Histoire noire: Geschichtsschreibung im französischen Kriminalroman nach 1968 [1. Aufl.] 9783839406953

Seit 1968 verfolgt der französische Krimi auf Benjamin'sche Weise die Spuren der Revolutionen des 19. und 20. Jahrh

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German Pages 398 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Einleitung
I. DER POLAR POST-SOIXANTE-HUlTARD ALS KULTURELLES GEDÄCHTNIS DER REVOLTE
1. DIE AUTOREN
1.1 Jean-Patrick Mauebette (1942-95) und der Neubeginn
1.1.1 Die Affäre N' Gustro- Geschichte als Narration
1.1.2 Ebenen des Erkenntnisgewinns
1.2 Die neue Strömung: Frederic H. Fajardie, Didier Daeninckx, Jean-Fran~;ois Vilar, Thierry Jonquet.Schriftsteller und/oder Historiker?
1.2.1 Das Jahr 1979: die mediale Geburt des polar post-soixante-huitard
1.2.2 Frederic H. Fajardie
1.2.3 Jean-Francois Vilar
1.2.4 Thierry Jonquet oder Rarnon Mercader
1.2.5 Didier Daeninckx
1.3 Jean-Bernard Pouy: über Rache, Verrat und die Hoffnung auf die Wiederkehr der Revolte
1.3.1 Papas Kino
1.3.2 Die Schöne von Fontenay
1.3.3 Larchmütz
1.3.4 Zusammenfassung
1.4 Das Gemeinschaftsprojekt: Le Poulpe (Pulp)
1.5 Dominique Manotti: die Nachzüglerio
1.5.1 Historische Themen
1.5.2 Geschichtswissenschaftliehe Methode
1.5.3 Zusammenfassung
II. STRATEGJEN DER FIKTIONALEN REKONSTRUKTION VON VERGANGENHEIT TM POLAR POST-SOTXANTE-HUTTARD, VERGLEICHENDE TEXTANALYSEN
2. DIE PARISER KoMMUNE
2.1 Das Ereignis in der Geschichtsschreibung
2.2 Inhalt
2.2.1 Le Cri du peuple (Die Macht des Volkes)
2.2.2 L'homme aux levres de saphir (Der Mann mit dem Saphirmund)
2.2.3 12, rue Meckert
2.2.4 Zusammenfassung
2.3 Personen
2.3.1 Le Cri du peuple (Die Macht des Volkes)
2.3.2 L'homme aux levres de saphir (Der Mann mit dem Saphirmund)
2.3.3 12, rue Meckert
2.3.4 Zusammenfassung
2.4 Schauplätze
2.4.1 Le Cri du peuple (Die Macht des Volkes)
2.4.2 L'homme aux levres de saphir (Der Mann mit dem Saphirmund)
2.4.3 12, rue Meckert
2.4.4 Zusammenfassung
2.5 Schlussfolgerungen
3. DER ERSTE WELTKRIEG
3.1 Das Ereignis in der Geschichtsschreibung
3.2 Inhalt
3.2.1 Le Boucher des Hurlus (Der Schlächter vom Hurlus)
3.2.2 Quadrige (Quadriga)
3.2.3 Un petit regain d'enfer (Kurze Rückkehr in die Hölle)
3.2.4 Le der des ders (Der letzte Große Krieg)
3.2.5 Zusammenfassung
3.3 Personen
3.3.1 Le Boucher des Hurlus (Der Schlächter vom Hurlus)
3.3.2 Quadrige (Quadriga)
3.3.3 Un petit regain d'enfer (Kurze Rückkehr in die Hölle)
3.3.4 Le der des ders (Der letzte Große Krieg)
3.3.5 Zusammenfassung
3.4 Schauplätze
3.4.1 LeBaueher des Hurlus (Der Schlächter vom Hurlus)
3.4.2 Quadrige (Quadriga)
3.4.3 Un petit regain d'enfer (Kurze Rückkehr in die Hölle)
3.4.4 Le der des ders (Der letzte Große Krieg)
3.4.5 Zusammenfassung
3.5 Schlussfolgerungen
4. DER SPANISCHE BüRGERKRIEG
4.1 Das Ereignis in der Geschichtsschreibung
4.2 Inhalt
4.2.1 Une charrette pieirre d' etoiles (Ein Karren voller Sterne)
4.2.2 Belleville-Barcelone
4.2.3 L'or du Catalan (Das Gold des Katalanen)
4.2.4 Zusammenfassung
4.3 Personen
4.3.1 Une charrette pleine d'etoiles (Ein Karren voller Sterne)
4.3.2 Belleville-Barcelone
4.3.3 L'or du Catalan (Das Gold des Katalanen)
4.3.4 Zusammenfassung
4.4 Schauplätze
4.4.1 Une charrette pleine d'etoiles (Ein Karren voller Sterne)
4.4.2 Belleville-Barcelone
4.4.3 L'or du Catalan (Das Gold des Katalanen)
4.4.4 Zusammenfassung
4.5 Schlussfolgerungen
5. DAS VICHY-REGIME UND DIE RESISTANCE
5.1 Das Ereignis in der Geschichtsschreibung
5.2 Inhalt
5.2.1 Un homme en harmonie (Ein zufriedener Mann)
5.2.2 L'äme au poing (Mit der Seele in der Faust)
5.2.3 Le corps noir (Das schwarze Corps)
5.2.4 Zusammenfassung
5.3 Personen
5.3.1 Un homme en harmonie (Ein zufriedener Mann)
5.3.2 L'äme au poing (Mit der Seele in der Faust)
5.3.3 Le corps noir (Das schwarze Corps)
5.3.4 Zusammenfassung
5.4 Schauplätze
5.4.1 Un homme en harmonie (Ein zufriedener Mann)
5.4.2 L'äme au poing (Mit der Seele in der Faust)
5.4.3 Le corps noir (Das schwarze Corps)
5.4.4 Zusammenfassung
5.5 Schlussfolgerungen
6. DER ÄLGERIENKRIEG
6.1 Das Ereignis in der Geschichtsschreibung
6.2 Inhalt
6.2.1 Djemila
6.2.2 Mon Colonel (Verehrter Oberst)
6.2.3 Le Pied-Rouge (Rotfuß)
6.2.4 Zusammenfassung
6.3 Personen
6.3.1 Djemila
6.3.2 Mon Colonel (Verehrter Oberst)
6.3.3 Le Pied-Rouge (Rotfuß)
6.3.4 Zusammenfassung
6.4 Schauplätze
6.4.1 Djemila
6.4.2 Mon Colonel (Verehrter Oberst)
6.4.3 Le Pied-Rouge (Rotfuß)
6.4.4 Zusammenfassung
6.5 SchI ussfolgeru n gen
7. MAI 1968
7.1 Das Ereignis in der Geschichtsschreibung
7.2 Inhalt
7.2.1 Rote Frauen werden immer schöner
7.2.2 Spinoza encule Hege! (Spinoza fickt Hege!) und A sec! (Spinoza encule Hege!. Le retour) (Auf Ex! Spinoza fickt Hege I. Die Rückkehr)
7.2.3 Ex
7.2.4 Der Mann mit der Sammelbüchse und Karl R. est de retour (Karl R. ist zurück)
7.2.5 Zusammenfassung
7.3 Personen
7.3.1 Rote Frauen werden immer schöner
7.3.2 Spinoza encule Hegel (Spinoza fickt Hegel) und A sec! (Spinoza encule Hegel. Le retour) (Auf Ex! Spinoza fickt Hege!. Die Rückkehr)
7.3.3 Ex
7.3.4 Der Mann mit der Sammelbüchse und Karl R. est de retour (Karl R. ist zurück)
7.3.5 Zusammenfassung
7.4 Schauplätze
7.4.1 Rote Frauen werden immer schöner
7.4.2 Spinoza encule Hege! (Spinoza fickt Hege!) und A sec!(Spinoza encule Hege!. Le retour) (Auf Ex! Spinoza fickt Hegel. Die Rückkehr)
7.4.3 Ex
7.4.4 Der Mann mit der Sammelbüchse und Kar! R. est de retour (Karl R. ist zurück)
7.4.5 Zusammenfassung
7.5 Schlussfolgerungen
8. SCHLUSS
Anhang
Überblicksdarstellungen zum Kriminalroman
Autorenlexika zum Kriminalroman
Literaturpreise für Kriminalromane
Festivals zum Kriminalroman
Universitäre Arbeiten zum Kriminalroman
Monographien, Essays und Zeitungsartikel, die die Veränderung des roman noir nach 1968 bestätigen
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
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Histoire noire: Geschichtsschreibung im französischen Kriminalroman nach 1968 [1. Aufl.]
 9783839406953

