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German Pages 252 [251] Year 1996
HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
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FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1996, erschienen im Verlag Bouvier, Bonn.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1495-9 ISBN eBook: 978-3-7873-2953-3 ISSN 0073-1578
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INHALT
ABHANDLUNGEN (Bochum) Hegels Ästhetik und die Konzeption der Berliner Gemäldegalerie
OTTO PöGGELER
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(Bochum) Weltgeschichtliche Betrachtungen in systematischer Absicht. Zur Gestalt von Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte
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(Kassel) Die vergessene Zukunft. Anmerkungen zur Hegel-Rezeption in Cieszkowskis „Prolegomena zur Historiosophie" (1838)
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ANDREAS GROSSMANN
HEINZ EIDAM
Lu DE VOS (Löwen) Hegels Enzyklopädie 1827 und 1830: Die Offenheit des Systems?
99
(Ulm) Probleme einer genealogischen Kritik der Erirmerung. Anmerkungen zu Hegel, Nietzsche und Foucault
113
BURKHARD LIEBSCH
LITERATURBERICHTE UND KRITIK G. W. F. Hegel: El „Fragmente de Tubinga" (MARIANO ALVAREZGOMEZ, Salamanca)
141
Myriam Bienenstock: Politique du jeune Hegel (ELISABETH WEISSERLOHMANN, Hagen)
143
Bruno Coppieters: Kritik der reinen Empirie (FRANZ HESPE, Bergen)
148
Transzendentalphilosophie und Spekulation. Hrsg. v. W. Jaeschke (MIHäLY Szivös, Budapest)
151
Terry Pinkard: Hegel's Phenomenology: The Sociality of Reason (MARCOS BISTICAS-COCOVES, New York)
153
Andreas Luckner: Genealogie der Zeit (STEPHAN BAEKERS, Den Haag)
155
Reinhold im Lichte Kants und Hegels - Gerhard W. Fuchs: Karl Leonhard Reinhold; Pier Luigi Valenza: Reinhold e Hegel (MARTIN BONDELI, Bern)
159
Gabriella Baptist: II Problema della Modalitä nelle Logiche di Hegel (WILHELM METZ, Freiburg)
166
Petra Braitling: Hegels Subjektivitätsbegriff (FRIEDRICH HOGEMANN, Bochum)
168
Angelica Nuzzo: Logica e Sistema suUTdea Hegeliana di Filosofia (WILHELM METZ, Freiburg)
172
Karen Gloy und Rainer Lambrecht (Hrsg.): Bibliographie zu Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse" (HANS-CHRISTTAN LUCAS, Bochum)
173
Barbara Markiewicz: Lebende Bilder (JAN GAREWICZ, Warschau)
175
Angela Requate: Pragmatischer versus absoluter Idealismus (BRUNO COPPIETERS, Brüssel)
175
Hegel and Newtonianism. Ed. by Michael John Petry (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum)
176
Louk Eduard Fleischhacker: Beyond Structure. The Power and Limitations of Mathematical Thougt in Common Sense, Science and Philosophy (ACHIM ILCHMANN, Lübeck)
186
Giovanna Pinna: L'ironia metafisica (PAOLO D'ANGELO, Messina)
189
Eduard Gans: Chroniques fran^aises. Ed. par N. Waszek; E. Gans: Rückblicke auf Personen und Zustände (Lu DE Vos, Löwen)
191
Hans-Jürgen Gawoll: Nihilismus und Metaphysik (HANS-CHRISTIAN LUCAS, Bochum)
193
B. Bianco, M. Longo, G. Micheli, G. Santinello e L. Steindler: L'etä hegeliana (PAOLO GIUSPOLI, Bochum/Perugia)
195
Stefan Koslowski: Idealismus als Fundamentaltheismus (TOBIAS TRAPPE, Bochum)
199
Knut Wolfgang Nörr: Eher Hegel als Kant (R. CHENNOUFI, Tunis) ....
202
Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von Otto Pöggeler (CLEMENS MENZE, Köln)
203
Kommt das „Hegel-Jahrbuch" zu produktiver Ruhe? (HANS-CHRISTIAN LUCAS, Bochum)
208
Jahrbuch für Hegelforschung. Hrsg, von Helmut Schneider (KATHARINA COMOTH,
Köln)
Phänomenologie im Schatten Hegels - Walter Biemel: Gesammelte Schriften (OTTO PöGGELER, Bochum)
213
214
BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1994 Zusammenstellimg und Redaktion: ANNETTE SELL, Bochum
223
OTTO PÖGGELER (BOCHUM)
HEGELS ÄSTHETIK UND DIE KONZEPTION DER BERLINER GEMÄLDEGALERIE Als HEINRICH GUSTAV HOTHO 1835-38 Hegels Vorlesungen über die Ästhetik herausgab, hat er an einer Stelle Hegels Ausführungen auf den Vorlesungstag genau datiert. Danach sagte Hegel am 17. Februar 1829 über die Gemäldegalerien: „Das zweckmäßigste für das Studium und den sinnvollen Genuß wird deshalb eine historische Aufstellung sein. Solch eine Sammlung, geschichtlich geordnet, einzig und unschätzbar in ihrer Art, werden wir bald in der Bildergalerie des hier errichteten königlichen Museums zu bewimdem Gelegerüieit haben, in welcher nicht nur die äußerliche Geschichte in der Fortbildung des Technischen, sondern der wesentliche Fortgang der inneren Geschichte in ihrem Unterschiede der Schulen, der Gegenstände und deren Auffassung und Behandlungsweise deutlich erkennbar sein wird."i HOTHO machte so deutlich, daß Hegel vor der Eröffnung des Berliner Museums im August 1830 die Konzeption der Gemäldegalerie genau karmte. In der Tat sind die Zeugnisse darüber zahllos, daß Hegel sich sofort nach seiner Ankunft in Berlin die dortigen Kunstschätze ansah, daß er überdies mit jenen verkehrte, welche für die Anlage der Gemäldegalerie bestimmend wurden - so mit CARL FRIEDRICH VON RUMOHR und GUSTAV FRIEDRICH WAAGEN. Wenn Hegel von seiner Wohnung am Kupfergraben zur Universität ging, hatte er links neben sich auf der Spreeinsel den Neubau des Museums im Blick; trotzdem haben die Berliner es bis heute nicht für nötig gehalten, in der Trümmerstätte gegenüber dem Eingang zum Pergamonmuseum auf Hegels einstiges Haus am Kupfergraben hinzuweisen. Rechts sah Hegel das alte Zeughaus, und nach einer Wendung lagen Universität, Akademie und Oper vor ihm. Wie die anderen europäischen Hauptstädte mußte nun auch die Hauptstadt Preußens, des neuen Mit-
1 Vgl. G. W. F. Hegel's Vorlesungen über die Ästhetik. Hrsg, von H. G. Hotho. Berlin 1835-38. 3. Band. 102. - Zum folgenden vgl. Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg, von O. Pöggeler imd A. Geüunann-Siefert. Bonn 1983. - Der hier mitgeteilte Beitrag entstand iimerhalb einer Kolloquiumsreihe der Fem-Universität Hagen, veranstaltet von A. Gethmarm-Siefert.
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OTTO PöGGELER
glieds der europäischen Pentarchie, sein Museum zu Kirche, Schloß und den älteren Bildungseinrichtungen stellen. Hegel hatte sich in seiner Jugend dem neuen Bild Griechenlands zugewandt, das maßgeblich durch WINCKELMANNS Liebe zu den plastischen Gestalten entworfen worden war. Doch konnte HOTHO am Anfang des Ästhetik-Abschnittes Die Malerei Hegels Äußerung mitteilen, daß ims die Skulpturwerke der Alten zum Teil kaltlassen; „einheimischer" werde uns sogleich bei der Malerei. In der Malerei trat nun aber nicht nur RAFFAEL neben die griechischen Bildhauer; vielmehr konnte das Berliner Museum den Flügeln des Genter Altars in der Gemäldegalerie einen zentralen Platz geben. Hegel verglich diesen Altar mit dem Zeus von Olympia. Der Altar der Brüder VAN EYCK ist ein Allerheiligen- und Dreifaltigkeitsbild; Gott erscheint nunmehr nicht als Herrschergestalt im Verein mit anderen Gestalten, sondern als ein Wir, das in der Gemeinde der Menschen, dem Reiche Gottes, wirkt. Hegel machte auf der Rückreise von Paris 1827 von Brüssel aus einen Abstecher nach Gent, um den dort verbliebenen Mittelteil dieses Altars zu sehen. Im Winter 1828/29 besuchte er noch während seiner Ästhetik-Vorlesung, am 11. März 1829, die Aufführung von BACHS MatthäusPassion, die sein Hörer FELIX MENDELSSOHN veranstaltete. Wie auf dem Mittelstück des Genter Altars, so steht auch in dieser Passionsmusik das „Lamm" Gottes im Mittelpunkt; JESUS löst mit seinem Selbstopfer das Opfer unschuldiger Tiere ab und kann so als Christus die neue, die christliche Geschichte beginnen. Malerei und Musik bezeugen diesen Neubeginn und treten als „romantische" Künste zusammen.^ Der Genter Altar war als ganzer damals nur noch da in der kunsthistorischen Rekonstruktion. Der Museumsdirektor WAAGEN hatte in einem jugendlichen Werk diese Rekonstruktion versucht; HOTHO, der dann sein Nachfolger werden sollte, trat später mit einem Album hervor, welches mittels der neuen fotografischen Möglichkeiten den Altar als ganzen vor Augen stellte. Hegel selbst mußte sich die Teile für die Anschauung noch in Gent und in Berlin zusammenholen. (Längst sind diese Teile wieder zusammengeführt worden, doch steht in der Kapelle des Stifterpaares in Gent nunmehr nur eine große, fotografieähnliche Reproduktion wie ein verblassendes Gespenst; um die Massenbesichtigung zu ermöglichen, steht der
2 Vgl. Vorlesungen über die Ästhetik. 3. Band. 38 f, 118. Zur Aufführung der Matthäus-Passion vgl. auch Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von Günther Nicolin. Hamburg 1970. 392 ff. - Zum folgenden vgl. Gustav Friedrich Waagen: Über Hubert und Johann van Eyck. Breslau 1822. Hotho publizierte sein Eyck-Album 1861 nach den ersten Büchern über die altniederländische Malerschule.
Hegels Ästhetik und die Konzeption der Berliner Gemäldegalerie
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Altar selbst in einer großen Kapelle am Turm von St. Bavo, und die Kunst hat endgültig über die Religion gesiegt.) In jedem Fall waren die alten Werke als ganze oder eher in einzelnen Tafeln damals schon Gegenstand ktmsthistorischen und musealen Interesses geworden. In paralleler Weise wurde die Matthäus-Passion außerhalb des liturgischen Zusammenhangs konzertmäßig, nämlich in der Singakademie, aufgeführt. Die Frage stellt sich, welche Bedeutrmg die Berliner Gemäldegalerie überhaupt für Hegels Behandlung der Malerei in seinen Vorlesungen über die Ästhetik hatte. Ehe wir uns dieser Frage zuwenden, soll jedoch vorweg gefragt werden, wie Hegels Philosophie der Kunst als Ästhetik sich in die Begründung einer Kunstwissenschaft einordnet.
I. Hegel und die Begründung der Kunstwissenschaft Kunst im heutigen Sinn gibt es seit etwa 35 000 Jahren; der Mensch, der den Neandertaler ablöste, malte Bilder in Höhlen, verehrte Idole, hörte Stimmen in Schwirrhölzem, tanzte in Masken. Dieser Mensch körmte wohl auch noch durch die Straßen von New York gehen, ohne weiter aufzufallen. Freilich ist die Höhle von Altamira kein Museum; die Bilder sind schlecht plaziert; sie sind etwa an der Decke über dem Kopf unbequem zu besichtigen, oft übereinandergemalt, so daß sie sich gegenseitig zerstören; die Höhle ist nicht nur finster, sondern an einer Stelle zu niedrig für einen stehenden Menschen. Worum ging es bei den Tierdarstellungen; um Jagdzauber, um eine Bitte um Vergebung für die Verfolgung des Lebendigen? Sollte die Lebenskraft geehrt werden, die im Lebendigen in einer Eiszeit unter ungeheuren Verlusten doch überdauert? Als die Menschen im Neolithikum seßhaft wurden, verwandelte sich auch das, was wir Kunst nennen; noch GOETHE wollte sich nur von den dreitausend Jahren Rechenschaft geben, die seit HOMER und dem Aufstieg der Hochkultur abgelaufen sind. Eine Kunstwissenschaft in unserem Sinn, der Komplex von Kunstgeschichte, Museum und Denkmalspflege, besteht seit etwa zweihundert Jahren. Er ist in wenigen Generationen überraschend schnell zu seiner heutigen Kompliziertheit aufgebaut worden. Natürlich hat er seine Vorläufer gehabt - im Hellenismus sowohl wie etwa im Barockzeitalter. ERNST H. GOMBRICH hat 1977 beim Empfang des Hegel-Preises in Stuttgart Hegel als den Vater der Kunstgeschichte vorgestellt. Nicht schon WINCKELMANNs Kunstgeschichte des Altertums, sondern erst Hegels Vorlesungen über die Ästhetik seien die Gründungsurkunde der neuen Kunstwissenschaft. Diese Vorlesungen berücksichtigen wenigstens dem Ansatz nach in
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OTTO PöGGELER
einer Weltgeschichte der Kunst alle Künste. Wer an Hegel anknüpft, braucht freilich nicht die Spekulationen und Voraussetzungen zu übernehmen, mit denen Hegel arbeitete.^ Was bei GOMBRICH Apergu bleibt, ist in der dreibändigen Dokumentation Kunsterfahrung und Kunstwissenschaft von HEINRICH LüTZELER in historischer und sachlicher Differenzierung breit ausgeführt worden. Es wird deutlich, daß Hegel und Hegelianer wie SCHNAASE und HOTHO in der Tat, aber vorzeitig und deshalb unzulänglich eine Weltgeschichte der Kunst oder doch eine Geschichte der christlichen Malerei gewagt haben. Nachfolgende Generationen (etwa ANTON SPRINGER) haben dem Hegelianismus abgeschworen, doch lenkten z. B. die ikonographischen Interessen wieder zu Hegel zurück. Geisteswissenschaftler wie WILHELM DILTHEY sahen sich noch nicht veranlaßt, auch ein Produkt der akademischen Tretmühle wie Hegels Ästhetik neu aufzuarbeiten. Heute aber gilt dieses Werk trotz seiner zeitgeschichtlich bedingten Verengungen und seiner rigorosen Systematisierungen als Ansatzpunkt für eine Besinmmg auf die Kunst. Nach Hegels Darlegung schließt sich die eine Kunst zu fünf repräsentativen Künsten auf. Diese Künste treten weltgeschichtlich von einer bestimmten Aufgabe her jeweils an ihrer Stelle als leitende Künste hervor. Entscheidend für die Kunst ist es, den Altar, die heilige Mitte des Landes, auszugestalten. Das tut im Orient die Architektur mit Tempeltürmen und Pyramiden, in Griechenland die Plastik im Irmeren des Tempels, in der christlichen oder „romantischen" Epoche die Malerei mit den Altartafeln und die Musik mit Passionen oder Oratorien und mit Opern im weltlichen Bereich. So konnte der Mythos, der von den Dichtem weitergebildet wurde, auch die Tempel und Statuen prägen; in Spätzeiten konnte die Satire sich gegen ihre Zeit wenden und Dichtung überhaupt zur Prosa übergehen. Werm Hegel (wie sein Antipode SCHOPENHAUER) die Architektur als Gestaltung des Anorganischen faßt, dann macht LüTZELER ihm den Vorwurf, er wolle durch einen Weg nach innen von dieser untersten Kunst „idealistisch" aufsteigen zu höheren Künsten. Doch folgt Hegel hier dem Klassizismus, der die Architektur bei SCHINKEL oder noch bei SEMPER von der Gestaltung der Körperform her sieht. Demgegenüber ist es in der Tat angemessener, in der Architektur die Gestalhmg des menschlichen Lebensraumes überhaupt zu
3 Vgl. Emst H. Gombrich: Hegel und die Kunstgeschichte. Stuttgart und Zürich 1977; zum folgenden Heinrich Lützeler: Kunsterfahrung und Kunstwissenschafl. Freiburg/München 1975. Vgl. dazu auch Otto Pöggeler: Die Frage nach der Kunst. Freiburg/München 1984.170 ff. Zur Aktualität von Hegels Ästhetik vgl. Annemarie Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Bonn 1984.
