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German Pages 159 [162] Year 2007
Hinter Klostermauern
[G E S C H I C H T E E R Z Ä H LT] Herausgegeben von Kai Brodersen, Uwe A. Oster, Thomas Scharff und Ute Schneider Bd. 1, Die Welt Homers, isbn 978-3-89678-319-6 Bd. 2, Hexenjagd in Deutschland, isbn 978-3-89678-320-2 Bd. 3, Der königliche Kaufmann oder wie man ein Königreich saniert, isbn 978-3-89678324-0 Bd. 4, Zechen und Bechern. Eine Kulturgeschichte des Trinkens und Betrinkens, isbn 978-3-89678-323-3 Bd. 5, Hinter Klostermauern. Alltag im mittelalterlichen Kloster, isbn 978-3-89678-321-9 Bd. 6, Krieg in der Antike, isbn 978-3-89678-339-4
Sabine Buttinger
Hinter Klostermauern Alltag im mittelalterlichen Kloster
[G E S C H I C H T E E R Z Ä H LT]
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2007 by Primus Verlag, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt Einbandabbildung: Schreibender Mönch, Ausschnitt aus dem Fresko „Gregorius mit einem Schreiber“ (Giotto di Bondone, um 1266–1337). Assisi, S. Francesco, Oberkirche, 1. Joch, Gewölbe, westliche Gewölbekappe. Foto: akg-images Layout: Petra Bachmann, Weinheim Gestaltung und Satz: Johannes Steil – www.brotschrift.de Printed in Germany www.primusverlag.de isbn: 978-3-89678-321-9
Inhalt 7 Eine Regel, viele Gewohnheiten: Einleitung
Alltag im Kloster 12 Das Kloster und seine Bewohner: Gebäudeanlage und Konvent
29 Von (A)bt bis (Z)irkator: Wer macht was im Kloster?
38 Was trägt der Mönch? Was trägt die Nonne?
51 Opus Dei: Gebet, Arbeit und Studium
61 Askese oder Genuss? Essen und Trinken im Kloster
78 Das leibliche Wohl: Hygiene und Krankheit
96 Ein Hort der Bildung: In Schule und Skriptorium
112 Brüder im Streit: Konflikte im Kloster
Kloster und Welt 128 König, Bischof oder Adliger: Mönch und Eigenkirchenherr
145 Das Kloster und seine familia: Herrschaft über Land und Leute
154 Anmerkungen
157 Literatur
160 Bildnachweis
Eine Regel, viele Gewohnheiten: Einleitung om frühen 9. Jahrhundert bis zur Geburtsstunde der Bettelorden im 13. Jahrhundert war die Geschichte der abendländischen Klöster fast ausschließlich eine Geschichte benediktinischen Mönchtums. Dabei war Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert keineswegs der Erste, der eine Mönchsgemeinschaft gegründet und eine Lebensregel dazu verfasst hatte. Doch durch die große Verehrung, die ihm sein Biograph Papst Gregor I. († 604) entgegenbrachte, wurde seiner Klosterregel
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immer größere Aufmerksamkeit zuteil. Nachdem die meisten Klöster des Frankenreichs im 7. und 8. Jahrhundert ein Leben nach der Mischregel führten, die Elemente der Benediktregel und der Regel des heiligen Columban enthielt, war es Abt Benedikt von Aniane, ein enger Vertrauter Kaiser Ludwigs des Frommen, der 816 eine grundlegende Klosterreform initiierte: Fortan, so wurde auf einem Konzil in Aachen beschlossen, sollten alle Klöster im Frankenreich einzig nach der Regel des heiligen Benedikt leben. Die Mönchsgelübde abzulegen, hieß für die folgenden Jahrhunderte also, ein Benediktiner zu sein. Selbst die Zisterzienser, die im 12. Jahrhundert einen eigenständigen Orden formten, lebten nach der Benediktregel und nahmen für sich in Anspruch, diese noch strenger zu befolgen als alle anderen Mönche des Abendlandes.
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Eine Regel, viele Gewohnheiten
In diesen Jahrhunderten des Früh- und Hochmittelalters haben die Benediktiner tiefe Spuren hinterlassen. Viele Werke der Geschichtswissenschaft schildern die wichtige Bedeutung, die die Mönche und Nonnen innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft besaßen. Als mit dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches und den Jahrhunderten der Völkerwanderung das Abendland im Chaos versank, waren sie es, die mit Kreuz, Buch und Pflug das Christentum verbreiteten, das Wissen der Antike bewahrten und durch dichte Wälder und Sümpfe unbewohnbare Landschaften urbar machten. Inmitten einer Welt, die oft genug von Krieg und Not geprägt war, waren ihre Klöster Orte der Ruhe, des Gebetes und der inneren Einkehr. Sie bewahrten nicht nur tradiertes Wissen vor dem Untergang, sondern schufen gleichzeitig eigene Werke der Theologie und Philosophie, schrieben auf, was sie vom Garten- und Ackerbau, vom Weinanbau, der Braukunst, von der Jagd und der Viehzucht wussten. Doch unterhielten die Klöster auch ausgedehnte Besitzungen und herrschten über Land und Leute. Gleichzeitig waren sie lange Zeit die einzigen Garanten für Bildung und Unterricht. Ihr unablässiges Gebet um Schutz und Sicherheit und für das Wohlergehen des gesamten Reiches und seiner Bewohner, ihr Wirken in Seelsorge und Armenfürsorge verhalf den Mönchen zu höchstem Ansehen. Historiker verdanken ihrem Bestreben, das Geschehen der eigenen Gegenwart theologisch zu deuten und in Chroniken und Jahrbüchern (Annalen) festzuhalten, umfangreiche und wertvolle Erkenntnisse über die Vergangenheit. Aus den Jahrhunderten monastischer Hochkultur sind viele Zeugnisse überliefert, die auch heute noch Erstaunen hervorrufen. Neben romanischen Klosterkirchen und Kreuzgängen haben prächtig illuminierte Handschriften die Zeiten bis in die Gegenwart überdauert. Nur schwer kann sich der Betrach-
Einleitung
ter vorstellen, wie viele Mühen es den mittelalterlichen Mönch gekostet haben mag, mit dem sich sträubenden Gänsekiel geduldig die Texte ganzer Bibeln, Chroniken und theologischer Traktate auf Pergament zu malen oder mit feinstem Blattgold und leuchtenden Farben kostbare Buchmalereien zu schaffen. Viele bedeutende Benediktinerklöster des Mittelalters wie St. Gallen, Cluny oder das Kloster Reichenau sind in ihrer Geschichte und ihren kulturellen Leistungen hervorragend aufgearbeitet. Fragen nach dem Alltagsleben der Mönche treten dahinter jedoch meist zurück. Grund genug, einmal hinter die dicken Mauern der Klöster zu schauen und das tägliche Leben dort mit dem neugierigen Blick des Außenstehenden unter die Lupe zu nehmen. Was bedeutete es, die Gelübde abzulegen und ein Leben in Gemeinschaft in der Nachfolge Christi zu führen? Welche Strukturen fand der Mönch im Kloster vor, wie gestaltete sich sein Tagesablauf und der Umgang mit den Brüdern? Dass sich die Darstellung im Folgenden auf das Leben in den Benediktinerklöstern des Früh- und Hochmittelalters vom 9. bis zum 12. Jahrhundert beschränkt, soll nicht über die Fülle dessen hinwegtäuschen, was es aus dieser Zeit zu erzählen gibt. Denn obgleich alles monastische Leben im Reich vom 9. bis ins frühe 13. Jahrhundert fast ausschließlich von der Benediktregel bestimmt wurde, fanden die Mönche zu keiner Einheit in der Lebensweise. Reformversuche, die sich gegen den zu großen Reichtum und weltlichen Lebensstil in vielen Klöster wandten, brachten neue benediktinische Zweige (Observanzen) hervor, die sich in ihrer Ausrichtung häufig radikal von den ‚alten‘ Klöstern unterschieden. Das sie verbindende Element war zwar die Benediktregel, die mehr oder wenige grobe Richtlinien zum Tagesablauf, zur Ernährung und zur Kleidung der Brüder vorgab. Was aber
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Eine Regel, viele Gewohnheiten
die Mönche von Cluny von denen eines gorzisch-lothringischen Klosters oder den Zisterziensern trennte, waren ihre Consuetudines. In diesen ‚Gewohnheiten‘ war in Auslegung der Benediktregel alles, was das Alltagsleben im Kloster betraf, oft bis ins kleinste Detail geregelt. Genau in dieser Interpretation der Regel fanden die Mönche und Nonnen nicht zusammen, sondern liefern dem Betrachter ein recht buntes Bild benediktinischen Mönchtums. Hinzu kam, dass jedes Kloster, abhängig von den lokalen Gegebenheiten, seinen Grundbesitz anders organisierte und darin ein Unikat mit ganz eigenen Strukturen war. Zu Wort kommen sollen neben den Consuetudines, die ganz einzigartige Einblicke in das alltägliche Klosterleben erlauben, insbesondere auch Briefe und chronikalische Aufzeichnungen. In einigen Abteien wie Cluny, St. Gallen oder Tegernsee plaudern die Brüder ganz ungeniert aus dem Nähkästchen, während sich die Mönche und Nonnen andernorts eher in verschämtes Schweigen hüllen. Das soll nicht stören. Das vorliegende Buch will gar nicht den Anspruch erheben, alle Aspekte des früh- und hochmittelalterlichen Klosterlebens erschöpfend darzustellen und für alle offenen Fragen eine verbindliche Antwort zu finden. Es soll ein Klosterlesebuch sein, das Einblick in eine versunkene Lebenswelt gibt. In bunten Streiflichtern will es nicht vermitteln, wie das Leben der Mönche war, sondern wie es sein konnte: fromm und weniger fromm, lustig und traurig, dramatisch und zuweilen allzu menschlich.
Alltag im Kloster Gebet, Arbeit und Studium waren die Grundpfeiler benediktinischen Lebens. Im klösterlichen Alltag gab es jedoch noch viel mehr zu regeln als nur die Gebetszeiten. Was trugen die Mönche und Nonnen, wie sah ihr Speiseplan aus, und wie stand es mit der Körperpflege?
Das Kloster und seine Bewohner: Gebäudeanlage und Konvent
ls die fiktive Figur des Adson von Melk in Umberto Ecos Der Name der Rose erstmals seinen Fuß auf den Boden jenes namenlosen Benediktinerklosters an den Hängen des Apennin setzte, in dem er später Zeuge schauriger Ereignisse werden sollte, kannte sein Staunen keine Grenzen:
A
Nie habe ich eine schönere und trefflicher angelegte Abtei
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gesehen, obwohl ich später in meinem Leben durchaus nach Sankt Gallen kam und nach Cluny und nach Fontenay und in andere Abteien, die womöglich noch größer waren als
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diese, nicht aber so wohlproportioniert.1
Die Klosteranlage indes diente nur in zweiter Linie dazu, den ankommenden Besucher in ehrfürchtiges Staunen zu versetzen. Für die Mönche und Nonnen war das Kloster eine durch dicke Mauern abgeschlossene Welt, in der sie beteten, arbeiteten, schliefen, aßen, tranken und schließlich starben und begraben wurden. Der Rückzug aus der Welt sollte so vollkommen wie möglich sein, und durch nichts sollte der Dienst an Gott in Arbeit und Gebet gestört werden. Der im Inselkloster Reichenau entstandene St. Galler Klosterplan ist eine der seltenen architektonischen Zeichnungen des Mittelalters und zeigt eine ideale Klosteranlage.
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Alltag im Kloster
Die Klosteranlage
Benediktinerklöster wurden daher bevorzugt an abgeschiedenen Orten errichtet. Viele Klostergründer errichteten ihre Gemeinschaften an Seen oder Flüssen. Benedikt von Nursia beschreibt kurz und prägnant die Eigenschaften einer Klosteranlage, die den Anforderungen an ein Leben in Askese gerecht wird: Das Kloster soll, wenn möglich, so angelegt werden, dass
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sich alles Notwendige, nämlich Wasser, Mühle und Garten, innerhalb des Klosters befindet und die verschiedenen Arten des Handwerks dort ausgeübt werden können. So brauchen
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die Mönche nicht draußen herumzulaufen, denn das ist für sie überhaupt nicht gut.2
Die spärlichen Details in der Benediktregel gaben künftigen Generationen Raum für Interpretation und Ausgestaltung. Das Streben der Mönche nach größtmöglicher Autarkie ließ sie nach der idealen Klosteranlage suchen. Um 820 entstand im Kloster Reichenau der architektonische Plan eines perfekten Benediktinerklosters. Der Reichenauer Abt widmete den Plan seinem Amtsbruder Gozpert von St. Gallen zum persönlichen Studium. In St. Gallen wurde er auch aufbewahrt und ist daher unter dem Namen „St. Galler Klosterplan“ bekannt. Inwieweit diese Zeichnung tatsächlich damals existierende Verhältnisse wiedergab, ist umstritten. Abt Gozpert jedenfalls trug sich mit dem Gedanken umfangreicher baulicher Erweiterungen in seinem Kloster. Der Plan mag ihm Anregungen dazu gegeben haben, St. Gallen zu einer Abtei werden zu lassen, die in ihrer Anlage nicht nur dem Ideal des benediktinischen Lebens am nächsten kam, sondern sich auch in ihrer prächtigen Ausstattung mit den bedeutenden Königsklöstern der Zeit messen konnte.
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Darüber hinaus schien in diesem Klosterplan aufgezeichnet, was sich bereits bewährt hatte und noch lange bewähren sollte: Viele Abteien des Früh- und Hochmittelalters folgten in ihrer Anlage einem ganz ähnlichen Schema. Im Zentrum eines jeden Klosters stand demnach die Kirche. Apsis und Hauptaltar waren bei den meisten mittelalterlichen Kirchen nach Osten ausgerichtet, so dass der Gläubige der aufgehenden Sonne entgegenblickte. Achtmal täglich versammelten sich die Mönche dort zum gemeinsamen Chorgebet. Um die Kirche herum gruppierten sich Gebäude, die den abgeschlossenen Bereich der Klausur bildeten und nur den Mönchen vorbehalten waren. Im Kreuzgang verbrachten sie Zeit bei erbaulichen Gesprächen, aber auch bei stillem Gebet und Meditation. Der Kapitelsaal wiederum war der Versammlungsraum des Konvents. Im Schlafsaal (Dormitorium) schliefen alle Mönche gemeinsam, wie es die Benediktregel vorsah. Neben der Küche und dem Speisesaal (Refektorium) gehörten auch Latrinen, ein Wärmeraum und eine Wäschekammer (Vestiarium), Badeund Waschräume sowie Schreibstube und Bibliothek zur Klausur, die für Nicht-Angehörige des Konvents streng verschlossen Der K önig als Klosterherr
Klöster, die nicht einem Grafen, Herzog oder Bischof gehörten, sondern direkt dem König als Reichsklöster (synonym: Königsklöster) unterstellt waren, gehörten zu den größten und bedeutendsten Abteien des Reiches und genossen höchstes Ansehen. St. Gallen, Eigenkloster des Bischofs von Konstanz, versuchte lange, dessen lästige Herrschaft abzuschütteln. Im Jahr 818 verlieh ihm Kaiser Ludwig der Fromme schließlich die ersehnte Freiheit (libertas) und erhob es in den Rang eines Reichsklosters.
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Alltag im Kloster
blieb. Der Mönch Ekkehard IV. bestätigt dies in seinen im 11. Jahrhundert verfassten St. Galler Klostergeschichten: Die Klausur des heiligen Gallus [d. h. des Gründers, Na-
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mensgebers und Schutzpatrons St. Gallens] aber ist […] seit ältestem Gedenken der Väter stets in so hoher Verehrung gehalten worden, dass keinem noch so mächtigen Weltgeistli-
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chen oder Laien der Eintritt oder auch nur der Einblick erlaubt gewesen wäre.3
Entsprechend irritiert hatte man deshalb dort reagiert, als dereinst der Bischof von Konstanz sich immer wieder das Recht herausnahm, die Klausur der Mönche nicht nur tagsüber, sondern, völlig unvorstellbar, auch nachts eigenmächtig zu betreten. Außerhalb dieses inneren Kerns des Klosters erstreckten sich weitläufige Obst-, Gemüse- und Kräutergärten, verschiedene Werkstätten, Vorratsräume, Ställe sowie das Novizenhaus und Unterkünfte für Bedienstete und Gäste der Abtei. Nach außen abgeschirmt war diese kleine, weitgehend autarke Welt durch massives Mauerwerk: Das garantierte nicht nur Ruhe und Abgeschiedenheit, sondern diente auch der Verteidigung gegen Angreifer.
Zeit der Prüfung
Wer Benediktinermönch werden wollte, hatte sich einem einjährigen Noviziat zu unterziehen, in dem er sich unter der Anleitung eines Novizenmeisters auf das Ordensleben vorbereitete. Abgesondert vom Konvent lebten die Novizen in einer eigenen Unterkunft, dem Novizenhaus. Nach der Feststellung ihrer Eignung durch Klosterobere legten sie schließlich die Gelübde ab (Profess) und erhielten das volle Kleid (Habit) des Mönches.
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Stein und Glas
Je wohlhabender eine Abtei war, desto mehr spiegelte sich ihr Reichtum in der Ausstattung der Gebäude wider. Schenkungen frommer Wohltäter verhalfen vielen Klöstern zu bemerkenswertem Reichtum, den sie häufig in die bauliche Erweiterung ihrer Gebäude investierten. Das Hauptaugenmerk der Mönche galt dabei zunächst der Ausgestaltung der Klosterkirche. Kein Aufwand war zu groß, Gott, aber auch den Klosterpatron, in prächtigen Gotteshäusern, mit goldenen Reliquienschreinen und glanzvollem liturgischen Gerät zu verherrlichen. Die bescheidenen Holzkirchen früherer Zeiten waren zumeist schon im 9. Jahrhundert Steinbauten gewichen, die in der Folgezeit immer wieder verändert, erweitert oder völlig neu gebaut wurden. Gerade das ausgehende 10. Jahrhundert sah allerorten in den Bischofsstädten und Klöstern neue, prächtige Kirchen in den Himmel wachsen. „Es war, als wollte die Welt ihr Alter abschütteln, um sich mit dem leuchtenden Gewand von Kirchen zu bekleiden“, schrieb der Mönch Rodulfus Glaber beeindruckt.4 So sollte sich nach ihrer zweiten baulichen Erweiterung im Reformkloster Cluny um 1100 die größte Kirche der abendländischen Christenheit erheben. Dergleichen konnte man im Kloster Tegernsee zwar nicht vorweisen, doch tat sich Abt Eberhard II. mit der Gestaltung eines Mosaikfußbodens für den Chorraum der Klosterkirche und dem Bau erster steinerner Pfarrkirchen hervor. Auch Abt Theoderich von Petershausen bei Konstanz startete kurz vor 1100 ein intensives Bauprogramm, in dessen Zuge er den Kreuzgang erneuerte, einen Waschraum baute und eine Säulenhalle errichtete. Noch zur Jahrtausendwende hatten viele Abteien nicht einmal Wohnräume aus Stein, geschweige denn verglaste Fenster in den Kirchen. Zwar besaß sogar das Skriptorium im wohl-
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Alltag im Kloster
habenden St. Gallen bereits um 965 Fensterscheiben, andernorts aber verhängten die Mönche in der kalten Jahreszeit die Fenster mit Tüchern oder lichtdurchlässigem Pergament, um den Wind etwas abzuhalten. Schwierig wurde es, wenn nicht einmal diese Hilfsmittel zur Verfügung standen. Das musste eine Gruppe Tegernseer Mönche erfahren, die in den Jahren 993–995 versuchte, die klösterliche Disziplin im halb verfallenen Kloster Feuchtwangen wieder aufzurichten und dabei auf die Hilfe wohlmeinender Spender angewiesen war: Jene Unbequemlichkeit lässt sich nur schwer ertragen, wenn
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wir uns zum Gottesdienst in der Kirche versammeln, dass wir das Gezwitscher der versammelten Vögel durch unseren Gesang nicht übertönen können. Von überall her fliegen sie in federleichtem Flug durch die offenen Fenster herein, und wenn wir uns auf den Boden werfen, wälzen wir uns, von allen Seiten vom Schnee zugeweht, im Dreck. Dennoch aber würden wir dies gemeinsam ertragen, wenn wir wenigstens den Altar des Herrn vor dem Schnee verteidigen könnten. Die brennenden Kerzen, die im Wind flackern, werden unter vielen wächsernen Tränen gelöscht. Wenn Ihr uns also zum Verhängen der Fenster ein paar Leinentücher geben würdet,
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könntet ihr unserem Klagen leicht abhelfen.5
Dabei gab es zur selben Zeit in der Mutterabtei Tegernsee sogar schon farbige Kirchenfenster. „Die Fenster unserer Kirche waren bisher durch alte Tücher verhängt. Jetzt aber bringt die Sonne durch die vielfarbig bemalten Scheiben den Boden unseres Gotteshauses zum Leuchten, und die Herzen aller, die sie betrachten, erfasst große Freude“, schrieb der begeisterte Abt Gozpert von Tegernsee um das Jahr 995 an einen unbekannten Grafen und Wohltäter des Klosters.6 Nur wenige Jahre später hatte man sich dort dann selbst solche Kenntnisse in der Her-
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stellung von hochwertigen Glasfenstern angeeignet, dass man andere Abteien damit beliefern konnte.
Pflege der Räumlichkeiten
Ob nun bescheiden oder prächtig ausgestattet, die Kirche sowie die Wohn- und Arbeitsräume, die von Konvent und Bediensteten tagein, tagaus genutzt wurden, bedurften regelmäßiger Säuberung. Die Benediktregel gibt dazu allerdings nur vor, dass der Küchendienst jene Tücher und Gerätschaften gründlich zu säubern habe, die der Hand- und Fußwaschung der Mönche dienten. Erst die Consuetudines späterer Jahrhunderte enthielten spezifische Anweisungen zur Sauberkeit im Kloster. Die Aufsicht und die Koordination aller Putzarbeiten fiel dabei dem Elemosinarius (Almosenmeister) zu, wobei die Art und Häufigkeit der Reinigung sich in den einzelnen Klöstern unterschied. Vielerorts war es der Samstag, an dem eifrig geputzt und geschrubbt wurde. Die wöchentlich wechselnden Küchendienste hatten die Küche, das Backhaus und andere Wirtschaftsräume gründlich zu reinigen, darunter auch den Brunnen und die Waschbecken sowohl für den liturgischen als auch den alltäglichen Gebrauch. Alle Gerätschaften waren dem Cellerar sauber und unbeschädigt zu übergeben, der sie wiederum am Sonntag dem neuen Küchendienst zuwies. Am Samstag wurden auch die Aborte ausgefegt und gereinigt. Viele Klöster, darunter die bedeutenden Reformzentren Cluny und Hirsau, verfügten im 11. Jahrhundert bereits über den Luxus fließenden Wassers in den Latrinen. Der Elemosinarius war dort auch für den technischen Ablauf zuständig und musste darauf achten, dass „die Wasserzufuhr geöffnet ist, die in die Aborte führt“. Bei Wasserknappheit im Sommer sollte er Schleusen anfertigen und damit das Wasser anstauen, „damit es mit größerem Druck daherkommt“.7
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Erneuertes Mönchtum in Cluny
Im Jahr 910 wurde im burgundischen Cluny von Herzog Wilhelm von Aquitanien ein Kloster gegründet. Völlig untypisch für das 10. Jahrhundert verzichtete er auf jegliche Eigenkirchenrechte über das Kloster und übertrug es ganz dem Papst. Die Cluniazenser verachteten den in vielen Klöstern ihrer Zeit vorherrschenden weltlichen Lebensstil und forderten eine Erneuerung des benediktinischen Mönchtums durch eine strengere Einhaltung der Benediktregel. Sie legten größten Wert auf eine reiche Liturgie und widmeten sich verstärkt dem Chorgebet. Viele Klöster Burgunds und Frankreichs waren beeindruckt von der neuen monastischen Lebensweise und schlossen sich Cluny an. Waren Klöster als Priorate in den Klosterverband von Cluny eingegliedert, so wurden sie vor Ort von einem Prior geleitet. Der Abt von Cluny war auch ihr Abt. Inkorporierte Abteien hatten einen eigenen Abt, der jedoch seinerseits dem Abt von Cluny unterstand und durch ein Treuegelöbnis an ihn gebunden war. Etliche Abteien blieben aber selbstständig und übernahmen lediglich die Lebensgewohnheiten von Cluny. Die in Cluny entwickelten Vorstellungen einer von allen weltlichen Einflüssen befreiten Kirche (libertas ecclesiae) entfalteten eine große Wirkung und mündeten in die große Kirchenreform des 11. Jahrhunderts, an deren Ende der so genannte „Investiturstreit“ stand. Auch die Klosterreformen von Hirsau und St. Blasien im ausgehenden 11. Jahrhundert waren direkt von Cluny eeinflusst.
Ein- bis dreimal im Jahr wurde in den Klöstern der Schlafraum, das Dormitorium, nicht nur gefegt, sondern dort auch das Bettstroh der Mönche erneuert. Regelmäßig wurden Kirche, Kreuzgang, Refektorium (Speisesaal) und Kapitelsaal gründlich mit dem Besen gereinigt und insbesondere zu hohen kirchlichen Festtagen mit frischen Binsen ausgelegt.
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Eigene Verordnungen, die die Mönche zur Sauberkeit und entsprechendem Verhalten anhielten, gab es jedoch kaum. In Hirsau zumindest war es nicht gern gesehen, „auf den Stufen zum Dormitorium auszuspucken“.8 Wer im oberitalienischen Fruttuaria auf dem Weg ins Dormitorium oder in den Waschraum Schleim aus Mund oder Nase so öffentlich auswarf, dass sich Beistehende davon gestört fühlten, dem wurde an jenem Tag seine Weinration entzogen. Regelungen dieser Art verfolgten neben der Sauberkeit zweifellos ein gewisses ästhetisches Interesse. Noch bevor an den Höfen der Fürsten „ritterliches“ Benehmen eingeübt wurde, hielten in vielen Klöstern erste Ansätze eines geschliffeneren Miteinander Einzug. Denn dort, wo teilweise hunderte von Mönchen auf engem Raum zusammenlebten, war gegenseitige Rücksichtnahme oberstes Gebot.
Der Konvent: Priester, Laien und Konversen
Mönche waren einem Kloster entweder schon im Kindesalter als Oblaten (lat. oblatum = dargebracht) übergeben worden oder hatten erst als Erwachsene die Mönchsgelübde abgelegt und wurden fortan Konversen (lat. convertere = umkehren) genannt. Benedikt von Nursia äußerte sich sehr skeptisch über die Aufnahme von Priestern in den Konvent. Vor allem, so stellte er fest, sollten sie sich im Klaren sein, dass sie voll und ganz der Regel unterworfen und dem Abt untergeordnet waren. Mehr als alle anderen Mönche hätten sich Priester in Demut zu üben und darin den anderen ein gutes Beispiel zu geben. Die Nachfolge Christi durch ein Leben im Kloster war in der Spätantike und im Frühmittelalter tatsächlich eine Angelegenheit der Laien. Doch seit dem 9. Jahrhundert begann die Anzahl der Mönche im Priesterstand in den Klöstern stetig zu wachsen, bis
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es sogar als ungewöhnlich angesehen wurde, dass ein Mönch keine Weihen empfing. „Längst drängen die Zeit und dein Alter, dass du Priester wirst“, bekam Froumund, um 1000 Mönch und Schulmeister im Kloster Tegernsee, immer wieder zu hören.9 Lange verzichtete er auf die Weihen, da er sich für unwürdig hielt. Erst auf Drängen seines Abtes wurde er wenige Jahre vor seinem Tod doch noch zum Priester geweiht. Ordinierte Mönche hoben nicht nur das Ansehen des Konvents. Mit der steigenden Anzahl von Stiftungen an die Abteien wuchsen auch die liturgischen Verpflichtungen der Brüder, durch Gebete und Messen ihrer Gönner zu gedenken, wofür Priester vonnöten waren. Und je mehr der Grundbesitz der Klöster und damit die Zahl der Hörigen anwuchs, desto praktikabler war es, die eigenen Priestermönche als Seelsorger und zum Spenden der Sakramente in den klostereigenen Pfarrkirchen einzusetzen. Auch im 12. Jahrhundert bestand der Konvent in Tegernsee noch zu mindestens zwei Dritteln aus Priestern, was in anderen Klöstern ähnlich gewesen sein dürfte. Die Zahl der Konversen war dort allerdings wesentlich geringer als in jenen Abteien, die sich der Hirsauer Reformbewegung angeschlossen hatten. Dem Beispiel Clunys folgend, hatte man in Hirsau gegen Ende des 11. Jahrhunderts begonnen, die Aufnahme von Konversen besonders zu fördern. Wer als erwachsener Laie ins Kloster eintrat, sollte eine abgemilderte Form der Askese auferlegt bekommen und seinen Beitrag zum klösterlichen Leben insbesondere durch Handarbeit leisten. Zwar waren diese „bärtigen Mönche“, wie sie aufgrund ihrer Barttracht oftmals genannt wurden, Teil der Klostergemeinschaft, aber keine vollwertigen Mitglieder des Konvents. Rechtlich waren sie damit den anderen Mönchen nicht gleichgestellt, wie dies bei den alten Benediktinern wie in Tegernsee noch der Fall war. Dort durften auch Konversen etwa an einer Abtwahl mitwirken.
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Die soziale Herkunft der Mönche
Auch in anderer Hinsicht brachte das 12. Jahrhundert Bewegung in die Welt der Klöster. Bis dahin waren Mönche für gewöhnlich adliger Herkunft. Schon Benedikt von Nursia schreibt vor, dass Knaben zusammen mit einer Opfergabe (Oblatio) dem Kloster übergeben werden sollten. Persönliche Geschenke der Familie an den Knaben waren verboten, fromme Spenden an das Kloster hingegen erlaubt und gern gesehen. Aus dieser Opfergabe entwickelte sich ein fester Geldbetrag oder Ländereien, welche beim Eintritt eines Knaben dem Kloster zu übergeben waren. Diesen „Eintrittspreis“ konnten vornehmlich adlige Familien aufbringen, die oft über viele Generationen enge Verbindungen zu einer Abtei aufbauten. Die Konvente begannen, sich gegen Nichtadlige oder gar Unfreie abzuschließen. Erst allmählich fanden auch Angehörige der neuen Schicht der unfreien Ministerialen Zugang zu den ehrwürdigen Abteien und konnten, wie dies in Tegernsee zumindest in Einzelfällen belegt ist, auch in höhere Klosterämter aufsteigen. Im D ienst für weltliche und geistliche Herren
Als unfreie Dienstleute wurden Ministerialen seit dem 11. Jahrhundert zuerst von geistlichen, dann auch von weltlichen Fürsten und am Königshof selbst zum Kriegs- und Verwaltungsdienst herangezogen. Dazu wurden sie mit eigenen Dienstlehen (z. B. Ländereien) ausgestattet. Auch Klöster wiesen zunehmend eine eigene Ministerialität auf, die die Abtei und ihren Besitz nicht nur militärisch nach außen verteidigte, sondern auch bei der Verwaltung ihrer Güter half. Ministerialen konnten es, obwohl sie unfrei waren, zu großem Reichtum, Ansehen und Einfluss bringen.
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Frauen im Kloster
Frauenklöster spielten im Früh- und Hochmittelalter im Vergleich zu den Männerklöstern eine eher untergeordnete Rolle. Zwar leitete der Überlieferung nach bereits Scholastika, die Schwester Benedikts von Nursia, eine Lebensgemeinschaft gleichgesinnter Frauen nach dem Vorbild ihres Bruders, doch gab es bis ins 12. Jahrhundert vergleichsweise wenige Frauenkonvente. Nachdem im Zuge der Normannen- und Ungarnüberfälle im 9. und 10. Jahrhundert viele Frauenklöster zerstört oder aufgegeben worden waren, setzten die Wiedergründungen nur langsam ein.
