjährige Forschungsdiskussion (vgl. Rooth 1974 und Collinge 1985). Meine Analyse reiht sich in diese Tradition ein und unternimmt den Versuch einer Formulierung und Neuinterpretation des Gesetzes im Rahmen neuerer nichtlinearer Modelle der phonologischen Repräsentation, wie ich sie in Kap. 1 vorgestellt habe. Zunächst habe ich gezeigt, daß der Vernersche Wandel eine progressive Assimilation darstellt; d.h., bedingender Faktor ist der vorangehende, nicht der folgende Lautkontext. Als assimilierte Eigenschaft wurde nicht der Stimmten selbst, sondern das von Halle/Stevens (1971) eingeführte Merkmal [+slack vocal cords] gewählt, weil es stimmlose Obstruenten und akzentuierte Vokale sowie stimmhafte Obstruenten und unbetonte Vokale verbindet. Als zugrundeliegendes Akzentsystem zur Zeit des VG wurde eine Mischform aus musikalischem und dynamischem Akzent vorgeschlagen, wie sie sich z.B. auch im Satzakzentsystem des heutigen Deutsch zeigt. Die prosodische Bedingung des VG - nach nicht-hauptakzentuiertem Sonorlaut - wurde abschließend in einem metrischen Strukturmodell formuliert. Gerade in diesem letzten Punkt zeigt sich die Überlegenheit nicht-linearer phonologischer Ansätze gegenüber traditionellen, rein segmentalen Modellen. Letztere erlaubten keine formale Repräsentation prosodischer Faktoren des VG; diese wurden immer nur informell einer die segmentale Veränderung beschreibenden Regel hinzugefügt. Die nichtlineare Phonologie liefert somit einen geeigneten Beschreibungsapparat zur Erfassung von prosodisch bedingten Veränderungen der Lautstruktur wie Verners Gesetz. Im folgenden Kapitel untersuche ich eine prosodische Veränderung selbst, die mittelenglische Längung, und versuche, sie im Rahmen eines nichtlinearen Modells zu interpretieren.

3. Mittelenglische Längung in offener Silbe (MEOSL)

3.0 Einleitende Bemerkungen Eines der im Rahmen nichtlinearer phonologischer Modelle bereits intensiv analysierten Phänomene bildet die Vokallängung in offener Silbe im Mittelenglischen, die sogenannte „Middle English Open Syllable Lengthening (MEOSL)".1 Diese zählt zu den weit verbreiteten kompensatorischen Längungsphänomenen (vgl. de Chene/Anderson 1979, Ingria 1980, Hock 1986, Wetzels/Sezer 1986 und Hayes 1989), welche die Adäquatheit einer nichtlinearen Repräsentation von Quantitätsstrukturen zeigen. MEOSL eignet sich insbesondere als Testfall für die Brauchbarkeit konkurrierender Repräsentationsmodelle, da schon eine gut zehnjährige kontroverse Forschungsdiskussion besteht. Die Vokallängung trat im Mittelenglischen etwa zwischen dem 12. und 14. Jh. ein (zu Datierung vgl. die Diskussion in Dobson 1963: 132-135 und Ritt 1994: 5) und erfaßte betonte, nicht-hohe Vokale in offenen Initialsilben zweisilbiger Wörter (vgl. Minkova 1982:29), z.B. in folgenden Beispielen:2 (1)

Old English

Middle English

Modern English

bedu bera hosa smoca nama talu

bede bere hose smoke name tale

bead3 bear hose smoke name tale

Die Formen des Modern English (im folgenden ,,ModE."abgekürzt) im Korpus sind alle einsilbig. Längungen in Wörtern aus dem Mittenglischen (im folgenden „Me."), die auch im ModE. aus zwei Silben bestehen, sind dagegen selten. Kim (1993: 270) vergleicht auf der Grundlage eines Korpus von 369 Wörtern aus dem Me. ein- und zweisilbige Formen des ModE. und stellt fest, daß Einsilbler des heutigen Englisch zu 90,5% 1

2

3

Zur MEOSL vgl. Luick (1907), Jespersen (1909), Bliss (1952/53), Dobson (1963),Malsch/Fulcher (1975), Grundt (1976), Minkova (1982), (1985) und (1991), Lass (1985), Hayes (1989), Auer (1992), Noske (1993), Kim (1993) und Ritt (1994). Die Beispiele stammen von Minkova (1982), die ein umfangreiches Korpus von 326 Wörtern zusammengestellt hat; vgl. auch die Liste in Ritt (1994: 12). Die Tatsache, daß die Form im Modern English - entgegen der obigen Beschreibung des Prozesses einen hohen Langvokal zeigt, erklärt sich, wie auch zahlreiche andere Fälle dieser Art, aus der sogenannten ,Great Vowel Shift', die zeitlich nach der Vokallängung (ca. 15 Jh.; vgl. Jespersen 1909 und Chomsky/Halle 1968, Chap. 6) erfolgte und die markanteste Veränderung des Vokalsystems vom Mittelenglischen zum modernen Englisch darstellt.

48 gedehnten Vokal aufweisen, während dies nur für 15,2 % der Zweisilbler gilt.4 Daß die mittelenglische Längung nicht einfach als Vokaldehnung in offener Silbe zu beschreiben ist, belegen die zahlreichen Fälle, in denen in diesem Kontext keine Längung stattgefunden hat (vgl das Korpus in Minkova 1982: 33-40). So zeigen z.B. Wörter mit dem Suffix -ig im Altenglischen (im folgenden „Oe.") keine Quantitätsänderung des Vokals; vgl. oe. hefig > heavy, cearig > chary und popig > poppy. Die Längimg ist offensichtlich an ein Schwa der Folgesilbe gekoppelt, das im Me. ausgefallen ist. Minkova (1982) nimmt deshalb eine enge Kopplung der Prozesse Vokaldehnung und Schwa-Ausfall an. Zusammen ergeben sie Veränderungen wie in (2): (2) [tab]



[ta:l]

[nama]



[na:m]

Minkova (1982: 43-47 ; vgl auch 1991: Kap. 6) versucht nachzuweisen, daß beide Prozesse quasi simultan stattgefunden haben müssen, ohne feststellbare chronologische Reihenfolge (vgl. dazu auch Lass 1985: 246). Kim (1993: 268f.) dagegen hält die Chronologie ,Längung vor Schwa-Tilgung' für korrekt. Beide stützen sich auf Evidenzen aus literarischen Quellen. Kim (1993: 271 f.) nimmt zwar keine Simultanität von Schwa-Tilung und Längung an, geht aber von einer Verknüpfung zwischen Vokalreduktion zu Schwa und Vokaldehnung aus (so auch Grundt 1976: 41). Diese Streitfrage zur Chronologie lasse ich hier offen, werde aber weiter unten den Versuch machen, auch für Kims (1993) Ansatz eine adäquate Beschreibung im prosodischen Rahmen zu liefern. Zunächst stütze ich mich allerdings auf Minkovas (1982) Annahmen. Im segmentalen SPE-Rahmen sind folgende Regelformulierungen für beide Prozesse möglich: (3) Vokallängung:

V .-hoch,

-•[+lang]/

V _ C * -akz # (vgl. Lass 1984: 105f.)

(4) Schwa-Ausfall:

V -akz.

">

0

Diese beiden Regeln lassen - mit Ausnahme der Wortgrenze im Kontext - keinerlei Gemeinsamkeiten erkennen. Sie sind auch nicht zu einer Regel komprimierbar, die beide Vorgänge als quasi simultanen Prozeß repräsentieren könnte. Zudem erfordern die Formulierungen, daß (3) vor (4) angewendet wird, da im umgekehrten Fall vollständiges ,Bleeding' vorläge, d.h. alle Kontexte für die Anwendung von (3) durch (4) beseitigt wären.

4

5

Zweisilbige Formen mit Längung sind z.B. me. efen > mode, even, cradel > cradle, hasel > hazel und mapel > maple. Auf eine Ausbuchstabierung der übrigen distinktiven Merkmale für das Schwa habe ich verzichtet, so daß die Regeln nur zum Teil formalisiert sind. Zu einer genaueren Regelformulierung vgl. Lass (1984: 105).

49 Erforderlich ist folglich eine prosodische Repräsentation, die Längung und SchwaTilgung als einheitlichen Prozeß beschreibbar macht und zugleich eine Erklärung für den Zusammenhang beider Teilvorgänge liefert. Als mögliche nichtlineare Beschreibungen liegen in der Hauptsache zwei Varianten vor, eine Repräsentation im Rahmen des Morenmodells der Silbe (Hayes 1989, in Anlehnung an Hock 1986) und eine im Rahmen des Konstituentenmodells unter Berücksichtigung einer übergeordneten Fußstruktur (Noske 1993). Ich werde zunächst beide Ansätze kurz skizzieren und vergleichen, um dann auf dieser Grundlage einen eigenen, modifizierten Analysevorschlag zu unterbreiten.

3.1

Prosodische Repräsentation von MEOSL

3.1.1

MEOSL als kompensatorische Längung im Morenmodell

3.1.1.0 Das Morenmodell der Silbe In Kap. 1 habe ich das Konstituentenmodell der Silbe vorgestellt. Als Alternative dazu bietet sich das Morenmodell6 an, das u.a. durch die Arbeiten von Hock (1986) und Hayes (1989) über kompensatorische Längungsphänomene zu neuen Ehren gelangt ist. Diese Autoren zeigen anhand einer Reihe von Beispielen aus verschiedenen Sprachen, daß das Morenmodell zur Beschreibung solcher Kompensationsphänomene gut geeignet ist. Es wird zu prüfen sein, ob diese Auffassung für die Analyse von MEOSL gültig ist. In (5) habe ich Beispiele für moraische Silbenstrukturen (nach Hayes 1989: 254) aufgeführt:

t

a

t

a

t

a

t

Wichtiges Kennzeichen dieses Modells ist, daß es das Silbengewicht - das u.a. für die Akzentsetzung relevant sein kann - direkt zum Ausdruck bringt: Vokalische Nuklei bilden immer Moren, Konsonanten in der Silbenkoda nur in bestimmten Sprachen, Konsonanten im Onset dagegen nie (vgl. dazu Hyman 1985).7 6

7

Einen Überblick über die historische Entwicklung des Morenkonzepts und die verschiedenen Phänomenbereiche, in denen es zur Anwendung gelangt, gibt Auer (1992). Eine bahnbrechende neuere Arbeit zur More ist neben Hayes (1989) auch Hyman (1985). In Kap. 1 habe ich gezeigt, daß die Repräsentation des Silbengewichts auch im Konstituentenmodell - mit Bezug auf die Konstituente ,Reim' - problemlos möglich ist.

50 Im Morenmodell wird die kompensatorische Längung als Mechanismus zur Beibehaltung der Morenzahl bei Tilgung eines ,moraischen' Segmentes gedeutet und beschrieben. Hayes (1989: 260-263) demonstriert dieses Verfahren anhand eines lateinischen Beispiels. Im Lateinischen wurde ein /s/ vor den anterioren Sonoranten IV, Imi und /n/ getilgt,8 wobei diese Tilgung nur dann zu einer Längung des benachbarten Vokals führte, wenn Isl in der Silbenkoda (6a), nicht jedoch, wenn es im Onset stand (6b):9 (6)

b.

*kasnus *kosmis *fídeslia

ka:nus ko:mis fide:lia

,grau' ,freundlich' ,Topf

*smereo: *snurus *slu:brikus

mereo: nurus lu:brikus

,ich verdiene' , Schwiegertochter' , schlüpfrig'

Die Tilgung und anschließende Längimg im Beispiel ,[kasnus] —> [ka:nus]' repräsentiert Hayes (1989: 262) folgendermaßen:

k

a

s

n

u

s

k

a

n

u

s

k

a n

us

Der mit der Morenschicht assoziierte Konsonant Isl auf der Segmentschicht wird getilgt, wobei die More erhalten bleibt. Im zweiten Schritt wird diese More mit dem Vokal /a/ reassoziiert. Die resultierende Struktur enthält jetzt einen mit zwei Moren verbundenen Vokal der Segmentschicht; dies ist im Morenmodell die Repräsentation eines Langvokals. Aus der Ableitung in (7) geht indirekt hervor, warum bei Tilgung eines Isl im Silbenonset (6b) keine kompensatorische Längung erfolgt: Isl ist in diesen Fällen nicht mit einer More assoziiert und folglich ist auch keine More frei für eine Reassoziierung mit einem Vokal (vgl. Hayes 1989: 263). In analoger Weise versucht Hayes, auch die MEOSL als kompensatorische Längung im Morenmodell zu beschreiben. Im folgenden wende ich mich dieser Analyse zu.

8

9

Nach Ingria (1980: 472) wird Isl - über eine Zwischenstufe mit sth. ITJ - auch vor Idi getilgt; vgl. sisdo: > si:do:. Das Sternchen „*" in den Formen der linken Spalte bezeichnet keine ungrammatische, sondern eine rekonstruierte Form (vgl. auch unten Beispiel (10)).

51 3.1.1.1

MEOSL in Hayes (1989)

3.1.1.1.1 Repräsentation der mittelenglischen Längung Die Beschreibung der MEOSL in Hayes' moraischer Theorie ist komplexer als die Darstellung des entsprechenden Prozesses im Lateinischen (vgl. (7)), da das getilgte Segment - in diesem Fall der Schwavokal - und der gelängte Vokal der ersten Silbe nicht unmittelbar nebeneinander stehen, sondern durch einen Konsonanten getrennt sind. Während für die Ableitung von [ka:nus] aus [kasnus] nur 2 Schritte erforderlich sind, benötigt Hayes (1989: 268f.) zur Derivation der Form [ta:l] aus [tab] insgesamt vier: Input

t

a

3 Schwa Tilgung

h

t

a

c.

σ

Parasitisches Delinking

μ t

a j

t

Kompensatorische Längung

a Resilbifizierung von IV

Zunächst wird der Ausfall von Schwa auf der Segmentschicht repräsentiert (8b); die mit dem Vokal assoziierte More bleibt dagegen nach Hayes' Analyse erhalten. Er formuliert zum Ausdruck dieser moraischen Konservierung ein eigenes Prinzip, nach dem

52 kompensatorische Längungsprozesse die Zahl der Moren unverändert lassen (1989: 285). Die Schwa-Tilgung führt aber zum Ausfall der zweiten Silbe (8c), da ihr Nukleusvokal weggefallen ist. Hayes (1989: 268) stellt hierfür das Prinzip des „Parasitic Delinking" auf: (9)

„ Syllable structure is deleted when the syllable contains no overt nuclear segment."

Wiederum bleibt trotz Tilgung des Silbenknotens die 2. More erhalten. Naheliegend wäre jetzt als nächster Schritt die Assoziierung des freischwebenden (.floating') Segments/1/ mit der ebenfalls freien More. Nach Hayes (1989: 269) wird dies jedoch durch Ito's (1986) 10 Maximalitätsprinzip verhindert, wonach eine maximale prosodische Struktur errichtet wird; in diesem konkreten Fall ist aber die moraische Struktur nur maximal, wenn sowohl der Vokal /a/ als auch das IV mit der zweiten More assoziiert sind. Geht man umgekehrt vor und assoziiert erst /l/, dann besteht keine Motivation mehr für die Ausbreitung von lai auf die More (als Repräsentation der kompensatorischen Längung). Die Reihenfolge (8e) vor (8d) würde zudem die - in den meisten Fällen falsche (vgl. Hayes 1989: 269) - Voraussage machen, daß Vokale im Mittelenglischen auch in geschlossener Silbe gelängt werden. 11 Deshalb wird in (8d) zunächst die Längung des Vokals als Ausbreitung von lai auf die zweite More repräsentiert; gleichzeitig wird diese More wiederum mit dem ersten Silbenknoten verbunden. Schließlich wird in (8e) das noch freischwebende IM mit der Morenschicht assoziiert und damit indirekt auch mit der Silbenschicht. Hayes' (1989) Analyse bietet zunächst folgende Vorteile: MEOSL wird nicht als singulärer Prozeß des Mittelenglischen beschrieben, sondern reiht sich ein in eine Vielzahl vergleichbarer kompensatorischer Längungen als Folge von Vokaltilgung in anderen Sprachen (vgl. Hock 1986, Wetzels/Sezer (eds.) 1986 und Hayes 1989: 280). (b) Nicht vorkommende kompensatorische Längungen (vgl. (6b)) sind im Morenmodell nicht beschreibbar, d.h., die Theorie ist restriktiv genug. (c) Ein anderer Längungstyp im Mittelenglischen, der durch Bildung eines Glides /j/ aus einem hohen Iii ausgelöst wird, ist mit dem gleichen Mechanismus wie MEOSL darstellbar. Die Punkte (b) und (c) werden im folgenden näher ausgeführt. (a)

10

11

Noske (1993: 55) weist darauf hin, daß nicht Itô (1986), sondern Itô (1989: 219) das Maximalitätsprinzip postuliert. Die weitgehend fehlende Längung in geschlossener Silbe ist ein Grund, die Wirksamkeit des Maximalitätsprinzips für MEOSL in Frage zu stellen, wie Noskes (1993: 55f.) Argumentation zeigt. Da Langvokale im System des Mittelenglischen auch in geschlossener Silbe zugelassen sind, müßte das Prinzip die maximal mögliche Assoziation mit der Morenschicht, d.h. die Längung erzwingen.

53 3.1.1.1.2 Ausschluß nicht-existierender Längungen Bei der Untersuchung kompensatorischer Längungsphänomene stößt man auf zwei Asymmetrien. Die erste betrifft die Tilgung eines Konsonanten im Onset, welche keine Längung des folgenden Vokals auslösen kann. Die Beispiele in (6b) aus dem Lateinischen machen diese Restriktion deutlich; der Ausfall des initialen /s/ bewirkt keine Dehnung des folgenden Vokals, so daß die hypothetischen Veränderungen in (10) ausgeschlossen sind: (10)

*smereo: *snurus

• •

me:reo: nu:rus

Die Unmöglichkeit der Prozesse in (10) ergibt sich im Morenmodell automatisch, wie eine Analyse der /s/-Tilgung im Beispiel *snurus verdeutlicht (vgl. auch Hayes 1989: 285):

Da der Onsetkonsonant /s/ nicht mit einer More assoziiert ist, wird auch nach dessen Tilgung auf der Segmentschicht keine moraische Position für die Reassoziierung mit dem Vokal /u/ frei. Die Morenstruktur bleibt vielmehr völlig unverändert. Hayes (1989: 284) zeigt, u.a. anhand des fiktiven Beispiels sa > a:, daß diese Restriktion für kompensatorische Längungen in einem anderen Silbenmodell, der sogenannten X-Theorie (vgl. Levin 1985), nicht ohne zusätzliche Stipulation repräsentierbar ist: (12) a.

σ

Ο

Ν Eingabeform: /sa/

#

Χ

Χ

s

a

b.

σ

Ο

Ν [s]

Χ



O

Χ

#

a

c.

σ

Ν

/I Χ\ #

Kompensatorische Längung Ausgabeform: [a:]

Χ \

\

\

\

\

\

' a

Hayes (1989: 284) behauptet, daß die Ausbreitung von /a/ auf die freiwerdende XPosition - als Repräsentation der Längung - durch dieses Silbenmodell als solches nicht ausgeschlossen werde; man brauche vielmehr eine zusätzliche Bedingung, welche das Spreading in Fällen dieser Art blockiere. Da die Restriktion selbst aber ganz allgemein, wahrscheinlich sogar universell gültig ist, würde die Annahme einer solchen speziellen Bedingung für sie das X-Modell erheblich schwächen. Es ist allerdings zweifelhaft, ob die in (12) gegebene Ableitung die einzig mögliche ist. Warum wird beispielsweise in (12c) der Knoten ,Onset' getilgt? Dazu äußert sich Hayes nicht. Weiter unten wird eine alternative Beschreibung im X-Modell (nach Noske 1992) präsentiert, welche die Einwände von Hayes gegen diesen Ansatz zumindest teilweise entkräftet. Der zweite Typ von Asymmetrie, der im Morenmodell beschreibbar ist, ist die fehlende Längung bei Ausfall eines vorangehenden Vokals. Ein solcher hypothetischer Prozeß wäre quasi das Spiegelbild der MEOSL, in der die Tilgung eines folgenden Vokals die Längung bewirkt (vgl. oben (8)). So ist zwar (13a) belegt, nicht jedoch (13b): (13) a. b.

[tate] [ala]

• •

[ta:l] [la:]

Auch diese Beschränkung ist unmittelbar aus der moraischen Silbenstruktur ablesbar, wenn auch in anderer Weise als für die Fälle in (10). Hayes (1989: 286) illustriert dies anhand folgender Ableitung:

55 (14)

#

σ

σ

μ

μ

3

a

σ

μ

#

μ

a

In diesem Fall wird zwar durch den Schwa-Ausfall eine More frei, die Assoziation des folgenden Vokals lai mit ihr ist aber durch das fìir autosegmentale Repräsentationen allgemein gültige Verbot sich kreuzender Assoziationslinien ausgeschlossen (vgl. oben Kap. 1.1.0).12 Hayes (1989: 286) geht wiederum davon aus, daß eine entsprechende Restriktion im X-Modell der Silbe nicht auf einfache Weise formulierbar ist.13 Ich gehe auf seine diesbezügliche Argumentation nicht näher ein, da weiter unten eine andere als die von Hayes dargestellte Ableitung diskutiert wird. Die in diesem Kapitel vorgestellten Analysen zeigen jedenfalls, daß es möglich ist, nicht existierende Fälle kompensatorischer Längung im Morenmodell auszuschließen, ohne spezielle Zusatzannahmen zu benötigen.

3.1.1.1.3 Managerial Lengthening im Mittelenglischen Ein weiterer Vorteil des Morenmodells liegt nach Hayes (1989: 276-278) darin, daß mit seiner Hilfe ein anderer Typ von Vokallängung im Mittenglischen auf die gleiche Art wie MEOSL als Ausbreitung eines Vokals auf eine leere Morenposition repräsentierbar ist, die sogenannte ,Managerial Lengthening'. Den Namen verdankt diese Längung parallelen Fällen im modernen Englisch, zu denen auch managerial zählt (vgl. Hayes 1989: 276): (15)

12

13

[i:] managerial [e:] Canadian [o:] Newtonian

Die Assoziation des initialen IV mit der freien More ist dagegen prinzipiell im Morenmodell nicht ausgeschlossen; dies ist auch adäquat, da entsprechende Kompensationen eines Vokalausfalls durch Silbischwerden des folgenden Konsonanten des öfteren vorkommen, allerdings nur in Sprachen, die Konsonantengeminaten zulassen (vgl. Hayes 1989: 281). Der entscheidende Unterschied zwischen X-Modell und Morenmodell liegt im vorliegenden Fall darin, daß der Onsetkonsonant /l/ (vgl. (14) im ersteren Modell mit einer X-Position assoziiert ist, im zweiten jedoch nicht mit einer More. Der Onsetkonsonant kann von dieser X-Position delinkt und mit der durch Schwa-Ausfall freigewordenen X-Stelle reassoziiert werden, was wiederum eine Ausbreitung des Vokals auf die ursprüngliche Position fur IV ermöglicht. Diese doppelte Reassoziierung nennt Hayes (1989: 265f.) „double flop". Dieser das Verbot sich kreuzender Assoziationslinien nicht verletzende Mechanismus ist im Morenmodell für das Beispiel (14) nicht möglich, da eine entsprechende Morenposition für Ν fehlt.

56 Der kursiv gesetzte Vokal wird gelängt im Silbenauslaut, wenn in der Folgesilbe einem unbetonten hohen /i/ ein Vokal folgt. Betrachtet man den seltsamen Kontext, so scheint die Längung auf den ersten Blick unmotiviert zu sein. Hayes (1989: 276) spricht sogar davon, sie sei „synchronically arbitrary". Analysiert man jedoch die parallelen Fälle im Mittelenglischen, die Entlehnungen aus dem Anglonormannischen bilden, genauer, erweist sich der kompensatorische Charakter der Längung: (16)

[a]



[o]

^

[e]



[a:] patience nation amiable [o:] colonial baronial symphonious [e:] immediate completion region (vgl. Luick 1907: 26f. und Jespersen 1909: 140f.)

Die Vokallängung in (16) steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Glidebildung des folgenden Ν zu /j/,15 wie Hayes (1989: 277), mit Berufung auf Luick (1907: 26f.) und Jespersen (1909: 277f.), konstatiert. Diese Auffassung wird im übrigen auch von Noske (1993: 57) geteilt, der den Gesamtprozeß der Veränderung im Mittelenglischen für das erste Beispiel in (16) folgendermaßen darstellt (zu einer Modifikation durch Noske vgl. unten 3.1.2): (17) [pasigns]

• [pa:sjsns]

Modern English

,patience'

Hayes (1989: 277) beschreibt den Prozeß in (16 und 17) in folgenden Schritten:

14

15

Zur genauen Regelformulierung vgl. Chomsky/Halle (1968: 181f.), Halle/Mohanan (1985: 78) und Hayes (1989:276). Auf Glidebildung hoher Vokale zurückgehende Längungen (von Vokalen und Konsonanten) sind in den Sprachen der Welt nicht selten; sie finden sich beispielsweise in der philippinischen Sprache Ilokano, im Japanischen, Altisländischen, Altenglischen und in Bantusprachen (vgl. Hayes 1989: 280 und Noske 1993: 57). Eine entsprechende Veränderung von Iii zu /j/ (vgl. die zahlreichen Belege in Kloeke 1982, Vater 1992 und Wiese 1996) hat dagegen offenkundig im Deutschen keinen Einfluß auf die Vokallänge, wie das Paar Hegemonfi:] vs. hegemonßjal zeigt. Die Längung von [o] zu [o:] in Zeremonie vs. Zeremón[j]e ist nicht auf die Glidebildung, sondern auf den Akzentwechsel zurückführbar.

57

patience (original form)

(18) a.

μ

μ

η

s Glide Formation, Parasitic Delinking

c.

σ Syllabification

// /

s

^

μ

/

ι

η

s

Compensatory Lengthening (= [pa:syans], ModE. [peyjans]) Vergleicht man (18) mit der Ableitung in (8) für MEOSL, so werden in beiden Derivationen z.T. die gleichen Mechanismen verwendet: Parasitisches Delinking, Resilbifizierung16 und kompensatorische Längung, repräsentiert als Spreading eines Vokals auf eine freie Morenposition. Mit anderen Worten, Hayes' Ansatz ermöglicht die einheitliche 16

Der von Hayes in (18) gewählte Formalismus enthält m.E. eine künstliche, den Charakter der Veränderung verschleiernde Trennung von Glidebildung (18b) und Silbifizierung (18c). Die Veränderung [i] - > [j] besteht doch in einer Resilbifizierung von einer Nukleus- in eine Onsetposition und bildet folglich einen Prozeß, der nicht in die zwei Stufen (a) Delinking von der Nukleusposition und (b) Resilbifizierung zerfällt.

58 Beschreibung zweier Längungsprozesse im Mittelenglischen, welche beide kompensatorischen Charakter tragen. Das Morenmodell erlaubt folglich nicht nur die Repräsentation vieler Typen kompensatorischer Längung in verschiedenen Sprachen und den Ausschluß nicht-existenter Arten, sondern auch die Darstellung von zwei Längungsprozessen der gleichen Sprache, hier des Mittelenglischen, mit dem gleichen Beschreibungsapparat. Es eignet sich also in besonderem Maße dazu, Generalisierungen über verschiedene kompensatorische Veränderungen zu formulieren. Zu fragen ist, ob andere Silbenmodelle dies auch zu leisten vermögen und darüber hinaus eine adäquatere Beschreibung der Fakten der MEOSL liefern können. Im folgenden Abschnitt werde ich einen solchen alternativen Vorschlag von Noske (1993) im Rahmen des Konstituentenmodells der Silbe skizzieren.

3.1.2

MEOSL in Noske (1993)

3.1.2.1

Kritik an Hayes (1989)

3.1.2.1.0 Überblick Noske (1993) entwickelt seine eigene Interpretation der Längungsprozesse im Mittelenglischen über eine Kritik am Ansatz von Hayes (1989). Seine Einwände sind von zweierlei Art: - Zum einen behauptet er, daß Hayes' Darstellung keine vollständige Beschreibung aller Fakten zur MEOSL und Managerial Lengthening liefert. - Zum anderen stellt er die These auf, daß Hayes' Repräsentation der MEOSL im Morenmodell z.T. allgemeinen Prinzipien für den Aufbau nichtlinearer Strukturen im Rahmen der Autosegmentalen und Metrischen Phonologie widerspricht. Zunächst wende ich mich dem zweiten Kritikpunkt zu.

3.1.2.1.1 Formale Einwände Noske (1993: 37-41) versucht nachzuweisen, daß Hayes' (1989) Morentheorie weder rein (a) autosegmentaler noch ausschließlich (b) metrischer Natur ist, da sie Prinzipien beider Ansätze verletzt. (a) Faßt man Hayes' Morenmodell als autosegmental auf, so bereitet nach Noske (1993: 37-39) die direkte Assoziation der Konsonanten im Onset mit den Knoten der Silbenschicht Probleme (siehe 19):

59 (19)

μ t

a

μ ι

Noske (1993: 38) glaubt, daß die Struktur in (19) gegen ein Prinzip der Autosegmentalen Phonologie verstoße, das er ,Planar Tier Locality' nennt. Dieses besagt, daß bei der Assoziation von Einheiten auf einer Ebene (,plane') keine Schichten (,tiers') übersprungen werden dürfen.17 Das bedeutet in diesem Fall, daß alle Einheiten der Melodieschicht mit denen der Morenschicht assoziiert werden müssen und erst diese mit der Silbenschicht. Da Ixl in (19) direkt mit einem Silbenknoten verbunden ist, widerspricht eine solche Struktur dem besagten Prinzip. Diese Restriktion hat den Sinn, mögliche Assoziationen zwischen den Schichten zu beschränken, um die Generierung unsinniger oder unnötiger Strukturen zu vermeiden. So erlaubt z.B. das Morenmodell nach Hayes (vgl. Noske 1993: 38) folgende, nicht interpretierbare18 Strukturen:

t

a

a t

Gegen Noskes Argumentation läßt sich dreierlei einwenden: Erstens ist es nicht unumstritten, daß die ,Planar Tier Locality' ein generell gültiges Prinzip der Autosegmentalen Phonologie bildet. Strukturen der Form (20) können auch durch andere Beschränkungen ausgeschlossen werden, wie ein Vorschlag von McCarthy/Prince (1986: 70) zeigt. Diese haben nichts gegen die direkte Verbindung von Onsetkonsonanten mit dem Silbenknoten einzuwenden (vgl. 19), schließen aber Mehrfachassoziationen wie in (20) durch ein Prinzip „Uniformity of Linking" aus: „ [...], in which no melodic element may bear simultaneous associations to two distinct levels of prosodie structure [...]"

17

18

Dieses Prinzip hat seine Parallele in der .Strict Layer Hypothesis' im Rahmen der Metrischen Phonologie (vgl. Selkirk 1984b und Nespor/Vogel 1986:7), die u.a. festlegt, daß jede nicht-terminale Einheit der prosodischen Hierarchie aus einer oder mehreren Einheiten der unmittelbar [Hervorhebung von mir] tieferen Kategorie besteht. Eine zu (20)a parallele Struktur im Konstituentenmodell der Silbe wird allerdings von Giegerich (1992a: 157-159) für /j/ in englischen Wörtern vom Typ view, beauty, duke etc. vorgeschlagen und phonotaktisch interpretiert.

60 Diese Beschränkung schließt nur aus, daß ein Element der Melodieschicht mit zwei prosodischen Schichten gleichzeitig assoziiert ist, nicht jedoch das Überspringen eines ,tiers', z.B. der Morenschicht in (19). Des weiteren spricht m.E. wenig19 dagegen, den Onsetkonsonanten nicht direkt mit dem Silbenknoten, sondern mit der ersten More zu verbinden, z.B. statt (19) die Repräsentation (21) zu wählen:

(21)

μ

μ

Strukturen dieser Art werden beispielsweise von Hyman (1985: 17), McCarthy/Prince (1986: 70), Auer (1992: 32) und Hayes selbst (1995: 53) vorgeschlagen. In (21) ist das Prinzip der ,Planar Tier Locality' nicht verletzt. Der dritte Einwand gegen Noskes Argumentation bildet seine Voraussetzung, daß Silben-, Moren- und Melodieschicht auf einer Ebene (,plane') liegen. Es ist nämlich im autosegmentalen Modell, nicht im metrischen - denkbar, daß Moren direkt von Füßen dominiert werden und eine von der Silbenlage unabhängige Schicht bilden. Diesen Vorschlag macht Auer (1992 und 1994) für eine Reihe von Sprachen, z.B. das Alemannische, Isländische und die afrikanische Sprache !Xóò. Die Behauptung von Noske (1993: 53f.), eine solche Lösung diene einzig dem Zweck, zum Ausdruck zu bringen, daß Onsetkonsonanten nichts zum Silbengewicht beitragen, ist m.E. nicht haltbar, wie Auers (1992 u. 1994) vielfältige Begründungen zeigen. Er weist u.a. daraufhin (1992: 19), daß im !Xoö glottalisierte Vokale zwar zu zwei Silben gehören können, aber - zusammen mit dem Onsetkonsonanten - nur eine More konstituieren (siehe 22):20 (22)

/I ,

φ

σ

O

σ

/ h7

\V

μ

O

σ

à

[+oh?oâ] , Würmer'

19

Ein Einwand gegen Strukturen wie (21) könnte sein, daß in solchen Repräsentationen nicht mehr eindeutig markiert ist, welche Einheit Morenwert besitzt, d.h. zum Silbengewicht beiträgt, Onsetkonsonant oder Nukleusvokal (vgl. Hayes 1995: 54).

20

»[+]" ¡st das Transkriptionssymbol fur einen palatoalveolaren Click, hochgestelltes "h steht für ,breathy voice' des vorangehenden Vokals, hochgestelltes 7 bezeichnet dessen Glottalisierung.