Hegels Ästhetik und die Konzeption der Berliner Gemäldegalerie
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finden; bei diesem anderen Ansatz werden die „idealistischen" Voraussetzungen Hegels aber zu etwas Sekundärem, auf das es nicht entscheidend ankommt.4 Wenn Hegel dem Vorderasiatischen das Indische zur Seite stellt, dann findet LüTZELER nur Blindheit etwa gegenüber den erotischen Motiven der bildenden Kunst Indiens. Doch Hegel sah noch gar nicht auf die bildende Kunst der Inder; er ging von der indischen Epik aus und führte darüber eine Kontroverse mit WILHELM VON HUMBOLDT. Hegels Ästhetik erscheint in LüTZELERS Dokumentation überhaupt als eine heteronome, weil sie die Kirnst mit der Religion verflicht und schließlich philosophischspekulativ alle Motive, die zur Kunst führen, angeben zu können glaubt. Deshalb muß Hegel von einem Ende der Kunst sprechen, an dem alle wesentlichen Motive oder bewegenden Kräfte herausgesungen und herausgestaltet seien. So stellt LüTZELER dieser Hybris eine Kunstphilosophie entgegen, die (bei WILHELM PERPEET) sich ohne Systemzwang am Phänomen orientiert, aber im Griechischen, Indischen und Chinesischen Traditionen mit unterschiedlichen Akzentsetzungen vorfindet und damit das Menschliche in geschichtliche Besonderungen einfügt.s Hegel karm die Philosophie der Kunst Ästhetik nennen, weil er Kunst und Schönheit verbindet und damit Tendenzen aufnimmt, die in der Renaissance begannen. Die Kunst wird auf das Schöne verpflichtet, dem Schönen aber das Erhabene und auch noch das Interessante oder gar das Häßliche zugerechnet. Das Schöne in der Natur wird zum bloßen Abglanz des Schönen, das vom Menschen im Werk eigens hervorgebracht wird. Eine Geschichte des Schönen führt zu imterschiedlichen Kunstformen und verortet somit vorweg jedes einzelne Kunstwerk. Kann diese Ästhetik aber noch einen Museumsdirektor leiten, der nicht gerade zu jenen zählt, welche in vorschnellen Aktualisierungen ihr Museum weltanschaulichen oder politisierenden Bestrebungen ausliefem? Wer auf der Autonomie der Kunst besteht, will Werke für das Museum rein nach der ästhetischen Qualität ankaufen und unabhängig bleiben von den wechselnden Strömungen der Geschichte und den Tendenzen des Tages. Ist es nicht eher der Geist KANTS (und SCHOPENHAUERS), der einen Museumsdirektor leiten kann? KANT suchte mit seiner Lehre vom Geschmack der Zuwendung zum Schönen in Natur imd Kunst jene Autonomie zu geben, welche z. B. für die Ma* Vgl. Heinrich Lützeler: Kunsteifahrung und Kunstwissenschaß. 807 ff. Vgl. zur Wesensbestimmung der Architektur Dagobert Frey: Kunstwissenschaftliche Grundßagen. Baden bei Wien 1946 und Darmstadt 1972.93 ff. 5 Vgl. Heinrich Lützeler: Kunsterfahrung und Kunstwissenschaß. 1475 ff, 1500 ff. Vgl. auch Clemens Menze: Das indische Altertum in der Sicht Wilhelm von Humboldts und Hegels. In: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg, von A. Gethmann-Slefert und O. Pöggeler. Bonn 1986,245 ff.
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Orro
PÖGGELER
thematik schon zweitausend Jahre früher erreicht worden war. KONRAD FIEDLER, der Mäzen HANS VON MAREES und Freund ADOLF VON HILDEBRANDS, hat diese Autonomie des Geschmacks neu begründet. Er sprach der Anschauung eine eigene Logik zu; diese Logik werde von der Kunst herausgearbeitet, werm sie reine Formen suche. Anschauung und Kunst treten als etwas Eigenständiges der begrifflichen Arbeit des Verstandes gegenüber. Die Probleme einer dritten Kritik der Urteilskraft entfallen.^ EIEDLERS Dogmatismen (etwa die Zurückweisung der Gotik als einer bloßen Verirrung), aber auch noch die Illusionen über ein ABC des Sehens bei WöLFFLIN machen deutlich, daß die autonome Ausrichtung auf die Formen geschichtlich bedingt und eingeschränkt bleibt. So behält Hegels Ansatz, durch andere Akzentsetzungen korrigiert, schließlich doch sein Recht. Die Notwendigkeit, Hegels Ästhetik vom Anschein einer heteronomen Kunstphilosophie zu befreien und mit den KANiischen Tendenzen zum Ausgleich zu bringen, zeigt sich der Sache nach immer wieder in der konkreten kunsthistorischen Arbeit. Repräsentativ kann z. B. eine Auseinandersetzung sein, die 1962 auf dem neunten Deutschen Kunsthistorikertag geführt wurde. Dort sprach GüNTER BANDMANN über „Das Kunstwerk als Gegenstand der Universalgeschichte", KURT BAUCH über „Kunst als Form".7 BANDMANN machte darauf aufmerksam, daß das reine Formensehen eine Abstraktionsleistung des Kunstwissenschaftlers ist, die ihre Analogie in der Peinture pure und der gegenstandslosen Malerei habe, damit wesentlich „modern" sei. Wahrhaft verstanden werden könne ein Kunstwerk nur von den aufgespeicherten geschichtlichen Leistungen her, die in es eingegangen seien. ANTON VAN DYCKS Bildnis einer Genueserin aus der National Gallery in Washington setze voraus, daß die Jungsteinzeit das achsenbezogene Stehen, die altorientalische Hochkultur den repräsentativen Auftritt, die sekundäre Hochkultur das autonome, bewegliche Bild, die Antike und dann wieder die Renaissance die Säulenfront als Hoheitsform, Holland oder Flandern eine bestimmte Technik der Ölmalerei, einen Farbenkanon, das Motiv der Untersicht gefunden hatten. KURT BAUCH betonte demgegenüber, diese Ausrichtung auf geschichtliche Leistungen und deren Sinn stehe in der Gefahr, das Kunstwerk einem Zusammenhang zu unterwerfen, der ihm fremd bleibe und unabhängig von ihm gefertigt sei.
6 Vgl. Konrad Fiedler: Schriften zur Kunst. Eingeleitet von Gottfried Boehm. 2. Auflage München 1991. Band 1.111 ff; zum folgenden Band 2.294. Zur Diskussion des Ansatzes von Fiedler und Wölfflin vgl. Heinrich Lützeier: Kunsterfahrung und Kunstwissenschaft. 1022 ff. 7 Vgl. den Wiederabdruck der Vorträge bei Heinrich Lützeier: Kunsterfahrung und Kunstwissenschaft. 1118 ff.
Hegels Ästhetik und die Konzeption der Berliner Gemäldegalerie
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Einer romanischen Basilika und einer gotischen Kathedrale könnte derselbe symbolische Sinn zugesprochen werden; ob es sich bei einem Werk wirklich um große Kunst handle oder um einen Gebrauchsgegenstand für den Kult, ein Produkt bloß des guten Willens entscheide allein die Form. Die Form wird aber direkt das „Unerklärbare" genannt. Gehört sie dann nicht doch wieder in eine offene Geschichte, die auch Alternativen zuläßt? Hegel kann weiterhin als Vater der Kunstgeschichte gelten. Doch muß man sehen, daß eine neue Generation der Söhne an ihm und seiner Schule ihren Vatermord verüben mußte, damit die Enkel zu Hegel zurückkehren konnten. So ist offenkundig geworden, daß Hegels Philosophie der Kunst logisch wie historisch ihre Lücken und Mängel hat. Hegels Logik sollte dem ursprünglichen Ansatz nach mit einer Lehre von den „Ideen" schließen. In Nürnberger Entwürfen stellte Hegel auch die Idee des Schönen zur Idee des Lebens. Doch die publizierte Wissenschaft der Logik bringt breite Ausführungen zu den Ideen des Lebens und des Erkennens, verkürzt die Erörterungen der Idee des Guten auf wenige Passagen, die Differenzienmg der absoluten Idee auf wenige Sätze. Durch die teleologische Struktur wird die Idee des Guten nahe an die Idee des Lebens gerückt, und so muß die Geschichte, in deren wechselnden Situationen das Gute verwirklicht werden muß, als eine abgeschlossene erscheinen.^ In den großen geistesgeschichtlichen Vorlesungen folgte Hegel - in Konkurrenz mit SAVIGNY und SCHLEIERMACHER, zuletzt auch schon mit RANKE und GRIMM - den Erfahrungen. Offenbar vermochte der angebliche Systematiker diese Erfahrungen aber nicht kongruent zu systematisieren. In seiner Rechts- und Staatsphilosophie entfaltete er mit der abstrakten Rechtsförmigkeit und der Handlung der Moralität die Elemente der Sittlichkeit, um darm den exemplarischen Institutionen Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat vom äußeren Staatsrecht aus die Weltgeschichte anzuhängen. Die Ästhetik stellte zur Idee des Schönen die symbolische, klassische und romantische Kimstform als Geschichte, um dann zu den einzelnen Künsten überzugehen. Die Religionsphilosophie ließ nach der Entfaltung des Begriffs der religiösen Erhebung die Reihe der bestimmten Religionen in einer offenbaren und absoluten Religion (der vernünftig interpretierten christlichen Religion) münden. Auch in den einzelnen Vorlesungsreihen (etwa in den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, die sich erst 1822/23 von der Rechtsphilosophie lösten) experimentierte Hegel in unterschiedlichen Weisen. 8 Vgl. meine Kritik in: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg, von M. Riedel. Frankfurt a. M. 1990.59 ff. - Zum folgenden vgl. den Überblick über die 130 bekanntgewordenen und 90 erhaltenen Nachschriften zu Hegels Vorlesungen im Band 26 der Hegel-Studien. Borm 1992.
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OTTO PöGGELER
Hegels Ästhetik behandelt die alteuropäische Malerei (die dann von seinem Schüler und Herausgeber HOTHO als christliche Malerei angesprochen wurde). Doch versieht Hegel seine Darstellung mit einem systematischen und weltgeschichtlichen Siegel: mochte es andere Traditionen der Malerei geben, so hatte doch nur diese Malerei herausgearbeitet, was die Malerei überhaupt dem Menschen als eine seiner eigentümlichen Errungenschaften geben karm. Wenn heute ALEXANDER BELTING in seinem Buch Bild und Kult von 1990 eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst gibt, zeigt auch er, daß der christliche Glaube etwa seit 600 sich wie eine antike Religion ausgestaltete, aber vorzüglich mit Hilfe des gemalten Bildes. Der Übergang zur Kirnst und damit die Selbstauflösung dieser Ausgestaltung der Religion erscheint als eine weitere Geschichte. Selbstverständlich ist dabei die alteuropäische Malerei als eine partiale Tradition gefaßt, die nicht das Siegel des weltgeschichtlich und systematisch Ausgezeichneten bekommen karm. Von der Höhlenmalerei konnte Hegel nicht wissen; wohl hätte er fragen können, was mit CASPAR DAVID FRIEDRICH an Neuem heraufkam, ob Ostasien nicht das Schreiben und Malen in einen anderen Kontext der Künste stellte, mit der Auszeichnung der Gartenkunst überhaupt vom europäischen System der Künste abwich.9 Wenn es auch nicht gelang, die Sammlung der Brüder BOISSER^E nach Berlin zu ziehen, so nahm Hegel das Berliner Museum mit seinen oberen Räumen als eine endgültige Darstellung der Geschichte der Malerei: neben den Italienern standen nun die alten Niederländer und die Deutschen als eine andere Linie des Malens. Was Hegel in seinen Vorlesungen behandelte, konnte man in exemplarischer Auswahl im Museum begehen und sehen. II. Die Berliner Gemäldegalerie Als Student wurde Hegel durch WINCKELMANN, HERDER und SCHILLER, aber auch schon durch den Freund HöLDERLIN eingenommen für das neue Vorbild Griechenland. So konnte er in den „älteren Bildern“, die er auch in seiner Heimat vorfand, nur „grinsende Karikaturen" finden. GEORG FöRSTERS Ansichten berichteten dem Hofmeister dann über den Kölner Dom, die Düsseldorfer Gemäldegalerie und die Londoner Shakespearegalerie.io 9 Martin Heidegger hat von Klee und der ostasiatischen Kunst her den Bildgedanken infrage gestellt; vgl. Otto Pöggeler: „Über die moderne Kunst". Heidegger und Klee's Jenaer Rede von 1924. Erlangen und Jena 1995. 10 Hierzu und zum folgenden vgl. im emzelnen Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels (s. Anm. 1), 361 ff.
Hegels Ästhetik und die Konzeption der Berliner Gemäldegalerie
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Hatte Hegel nicht die alten Bilder vor Augen, als er in seinen Frankfurter Aufzeichnungen von der schönen Büßerin Maria Magdalena sprach? Bei genauerem Zusehen zeigt sich freilich, daß Hegel allein vom neutestamentlichen Text ausgeht; deshalb weist er darauf hin, daß das Neue Testament nur dort vom Schönen spricht, wo es die schöne Handlung der Salbung Christi nennt. Erst Jahrzehnte später wird Hegel z. B. CORREGGIOS Darstellung der Maria Magdalena hervorheben. Wenn Hegel eine schöne Religion sucht, die nicht apolitisch bleibt, dann hat er die griechischen Götterstatuen im Blick, durch deren Gestaltung unter den Namen des Apoll und der Venus das „Gefühl ewiger Jugendkraft und der Liebe" in die Herzen der Schauenden und Betenden einkehrt. Das sog. älteste Systemfragment, also die große Arbeit über Philosophie und Religion von 1800, läßt den Tempel die heilige Mitte des Landes ausgrenzen; in ihm kann die feierliche Prozession zu Statuen hinfinden und in Hymnen zu den göttlichen Mächten aufsingen. Es ist deutlich, daß dieser Blick auf Kunst und Religion der Orientierung HöLDERLINS am Griechischen entsprach, aber ortlos in der eigenen, der modernen Zeit bleiben mußte. Hegel wird das Athenäum gelesen haben, ehe er nach Jena ging. Hat er dann nicht auch, etwa mit AUGUST WILHELM SCHLEGEL, sich von der Kunst her an der „katholischen" Religiosität ausgerichtet? Jedenfalls verteidigt er wie ScHELLiNG die Katholizität der Religion, die bei den Griechen in der Mythologie lag, bei den neueren europäischen Völkern in der Ausgestaltung der Religion etwa mittels der Malerei. Hegel geht aber offenbar von der Epik der ARIDST, TASSO und von CERVANTES aus, wenn er die mittelalterlichen Ritter und Märtyrer in den Blick nimmt.n In Bamberg ließ er sich jedoch von Jena aus eine Mappe mit „Kupferstichen und Zeichmmgen" nachsenden; die Geistesphilosophie baute auch die Malerei konkret in das System der Künste ein. Einen überwältigenden Eindruck von der Malerei bekam Hegel, als er in Heidelberg vor den Gemälden der Sammlung der Brüder BOISSERäE stand und zugleich die Aufführung alter Musik durch THIBAUT hören konnte. JOHANN VAN EYCK erscheint als Gründerfigur, doch wird ihm auch noch der Dreikönigsaltar des ROGIER VAN DER WEYDEN zugeschrieben. In Berlin traf Hegel auf die Bemühung, mit Städten wie Paris gleichzuziehen und ein neues Museum aufzubauen. Gleich 1820 und 1821 fuhr Hegel in den Ferien nach Dresden (wohin er von Jena aus rdcht gekommen war). Er sah die Antiken nach damaligem Brauch im Fackelschein, und so konnte er sie durchaus neben die Heilige Nacht jenes CORREG11 Zum einzelnen vgl. Otto Pöggeler: Hegel und die Jenenser Romantik. In: Evolution des Geistes: Jena um 1800. Hrsg, von F. Strack. Stuttgart 1994.545 ff.