Wie viele Mönche in einem Kloster lebten, hing unter anderem davon ab, wie viele es ernähren konnte. Eine große, wachsende Mönchsschar war ein zuverlässiges Zeichen für eine wohlhabende, gut geführte und florierende Abtei. Hungersnöte und innere Krisen konnten jedoch binnen weniger Jahre zu einer rapiden Verkleinerung des Konvents führen. Die größte Abtei des Hochmittelalters war unangefochten Cluny, dessen Konvent mit gut 400 Mönchen zu Beginn des 12. Jahrhunderts seinen absoluten Höhepunkt erreicht hatte. Eine besondere Anziehungskraft übten da aber schon die Hirsauer und insbesondere die Zisterzienser auf die Menschen aus, so dass die Mitgliederzahlen in den altetablierten Klöstern zugunsten der neuen, kraftvollen Reformbewegungen deutlich zurückgingen. Tegernsee gehörte in dieser Zeit mit einer Konventsstärke von gut 70 Mönchen im bayerisch-österreichischen Raum zu den großen und einflussreichen Klöstern. St. Gallen und das Kloster Reichenau, im 9. Jahrhundert in größter kultureller und wirtschaftlicher Blüte, kämpften hingegen seit dem 11. Jahrhundert gegen den langsamen Niedergang. Von fast 140 Mönchen um 890 wa-
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Nonnen bei der Beichte und beim Gebet. Buchmalerei, um 1300
ren in St. Gallen im Jahr 920 nurmehr 50 übrig geblieben, eine Rückwärtsentwicklung, die im weiteren Verlauf des Hochmittelalters nicht mehr aufzuhalten war. Etliche monastische Lebensgemeinschaften dienten in erster Linie der Ausbildung und Versorgung adliger Damen. Als
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Kanonissen lebten diese zwar, ohne die Gelübde abzulegen, unter der Autorität einer Äbtissin und der Benediktregel, genossen daneben aber umfangreiche Privilegien. So durften sie über persönlichen Besitz verfügen und das Kloster oder Stift wieder verlassen, um verheiratet zu werden. Unter den Kanonissenstiften ragten im 10. Jahrhundert insbesondere Gandersheim und Quedlinburg heraus, die als Hausstifte des ottonischen Königshauses überregionale Bedeutung erlangten. Die Äbtissinnen Sophie III. von Gandersheim und Mathilde von Quedlinburg etwa waren engste Verwandte Kaiser Ottos III. Kanonissen lebten aber auch zusammen mit Nonnen in Frauenklöstern. Sie waren wie die Nonnen angehalten zu Chorgebet und Handarbeit, durften aber eine eigene Unterkunft besitzen. Obgleich den Frauen im Kloster der Priesterstand verwehrt war und sie deshalb auf einen männlichen Seelsorger von außen angewiesen waren, waren sie nicht nur mit Sticken, Spinnen und Weben beschäftigt. Viele Nonnen und Kanonissen waren hoch gebildet und taten sich – wie etwa Hrotswith von Gandersheim oder die unbekannte Verfasserin der Quedlinburger Annalen – als Gelehrte, Dichterinnen und Geschichtsschreiberinnen hervor. Hrott swith von Gandersheim
Hrothswith (Roswitha) von Gandersheim lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 973 als Kanonisse im Stift Gandersheim. Um 960 begann sie dort eigene Werke zu verfassen. Neben einem Legenden- und einem Dramenbuch verdienen ihre Gesta
Ottonis, ein Tatenbericht des ottonischen Königshauses, besondere Beachtung. Hrotswiths Schriften, die von ihrer umfassenden klassischen Bildung zeugen, weisen sie als eine der bedeutendsten Frauen des Früh- und Hochmittelalters aus.
Da s K l o s t e r u n d s e i n e B e w o h n e r
Die religiöse Erneuerungsbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts wirkte auch auf die Welt der geistigen Frauengemeinschaften. Marcigny, 1055 von Abt Hugo von Cluny gegründet, gehört zu den einflussreichen Abteien, deren über 90 hochadlige Nonnen nach cluniazensischem Vorbild lebten, sich aber weitgehend nach außen abschlossen. Zur Konkurrenz wurde dem Kloster bald das wirkmächtige Fontevrault in Westfrankreich. Im Jahr 1100 zunächst als Doppelkloster für Männer und Frauen gegründet, übernahmen dort sehr bald die Nonnen die Leitung. Der Ruf ihrer Frömmigkeit bescherte ihnen so zahlreichen Zulauf, dass das Kloster nach cluniazensischem Vorbild schon bald erste Priorate gründen konnte. Mitte des 12. Jahrhunderts gehörten der Kongregation bereits über 4000 Nonnen an, und die Zahl der Priorate wuchs bis zum Ende des Jahrhunderts auf über 100 an. In Fontevrault liegt nicht nur sein umstrittener Gründer Robert von Abrissel begraben, dem nachgesagt wird, er habe sich absichtlich der Fleischeslust hingegeben, um sie besser überwinden zu können. Auch der englische König Richard Löwenherz und seine Mutter, die berühmte Eleonore von Aquitanien, haben dort ihre letzte Ruhestätte gefunden. Vor allem die Spiritualität der Zisterzienser wirkte für viele Frauen attraktiv. So wurden insbesondere in Frankreich Frauenklöster gegründet, die den Gebräuchen der „grauen Mönche“ folgten, dem Orden rechtlich aber erst im 13. Jahrhundert eingegliedert wurden. Weibliche Angehörige der aufstrebenden unfreien Ministerialenfamilien suchten dagegen verstärkt Aufnahme in monastische Lebensgemeinschaften, die nach dem Vorbild der Hirsauer oder der Regularkanoniker lebten. Noch immer nämlich waren Klöster und Stifte fast ausschließlich adligen Männern und Frauen vorbehalten. Im Nonnenkonvent von Andernach hingegen war die Öffnung der Klöster auch für Nichtadlige bereits etwas Selbstver-
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Stift und Kloster
Ein Stift war Heimat für Geistliche (Kanoniker), die keine Mönchsgelübde ablegten, sich in einer klosterähnlichen Gemeinschaft unter der Leitung eines Propstes aber dennoch einer Regel unterwarfen. Besonders seit dem 11. Jahrhundert war dies die Regel des heiligen Augustinus. Im Kloster hingegen lebten Mönche zumeist nach der Regel des heiligen Benedikt, später auch nach den Regeln anderer Ordensgründer, etwa der des heiligen Franziskus.
ständliches. Die dort beheimatete magistra Tenxwind, die selbst einer Ministerialenfamilie entstammte, war umso erstaunter, als sie von der Prunkentfaltung der Äbtissin Hildegard von Bingen und ihrer adligen Nonnen hörte. Erstaunt fragte sie um 1150 in einem Brief, ob es denn stimme, dass in Bingen Nichtadlige und weniger Reiche von der Klosterpforte abgewiesen würden. Hildegard reagierte verständnislos auf die Kritik: Gott achtet bei jedem Menschen darauf, dass sich der nie-
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dere Stand nicht über den höheren erhebe […] Wer steckt all sein Viehzeug zusammen in einen Stall: Rinder, Esel, Schafe, Böcke? Da käme alles übel durcheinander! So ist auch da-
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rauf zu achten, dass nicht alles Volk in eine Herde zusammengeworfen werde.10
Doch war die gesellschaftliche Entwicklung längst an Hildegard von Bingen vorbeigezogen. Bald würden die Bettelorden neue Heimat und Wirkungsstätte vieler Frauen gleich welcher Herkunft werden.
Von (A)bt bis (Z)irkator: Wer macht was im Kloster?
ine vielköpfige Gemeinschaft, die sich ganz dem ungestörten Dienst an Gott und dem eigenen Seelenheil verschrieben hat, bedarf einer klaren und straffen Organisation. Für Benedikt von Nursia ergab sich die Rangordnung im Kloster nicht durch das Lebensalter der Mönche, sondern vor allem durch den Zeitpunkt ihres Klostereintritts:
E
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Wer zum Beispiel zur zweiten Stunde des Tages ins Kloster kam, muss wissen, dass er jünger ist als jener, der zur ersten Stunde des Tages gekommen ist, welches Alter oder welche
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Stellung er auch haben mag.1
Dennoch hatte auch Benedikt bereits eine Reihe von Ämtern benannt, die bald zu einer Hierarchie innerhalb der Gemeinschaft führten. An ihrer Spitze stand, ausgestattet mit einer überragenden Autorität, der Abt.
Der Abt als Hirte der Seelen
Der Abt des Klosters sollte, so bestimmte es die Benediktregel, einmütig von der ganzen Mönchsgemeinschaft gewählt werden. Dieses Wahlrecht durchzusetzen, erwies sich jedoch für viele Konvente des Früh- und Hochmittelalters als außerordentlich schwierig. Regelmäßig setzten die jeweiligen Klosterherren (Ad-
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lige, Bischöfe und Könige) Äbte nach ihren Vorstellungen und nach dem traditionellen Recht der Eigenkirchen ein, und unbeachtet blieben die Klagen der Mönche, die lautstark auf die Benediktregel und ihr darin festgeschriebenes Wahlrecht verwiesen. Etliche schwere Konflikte in den Abteien entstanden dadurch, dass vom Klosterherrn eingesetzte ortsfremde Äbte von den Mönchen vertrieben wurden oder sich gegen einen zweiten vom Konvent gewählten Klostervorsteher durchsetzen mussten. Obwohl dem Konvent des Klosters Tegernsee beispielsweise das Recht der freien Abtwahl 979 vom König selbst verbrieft worden war, sind die ersten freien Abtwahlen dort erst im 12. Jahrhundert belegt. Von König Friedrich Barbarossa hatten die Mönche 1155 aber noch die Vorgabe erhalten, aus ihren Reihen den zu wählen, „der uns angenehm und der Kirche nützlich ist“.2 Benedikt von Nursia hatte dem idealen Abt andere Qualitäten zugrunde gelegt. Ein liebender Vater sollte er sein und alle seine Mönche in gleicher Weise lieben. Stets sollte er den anderen in Demut und Befolgung der Regel vorangehen und ein Vorbild in Weisheit und Güte sein. Innerhalb des Klosters, so Benedikt, nimmt der Abt die Stelle Christi ein. Seine Aufgabe ist es, die Mönche in ihrem Streben nach geistiger Vollkommenheit liebevoll, bei Bedarf aber auch streng und sogar unter körperlicher Züchtigung anzuleiten. Der Abt ist für nichts Geringeres als das Seelenheil der ihm Untergebenen verantwortlich und muss sich dafür am Jüngsten Tag dem Urteil des Weltenrichters stellen. Bei weitem nicht jeder Abt aber wurde den hohen Anforderungen gerecht, die die Benediktregel an ihn stellte. Die Quellen sind voll von Klagen über allzu strenge, aber auch unfähige Äbte. Von dem sonst hoch verehrten Abt Notker von St. Gallen ist überliefert, dass er dazu neigte, bei hereinbrechenden Schwierigkeiten die Nerven zu verlieren. Auch im Nonnenkloster auf dem Rupertsberg führte der eigenwillige Führungsstil
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der Äbtissin Hildegard von Bingen immer wieder zu schweren Spannungen. Als ungerecht empfanden viele Nonnen beispielsweise, wie offen Hildegard ihre Lieblingsschülerin und Vertraute Richardis bevorzugte. Sie verweigerte ihr sogar den Weggang nach Bassum, wo Richardis vom dortigen Nonnenkonvent kanonisch zur Äbtissin gewählt worden war. Unter schwersten Vorwürfen der berühmten Klostervorsteherin ging die junge Richardis trotzdem. Als Hildegard erfuhr, dass Richardis in Bassum schwer erkrankt und schließlich gestorben war, zeigte sie darüber in ihren Briefen weniger Trauer denn Genugtuung. Auch die Äbtissin Sophie von Gandersheim, eine Schwester Kaiser Ottos III., provozierte den Unmut ihres Konvents und einen reichsweiten Skandal, als sie jahrelang starrköpfig darauf beharrte, die Stiftskirche von Gandersheim dürfe nicht vom zuständigen Ortsbischof von Hildesheim, sondern nur vom Mainzer Erzbischof, in dessen Metropole Gandersheim lag, geweiht werden. In anderen Klöstern begegnen Äbte und Äbtissinnen weniger streitlustig, wenn auch nicht weniger menschlich. Abt Rupert von Tegernsee beispielsweise konnte wohl nicht vom Käse lassen, den er eigentlich nicht vertrug. Darüber hinaus aß er dann und wann wohl auch mehr, als ihm wirklich gut tat. Obgleich Benedikt von Nursia dem Abt eine eigene Unterkunft gestattete, machten nicht alle Äbte von dieser Möglichkeit Gebrauch, viele schliefen mit ihren Mönchen im Dormitorium. Vor allem Benedikt von Aniane war es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein Abt keine Sonderrechte für sich beanspruchen sollte: Der Abt hat mit demselben Ausmaß von Seife, Trank, Schlaf
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und Kleidung zufrieden zu sein wie seine Mönche. Ebenso hat er mit ihnen die selben Arbeiten zu verrichten, wenn er nicht eben mit anderen nützlichen Dingen beschäftigt ist.3
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Seit dem 12. Jahrhundert jedoch statteten sich die Äbte zunehmend mit Attributen aus, die ihre Sonderstellung zeigten. So durfte Abt Rupert von Tegernsee durch besonderes Privileg des Papstes als erster Klostervorsteher im Reich nördlich der Alpen Ring und Mitra tragen.
Dekan oder Prior?
Ganz allein war der Abt bei den ihm übertragenen Aufgaben freilich nicht. Schon die Benediktregel gesteht ihm zu, einige Ämter mit klugen und in ihrer Lebensführung vorbildlichen Brüdern zu besetzen, die später Klosteroffiziale genannt wurden. In allen wichtigen Entscheidungen sollte der Abt sie zu Rate ziehen. Um die herausragende Machtfülle des Abtes zu unterstreichen, sah Benedikt als seinen Stellvertreter nicht eine Person, sondern mehrere Dekane vor, die jeweils einer Gruppe von zehn Mönchen vorstehen sollten. Einen Prior (praepositus), den „Zweiten nach dem Abt“, lehnte er strikt ab. Zu sehr fürchtete er, ein solcher würde, von Stolz und Hochmut aufgebläht, in Wettbewerb mit dem Abt treten und schwere Konflikte heraufbeschwören. Zudem wurden Prioren zu Benedikts Zeiten oft vom Ortsbischof bestellt, was eine unerwünschte Einmischung von außen sein konnte. Doch stellte es die Regel der Entscheidung der einzelnen Äbte anheim, ob sie zusätzlich einen Prior bestellen wollten oder nicht. Diese Frage nach der inneren Verfassung der Klöster führte gerade im frühen 9. Jahrhundert zu hitzigen Diskussionen. In Abteien wie Fulda, Reichenau und St. Gallen hatten – streng nach der Benediktregel – Dekane die Stellvertreterschaft des Abtes inne. Der einflussreiche Benedikt von Aniane hingegen hielt zwar an den Dekanen fest, ordnete aber den
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höchsten von ihnen, den senior decanus, einem Prior unter. Dieser hielt nun nach dem Abt alle Gewalt im Kloster in Händen, während der senior decanus an die dritte Stelle der Hierarchie rückte. Dieser Art der Verfassung folgten zunächst Abteien wie Kornelimünster, Corbie, Lorsch, Stablo und schließlich das lothringische Reformkloster Gorze sowie die meisten anderen Klöster, die sich dieser Reformrichtung anschlossen. Die g orzisch-lothringische Klosterreform
Nicht nur im burgundischen Cluny, auch im lothringischen Gorze begann man sich im frühen 10. Jahrhundert über eine Erneuerung des benediktinischen Mönchtums Gedanken zu machen. Beeinflusst vom Reformwerk des Benedikt von Aniane versuchten die Brüder dort den Weg zurück zum strengen Leben nach der Benediktregel zu finden. Anders als in Cluny verzichtete man darauf, sich dem Einfluss des Ortsbischofs oder lokaler Adliger zu entziehen. Zudem bildete sich in Gorze kein Zentralismus heraus: Das Reformzentrum war mit den Klöstern, die die gorzischen Gewohnheiten übernahmen, geistig eng verbunden, ohne dass diese ihre Selbstständigkeit aufgaben. Im Unterschied zur cluniazensischen Reform, die hauptsächlich in Frankreich wirkte, entfaltete sich die gorzisch-lothringische Reform sehr stark im römisch-deutschen Reich. Im 11. Jahrhundert waren etwa 170 Klöster der Reform angeschlossen, unter ihnen St. Maximin in Trier, Niederalteich, St. Emmeran in Regensburg, Reichenau, Hersfeld und Tegernsee.
Ganz neue Wege ging hingegen das bedeutende Cluny. In der 910 in Burgund gegründeten Abtei schaffte man die Dekane ganz ab, während der Prior unangefochten der zweite Mann nach dem Abt blieb. Alle Klöster, die dem cluniazensischen Reformverband als Priorate angehörten, waren nicht nur dem
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Mutterkloster Cluny unterstellt, sie hatten auch keinen eigenen Abt. Vater ihrer Mönche war der Abt von Cluny, während die praktische Leitung dem Prior vor Ort oblag. Obwohl Hirsau und St. Blasien, die im späten 11. Jahrhundert entscheidende Impulse aus Cluny aufgriffen, an dessen Zentralismus nicht festhielten, verzichtete man dort und in anderen Klöstern, die von der jungcluniazensischen Reform beeinflusst waren, auch auf die Dekane und stärkte die Position des Priors.
Der Cellerar
So undurchsichtig und unterschiedlich die Leitung der verschiedenen Klöster organisiert sein konnte, so differenziert waren auch die übrigen Klosterämter. Nicht immer umschrieb einund dasselbe Amt die selbe Tätigkeit – zu sehr trugen die einzelnen Klöster doch den lokalen Gegebenheiten und ihrer monastischen Ausrichtung Rechnung. Für alle waren jedoch die Dienste eines Kellermeisters (Cellerar) unentbehrlich. Er war dem senior decanus oder, in Cluny, dem Prior direkt untergeordnet. Die Benediktregel stellte hohe charakterliche Anforderungen an ihn, zu entscheidend war nämlich seine Aufgabe im Kloster. Der Cellerar war für die Gerätschaften und die Beschaffung, Aufbewahrung und Zubereitung der Nahrungsmittel zuständig. Auf keinen Fall durfte er diese verschwenden, sondern hatte sie mit Maß und Ziel zu verwalten und zu mehren. Zudem oblagen ihm Organisation und Aufsicht der Bediensteten des Klosters. Für den Tegernseer Mönch Wigo, der im verarmten Feuchtwangen nominell Abt war, faktisch aber auch das Amt des Cellerars ausübte, erwies sich die Last seiner Aufgaben als beinahe zu groß. In einem Brief klagte er sein Leid:
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Von keinem Bruder erfahren wir Trost oder Erleichterung
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bei den fortwährend über uns hereinbrechenden mannigfachen Beschwernissen, weil der eine durch Kränklichkeit, der andere aber durch einen anderen Dienst verhindert ist. […] Ich selbst trage an einem scheppernden Gürtel alle Schlüssel des Klosters. Darüber hinaus muss ich sehr umsichtig für die klösterliche Ordnung Sorge tragen, hier mich um die Lebensmittel kümmern, dort den Köchen befehligen, und soll stets den Hausgästen drinnen als auch allen ankommenden Gäs-
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ten draußen zu Diensten sein.4
In einer größeren Abtei hatte der Cellerar in der Regel mehrere Helfer, die ihm bei seiner Tätigkeit unter die Arme griffen. In cluniazensischen Klöstern unterstanden dem Cellerar der Gärtner (Hortulanus) und der Getreidemeister (Granatarius), der über das Getreide und das Brot wachte. Der Speisemeister (Refectorarius) wiederum verteilte mit wöchentlich wechselnden Helfern vor den Mahlzeiten Mundtücher, Löffel, Schüsseln und Brote auf die Tische und trug die Speisen auf. Ihm oblag auch die Sauberhaltung des Refektoriums, das er abends verschloss.
Kämmerer und andere Ämter
Gingen die Vorräte der im Kloster produzierten Nahrungsmittel zur Neige, kontaktierte der Cellerar den Kämmerer (Camerarius), der das Notwendige aus den Besitzungen des Klosters herbeischaffte oder kaufte. Das Amt des Kämmerers ist in der Benediktregel nicht erwähnt, begegnet seit dem 9. Jahrhundert aber bereits regelmäßig. Er wachte insbesondere über die klösterliche Kleiderkammer (Vestiarium) und verteilte deren Inhalt streng nach der Regel an die Mönche. Fehlte etwas, ließ er es herstellen
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oder kaufen. Verschlissene Kleidung, die die Brüder nicht mehr selbst flicken konnten, überbrachte er den Schneidern. Wie unwirsch war Froumund von Tegernsee, als ihm im eisigen Winter vom Kämmerer oder dessen Gehilfen ein wärmeres Gewand vorenthalten wurde. „Ich wollte, Du wärst ein Schwein, dass, könnte ich dich nur fassen, ich dir gewaltsam das Fell abzöge, das Schlachtmesser unter der Gurgel ins Fleisch dir stöße, meine Beine einfettete, die von der Kälte aufreißen, und die unansehnliche Schwarte zu einem Pelz mir machte“, dichtete er in drastischen Bildern.5 Innerhalb der klösterlichen Hierarchie machte der Kämmerer bis zum 12. Jahrhundert sicherlich die größte Karriere durch. Ursprünglich nur Verwalter der Kleiderkammer und der Nahrungsmittel, wachte er bald über alle klösterlichen Einkünfte und Finanzen. Neben diesen bedeutenden und hoch angesehenen Ämtern gab es noch viele weitere kleinere Tätigkeiten, für die einzelne Mönche verantwortlich waren. Etliche Klöster betrauten einen Sakristan mit der Pflege der liturgischen Geräte und Gewänder, aber auch mit der Sorge um den Kirchenschmuck oder der Beschaffung der Altarkerzen. Klöster mit einem großen Buchbestand erfreuten sich der Dienste eines Bibliothekars (Armarius), der zuweilen auch die Schreibstube (Skriptorium) überwachte. Die kranken und alten Brüder betreute der Infirmarius (Krankenmeister) im von den Konventsgebäuden abgesonderten Krankenhaus (Infirmarium). Größten Wert hatte bereits Benedikt von Nursia auf den Pförtner (Portarius) gelegt. An der Schaltstelle zwischen der Welt draußen und der klösterlichen Ruhe drinnen sollte am besten ein älterer Bruder mit Weisheit und Erfahrung sitzen, „den seine Reife daran hindert, sich herumzutreiben“.6 Gefürchtet und nicht wirklich beliebt war schließlich der Zirkator (lat. circari = umhergehen), der schon
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seit dem 8. Jahrhundert in den Klöstern belegt ist. Von so manchem schwatzhaften Mönch als Spitzel missbilligt, wachte er nämlich streng über die Einhaltung des Schweigegebots und die allgemeine Aufrechterhaltung der mönchischen Disziplin. Abt Wilhelm von Hirsau formulierte es eindeutig: Die Zirkatoren sollten beständig im Kloster herumlaufen und die Mönche Tag und Nacht beobachten, damit sie sich „zu keiner Zeit und an keinem Ort sicher fühlen“.7
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Was trägt der Mönch? Was trägt die Nonne?
leidung diente im Mittelalter nicht nur dem Zweck, vor Kälte und Witterung zu schützen und ‚arbeitstauglich‘ zu sein, sondern sollte auch die Standeszugehörigkeit eines jeden Menschen sichtbar machen. Das galt auch für Mönche und Nonnen. Im schlichten Mönchsgewand drückte sich vor allem die Demut seines Trägers gegenüber Gott und der Regel aus. Es betonte die gemeinschaftliche Armut und Askese und machte die Gleichheit aller Brüder deutlich.
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Die Grundausstattung
Benedikt von Nursia sah für die Brüder seines Klosters je zwei so genannte Kukullen vor, je nach Jahreszeit aus Wolle oder einem leichteren Stoff, und zwei Tuniken zum Wechseln. Eine Arbeitsschürze (Skapulier) sowie Socken und Schuhe komplettierten die Garderobe des Mönchs auf dem Monte Cassino. Zusätzlich erhielt jeder Bruder Gürtel, Messer, Griffel, Nadel, Tuch und eine kleine Schreibtafel. Ging der Mönch auf Reisen, wurde ihm zusätzlich eine Hose zugestanden. Diese hatte er bei seiner Rückkehr gewaschen zurückzugeben. „Über Farbe oder groben Stoff dieser Kleidungsstücke sollen sich die Mönche nicht beschweren; man nehme alles so, wie es sich in der Gegend, wo sie wohnen, findet“1, befand Benedikt. Ansonsten
Wa s t r ä g t d e r M ö n c h ? Wa s t r ä g t d i e N o n n e ?
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stellte er es dem Abt anheim zu entscheiden, welche Kleidung er dem jeweiligen Klima für angemessen hielt. Das schlichte, an der Kleidung der Landbevölkerung orientierte Gewand veränderte sich bis ins 9. Jahrhundert beträchtlich. Zum eigentlichen Mönchsgewand wurde die Kukulle, über deren Gestalt eifrig diskutiert wurde. Die Frage, ob mit der Kukulle der Benediktregel ein reiner Kopfschutz oder ein Wettermantel mit Kapuze gemeint war, lässt sich heute genauso wenig eindeutig klären wie im Frühmittelalter. Reformabt Benedikt von Aniane schließlich bestimmte im 9. Jahrhundert, es handle sich bei der Kukulle um ein mantelartiges Kleidungsstück mit Kapuze, das zwei Ellen lang sein solle und maximal bis zu den Knien herabreichen dürfe. Für ihn waren das Skapulier, jene Arbeitsschürze, die Benedikt von Nursia zur Feldarbeit vorgesehen hatte, und die Kukulle an sich ein und dasselbe Kleidungsstück. Die Skapulierkukulle, die Benedikt von Aniane favorisierte, bestand aus zwei Der „zweite Benedikt“
Abt Benedikt von Aniane († 821) war nicht immer Mönch gewesen. Unter den Karolingerkönigen Pippin und Karl der Große hatte er Kriegsdienst geleistet und war schließlich unter dem Eindruck von Krieg und Not ins Kloster gegangen. Seinen Geburtsnamen Witiza hatte er abgelegt und sich zu Ehren des von ihm hoch verehrten Mönchsvaters von Nursia Benedikt genannt. Als Vertrauter Kaiser Ludwigs des Frommen bemühte er sich darum, die Benediktregel zur einzig gültigen Mönchsregel zu machen. ‚Eine Regel, eine Gewohnheit‘ lautete das Motto jener Tage. Neben einer bereinigten Fassung der Benediktregel hatte er für alle Klöster verbindliche Consuetudines verfasst, die eine Vereinheitlichung des monastischen Lebens in allen Bereichen bringen sollte.
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Stoffbahnen auf Brust und Rücken und war seitlich durch Bänder verknüpft. Am Nacken war eine Kapuze angenäht. [Der Abt] soll sehr darauf bedacht sein, dass jeder Mönch
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zwei Hemden, zwei Unterkleider, zwei Oberkleider und zwei Kapuzen habe. Wenn es jemand braucht, soll er auch noch ein drittes Stück erhalten. Außerdem werden einem jeden vier Paar Fußlappen und zwei Paar Hosen, ein Gürtel, zwei Gamaschen bis zu den Knöcheln, zwei Strumpfbänder und, wenn es einer für eine Reise braucht, weitere zwei zugewiesen. Im Sommer erhalten sie Handschuhe, im Winter Muffe aus Schaffell. Jeder bekommt zwei Paar Schuhe für den täglichen Gebrauch, für die Nacht im Sommer zwei Pantoffeln, im Winter dafür Holzschuhe. Dazu empfängt jeder genü-
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gend Seife und Salbe.2
Doch obgleich Benedikt von Aniane eine reichsweite Vereinheitlichung des Mönchskleides anstrebte, fanden die Benediktinermönche des Mittelalters keineswegs zu einem einheitlichen Habit. Im Gegenteil: Schnitt, Länge, Faltenwurf und selbst die Farbe der Kukulle unterschieden sich beispielsweise bei gorzischen und cluniazensischen Mönchen bewusst. Das Mönchskleid war umkämpftes Werkzeug der einzelnen Reformbewegungen, sich nicht nur spirituell und durch ihre Regeln und Gebräuche, sondern auch äußerlich voneinander abzugrenzen.
Kukulle und Frocke
Es waren vor allem die gorzisch-lothringisch reformierten Klöster im Reich, in denen die Kleidervorschriften des Benedikt von Aniane umgesetzt wurden. In Abteien wie Hersfeld, Fulda, Niederalteich, Reichenau, St. Emmeram oder Tegernsee trugen die Mönche über einer langen Tunika die typische knielange, är-
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Abt Ramwold von St. Emmeram trägt über der langen Tunika die kurze Skapulierkukulle des gorzisch-lothringischen Reichsmönchtums.
mellose „anianische“ Skapulierkukulle. Diese eignete sich, da sie den Armen Bewegungsfreiheit ließ, hervorragend zur Arbeit. Parallel dazu war jedoch eine zweite, weitaus feierlichere Form der Kukulle in den gorzischen Klöstern in Gebrauch, die bis an die Fußknöchel reichende, eng anliegende und mit engen Ärmeln versehene Talarkukulle. Auch hinsichtlich der Farbe der Mönchskleidung gab es lange Zeit keine festen Regelungen. Hauptsache, so die Bene-
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Ein Mönch aus dem Kloster Seeon überreicht König Heinrich II. eine Handschrift. Er trägt die vergleichsweise eng anliegende Talarkukulle des gorzisch-lothringischen Mönchtums.
Wa s t r ä g t d e r M ö n c h ? Wa s t r ä g t d i e N o n n e ?
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Die H irsauer
Im ausgehenden 11. Jahrhundert initiierte Wilhelm, seit 1069 Abt des Schwarzwaldklosters Hirsau, eine Klosterreform, die grundlegende Ideen aus Cluny aufgriff und eine von weltlichen Einflüssen befreite und am Papsttum orientierte Kirche forderte. Wilhelm übernahm zwar Habit und weite Teile der
Consuetudines aus Cluny, die meisten Klöster, die der Hirsauer Reform folgten, blieben aber eigenständig. Durch eine verstärkte Predigttätigkeit riefen die Hirsauer vor allem die Laien zu Umkehr und frommem Werk auf. Als Konversen fanden viele von ihnen Aufnahme in die Reformklöster. Auch viele Adlige zeigten sich von der monastischen Erneuerung angetan und taten sich selbst als Stifter und Klostergründer hervor. Als wertvolle Stütze des Papstes im Investiturstreit zeitigte die Hirsauer Reform insbesondere im Südosten des Reiches Wirkung, wo sich ihr bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Mehrzahl der Benediktinerklöster anschloss.
diktregel, die Stoffe waren billig oder, so Benedikt von Aniane, von mittelmäßiger Qualität. Die meisten Klöster verwendeten daher ungefärbte, naturfarbene Wollstoffe, manche auch schwarze oder graue. Die Mönche der anianischen und später der gorzisch-lothringischen Reform setzten dagegen auch farblich auf ein einheitliches Erscheinungsbild. Ihre Tunika war zwar hell, die Skapulierkukulle jedoch dunkel gefärbt und von brauner, häufig sogar blauer Farbe. Ganz andere Wege gingen einmal mehr die Cluniazenser. Über einer langen und weiten Kukulle trugen die Brüder noch ein weiteres Kleidungsstück, die bauschige, mit langen und weiten Ärmeln ausgestattete und bis an die Füße reichende, faltenreiche Frocke. Im Grunde war die Frocke nichts anderes als eine
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weite, kapuzenlose Kukulle. Nicht einmal bei großer Hitze durften sie die Frocke ablegen, denn diese war ihr eigentliches Erkennungszeichen und unterschied sie von allen anderen Mönchen. Aber auch farblich setzten die Cluniazenser ganz neue Akzente. Im 10. Jahrhundert zeigte ihre Kleidung das natürliche Schwarz dunkler Schafe, seit dem 11. Jahrhundert jedoch wurde der Stoff tiefschwarz gefärbt. Das feierliche Schwarz der Cluniazenser war schon im 13. Jahrhundert das Markenzeichen aller benediktinischen Mönche und ist es bis heute.
Streit um des Mönches Kleidung
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stellte Bischof Otto von Freising, selbst ein Zisterzienser, Überlegungen zum recht farbenfrohen Bild an, das die Mönche seiner Zeit abgaben: „So wie sie inwendig im Strahlen ihrer Tugenden verschiedenartig leuchten, so bedienen sie sich äußerlich verschiedenfarbiger Gewänder.“3 In der Tat, da gab es die schwarzen Cluniazenser mit ihren weiten Kukullen und Frocken, die Hirsauer, die sich an der cluniazensischen Tracht orientierten, die ehemals gorzisch-lothringischen Reichsmönche in der kurzen grauen oder blauen Skapulierkukulle sowie Kartäuser, Kamaldulenser und andere neue Zweige in meist grauem oder naturfarbenem Gewand. Ottos eigener Orden der Zisterzienser war zu den natürlichen Farben und Stoffen der Benediktregel zurückgekehrt und bevorzugte graue, eng geschnittene, schlichte Kleider sowie eine weiße Kukulle für das Chorgebet. Zwar scheint Otto von Freising die spirituelle Vielfalt des Mönchtums, die sich optisch in den verschiedenen Gewändern widerspiegelte, positiv zu deuten. Insgeheim favorisierte er je-
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Benedikt von Nursia im ausladenden, faltenreichen cluniazensischhirsauischen Habit
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doch den engelgleich geschnittenen Habit der Zisterzienser. „Es ist ein langer und erbitterter Krieg, den die Mönche um ihr Mönchsgewand führen“, konstatierte man in Hersfeld um 1090 nicht ohne resigniertes Seufzen.4 Die mitunter heftige Polemik, die sich gegen monastisch Althergebrachtes oder unerhört Neues gleichermaßen richtete, betraf nur oberflächlich die Kleidung. Hinter allen Veränderungen in Gewand und Gebräuchen stand stets auch der gewaltige Anspruch der Reformer, die Benediktregel strenger einzuhalten und ‚bessere‘, ja sogar die ‚einzig wahren‘ Mönche zu sein. Ein neuer Habit, mit dem sich neue Zweige optisch absetzten, war daher nichts anderes als eine äußerlich sichtbare Herausforderung für die Vertreter des ‚alten‘ Mönchtums. Besonders sichtbar wurde dies im 10. Jahrhundert, als die Cluniazenser allerorten von sich reden machten. Die für sie typische laxa vestis, die besonders weite und aufgebauschte Gewandform, hielt man in den gorzisch-lothringischen Klöstern schlicht für unmöglich. Dasselbe galt für die duplex vestis, die Angewohnheit, mit Kukulle und Frocke gleich zwei Gewänder übereinander zu tragen. Laut Benediktregel waren die beiden Kukullen doch zum Wechseln da und nicht, um sie übereinander zu tragen! Überhaupt zeuge die Fülle an Stoff, in den sich die Cluniazenser hüllten, doch allenfalls von deren Verweichlichung und Hochmut. Alles in allem war die cluniazensische (und später auch die identische hirsauische) Mönchskleidung in den Augen ihrer Kritiker eine eklatante Abkehr von den Vorschriften der Benediktregel und signalisierte einen Umsturz des Altbewährten. Damit reagierte man auf die in Cluny immer wieder geäußerte Kritik an der blauen Farbe der kurzen Kukullen der gorzisch-lothringischen Mönche. Auch deren für besonders festliche liturgische Anlässe verwendete eng anliegende Talarkukulle rief bestenfalls Missfallen, wenn nicht gar Abscheu
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hervor. Doch war die Lösung greifbar nahe: Wollte man die Einheit des Mönchtums herstellen, so befand im 10. Jahrhundert bereits Abt Odo von Cluny, müssten nur alle Klöster die Tracht Clunys übernehmen.