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Elfriede Müller, Alexander Ruoff Histoire noire

Zeit I Sinn I Kultur Herausgegeben von Egon Flaig, Daniel Fulda, Petra Gehring, Friedrich Jaeger, Jörn Rüsen und Jürgen Straub

Editorial Die drei Schlüsselbegriffe >ZeitSinn< und >Kultur< bezeichnen ein Feld der kulturwissenschaftlichen Erkenntnis, das unterschiedliche Disziplinen der Humanwissenschaften umgreift und ihnen zugleich ein thematisches Profil gibt. Es geht um Sinnbildung über Zeiteifahrung und das gesamte Spektrum ihrer theoretischen, methodischen und pragmatischfunktionalen Ausrichtung. Im Zentrum steht die Geschichtskultur in allen ihren Dimensionen und Ausprägungen. Dabei sollen weniger Einzelthemen der Fachdisziplinen behandelt werden als vielmehr die Grundlagen des historischen Denkens, seine Rolle in der menschlichen Lebenspraxis und seine diachron und synchron unterschiedlichen kulturellen Gestaltungen. Die Grenzen des Eurozentrismus überschreitend, können so neue Perspektiven der kulturellen Differenz wie der Interkulturalität im Bereich der Geschichtskultur eröjJnet werden.

Die Autoren dieses Bandes: Elfriede Müller ist als Beauftragte für Kunst im öffentlichen Raum in

Berlin tätig. Sie ist Historikerin, Literaturwissenschaftlerin, Buchhändlerin sowie Verlagskauffrau und veröffentlicht zur Kritischen Theorie, den revolutionären Strömungen des 20. Jahrhunderts, Frankreich etc. Alexander Ruoff arbeitet als freier Historiker u.a. für das Archiv von Yad Vashem, Jerusalem und veröffentlicht u.a. zu Darstellungsformen des Holocaust.

ELFRIEDE MüLLER, ALEXANDER RuoFF

Histoire noire Geschichtsschreibung im französischen Kriminalroman nach 1968

[transcript] I I I I I I Zeit I Sinn I Kultur

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http:/ jdnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen. Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Klaus Viehmann, Berlin Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-695-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:/ jwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorbemerkung Einleitung

I.

1. 1.1 1.1.1 1.1.2

11 13

DER POLAR POST-SOIXANTE-HUlTARD ALS K ULTURELLES GEDÄCHTNIS DER R EVOLTE

35

DIE AuTOREN

37 39

Jean-Patrick Mauebette (1942-95) und der Neubeginn

1.2

Die Affäre N ' Gustro- Geschichte als Narration Ebenen des Erkenntnisgewinns Die neue Strömung: Frederic H. Fajardie,

1.2.1

Didier Daeninckx, Jean-Fran~;ois Vilar, Thierry Jonquet. Schriftsteller und/oder Historiker? 47 Das Jahr 1979: die mediale Geburt des

1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5

polar post-soixante-huitard Frederic H. Fajardie Jean-Franüblen Dämons' , der sinnzerstörend in das Geschehen eingreift. Bei Un homme en harmonie, ist es kein böser Dämon, sondern der historische Kompromiss des Nachkriegsfrankreichs.

5.3.2 L'äme au poing (Mit der Seele in der Faust) lm Vergleich zu der Hauptfigur Fajardies und dem Panoptikum Manottis sind die Figuren bei Rotman weniger stark gezeichnet. Sie entsprechen manchmal ihren eigenen Schatten, was sicherlich mit der Tätigkeit des Autors als Filmemacher zusammenhängt. Vor allem die Personen des Widerstands, diejenigen die nicht überlebt haben, erlangen ihre Persönlichkeit durch ihre Handlungen. Doch wird gerade durch das Schemenhafte ihre Authentizität verstärkt, denn in dieser Schemenhaftigkeit werden die Verfolgung, die Aktionen im Untergrund und auch die Angst und Hektik deutlich, durch die das Leben in der Resistance geprägt war. Die heutigen Interviewpartner des Regisseurs schildert Rotman so: »eine Handvoll Überlebender, aus Auschwitz zurückgekehrt, eine weibliche Fi259