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stellen, der bei Hegel in hoher Geltung geblieben war. Auch die Holländer machten offenbar einen starken Eindruck. Die Gedenkausstellung für den ermordeten GERHARD VON KüGELGEN zeigte Bilder, die für Hegel ein blasser Nachglanz der alteuropäischen Malerei blieben. Nicht anders konnte Hegel urteilen, als er später die Berliner Ausstellungen der Düsseldorfer Schule sah. 12 Zwischen den beiden Besuchen in Dresden hielt Hegel im Winter 1820/ 21 seine erste Berliner Vorlesung über Ästhetik. Er hatte schon in Heidelberg für den Sommer 1817 eine Ästhetik-Vorlesung als dritte Vorlesung angekündigt, aber nicht gehalten. Im Sommer 1818 hielt er die Ästhetik-Vorlesung wirklich, doch blieb sie wohl eher vorläufig. (Hegel scheint damals in der menschlichen Gestalt das entscheidende „Symbol" gefunden zu haben, also die Rede vom Symbolischen noch nicht der vorgriechischen Kunst Vorbehalten zu haben.) Die erste Berliner Ästhetik-Vorlesung zeigt dagegen die vollständige und bleibende spätere Systematik. Bei den Ausführungen über die Malerei feiert Hegel die Italiener, z. B. die Sixtinische Madonna als adäquate Darstellung der „Mutterliebe". Die italienischen Bilder gäben nicht nur Seligkeit, sondern zugleich die Empfindung der Seligkeit; diese Empfindung verbleibe trotz aller Schmerzen und trotz der Trauer sehnsuchtslos in ihrer Heiterkeit. Hegel fühlt sich an den Gesang der Sängerin CATALANI erirmert, aber auch an DANTE, bei dem selbst die Verdammten wie Selige erscheinen. Hegel vermerkt, daß die italienische Malerei etwa bei den CARACCIS wieder zu mythologischen Themen greife. So stellt er ihr die niederländische Malerei gegenüber, die den „ganzen Kreislauf" der Kunst durchlaufe: vom umfassenden Ganzen der religiösen Bilder zu den Details, die selbständig werden, also zum Portrait, zum Genre, zum Landschaftsbild, schließlich zum Stilleben mit seiner Musik der Earben. Hegel bejaht diesen Weg der Selbstauflösung der großen Kunst, der von den Holländern durchgesetzt wurde, welche ihr Land dem Meer abringen und ihre Ereiheit verteidigen mußten. Keineswegs will Hegel mit den „Herren VON SCHLEGEL" und den „Altdeutschthümlem" „ein Bild um so höher schätzen", „je älter" es ist „und je schlechter es gemalt ist". Die frühe Orientierung am byzantinischen Typus ist für Hegel bloßes Handwerk, noch nicht eigentlich Kunst; die Emanzipation des Bildes aus dem Kult ist nach seiner Auffassung in der Sache vorgezeichnet. Gio
u Vgl. Annemarie Gethmann-Siefert: Die Kritik an der Düsseldorfer Malerschule bei Hegel und den Hegelianern. In: Düsseldorf in der deutschen Geistesgeschichte (1750-1850). Hrsg, von G. Kurz. EXisseldorf 1984.263 ff. - Zu Hegels Reisen vgl. den Ausstellungskatalog Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik. Hrsg, von O. Pöggeler. Berlin 1981.
Hegels Ästhetik und die Konzeption der Berliner Gemäldegalerie
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Hegel systematisiert die Erfahrungen, die er in der Sammlung der Brüder BoissERfiE, in der Dresdener Gemäldegalerie und in Berlin z. B. in der Sammlung SOLLY machte. Eher mit Befremden als mit Zustimmung notiert er die andere Ausrichttmg der französischen Malerei, wo NAPOLEON sich selbst als heroische Gestalt dem Maler DAVID empfohlen hatte. Die ideale Malerei VON MENGS, GOETHES Empfehlung antiker Themen, Hofrat MEYERS Kopie eines Gemäldes aus Herkulaneum mit Ariadne auf Naxos können nicht imponieren. Nur diese erste Berliner Ästhetik-Vorlesung bezeugt, daß Hegel nicht nur KüGELGENS Bilder, sondern auch die Bilder CASPAR DAVID FRIEDRICHS in Dresden gesehen haben muß. Sie erscheinen ihm als gewollte Regressionen ins Allegorische (man mag an den Tetschener Altar denken, der nicht den gekreuzigten Christus darstellt, sondern ein Kruzifix auf den Bergen, das durch Allegorien auf dem Rahmen unterstützt wird.)i3 Auf weiteren Reisen baute Hegel seine Kenntnis der europäischen Museen aus. Schon 1822 reiste er über Braunschweig, Kassel, Köln und Aachen nach Brüssel, Antwerpen und Amsterdam. Zwei Jahre später spielte er in seinen Briefen aus Wien den gewachsenen Reichtum der dortigen Sammlungen gegen die Armut in Berlin aus; damit aber wollte er nur die Berliner Gefährten zu gesteigerten Bemühungen provozieren. Rom, von NAPOLEON ausgeplündert, war nicht attraktiv; 1827 sah Hegel Paris, nunmehr Hauptstadt der zivilisierten Welt. Doch auf der Rückreise besuchte Hegel Gent und Brügge, denn die Wiederentdeckung der altflämischen Malerei war vorzüglich zur Berliner Angelegenheit geworden. Hegel ließ sich durch Freunde und Schüler leiten und stützen. FRIEDRICH FöRSTER begleitete ihn nach Dresden (sein Bruder Emst, später der Biograph von CORNELIUS, hielt sich aber fern). GANS und HOTHO bereiteten den Parisbesuch mit vor. JOHANNES SCHULZE und Staatsrat SCHULZ gaben Ratschläge für die Besichtigung von Gemälden und Ausgrabungen. Hegel konnte seine Studenten auch hinweisen auf ein Gemälde, das bei seinem Schüler VON HENNING ZU sehen war; die Maler und Restauratoren XELLER, KöSTER und SCHLESINGER waren schon von Heidelberg und der Sammlung BöISSEREE her gute Bekannte. Bilder zu sehen und zu sammeln war in Berlin zur Selbstverständlichkeit geworden (wie IMMERMANN das in den Epigonen geschildert hat). Es war ALöYS HIRT, an dessen Person und an dessen Funktionen sich in Berlin die ältere und die jüngere Generation entzweiten. HIRT hatte als Rei13 G. W. F. Hegel: Vorlesung über Ästhetik Berlin 1820/21. Hrsg, von Helmut Schneider. Frankfurt a. M. 1995. Vgl. auch die Einleitung mit der Übersicht über Hegels Vorlesungen in der Edition der Hothoschen Nachschrift der Vorlesung von 1823 durch A. Gethmarm-Siefert (in Vorbereitung).
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seführer in Rom GOETHE kennengelemt, dann als Architekturhistoriker die Theorie über die Entstehung des griechischen Tempels aus dem Holzbau vorgetragen. Er konnte schon 1797/98 in Berlin den Plan eines Museums als Antwort auf die Umgestaltungen in Paris einbringen. Nach den Befreiungskriegen kehrte das geraubte Kunstgut aus Frankreich zurück und mußte öffentlich gezeigt werden. Doch schlug SCHINKEL 1822/23 vor, nicht den alten Marstall zum Museum umzugestalten, sondern im Lustgarten auf der Spreeinsel zu bauen und so ein neues Museum zwischen Schloß und Dom auf der einen Seite, Zeughaus, Neuen Wache, Oper und Universität auf der anderen Seite zu stellen. SCHINKEL gab dem Museum nicht nur die Hoheitsfront der Säulen, sondern auch die sakrale Kuppel. Doch war es immer noch HIRT, der 1827 über dem Eingang in großen Lettern die Inschrift anbringen ließ: „STUDIO ANTIQUITATIS OMNIGENAE ET ARTIUM LIBERALIUM". Noch einmal wurde der didaktische Zweck in den Vordergrund geschoben: das Studium der Altertümer aller Art. Die Rede von den Freien Künsten zielte nicht auf die einstigen mittelalterlichen Disziplinen, sondern auf den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk. Die Akademie stieß sich am holperigen Latein; verärgert trat HIRT aus der Museumskommission aus. Doch stand die Bestimmung des Museums selbst in der Mitte des Streites: als HUMBOLDT Vorsitzender der Museumskommission geworden war, konnte nicht länger davon die Rede sein, daß man zugunsten lehrhafter Zwecke die Antiken durch Gipsabgüsse vervollständigte. WAAGEN und VON RUMOHR, für die Gemäldegalerie zuständig, setzten eine Repräsentation der Geschichte der Malerei über den klassizistischen Kanon hinaus durch; neben und vor der Belehrung forderte WAAGEN zuerst einmal den „ästhetischen Genuß". Die Wogen des Streites gingen hoch; Frau VON HENNING berichtete z. B. im September 1829 ihrem abwesenden Gatten aus einer Gesellschaft mit dem „scherzenden Hegel" nicht nur von der Schelte auf die „museische Inschrift", sondern auch von dem „schweinschen HIRT, der sich unterstehet zu sagen: Goethe wüßte nicht, was Gefühl und Liebe sei". Hegels Malerfreund XELLER bezog sich auf SCHLEGELS Wort, HIRT sei Hirt und Vieh in einer Person. Nach Hegels Tod explodierte der Streit zwischen HIRT einerseits, WAAGEN und VON RUMOHR andererseits in giftigen Pamphleten. 14 Hegel hat seine Orientierimg in Berlin auf einem Weg gefunden, der zwischen HIRT und seinen jüngeren Gegnern verlief, aber die neuen Tendenzen aufnahm. HIRT hatte in einem frühen Hören-Aufsatz das Charakteristische 14 Vgl. dazu Otto Pöggeler in: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels, 359 ff; vgl. Elisabeth Ziemer: Heinrich Gustav Hotho 1802-1873. Berlin 1994.268.
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für die Kunst überhaupt reklamiert; FRIEDRICH SCHLEGEL griff ihn deshalb im Athenäum an und bezog das Charakteristische als das Interessante auf die neuere europäische Kunst. Hegel gab letztlich SCHLEGEL Recht, indem er eine spezifisch „romantische" Kunstform zur klassischen und symbolischen stellte. Diese Position hielt Hegel aber nicht davon ab, sich durch HIRT 1824 bei der Reise nach Wien über Prag und über die Besichtigung der Fresken in Karlstein leiten zu lassen. Als HIRT 1831 seine Kunstbemerkungen auf einer Reise über Wittenberg und Meißen nach Dresden und Prag veröffentlichte, griff HOTHO noch zu Lebzeiten Hegels in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik die Auszeichnung der italianisierenden Bilder an; der klassizistische HIRT hatte offenere Augen für den „schönen" Stil der Parler-Zeit. Hegels Worte über das Berliner Museum begannen wie HIRTS Inschrift mit dem Studium, doch stellte Hegel dazu mit WAAGEN den „sinnvollen" Genuß. Wahrscheinlich war WAAGEN schon in Heidelberg Hegels Schüler geworden. Im April 1823 lud Hegel WAAGEN ein, mit ihm exklusiv jene ägyptischen Altertümer zu sehen, die Preußen sich durch eine Expedition des Generals MINUTOLI verschafft hatte. Hegel konnte sich von der gemeinsamen Besichtigung eine Belehrung versprechen, weil WAAGEN vorher in München über äg5iptische Mumien und Altertümer gearbeitet hatte. Das Berliner Museum nahm dann nur die antike Skulptur und die neuere europäische Malerei auf; das Ägyptische wurde im Schloß Monbijou untergebracht. So blieb im Museum doch der Kanon in Geltung, der zu den Alten die Modernen stellte, während Hegels Ästhetik vor der klassischen und romantischen Kunstform die symbolische einschob. WAAGEN hat seine universale Kennerschaft auch als Direktor der Gemäldegalerie unter Beweis gestellt (z. B. in seiner Besprechung von SCHNAASES Weltgeschichte der Kunst). Doch lernte Hegel vor allem von WAAGENS jugendlichem Werk, der Schrift Über Hubert und Johann van Eyck von 1822. Hegel bekam die Schrift als Geschenk mit einer Widmung.is WAAGEN betrachtete die Brüder VAN EYCK als Stifterfiguren der alten niederländischen Malerei. Mit VON RUMOHR geht er davon aus, daß die Eroberung Konstantinopels 1204 die neugriechischen Bilder in den Westen brachte und z. B. den Christustypus durchsetzte. In der Darstellung des Christuskindes seien die Maler frei gewesen, und so hätten die alten Niederländer dort nach der Natur gearbeitet. WAAGEN gibt damit Topoi vor, die auch in Hegels Vorlesungen leitend sind. Als VON RUMOHR 1827 den er15 Vgl. Otto Pöggeler: Kennerschaft versus Philosophie: Waagen und die Hegelianer (zusammen mit anderen Vorträgen zum 200. Geburtstag Waagens) im Jahrbuch der Berliner Museen. 37 (1995), 33-38.