Hose oder keine Hose?
Der Streit um das Mönchsgewand eskalierte zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Für die Zisterzienser, die nach einer rigorosen Befolgung der Benediktregel und einer möglichst asketischen Lebensweise strebten, mussten der Reichtum und die Prachtentfaltung der Cluniazenser, wie sie sich auch in ihrer Kleidung widerspiegelten, mehr als nur ein Dorn im Auge sein. Wortführer der Kritik an ihrer Prunksucht wurde Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux. Er warf den Cluniazensern vor, mit der Frocke, zusätzlichen Hemden und sogar Pelzkleidern massiv gegen die Regel zu verstoßen. Für ihn symbolisierten die sechs Flügel der Kukulle (2 Teile der Kapuze, 2 Ärmel, 2 Stoffbahnen des Gewandes) die sechs Flügel der Erzengel, was für die ärmellosen cluniazensischen Kukullen nicht zutreffen könne. In Cluny verteidigte man sich gegen solcherlei Kritik mit dem Hinweis, die weiten und faltenreichen Gewänder seien nötig, damit bei allzu großer Kälte andere Kleider darunter Platz hätten. Immerhin sei zu bedenken, dass kranke Mönche Gott nicht mehr richtig dienen oder, völlig undenkbar, unzufrieden und murrend das Kloster verlassen könnten. Außerdem ließen sich mit dem ausladenden Habit die Körperformen gut verdecken. Und wer könnte bestreiten, dass gute, teurere Stoffe nicht nur wärmer, sondern auch von besserer Qualität seien? „Wer, der recht bei Verstand ist, mag in der Machart eines solchen Gewandes behaupten, dass Hochmut im Spiel wäre?“5 Denn, so
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argumentiert der cluniazensische „Antibernardus“ etwas ungeschickt, die Kleidung der Cluniazenser sei so hässlich, dass so etwas wie Eitelkeit gar nicht aufkommen könne. Dabei waren die Zisterzienser bei weitem selbst nicht über Kritik erhaben. Zum Zielobjekt für nicht enden wollenden Spott wurde nämlich ihr Brauch, nur zum Chorgebet Beinkleider zu tragen, sonst aber ‚unten ohne‘ zu gehen. Zwar hatte Benedikt von Nursia Hosen nur dem Mönch auf Reisen zugestanden, doch waren sie fast im ganzen Abendland in Gebrauch. Es verstoße daher ganz und gar gegen die Notwendigkeit, Reinlichkeit und Ehrbarkeit, auf die Hosen zu verzichten, ereiferte sich der Cluniazenser Petrus Venerabilis. Jener hosenlose Zisterzienser, der vor den Augen König Heinrichs II. von England über einen Stein stolperte und sich ihm dabei ungewollt ganz unschicklich präsentierte, mag dem später vielleicht zugestimmt haben. „Verflucht sei die Frömmigkeit, die das Hinterteil entblößt“, soll nach dem Bericht des englischen Klerikers Walter Map ein dabei stehender Mönch denn auch grimmig geflüstert haben.6 Walter Map liefert eine simple Erklärung für diese zisterziensische Unart, die allerorten sonst nur Kopfschütteln hervorrief: Warum die Hosen von jenen verwendet werden, dafür gab einer als Grund an, damit nämlich dieser Teil des Körpers kalt
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bleibe, auf dass nicht Liebesglut aufwalle oder Triebe sich Bahn brechen. […] Jedoch, wenn Schonkost und rauhe Kleidung und schwere Arbeit, deren jede sie sich zuschreiben, die
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Bedürfnisse ihres Körpers nicht zu besänftigen vermögen und sie Belüftung brauchen, um Venus zu zügeln, dann ist es gut, dass sie ohne Hosen gehen und angeblasen werden.7
Die Zisterzienser als leicht zu verführende Lüstlinge mit unbezähmbarer Libido? Noch deutlicher formuliert dies der fiktive Mönch Maurus, der möglicherweise auch der Feder Walter
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Maps entsprungen ist: „Was unterscheidet denn einen Mann ohne Hosen von einem Possenreißer, der öffentlich schreit: ‚Seht her, ich bin bereit!‘?“8 Der mehr oder weniger versteckte Vorwurf, die so auf Askese bedachten Zisterzienser seien schamlos und anfälliger für die Anfechtungen der Fleischeslust, mag in den Klöstern des ‚alten‘ benediktinischen Mönchtums, zu dem sich im 12. Jahrhundert plötzlich auch die Cluniazenser zählen mussten, zweifellos für Heiterkeit gesorgt haben. An der Dynamik, mit der sich die Welt der Klöster im Hochmittelalter wandelte, änderte er nichts.
Und die Nonnen?
Die Kleidervorschriften der Benediktregel waren nur für Männer ausgerichtet und berücksichtigten Frauen, die die Gelübde ablegten, nicht. Für sie gab es keine einheitliche Vorschrift, die die Bestandteile und Beschaffenheit ihres Habits regelte. Ihre Nonnentracht orientierte sich aber zweifellos an den männlichen Glaubensbrüdern und war darauf ausgerichtet, den Ansprüchen an Askese, Demut und Keuschheit Rechnung zu tragen. Petrus Abaelard, der geistliche Betreuer der Nonnen des Klosters Le Paraclet und Verfasser eines eigenen Regelentwurfs, teilte ihnen zum Wechseln je zwei Hemden, zwei Pelzuntergewänder und zwei Tuniken zu. Bei strenger Kälte erhielten sie einen Mantel, der auch als Decke verwendet werden konnte. Seit alters her wurde der Kopf der Nonnen durch einen Schleier verhüllt. In Le Paraclet war dieser schwarz und wurde über einer weißen Haube getragen. Da in Le Paraclet auch die Nonnen eine Tonsur trugen, wurde ihnen, wenn nötig, eine Lammfellmütze gestattet. Nicht einmal zur Askese und Selbstkasteiung durften die Nonnen von
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Le Paraclet barfuß laufen, anders als etwa in den streng geführten Klöstern der Kartäuserinnen. Der Mönchen und Nonnen angemessene Stoff war grobe Wolle. Seide galt zu keiner Zeit des Mittelalters als akzeptabel, während Leinen für die Untergewänder zumeist den als verweichlicht und luxusverliebt geltenden Cluniazensern vorbehalten blieb. In den Nonnenklöstern Fontevrault und Le Paraclet durfte der Schleier allerdings aus gefärbtem Leinen sein. Heloise jedoch, die einstige Geliebte Abaelards und Äbtissin von Le Paraclet, hätte gern auch leinene Leibwäsche gehabt, da diese, wie sie ausführte, für die Tage der Monatsblutung wesentlich besser geeignet sei als wollene. Peinlich suchte man in den Frauenkonventen allzu große Prunksucht und alles, was als unschicklich gelten könnte, zu vermeiden. Mehr als die Männer, so einmal mehr Abaelard, bedürften Frauen der Warnung vor der Eitelkeit, und dies gelte in noch stärkerem Maße für Christus geweihte Frauen. Wie hatte Tenxwind von Andernach deshalb gestaunt, als sie von den ‚seltsamen‘ Praktiken der Hildegard von Bingen erfuhr, deren Nonnen an Festtagen mit offenen Haaren, goldbestickten Kronen und mit wallenden, bis auf den Boden reichenden weißen Gewändern durch die Gänge rauschten. Die Äbtissin auf dem Rupertsberg wies die Vorwürfe der jüngeren Tenxwind mit gewohntem Selbstbewusstsein zurück und verwies darauf, man gestatte sich lediglich schon einen kleinen Einblick in die Herrlichkeit des Paradieses. Eine Einheit im Erscheinungsbild und in den monastischen Bräuchen gab es bei den Nonnen also ebenso wenig wie bei den Mönchen. Doch gleich, welcher Observanz sie angehörten und welchen Habit sie trugen, so waren sie doch zu streng von der Benediktregel festgelegten Zeiten im gemeinsamen Gebet vereint.
Opus Dei: Gebet, Arbeit und Studium
enedikt von Nursia war überzeugt: „Müßiggang ist der Seele Feind. Deshalb sollen die Brüder zu bestimmten Zeiten mit Handarbeit, zu bestimmten Stunden mit heiliger Lesung beschäftigt sein.“1 Den festen Rahmen für den Tagesablauf gab er selbst durch die Zeiten vor, an denen sich die Mönche zum gemeinschaftlichen Chorgebet in der Kirche versammelten. Opus Dei, Dienst an Gott, nannte er das Stundengebet, das für ihn der zentrale Inhalt des Mönchseins war, und dem „nichts vorgezogen werden [soll]“.2
B
Das Stundengebet
Die Psalmen gaben Benedikt die Anzahl der Gebetszeiten vor: „Es gelte, was der Prophet sagt: ‚Siebenmal am Tag singe ich dein Lob‘“, und: „Um Mitternacht stehe ich auf, um dich zu preisen.“3 Die genaue Einteilung der Gebetszeiten orientierte sich im Mittelalter an der Länge des Tages. Die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang wurde in 12 gleich lange Stunden unterteilt, weshalb der Tag im Winter deutlich kürzer war als im Sommer. Im Groben lässt sich die 1. Stunde des mittelalterlichen Tages aber auf 6:00 Uhr morgens festlegen. Entsprechend dieser
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Wie spät ist es?
Um die Gebetszeiten genau bestimmen zu können, bedienten sich die Mönche nicht nur einfacher Sonnenuhren, sondern konstruierten auch komplizierte Wasser- und Kerzenuhren. Das Messen von Zeitabständen anhand von Gebetslängen erwies sich als ebenso unzuverlässig wie der Hahnenschrei als Wecksignal. Seit dem 13. und 14. Jahrhundert hielten nicht nur mechanische, mit Glocken verbundene Weckvorrichtungen, sondern auch genau kalibrierte Sanduhren (‚Stundengläser‘) in den Klöstern Einzug.
Schätzung wurden die Mönche nachts zwischen 1:00 und 2:00 Uhr zu den Vigilien (auch Matutin genannt) geweckt und hatten unverzüglich aufzustehen. In Hirsau blieb dieses frühmorgendliche Ritual keinesfalls dem Gutdünken des Mönchs überlassen: Ehe er jedoch die Decke abwirft, zieht er im Bette sitzend die
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Kukulle an und bedeckt mit ihr seine Beine, bevor er sich vor sein Bett stellt. Er darf aber das Bett nicht nachlässig liegenlassen, er muss die Decke anständig darüber ausbreiten und es so in Ordnung bringen. Das Kopfpolster verbirgt er vollständig unter der Decke. Dann bekleidet er sich mit der Frocke und weckt nötigenfalls mit Zischen die Brüder, die ihm zunächst liegen. Denn werden sie von ihm nicht geweckt und kommen sie nicht rechtzeitig zum gemeinsamen Gebet, dann
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muss auch er um Verzeihung bitten.4
Mit Lampen ausgestattet, gingen die Vigilanten an den psalmodierenden Mönchen vorbei. Wer zum dritten Mal schlafend oder dösend ertappt wurde, dem wurde die Lampe überreicht und der musste nun selbst als frater vigilans seine Runden drehen. Die Zeit zwischen den Vigilien und den Laudes, dem Mor-
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genlob, verbrachten die Mönche, wenn sie nicht wie in Cluny wieder zu Bett gingen, zumeist in stiller Meditation. Der Gesang der Mönche beim Morgenlob um etwa 4:30 Uhr sollte den Aufgang der Sonne begleiten, die wie Jesus Christus Dunkel und Finsternis vertreibe. Bei Tageslicht konnten sich die Brüder nun der Handarbeit, der geistlichen Lesung oder der Arbeit im Skriptorium widmen. Sie versammelten sich jedoch zu den Horen der Prim (etwa 6:00 Uhr), Terz (etwa 9:00 Uhr), Sext (etwa 12:00 Uhr), Non (etwa 15:00 Uhr) und Vesper (etwa 17:30 Uhr) erneut in der Kirche. Den Tagesablauf vollendete die Komplet um spätestens 20:00 Uhr, danach hatten die Mönche zu schlafen. In den warmen Sommermonaten wurde den ermatteten Mönchen zusätzlich etwa zwei Stunden Mittagsruhe zugestanden. Die V äter der Kirche
Als Kirchenväter bezeichnete bereits die mittelalterliche Kirche Heilige der Spätantike und des Frühmittelalters, die entscheidend zur Entwicklung der katholischen Lehre beigetragen hatten und auf Konzilien und von Päpsten als Autoritäten zitiert wurden. Die bedeutendsten Kirchenväter der abendländischen Kirche waren die Heiligen Hieronymus, Ambrosius, Augustinus sowie Papst Gregor I.
Die Benediktregel legte detailliert fest, was und in welcher genauen Reihenfolge zu den einzelnen Zeiten gebetet wurde. Wichtigster Bestandteil des Stundengebets waren Psalmen, aber auch Hymnen, Bibellesungen und Lesungen aus den Texten von Kirchenvätern. Für die großen Festtage des Kirchenjahres entwickelten sich in den verschiedenen benediktinischen Zweigen eigene
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Gottesdienstordnungen, die wiederum spezielle Psalmen und Lesungen, aber auch festliche Prozessionen vorsahen. Auch die Abende vor großen Kirchenfesten wurden durch Gebete und Nachtwachen in den Klöstern besonders gewürdigt. Der Heilige Abend vor dem Weihnachtsfest am 25. Dezember etwa ist aus dieser monastischen Tradition heraus bis heute erhalten geblieben.
Die tägliche Arbeit
Den etwa drei bis vier Stunden, die die Mönche täglich im Gebet verbrachten, standen gut sechs bis acht Stunden Arbeit gegenüber. Auf den Feldern wurde gepflügt, gesät und geerntet, in den Gärten gepflanzt und gejätet, die Klostergebäude instand gehalten, geflickt, geschustert und repariert. In den Skriptorien wiederum schufen die Mönche in mühevoller Arbeit prächtige liturgische Handschriften, verfassten Gedichte ebenso wie Chroniken und Annalenwerke oder gaben sich eigenen theologischen Studien hin. Auch in der Handarbeit, im Ausmisten eines Stalles ebenso wie bei der Vergoldung kunstvoller Initialen, wurde Gott verherrlicht. Gebet und Arbeit waren für die Benediktiner eng verzahnt und das eine ohne das andere nicht denkbar. Mochten die Brüder über manche Arbeit auch murren, so kommentiert die Benediktregel, „so sollen sie nicht traurig sein. Sie sind dann wirklich Mönche, wenn sie wie unsere Väter und die Apostel von ihrer Hände Arbeit leben“.5 Hatten sich einst die Cluniazenser das Ziel gesetzt, in einer Zeit, in der immer mehr Reichtum und Luxus in die Klöster eingekehrt war, zu den Ursprüngen des benediktinischen Mönchtums zurückzukehren, so waren sie, was die Handarbeit betraf, weiter entfernt vom Ideal der Benediktregel als je zuvor. Mehr
Opus Dei
Ein Zisterzienser bei der Getreideernte mit einer gezahnten Sichel. Buchmalerei, um 1111
als die anderen benediktinischen Zweige legten sie Wert auf eine reiche, festlich gestaltete Liturgie. Zudem versprachen sich viele weltliche und geistliche Fürsten eine besondere Kraft vom Gebet der cluniazensischen Mönche und stifteten unzählige Messen. Neben den von der Benediktregel geforderten acht Gebetszeiten hatten die Cluniazenser zwei weitere Messen eingeführt. Darüber hinaus waren sie verpflichtet, noch etliche Gebete für Könige, Bischöfe und Päpste zu verrichten sowie lebender und verstorbener Gönner des Klosters zu gedenken. Den Großteil des Tages verbrachten sie deshalb in der Kirche. Aus der Benediktregel ergibt sich, dass die Mönche im Laufe einer Woche einmal den gesamten Psalter beteten. In Cluny hingegen schaffte man alle 150 Psalmen an einem Tag. Cluny, so äußerten sich Kritiker, sei gleichsam zu einer ‚Gebetsfabrik‘ geworden, in der die Toten, für die man beten müsse, die Lebenden dominierten. Die Handarbeit hingegen musste entsprechend zu kurz
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Zwei Zisterzienser spalten einen Baumstamm. Deutlich sind ihre schlichten, grau-braunen Skapulierkukullen zu erkennen. Buchmalerei, um 1111
kommen. Schon der lange, faltenreiche Habit der Cluniazenser verriet, dass diese Mönche nicht körperlich arbeiteten. Wer, wie die Consuetudines es verlangten, die Falten von Frocke und Kukulle erst ordentlich in den Schoß legen musste, bevor er sich hinsetzte, wer darüber hinaus aufpassen musste, dass beim Niederknien die weiten Ärmel nicht den Boden berührten, der konnte keine Äpfel ernten oder Brot backen. Mehr als in den Klöstern der anderen benediktinischen Zweige verrichteten in Cluny deshalb Laienbrüder und Knechte die alltägliche körperliche Arbeit. Nurmehr symbolisch, um der Regel Genüge zu tun, zogen die Mönche dann und wann auf die Felder und verbrachten den Tag dort gemeinsam bei der Arbeit. Bei vielen Cluniazensern stellte sich bald das ein, was Benedikt von Nursia befürchtet hatte: Die Monotonie des dauernden Betens ließ zunehmend Langeweile aufkommen. Entnervt verließen einige das Kloster. Unter ihnen war auch Robert von
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Molesme, der 1098 das Kloster Cîtaux gründete, das Keimzelle und Namensgeber für den Zisterzienserorden wurde. Gerade was den Aspekt der Handarbeit betraf, wurden die Zisterzienser zu wahren „Anti-Cluniazensern“. Alle Ideale des benediktinischen Mönchtums glaubten sie durch den Reichtum und Luxus, durch das übermäßige Gebet und die Verweichlichung der Mönche verraten. Umso stärker wollte man in den zisterziensischen Klöstern ein streng an der Benediktregel orientiertes Leben führen. Im literarischen Streitgespräch mit einem fiktiven Cluniazenser machte ein Zisterzienser um 1160 seinem Unmut über die Lebensweise in Cluny Luft: Der Abt [Robert] von Molesme war in eurem Orden. Er und
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einige Brüder sprachen […] öfters von der Übertretung der Regel des heiligen Benedikt, des Vaters der Mönche. […] Sie warfen also alles von sich, was der Regel Abbruch tat: die Frocken und Pelze, die Hemden, die Kapuzen und Hosen, Kämme und Decken, Bettunterlagen und verschiedene Gänge im Refektorium, Fett und Speck und alles übrige, was der Reinheit der Regel entgegen ist. Und so stellten sie ihr
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ganzes Leben auf die genaue Beobachtung der Regel ein.6
In Clairvaux wie in vielen anderen Abteien waren es nun die Zisterziensermönche und die Laienbrüder, die den Boden, auf dem sich das Kloster erheben sollte, rodeten und ebneten, bevor sie darauf die Gebäude errichteten. Dass Mönche selbst in solchem Umfang Hand anlegten, überraschte zunächst viele Zeitgenossen. Doch in der Mühsal (labor), mit der die Zisterzienser unermüdlich Wälder rodeten, Sümpfe trockenlegten und Flussläufe und Bäche bändigten, um dort Mühlen zu errichten, bewiesen sie Demut vor Gott. Diese Verbindung von Frömmigkeit, Askese und Arbeit wirkte auch nach außen als in sich stimmig. In großer Zahl traten die Men-
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schen entweder als vollwertige Mönche oder als Laienbrüder in den Zisterzienserorden ein. Während Cluny immer mehr ins Abseits geriet, entwickelten sich die Klöster der Zisterzienser zu florierenden Wirtschaftsunternehmen. Vom ursprünglichen Ideal wichen jedoch auch sie bald ab. Ihre Konvente teilten sich immer mehr in zwei Gruppen. Während die Vollmönche den Chordienst verrichteten, waren es die Laienmönche, die sich ganz der Handarbeit widmeten.
Von der Kunst des Schweigens
Neben den umfangreicheren Gebetszeiten hatten die Cluniazenser und Hirsauer gegenüber ihren zisterziensischen Konkurrenten aber auch beim Schweigen die Nase vorn. Nichts konnte Gottes Ohr mehr beleidigen als das unüberlegte Geschwätz eines Mönchs: Mag es sich also um noch so gute, heilige und aufbauende
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Gespräche handeln, vollkommenen Jüngern werde nur sel selten das Reden erlaubt wegen der Bedeutung der Schweigsamkeit. Steht doch geschrieben: ‚Beim vielen Reden wirst
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Du der Sünde nicht entgehen‘, und an anderer Stelle: ‚Tod und Leben stehen in der Macht der Zunge‘.7
Vor allem nach der Komplet hatten die Mönche laut Regel bis zum Morgen völlig zu schweigen. Auch die Mahlzeiten verliefen in völliger Stille und waren nur von der Tischlesung eines Bruders begleitet. In Cluny und später auch in Hirsau war den Mönchen nur während einer halben Stunde nach der morgendlichen Kapitelversammlung und nach der Sext das Sprechen erlaubt. An Sonntagen wurde ebenso wie an den hohen Kirchenfesten, der Karwoche und der Pfingstwoche das Schweigegebot eingehalten. Der Verzicht auf das Sprechen sollte die Mönche
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nicht isolieren. Es diente auch nicht allein dazu, sie von sündigem und leerem Gerede abzuhalten. Das Schweigen sei eine innere Haltung und, so Benedikt von Nursia, mache die Mönche demütig und führe sie schließlich zur Klarheit der richtigen Rede. Im Rückzug in sich selbst öffne der Mönch sein Ohr und Herz der Stimme Gottes. Schweigend werde er „noch vor Vollendung der Dinge in den Abgrund des ewigen Gottesschweigens aufgenommen“.8 Ein Bruch des Schweigegebots wurde schwer geahndet, besonders bei Novizen. Kirche, Schlafsaal, Speisesaal und Klosterküche waren die Orte, in denen in Hirsau zu keiner Zeit das Reden erlaubt war. Ein Novize, der im Chorgebet ein Gebet ohne Buch oder ohne in sein Buch hineinzusehen sprach oder sang, machte sich des Bruchs des Schweigegebots schuldig. Umso wichtiger war es, so Abt Wilhelm von Hirsau in seinen Constitutiones, dass Novizen jenes ausgeklügelte Zeichensystem erlernten, mit dem es sich stillschweigend kommunizieren ließ: Das allgemeine Zeichen: Man schlägt die Finger der einen
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Hand in die der anderen und umschließt so die eine Hand mit der anderen. Das Zeichen für Brot: Mache mit den beiden Daumen und den beiden Zeigefingern einen Kreis, dann meinst du ein rundes Brot. Für das Brot, das in Wasser gekocht wird und etwas besser als das tägliche Brot ist, mache zuerst das allgemeine Zeichen, dann lege die eine Handfläche auf den Rücken der anderen Hand und bewege die obere
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Hand im Kreise.9
Für jedes Gemüse, jedes Obst, Fleisch und Getreide, jedes Werkzeug, Kochgeschirr, Kleidungsstück und Gebäude, für alles, was zum Kloster und zum Klosterleben gehörte, gab es ein eigenes Zeichen. In den kurzen Zeiten, in denen den Hirsauer Mönchen das
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Reden erlaubt war, war es ihnen keineswegs gestattet, sich über Belanglosigkeiten auszutauschen oder gar derbe Späße von sich zu geben. Und im Stehen schon gleich gar nicht. Wer etwas zu sagen habe, so abermals Wilhelm von Hirsau, der tue dies im Sitzen und mit gedämpfter Stimme. Dabei vermeide er es aber, an einen entfernter sitzenden Bruder das Wort zu richten. Die Redezeit nach der Kapitelversammlung war in Hirsau die einzige Gelegenheit, Wichtiges zu erledigen, bei dem Reden vonnöten war: „Wünscht einer seine Nägel zu schneiden, so sage er es dem Bruder, der neben ihm sitzt. Der muss zustimmen unter dem Spruche: ‚Mit Gottes Segen‘“, lässt sich erneut Abt Wilhelm vernehmen.10 Daneben sollte der Gegenstand der Gespräche selbstverständlich geistlicher und erbaulicher Natur sein. Die ständige spirituelle Vervollkommnung gehörte nämlich zu den Grundübungen des Mönchs. Mehrere Stunden hat Benedikt von Nursia jedem der Brüder täglich für die lectio divina eingeräumt. Persönliches Bibelstudium und die Lektüre der Kirchenväter sollten nicht allein dem Studium und der Meditation dienen, sondern ein Wegweiser sein zur „Vollkommenheit des klösterlichen Lebens“.11
Askese oder Genuss? Essen und Trinken im Kloster
uch Mönche und Nonnen mussten essen. Mehr als in jedem anderen Lebensbereich des Mittelalters wurde in den Klöstern auf die Ernährung geachtet. Die Versorgung einer vielköpfigen Gemeinschaft zu gewährleisten und zugleich die Grundsätze der Askese, die der Mönch leben sollte, einzuhalten, waren ständige Herausforderungen für Abt, Cellerar und den ganzen Konvent.
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Wie oft und wann wird gegessen?
Der erste Blick auf den Speisezettel der Mönche führt zunächst wieder in die Benediktregel. Die Anzahl der Mahlzeiten war darin geregelt und von der Jahreszeit sowie dem liturgischen Jahreslauf abhängig. Von Ostern bis Pfingsten gab es zwei Hauptmahlzeiten, eine mittags zur sechsten Stunde (etwa 12:00 Uhr) und eine abends. Dies galt auch im Sommer, nur nicht an den beiden traditionellen Fastentagen Mittwoch und Freitag, an denen prinzipiell nur einmal, nämlich zur Non (etwa 15:00 Uhr) gegessen wurde. Auch vom 13. September bis zum Beginn der vorösterlichen Fastenzeit gab es nur eine Mahlzeit, und diese wurde zur Non eingenommen. Anders war es in der vierzigtägigen vorösterlichen Fastenzeit (Quadragesima). Die Brüder hatten bis abends
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zu fasten, bevor sie die eine Mahlzeit des Tages gereicht bekamen. ‚Abends‘ bedeutete dabei ‚vor Einbruch der Dunkelheit‘: Die Vesper aber wird so angesetzt, dass man bei Tisch kein
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Lampenlicht braucht. Vielmehr muss alles noch bei TagesTages licht fertig werden. Auch zu anderen Jahreszeiten werde die Stunde für das Abendessen oder für die Hauptmahlzeit so
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gewählt, dass alles bei Tageslicht geschehen kann.1
Im Übrigen, so Benedikt, sei es dem Abt überlassen, alles so zu regeln, dass die Brüder „ohne einen berechtigten Grund zum Murren ihre Arbeit tun können“.2 Dieser Zusatz verschaffte späteren Mönchsgenerationen erstaunliche Freiheiten im Umgang mit den Mahlzeiten. Besonders die Bestimmung, dass während des Winterhalbjahrs nur einmal täglich gegessen werden durfte, machte vielen Mönchen zu schaffen. Die in größtmöglicher Regeltreue lebenden Zisterzienser hielten sich strikt daran, ebenso die asketisch lebenden Kartäuser. Auch für Petrus Abaelard war es in seinem Regelentwurf völlig logisch, den Nonnen in Le Paraclet im Winter nur eine Mahlzeit zu gewähren. Nicht fasten sollten sie, sondern dem Umstand Rechnung tragen, dass im Winter die Tage nunmal kürzer seien.
Die Zeiten des Fastens
Andernorts in den Benediktinerklöstern versuchte man sich Erleichterungen zu verschaffen. Zu Hilfe kam dabei die stetig wachsende Schar der Märtyrer und Heiligen, deren Festtage in den Klöstern gebührend begangen sein wollten. Wie an den Sonntagen, so wollte es die Tradition, wurde nämlich auch an Festtagen das Fasten unterbrochen. 15 Festtage nannte bereits Benedikt von Aniane im frühen 9. Jahrhundert. Die folgenden
Askese oder Genuss?
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Rück k zug aus der Welt
Im Jahr 1084 gründete Bruno von Köln mit sechs Begleitern in Le Chartreuse (lat. cartusia = Kartause) bei Grenoble eine klösterliche Gemeinschaft. Dort versuchte er die Grundprinzipien des Zusammenlebens mit denen des strengen Eremitentums zu verbinden. Außer an Sonntagen aß der Kartäuser allein in seiner kargen Zelle, wo er viel Zeit bei Gebet und Betrachtung verbrachte. Außerhalb des Chorgebets, der täglichen Kapitelversammlung und eines wöchentlichen gemeinsamen Spaziergangs hatten die Mönche ein striktes Schweigegebot einzuhalten. Trotz seiner rigorosen Regeln erfuhr der 1170 vom Papst anerkannte Kartäuserorden vor allem im Spätmittelalter eine weite Verbreitung und brachte insbesondere viele Nonnenkartausen hervor.
Generationen wussten diese Zahl noch weiter zu steigern. Vor allem begannen sie, auch die Oktav, also die Woche nach einem Festtag, von den Fastenregelungen auszunehmen. Besonders in Cluny war man begeistert von den vielen Heiligenfesten und der damit verbundenen Möglichkeit, auch zu Zeiten des Fastens zu zwei Mahlzeiten am Tag zu kommen. Gegenüber den Zisterziensern, die sich über die laxe Fastenmoral in Cluny mokierten, verteidigte sich Abt Petrus Venerabilis: Die Zisterzienser würden doch auch an den Sonntagen der Fastenzeiten zweimal essen, und das, obwohl die Benediktregel dies gar nicht vorsehe:
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Wenn ihr recht daran tut, zur Ehre des Herrn an den Tagen des Herrn die Fasten zu unterbrechen, tun wir ebenso recht daran, zur Ehre des Herrn und seiner Diener an deren Festen
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zweimal zu essen.3
Petrus Venerabilis erkannte durchaus das Problem, dass die
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Vielzahl der Feste in Cluny das Fasten ganz und gar illusorisch zu machen drohte. Überhaupt hegte er den Verdacht, man begehe die Festtage mehr aus Liebe zu den damit verbundenen Annehmlichkeiten denn aus Hingabe zu den Heiligen. Er beschnitt deshalb die Anzahl der Festtage in der Zeit vom 13. September bis zum Beginn der vorösterlichen Fastenzeit und schaffte alle Oktaven mit Ausnahme der Weihnachtsoktav wieder ab. Das bedeutete, dass während der Wintermonate in der Woche nach einem Festtag nur eine Mahlzeit eingenommen werden durfte. Damit befanden sich die Cluniazenser zumindest im Ansatz in der guten Gesellschaft der Kartäuser, Zisterzienser und einiger Nonnenkonvente, unter ihnen der von Le Paraclet. Mit Berufung auf die Kirchenväter hatte Petrus Abaelard die Frauen streng ermahnt, dass Festtage für den Geist, nicht für den Bauch geschaffen seien. Sehr eigenwillig legte man in Cluny allerdings seit dem 11. Jahrhundert das Gebot der Regel aus, von Pfingsten bis Mitte September die beiden Fastentage Mittwoch und Freitag einzuhalten. Wie selbstverständlich erhielten die Mönche an Das gemeinsame Mahl
Die Mönche aßen gemeinsam im Refektorium. Alle Mahlzeiten hatten bei absolutem Schweigen eingenommen zu werden. Die Brüder verständigten sich einzig mit Handzeichen. Das Mahl begleitete die geistige Lesung eines Bruders aus der Heiligen Schrift oder anderen erbaulichen Texten. Er versah diesen Dienst eine Woche lang und durfte erst nach der Mahlzeit selbst essen. Benedikt von Nursia weist darauf hin, dass nicht alle Brüder reihum den Lesedienst übernehmen sollten, sondern nur die, die eine schöne Stimme hätten.