HISTOIRE NOIRE

gur des illegalen Kampfes, die aussieht wie ein Mannequin oder ein ehemaliger Bulle der Spezialeinheit von Rene Bousquet, der sich der Jagd auf Juden und Kommunisten verschrieben hatte, diejenigen die man >die Terroristen< nannte, und die mit großem Mut Frankreich sich selbst zurückgeben wollten. Sacha, Paul, Olga, Christina oder Joseph, alles Persönlichkeiten die der Vorstellungskraft des Autors entsprungen sind, aber so real, dass man glaubt ihre Namen auf einem roten Plakat oder einem Mahnmal für die Toten gelesen zu haben.« 50 Obgleich die eigentliche Hauptfigur der Widerständler Sacha ist, nimmt er im Text recht wenig Raum ein und teilt sich die Seiten mit anderen gleich stark gezeichneten Personen. Sacha ist weit weniger komplex gezeichnet als Leroy-Ciementi, sondern zunächst gradlinig, schön, jung und kernig. Das ändert sichjedoch im Verlauf der Handlung. Andere Widerständler wie Serge nehmen ebenfalls eine zentrale Rolle ein, weil sie als Überlebende zur Auflösung des Plots beitragen. Serge, ein rumänischer Jude, der alle Stationen des revolutionären Kampfes am Anfang des 20. Jahrhunderts durchlaufen hat, strandete 1936 nach seiner Beteiligung im Spanischen Bürgerkrieg in Marseille. Serge, der die Tragödie des Stalinismus heute bewusst reflektiert, war ein Waffenbruder des vermissten Sacha. Da Serge überlebte, wird seine Persönlichkeit komplexer gezeichnet als die des vermissten Helden, denn Serge kann über die Zeit reflektieren, die Sacha »nur« erlebte. Eine weitere starke Figur des Widerstandes ist die Überlebende Christina Brando, die den Regisseur auf ihren Photographien an Tina Modotti erinnert: »Seit fünfzig Jahren bin ich eine lebende Tote.« 51 Doch mit der einfachen und schlichten Darstellung von Sacha scheint der Autor eine Absicht zu verfolgen, um zwischen den Zeiten besser unterscheiden zu können, den Zeiten in denen Handlungen mit dem Leben bezahlt werden und Zeiten, wo es weniger Helden braucht und der intellektuelle Kampf als theoretische Auseinandersetzung um die Erinnerung geführt wird. Sacha, dem nicht viel anderes übrig blieb als zu kämpfen, fühlt sich immer mehr bedroht und eingekreist: »Ich bin zum Tier geworden. Ziehen, töten, in mein Loch zurückkehren und auf das nächste Rendezvous warten.«52 Die Gegenfigur zu dem polnisch-jüdischen Kommunisten Sacha ist der Polizist Rodier. Er ist die ambivalenteste Figur des Romans: »Ich bin ein Bulle. Ich gehe meiner Arbeit nach. Ich habe in der lll. Republik gedient, da kümmerte ich mich um die Kommunisten. Ich diene Vichy, ich jage Kommunisten, morgen werde ich der IV. Republik dienen, die entste50 Grisolla, Michel: Rotman, premiere! http://livres.lexpress.fr/critique.asp/ idC=7801 /idTC=3/idR=9/idG=3. 51 Rotman, Patrick: L'äme au poing. Paris 2004. S. 298. 52 Ebenda, S. 230.

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DAS VICHY-REGIME UND DIE RESISTANCE

hen wird und da werde ich mich wieder um die Kommunisten kümmern. Mit derselben Kartei. Bullen wie ich, die ihren Job kennen, werden immer gebraucht.« 53 Am Beispiel von Rodier erzählt Rotman detailliert die Geschichte der Renseignements generaux und zieht ein bitteres Fazit flir die Aufarbeitung der Vichy-Vergangenheit, denn Rodier wird im März 1940 eine Ehrenmedaille der Resistance verliehen. Die Überlegungen des Regisseurs im Roman decken sich mit denen des Autors, wenn er sein Anliegen formuliert, die französischen Polizisten zu charakterisieren, die vor dem Krieg in der antikommunistischen Verfolgungsjagd geprägt wurden und später die Besatzer unterstützten. Dieses Anliegen teilt er mit Dominique Manotti in Le corps noir. Rotman stellt klar, dass die Deutschen ohne die Adressenkartei der Franzosen kaum handlungsfähig gewesen wären. Bousquets54 zentrale Rolle dabei wird mehrfach erwähnt und sein Treffen am 2. Juli 1942 mit Carl Oberg wird zitiert, der seinerzeit Höherer SS- und Polizeiführer in Frankreich und somit als Chef der deutschen Polizei mitverantwortlich für die Verfolgung französischer Juden und Regimegegner war. Über die Hinweise aufBousquets Verstrickung mit der Besatzungsmacht wird so ein Bezug zur Mitterrand-Ära hergestellt. Wie bei Maurice Papon auch, so zögerte Mitterrand die zweite Anklage Bousquets hinaus so lange es ihm möglich war. Am Ende seiner zweiten Amtszeit versuchte Mitterrand nach wie vor der Öffentlichkeit ein positives Bild des Kollaborateurs zu vermitteln. 1993 wurde Bousquet dennoch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, aber am Abend davor, am 8. Juni 1993, in seinem Hotelzimmer ermordet. Bousquet war der Prototyp des brillanten und kalten Technokraten. Als erster Polizist Frankreichs wurde er als »Lavals Fouch6« 55 bezeichnet. Doch es gibt nicht nur den Widerstand und die Kollaborateure, es gibt noch Eva, die Freundin Sachas, genannt »die Blonde«, die durch die Umstände auch zur Geliebten Rodiers wird, um ihre eigene und vermeintlich auch die Haut Sachas zu retten. Doch schließlich war es nicht Eva, die

53 Ebend~ S. 241f 54 Rene Bousquet war 1940 Präfekt in Marne, kam aus der Radikalen Partei

und wurde während des Vichy-Regimes zum Generalsekretär der Polizei ernannt. Diese Position war an das Innenministerium angeschlossen. In seiner Korrespondenz mit Oberg vom Juli 1942 präzisierte er: »Die Franzosen haben freie Hand, um gegen Anarchie, Terrorismus, Kommunismus und generell gegen alle Aktivitäten von Fremden, die den Eindruck erwekken die öffentliche Ordnung zu stören, vorzugehen.« Zitiert nach Paxton, Robert 0.: La France de Vichy 1940-1944. Paris 1972. S. 347. Vgl. auch Froment, Pascale: Rene Bousquet. Po ur une histoire du Xxeme siecle. Paris 2001. 55 Conan, Eric: La vraie vie de Rene Bousquet. In: L'Express vom 28.09.1990.