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sten Band seiner Italienischen Forschungen publizierte, verarbeitete Hegel diese Forschungen in seiner letzten Ästhetik-Vorlesung. Es störte ihn nicht, daß VON RUMOHR, auch Verfasser eines Kochbuches, eine andere ästhetische Grundausrichtung hatte. Hegel lernte, wo etwas zu lernen war, und so berichtet sein Sohn Karl: „Auch kam zu uns der berühmte Kunstkermer RUMOHR, der als Verfasser des Geistes der Kochkunst die Hausfrau in Verlegenheit setzte, aber zu ihrer Beruhigung eigenhändig den Salat bereitete."i6 Hegels letzte Ästhetik-Vorlesung hielt fest, daß die Neuentdeckung der niederländischen und deutschen Malerei eine Sache der letzten Jahrzehnte gewesen war. Die niederländisch-deutsche und die italienische Linie in der Geschichte der Malerei wurden klar unterschieden, und so kormte HOTHO in seiner Edition diese beiden Linien gesondert zur Geltung bringen. Damit war nur wiedergegeben, was VON RUMOHR in der Gemäldegalerie durchgesetzt hatte - zusammen mit WAAGEN, der für die Stelle des Direktors der Gemäldegalerie nicht (wie v. RUMOHR) ZU exzentrisch war. Im zweiten Geschoß des Museums bildeten im Nordflügel die Brüder VAN EYCK, ANTONELLO DA MESSINA und die BELLINIS einen Knotenpunkt, von dem die niederländisch-deutsche und die italienische Schule in unterschiedliche Richtungen abzweigten. WAAGEN hat sich von seinen romantischen Anfängen wegentwickelt und als „Kermer" Neuentdeckungen gemacht, z. B. auch in der Geschichte der spanischen Malerei. HOTHO wurde sein „Assistent", d. h. stellvertretender Direktor, dann Direktor des Kupferstichkabinetts. Zwischen dem Kenner, der bald als Notizenkrämer abqualifiziert wurde, und dem spekulativen Geschichtsdeuter mußte es zu Reibereien kommen. Aber auch HOTHO nahm auf, was an Zuschreibungsänderungen und Neuentdeckungen sich damals überstürzte. Er konnte in seiner Geschichte der christlichen Malerei von 1867 und 69 wenigstens bis ROGIER VAN DER WEYTJEN führen, diesen aber schon entwicklungsgeschichtlich aufschließen. Beim Tode WAAGENS übernahm HOTHO interimistisch auch die Direktion der Gemäldegalerie. Doch gab es längst Probleme: das Neue Museum nahm Licht weg; die kleinen Räume mußten zu größeren Einheiten zusammengefaßt werden, damit eine sinnvolle Hängung der Gemälde möglich wurde. Überhaupt mußte HOTHO zugeben, daß die alte historische Anordnung eine Vollständigkeit „an Werken aller Epochen und deren hauptsächlichen Meister" suggeriere, welche durch die Sammlung nicht eingelöst werden könne.17 Längst waren andere Tendenzen aufgetreten. So hatte FRIEDRICH THEODOR VISCHER schon
16 Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen (s. Anm. 2). 453.
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1844 in den Jahrbüchern der Gegenwart über Deutsche Kunstgeschichte geschrieben und diese als eine Sache der National-Ehre gefordert; SCHASLER hatte WILHELM VON KAULBACHS Bilder im Neuen Museum mit ihrem hegelianischen Bezug auf die Weltgeschichte als Übergang zum realistischeren Historismus gedeutet. Nach HOTHOS Tod setzte sich die Ausbildung neuer Perspektiven fort. JAN HUIZINGA fühlte sich beim Besuch einer Ausstellung altniederländischer Kunst in Brügge 1902 zum Krmsthistoriker berufen; aber bald ging ihm auf, daß das späte Mittelalter nicht die Gründung eines Neuen gewesen sei, sondern ein Absterben des Alten, das in der bildenden Kunst noch einmal groß hervortrat. Zur gleichen Zeit eröffnete BODE, von HOTHO energisch als Nachfolger aufgebaut, das neue Kaiser Friedrich-Museum; die Renaissance wurde Vorbild, doch trat zu ihr REMBRANDT, dessen Nachtwache von Hegel noch nach der Größe in Fuß eingeschätzt worden war.18
Ein Berliner wie GOTTERIED BENN sah 1955 in der geteilten Stadt ein untergegangenes „Angkor im Urwald", zu dem hin man Fahrten nur noch als Expeditionen imternehmen könne; in der Weimarer Zeit sei das „preußische Berlin" das Maß der deutschen Städte gewesen, ein Konkurrent von Paris und London, der die „Mythe" weitertrug, die in Babylon begann.i^ Der Luftbrückenpfeiler der Freiheit, die offene Wunde, die in der Teilung Europas und der Welt sichtbar aufbrach, sammelte sich auf sich selbst und die Geschichte hin. Am Tiergarten, unmittelbar an der Mauer und in möglichst großer Nähe zur alten Stadtmitte, entstand mit der Nationalgalerie von MIES VAN DER ROHE, der Philharmonie und der Staatsbibliothek SCHAROUNs um die kleine Matthäi-Kirche herum ein neues Zentrum. Als zum 150. Todestag Hegels die Staatsbibliothek eine Ausstellung Preußische Kulturpolitik im Spiegel von Hegels Ästhetik zeigte, konnte (anders als in den sonstigen Ausstellungen des Preußen-Jahres) auch ein Beiträger aus Polen gewormen werden für das Kapitel „Ein Weg zur Freiheit: Polen". Der Hegelianismus hatte Polens Weg zur Selbständigkeit eine Zeitlang stützen können. Doch was nach 1860 eingetreten war, zeigte sich erneut während der Vgl. Elisabeth Ziemer: Heinrich Gustav Hotho 1802-1873. 325, 328. - Zum folgenden vgl. zu Wilhelm von Kaulbachs Weltgeschichtszyklus im Berliner Neuen Museum Werner Busch in; Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik, 117 ff. 18 Hegel nimmt Rembrandt zurück in die Selbstverherrlichung holländischer Bürgerlichkeit; vgl. die Reisebriefe und Vorlesungen über die Ästhetik. 1. Band. 217.- Vgl. auch Otto Pöggeler: Preußische Kulturpolitik im Spiegel von Hegels Ästhetik. Opladen 1987.35 ff. 19 Vgl. Benns Text Urgesicht sowie den Beitrag von 1955: Berlin zwischen Ost und West. In: Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Hrsg, von Dieter Wellershof. Wiesbaden 1968. Band 5. 1279 ff, Band 7.1806 ff. Zum folgenden vgl. den Beitrag von Jan Garewicz im Ausstellungskatalog Hegel in Berlin (s. Anm. 12).
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Ausstellung: in Polen selbst wurden die Keime einer freiheitlichen Entwicklung noch einmal unterdrückt. Ausgelöscht werden kormten sie nicht mehr. Wenn nun die Mauer gefallen ist, dann sollten alle geschichtlichen Schritte und alle Erinnerungen bewahrt werden, die zur Gegenwart führten. Vordringlich bleibt es, der Mitte auf der Spreeinsel eine überzeugende neue Gestaltung zu geben. Doch müssen Gedanken an eine hybride Zentralisierung fernbleiben; längst hat sich eine Differenzierung durchgesetzt. Die „asiatischen" Museen haben in Dahlem ihren legitimen Ort, und was am Tiergarten entstand, hat das Pathos der Bewahrung der Freiheit in widriger Zeit für sich. Natürlich ist es problematisch, daß die Gemäldegalerie innerhalb des Gesamtplans von GUTBROD drei Jahrzehnte nach der Nationalgalerie fertig wird - in einer Zeit schneller Entwicklungen der Architektur, in der Zeitungen das Adjektiv „bauhäuslerisch" gelegentlich als schlimmstes Schimpfwort verwenden. Es hat trotz aller Bedenken seinen guten Sirm, wenn in dieser Galerie vom Eingang aus sich wieder zwei Linien der Geschichte der Malerei abzweigen mit den Schwerpunkten bei den Italienern und den Niederländern. Natürlich bleiben Probleme, die durch einseitig festgehaltene Grundsätze nicht lösbar sind. Sollen z. B. die Bilder CASPAR DAVID FRIEDRICHS der alten preußischen Tradition nach bei den Schlössern und Gärten verbleiben oder einen Höhepunkt in den Gemäldesammlungen bilden? In jedem Fall muß Berlin durch die Gestaltung der neuen Museumslandschaft die geschichtliche Besinnung wachhalten, in der die Museumseröffnung vom 3. August 1830 ein wichtiger Schritt war. Hegel, aus dem deutschen Südwesten kommend, verpflichtete auch das neue Preußen darauf, den Staat von unten herauf aufzubauen: von jener Selbstverwaltung in den Kommunen und Korporationen aus, die sich in den mittelalterlichen Städten entfalteten.20 Die Malerei vor allem im Gefolge VAN EYCKS konnte darm als Spiegelung von Anfängen gelten, welche die Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie mit einer freien Übernahme der Geschichte der Künste und Wissenschaften sowie des überlieferten christlichen Glaubens verbinden. Nicht von ungefähr war eine der
20 Über Hegel und Preußen vgl. Rolf Grawert und Otto Pöggeler in: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart 1986,257 ff.
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letzten Arbeiten Hegels die Erörterung der englischen Parlamentsreform.21 Die Sammlung der Brüder BOISSER^E gelangte nach längeren Verhandlungen zur Enttäuschung Hegels nicht nach Berlin; vielmehr vermehrte sie die Münchener Sammlungen. Wien wie Dresden hatten sowieso ihre alten reichen Bestände. Was aber Berlin auszeichnete, das war die neue Universität, die mit den Museen auf archäologischem und kunsthistorischem Gebiet in eine enge Zusammenarbeit trat. So war es Berlin, wo seit den ersten Jahrzehnten des neurrzehnten Jahrhunderts in wenigen Generationen eine neue Wissenschaft der Geschichte der Kunst aufgebaut wurde. Hegel und seine Schule lenkten dabei, sicherlich noch in unzulänglicher Weise, den Blick auf die Kunst der Welt im garizen. Nachdem man den Hegelianismus verworfen hatte, kehrte man unter neuen Bedingungen zu seinem Grundanliegen zurück: Kunst antwortet immer auf bestimmte geschichtliche Aufgaben und ist deshalb von diesen her zu verstehen. (Wenn von Wien aus im späteren neunzehnten Jahrhundert neue und andere Anstöße sich durchsetzten, dann folgte man in der Geschichte der Kunst anderen Vorlieben - etwa der spätantiken Kunstindustrie oder byzantinischer Kunst.) Nach langen Irrfahrten und Gefährdungen soll die Berliner Gemäldegalerie ihren Platz am Tiergarten finden. Sicherlich wird man akzeptieren lernen, daß Berlin nicht wie Paris Zentrale eines Landes und zentralistisch auszugestalten ist; schon gar nicht kann man Berlin am Modell Roms messen; auch Rom hat sich sehr spät als Hauptstadt eines vereinigten Landes durchgesetzt, war aber nie wie Berlin in den zwanziger Jahren ein Motor weiterer Industrialisierung. Wie die deutschsprachigen Gebiete sich gemäß ihrer Geschichte pluralistisch mit vielen Schwerpunkten gliedern, so mag auch die neue Hauptstadt Deutschlands mehrere Akzentsetzungen vertragen. Der Platz am Tiergarten, einmal an der Mauer als Zeichen freiheitlicher Verhältnisse ausgestaltet, gehört bleibend zur Geschichte der Stadt. Das Schloß karm schwerlich diese Geschichte repräsentieren, da eine Linie von Kaiser WILHELM II. über HINDENBURG ZU HITLER kein reines Phantasiegebilde ist. So bliebe der Aufbau des Schlosses letztlich belanglos. In Warschau, wo das Schloß beim Aufstand gegen HITLER dem Erdboden gleichgemacht wurde, mußte dagegen dieses Schloß als Symbol des Widerstandes imd der nationalen Selbstbehauptimg neu aufgebaut und ausgestaltet werden. Die Gemäldegalerie kann dagegen mit anderen Einrichtungen für die Geschichte Berlins eintreten, erirmert sie doch an die mittelalterlichen Wur21 Vgl. Politik und Geschichte. Zu den Intentionen von G. W. F. Hegels Reformbill-Schrift. Hrsg, von Christoph Jamme und Elisabeth Weisser-Lohmann. Bonn 1995.
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zeln unserer parlamentarischen Demokratie und zugleich an die religiöse Herkunft. Warum soll nur in Washington ein Regierungsberater daran erinnern, daß Hegel die geschichtliche Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft zu einer relativ einheitlichen Weltzivilisation analysierte und zugleich auf eine neu gesehene Kunst, Religion und Wissenschaft verwies?22 Für das Interesse der Deutschen am eigenen Staat und an seiner Hauptstadt karm immer noch die Weise, in der Hegel seine Wirkungsstätte Berlin betrachtete, lehrreich sein.
22 In einer fragwürdigen Weise ist Hegels Lehre vom Ende der Geschichte von der Thematik der „bürgerlichen Gesellschaft" her wiederaufgenommen worden, als das kommunistische Imperium zusammenbrach; vgl. Otto Pöggeler: Ein Ende der Geschichte? Von Hegel zu Fukuyama. Opladen 1995.
ANDREAS GROSSMANN (BOCHUM)
WELTGESCHICHTLICHE BETRACHTUNGEN IN SYSTEMATISCHER ABSICHT Zur Gestalt von Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte
Nichts ist heute vermutlich mehr kompromittiert als der Glaube, in der Weltgeschichte geschehe nichts Unvernünftiges. Eben diese Überzeugung, die die Figur des DR. ARNHEIM (ein Preuße!) in MUSILS Mann ohne Eigenschaften vertritti, ist, in positiver Formulierung, die grundlegende Prämisse von Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte: Der Philosoph habe als solcher allein die Vermmft mitzubringen, um zu erkennen, daß es in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei.2 Legen die geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und die durch sie vollends sanktionierte Einsicht in die H5^ertrophie eines idealistischen Vermmftglaubens den ,Verzicht auf HegeT nahe (P. RICOEUR)3, SO bleibt freilich die Frage, ob das durch die Hegelsche Geschichtsphilosophie aufgegebene Sachproblem einer geschichtlichen Verwirklichung praktischer Vernunft damit auch schon erledigt sei. Das wird im Ernst aber wohl nur behaupten können, wer überhaupt jeglichen Vemimftanspruch verabschieden will. Man hätte sich dann allerdings damit abzufinden, daß Geschichte zu einer nicht einsehbaren Akkumulation von Ereignissen gerät, in denen man sich selbst nicht mehr zurechtfände. Man hätte, mit anderen Worten, auf die Bemühung zu verzichten, Geschichte - und damit auch sich selbst zu verstehen. Denn „eine Geschichte, die keinerlei Spuren von Vemünftig1 R. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek bei Hamburg 1987.174,197. 2 G. W. F. Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1955. 28; vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen im Grundrisse. § 549. In: G. W, F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 20. Hrsg, von W. Bonsiepen und H.-Chr. Lucas. Hamburg 1992.524 ff, bes. 529. 3 P. Ricoeur: Auf Hegel verzichten. In: Ders.: Zeit und Erzählung. Bd 3. München 1991. 312 ff. Ein Neohegelianismus ä la Fukuyama möchte uns freilich des Gegenteils versichern, wenn er sich auf Hegel für die Proklamation eines „Endes der Geschichte" meint berufen zu müssen (F. Fukuyama: Das Ende der Geschichte. München 1992). Tatsächlich rekurriert Fukuyama aber auf eine Kunstfigur „Hegel/Kojeve", d. h. auf die durch die Brille Kojeves als Dokument Hegelscher Geschichtsphilosophie gelesene Phänomenologie des Geistes (die derart schlechthin verdeutet wird). Hegels Berliner geschichtsphilosophische Vorlesungen kommen dabei gar nicht erst in den Blick.