Askese oder Genuss?
diesen Tagen zwei Mahlzeiten. Lediglich am ersten Mittwoch nach der Pfingstoktav gab es nur eine Mahlzeit. Danach aber wurde an diesem Tag das Fasten durch Arbeit oder Gebet ersetzt, da die Benediktregel es gestattet, an besonderen Arbeitstagen das Fasten zu unterbrechen. „Obwohl wir darin fortfahren, von Pfingsten bis Mitte September an jedem Tag der Woche zur sechsten Stunde zu essen nach Weisung des Abtes, glauben wir darin keinen Anstoß zu erregen und auch nicht von der Regel abzuweichen“, rechtfertigte sich Petrus Venerabilis erneut. Zur Begründung verwies der Abt von Cluny darauf, dass die Benediktregel es ja dem Abt überlasse, nach Notwendigkeit den Brüdern an den beiden Fastentagen das Essen zur Sext zu erlauben. Die Zisterzienser ließen sich davon nicht überzeugen: „Ihr fastet, wann ihr wollt, ihr brecht das Fasten, wann ihr wollt. Nicht ihr unterwerft euch der Regel, sondern ihr habt die Regel euch unterworfen!“4 Doch die Fastenregeln, die Benedikt von Nursia aufgestellt hatte, wurden nicht nur aufgeweicht – es gab auch Verschärfungen. Gerade für die Karwoche und an den Vigilien, den Vortagen großer Kirchenfeste, wurden Fastentage neu eingeführt. Vor allem in den asketisch-eremitischen Gemeinschaften des Hochmittelalters wurde weit strenger gefastet, als es die Benediktregel vorgesehen hatte. Dort war es die Regel und nicht die Ausnahme, mit einer Mahlzeit am Tag auskommen zu müssen.
Die Gerichte der Hauptmahlzeit
Bei der Hauptmahlzeit, egal ob sie zur Sext oder an Fastentagen erst zur Non eingenommen wurde, sollten der Regel zufolge zwei gekochte Gerichte (pulmentaria) gereicht werden: „Wer etwa von der einen Speise nicht essen kann, dem bleibt zur Stärkung die andere.“5 Frisches Obst und Gemüse, sofern vorhan-
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den, durften als drittes Gericht hinzugefügt werden. Ein pulmentarium war kein Menügang oder eine Beilage, sondern „ein einheitliches Gericht, das sowohl aus gekochten als auch aus rohen Speisen bestehen kann, also Brei, Gemüse, Hülsenfrüchte, Salate“.6 Schon im 9. Jahrhundert aber wurden nicht selten ein oder zwei zusätzliche Gerichte aufgetischt, die man in Cluny und Hirsau als Pitantia und Generale bezeichnete. Das Wort Pitantia signalisiert von seinem Ursprung (lat. pietas = Barmherzigkeit) her, dass es sich dabei um etwas Zusätzliches, außerhalb der Regel Gewährtes handelte. Außerhalb der Fastenzeit wurde am Montag, Mittwoch und Freitag zwischen den beiden regulären Gerichten die Pitantia aufgetragen, an den anderen Tagen das Generale. Der Unterschied lag darin, dass das Generale jedem einzelnen Mönch serviert wurde, die Pitantia sich aber stets zwei Brüder teilen mussten – was das Generale unzweifelhaft beliebter machte. Fasten bedeutete in Farfa, Cluny und Hirsau, dass an jedem Montag, Mittwoch und Freitag der vorösterlichen Fastenzeit „nur zwei Gerichte bereitet werden“7, mit denen sich die Brüder zufrieden geben mussten. An den übrigen Tagen der Fastenzeit war in manchen Klöstern, etwa in Farfa, zumindest die Pitantia keineswegs unüblich. An Festtagen war sie fest eingeplant. In einigen Abteien schienen sich denn auch die Tische unter der Last der Speisen zu biegen. Sieben Gänge hatte das Weihnachtsmenü im Kloster St. Vanne bei Verdun im ausgehenden 11. Jahrhundert. Nacheinander wurden „Aal mit Ei, ein Gericht aus Brot und Fleisch, Gans, ein Gericht aus Brot und Milch, Hecht mit schwarzem Pfeffer, Teigwaren und fettes Schweinefleisch“ aufgetragen, dazu gab es kleine Brote und gebackene Waffeln.8 Die Reformorden mochten erschaudert sein bei solchen Speisenfolgen, und dies nicht aus kulinarischen Gründen. Im-
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merhin versuchten sie, unter rigoroser Regelbefolgung zu leben. Die zwei gekochten Gerichte des heiligen Benedikt gönnten sich die Kartäuser nur an Festtagen, sonst gaben sie sich mit einem pulmentarium zufrieden, und das war nicht immer gekocht. Die Zisterzienser hielten im Allgemeinen streng an den zwei Gerichten fest. Ein Generale war für beide Orden völlig undenkbar, wohl aber waren selbst sie einer gelegentlichen Pitantia nicht abgeneigt. Vor allem die Zisterzienser sparten nicht an Vorwürfen gegenüber den Cluniazensern, deren Ernährungsgewohnheiten wie so oft der Regel widersprächen. Dort verteidigte man sich mit dem Hinweis, schon Christus habe an Gastmählern teilgenommen und habe dort verschiedene Speisen vorgesetzt bekommen. Und von Gelagen könne in Cluny ja keine Rede sein, bei dem vielen Chordienst fehle den Mönchen schlicht die Zeit dazu. Wenig Zwist zwischen den einzelnen benediktinischen Familien gab es erstaunlicherweise hinsichtlich der Abendmahlzeit, der Coena. Laut Benedikt sollte sie lediglich aus Brot bestehen. Dass vielerorts dazu eine kleine Beilage, Obst, rohes Gemüse und Kräuter gegessen wurde, in Cluny sogar etwas Gebäck, störte nicht einmal die Zisterzienser, denn sie selbst praktizierten es in der Regel nicht anders.
Das täglich Brot
Brot war wie für die meisten Menschen des Mittelalters auch für die Mönche und Nonnen wichtigste Grundlage ihrer Ernährung. Ein Pfund (etwa 300 Gramm) am Tag gestand ihnen die Benediktregel zu, mit der Auflage, an den Tagen, an denen zweimal gegessen wurde, ein Drittel davon für abends aufzusparen. Erneut lag es im Ermessen des Abtes, bei anstrengender körperlicher Tätigkeit die Brotration zu erhöhen. Entsprechend
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begann in den Reformklöstern alsbald die Diskussion über die Gelegenheiten, wann denn mehr Brot zu reichen war. Die hart arbeitenden Zisterzienser gestatteten sich während der Erntezeit ein zusätzliches Pfund Brot, die Laienbrüder erhielten sogar noch etwas mehr. In Cluny hingegen brauchten die Mönche nicht erst körperlich zu arbeiten, um mehr Brot zu bekommen. Wer sein Brot zu Mittag schon aufgegessen habe, der sollte abends noch ein zusätzliches halbes Pfund bekommen, so bestimmten es die Consuetudines. Petrus Venerabilis warf den Zisterziensern Kleinlichkeit vor, als diese mit dem Finger auch auf diesen Regelverstoß zeigten. Gebacken wurde zumeist mit Roggen- oder Weizenmehl, wobei Weizenmehl mitunter mit Kleie vermischt wurde. In Cluny und Hirsau gab es neben grobem, dunklem Brot auch eine hellere, als ‚besser‘ bezeichnete Brotsorte. Auch reines Weißbrot ist dort belegt. Die Mönche schätzten es sehr, doch war es vor allem Festtagen vorbehalten. Auch Kranke kamen dann und wann in den Genuss von Weißbrot, von dem sie schneller wieder zu Kräften kommen sollten. Diesem Gedanken verschlossen sich auch die Zisterzienser nicht und gestatteten Gästen und den Mönchen, die zur Ader gelassen worden waren, etwas Weißbrot. Sonst aber begnügten sie sich mit grobem Weizen-, Roggen- und Haferbrot. Letzteres kannten auch die strengen Kartäuser und andere eremitische Gemeinschaften des 12. Jahrhunderts. Während man in den Kartausen auf harten, zwiebackähnlichen Broten kaute, erfreuten sich insbesondere Cluniazenser und Hirsauer zu besonderen Anlässen auch ganz besonderer Brote. Der in der Asche gebackene panis subcinerus, das Aschebrot, ist eigentlich eine rudimentäre Form des Kuchens. In Cluny erhielten ihn die Kranken, während sich im jungcluniazensisch ausgerichteten Fruttuaria zu Weihnachten jeder Mönch daran erfreuen durfte.
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Obst und Gemüse
Neben Brot gehörte Obst zu den Nahrungsmitteln, die fast täglich auf dem Speiseplan der Mönche standen. Die Regel empfahl, wann immer es frisches Obst oder Gemüse gebe, dies zusätzlich zur Hauptmahlzeit zu reichen. Vielerorts bürgerte es sich ein, dieses abends zum Brot, das vom Mittag übrig war, zu essen. Die Gewohnheiten von St. Gallen legten eigens fest, dass das Obst in kleinen Schalen aufgetragen werde. Zum großen Teil waren die Klöster auf die Früchte angewiesen, die die eigenen Obstgärten hervorbrachten. Dies waren insbesondere Äpfel, Birnen, Kirschen, Quitten, Pflaumen und Beerenfrüchte. Daneben bereicherten besonders im Herbst auch Nüsse den Tisch der Mönche und Nonnen. Hildegard von Bingen legte Wert darauf, dass das Obst nach der Ernte ungekocht, aber geschält serviert wurde. Dass es in Hirsau ein eigenes Handzeichen für den Bratapfel gab, mag darauf hindeuten, dass man diesen dort als besondere Köstlichkeit zu schätzen wusste. Auch die Gemüse und Kräuter entstammten dem eigenen Anbau. Im Schwarzwaldkloster Hirsau erwärmte man sich kaum für die Vorliebe der Cluniazenser, Zwiebeln als eigenes Gericht zu essen. Knoblauch und Zwiebeln kannte und verwendete man zwar, man hielt sich aber dennoch lieber an Gurken, Sellerie, Portulak, Rettich und Rüben. Gemüse, Kräuter und Salate konnten gekocht oder roh serviert werden, aber auch angemacht in Essig und Fett. Die Gewohnheiten, gerade was den Gebrauch von Öl und Fett betrifft, unterschieden sich deutlich. Die Zisterzienser lehnten beides ab und aßen auch an Festtagen nur ohne Öl und Fett gekochte Gemüse und Kräuter. Eine besondere Bedeutung in der Ernährung der Mönche besaßen Hülsenfrüchte. Die Cluniazenser bevorzugten ihre Bohnen, wenn diese das Hauptgericht waren, mit Speck – dies
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„Derr Löffel“
Froumund will mich in fettigen Brei tauchen. / Zuerst, als er mich geformt hat, hat sich mein Schöpfer an mir erfreut.“ (um 1000, Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Gedicht XXXIV.) Der Löffel, zunächst aus Holz gefertigt, war in der Tat das wichtigste Essbesteck im Kloster. Gabeln verwendete man, da sie in ihrer Gestalt dem Dreizack des Teufels ähnelten, erst im Spätmittelalter zum Vorlegen der Speisen.
natürlich nur außerhalb der vorösterlichen Fastenzeit. Das Aushülsen der Bohnen und deren Zubereitung gehörte zu den wenigen Arbeiten, die die Mönche selbst zu verrichten hatten. Von der rohen Bohne bis zum Bohnengericht war es ein langer Weg, den die Consuetudines von Cluny und Hirsau detailliert beschreiben. Die enthülsten und gewaschenen Bohnen werden vom Küchendienst über Nacht eingeweicht und am nächsten Morgen noch dreimal gewaschen. Im Kessel werden sie unter Abschöpfen des Schaumes über das Feuer gestellt, bis sie platzen. Die Bohnen sind nun vom Feuer zu nehmen und erneut zu waschen. Unterdessen haben die Mönche in einem sauberen Topf Gemüse, wohl Zwiebeln, Lauch oder Knoblauch, zusammen mit Speck gekocht. Diese aromatische Mischung wird nun in die Bohnen gegeben, die noch gesalzen werden. Am Schluss wird gekostet, „ob sie gut sind“.9 Zahlreich sind die Hinweise, dass an Festtagen wie Weihnachten und Pfingsten auf die Hülsenfrüchte verzichtet werden sollte. Dafür sollten Zwiebeln und Kuchen aufgetragen werden. Da die Brüder in der eigens für die Mönche bestimmten Küche nichts anderes als Hülsenfrüchte kochen durften, darf man vermuten, dass vielleicht der Wunsch dahintersteckte, nicht über-
Askese oder Genuss?
mäßig arbeiten zu müssen. Doch waren die Mönche vermutlich der vielen Bohnen zuweilen überdrüssig. Ein aus Verdun entlaufener Mönch schmähte sie gar als Kost, „die die barbarischen Franzosen essen sollten“.10 Selbst der „Antibernardus“, der Cluny gegen alle Angriffe der Zisterzienser so eifrig verteidigte, gestand, dass er von Ekel gegen diese Speisen ergriffen sei und wies wenig dezent darauf hin, dass Hülsenfrüchte ohnehin nur Blähungen verursachten.
Eier, Milch, Käse und Fisch
Nicht alle Klöster haben im Frühmittelalter Eier und Milchprodukte auf ihrem Speiseplan zugelassen, da es sich bei ihnen um tierische Produkte handle. Schnell jedoch hatte man diese Bedenken verworfen und schätzte sie nicht nur als wohlschmeckende, sondern auch als stärkende Gerichte. Eier und roher oder gekochter Käse wurden fast ausschließlich als Generale oder Pitantia zwischen den Hauptgerichten serviert. Vier Eier oder ein Stück Käse sahen die Cluniazenser für eine Pitantia, und gar fünf Eier und Käse für ein Generale vor. Gerade für Eierspeisen hatte man dort ein ausgesprochenes Faible. Eier mit Pfeffer, Eier mit Aal, gefüllte Eier, Eier mit Soße und im Fett gesottene Eier gehörten zum Repertoire des Küchenmeisters. Zisterzienserabt Bernard von Clairvaux konnte angesichts der cluniazensischen Kochkunst nurmehr resigniert den Kopf schütteln: Wer kann schon sagen, auf wie viele Weisen allein schon Eier
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[…] gedreht und gequält werden, mit wieviel Fleiß sie auseiausei nander geholt, geschlagen, flüssig oder hart gemacht und verkleinert werden, bald geröstet, bald geschmort, mal gefüllt, mal gemischt oder einzeln aufgetischt werden.11
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Anders als Eier und Käse war Fisch auch in der Fastenzeit erlaubt und hoch beliebt, denn er war als Generale meist Sonnund Feiertagen vorbehalten. Ebenso wie Eier lehnten jedoch die Zisterzienser zunächst Fisch als nicht der Regel gemäß ab und reagierten einmal mehr mit Unverständnis auf die ‚alten‘ Benediktiner. Dabei aßen selbst die Kartäuser Fisch, wenn auch nur selten. Neben heimischen Fischen wie Forelle, Hecht und Karpfen kannte man in Hirsau unter anderem auch Lachs, Hering, Brasse, Tintenfisch, Barbe und Salm. Offenbar galt der Hausen, ein Flussstör, als besondere Delikatesse, die nicht leicht aufzutreiben war. Abt Gozpert von Tegernsee klagte um die Jahrtausendwende bitter darüber, dass sich in der Gegend des Klosters gar kein Fischgewässer befände und bittet den Empfänger deshalb um Fisch. Nicht nur der heutige Leser dieses Briefes wird erstaunt die Stirn runzeln, liegt das Kloster mit dem verräterischen Namen doch direkt am östlichen Ufer des Tegernsees, in dem auch damals schon eifrig gefischt wurde. Gozperts eigentliches Anliegen war denn auch anderer Natur: Nicht irgendeinen Fisch wollte er haben, sondern einen Hausen. 150 Jahre später gehörte Tegernsee zu den Klöstern, die selbst großzügig Hausen an andere Klöster oder Würdenträger verschenkten. Offenbar hatte die Abtei Land in einer Gegend erworben, in der der begehrte Fisch zu fangen war.
Der Zank ums Fleisch
Am Fleisch schieden sich die Geister und erhitzten sich die frommen Gemüter. „Auf das Fleisch vierfüßiger Tiere sollen alle verzichten, außer die ganz schwachen Kranken“, lehrte die Benediktregel.12 Hieß dies nun, dass das Fleisch von Geflügel erlaubt war? Dass sich Benedikt dazu nicht explizit geäußert hatte, wurde lange Zeit großzügig als schweigendes Einver-
Askese oder Genuss?
ständnis interpretiert. Selbst im Kloster Monte Cassino verzehrten die Mönche an Weihnachten und Ostern Geflügel. Nach einigem Widerstreben folgte auch Benedikt von Aniane dieser Praxis, erlaubte aber freiwilligen Verzicht. Im 10. und 11. Jahrhundert ist Geflügel in den Klöstern erstaunlich wenig belegt, selbst in Cluny. In der Frühzeit des Klosters, so berichtet Petrus Venerabilis mit Schaudern, hatte ein Mönch dort ein Huhn gegessen und war zur Strafe jämmerlich erstickt. Erst im ausgehenden 11. und 12. Jahrhundert nahm in Cluny der Verzehr von Geflügel wie Hühnern, Gänsen, Rebhühnern, Fasanen und Tauben zu. Die Zisterzienser lehnten Fleischgenuss mit Ausnahme für die Schwerkranken strikt ab und verwiesen mit anhaltender Vehemenz auf das Fleischverbot der Benediktregel. Den Cluniazensern warfen sie vor, sich krank zu stellen, um auf dem Krankenlager Fleisch gereicht zu bekommen, so verderbt seien ihre Sitten. Für den cluniazensischen „Antibernardus“ indes war Fleischgenuss weit weniger schlimm als ständig blähende Hülsenfrüchte in sich hinein zu schaufeln. Trotz aller Verteidigungsversuche musste auch Abt Petrus Venerabilis eingestehen, dass in Cluny und seinen Prioraten das Fleischverbot der Benediktregel längst aufgeweicht war. Tatsächlich äßen die Mönche dort Schweinefleisch, Rindfleisch, Hirsch, Kalb, Hase, Ziege, Eber und sogar Bär und Biber. Und dies nicht einmal heimlich, sondern ganz offen. Aufgrund seines geschuppten Schwanzes wurde der Biber schamlos als Fisch interpretiert. Ein Umdenken war dringend erforderlich. Eindringlich schärfte er seinen Mönchen ihr Gelübde und den Gehorsam gegen die Regel ein. Immerhin hatte auch der hochverehrte Abt Odo den Fleischverzehr schärfstens abgelehnt. Seine Bemühungen waren freilich wenig von Erfolg gekrönt. Zu Beginn des Spätmittelalters lockerte sich das Fleischverbot in den Klöstern immer mehr.
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Ein Mönch, vermutlich ein Cellerar, füllt Wein aus einem Fass und verkostet ihn. Er trägt die große Tonsur und den weiten, faltenreichen Habit der Cluniazenser.
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Der Wein der Mönche
Das klassische Getränk, mit dem der Mönch des Mittelalters oft in Verbindung gebracht wird, ist der Wein. Benedikt von Nursia gestattete seinen Mönchen Wein, allerdings etwas widerwillig und nur unter mahnenden Worten: Zwar lesen wir, der Wein passe überhaupt nicht für Mönche,
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weil aber die Mönche heutzutage sich davon nicht überzeuüberzeu gen lassen, sollten wir uns wenigstens darauf einigen, nicht bis zum Ü Übermaß zu trinken, sondern weniger. Denn der
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Wein bringt sogar die Weisen zu Fall.13
Eine Hemina, etwa ein viertel Liter, sollte deshalb genügen. Nicht alle Klöster hielten sich daran. In vielen Abteien war es Brauch, sich zu festgesetzten Zeiten, meist zwischen Non und Vesper, im Refektorium zu versammeln und von der den Mönchen zugewiesenen Weinration, der Iustitia, zu trinken. Genauso wie Generale und Pitantia als zusätzliche Gerichte bei den Mahlzeiten Einzug in die Reformklöster hielten, so wurde den Mönchen in Cluny und Hirsau auch beim Wein die ein oder andere Sonderration, die Caritas (lat. caritas = Nächstenliebe), gewährt, und zwar bevorzugt dann, wenn besonders anstrengende liturgische Dienste zu verrichten waren. Wem diese aber nicht reichte, der konnte immer noch auf einen kleinen Nachschub hoffen. Der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux, dem Luxus wie die Caritas völlig zuwider waren, schildert voll Abscheu, wie die Mönche in Cluny den Wein nicht nur unverdünnt tränken, sondern davon auch noch so viel, dass sie betrunken vom Tisch aufstünden und ins Bett wankten. Kein Wunder, dass sie bei den nächtlichen Vigilien nur Geweine und Gestammel herausbrächten. Der „Antibernardus“ leugnet auch gar nicht,
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dass es in Cluny den ein oder anderen trunksüchtigen Mönch gebe. Das seien aber längst nicht alle. Ferner solle man doch Nachsicht üben. Schließlich brauche ein Mönch, der viel Zeit beim Psalmodieren verbringe, auch viel Flüssigkeit. Und im Übrigen sei es in trunkenem Zustand zweifellos das beste, gleich ins Bett zu gehen. Auch Sandrat, der unbeliebte Beauftragte König Ottos I., der in St. Gallen die Gorzer Lebensweise einführen sollte, trank häufig einen über den Durst. Des Nachts hob er in seinem volltrunkenen Zustand dann so laut an zu schnarchen und zu schnauben, dass die anderen Mönche nicht zur Ruhe kamen. Und so wie toll sich gebärdend, stand er endlich auf, ohne
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Rock und mit nackten Füßen, um sein Wasser zu lassen, und benässte über und über den Schemel am Bett des Vaters Ruomo, der sich wegen Sandrats Unruhe momentan entfernt
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hatte.14
Während Cluniazenser und Hirsauer ihren Wein nur im Sommer mit Wasser vermischten, tranken die meisten anderen Mönche des Mittelalters ihren Wein generell verdünnt. Sehr beliebt, und dies nicht nur in Cluny, war der mit Honig und Gewürzen verfeinerte Würzwein, der häufig an Feiertagen als Caritas ausgegeben wurde. Gegen diese aromatische Aufbereitung polemisierten die Zisterzienser besonders, und selbst Petrus Venerabilis sah sich veranlasst, nur noch am Gründonnerstag das Beimengen von Honig, nicht aber von Gewürzen zu gestatten. Als Grund gab er an, dass es wohl kaum im Sinne der Benediktregel sei, für teures Geld Gewürze einzuführen, nur um sie dem Wein beizumischen. Während die Kartäuser Gewürze nur soweit zuließen, dass sie die Speisen essbar machten, betonten die Zisterzienser, man solle sich mit heimischen Kräutern und Gewürzen zufrie-
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den geben. In den meisten Kräutergärten der Klöster wuchsen denn auch Fenchel, Dill, Wermut, Koriander, Kornrade, Kerbel, Petersilie, Salbei und Raute. Daneben aber entwickelte das 12. Jahrhundert eine besondere Vorliebe für exotische Gewürze. Die großen Abteien der Benediktiner standen da den großen Fürstenhöfen in keiner Weise nach und verbargen manch wohlriechende Kostbarkeit im Gewürzschränkchen, darunter Pfeffer, Safran, Nelke, Kümmel und Zimt. Insbesondere die Cluniazenser und Hirsauer, aber auch die gorzisch-lothringischen Klöster dürften in Fragen des Essens und Trinkens gerade aus der Sicht der strengen Zisterzienser die Benediktregel an allen Ecken und Enden verbogen und gebrochen haben. Doch waren ihre Küchen die Geburtsstätten der mittelalterlichen Kochkunst. Ihr Bestreben, auch an Fastentagen erlesene Speisen aufzutischen und einfache Gerichte zu veredeln, führte zu munterem Experimentieren in den Klosterküchen und letztlich zu großen kulinarischen Fortschritten.
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Das leibliche Wohl: Hygiene und Krankheit
er Gedanke ans Mittelalter evoziert häufig das Bild von Straßen und Plätzen voller Unrat und Fäkalien, von ungewaschenen Menschen mit schlechten Zähnen und offenen Geschwüren in zerlumpter und schmutziger Kleidung. Heutigen Maßstäben von Sauberkeit und Hygiene könnten Mittelalter und der größte Teil der Neuzeit in der Tat nicht genügen. Dennoch gehörte bereits in den Benediktinerklöstern des Hochmittelalters die regelmäßige Körperpflege zu den grundlegenden Anforderungen, die Mönch und Nonne zu erfüllen hatten. Schon die Bestimmungen zur Sauberhaltung der Kloster-
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gebäude und die gelegentliche Ermahnung, das Ausspucken zu unterlassen, zeugen davon, dass vor allem Cluniazenser und Hirsauer Wert auf ein bestimmtes Maß an Reinlichkeit legten. Dies schloss den eigenen Körper der Mönche mit ein.
Waschen und Kämmen
Das Mönchtum der Spätantike hatte der Körperhygiene keine besondere Beachtung geschenkt. Bei den eremitischen Gemeinschaften jener Tage galt der Verzicht auf Reinlichkeit als besondere asketische Übung. So weit ging Benedikt von Nursia freilich nicht. Das Leben in Gemeinschaft hatte den Maximen der gegenseitigen Rücksichtnahme zu folgen. Für ihn war eine an-
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gemessene Reinlichkeit wohl so selbstverständlich, dass er kaum Worte darüber verlor. Aus der Regel ist ersichtlich, dass die Mönche regelmäßig Hände und Füße wuschen. Die Tücher, mit denen sie sich abtrockneten, sollten einmal in der Woche vom Küchendienst gewaschen werden. Die Fußwaschung war zuvorderst ein Akt der Demut und der Gastlichkeit: Die Mönche spendeten sie sich gegenseitig und allen Gästen des Klosters. Bäder sah Benedikt von Nursia insbesondere für die Kranken vor. Die gesunden Brüder jedoch sollten, vor allem wenn sie jung waren, nur selten in den Genuss eines Bades kommen. Mit den Cluniazensern mehrten sich die Vorschriften zur Körperpflege beträchtlich. Bei ihnen rief vor allem die Unsauberkeit der Einsiedler, die in leibfeindlicher Askese ihren Körper verkommen ließen, große Abscheu hervor. In Cluny sollten sich die Mönche mehrmals täglich, das erste Mal morgens, Gesicht und Hände waschen und sich kämmen. Auch in Hirsau folgte man diesem Brauch: Die Brüder sollen auch nicht vergessen, ihre Messer zu sich
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zu nehmen. Sie waschen sich die Hände und wenn sie wollen auch das Gesicht. Vier Handtücher sind aufgehängt, jeder trockne sich nur an dem ab, an welchem es die seines Standes tun. Eines ist für die Priester, eines für die Diakone, eines für die Subdiakone und die ungebildeten Nichtpriester, das vierte für jene bestimmt, welche keine gesunden Hände haben. Dann kämme man sein Haupt und besprenge sich mit
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Weihwasser.1
Ganz selbstverständlich wuschen und trockneten sich die Mönche vor jedem Essen sorgfältig die Hände, bevor sie ins Refektorium gingen, und die Tischdiener hatten mit dem Auftragen der Speisen zu warten, bis alle Brüder aus dem Waschraum zurück waren. Einer der Zirkatoren achtete darauf, dass sich
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niemand vor dem Händewaschen drückte oder diesem Gebot nur nachlässig nachkam. Besondere Aufmerksamkeit widmete man der Sauberkeit in der Küche. Nicht nur die Küchengeräte, Schüsseln und Pfannen hatten makellos gepflegt zu sein. Auch die Küchenhelfer, so führen es die Consuetudines von Cluny und Hirsau sorgsam aus, durften keine Schuhe fetten, keine Wäsche und erst recht keinen Toten waschen. Besonders die, die beim Brotbacken mithalfen, sollten vorher Hände und Arme reinigen:
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Bei der Arbeit selbst sollen die, die mit dem Teig zu tun haben, nicht psallieren oder den Mund öffnen, damit kein Speichel in den Teig gerate. Ebenso dürfen sie, wenn sie schwitzen,
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nicht mit den Händen das Gesicht berühren.2
Die Regeln hatten nicht allein mit Ästhetik zu tun. Sie folgen auch dem Prinzip der Rücksichtnahme im engen Zusammenleben der Konventsgemeinschaft. Vielleicht hatte man in den Reformklöstern auch einen grundlegenden Zusammenhang zwischen mangelnder Hygiene und Krankheiten erkannt. Für diese vorsichtige Annahme sprächen Verordnungen, die das Händewaschen der Mönche zusätzlich nicht nur aus rituellen Gründen vor dem Altardienst, sondern auch nach jedem An- und Ausziehen der Schuhe und nach den Fußwaschungen forderten. Ob die Brüder in Hirsau sich nach der Verrichtung der Notdurft generell aus hygienischen Gründen die Hände waschen sollten, oder weil dieses häufig vor dem Stundengebet erfolgte und sie die Kirche nicht mit verunreinigten Händen betreten sollten, ist aus den sonst sehr detaillierten Constitutiones des Wilhelm von Hirsau nicht klar ersichtlich.
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Der Gang zum stillen Örtchen
Generell aber war der Gang zur Latrine in den Reformklöstern eine Angelegenheit, bei der nichts dem Zufall überlassen wurde. Zum Austreten gab es festgesetzte Zeiten, in der Regel morgens nach dem Aufstehen, vor dem Essen, nach der Mittagsruhe und abends. Auf jeden Fall sollten die Küchen- und Altardiener die Latrinen aufsuchen, bevor sie mit ihrer Arbeit begannen und nachdem sie sie beendet hatten. Außerhalb dieser Zeiten war die Verrichtung der Notdurft nur mit Erlaubnis gestattet. Nachts hatten die Novizen ihren Meister zu wecken, der sie dann mit einem Gleichaltrigen zu der nur für sie vorgesehenen Latrine zu begleiten hatte. Auf dem St. Galler Klosterplan ist ein Gang vom Dormitorium zu den Latrinen eingezeichnet, welche mit einer Reihe von Sitzen und einer Laterne ausgestattet war. Weitere Latrinen gab es unter anderem beim Pförtnerhäuschen, neben dem Novizenhaus, dem Schulgebäude, dem Gästehaus und dem Krankenhaus. Die große Latrine neben dem Dormitorium in Farfa hatte exakt 45 Sitze, über denen kleine Häufchen von Reisig aufgerichtet waren, welche der Reinigung dienten. Alternativ wurde dazu das weichere Heu verwendet, das während der Erntezeit gesammelt und in die Latrinen gebracht wurde.
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Man soll weiches Heu von den Wiesen in die Latrinen brin bringen, und davon reichlich. Man verwende auch Blätter, die im Kloster wachsen. Ist kein Heu zur Hand, so sollen die Brüder
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Reisig verwenden.3
Alle Aborte wurden außerdem mit Lampen und Kerzen bestückt. Jeden Abend sollte der Prior kontrollieren, ob die Latrinen in ordentlichem Zustand waren. Die wöchentliche Reinigung erfolgte, wie bereits erwähnt, am Samstag. Beim Ausfegen
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Beim nächtlichen Gang zur Latrine stürzt ein Mönch die Treppe hinunter. Über der zweisitzigen Latrine erkennt man ein Holzgestell mit Heu oder Stroh zum Abputzen.
sollten die Diener dabei „das hinterlassene Heu, das die Woche über dort verstreut wurde, zur Klostermauer tragen“.4 Die Detailtreue, mit der Wilhelm von Hirsau in den von ihm verfassten Constitutiones selbst die intimsten Verrichtungen seiner Mönche einer genauen Ordnung unterwarf, hat ihm von der älteren historischen Forschung mitunter die Kritik einer engstirnigen Reglementierungssucht eingebracht. Der Abt von Hirsau aber wollte keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Brüder nehmen. Er verabscheute jegliches „Sich-gehen-lassen“. Affektbeherrschung und Sauberkeit hingegen waren wahre mönchische Tugenden: „Äußere Disziplinlosigkeit lähmte den Willen zur Askese. Innere Unordnung machte sich in äußerer Form- und Disziplinlosigkeit bemerkbar.“5 Obgleich die Zisterzienser nach einem Leben in Askese strebten, vernachlässigten sie ihr Äußeres nicht, verwendeten
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insgesamt aber weniger Zeit auf die Körperpflege als die ‚alten‘ Benediktiner.