61 Noskes (1993: 54) weitere Argumente gegen Strukturen der Art (22), Inflation der Ebenen und Möglichkeit der Zuweisung tautosilbischer Segmente zu zwei Füßen, überzeugen kaum. Der zweite Einwand ist eher technischer Art: Die ungewünschte Zuweisung läßt sich durch geeignete Restriktionen für Assoziationen unter Umständen vermeiden. Die bisherige Diskussion hat gezeigt, daß Hayes' (1989) Morenmodell der Silbe nicht von vornherein gegen Prinzipien der Autosegmentalen Phonologie verstößt; jedenfalls konnte Noske (1993) dies nicht eindeutig beweisen. Erst eine umfassende Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Notationskonventionen dieser Theorie könnte einen solchen Beweis erbringen. (b) Noske (1993: 39-41) versucht auch nachzuweisen, daß Hayes' (1989) Morenmodell nicht den Prinzipien der Metrischen Phonologie genügt. Eine Struktur wie (19) verletzt seiner Meinung nach ein grundlegendes Prinzip dieser Theorie, die Forderung nach binärer Verzweigung, da der Silbenknoten nach unten dreifach verzweigt. Eine durchgehende Binärverzweigung kann auch durch modifizierte Strukturen wie (21), in denen Onsetkonsonanten mit der Morenschicht assoziiert sind, nicht erzielt werden, wie die Repräsentation in (23) für das Wort Spree zeigt : (23)

J

σ

Ρ r

e

Die Gültigkeit des besagten Prinzips in der Metrischen Phonologie wird aber nicht von allen bejaht. Befürworter sind u.a. Hayes (1982 und 1995), McCarthy/Prince (1986), Hogg/McCully (1987) und Giegerich (1992b), Kritiker dagegen Durand (1990), Goldsmith (1990) und Nespor/Vogel (1986). Letztere begründen ihre Ablehnung (1986: 8-10) sehr detailliert. Eines ihrer Argumente ist z.B., daß die Forderung nach Binarität auch Konstituenten generiert, auf die keinerlei sonstige phonologische Regularitäten Bezug nehmen, deren Existenzberechtigung daher allein in diesem Prinzip begründet ist. Jedenfalls besteht kein allgemeiner Konsens darüber, daß metrische Strukturen binär verzweigen müssen, so daß dieses Argument beim jetzigen Stand der Forschung auch nicht gegen Hayes' Modell ins Feld gefuhrt werden kann. Ein anderer Einwand Noskes gegen den metrischen Charakter dieses Modells scheint mir auch nicht unanfechtbar zu sein: Hayes benutzt die typisch autosegmentalen Mechanismen des Spreading und Delinking (vgl. oben die Derivation in (8)), die nach Noske (1993: 39) mit der grundlegenden Relation der Dominanz in der Metrischen Phonologie unverträglich seien. Diese Mechanismen werden aber auch von anderen im metrischen Rahmen verwendet (vgl. z.B. Durand 1990: 205) und gehören zum Repertoire eines hierarchischen Modells der phonologischen Repräsentation, das eher metrischen als autosegmentalen Charakter trägt, des Merkmalhierarchiemodells (vgl. Kap. 1.1.4 und 2). Die Frage der Abgrenzung zwischen autosegmentaler und metrischer

62 Theorie ist noch keineswegs geklärt und die wenigen Andeutungen in Noske (1993: 39) genügen nicht, bestimmte Prozeduren für das metrische Modell von vornherein auszuschließen. Zudem ist es unter Umständen möglich, Hayes' Spreading- und DelinkingRegeln so umzuformulieren, daß sie in einen metrischen Rahmen passen. In letzterem Fall wäre nur ein notationelles Problem zu lösen. Als Fazit ist festzuhalten: Noskes Kritik kann, wie auch im Fall (a), nicht beweisen, daß Hayes' (1989) Morenmodell grundsätzlich mit den Prinzipien der Metrischen Phonologie inkompatibel ist. Ein weiteres formales Argument Noskes ist m.E. stichhaltiger als die Kritikpunkte (a) und (b): Der in Hayes' Ableitungen sowohl fur MEOSL als auch die Managerial Lengthening benutzte Mechanismus des ,Parasitic Delinking' (vgl. oben (8) und (18)) ist äußerst dubios; er besagt, daß bei Tilgung eines Vokals auf der Segmentschicht zwar der Silbenknoten gelöscht wird, nicht jedoch die damit assoziierte More. Noske (1993: 41) kritisiert zu Recht, daß von Hayes (1989) für eine solche Morenkonservierung keine unabhängige Evidenz angeführt wird. Eine Prozedur, in der eine Konstituente der prosodischen Hierarchie (die More), erhalten bleibt, obwohl sowohl die Assoziationslinien nach oben (zur Silbe) als auch die nach unten (zum Segment) gekappt werden, ist in der gesamten nichtlinearen Phonologie sonst unbekannt, hat also einen völlig singulären Status. Auer (1992: 33f.) - im übrigen selbst ein Anhänger des Morenmodells - zeigt zudem, daß nach dem Ausfall von Schwa in MEOSL (vgl. Stufe (8b)) unter universalphonologischem Aspekt noch andere Möglichkeiten als der Mechanismus des ,Parasitic Delinking' zur Verfügung stehen, z.B. das Silbischwerden von IV oder seine Verbindung mit der freien More. Daß diese Alternativen für das Mittelenglische nicht wählbar sind, berechtigt nach Auer allein noch nicht dazu, ein allgemeines Prinzip ,Parasitic Delinking' als Option in die Morentheorie einzuführen. Er beleuchtet auch den tieferen Grund, warum Hayes (1989) für die kompensatorische Längung in MEOSL diese komplexe Prozedur benötigt: Der Auslöser der Längung - das getilgte /a/ - und der gelängte Vokal stehen nicht adjazent, sondern sind durch einen Konsonanten getrennt. Einfaches Spreading des Vokals auf die freiwerdende More würde das Verbot sich kreuzender Assoziationslinien verletzen (siehe (24)): (24)

σ

t

a'

σ

1

Auer (1992: 34) behauptet aber, daß die Kompensation eines getilgten Vokals durch Längung eines nicht unmittelbar benachbarten anderen Vokals im Morenmodell möglich sein sollte, wobei er allerdings, anders als Hayes (1989), explizit auf den Fuß als Domäne für die Morenkonservierung hinweist. Wie eine solche formale Repräsentation aussehen könnte, verrät Auer allerdings nicht.

63 Gegen Hayes' (1989) Analyse von MEOSL läßt sich, wie in diesem Abschnitt angedeutet wurde, aus theoretischer Sicht einiges einwenden; vor allem ist der Status des .Parasitic Delinking' fragwürdig. Ich würde aber nicht so weit gehen wie Noske (1993), der Hayes' Vorgehen für völlig inkompatibel mit den Grundprinzipien der nichtlinearen Phonologie hält. Vielmehr glaube ich, daß sein Modell - mit einigen notwendigen Modifikationen - in den Grundzügen verteidigt werden könnte. Gravierender sind m.E. die Einwände Noskes gegen die empirische Adäquatheit der Analyse von Hayes. Im folgenden wende ich mich den entsprechenden Kritikpunkten zu.

3.1.2.1.2 Kritik der empirischen Basis Noskes (1993: 44-48) Einwände gegen die empirische Reichweite und Adäquatheit der Analyse von MEOSL durch Hayes (1989) - die sich vorwiegend auf die Analyse von Minkova (1982) und (1985) stützt - läßt sich in folgenden Punkten zusammenfassen: (a) Die Vokallängung unterbleibt, wenn das Wort aus mehr als 2 Silben besteht. Vgl. dazu die folgenden Beispiele (nach Wright/Wright 1928 2 :42f. und Jordan 19683:44f.): (25)

feiere gaderen adese hevenes

,feather' ,to gather' ,axe' ,heavens'

Trotz Tilgung des Schwa-Vokals in der letzten Silbe findet keine Längung statt. Dieser Befund ist mit Hayes' Analyse (vgl. oben (8)) unvereinbar, da das Prinzip der Morenkonservierung die kompensatorische Längung erzwingen müßte. Hayes (1989) kann im Rahmen seines Modells die Beschränkung auf zweisilbige Wörter nicht erklären. (b) Die Längung unterbleibt auch bei Funktionswörtern, z.B. have, were und are, obwohl diese der Schwa-Tilgung unterliegen. In Hayes' (1989) Ansatz ist eine Unterscheidung in der morphosyntaktischen Kategorie der betroffenen Wörter nicht vorgesehen, so daß er die betreffenden Fälle als einzelnen Ausnahmen separat auflisten muß. (c) Die Längung findet auch in einsilbigen Wörtern statt, in denen überhaupt kein Vokal getilgt wurde. Dies betrifft zum einen Entlehnungen aus dem Anglo-Normannischen (vgl. 26a),21 zum anderen - allerdings chronologisch gesehen früher, bereits im ,Late Old English' - in anderen einsilbigen Wörtern mit ursprünglichem Kurzvokal (vgl. 26b):

21

Die Annahme einer Vokallängung in den entlehnten Wörtern in (26a) im Mittelenglischen wird allerdings von Minkova (1985: 166 u. 174) unter Berufung auf Bliss (1969: 187f.) in Zweifel gezogen. Bliss zeigt, daß die Längungen nicht erst im Mittelenglischen, sondern bereits im Anglonormannischen stattgefunden haben müssen.

64 (26) a.

boot coat gout gown

b. wël wër bêt (vgl. Minkova 1985: 173f.)

Wiederum ist die Längung in Hayes' Modell nicht im Rahmen seines Prinzips der Morenkonservierung zu beschreiben. Zudem ist keine einheitliche Erklärung der Vokallänge in den einsilbigen und (ursprünglich) zweisilbigen Wörtern erkennbar. Letztere sind als kompensatorische Längungen zu interpretieren, nicht jedoch erstere. Hayes' (1989) Analyse der MEOSL scheint folglich aus empirischer Sicht weder alle Daten einheitlich erfassen, noch die Ausnahmen zu diesem Längungsprozeß erklären zu können. Aus diesem Befund lassen sich zwei mögliche Schlußfolgerungen ziehen: Entweder man modifiziert das Morenmodell so, daß es besagte Fakten einordnen kann, oder man verwirft das gesamte Modell und ersetzt es durch ein anderes, angemesseneres. Noske (1993) wählt die zweite Alternative und versucht, die MEOSL und ,Managerial Lengthening' im Konstituentenmodell der Silbe (vgl. oben Kap. 1.1.2.1) zu beschreiben. Im folgenden wende ich mich diesem Ansatz zu.

3.1.2.2

Analyse im Rahmen des Konstituentenmodells

Noskes Silbenmodell unterscheidet sich in einem Punkt von dem oben (Kap. 1.1.2.1) dargestellten (hier wiederholt als (27a)): Er nimmt eine flache Silbenstruktur ohne Reimkonstituente an (vgl. (27b)):

Noskes (1993: Kap. 1) Begründung für die Auswahl des flachen Modells (27b) stützt sich auf die Untersuchungen von Davis (1982 und 1985, 1987, 1990 und 1991), der festgestellt hat, daß im Englischen eine Reihe von Kookkurrenzrestriktionen zwischen den Elementen in Onset und Koda, nicht aber zwischen denen im Reim bestehen (vgl. auch Hall 1992:43f. zum Deutschen). Hall (1992: 44) fuhrt z.B. folgende Restriktion an, die zwischen Obstruenten in Onset und Koda im Deutschen - wie auch im Englischen (vgl. Davis 1990: 304) - gilt: Ein Obstruent nach wortinitialem /[/ oder /s/ darf in der Artikulationsstelle nicht mit einem 22

Als Variante zu (27b) benutzt Noske (1993: Kap. 1) auch ein Modell, das nur die Knoten ,Onset' und ,Rhyme' (bzw. ,Nucleus') enthält. Die Wahl zwischen beiden Arten hängt von sprachspezifischen Unterschieden ab. Beide unterscheiden sich von (27a) durch ihre flache Struktur.

65 Einzelkonsonanten der folgenden Koda übereinstimmen; vgl. die nicht wohlgeformten Wörter in (28): (28)

* [skak]

* LFpo:m] etc.

* [fp E p] 2 3

Diese Kookkurrenzbeschränkungen bilden aber kein Argument gegen die Konstituente ,Reim', da sie im hierarchischen Modell (27a) genauso gut - bzw. genauso schlecht ausgedrückt werden können wie im flachen (27b). Beide enthalten die Knoten Onset und Koda. Die Beschränkungen zwischen den Elementen dieser beiden Konstituenten können nur in einem dritten Modell optimal formuliert werden, in dem Onset und Koda eine eigene Konstituente bilden, dem sogenannten Schalenmodell (vgl. Vennemann 1986: 54): (29)

σ

Ο

Ν

Ko

Liegen aber alle Knoten in dieser Struktur auf einer Ebene, so verstößt (29) gegen ein Grundprinzip der nichtlinearen Phonologie, das Verbot sich kreuzender Assoziationslinien (vgl. oben Kap. 1.1.0). Ein weitere Begründung für Noskes Wahl - die er selbst nicht nennt - liegt im strikt autosegmentalen Charakter des flachen Modells. Da in der hierarchischen Struktur (27a) der Onset direkt mit dem Silbenknoten assoziiert ist, zwischen Nukleus bzw. Koda und Silbenschicht dagegen noch die Zwischenebene des Reims liegt, ist das Prinzip der ,Planar Tier Locality' verletzt. Wie die obijp Diskussion (vgl. 3.1.2.1.1) aber gezeigt hat, ist der Status dieses Prinzips umstritten. Ein wichtiges Charakteristikum des Silbenmodells von Noske (1993) bildet die Annahme leerer subsilbischer Knoten: Onset, Nukleus und Koda sind auch dann in der Silbenstruktur präsent, wenn sie nicht mit Segmenten der Segmentschicht (über die Zwischenebene der X-Positionen) assoziiert sind. Dieses Vorgehen ermöglicht u.a. eine einfache Beschreibung der Insertion des Glides 1)1 im Hiatus der Wörter vom Typ piano im Französischen und der Einfügung des Glottisverschlußlautes in Wörtern wie Theater 23

24

Diese Restriktion gilt nicht für koronale Obstruenten, wie Wörter des Typs Stadt, Stein, Stoß etc. zeigen. Dies spricht nach Hall (1992) und Davis (1990 und 1991) für die Unterspezifizierung der Ortsmerkmale bei Koronalen. Die Beschränkung ist nicht allein silben-, sondern zugleich morphembasiert, da alle Silben in (28) zugleich monosyllabische Wörter bilden. Sie gilt allerdings auch für mögliche mehrsilbige, aber monomorphematische Wörter (vgl. die nicht wohlgeformte Form *[mapskak]). In solchen Fällen ist sie nur als Bedingung über die Silben-, nicht die Morphemstruktur formulierbar. In Kap. 4 werde ich - in Anlehnung an Anderson (1984) und Vater (1992) - Argumente für das hierarchische Modell anführen.

66 im Deutschen (vgl. Noske 1993: 42-44). Es erlaubt zudem auch die Repräsentation kompensatorischer Längungen als Ausbreitung von Segmenten auf die unmittelbaren subsilbischen Konstituenten und nicht mehr, wie in dem von Hayes (1989) kritisierten X-Modell (vgl. Levin 1985), auf X-Positionen. Noskes Modell erlaubt deshalb - ebenso wie das Morenmodell - sowohl die Beschreibung der vorkommenden Typen kompensatorischer Längung, z.B. der im Lateinischen (Noske 1993: 49; vgl. oben (7)), als auch den Ausschluß nicht-existierender Typen (Noske 1993: 60-62; vgl. oben 3.1.1.1.2). Es steht somit dem Morenmodell, was die Repräsentation dieser Längungen betrifft, in nichts nach. Ist es aber auch in der Lage, MEOSL und ML adäquat zu beschreiben, die ja beide im Morenmodell nur mit Hilfe des sehr problematischen Mechanismus des ,parasitic delinking' analysierbar sind? Erst dann wäre die Überlegenheit des Konstituentenmodells erwiesen. Das bisher entwickelte Modell ist dazu aber noch nicht in der Lage, wie folgende vorläufige Analyse der MEOSL am Beispiel tale (vgl. oben (8)) zeigt: (30)25

σ

Λ\ Ο

Ν

t

a

Ko

0 Die Tilgung des /s/ samt Nukleus zieht, da IM im Mittelenglischen in dieser Position offenbar nicht als Silbenkern fungieren kann, die Elision des zweiten Silbenknotens und damit zugleich auch die des Onsets - nach sich, so daß folgende Konstellation entsteht:

(31)

σ Ο

Ν

t

a

Ko

1

Als letzter Ableitungsschritt ist dann nur noch die Assoziation des ¡V mit der Konstituente ,Koda' möglich; für eine Ausbreitung von /a/ auf diesen Knoten als Repräsentation 25

Die Notation folgt Noske (1993: 49f.). Selbst wenn man als Alternative die Konservierung des Nukleus in Betracht zieht, ist die Analyse von MEOSL nur unter Annahme eines sehr problematischen ,parasitic delinking' für diesen Knoten möglich.

67 der Längung liegt keinerlei Motivation mehr vor. Eine Lösung des Problems sieht Noske (1993) in einer Analyse von MEOSL, die den Rahmen der Silbe sprengt und höhere prosodische Konstituenten, speziell den Fuß, mit einbezieht.

3.1.2.3 MEOSL im Rahmen der Domäne ,Fuß' Da die mittelenglische Längung allein innerhalb der Domäne , Silbe' nicht adäquat beschreibbar ist, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, erweitert Noske (1993: 44-48) den Blick auf die höhere prosodische Struktur (vgl. oben Kap. 1.1.1), wobei er sich vor allem auf die Untersuchung von Minkova (1985) stützt. Diese vertritt die These, daß Wörter lexikalischer Hauptklassen, d.h. Nomina, Verben und Adjektive, im Mittelenglischen eine kanonische Fußstruktur [S W (W)] besitzen. Wird diese Minimalitätsanforderung unterschritten, d.h. besitzt ein Wort nur die Struktur [S], so wird der Fuß expandiert durch Längung des entsprechenden Vokals.26 Minkova (1985: 171) gibt folgende Darstellung einer solchen Anpassung: (32)

_F_

F

R

R

Ρ

Ρ

(F = foot; R = rhyme; Ρ = peak; S = strong; W = weak)

S

S

W

V #

ν

ν

#

Wie der Formalismus in (32) zeigt, bewegt sich Minkovas (1985) Analyse im Rahmen eines metrischen Modells, in dem bestimmte Knoten der prosodischen Hierarchie S-WEtikettierungen erhalten, um Prominenzrelationen zu anderen Knoten darzustellen. Die etikettierten Knoten sind nach Minkova (1985: 171 f.) Reimkonstituenten. Die Information über die Struktur des Reims wird bis zur Fußebene hochprojiziert. Umgekehrt

26

Die Knüpfung von Minimalitätsanforderungen an die prosodische Struktur von Wörtern ist ein grundlegendes Verfahren zur Beschreibung von Restriktionen für „mögliche Wörter" in zahlreichen Sprachen im Rahmen der Prosodischen Morphologie (vgl. McCarthy/Prince 1986, 1990 und 1993; Hayes 1995: 47f.; Kenstowicz 1994: 640-646.). In Kap. 4 werde ich eine Minimalitätsbedingung für das Mhd. und Nhd. formulieren.

68 können Bedingungen für die Fußstruktur subsilbische Veränderungen, z.B. die in (32) skizzierte Vokallängung, auslösen. Dieser Ansatz ermöglicht zunächst eine adäquate Beschreibung der Längungen in offenen Silben ursprünglich zweisilbiger Wörter vom Typ [tab] —> [ta:l]. Durch den Schwa-Ausfall entfallt auch der zur Aufrechterhaltung der minimalen Fußstruktur erforderliche W-Knoten, wenn er nicht durch den finalen Konsonanten Ν gefüllt werden kann. Letztere Möglichkeit deutet die hypothetische Struktur (33) an (die Knoten oberhalb des Peaks sind weggelassen) : (33)

W

a

1

Diese Möglichkeit ist aber nur dann gegeben, wenn VC-Reime im Mittelenglischen als schwer zählen. Lass (1985: 20Iff.) und Minkova (1985: 172ff.) selbst nennen eine Reihe von Gründen dafür, daß dies, anders als im modernen Englisch oder Hochdeutsch, nicht zutrifft. U.a. verweisen sie auf Vokallängungen in Wörtern der Struktur CVC im späten Altenglischen und in mittelenglischen Entlehnungen aus dem Normannischen (vgl. oben die Beispiele in (26)), andererseits darauf, daß wortfinales IM und lui im Altenglischen nach Silben mit Kurzvokal erhalten bleibt (34a), nach solchen mit Langvokal oder zwei Kodakonsonanten aber wegfällt (34b) (nach Lass 1994: 98-102 und Minkova 1985: 173): (34)

a.

scipu sunu lufii wine

,ships' ,son' ,love' , friend'

b. word röd fet wyrm

,word' ,rood' ,feet' ,worm'

Durch die Beibehaltung der finalen Vokale in (34a) wird der Minimalitätsforderung an den Fuß lexikalischer Wörter entsprochen; mit anderen Worten, eine Vokallängung à la MEOSL wird gar nicht erst erforderlich. Dieser Evidenz für den Status von VC-Reimen als leicht steht jedoch ein Faktum entgegen: Einsilbige Wörter der Struktur (C)VC werden im Mittelenglischen - vielleicht mit Ausnahme einiger normannischer Lehnwörter (vgl. (26a)) - in der Regel nicht gelängt (35a), dagegen sind Kürzungen in Einsilblern der Struktur C W C nicht selten (35b), wie die folgenden Beispiele zeigen (vgl. Minkova 1985: 174f.):

69 (35) a.

flat lak set ship busch lock

b.

bread sweat blood dead gone book27

Als mögliche Erklärung der Unwirksamkeit der Minimalitätsbedingung für die Fälle in (35) erwägt Minkova (1985: 175) die Annahme anderer widerstreitende Einflüsse auf den Lautwandel, welche die Längung in bestimmten Fällen verhindern. Sie spricht in diesem Zusammenhang von „powerful segmental rules", die u.U. eine intervenierende Rolle spielen, ohne jedoch konkrete Regeln zu formulieren. Ich möchte eine alternative Erklärungsmöglichkeit für die Fälle in (35) zur Diskussion stellen: VC-Reime zählen - auch im Mittelenglischen - nur dann als leicht, wenn die silbenfinalen Konsonanten extrasilbisch und damit auch extrametrisch28, d.h. für die Minimalitätsbedingung quasi unsichtbar sind. Diese Extrasilbizität gilt u.U nicht generell für die gesamte phonologische Komponente, sondern nur für bestimmte Ableitungsstufen (vgl. oben Kap. 1.1.2.2). Die Minimalitätsforderung wiederum ist eine prosodische Wohlgeformtheitsbedingung, die phonologische Strukturen nach jedem Zyklus phonologischer Regeln überprüft (vgl. dazu Itô 1986). Eine solche Regel ist auch die Schwa-Tilgung, die quasi als Auslöser der Minimalitätsprüfung und ggf. Längung fungiert, bevor die Extrametrizität des finalen Konsonanten aufgehoben wird, wie die folgende Ableitung illustriert: (36) a.

O

28

Schwa-Tilgung

Minkova (1985: 175) weist darauf hin, daß in einigen regionalen Varianten des Englischen (Nordengland und Irland) auch Realisierungen mit Langvokalen vorkommen. Zum Konzept der Extrasilbizität und -metrizität als Sonderfallen der Extraprosodizität vgl. die Diskussion in Kap. 1.1.2.2.

70 b.

O

R

Ν

t

Ko

Minimalitätsbedingung

a

c.

Resilbifizierung von /l/

Die Minimalitätsbedingung wird nach der Schwa-Tilgung und der damit verbundenen Elision der 2. Silbe wirksam (36b); im folgenden Ableitungsschritt wird der ursprüngliche Onsetkonsonant IM als Kodaelement der verbleibenden Silbe resilbifiziert (36c). Das Unterbleiben der Längung in den Beispielen in (35) ist dann folgendermaßen erklärbar. Weil die Wörter keine zusätzliche phonologische Regel (wie Schwa-Tilgung) durchlaufen, wird die Minimalitätsbedingung erst nach der Silbifizierung geprüft (vgl. (37) für lak):

71 (37) a.

(zugrundeliegende Form)

/I a k/

b.

Σ

(Silbifizierung und Fußbildung)

O

1 c.

Ν

Ko

a

k



(Minimalitätsbedingung)

Da der Silbenreim in (37b) in Nukleus (,Peak' bei Minkova 1985) und Koda verzweigt die jeweils als S und W etikettierbar sind (vgl. 32) - , ist die Minimalitätsbedingung [SW] für den Fuß bereits erfüllt, eine Assoziation des Vokals IzJ mit der Koda folglich nicht mehr erforderlich, so daß in (37c) die Struktur nicht mehr verändert wird. Die Unterschiede zwischen den Ableitungen (36) und (37) liegen darin, daß in (36) die Minimalitätsbedingung nach einer phonologischen Regel und vor der Resilbifizierung geprüft wird und zu der entsprechenden Längung fuhrt, während in (37) die Silben- und Fußstruktur errichtet wird, bevor diese Bedingung greift. Die Reihenfolge in (37) ist auch die einzig mögliche, da die Minimalität des Fußes erst überprüft werden kann, wenn bereits eine prosodische Struktur errichtet ist. Nach dieser Analyse zählen aber die nicht durch Regeln wie Schwa-Tilgung abgeleiteten (C)VC Silben im Mittelenglischen als schwer, weil der finale Konsonant bei der Berechnung der Fußstruktur mitzählt. Diese Annahme ist mit den Daten in (35) kompatibel, nicht jedoch mit denen in (26). Die Gruppe (26b) (wël, wer, bei) betrifft Wörter, die bereits im Altenglischen gelängt wurden. Für diesen Fall ist die Hypothese möglich, daß der silbenfinale Konsonant in dieser Sprachperiode noch extrametrischen Status besaß, d.h. bei der Berechnung der Fußstruktur nicht mitzählte.29 Für das Wort wer (,Mann') ergibt sich dann folgende Ableitung:

29

Lass (1985: 261-263) nennt eine Reihe weiterer Gründe für die Annahme, daß VC-Reime im Altenglischen leicht waren.

(zugrundeliegende Form)

(Silbifizierung und Fußbildung) (Die Klammern verdeutlichen den extrasilbischen Status von /r/; die X-Positionen sind weggelassen.)

(Vokallängung aufgrund der Minimalitätsbedingung)

(Silbifizierung von Irl)

73 Im Altenglischen findet also, folgt man dieser Analyse, im ersten Ableitungsschritt keine vollständige Silbizierung statt, sondern eine nur teilweise vollzogene. Auch nach dieser wird die Wohlgeformtheitsbedingung für Fußstrukturen überprüft. Dieser Mechanismus einer „zeitweiligen" Extrasilbizität ist übrigens nicht nur für die Analyse des Altenglischen sinnvoll; er wurde z.B. auch zur Beschreibung silbenstruktureller Bedingungen im modernen Standarddeutschen eingesetzt (vgl. Wiese 1992, Hall 1992 und Yu 1992: 19)). Die Längung in Entlehnungen aus dem Anglonormannischen (vgl. 26a) ist nicht in gleicher Weise erklärbar; sie fand nämlich in der mittelenglischen Periode statt, in der nach obigen Ausführungen silbenfinale Konsonanten nicht „zeitweilig" extrasilbisch sind. Für diese Fälle sind zwei Lösungen denkbar: (a) Für die Silbifizierung existieren je eigene Regeln für den einheimischen und den entlehnten Wortschatz. Eine solche Zweiteilung ist keineswegs ungewöhnlich: Sie wird sowohl für das moderne Englisch häufig vorgeschlagen, z.B. von Halle/Mohanan (1985) und Mohanan (1986), als auch für das Malayalam (Mohanan 1986) und das Deutsche (Wurzel 1970 und Benware 1980). (b) Eine andere Möglichkeit ist die von Bliss (1952/53) vertretene Deutung, daß diese Lehnwörter bereits in der Ursprungssprache, dem Anglonormannischen, gelängt wurden (vgl. oben Fußn. 21). Die Ausnahmen zur MEOSL bieten jedenfalls keine unüberbrückbaren Schwierigkeiten für die Analyse im Rahmen der Fußstruktur. Zudem werden die von Noske (1993) kritisierten Inadäquatheiten der Beschreibung im Morenmodell von Hayes (1989) vermieden (vgl. oben 3.1.2): - Der sehr problematische Mechanismus des ,parasitic delinking' ist nicht mehr erforderlich. - Das Fehlen der Längung in Wörtern mit ursprünglich mehr als zwei Silben folgt automatisch aus der Annahme, daß die Fußstruktur der auslösende Faktor ist. Da die Formen in (25) auch nach Schwa-Tilgung zweisilbig bleiben, ist die minimale kanonische Form [SW] gewahrt. Im Morenmodell dagegen müssen die entsprechenden Wörter als Ausnahmen markiert werden. - Die Längung in einsilbigen Wörtern im Altenglischen ohne vorangehenden SchwaAusfall ist mit dem gleichen Mechanismus beschreibbar wie MEOSL (vgl. oben 38). Dies bringt zum Ausdruck, daß beide die gleiche prosodische Ursache haben. - Es existiert weitere unabhängige Evidenz für die kanonische Fußstruktur [S W (W)] in Entwicklungen der Nominal- und Adjektivflexion des Mittelenglischen (vgl. Minkova 1985: 174): 1. Während die meisten Nomina durch Analogiebildung Pluralformen mit dem Flexiv -es entwickelten, blieben einige Wörter mit schweren Silben, welche alleine bereits die Fußstruktur [S W] erfüllen, auch im Plural monosyllabisch, z.B. word, thing, hors ,horses', swyn ,pigs', shép ,sheep', der ,wild animals', neet ,cattle' (vgl. Mosse 19682: 51). 2. Umgekehrt bewahren Adjektive, deren Stämme leichte Einsilbler bilden - wozu auch Silben des Typs CVC gehören (vgl. obige Diskussion) - , das Adjektivflexiv -e sowohl in der starken als auch in der schwachen Flexion länger als andere, z.B. in gode, le eve, smale, dëfe (vgl. Mossé 19682: 64). Dies kann wiederum so interpretiert werden, daß diese Formen ohne Flexionsendung nur einen Fuß der Struktur [S]

74 enthalten, welcher der Minimalitätsbedingung nicht genügt. In Hayes' (1989) Ansatz ist ein solcher Zusammenhang zwischen den Entwicklungen in der Flexion und MEOSL - sollte er denn existieren - nicht darstellbar. - Die fehlende Längung in Funktionswörtern vom Typ have, were etc. trotz SchwaTilgung ist ebenfalls aus einem übergeordneten Prinzip ableitbar, nämlich dem, daß Wohlgeformtheitsbedingungen über die prosodische Form von Wörtern in der Regel nur für lexikalische Hauptkategorien wie Nomen, Verb und Adjektiv Gültigkeit haben (vgl. McCarthy/Prince 1986, 1990 und 1993). - Außerdem ist auch eine andere Längung des Mittelenglischen im Ansatz von Minkova (1985) repräsentierbar, die ,Managerial Lengthening'. Im folgenden diskutiere ich die Repräsentation dieses Längungstyps nach Noske (1993).

3.1.3 Managerial Lengthening im Rahmen der Fußstruktur Noske (1993: 57-59) geht in seiner Beschreibung der ,Managerial Lengthening' (im folgenden ,ML') zunächst von einer Kritik der Analyse von Hayes (1989) aus, die oben (vgl. Kap. 3.1.2.1) skizziert wurde. Ein Kritikpunkt betrifft, ebenso wie bei der MEOSL, den problematischen Status des ,Parasitic Delinking'-Mechanismus. Daneben moniert er eine falsche Darstellung der historischen Vorgänge. Hayes (1989: 277) nimmt für das Mittelenglische, illustriert anhand des Wortes pacience ,patience', folgenden Prozeß an (vgl. oben (17) u.(18)): (39)

[pasians]



[pa:sjans]

Noske (1993: 58f.) geht dagegen von folgender Ableitung aus, welche seiner Meinung nach die korrekte chronologische Abfolge der Veränderungen wiedergibt: (40)

[patsientsa]

^ [pasiensa]

^ [pa:sjensa]

[pa:sjans]

Die Derivation in (40) unterscheidet sich von (39) in dreierlei Hinsicht: - Noske (1993: 58) nimmt als Ausgangsform nach der Entlehnung aus dem Französischen30 eine Realisierung mit der Affrikata [ts] an. Im Verlauf des 13 Jh. sei diese dann zu [s] geworden. Erst die Spirantisierung ermöglichte die im zweiten Schritt erfolgende Glidebildung von [i] zu [j], da im Mittelenglischen [sj] einen möglichen Silbenonset bildete, nicht aber *[tsj]. - Die zweite Silbe enthielt nach Noske (1993: 59) ursprünglich kein Schwa, sondern den Vollvokal [e], der erst später nach der kompensatorischen Längung zu [s] wurde. - Glidebildung und kompensatorische Längung sind chronologisch frühere Prozesse als der Schwa-Ausfall in der letzten Silbe. 30

Noske (1993: 58) gibt folgende Hinweise zur Datierung: Der erste schriftliche Beleg für das Wort (als pacience) im Altfranzösischen stammt nach Robert (1973: 1250) aus dem Jahre 1120 (ebenso nach Robert 19852: 174). In der gleichen schriftlichen Form findet es sich auch im AngloNormannischen (vgl. Rothwell 1988: 485).