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keit aufwiese, könnten wir, sofern wir uns Vernunft zuschreiben, in keiner Weise als unsere Geschichte auffassen. "4 Die auch einer gegenwärtigen Besinnung auf das Verhältnis von Vernunft und Geschichte mithin nicht zu ersparende Auseinandersetzung mit Hegel hat sich freilich immer schon an dem Systemkorsett gestoßen, in das Hegel die Geschichte zu zwängen scheint. Erweist nicht eine das Geschichtlich-Kontingente letztlich eliminierende GeschichtsteleologieS Hegel als einen derjenigen philosophischen „Gewalttäter", die, nach dem Worte MUSILS, „keine Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, daß sie sie in ein System sperren"?^ Die Weltgeschichtlichen Betrachtungen JACOB BURCKHARDTS etwa setzen denn nicht zufällig mit einem markanten Widerspruch gegen jegliche Geschichtsphilosophie und namentlich gegen Hegel ein: die Prätention der Hegelschen Geschichtsphilosophie, den Gang der Weltgeschichte in seiner Notwendigkeit einsehen zu können, sei geleitet vom „kecken Antizipieren eines Weltplanes", gehe damit aber von schlechterdings „irrigen Prämissen" aus. Eine „denkende" Betrachtung der Geschichte im Sinne Hegels soll darum abgelöst werden von einer gleichsam „pathologischen" Geschichtsschau, die ihren Ausgangspunkt nüchtern und realistisch vom Leiden und Tun der Menschen nimmt, ohne diese wiederum einer Systematik einzuverleiben.7 Der Eindruck einer geschlossenen und starren Systematik, den die Geschichtsphilosophie Hegels seit je hervorgerufen hat, dürfte indessen nicht zum mindesten mit ihrer Darbietung in den bis heute verbreiteten Ausgaben zu tun haben. Dabei war bereits den Hegel-Schülern die prekäre Textund Quellenlage durchaus bewußt, die sie dann aber editorisch kaschierten. Gemäß K.VRL ROSENKRANZ' Kritischen Erläuterungen des Hegelschen Systems gehörte Hegels Kolleg über die Philosophie der Weltgeschichte „zu den am 4 H. Schnädelbach: Über die Vernünftigkeit der Geschichte und die Geschichtlichkeit der Vernunft. In: Ders.: Vernunft und Geschichte. Vorträge und Abhandlungen. Frankfurt a, M. 1987.9 ff, hier 10. 5 Vgl. E. Angehm: Vernunft in der Geschichte? Zum Problem der Hegelschen Geschichtsphilosophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschimg. 35 (1981), 341 ff, bes. 363 f; R. Bubner: Geschichtsprozesse und Handlungsnormen. Untersuchungen zur praktischen Philosophie. Frankfurt a. M. 1984.113: „Die Vemunftmomente in der Geschichte zu entdecken heißt ihrer historischen Wirksamkeit nachspüren. Die historisch wirksam gewordene Vernunft zeichnet sich freüich nur ab, wenn man das an sich Vemunftlose aus der Geschichte eliminiert. Die Philosophie dringt daher mit Konsequenz auf Vertreibung des Zufalls aus der Geschichte." 6 R. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften (s. Anm. 1). 253. 7 /. Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen. Historische Fragmente aus dem Nachlaß. Hrsg, von A. Oeri und E. Dürr (Gesamtausgabe Bd 7). Berlin/Leipzig 1929.1 ff.
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wenigsten von ihm ausgearbeiteten". „Nur die Einleitung ist von ihm selbst zum groeßten Theil in einem festen, oft grandiosen Styl niedergeschrieben. Das Uebrige hat aus einer Masse aphoristischer Bemerkungen, mit Hinzuziehung von nachgeschriebenen Heften, die denn doch immer, auch im besten Fall, nur Hefte sind, keine abschließende, abrundende Redaction, muehsam zusammengebracht und mit einer gluecklicher Weise kaum noch sichtbaren, großen Anstrengung zur gediegenen, zuverlaessigen, sonnenhellen Gestaltung herausgearbeitet werden müssen."» Als wie „zuverlässig" kann aber eine Ausgabe gelten, die etwaige Brüche oder thematische Verschiebungen des Hegelschen Kollegs im Interesse einer „sonnenhellen Gestaltung" unkenntlich macht? Die geschichtsphilosophischen Vorlesungen, die Hegel seit 1822/23 bis zu seinem Tode insgesamt fünfmal gehalten hat, wurden tatsächlich zu einem vorgeblich in sich konsistenten, stimmigen Text verschmolzen, der die Neuakzentuierungen, Änderungen rmd Ergänzungen, die Hegel im Laufe der Jahre vorgenommen hat, nicht mehr erkennen läßt, sie vielmehr mitunter sogar zugunsten der politischen Option des Editors (wie namentlich im Falle KARL HEGELS) unterdrückt.^ Das zeigt eine Sichtung noch verfügbarer Vorlesungsnachschriften, auf die heute zurückzugreifen ist, wenn man sich den jeweiligen Ausarbeitungen von Hegels Berliner Vorlesungen nähern will. Zuvor empfiehlt es sich allerdings, sich die angesprochene Problematik der Editionslage kurz zu vergegenwärtigen.
I. Die Problematik der gegenwärtigen Editionslage Der erste Herausgeber von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, EDUARD GANS, zeigt sich deutlich von dem Bemühen inspiriert, die verschiedenen Jahrgänge der Vorlesungen zu einem stimmigen „Buch" zu formen. So beobachtet GANS durchaus treffend ein Ungleichgewicht zwischen dem ersten Vorlesungsjahrgang von 1822/23 (wie er u. a. 8 K. Rosenkranz: Hegel's Philosophie der Geschichte (1837). In: Ders.: Kritische Erläuterungen des Hegel'schen Systems (1840). Nachdruck Hildesheim 1963.149 ff, hier 150. 9 Vgl. dazu F. Hespe: Hegels Vorlesungen zur „Philosophie der Weltgeschichte“. In: Hegel-Studien. 26 (1991), 78 ff, hier 85 f; ders.: „Die Geschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit." Zur Entwicklung von Hegels Philosophie der Geschichte. In: Hegel-Studien. 26 (1991), 177 ff, hier 185 ff; O. Pöggeler: Hegels Begegnung mit Preußen. In: H.-Chr. Lucas/O. Pöggeler (Hrsg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Stuttgart 1986. 311 ff, hier 342 f.
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durch die Nachschrift VON GRIESHEIMS belegt ist) und den folgenden Jahrgängen; Während Hegel in seinem ersten Kolleg der Einleitung (mit ihren Ausführungen über die verschiedenen Arten der Geschichtsschreibung) und der Darstellung Chinas einen außergewöhnlich großen Raum gibt, strafft er diese Teile in den folgenden Vorlesungen (wobei er der Einleitung schon 1824/25 ein anderes Gepräge geben wird); erst in seinem letzten Kolleg von 1830/31 handelt er überhaupt ausführlicher über das Mittelalter und die Neuzeit. GANS sucht derartige architektonische (und inhaltliche) Inkonzirmitäten zu glätten, um dem Leser den Eindruck einer in sich gleichgewichtigen Darstellung zu geben. „Der Bearbeiter", so erläutert GANS seine Bearbeitungsprinzipien, „hatte hier Vorlesungen als ein Buch zu übergeben: er mußte aus Gesprochenem Lesbares machen, er hatte Hefte aus verschiedenen Jahren, sowie Manuskripte vor sich, er hatte die Pflicht, die Längen der Vorträge abzukürzen, die Erzählungen in Einklang mit den speculativen Betrachtungen des Urhebers zu setzen, dafür zu sorgen, daß die letzteren von den ersteren nicht gedrückt würden, und daß diesen ersteren wiederum der Charakter der Selbständigkeit und des Fürsichsagens genommen wurde."io Für einen Teil der Einleitung verwendet GANS eine Ausarbeitung Hegels aus dem Jahre 1830, sieht sich jedoch für den Rest genötigt, unter Rücksicht zwar auf Hegels eigene Formulierungen, immer dort, wo es ihm notwendig erscheint, zu „ergänzen" und „nachzuhelfen". 11 Immerhin konnte GANS seine Ausgabe aber auf Materialien stützen, die mittlerweile zum Teil verloren sind - so Hegelsche Manuskripte, ferner Vorlesungsnachschriften aus allen fünf Jahrgängen (von SCHULZE, VON GRIESHEIM, HOTHO, WERDER, HEIMANN und KARL HEGEL).12 Ein ähnlich problematisches Bild bietet die von KARL HEGEL 1840 besorgte zweite Ausgabe der Vorlesungen (jene Ausgabe also, die auch dem entsprechenden Band der heute gängigen Suhrkamp-Ausgabe zugrundeliegt) .13 Die glättenden Eingriffe seiner Edition rechtfertigt KARL HEGEL mit einer Ergänzungshypothese: Die Vorlesungen der verschiedenen Jahrgän-
10 E. Gans: Vorwort zur ersten Ausgabe von: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1837). Wiederabgedruckt in: Sämtliche Werke. Hrsg, von H. Glöckner. Bd 11. Stuttgart 1949.1 ff, hier 12. 11 Ebd. 14. Die Versicherung, „daß der Leser hier ein durchaus unverfälschtes Werk des großen Philosophen erhält" (ebd. 13), dürfte angesichts der Vehemenz der redaktionellen Zutaten freilich eher als Ausdruck der Selbstrechtfertigimg deim als Bezeugung unverfälschender editorischer Arbeit zu werten sein. 12 Ebd. 15. 13 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. In: Werke. Hrsg, von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Bd 12. Frankfurt a. M. 1970.
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ge „ergänzen" einander, weshalb es Aufgabe einer Bearbeitung sei, die den von Hegel behandelten Stoff in seiner Gesamtheit präsentieren wolle, aus den Vorlesungen der ersten Jahrgänge und denjenigen aus späteren Jahren einen integralen Text zu erstellen. Deshalb nimmt KARL HEGEL ,Einschaltungen', ,ErgänzLmgen', ,Ersetzungen' und ,Umstellungen' vor, „wie es die Sache zu erfordern schien"i4. Hegels eigenhändige Manuskripte dienen als Grundlage, doch finden Nachschriften Verwendung, „um sich in diesen zu orientieren und sie zu ordnen". Nicht nur werden neue Einschübe wörtlich den Manuskripten entnommen, „sondern auch in dem beibehaltenen Text der eigenthümliche Ausdruck, wo der nachschreibende Zuhörer ihn verloren hatte, wiederhergestellt". 15 Das Verfahren, die differenten Materialien zu einem einheitlichen „Werk aus einem Gusse" zu kompilieren, ist bestimmend auch noch für die Edition GEORG LASSONSI^, die dieser in den Jahren 1917-1920 erstellt hat. LASSON stützt sich vor allem auf Hegels eigenhändige Einleitung in die Vorlesungen von 1830 als „Urkunde letzter Hand"i7. Von daher trifft GANS und KARL HEGEL der Vorwurf, diesen für ihn maßgebenden Text, der „den echten und den ganzen Hegel" vor Augen führe, „willkürlich verändert und verstümmelt" zu haben. 18 LASSON bemerkt weiterhin, daß die ihm verfügbaren Nachschriften „umfangreiche Partien enthalten, von denen in der gedruckten Ausgabe gar nichts zu finden war, wie auch, daß sie in den Teilen, die mit dem gedruckten Werke parallel gehen, vielfach vor diesem die ursprüngliche Fassung der Hegelschen Redeweise und die genauere philosophische Formulierung voraus haben"i9. Diese Einsicht macht LASSON indessen noch nicht für eine textkritisch passable Edition fruchtbar. Zwar wird Hegels eigenhändiges Manuskript durch größeren Druck hervorgehoben, werden Zusätze im Text durch eckige Klammem kenntlich gemacht und andere sprachliche Verbesserungen oder Ergänzungen am Ende des Bandes aufgelistet. Doch bleibt für LASSON trotz aller Kritik am philologischen Verfahren GANS' und KARL HEGELS die Ausgabe des letzteren „maßgebend". So legt er seiner Neuedition dessen u K. Hegel: Vorwort zur zweiten Ausgabe von: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1840). Wiederabgedruckt in: Sämtliche Werke. Hrsg, von H. Glöckner. Bd 11. Stuttgart 1949.16 ff, hier 18. 15 Ebd. 19. 16 Siehe G. W. F. Hegel: Die Vemunfl in der Geschichte. In: Sämtliche Werke. Hrsg, von G. Lasson. Bd 8/1. Leipzig 1917.255. 17 Ebd. 248. 18 G. Lasson: Vorwort zu: G. W. F. Hegel: Die Vemunfl in der Geschichte (s. Anm. 16). V ff, hier VIII. 15 Ebd. VII; vgl. auch ebd. 250 ff (zur Kritik an Gans und Karl Hegel).
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Ausgabe zugrunde, wobei er den Text der Druckfassung nach den Nachschriften korrigiert, wo sich in ihnen parallele Ausführungen finden. Ansonsten bringt LASSON aber Partien, zu denen es in den Nachschriften keine Parallele gibt, in der Fassung der Ausgabe von 184Q20, gelegentlich auch zur ,Vervollständigung' des Textes nach dem Wortlaut der ersten Auflage2i. Die Nachschriften (LASSON liegen Nachschriften VON GRIESHEIMS und VON KEHLERS für 1822/23, VON KEHLERS für 1824/25 und STIEVES für 1826/27 vor)22 werden derart dann doch wieder, gemäß der Ergänzungshypothese KARL FIEGELS, „ZU einem einheitlichen Ganzen" „zusammengefügt"23. Ein fraglos fauler Kompromiß, der die Komposition einer Textganzheit, letztlich nicht anders als die vorherigen Ausgaben, mit einer Verwischung der Differenzen der unterschiedlichen Vorlesungsjahrgänge bezahlen muß und die durch das Studium von Nachschriften gewonnene Einsicht, „daß Hegel in den verschiedenen Jahren mit der Ordnung der Gegenstände innerhalb der einzelnen Abschnitte stark gewechselt hat"24, editorisch nicht zur Geltung bringt. Weiterreichende Anstöße zu einer historisch-kritischen Aufarbeitung der Materialien gegeben zu haben, ist schließlich das Verdienst JOHANNES HOFFMEISTERS. In seiner Ausgabe von 1955 behält HOFFMEISTER für das Corpus des Textes zwar LASSONS Fassung im wesentlichen bei. Er stellt jedoch den Text der Einleitung wieder her, indem er die verschiedenen Ausarbeitungen Hegels aus den Jahren 1822 und 1830 separat darbietet und überdies durch Variierung des Druckbildes den Hegelschen Originaltext von Zusätzen aus den Nachschriften für den Leser erkennbar macht. So erscheint der Originaltext in Kursivdruck, Zusätze aus Nachschriften hingegen in Normaldruck.25 Die Arbeit an einer historisch-kritischen Standards genügenden Edition der Nachschriften hat mittlerweile eingesetzt. Wie mit den einzelnen Nach-
20 Vgl. ebd. 256. 21 Siehe G. Lasson: Vorwort zu: G. W. F. Hegel: Die griechische und die römische Welt. In: Sämtliche Werke. Hrsg, von G. Lasson. Bd 8/2. Leipzig 1920. V ff, hier V. 22 Vgl. Sämtliche Werke. Bd 8/1 (s. Anm. 16). 252 f. 23 Ebd. 254. 24 Siehe G. Lasson: Vorwort zu: G. W. F. Hegel: Die orientalische Welt, ha: Sämtliche Werke. Hrsg, von G. Lasson. Bd 8/2. Leipzig 1919. V ff, hier IX f. 25 G. W. F. Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1955. - Die beiden Einleitimgen von 1822 und 1830 liegen jetzt innerhalb der Akademie-Ausgabe von Hegels Gesammelten Werken vor: G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 18. Hrsg, von W. Jaeschke. Hamburg 1995.121 ff und 138 ff.