Das Bad
Äußerst zurückhaltend hatte sich bereits Benedikt von Nursia über das Baden geäußert und es im Grunde nur den Kranken in vollem Umfang zugebilligt. Dabei wusste man in spätantiker Zeit bereits um die entspannende Wirkung eines Vollbads für Körper und Geist und betrachtete Asketen, die absichtlich darauf verzichteten, mit einer Mischung aus Bewunderung und Abneigung. Lange Zeit herrschte Unsicherheit, was man mit der entsprechenden Passage der Benediktregel, den gesunden, kräftigen Mönchen nur selten ein Bad zu gestatten, anfangen sollte. Während einige Konvente des Frühmittelalters das Vollbad für Gesunde grundsätzlich als verboten betrachteten, badeten andere drei- bis viermal im Jahr. Benedikt von Aniane schließlich bestimmte zwei allgemeine Badetermine für den gesamten Konvent jeweils zu Weihnachten und Ostern. Daran hielten sich auch die Cluniazenser, während die Mönche in Fruttuaria bisweilen noch zu Pfingsten in den Genuss eines zusätzlichen Bads kamen. Die Klöster der gorzisch-lothringischen Reform, die sich sonst sehr streng an die Regeln Benedikts von Aniane hielten, erweiterten die zwei fest vorgegebenen Termine auf insgesamt fünf. Es waren dies zumeist Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Allerheiligen und der Festtag des Klosterpatrons. An diesen von den Consuetudines festgelegten Tagen durfte jeder Mönch, egal ob gesund oder krank, ein Bad nehmen. Manche Consuetudines betonen aber, dass das Bad kein Zwang sei. Da der Mönchsvater Benedikt das Wannenbad für die kranken Brüder ausdrücklich begrüßte, ersuchten viele Mönche unter dem Hinweis,
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in Sorge um ihre Gesundheit zu sein, um die Erlaubnis zusätzlicher Bäder, welche wohl recht leicht zu erlangen war. Während einige Klöster zumindest einen Raum zur Verfügung hatten, in dem die Badezuber aufgestellt waren, gab es in St. Gallen gleich mehrere Badehäuser. In einem solchen sollte einst ein Diener des Klosters auf Geheiß des Abtes einem betrügerischen Bettler romanischer Herkunft, der vorgab, gelähmt zu sein, ein Bad bereiten. Ungehalten über die seines Erachtens allzu große Gutmütigkeit des Abtes und darüber, dass er allein den schwergewichtigen Mann in den Zuber hieven musste, hatte er das Badewasser mit Absicht bis zum Siedepunkt erhitzt. „Und so rief [der Gelähmte] in seiner [romanischen] Bauernsprache: ‚Cald est, cald est!‘ Worauf der andere – denn im Deutschen bedeutet das ‚es ist kalt‘ – entgegnete: ‚Und ich wills erwärmen!‘“ Noch einmal schöpfte er kochendes Wasser aus dem Kessel und goss es ins Bad, und auf die noch lauteren Schreie des Gelähmten noch ein weiteres Mal. Doch da hielt jener die Siedehitze des Wassers nicht mehr aus; er vergaß seine Lähmung, schnellte hoch und sprang aus
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dem Bad, und da er zur Tür stürzte, sie aufzuschließen und zu entfliehen, mühte er sich eine ganze Weile an dem Riegel ab. Doch auch der Diener blieb nicht faul und riss, wie er be-
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griff, dass der Mensch ein Betrüger sei, im Umdrehen ein halb brennendes Scheit vom Feuer und maß dem nackten Kerl ungezählte Streiche auf.6
Das Bad für die Mönche wurde in Cluny vom Cellerar und seinen Gehilfen bereitet. Einige frühmittelalterliche Consuetudines weisen sicherheitshalber darauf hin, dass die Mönche einzeln und nicht etwa zu zweit in einem Zuber baden sollten. Dem Prior Lanfrank von Le Bec zufolge hatte dort ein älterer Mönch an den Badetagen die Vorbereitungen zu überwachen
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und auch die Reihenfolge der Badenden festzulegen. Nachdem sie sich „schicklich“ entkleidet hatten, nahmen sie schweigend hinter einem Vorhang ihr Bad. „Wer genügend gewaschen ist, verweile dort nicht noch zum Vergnügen.“7 Das Zeichen zum Stundengebet war in Cluny und Hirsau kein Anlass, um übereilt aus dem Zuber zu stürzen. War man nämlich bereits im Bad oder hatte eben erst mit dem Ausziehen der Schuhe begonnen, so durfte man dem gemeinsamen Chorgebet fernbleiben. So saßen also die Mönche schweigend in ihren Zubern und wuschen sich mit dem warmen Wasser. Nach dem Bad wurden die Kleider gewechselt. Wilhelm von Hirsau verbietet ausdrücklich, nach dem Bad das alte Hemd wieder anzuziehen. Auch durften die Mönche nicht mit nassen Haaren in den Konvent zurückkehren.
Rasieren und Haareschneiden
Die Badetage waren immer auch Anlass zur Rasur, denn die Mönche des Mittelalters waren bartlos oder ließen sich nur einen kurzen Bart stehen. Nur die Laienbrüder der Hirsauer sorgten mit ihren buschigen Bärten nicht selten für Spott und Gelächter konservativer Konventsmitglieder. Ebenso wie beim Waschen und Baden durften sich die Mönche freilich nicht nach Gutdünken rasieren. Die Rasur erfolgte gemeinsam zu festgesetzten Terminen und war streng ritualisiert. Während sich die gorzisch-lothringischen Mönche außerhalb der Fastenzeit alle 12–14 Tage rasierten, befreiten sich die Cluniazenser nur durchschnittlich alle 18 Tage vom Bart. Die etwa 20 Termine, an denen dies zu geschehen hatte, lagen meist vor wichtigen Kirchenfesten. Nachdem die Brüder jedoch immer wieder zu verstehen gaben, dass ihnen das Rasieren im Winter besonders lästig sei, strich Abt Petrus Venerabilis
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Zwei Mönche beim Rasieren der Tonsur. Buchmalerei, ca. 1220 –1230
die Zahl der Tage auf 14 zusammen. An sechs oder sieben Terminen schließlich rasierten sich die Zisterzienser und Kartäuser. Nachdem die Küchendiener das Wasser für die Rasur bereitet hatten, versammelten sich die Mönche nach cluniazensischem und hirsauischem Brauch im Kreuzgang. Dort setzten sie sich in zwei Reihen auf Bänke. Nun wurden Rasiermesser und Becken mit lauwarmem Wasser oder, wie in Hirsau, Seifenlauge verteilt, und zwar so, dass jeweils zwei Mönche der einen Bank ein Becken, und zwei Mönche der anderen Bank ein Messer erhielten. Nun rasierten sich die Brüder gegenseitig. Der Rasierende hatte vorher seine Frocke abgelegt, der zu Rasierende die Kukulle. Die ganze Prozedur erfolgte unter Psalmengebet. Da
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die gegenseitige Rasur die besonders ruhige Hand dessen verlangte, der das Messer führte, legte Wilhelm von Hirsau großen Wert darauf, dass jeder Mönch sich in der Kunst des Rasierens übte. Wer nicht bereit sei, diese zu erlernen, der müsse zur Strafe am Tag der Rasur auf seine Weinration verzichten. Anders als das Bad war die Rasur freilich kein Grund, das Stundengebet zu vernachlässigen: Die, die bis zum ersten Zeichen zum Gebet noch nicht rasiert werden konnten, können bis zum zweiten warten. Sind sie
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dann immer noch nicht fertig, dürfen sie deswegen das Gebet nicht versäumen, sondern sollen ihm mit der Kukulle über der Frocke bekleidet beiwohnen. Doch sollen sie den Chor
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nicht betreten […] Nach dem Stundengebet können sie die Rasur im Kreuzgang unter Gesang der bekannten Psalmen und Litaneien beenden.8
Rasiert wurde häufig nicht allein das Barthaar, auch die Tonsur der Mönche musste erneuert werden. Nachdem die Haare mit Seifenlauge gewaschen worden waren, wurde die Kopfmitte mit dem Rasiermesser geschoren und gegebenenfalls der Haarkranz (Corona) mit einer Schere nachgeschnitten. Die D ornenkrone der Mönche
Die Tonsur der Mönche, jene kreisförmig geschorene Stelle auf dem Haupt, sollte den Verzicht ihres Trägers auf irdische Dinge symbolisieren. Wie die Dornenkrone Jesu Christi ließen die Mönche (und auch einige Nonnen) nur einen Haarkranz stehen. Die Größe der Tonsur war einer der vielen Streitpunkte zwischen den einzelnen benediktinischen Zweigen.
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Frocken auf der Wäscheleine
Die Benediktregel hatte verfügt, dass alle Brüder ihre Kleidung selbst waschen sollten. In der Tat belegen die Quellen des Frühmittelalters, dass in den Klöstern diese Regel weitgehend befolgt wurde und die Mönche nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Kleider der Kranken und Alten reinigten und das Leder ihrer Schuhe selbst einfetteten. Im Großkloster Cluny hingegen übernahmen der Granatar und dessen Wäscher diese Arbeit. Diese gingen jeweils dienstags ins Kloster und sammelten die Wäsche der Mönche ein, die am Samstag dann sauber zurückgebracht wurde. Alle Kleidungsstücke waren eigens mit Namen gekennzeichnet, damit jeder Mönch das Richtige zurückerhielt. Das Waschen und Einfetten der Lederschuhe, das auch zu den Aufgaben gehörte, die ein Mönch selbst erledigen musste, hielt insbesondere Petrus Venerabilis für einen Großteil des Konvents von Cluny für unnötig. Solange die Mönche noch in Regen und Schmutz draußen gearbeitet hätten, sei die Schuhpflege natürlich selbstverständlich gewesen. Jetzt aber, da manche Brüder nur alle ein oder zwei Jahre aus dem Kloster kämen und ihre Schuhe sauber und so gut wie neu seien, könne man sie nicht dazu zwingen, die Schuhe besonders zu pflegen. Wollte ein Mönch aber selbst waschen, so sollte er seine Kleider erst einweichen und während der Redezeit, wenn nötig, mit einer Lauge waschen. Die nassen Kleider sollten anschließend zum Trocknen auf eine Leine gehängt werden. Auch Ungewaschenes hängte man zum Auslüften dort auf, in Hirsau allerdings keine ungewaschenen Frocken, Kukullen, Hemden, Hosen oder Schuhe. Besonders war darauf zu achten, die Wäsche am Abend wieder abzunehmen. Auch in den Frauenklöstern legte man Wert auf eine saubere Kleidung. Die Nonnen hatten diese selbst zu waschen und
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überhaupt regelmäßig zu wechseln, um das Ungeziefer zu bekämpfen, wie Petrus Abaelard dies begründet.
Der kranke Mönch
Bei aller Sorge um eine ausreichende Ernährung, um saubere, wärmende Kleidung und regelmäßige Körper- und Wohnhygiene wurden Mönche und Nonnen auch krank und bedurften besonderer Pflege. Neben den Gebrechen, die das Alter mit sich brachte, bewegten vermutlich die selben Krankheiten wie heute die Mönche dazu, den Infirmarius (lat. infirmus = krank), den Krankenmeister, aufzusuchen. Nicht alle monastischen Bewegungen der Spätantike und des Mittelalters teilten die Einstellung Benedikts von Nursia, in Ausübung christlicher Nächstenliebe den Kranken eine eigene Unterkunft, besondere Nahrung und die bestmögliche Pflege angedeihen zu lassen. Besonders die asketisch ausgerichteten Gemeinschaften tendierten dazu, Krankheiten zu ignorieren, in ihnen bestenfalls ein Opfer oder eine Bußleistung zu erblicken. Selbst der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux, dessen Orden den Kranken sonst liebevolle Fürsorge zuteil werden ließ, berichtet nicht ohne ein wenig Stolz, dass er und alle seine Brüder, seit sie Mönche seien, kranke Mägen hätten. Für ihn war Krankheit ein Gnadengeschenk Gottes, das den Blick des Menschen auf das Wesentliche lenke. Es schicke sich nicht, über Krankheiten des Körpers zu lamentieren, wo es doch die Seele sei, die der Heilung bedürfe. So spottete man in Cluny über die „leichenblassen und blutleeren Gesichter“9 der Zisterzienser und vermutete, die kranken Mägen rührten daher, dass sie zu gierig die auftreibenden Bohnengerichte äßen. Da halte man sich doch an die bewährte cluniazensische Lebensweise, durch die die Gesundheit wenigstens nicht gefährdet werde.
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Im Krankenhaus
Fühlte ein Mönch sich krank, so bat er zunächst um die Erlaubnis, sich auszuruhen, bis es ihm wieder besser gehe. Befiel ihn eine plötzliche Krankheit während des Chordienstes, so durfte er den Chor auf keinen Fall verlassen, sondern musste ausharren, bis das Stundengebet beendet war. Ausnahmen in Cluny waren nur Nasenbluten und starke Schmerzen, doch musste sich der Mönch hinterher für sein Fehlen entschuldigen. Ging es ihm nach zwei oder drei Tagen trotz leichteren Dienstes nicht besser, meldete er dies in der Kapitelversammlung. Meist wurde er dann ins Krankenhaus geschickt. Während der Infirmarius bereits Bettzeug sowie Becher und Löffel des Kranken holte, machte der Kranke sich auf den Weg ins Krankenhaus oder wurde von Mitbrüdern dorthin geführt. Die Krankenhäuser der Klöster hatten meist mehrere Räume, in Cluny waren es fünf. Auf diese wurden die Kranken verteilt, je nachdem, ob sie Fleisch essen durften oder nicht. In Hirsau war ein Raum unter anderem für die Diener bestimmt, ein anderer diente dem Aderlass und zur Wundkontrolle bei Brandverletzungen. Einige chronisch Kranke, meist Greise, schliefen zwar im Krankenhaus, nahmen jedoch zusammen mit dem Konvent die Mahlzeiten ein. Hingegen waren die Schwerkranken ganz von der Gemeinschaft isoliert. Sie verrichteten das Chorgebet in eingeschränkter Form in einer eigenen, an das Krankenhaus angeschlossenen kleinen Kapelle. Als besondere Erleichterung wurde ihnen nicht nur mehr Schlaf gestattet, sie durften zur Stärkung auch Fleisch essen und bekamen häufiger als ihre gesunden Mitbrüder Wein und Würzwein zu trinken. Zudem reichte man ihnen auch in der Fastenzeit des öfteren Eier und Milchprodukte. Als äußeres Zeichen ihrer Sonderstellung musste ein jeder von
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ihnen nun aber stets die Kapuze aufsetzen und einen Stock bei sich führen. Die Zisterzienser unterstellten den Cluniazensern des öfteren, sie würden sich ungeniert krank stellen und als Gesunde mit dem Stock herumlaufen, nur um in den Genuss von Fleisch zu kommen. Befand der Infirmarius, der kranke Mönch könne nun das Krankenhaus wieder verlassen, so informierte er Abt oder Prior darüber. Dieser gab schließlich die Erlaubnis, dass der Kranke wieder am Konventsleben teilnehmen dürfe. Der Genesene gab sodann den Stock ab und begab sich zurück zu den anderen Brüdern. Am nächsten Morgen hatte er jedoch dafür, dass er während seiner Krankheit seine Pflichten vernachlässigt, Fleisch gegessen und anderen zur Last gefallen sei, in einem Akt der Selbstdemütigung Genugtuung zu leisten: „Ich war im Krankenhaus und habe unsere Regel, wie ich es hätte tun müssen, nicht eingehalten.“10 Der Abt sprach ihn daraufhin von seinen Vergehen los und legte ihm eine Buße auf. Der Mönch war wieder gesund.
Medizin im Kloster
In erster Linie konzentrierten sich der Infirmarius und seine Helfer darauf, in Erfüllung ihrer Christenpflicht dem Erkrankten die größtmögliche Zuwendung und Pflege zukommen zu lassen. Das hieß aber nicht, dass sie es wie Bernhard von Clairvaux hielten, der ärztliche Kunst ganz und gar ablehnte und Krankheiten sich selbst überließ. Viele von ihnen konnte man zwar nicht heilen, dennoch versuchte man, die mit ihnen einhergehenden Leiden zu lindern. Das Repertoire an chirurgischen Eingriffen war dabei nicht sehr groß. Man versuchte sich an der Einrichtung von Knochenbrüchen, auf die sich wohl Notker von St. Gallen besonders gut verstand. Daneben wurden Zähne gezogen und kleinere Fleischwunden versorgt. Äu-
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ßere Wunden und Entzündungen wurden zur Desinfektion mit einem Brenneisen ausgebrannt und anschließend verbunden. Eine besondere Rolle spielte der Aderlass. Antikem Wissen zufolge brachte er die Körpersäfte ins Gleichgewicht und reinigte das Blut. In den mittelalterlichen Klöstern glaubte man zudem daran, dass der Aderlass sexuelle Begierden vertreibe. Doch nicht nur deshalb war er unter den Mönchen und Nonnen beliebt, sondern auch, weil der zur Ader Gelassene wie ein Kranker einige Vergünstigungen wie Fleisch und Würzwein für sich beanspruchen konnte. Obschon bereits Karl der Große sich über die große Blässe der blutleeren Nonnen mokiert hatte, setzten viele Konvente bestimmte Termine fest, an denen sich auch Gesunde zur Ader lassen konnten. In einigen Abteien taten die Brüder dies selber und mussten auch selbst darauf achten, nicht zuviel Blut zu verlieren. In anderen Klöstern hingegen begaben sich die Mönche in kundigere Hände von heilkundlich versierteren Brüdern. Das Hauptaugenmerk der Klostermedizin jedoch lag zweifelsohne in der Kräuterheilkunde durch besondere Tränke, Salben, Tinkturen und Umschläge. Die meisten Kräuter und Gewürze, die in den Klostergärten wuchsen oder von außen erworben wurden, fanden in Küche und Krankenhaus gleichermaßen Verwendung. Zu diesen zählen besonders Raute, Fenchel, Salbei, Wermut, Mohn, Lilie, Rose, Ysop, Stabwurz-Eberraute und Ingwer. Ergänzend zu den Erzeugnissen der eigenen Gärten wurden regelmäßig Helfer in die Wiesen und Wälder nahe dem Kloster ausgeschickt, die die dort wachsenden Wildkräuter sammeln sollten. Zudem fanden auch teure Exportgewürze Einsatz in der medizinischen Versorgung: In der Vorratskammer des Hirsauer Infirmarius sollten unter anderem Pfeffer, Kümmel, Zimt und Ingwer niemals fehlen, damit er bei plötzlich aufkommenden Schmerzen schnell einen Würzwein bereiten
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konnte. Der „Antibernardus“ war überzeugt, dass mit wohlriechenden Pulvern gewürzte Weine, Bier und Met für den Magen äußerst gesund seien. Kein Wunder, dass die Zisterzienser Magenschmerzen hätten, wenn sie immer nur Wasser tränken! Auch Propst Otto von Rottenbuch versuchte seinen Bruder, den Abt Rupert von Tegernsee, mit Ratschlägen aus dem Kräuterhandbuch zu kurieren: Nehmt zur Zeit keine scharfen Getränke zu Euch. Ich habe
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Euch Rinde geschickt, die Ihr beruhigt einnehmen könnt. […] Nehmt das andere Kraut, das ich Euch geschickt habe, am frühen Morgen nüchtern ein. Trinkt jeden Morgen kaltes Wasser und lauft nach dem Trinken ein wenig hin und her. Zerteilt einen Rettich zur Größe von Denaren und betretet ein trockenes Dampfbad. Sobald ihr Wasser auf die Steine gießen müsst, esst den Rettich, den Ihr kräftig gesalzen habt,
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und schwitzt. Das wird Wunder wirken.11
Krampfadern, Gicht und Nasenbluten
Erkältungskrankheiten waren ebenso wie heute auch in den Klöstern des Mittelalters weit verbreitet. Besonders behandelt wurden sie wohl nicht. Nur sollten die verschnupften Brüder aufpassen, wo und wie sie ihren Schleim absonderten. Nasenbluten und Erbrechen waren wohl Folgen asketischer Übungen und werden entsprechend häufig erwähnt. Die Betroffenen wurden nicht besonders behandelt, sondern hatten sich lediglich zu entschuldigen, wenn sie deswegen am Chorgebet verhindert waren oder dieses abbrechen mussten. Viele vor allem ältere Mönche und Nonnen litten an Gicht oder waren gehbehindert. Ihnen wurde dadurch Erleichterung verschafft, dass sie in der Kapitelversammlung nicht zu stehen brauchten und einen Stock benut-
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zen durften. Besonders schwer Beeinträchtigte waren auch von den Prozessionen befreit und durften im Krankenhaus schlafen. Der „Antibernardus“ führt die Krampfadern, von denen viele Brüder betroffen seien, auf das lange Stehen im Chor zurück. Blinde und schwer sehbehinderte Mönche waren bei ihren täglichen Verrichtungen sehr auf die Hilfe ihrer Mitbrüder angewiesen. Auch sie gehörten zu denen, die einen Stock verwenden durften. Andere Vergünstigungen, was Erleichterungen des Fastens oder besondere Speisen anbelangte, bekamen sie nicht, sofern sie nicht durch weitere Leiden beeinträchtigt waren. Besserer Speisen bedurften der Ansicht des „Antibernardus“ nach jedoch die Fettleibigen, denn auch die seien krank. Auch wenn den Cluniazensern der Vorwurf gemacht wurde, besonders viele übergewichtige Mönche in ihren Mauern zu beherbergen, woran nur ihre Lebensweise und das übermäßige Essen schuld seien, wundert sich ein anklagender Zisterzienser über seine eigene Leibesfülle:
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Mein Gesicht ist aufgedunsen, mein Bauch steht hervor. Ich weiß nicht, warum ich fett bin, der ich bei grobem Brot und rohem Gemüse unter harter Hände Arbeit schwitze.12
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Als Ursache für die meisten Krankheiten nannte man ein Ungleichgewicht der Körpersäfte. Hildegard von Bingen vertrat die Theorie, zuviel Schlaf verursache Fieber und Erregung des Fleisches, deshalb sei das nächtliche Aufstehen der Mönche und Nonnen von Vorteil. Zudem hätten sich die Speisen und Getränke des Vortages nun in etwas anderes verwandelt, und der Körper könne sich davon befreien. Verschlimmerte sich jedoch der Zustand eines Mönchs so, dass sein baldiges Ableben wahrscheinlich war, nahm der ganze Konvent daran Anteil. Nichts war im Mittelalter mehr gefürchtet als das jähe Hinscheiden ohne die Möglichkeit der Buße und
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Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux auf dem Sterbebett
Reue. Niemand wollte unvorbereitet vor den Schöpfer treten. Im Kloster versammelte sich die Gemeinschaft der Brüder vor dem Lager des Sterbenden und bereitete ihn durch Gebete und das Spenden des Buß- und Sterbesakraments in feierlichem Ernst auf den Tod vor. Schloss der Mönch schließlich für immer die Augen, begleiteten ihn seine Mitbrüder durch Gebete, Totenwachen und eine Messe für seine Seele bis an sein Grab. Sein Name wurde ins Totenbuch des Konvents aufgenommen, auf dass auch künftige Generationen Jahr für Jahr seiner gedachten.
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Ein Hort der Bildung: In Schule und Skriptorium
chon früh hatten sich die Klöster des Abendlandes einen Ruf als hell leuchtende Stätten der Bildung und des Wissens erworben. Neben Gebet und Arbeit war die geistige Lesung die dritte Säule, auf der das benediktinische Mönchtum ruhte. Unermüdlich lasen und forschten die Mönche und Nonnen und schufen zahlreiche eigene Werke der Gelehrsamkeit. Die ersten großen Klosterschulen waren im 7. und 8. Jahrhundert auf den Britischen Inseln eingerichtet worden, bevor
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sie sozusagen im Gepäck angloirischer Missionare wie dem heiligen Bonifatius schließlich auch den Kontinent eroberten. Mit der Bildungsreform Karls des Großen, der sich für ein einheitliches Niveau in der Wissensvermittlung im Frankenreich einsetzte, nahmen die Klosterschulen großen Aufschwung und überflügelten bald die Domschulen in ihrer Bedeutung als Träger von Bildung und Kultur. Im Jahr 817 wurde zwar verfügt, dass nur die Knaben und Mädchen, die dem Kloster als Oblaten übergeben wurden, in den Klöstern unterrichtet werden sollten, doch erhielten weiterhin auch adlige Kinder von auswärts Unterricht, auch wenn sie nicht für den Mönchsstand vorgesehen waren. Viele Eltern schickten ihre Kinder bewusst in Klosterschulen wie Fulda oder Tours, wo die hochberühmten Lehrer Hrabanus Maurus († 842) und Alkuin († 804) wirkten.
Ein Hort der Bildung
Erste Unterrichtsjahre
Kam ein Kind im Alter von durchschnittlich sieben Jahren erstmals in die Schule, galt es zunächst, ihm Rechnen, Lesen und Schreiben beizubringen. Der Rechenunterricht umfasste das Kennenlernen der Kardinal- und Ordnungszahlen sowie einfache Additionen und Subtraktionen. Das Schreiben mit Feder und Griffel war schwierig, zumal für kleine Kinderhände. Doch aller Anfang ist schwer, und was man als Kind nicht lernt, bleibt einem später vielleicht für immer verschlossen. So erging es Karl dem Großen, der oft nachts noch über einem Buch saß. Obwohl er mit großer Mühe Buchstaben entziffern konnte, wollte ihm das Schreiben einfach nicht gelingen. Wie das „Formelbuch“ Notkers des Stammlers zeigt, lernte der Schüler im Leseunterricht zunächst, die einzelnen Konsonanten des Alphabets mit den Vokalen zu Silben, diese zu Wörtern und diese wiederum zu Sätzen zu verbinden. Wortund Satzbildung wurden anhand auswendig gelernter Psalmenverse zusätzlich erläutert. Texte lesen zu können, hieß nicht, sie auch zu verstehen. Besonders dann nicht, wenn sie in einer fremden Sprache verfasst waren, nämlich auf Latein. Der Lateinunterricht wurde zum dauerhaften Begleiter der Klosterschüler. Damals wie heute galt es, Vokabeln auswendig zu lernen und sich die Grammatik anzueignen. Von Anfang an wurde den Schülern durch Dialoge mit dem lehrenden Magister der aktive Gebrauch der Sprache vermittelt. Grundlage für den Unterricht bildete lange Zeit unangefochten die Elementargrammatik des Aelius Donatus († um 380), die Ars grammatica in vier Büchern. Immer wieder wurde das Werk abgeschrieben und kommentiert und war so bekannt und geschätzt, dass es zur Grundlage fast aller späteren Ab-
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Ein Mönch unterrichtet eine Gruppe von Schülern. Buchmalerei, um 1350
handlungen über die Grammatik wurde. Es dürfte keinen Klosterschüler gegeben haben, der ‚den Donat‘ nicht kannte. Die elementaren Regeln einer Sprache, Wortbildung, Satzbau, Deklination und Konjugation zu erlernen, war mühsam. Zeitgenössische Abbildungen zeigen die Allegorie der Grammatik denn auch als Frauengestalt mit einem Rutenbündel in der Hand, weil sie nicht nur die Sprache in Zucht nahm, sondern den Schüler gleich mit. Wer die Schwierigkeiten des Lateinischen aber gemeistert hatte, dem eröffneten sich unendliche Welten des Wissens. Nicht nur die Bibel, die Schriften der Kirchenväter, die vielen Werke der Hagiographie, die Benediktregel und die eigenen Consuetudines waren in lateinischer Sprache verfasst. Auch
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Werke der Dichtung, Geschichtsschreibung und des Rechts waren nur auf der Basis der lateinischen Sprache zu erfassen. Fast unsere gesamte Kenntnis über die römische Antike verdankt sich den Mönchen des Mittelalters, die die Werke Vergils, Senecas, Ciceros und vieler anderer Autoren abschrieben und vor dem Untergang bewahrten. Insbesondere in cluniazensischen Kreisen hatte man darüber diskutiert, die Werke der antiken Heiden aus den Klöstern zu verbannen, doch wurden sie als Lehrschriften für besonders gutes Latein fast allerorten eifrig rezipiert. So wundert es nicht, dass auch anzügliche Dichtungen wie die des Ovid und Catull ganz selbstverständlich zum Lektürekanon der Mönche gehörten. Und täglich entstanden in Prosa und Versform in den Schreibstuben neue Werke, sei es über das Veredeln von Obstbäumen, über Tierstimmen, die Taten eines Herrschers oder über ein theologisches Thema. Doch bevor der Schüler in die Tiefen und Untiefen der lateinischen Literatur eintauchte oder als Autor selbst zur Feder griff, hatte er die Pflichtlektüre fast aller Klosterschüler hinter sich zu bringen. An ausgewählten Werken beispielsweise von Sedulius, Venantius Fortunatus, Prudentius, Terenz oder Horaz sollte er sein erlerntes Wissen anwenden und vertiefen. Neben Latein spielte Griechisch zunächst keine große Rolle und Werke antiker griechischer Autoren wurden kaum Literr atur über die Heiligen
Der Bereich der Hagiographie (griech. hagios = heilig) umfasst alles, was über Leben, Wundertaten und Leiden von Heiligen und Märtyrern aufgeschrieben wurde. Die Schriften dienten nicht nur der Erbauung, sondern auch der Rechtfertigung einer Heiligsprechung (Kanonisierung).
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gelesen. Theophanu († 991), die byzantinische Gattin Kaiser Ottos II., brachte für kurze Zeit zwar etwas griechisches Flair ins kalte ostfränkisch-deutsche Reich und animierte den ein oder anderen wissbegierigen Mönch zum Erlernen der fremden Sprache. Eine intensive Beschäftigung mit dem Griechischen brachte jedoch erst die verstärkte Rezeption der Werke des Aristoteles seit dem 12. Jahrhundert. Jetzt hielten auch die Volkssprachen langsam Einzug in die mittelalterliche Schriftlichkeit.
Sieben freie Künste
Nach erfolgreich absolvierter Schreib- und Sprachschulung hatte der Schüler genügend Wissen und Kenntnisse erworben, um eine höhere Bildung zu erhalten und in die Geheimnisse der septem artes liberales („sieben freie Künste“) eingeweiht zu werden. Diese waren ein Kanon von sieben Fächern, die sich nach römischer Vorstellung für einen freien Mann ziemten und im Vergleich zu den artes mechanicae („praktische Künste“, unter anderem Landwirtschaft, Medizin und die Berufe des Handwerks) höher bewertet wurden. Die sieben freien Künste wurden unterteilt in drei logischargumentative Fächer sowie in vier mathematische Fächer: Das grundlegende Trivium (‚Dreiweg‘) umfasste die Rhetorik, Grammatik und Dialektik (Logik), das darauf aufbauende Quadrivium (‚Vierweg‘) die Arithmetik (Zahlentheorie), Geometrie, Musik und Astronomie. Grundlage für die Vermittlung dieser Disziplinen wurde das im 5. Jahrhundert entstandene Werk Die Hochzeit der Philologie mit Merkur des Martianus Capella. Darin wurde erstmals der gesamte Fächerkanon beschrieben und erläutert. Im Mittelalter erfuhr das Werk eine weite Verbreitung und Kommentierung. Für Alkuin und andere Gelehrte der Karolingerzeit waren
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Die Weisheit (Sapientia), umgeben von den sieben freien Künsten. In der Mitte oben die Grammatik mit der Rute. Herrad von Landsperg, Hortus deliciarum, 12. Jahrhundert. Umrisszeichnung nach fol. 32 der 1870 in der Bibliothek in Straßburg verbrannten Handschrift
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die septem artes liberales sieben Stufen, die der Mensch erklimmen musste, um zur wahren Weisheit und Einsicht zu gelangen. Nur mit ihnen konnten die Heilige Schrift und die Werke der christlichen Autoren in all ihrer Tiefe durchdrungen werden. Doch waren die sieben freien Künste nicht nur Mittel zum Zweck. Die Klosterschulen vermittelten sie auch um ihres eigenen Bildungswertes willen. Allerdings konzentrierten sie sich dabei hauptsächlich auf die Fächer des Trivium und vermittelten nur Teile des Quadrivium, so etwa den Computus als einen Teil der Arithmetik. Wann n ist eigentlich Ostern?
Das Fest der Auferstehung Jesu Christi wird seit dem Konzil von Nicäa 325 am Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond gefeiert. Im Mittelalter wurden die Termine für das bewegliche Fest anhand der Mondzyklen berechnet. Diese Osterfestberechnung wurde als Computus (lat. ‚Berechnung‘) bezeichnet.
Seit dem 12. Jahrhundert wurden die sieben freien Künste nicht mehr nur in den Kloster- und Domschulen gelehrt, sondern auch an den noch jungen Universitäten. Dort gehörten sie zu den Fächern des studium generale, die der Scholar durchlaufen musste, bevor er sich der Theologie, Medizin, Jurisprudenz oder Philosophie zuwenden durfte.