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HISTOIRE NOIRE

Sacha verraten hat, sondern die eigenen Genossen haben ihn ermordet, am seihen Abend im seihen Haus, als er Joseph erwürgt hatte. Serge hatte ihn erschossen, derjenige, der ihn ausgebildet und angeleitet hatte. Sacha wurde ein Opfer derjenigen, die aufgrunddes Ausbleibens der Revolution, einen permanenten Säuberungsapparat in Gang setzten. Als der Regisseur im Roman von Sachas Bruder Paul die Wahrheit erfahrt, beschließt er keinen Film zu drehen: »Welches Ende soll ich ihm verpassen? Heldenhaft, mit einem Tod im Kampf? Pathetisch, mit einem an die Wand gestellten Sacha? Tragisch, mit der Erschießung im Keller? Welcher ist gut, welcher ist wahr, welcher macht Sinn? Ich wusste es nicht mehr, ich hatte nur noch die letzten Bilder im Kopfaus einem Film, den ich geträumt habe.« 56 Die Figuren Rotmans sind in den unterschiedlichen Sequenzen seines Romans meistens mit ihren Handlungen identisch, bzw. sie werden durch ihre Akte erst zu den dargestellten Persönlichkeiten und definieren sich über sie. Bei Dominique Manotti ist dies anders, sie ist in der Gestaltung ihrer Charaktere eine Meisterin der Grauzonen und der Zwischentöne.

5.3.3 Le corps noir (Das schwarze Corps) Die Gemeinsamkeit in der Darstellung der fiktiven Personen bei Manotti und Rotman besteht darin, dass Manotti keine einzelne zentrale Hauptfigur in den Mittelpunkt stellt wie Fajardie in Un homme en harmonie, sondern dass ein Panoptikum verschiedener ambivalenter Figuren den Roman bevölkert. Die Stärke ihrer Personen besteht in der Überschreitung der politischen Lager, in ihrer Uneindeutigkeit, die sich auch im Verlaufe der Handlung nicht auflöst, sondern ihnen eigen ist: »Le corps noir ist ein sehr schwarzer Roman, wie die Zeit in der er spielt, durch seine objektive Herangehensweise, die die Personen und Situationen komplexer darstellt als Kollaborateur oder nicht Kollaborateur.«57 Die Figuren sind weder abgrundtief böse, noch wirklich sympathisch. Genau dies macht den Roman so ausgesprochen spannend. Gleichwohl gibt es natürlich eine Hauptfigur, den Polizisten Domecq, der fur den gaullistischen Widerstand arbeitet, sich aber im Milieu der Kollaboration wie die Made im Speck bewegt. Domecq erinnert hin und wieder ein klein wenig an Manottis Serienheld Daquin mit seinem exquisiten Geschmack für die wichtigen Dinge des Lebens und in seinem Anflug von Arroganz, die ihn manchmal befallt. Domecq arbeitet für die Sittenpolizei, in die er zehn Monate vor der Romanhandlung von Kommissar Nohant mit einem gefalschten Lebenslauf eingeführt wurde, um 56 Rotman, Patrick: L'äme au poing. Paris 2004. S. 311. 57 Servant, Arno: Dominique Manotti Le corps noir. www.mauvaisgenres.

com.

262

DAS YICHY-REGIME UND DIE RESISTANCE

Informationen flir den gaullistischen Widerstand zu erlangen. Nohant ist ein Widerständler der ersten Stunde und ein guter Polizist. Er wird im November 1943 von Lafont und seinen Leuten während einer illegalen Sitzung mit drei anderen Kommissaren verhaftet, den Deutschen ausgeliefert, gefoltert und wahrscheinlich ermordet. Domecq findet sich in einer kuriosen Situation wieder: »Vor dem Krieg war er Ägyptologe, also daran gewöhnt, alleine zu arbeiten und genauestens zu beobachten. [... ] Er musste sich an eine totale Einsamkeit gewöhnen, ohne eine andere Verbindung zum Widerstand außer seinen allabendlichen Radiokontakten. [...]Ohne jemals aktiv zu werden, was noch frustrierender wurde, als sich die Kämpfe näherten.« 5x Domecq ist also kein Praktiker wie LeroyClementi oder SachaAitberg. Auch seine Tätigkeit als Widerständler wird eher zurückhaltend beschrieben und sein unauffälliges Eintauchen in das Milieu der Kollaboration wird mit einer gewissen Ironie geschildert. Er nimmt noch in Kairo Kontakt mit London auf, als ihn seine große Liebe verlässt und in die USA auswandert. Sein Engagement flir die Resistance entsteht aus einer persönlichen Enttäuschung heraus und nicht aus politischem Bewusstsein. Domecqs direkter Gegenspieler, auch wenn dies in dem Roman von Manotti wesentlich vermittelter dargestellt ist als in den beiden anderen, in diesem Kapitel behandelten Texten, ist der SS-Hauptmann Otto Bauer: »Groß, breitschultrig, schmale Hüften, flacher Bauch, ovales Gesicht, gleichmäßig und fein geschnitten, blonde, nach hinten gekämmte Haare, hohe Stirn, große braune Augen, schmale Nase, starker und herabhängender Mund, sehr aufrecht in seiner SS-Uniform.« 59 Die zentrale Frauenfigur des Romans ist Dora Belle, von allen begehrt, aber keinen liebend. Sie erinnert an die schillernde weibliche Persönlichkeit Anna Beri6 aus Manottis erstem Roman Hartes Pflaster. Dora, die sich bereits mit zwölf Jahren prostituierte, ihre Eltern nicht kannte und mit sechzehn zur Mörderirr wurde, ist durch die Besatzung Schauspielerin geworden und fUhrt einen der wichtigsten Salons von Paris. Kommissar Nohant lässt sie für sich arbeiten und unterschlägt dafür ihre Anklageschrift. Er bildet sie aus, kleidet sie ein, bringt ihr lesen und schreiben und guten Geschmack bei. Dora wird so zum besten Spitzel in den bürgerlichen Pariser Kreisen, bis sie ihre Sympathie für die neuen Herrschenden aus Deutschland entdeckt und sich von der Resistance und ihrem Lehrmeister abwendet. Domecq übernimmt ihre Akte und tritt mit ihr in Kontakt. Sie lässt sich erneut auf das Spiel ein, auch weil ihr Domecq gefällt und sie eine Spielernatur ist. So wird Doras Salon zum hauptsächlichen Aktionsradius von Domecq. Seit vier Jahren ist sie mit Otto Bauer liiert. Zuvor hat sie mit dem Po58 Manotti, Dominique: Le corps noir. Paris 2004. S. 62. 59 Ebenda, S. 28.