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Schriften verfahren werden soll, ist freilich umstritten. Sollen einzelne ausgewählte Nachschriften ediert werden, oder soll man die jeweiligen Vorlesungsjahrgänge durch Herstellung eines „integralen Textes“ aus (soweit möglich) mehreren Nachschriften „rekonstruieren“? Letzteres intendieren etwa K. BREHMER und H. N. SEELMANN mit ihrer Edition des ersten Jahrgangs der Vorlesung von 1822/23 auf der Grundlage der Nachschriften von HOTHO, VON GRIESHEIM und VON KEHLER.26 In einem solchen Verfahren wirkt, obschon historisch-kritisch verfeinert, im Grunde immer noch die Ergänzungsh)^othese KARL HEGELS fort: Man legt eine Nachschrift, die man als die beste erachtet, zugrunde (im Falle der jüngsten Edition diejenige HOTHOS), und „ergänzt“ aus anderen Nachschriften Passagen, die in der als Haupttext zugrundegelegten Nachschrift fehlen. Evoziert dieses Verfahren aber nicht weiterhin die - trügerische - Erwartung, es lasse sich aus einer Ineinanderschachtelung sekundärer Quellen eine Primärquelle, der „ursprüngliche“ oder „authentische“ Hegel, eruieren? Kultiviert es, anders gesagt, nicht die Illusion, die „ipsissima verba“ des Philosophen zu gewinnen? Ein derartiges Ansinnen wäre, wie mir scheint, in der Tat verfehlt; es wäre so abwegig wie der Versuch, aus der ,ungeschriebenen Lehre' PLATONS herauszupräparieren, was PLATON „wirklich“ sagte. Bleiben Nachschriften doch nun einmal notgedrungen sekundäre und als solche „trübe Quellen“, wie HEIDEGGER bemerkt hat.27 Ihnen wird man daher allenfalls aus methodischer Naivität einen höheren Grad an Authentizität zusprechen können. Der prekären Quellenlage wäre derm allein um den Preis eines nicht zu rechtfertigenden editorischen und interpretatorischen Positivismus zu entraten. Was uns die Nachschriften der Vorlesungen Hegels vermitteln, ist demnach nicht der „ursprüngliche“ oder „eigentliche“ Hegel. Derartige Ambitionen wird man redlicherweise aufgeben müssen. Wohl aber geben uns die Nachschriften einen Anhalt dafür, wie Hegel in seinen Vorlesungen je verfahren ist. Das ist angesichts der problematischen Editionslage Grimd genug für eine Beschäftigung mit Nachschriften zu Hegels Vorlesungen. Dieser Bemühung kann es indessen nicht mehr, wie den Hegel-Schülern, darum zu tun sein, dem Meister ein „Denkmal des
26 Vgl. H. N. Seelmann: Hegels Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23. In: Hegel-Studien. 26 (1991), 87 ff. - Die Edition ist jüngst im Meiner-Verlag erschienen: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Bd 12: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte 1822/23. Hrsg, von K. Brehmer und H. N. Seelmann. Hamburg 1996. Der Herausgeberin danke ich für die Ermöglichung der vorherigen Einsichtnahme in die Druckfahnen der Ausgabe. 22 Vgl. H. Büchner: Fragmentarisches. In: G. Neske (Hrsg.): Erinnerung an Martin Heidegger. Pfullingen 1987.47 ff, hier 51.
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Ruhms" (und sich selbst ein „Denkmal der Pietät") zu setzen.28 Die anstehende Aufgabe ist bescheidener und eher unspektakulär: Es ist allererst zu versuchen, die jeweiligen Ausgestaltungen der Vorlesungen, wie sie sich in den Nachschriften spiegeln, in den Blick zu bekommen. Nicht um Hegel ein Denkmal zu setzen geht es mithin hierbei, sondern einzig um einen differenzierteren, an der Sache orientierten Zugang zu den weltgeschichtlichen Betrachtungen des Philosophen.
II. Hegels weltgeschichtliche Betrachtungen im Spiegel der Nachschriflen Es versteht sich, daß ein derartiger Versuch in diesem Rahmen lediglich ansatzweise erfolgen kann und sich auf einige signifikante Grundzüge beschränken muß. Leitfaden der folgenden Darstellung, einer vergleichenden Lektüre von Vorlesungsnachschriften der Jahrgänge 1822/23, 1824/25, 1826/27 und 1830/31, soll Hegels Gliederung der Weltgeschichte in vier Reiche (das orientalische, griechische, römische und germanische Reich) sein, die erstmals am Ende der Heidelberger Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft von 1817/18 begegnet29 und dann auch den Beschluß der Berliner Grundlinien der Philosophie des Rechts bildetso. Dabei sollen die Texte soweit als möglich selbst zur Sprache kommen, um auf diesem Wege Konvergenzen und Divergenzen dieser „Quellen" deutlich werden zu lassen.3i
28 So E. Gans (s. Anm. 10). 15; vgl. auch K. Rosenkranz (s. Anm. 8) 152 ff. Dieser Impetus war nicht zuletzt durch die Opposition gegen die Schellingianer begründet: Hegels Geschichtsphilosophie sollte sich als ein ScheUings 'Weltalter überlegenes „Werk" präsentieren. 29 G. W. F. Hegel: 'Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Nachgeschrieben von P. Wannenmann. Hrsg, von C. Becker et all., Hamburg 1983. §§ 164 ff. 30 G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. §§ 341 ff. 31 Es sind bislang neunzehn Vorlesungsnachschriften bekannt; gegenüber der Auflistung Hespes (Hegels Vorlesungen zur „Philosophie der Weltgeschichte" [s. Anm. 9], 79-82) sind jüngst neue Nachschriften aufgefunden worden: Nachschriften des Jahrgangs 1830/31 von Heimann und Boeckh sowie des Jahrgangs 1824/25 von Heinrich Wilhelm Dove. (Die Nachschriften Heimanns und Doves werden von Dr. Klaus Vieweg [Jena] zur Publikation vorbereitet). Der Vorlesungsjahrgang 1828/29 kann indessen immer noch nicht durch eine Nachschrift belegt werden. - Herrn Professor Pöggeler danke ich für die Überlassung seiner Transkriptionen der Nachschriften von Griesheims (1822/23; Sigle ,G'), Hubes (1826/27; Sigle ,H') und Karl Hegels (1830/31; Sigle ,KH'). Eine für den Druck vorbereitete Transkription der Nachschrift Karl Hegels hat mir ferner Olaf Asbach (Marburg) freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Der Universitätsbibliothek Lausanne danke ich für die Übermittlung einer Kopie der Nachschrift von Jules Correvon (1824/25; Sigle ,C')- Belege aus dieser Nachschrift beruhen auf einer eigenen Transkription. Orthographie und Interpunktion wurden der besseren Lesbarkeit wegen durchgängig behutsam modernisiert.
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1. Das Kolleg 1822/23 Ging Hegel noch in der Phänomenologie des Geistes mit zeitgenössischen Tendenzen davon aus, daß die Weltgeschichte auf dem persischen Hochland begonnen habe und von dort nach Indien bzw. Vorderasien und Ägypten fortgeschritten sei, sah die erste Berliner religionsphilosophische Vorlesung demgemäß den Anfang der Religionsgeschichte in der persischen Lichtreligion32, sprach schließlich die Rechtsphilosophie lediglich vom „orientalischen Staat", so markiert der Einsatz der geschichtsphilosophischen Vorlesungen 1822/23 mit China ein Novum. Wie aus einem Brief Hegels an DUBOC vom 22. Dezember 1822 hervorgeht, ist Hegel zu jener Zeit intensiv mit „Quartanten und Oktavbänden ... von indischem und chinesischem Wesen" befaßt. „Es ist mir aber", fährt Hegel fort, „ein sehr interessantes und vergnügliches Geschäfte, die Völker der Welt Revue passieren zu lassen. Aber ich weiß noch nicht recht, wie ich sie bis auf diese unsere letzte Zeit auf Ostern durchkriegen soll.. ."33 Tatsächlich wird denn Hegel gerade nur zu Ausblicken auf die neuere Geschichte kommen. In Asien nun ist nach der Vorlesung von 1822/23 „das Sittliche des Staatsbewußtseins aufgegangen" (G I, 107). Vorhanden ist allerdings zunächst nur ein patriarchalischer Staat, in dem „das Subjekt noch nicht zu seinem Recht gekommen ist" (GI, 121 f). Das gilt wesentlich für China, dessen Darstellung, wie oben schon bemerkt, in der ersten Vorlesung Hegels rmgewöhnlich breiten Raum einnimmt (in GRIESHEIMS Manuskript über fünfzig Seiten). Das das sittliche Leben bestimmende Verhältnis ist ein patriarchalisches: Der Kaiser gilt als „Vater und Mutter des Reichs" (G I, 148) imd gelehrtester Marm, dem zugleich die oberste Regierungsgewalt zukommt (G I, 149). Der Kaiser und sein Beamtenapparat beaufsichtigen alles „von oben bis unten" (G1,154). Ist das gesamte Leben derart auf die Person des Monarchen zentriert, dann ist es aber abhängig von dessen moralischem Zustand. So hat es in China zwar „eine große Anzahl vortrefflicher Fürsten" gegeben (GI, 154); solche Erscheinungen waren jedoch zufällig (G I, 155). Das Rechtliche wird andererseits vom Moralischen nicht geschieden, weshalb der sittliche Zustand Chinas im Grunde ein Despotismus ist. „Wenn die Gesetze so das Moralische gebieten ..., so setzen sich die Gesetze an die Stelle meines Innern, und die subjektive Freiheit ist da32 Vgl. O. Pöggeler: Die Entstehung von Hegels Ästhetik in Jena. In: Hegel in Jena. Hrsg, von D. Heiu-ich und K. Düsing. Bonn 1980.249 ff, hierbes. 266 ff. 33 Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Bd 2. Hamburg 1953.367.
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durch aufgehoben oder nicht anerkannt" (G 1,160). Das System ermangelt daher des „Quells der Sittlichkeit und freier Wissenschaft" (G1,161). Denn „wenn moralisch über mich regiert wird, so ist mein Fürmichsein nicht respektiert, darum hat die Ehre hier keinen Raum, ebenso nicht die Produktionen, die aus meiner Innerlichkeit hervorgehen" (G 1,162; vgl. 167). Gegenüber China erscheint Indien als „Wunderland". Während in China ein „phantasieloser Verstand" regiere (G I, 184), sei der ganze Zustand in Indien „eine Träumerei". „Moralität, Vernunft, Subjektivität sind hinweggoworfen, und wilde Einbildungskraft, mit sirmlichem Genuß einerseits, andererseits eine völlige Abstraktion der Innerlichkeit sind die Extreme, zwischen denen sich der Inder hin und her wirft" (G 1,185). So läßt sich in Indien die „Entstehung einer Welt der Innerlichkeit" beobachten; der indische „Idealismus" indes sei „ein vernunftloser", „ein bloßes Träumen" (G 1,187; vgl. 258). Die Innerlichkeit ist noch „nicht durch den Begriff gebildet" (G 1,191). Das ist der Grund, weshalb auch dem Staatsleben das Prinzip der Freiheit fehlt; von einem Staat könne streng genommen nicht einmal die Rede sein. „In China ist alles Staat, in Indien ist nur ein Volk, aber kein Staat" (G I, 195). Das fehlende Moralbewußtsein bedingt einen „gesetzlosen Despotismus", der persönliche Freiheit nicht zuläßt (GI, 195, 197; vgl. 219, 221). „Das Prinzip des Staats ist Unfreiheit, die durch Abstraktion sich erhebt, alles Sittliche hält sich auf diesem Standpunkf und breitet sich dort aus. Bei dieser Selbstlosigkeit des konkreten Lebens können Staat, Vemunftgesetze, Sittlichkeit nicht vorhanden sein" (G 1,236). Die „eigentliche Weltgeschichte" sieht Hegel erst mit Persien emsetzen (G 1,270). Tritt in der jüdischen Religion das „Umschlagen des morgenländischen Prinzips" (vom Primat der Natur zum Primat des - freilich noch nicht freien - Gedankens) zutage und wird darin deutlich, „daß der Mensch sich eine ganz andere Aufgabe zur Lösung stellt" (G I, 313), so erscheint Ägypten als Land eben dieser Aufgabe. Der menschliche Geist beginnt sich in der Gestalt der Sphinx allererst aus dem Tierischen zu befreien (G I, 314); die Zeichen des Geistes sind, wie dies die ägyptische Hieroglyphenschrift nach Hegel dartut, noch in Unmittelbarkeit befangen (G 1,315). Die menschliche Individualität gewinnt in Ägypten eine „ganz andere Bedeutung" (G I, 336), auch sind die Ägypter fortgeschritten von der Verehrung der organischen Natur „zur Verehrung des animalischen Lebens als etwas Göttliches" (GI, 339 f). Das Wahre bleibt aber für sie „noch die Aufgabe, das Rätselhafte" (G1,342). Die Ägypter sind „zum freien Bewußtsein nicht gekommen", „noch nicht zum reinen Gedanken gekommen" (G I, 354). „Der Geist des Ägypters geht noch nicht in sein Inneres zurück und wird für sich ... dies ist ein Kampf des Geistes, der an sich schon Herr des
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Partikulären ist, aber noch nicht für sich ... Das positive Resultat hat er noch nicht für sich zum Zweck, dies muß hervortreten als der freie, heitere Geist, und so ist dies der Geist Griechenlands" (G I, 371). Das griechische „Erkenne dich selbst!" ist derm berufen, das durch den ägyptischen Geist auf gegebene Rätsel zu lösen (G 1,374). Damit löst Griechenland das „Kindesalter" des Geistes ab, der nun in sein „Jugendalter" übergeht (G II, 3). Die Einheit des griechischen Volkes war gewährleistet durch die Bildung (G II, 27), wobei der Mittelpunkt dieser Bildung die schöne Kunst war als die Einheit des Sirmlichen mit dem an und für sich Geistigen. Darin ist aber auch schon der Mangel dieser Stufe der Entwicklung des Geistes angezeigt, der ihn zum Eortschreiten nötigen wird. „Das Prinzip des Freien, das Prinzip des Denkens ist noch nicht so für sich herausgehoben, noch nicht mit dem Gedanken aufgefaßt, sondern dies sich frei Wissen ist noch mit dem Natürlichen vereinigt. Die Freiheit des Geistes ist noch nicht selbst der Gegenstand" (GII, 38 f; vgl. 43). Der Geist ist noch nicht zum Wissen seiner selbst gekommen, „das griechische Prinzip ist noch nicht zur Welt des Gedankens ausgebildet" (G II, 41). Deshalb kann das Natürliche, die menschliche Gestalt, zum Ausdruck des Geistes werden, ist das Göttliche „der Zufälligkeit des Einzelnen unterworfen" (G II, 42). Gemessen an der christlichen Religion erscheint darum die griechische Religion „nicht anthropomorphistisch genug", wie Hegel gegen SCHILLERS Die Götter Griechenlands festhält (G II, 44). „Die griechischen Götter sind ... wesentlich geistige Individualität, die hier das Wesentliche ist, aber noch nicht freie Individualität, der Geist ist noch nicht im Geiste aufgefaßt. Die Griechen sind frei, aber die freie Individualität ist noch rdcht ihr Gegenstand" (G II, 47 f). Die Subjektivität der Griechen kennt noch nicht den „unendlichen Bruch", den Gegensatz von Gut und Böse. Das ist der Grund, weshalb es bei ihnen noch Aberglauben in Gestalt von Orakeln gibt (G II, 55). Auch hier zeigt der Vergleich mit der christlichen Religion den Rückstand der griechischen: Das Besondere war noch nicht in Gott aufgenommen, und so mußte man sich das Besondere als „blinde Macht über Recht und Sittlichkeit" gefallen lassen (G II, 60). Daß die Subjektivität sich derart noch nicht als unendliche Subjektivität gefaßt hat, daß es, anders gesagt, noch nicht die Innerlichkeit des Gewissens gab (G II, 22, 61), bedingt Hegel zufolge auch die spezifische Gestalt des politischen Lebens in Griechenland. Die griechische Polis erscheint als etwas gegenüber der Innerlichkeit Äußeres, die die Besonderheit der subjektiven Meinung nicht zuzulassen vermag (G II, 62 f). So ist das Prinzip der subjektiven Freiheit für die griechische Verfassung ein „heterogenes Prinzip" (G II, 64; vgl. 93). Gesetze gelten als Gesetze des Vaterlandes, nicht aber, weil der einzelne von