75 Diese letzte These ist für Noskes eigene Analyse von zentraler Bedeutung, wie weiter unten gezeigt wird. Deshalb begründet er sie (1993: 57-59) relativ ausführlich. Unter Berufimg auf Guiraud (1972: 75), Fouché (1958: 524) und Pope (1956: 118) zeigt er zunächst, daß die Tilgung des finalen Schwa im Französischen erst frühestens ab dem 14. Jh. stattfand und sich bis zum 18. Jh. erstreckte. In den entlehnten Formen muß demnach dieses Schwa urspünglich noch realisiert worden sein. Im Mittelenglischen hat sich nach Minkova (1982 und 1991: Kap. 6) der Schwa-Ausfall in entsprechenden Positionen, gleichzeitig mit der MEOSL, zwischen dem 12. und 14. Jh. von Norden nach Süden ausgebreitet (vgl. oben 3.0). Entscheidend für Noskes Datierung (1993: 58) ist die geographische Verteilung von Schwa-Ausfall und Entlehnung. Während letztere vom Süden ausging, wo der französische Einfluß nach der normannischen Eroberung von 1066 am größten gewesen war,31 begann ersterer im Norden und breitete sich erst später gegen Süden aus. Diese historischen Fakten scheinen die von Noske angenommene chronologische Reihenfolge ,Glidebildung und Vokallängung' vor ,Schwa-Tilgung' zu bestätigen. Auf der Basis der Kritik an Hayes (1989) entwickelt Noske (1993: 58f.) seine eigene Darstellung der mittelenglischen Version der ML im Rahmen einer übergeordneten Fußstruktur. Grundlage der Analyse ist, wie bei der Beschreibung der MEOSL, wiederum die kanonische Fußstruktur [S W (W) ] nach Minkova (1985). Die entlehnte Form [patsientsa ] entspricht dieser Struktur (vgl. Noske 1993: 58; bei diesem ist der Onset weggelassen):

31

Lass (1987: 54-61) gibt eine kurze Skizze der Auswirkungen der normannischen Eroberung auf die Sprachentwicklung des Mittelenglischen. Seiner Meinung nach lag der Haupteinfluß in der großen Zahl von Entlehnungen (ca. 10.000) aus dem Französischen, die zu 90% erst nach 1250 bezeugt seien (1987: 59). Eine ausführliche Darstellung des normannischen Einflusses auf das Mittelenglische, mit besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Faktoren, findet man in Baugh/Cable (1959 2 ). Von stärkeren Auswirkungen im Süden Englands ist allerdings direkt weder bei ihnen noch in Lass (1987) die Rede.

76 (41)

O

R

O

R

Ν

O R

Ν

Ν

ts

a

Ν

Ko

W

p

O R

W

i

e

ts

η

a

(S = strong, W = weak)

Durch die Spirantisierung ,[ts] —> [s]' und Glidebildung ,[i] --> [j]' entfällt die zweite Silbe; die Sequenz [sj] wird zum Onset der ursprünglich dritten Silbe (siehe 42): (42)

Σ

O

Σ

R

R

O

Ν

p

a

Ν

s

j

e

O

R

Ko

Ν

W

W

η

s

In (42) enthält der erste Fuß des Wortes nur einen S-Knoten und verletzt somit die kanonische Fußstruktur [S W (W)] nach Minkova (1985). Der zweite Fuß dagegen hat die maximale Struktur [S W W], weshalb die erste Silbe nicht in diesen integrierbar ist.32 Es bleibt nach Noske (1993: 59) nur die Möglichkeit der Erweiterung des ersten Fußes durch Längung des Vokals zu [a:], analog zu MEOSL (vgl. oben 3.1.2.3, (32)): 32

Der zweite Fuß ist nur unter der Voraussetzung maximal, daß das [a] der letzten Silbe noch nicht getilgt wurde. Deshalb ist die oben diskutierte chronologische Reihenfolge von Vokallängung und Schwa-Tilgung für Noskes Analyse wesentlich. Eine zweisilbige Form (nach Schwa-Ausfall) würde die Konstitution eines wohlgeformten Fußes der Form [S W W] ohne Vokallängung ermöglichen.

77 (43)

κ

O

Σ

Σ

σ

σ

R

Ν

O

>

Ν

/ \w

S Ρ

a

R

S Ρ

a

/

Die Assoziation des Vokals /a/ mit dem S-Knoten und W-Knoten in (43) repräsentiert die Vokallängung im metrischen Rahmen (zur Notation vgl. z.B. Giegerich 1985 und 1992b). Mit dieser Beschreibung ist es Noske (1993) gelungen, zwei Längungsprozesse des Mittelenglischen, MEOSL und ML, im gleichen metrischen Rahmen darzustellen und auf eine Ursache zurückzuführen, die kanonische Fußstruktur [S W (W)]. Ist ein Fuß mit dieser Struktur inkompatibel, weil er nur einen S-Knoten enthält, so kann er durch Vokallängung expandiert werden. Diese „Reparatur" bringt ihn wieder in Einklang mit der kanonischen Form. Die obige Repräsentation von ML und MEOSL hat Noske (1993) von Minkova (1985) übernommen. Sie ist nicht in allen Punkten mit seinem Silbenmodell kompatibel (vgl. oben 3.1.2.2). Noskes flaches Modell enthält beispielsweise keine Reimkonstituente, die sich in Nukleus (,peak l bei Minkova) und Koda gliedert. Außerdem verwendet er keine explizite ,S-W'-Notation im metrischen Rahmen. Zu fragen bleibt, wie die beiden Längungsprozesse in einem reinen Konstituentenmodell der Silbe ohne metrische Etikettierungen dargestellt werden können.

3.1.4

Probleme der Repräsentation der Längungen MEOSL und ML

3.1.4.1 Minkovas metrisches Modell Minkova (1985: 167) geht von einem hierarchischen Konstituentenmodell der Silbe aus (vgl. oben Kap. 1.1.2.1), in dem sie die Wörter tale und talent folgendermaßen repräsentiert (ich verwende N=Nukleus statt P=Peak):

78 (44) a.

[le]

[ta]

σ

O

t

/ O

R

Ν

Ko

a

0

\ R

1

/ Ν

\ Ko

a

0

[lent]

b. [ta] σ

σ

#

/

\

0

R /

t

Ν

Ko

a

0

\

Ν

1

I 3

Ko

η

/ \

t

Das Modell enthält, wie das von Noske (1993), leere subsilbische Knoten, die nicht mit Segmenten der Melodieschicht assoziiert sind (hier dargestellt als Assoziation mit 0Elementen). Anders als Noske nimmt Minkova (1985) kein flaches Silbenmodell an und verstößt damit gegen das Prinzip der ,Planar Tier Locality', dessen Gültigkeit allerdings strittig ist (vgl. die obige Diskussion in 3.1.2.1). Ein anderer wichtiger Unterschied ist, daß Minkova ihr Silbenstrukturmodell im metrischen Rahmen interpretiert und mit einer ,Strong-Weak'-Notation versieht. Als stark (S) oder schwach (W, für ,weak') werden bei ihr nur die Konstituenten des Reims, d.h. entweder nur Teile des Nukleus (,Peak' bei Minkova) oder der Koda etikettiert (vgl. Minkova 1985: 171f.). Der Onset der Silbe bleibt also, wie im Morenmodell von Hayes (1989), unberücksichtigt. Dies unterscheidet Minkovas Ansatz von dem klassischen metrischen Modell der Silbe (vgl. Kiparsky 1979 und Giegerich 1985), in dem auch der Silbenonset in die S-W-Notation integriert ist. Letztere Variante ermöglicht beispielsweise auch die Darstellung phonotaktischer Beschränkungen innerhalb des Onsets oder der Koda, die mit Sonoritätsdifferenzen der einzelnen Segmente zusammenhängen. Minkovas (1985: 171) Modell dagegen dient nur der Repräsentation des „prosodischen Gewichts" und den mit diesem zusammenhängenden Längungsprozessen. Sie erläutert die von ihr verwendete Notation - eine Mischung aus Konstituentenmodell,

79 metrischem Modell und (inhaltlich) Morenmodell der Silbe und des Fußes - nicht näher und benutzt offenbar die S-W-Etikettierung nur als Darstellungshilfe zur Kennzeichnung der Prominenzrelationen innerhalb des Fußes. Beim Vergleich verschiedener Silbenstrukturen (1985: 172) verzichtet sie ganz auf die metrische Notation und definiert Prominenz über Verzweigung in der Reimstruktur (1985: 171, Anm. 11), wobei sie sich auf Hayes (1981) stützt. Ein verzweigender Reim ist nach Minkova (1985: 172) stärker als ein nicht verzweigender. Sie unterscheidet aber auch noch innerhalb verzweigender Strukturen Prominenzrelationen. So ist ihrer Meinung nach eine Silbe, deren Nukleus (,Peak') oder Koda verzweigt, wiederum stärker als eine, in der nur der Reim verzweigt (vgl. 45a gegenüber b und c; Minkova benutzt CV- anstelle von X-Einheiten): (45) a.

R

Ν

V

b.

R

Ko

C

c.

Ν

V

R

Ν

V

V

Ko

C

C

Die Unterscheidung zwischen Verzweigung auf der Reimebene und Verzweigung auf der Nukleus-Koda-Ebene ist aber nicht erforderlich, wenn man, wie oben (vgl. Ableitung (38)) dargelegt, das Konzept der Extrametrizität benutzt. Ist der Kodakonsonant in (45a) nämlich extrametrisch, so zählt er nicht bei der Berechnung der Prominenz, und die entsprechende Struktur (46) hat das gleiche Gewicht wie eine mit leerer Koda, d.h. ohne verzweigenden Reim (vgl. oben (44)): (46)

R

Ν

Ko

V

(C)

Die Koda in (46) zählt als leer und der Reim dementsprechend als nicht-verzweigend. Der Unterschied zwischen (45)a vs. b und c besteht dann nicht mehr in einer verschiedenen Verzweigungsebene, sondern in An- oder Abwesenheit der Verzweigung überhaupt. Ein solches Konzept hat den Vorteil der größeren formalen Einfachheit für sich. Minkovas Lösungsvorschlag beinhaltet dagegen unnötig komplizierte Bedingungen für die Errechnung des prosodischen Gewichtes von Fußstrukturen. Im folgenden versuche ich, Minkovas Analyse von MEOSL und ML unter Verzicht auf S-W-Knoten im Konstituentenmodell der Silbe formal zu repräsentieren, wobei ich mich auch mit Noskes (1993) Ansatz auseinandersetze.

80 3.1.4.2 MEOSL und ML im Konstituentenmodell der Silbe Noske (1993) selbst verzichtet auf eine Darstellung der Längungsprozesse MEOSL und ML in seinem eigenen Modell der Silbe. Er gibt lediglich Minkovas (1985) Analyse als adäquatere Alternative zu Hayes' (1989) Ansatz wieder. Zur Übertragung dieser Beschreibung in sein eigenes Konzept ist zunächst eine Reformulierung der Minimalitätsbedingung fur Fußstrukturen des Mittelenglischen erforderlich. Wie im vorigen Abschnitt gezeigt, beinhaltet diese Bedingung bei Minkova (1985), daß der Fuß mindestens eine Verzweigung des Reims oder der von ihm dominierten Knoten Nukleus (,Peak') und Koda enthalten muß, oder, einfacher ausgedrückt, daß innerhalb des Fußes mindestens 2 Reimpositionen mit Segmenten33 besetzt sein müssen. Diese Bedingung gilt nicht nur für monosyllabische Füße, sondern kann auch auf einen aus mehreren Silben bestehenden Fuß innerhalb eines Wortes übertragen werden. Ein Wort wie tale beispielsweise erfüllt die Minimalitätsbedingung, auch wenn keine der beiden Silben sie erfüllt: (47)

Ν

Ko

Wie (47) zeigt, enthält jede der beiden Silben nur eine gefüllte Reimposition, der Fuß insgesamt jedoch zwei, so daß die Minimalitätsbedingung nicht verletzt ist. Die Information über die Zahl der Reimpositionen wird über die Silbenknoten zum Fuß hochprojiziert. Sowohl Minkova (1985) als auch Noske (1993) betonen, daß die Minimalitätsbedingung für Fuß-, nicht für Silbenstrukturen gilt. Sie ist sowohl als positive als auch als negative Wohlgeformtheitsbedingung formulierbar. Für erstere schlage ich folgende Form vor:

33

Zwischen der Segmentebene und der Ebene der subsilbischen Knoten ist noch die X-Schicht (vgl. Kap. 1 ) angesiedelt, die ich in den Repräsentationen - aus Platzgründen - weggelassen habe.

81 (48)

Σ

R /

\

Χ

X

Bedingung: Σ bildet den einzigen Fuß des Wortes einer lexikalischen Hauptkategorie

Die Punkte zwischen Σ und R deuten an, daß die Zahl der Silben zwischen Fuß- und Reimebene für die Bedingung selbst irrelevant ist. Die Punkte zwischen R und X-Positionen sind in analoger Weise zu interpretieren: Die X-Knoten können sowohl Elemente des Nukleus als auch der Koda sein.34 Eine negative Wohlgeformtheitsbedingung kann entsprechend folgendermaßen formuliert werden: (49)

*

Σ

σ

R

Ν

Χ

Bedingung: Vgl. (48).

Ensteht bei einem phonologischen Prozeß wie der Schwa-Tilgung oder Glidebildung von IM im Mittelenglischen eine Konstellation wie (49), so wird diese durch Hinzufugung einer X-Position und Assoziation des verbleibenden Vokals mit dieser Position an die positive Fußstrukturbedingung (48) angepaßt. Die Längung des Vokals im Wandel von [patsientss] zu [pa:sjensa] ist dann folgendermaßen repräsentierbar:35

34

35

Genauer gesagt, muß der erste X-Knoten immer ein Element des Nukleus sein, da dieser innerhalb der Silbe obligatorisch ist. Nur die Position des zweiten X-Elementes ist frei. Diese Unterscheidung folgt aber aus allgemeinen Bedingungen für Silbenstrukturen und braucht daher nicht in die Struktur (48) integriert zu werden. Die für die Veränderung irrelevanten Knoten ,σ', ,R', ,Ο' und ,Ko' sind in der Darstellung weggelassen.

82 (50)

Σ

Σ

Ν

Χ

Χ

a

a

Χ

Die Veränderung besteht in der Erzeugung einer zweiten X-Position und der Assoziation dieser Position mit dem Vokal lai der Segmentschicht und dem Nukleusknoten. Im Gegensatz zur Darstellung von Minkova (1985: 171) (vgl. oben (32)) ist in diesem Fall keine S-W-Etikettierung erforderlich. Eine Repräsentation der MEOSL und ML wie (50) ist auch auf das von Noske (1993) verwendete flache Silbenmodell übertragbar, das keine Reimkonstituente enthält (vgl. oben (27b)): σ

(51)

Ο

Ν

Ko

Im Modell (51) ist die Minimalitätsbedingung für Fußstrukturen schwieriger zu formulieren als im hierarchischen Silbenschema, da die Konstituente Reim fehlt. Man kann also nicht einfach auf die Zahl der Elemente innerhalb einer Konstituente, des Reims, rekurrieren, sondern muß die Segmente in Nukleus und Koda quasi addieren. Dies gilt allerdings nur für die positive Wohlgeformtheitsbedingung; eine negative ist außer dem Fehlen der Konstituente Reim - mit (49) identisch. Eine zu (48) analoge Bedingung für Fußstrukturen in Noskes Modell (51) müßte etwa folgende, komplexe Form haben:36 (52)

Σ

r

Ν

Χ

36

l

Ko

2

1

2

Ich habe mich in (52) auf die Variante mit monosyllabischem Fuß beschränkt.

83 Die Notation mit spitzen Klammern ist an Chomsky/Halle (1968) angelehnt. (52) ist danach folgendermaßen zu interpretieren: Die erste X-Position im Nukleus ist obligatorisch, die zweite kann fehlen, wenn gleichzeitig in der Koda eine Position besetzt ist. Hat der Nukleus wiederum eine zweite gefüllte Position, so kann die Koda leer sein. Der Nachteil einer Struktur wie (52) ist nicht nur rein technisch-notationeller Natur. Sie kann nicht auf einfache Weise zum Ausdruck bringen, daß Elemente in Nukleus und Koda, abgesehen von extrametrischen Segmenten, für die Berechnung des prosodischen Gewichts gleichbehandelt werden, da ein gemeinsamer Knoten in der Struktur fehlt. D.h., ohne die Reimkonstituente können bestimmte Generalisierungen, welche die metrische Gewichtung prosodischer Konstituenten wie Silbe und Fuß betreffen, nicht ausgedrückt werden. Es bleibt die Frage zu klären, ob MEOSL im von mir vorgeschlagenen Rahmen auch dann analysierbar ist, wenn man Noskes (1993) und Minkovas (1985) Prämisse fallenläßt, daß Vokallängung und Schwa-Ausfall simultane Prozesse sind.

3.1.5 MEOSL und Extrametrizität Kim (1993) geht, wie in 3.0 bereits erwähnt, davon aus, daß der wortfinale SchwaAusfall nach MEOSL eingetreten ist und nicht, wie Minkova (1982 und 1985) behauptet, gleichzeitig mit der Längung. Er nimmt, wie auch Grundt (1976), an, daß die Längung mit der Vokalreduktion zu Schwa in Zusammenhang steht. Diese Hypothese hat einen - wenn auch recht unbedeutenden - Vorteil gegenüber Minkovas Lösungsvorschlag: Einige Vokaldehnungen in zweisilbigen Formen wie me. efen > even, cradel > cradle etc. (vgl. Fußn. 4) sind in die Beschreibung integrierbar, wenn man davon ausgeht, daß im Me. in den Finalsilben dieser Wörter Vokalreduktion zu Schwa erfolgt ist. M.E. ist Kims (1993) Vorschlag im vorgegebenen prosodischen Rahmen ebenfalls beschreibbar. Ein Grundelement der obigen Analyse, das unabhängig von MEOSL motiviert ist, kann beibehalten werden, die Minimalitätsbedingung (48) für die Fußstruktur von Wörtern. Die Längung kann als Folge dieser Bedingung betrachtet werden, wenn die finale Schwa-Silbe als extrametrisch gewertet wird, das heißt, für diese Restriktion quasi unsichtbar ist. Die Extrametrizität ganzer Silben ist keineswegs ungewöhnlich, sondern ein durchaus übliches Beschreibungskonzept (vgl. z.B. Hayes 1982 und 1995, Kenstowicz 1994: 640-646). So nimmt beispielsweise Zonneveld (1994: 86f.) zur Beschreibung des niederländischen Wortakzentsystems an, daß finale Silben, die auf einfachen Konsonanten enden, extrametrisch sind, u.a., weil sie nie den Wortakzent erhalten; dies gilt z.B. für die Finalsilben in hár.nas, gi.brâl.tar, ál.fa.bet, ál.co.hol etc. Daß finale Schwa-Silben für die Eigenschaft ,Extrametrizität' geradezu prädestiniert sind, kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß sie nicht akzentuierbar sind. Wendet man die Hypothese der Extrametrizität auf MEOSL (z.B. in tale) an, ergibt sich folgende Analyse: Nach der Vokalreduktion zu Schwa wird die finale Silbe extrametrisch. Damit erhält man als Eingabestruktur für die Vokallängung folgende Konstellation (vgl. oben 47):

84 (53)

Σ

σ

Ο

R

/

\

Ν

t

Ο

Ko

σ 3ω

R

Ν

Ko

a

Da die letzte Silbe extrametrisch ist - was ich durch die fehlende Assoziationslinie zwischen Finalsilbe und Fuß (Σ) dargestellt habe - , verstößt die Struktur (53) gegen die Minimalitätsbedingung (48) (bzw. (49)), was nach dem oben beschriebenen Muster zur Vokallängung führt. Extrametrizität ist, wie in Kap. 1.1.2.2 erläutert, nur für Segmente oder Silben am Rande höherer prosodischer Kategorien, in diesem Fall am Wortende, möglich (vgl. die Notation „ ] ω " in (53)). Dies belegen im hier betrachteten Fall MEOSL z.B. dreisilbige Wörter vom Typ gaderen, adese, hevenes (vgl. 25), in denen der Vokal der ersten Silbe nicht gelängt wurde. Die Vokale erfüllen zwar die Kontextbedingung ,vor Schwa-Silbe', aber nur die letzte Schwa-Silbe kann extrametrisch sein, nicht beide. In diesem Abschnitt habe ich zu zeigen versucht, daß MEOSL auch dann im Rahmen einer Minimalitätsbedingung für Fußstrukturen von Wörtern beschrieben werden kann, wenn man die Längung nicht an die Schwa-Tilgung knüpft.

3.2 Fazit Zwei Längungstypen des Mittelenglischen, „Middle English Open Syllable Lengthening (MEOSL)" und „Managerial Lengthening (ML)", wurden als Sonderfälle kompensatorischer Längungen im prosodischen Rahmen beschrieben. Zunächst wurde die Analyse von Hayes (1989) im Rahmen des Morenmodells vorgestellt. Diese erwies sich sowohl aus theoretischer als auch empirischer Sicht als unzureichend. Gestützt auf die Untersuchungen von Minkova (1985) und Noske (1993), habe ich dann beide Längungsphänomene auf eine gemeinsame Ursache zurückgeführt, eine kanonische Fußstruktur im Mittelenglischen, die mindestens zwei gefüllte Reimpositionen enthält. Erzeugen phonologische Prozesse wie Schwa-Tilgung oder Glidebildung prosodische Strukturen, die diese Minimalitätsbedingung verletzen, so werden sie durch Vokallängung, m.a.W. Expansion des Silbennukleus, quasi „repariert". Zur Repräsentation dieser Veränderungen ist ein hierarchisches Konstituentenmodell der Silbe mit den subsilbischen Knoten

85 Onset, Reim, Nukleus und Koda - so zeigte ein Vergleich mit anderen Silbenmodellen am besten geeignet. Abschließend habe ich kurz skizziert, daß die Minimalitätsbedingung als auslösender Faktor der Vokallängung auch in Betracht kommt, wenn man nicht von der Prämisse Schwa-Tilgung, sondern von einer Vokalreduktion zu Schwa ausgeht, aus der eine extrametrische Finalsilbe resultiert. Im folgenden Kapitel wird zur Beschreibung der Vokaldehnungen und -kürzungen vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen ebenfalls von den Konzepten Extraprosodizität und Minimalität Gebrauch gemacht.

4

Längungen und Kürzungen in der Entwicklung des Deutschen: das Wirken des , Weight Law'

4.1

Fragestellung

Neben der neuhochdeutschen Diphthongierung und Monophthongierung markieren die Vokaldehnungen und -kiirzungen den Übergang vom mhd. zum nhd. Vokalsystem am deutlichsten. In (la) sind einige Bespiele für Dehnungen, in (lb) für Kürzungen aufgelistet (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 74-78 und Mettke 19835: 70f.): (1) a.

mhd.

Ν

/a/

/e/

loi

b.

mhd.

la:/

sigen rise ligen name hase sagen bëten lëben rëbe bote vogel loben

brâhte dâhte jâmer /i:/1 lieht dierne viertel /e:/ lêrche hêrre Gêrtrûd /o:/ horchen hôchzît genÔ3

>

nhd.

/i:/

> > >

/a:/

> >

/e:/

>

> >

lo:l

> > > >

nhd.

/a/

>

> >

Ν

> > >

Id

> > > > >

loi

siegen Riese liegen Name Hase sagen beten leben Rebe Bote Vogel loben brachte dachte Jammer Licht Dirne Viertel Lerche Herr Gertrud horchen Hochzeit Genösse

Die Frage nach möglichen Erklärungen dieses charakteristischen Lautwandels beschäftigt die Forschung seit langem. Reis (1974) arbeitet einen bedeutenden Teil der Forschungstradition, die junggrammatische und strukturalistische Sicht dieser Prozesse, 1

Der Langvokal /i:/ ist wiederum ein Resultat der nhd. Monophthongierung des Diphthongs /is/ (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 77).

88

auf und gibt auch einen kurzen Einblick in generative Ansätze. Eine Interpretation aus silbenphonologischer Sicht unterbreitet Prokosch (1939), indem er die Veränderungen im wesentlichen auf das Wirken des , Weight Law' zurückfuhrt. Diesen Vorschlag greift Vennemann (1988) im Rahmen seiner Silbenphonologie wieder auf. Da beide Autoren prosodische Faktoren für die Dehnungs- und Kürzungsvorgänge verantwortlich machen, bilden ihre Analysen einen geeigneten Ausgangspunkt meiner Darstellung der Prozesse im Rahmen der Silben- und Fußstruktur. Dabei wird sich zeigen, ob der bei der Beschreibung der mittelenglischen Längung (vgl. Kap. 3) eingesetzte nicht-lineare Beschreibungsapparat auch für die Repräsentation der hier zu untersuchenden Lautwandelphänomene brauchbar ist.

4.2

Das , Weight Law'

4.2.1 Repräsentation der Quantitätsveränderungen Prokosch (1939: 140) macht die Beobachtung, daß im Mhd. folgende vier Typen akzentuierter Silben vorkommen (ohne Berücksichtigung des für das hier betrachtete Längungsphänomen irrelevanten Silbenonsets): (2) a. offene Silbe mit Kurzvokal, vgl. ne-men b. offene Silbe mit Langvokal, vgl. nä-men c. geschlossene Silbe mit Kurzvokal, vgl. dah-te d. geschlossene Silbe mit Langvokal, vgl. däh-te Das Nhd. kennt dagegen in der Regel - zur Erklärung der zahlreichen Ausnahmen vgl. unten 4.3 - nur noch die Typen (2b) und (2c). Diese Reduktion ist auf die in (1) skizzierten Längungs- und Kürzungsvorgänge zurückzufuhren. Prokosch (1939: 140) interpretiert diesen Wandel als Veränderung des Silbengewichtes: Die Zahl der möglichen Zeiteinheiten („time units") im Silbenreim wird auf genau zwei begrenzt.2 Ein Langvokal zählt dabei als zwei Zeiteinheiten, Kurzvokal und Konsonant zählen als je eine Einheit. Repräsentiert man die „time units" als CV-Elemente auf der Skelettschicht in einem flachen CV-Modell der Silbe (zur Darstellung vgl. Wiese 1986 u. 1988 sowie Ramers/Vater 19954: Kap. 4),3 so lassen sich die Veränderungen folgendermaßen darstellen:

2

Der Gedanke, daß die Vokaldehnungen und -kürzungen einer Art „Neigung" zur konstanten Länge von Silben (oder Wörtern) entspringen, ist keineswegs neu; er wird z.B. - zumindest implizit bereits von Schleicher (1860: 168) vertreten (vgl. dazu Reis 1974: 77), außerdem z.B. auch von Valentin (1969: 342) und - für das Bairische - von Kranzmayer (1956: 11) (vgl. die Anmerkungen in Penzl 1975: 114f. und die kritische Bewertung in Reis 1974: 246).

3

Benutzt man anstelle dieses Silbenschemas das Morenmodell (vgl. Auer 1992 und Kap. 3), so bildet eine More je eine „time unit".

89 (3) a.

b.

y

Os

(Ts

as

as

γ

V

Die Punkte deuten an, daß die Füllung des Onsets für diese Veränderungen keine Rolle spielt. (3a) bildet eine formale Repräsentation für die Längungen in (la), z.B. sigen > siegen, (3b) für die Kürzungen in (lb), vgl. lieht > Licht. Im Konstituentenmodell der Silbe, auf das ich mich in dieser Arbeit stütze (vgl. oben Kap. 1.1.2.1), sind Längung und Kürzung ebenfalls auf einfache Weise darstellbar,4 wie (4a und b) zeigen: 4) a.

as

/I O

/I

R

O

l\ Si

b.

R

Ko

Χ

Ν

Χ

as

Ο

Χ

Ko

Χ as

R

Ν

as

Ο

R

Ko

Ν

X

Ko

X

In (4a) wird die Zahl der X-Positionen im Silbenreim auf 2 erhöht (Längung), in (4b) wird sie auf die gleiche Anzahl reduziert (Kürzung). Mit anderen Worten, im Mhd. 4

In Kap. 3 wurde die ,Mittelenglische Vokallängung' in ähnlicher Weise, allerdings unter Einbezug der Fußebene, repräsentiert.

90 schwankt die Zahl der Reimelemente zwischen 1 und 3, im Nhd. ist sie auf genau 2 festgelegt. Zunächst ist zu fragen, in welchen größeren Zusammenhang diese Veränderungen der Silbenstruktur gehören und ob es Pendants in der Entwicklung anderer Sprachen gibt.

4.2.2 Beispiele für das Wirken des , Weight Law' Vennemann (1988: 30) interpretiert das ,Weight Law' (im folgenden als „WL" abgekürzt) als Präferenzgesetz, das in Sprachen mit einem bestimmten Akzenttyp, dem dynamischen Akzent im Gegensatz zum melodischen Akzent (vgl. oben Kap. 2), wirksam ist: „ Weight Law In stress accent languages an accented syllable is the more preferred, the closer its syllable weight is to two moras, and an unaccented syllable is the more preferred the closer its weight is to one mora. (The optimal stressed syllable is bimoric, the optimal unstressed syllable is unimoric.)"

Nach dieser Definition des Gesetzes, das als „preference law" für Vennemann (1988: 4) universale Gültigkeit besitzt, ist die bimoraische Form akzentuierter Silben in Sprachen dieses Typs nicht obligatorisch, sondern lediglich das Optimum auf einer Skala präferierter Silbenstrukturen. Auf einer solchen Skala wäre das Nhd., da es dieses Optimum - allerdings, wie noch gezeigt wird, mit zahlreichen Einschränkungen erfüllt, in Bezug auf das WL höher angesiedelt als das Mhd. Vennemanns Hypothese sagt folglich voraus, daß Sprachen sich eher in Richtung auf die Zahl von 2 Zeiteinheiten in akzentuierten Silbenreimen zu- als davon wegbewegen. Die Entwicklung vom Mhd. zum Nhd. entspricht dieser Hypothese. Es lassen sich aber noch zahlreiche weitere Belege aus anderen Sprachen nennen. Vennemann (1988: 31f.) erwähnt eine Entwicklung vom Lateinischen zum Italienischen, die Diphthongierung von /ε/ und loi in akzentuierten offenen Silben (vgl. 5a);5 wie die Beispiele in (5b) zeigen, unterbleibt dieser Prozeß in geschlossenen Akzentsilben: (5)a.

b.

5

pe.de lë.ve fö.cu rö.ta

> > > >

piede lieve fuoco ruota

/pie.de/ /Xie.ve/ /fyS.ko/ /ruó .ta/

,Fuß' ,leicht' ,Feuer' ,Rad'

dën.te pëc.tu pör.ta nöc.te

> > > >

dente petto porta notte

/den.te/ /petto/ /por.ta/ /notte/

,Zahn' ,Brust' ,Tür' ,Nacht'

Eine parallele Diphthongierung, loi > /ou/ und /e/ > /ie/, hat sich in der Entwicklung vom Lateinischen zum Französischen vollzogen; vgl. Pope (1956: 103f.), Fouché (1958: 219ff.) und Zink (1986: 53ff.).

91 Die Beispiele unter (5)a zeigen nur Ausgangs- und Endpunkt der Lautentwicklung. Vennemann (1988: 31)6 geht davon aus, daß vor der Diphthongierung zunächst eine Längung des Vokals erfolgte.7 Er nimmt folgende Stufen des Prozesses an: (6)

a. ε > ε ε > ee > gee > ]εε = ίε b. o > οο > OD > ροο > μoo = y o

Durch die Vokaldehnung entsteht ein Silbennukleus und, da die Koda leer ist, auch Silbenreim, der genau zwei Elemente enthält, d.h., nach Maßgabe des WL optimal ist. In den Wörtern unter (5b) dagegen würde eine Längung des Vokals der Initialsilbe zu einer Struktur mit drei gefüllten Reimpositionen führen, die besagtem Gesetz zuwiderliefe. Man könnte jedoch gegen Vennemanns (1988) Analyse einwenden, daß die Diphthongierung selbst gerade eine dritte X-Position im Reim erzeugt, mit der die Glides /i/ und /y/ assoziiert sind (vgl. 7a und b): (7)

a.

Χ

i

Χ

X

ε

b.

Χ

u

Χ

X

o

Drei Positionen im Reim überschreiten die nach dem WL optimale Anzahl. Die Diphthongierung bildet folglich selbst keine Veränderung im Sinne des WL.8 Für Vennemanns (1988) Konzeption der Präferenzgesetze bildet dieser Einwand jedoch kein Problem, da er nur die Vokallängung, nicht jedoch die Diphthongierung, als Prozeß ansieht, der die Silbenstruktur „verbessert". Er nimmt sogar an, daß Diphthongierungen sie immer „verschlechtern" (1988: 2). Dieser von Vennemann (1988) beschriebene Prozeß ist kein isoliertes Phänomen, sondern kennzeichnend für die allgemeine Entwicklung der Vokalquantität vom klassischen Latein zum Vulgärlatein und Italienischen: Nach Sommerfeit (1962: 82), Allen (1973: 66) und Árnason (1980: 92) wurden unakzentuierte Vokale gekürzt, akzentuierte Kurzvokale dagegen gelängt; außerdem fand eine Konsonantenkürzung in überlangen Silben des Typs V:C statt, z.B. cäs.sus > casus und caus.sa > causa (vgl. Allen 1965: 35f. und Allen 1973: 66). Ein weiteres Beispiel für das Wirken des Weight Law findet sich in der Entwicklung des Niederländischen: Dort wurden ebenso wie im Deutschen Kurzvokale in offener 6 7

8

Er stützt sich übrigens auf die Arbeit von Genot ( 1979). Die Annahme einer Vokallängung vor der Diphthongierung kann damit begründet werden, daß letzterer Prozeß in der Regel nur Langvokale erfaßt, wie z.B. die Diphthongierungen in der historischen Entwicklung des Englischen und Deutschen zeigen. Diese Kopplung von Vokal länge und Diphthongierung ist aber nicht zwangsläufig, wie die Existenz von Kurzdiphthongen, z.B. im Isländischen (vgl. Árnason 1980), belegt. Die Anzahl von 3 Positionen im Silbennukleus nach der Diphthongierung ist ein markierter Fall, der zur Vereinfachung tendiert (vgl. z.B. Anderson 1984: 91 zu Kürzungen dieser Struktur im Hopi). Im Deutschen ist eine Nukleusstruktur mit drei Elementen generell ausgeschlossen (vgl. unten 4.3.2.2.3).