263

HISTOIRE NOIRE

lizisten Rene Deslauriers, einer weiteren wichtigen Figur des Romans, einen Nachtclub betrieben. Selbstredend war sie damals seine Geliebte. Tm Gegensatz zu Bauer, der einem vulgären Luxus frönt, weiß Deslauriers was guter Geschmack bedeutet. Deslauriers hat nie aufgehört Dora zu lieben, doch akzeptiert er aus Pragmatismus ihre Liaison mit Bauer, die auch ihm viele Vorteile beschert. Dora selbst ist die Ieidenschaftsloseste Person des Romans, obgleich sie die meisten Leidenschaften hervorruft. Sie sieht in den Männern die Verkörperung des Unglücks und benutzt sie, wie es ihr gerade passt. Doch auch Dora wird benutzt, und zwar von fast allen. Mit vierzehn bekam sie bereits eine Tochter, Ambre, die ihre Mutter und das Leben, das sie fuhrt zutiefst verachtet. Ambre wiederum erlebt ihre erste Liebe mit Franc;:ois, dem Sohn des Großindustriellen und Kollaborateurs Bourseul. Franc;:ois schlägt den entgegengesetzten Weg seines Vaters ein. Er schließt sich dem Widerstand an und bezahlt dies mit seinem Leben. Doch beschert er seinem Vater durch seinen Heldentod eine weiße Weste für die Nachkriegszeit und bietet ihm die Möglichkeit, noch rechtzeitig genug die Seiten zu wechseln und sich an der Rückführung arisierter Unternehmen zu beteiligen, obgleich er einer der Hauptprofiteure der Arisierung gewesen war. Bourseul orientiert sich nach dem Attentatsversuch des 20. Juli um und knüpft erste Kontakte, als die Landung in der Normandie bevorsteht: »lch kenne Bourseul seit langem. Sein Antisemitismus ist unbestritten. Aber seine Haltung gegenüber Levy Bailand war ihm von der Vorsicht geboten. Er ist sehr stark [...]«60 • Bourseul, der einerseits zwar als berechnender und unsympathischer Kollaborateur geschildert wird, erscheint auch als Pragmatiker, dessen ökonomisches Interesse über den Ideologien steht, mit denen er durchaus übereinstimmt: »Nach >36 gehörte ich zu denen, die zwischen der Vierzigstundenwoche und den Arbeitervertretern in den Fabriken einerseits, und der Ordnung der Nazis andererseits, die Nazis wählten. >40 habe ich selbstredend kollaboriert, mit einer, sagen wir mal, gewissen Freude. Das deutsche Europa passte mir. Aber ein Unternehmer darfkein Fanatiker sein. Zunächst müssen seine Fabriken laufen. Tch weiß seit langem, dass die Nazis geschlagen sind.« 61 Bourseul freut sich über den Realismus der Amerikaner und ist bereit mit den Gaullisten zusammenzuarbeiten. Deshalb schlägt er Domecq auch einen Leitungsposten in einer seiner Fabriken vor, was dieser aber ablehnt. Dieses Angebot wertet Domecq als einen Vorgeschmack auf das Nachkriegsfrankreich, dem er so bald wie möglich den Rücken kehren möchte. Bourseul lässt Deslauriers umbringen, weil dieser ebenfalls die Möglichkeit sieht, die Seiten zu wechseln und auch viel zu viel über 60 Ebenda, S. 253. 61 Ebenda, S. 255.

264

DAS VICHY-REGIME UND DIE RESISTANCE

Bourseul in der Hand hat. Das bittere Fazit bleibt, dass Bourseul weiterhin zu dem Lager der Sieger gehört und dass die ökonomische Kollaboration ungesühnt bleibt.

5.3.4 Zusammenfassung ln allen drei Romanen spielen gescheiterte Widerständler eine wichtige, wenn nicht zentrale Rolle. Dies ist der Fall bei Fajardie und bei Rotman, bei denen Leroy-Ciementi und Sacha Altberg ums Leben kommen. Während bei Fajardie sich die Handlung um eine zentrale Person dreht, was durch den Perspektivenwechsel auf die anderen Beteiligten noch verstärkt wird, treten bei Rotman und vor allem bei Manotti ein ganzes Panoptikum von Personen auf, die eine größere Perspektivenvielfalt ermöglichen. Gleichwohl verkörpert Fajardies Hauptperson Leroy-Clementi in seiner Gestalt gleich mehrere Personen und damit die der Resistance immanenten Widersprüche. Dies überzeugend dargestellt zu haben, ist Fajardies großer literarischer Verdienst. Während die schemenhaft gezeichneten Protagonisten bei Rotman zur Identifikation einladen, schafft Manotti bei der Darstellung ihrer Figuren vor allem Distanz. Bei Fajardie bleibt die Person Leroy-Ciementi sich ab einem bestimmten Zeitpunkt zumindest in ihren politischen Handlungen treu, während die zunächst eindeutig positiv konnotierten Helden Rotmaus ihre Ideen und sich zum Teil gegenseitig verraten, bis auf den verstorbenen Helden Sacha Altberg. Bei Fajardie und Rotman geht es um eine interne Kritik des Widerstands, während Manotti vor allem die Grauzonen zwischen Widerstand und Kollaboration beleuchtet. Dominique Manotti geht es zwar auch um tabuisierte Elemente der Geschichtsschreibung, allerdings betrifft dies weniger die Analyse des Widerstands, als die Kompromissbereitschaft bestimmter Fraktionen desselben mit den Kollaborateuren nach der Befreiung und um die Darstellung des corps noir. Deshalb wechseln ihre Figuren als einzige häufig die politischen Lager, weniger aus ideologischer Überzeugung, als aus Pragmatismus und Opportunismus. Diese Charakterzüge werden auch in der historischen Forschung als Gründe fur die Kollaboration angeführt: »Der Nutzen ist ein wichtiges Motiv. Er bestimmte die Haltung von jedem fünften Parteimitglied, sogar von jedem vierten bei der Einschreibung von 1942: ein Parteibuch erleichterte die Beziehungen zu den Besatzern.«62 Die Figuren bei Rotman und Fajardie sind wesentlich ideologischer geprägt als die Protagonisten Manottis, deren Handlungen sich häufig an ihren ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteilen orientieren. Deshalb überlebt ihr ambivalenter 62 Burrin, Philippe: LaFrance a !' heure allemande. Paris 1995. S. 437.

265

HISTOIRE NOIRE

Held Domecq im Gegensatz zu den Überzeugungstätern Leroy-Clementi und Sacha Altberg, die mit ihrer politischen Konsequenz ihr eigenes Todesurteil unterschreiben.