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ihnen überzeugt ist, zu ihnen seine Zustimmung gegeben hat. „Und so ist die Sittlichkeit als solche diese Bestimmung, daß sie als Sitte und als Gewohnheit ist, nach der Weise der Natur und der Weise einer Notwendigkeit" (G II, 65). Das Fehlen subjektiver Freiheit manifestiert sich direkt im Vorhandensein der Sklaverei (Sklaverei, so Hegel, kann es erst dann nicht mehr geben, wenn der Mensch sich als Person, als unendlich freies Subjekt weiß; G II, 70). Es offenbart sich aber nicht zuletzt auch im Schicksal des SOKRATES, der mit der allgemein anerkannten Sittlichkeit durch seinen Standpunkt bricht, daß der Mensch das Sittliche „in sich suchen und aus sich finden" müsse (G II, 95), weshalb ihn Hegel auch in Entsprechung zu LUTHER setzen kann (GII, 194 f). „Der Gedanke macht nun sowohl den Bruch mit der Wirklichkeit aus als auch den Frieden in seiner Idealität. Das Herz der Welt muß erst brechen, die Versöhnung ... muß erst im Geiste geschehen" (G II, 97 f). Ein „Herrscher-Genie" wie ALEXANDER (G II, 107) konnte zwar nur aus Griechenland hervorgehen. Doch konnte Griechenland die Gewalt dieser Individualität nicht mehr aushalten. ln der Persönlichkeit ALEXANDERS liegt denn bereits das „Prinzip für den Geist der höheren Freiheit, der in die Weltgeschichte treten soll" (G II, 109). Politik wird zum „Schicksal", wie NAPOLEON dies gegenüber GOETHE gesagt habe (G II, 113). Das aber wird Wirklichkeit durch die „Tat des römischen Reichs". „Rom hat... das Herz der Welt gebrochen, und nur aus dieser Unseligkeit der Natürlichkeit des Geistes konnte sich der freie Geist entwickeln" (GII, 113). Kennzeichen des Lebens Roms ist „prosaische", abstrakte Herrschaft (G II, 113 f), die keinen „freien Genuß der Sittlichkeit" kennt (GII, 127), was wiederum Konsequenzen für alle Lebensbereiche zeitigt: Das römische Recht weiß vom Menschen nur als einer „abstrakten Person" (G II, 125), und auch die römische Religion ist lediglich eine Religion der „Nützlichkeit" und „Zweckmäßigkeit" (G II, 128, 156). Nirgends gibt es bei den Römern wie in Griechenland „schöne konkrete Gestalten", „sondern die zurückgehaltene Besonderheit allein bricht los" (G II, 144). Das zeigt sich in ausgezeichneter Weise am Ende der römischen Republik an der Person CAESARS. „CAESAR hat eine Partikularität über die vielen Willküren gestellt. An die Stelle niedriger, kleinlicher Partikularitäten hat er sich gestellt und Rom davon gereinigt, nichts war notwendiger" (G II, 146; vgl. 149). Unter AUGUSTUS endlich tritt die christliche Religion auf, „diese Angelegenheit der Weltgeschichte" (GII, 149). „In dieser Religion sind alle Rätsel, alle Mysterien offen geworden, die Christen wissen, was Gott ist, insofern sie wissen, daß er dreieinig ist. Eine Weise, dies zu wissen, ist die des Glaubens, die andere ist die des Gedankens, der die Wahrheit denkt und so Vernunft
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ist" (G II, 152). Mit der Erscheinung der christlichen Religion findet die Sehnsucht des in die Endlichkeit des römischen Reichs verbreiteten Geistes seine Befriedigung: Kraft der Offenbarung Gottes in Christus weiß sich der Mensch als Moment des göttlichen Wesens, umgekehrt konunt Gott, den die jüdische Religion nur als abstrakten „Gott des Gedankens" (G II, 159; vgl. 165) zu fassen vermochte, „zur Anschauung des Menschen" (G II, 162). Er wird in seiner Wahrheit offenbar, in welcher der Mensch nun „sein wahrhaftes Wesen" findet (G II, 167 f). Sklaverei wird von daher ein Unding. Überhaupt ändert sich die Form der Sittlichkeit. „Die schöne Sittlichkeit ist nicht mehr vorhanden, was jetzt sittlich ist, karm auch Sitte, Gewohnheit sein, insofern es aus dem Innern kommt. ... Alles ist durch den freien Willen vermittelt" (G II, 169 f). Das heißt für das Verhältnis der Individuen zum Staat konkret, daß der Gehorsam diesem gegenüber „mit dem individuellen subjektiven Zweck" „vermittelt" sein muß (GII, 170, 173). Dies leistet nach Hegel aber erst die konstitutionelle Monarchie neuerer Zeit, wo jedes Moment als selbständige Gewalt innerhalb eines umgreifenden Organismus gesetzt sei. „In den Römern selbst karm sich dies Prinzip nicht entwickeln, sondern ein nordisches Volk ist Träger dieser Idee" (G II, 175). So gibt das römische Reich nach seinem Untergang die Fackel des Geistes an das germanische Weltreich weiter. Hegel setzt die drei Perioden des germanischen Weltreichs in Analogie zu den vorherigen Weltreichen: Die erste Epoche (von den Anfängen bis zu KARL DEM GROSSEN) entspreche dem persischen Reich, die zweite Epoche (von KARL DEM GROSSEN bis zur Reformation) der griechischen Welt zu PERIKLES' Zeit, die dritte Epoche endlich, d. h. die neueste Zeit von der Reformation an, sei zu vergleichen mit der römischen Welt (G II, 193 ff). Derm zuletzt werde die Hegemonie des selbstbewußten Gedankens erreicht, „der das Allgemeine will und weiß und die Welt regiert" (GII, 195). Das sittliche Leben in der ersten Periode zeigt sich geprägt von partikularer Subjektivität, die keinen allgemeinen Inhalt zulasse und ein sittliches Band allein über das Prinzip der Treue knüpfe. So vermißt Hegel in dieser Phase gänzlich einen Staatssinn, beobachtet andererseits „Einwurzelung in Privatvorteil und Zersplitterxmg" (GII, 207). Mit dem Frankenreich unter KARL DEM GROSSEN beginnt sodarm „das Reich der Partikularität" (GII, 218). Bestimmung dieser zweiten Periode aber sei, „daß die reale Herrschaft eine ideelle wird, daß die Christenheit in die Herzen eingebildet werde" (G II, 220). Demnach kommt es im Mittelalter zu einer „Einbildung des Christentums" „in die allgemeinen politischen und historischen Verhältnisse" (GII, 228); die Kirche erlangt weltliche Herrschaft und sucht sich die sinnliche Welt zu erobern, was seinen offensichtlichsten Ausdruck in
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den Kreuzzügen findet. Ihre Bedeutung erkennt Hegel hauptsächlich im Negativen; der nach der Eroberung des heiligen Grabes gewonnenen Erkermtnis, daß der Geist nichts Sinnliches ist und deshalb auch nicht in einem sinnlichen Gegenstand ergriffen werden kann. „Nach Christus kam der Geist über die Gemeinde, der ein Lebendiges ist, aber nicht ein Sirmliches. Dies ist die Bedeutung der Kreuzzüge, und darum hat das heilige Grab wieder verloren gehen müssen für die Christen. Es ist dies der Segen der Kreuzzüge ... die Erucht ist, daß eben der Geist nur in der Negation der Sinnlichkeit, der Unmittelbarkeit vorhanden ist" (G II, 254 f). Diese Einsicht führt umgekehrt dazu, daß der Mensch die Welt frei läßt und sich praktisch in ihr verhält, sich arbeitend in ihr betätigt: Handel und Gewerbe blühen auf, auch kommt es zu Erfindungen, wie etwa des Schießpulvers und des Buchdrucks (G II, 256,257 f). Es bildet sich Freiheit in den Städten aus, Assoziationen „zum Zweck der bürgerlichen Freiheit" entstehen, und damit auch rechtlich bestimmte und zugleich politische Stände (G II, 261, 263 f). Weil die Kirche indessen das Sinnliche nicht gänzlich aus sich ausgeschlossen hat, führt sie nach Hegel ihr eigenes Verderben herauf, was sich in kirchlichen Mißständen wie Aberglaube und Ablaßwesen dokumentiert (G II, 272 f). Zwar kommt es noch einmal zu einem Aufblühen christlicher Kunst im Bau der Peterskirche in Rom, doch befriedigt die Kunst schon nicht mehr das letzte Bedürfnis des Geistes. „So wie Athen das Geld der Bundesgenossen zum Tempel der Athene verwandte und wie dies das Unglück Athens machte, so ist auch dieser Bau, in welchen MICHELANGELO das jüngste Gericht lieferte, das jüngste Gericht für diesen stolzen und höchsten Bau der Kirche geworden" (G II, 274). So wird die Reinigung der Kirche durch die Reformation LUTHERS notwendig. Das entscheidende Verdienst LUTHERS ist es Hegel zufolge, dargetan zu haben, daß es dem Glauben nicht um Sinnliches gehe, sondern allein um die „Gewißheit... der an und für sich seienden Wahrheit" (GII, 276); eine Gewißheit, zu der jedes Subjekt in seinem Gewissen gelangen kann und soll, und die deshalb nun auch den Unterschied zwischen Klerus und Laien obsolet macht (G II, 277). „In der lutherischen Kirche ist es das Herz, das innerste Bewußtsein, Gewissen, das zum Bewußtsein der Wahrheit kommen soll. So ist die Freiheit in der Kirche gewonnen, absolute Innigkeit der Seele.... Die Subjektivität des Individuums, seine Gewißheit, Irmigkeit ist nun wahrhafte Subjektivität in dem Glauben" (G II, 277 f). Das Subjekt erringt seine Wahrheit, indem es seine Besonderheit aufgibt und sich als in der substantiellen Wahrheit aufgehoben weiß.
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Die LuTHERische Entdeckung der Freiheit des Christenmenschen hat wiederum Konsequenzen für das sittlich-politische Leben. Derm nun wird der freie Geist „das neue Panier, um das sich die Völker sammeln". Das Werk der Neuzeit besteht folglich in nichts anderem, als „dies Prinzip in die Welt hineinzubilden" (G II, 279). Hegel vergleicht verschiedene Länder Europas: Italien zeigt die „schönste Blüte der Religiosität, aber auch rücksichtslose Sinnlichkeit" (G II, 282); Spanien die glänzendste Entfaltung des Rittertums, das jedoch außer sich gegangen sei, „ohne sich in sein Innerstes auf sich zu kehren" (G II, 283); Frankreich erscheint als Land des - wesentlich abstrakten - Gedankens und Geistes (G II, 283), Großbritannien wie Frankreich als „Land des abstrakten Gedankens, des Raisonnements, aber doch des konkreteren Gedankens" (GII, 284); die skandinavischen Nationen seien mit Spanien zu vergleichen (G II, 284); Deutschland, „der Mikrokosmos von Europa", sei geprägt vom Prinzip der Individualität, gehe aber einer politischen Einheit verlustig, sei zerfallen (GII, 285). Auf Preußen sei der „Blick der Freiheit" gerichtet, während Rußland nur eine „massenhafte Macht" darstelle (G II, 286 f). FRIEDRICH II. findet in diesem Kontext eigens die Würdigrmg Hegels als eine „welthistorische Person" und ein „philosophischer König", der es verstanden habe, den allgemeinen Staatszweck gegen besondere Privilegien zu verteidigen (GII, 307 f). Aus dem Prinzip der evangelischen Kirche geht die Freiheit des Willens hervor, die sich ihrerseits im Staat verwirklicht (GII, 310 f). Das macht für Hegel aber zugleich den Sinn von „Revolution überhaupt" aus (G II, 311) und erklärt, warum politische Revolutionen in romanischen Ländern hervorgetreten sind und nicht in Staaten, die mit der Reformation „ihre Revolution gemacht" haben (G II, 312). Diese Länder bedürfen, wie Hegel bemerkt, nicht der Revolution, „denn es ist das vorhanden, daß das, was geschehen soll, durch Einsicht und Bildung geschehe" (GII, 313). - Mit diesen Überlegungen schließt Hegels erste Berliner Vorlesung gemäß der Nachschrift GRIESHEIMS. Die Nachschrift hält am Ende die Absicht der Vorlesimg fest: „zu zeigen, daß die ganze Geschichte nichts als die Verwirklichung des Geistes und der Staat die weltliche Verwirklichung desselben ist" (G II, 314).
2. Das Kolleg 1824/25 Die Vorlesung von 1824/25 setzt wieder ein mit dem „Reich der theokratischen Herrschaft", verhandelt unter diesem Titel laut der Nachschrift CORREVONS aber neben China auch die Mongolei. Es zeigt sich hier das „Bewußtsein einer selbständigen allgemeinen Macht" (C 49), die sich in der
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Gestalt des Regenten verkörpert. So beruht die Staatsverfassung auf patriarchalischen Verhältnissen. Der Kaiser ist Patriarch, darüber hinaus aber auch Oberhaupt der Religion und an der Spitze von Literatur und Wissenschaft (C 56 ff). China befindet sich aber im Grunde, genauso wie Indien (C 76 ff), „außerhalb der Weltgeschichte". „Von ihnen ist kein Fortgang zu anderen Reichen" (C 54). Dem „Begirm" folgt der eigentliche „Anfang" mit dem persischen Reich (C 98 ff). Kannte China eine nur „geistlose" Einheit (C 99), brachte Indien die Auflösung dieser „Maschinerie" und eine stärkere Selbständigkeit der Individuen (C 51), so bildet sich in Persien das Bewußtsein eines Allgemeinen, das „sich frei als ein beharrendes für den Menschen gestellt" hat, imd zwar in Gestalt eines unmittelbar sinnlichen Gegenstandes, des Lichtes (C 101). Die „Flucht aus dem Natürlichen" (C 110) begirmt im jüdischen Volk, wo Gott „schlechthin für den Gedanken" ist und der Geist die „abstrakte geistige Grundlage" gewinnt (C 113). Damit einher geht eine Entgötterung der Natur, eine „Losreißung des Gedankens von der Natur" (C 114), ohne daß aber das äußerliche Verhalten zur Natur zu einem Verstehen ausgebildet würde (C 116). Die Aufgabe, die widerstreitenden Elemente zu vereinigen, stellt sich in Ägypten, das erst den Übergang in die Weltgeschichte und in eins damit den „innerlichen Übergang der Weltgeschichte und der orientalischen Welt zu der griechischen Welt" vollzieht (C 53). Die Übergangsfunktion Ägyptens belegt Hegel mit Hinweisen, die sich mit den in der Vorlesrmg von 1822/23 gegebenen decken: Die Hierogl}^hensprache bezeugt, daß die Ägypter kein Selbstverständnis vermittelst der Sprache ausgebildet haben (C 117); man konstatiert eine irmige Verbundenheit von Geistigem und Sinnlichem mit Übergewicht der Naturbestimmung (C 119 f); es gibt kein freies Reich der Wissenschaft, der Verstand zeigt sich „mit Aberglauben vermischt" (C 121). Diese Ambivalenz wird augenscheinlich in der Verehrung des Tieres, das andererseits auch wieder „zum Symbol herabgesetzt" ist des Geistigen (C 121 f). Der Widerspruch von Natürlichem und Geistigem macht sich endlich in der Kunst bemerkbar, die für die Ägj^ter „ein notwendiges Bedürfnis gewesen" sei (C 124, vgl. 125).34 Indessen sei ihre Kunst „noch nicht reine schöne klassische Kunst", strebe doch der Geist erst danach, „zur Klarheit zu kommen" (C 125). Die
34 Nähere Bekanntschaft mit der ägyptischen Kunst ermögUchte die seit 1823 in Berlin untergebrachte Sammlung Minutoli, die sich Hegel mit einem kunstgeschichtlich versierten Schüler wie Waagen erschloß. Vgl. ßn'e/e von und an Hegel (s. Anm. 33). Bd 3. Hamburg 1954. 5; s. auch O. Pöggeler (Hrsg.): Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik. Wiesbaden 1981.205 ff.