92 Akzentsilbe gedehnt, allerdings früher, und zwar bereits in der Periode des Altwestniederfränkischen oder Altniederländischen (vgl. Leys 1975: 421):9 alt- und mndl. beke bete snede vogel bode

(8) westgerm. bökib/tisn/thifttgalbodo-

neu-ndl. beek beet snede

vogel bode

Leys (1975) betrachtet die Vokaldehnung - ebenso wie Prokosch (1939) den entsprechenden Prozeß im Deutschen (vgl. oben 4.2.1) - als Veränderung, welche die Art möglicher Silbenstrukturen beschränkt. Er nimmt für das Altniederländische vor der Quantitätsänderung folgende zugelassene Reimstrukturen (für Wurzelmorpheme) an (1975:423): 10 (9)

a. ...VCb.... W C c. ...VCC-

(dag-, dak-) (raad-, slaap-) (bidd-, sitt-)

In entsprechenden erweiterten Formen mit vokalisch anlautendem Flexiv resultieren nach Leys (1975: 425) folgende Silbenstrukturen: (10) a. b. c.

V$CV W$CV VCSCV

(da$ga) (raa$dan) (bidSdan)

Im Sinne des WL bilden (10b und c) optimale Reimstrukturen, (10a) dagegen nicht, da die akzentuierte Initialsilbe nur ein Reimelement enthält. Genau diese Struktur ist instabil und unterliegt der Vokaldehnung^vgl. 8), die somit als Optimierungsprozeß auf der Grundlage des WL interpretierbar ist. Daß hingegen der Folgekonsonant nicht primärer Auslöser der Längung sein kann, zeigt dessen Fehlen in der unflektierten Form (vgl. 1 la mit b): 9

Die von der Vokallängung erfaßten Vokale sind kursiv gesetzt, die ebenfalls beobachtbaren qualitativen Veränderungen bleiben in der folgenden Diskussion unberücksichtigt. 10 Er verwendet CV-Einheiten. Im Konstituentenmodell der Silbe entsprechen diesen X-Positionen. " Die Struktur „... VVCC-" ist jedoch nicht zugelassen. Im Althochdeutschen kommt sie dagegen nach Leys (1975: 433) vor, z.B. in slaaff-. Es ist anzumerken, daß diese Restriktionen bei Leys nicht als Silben-, sondern als Morphemstrukturbedingungen formuliert sind. 12 Leys (1975: 425) selbst interpretiert die Vokaldehnung als Veränderung einer markierten Struktur (Kurzvokal in offener Silbe) zu einer unmarkierten (Langvokal in offener Silbe), wobei er sich an die in Chomsky/Halle (1968) konzipierte Markiertheitstheorie anlehnt. Diese formulieren allerdings keine Markiertheitskonventionen für Silbenstrukturen. Zur Kritik des Erklärungsansatzes mit Hilfe der Dichotomie ,offene - geschlossene Silbe' vgl unten 4.3.

93 (11) a. b. nicht:

da$ga dag

> >

daa$ga daag (vgl. niederl [dax])

Die weitere Entwicklung ist im Niederländischen anders verlaufen als im Deutschen und hat möglicherweise zu verschiedenen Silbenstrukturbedingungen für die beiden heutigen Sprachsysteme gefuhrt. Auf die relevanten Prozesse komme ich weiter unten zurück (vgl. 4.3.2.2.1). Als Paradebeispiele für die Gültigkeit des WL können vor allem die skandinavischen Sprachen (außer dem Dänischen) angeführt werden, wie Árnason (1980) in einer detaillierten Studie zur Entwicklung der Quantitätsstrukturen primär des Isländischen zeigt. Für das Altisländische nimmt Árnason (1980: 95f.) 4 mögliche Strukturen akzentuierter Silbenreime an: (12) a. b. c. d.

VC VCC V:C V:CC

fit fait fát fátt

,Kleidungsstück' ,errichten'(Neutrum) »Konfusion' ,wenige' (Neutrum)13

Die Typen (12a) und (12d) sind im modernen Isländischen verschwunden, was auf Vokaldehnung bzw. -kürzung zurückzuführen ist.14 Nachdem in diesem Kapitel gezeigt wurde, daß mit Hilfe des WL eine Reihe verschiedener Dehnungs- und Kürzungvorgänge in verschiedenen Sprachen beschreibbar sind, werde ich im folgenden einige Vorteile der Vennemannschen Analyse gegenüber anderen Beschreibungsansätzen skizzieren, um dann mögliche Einwände zu diskutieren.

4.2.3

Erklärungspotential des , Weight Law'

Eine gängige Alternative zur Analyse der Vokallängung im Rahmen des WL bildet die Beschreibung im Kontext,offene Silbe'. Neben Leys (1975) (vgl. oben Fußnote 12) beschreiten u.a. Paul/Wiehl/ Grosse (198923: 74), von Kienle (19692: 37) und Penzl (1975: 113) diesen Weg. Sie stützen sich auf die klassische Beschreibung in Paul (1884). Dieser faßt das Ergebnis seiner Analyse der Vokaldehnung folgendermaßen zusammen (1884: 119): „ In ursprünglich geschlossener silbe bleibt stets die kürze, abgesehen von bestimmten consonantischen einwirkungen; in ursprünglich offner tritt stets Dehnung ein, wenn nicht consonant + em, en,

13

14

Zwei weitere denkbare Reimstrukturen, V: und V, d.h. Vokale in offener Silbe, werden von Árnason (1980: 96) nur am Rande erwähnt, da die Quantitätsopposition in dieser Konstellation aufgehoben war, ob zugunsten der Lang- oder Kurzvokale, läßt Árnason offen. Booij (1986) und Iverson/Kesterson (1989) analysieren diese Quantitätsveränderungen im Rahmen der Silben- und Fußstruktur. Booij (1986) benutzt das Konzept der Extrametrizität (vgl. oben Kap. 1.1.2.2 und Kap. 2) zur Erklärung der Vokallängung in monosyllabischen Wörtern mit einem Einzelkonsonanten in der Silbenkoda. Iverson/Kesterson verwenden das metrische Silben- und Fußmodell von Giegerich (1985) zur Analyse der Dehnungen und Kürzungen.

94 er, el darauf folgt; wo letzteres der fall ist, stellen sich dehnung und erhaltung der kürze neben einander."

Pauls (1884) Analyse hat m.E. folgende Nachteile15 gegenüber einer Interpretation mit Hilfe des WL: (a) Die Integration des Konzepts „offene Silbe" in silbenstrukturelle Modelle ist schwierig. Sie erfordert in der Regel eine Explikation in Form von Begriffen, die auch zur Kennzeichnung des Silbengewichts dienen. Im Konstituentenmodell z.B. wäre ein Kurzvokal in offener Silbe als , einziges Nukleuselement vor leerer Koda' zu umschreiben. Ähnliche, auch das Silbengewicht charakterisierende Beschreibungen lassen sich für das Moren-oder CV-Modell der Silbe finden. D.h., in diesen hierarchischen Strukturmodellen erweist sich die Dichotomie ,offene vs. geschlossene Silbe' möglicherweise als nicht autonomes, epiphänomenales Konzept. Diese eher technisch-notationellen Probleme des Konzepts ,offene Silbe' wiegen weniger schwer als die folgenden Beschreibungsdefizite. (b) Vokaldehnung und -kürzung werden nicht durch ein einheitliches Konzept beschrieben. Paul (1884) selbst stellt keine Verbindung zwischen der Bedingung ,offene Silbe' für Längung und geschlossene Silbe' für Kürzung her. Stattdessen nennt er (1884: 122) als Kontext für die Kürzung eines Langvokals folgende Doppelkonsonanz. Er spricht zwar recht vage von einer „nivellierenden tendenz", die Dehnung und Kürzung gemeinsam sei, die Zurückführung der Silbenlänge „auf das normale mass" (1884: 122) wird aber nicht mit der Dichotomie ,offene vs. geschlossene Silbe' in Verbindung gebracht. Wenn aber Vokallängung und -kürzung Prozesse bilden, die in einem sprachgeschichtlichen Zusammenhang stehen (vgl. z.B. Reis 1974: 205 und Kranzmayer 1956: 11), sind sie einheitlich zu beschreiben. Diese Zurückfuhrung auf ein Konzept ,Struktur des Silbenreims' - ist durch das WL gegeben. (c) Das WL sagt voraus - was Pauls (1884) Ansatz nicht leisten kann - , daß es zur Vokaldehnung einen alternativen phonologischen Prozeß gibt, der ebenfalls in zwei Reimpositionen resultiert, die Konsonantengemination bzw. Ambisilbifizierung, die den Konsonanten im Onset der Folgesilbe mit der vorangehenden Silbenkoda assoziiert. In (12a und b) (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 77 und 130) sind einige Beispiele aufgeführt, (12b) enthält gleichzeitig eine Vokalkürzung, so daß die Zahl von zwei Positionen im Reim nicht überschritten wird: (12) a.

b.

mhd.

gate himel sumer komen

> > > >

wâfen jâmer nâter lâ3en

> > > >

nhd.

Gatte Himmel Sommer kommen Waffen Jammer Natter lassen

Andere Probleme, u.a. Pauls (1884) unsystematische Annahme analogischer Ausgleichsprozesse zur Erklärung von Ausnahmen, werden in Reis (1974: 91-97) ausfuhrlich diskutiert.

95 Die Erklärung der fehlenden Vokaldehnung in (12a) - die Vokalkürzung in (12b) kann auf analoge Weise beschrieben werden - , die auf den ersten Blick eine Ausnahme zum WL zu sein scheint, durch die Annahme der Ambisilbifizierung wird u.a. von Leys (1975: 428 und 436) - für das Mndl. und Mhd. - , Russ (1969) und Valentin (1969) vorgeschlagen. Die Ambisilbifizierung ist im Konstituentenmodell der Silbe folgendermaßen repräsentierbar16 (anhand des Beispiels gate):

g

a

t

a

Ob die Konsonantenverdopplung im heutigen Standarddeutschen ein reines Schriftphänomen bzw. eine rein phonetische Oberflächenerscheinung ist (außer in komplexen Wörtern vom Typ Schiffahrt) oder tatsächlich auch phonologisch motiviert werden kann, ist umstritten. Die erstere Position wird wahrscheinlich häufiger vertreten (vgl. Reis 1974: 77, Leys 1975: 439, Hall 1992: 49-52 und Yu 1992: 70), letztere ist aber durchaus keine Rarität (vgl. z.B. Paul 1884: lOlf. und Wiese 1988: 78-82). In einem Aufsatz zu ambisilbischen Konsonanten (Ramers 1992) habe ich einige Argumente, vor allem aus dem Bereich des Wortakzents, für die phonologische Relevanz der Doppelkonsonanz zusammengetragen. Für die Analyse der Dehnungen und Kürzungen vom Mhd. zum Nhd. ist diese Streitfrage m.E. nicht von entscheidender Bedeutung, weil eine spätere Degeminierungsregel angenommen werden kann, falls man die Ambisilbifizierung im Nhd. als reines Schriftphänomen betrachtet; diesen Weg beschreitet z.B. Leys (1975). Daß im Mhd. noch Konsonanten^eminata mit phonologischem Status existierten, ist allerdings weitgehend anerkannt,1 aber nur, was die mediale Position angeht. Griffen (1990) präsentiert darüberhinaus Evidenzen für die Existenz finaler Geminaten in Wörtern wie bai, man oder waz aus der Entwicklung vom Mhd. zum heutigen Schwäbischen. In diesem Dialekt enthalten die obigen Wörter einen Langvokal, z.B. [ba:l]. Griffen (1990: 138f.) geht von einer kompensatorischen Längung aus (vgl. oben Kap. 3), welche den durch Degeminierung zustandegekommenen Verlust eines Kodakon16 17

Zur alternativen Repräsentation einer echten Konsonantengeminata vgl. Ramers (1992). Vgl. z.B. Russ (1969), Reis (1974) und Valentin (1969); dagegen plädiert - außer bei Ν - Ivd Fourquet(1963).

96 sonanten ausgleicht. Er nimmt folglich einen Wandel von mhd. [ball] zu schwäbisch [ba:l] an. In der Entwicklung zur nhd. Standardsprache hin sei dagegen nur Degeminierung und keine folgende Längung erfolgt. Die vorangehende Diskussion hat gezeigt, daß mit Hilfe des WL die Dehnungs- und Kürzungsvorgänge auf einheitliche, konsistente Weise beschrieben und in den größeren Zusammenhang einer prosodischen Silbenstruktur integriert werden können; diese Analyse verfugt somit über ein hohes Erklärungspotential, das sie z.B. der Beschreibung auf Grundlage der Dichotomie ,offene - geschlossene Silbe' überlegen macht. Sie ist allerdings auch mit einer Reihe von Problemen und ungeklärten Fragen behaftet, die im folgenden betrachtet werden sollen.

4.3

Probleme für die prosodische Erklärung der Quantitätsänderungen

4.3.1 Weight-Law-Analyse der Vokalkürzung Eine Interpretation der Vokalkürzung (vgl. die Beispiele in (lb) und (12b)) im Rahmen des WL, wie sie Prokosch (1939) und Vennemann (1988) vornehmen, erweist sich angesichts zahlreicher Ausnahmen zunächst als brüchig. Am regelmäßigsten ist die Kürzung noch in unbetonter Silbe. Sie erfolgt in den Suffixen mhd. -lieh > nhd. -lieh, -în > -in und im Namensbestandteil -rîch > -rieh (vgl. nhd. Dietrich), kann allerdings in den Suffixen -tuom > -tum und -beere (bzw. -bâr) > -bar unterbleiben (vgl. DUDENAussprache 19903: 62 und 91), auch wenn die Vokale zumeist wohl gespannt, aber kurz realisiert werden. Keine obligatorische Kürzung findet man auch in den Finalsilben folgender Wörter: abeschît mânôt heimôt kleinôt zierôt hîrât armuot bistuom dêmuot safran

> > > > > > > >

> >

Abschied Monat Heimat Kleinod Zierat Heirat Armut Bistum Demut Safran

In den Wörtern in (15) tragen die Finalsilben im Nhd. allerdings in der Regel einen starken Nebenakzent, so daß sie für das WL als akzentuierte Silben zählen und deshalb keine Sondergruppe bilden, sondern zu den im folgenden zu diskutierenden Ausnahmen zur Kürzung in betonten Silben zu rechnen sind. Die letzten Silbenreime der Beispiele in (15) haben alle die Struktur ,Langvokal+Einzelkonsonant' (-WC#); auch hauptakzentuierte Silben dieses Typs zeigen vielfach keine Kürzung, wie Reis (1974: 127) anhand zahlreicher Belege zeigt. Gekürzt werden in monosyllabischen Wörtern lediglich die

97 Präteritalformen einiger starker Verben der Ablautklasse II (vgl. 16a),18 denen wiederum andere ohne Kürzung gegenüberstehen (16b) (vgl. Reis 1974: 85, Anm. 36): gÔ3 schÔ3 sôt krouch trouf rouch slÔ3 sprÔ3 vlÔ3 souf zôch bôt bouc schoup loue stoup troue vlouc kôs vrôs

> > >

> > > > > > > > >

> >

> > > > > >

nhd.

goß schoß sott kroch troff roch schloß sproß flöß soff zog bot bog schob log stob trog flog kor (zu küren) fror

Den Langvokalen im Präteritum Singular (1. und 3. Person) dieser Verbformen (vgl. bôt) stehen im Mhd. Kurzvokale im Präteritum Plural (vgl. buten), Prät. Sing. 2. Person und im Partizip Prät. {geboten) gegenüber. Zugunsten welcher Variante (Kurz- oder Langvokal) der analogische Ausgleich im Verbparadigma jeweils erfolgt ist, kann aufgrund des WL nicht entschieden werden, da dieses Vokalkürzung in geschlossener (Prät. Sing.) und Vokaldehnung in offener Silbe (Prät. Plur. und Partizip) voraussagen würde, was offensichtlich nicht eingetreten ist. Eine Interpretation der Kürzungen in (16a) im Rahmen des WL ließe zudem unerklärt, warum diese nicht in anderen Einsilblern mit der Reimstruktur -VC# eingetreten ist.19 Stattdessen findet man in Wörtern dieses Typs häufig Längungen, was dem WL gänzlich zu widersprechen scheint (vgl. unten 4.3.2). In mehrsilbigen Wörtern findet ebenso wie in Einsilblern im betrachteten Kontext in der Regel keine Kürzung statt, wie die Beispiele in (17) zeigen (nach Reis 1974: 127):20 18

19

20

Daneben treten auch in anderen Verbalformen Kürzungen auf, z.B. mhd. muo3 > nhd. muß, hät > hat. Kienle (1969 2 : 245) führt die Differenzierung der Vokalquantität in (16a) vs. (16b) auf die Art der Folgekonsonanz zurück. Vor b, g, r und h sei in offener Silbe Vokaldehnung eingetreten, während ansonsten Kürze erhalten bliebe. Er räumt selbst ein, daß diese Deutung das unterschiedliche Verhalten vor /t/ (vgl. bot vs. sott) nicht erklären kann. Gekürzt werden die Vokale dagegen im Schweizerdeutschen, wo die Wörter aber nicht auf der

98 (17)

mhd.

muscât salât spinât fasân anís

> >

nhd.

> > > >

Muskat salat Spinat Fasan Anis

An Kürzungen sind - neben mehrsilbigen Verben nach dem Muster der Einsilbler in (16a) wie verdrÔ3 > verdroß - nur folgende zu nennen: (18)

mhd.

genÔ3 abelâ3 anebÔ3 anelâ3 bruoch estrîch geschÔ3 hederîch • u» 21 inbi3 quît râ3 schâch slÔ3 vên

> >

> > > > > > > > > > >

>

nhd.

Genösse Ablaß Amboß Anlaß Bruch Estrich Geschoß Hederich Imbiß quitt Roß, Roße ,Wabe' Schach Schloß Venn (ndd.,Sumpfland')

Das weitgehende Fehlen der Kürzung von Langvokalen in Silbenreimen der Struktur - W C am Wortende kann mit Rückgriff auf das Konzept der Extrasilbizität bzw. Extrametrizität erklärt werden, das ich oben bereits bei der Analyse der Vokaldehnung im Mittelenglischen benutzt habe (vgl. Kap. 1.1.2.2 und Kap. 3). Unter Verwendung dieses Konzepts ergibt sich z.B. für mhd. spinät folgende Silbenstruktur:

21

zweiten, sondern der ersten Silbe betont sind; vgl. schweizdt. ['muskat] statt [mus'ka:t], ['a:nis] statt [a'ni:s] etc. Diese Kürzungen sind im Rahmen des WL, nach dem unbetonte Silben mit einer Reimposition präferiert sind, zu erwarten. Nach der Korrektur in Lexer (198637: 347) kommt mhd. nur die Form mit Kurzvokal, inbij, vor.

99 (19)

aw

R

O

M

Χ

Ko

Χ

Χ

Χ

Χ

(Χ)

J-2

Für die Kürzungen in (18) ist in diesem Rahmen folgende Analysemöglichkeit denkbar: Die finalen Konsonanten bilden Geminaten, analog zu der Entwicklung in wâfen > Waffen (vgl. oben 12b), d.h. die wortfinale Reimstruktur ist - W C C # , nicht - W C # . Eine Stütze fur diese Geminatenstruktur bildet die Mehrfach- bzw. Doppelkonsonanzschreibung und ,23 letzteres allerdings nur im Nhd. (vgl. mhd. ) im Wortinneren (siehe dagegen auslautend ). Für 6 der Beispiele kann die Kürzung einfach auf fehlenden Akzent zurückgeführt werden: mhd. abelâj anelâj anebôj estrîch, hederîch und inbÎ3. Es bleiben dann 8

erklärungsbedürftige Fälle übrig. Ob das Konzept der Extrametrizität eine ausreichende Erklärung fur das Fehlen der Kürzung in den Wörtern in (17) bietet, muß sich anhand der Untersuchung der übrigen relevanten Kontexte zeigen: - Findet Kürzung der Langvokale vor einem Konsonanten in der Silbenkoda im Wortinnern statt? - Findet Kürzung vor mehreren Konsonanten am Wortende statt? Folgende Fällen von Kürzungen am Wortende (20a) und im Wortinneren (20b) sind belegt (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: § 47, Ebert/ Reichmann/Solms/Wegera 1993: § L 35, Kluge 198922 und Lexer 198637): (20)

22

23

a. mhd.

âht andâht bluost tâht

> > > >

nhd.

Acht Andacht Blust (südd.,Blühen') Docht

Extrasilbizität und -metrizität sind durch fehlende Assoziationslinie zwischen der X-Position des Konsonanten Ν und der Kodakonstituente sowie durch Klammerung dieses X-Knotens repräsentiert (vgl. zur Notation oben Kap. 3). Vor hd (geschrieben ) wird aber in der Regel nicht gekürzt (vgl. z.B. mhd. buoch > nhd. Buch; zu zahlreichen anderen Beispielen siehe unten (32)). Auch vor /V fehlt die Kürzung vielfach, vgl.

mhd. blój > bloß, gros > groß, vuoj > Fuß etc. Die vorgeschlagene Analyse steht also auf wackligen Füßen.

100

24

eilf hienc viene gienc lieht rôst sluoht

> > > > > > >

elf hing fing

âhtunge brâmber dïhte dierne eintweder viehte hêrlîh hêrschen hôr(e)chen însae3e iergen klâfter lâchter latwêrge lêrche lôrber nâchbûr nüehter(n) ôsten phriiende raesten slûchzen snûpfe smarât stûpfen tîhter tîligen viertel wîngart(e) wînzûrl zweinzee, zwênzic

> > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

Ächtung Brombeere dicht Dirne entweder Fichte herrlich herrschen horchen Insasse irgend Klafter Lachter (fachspr. für ,Klafter') Latwerge Lerche Lorbeer Nachbar nüchtern Osten Pfründe rösten schluchzen Schnupfen Smaragd stupfen (südd.,stechen') Tichter ,Enkel' tilgen Viertel24 Wingert Winzer zwanzig

ging Licht Rost Schlucht

Vgl. auch die Wörter vierzehn und vierzig. Im Gegensatz zu diesen abgeleiteten Formen ist im Basiswort vier der Langvokal erhalten, ein Indiz für meine obige Analyse, daß M im letzteren Falle als wortfinaler Konsonant nach Langvokal extrametrisch ist, in den ersteren dagegen nicht. Solche Alternationen in der Vokallänge zwischen verwandten Wortformen sind in der nhd. Standardsprache durch analogischen Ausgleich (vgl. dazu unten 4.3.2.2.1) fast vollständig verschwunden, haben sich aber z.T. in Dialekten erhalten (vgl. Paul 1884: 124).

101 D i e s e n Beispielen, die d e m W L entsprechen, stehen j e d o c h zahlreiche andere gegenüber, die keine Kürzung in den Kontexten - W C C - (21a) und - W C C # (21b) oder gar Längung (in den U m g e b u n g e n - V C C - und - V C C # ) z e i g e n (vgl. z u letzterem unten 4.3.2): (21)

a.

mhd.

brêzel raetsel ôster ostetriche priester

> > >

nhd.

Brezel Rätsel Ostern

> >

Österreich Priester

riester klôster

> >

Riester , Streichbrett am Pflug' Kloster

huoste(n)

> >

Husten Schuster 2 5

diuster

>

düster

wüeste gemaelde gebasrde

>

Wüste Gemälde Gebärde

wuost bluost

> > > > >

sûster, schuo(ch)ster

b.

biest 2 6 trôst hielt dienst, dienest

25

26

27

28

> >

Wust Blust , B l ü h e n ' , , B l ü t e z e i t ' Biest Trost

>

hielt Dienst

bâbes, bâb(e)st 2 7

>

Papst

mân(e) 2 8

>

Mond

In diesem Wort kommt auch die Aussprache mit kurzem Vokal, [fuste], als regionale Variante vor, z.B. im Rheinland. Im Mhd. existiert das Wort nur in der Bedeutung ,erste Milch einer Kuh nach dem Kalben'. Biest in der Variante ,unausstehlicher Mensch (oder Tier)' ist erst im 16 Jh. in der Hochsprache bezeugt und wurde über das Westmitteldeutsche aus mndl. beest iibernommmen, das wiederum aus afiz. beste (von lat. bestia) entlehnt wurde (vgl. Kluge 198922: 84). Dienen die Varianten ohne Synkope in den letzten beiden Wörtern als Ausgangsbasis (vgl. Paul 1884: 123), so liegt eine Silbenstruktur V:.CV vor, die nach dem WL nicht der Kürzung unterliegt; auf die Synkope komme ich weiter unten im Zusammenhang mit der Dehnung in Wörtern wie Obst, Magd, Jagd etc. zurück. Das epithetische /t/ (bzw. /d/) ist seit dem 13 Jh. in einer Reihe von Wörtern u.a. nach /n/ am Wortende belegt, z.B. niergen > nirgend oder ieman > jemand (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 161, § 149). Die unterbliebene Kürzung in Mond kann entweder durch eine chronologische Reihenfolge ,Kürzung vor /d/-Epithese' oder durch Analogie zu mhd. mânôt, meinet ,Monat' zurückgeführt werden. Auch die erhaltene Länge in mhd. mäntac > Montag kann auf Analogie zu Monat oder Mond beruhen.

102 Sind diese Fälle auch durch das Konzept der Extrametrizität beschreibbar? M.E. zum größten Teil ja. Zunächst fällt auf, daß in den Fällen unter (21a) (bis auf zwei Beispiele)29 der Langvokal vor den Affrikaten [ts] und [tj] sowie dem Cluster [st] erhalten bleibt. Dies eröffnet die Möglichkeit einer alternativen Silbifizierung, in der diese Cluster nicht heterosyllabisch, sondern tautosyllabisch sind, also z.B. klô.ster statt klôs.ter,30 Dann liegt für die erste Silbe nicht die Reimstruktur - W C $ , sondern - W $ C vor; das Fehlen der Vokalkürzung würde in diesem Fall dem WL entsprechen und die Beispiele bildeten keine Ausnahmen mehr. Für die Silbifizierung der Konsonantencluster als Onset der 2. Silbe spricht das universale ,Maximal Onset Principle (MOP)' (vgl. oben Kap. 2.), nach dem die präferierte Silbenposition für Konsonanten der Onset und nicht die Koda ist. Das MOP kann allerdings mit einer Reihe anderer universaler und sprachspezifischer Prinzipien konkurrieren. Ein solches Prinzip ist z.B. das WL. Folgt man der oben von mir propagierten Analyse (13) der Veränderungen in (12), so findet in wâfen > Waffen nicht nur eine Vokalkürzung, sondern zugleich eine Ambisilbifizierung von [f] statt; d.h. die resultierende Silbenstruktur ist [vaf.fan], nicht [va.fan], wie das MOP erwarten ließe. Für die Frage der Silbifizierung der Wörter in (21a) ist jedoch das WL als intervenierendes Prinzip nicht relevant, da die akzentuierten Silben ohne Kodakonsonanten bereits die vom WL geforderten zwei Reimpositionen enthalten. Meines Wissens sprechen auch keine anderen Prinzipien oder empirische Evidenzen gegen die vorgeschlagene Silbifizierung. Da umgekehrt vor [st] auch keine Vokaldehnung stattfand (vgl. z.B. Küster, Schwester, kosten), ist das Cluster nach Kurzvokal als ambisilbisch31 zu betrachten; diese Analyse entspricht der für /t/ in Wörtern wie Gatte (vgl. oben (13)) und vermeidet eine Reihe von neuen Ausnahmen zur Längung. Das Fehlen der Vokalkürzung wortmedial vor zwei Konsonanten (vgl. 21a) ist also im Rahmen einer entsprechenden Silbenstruktur relativ problemlos erklärbar. Wie ist aber die gleiche Konstellation wortfinal zu deuten (vgl. 21b)? Warum findet in den Wörtern mhd. wuost, biest und trôst keine Kürzung vor /st/ statt? Wenn das finale /t/ als extrametrisch für die Berechnung des Silbengewichts keine Rolle spielt, bilden Langvokal und /s/ immer noch drei Reimpositionen, d.h. eine zuviel. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, /st/ analog zur Repräsentation von Affrikaten wie ein komplexes Segment zu analysieren. Für das Wort trôst z.B. resultiert aus dieser Annahme folgende Silbenstruktur (zur Darstellung vgl. oben (19)):

29

30

31

Gemälde und Gebärde sind komplex und enthalten das im Nhd. nicht mehr produktive Suffix -de (vgl. auch Beschwerde, Freude, Zierde etc.). Möglicherweise ist der Erhalt der Länge auf Analogie zu malen bzw. mhd. gebceren, gebären ,sich benehmen' zurückzuführen. Diese Silbenstruktur nimmt übrigens auch Paul (1884: 123) an, der außer st- auch die Cluster tr- und dr- nach Langvokal als Onset der Folgesilbe analysiert. Die Alternative, /st/ als heterosyllabisch zu analysieren, scheidet aus, wenn man dieses Cluster als komplexes Segment betrachtet, eine Lösung, die ich weiter unten begründe.

103

(22)

σ

O

R

Ν

/ \

X

X

X

t

r

V

Ko

(X)

X

A

s

o

t

Wiese (1992: 124-127) plädiert fur diese Analyse von /st/ im Neuhochdeutschen, sofern die Sequenz wie in (22) tautosyllabisch ist, d.h. nicht in Wörtern wie Liste oder Christus.32 Neben Erwägungen zur Phonotaktik im Nhd. bestimmen seine These auch Indizien aus der historischen Entwicklung des Deutschen, und zwar (a) Reduplikation im Gotischen sowie (b) Stabreim im Germanischen. Die reduplizierenden Verben des Gotischen bilden die Präteritalform durch Voranstellung des ersten Konsonanten der Verbwurzel, gefolgt vom Reduplikationsvokal ai (gesprochen [ε]), z.B. in Präs. *fraisa (,ich versuche') ~> Prät. *faifrais (vgl. Braune/Ebbinghaus 198119: 115-117). Die Cluster /st/ und /sk/ dagegen - wahrscheinlich auch /sp/, allerdings fehlen hierfür die Belege - werden jedoch zusammen redupliziert, nicht /s/ allein (vgl. 23): (23)

a.

ga-stalda skaidan

,ich erwerbe' ,ich scheide'

-

gastaistald afskaiskaid

(Prät.) (Prät.)33

Im Stabreim verhalten sich /st/, /sk/ und /sp/ ebenfalls wie eine Einheit, wie folgende Zeilen aus dem Hildebrandslied zeigen (vgl. Penzl 1986: 171-173 und 200f.): 34

32

33

34

Diese Einschränkung ist nicht erforderlich, wenn man, wie oben in der Repräsentation des Ν in nhd. Gatte (vgl. (13)), auch für das komplexe Segment /st/ eine ambisilbische Struktur annimmt. Die Präteritalform gastaistald findet sich in der gotischen Bibel in Nehemias 5,16, die Form afskaiskaid in Galater 2,12; vgl. Streitberg (1965: 355 u. 449). Zu Beispielen aus dem Altenglischen, vor allem aus dem Beowulf, vgl. Kurytowicz (1970: 12-17) und Russom (1987: 64-82).

104 (24) spenis mih mit dinem wuortun. wili mih dinu spera werpan. ,lockst mich mit deinen Worten, willst mich (mit) deinem Speer (be)werfen,' (Zeile 40)35 scarpen scurim dat in dem sciltim stont. ,(in) scharfen Schauern: das blieb in den Schilden stecken („stand")'.(Zeile 64) do stoptun to samane staim bort chludum ,Da stießen (sie) zusammen, (die) Kampfbretter dröhnten,' (Zeile 65) Andere initiale Konsonantencluster staben dagegen nicht, z.B. /br/: (25) breton mit sinu billiu eddo ih imo ti banin werdan. ,niederstrecken mit seiner Waffe, oder ich ihm zum Verderben (Mörder?) weren.'(Zeile 54) Wiese (1992: 127) billigt den Daten aus Reduplikation und Stabreim auch noch eine gewisse Überzeugungskraft für die Beurteilung des Status von /st/ im Nhd. zu, da die Silbenstrukturen der germanischen Sprachen „über die Sprachperioden hinweg bemerkenswert konstant" seien. Die historische Evidenz erstreckt sich allerdings ausschließlich auf die Position im Silbenonset, weshalb sie für wort- und damit zugleich silbenfinales /st/, wie in den Wörtern in (21b), nicht unbedingt beweiskräftig ist. Überträgt man aber diese Struktur auf den Auslaut, wie ich es in (22) für das Wort trôst getan habe, so ist das Fehlen der Kürzung in den Fällen unter (21b) mit Hilfe des Prinzips der Extrametrizität genau so beschreibbar, wie in den auf Einfachkonsonanz endenden Wörtern (vgl. 18). Daher gehe ich von der These, aus, daß /st/, wie auch die Affrikaten /ts/ und /tj/, in allen Positionen (initial, final und ambisilbisch) komplexe Segmente bilden. Unerklärt bleibt unter dieser Annahme lediglich die Kürzung in mhd. rôst > Rost ,Gitter', die aber vielleicht auf Beeinflussung durch mhd. rost > Rost (,Eisenoxyd') mit Kurzvokal zurückführbar ist. Kürzungen vor medialem /st/, ebenfalls ein Problem für die hier vorgeschlagene Analyse, kommen in folgenden zwei Wörtern vor: (26) mhd. ôsten rasten

> >

nhd.