5.4

Schauplätze

5.4.1 Un homme en harmonie (Ein zufriedener Mann) Fajardie besetzt zwei Schauplätze, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Leroy-Clementi verfasst sein Tagebuch im Feuer der Aktion, d. h. im »Maquis«. Der Maquis wird geographisch nicht genau eingegrenzt, er befindet sich irgendwo im Südwesten Frankreichs, in der »Gironde, den Landes, in den Basses-Pyrenees, der Charente-Inferieure und der DeuxSevres«.63 Vom Maquis aus, in dem Leroy-Clementi über sein Leben berichtet, werden die Schauplätze dieses Lebens erwähnt und aufgezeichnet: Paris, Bordeaux, die Gegend an der Loire. Ein zweiter geschlossener und gerrau lokalisierbarer Schauplatz, der fast an den englischen Detektivroman erinnert, ist das Gericht von Bergerac, in dem die unterschiedlichen Zeugen vernommen werden. In Kapitel siebenunddreißig und achtunddreißig »Anhang IX, Anhang X« kommt Bordeaux noch hinzu, um deutlich zu machen, dass der Fall Leroy-Clementi damit zum Abschluss kommt, aber doch ein Nachspiel hat, nämlich die Rache an Euclide, demjenigen, der Leroy-Clementi verraten hatte. Euclide stirbt 1957 durch die Hand des Rotarmisten und Leibwächters des Helden. Die Gegenüberstellung der zwei Handlungsschauplätze-Maquis und Gerichtssaal- verdeutlicht auch den Unterschied des in der Praxis verankerten Helden und die Aufarbeitung des Geschehens in einem geschlossenen Gerichtssaal. Der Roman endet damit, dass mit dem Ende des Maquis auch das Leben des Helden zu Ende gehen musste, bzw. dass sein Leben an diesem Schauplatz hing. Leroy-Clementi bleibt somit in der Erinnerung mit dem Maquis verknüpft und wird mit ihm identifiziert.

5.4.2 L'äme au poing (Mit der Seele in der Faust) Rotmans Roman spielt vor allem im besetzten und im heutigen Paris, und ein wenig in der Banlieue, in Saint-Denis, Argenteuil, Fresnes, Sceaux. Ein Großteil der Handlung findet in den Straßen statt, um die Tllegalität, das Gejagtwerden und Jagen zu verdeutlichen. In den Straßen berichtet auch Paul Altberg über die damalige Atmosphäre, über die Verfolgungsjagden und die Verstecke. Die dargestellten Innenräume haben zumeist 63 Fajardie, Frederic H.: Un homme en harmonie. Paris 1990. S. 43.

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DAS VICHY-REGIME UND DIE RESISTANCE

eine symbolische Bedeutung, wie das Schwimmbad von Pantin, von dem Sacha auch nicht lassen kann, als er schon untergetaucht ist. Doch dienen die Szenen in den Innenräumen auch dazu, reflexive Momente zu beschreiben, Unterhaltungen, die zur Autldärung des Plots dienen, während die Spannung hauptsächlich im Außenraum steigt. So erfahrt Sacha auf seinem Zimmer am 1. Mai 1943 durch Radio Moskau vom Aufstand im Warschauer Ghetto. In den Straßen finden Verfolgungsjagden, obskure und verbotene Begegnungen statt. Die Rolle, die der Gerichtsaal bei Fajardie spielt, kommt bei Rotman der Polizeipräfektur zu. Die Beschreibung dieses Ortes enthält viele dokumentarische Elemente, hier beschreibt der Autor detailliert die Maschinerie und die Methoden der kollaborierenden Polizei. Die Ortsbezeichnungen gleichen bei Rotman, dem Filmemacher, einem Dekor, in dessen Vordergrund die Handlung gespielt wird. So heißt es manchmal: Zimmer (S. 76), Boulevard (S. 77) oder Buchhandlung (S. 77). Straßennamen werden häufig genannt, wenn sie eine historische Bedeutung und somit einen Symbolwert besitzen. Die Auflösung des Plots geschieht wie bei Fajardie in einem geschlossenen Raum: Paul Altberg erfahrt 1948 in der Bar am Pigalle Chez Eva die Wahrheit über den Tod seines Bruders. Der Roman beginnt und endet an diesem Handlungsschauplatz. Doch am Ende tritt Paul wieder in den Außenraum, in das regnerische und befreite Paris.

5.4.3 Le corps noir (Das schwarze Corps) Manotti setztjedem Kapitel eine gerraue Situationsbeschreibung der Landung der Alliierten in der Normandie voran. Dieser Teil gehört nicht zur fiktiven Handlung, sondern ist rein dokumentarisch, trägt aber entscheidend zu ihrem Verlauf bei. Manotti besetzt zwei Handlungsschauplätze. Die fiktionale Handlung spielt genau wie bei Rotman in Paris: »Die Stadt ist dunkel, verlassen, ruhig zwischen den Windstößen in den Kastanienbäumen, eine Stadt im Ausnahmezustand.« 64 Die Beschreibung der Straßen ähnelt hin und wieder der Beschreibung bei Rotrnan, nur sind die Protagonisten selten die Widerständler, sondern meistens Polizisten, die sich durch Nacht-und-Nebel-Aktionen illegal bereichern, eine Säuberungsaktion durchführen oder beides zugleich erledigen und mitunter auch aufWiderständler treffen. Diese Aktionen finden häufig in der Pariser Umgebung statt. Das Mansardenzimmer, in dem Domecq haust, wird mehrfach beschrieben, auch um sich der Person anzunähern und auf seine Vorlieben und Bedenken aufmerksam zu machen. Dieses Zimmer ist dem von Sacha Altberg nicht unähnlich. Beide bieten einen unvergleichlichen Blick über Paris. Das Polizeipräsidium spielt ähnlich wie bei Rotman eine 64 Manotti, Dominique: Le corps noir. Paris 2004. S. 13.

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zentrale Rolle, auch weil sich hier viele Wege kreuzen. Einige erwähnte Wohnungen- wie z. B. die, in der der Amerikaner Mike Owen von der SS gefangen gehalten wird oder die, in der sich Domecq gegen Ende versteckt - haben die Besitzer gewechselt und werden präzise in ihrem Funktionswandel beschrieben. Einer der zentralen Orte des Romans, an dem sich alle Protagonisten treffen, wurde schon weiter oben erwähnt: der Salon von Dora Belle am Place des Etats-Unis. Das Haus Dora Beiles wird detailliert mit seinen verschiedenen Räumlichkeiten geschildert, die alles bergen, was sich zu dieser Zeit im besetzten Paris tummelte, inklusive des Widerstands. Doch werden neben den zahlreichen Wohnungen auch viele halböffentliche Räume, wie Restaurants, Bordelle, Kinos und Cafes beschrieben in denen man sich trifft, abspricht und verschwört. Im Gegensatz zu den beiden anderen Romanen ist die Handlung bei Manotti recht gleichmäßig auf die Innen- und Außenräume verteilt. In gesamt werden mehr die bürgerlichen Lebensverhältnisse als die der ärmeren Leute dargestellt. Doch am Schluss beschreibt die Autorin die Barrikaden in den populären Vierteln von Paris, um den Roman in der neu benannten Straße Fran9ois Bourseul zu beenden.