In der Schule
Der Unterricht im Kloster fand in den großen Abteien wie St. Gallen, Corvey, Fulda oder Reichenau oft in einem separaten Gebäude statt. Dabei wurden die Oblaten, die künftigen Mön-
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che, getrennt von den ‚äußeren‘ Schülern, den künftigen Weltgeistlichen und Laien, unterrichtet. Die Schüler lernten hauptsächlich durch Zuhören und Auswendiglernen vom Magister. An Büchern standen vor allem liturgische Werke zur Verfügung, sowie ein an der Wand befestigtes Pergamentblatt, auf das die Buchstaben des Alphabets geschrieben waren. Für ihre eigenen Schreibübungen hatten sie kleine Wachstäfelchen, in die sie Buchstaben einritzen und wieder verwischen konnten. Nur wer sicher lesen konnte und die Schreibwerkzeuge zu beherrschen wusste, durfte sich an die ersten ungelenken Buchstaben und Worte wagen und erst mit profundem Grundwissen das teure Pergament beschreiben. Die Klosterschulen nahmen ihren Bildungsauftrag sehr ernst. Egal ob künftiger Mönch, Weltgeistlicher oder Laie, Kinder neigen zu Unüberlegtheiten und sind leicht verführbar. Umso fester musste man sie bei der Hand nehmen, umso sorgsamer ihren Geist bilden. Das Kind galt als formbar wie weiches Wachs, sein Verstand als noch leer wie eine unbeschriebene Tafel. Obwohl die Schüler, wenn sie Oblaten waren, mit Rücksicht auf ihre Jugend und körperliche Unreife die ein oder andere Erleichterung im klösterlichen Alltag erfuhren, hatten sie wenig Gelegenheit zu Ausgelassenheit und Spiel. Wie sehr dürften sich die Knaben in St. Gallen gefreut haben, als ihnen König Konrad I. (911–918) bei einem Besuch des Klosters jährlich drei Tage zum Spielen gewährte und später der Bischof von Konstanz befahl, dass sie an diesen Tagen Fleisch bekommen sollten. Sonst aber herrschte ein rauer Ton in den Schulstuben. „Oft habe ich euch belehrt, habe euch durch Schriften und Worte genährt; zwar bin ich bissig im Ton, aber ich liebe euch von Herzen“, schreibt Froumund von Tegernsee – nach eigenen Angaben ein Lehrer aus Berufung –, an seine Schüler und verrät uns, dass er häufig Strenge walten ließ.1 Wo der Abt seine Mön-
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che körperlich züchtigen durfte, war die Rute auch für ungehorsame und schlecht lernende Schüler völlig normal. Bischof Anselm von Canterbury († 1109) konnte darüber freilich nur den Kopf schütteln. Eines Tages nämlich beschwerte sich ein Abt bei ihm über die Schüler seines Klosters: „Was, frage ich Dich, ist mit ihnen zu tun? Sie sind verkehrt
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und unverbesserlich! Tag und Nacht lassen wir nicht davon ab, sie zu schlagen, und doch werden sie immer schlechter und schlechter.“ Darauf wunderte sich Anselm: „Ihr hört nicht auf, sie zu schlagen?“, fragte er. „Und wenn sie dann erwachsen sind, wie sind sie dann?“ „Stumpfsinnig und viehisch.“ Darauf Anselm: „Zu welchem Guten hast Du all Eure Erziehungsbemühungen aufgewendet; aus Menschen hast Du Tiere erzogen.“ „Aber“, sagte jener, „was sollen wir dann tun? Wir zwingen sie auf alle Arten, damit sie gedeihen, und sie gedeihen doch nicht.“ „Ihr zwingt sie? Sage mir, ich frage Dich, Herr Abt, wenn Du einen Baumschößling in Deinem Garten pflanzest und ihn bald darauf von allen Seiten derart einengst, dass seine Zweige keinen Raum zur Entfaltung
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finden, wie wird dieser Baum dann gedeihen?“2
So modern Anselms Gedanken heute anmuten mögen, im Mittelalter machten sie buchstäblich keine Schule. Als im Jahr 937 ein St. Galler Schüler der Prügelstrafe, die ihn und seine Kameraden erwartete, entgehen wollte, steckte er mit einem brennenden Holzscheit das Schulhaus in Brand. Das Feuer griff alsbald auf die anderen Klostergebäude über und verheerte sie völlig. St. Gallen brauchte lange, um sich von diesem Unglück zu erholen. Im gleichen Kloster schien aber nicht nur die Rute zu regieren. Wiederholt ist in den Quellen vom guten und liebevollen Verhältnis der Lehrer Iso und Notker zu ihren Schülern die
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Rede. Auch wird der Lerneifer der Knaben, die man häufig mit einem Buch in der Hand ins Gespräch mit dem Lehrer vertieft stehen sehe, lobend hervorgehoben. Dem stand jene unbekannte Schülerin im Kanonissenstift zu Essen in nichts nach, als sie ihre Äbtissin darum bat, nachts mit ihrer Lehrerin Adalu aufbleiben zu dürfen: „Ich versichere und schwöre Euch mit beiden Händen, dass ich die ganze Nacht deklinieren oder lesen oder für unsere älteste Nonne singen will.“3
Vom Bücherschrank zur Bibliothek
Die etwas unbeholfene, kindliche wirkende Sprache der vorausgegangenen Zeilen lässt darauf schließen, dass es sich bei dieser schriftlichen Bitte um keine Stilübung handelte, die aus Klöstern reichlich überliefert sind. In geschliffener Sprache wurde entweder der Abt für seine große Milde gelobt und die Liebe beteuert, mit der man sich ihm in allem ergebe. Oder es wurde seine übermäßige Strenge getadelt, die er durch größere Nachsicht ersetzen möge. Zusammen mit anderen Briefvorlagen und Gedichten wurden solche Texte häufig in Florilegien gesammelt, großvolumigen Sammelbänden mit oft kunterbuntem Inhalt, und in der Klosterbibliothek aufbewahrt. Die Büchersammlungen der Klöster wurden von den Zeitgenossen nicht als Bibliothek, sondern als Armarium („Schrank“) bezeichnet. Der Name verrät viel über die Anzahl und Art der Aufbewahrung der Bücher zumal in kleineren Klöstern. Umberto Eco weckt falsche Vorstellungen, wenn er in seinem Roman Der Name der Rose unzählige, zu einem Labyrinth angeordnete Räume mit tausenden und abertausenden von Büchern bestückt. Buchbestände von mehreren hundert Codices waren im Hochmittelalter die Ausnahme und ohnehin nur in den großen, einflussreichen Abteien zu finden. Die meisten an-
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Gehee imnisvolle Bücher
Während eines Kirchenjahres wurde nicht der ganze Text der vier Evangelien in der Messe verkündet, sondern festgelegte Ausschnitte (Perikopen) in einer bestimmten Reihenfolge. Dem Lauf des Kirchenjahres folgend (Beginn: 1. Advent), enthielt ein Perikopenbuch genau diese für jeden Sonntag vorgesehenen Tagesevangelien (Perikopen) in ihrer Anordnung im Jahreslauf. Im Frühmittelalter wurden Perikopenbücher auch als Evange-
listare bezeichnet. In einem Evangeliar hingegen waren die vier vollständigen Evangelien niedergeschrieben. Ein Sakramentar enthielt eine Beschreibung der liturgischen Handlungen der Messe sowie die Gebete, die der Priester sprach. Seit dem 11. Jahrhundert wurde es allmählich durch das Missale ersetzt.
deren Klöster bewahrten ihre Bücher in einem oder mehreren Schränken oder Truhen oder in einer vergitterten Wandnische im Kreuzgang auf. Der Grundbestand einer solchen Büchersammlung waren die Bücher, die für den täglichen liturgischen Brauch vonnöten waren: Biblische Texte, Väterschriften und Regelwerke. Vollbibeln waren im Früh- und Hochmittelalter eher selten. So gab es eigene Psalter, Evangelienhandschriften, Apokalypsen und Perikopenbücher, zudem eigens für die Messfeier bestimmte Handschriften. Daneben benötigte ein Kloster eine Reihe von Werken für den Schulunterricht und für das Studium der Mönche. Oft hatte sich schon herumgesprochen, welches gefragte Werk in welchem Kloster zu finden war. Also schrieb man dem Abt und bat um Erlaubnis, sich das Buch zur Abschrift ausleihen zu dürfen. Auch die Bücher, die man bereits besaß, wurden im eigenen Kloster abgeschrieben und die Abschriften dann verkauft oder verschenkt. Die größte Auszeichnung war es, wenn Bischöfe,
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Adlige oder gar der König Bücher in einer bestimmten Abtei bestellten. So kam es, dass die Pferde der Boten, die im Früh- und Hochmittelalter zwischen den einzelnen Klöstern hin- und herwechselten, oft mit mehreren Büchern bepackt waren. Durch die Praxis des Leihens und Verleihens konnte Froumund den Bestand der Tegernseer Klosterbibliothek nicht nur um Ciceros Briefe, die Oden des Horaz oder Cassiodors Historia tripartita erweitern, sondern auch um die seltener nachgefragten satirischen Werke des Statius, Persius und des Juvenal. Im dortigen Skriptorium wurden so fleißig Bücher abgeschrieben, dass die Bibliothek im 12. Jahrhundert als eine der größten im Süden des Reiches galt. Um die Übersicht über die eigenen Bestände nicht zu verlieren, gerade was die verliehenen Bände betraf, führte der Armarius, der Bibliothekar, ein Inventar, das sich seit dem Spätmittelalter zu wahren Katalogen auswuchs. Wehe dem, der die kostbaren Bücher nicht im selben Umfang oder Zustand zurückgab, in dem er sie bekommen hatte! Als das Kloster St. Gallen von den Ungarn bedroht wurde, war man froh gewesen, die Buchbestände ins Kloster Reichenau in Sicherheit bringen zu können. Hinterher aber musste man feststellen, dass doch sehr viel weniger Bücher den Weg zurück nach St. Gallen gefunden hatten. Bitter klagte schließlich auch Froumund, dass er ein verliehenes Buch schwer beschädigt, beschmutzt und mit Falten zurückerhalten habe.
Im Skriptorium
Sein Zorn war berechtigt, denn Bücher waren kostbar und ihre Herstellung eine lange und schwierige Prozedur. Für die Buchherstellung bevorzugte man die Haut von Schafen, Ziegen und
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Kälbern. Bis ins 14. Jahrhundert hinein war das robuste Pergament der Beschreibstoff der Wahl, und auch danach setzte sich Papier nur sehr langsam durch. Zunächst wurde die Tierhaut zur Enthaarung in ein Kalkbad gelegt und anschließend zum Trocknen in einen Holzrahmen gespannt. Behutsam wurde sie nun mit einem Schabeisen so lange geglättet, bis sie an allen Stellen gleich stark war und die Fleisch- und Haarseite etwa von der selben Qualität. Bei aller Vorsicht kam es hin und wieder doch zu Löchern. Das teure Pergament durfte trotz eines solchen Defektes nicht aussortiert und entsorgt werden, denn man konnte das Blatt ja flicken oder um die Löcher herumschreiben. Immerhin benötigte man für eine Handschrift von 370 Blättern gut 150 Kälber, so dass Pergament alles andere als ein Wegwerfprodukt war. Für Prachthandschriften war ein löchriger Beschreibstoff freilich nicht mehr zu verwenden. Etwa vier Blätter des zugeschnittenen Pergaments wurden nun aufeinander gelegt und in der Mitte zu einer Lage gefaltet. Während im Skriptorium der Schreiber bereits sorgfältig feine Hilfslinien auf die Blätter zog, waren seine Brüder mit der Herstellung der Tinten beschäftigt. Die meisten Texte sind in rotbrauner oder schwarzer Tinte abgefasst. Die rotbraune Tinte wurde aus der Rinde von Schlehenzweigen gewonnen. Die Grundstoffe der schwarzen Eisen-Gallus-Tinte hingegen waren im Wesentlichen Galläpfel, Eisen- oder Kupfsersulfat und gummi arabicum. Diese Tinte ist der Schrecken eines jeden modernen Buchrestaurators. Durch Feuchtigkeit beginnt sie nämlich aufgrund ihres Eisenanteils zu rosten und das Pergamentblatt zu zersetzen. Die Schäden, die der ‚Tintenfraß‘ über die Jahrhunderte an einzigartigen Handschriften angerichtet hat, sind heute nur schwer und nicht immer erfolgreich zu beheben. Um die Codices in leuchtendem Blau, Gelb, Rot oder Grün erstrahlen zu lassen, mussten farbige Tinten aus Lapisla-
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Der Evangelist Matthäus an seinem Schreibpult. Gut sichtbar sind die Feder und das Rinderhorn mit der Tinte. Evangeliar des Ebbo, Reims zwischen 816 und 835
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Blattt und Seite
Moderne Bücher sind paginiert: Jede Seite (Paginaa) erhält eine fortlaufende Seitenzahl. Mittelalterliche Handschriften wurden hingegen foliiert. Nicht ihre Seiten wurden gezählt, sondern ihre Blätter, und zwar die Vorderseite und die Rückseite. Entsprechend finden sich Abkürzungen wie ‚fol. 18v‘ neben vielen Beschreibungen mittelalterlicher Codices. Sie steht für ‚folium 18 verso‘ und bezeichnet die Rückseite von Blatt 18 einer Handschrift. Die Vorderseite des gleichen Blattes wurde mit ‚recto‘ gekennzeichnet und ‚fol. 18r‘ abgekürzt.
zuli, Ocker, rotem Harz, Karmin und Grünspan gewonnen werden. Aufbewahrt wurden die Tinten in Rinderhörnern. Je eines für die schwarze oder rotbraune und eines für rote Tinte war am Pult des Schreibers befestigt. Während der Mönch nun mit der Gänsefeder sehr sorgfältig und geduldig Buchstaben um Buchstaben seines Textes auf das Pergament setzte, hatte er den Platz für die Überschrift meist ausgespart. Diese führte er selbst oder ein Rubrikator (‚Rotmacher‘) später mit der roten Tinte aus. Waren die fertigen Blätter Teil einer Prachthandschrift, wanderten sie anschließend auf das Pult des Illustrators. Dessen Aufgabe war es, die Seiten mit prachtvollen Initialen, Ornamenten und bildlichen Darstellungen zu füllen. Häufig wurde dabei Gold und Silber verwendet. Die beiden Edelmetalle wurden in filigranster Arbeit meist mit Eiklar direkt auf den oft purpurn eingefärbten Pergamentgrund gelegt. Die fertig beschriebenen Lagen wurden anschließend fest zusammengeschnürt und in einen in Leder gebundenen Holzeinband geheftet. Prachtcodices erhielten häufig einen Einband, der mit Elfenbeinschnitzereien und kostbaren Edelsteinen verziert war.
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Mit dem Gänsekiel Blatt um Blatt oft spröden Pergaments mit Worten und Sätzen zu füllen, ohne einen Fehler zu machen, war eine Anstrengung, die dem Mönch oder der Nonne alles abverlangte und den materiellen wie ideellen Wert der so entstandenen Bücher fast ins Unermessliche steigert: O glücklichster Leser, wasche Deine Hände und fasse so das Buch an, drehe die Blätter sanft, halte die Finger weit ab von
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den Buchstaben. Der, der nicht weiß zu schreiben, glaubt nicht, dass dies eine Arbeit sei. O wie schwer ist das Schreiben: es trübt die Augen, quetscht die Nieren und bringt zu-
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gleich allen Gliedern Qual. Drei Finger schreiben, der ganze Körper leidet.4
Die geistig wie körperlich ermüdende Arbeit zerrte am Nervenkostüm so manchen Mönchs: „Verfluchte Maus, oft genug bringst du mich in Zorn – auf dass Gott dich vernichte!“ Unter diesen Zornesworten zeigt eine Illustration den Schreiber Hildebert, den Arm mit dem Stein bereits drohend erhoben gegen eine Maus, die ins Skriptorium eingedrungen war.5 Bald sollten professionelle Schreiber in den Städten und Universitäten und dann schließlich der Buchdruck die Arbeit der Mönche und Nonnen in den Hintergrund drängen. Über Jahrhunderte aber hatten sie in einer schriftlosen Gesellschaft in ihren Schulen und Schreibstuben altes Wissen nicht nur bewahrt und an jüngere Generationen weitergegeben, sondern auch hinterfragt, diskutiert und durch eigene Überlegungen erweitert. Heute verdanken wir ihnen neben dem reichen Wissensschatz, den sie in ihren Bibliotheken gehortet und gemehrt haben, nicht nur die Freude, goldglänzende Buchmalereien bewundern zu dürfen, sondern grundlegende Dinge wie unsere Schreib- und Druckschrift und die Tatsache, dass man heute überhaupt zu schreiben und zu lesen weiß.
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Brüder im Streit: Konflikte im Kloster
as Bestreben eines Mönchs war es, der Welt zu entfliehen und ein apostelgleiches Leben im Geist der Brüderlichkeit und der Nächstenliebe zu führen. Benedikt von Nursia appellierte unermüdlich an die Bruderliebe und an die Achtung, mit der die Mönche einander begegnen sollten. Demütig sollten sie lernen, die körperlichen und charakterlichen Schwächen der anderen mit „unerschöpflicher Geduld“ zu ertragen.1
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Strafen bei Verfehlungen
Doch wo viele Menschen eng und ohne die Möglichkeit der Privatsphäre beieinander leben und arbeiten, sind trotz aller Vorsätze, ein frommes und gottgefälliges Leben zu führen, Konflikte zwangsläufig nicht zu vermeiden. Das wusste auch Mönchsvater Benedikt. Niemand, so bestimmte er, dürfe sich zu so maßlosem Zorn hinreißen lassen und einen anderen Bruder oder gar Knaben schlagen, außer mit einer Vollmacht des Abtes. „Es steht ja geschrieben: ‚Was du selbst nicht erleiden willst, das tu auch keinem andern an!‘“2 Die Beherrschung der Affekte und die ständige Selbstzensur waren Dinge, die der Mönch lernen musste. Ertappte er sich bei einem Vergehen oder einer Regelüber-
Brüder im Streit
tretung, hatte er dies auf dem Boden hingestreckt in aufrichtiger Reue vor allen anderen Brüdern in der Kapitelversammlung zu bekennen. Zeigte er sein Vergehen nicht selber an oder war er sich nicht bewusst, etwas falsch gemacht zu haben, musste er damit rechnen, dass ein anderer Bruder dem Kapitel von seinem Fehltritt berichtete. Denn keiner, so wollte es die Regel, sollte einen anderen aus Freundschaft oder Verwandtschaft in Schutz nehmen, sondern dem anderen bei dessen sittlicher Vervollkommnung so gut wie möglich beistehen – das ‚Petzen‘ im Interesse des Sünders gehörte dazu. In jedem Fall hatte der Schuldige neben mahnenden Worten auch die Bußleistung demütig anzunehmen, die der Abt oder ein anderer Vorgesetzter ihm auferlegte. Im Wiederholungsfall aber und bei schwereren Vergehen schloss der Abt den schuldig befundenen Mönch für eine bestimmte Zeit aus der Gemeinschaft aus. Er durfte weder an den gemeinsamen Mahlzeiten und Gebeten teilnehmen noch persönlichen Kontakt zu seinen Mitbrüdern haben. Wer trotzdem mit ihm sprach, riskierte seinerseits die Strafe der sozialen Isolation. Nur der Abt sollte sich dem guten Hirten gleich dem Ausgeschlossenen besonders zuwenden und ihn streng, aber liebevoll auf den rechten Weg zurückführen. Zeigte sich das schwarze Schaf der Mönchsherde jedoch weiterhin verstockt und unverbesserlich, griff der Klostervorsteher zur Rute. Viele Abteien hatten auch eigene Kerker, in denen der Mönch über sein sündiges Tun nachsinnen sollte. Erwiesen sich schließlich alle Maßnahmen zur Läuterung als fruchtlos und zeigte der starrköpfige Mönch trotz körperlicher Züchtigung weder Reue noch Besserung, drohte ihm der Rauswurf: „Ein räudiges Schaf soll nicht die ganze Herde anstecken.“3 Zum Christsein gehörte freilich auch, dem anderen zu vergeben und dessen aufrichtige Entschuldigung anzunehmen.
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Alltag im Kloster
Doch die Bruderliebe stets in all ihren Konsequenzen zu praktizieren, war für Mönche nicht weniger schwierig als für jeden anderen Menschen.
Konflikte im Konvent
Dann und wann kam es vor, dass sich Grüppchen von Mönchen gegen einen Bruder verschworen. Dies scheint bei einem bayerischen Mönch der Fall gewesen zu sein, der den Magister S. um 1130 verzweifelt darum bat, sich dafür einzusetzen, dass er eine Zeitlang in ein anderes Kloster gehen dürfe, um seinen Feinden zu entkommen. Sei er früher nur das Opfer ihrer Beleidigungen gewesen, hätten ihre Nachstellungen mittlerweile ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Ein Versuch, sich mit ihnen auszusöhnen, hätte ihre Wut nur noch mehr angestachelt. Wie eine „Hydra, der drei Häupter abgeschlagen wurden und neun nachgewachsen sind“, hätten seine Peiniger sich auf ihn gestürzt, ihm angedroht, ihn entweder aus dem Kloster zu vertreiben oder ihn zu verprügeln und ihm die Haare auszureißen. Stets, so hätten sie erklärt, wollten sie seine Feinde sein. Nun am Ende seiner Kräfte, habe er eingesehen, dass es „besser ist, jenen aus dem Weg zu gehen als immerwährend unter ihrer Knute zu leben“.4 Zeitgenössische Verfasser von Heiligenliteratur fanden es stets ausgesprochen bemerkenswert und ein klares Indiz der Heiligkeit, dass der Abt, über den sie schrieben, niemals zornig, aufbrausend oder missgünstig gewesen sein soll. Niemals habe man bei dem strengen Abt Wilhelm von Hirsau Zeichen von Neid oder Wut entdecken können. Walahfried Strabo wiederum schmeichelte seinem Abt Erlebald von der Reichenau, indem er betonte, wie sehr dessen Regierungszeit durch Friede und Eintracht gekennzeichnet gewesen sei. Hader und Streit scheinen im Umkehrschluss auch im Klosteralltag zu den ganz normalen Er-
Brüder im Streit
fahrungen eines Mönchs gehört zu haben. Die Brüder wollten wie die Engel leben – und stritten und zankten sich doch ganz irdisch. Bevor der Mönch Stepelin um 1100 achtzigjährig starb, mag ihm in der Rückschau bewusst geworden sein, dass er in seinem kleinen Kloster St. Trond in der Diözese Lüttich, in dem er fast sein ganzes Leben verbracht hatte, mehr Zeiten der Zwietracht denn der Harmonie erlebt hatte: Zweimal war er aus dem Kloster vertrieben worden, hatte Generationskonflikte, Reformversuche und die Zerstörung der Konventsgebäude mit ansehen müssen und hatte einmal sogar fast sein Leben verloren. Eine Oase der Ruhe ist St. Trond für ihn sicherlich nicht gewesen. Im alemannischen St. Gallen war dies zeitweise nicht anders.
Einer gegen drei
Wer in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts Mönch in St. Gallen war, der ist mit Sicherheit dann und wann Zeuge der lebenslangen Feindschaft zwischen dem Speisemeister Sindolf und den drei befreundeten Mönchen Tuotilo, Ratpert und Notker dem Stammler geworden. Der dürre Notker, der athletische Tuotilo und der fleißige, aber etwas aufbrausende Ratpert waren „ein Herz und eine Seele“5, seit sie gemeinsam die Klosterschulbank gedrückt hatten. Sie alle verband große Gelehrsamkeit und Frömmigkeit und ganz besonders die Liebe zur Musik, in der sich vor allem Tuotilo hervortat. „Wie es aber kundigen und tüchtigen Leuten immer ergeht, hatten sie von Nichtstuern und Windbeuteln beständig Verleumdungen und üble Nachrede zu erleiden.“6 Der größte dieser „Windbeutel“ war der genannte Sindolf, der die drei Freunde übel beim Abt verleumdete, nachdem sie sich zuvor bitter über die allzu kargen Essensrationen durch den boshaften Speisemeister beschwert hatten. Dank der Fürsprache durch die anderen Konventsmitglieder
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konnten Notker, Ratpert und Tuotilo jedoch von allen Anschuldigungen befreit werden. Sindolf jedoch gab nicht auf. Statt Ratpert und Notker im Refektorium den Weinbecher, wie er es hätte tun sollen, behutsam vorzusetzen, warf er ihn ihnen gleichsam vor die Füße. Als aber der Becher, wie die St. Galler Klostergeschichten berichten, zu schweben begann und kein Tröpfchen des Weins danebenging, erklärte Sindolf den staunenden Mitbrüdern, dies habe der Teufel bewirkt, mit dem die drei im Bunde seien. Der Benediktregel gemäß wurde Sindolf bei der nächsten Kapitelversammlung für sein unehrerbietiges Verhalten bestraft. Der Zwist hinter Klostermauern war damit aber noch lange nicht beendet, denn Sindolfs Hass auf seine Gegner schwelte weiter. Und auch die drei Freunde warteten nur auf eine Gelegenheit, den Speisemeister für seine Nachstellungen zu bestrafen. Ein besonderer Dorn im Auge waren Sindolf die nächtlichen Bibelgespräche, die die drei gelehrten Freunde mit Erlaubnis des Abtes im Skriptorium miteinander pflegten. Eines Abends lauschte er heimlich am Fensterbrett. Doch die drei wurden seiner gewahr und fassten rasch einen Plan, den Lauscher zu bestrafen. Während der starke Tuotilo schnell zum Fenster sprang und den zappelnden Sindolf mit seinen muskulösen Armen packte, lief Ratpert um das Gebäude herum und drosch mit der Rute von hinten, damit er ihn nicht erkenne, auf ihn ein. Als der Konvent auf Sindolfs klägliche Schreie hin gelaufen kam, entfernte sich Ratpert eilig. Tuotilo aber hielt den klagenden Spion weiterhin fest und rief, er habe den Teufel gefangen. Auf die Rufe, es sei doch nur Sindolf, den er da an den Haaren halte, rief er: „O, ich Unglückseliger, dass ich den Ohrenbläser und Busenfreund des Bischofs [Salomo III. von Konstanz, zugleich Abt von St. Gallen] angetastet habe!“ Den Brüdern erklärte er, es müsse ein Engel gewesen sein, der Sindolf verprügelt habe.
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Jahre später schließlich entwendete Sindolf einen griechischen Codex, den Notker unter vielen Mühen abgeschrieben hatte:
[
Dann schnitt er die einzelnen Blätterlagen heraus, wie noch heute zu erkennen ist, zerrupfte und verhunzte sie und legte sie wieder zusammengefaltet dahin zurück, von wo er sie ge-
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stohlen hatte.7
Die Feindschaft zwischen Sindolf und Notker, Tuotilo und Ratpert sollte nie beigelegt werden. Die eigentlichen Gründe hierfür erfahren wir nicht. Ekkehard IV., der Autor der St. Galler Klostergeschichten, schreibt die Auseinandersetzungen einzig Sindolfs missgünstigem Charakter zu, eine Sichtweise, die sicher nicht ganz objektiv ist. Möglicherweise lag die tiefere Ursache für Sindolfs Verhalten in seinem Neid auf die hohe Gelehrsamkeit seiner Widersacher begründet. Während diese im Schuldienst tätig waren und sich mit eigenen Werken hervortaten, verstand jener kein Latein; er diente zuerst im Refektorium und stand dann den Handwerkern vor. Zweifellos war er also den drei Freunden intellektuell unterlegen. Rührte daher seine Konfliktbereitschaft? Auch das Kloster Petershausen bei Konstanz musste zu Beginn des 12. Jahrhunderts erleben, wie ein einzelner Mönch das Klima im Konvent vergiften konnte. Der Kämmerer Wolferad war eine sehr schwierige Persönlichkeit und aufgrund seiner unwirschen Art bei seinen Mitbrüdern höchst unbeliebt. Da sein Amt vorsah, dass er für die Ausgabe der Kleidung zuständig war, lag es an seiner Laune, ob ein Mönch im Winter frieren musste oder sich in einen warmen Mantel hüllen konnte. Als er eines Tages einer Gruppe von Laienbrüdern statt der freundlich erbetenen Kleidung nur unflätige Beleidigungen entgegenschleuderte, verprügelten sie ihn und stülpten ihm einen Wasserkessel über
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den Kopf. Die Gewalttäter wurden daraufhin des Klosters verwiesen und durften erst nach einer öffentlichen Buße auf Fürsprache des Konstanzer Bischofs wieder zurückkehren. Dass aber nicht nur die handgreiflichen Laienbrüder, sondern auch der Kämmerer sich schuldig gemacht hatte – immerhin hatte er bei der Kleiderausgabe durch seine Beschimpfungen das Schweigegebot gebrochen und sich obendrein äußerst schimpflich verhalten – hatte keine weiteren Konsequenzen.
Runter mit der Kapuze!
Viele Konflikte, die in den Konventen oft über Jahre für Unruhe sorgten, entstanden, weil Klöster reformiert werden und die Mönche fortan nach neuen Gebräuchen leben sollten. Doch wer tagein, tagaus nach dem selben behäbigen Rhythmus lebte und seinen Habit und die nicht immer regelgemäßen Essensgewohnheiten schätzen, wenn nicht gar lieben gelernt hatte, der sah es gar nicht gern, wenn übereifrige ‚Neuerer‘ Bewährtes umstoßen und durch angeblich Besseres ersetzen wollten. Die Mönche waren in der Mehrheit „Gewohnheitstiere“, und Reformen waren unbequem. Allein die vielen Verhaltensregeln und Handzeichen, die Cluniazenser und Hirsauer lernen mussten, und erst recht ihr schwarzer Habit mit Kukulle und Frocke! An genau dieser Frage der Ordenstracht entzündete sich in St. Trond ein schwerer Streit. Dort versuchte im Jahr 1106 der Prior Rudolf die cluniazensische Lebensweise einzuführen. Zu dieser gehörte auch das gleichzeitige Tragen zweier Gewänder übereinander, die duplex vestis. Bisher hatte man in Trond entweder eine Skapulierkukulle oder eine Talarkukulle getragen. Da beide Kleidungsstücke nie übereinander gezogen wurden, war an jedes eine Kapuze angenäht. Prior Rudolf forderte nun aber eine Anpassung an den Dresscode cluniazensischer
Brüder im Streit
Prägung: Die Brüder sollten dazu die Kapuze von der Talarkukulle abtrennen und diese fortan über der Skapulierkukulle tragen. Nach einigem Widerspruch erklärte sich Abt Theoderich mit dieser neuen Kleiderordnung einverstanden. Er ging mit gutem Beispiel voran und entfernte als erster die Kapuze von seiner Talarkukulle. Die anderen Mönche folgten ihm. Nur ein Bruder, der aus dem Kloster Siegburg nach St. Trond gekommen war, weigerte sich beharrlich. So ließ der Prior heimlich des nachts die Kapuze von der Kukulle des Verstockten abschneiden. Am nächsten Morgen erschien der Siegburger scheinbar unbeeindruckt barhäuptig und nur mit der Talarkukulle bekleidet im Chorgebet. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, die Skapulierkukulle darüber zu ziehen und mit deren Kapuze seinen Kopf zu bedecken. Doch in der Kapitelversammlung zwang ihn der Abt, genau das zu tun. Zähneknirschend gab er nach, sann jedoch auf Rache: Nun war es Prior Rudolf, der am Morgen seine beiden Kukullen ohne Kapuze vorfand. Hätte er sich nicht das Gewand eines älteren Mitbruders ausleihen können, hätte er seinerseits ohne Kopfbedeckung in der Kirche erscheinen müssen. Selbstverständlich zeigte Rudolf den Schuldigen im Kapitel an und belegte ihn mit einer Prügelstrafe. Doch weigerte sich dieser auch nach dieser Züchtigung noch beharrlich, sich den neuen Gepflogenheiten anzupassen. Der Konflikt, der den ganzen Konvent schwer beunruhigte, eskalierte, als der Starrsinnige in den Kerker geworfen wurde. Bereits mit den Füßen in Ketten gelegt, attackierte er Rudolf mit einem Messer. Daraufhin wurde er endgültig aus St. Trond verstoßen.
Katerstimmung im Galluskloster
In St. Gallen sollten die Gorzer Regeln und Gewohnheiten den Mönchen aufgedrängt werden. Kaiser Otto I. hatte im Jahr 972
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den Trierer Mönch Sandrat mit dieser delikaten Aufgabe betraut. Seit karolingischer Zeit eine der glänzendsten und bedeutendsten Abteien im Reich, hielt man sich im Galluskloster keineswegs für reformbedürftig und schätzte die Einmischung von außen ganz und gar nicht. Die Zusammenarbeit zwischen Konvent und Sandrat wäre sicherlich fruchtbarer gewesen, wäre den Mönchen der Gesandte des Kaisers nicht abgrundtief unsympathisch gewesen und hätten nicht viele persönliche Schwächen ihn zu einem schlechten Vorbild gemacht. Nach einer Woche des Beobachtens und Herumschnüffelns im Kloster zog Sandrat eine erste Bilanz dessen, was ihm in St. Gallen missfiel und was seines Erachtens dringend einer Reformierung bedurfte. Die jubilierenden Stimmen der Mönche beim Chorgesang seien zu ruhmsüchtig und der Speiseplan enthalte zu viel Fleisch, weswegen dieses fortan für Gesunde wie Kranke verboten sei.
[
„Den Wein jedoch jedoch“,, sagte er – da er nämlich dem Trunk er ergeben war, – „teile man uns allzu knapp zu und unser Becher reiche mehr nur zur Wiederbelebung als zum Trinken.“8
]
Sandrats Trunksucht blieb den Mönchen freilich nicht lange verborgen und wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Der Abt wies die Brüder an, Sandrat im Refektorium so viel Wein vorzusetzen, wie er begehre und ihn noch zusätzlich zum Trinken zu animieren. Der viele Alkohol machte Sandrat noch unleidlicher und aggressiver, so dass er eines Tages einem Schulmeister, der ihn beleidigt hatte, einen Backenstreich versetzte.