Osten36 rösten

Wenn, wie oben begründet wurde, /st/ in diesen Wörtern im Onset der zweiten Silbe steht, ist die Kürzung in (26) nach dem WL unmotiviert. Sie tritt ja auch, wie die Beispiele in (21a) zeigen, in der Regel nicht auf. Nimmt man jedoch eine Ambisilbifi35

36

Die Übersetzung ist Penzl (1986: 200f.) entnommen; zu Übersetzung und Text vgl. auch Lühr (1982: 2-6) und Braune/Helm (1969 15 : 84f). Die zugrundegelegten Textfassungen in Penzl (1986), Braune/Helm (1969 15 ) und Lühr (1982) unterscheiden sich zwar geringfügig, stimmen jedoch in den für die Alliteration relevanten Teilen überein. Bei sehr deutlicher Aussprache, z.B. in Wetterberichten, hört man auch häufiger die Form mit Langvokal, [o:sten] (bzw. [o:st]), vielleicht zur besseren Differenzierung von Westen (bzw. West). Die Varianten mit Langvokal werden vom DUDEN-Aussprachewörterbuch (1990 3 ) (als „deutlichfej" Form) und auch vom GWdA (als ,,postamtl[ich]") genannt.

105 zierung des komplexen Segmentes nach dem Muster der Analyse fur mhd. wâfen > nhd. Waffen an (vgl. oben 12b und 13), die mit der Kürzung verknüpft ist, so widerspricht der Wandel in den 2 Wörtern unter (26) dem WL nicht. Allerdings bleibt dann rätselhaft, wieso die Ambisilbifizierung - und in deren Gefolge die Kürzimg - in den Beispielen unter (21), wie in mhd. klôster, unterblieben ist. Die bisherige Diskussion der Vokalkürzung hat ergeben, daß - bis auf die wenigen Wörter in (26) - alle scheinbaren Ausnahmen zur Kürzung mit Hilfe des Konzepts der Extrametrizität finaler Konsonanten, der Annahme komplexer Segmente sowie einer Silbifizierung nach Maßgabe des Maximal Onset Principle erklärbar sind. Zu analysieren bleiben die Fälle, in denen Vokale gekürzt werden, ohne daß eine solche Umstrukturierung eine Veränderung der Reimstruktur im Sinne des WLs bewirkt. Hierzu zählen die Fälle unter (12b), in denen eine Kürzung und m.E. auch Ambisilbifizierung bzw. Geminierung im Silbenauslaut vor einem Konsonanten der Folgesilbe vorliegt. In (27) habe ich die betreffenden Wörter (nach Kluge 198922 und Lexer 198637) möglichst vollständig aufgelistet: mhd. blâtere brüelen vuoter gelâîen glôse hêrre iemer insane jâmer lâ3en müe3en muoter nâter niemer blêren, blerren râche rastich, retich rîter, rit(t)er râ3e, râ3 riie3el, riizzel schâchaere, schaechasre slôte schuope strûbe, strûp tâpe wâfen, wâpen 37

> > > > > > > >

> > > > > > > > > > >

> >

> > >

> >

nhd.

Blatter brüllen Futter gelassen Glosse Herr immer Insasse37 Jammer lassen müssen Mutter Natter nimmer plärren Rache Rettich Ritter Roße, Roß ,Wabe' Rüssel Schächer Schlotter .Schlamm' Schuppe struppig Tappe ,Pfote' Waffen, Wappen

In diesem Fall ist die Kürze eventuell darauf zurückzufuhren, daß die zweite Silbe nicht den Hauptakzent trägt (vgl. obige Diskussion).

106 Wie die Silbentrukturveränderung für das letzte Beispiel zeigt, ändert sich am Gewicht der betonten Silbe nichts: Es bleiben zwei Reimpositionen, egal, ob man Ambisilbifizierung (28a) oder Geminierung (28b) annimmt (nur der relevante Teil âf > äff ist dargestellt, ohne die Konstituenten Onset, Reim, Nukleus und Koda): (28)a.

CJw

X

f

a b.

as

X

X

CTw

X

X

X

X

X

Anders als in den Beispielen unter (12a) vom Typ mhd. gate > nhd. Gatte ist die

Ambisilbifizierung in (28) nicht durch das WL motiviert. Aber wodurch dann? Russ (1982: 143) nimmt einfach an, daß alle Kürzungen in (27) individuell, d.h. in der spezifischen Entwicklung der einzelnen Lexeme begründbar sind, eine angesichts der Zahl der Fälle nicht zufriedenstellende Lösung. Bei Betrachtung der Beispiele fällt auf, daß nicht alle Konsonanten ambisilbifiziert werden, sondern nur bestimmte Klassen, (a^ die Sonoranten IV, Imi und Irl und (b) die Fortisobstruenten !\1, Izl, Ixl () und /p/. Wenn auch vor einigen Fortisobstruenten und Sonoranten keine Kürzungen belegt sind (/k/, die Affrikaten Itsl und /tj/ (siehe oben 21a), sowie Inf), so sind diese vor den Lenisobstruenten Ibi, Idi, !gl, l\l, /h/39 und /s/ (zu letzterem vgl. Fußn. 38) gänzlich 38

39

Im Korpus (27) kommen nur zwei Ausnahmen vor, (a) glôse und (b) strûbe. Der Status von Isl im Mhd. ist zwar umstritten (vgl. die Diskussion in Russ 1982: 61-66, Paul/Wiehl/Grosse 198923: § 152, Cercignani 1979: 73-82 und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 110-113), eine Lenisrealisierung ist aber, vor allem intervokalisch, wahrscheinlich, in Opposition zum Fortisobstruenten IzJ. Außerdem wurde Isl weiter hinten artikuliert, dorso-präpalatal in Richtung auf [f] hin gegenüber dentalem Izl. Die Ambisilbifizierung in glôse > Glosse ist möglicherweise auf die Schreibung glossa mit im Latein, aus dem das Wort ins Mhd. entlehnt wurde, zurückzuführen. Vor einfachem Isl fand ansonsten keine Vokalverkürzung statt, wie u. a. mhd. róse > nhd. Rose oder mhd. blâsen > nhd. blasen zeigen. Die Ausnahme (b) ist wohl so zu erklären, daß nicht strûbe, sondern die Form strüp mit stl. Fortis /p/ die Basis zur Entwicklung von nhd. struppig bildete. Der Hauchlaut Ihl (aus germ. */x/) verhält sich in Bezug auf Dehnung vs. Ambisilbifizierung wie ein Lenisobstruent. So tritt z.B. inlautend vor Ihl Vokallängung ein in mhd. sehen > sehen und lohe, lô > Lohe (,Flamme') Die alternative mhd. Form ohne l\\l deutet übrigens an, daß der Prozeß des intervokalischen Schwundes des Hauchlautes bereits in mhd. Zeit einsetzt (zur Entwicklung von /h/ vgl. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 124-128, § L 57).

107 ausgeschlossen. Daraus schließe ich, daß die Lenisobstruenten im Spätmhd. nicht als Geminaten oder ambisilbische Konsonanten, mit anderen Worten, nur im Silbenansatz zugelassen waren. Dies entspricht zum einen den Silbenstrukturbedingungen des Neuhochdeutschen - auf Ausnahmen gehe ich im folgenden ein - , zum anderen ist es eine Konsequenz der Auslautverhärtung im Spätahd. Außerdem werden Lenisobstruenten im Mhd. nicht geminiert (vgl. Fourquet 1963: 86, Valentin 1969: 343 und Simmler 1984: 1135), ebenfalls eine Bestätigung für die Hypothese, daß Lenes auf den Silbenonset beschränkt waren. Folgende Strukturen waren nach dieser These folglich ausgeschlossen (am Beispiel Ibi):

b

b

Diese Silbenstrukturbedingungen gelten für das Nhd. nicht mehr, da ambisilbische oder geminierte Lenisobstruenten in Wörtern wie Ebbe, Krabbe, Robbe, Flagge etc. vorliegen (vgl. Ramers 1992). Wörter dieses Typs wurden im 16. und 17. Jh., vornehmlich aus dem Niederdeutschen,41 entlehnt und sind folglich für die Periode der Vokalkürzungen (seit dem 12Jh.; vgl. z.B. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 74, § L 35) noch nicht einschlägig. Die hier vorgeschlagene Analyse kann zwar die Veränderungen in (27) nicht durch das WL phonologisch motivieren, sie beschreibt aber die prosodische Veränderung selbst und ihre segmentalphonologische Restriktion auf widerspruchsfreie Weise. Im Modell der Merkmalhierarchie (vgl. oben Kap. 1.1.4 und Kap. 2) kann die entsprechende Beschränkung der Lenisobstruenten auf den Silbenonset so formuliert werden:

40

41

Zur Entwicklung von geminierten /bb, dd, ggf (im Ahd.) zu den Fortesgeminaten /pp, tt, kk/ im Mhd. vgl. Paul/Wiehl/ Grosse (1989 23 : 121, § 90). Daneben stehen auch einige Entlehnungen aus dem Jiddischen, wie Sabbat, meschugge oder das Wort jiddisch selbst. Problematisch für die vorgeschlagene Analyse sind die Wörter Widder und Roggen, da sie nicht aus dem Niederdeutschen stammen, sondern über das .klassische' Mhd. ererbt sind (vgl. Russ 1969: 137, Anm. 17). Kluge (198922: 604) nennt als möglichen Grund für die Schreibung (neben ) die Unterscheidung von mhd. rocke, nhd. Rocken (,Spinnstab'). Daraus schließe ich, daß nach Kluge beide Wörter im Mhd. Homonyme waren (mit Fortisplosiv [k]) und ein Bedürfnis nach graphischer Differenzierung vorlag (wie z.B. bei nhd. malen - mahlen). Diese führte dann später zur .spelling pronunciation' [g] für nach dem Muster niederdeutscher Wörter wie Flagge. Für Widder erwägt Reis (1974: 74f.) den gleichen Mechanismus - sie verwendet den Ausdruck „Homonymenfurcht" - , zur Differenzierung von wieder, gibt aber zu bedenken, daß diese Analyse nur bei ,,grammatische[n] und semantische[n] Ähnlichkeiten" überzeuge. Dieser Einwand ist hier virulent, da Widder und wieder weder der gleichen Wortart angehören, worauf Russ (1969: 137, Anm. 17) hinweist, noch semantisch ähnlich sind.

108 (30)

R[-son]

LAR

[-gesp]42 Die Restriktion in (31) ist folgendermaßen zu interpretieren: Ein ungespannter (d.h. Lenis-) Obstruent ist in einer Kodaposition nicht zugelassen (technisch: von ihr delinkt). Die Kürzungen in (27) werden auf diese Weise als prosodische Veränderungen beschrieben, die durch eine Bedingung über die segmentale Merkmalskonfiguration (vgl. (30)) eingeschränkt werden. In Kap. 2 habe ich umgekehrt Verners Gesetz als Veränderung eines segmentalen Merkmals unter prosodischen Bedingungen beschrieben. Die hier vorgestellte Analyse der Kürzungen im Rahmen des WL ist nicht zuletzt wegen der Beispiele in (27) einer alternativen Lösungsmöglichkeit vorzuziehen, die u.a. von Reis (1974: 233f.) und Russ (1982: 142f.) vorgeschlagen wird. Diese sehen als primären Kontextfaktor der Kürzung ein folgendes Konsonantencluster an, daß einen dorsalen (velaren oder palatalen ) Konsonanten enthält (vgl. Russ 1982: 142f.). Es ist nicht zu leugnen, daß Kürzungen am häufigsten vor solchen Konsonanten vorkommen, wie folgendes Korpus belegt: âht âhtunge andâht brâhte dâhte dîhte tâht viehte hienc gienc viene hôchvart horchen 42

> > > > > > >

> > > > > >

nhd.

Acht Ächtung Andacht brachte dachte dicht Docht Fichte hing ging fing Hoffart horchen

Hier habe ich das Merkmal [+/-gespannt] für die Opposition ,Fortis-Lenis' gewählt; als Alternative wäre [+/-stimmhaft] denkbar; [-gesp] entspricht [+sth] (vgl. die Diskussion dieser Merkmale in Kap. 2).

109 iergen lâchter latwêrge lêrche lieht nâchbûr nüehtern sluoht tiehter tiligen

irgend Lachter (fachsprl. für,Klafter') Latwerge ,Dickksaft' Lerche Licht Nachbar nüchtern Schlucht Tiehter ,Enkel' tilgen43

> > >

> > > > > >

>

Trotz der auffallend hohen Anzahl der Belege lehne ich eine Analyse im Sinne von Reis (1974) und Russ (1969) aus folgenden Gründen ab: - Eine einheitliche Beschreibung der Kürzungsvorgänge ist nicht mehr möglich. So werden die übrigen Fälle (vgl. z.B. die unter (27)) von Russ (1982: 143) auch explizit als „real exceptions" bezeichnet. - Auch vor Konsonantenclustern, die keinen Velar oder Palatal enthalten, findet Kürzung statt (vgl. mhd. pfrüende > nhd. Pfründe-, zu anderen Beispielen siehe (20)). Nur die Kombination /st/ bildet eine Ausnahme (vgl. 21), die oben erklärt wurde. - Wenn die Dorsalität des Folgekonsonanten primärer Faktor der Kürzung wäre, so sollte diese auch vor einfachem lui überproportional häufig zu beobachten sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar sind vor diesem Obstruenten, wie vor anderen Fortiskonsonanten, sowohl medial als auch final Kürzungen eingetreten (vgl. oben (18) und (27)), aber keineswegs sehr häufig. Daneben sind eine Reihe von Wörtern mit erhaltener Länge vor /x/ belegt:44 buoch besuochen bräche buoche vluochen hoch krieche kriechen kuoche nâch riechen 43

44

45

> > > > > >

> > >

> >

nhd.

Buch besuchen Brache Buche fluchen hoch45 Krieche ,Haferpflaume' kriechen Kuchen nach riechen

Damit dieses Beispiel die Kontextbedingung ,vor Konsonantencluster' erfüllt, muß als Eingabe für die Kürzung eine Zwischenform mit synkopiertem Iii in der 2. Silbe, also tilgen angenommen werden. Nicht berücksichtigt wurden Fällen, in denen Langvokale diphthongiert wurden, z.B. mhd. bûch > nhd. Bauch, mhd. blintslîche > Blindschleiche. Gekürzt ist dagegen mhd. hôchzit > nhd. Hochzeit. Diese Gegenüberstellung zeigt m.E. besonders deutlich, daß nicht der Konsonant als solcher, sondern seine Position in Silbe und Wort den relevanten Faktor der Kürzung bildet.

110 > > > > > > > >

schiech smâch siech spräche suochen tuoch wuocher zieche

schiech (südd.),zornig' Schmach siech Sprache suchen Tuch Wucher Zieche (südd.),Kissenüberzug'

Angesichts dieser Beispiele ist es eher angebracht, die fehlende Kürzung vor IxJ als Regelfall denn als Ausnahme zu betrachten. Daher ist auch Russ' (1982: 142) Erklärung des Unterschieds der Suffixe mhd. -lîche > nhd. -lieh mit Vokalkürzung vs. mhd. -lîn > nhd. -lein mit Diphthongierung durch den velaren Artikulationsort von /x/ wenig überzeugend. Wenn man aufgrund der vorgetragenen Argumente die Analyse von Reis (1974) und Russ (1982) ablehnt, bleibt allerdings die Frage, warum gerade vor dem Cluster /xt/ Kürzungen so zahlreich belegt sind (vgl. 31). Meine Antwort ist ganz trivial: Weil diese Konsonantenverbindung medial und final nach Langvokal im Mhd. abgesehen von /st/ (siehe oben) - am häufigsten vorkam, was u.a. die geringe Zahl der ungekürzten Vokale vor anderen Konsonantenclustern (vgl. oben 21) belegt.46 Diese Präferierung des Clusters /xt/ nach Langvokal im Mhd. hat seine historischen Gründen z.T. in der Ersatzdehnung nach Nasalschwund vor /x/ im Gemeingermanischen (vgl. Reis 1974: 218, Szulc 1987: 51 und Lass 1994: 25), die z.B. urg. *branxta in germ. *bräxta ( m h d . brâhte)

wandelte.

Zu klären bleibt die fehlende Kürzung der hohen Vokale /i:/, /u:/ und /y:/ (geschrieben ). Gekürzt wurde nur in folgenden Fällen: (33) mhd.

46

wîngart wínzürl dîhte tîl(i)gen slûchzen

> > > > >

nhd.

Wingert,Weingarten' Winzer dicht tilgen schluchzen

Die im Mhd. seltene (und nach Reis 1974: 217f. im Spätgemeingermanischen noch seltenere) Folge VCC wird dann in der Entwicklung zum Nhd. wieder vergrößert, u.a. durch Vokaldehnung vor -rt und -rd (vgl. unten 4.3.2) und durch Synkope (vgl. ebd.).

Ill Trotz aller Probleme der chronologischen Einordnung der Diphthongierung47 nehme ich an, daß der Diphthongcharakter für die fehlende Kürzung verantwortlich ist.48 Ich halte diese Erklärung für plausibel, weil die mhd. Diphthonge /ei/, /ou/ und /0Y/ (geschr. ) ebenfalls in der Regel49 nicht gekürzt werden.50 Aus der Untersuchimg zur Vokalkürzung ziehe ich folgendes Fazit: Im Rahmen des WL kann die Kürzung mit Hilfe des Konzepts der Extrametrizität wortfinaler Konsonanten und der Annahme der alternativen Möglichkeit der Ambisilbifizierung beschrieben werden. Problemfälle der Analyse bilden die Kürzungen vor wortfinalem Einzelkonsonanten (vgl. 16a und 18) sowie die (später diphthongierten) mhd. hohen Vokale /i:, u:, y:/. Trotz dieser Erklärungslücken glaube ich, daß diese Analyse anderen Ansätzen, wie dem von Russ (1969) und Reis (1974), die auf die Art der Folgekonsonanz rekurrieren, überlegen ist, da sie die Kürzungsvorgänge in einen Zusammenhang mit parallelen Entwicklungen, u.a. in verwandten germanischen Sprachen, einordnet und so einem sprachübergreifenden Erklärungsansatz verpflichtet ist. Was diese Beschreibung durch das WL wert ist, muß sich allerdings anhand ihrer Tauglichkeit zur Erklärung der Vokaldehnung zeigen. Dieser wende ich mich daher jetzt zu.

4.3.2

Ausnahmen zur Vokallängung

4.3.2.0

Vorbemerkung

Ich gehe davon aus, daß Vokalkürzung und -dehnung in einem sprachgeschichtlichen Zusammenhang stehen und daher einheitlich zu analysieren sind. Daher besitzen die in 4.3.1 erzielten Resultate bisher nur vorläufigen Charakter. Erst wenn auch die Daten zur Dehnung im Rahmen des WL zufriedenstellend beschrieben werden können, ist der Lösungsvorschlag zur Kürzung gesichert. Zur Vokallängung im Rahmen des WL sind Ausnahmen in zwei Richtungen denkbar (zu den regulären Fällen vgl. oben la): 47

48

49

50

Als Maximalzeitraum für die Dipthongierung ist ungefähr der Zeitraum von Anfang des 12. Jh. (im Südosten) bis zum 16 Jh. anzusehen (vgl. u.a. Schirmunski 1962: 214; Penzl 1975: 116, Paul/Wiehl/Grosse 198923: 68-71, § 42; Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 64-67, § L 31; Mettke 19835: 67-69, § 27 und Sowinski 1994: 165). Für eine chronologische Reihenfolge .Diphthongierung vor Dehnung' plädiert Penzl (1984: 53) mit folgender Begründung: „ Dieser Wandel [die Vokaldehnung; H. R.] muß nach der Durchführung der frühnhd. Diphthongierung [...] erfolgt sein, denn gelängtes i u ü wie z.B. in Biene (mhd. bin(e)), liegen, Sieg, Bühne (mhd. büne), Mühle, Türe, Jugend (mhd .jugent), Jude, Kugel unterliegen ihr nicht mehr." Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Analyse ist die Beobachtung von Schirmunski (1962: 215), daß gerade in allen Mundarten, in denen nicht diphthongiert wurde, eine Tendenz zur Kürzung der mhd. hohen Vokale bestand; vgl. z.B. schweizerisch tsit ,Zeit' und swits ,Schweiz'. Gekürzt wurden mhd. eilf> nhd. elf, eilster > Elster, zweinzec > zwanzig. Eventuell hängt diese Kürzung mit der Monophthongierung von [ei] zu [e:] im Md. im 13. Jh. zusammen (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 106, § 78). Reis' (1974: 234f.) Alternatiworschlag, das Verhalten von /i:, u:, y:/ auf ihre extrem geschlossene Artikulation zurückzufuhren, die eine Vokalsenkung und mittelbar Vokalkürzung blockiert hätte, ist auf diese Diphthonge nicht anwendbar.

112 (a) Es erfolgt keine Dehnung, obwohl die Kontextbedingungen (betonte Silbe und nur eine Reimposition) erfüllt sind. (b) Vokale werden in betonten Silben gedehnt, die bereits zwei Reimpositionen enthalten. Zunächst zur ersten Gruppe der Ausnahmen.

4.3.2.1

Fehlende Vokallängung

4.3.2.1.1 Wortmediale Position Eine große Gruppe von Ausnahmen bilden die Fälle unter (12a) (z.B. gate > Gatte), in denen trotz folgender Einfachkonsonanz im Wortinnern keine Dehnung stattfindet. Ich habe oben für diese Wörter eine Analyse vorgeschlagen, die von der Ambisilbifizierung bzw. Geminierung des Folgekonsonanten ausgeht (vgl. (13) und (28)).51 Diese alternative Option zur Dehnung wird vom WL vorausgesagt, da sie ebenfalls zu zwei Reimpositionen führt. Sie ist aber nur für die Konsonanten möglich, die im Mhd. an der Geminationskorrelation teilhaben und damit auch in der Silbenkoda stehen können, d.h. für Fortisobstruenten und Sonoranten (vgl. die Diskussion in 4.3.1). Lenisobstruenten dagegen sind nur im Onset zugelassen und damit nicht ambisilbifizierbar (vgl. Bedingung (30)). Diese These bestätigt sich insoweit, als vor Ibi, làl, /gl, Ivi, /s/52 und /h/ (aus < germ. * /χ/; zu Ihl vgl. Fußn. 39) immer Dehnung eintritt.53 Aber vor Fortisobstruenten und Sonoranten kommen sowohl Ambisilbifizierung als auch Dehnung vor. Daher ist zu klären, ob die Wahl der jeweiligen Option beliebig ist oder bestimmten Regularitäten folgt. Zunächst zu den Obstruenten: Vor /JV und Ixl unterblieb die Dehnung gänzlich, ebenso vor allen Affrikaten und geminierten Konsonanten (vgl. u.a. von Kienle 19692: 38, Paul/Wiehl/Grosse 198923: 76, § 45 und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 72). Vor Iii, Ipl und Ikl fand in der Regel keine Dehnung statt, weil diese im Mhd. intervokalisch nach Kurzvokal nur geminiert vorkamen, also in der Silbenstruktur VC.CV55

51 52

53

54

55

Zu Argumenten aus der Schreibung für die Geminierung von Ixl zu /tt/ vgl. auch Fourquet (1963: 87). Dieser Konsonant ist als Lenisobstruent zu betrachten, wie die Diskussion in 4.3.1 gezeigt hat. Ich habe hier die traditionelle Transkription übernommen, obwohl /s/ in IPA eindeutig für einen Fortisfrikativ steht. Klarer, aber ungebräuchlich, wäre die Notation /z/. Reis (1974: 125) nennt als Ausnahmen nhd. Widder, fleddern, Egge und Neffe (aus mhd. neve). Zu einer möglichen Erklärung für erstere Ausnahme vgl. Fußnote 40. Im Mhd. kann für diese Konsonanten nach Kurzvokal ambisilbischer Status (bzw. Geminatenstatus) angenommen werden, was aus ihrer Herkunft von ahd. /sk/ bzw. der Geminata /xx/ () zu erklären ist (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 76, § 45). Diese Geltung bestätigt auch die mhd. Metrik (vgl. Fourquet 1963: 86 und Reis 1974: 84). Das Unterbleiben der Dehnung vor diesen Konsonanten ist folglich nach dem WL völlig regulär. Eine Ausnahme bildet die Dehnung in mhd. lache > nhd. Lache. Ausnahmen bilden einige Wörter, die aus dem Niederdeutschen {Kaper, Stapel, Makel, Bake, Höker und blöken) oder Lateinischen (Skrupel und Viper) entlehnt wurden (vgl. von Kienle 19692: 38, Reis 1974: 125 und Kluge 198922).

113 (vgl. Fourquet 1963: 86, Russ 1969: 84), z.B. in mhd. backen, decken, ecke, glocke, kappe, krippe, und te(p)pich. Vor l\J dagegen kommen sowohl Dehnung als auch Ambisilbifizierung vor. In der Hauptsache sind folgende Fälle von Vokallängung belegt (nach Russ 1982: 132 und Reis 1974: 125): (34) mhd.

56

57

58

59

60

61

62

. 56

vater bote geboten zote, zotte beten kneten trë(t)ten jëten waten, waden spade, (spaten)60 knode, knote6 kater kröte62

> > > > > > > > > > > > >

nhd.

Vater Bote 57 geboten' ry . 58 Zote beten kneten treten jäten waten59 Spaten Knoten Kater Kröte

Russ (1969: 86) vermutet, daß die Längung auf die Schreibung mit einfachem (und nicht ) in Anlehnung an lat. pater zurückgeht, nach der für das Nhd. gültigen Faustregel, daß nach Einzelkonsonant in der Schrift ein Langvokal realisiert wird. In diesem Fall kann zwar Analogieausgleich zugunsten der Prät.-Sing.-Form bôt geltend gemacht werden, dieser ist aber in anderen Verben derselben Ablautklasse üb zugunsten der Kürze vorgenommen worden, und zwar vor Iii (in verdrießen, gießen, schießen, stießen, sprießen und vließen), aber auch vor /t/ (in sieden, Prät. Sing. sät). Vor sth. Lenisobstruent dagegen fand Ausgleich zugunsten der Länge statt, z.B. vor /g/ in gezogen, in Ablautklasse Ha gesogen, gelogen, betrogen und geflogen, vor Ibi in geschoben, gestoben (Abl.Kl. IIa), vor Ixl wiederum in der gleichen Klasse zugunsten der Kürze (vgl. gerochen und gekrochen). Diese Daten deuten darauf hin, daß der analogische Ausgleich im Verbalparadigma nicht beliebig, sondern an lautliche Bedingungen wie die Silbenstrukturbedingung (30) gebunden ist. Direkt auf das mhd. Wort geht nhd. Zotte, Zottel,Haarbüschel' zurück (vgl. das geläufigere Adjektiv zottelig), die Entwicklung zu Zote, die seit dem 15.Jh. bezeugt ist (vgl. Kluge 198922: 816), geht nach Kluge (ebd.) vom franz. sot(t)ie .(unflätige) Narretei' aus. Russ (1969: 86) nimmt für diese 5 Verben der Abiautklassen V und VI (watenj Analogieausgleich zugunsten der Länge nach der Form des Prät. PI. (z.B. träten) oder nach dem Muster von Verben wie mhd. geben > nhd. geben an. Das Wort ist nach Russ (1969: 86) erstmalig 1496 im Obd. belegt, und bis ins 18 Jh. oft in der Schreibung mit . Sowohl Lexer (198637: 203) als auch Kluge (198922: 683) geben für das Mhd. bzw. Spmhd. nur die Form spade an. Daher scheint die von Russ (ebd.) vermutete Dehnung vor /d/ statt Ν wahrscheinlich. Auch in diesem Fall erwägt Russ (1969: 86) eine parallele Erklärung (Dehnung vor /d/) aufgrund der Schreibvariante . Diesmal ist aber, was Russ zugibt, auch die Schreibung mit im Mhd. geläufig, v. Bahder (1890: 255) nennt die mhd. Form knode und als md. Nebenform knote, Kluge (198922: 385) erwähnt auch die mndd. Form knutte mit der Geminata Itti. Daneben nennen Lexer (198637: 117) und Kluge (18923: 415) folgende andere Varianten im Mhd.: krote, krotte, krot, krate, krade, krëte, krötinne und krut.

114 note63 pate, bade64

> >

Note Pate

Russ (1969: 86f.) versucht, alle Dehnungen dieses Typs durch , Analogie oder Schreibweise" zu erklären, was z.T. gelingt (vgl. die Fußnoten zu den einzelnen Wörtern). Für einige Wörter (vgl. waten, Spaten, Knoten) kann auch - wegen der mhd. Schreibvarianten mit - reguläre Dehnung vor dem Lenisplosiv /d/ und späteren Wandel làl —> Ix! angenommen werden.65 Russ (1969: 87f.) geht nach dieser Datenlage davon aus, daß nicht die Vokaldehnung vor /t/, sondern die Geminierung dieses Konsonanten den regulären Fall bildet.66 Diese liegt in folgenden Wörtern vor (vgl. v. Bahder 1890: 85 und Reis 1974: 125):67 (35) mhd.

63

64

65

66

67

68

bü(t)te gate ma(t)te blate, plate küt(e) ri(t)te ro(t)te schate site slite sna(t)te sni(t)te zo(t)te atich,atech botech(e) la(t)tech(e) retich

> > > > > > > > > > > > > > > > >

nhd.

Bütte Gatte Matte ,Bergwiese'68 Platte Kitt Ritten ,Fieber' Rotte Schatten Sitte Schlitten Schnatte ,Wunde' Schnitte, Schnitt Zotte(l) ,Haarbüschel' Attich , giftiger Holunder' Bottich Lattich Rettich

In diesem Fall ist ein Einfluß der lat. Schreibung nota mit einfachem auf die Aussprache denkbar. Vgl. zu einer parallelen Analyse für Vater Fußnote 56. Kluge (1989 : 531) merkt an, daß das Wort eine ursprünglich norddeutsche Entlehnung aus lat. pater (spiritualis) .geistiger Vater, Pate' sei. Folglich ist auch in diesem Fall (wie bei Note) eine Erklärung mit Hilfe der Schreibung im lateinischen Original möglich. Diese Erklärungsmöglichkeit wird auch gestützt durch die starke Variation zwischen /t/ und /d/ in mhd. und frühnhd. Zeit, die sich vor allem in den schwankenden Schreibungen in den einzelnen Dialekten zeigt (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 198923: 158-161, § 143-148 und Ebert/Reichmann/Solms/ Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 90-97, § L 46 und L 47). Er zieht eine Parallele zum Altnordischen (1969: 88), wo ebenfalls die Möglichkeit der Vokal- oder Konsonantendehnung bestanden habe (vgl. obige Anmerkungen zur Entwicklung im Isländischen in 4.2.2). Nicht erfaßt wurden (a) die Wörter, in denen schon Mhd. eine Geminata /tt/ vorlag (aus westgerm. */dd/, nicht, wie mhd. IM, aus */d/), z.B. in mhd. bette ,Bett' oder retten (vgl. Fourquet 1963: 86), sowie (b) etymologisch unklare Fälle. Matte im Sinne von ,Bodenbelag' geht dagegen auf mhd. matte, matze zurück, mit bereits geminiertem /tt/ (oder der Añrikata lisi).

115 sitich, sitech witib zwitarn, zwitorn bëtelen bütel knü(t)tel kutel rütelen, rütteln satel schiitelen, schütteln spi(t)tel vetel keten(e) quiten gegliten geliten geriten gesniten geschriten gestriten gesoten buter vergatern gater lo(t)ter slo(t)tern smetern snateren schiter(e) toter, tuter gevater(e) veter(e) wë(t)ter zitôl(e) bestaten tro(t)te 69 70

71

> > >

> > >

> > > > > >

> > > > > > > >

> > > > > > > >

> > >

> > > > >

Sittich Wittib ,Witwe' Zwitter betteln Büttel Knüttel Kutteln rütteln Sattel schütteln Spittel , Spital' Vettel69 Kette Quitte geglitten gelitten geritten geschnitten geschritten gestritten70 gesotten Butter vergattern Gatter Lotterschlottern schmettern schnattern schütter Dotter Gevatter Vetter Wetter71 Zither bestatten Trotte südwd. ,Kelter'

Laut Kluge (1989 22 : 765) wurde dieses Wort erst im 15 Jh. aus lat. vetula entlehnt. Diese Ambisilbifizierung von Iti erfaßte nicht nur das Part. Prät., sondern auch andere Präteritalformen, z.B. sniten > schnitten. Daß diese Veränderung nicht alle entsprechenden Formen der Ablautklasse I betraf, zeigen die Dehnungen vor Lenisobstruenten, z.b mhd. gestigen > nhd. gestiegen. Der Ausgleich im Verbalparadigma ist folglich nicht rein morphologisch determiniert, sondern unterliegt auch phonologischen Bedingungen. Das von Reis (1974: 125) ebenfalls angegebene Wette hat schon im Mhd. die Geminata /tt/, was die älteren Stufen ahd. wetti, as. weddi aus ger. *wadja- zeigen; vor /j/ wurde /d/ westgermanisch geminiert.

116 Vergleicht man das Korpus (35) mit (34), so spricht nicht allein die Zahl der erfaßten Wörter - 53 zu 15 - für Russ' (1969) These, daß nicht die Vokaldehnung vor medialem I M , sondern die Ambisilbifizierung bzw. die Geminierung den Regelfall bildet. Die oben für die Dehnungen gegebenen Erklärun^smöglichkeiten Analogie, Schreibweise oder Entlehnung sind bis auf wenige Wörter nicht einsetzbar. Daher komme ich zu dem Schluß, daß Dehnung vor einfachem IM im Wortinnern nur einen markierten Ausnahmefall in der Entwicklung zum Nhd. bildet. Zu prüfen ist, ob dies auch für Vokale vor den Sonoranten /m/, /η/, IV und Irl gilt - das hieße, für alle Konsonanten, die auch in der Silbenkoda zugelassen sind - , oder ob in diesen Fällen zusätzliche Faktoren ins Spiel kommen. Vor medialen Sonoranten sind folgende Ambisilbifizierungen (Geminierungen) belegt 73 (vgl. v. Bahder 1890: 8 5 f , Russ 1969: 87 und Reis 1974: 125): kumet, komat hamel himel kumin samelen, samenen schimel sëmel(e) stamelen, stammeln tumel(e)n wimelen amer dëmere, dëmerunge hamer kamer(e) klamere, kla(m)mer schimbern,schimmern slumme(r)n sumer drum, trum genomen komen zesam(e)ne, zesamen

72

73

74

75

> >

> > > > > > > >

> > > > > > > > > > > >

nhd.