5.4.4 Zusammenfassung Der Roman Fajardies ist auch in der Wahl seiner Schauplätze zwischen einer klassischen Tragödie und einem polar post-soixante-huitard anzusiedeln. Für die Tragödie steht das Gericht von Bergerac, ein geschlossener Raum und für den roman noir der Maquis, dessen subjektive Beschreibung des tragischen Helden zur Aufarbeitung der Vergangenheit beiträgt. L 'ame au poing und Le corps noir sind klassische Großstadtromane. Bei allen drei Texten sind die Orte nicht austauschbar, sondern haben entscheidende Bedeutung in der Beschreibung der Lebenswelt im besetzten Paris bzw. im Maquis des südwestlichen Frankreich. Die Veränderung von Urbanität und Alltag unter derartigen Bedingungen wird somit nachvollziehbar. Wichtig sind gerade bei Manotti die Beschreibungen des Alltags und der Räume, die einen Alltag unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen prägen. Alle drei Romane setzten nicht unbedingt ortskundige Leser voraus, um die Veränderung einer Stadt und ihr Erleben durch zum Teil Illegale verständlich zu machen.

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Schlussfolgerungen

Alle drei Romane befassen sich mit dem historischen Thema des VichyRegimes und der Resistance und setzen dabei unterschiedliche inhaltliche

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Schwerpunkte und verwenden unterschiedliche narrative Strukturen. Alle drei aber entnehmen wie Benjamin die Fakten der vorgegebenen Chronologie dieser Zeit und eröffnen durch eine fragmentarische Darstellung eine Möglichkeit, die Zeit des Vichyregimes unter einem neuen Licht zu betrachten. Keiner der drei Autoren erhebt den Anspruch, Vergangenheit einfach nachzuerzählen und zu zeigen, wie es »eigentlich gewesen« ist, sondern sie nehmen durch doppelte Handlungsebenen eine zusätzliche Reflexionsstufe ein. Rotman, dessen Figur sich auf die Spurensuche der Geschichte Sachas begibt, macht zudem- methodisch- die Schwierigkeit deutlich, die in der (Re)Konstruktion der Vergangenheit auch für Historiker besteht: Zeitzeugenaussagen sind oft fehlerhaft oder von aktuellen Interessen geprägt, schriftliche Quellen können sich als bewusste Fehlinformation erweisen, die zutage tretenden Fakten können unterschiedlich angeordnet und narrativiert sein. Somit vermeiden diese Romane nicht nur die »Einschichtigkeit« einer reinen Rekonstruktion, sondern sie setzen bereits die Dekonstruktion als subversives Prinzip der Textannäherung durch Bedeutungsverästelungen voraus, bzw. nehmen sie in ihren Texten vor. Die Texte versuchen alle, aus gewohnten überlieferten Grenzziehungen und Hierarchisierungen auszubrechen und die herkömmlichen Dichotomien nicht zu reproduzieren. Damit verleihen sie der Zeit des Vichyregimes und der Resistance ihre eigene Bedeutungskonstruktion, und tragen so zu einer neuen Erkenntnis über die Vergangenheit bei. Damit liefern sie einen Beitrag zur Geschichtsschreibung, den Philippe Burrin folgendermaßen definiert: »die Grauzone wiedergeben, die die prägende Farbe der schwarzen Jahre des Vichyregimes darstellt.« 65 Ihre Konstellationen einzelner Sequenzen der Geschichte von Vichy beleuchten den Gesamtprozess. Ihr Erkenntnisvollzug geschieht über Spurensuche und -sicherung, die Spurensicherung des gaullistischen Widerstandes, des stalinistischen Verrats und der Praxis der Renseignements gem!raux in dieser Zeit. Die Personen erleben vor allem in Un homme en harmonie und L 'ame au poing ihr individuelles Schicksal als eines, das sich der Barbarei nicht entziehen konnte. Das Auftreten der Verlierer Leroy-Ciementi und Sacha Altberg gleicht einem Blitz, einem verzweifelten Versuch sich der Barbarei entgegen zu stellen. Durch das Blitzhafte ihres Auftretens entziehen sich diese Personen dem Verrat und der Integration in ein Geschehen, das sie nicht mehr bestimmen können. Die dargestellte Vergangenheit enthält die Bilder des Vernachlässigten und Unterdrückten. Die Vergessenen (Leroy-Clementi) oder die nie Erwähnten (Sacha Altberg) werden auf diese Weise in die Erinnerung zurückgeholt und, mehr noch, es wird erläutert, wieso sie der Vergessenheit anbeirufallen konnten. Alle drei Romane verweben überlieferte historische Fakten mit einer fiktio65 Burrin, Philippe: LaFrance a !'heure allemande. Paris 1995. S. 9.

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nalen Geschichte und machen so aufverlorene Erfahrungen aufmerksam. Die Autoren thematisieren das, was die Resistance ihnen zufolge hätte tun sollen oder können, sie leuchten den Möglichkeitsraum aus, der in der damaligen Zeit ihnen zufolge existierte. Diese diskontinuierliche Methode der Annäherung an die Zeit Vichys ermöglicht den Lesern auch einen anderen Blick auf das Aktuelle und auf die bisherige Geschichtsschreibung. Das Verfahren, innerhalb einer dokumentarisch überlieferten historischen Konstellation eine fiktionale Kriminalgeschichte anzusiedeln, die sich streng innerhalb dieses Rahmens bewegt, erlaubt es mehr als es eine geschichtswissenschaftliehe Darstellung vermöchte, die menschlichen Zwischentöne, Emotionen, Hoffnungen, Widersprüche, den Erfahrungshorizont jener Zeit aufblitzen zu lassen. Die Entwicklung, die der polar post-soixante-huitard zwischen 1979 bis heute durchlaufen hat, lässt sich anhand der drei Romane pointiert nachvollziehen. Die 1979 und in den Achtzigerjahren erschienenen Texte sind trotz des Scheiterns der Ereignisse von 1968 noch von dem Hoffnungsschimmer durchdrungen, diese Gesellschaft verändern zu können. Die Tatsache, dass die drei vorgestellten Romane die Vichyzeit nicht nur als Referenz in die Fiktion einweben, sondern zum Großteil in dieser Zeit spielen und schon damals das Scheitern und den Verrat revolutionärer Hoffnungen zu erkennen glauben, erweitert die Distanz der Autoren zu den dargestellten Ereignissen, an denen sie nicht wie am Mai 68 beteiligt waren, und somit ihren Horizont als Geschichtsschreibende. Gleichwohl wird an diesen drei Romanen deutlich, wie weit der Mai 68 mit seinen Hoffnungen und der Aufbruchsstimmung schon zurückliegt. Aus der Aufbruchstimmung ist ein kritischer Blick auf die Vergangenheit geblieben, eine Vergangenheit, deren Thematisierung durch die Ereignisse des Mai 68 erst ausgelöst wurde. An den Beispielen des Vichy-Regimes bzw. der Resistance wird deutlich, was ein ideologiekritischer Blick auf Geschichtsschreibung zum Vorschein bringen kann. Eine Geschichtsschreibung, die lange Zeit von dem historischen Kompromiss a la fran>Ex« (2002). 63 Raynal, Patrick: Un tueur dans 1es arbres. Paris 1982. San. Nr. 8. 64 Raynal, Patrick: Fenetre sur femme. Paris 1988.