[
Jener aber, viel kräftiger als er, schoss im Nu den Arm vor und schlug ihm mit der Faust mächtig gegen die Schläfe und ließ ihn halb tot zu Boden sinken und wollte ihm noch Schlimmeres antun, hätten ihn die anderen nicht zurückgehalten.9
]
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Die S ache mit der Ehre
Der honor des mittelalterlichen Menschen war mehr als nur Ehre. Er umfasste alle Dimensionen seiner sozialen Schätzung, seines Ansehens und seiner Rechtsstellung. Wer den
honor eines Menschen beleidigte, stellte dessen Rang in der Gesellschaft in Frage. Ehrverletzungen waren deshalb häufig handlungsmotivierend für Fehden und kriegerische Auseinandersetzungen.
Noch während der heißblütige Schläger zur Strafe für sein Vergehen festgebunden und gegeißelt wurde, saß Sandrat benommen am Boden und fragte den Abt kleinlaut, was er denn jetzt tun solle. Die Frage war berechtigt. Jemand, der in allem ein Vorbild hätte sein sollen, sich aber betrank, andere schlug und selbst Prügel kassierte, konnte nicht darauf hoffen, mit seinen Reformvorschlägen auf Gegenliebe zu stoßen. Sein honor (Ehre) und seine Autorität waren gleichfalls mit dem Fausthieb zu Boden gestreckt worden. So reumütig Sandrat auch Besserung gelobte, vom Wein konnte er nicht lassen. Nachdem er nur wenige Tage später erneut zu tief in den Becher geschaut hatte, besudelte er infolgedessen in der Nacht den Schemel am Bett des ehrwürdigen Mönchs Ruomo. Nun war es der Geschädigte selbst, der am nächsten Morgen zur Geißel griff und Sandrat mit aller Kraft auspeitschte. Der Abt wies dem Reformer nun eine eigene Unterkunft außerhalb der Klausur zu. Dort ließ Sandrat sich heimlich Nacht für Nacht von einem Diener mit Fleisch und Wein verköstigen. Als er schließlich doch erwischt wurde und damit endgültig offenkundig war, dass er der Falsche war, die Lebensweise anderer zu verbessern, floh er noch in der Nacht aus dem Kloster und schloss sich einer Pilgergruppe an.
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„Hirsefresser“ und Grubengräber
Auch das altehrwürdige Königskloster Lorsch wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts von einer Reform heimgesucht. Es waren die rigorosen Hirsauer Gewohnheiten, die das beschauliche Leben der Lorscher Mönche gründlich durcheinander brachten. Um das Jahr 1110 gossen sie ihren Zorn über die Eindringlinge und Neuerer aus Hirsau in Verse:
[
Siehe, da gibt es gar viele, die kühn sich als Mönche gebärden, „Hirse-Verzehrer“, nach Hirse benannt und höchst würdig des Namens, hausend im Wald, auch die Herzen vom
]
Dickicht des Waldes umstricket.10
Ketzer und Sektierer seien die Hirsauer, mit hässlichen Ziegenbärten – damit meinten sie die bärtigen Laienbrüder – und protziger Kutte. Leer in Herz und Hirn, hätten sie sich das Recht zu predigen angemaßt, hätten das Volk aufgewiegelt und würden sowohl Papst wie Kaiser schmähen. Althergebrachte Rechte hätten sie missachtet und sich Regeln nach eigenem Belieben geschaffen: Wir, die wir viermal schon zwanzig der Jahre im Kloster ver-
[
lebten, die wir befolgten die alten Regeln der Väter, wurden von jenen vertrieben, verjagt aus den heimischen Mauern, müssen erdulden die Schande, mit ihnen verglichen zu wer-
]
den.11
In einem an Papst Paschalis II. wie Kaiser Heinrich V. gleichermaßen gerichteten Brief schildern die Lorscher Mönche eindringlich, wie die Hirsauer fast alle ‚alten‘ Mönche aus Lorsch vertrieben und die Besitzungen der einst so stolzen Abtei in fremde Hände gegeben hätten. Auch hätten sie den gesamten Jahresvorrat an Wein und Getreide verschleudert. Die Klagen
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hatten Erfolg: Auf Befehl Heinrichs V., so berichtet die Klosterchronik später nicht ohne eine gewisse Befriedigung, seien die ‚alten‘ Mönche ehrenvoll zurückgerufen worden. Mit der Vertreibung der Eindringlinge in Schimpf und Schande endete schließlich das kurze, unrühmliche Kapitel hirsauischen Mönchtums in Lorsch – allerdings nicht, ohne dass letztere „aus Schatzkammer und Bibliothek eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Reliquien und Büchern heimlich gestohlen hätten“.12 Die Hirsauer wurden auch andernorts als religiöse Eiferer betrachtet, die von rücksichtsloser Neuerungssucht getrieben waren. Als direkt vor den Toren Regensburgs das Kloster Prüfening, bald schon ein wirkmächtiges und weit ausstrahlendes Zentrum der neuen Reformrichtung, gegründet wurde, fühlten sich die Mönche im traditionsreichen Kloster St. Emmeram provoziert. Die Prüfeninger Mönche wiederum sahen in den St. Emmeramer Brüdern diejenigen, die ihnen ständig nachstellten und das Leben schwer machten, wo sie nur konnten. „Ihr Hass gegen uns wuchs von Tag zu Tag, und so kam es, dass sie eines Tages einen Graben vor unserer Klosterkirche aushoben, der uns den Aus- und Eingang erschweren sollte.“13 Der Graben freilich wurde nicht wirklich tief, denn nur allzu willig ließen sich die erschöpften Arbeiter vom Prüfeninger Abt mit einer deftigen Brotzeit bestechen. Prüfening selbst war allerdings in seinen Anfangsjahren auch kein allzu friedlicher Ort. Der erste Abt Erminold war nämlich so über alle Maßen streng und ein solch unbarmherziger Verfechter der hirsauischen Lebensweise, dass die Brüder mehrere Anschläge auf sein Leben verübten. Im Jahr 1121 wurde er tatsächlich von einem Mönch namens Aaron erschlagen.
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Vertriebene Äbte
Schloss sich ein Kloster nicht freiwillig einer Reform an, sondern wurde diese vom Klosterherrn angeordnet, berief dieser häufig gleich einen neuen, meist aus einem bedeutenden Reformzentrum stammenden Abt, der frischen Wind in die oft verschlafenen Konvente bringen sollte. Im 978 wiedergegründeten Tegernsee hatte man den Trierer Hartwig als neuen Abt freudig begrüßt und hing seither begeistert der von ihm eingeführten gorzisch-lothringischen Lebensweise an. Gegen den strengen Abt Godehard von Niederalteich, der 1001 auf Befehl Herzog Heinrichs IV. von Bayern die Reform in Tegernsee verfestigen sollte, intrigierte hingegen eine Gruppe innerhalb des Konvents, so dass er die Abtei bald wieder verließ. Ihm erging es nicht besser als Ellinger, einem seiner Nachfolger, der in der Mitte des 11. Jahrhunderts gleich zweimal vom Abtsstuhl vertrieben wurde. Die Motive jener Mönche, die Ellinger das Leben so schwer machten, sind unklar. Offenbar aber standen sie in enger Verbindung zum Freisinger Bischof, der wohl gern einen Abt seiner Wahl in dem wohlhabenden Königskloster gesehen hätte. Je mehr Mächte von außen in innermonastische Konflikte verwickelt waren, desto größere Kreise konnten diese auch außerhalb des Klausurbereichs ziehen und desto leichter außer Kontrolle geraten. Das bayerische Kloster Benediktbeuern geriet buchstäblich zwischen die Mühlen der Mächtigen, als 1159 bei einer Doppelwahl gleich zwei Päpste den Stuhl Petri bestiegen. Kaiser Friedrich Barbarossa unterstützte Viktor IV., während er dessen Gegner Alexander III. mitsamt seinen Anhängern erbittert bekämpfte. Bis 1177 sollte der Kampf zwischen Kaiser und Papst dauern und mit einer Niederlage des Stauferkaisers enden. Für jede geistliche Einrichtung bedeuteten jene 18 Jahre eine schwere Krise, denn wer konnte schon vorausblickend sa-
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gen, welche Seite sich letztendlich durchsetzen würde? Und was, wenn man Alexander III. unterstützte und gleichzeitig dem Kaiser Gehorsam schuldete? Benediktbeuern war zwar ein Königskloster, favorisierte aber Papst Alexander III. und lag zudem in der Einflusssphäre des Bischofs Hartwig von Augsburg. Dieser wiederum war ein glühender Anhänger Barbarossas und erklärter Gegner Alexanders. Im Jahr 1175/76 konnte Bischof Hartwig einen Teil des Benediktbeurer Konvents dazu anstacheln, den rechtmäßigen und alexandertreuen Abt Albert zu vertreiben und einen gewissen Ortolf an seine Stelle zu setzen. Die Klostergemeinschaft war gespalten in diejenigen, die zu Ortolf hielten, und diejenigen, die versuchten, dem vertriebenen Albert zu helfen. Ein normales Klosterleben war unter diesen Umständen nicht mehr denkbar, zu aufgeheizt waren die Emotionen. Zunächst hatte Ortolf die besseren Karten, denn er wusste nicht nur viele der Mönche hinter sich, sondern auch den Augsburger Bischof und den Kaiser. Dennoch versicherten sich Albert und seine im Kloster verbliebenen Anhänger mächtiger Unterstützung. Sie fanden sie in Papst Alexander III. selbst, der wiederum Abt Rupert von Tegernsee, Propst Otto von Rottenbuch sowie andere bedeutende geistliche Würdenträger als Vermittler einsetzte. Ihre Aufgabe war es nun, in diplomatischer Mission Verhandlungen zu führen und den Konvent von Benediktbeuern dazu zu bewegen, Albert als ihren rechtmäßigen Abt anzuerkennen und den Eindringling Ortolf zu vertreiben. Nach einer langen Reihe von Unterredungen und Briefwechseln mit Papst, Bischöfen und den beiden streitenden Parteien konnte Albert 1176 schließlich unangefochten auf den Benediktbeurer Abtstuhl zurückkehren. Die im Mittelalter üblichen Regularien der Konfliktbeilegung, durch Einschalten von Vermittlern und Verhandlungen mit beiden Seiten ein Ende der Auseinandersetzung herbeizu-
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führen, kamen auch im Kloster zur Anwendung, wenn ein Streit über die Klostermauern hinaus getragen wurde. Blieb ein Konflikt auf das Innere des Konvents beschränkt, so kamen zuvorderst die Instrumentarien der Regulierung und Bestrafung zur Anwendung, die die Benediktregel den Äbten an die Hand gegeben hatte. Die Auseinandersetzungen zeigen noch ein Weiteres: Klöster waren keine Inseln im politisch-sozialen Niemandsland. Nicht nur die Äbte, auch die einfachen Mönche hatten ‚draußen‘ mächtige Freunde und Verwandte, die ihnen im Bedarfsfall helfend zur Seite standen. Adlige, Bischöfe, Kaiser und Papst gehörten zum personellen Netzwerk, in das die Abteien eingebunden waren und ohne das sie nicht überleben konnten.
Kloster und Welt Die Klöster des Mittelalters übten nicht nur Herrschaft über Land und Leute aus, sondern waren in ein Wechselspiel aus personellen Bindungen und Mächten eingebunden, die ihr Wohl und Wehe entscheidend beeinflussten.
König, Bischof oder Adliger: Mönch und Eigenkirchenherr n der Regel waren die Klöster nicht selbstständig, sondern einem Herrn untergeordnet. Das konnte ein Bischof sein oder der Adlige, der die Gemeinschaft einst gegründet hat. Nach dem im Frühmittelalter aufblühenden so genannten Eigenkirchenrecht konnte der Klosterherr beliebig über den Besitz des Klosters verfügen, es verschenken oder verleihen, einen Teil der Einkünfte einziehen und Äbte ein- oder absetzen. Einige Zeit während des 8. und 9. Jahrhunderts war es sogar möglich, dass der Eigenkirchenherr, auch wenn er Laie war, selbst die geistliche Leitung der Mönchsgemeinschaft übernahm.
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Die Willkür, mit der viele Eigenkirchenherren gegenüber den Konventen und den Bauern auf dem Grundbesitz des Klosters auftraten, ließ die Klöster nach Möglichkeiten suchen, die ungeliebte Fremdherrschaft durch den Klosterherrn abzuschütteln. In Cluny tat man dies, indem das Kloster gleich bei seiner Gründung 910 dem Papst übertragen und jeglichem weltlichen Zugriff entzogen wurde: Die Idee der „Freiheit der Kirche“ (libertas ecclesiae) war geboren. Andernorts aber blieb die Praxis des Eigenkirchenwesens bis ins Hochmittelalter fast unverändert bestehen: Die Mönche und Nonnen mussten sich damit abfinden, einem Adligen, Bischof oder dem König untergeordnet zu sein. Letzteres aber hielten viele Klöster sogar für erstrebenswert, denn Reichsklöster (synonym: Königsklöster) genossen höchstes Ansehen und
König, Bischof oder Adliger
erfreuten sich der größten Privilegien sowie eines mächtigen Schutzherrn.
Klöster des Königs
Die Könige des fränkischen und später des römisch-deutschen Reiches betätigten sich entweder selbst als Klostergründer oder ließen sich neu gegründete Abteien von Adligen oder Bischöfen übertragen. Auch konnten sie besonders einflussreiche und prosperierende Gemeinschaften zu Reichsklöstern erheben, sofern sie die alten Besitzer entsprechend entschädigten. Lange Zeit hatte sich beispielsweise das Kloster St. Gallen erhofft, von der lästigen Herrschaft des Konstanzer Bischofs befreit und in den Rang eines Königsklosters erhoben zu werden. Im Jahr 818 war es dann soweit: Kaiser Ludwig der Fromme verlieh der berühmten alemannischen Abtei die Immunität und machte sie zum Reichskloster. Mit der Verleihung der Immunität wurde eine Abtei mitsamt ihrem Grundbesitz der Verfügungs- und Gerichtsgewalt von Bischöfen und Grafen entzogen. Die weltlichen Rechte innerhalb der Immunität wurden stattdessen einem (meist vom König bestellten) Vogt übertragen. Das Kloster genoss fortan den Königsschutz, welcher ihm sein Eigentum garantierte und ihm für den Fall, dass sich ein Fremder am Klostergut vergriff, das Recht einräumte, direkt an den König zu appellieren. Viele solcher Klagen über Übergriffe und Diebstähle sind aus den Reichsklöstern überliefert. Im Jahr 1003 etwa beschwerte sich Abt Peringer von Tegernsee in einem Brief an König Heinrich II. über einen gewissen Grafen Diemo, der ein Schiff, das dem Kloster zum Transport von Wein, Gemüse und anderen Lebensmitteln diene, sowie mehrere Netze, Schlachttiere und Saatgut entwendet habe:
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Wenn sich nicht Eure Hand schützend über uns und unsere
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Habe abe ausst ausstreckt ec t und u d der de Graf G a selbst se bst von vo Euch uc nicht c t eingee ge schüchtert und von einer solchen Niederträchtigkeit abgehalten wird, ist unser heiliger Ort dem Untergang preisgegeben.
]
Wir bitten Euch, dass Ihr jenem einen Tag bestimmt, an dem er uns das Schiff und die Netze zurückgeben soll.1
Auch als die Lorscher Mönche hundert Jahre später von den Hirsauer Reformern vertrieben wurden, riefen sie erfolgreich ihren Klosterherrn König Heinrich V. zu Hilfe. Um ein Kloster besonders zu fördern und auszuzeichnen, übertrug ihm der König umfangreiche Besitzungen und königliche Rechte (Regalien). Diese konnten die Erlaubnis beinhalten, in den Wäldern das Jagdrecht auszuüben oder für Transportwege und Brücken auf klösterlichem Besitz Zölle zu erheben. Unter der fürsorgenden Hand des Herrschers erblühten etliche Abteien zu mächtigen und einflussreichen geistigen wie wirtschaftlichen Zentren. Der gesamte Status eines Reichsklosters mitsamt Immunität, Königsschutz und allen verliehenen Rechten wird von den Zeitgenossen als Libertas (Freiheit) bezeichnet. Die Libertas zu verlieren und vom König an einen Bischof oder Adligen vergeben zu werden, war für die Mönche eine schreckliche Vorstellung. Genau dies geschah aber, als der junge Heinrich IV. nach dem jähen Tod seines Vaters 1056 gerade sechsjährig den Thron des römisch-deutschen Reiches bestieg. Allein in den Jahren zwischen 1058 und 1065 wurden im Namen des unmündigen Königs 15 Reichsabteien an weltliche und geistliche Fürsten verlehnt, bis zum Ende seiner Herrschaft sollten acht weitere folgen. Neben Benediktbeuern und Niederalteich betraf das unter anderem Corvey, Lorsch, Kornelimünster, Malmedy, Pfäfers, Eschwege und Kaufungen. Nutznießer dieser umfang-
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reichen Vergabe von Kirchengut waren Reichsfürsten, deren Loyalität sich das Reichsregiment in besonderer Weise versichern wollte. Von Dauer waren die Verlehnungen meist nicht, häufig wurden sie aufgrund des massiven Widerstands der betroffenen Konvente bald wieder rückgängig gemacht. Doch die Politik des Königs und seiner Berater hatte bei den betroffenen Abteien für Wut und Entsetzen, bei den noch verschonten für Zittern und Bangen gesorgt. Trotz der ihnen verliehenen Libertas waren sie nicht wirklich frei.
Im Dienst des Königs
Die Verleihung von Libertas, Ländereien und königlichen Rechten war nicht umsonst. Die Reichsklöster schuldeten dem König dafür nicht nur Gehorsam, sondern waren ihm gegenüber zum servitium regis, zum Königsdienst, verpflichtet. Schon im Jahr 819 hat Kaiser Ludwig der Fromme ein umfangreiches Verzeichnis erstellen lassen, in das alle Königsklöster aufgenommen wurden. Er unterteilte die Abteien dabei in drei Klassen, nämlich in jene, die ihm nur zu Gebetsleistungen verpflichtet waren, jene, die ihm zusätzlich jährliche Abgaben schuldeten und schließlich jene, die ihm Gebete, Abgaben und Kriegsdienst leisten mussten. Zur letzten Gruppe gehörten unter anderem die Klöster Ferrière, Corvey, Soissons, Flavigny, Lorsch, Tegernsee und Mondsee. Lediglich jährliche Abgaben leisten mussten neben Fulda unter anderem Altenburg, Altomünster, Kremsmünster, Niederalteich und Benediktbeuern. Ihren Beitrag nur durch Gebetsdienst erbrachten neben vielen anderen die Klöster Savigny, Klingenmünster, Wessobrunn, Moosburg, Moissac und Conques.2 Die Liste gibt nicht nur wertvolle Hinweise darauf, welche Klöster der Karolingerzeit den Status eines Königsklosters besaßen, sondern zeigt auch, welche Klöster
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wirtschaftlich so gut gestellt waren, um zu Abgaben und Kriegsdienst verpflichtet zu werden. Dass geistige Gemeinschaften genauso wie Bischöfe zum Kriegsdienst angehalten waren, mag heute verwundern, war vor 1000 Jahren aber durchaus nicht ungewöhnlich. Freilich zogen die Mönche nicht selbst in die Schlacht, und nicht jeder Oberhirte folgte willig dem Beispiel des Mainzer Erzbischofs Christian von Buch († 1183), der eigenhändig im Kampf die dreiknotige Keule schwang. Die meisten Bistümer und Reichsklöster entsandten aber sehr wohl eigene kleine oder größere Kontingente von bewaffneten Kriegern oder leisteten einen Beitrag in Form von Naturalien oder Geld. Einem 981 aufgestellten Verzeichnis eines ergänzenden Heeresaufgebots für den Italienzug Kaiser Ottos II. lässt sich entnehmen, dass Bistümer und Reichsklöster gut zwei Drittel aller dort aufgeführten Panzerreiter stellten. Unter anderem entsandte das Kloster Murbach 20 Panzerreiter, Lorsch 50, Prüm 40, St. Gallen 40 und Kempten 30.3 Dem Gebot der christlichen Nächsternliebe und Friedfertigkeit zum Trotz wären viele Feldzüge und Schlachten ohne die Klöster nicht möglich gewesen. Von Pfalz zu Pfalz
Der mittelalterliche Königshof verfügte über keine feste Residenz, sondern reiste ständig im Reich umher. Stützpunkte waren dabei seit karolingischer Zeit die Königspfalzen (lat. pala-
tium = Burg, Palast). Diese waren umfangreiche Gebäudekomplexe mit einem Wirtschaftshof, der den König und sein Gefolge ernähren sollte. Im Zentrum standen der Palas mit den Wohngebäuden, die Aula mit dem Thron des Königs sowie die Pfalzkapelle. Zu den bedeutenden Pfalzen in ottonisch-salischer Zeit gehörten Pöhlde, Quedlinburg und Goslar.
König, Bischof oder Adliger
Die Entstehungszeit dieser „Liste von Panzerreitern“ (Indiculus Loricatorum) fällt in eine Zeit, in der die ottonischen Könige begannen, Bistümer und Reichsklöster noch mehr als bisher in ihre Herrschaft mit einzubeziehen. Der Königshof zog nicht mehr wie in früherer Zeit nur von Königspfalz zu Königspfalz, sondern suchte in immer stärkerem Maß auch die Bischofshöfe und die Reichsklöster auf. Der König profitierte von der Unterkunft und der Verpflegung, die ihm und seinem Gefolge zur Verfügung gestellt wurden. ‚Der König kommt!‘ war dabei nicht immer ein Freudenruf, denn den gesamten Hof mitsamt seinem Tross auch nur für drei Tage durchfüttern zu müssen, konnte ein Kloster leicht in den Ruin treiben. Aber die schiere Anwesenheit des Herrschers wertete die Abtei auf und ließ die Mönche vor Stolz rote Backen bekommen. Zudem zeigte sich der König für die Gastfreundschaft der Brüder in der Regel durch besonders umfangreiche Privilegien erkenntlich. Es war also ein Geben und Nehmen. Die ältere historische Forschung prägte für diese Praxis der intensiven Einbindung der Bistümer und Reichsklöster in die Königsherrschaft den sperrigen Begriff des ‚ottonisch-salischen Reichskirchensystems‘. Hatte sie darin aber nur ein Instrument des Reichsoberhaupts sehen wollen, die Bistümer und Klöster kontrollieren zu können, würdigt man heute die fruchtbare und für das spätere römisch-deutsche Reich einzigartige Symbiose zwischen König und Reichskirche.
Der sakrale König
Die Gebete, die in den Klöstern unablässig für das Wohlergehen von Herrscher und Reich verrichtet wurden, knüpften ein starkes Band zwischen Mönch und Herrscher. Nicht nur in ‚Verbrüderungsbüchern‘, sondern auch in den Nekrologien (‚Toten-
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bücher‘) vieler Klöster waren die Namen ottonischer und salischer Könige verzeichnet: Ihre Herrschaft wurde von den Fürbitten der Mönche getragen und ihr Gedächtnis noch weit über ihr Ableben hinaus feierlich bewahrt. Die besondere Bindung zu den Klöstern wurde umso stärker intensiviert, je mehr die Könige um die Jahrtausendwende den göttlichen Ursprung ihrer Würde betonten. Mit dem Sakrament der Salbung verwandelte sich der König bei seiner Weihe gleichsam in einen neuen Menschen. Als ‚Stellvertreter Christi auf Erden‘ (Vicarius Christi) war ihm die Lenkung der Kirche und des ganzen Volkes anvertraut. Seine Aufgabe war die Vermittlung und Durchsetzung der Gesetze Gottes, der ihn dereinst zum Teilhaber an der himmlischen Herrschaft machen würde. In der Person des Königs lag das Gedeihen des Reiches begründet, er war Garant für Friede, Sicherheit und Wohlergehen der Menschen. Dieser gewaltige Anspruch, der unter Otto I. (936–973) entwickelt wurde, erreichte seinen Zenit unter König Heinrich II. (1002–1024) und wurde von seinen salischen Nachfolgern bis weit ins 11. Jahrhundert hinein weitergetragen. Intensiv wandten sich die Könige den Reichsklöstern zu und waren bestrebt, sie noch stärker in ihre Herrschaft einzubinden. Heinrich II. etwa setzte sich unermüdlich für die Ausbreitung der gorzisch-lothringischen Erneuerungsbewegung ein und spannte ein Netz von Reformklöstern über das ganze Reich. Sein Bestreben und seine Verpflichtung aus tiefster Überzeugung war es, die Klöster aller materiellen Nöte zu entheben und für ihre rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit zu sorgen. Freigiebig übertrugen er und seine Nachfolger den Abteien Ländereien und Besitzungen in großer Anzahl, privilegierten sie mit Herrschaftsrechten und schenkten ihren Anliegen ein offenes Ohr. In zunehmendem Maß wurde Kritik am oft strengen Herrschaftsstil der Könige geäußert und besorgt gemahnt, die über-
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Gebee t verpflichtet
Neben Freundschaft, Verwandtschaft und Treuebündnissen wurde durch Gebetsbünde eine besonders starke Verbindung zwischen einzelnen Personen und Gruppen hergestellt. Viele Klöster verbrüderten sich daher untereinander durch gemeinsames Gebet und Fürbitte. In ‚Verbrüderungsbüchern‘ waren bisweilen die gesamten Mönchsgemeinschaften der Abteien namentlich aufgeführt, denen man sich so besonders verpflichtet fühlte. Auch in den Totenbüchern waren nicht nur die verstorbenen Mitglieder des eigenen Klosters verzeichnet, sondern auch verbrüderte Konvente, besondere Gönner der Abtei und schließlich Könige und Kaiser. Durch die memoria, das fromme Angedenken, blieben die Verstorbenen lebendig.
mäßige Betonung ihrer sakralen Würde entrücke sie den Menschen. In den Klöstern des Reiches aber pries man sie begeistert als Stellvertreter Christi auf Erden (Vicarius Christi), als Schutzherrn der Schwachen und Elenden, der Witwen und Waisen. „Du mögest der Trost des Weinenden sein, das Licht dessen, der des Lichtes entbehrt, den Lahmen ein Stock, dem Armen einzige Rettung“4, dichtete man etwa auf Heinrich II. Auch für den Salier Heinrich III. fanden die Brüder Worte des Lobpreises und der Verehrung, die ihn als von Gott gesalbten Herrscher in seiner sakralen Würde feierten:
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An den alten Vätern bewundern wir Verschiedenes, was wir an Euch im Ganzen verehren: Wir loben die Sanftmut des Moses, die Tapferkeit des David, die Schönheit des Absalom,
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die Geduld des Hiob und die Weisheit des Salomon.5
Solche Worte waren weit mehr als nur Lippenbekenntnisse von Mönchen, die sich über die Zuwendung eines Herrschers freu-
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ten. Indem sie deren von Gott gegebene Königsherrschaft mittrugen, wirkten sie nach ihrer Vorstellung selbst am göttlichen Heilsplan mit.
Bilder für den König
Die spätottonischen und salischen Herrscher bedienten sich der Klöster in noch ganz anderer Weise. In einigen von ihnen ließen sie liturgische Prachthandschriften anfertigen. In diesen waren bildliche Darstellungen des auftraggebenden Königs mit großer Kunstfertigkeit ausgeführt, die besser als alle Worte die Vorstellungen der Zeit vom Sakralkönigtum um die Jahrtausendwende vermitteln. Das Skriptorium des Inselklosters Reichenau war um diese Zeit weit über die Reichsgrenzen hinaus berühmt für seine unvergleichliche Malkunst. Von Reichenauer Mönchen illuminierte Handschriften gehörten zum kostbarsten, womit insbesondere Bischöfe ihre Bücherbestände gerne schmückten. Und auch für den König war das beste gerade gut genug. Schon Kaiser Otto III. (983–1002) beauftragte das Reichenauer Skriptorium mit mehreren Evangeliaren und einer Apokalypse-Handschrift. Alle Prachtcodices enthalten ganzseitige Abbildungen, die die kaiserliche Würde und den göttlichen Ursprung seiner Herrschaft betonen. Besonders das Liuthar-Evangeliar, das Otto III. später der Pfalzkapelle zu Aachen stiftete, verdient Beachtung. Es zeigt den jugendlichen Herrscher allem Irdischen entrückt auf einem Thron sitzend, den die allegorische Gestalt der Erde (Terra) trägt. Den Kaiser umgibt die Mandorla, jene Aura der Heiligkeit, in der sonst allein Christus abgebildet wird. Mit dem Haupt dringt Otto in die Sphäre Gottes ein, dessen Hand den Kaiser segnend berührt. Die Symbole der vier Evangelisten um-
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Das um 1000 angefertigte Liuthar-Evangeliar zeigt den von Gott gekrönten Kaiser Otto III. auf dem Thron der Welt und umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten.
hüllen den Herrscher bildlich mit dem Schriftband des Wortes Gottes. Dem Thron zur Seite stehen zwei Lanzen tragende weltliche Herrscher, während darunter je zwei Adlige sowie zwei Bischöfe als Repräsentanten der Reichskirche stehen.
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Christus krönt Heinrich II. Buchmalerei, um 1002/14
Dieses Herrscherbild darf nicht nur als ein Höhepunkt der Buchmalerei gesehen werden. Es ist „die vielleicht erregendste Bildschöpfung der späten Ottonenzeit“.6 Tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen irdischer und göttlicher Sphäre in dieser Herrscherdarstellung in einer Weise, wie dies später nie mehr versucht wurde. Der Herrscher als ‚Stellvertreter Christi auf Erden‘ trat schon zu Lebzeiten in die Nähe Got-
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tes und sollte später teilhaben an der himmlischen Regentschaft. „Übe jetzt die irdische und später die himmlische Herrschaft aus“, ist das Widmungsbild einer weiteren Reichenauer Handschrift für Otto III. überschrieben.7 Auch Heinrich II. bestellte Handschriften im Kloster Reichenau, in denen in ähnlicher Weise die sakrale Würde seines Königtums betont wurde. Er wandte sich daneben insbesondere nach Regensburg. Dort war er von Bischof Wolfgang erzogen worden und fühlte sich zum Kloster St. Emmeram stark hingezogen. Im dortigen Skriptorium ließ er ein Sakramentar anfertigen, das neben einem Bild des thronenden Heinrich II. auch eine Darstellung jenes Moments enthält, in dem er stehend aus der Hand Christi die Königskrone empfängt. Heinrichs erhobene Arme werden von zwei heiligen Bischöfen gestützt. Es sind Ulrich von Augsburg († 955) und Emmeram von Regensburg († 652). In der Hand hält Heinrich mit der Heiligen Lanze und dem Reichsschwert die beiden bedeutendsten Herrschaftsinsignien der ottonischen Könige. Die Lanze selbst ist mit Knospen besetzt und soll an den Stab Aarons aus dem Alten Testament erinnern, jenen Stab des Lebens, den Moses auf Geheiß Gottes in der Bundeslade aufbewahren sollte. Heinrich II. stellt sich damit in die Reihe der alttestamentarischen Könige und verweist eindringlich auf seine Aufgabe, als Christus Domini (‚Gesalbter des Herrn‘) die göttlichen Gesetze zu vermitteln. Es wäre zu einfach, hinter solchen Herrscherbildern schablonenhafte Darstellungen zu vermuten, mit denen die Illustratoren in den klösterlichen Schreibstuben dem König schmeicheln wollten. Während allen Abbildungen Ottos III., Heinrichs II. sowie Konrads II. (1024–1039) und Heinrichs III. (1039–1056) gemein ist, dass sie die unsichtbare, göttliche Dimension als ein wesentliches Charakteristikum des Königtums hervorheben,
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gibt es doch deutliche Akzentuierungen. Unter Otto III. wurde der Kaisergedanke stärker akzentuiert als unter Heinrich II., der mehr als Gesetzgeber dargestellt ist. Das war kein Zufall. Die Könige standen in engem Kontakt zu den Klöstern, in denen diese Bilder entstanden: Abt Alawich II. von der Reichenau begleitete Otto III. auf seinem zweiten Italienzug und stand bei ihm in höchstem Ansehen. Heinrich II. schließlich war in Regensburg sowohl von Bischof Wolfgang als auch von Abt Ramwold von St. Emmeram erzogen worden. Letzteren verehrte er so sehr, dass er bei dessen Beisetzung in der Krypta des Klosters mithalf, den Sarg zu tragen und auch später stets einen Schlüssel zu dessen Grabkammer bei sich trug. Es kann wenig Zweifel daran geben, dass die Herrscherbilder in genauer Absprache mit den Königen konzipiert und von Mönchen geschaffen wurden, die vom göttlichen Mandat ihrer Auftraggeber überzeugt waren.