Kummet ,Halsjoch' Hammel Himmel Kümmel sammeln Schimmel Semmel stammeln tummeln wimmeln Ammer Dämmerung Hammer Kammer Klammer schimmern 74 ^ schlummern Sommer Trümmer genommen kommen zusammen

Auf Analogie zu verwandten Verben können nur mhd. schütelen zu schütten, bëtelen zu bitten und rütelen zu rütten zurückgeführt werden; Schreibaussprache nach dem lateinischen Original ist nur für Matte (lat. matta), Platte (lat. piatta) und Sittich flat, psittacus) geltend zu machen. Andererseits zeigt Butter gerade keine .spelling pronunciation' nach dem lat. butyrum. Wiederum werden alle Fälle, in denen schon im Mhd. von geminierten Sonoranten auszugehen ist (z.B. in mhd. nennen, stimme, helle ,Hölle' und herre ,Herr'), ausgeklammert. Das Wort wurde laut Kluge (198922: 633) im 15 Jh. aus ndd./ndl. schemeren übernommen. Lexer (1986 37 : 442) führt nur Schreibungen mit oder an. Die Schreibung läßt, wie für schimmern, eine Beschreibung ohne Ambisilbifizierung zu.

117 doner^ toner 76 baner gran(e) minig

> > > >

Donner Banner Granne Mennige

dril(i)ch zwil(i)ch 7 8 biler(n) boler, pöler elre 79 kolre sölre, solre 80 81 vulin soin, suln

> > > > > > > > >

Drillich Zwillich Biller (obd.) ,Zahnfleisch' Böller Eller (ndd.) ,Erle' Koller Söller Füllen ,Fohlen' sollen

Betrachtet man die Daten in (36), so fällt das unterschiedliche Verhalten der verschiedenen Sonoranten sofort ins Auge. Die Ambisilbifizierung von Irai ist zahlreich belegt, v o n Ini und IM dagegen eher spärlich, v o n /r/ (zur Sonderrolle dieses Konsonanten in der Vokaldehnung vgl. unten 4.3.2.2.3) überhaupt nicht. Das Korpus (36) kann aber nur adäquat beurteilt werden, w e n n es Fällen v o n Vokallängung vor medialen Sonoranten gegenübergestellt wird. Vor Imi hat nach Reis (1974: 148, Anm. 3 und Russ 1969: 87) in folgenden Wörtern Dehnung stattgefunden: nëmen schämen gremen lernen verbremen 8 2

76

77

78

79 80 81 82

> > > > >

nhd.

nehmen schämen grämen lähmen verbrämen

Lexer (198637: 32) nennt daneben die Formen donre, tunre und - als einzige Möglichkeiten - für das Verb .donnern' donren und dunren. Diese r-Metathese findet sich z.B. auch in der Variation këller vs. këlre (vgl. Ebert/Reichmann/Solms/ Wegera 1993: 151). Geht man von einer mhd. Basisform donre und der chronologischen Reihenfolge ,Dehnung vor Metathese' aus, so kann die fehlende Vokallängung einfach auf folgende Mehrfachkonsonanz /nr/ zurückgeführt werden. Diese Annahme ist zwar für den vorliegenden Fall rein spekulativ, für vergleichbare Wörter aber nicht (vgl. nach Kluge 198922 und Lexer 198637 mhd. kolre > Koller, sölre > Söller und mndd. elre > Eller als Hauptbzw. einzige Varianten). Das Wort ist aus afrz. banière entlehnt und hat im Mhd. die Varianten baniere und banier (vgl. nhd. Panier). Geht man von den synkopierten Formen drilch und zwilch aus, ist Vokaldehnung aufgrund folgender Mehrfachkonsonanz ausgeschlossen und eine Ambisilbifizierungsanalyse nicht erforderlich. Die Form ist mndd.; die mhd. Variante erle führte zu nhd. Erle (vgl. Kluge 198922: 186). Lexer (198637: 202) führt als weitere Varianten soller und sulre an. Daneben sind in Lexer (198637: 301) die Formen viili, vüln, vüle und vül genannt. Diese Form ist nach Kluge (198922: 757) spmhd. Lexer (198637: 26) nennt die Variante ohne Präfix, brëmen .verbrämen' (von brëm ,Rand' ). Möglicherweise ist die Dehnung durch Anlehnung an mhd. verbrämen ,mit Dornen umstecken' (von brëme ,Dornstrauch') erklärbar (vgl. ebd.: 26 und 267).

118 zemen zëmen ham(e) ram(e) schëm(e) kru(m)me schemel hem(i)sch

>

zähmen ziemen Hamen (,Angelhaken', ,Netz') Rahmen Schemen Krume Schemel hämisch

> > > > > > >

Ein Vergleich der Korpora (36a) und £37) zeigt, daß die Ambisilbifizierung von /m/ die Vokaldehnung bei weitem überwiegt. Alle Fälle von Dehnung allerdings auf Analogiebildung oder andere Gründe zurückzufuhren, wie es Russ (1969: 88), ohne konkrete Beispiele zu nennen, vorschlägt, scheint kaum möglich: Analogie ist vielleicht für die Entwicklung zu nhd. verbrämen denkbar. Die Datenlage ähnelt folglich der oben für die Folge ,Kurzvokal+/t/' diskutierten: Ambisilbifizierung bildet den Regelfall, Vokaldehnungen sind markierte Ausnahmen, die ich allerdings nicht im gleichen Umfang wie die Fälle in (34) durch andere Faktoren erklären kann. Vor medialem /n/ treten in der Hauptsache folgende Vokallängungen auf (nach Kluge 198922) und Lexer (198637): an(e) anen anelich ban(e) bün(e) den(n)en don(e) van(e) gënen gewenen han(e) honec, honic in(en) jener kane künic, künec kran(e) kranech(e) lënen, linen Unie man(e) manen 83

> > > > > >

> > > > > > > > > > > > > > > >

nhd.

Ahn ahnen ähnlich Bahn Bühne dehnen Dohne , Schlinge zum Vogelfang' Fahne gähnen gewöhnen Hahn Honig ihn jener Kahn König Kran Kranich lehnen Linie Mähne mahnen

Hinzu kommen zudem 3 Fälle von Vokalkürzung und Ambisilbifizierung , z.B. mhd. jâmer Jammer (vgl. (27)).

>

119

sane swan(e) sën(e)we, sëne senen stenen strën(e) verwenen wonen

> > > > > > > >

Sahne Schwan Sehne sehnen stöhnen Strähne verwöhnen wohnen

Wenn auch die Dehnungen vereinzelt anders interpretierbar sein mögen - z.B. kann die Längung in Linie auf die lateinische Schreibung linea zurückgeführt werden - , so zeigt sich doch ein eklatanter Unterschied zu den Ambisilbifizierungen von Ini, die nur in 4 Wörtern belegbar sind (vgl. oben 36b). D.h., anders als vor medialem Imi, wird der Vokal vor Ini in der Regel, aber nicht ausschließlich, gelängt. Dies gilt offenbar auch für die Vokale vor IM, wie folgende Übersicht zeigt: bevëlhen bole dil(le) eilende erzel(le)n vol(e) hël(e)n hüle, hol hol(e)n kël(e) lilje mal(e)n mül(e) öl(e), ol(e) viole schal(e) schilhen schin(e) swil(e) sol(e) sol, sul spil(e)n stël(e)n vil(e) wal(e) wol(e), wal(e) zal(e) zal(e)n zel(e)n

> > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

nhd.

befehlen Bohle Diele Elend erzählen Fohlen hehlen Höhle holen Kehle Lilie mahlen Mühle Öl Phiole Schale schielen Schiene Schwiele Sohle Sole, Suhle spielen stehlen viel Wahl wohl Zahl zahlen zählen

120 In zwei Wörtern, mhd. bevëlhen und schilhen, hängt die Dehnung u.U. mit dem Ausfall von fhJ zusammen. Für die Längungen in Lilie und Phiole können wiederum die lat. Schreibungen lilia und flola geltend gemacht werden. Es verbleiben somit als „echte" Längungen vor medialem IM 25 Beispiele, denen 9, z.T. unklare (vgl. Fußnoten) Ambisilbifizierungen von l\l gegenüberstehen (siehe 36c). Wenn auch die Daten nahelegen, daß Dehnungen vor IM und /n/ den unmarkierten Fall bilden, so sind doch Ambisilbifizierungen als Option keineswegs auszuschließen, solange nicht in allen Beispielen fehlende Längung auf andere Ursachen zurückfuhrbar ist. Als ein Faktor der Ambisilbifizierung wird vielfach folgendes -en, -em84, -er oder -el betrachtet, z.B. von Paul (1884: 119) (vgl. oben das Zitat in 4.2.3). Dieser behauptet die Wirkung der Endungen nicht nur für Sonoranten, sondern für alle medialen Einzelkonsonanten, d.h. vor allem auch für l\l. Er begründet diesen dehnungshemmenden (und kürzungsfördernden; vgl. oben (27)) Effekt durch Ausfall des Schwa (1884: 118) und silbische Realisierung des folgenden Sonoranten (1884: 114). Diese Erklärung ist aber unter silbenstrukturellem Aspekt unbefriedigend, da durch den Schwa-Ausfall die Zweisilbigkeit und die Stellung des Vokals der initialen Silbe unverändert bleibt, wie folgende Darstellung des Resultats der Alternation [ha.m9l] > [ha.ml] zeigt: (40)

as

Ow

O

O

Ko

Χ

R

Ν

Ko

Χ

m Auch nach Schwa-Ausfall bleibt die Zweisilbigkeit erhalten, da aufgrund der Sonoritätshierarchie die Folge /ml/ in der Koda einer Silbe nicht zugelassen ist und IM folglich die Nukleusposition der 2. Silbe besetzt. Pauls (1884) Beschreibung bietet daher m.E. keine überzeugende Erklärung der angeblichen Sonderrolle von -er, -el und -en. Zu prüfen ist, ob diese Endungen überhaupt einen Einfluß auf die Dehnungsvorgänge haben. Die einzige außerdem im relevanten Kontext ,nach medialem Einzelkonsonant' 84

Die Endung -em wird im folgenden nicht mehr berücksichtigt, da sie nur als Dativflexiv bei Adjektiven, z.B. mhd. vilem ,vielem', in Wörtern mit Dehnung oder Ambisilbifizierung vorkommt. Innerhalb von Stämmen findet sich -em meines Wissens nur in mhd. âtem, ädern > nhd. Atem, Odem, wo sich der Langvokal vom Mhd. zum Nhd. erhalten hat. Im Mhd. existieren daneben noch einige Wörter mit -em, die im Nhd. die Endung -en aufweisen, z.B. mhd. bodem, boden > Boden, mhd. bës(e)me > Besen. Zur Entwicklung von -em zu -en vgl. Paul/Wiehl/Grosse (198923: 146f., § 125f.).

121 häufiger vorkommende Endung ist finales -e (als Schwa realisiert) und vereinzelt -ich. In Tab. 1 habe ich die einschlägigen Ambisilbifizierungen und Dehnungen vor den verschiedenen Endungen (nach den Korpora (34)-(39)) zusammengefaßt, wobei die Anzahl allerdings je nach der für das Mhd. angenommenen Variante stark schwanken kann (vgl. die Fußnoten zu den Korpora): Tab. la med. Konsonant Ambisilbif. vor: -er -el -en -e -ich sonst Tab. lb med. Konsonant Dehnung vor: -er -el -en -e -ich sonst

t

m

η

1

13 9 10 14 5

885 9 86 3 -

2

5

1 -

2

1

1

1

2 -

t

m

η

1

2 6 7 -

1 7 89 4 1

1 l 87 11 14 1 2

-88 IO90 18 1

Die insgesamt geringe Anzahl der belegten Ambisilbifizierungen (Tab. la) und Vokaldehnungen (Tab lb) im untersuchten Kontext läßt kaum zuverlässige Folgerungen zu. Bei aller Vorsicht ist an den Zahlen ein oben bereits konstatierter Trend ablesbar: (a) Bei IM überwiegt die Zahl der Ambisilbifizierungen die Vokaldehnungen bei weitem, vor /n/ und IV dagegen wird der Vokal in der Regel gelängt. Die Tendenz zur Ambisilbifizierung von Imi ist weniger deutlich als bei /t/ (21 Fälle vs. 13 Dehnungen), aber vorhanden. Imi verhält sich folglich nicht wie die übrigen Sonoranten, sondern bildet mit 85

86

87

88

89

90

Das unklare mhd. schimbern, schimmern ist nicht berücksichtigt (vgl. Fußn. 74), aber mhd. trum > Trümmer. Mitberücksichtigt ist mhd. kumin > Kümmel, das man bei anderer Interpretation auch unter -en einordnen kann. Mhd. anelich > ähnlich, das Beispiel ist aber nicht klar, da -el in diesem Fall keine Wortendung bildet. Das Fehlen von Belegen liegt wohl in diesem Fall einfach daran, daß die Endung -lei im Mhd. nicht vorkommt. Zählt man mhd. hone, rame und scheme hinzu, die sich zu nhd. Hamen, Rahmen und Schemen entwickelt haben, erhöht sich die Zahl auf 10. Mhd. bevëlhen > befehlen und schilhen > schielen sind mitgezählt, eilende > Elend dagegen nicht.

122 dem Plosiv It/ - was Dehnungs- und Kürzungsvorgänge angeht - eine gemeinsame Klasse. (b) Der Einfluß der Endungen ist für die einzelnen Konsonanten unterschiedlich: Vor IM tritt Dehnung überdurchschnittlich häufig vor -en und -e auf, andererseits zeigt sich in Bezug auf die Ambisilbifizierung keine Präferierung von -er, -el und -en vor -e. Für /t/ ziehe ich den Schluß, daß eine besondere Rolle bestimmter Endungen, wie sie Paul (1884) behauptet, nicht plausibel ist. Für Imi dagegen kann ein solcher Einfluß nicht ganz ausgeschlossen werden. Vor -er und -el tritt in 17 Wörtern Ambisilbifizierung, dagegen nur in einem Wort Dehnung auf. Vor -en aber überwiegen die Dehnungen (7 gegenüber 3). Für /n/ ist aufgrund der geringen Zahl der Ambisilbifizierungen (4) kein Trend erkennbar; IM wird immerhin fünfmal vor -er ambisilbifiziert, andererseits finden sich vor -el und -er keine Dehnungen, vor -en dagegen 10. Um das Bild zu vervollständigen, sind auch die Kürzungen von Langvokalen und, damit einhergehend, Ambisilbifizierungen von Ν oder Sonoranten vor diesen Endungen zu betrachten (vgl. oben Korpus (27)). In immerhin 8 Wörtern (Von insgesamt 12 in diesem Zusammenhang relevanten Fällen) ist Vokalkürzung bei -er eingetreten, davon fünfmal vor IM (z.B. muoter > Mutter) und dreimal vor Imi (vgl. z.B.jâmer > Jammer)·, vor -e wurde der Vokal dagegen nur in slôte > Schlotter und tâpe > Tappe, vor -en in brüelen > brüllen gekürzt. Diese Daten geben eventuell Anlaß fur eine Modifikation der oben aufgestellten Schlußfolgerung für IM: Folgendes -er hat u.U. doch einen gewissen verstärkenden Einfluß auf die Ambisilbifizierung dieses Konsonanten. Zusammenfassend komme ich zu folgender Wertung des Einflußfaktors Endung auf die Vokallänge: - Vor-e« zeigt sich, entgegen Pauls (1884) Hypothese, keine besondere Tendenz zur Vokalkürze (und folgendem ambisilbischen Konsonanten).91 - Vor -el ist fur IV ein leichter Trend zur Ambisilbifizierung erkennbar, vor -er und -el für Imi ein recht deutlicher, vor -er eventuell auch für IM. Eine endgültige Klärung des Verhaltens von Imi im besonderen, der Sonoranten allgemein und der Endungen -en, -el und -er in der Vokaldehnung und -kürzung kann, wie die vorangegangene Diskussion zeigt, nicht erbracht werden. Reis' (1974: 249-280) Versuch einer Rekonstruktion der besonderen Rolle der Sonoranten vom Spätgemeingermanischen bis zum Nhd. bildet - trotz des breiten historischen Horizontes und der berücksichtigten Datenfülle - m.E. keine solche Erklärung, und zwar aus folgendem Grund: Dreh- und Angelpunkt ihrer gesamten Analyse der Dehnungen und Kürzungen im allgemeinen und dieser Veränderungen vor Sonoranten im speziellen (vgl. z.B. ebd.: 271) bildet die Anschlußart des Vokals an den folgenden Konsonanten (auch , Silbenschnitt' genannt): fester Anschluß hemmt, loser Anschluß dagegen befördert die Vokal91

Eine Interpretation der Wirkung von -en auf Ambisilbifizierung oder Vokaldehnung ist auch deshalb kaum möglich, weil diese Endung in fast allen Fällen nicht zum Wortstamm gehört, sondern Infinitiv· oder Part.-Perf.-Flexiv bildet. Dies bedeutet, daß immer auch Formen mit anderen Endungen im Flexionsparadigma auftauchen, vor allem -e, die ebenfalls als Basis der Quantitätsänderungen fungieren könnten. Die zahlreichen Längungen vor -en sind also zumindest potentiell durch Analogie erklärbar. Als einzige Wörter mit stamminternem -en nennt Reis (1974: 252) nhd. zusammen und Schemen-, selbst diese besitzen nach Lexer (1986 37 ) im Mhd. Varianten mit anderen Endungen, zesam(e)ne und schëm(e).

123 dehnung, wobei ersterer im Mhd. mit Fortisartikulation, letzterer mit Lenis korreliert. Diese zentrale Rolle des Anschlusses steht in auffallendem Widerspruch zu ihrer eigenen Einschätzung dieser Eigenschaft bei der Analyse des nhd. Vokalsystems (1974: 185-190): Sie kritisiert nicht nur Trubetzkoys (1939) These der distinktiven Geltung der Anschlußart im Nhd., sondern zweifelt auch die Existenz eines phonetischen Korrelats 92

93

dieser Eigenschaft an (ebd. : 189)/" Das Fehlen eines solchen eindeutigen Korrelats muß die Brauchbarkeit eines phonologischen Konzepts ,Anschlußart' noch nicht von vorneherein ausschließen, wie ich in Kap. 2 bei der Diskussion des Vernerschen Gesetzes anhand des Merkmals [+/-gespannt] (für Obstruenten) angedeutet habe, dem ebenfalls kein einzelner phonetischer Parameter entspricht, sondern ein ganzes Bündel. Ähnliches gilt auch für das Konstrukt ,Ambisilbizität', dem mehrere phonetische Eigenschaften zugeordnet werden können, z.B. - gegenüber nicht-ambisilbischen Konsonanten - längere Dauer, höherer Luftdruck und stärkerer Luftstrom, von denen aber keine zweifelsfrei ist (vgl. Lehiste 1970, Laeufer 1985 und - zusammenfassend Ramers 1992). Dies sind gerade die Eigenschaften, die neben dem Intensitätsverlauf auch für die Anschlußart geltend gemacht werden (vgl. Lehiste 1970 und Ramers 1988: 106-122), so daß es naheliegt, beide Konzepte zu identifizieren. Die Analyse mit Hilfe der Ambisilbizität hat aber die größere Reichweite, weil diese als silbenstrukturelle Eigenschaft in einen umfassenderen Rahmen prosodischer Strukturen integriert ist.94 Die Integration gestattet im übrigen auch die Interpretation der entsprechenden Silbenstrukturen im Rahmen des WL, das auch die Bedingungen für Dehnung und Kürzung im Auslaut erfassen kann, wie im folgenden gezeigt wird. Ähnliches leistet die Analyse mit Anschlußarten m.E. nicht. Der Hauptkritikpunkt an Reis (1974) ist aber nicht die Verwendung des Konzepts ,Anschluß' als solches, sondern die oben skizzierte widersprüchliche Inanspruchnahme. Nachdem eine - trotz aller bleibenden Unklarheiten - zumindest mit dem WL konforme Beschreibung von Formen ohne Vokallängung vor Einzelkonsonanten im Wortinneren durch das Konzept ,Ambisilbifizierung' gelungen ist, wende ich mich jetzt den Verhältnissen am Wortende zu.

92

93 94

Sie merkt in diesem Zusammenhang (1974: 189) an, „daß die übereinstimmenden Anschlußbestimmungen bei den Typen stemmen, lahmen, See, lahm auf Konvention beruhen: [...] ". Dies steht in Widerspruch zu ihrer späteren Analyse, in der gerade auch bei Sonoranten (vgl. die ersten beiden Wörter) der Unterschied zwischen durch Dehnung entstandenem Langvokal und erhaltenem Kurzvokal letztendlich auf der Anschlußart beruhen soll. Vgl. dazu die ausführliche Diskussion in Ramers (1988: 106-122) und Heike (1992: 34-38). Vennemann (1992 und 1994) hat allerdings den Versuch einer Einordnung der Anschlußart - er verwendet den Terminus ,Silbenschnitt' - in einen größeren prosodischen Rahmen unternommen. In seinem Ansatz bilden Silbenschnitte Grundeinheiten einer sogenannten „universellen Nuklearphonologie" (1994: 7f.). Dieses neue Modell wird übrigens von Becker (1998) für die Beschreibung der Vokalquantitätsopposition im Neuhochdeutschen verwendet.

124 4.3.2.1.2 Wortfinale Position Da im Wortauslaut alle akzentuierten Vokale schon spätestens im Ahd. - in Einklang mit dem WL - gelängt waren,95 besitzt das Mhd. keine Wörter mit auslautendem akzentuiertem Kurzvokal. In dieser Position stehen nur Langvokale oder Diphthonge, z.B. in dû, sô und tou ,(der) Tau'. 96 Daher kommen in dieser Konstellation auch mhd. keine neuen Längungen hinzu. Das Mhd. (und wahrscheinlich schon das Ahd.) besitzt demnach folgende Bedingung über die lexikalische Repräsentation von Wörtern (nicht über die satzphonetische Realisierung; vgl. Fußn. 96): Sie enthalten minimal 2 Reimpositionen, wenn sie monosyllabisch sind; sind sie mehrsilbig mit Akzent auf der letzten Silbe, so hat diese mindestens 2 X-Positionen im Reim. So ist zwar mhd. genâ mit finalem Langvokal möglich, nicht jedoch eine hypothetische Form gena mit kurzem /a/. Diese Bedingungen fasse ich wie folgt zusammen: Der letzte Fuß eines phonologischen Wortes (im Lexikon)97 enthält in seiner metrisch starken Silbe (a s ) mindestens zwei Reimpositionen. Eine vergleichbare Restriktion habe ich in Kap. 3 für das Mittelenglische formuliert. Sie gilt auch - mit wenigen Einschränkungen, z.B. die Interjektionen na, tja etc. mit kurzem Vokal /a/ - für das Nhd. (vgl. zum Nhd. Wiese 1988 und Giegerich 1992b: 165). Die entsprechende negative Wohlgeformtheitsbedingung98 ist in (41) dargestellt: (41)

*

Σ] ω

σδ

R I Χ

95

Zur Vokallängung im offenen Wortauslaut von Einsilblern vgl. Reis (1974: 194f.) und Braune/Eggers (1987 14 : 42, § 41). Letztere erwähnen die Längung /u/ > /u:/( außer in enklitischer Stellung), z.B. in du > dû, nu > mI jetzt'. Daß diese Längung wahrscheinlich schon vorahd. ist, zeigen die parallelen Entwicklungen im Altnordischen (vgl. Noreen 19705: 108, § 122) und Altenglischen (vgl. Pilch 1970: 62). Nach Kurytowicz (1970: 8f.) gilt das Verbot von Einsilblern mit auslautendem Kurzvokal für alle nord- und westgermanischen Sprachen, ist jedoch für das Gotische nicht nachweisbar; zur Vokallänge im Gotischen vgl. auch Braune/Ebbinghaus (1981 l9 : 18, § 2).

96

Dies gilt natürlich nur für Wörter in betonter Stellung; so werden im Satzkontext Wörter wie mhd. dû und sô häufig, wie im Nhd. auch, nicht akzentuiert, und die Vokale verlieren - wie vom WL prognostiziert- ihre Länge (vgl. z.B. v. Kienle 19692: 37). Berücksichtigt man, daß Wörter bestimmter Kategorien, wie Artikel, Pronomina, Konjunktionen, Präpositionen, im Satzkontext meistens keinen Akzent erhalten und in Klitisierungsprozessen (vgl. dazu Prinz 1991) eine besondere Rolle spielen, besteht die Alternative, die Minimalbedingung für die lexikalische Repräsentation auf Wörter lexikalischer Kategorien, d.h. Nomina, Verben und Adjektive, zu beschränken. Zu Formulierung einer komplementären positiven Wohlgeformtheitsbedingung vgl. Kap. 3

97

98

125 Die Restriktion (41) läßt zwar zu, daß ein Einzelkonsonant nach Langvokal (oder Diphthong) extrametrisch sein kann (vgl. in (19) die Struktur für mhd. spinât), schließt 99 / . aber diese Möglichkeit nach Kurzvokal aus. (42) zeigt eine solche nicht zugelassene Struktur für mhd. man (nhd. Mann) : (42)

Σ],

O

Χ

m

R

Ν

Ko

Χ

(Χ)

a

n

Wörter des Typs mhd. man, von, mit etc. bilden also keine erklärungsbedürftigen Ausnahmen zur Vokallängung im Sinne des WL, da der finale Konsonant aufgrund von (41) nicht extrametrisch sein kann; d.h., die entsprechenden Silben besitzen bereits 2 segmental gefüllte Reimpositionen und eine Dehnung ist durch das WL nicht motiviert. Es ist daher auch nicht erforderlich, für diese Wörter finale Geminaten anzunehmen, welche die Längung blockieren. Die vorgeschlagene Lösung ist aber mit einer Geminatenanalyse kompatibel, die für einige der Fälle aus anderen Gründen sinnvoll sein könnte. Ein denkbarer Grund ist die Schreibung mit Doppelkonsonanz oder die historische Entwicklung aus einer Geminata. In (43) habe ich einige Beispiele dieser Art zusammengestellt: (43)

99 100

mhd.

lam(p)100 stum(p) stam stoc fol

> > > > >

nhd.

Lamm stumm Stamm Stock voll

Nach Kurzvokal ist nur der 2. Folgekonsonant extrametrisch, z.B. im Wort alt nicht l\l, sondern !\1. In diesem Fall entsteht durch die Totalassimilation - zumindest als Zwischenstufe - eine Geminata /mm/; vgl. auch das nächste Beispiel.

126 Die traditionelle Auffassung ist zwar, daß die Geminaten in finaler Position bereits im Ahd. vereinfacht wurden und daß sich dieser Prozeß im Mhd. fortsetzte;101 die Annahme von Geminaten in finaler Position ist aber nicht ausgeschlossen, wie Griffen (1990) anhand kompensatorischer Längungsphänomene vom Mhd. zum heutigen Schwäbischen zeigt (vgl. oben 4.3.1). Griffens Annahme finaler Geminaten ermöglicht die Analyse einiger Vokalkürzungen am Wortende, z.B. in mhd. quit > quitt (vgl. oben 18), bietet aber für die hier diskutierte Beschreibung der Längungen bzw. der Erhaltung vokalischer Kürze keine Vorteile. Deshalb lasse ich die Frage nach möglichen finalen Konsonantengeminaten im Mhd.102 offen und wende mich den problematischen Fällen von Vokallängung zu.

4.3.2.2

Unmotivierte Längungen im Sinne des WL

4.3.2.2.0 Überblick Im vorigen Abschnitt habe ich fehlende Vokallängungen in medialer Position durch den Mechanismus der Ambisilbifizierung, in finaler Position durch die im Mhd. gültige prosodische Bedingung (41) erklärt. Diese Fußbedingung ist auch für die Beschreibung überzähliger, d.h. im Sinne des WL „unnötiger" Dehnungen, relevant, wie ich weiter unten zeigen werde. Zunächst aber ein kurzer Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten unmotivierter Längungen. Drei Typen können spezifiziert werden: (a) Dehnung von Kurzvokalen vor einem Konsonanten der gleichen Silbe in wortmedialer Stellung, d.h. aufgrund des ,Maximal Onset Principle' (vgl. oben Kap. 2) vor mindestens zwei Konsonanten insgesamt (Struktur VC.C) (b) Dehnung vor einem Konsonanten am Wortende, und (c) Dehnung vor mehreren Konsonanten am Wortende. Typ (a) ist nur spärlich belegt. Zu nennen sind - außer Konsonantenverbindungen mit /r/, die ich unten gesondert diskutiere - folgende Fälle:103 (44)

mhd.

venre vanden, vannen anden

> > >

nhd.

Fähnrich fahnden ahnden

Alle drei Fälle lassen - mehr oder weniger überzeugend - Hilfserklärungen zu: Mhd. venre läßt Analogie zu vane ,Fahne' plausibel erscheinen, da es als Ableitung zu diesem 101

102

103

Vgl. zum Mhd. Paul/Wiehl/Grosse (1989 23 : 129f„ § 98 und 99); zum Ahd. siehe Braune/Eggers (1987 14 : 92, § 93) und - ausfuhrlich - Simmler (1981, u.a. S. 808Í). Letzterer sieht in initialer und finaler Position nur die ,Fortis-Lenis-Opposition' als distinktiv an, in medialer intervokalischer Position nach Kurzvokal auch die ,Geminata-Simplex-Opposition'. Die Existenz finaler Geminaten im Nhd. habe ich in einem Aufsatz mit Hinweis auf Akzentsetzung und Schreibung für Wörter wie Metdll, Tyrann etc. erwogen (vgl. Ramers 1992: 264-266). Nicht berücksichtigt habe ich zudem Längungen vor medialem /st/, wie mhd. distel > Distel (in einigen regionalen Varianten im Nhd. mit Langvokal), die durch Resilbifizierung von /st/ als Onset der 2. Silbe und folgende Vokaldehnung beschreibbar sind (vgl. zu /st/ oben 4.3.1).

127 (auch semantisch) bis heute noch erkennbar ist. Diese Analyse schlägt auch Paul (1884: 107) vor, der allerdings daraufhinweist, daß der Vokal in diesem Wort „vielfach kurz gesprochen" würde. Für die Längung in vanden bemüht Paul (1884: 109) volksetymologische Anlehnung an mhd. fâhen ,fangen', eine zwar nicht beweisbare, aber aufgrund der semantischen Verwandtschaft beider Wörter auch nicht unplausible Annahme. Als Erklärung des Wechsels anden > ahnden verweist Paul (1884: 109) auf lautlichen Zusammenfall mit der Nebenform anden - die laut Kluge (198922: 14) seit dem 13 Jh. aufkommt - zu anen ,ahnen'. Diese - zugegebenermaßen nicht vollkommen überzeugenden Interpretationen - der 3 Längungen in (44) basieren alle auf dem gleichen Grundprinzip, Analogie zu verwandten Formen; d.h., für die Vokaldehnungen werden nicht-phonologische Gründe angeführt. Diese Art der Begründung wähle ich auch für die Fälle des Typs (b), wortfinale Längungen vor Einzelkonsonant, die ich im folgenden diskutiere.

4.3.2.2.1 Analogische Längungen am Wortende Geht man von Bedingung (41) für das Mhd. aus, so kann für alle Längungen in wortfinaler geschlossener Silbe vor Einzelkonsonant nicht mehr das WL als Movens betrachtet werden. Erklärungsbedürftig sind danach zunächst Fälle von Dehnungen des folgenden Typs (zu weiteren Beispielen vgl. Reis 1974: 125f.): (45)

mhd.

grap bat tak gras hof lam zan sal

> > > > > >

> >

nhd.

Grab Bad Tag Gras Hof lahm Zahn Saal

Im Rahmen der generativen Phonologie ist mehrfach vorgeschlagen worden,105 die Dehnungen in (45) mit Hilfe einer bestimmten Regelordnimg zu beschreiben. Ausgangspunkt dieser Analyse ist die These, daß Vokallängung vor sth. Obstruenten erfolgt.1"0 Nicht zu leugnen ist, daß diese Annahme phonetisch begründbar ist; u.a. 104

105 106

Vor allem bei semantisch verdunkelten Beziehungen zwischen Grundwort und Derivat findet häufig kein analogischer Ausgleich zugunsten der Basis der Ableitung statt und das WL kommt zu seinem Recht, z.B. in mhd. her(e) > Heer (Vokallängung) gegenüber herzöge > Herzog (Erhaltung der Kürze); zu weiteren Beispielen vgl. Paul (1884: 107) und v. Kienle (1969 2 : 40). Vgl. u.a. King (1969/71: 63-67), Narr (1974: 418f.), Reis (1974: 289) und McMahon (1994: 38f.). Oben (vgl. 4.3.1) beziehe ich in die Analyse der Dehnungen und Kürzungen im Rahmen des WL ebenfalls die Klasse der sth. Obstruenten ein, allerdings in viel spezifischerer Weise: Diese Klasse ist für die Quantitätsveränderungen im Inlaut relevant, insofern ihre Elemente nur im Silbenonset zugelassen sind (vgl. Bedingung 30) und deshalb die alternative Option ,Ambisilbifizierung' nicht besteht.