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nicht verbraucht, da die Revolution nicht stattgefunden hat. Die Gruppe wurde weiland vom chinesischen Geheimdienst als vertrauenswürdig erachtet und mit diesem Schatz beglückt, um die Revolution in Frankreich voranzubringen. Genau in dem Moment, als die Genossen sich nicht einig werden, ob sie zur Phase des bewaffneten Kampfes übergehen oder doch lieber Schafe im Larzac züchten sollen, werden sie verpfiffen. Nach den Problemen mit der Justiz, gehen alle eigene Wege: »Als wir aus dem Gefängnis kamen, haben wir uns das letzte Mal gesehen . Die Atmosphäre war so drückend, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Eines war klar: Einer von uns hatte die Gruppe verraten, aber keiner hatte sich getraut, unseren geliebten Chef beim Namen zu nennen.« 65 Seitdem hat keiner mehr etwas von den anderen gehört. Bevor er stirbt, wendet sich der krebskranke, ehemalige charismatische Chef der Gruppe Jean Pons an Jo, um den Schatz zu verteilen und den Verräter zu entlarven: »Mitterrand rief mich, um ihm den Durchblick durch das Chaos der Dritten Welt zu verschaffen und Chirac hat mich behalten. Ich erspare dir die Details, aber ich bin nicht der einzige Ex-Linke, der in den hohen Sphären agiert. Einige stehen auf der anderen Seite, andere warten darauf, dass der Wind sich dreht. «66 Bei der Suche nach seinen Genossen, die ihn sogar nach Afrika führt, reflektiert Jo seine eigene Erfahrung und denkt über die Legitimation des bewaffneten Kampfes nach. Die Konfrontation mit der Vergangenheit kann schmerzhaft sein, doch Raynal geht es dabei nicht um Abrechnung, sondern um eine Spurensuche an den Orten seiner eigenen Geschichte, vom Hinterland Nizzas über einen Abstecher nachAfrikabis nach Irland, in die Bretagne und in die Rue Sebastien-Bottin. Raynal spielt mit Referenzen des roman noir und fragt am Beispiel von Mare, der zum Krimiautor avancierte, ob die Romane des Exmaoisten nicht auch wahre Geschichten erzählen: »Haben Sie sich niemals gefragt, ob in allden seltsamen Geschichten, die Sie an die Presse verkaufen, auch etwas Wahrheit steckt?«67 Der Auftraggeber der Untersuchung, Jean Pons alias Sirnon Rubinstein, erweist sich als der gesuchte Verräter, als derjenige, der das zerstörte, was er selbst aufgebaut hat. Kurz bevor die Organisation sich zum bewaffneten Kampf entscheiden will, denunziert Jean Pons seine Genossen bei der Polizei und taucht selbst unter: »Er verriet die Organisation und versteckte sich irgendwo, um im Schatten des neuen Staatschefs wieder aufzutauchen, wo er vollständig unsichtbar bleiben konnte [...]Dann hat er uns eine Weile gesucht und es schließlich aufgegeben, bis

65 Raynal, Patrick: Ex. Paris 2002. S. 26f. 66 Ebenda, S. 22. 67 Ebenda, S. 85.

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der Krebs ihn erwischte und er sich erneut an uns erinnerte.« 68 Raynals Roman entwickelt einen politischen Krimiplot, aus dem sich mehr Fragen als Antworten ergeben. Auch bei Ex könnte angefuhrt werde, dass es sich nicht eigentlich um einen klassischen roman noir handelt, gleichwohl weist er den Tonfall, den Rhythmus und den Stil des polar post-soixantehuitard auf.

7.2.4 Der Mann mit der Sammelbüchse und Karl R. est de retour (Karl R. ist zurück) »Kein Hauch von Nostalgie, nicht die geringste Forderung nach heldenhaften Gesten. [...]Allein, ein Geist der Revolte, ganz neu. Klar. Die Revolution steht immer noch auf der Tagesordnung.« 69 Die beiden Erzählungen erschienen in der Anthologie Black Exit to 6870 zum zwanzigsten Jahrestag der Maiereignisse. Die beiden Autoren Didier Daeninckx und Jean-Frans;ois Vilar sind ausgewiesene Schriftsteller des polar post-soixante-huitard, die wir im ersten Kapitel vorgestellt haben. Beide Erzählungen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, beschreiben die Geschichte des Mai 68 als Niederlage, einmal in sehr persönlicher Form und das andere Mal aufsehr unpersönliche, Brecht'sche und düstere Art und Weise. Die Anthologie beinhaltet zweiundzwanzig Erzählungen von internationalen Krimiautoren zum Mai 68. Den Erzählungen wird eine Einleitung von Alain Dugrand vorangestellt, Un pave de granit gris (Ein Stein aus grauem Granit), und Porträts mit Kurzbiographien der Autoren nachgestellt. Die Erzählungen sind nach sechs Themen geordnet: Les tendres (Die Zärtlichen); Les morts de Mai (Die Toten des Mai); Les inclassables (Die Herausragenden); Les implacables (Die Unerbittlichen); Les papis (Die Väter); Vu d'ailleurs (Anderswo). Unsere beiden Erzählungen sind unter Les morts de Mai zu finden. L'homme-tronc 71 von Didier Daeninckx hat funf Seiten und ist in zwei größere Absätze aufgeteilt. Jean-Fran»Bist du glücklich?< fragte mich Teddy, ziemlich aufgewühlt. >Das ist so toll, ich kann's gar nicht ausdrücken!< sagte ich heiser, halb 85 Fajardie, Frederic H.: Rote Frauen werden immer schöner. Berlin 2003. S. 63.

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von dem Slogan übertönt, der an diesem Abend angesagt war: >Fouchet - durchgedreht! Machen Sie die Sorbonne wieder auf! «polar