Eine Frage der Rentabilität
Die Herrscher der späten Ottonen- und frühen Salierzeit waren in größtmöglicher sakraler Überhöhung in die Nähe Gottes gerückt. Doch nur wenige Jahre später erfolgte der Absturz des Königtums aus dieser schwindelerregenden Höhe. Die Idee einer freien Kirche, in der sich niemand Ämter erkaufte und in der Laien keinen Einfluss mehr haben sollten, war vom Kloster Cluny aus in die Welt hinausgetragen worden und hatte sich zum Kern der großen Kirchenreform des 11. Jahrhunderts entwickelt. In letzter Konsequenz mündeten die Auseinandersetzungen um den Kauf kirchlicher Ämter (Simonie) und die Besetzung von Bischofsämtern durch Laien in den so genannten Investiturstreit, der zum Kräftemessen zwischen Papst und Kaiser geriet. Als Papst Gregor VII. im Jahr 1075 den Bannfluch gegen König
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Heinrich IV. schleuderte, war es den Zeitgenossen, als hätte ein Erdbeben die Welt erschüttert. Der Stellvertreter Christi auf Erden war vom Papst exkommuniziert, seiner sakralen Würde beraubt und aus der Gemeinschaft der Christen ausgeschlossen worden! Fortan schufen die Mönche in den Klöstern für den König keine Lobgedichte und auch keine Herrscherbilder mehr. Den Königen stand auch kaum mehr der Sinn nach liturgischen Handschriften. Der sakrale Herrscher der späten Ottonen- und frühen Salierzeit, der sich in Milde und Nachsicht üben sollte, war Königen und Kaisern wie dem Staufer Friedrich Barbarossa gewichen, der sich in ritterlich-höfischem Prunk entfaltete und dessen wichtigste Aufgabe es war, in großer Strenge Gerechtigkeit auszuüben. Auf das Gebet der Mönche legte er weniger Wert als auf das Geld, das aus den Reichsklöstern in seine stets leeren Truhen floss. Die Abteien waren wichtige wirtschaftliche Stützpunkte im Reich, deren Besitzungen häufig an Handels- und Reiserouten lagen. In zunehmendem Maße nutzte er die Klöster und deren Güter zur Versorgung besonders treuer Gefolgsmänner. Umso weniger war er aus Frömmigkeit bereit, auf das servitium regis zu verzichten. Die Klöster stöhnten schwer unter dem Königsdienst, den sie Barbarossa schuldeten und oftmals als ungerecht empfanden. Einst kamen zur Adventszeit, so erfahren wir aus einem Brief, drei kaiserliche Gesandte nach Tegernsee. Der erste forderte vom Abt die Beteiligung an einem Kriegszug, der zweite fünf Pfund Silber und der dritte ein starkes Pferd. Man könne sich, so der Tegernseer Vogt in seinem Schreiben, nicht vorstellen, dass diese maßlosen Forderungen von Kaiser Barbarossa gekommen seien. Er möge nämlich bedenken, dass das Kloster noch an den Folgen einer Hungersnot laboriere und solche Leistungen nicht aufbringen könne.
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Letzteres hätten die Mönche besser verschwiegen. Der Staufer zögerte nämlich nicht, wirtschaftlich in Not geratene und unrentable Klöster gleichsam ‚abzustoßen‘ und an Bischöfe oder Adlige zu verleihen. Erneut machten sich also Zittern und Bangen in den Reichsabteien breit. Verzweifelt baten die Mönche des zum wiederholten Male von einem Hochwasser bedrohten Klosters Niederalteich um 1151 in befreundeten Abteien um materielle Hilfe: Wir werden, wenn es die Barmherzigkeit Gottes nicht ab-
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wendet, größten Schaden an unseren Gebäuden erleiden. Denn schon im letzten Winter, der strenger als gewöhnlich über uns hereinbrach, stürzte ein Teil unseres Hauptgebäu-
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des durch eisige Überschwemmung ein.8
Doch es war zu spät. Das schwer angeschlagene Königskloster wurde im Jahr 1152 an den Bischof von Bamberg verlehnt. Wirtschaftlich florierende Klöster dagegen war der König gerne bereit nach Kräften zu fördern, sei es durch Gebietsübertragungen oder entschlossenes Eingreifen im Konfliktfall. Der Glanz einer blühenden Abtei fiel dabei auf ihn und sein Königtum zurück. Die Klöster, so scheint es, waren die Schmuckkästchen des Reiches, an denen sich der Herrscher erfreute – und die sich in Notzeiten glänzend versilbern ließen. Die große Zeit der Königsklöster war damit bereits vorbei. Mit dem Absinken der zentralen Königsmacht im Reich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts wurden viele einstige Reichsabteien in bischöfliche oder herzögliche Hand gegeben.
Bischöfe und Adlige als Klosterherrn
Für ein Bistum, eine Grafschaft oder ein Herzogtum war ein gut ausgestattetes, wohlhabendes ehemaliges Königskloster ein be-
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trächtlicher Zugewinn. Denn geistliche und weltliche Würdenträger gleichermaßen waren schon seit dem frühen 12. Jahrhundert mit Eifer daran gegangen, ihre Territorien durch Herrschaftsintensivierung zu festigen, verstreute Gebiete durch Tausch oder Zugewinn zu vereinigen und straff zu organisieren. So hatten insbesondere die Bischöfe mit gierigem Blick auf manch reiches Königskloster geschielt und sich ausgemalt, wie es doch wäre, selbst über das Kloster und seine Einnahmen verfügen zu können. Bischof Otto von Freising ging sogar so weit, dass er Friedrich Barbarossa 500 Pfund Silber für die Abtei Tegernsee bot, die er schon lange gern in seinem Besitz gehabt hätte. Der Herrscher aber wies das Ansinnen empört zurück, und der Bischof musste sich trollen. Doch verfügten die Oberhirten über stärkere Waffen als Geld. Sie waren auf geistlicher Ebene für jedes Kloster in ihrer Diözese verantwortlich und führten gleichsam die religiöse Oberaufsicht. So geschah es nicht selten, dass sie Abteien besuchten und, so behaupteten sie später, erschreckende Mängel in der klösterlichen Disziplin feststellen mussten. Auf Kirchenversammlungen und gegenüber dem König als Klosterherrn wurde dann offen die Reformbedürftigkeit des betroffenen Klosters postuliert. Wehrten sich die Konvente nicht zeitig genug, so konnte es ihnen passieren, dass sie sich nicht nur mit neuen Lebensgewohnheiten, sondern auch gleich mit einem neuen Klosterherrn anfreunden mussten: In der Tat benutzten in nicht wenigen Fällen Bischöfe eine Reform als Einfallstor für eine ‚Übernahme‘ des gesamten Klosters. Doch wäre es falsch, den Bischöfen zu unterstellen, sie hätten lediglich ein materielles Interesse an den Abteien gehabt. Sie erwiesen sich nämlich selbst als eifrige Stifter von Klöstern. So verdankte sich das Kloster Prüfening der glühenden Begeisterung, Bischof Ottos I. von Bamberg für die kraftvollen neuen
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Ideen der Hirsauer Reform. Dank seiner Fürsorge wurde seine Gründung vor den Toren Regensburgs zum bedeutendsten Zentrum hirsauischer Prägung im Süden des Reiches. Auch das einflussreiche Admont in der Steiermark wurde 1074 vom Salzburger Erzbischof Gebhard gegründet und reich ausgestattet. Eine der folgenreichsten Stiftungen durch einen Bischof war die Gründung des Klosters Gorze durch Chrodegang von Metz im Jahr 757. Und es war erneut ein Bischof, nämlich Chrodegangs späterer Nachfolger Adalbero I., der das Kloster im frühen 10. Jahrhundert einer Gruppe von Reformern überließ, die es zur Keimzelle einer der bedeutendsten Reformbewegungen des Früh- und Hochmittelalters machten. Viele Klöster mit klangvollen Namen wie Wessobrunn, Tegernsee, Benediktbeuern, Kremsmünster, Melk, Lorch oder Murbach gingen auf Gründungen durch adlige Herren zurück. Selbst die beiden Reformzentren Cluny und Hirsau wurden auf Initiative Herzog Wilhelms von Aquitanien und Graf Adalberts II. von Calw gegründet. Beiden Klöstern war gemeinsam, dass ihre Stifter auf die Ausübung ihrer Eigenkirchenrechte verzichteten. In der Regel profitierten die Klosterherren nämlich durchaus in erheblichem Umfang von den wirtschaftlichen Erfolgen ihrer Gründungen und ließen sich in der Ausübung ihrer Rechte nur ungern beschneiden. Für viele Stifter aber war die Gründung eines Klosters eine fromme Tat, für die sie sich den verdienten Lohn im Himmel erhofften. Jedes Gebet und jeder Akt der Nächstenliebe, den die Mönche tätigten, warf ein helles Licht auf den Klosterherrn zurück – weit über seinen Tod hinaus. Die ganze Stifterfamilie nämlich fand im Hauskloster ihre Grablege und vertraute ihre Seelen im Jenseits der Fürbitte ‚ihrer‘ Mönche an.
Das Kloster und seine familia: Herrschaft über Land und Leute
er ein Kloster stiftete, der musste für seine wirtschaftliche Überlebensfähigkeit sorgen. Er stattete es daher mit Grundbesitz aus. Jeder Mönch übertrug dem Kloster bei seinem Eintritt weitere Äcker, Wiesen, Felder oder landwirtschaftliche Höfe aus dem Besitz seiner Familie und ließ damit den Klosterbesitz weiter anwachsen. Auch Adelssippen, die ihrer Seele im Jenseits ein gutes Werk tun wollten, erwiesen sich als fromme Stifter von Ländereien. Gerade kurz vor einem Aufbruch zum Kreuzzug schien die Herren die Sorge um ihr
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Seelenheil besonders umzutreiben. Um ihrer unversehrten Rückkehr willen, aber auch für den Fall eines jähen Todes vermachten sie daher häufig einen Teil ihres Besitzes einem Kloster. Besonders cluniazensische und hirsauische Klöster wurden aufgrund ihrer liturgischen Höchstleistungen mit zahlreichen frommen Stiftungen bedacht. Die Botschaft von einem erneuerten Mönchtum beeindruckte auch die Laien in solchem Maße, dass sie sich von der Fürbitte der Reformmönche ganz besondere Kraft erhofften. Auch die Mönche selbst legten die Hände nicht untätig in den Schoß. Der Besitz des Klosters sollte in seinem Bestand nach Möglichkeit nicht nur bewahrt, sondern nach Kräften gemehrt werden. Besonders war den Klöstern daran gelegen, verstreute Güter so geschickt zu tauschen, dass sie über einen mög-
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lichst geschlossenen Grundbesitz verfügen konnten. Auch besaßen sie das Recht, Wälder auf ihrem Besitz zu roden und für eine landwirtschaftliche Nutzung urbar zu machen.
Klöster als Grundherren
Mit einem Gut wurden auch die darauf lebenden, meist unfreien Menschen der Abtei übertragen. Sie waren nun Angehörige der Klosterfamilie (familia) und konnten mit Schutz, Schirm und Gebet durch ihren Herrn rechnen. Eine allgemein gültige Definition der ‚Unfreiheit‘ scheitert an den außerordentlich differenzierten Formen, in denen sie im Mittelalter begegnet. Der Begriff konnte insbesondere im Frühmittelalter einen Sklaven bezeichnen, der über keinerlei Rechte verfügte, oder aber einen Hörigen in einer Grundherrschaft. Unfreie konnten nicht in vollem Umfang über sich und ihren Körper verfügen und genossen in der Regel keine Reisefreiheit. Eine Aussage über den Besitzstand einer unfreien Person lässt der soziale Status allein nicht zu. Einige unfreie Bauern waren wirtschaftlich besser gestellt als so mancher Freie, der auf einem kleinen Hof ein karges Dasein fristete. Unfreiheit im Dienst eines adligen Herrn oder eines Klosters war für viele ärmere FreiHerrr und Höriger
Die wenigsten Grundherren bewirtschafteten ihren Besitz selbst, sondern mit Hilfe unfreier Bauern. Während diese als Hörige dem Grundherrn Abgaben und Frondienst schuldeten, bot dieser ihnen Schutz und hatte für Frieden und in Hungerzeiten für materielle Hilfe zu sorgen. In den Grundherrschaften eines Klosters waren die Hörigen zur Abgabe des Zehnt, des zehnten Teils ihrer Ernte, verpflichtet.
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Der G utshof der Zisterzienser
Ein eigenes System des Wirtschaftens begründeten die Zisterzienser im 12. Jahrhundert. Sie schufen landwirtschaftliche Großkomplexe (Grangien) von durchschnittlich 200 Hektar, die die Laienbrüder des Ordens mit Unterstützung von Hörigen und Lohnarbeitern bewirtschafteten. Der Hofmeister war dabei dem Abt und Cellerar des Klosters voll rechenschaftspflichtig. Die mustergültig geführten Betriebe warfen zum Teil großen Gewinn ab und verhalfen vielen Klöstern zu großem Reichtum. Manche Abteien verfügten über bis zu 20 Grangien.
geborene daher eine bisweilen nicht unattraktive Lebensform. Welcher Art die Hörigkeit und die damit verbundene Rechtsstellung innerhalb eines klösterlichen Herrschaftsverbands sein konnte, sei kurz am Beispiel des hirsauischen Klosters Zwiefalten um 1100 erläutert. Die Unfreien der Klosterfamilie Zwiefaltens, so erfahren wir, waren entweder Zinspflichtige, Dienstleute oder Leibeigene. Letztere arbeiteten entweder als Gesinde auf den Wirtschaftshöfen des Klosters, bewirtschafteten eigenes Land oder waren Weinbauern, Bäcker, Schuster oder Schmiede. Die Zinspflichtigen (tributarii) waren dem Kloster oder den klostereigenen Pfarrkirchen zur jährlichen Zahlung eines Zinses in Form von Geld oder Wachs verpflichtet. Ansonsten waren sie von weiteren Leistungen befreit und bei der Wahl von Wohnsitz und Beruf kaum eingeschränkt. Sie unterstanden der Gerichtsbarkeit des Vogtes. Sollten sie für ein Vergehen von diesem mit einer Geldbuße belegt werden, so ging ein Drittel davon an den Vogt, die anderen beiden Drittel aber flossen in die Truhen des Klosters, „wenn sie nicht aus Barmherzigkeit erlassen werden“.1
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Die Leibeigenen wiederum gehörten dem Kloster aufgrund vollen Eigentumsrechts. Sie waren, „falls sie gegen uns oder gegen sonst jemanden ein Unrecht begangen oder Grund zu gerechter Klage gegeben haben, vom Abt oder Vogt so hart zu bestrafen, dass die übrigen Angst bekommen und keiner von ihnen so etwas zu tun wagt“.2 Von den Dienstpflichtigen ist zu erfahren, dass sie den Abt, Prior oder andere Mönche des Klosters auf Reisen zu Pferd geleiten mussten. Sie wurden zum Unterhalt des Reittiers ähnlich Adligen mit eigenen Lehensgütern ausgestattet, doch wurde bei ihrem Tod das Pferd und alles, was ihnen das Kloster überlassen hatte, wieder eingezogen. Sie unterstanden der Gerichtsbarkeit des Abtes. So sie sich dessen Richterspruch jedoch verweigerten, sollte der Vogt sie zur Botmäßigkeit zwingen. Der Chronist Ortlieb betont, dass unbotmäßiges Verhalten dieser Spitzengruppe der klösterlichen familia andernorts keine Seltenheit sei, während man selbst einen weiteren sozialen Aufstieg mit allen Mitteln zu unterbinden suche.
Die Verwaltung des Besitzes
Das Zwiefaltener Beispiel der Zusammensetzung eines klösterlichen Hörigenverbandes lässt sich mit kleinen Einschränkungen auch auf andere Klöster übertragen. Die drei Statusgruppen der Leibeigenen, Zinspflichtigen und Dienstleute tauchen überall in der ein oder anderen Form auf, auch wenn deren genaue Rechtsstellung oft anders geregelt war als in Zwiefalten. Aber selbst innerhalb einer Klosterfamilie konnte sich die Höhe der Abgaben und Frondienste, zu denen die Hörigen verpflichtet waren, ganz erheblich unterscheiden. Oft wurde das, was der Einzelne an Arbeitsleistung, Naturalien, Wachs oder Geld dem Kloster zu leisten hatte, ganz individuell festgelegt.
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Der w eltliche Beschützer
Als Geistlichen waren den Äbten all jene Tätigkeitsfelder untersagt, die mit Gewalt und Blutvergießen zu tun hatten. Insbesondere betraf dies das Gerichtswesen und den bewaffneten Schutz ihres Klosters. Jede Abtei verfügte deshalb über einen Vogt, der innerhalb der klösterlichen Immunität die Gerichtsbarkeit ausübte und Konvent und Klosterfamilie nach außen mit Waffen verteidigte. In Adelsklöstern übernahmen meist die Stifter das Amt des Vogtes. In Reichsklöstern wurde er, oft gegen den Willen der Konvente, in der Regel vom König eingesetzt. Für seine Dienste beanspruchten die Vögte jährliche Abgaben aus den Besitztümern des Klosters. Auch Strafabgaben, die verurteilte Hörige zu leisten hatten, füllten seine Truhen. Doch führte die Willkür mancher Vögte bei der Erhebung von Abgaben oft zu lauten Klagen der Mönche.
Die Verwaltung des klösterlichen Besitzes bedurfte daher einer klar strukturierten Organisation, gerade wenn die Besitzungen weit verstreut lagen. Wie in weltlichen Grundherrschaften auch bildeten von Meiern geleitete Wirtschaftshöfe die Zentren, an die die umliegenden Bauern zu festgesetzten Terminen ihre Naturalabgaben zu liefern hatten. An bestimmten Tagen der Woche mussten sie zudem im Frondienst ihre Arbeitskraft auf den Ländereien des Meierhofs zur Verfügung stellen. Viele Klöster bestellten zudem Güterpröpste aus den eigenen Reihen, die mithelfen sollten, insbesondere weit entfernt liegende Besitzungen zu verwalten. Auch besonders treue und tüchtige Unfreie konnten herangezogen werden. Sie entstammten in der Regel der bereits von Ortlieb von Zwiefalten erwähnten Spitzengruppe der belehnten Dienstleute. Andernorts bezeichnete man diese Gruppe als Ministerialen und bediente sich
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ihrer sowohl zu administrativen Aufgaben wie auch als bewaffnete Reiter zum Schutz der Klostergüter. Dazu wurden sie vom Abt mit eigenen Ländereien belehnt, auf denen sie auf eigenen Höfen oder gar kleineren Burgen (Motten) lebten. Beim Kämmerer des Klosters liefen schließlich alle Fäden der Grundherrschaft zusammen. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Vorratskeller und Scheunen des Klosters stets gut gefüllt waren. Er wusste genau, von welchem Hof welche Abgaben in welcher Höhe einzufordern waren. Dazu legte er häufig ein Urbar (althdt. urberan = einen Ertrag bringen) an, das ihm genauen Aufschluss über die zu erbringenden Leistungen der Hörigen gab. So ist aus dem Tegernseer Urbar zu erfahren, dass das Kloster Tegernsee im 12. Jahrhundert aus allen Teilen seines riesigen Besitzes, der sich weit über das heutige Oberbayern hinaus erstreckte, große Mengen an Hafer bezog. Die engere Umgebung des Klosters um den Tegernsee herum war aber offensichtlich bereits um diese Zeit von Almwirtschaft geprägt, denn von den dort lebenden Hörigen bezog die Abtei in erster Linie Milch und Käse. Dass sich die Klöster schon frühzeitig der Schriftlichkeit bei der Verwaltung ihrer Besitztümer bedienten, machte sie weltlichen Grundherren, die in der Regel des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren, deutlich überlegen und ihr Wirtschaften weitaus erfolgreicher.
Neue Besen kehren gut
Ein überforderter Kämmerer oder Abt konnte bedeuten, dass die Meier auf den Wirtschaftshöfen oder die Ministerialen freie Hand hatten, an den Klostertruhen vorbei in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Gelegenheit macht Diebe, das musste auch Abt Markward mit Entsetzen feststellen, als er 1150 sein
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Amt in Fulda antrat. Das einst so stolze Kloster sei durch die Nachlässigkeit seiner Amtsvorgänger wirtschaftlich so heruntergekommen gewesen, dass sich in seinen Vorratskammern kaum mehr ein Krümel an Nahrung befunden hätte, erinnert sich Markward in dem Bericht, in dem er später Rechenschaft über seine Maßnahmen ablegte. Die Schuld an der Misere gab der Abt den Meiern, die die ihnen vom Kloster überlassenen Güter schamlos veruntreut und der Abtei schlicht den schuldigen Dienst verweigert hätten. Außerdem hätten sich die benachbarten Adelsfamilien freizügig am Besitz der Abtei bedient und sich, wie es ihnen beliebte, an den Gütern der Hörigen vergriffen. Und niemand, so konstatierte er schockiert, hätte auch nur versucht, dem frevlerischen Tun Einhalt zu gebieten. Markward beschloss, dem Treiben ein Ende zu setzen und mit harter Hand durchzugreifen, um den alten Besitzstand des Klosters wiederherzustellen. Zuerst entzog er den Meiern ihre Höfe und besetzte sie mit Mönchen oder geeigneten Bauern. Zwar hatte er wohl mit Widerständen der solcherart ihrer Ämter Enthobenen gerechnet. Dass sie aber so weit gingen, die neuen Meier zu überfallen, ihnen das Augenlicht zu rauben oder sie gar zu erschlagen, zeigt das ganze Ausmaß ihrer Empörung über den rauen Wind an, der mit dem neuen Abt in Fulda Einzug gehalten hatte. Der aber ließ sich von der Gewaltbereitschaft der ehemaligen Meier nicht einschüchtern. Es gelang ihm sogar, einen Großteil der geraubten Güter wieder in den klösterlichen Grundbesitz einzugliedern. Eigene, mit Ministerialen besetzte Burgen sollten künftig die gierigen Nachbarn vom Eigentum Fuldas fernhalten. Auch innerhalb des Klosters bewirkte Markward einige positive Veränderungen. So ließ er nicht nur die Dächer der Klostergebäude mit Blei decken, sondern erneuerte auch die schadhafte Wasserleitung:
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Daa so sorgte gte ich c für ü geeignete gee g ete Wasserrinnen, Wasse e , und u d nun u ließen eße die de Bleiröhren ununterbrochen Wasser zuströmen. Von jetzt ab fehlt es nicht mehr an fließendem Wasser, das jedem Bruder
]
nach Wunsch über die Hände läuft.3
Anspruch und Wirklichkeit
Ein regelmäßig und reichlich gedeckter Tisch im Refektorium und das Wissen, einer wirtschaftlich florierenden Abtei anzugehören, ließ viele Mönche sich wenige Gedanken über die Hörigen und Zinsleute des Klosters machen. Den offenen Widerspruch, sich einerseits aus der Welt zurückzuziehen und andererseits ganz weltlich Herrschaft über andere auszuüben, konnten und wollten sie nicht auflösen. Ortlieb von Zwiefalten etwa sah theologischen Anspruch und soziale Wirklichkeit durchaus als miteinander vereinbar an und verwies darauf, dass in seinem Kloster die ganze familia mit den Mönchen nach dem Vorbild der Urkirche zusammenlebte. Vor allem war es ihm wichtig zu betonen, dass klösterliche Grundherrschaft weit weniger gewalttätig sei als die Machtsphäre eines weltlichen Herrn. Viele Hörige hätten sich von ihren adligen Grundherren losgekauft und sich freiwillig dem Kloster Zwiefalten unterstellt, weil sie die Härte und Last ihrer Knechtschaft nicht mehr ertragen konnten. Im Dienst des Klosters würden sie nun die erstrebte Ruhe finden. Auch in anderen Reformklöstern wies man darauf hin, dass die Herrschaft durch Mönche keinesfalls mit der Unterdrückung durch machthungrige Edelleute gleichzusetzen sei, zumal nirgendwo sonst Rechte und Pflichten der Hörigen schriftlich niedergelegt würden. Wie gesagt: Einen Widerspruch darin, als Mönche über
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andere Menschen zu herrschen, sahen die meisten Klöster nicht. Im Gegenteil. Zur Bestrafung von Vergehen und Ungehorsam sowie zur „Unterwerfung und rechtlich gebotenen Pflichterfüllung“ war auch in der Lebenswelt des Klosters Gewalt völlig legitim4, auch wenn die Ausübung gerichtsherrlicher Rechte den Abt weniger als Nachfolger der Apostel auswies als vielmehr als Angehörigen des Herrenstandes.
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Anmerkungen Das Kloster und seine Bewohner 1 Umberto Eco, Der Name der Rose, 17. Aufl. München 1993, S. 40. 2 Benediktusregel c. 66. 3 St. Galler Klostergeschichten, S. 265. 4 Rodulfus Glaber, Historiarum libri quinque III, 4. 5 Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Br. 4. 6 Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Br. 24. 7 Constitutiones Hirsaugienses II, 52. 8 Constitutiones Hirsaugienses I, 26. 9 Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Gedicht X. 10 Haverkamp, Tenxwind, S. 540ff.
Von (A)bt bis (Z)irkator 1 Benediktusregel c. 63. 2 Tegernseer Briefsammlung, Br. 278. 3 Legislatio Aquisgranensis, S. 443. 4 Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Br. 2. 5 Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Ged. IV. 6 Benediktusregel c. 66. 7 Constitutiones Hirsaugienses 2,21.
Was trägt der Mönch? Was trägt die Nonne? 1 Benediktusregel, c. 55. 2 Legislatio Aquisgranensis, S. 462.
3 Otto von Freising, Chronik VII, 35. 4 Liber de unitate ecclesiae conservanda, S. 276. 5 Antibernardus, 26, S. 336. 6 Walter Map, De nugis curialium I, 25. 7 Ebd. 8 De Mauro et Zoilo, S. 244.
Opus Dei 1 Benediktusregel c. 48. 2 Benediktusregel c. 43. 3 Benediktusregel c. 16 in Anlehnung an Ps. 119, 164 und Ps. 70, 2. 4 Constitutiones Hirsaugienses I, 26. 5 Benediktusregel c. 48. 6 Dialogus inter Cluniacensem monachum et Cisterciensem de diversis utriusque ordinis observantiis, Bd. 5: In quo continentur varia concilia, episcoporum statuta synodalia, illustrium monasteriorum ac congregationum edita praesertim in capitulis generalibus decreta, hg. von Edmond Martène, Sp. 1569–1654. 7 Benediktusregel c. 6. 8 Peter Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Hirsau,
Anmerkungen
St. Peter und Paul, S. 59–84, hier S. 66. 9 Constitutiones Hirsaugienses I, 6. 10 Constitutiones Hirsaugienses I, 59. 11 Benediktusregel c. 73.
Askese oder Genuss? 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Benediktusregel c. 41. Ebd. Petri Venerabilis epistola I, 28. Ebd., Sp. 114 A. Benediktusregel c. 39. Zimmermann, Ordensleben, S. 45. Guidonis disciplina Farfensis I, 44. Consuetudines S. Vitonis Virdunensis S. 113f. Const. Hirs. I, 97. Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam v. 284. Bernhard, Apologia 20. Benediktusregel c. 39. Ebd., c. 40. St. Galler Klostergeschichten c. 141.
Das leibliche Wohl 1 Constitutiones Hirsaugienses I, 41. 2 Antiquiores consuetudines I, 30. 3 Constitutiones Hirsaugienses II, 52. 4 Constitutiones Hirsaugienses I, 97. 5 Schreiner, Hirsau, S. 64. 6 St. Galler Klostergeschichten c. 88. 7 Lanfranci decreta I, 2 (CCM) 8 Ordo Cluniacenis per Bernardum 1, 31. 9 Antibernardus 27. 10 Const. Bern. I,23 11 Tegernseer Briefsammlung, Br. 232. 12 De Mauro et Zoilo 193ff.
Ein Hort der Bildung 1 Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Ged. X. 2 Vita Anselms von Canterbury, Buch I, cap. 22. 3 Schlussblatt (fol. 308v) der Handschrift Ms. B 3, Universitäts-und Landesbibliothek Düsseldorf.
4 Leges Burgundionum, hg. Von Fredrich Blume, MGH Leges 3, Hannover 1863 (Neudr. 1965), S. 589. 5 Schreiber und sein Gehilfe. Prag, Kapitelbibliothek, MS Kap. A XXI, fol. 133r.
Brüder im Streit 1 Benediktusregel c. 72. 2 Benediktusregel c. 71 mit Verweis auf Tob 4,16. 3 Benediktusregel c. 28. 4 Tegernseer Briefsammlung, Br. 185. 5 St. Galler Klostergeschichte c. 33. 6 Ebd., c. 35. 7 Ebd., c. 46. 8 Ebd., c. 140. 9 Ebd., c. 141. 10 Lorscher Codex. Deutsch. Urkundenbuch der ehemaligen Fürstabtei Lorsch, Bd. 1. Ins Deutsche übertragen von Karl Josef Minst, Lorsch 1966, S. 198. 11 Ebd., S. 201. 12 Ebd., S. 202. 13 Vita Erminoldi abbati Pruveningensis, hg. v. Philipp Jaffé, MGH SS 12, Hannover 1856, S. 480–500, hier c. 12, S. 487.
König, Bischof oder Adliger 1 Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Br. 76. 2 Notitia de servitio monasteriorum, hg. von Petrus Becker, Corpus consuetudinum monasticarum, Bd 1, Siegburg 1963, S. 485–499. 3 Indiculus loricatorum, MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum I, Hannover 1893. 4 Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Ged. XXXIX, V. 27–30. 5 Tegernseer Briefsammlung (Froumund), Br. 120. 6 Johannes Fried, Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener
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Evangeliars, der ‚Akt von Gnesen‘ und das frühe polnische und ungarische Königtum (Frankfurter historische Abhandlungen 30), Wiesbaden 1989, S. 21. 7 Bamberger Apokalypse, Bamberg, Staatsbibliothek, Bibl. 140. 8 Tegernseer Briefsammlung, Br. 165.
Das Kloster und seine familia 1 Die Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds, cap. 1, 9, S. 49, Z. 5f. 2 Ebd., Z. 10–14. 3 Die Taten des Abtes Markward von Fulda, eingel. und übers. von Theodor Niederquell, in: Fuldaer Geschichtsblätter 38 (1962), S. 173–199. 4 Die Zwiefalter Chroniken c. 9, 50.
Literatur Gedruckte Quellen Antibernardus, hg. von A. Wilmart, in: Revue Bénédictine 46 (1934), S. 309–344. Antiquiores consuetudines Cluniacensis monasterii collectore Udalrico, Migne Patrologia Latinorum 149, Sp. 635–778. Die Benediktusregel, lateinisch / deutsch, hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 1992. Bernhard von Clairvaux, Apologie an den Abt Wilhelm, übers. von J. Schwarzbauer, In: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Innsbruck 1992, S. 145–204. Der Briefwechsel zwischen Tenxwind von Andernach und Hildegard von Bingen, hg, von Alfred Haverkamp, in: Ders.: Tenxwind von Andernach und Hildegard von Bingen. Zwei Weltanschauungen in der Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, hg. von Lutz Fenske, Werner Rösener und Thomas Zotz, Sigmaringen 1984, S. 515–548. Consuetudines S. Vitonis Virdunensis, hg. von B. Albers, Consuetudines Monasticae 5, Montecassino 1908, S. 111–133. Constitutiones Hirsaugienses, Migne Patrologia Latinorum 150, Sp. 923–1176.
De Mauro et Zoilo, in: The Latin Poems commonly attributed to Walter Mapes, hg. von Thomas Wright, London, 1841, S. 243–250. Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam. Escape of a certain captive told in a figurative manner, hg. von Edwin H. Zeydel, Chapel Hill, 1964. Ekkehard IV., St. Galler Klostergeschichten, übers. von Hans F. Haefele (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darmstadt 1980. Guidonis disciplina Farfensis, Migne Patrologia Latinorum 150, Sp. 1191–1300. Lanfranci Cantuariensis archiepiscopus decreta pro ordine s. Benedicti, hg. von David Knowles, Corpus Consuetudinum Monasticarum 3, Siegburg 1967, S. 1–106. Legislatio Aquisgranensis, hg. von Josef Semmler, Corpus Consuetudinum Monasticarum 1, Siegburg 1963, S. 425–472. Liber de Unitate Ecclesiae conservanda, hg. von Ernst Dümmler, MGH Libelli de lite 2, Hannover 1892, S. 173–184. Ordo Cluniacensis per Bernardum saec. XI scriptorem, hg. von M. Herrgott, Paris 1727, Sp. 133–364. Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, hg. von
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Bildnachweis S. 13: picture alliance / akg-images; S. 25: akg images / British Library, Ms. Add. 39843, fol. 29; S. 41: nach: Weinfurter, Stefan, Heinrich II., Regensburg 1992; S. 42: Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 84, fol. 1r; S. 45: nach: Benedicti, Regula, Die Benediktus-Regel, Beuron 1992; S. 55: picture-alliance / akg-images, Dijon, BM, Ms. 173, fol. 75v; S. 56: picture-alliance / akg-images, Dijon, BM, Ms. 173, fol. 59r; S. 74: picture-alliance / KPA/HIP/The British Library; S. 82: Johann Jakob Wick, „Wickiana“, Zentralbibliothek Zürich, Ms. F12 150v; S. 86: picture-alliance / KPA; S. 95: Institut für Realienkunde – ÖAW, Krems / Österreich; S. 98: picture-alliance / KPA/HIP/The British Library; S. 101: akg-images; S. 109: Èpernay, BM, Ms. 1, fol. 18v; S. 137: akg-images; S. 138: picture-alliance / akg-images, München, Staatsbibl., Cod. lat. 4456, fol. 11r
Sabine Buttinger ist promovierte Mediävistin am Historischen Seminar der Ludwigs-Maximilians-Universität in München und schreibt regelmäßig für die Zeitschrift DAMALS, 2006 erschien von ihr in der Reihe Theiss Wissen kompakt der Band: Das Mittelalter.