128 Kohler/ Kiinzel (1978) und d'Alquen (1979) haben gezeigt, daß Vokale vor sth. Obstruenten länger sind als vor stimmlosen. Für das Englische wird diese Tendenz z.B. bestätigt von Chen (1970), Ladefoged (19933: 90) und Giegerich (1992a: 234f.), der zudem feststellt, daß die Längung vor Sonoranten auch vorhanden ist, aber in schwächerem Maße. Für das Standarddeutsche fehlt die Vergleichsmöglichkeit, da sth. Obstruenten in der Silbenkoda nicht realisiert werden. Bei einem Vergleich der Vokaldauer vor stl. Obstruenten gegenüber der Position vor Nasalen stellt Kohler (1977: 120) keinen signifikanten Unterschied fest. Die phonetische Fundierung der ,Längung vor sth. Obstruenten' ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Phonologisierung dieses Prozesses.107 Phonetisch länger sind z.B. auch tiefe Vokale gegenüber hohen, betonte gegenüber unbetonten usw. (vgl. zu den verschiedenen Faktoren der Vokaldauer Ramers 1988: 58-63). Ob eine Phonologisierung dieser phonetischen Längenvariation in spätmhd. Zeit stattgefunden hat, ist zumindest fraglich, da die Vokale vor Sonoranten unter den gleichen Bedingungen gelängt werden wie die vor zugrundeliegend sth. Obstruenten, eine phonetische Dehnung vor den Sonoranten aber nicht in gleichem Umfang nachweisbar ist. Die im Rahmen der generativen Phonologie vorgeschlagene Analyse ist aber nicht nur in Hinblick auf ihre Grundhypothese ,Längung vor Lenis' anfechtbar, sondern auch, was die Verwendung der im folgenden skizzierten Regelumordnung angeht. In einer ersten historischen Phase der Dehnung habe folgende Regelordnung bestanden: Regel der Auslautverhärtung (Rl) vor Vokallängung (R2). Dies entspricht auch der chronologischen Reihenfolge, da die Auslautverhärtung bereits im Spätahd. wirksam wurde, die Dehnung dagegen erst ab dem 12 Jh. (vgl. hierzu Narr 1974: 419). Im Laufe der Entwicklung zum Nhd. hin habe dann eine Regelumordnung stattgefunden und R2 wurde danach vor Rl angewendet. In (46a) und (46b) ist die Wirkung der unterschiedlichen Regelordnung für die Derivation der Wortformen Tag und Tage illustriert (vgl. Leys 1975:448, Anm. 14):

107

Eine Phonologisierung hat in einer Variante des Englischen stattgefunden, in der Minimalpaare mit intervokalischen Flaps nur durch die Vokallänge differenziert werden; z.B. wird writer (zugrundeliegendes /t/) mit ungelängtem Diphthong realisiert ([rayEter), rider dagegen (zugrundeliegendes /d/) mit gedehntem Diphthong ([rayiDar]) (vgl. Fromkin/Rodman 19884: 110).

129 (46)

a.

zugr. Repräs.

/tag/

/tage/

i R1

/tak/

R2

/t a: g e/

andere phonol. Regeln phonet. Repräs. [tak]

b.

zugr. Repräs.

[taiga]

/tage/

/tag/

i

i i

R2

/ta:g/

RI

/ta:k/

/ta:ge/

andere phonol. Regeln phonet. Repräs. [ta:k]

[ta:ga]

Diese Derivation ist nicht nur wegen der oben angesprochenen Ausklammerung der Dehnungen vor Sonoranten problematisch, sondern auch, weil sie neben verschiedenen historischen Entwicklungsstufen auch unterschiedliche regionale Varianten des Nhd. erfassen soll: Im Norddeutschen findet die Vokallängung in Wörtern wie Gras, Grab, Glas, Tag, Rad, Bad, Schlag, Hof, Zug nicht statt. King (1969/71: 63-67^erklärt diese Abweichung vom Standarddeutschen durch eine andere Regelordnung. Diese habe die alte Reihenfolge ,Auslautverhärtung' vor ,Dehnung' bewahrt (46a) und daher auch eine Alternation wie [tak] vs. [ta:ga]. Diese Analyse scheitert aber daran, daß im Norddeutschen längst nicht alle einsilbigen Formen die Kürze erhalten haben;109 z.B. werden die Vokale in Lob und Steg (vgl. Russ 1982: 140) auch in der norddeutschen Variante nur lang realisiert. In der Regelordnung (46a) sind solche Fälle nicht erfaßbar, da zunächst die Auslautverhärtungsregel angewandt wird, die keine Ausnahmen hat. Eine durch R1 abgeleitete Form /lop/ kann die Dehnungsregel nicht mehr durchlaufen, da die Kontextbedingung ,vor Lenisobstruent' nicht erfüllt ist. 108

109

Er erwähnt nicht speziell das Norddeutsche, sondern spricht allgemein von „in diesem Lande gesprochene[n] Dialektefn]" (1969/71: 66). Kurz geblieben ist offensichtlich vornehmlich der Vokal /a/.

130 Diese Überlegungen - und weitere Argumente, die ich im folgenden diskutiere sprechen dafür, daß die traditionelle Analyse der Dehnungen am Wortende als Analogiebildungen adäquat ist.110 Der weite Bereich der Analogie und des analogischen Wandels muß im Rahmen dieser Arbeit ausgeklammert bleiben.111 Deshalb fasse ich nur kurz drei für den vorliegenden Prozeß relevante Eigenschaften zusammen (vgl. Hock 19912: 167-182 undMcMahon 1994: 70-80): - Analogischer Ausgleich („analogical leveling") als Spezialfall des analogischen Wandels fuhrt zu einer teilweisen oder vollständigen Aufhebung von Unterschieden in der phonologischen Struktur (a) der verschiedenen Wortformen eines Wortes im Flexionsparadigma und (b) verschiedener verwandter Wörter. - Dieser analogische Ausgleich ist so gut wie nie (bzw. erst nach einem sehr langen Zeitraum) völlig regulär, d.h. ausnahmslos.112 - Der analogische Ausgleich führt zwar zu einer Veränderung der phonologischen Struktur der erfaßten Wörter, ist aber nicht phonologisch motiviert. Alle drei Eigenschaften treffen auf die Vokallängungen in (45) zu. Sie führen zu einer Vereinheitlichung im Flexionsparadigma, wie folgende Skizze der Veränderungen für das Wort mhd. tac > nhd. Tag zeigt: (47) a. mhd. Formen:

(Sing.)

/tak/

(PI.)

/tags/

1

b. Längung nach WL

/tak/

/toga/

c. analog. Ausgleich

/ta:k/

/ta:gs/

Ausgangspunkt der Entwicklung ist im Mhd. ein Paradigma mit kurzem Vokal in allen Wortformen (47a). Durch die reguläre Längung aufgrund des WL in Stadium (47b) wird diese Einheitlichkeit zerstört. Die mehrsilbigen Flexionsformen enthalten nun Langvokale, die einsilbigen dagegen bewahren den Kurzvokal. Der analogische Ausgleich in (47c) restituiert wiederum die Einheit der phonologischen Form.113 Der analogische Prozeß ist nicht völlig regulär, wie die oben diskutierten norddeutschen Aussprachevarianten mit Kurzvokal in Wörtern wie Gras, Grab, Schlag, Rad und Bad zeigen. Letztere beiden Wörter werden übrigens auch im Rheinland häufig kurz 110

Zu dieser Analyse vgl. Paul (1884: 106f.), Russ (1982: 140), Paul/Wiehl/Grosse (1989 23 : 76f., § 46), Szulc (1987: 134), Auer (1989: 37f.) und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera (1993: 72, § L 34). "' Zur Analogie und analogischem Sprachwandel vgl. u.a. Kuryiowicz (1947), Manczak (1958), Anttila (1977), Kiparsky (1988), Anderson (1988), Becker (1990), Hock (1991 2) und McMahon (1994). 112 Dies gilt selbst für den aufgrund des Vernerschen Gesetzes (vgl. Kap. 2) eingetretenen grammatischen Wechsel in Verbalparadigmen, der in einer Entwicklung über Jahrtausende bis zum Nhd. nicht vollständig ausgeglichen wurde, wie noch bestehende Alternationen vom Typ schneiden (/d/) schnitt (/t/), war (/r/) - gewesen (/z/) zeigen. 113 Diese Einheitlichkeit wird allerdings nicht vollständig wiederhergestellt, da die einsilbigen Formen als Folge der Auslautverhärtung einen stimmlosen, die mehrsilbigen dagegen einen stimmhaften Obstruenten in der Silbenkoda enthalten.

131 realisiert.114 Noch unregelmäßiger als im Flexionsparadigma der Nomina und Adjektive wurde der analogische Ausgleich im Paradigma der starken Verben durchgeführt. So enthalten zwar z.B. graben, schlagen, sehen, stehlen und spielen in allen Formen einen Langvokal, Alternationen zeigen dagegen nehmen (vgl. nimmt), treten (vgl. tritt) oder in regionalen Varianten - geben (vgl. gibst mit Lang- oder Kurzvokal). Die analogische Längung ist nicht auf Wortformen des gleichen Flexionsparadigmas beschränkt, sondern zeigt ihre Wirkung auch in verwandten Wörtern, die in einer Derivationsbeziehung zueinander stehen. Dies belegen z.B. Nominalisierungen aus Verbformen wie Gebet (zu beten) oder Gebot (zu geboten). Gerade dieser Typ von Dehnung zeigt, daß es sich um einen analogischen Prozeß handelt. Die Längung unterbleibt nämlich, wenn die - etymologisch vorhandene - Bedeutungsrelation zwischen verwandten Wörtern für den Sprecher nicht mehr durchschaubar, d.h. verdunkelt ist. Diese Verdunkelung kann zusätzlich durch phonologische Unterschiede beeinflußt sein, z.B. in geloben - Gelübde, ziehen - Zucht, geben - Gift. Dies muß aber nicht der Fall sein, wie die Adverbien weg und flugs zeigen, deren Stämme sich, abgesehen von der Vokalquantität, phonologisch nur geringfügig von den Basiswörtern Weg und Flug unterscheiden.115 Diese Kopplung der Längung im abgeleiteten Wort mit einer semantischen Beziehung zum Grundwort zeigt, daß die Vokaldehnung in diesen Fällen nicht phonologisch, sondern morphologisch motiviert ist. Der analogische Ausgleich in (47c) könnte auch, in umgekehrter Richtung, zugunsten des Kurzvokals verlaufen, d.h. die vorangegangene Dehnung wieder aufheben. Resultat einer solchen ,analogischen Kürzung' wären die Formen /tak/ und /tags/. Dieser Prozeß hat in der Entwicklung zum Nhd. aber nicht stattgefunden, was m.E. folgende Gründe hat: Nach dem Prozeß der Vokaldehnung (vgl. 47b) bzw. Ambisilbifizierung entsteht nämlich eine Strukturbedingung - die im Nhd. weiterbesteht - , nach der akzentuierte Silben, die auf Kurzvokal enden, also nur eine Reimposition enthalten, ausgeschlossen sind. Die oben für das Mhd. angenommene Bedingung über wortfinale starke Silben (vgl. oben 41) ist also im Verlauf des Frnhd. auf alle starken Silben ausgedehnt worden. Wäre die analogische Kürzung nach dem Muster der einsilbigen Formen mit Kurzvokal (z.B. /tak/) auf die mehrsilbigen übertragen worden, würden diese die neu entstandene Minimalbedingung für Akzentsilben verletzen, wie die hypothetische Form116 /tá.ga/ zeigt. Offenbar wirkt die neue Bedingung, daß akzentuierte Silben schwer sein müssen, so stark, daß sie die analogische Widerherstellung von Kurzvokalen in offener Silben blockiert. Die Quantitätsveränderungen führen folglich im Sinne des WL zu einer

114

115

116

In den norddeutschen und westmitteldeutschen Dialekten fand der analogische Ausgleich überhaupt nicht statt, d.h., die einsilbigen Formen haben durchweg Kürze bewahrt (vgl. Schirmunski 1962: 187). Der Unterschied in der Vokalquantität beinhaltet natürlich eine im Nhd. damit verknüpfte Differenzierung in der Qualität: Die Langvokale sind jeweils gespannt, die Kurzvokale ungespannt. Zu weiteren Beispielen für verdunkelte Beziehungen zwischen Worten und, als Folge davon, unterbliebene Vokallängungen vgl. Paul (1884: 107) und v. Kienle (1969 2 : 40). Hypothetisch ist sie natürlich nur in Hinblick auf den nhd. Zustand nach der Vokaldehnung; sie entspricht ja der mhd. Ausgangsform.

132 Minimalstruktur für Akzentsilben, 2 Reimjjositionen, die durch analogische Folgeprozesse bis heute nicht durchbrochen wurde. Die analogische Kürzung muß aber die Minimalitätsbedingung des WL nicht verletzen, wenn sie mit der Ambisilbifizierung des folgenden Konsonanten verknüpft ist, wie folgende Darstellung dieser hypothetischen Veränderung zeigt (die Konstituenten Nukleus und Koda sind weggelassen):

Unschwer erkennbar ist, daß die Zahl von 2 X-Positionen im Reim der ersten Silbe trotz Vokalkürzung erhalten bleibt. Aber die resultierende Silbenstruktur verletzt die Restrikion (30) (vgl. oben 4.3.1), nach der sth. Obstruenten - hier /g/ - nur im Silbenonset zugelassen sind.118 Dieser Hinderungsgrund gilt nicht für Sonoranten, die häufig ambisilbifiziert werden, wie ich oben (in 4.3.2.1.1) gezeigt habe. So ist eine analogische Kürzung z.B. in kommen zur einsilbigen Form komm nicht ausgeschlossen. Eine vorangehende Längung des Vokals in mhd. komen > ? k[o:]men, die anschließend analogisch rückgängig gemacht würde, ist aber nicht nachweisbar. Deshalb habe ich oben (4.3.2.1) für die Entwicklung komen > kommen (und parallele Fälle) eine direkte Ambisilbifizierung des Sonoranten in der zweisilbigen Form angenommen und keinen Umweg über Längung und analogische Kürzung gemacht. Anders verlaufen ist die Entwicklung im Niederländischen: Wie oben (vgl. 4.2.2) dargelegt, hat im Altniederländischen ebenfalls eine Vokaldehnung in offener Silbe stattgefunden,119 die mit Hilfe des WL beschreibbar ist (vgl. (8) - (11)), z.B. in da.ga > daa.ga ,Tage'. Anders als im Deutschen, hat aber im Niederländischen in der Regel keine analogische Längung in geschlossener Silbe stattgefunden, so daß bis heute Alternationen zwischen Einsilblern mit Kurzvokal und mehrsilbigen Wortformen mit Langvokal bestehen, z.B. dag - dägen, weg - wegen und schip - schëpen (vgl. Leys 1975: 117

118

119

Diese Untergrenze von 2 Positionen fungiert nach dem WL auch als Obergrenze; diese wurde jedoch durch analogische Längungen in geschlossener Silbe (vgl. die Beispiele in (45)) häufig überschritten. Überlange Silben werden somit im Nhd. viel eher akzeptiert als überkurze, was auch die im Vergleich zu den Dehnungen insgesamt wesentlich selteneren Kürzungen vom Mhd. zum Nhd. belegen. Diese Restriktion wurde erst durch die Entlehnung von Wörtern aus dem Niederdeutschen wie Ebbe, Egge etc. mit ambisilbischen sth. Plosiven (/b/ und /g/) ab dem 16. Jh. zumindest fur einen kleinen Teil des Wortschatzes wieder aufgehoben (vgl. oben 4.3.1). Vgl. dazu neben Leys (1975) auch Goossens (1974: 42) und van Bree (1987: 195f.).

133 421). Dagegen fanden in der Entwicklung des Niederländischen in folgenden Fällen analogische Kürzungen in Mehrsilblern statt (nach Leys 1975: 42If. und 428f.): (a) Generell innerhalb von Adjektivparadigmen; vgl. smal - smalle, slap - slappe, vlak vlakke, glad - gladde und rad - radde, alle mit Kurzvokal. Als Ausnahme erwähnt Leys (1975: 446, Anm. 1) nur grof - grövem (b) Optional in Nominal- oder Verbalparadigmen vor stl. Obstruenten und Sonoranten, dagegen nicht vor sth. Obstruenten (vgl. die erhaltene Alternation in dag - dägen etc.). Beispiele für einen Ausgleich bilden bisschop - bisschoppen ( < biscopen)m und getal gefallen (< getaalen)·, der Vokal blieb dagegen z.B. in schëpen (vs. schip), däken (vs. dak), spëlen (vs. spei) in den mehrsilbigen Flexionsformen lang. Vergleicht man die Wirkungen der analogischen Dehnung im Deutschen mit der entsprechenden Kürzung im Niederländischen, so zeigt sich ein charakteristischer Unterschied: Die Kürzung fuhrt zu einer Silbenstruktur, die dem WL entspricht, also zu einer „Verbesserung" in Vennemanns Terminologie der Präferenzgesetze, die analogische Längung im Deutschen dagegen zu einer „Verschlechterung", wie ein Vergleich der Wörter ndl. slappe (Resultat analogischer Kürzung) und nhd. Tag (Produkt analogischer Dehnung) verdeutlicht:

120

Eine interessante Parallele besteht im siegerländischen Dialekt, wo nach Paul (1884: 113) die gleiche Alternation groaff (mit Kurzvokal) vs. grò we (mit Langvokal) vorliegt. 121 In diesem Fall könnte der Kurzvokal in beiden Wortformen allerdings auch darauf zurückzufuhren sein, daß die entsprechenden Silben nicht den Wortakzent tragen, folglich nach dem WL nur eine Reimposition benötigen. 122 Letzteres Beispiel wird auch von van Bree (1987: 199) angeführt.

134 b.

σ

R

O

Ko

Ν

Χ

Χ

Χ

\/ α

t

Χ

k

In (49a) enthält der Reim der akzentuierten Initialsilbe genau zwei Reimpositionen - /p/ ist ambisilbisch123 - und entspricht damit dem WL, während die Struktur (49b) mit drei Positionen im Sinne des WL weniger präferiert ist. Das WL kann als ein Präferenzgesetz, das die Richtung silbenstruktureller Veränderungen angibt,124 betrachtet werden (vgl. oben 4.2.1). Mit dieser prosodischen Entwicklung konkurriert sozusagen eine morphologische, die eine konstante phonologische Wortform über die verschiedenen Flexionsformen eines Wortes oder über verschiedene, 125

verwandte Wörter hinweg präferiert. Beide Präferenzen können Veränderungen in die gleiche Richtung bewirken; dies zeigt das Beispiel des Niederländischen: Dort entsprechen die nach Vokaldehnung, analogischer Kürzung und Ambisilbifizierung entstehenden Strukturen sowohl dem WL als auch dem Prinzip ,Konstanz der Wortform'. Letzteres ist allerdings in einer Reihe anderer Fälle, in denen die Alternanz zwischen Lang- und Kurzvokal erhalten ist, durchbrochen, z.B. in dag - dägen. In der Entwicklung des Deutschen dagegen wirken WL und Analogie nicht in die gleiche Richtung; die analogische Längung hebt vielmehr die Wirkung des WL z.T.

123

124

125

Eine ausführliche Begründung für die Ambisilbizität solcher in der Schrift verdoppelter Konsonanten nach Kurzvokal im Niederländischen gibt van der Hülst (1985). Er zeigt zudem, daß die adäquateste Repräsentation für diese Konsonanten eine Geminatenstruktur ist. Ich verzichte hier bewußt auf die teleologische Interpretation dieser Veränderungsrichtung, die Vennemann (1988) vornimmt, wenn er von „Verbesserung" und „Verschlechterung" spricht. Zur Rechtfertigung dieser Teleologie vgl. Vennemann (1993); kritisch diskutiert wird dieses Konzept von McMahon (1994, Chap. 12: 314-340). Dieses Wechselspiel phonologischer und morphologischer Präferenzen wird auch von Wurzel (1991) - im Rahmen der Natürlichen Morphologie - und in der Optimalitätstheorie (OT) diskutiert. Letztere geht von verletzbaren phonologischen und morphologischen Strukturbedingungen (sogenannten „constraints") aus, die in sprachspezifisch unterschiedlicher Weise gewichtet („gerankt") sind. Mit diesem Modell können möglicherweise die Unterschiede zwischen den skizzierten Entwicklungen im Niederländischen und Deutschen adäquat erfaßt werden. Vgl. zur Optimalitätstheorie u.a. McCarthy/Prince (1993), Prince/Smolensky (1993), Archangeli/Langendoen (1997), Löhken (1997) und Féry (1998).

135 wieder auf, wie ich oben gezeigt habe. Die Interdependenz des prosodischen mit dem morphologischen Präferenzgesetz im Deutschen ist im folgenden Schema illustriert: (50) a. Weight Law weniger präferiert

präferiert • Silbenstruktur

M Konstanz der Wortform b. Analogische Längung weniger präferiert •4

präferiert Silbenstruktur • Konstanz der Wortform

Diagramm (50a) ist wie folgt zu interpretieren: Die Vokaldehnung auf der Grundlage des WL fuhrt zu einer präferierten Silbenstruktur (für akzentuierte Silben), dagegen wird die Konstanz der Wortform durch diesen Prozeß vielfach durchbrochen; vgl. z.B. Alternationen wie [tak] - [ta:ga] oder [gras] - [greize]. Die analogische Längung (50b) dagegen resultiert in einer weniger präferierten Silbenstruktur, weil sie überlange Silben produziert. Sie erzeugt andererseits konstante phonologische Wortformen, d.h. präferierte Strukturen im morphologischen Sinne. In der Regel sind, wie die vorangehende Diskussion gezeigt hat, alle Vokaldehnungen vor wortfinalem Einzelkonsonant als analogische Längungen interpretierbar. In wenigen Fällen ist diese Analyse problematisch oder unhaltbar. Dies gilt zunächst für einige Wörter mit finalem Irl, z.B. mhd. ër > er, der > der und wir > wir (mit langem li:l). Diese werde ich weiter unten analysieren (vgl. 4.3.2.2.3). Für andere Wörter mit nicht analogisch erklärbaren Dehnungen ist die Annahme ursprünglich zweisilbiger Formen möglich, z.B. in folgenden Beispielen (vgl. v. Kienle 19692: 39, Paul/Wiehl/Grosse 198923: § 46, 76 und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: § L 34, 72):

136 •1/ \126 vil(e) wol(e) im(e) dëm(e) wëm(e)

nhd. viel wohl ihm dem wem

> > > >

>

Die Vokallängung in den Akkusativformen mhd. in > nhd. ihn, dën > den und wen > wen ist möglicherweise in Analogie zu den Dativformen (vgl. 51) erfolgt (so v. Kienle 19692: 39). Nach der Beschreibung der Vokaldehnungen vor einfachem wortfinalen Konsonanten als analogische Längung wende ich mich im folgenden den Längungen vor mehreren Konsonanten am Wortende zu.

4.3.2.2.2 Vokaldehnungen vor wortfinaler Mehrfachkonsonanz Die Dehnungen vor mehreren Konsonanten am Wortende widersprechen dem WL in noch stärkerem Maße als der im vorigen Abschnitt behandelten Längungstyp und bedürfen daher der Erklärung. Auf Analogie zurückzufuhren sind die Langvokale in Verbalformen wie nhd. gräbst, legst, lobt etc. Eine weitere Gruppe, Dehnungen vor /r/+Konsonant, z.B. in Art, Fahrt, Harz etc. werde ich im nächsten Abschnitt behandeln. Es bleiben folgende zu beschreibende Längungen (vgl. Reis 1974: 84 u. 255f., Kluge 198922 und Lexer 198637): (52) mhd.

mag(e)t jaget 7 krëb(e)3 ob(e)3 keb(e)se vog(e)t brobest128

> > > > > > >

nhd.

Magd Jagd Krebs Obst Kebse ,Nebenfrau' Vogt Propst

Paul (1884: 109) führt die Dehnungen in (52) auf die zweisilbigen Wörter (bzw. die Variation zwischen ein- und zweisilbigen Wörtern) zurück, in denen das Schwa in der Finalsilbe noch nicht synkopiert wurde (so auch Szulc 1987: 151). Geht man von einer Form wie /ma.gst/ aus, so folgt die Längung zu /ma:.gat/ völlig regulär dem Muster der Dehnungen in offener Silbe wie in nhd. loben, Tage, etc. Die Erhaltung der Länge 126 127

128

In diesem Fall ist auch Analogiebildung zu den mehrsilbigen Flexionsformen möglich. Möglicherweise liegt analogische Längung nach dem Verb mhd. jagen > nhd. jagen (mit langem [α:]) vor. Nach Reis (1974: 84) enthält brobest im für Dehnung und Kürzung relevanten Zeitraum bereits einen Langvokal; dies nimmt offenbar auch Paul (1884: 123) an, wenn er Propst zusammen mit Papst als Ausnahme zur Kürzung erwähnt. Die klassisch mhd. Form brobest hat nach Kluge (1989 22 : 566) und Lexer (1986 37 : 26) Kurzvokal.

137 spricht dafür, daß zur Zeit der Schwa-Synkope die Kürzung kein völlig produktiver Prozeß mehr war; sonst wäre der Vokal in /ma:kt/ ebenso gekürzt worden wie z.B. in mhd. âht > Acht (vgl. oben 31). Das Schwanken sowohl in der regionalen Umgangssprache als auch in den Dialekten (vgl. Paul 1884: 109) deutet allerdings daraufhin, daß die Kürzung vor Mehrfachkonsonanz regional unterschiedlich noch länger wirksam geblieben ist. Ich schließe mich der Paulschen Analyse für die Dehnungen in (52) an, u.a., da kein klarer Beleg gegen die chronologische Reihenfolge ,Vokaldehnung vor Synkope' spricht; nach Paul/Wiehl/Grosse (198923: 85, § 56) ist die Synkope u.a. in voget, bäbes, jaget, dienest, krëbe3 und o è e j erst nhd. Ursprungs. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera (1993: 80, § L 39) konstatieren ihr Vorkommen im Frnhd. Lexer (1986") und Kluge (198922) geben zwar für einige der Wörter in (52) bereits mhd. Realisierungen ohne Schwa an, dies ist aber in keinem Fall die einzige Variante. Die hier angenommene chronologische Reihenfolge eröffnet auch die Möglichkeit, ein paar Ausnahmen zur Kürzung vor Mehrfachkonsonanz auf die unsynkopierten Formen zurückzuführen, und zwar in mhd. bäbes > Papst, dienest > Dienst - in diesem Fall ist auch Analogie zu dienen möglich - und, nach Reis (1974) und Paul (1884), auch br[o:]best > Propst (vgl. oben (21) und Fußnote 27). Reis (1974: 84 und 148, Anm.3) kritisiert die hier vorgeschlagene Lösung mit Hinweis auf andere Wörter, in denen ebenfalls Synkope, aber keine Längung stattgefunden habe. Im einzelnen gilt dies für folgende Fälle:129 bume3, bims wambeis, wambes samît sam(e)3tac sim(e^3 gam3 hamster bin3, bines greniz(e) bül(e)z mil(i)ch kel(i)ch sol(i)ch wel(i)ch dollich132 129

130

131

132

> > >

> > > > > >

> > > > > >

nhd.

Bims Wams Samt, Sammet Samstag Sims Gemse Hamster Binse Grenze Pilz Milch Kelch solch welch Dolch

Unklare Fälle, die auf der Grundlage von Kluge (1989 22 ) und Lexer (1986 37 ) nicht eindeutig rekonstruiert werden konnten, habe ich weggelassen. Sowohl Lexer (1986 37 ) als auch Kluge (1989 22 ) geben für das Mhd. nur die synkopierte Form an; für das Ahd. nennt Kluge die Formen gamiza und gam(e)z. Die Synkope fand nach diesen Angaben schon in vormhd. Zeit statt. Auch in diesem Fall führt Kluge (1989 22 ) nur die synkopierte Form an, die auf ahd. hamustro zurückgeht. Nach Kluge (1989 22 : 149) eine fmhd. Form; daneben nennt er die Variante dolken.

138 manee, manic mün(e)ch, mün(i)ch münze (ahd.: muniz) vrem(e)de hüb(e)sch

> > > > >

manch Mönch Münze fremd hübsch

Nur für zwei der Beispiele, mhd. gam3 und hamster, ist die Annahme einer früheren, bereits ahd. Synkope möglich. Alle anderen besitzen, wie die Wörter in (52), auch mhd. zumindest Varianten mit unsynkopiertem Vokal. Daher ist eine Beschreibung der Daten, die für die Fälle in (53) - ohne gelängten Vokal - eine chronologische Reihenfolge ,Synkope vor Dehnung', fur die Wörter mit Langvokal in (52) dagegen die Abfolge ,Dehnung vor Synkope' ansetzt, wenig überzeugend. Dies ist aber auch gar nicht notwendig. Wenn man die letztere Reihenfolge für die Analyse der Wörter in (53) verwendet, entsteht kein Widerspruch. Ausgehend von einer Form wie mhd. bülez existieren nämlich, wie in Abschnitt 4.3.2.1.1 ausfuhrlich diskutiert wurde, zwei Möglichkeiten der Weiterentwicklung, Vokallängung und Ambisilbifizierung. Die zweite Möglichkeit besteht für fast alle Beispiele in (53), da in wortmedialer Position ein ambisilbifizierbarer Sonorant {Imi, Ini, IM oder /r/133) steht. Für die Fälle in (52) steht diese Option dagegen nicht zur Verfugung, da medial nur sth. Plosive vorkommen (vgl. mhd. obe3), die nach Bedingung (30) allein im Silbenonset zugelassen sind. Einzige nicht erklärbare Ausnahme bleibt das Wort hübschm, das einen Kurzvokal enthält, obwohl in der mhd. unsynkopierten Form hübesch der sth. Plosiv Ibi folgt. Die Dehnungen vor wortfinaler Mehrfachkonsonanz (vgl. 52) sind somit durch Zuriickfìihrung auf unsynkopierte Wörter mit der medialen Struktur V.CV im Rahmen des WL regulär beschreibbar, mit der eben diskutierten Ausnahme. Ausgeklammert habe ich in diesem Abschnitt Längungen vor einem wortfinalen Cluster ,/r/+Konsonant', die ich im folgenden zusammen mit Längungen vor einfachem Irl diskutiere.

4.3.2.2.3 Vokallängungen vor Irl Bisher unberücksichtigt geblieben sind die zahlreichen Vokallängungen vor wortfinalem Irl. Zwei Gruppen können differenziert werden, (a) Dehnung vor Irl alleine und (b) Dehnung vor ,/r/+Konsonant'. Zur ersten Gruppe gehören eine Reihe von Fällen, in denen die Vokallängung auf Analogie zu mehrsilbigen Flexionsformen zurückführbar ist. Dazu zählen z.B. Tür, Kür, Meer und Schar. Daneben stehen aber eine Reihe von nicht eindeutig analogisch interpretierbaren Formen mit Langvokalen, wie das folgende Beispielkorpus belegt:135

133 134

135

Ambisilbifizierungen von /r/ finden sich z.B. in nhd. irren, Herren, zurren, schwirren, knurren etc. Übrigens kann auch Reis (vgl. 1974: 256) den Kurzvokal in diesem Wort nicht mit Hilfe der von ihr rekonstruierten Anschlußgegensätze erklären. Vgl. zu solchen Formen Kluge (1989 22 ), Lexer (1986 37 ), Paul (1884: 110), Paul/Wiehl/Grosse (1989 23 : 76, § 46) und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera (1993: 72, § L 34).

139 ër > > dër > wër > wir > ir > mir > dir > dar(e) > ur> hër(e) > vür(e) > vor(e) enbor(e), empor >

nhd.

er der wer wir ¡to-

rnir dir darurher für vor empor

In einigen Fällen sind, wie das Korpus zeigt, auch zweisilbige Varianten mit auslautendem Schwa belegt, so daß eine Analyse als Dehnung in offener Silbe möglich scheint, wie ich sie oben (vgl. (51)) für mhd. vil(e) > viel, wol(e) > wohl etc. vorgeschlagen habe. Allerdings überwiegt die Zahl der Wörter ohne auslautenden Vokal, weshalb diese Analyse fehlschlägt. Die Ursache der Veränderungen in (54) liegt m.E. vielmehr in der Natur des Sonoranten /r/ selbst begründet, weshalb ich Vokaldehnungen vor diesem Konsonanten einheitlich erkläre, unabhängig davon, ob noch ein weiterer Konsonant folgt oder nicht. Daher zunächst Beispiele für Längungen vor einem Cluster /r/+Konsonant (gestützt auf die für Korpus (54) genannte Literatur; vgl. außerdem Szulc 1987: 152): art bart vart geburt wert swërt swart(e) hërt phert ërde hërt wërden ërz(e) harz ars bars wërmuot(e)

> > > > > > > > > > > > > > > > >

nhd.

Art Bart Fahrt Geburt wert, Wert Schwert Schwarte Herd Pferd Erde Herde werden Erz Harz Arsch Barsch Wermut

Zwei der Längungen in (55) sind durch Analogie erklärbar, Geburt und Fahrt, die übrigen nicht. Sie unterliegen außerdem starken regionalen Schwankungen: Wiesinger

140 (1983: 1093) konstatiert z.B. Realisierung mit Kurzvokal in Wörtern wie wert, Erde und Geburt. Manche Varianten sind so weit verbreitet, daß sie selbst in die Aussprachewörterbücher für die Standardsprache Eingang gefunden haben. So geben sowohl das GWdA (1982) als auch das DUDEN-Aussprachewörterbuch (19903) für Erz und Arsch Realisierungen mit Lang- oder Kurzvokal an, für Barsch und Geburt nur das GWdA, für Schwarte nur der DUDEN. Die Dehnung vor ,/r/+Konsonant' unterliegt nicht nur regionalen Schwankungen, sie ist auch sehr oft unterblieben, wie z.B. die Wörter hart, Wirt, Ort, Furt, fort, Forst, warten, Herz, Schmerz, schwarz, Warze, Scherz, Würde, Bürde, Hürde, werfen, Werft, Ferse, Werk, Berg, Birne, Erbe, werben, warm, Schwärm und viele andere zeigen. Folgende Tendenzen sind festeilbar: Besonders häufig fand die Dehnung vor ,/r/+koronalem Plosiv' (/t/ oder /d/) statt, seltener vor anderen Konsonanten. Außerdem sind von der Dehnung vorrangig die Vokale /a/ und Ici (oder /e/) betroffen. Allerdings finden sich vor einfachem Irl auch häufiger Längungen des hohen Vokals Iii (--> Ii:/) (vgl. Korpus (54)). Diese Faktoren sind kaum interpretierbar, wenn man die Vokaldehnungen vor Irl wie alle anderen bisher, als primär prosodische Erscheinungen im Rahmen des WL beschreibt. Ich folge daher einer anderen Erklärung, die diese Dehnungen in Zusammenhang bringen mit der Vokalisierung von Irl in postvokalischer Silbenkodaposition, ein Phänomen, das sowohl in der Entwicklung der dt. Dialekte als auch in der Standardsprache zu beobachten ist.136 Die Hypothese, daß die Längung mit der r-Vokalisierung verknüpft ist, wird z.B. von Schirmunski (1962: 372), Reis (1974: 257f.) und Penzl (1975: 114)137 vertreten. Trotz der Probleme der chronologischen Einordnung (vgl. dazu die kritischen Anmerkungen in Russ 1982: 115 und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993: 150, § L 65) spricht meines Wissens keine zwingende Evidenz dagegen, daß zwischen Vokaldehnung und r-Vokalisierung ein Zusammenhang besteht. Die Vokalisierung führt zur Bildung eines Diphthongs, oder, vor allem nach /a/, zur vollständigen Tilgung mit Ersatzdehnung des Vokals, wobei die Übergänge fließend sind (vgl. Schirmunski 1962: 372 und Russ 1982: 116). Vater (1992: 126f.) analysiert die r-Vokalisierung als Bildung eines Glides, der zum zweiten, unsilbischen Teil eines Diphthongs wird. D.h. im Rahmen der Konstituentenstruktur der Silbe, daß [B] nicht mehr, wie konsonantisches [r] oder [R], in der Koda, sondern im Nukleus steht. Diese Nuklearisierung ist in (56) für das Beispiel Wert dargestellt:

136

137

Zur Entwicklung in den Dialekten siehe Schirmunski (1962: 372-375), Russ (1982: 115-117) und Wiesinger (1983: 1092f.), zur Standardsprache Ulbrich (1972: 141-143), Kohler (1977: 169f.), Krämer (1979), Meinhold/Stock (1982 2 : 131 f.), Vater (1992: 110), Hall (1993: 87f.), GWdA (1982: 52-55) und DUDEN-Aussprache (1990 3 : 47f.). Penzl (1975: 114) bezieht allerdings nicht selbst Position, sondern formuliert neutral: „Diese Dehnung hat man vielfach mit der Entwicklung eines Gleitlauts vor r, bzw. dessen Vokalisierung nach Langvokal [...] in Beziehung gebracht."

141 (56)

O

R

-



O

R

Ko

Χ

Χ

Χ

Ν

Χ

Χ

Χ

Ko

Χ

Χ

An der Darstellung in (56) werden zwei Eigenschaften der r-Vokalisierung deutlich: (a) Sie ist häufig mit einer Änderung der Vokal^ualität, genauer, einem Wechsel von ungespannten zu gespannten Vokalen verbunden. 38 Dies entspricht der Verteilung im Nhd.: Nach gespannten Vokalen tritt r-Vokalisierung häufiger ein als nach ungespannten (vgl. z.B. GWdA 19822: 53-55, DUDEN-Aussprache 19903: 47f. und Hall 1993: 87f.), wie auch die Alternationen [eRts] vs. [eets] (für Erz) und [gabuRt] vs. [gabuçt] zeigen, welche entweder die Kombination ,ungespannter Vokal + konsonantisches [R]' oder ,gespannter Vokal + vokalisches [b]' enthalten. Dies heißt nicht, daß die Verbindung eines ungespannten Vokals mit vokalisiertem [b] ausgeschlossen wäre; sie kommt sehr wohl vor, worauf u.a. Kohler (1977: 170), Vater (1992: 110, Fußn. 24) und Hall (1992: 88) verweisen, nur sind in diesem Kontext - in regional unterschiedlichem Umfang auch konsonantische r-Realisierungen möglich (vgl. Hall 1993 zum Niederrheinischen). (b) Die der vokalischen r-Variante vorangehenden Vokale werden nicht gedehnt - sie sind nur mit einer X-Position assoziiert - , sondern bilden lediglich den ersten Teil eines Diphthongs. Für diese von Vater (1992: 127) vertretene These sprechen folgende phonotaktische Gründe:139 Zum einen existiert im Standarddeutschen keine distinktive Opposition zwischen Lang- und Kurzdiphthongen; so sind [eç] und [e:c], selbst wenn man von einem Längenunterschied ausgeht - wie die Transkription andeutet-, auch qualitativ verschieden. Ein weiteres Argument bildet die phonotaktische Restriktion, die ein Irl in der Silbenkoda nach Diphthongen ausschließt, wie folgende als Einsilbler unmögliche Wörter zeigen:

1

Die Regelformulierung in (56) sagt nichts über die Reihenfolge der Prozesse ,r-Vokalisierung' und Veränderung zu gespannten Vokalen' aus. In der Regel ist zwar die Abfolge ,rVokalisierung' vor Vokalqualitätsänderung oder Simultaneität beider Prozesse anzunehmen, da konsonantische ,r-Realisierung' nach gespannten Vokalen seltener vorkommt als nach ungespannten. Diese ist aber möglich (vgl. [ve:Rt] oder [ve:rt]) und bedingt dann die Reihenfolge , Vokalqualitätsänderung vor r-Vokalisierung'. Eine phonetische Dehnung der gespannten Vokale ist damit nicht ausgeschlossen, sie ist nur nicht phonologisch relevant. Der auditive Eindruck der Länge kann auch dadurch enstehen, daß gespannte Vokale sonst unter Akzent immer lang realisiert werden.

142 (57) a.

* Baur * Feur * Feir

b.

Bauer Feuer Feier

Hall (1992: 143-145) erklärt die Ungrammatikalität der Formen in (57)a. durch einen zu geringen Sonoritätsabstand zwischen /R/ und dem vorangehenden Vokal, welcher eine Silbifizierung von Glide und /R1 nicht zulasse. Dabei operiert er - nach Selkirk (1984) mit einer numerischen Sonoritätsskala und ist gezwungen, als Abstand zwischen /R/ und Vokalen den Wert 0,5 anzunehmen, der die postulierte Minimaldistanz von 1 zwischen Kodaelementen unterschreite. Diese zwar widerspruchsfreie, aber doch sehr gekünstelte Analyse ist aber gar nicht notwendig, wie Vater (1992: 127) zeigt. Er nimmt an, daß Triphthonge im Deutschen nicht zugelassen sind; das bedeutet im Rahmen der Silbenstruktur, daß maximal zwei Elemente im Nukleus stehen dürfen. Folgende Struktur ist beispielsweise ausgeschlossen:

X X X

a

υ

Β

Diese Annahme ist nicht nur unter synchronem Aspekt plausibel, sondern zeigt sich auch in der diachronen Entwicklung. Im Mhd. steht nach den hohen Langvokalen Ii, û, iu/ der Sonorant Irl auch in einsilbigen Wörtern, die diphthongierten nhd. Formen dagegen sind nur zweisilbig möglich (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 1989 : 145, § 123): bûr viur gîr schûr(e) mûr(e)

> > > > >

nhd.

Bauer ,Vogelkäfig' Feuer Geier Schauer Mauer u.a.

Der Zusammenhang zwischen r-Vokalisierung, Diphthongierung und Bildung einer zweiten Silbe kann wie folgt beschrieben werden: Da Diphthongierung und Vokalisierung - die ja zugleich Nuklearisierung ist - zu einer unzulässigen Besetzung des Nukleus mit 3 Elementen fuhren 140 (vgl. 58), bildet das letzte vokalische Element, vokalisiertes [ B], einen eigenen Silbennukleus. Die Restriktion in (58) bietet nicht nur eine Erklärung der Zweisilbigkeit der nhd. Formen in (59), sie ist zugleich ein Argument für die Notwendigkeit einer Konstituente ,Nukleus'. Außerdem ist sie mit dem WL, das die Zahl der Reimpositionen reguliert, 140

Da Kurzdiphthonge im Deutschen, anders als z.B. im Isländischen, ebenfalls nicht zugelassen sind, ist auch eine Assoziation einer X-Position mit zwei Vokalen der Segmentschicht ausgeschlossen.

143 kompatibel. Das Verbot von Triphthongen ist quasi ein Sonderfall des allgemeineren WL. Aufgrund der vorangehenden Diskussion komme ich zu dem Schluß, daß die Vokaldehnung vor Irl keine Dehnung im eigentlichen Sinne ist,141 sondern eine Nuklearisierung dieses Sonoranten, die mit einer Änderung der Vokalqualität verknüpft ist. Diese „Längung" ist zudem an prosodische Bedingungen wie (58) gekoppelt.

4.3.3 Zusammenfassung In den vorangehenden Abschnitten habe ich den Versuch gemacht, sowohl die Ausnahmen zur Vokalkürzung als auch die zur Dehnung in Einklang mit dem WL zu beschreiben. Die Fülle und Verschiedenartigkeit der einschlägigen Daten läßt sich auf wenige Grundprinzipien und prosodische Bedingungen zurückführen: - Die Seltenheit der Vokalkürzungen vor wortfinalen Konsonanten ist durch die Konzepte Extrasilbizität und Extrametrizität erklärt worden, die sich in der Beschreibung zahlreicher Phänomene in verschiedenen Sprachen bewährt haben (vgl. Kap. 1.1.2.2). Außerdem bedarf m.E. das WL selbst einer Modifikation folgender Art: Die Präferierung von 2 Reimpositionen für akzentuierte Silben wirkt in stärkerem Maße als Unter- denn als Obergrenze. Dies belegen die zahlreichen analogischen Längungen, die zur Überschreitung dieser Obergrenze führen. - Die fehlende Kürzung der ursprünglich hohen Vokale /i:, u:, y:/ ist auf ihren diphthongischen Charakter zurückzufuhren. Diese Analyse steht in Einklang mit der im Deutschen gültigen Restriktion, daß neben langen keine kurzen Diphthonge zugelassen sind. - Das Konzept der Ambisilbizität von Konsonanten ermöglicht die Beschreibung einer Reihe von Ausnahmen zur Vokaldehnung sowie einiger Kürzungen (vgl. (27)). Die Annahme ambisilbischer Konsonanten ist dabei keine Ad-hoc-Erklärung für diesen speziellen Fall, sondern auch motiviert durch die phonologische Wortstruktur des Nhd. und anderer Sprachen. - Das Fehlen der Alternative ,Ambisilbifizierung' für die sth. Obstruenten habe ich durch eine Restriktion dieser Konsonanten auf den Silbenonset im für die Quantitätsveränderungen relevanten Zeitraum erklärt. Diese These wird zum einen gestützt durch die Fakten zur Auslautverhärtung, die im Spätahd. einsetzte und Obstruenten in Silbenkodaposition entstimmlichte, wodurch die Distribution sth. Obstruenten auf den Onset beschränkt wurde. Diese Konsonanten kommen zum anderen auch im Nhd. nur in einer kleinen Gruppe von Wörtern niederdeutschen Ursprungs {Ebbe, Widder etc.) in ambisilbischer Position vor. - Vokaldehnungen in geschlossener Silbe führe ich - was die Entwicklung vom klassischen Mhd. zur nhd. Standardsprache angeht 142 - nicht auf das Wirken des WL, 141

142

Dies gilt natürlich nicht für Dehnung vor hl im Silbenonset, z.B. in mhd. varen > fahren, die im Sinne des WL völlig regulär ist. Wahrscheinlich ist diese These für die Entwicklung in den Dialekten nicht haltbar, weil in einer Reihe von Mundarten nicht analogisch erklärbare Vokaldehnungen in geschlossener Silbe vorkom-

144 sondern auf r-Vokalisierung oder analogische Längung zurück. Die Interdependenz zwischen Analogie als morphologischer Operation, die auf die Konstanz der phonologischen Wortform zielt, und dem WL als eines prosodischen Prinzips, das zu einer einheitlichen Struktur akzentuierter Silbenreime fuhrt, kann bei einheitlicher Ausgangslage zu verschiedenen Resultaten fuhren, wie ein Vergleich der nhd. Standardsprache mit dem Niederländischen oder der norddt. Umgangssprache zeigt. Die von mir vorgeschlagene Analyse der Vokallängungen und -kiirzungen als primär prosodische Veränderungen ermöglicht folglich auch eine Interpretation der zahlreichen Ausnahmen, indem sie - neben dem WL - zusätzliche Prinzipien des Aufbaus der Silben- und Fußstruktur von Wörtern heranzieht. Diese Prinzipien, z.B. Extra- und Ambisilbizität, sind unabhängig von den hier betrachteten Quantitätsveränderungen motivierbar und von sprachübergreifender Gültigkeit. Eine mögliche Schwäche der vorgetragenen Argumentation liegt darin, daß ihr eine idealisierte Sicht der Entwicklung von einem idealen Ausgangszustand ,klassisches Mittelhochdeutsch', wie er in Wörterbüchern (v|l. Lexer 198637) und Grammatiken des Mhd. und Frnhd. (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 1989 und Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993) dokumentiert ist, zum Standarddeutschen des 20. Jh. zugrunde liegt. Diese, die reale Komplexität der Veränderungen stark vergröbernde Darstellung mag daher zwar im Detail fehlerhaft sein, die großen Linien der prosodischen Entwicklung werden aber adäquat nachgezeichnet, wie die parallelen Entwicklungen in anderen germanischen Sprachen wie Englisch (vgl. Kap. 3), Niederländisch und Isländisch (vgl. 4.2.2) belegen. Auch ein Blick auf die Vokaldehnungen in den deutschen Dialekten bestätigt dieses Bild. Ritzert (1898: 133), Schirmunski (1962: 183) und Wiesinger (1983: 1092) stellen z.B. übereinstimmend fest, daß die Dehnung in offener Silbe, d.h. vor medialem Einzelkonsonanten, eine allgemeine Erscheinung der deutschen Mundarten ist.143 Die Frage, ob die Dehnungs- und Kürzungserscheinungen (zu letzteren vgl. Elsässer 1909 u. Wiesinger 1983) in der Entwicklung der dt. Dialekte im Rahmen des WL interpretierbar sind und der hier skizzierten prosodischen Beschreibung nicht widersprechen, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden und bleibt weiterer Forschung vorbehalten. Im übrigen stimme ich der Einschätzung von Auer (1989b: 33) zu, daß „wegen der außerordentlichen Komplexität der Entwicklungen in den einzelnen phonologischen und morphologischen Kontexten und wegen seiner [der nhd. Dehnung; H. R.] prosodischen,

143

men, auch vor anderen Konsonanten als Irl (vgl. Ritzert 1898, Kranzmayer 1956: 11, Schirmunski 1962: 188f. und Auer 1989b: 39 u. 55). Diese Längungen sind ebenfalls im Rahmen des WL beschreibbar, wenn man - im Unterschied zur standarddeutschen Entwicklung - davon ausgeht, daß in diesen Systemen wortfinale Konsonanten generell, unabhängig von einer etwaigen Minimalitätsbedingung für das phonologische Wort wie (41), extrametrisch sind (vgl. Struktur (42)). Dieser Typ von Dehnung in den Dialekten bedarf allerdings noch der genaueren Untersuchung und Interpretation im prosodischen Rahmen. Eine Ausnahme bildet lediglich ein Teil des Alemannischen: Nach Wiesinger (1983: 1092) unterbleibt die Dehnung „im Hoch- und Höchstalemannischen vom südlichen Schwarzwald bis ins Wallis mit Ausnahme des Kantons Uri" ; zur genauen Eingrenzung des dehnungsfreien Gebietes vgl. auch Auer (1989b: 38f.).

145 anhand des schriftlichen Quellenmaterials schlecht zugänglichen Natur [...] mit einer endgültigen Klärung wohl auch nicht zu rechnen ist." Die von mir - in Anlehnung an Vennemann (1988) - gegebene Interpretation der nhd. Vokaldehnung und -kürzung ist nicht die erste Analyse im Rahmen der nichtlinearen Phonologie. Eine vergleichbare, aber im Detail unterschiedliche Beschreibung der Dehnung legt Auer (1989b) vor. Zum Schluß dieses Kapitels gehe ich kurz auf seine Darstellung ein.

4.3.4 Analyse der nhd. Dehnung nach Auer (1989) Auer (1989b) (vgl. auch Auer 1989a: 1085-1088) interpretiert die Vokallängung - in Anlehnung an einen ähnlichen Vorschlag von Wiesinger (1983) - als Ausgleich der Zahl der Moren im Wort, und nicht in der Silbe. Mit einer More assoziiert werden Kurzvokale und Lenisobstruenten, den Wert von 2 Moren besitzen dagegen Langvokale, Geminaten und Fortisobstruenten; wortinitiale Konsonanten vor dem ersten Silbengipfel und alle Sonorkonsonanten (vgl. 1989b: 35) besitzen dagegen keinen Morenwert. Ausgangspunkt der Analyse bilden die Verhältnisse im Ahd. (vgl. 1989b: 34), wo drei verschiedene Typen von einsilbigen Wörtern, bezogen auf die Morenzahl, vorkommen:145 (a) zweiwertige mit finalem sth. Obstruenten , (b) dreiwertige mit finalem stl. Obstruenten und (c) dreiwertige mit mehreren finalen Obstruenten. Die zweisilbigen Wörter oder Wortformen, deren Initialsilbe jeweils zu einem dieser Typen gehört, enthalten eine More mehr, d.h. für Typ (a) 3 Moren und für (b) und (c) 4 Moren. Bei Dreisilblern erhöht sich die Zahl noch einmal um eine More. Es gilt folglich das Prinzip der Morenaddition (vgl. Auer 1989b: 37). Der die Dehnung auslösende Faktor ist die Auslautverhärtung, die aus einem zweimorigen Wort wie weg ein dreimoriges (wec) macht, da der stl. Obstruent den Wert von 2 Moren hat. Durch diese Veränderung wird aber das Prinzip der Morenaddition zerstört, da die zweisilbigen Wortformen der Auslautverhärtung nicht unterliegen (vgl. wege). Diese bleiben trimoraisch, genau wie die neue einsilbige Form. In (60a und b) sind die beiden Morenstrukturen für wec und wege nach der Auslautverhärtung dargestellt (nach Auer 1989b: 36):

144

145

Zur Morenphonologie allgemein und einer moraischen Gliederung der Silbe habe ich oben im Zusammenhang mit der mittelenglischen Dehnung kritisch Stellung genommen (vgl. Kap. 3). Auer berücksichtigt dabei nur die s.E. dehnungsrelevanten Fälle, d.h. Einsilbler der Struktur ,K.urzvokal+Obstruent'. Andere Typen wie ,Kurzvokal+Sonorant' oder alle Silben mit Langvokal bleiben außer Betracht.

146 (60) a.

μ

w

b.

w Um das Prinzip der Morenaddition wieder herzustellen, so die Argumentation von Auer (1989b), sei in der zweisilbigen Form (60b) eine Vokaldehnung eingetreten, die die Zahl der Moren wiederum um 1 erhöht habe (vgl. 61): (61)

μ

c

w

ν

e

μ

c

μ

μ

c

c

g

e

Diese Analyse ist m.E. aus mehreren Gründen unhaltbar: - Die Dehnungen vor Sonoranten können in Auers Modell nicht motiviert werden, da diese keinen Morenwert besitzen; die Längungen vor medialen Sonorkonsonanten, z.B. in mhd. spilen > spielen, unterliegen aber den gleichen Bedingungen wie die vor sth. Obstruenten (vgl. 4.3.2.1.1), was auch die gleichartige analogische Längung in den einsilbigen Formen belegt (siehe 4.3.2.2.1). - Eine Opposition zwischen einfachem Ν und geminiertem /tt/ ist im vorgeschlagenen Morenmodell nicht mehr formulierbar, da beide mit zwei Moren (über die C-Einheiten) assoziiert sind. Diese Opposition hatte aber nach überwiegender Auffassung im Mhd. noch Bestand (vgl. obige Diskussion in 4.2.3). - Die Auslautverhärtung fungiert als indirekter Auslöser der Dehnung in einer Wortform, deren medialer Obstruent diesem Prozeß gerade nicht unterliegt (vgl. wege). Im von mir vorgeschlagenen Lösungsansatz dagegen ist das WL, und damit der Akzent, primär für die Längung verantwortlich; die Auslautverhärtung ist lediglich indirekt beteiligt, indem sie die Dehnung vor sth. Obstruenten erzwingt, da diese in der Silbenkoda, d.h. auch ambisilbisch nicht mehr zugelassen sind.

147 - Das Modell von Auer (1989b) ist widersprüchlich, da zum einen wortinterne Silbengrenzen für die Morenzuweisung keine Rolle spielen, wie seine Repräsentationen und die Morenregeln (vgl. 1989b: 35) zeigen, die nur wort-, nicht silbeninitiale Konsonanten ausklammern. Zum anderen ist aber gerade die Zahl der Silben für das postulierte Prinzip der Morenaddition von entscheidender Bedeutung. Letzteres spricht für die Relevanz der Silbe als prosodischer Kategorie für die Dehnung, ersteres dagegen.146 - Das Prinzip der Morenaddition gilt nur für die Entwicklung vom Mhd. zum Standarddeutschen, nicht für die Dehnung im Alemannischen, speziell im von Auer (1989b) untersuchten Konstanzerischen. Dort ist vielmehr das Prinzip der Morenkonstanz relevant, das m.E. auch - betrachtet man, wie Auer, das phonologische Wort als Domäne der Dehnung - plausibler zu sein scheint. Für das Konstanzerische wie andere Teile des Alemannischen, die keine Dehnung in offener Silbe wie das Standarddeutsche (vgl. oben 4.3.3), aber eine Längung in geschlossener Silbe kennen, schlägt Auer (1989b) folgende Analyse vor: Da die Auslautverhärtung wieder rückgängig gemacht wurde (1989b: 52), sind sth. Obstruenten mit einer, nicht zwei Moren assoziiert. Daraus ergibt sich für ein Wortpaar wie (ich) geb vs. (wir) gebe folgende moraische Struktur (vgl. Auer 1989b: 55): (62) a.

μ

V

μ

b.

μ

μ

μ

V

Das Prinzip der Morenkonstanz führt zu einer Erhöhung der Morenzahl um 1 in der Form (62a), indem der Vokal gedehnt wird. Diese Analyse ähnelt meiner eigenen, weil sie die Vokaldehnung ebenfalls als prosodisches Phänomen betrachtet, das zu einer konstanten Gewichtung einer Einheit führt, nur ist diese Einheit bei Auer das phonologische Wort, bei mir die akzentuierte Silbe. Der Beitrag höherer prosodischer Einheiten zur Erklärung von Quantitätsveränderungen wird von mir keineswegs geleugnet, wie die Analyse der mittelenglischen Längung (vgl. Kap. 3), aber auch die Bedingung für die minimale Fußstruktur eines phonologischen Wortes im Deutschen zeigt (vgl. 41). Aber Auers (1989b) Lösungsvorschlag ist m.E. in einigen Punkten noch unklar oder widersprüchlich. So nimmt er auch in der Analyse der Entwicklung im Alemannischen immer wieder auf die Silbe (und sogar das WL) Bezug (vgl. 1989b: 52-54), um sie dann als relevante Einheit der Dehnung abzulehnen (1989b: 54). Außerdem wird nicht klar, ob 146

Auer (1994) versucht zu zeigen, daß das Deutsche zu einem Sprachtypus gehört, in dem nicht die Silbe, sondern phonologisches Wort und More prosodische Hauptkategorien bilden. Ein Argument für diese These ist, daß die Domäne für Quantitätenausgleich, z.B. im Alemannischen, das phonologische Wort bildet, nicht die Silbe (vgl. 1994: 68). Bei dieser Aussage stützt sich Auer explizit auch auf den hier diskutierten Aufsatz.

148

der Mechanismus der Morenkompensation in (62) nur auf alternierende Flexionsformen des gleichen Wortes oder auch auf nicht alternierende einsilbige Wörter angewendet wird. Ist ersteres der Fall, so handelt es sich m.E. eher um einen analogischen als prosodischen Prozeß (vgl. obige Ausführungen zur Konstanz der Wortform). Gilt letzteres, so wäre als Auslöser der Dehnung eine Minimalbedingung fur das moraische Gewicht phonologischer Wörter anzunehmen, wie ich sie in ähnlicher Form für das Mittelenglische vorgeschlagen habe. Auers Ansatz ist also, so mein Fazit, bei entsprechenden Modifikationen durchaus mit meinem kompatibel. M.E. sind allerdings nicht Silbe oder phonologisches Wort relevante Domänen to den Quantitätsausgleich, sondern Silbe und phonologisches Wort (bzw. auch der Fuß).

5 Resümee

Die primäre Zielsetzung der Arbeit war die Anwendung nichtlinearer Modelle der Repräsentation im Rahmen der Autosegmentalen und Metrischen Phonologie auf historische Veränderungen der prosodischen Struktur. Im einzelnen wurden folgende grundlegenden phonologischen Konzepte eingesetzt: - ein hierarchisches Modell prosodischer Strukturen, das neben der Silbe u.a. die Konstituenten Fuß und phonologisches Wort umfaßt; - universale Organisationsprinzipien für den Aufbau dieser prosodischen Hierarchie wie ,Prosodische Lizensierung' und ,Extraprosodizität'; - ein Hierarchiemodell phonologischer Merkmale und die Annahme denkbar einfacher Operationen wie Merkmalsausbreitung und Deassoziierung zur Veränderung von Merkmalskomplexen. Diese Konstrukte stellen Teilkomponenten eines umfassenden Modells dar, welches dem Anspruch nach - sprachspezifische und universale Aspekte phonologischer Strukturen gleichermaßen repräsentiert. Es galt, diesen Anspruch an einigen ausgewählten Phänomenen der historischen Phonologie zu prüfen. Dabei habe ich keine spezielle Theorie des Lautwandels zugrunde gelegt. Eine Grundprämisse war allerdings, daß die phonologischen, speziell prosodischen Strukturen und Veränderungen historischer Sprachstufen denselben universalen Beschränkungen unterliegen wie die heutiger Sprachsysteme. Analysiert wurden drei Phänomenbereiche: Verners Gesetz, die mittelenglische Vokallängung sowie Vokaldehnungen und -kiirzungen vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen. (a) Verners Gesetz habe ich als Ausbreitung eines laryngalen Merkmals [slack vocal cords] von einem vorangehenden Sonoranten auf einen folgenden Obstruenten beschrieben. Das verwendete Merkmal eignet sich deshalb besonders gut zur Charakterisierung dieses Wandels, weil es als tertium comparationis Stimmhaftigkeit bei Obstruenten und Tiefton bei unbetonten Vokalen verknüpft und auf diese Weise die zentrale Kontextbedingung des Vernerschen Gesetzes, fehlenden Akzent, adäquat repräsentieren kann. Als Basis der Veränderung kommt am ehesten ein Mischsystem aus musikalischem und dynamischem Akzent in Frage. Die Ausbreitung des laryngalen Merkmals wurde im Rahmen der Merkmalhierarchie als Spreading-Prozeß formalisiert, der in eine höhere prosodische Struktur mit den zentralen Kategorien ,Fuß' und ,phonologisches Wort' integriert ist. Verners Gesetz ist, so lautet mein Fazit, die Veränderung einer segmentalen Eigenschaft unter prosodischen Bedingungen, die mit Hilfe eines nichtlinearen Repräsentationsmodells hinreichend adäquat beschreibbar ist. (b) Die mittelenglische Vokallängung stellt eine Quantitätsänderung unter sehr spezifischen prosodischen Bedingungen dar. Da sie in einer Reihe neuerer Untersuchungen auch im Rahmen nichtlinearer Modelle analysiert wurde, bot sich in diesem Fall ein Vergleich unterschiedlicher theoretischer Ansätze an. Das Konstituentenmodell der

150 Silbe erwies sich, was die formale Einfachheit der Beschreibung angeht, dem Morenmodell überlegen. Für eine auch empirisch adäquate Darstellung der Längung genügte jedoch das Konstituentenmodell allein nicht. Durch die Annahme einer Minimalitätsbedingung für Fußstrukturen als Auslöser der Quantitätsveränderung konnten die Fakten plausibel interpretiert werden. Als Ergebnis der Diskussion zur mittelenglischen Längung bleibt festzuhalten: Ihre Charakterisierung ist nur unter Berücksichtigung der höheren prosodischen Struktur, vor allem der Fußebene, möglich, (c) Ausgangshypothese zur Erklärung der Vokaldehnungen und -kürzungen vom Mhd. zum Nhd. war das ,Weight Law', das eine universal präferierte Reimstruktur mit genau zwei Elementen für akzentuierte Silben postuliert. Dieses Gesetz ermöglicht somit die Deutung der Expansion leichter und der Reduktion überschwerer Akzentsilben. Unabhängig von der gewählten Regelformulierung ist die Zahl der Ausnahmen zur Vokallängung und -kürzung fast unüberschaubar. Dennoch habe ich den Versuch gemacht, durch eine genauere Sichtung der empirischen Daten dieses Dickicht zu durchdringen. Mit Hilfe des Konzepts der Extrametrizität wortfinaler Konsonanten, der Annahme ambisilbischer Konsonanten, der Beschränkung stimmhafter Obstruenten auf den Silbenonset im Zuge der Auslautverhärtung, der Berücksichtigung analogischer Längungen und der Beachtung von r-Vokalisierungen gelang es, das Weight Law in seinem Kern aufrechtzuerhalten. Trotz aller ungelösten Probleme schließe ich aus den Untersuchungsergebnissen, daß die Auffassung der Vokaldehnungen und -kürzungen als silbenstruktureller Prozesse unter Akzenteinfluß plausibel ist. Alle drei Phänomene der Historischen Phonologie konnten somit im Rahmen nichtlinearer Modelle adäquat beschrieben werden. Darüber hinaus wurden die prosodischen Bedingungen der Veränderungen möglichst explizit formuliert. Insoweit tragen die vorgeschlagenen Interpretationen zur Einsicht in die spezifischen und universalen Aspekte der untersuchten Prozesse bei. Was allerdings nicht geleistet werden konnte, war die Erklärung der Ursachen der Veränderungen. Die vorliegende Arbeit enthält also keine Antworten auf Fragen folgender Art: Warum trat eine Veränderung in einem bestimmten Zeitraum in einer Sprachgemeinschaft auf und in einer anderen früher oder später oder nie? Wo genau hat ein prosodischer Wandel seinen Ursprung genommen und warum hat er sich wohin ausgebreitet? usw. Die Arbeit gibt nur vorläufige Antworten nach dem Wie prosodischer Veränderungen, nicht nach dem Warum.

6 Anhang: Hinweise zu Transkriptionen und Abkürzungen

Für phonetische und phonologische Transkriptionen habe ich in der Regel das Transkriptionssystem der IPA in der Version von 1989 benutzt (vgl. DUDEN-Aussprachewörterbuch 19903: 13-15). Abgewichen bin ich von diesem System nur, wenn ich Beispiele aus Quellen übernommen habe, die einer anderen Konvention folgen. Zur Markierung der Silbengrenze benutze ich zwei Symbole, „." und „$"; vgl. [zil.ba] oder [zil$bs]. Für prosodische Kategorien werden folgende Symbole verwendet: σ = Silbe, Σ = Fuß und ω = phonologisches Wort. Zur Markierung von Domänengrenzen dient eine schließende eckige Klammer „]". Phonetische Transkriptionen sind in eckige Klammern [ ] eingeschlossen, phonologische in Schrägstriche / /, Schriftrepräsentationen in spitze Klammern < >. Wo die genaue Art der Repräsentation zweitrangig ist, wird die orthographische Schreibweise gewählt. Bei der Angabe der Wortbeispiele aus dem Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen wurden die Verschriftungskonventionen der maßgeblichen Wörterbücher und Grammatiken verwendet, insbesondere Lexer (198637) und Paul/Wiehl/Grosse (198923) für das Mittelhochdeutsche, Schützeichel (19894) und Braune/Eggers (198714) für das Althochdeutsche. Zu beachten ist vor allem die unterschiedliche Kennzeichnung der Vokallänge; vgl. z.B. ahd. müs - mhd. müs ,Maus'. Das Symbol „>" steht für „wird zu" bzw. „ist chronologisch vorgeordnet", „ nhd. Maus . Der Stern „ * " wird sowohl zur Kennzeichnung nicht-wohlgeformter, ungrammatischer phonologischer Strukturen benutzt als auch zur Markierung rekonstruierter Wortformen. Die jeweilige Interpretation geht eindeutig aus dem Kontext hervor. Die verwendeten Abkürzungen werden, soweit sie nicht allgemein gebräuchlich sind, im Text entschlüsselt. Für die einzelnen Sprachen und historischen Sprachstufen habe ich folgende Kürzel benutzt (zu anderen Abkürzungen für Sprachen vgl. Kluge 198922: XLI-XLIV) : Ahd. Mhd. Frnhd. Nhd. Mndd. Ndd. Obd.

=

Althochdeutsch Mittelhochdeutsch Frühneuhochdeutsch Neuhochdeutsch Mittelniederdeutsch Niederdeutsch Oberdeutsch

Ae. Oe. Me. ModE. Afrz. Ger. Got.

= = = =

Altenglisch bzw. Old English Middle English Modern English Altfranzösisch Germanisch Gotisch

Außerdem werden folgende Kürzel im Text häufiger verwendet: MEOSL ML VG

= = =

Middle English Open Syllable Lengthening Managerial Lengthening MOP = Maximal Onset Principle Verners Gesetz WL = Weight Law

7

Literatur

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