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Gestalt der Sphirtx kann als Ausdruck des Rätselhaften (C 128) geradezu als Symbol Ägyptens gelten (C 116). Das Rätsel Äg5tptens löst sodann das griechische „Erkenne dich selbst!" - hierin wird Erkermtnis, was in Ägypten nur Aufgabe war (C 127 f, 190). Das „Prinzip der selbstbewußten Freiheit" - das ist jenes Prinzip, das in Griechenland auf geht (C 130). Die Griechen gehen fort vom Ahnen zum Bewußtsein: Die „Dumpfheit" des Ahnens wird „zur bestimmten Vorstellung gebildet" (C 137). Dieser Progreß impliziert eine Umbildung des Sinnlichen durch den Geist, ohne daß sich aber der Geist schon selbst zum Organ hätte: Er bedarf der Anregung von außen, eines sinnlichen Stoffs. So ist in Griechenland die „schöne Individualität" überhaupt zu Hause (C 140). Das Natürliche wird „herabgesetzt zu einem Zeichen, vermittelst welchem der Geist sich manifestiert.... Der Geist hat das Bewußtsein, daß er der produzierende Künstler ist" (C 141). Gemäß dieser Charakterisierung des griechischen Geistes subsumiert Hegel nunmehr das griechische Leben insgesamt unter der Rubrik „Kunstwerk", wobei er zwischen subjektivem, objektivem und politischem Kunstwerk unterscheidet (C141 ff). Der Mensch erfindet in Griechenland Werkzeuge zur Bezwingung von Naturgegenständen und stellt sich selbst in Wettkämpfen und Spielen als Kunstwerk dar (C 141 f). Naturdinge werden herabgesetzt zu bloßen Zeichen; auch die Götter werden nicht mehr als Naturmacht verehrt. Vielmehr ist in der griechischen Religion das Naturelement „in das geistige umgebildet" (C 145), ein Vorgang, den der Mythos vom Götterkrieg, die Theogonie, festhält. Das entscheidende Defizit tut sich freilich im Blick auf die christliche Religion kund. Wie in der ersten Vorlesimg wendet sich Hegel gegen SCHILLER (C 149): Die griechischen Götter sind nicht menschlich genug. Die Subjektivität ist „noch nicht absolut gefaßt", „wird noch von außen bestimmt". Und so sind die Götter nur besondere geistige Individualitäten - über ihnen schwebt das Fatum (C 151). Der Umstand, daß sich die Subjektivität in Griechenland noch nicht reflexiv erfaßt hat, ermöglicht einerseits die „schönste Freiheit", die je existiert hat (C 151); andererseits bedingt sie aber auch, daß die griechische Demokratie mit der Sklaverei verbunden ist (C 154). Weil der Geist „noch von natürlichen Elementen affiziert, noch beschränkt" ist, kommt Freiheit nur den Bürgern zu. „Die Freiheit des Individuums ist noch nicht in ihrer Allgemeinheit gewußt, so daß der Mensch an imd für sich frei sei, und daß das Recht nicht das Recht einer besonderen Individualität sei" (C 154). Die griechische Verfassung imd Sittlichkeit ist, wie Hegel sagt, „die schönste", „aber rücht die tiefste" (C 153). Und so muß derm ihr Untergang mit der Ausbildimg des Prinzips der Innerlichkeit einsetzen. Darm nämlich
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finden die Individuen „nicht mehr ihre Befriedigung in der Wirklichkeit des Staats, sondern gehen in sich, isolieren sich und verwandeln die Wirklichkeit in Idealität" (C 159). Hegel erwähnt in diesem Zusammenhang das „formelle Denken" der Sophisten, ferner wieder das Beispiel des SOKRATES, der den „sich erfassenden Gedanken" gegen die Wirklichkeit geltend gemacht habe (C 160). SOKRATES „brachte das Prinzip der Freiheit des reinen Gedankens zum Bewußtsein" (C 161), läßt aber die Versöhnung zwischen innerer und äußerer Welt als anstehende Aufgabe. Die Nachschrift CORREVONS notiert danach nur kurz die Verbreitung des griechischen Geistes und der griechischen Bildung nach Asien unter ALEXANDER, um sogleich zur römischen Welt überzugehen. Der römische Geist geht über die Beschränktheit des griechischen (daß dieser „noch nicht... das Bewußtsein des Geistes in der Form der Allgemeinheit erreicht" hat [C 162]) hinaus, gewinnt dabei allerdings „zunächst nur die Form der Allgememheit". Deshalb bildet sich allein eine „abstrakte Allgemeinheit und Freiheit", eine „kalte Welt des Verstandes". Es gibt „keine konkrete Einheit des Geistes in sich"; vielmehr ist eine „Zerrissenheit der konkreten lebendigen Einheit des Geistes, der Sittlichkeit", ein „Unversöhntsein des Geistes in sich" zu konstatieren (C 163). Hegel exemplifiziert diesen Sachverhalt wie in seiner ersten Vorlesung vor allem anhand des römischen Privatrechts und der römischen Religion. Die Römer, „gebunden im abstrakten Verstand" (C 166), kennen allein eine „abstrakte Innerlichkeit" (C 167) und dementsprechend im Eigentumsrecht das Recht lediglich der „abstrakten Person" (C 166, vgl. 173,191). Die abstrakte römische Innerlichkeit findet ihr Pendant in der Äußerlichkeit der Religion: Die römische Religion ist „geistlos" (C 168), eine „Religion der Zweckmäßigkeit" (C 169); die römischen Götter „erscheinen wie eine Maschinerie" und „bleiben kalt" (C 168). Ein neuer Schauplatz der Weltgeschichte wird am Ende der Republik durch das weltgeschichtliche Individuum CAESAR aufgeschlagen (C 184); in der Kaiserzeit schließlich folgt nach der „geistlosen Versöhnung" in Stoizismus, Skeptizismus und EpiKUReismus die „wahre Versöhnung", die „Befreiung des Geistes" in der christlichen Religion (C 189 f; vgl. 192). „Das Subjekt befriedigt sich so im absoluten Gegenstand, und diese Versöhnung ist die, durch welche der Geist zu sich selbst zurückkehrt" (C 197). Der Mensch erlangt die Erkermtnis der Einheit Gottes und des Menschen vermittelst der Negation seiner natürlichen Realität, wodurch er aufhört, natürlicher, beschrärdcter Mensch zu sein (C 198). Diese Erkenntnis wird gewonnen durch die Offenbarung der Einheit des Göttlichen und Menschlichen in Christus, einer Einheit, die nur spekulativ zu erfassen sei. Denn:
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„Das Interesse des Geistes ist nur die spekulative Idee, daß der an und für sich seiende Geist und der menschliche Geist an und für sich versöhnt sind" (C 200). Noch steht aber die subjektive Freiheit „nicht auf sich selbst", noch ist der menschliche Wille „nicht konkret befreit", ein Mangel, der nach Hegel die Entwicklung der ganzen folgenden Geschichte bestimmt (C 204). In zweierlei Hinsicht vor allem wird das christliche Prinzip aber weltlich wirksam: Die Anerkermung des Menschen als Person widerstreitet der Sklaverei, außerdem wird eine schöne Sittlichkeit wie die griechische auf dem „Boden der subjektiven Innerlichkeit" gewissermaßen ortlos, werden Orakel hinfällig (C 205 f). „Bei den Christen ist die Subjektivität das Wesentliche. Diese muß hervorbringen das, was das Wahre ist" (C 206). Aufgabe der vom Christentum bestimmten Geschichte ist es in der Folge, so Hegel, den absoluten Inhalt der Religion im Raum der endlichen Welt, des Staats, einzubilden. „Die politische Verfassung ist die Vollführung der freien Idee.... Das Resultat der modernen Geschichte ist, daß der Staat, die christliche Idee zu seiner Grundlage habend, in seine Wahrhaftigkeit hat geführt werden müssen. Die Entwicklxmg ist nichts anderes als die Idee des an und für sich seienden Geistes, der zur Wirklichkeit gelangt" (C 208). Diese Verwirklichung des christlichen Prinzips vollzieht sich für Hegel im germanischen Reich. Anders als in der Vorlesung von 1822/23 geht Hegel, der Nachschrift CORREVONS zufolge, aber nicht sogleich zur Erörterimg des vierten Weltreiches über. Die Nachschrift verzeichnet vorher eine dem byzantinischen Reich gewidmete Zwischenüberlegung (C 210 ff). In diesem Reich vermag Hegel freilich „nichts Großes von Taten, Gedanken und Individuen" zu entdecken. Das politische Leben sei vielmehr „der Herrschaft der Leidenschaften preisgegeben" und von „Bürgerkriegen" zerrüttet gewesen (C 211 f). Der Islam habe diesem Reich im 15. Jahrhundert ein Ende gemacht, sich selbst aber als eine „wesentlich fanatische" Religion zu einer Staatsbildung unfähig gezeigt (C 213). Was das germanische Reich betrifft, so insistiert Hegel darauf, daß dieses nicht als bloße Fortsetzung des römischen Reichs zu begreifen sei. Sei hier doch „ein ganz neues Prinzip" leitend, „das Prinzip der vollkommenen Freiheit, daß der Geist auf sich selbst beruhe" (C 215). Die Periodisierung des germanischen Reichs ist identisch mit der der ersten Vorlesung. Anders als in der Vorlesung von 1822/23 zieht Hegel nunmehr aber Parallelen zum „Reich des Vaters", der „Herrschaft des Sohnes" und schließlich zum „Reich des Gedankens" (während er eingangs der Vorlesung das griechische und römische Reich, mit denen er 1822/23 die letzten Perioden des
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germanischen Reichs parallelisiert hatte, in Bezug setzt zur „theokratischen Aristokratie" Indiens bzw. zum persischen Reich [C 52]). In der Sache konvergiert die Charakterisierung der Perioden weitgehend mit derjenigen von 1822/23. Die erste, dem „Reich des Vaters" entsprechende Periode, ist gekennzeichnet von der Eroberung der germanischen Nationen durch die römische Welt. Aus der Völkerwanderung gehen sodarm verschiedene Reiche hervor; die „germanische Freiheit" als eine objektiver Pflichten gänzlich ledige subjektive Freiheit führt zu einem allein durch das Band der Treue zusammengehaltenen „Staatsverein" (C 219). Die zweite, dem „Reich des Sohnes" entsprechende Periode, ist die Epoche der Entwicklung des Gegensatzes von Staat und Kirche nach dem Reich KARLS DES GROSSEN: Die Kirche nimmt theokratische Gestalt an, der Staat formt sich zu einer feudalen Monarchie. Die subjektive Freiheit ist noch „nicht zur Sittlichkeit gebildet". „Das Reich war noch nicht als eine Notwendigkeit organisiert, in der die Freiheit sich bindet" (C 224). Die absolute Wahrheit ist, wie Hegel auch sagen kann, „unverdaut" und noch veräußerlicht (C 222), was den Widerspruch heraufführt, daß es einerseits ein „Bewußtsein der absoluten Wahrheit" gibt, andererseits jedoch „die roheste Vorstellung über das Weltliche und Geistige" (C 224). In weltlicher Hinsicht macht sich dies geltend etwa im Fehdewesen, gewissermaßen der Privatisierung der Rechtspflege und, umgekehrt, der Schutzlosigkeit von Schwachen, Bauern und vereinzelten Freien (G 228), nicht zuletzt aber in der Nichtexistenz eines Staates, der Hohlheit der Kaiserwürde in Deutschland (C 232). Die Kreuzzüge belegen die „geistlose" Auffassung der Wahrheit durch die Kirche, „insofern man die Einheit (des Endlichen und Unendlichen, A. G.) in einem ganz äußerlichen, vereinzelten Dinge hat erfassen wollen" (C 234). Das Scheitern dieses Unternehmens führt indessen positiv - zur Einsicht, „daß das Subjekt an sich es ist, welches sich auf das Göttliche bezieht und die Bestimmung hat, identisch mit ihm zu sein". Das aber sei letztlich nur „auf spekulative Weise zu fassen" (C 235). So gebiert das Abendland das „Prinzip der unendlichen subjektiven Freiheit" (C 235), Industrie und Handel beleben sich, Erfindungen (wie das Schießpulver) werden gemacht. Wichtiger aber noch sei die Ausbildung des Denkens (C 236). So rühmt Hegel das „unendliche Verdienst" der scholastischen Theologie und Philosophie, die (abstrakten) Gedankenformen geltend gemacht zu haben (C 237) - eine Würdigung, die die Nachschriften zur ersten Vorlesung 1822/23 nicht belegen. Hegel erwähnt in diesem Kontext explizit ANSELM, darüber hinaus Paris als Zentrum der Bildung, Frankreich überhaupt als „Mittelpunkt der Christenheit". Der Inhalt des Denkens behält in der Scholastik allerdings noch „die Form eines Gegebenen";
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es erscheint der „Gegensatz von menschlichem Verstand gegen das Geoffenbarte" (C 238). Wie sich im Denken der Zeit das Allgemeine gegen das Besondere erhebt, so auch „die Einheit im Staate gegen die partikulären Gewalten, sie in Schranken zu setzen". Es regt sich das Bedürfnis der Monarchie, die als ein Organismus die vier Stände der Bauern, Bürger, des Adels und des Klerus in sich vereinigt (C 239). Kirchliche Mißstände und der durch sie hervorgerufene Zerfall der Kirche erwecken endlich das Bedürfnis einer Kirchenreformation. Bei LUTHER erscheint nun der Begriff des Geistes, die Wahrheit, als der absolute Inhalt, der dies nur ist, „insofern er dem Menschen, seiner Subjektivität und Ereiheit angehört" (C 242 f). So ist „die christliche Freiheit... durch LUTHER zur Weise der geistigen Existenz gemacht worden" (C 243). Die Verehrimg von Heiligen wie die Unterscheidung von Priestern und Laien werden damit hinfällig. Und es sei der durch LUTHER begründete „Geist der Freiheit" auch jene „allgemeine Idee ..., in der wir stehen". „Dies Prinzip in die Welt hineinzubilden" sei nun die Aufgabe, d. h. konkret: den Staat als „Dasein der Freiheit" mit der Religion zu versöhnen (C 244). Durch den reformatorischen „Geist der Freiheit" wird das Denken selbst über eine „formelle Allgemeinheit" hinausgeführt und erhält „seine eigene Bestimmung, seinen Inhalt" (C 248). Das Allgemeine bestimmt sich derm in der dritten Epoche des germanischen Reichs als „unendliche Subjektivität" (C 249). Für die Darstellung dieser Periode blieb Hegel aber offensichtlich kaum Zeit; die Nachschrift CORREVONS bringt den Schluß der Vorlesung auf nicht einmal vier Manuskriptseiten (C 249 ff). FRIEDRICH II. wird wieder hervorgehoben als derjenige, der „das wahrhafte Staatsinteresse" behauptet habe (C 249), die konstitutionelle Monarchie gewürdigt als das beste Resultat der staatsrechtlichen Entwicklung der Neuzeit (C 250 f). Was sich an abstrakten Grundsätzen der objektiven und subjektiven Freiheit als der substantiellen Grundlage des Staates ausgebildet habe, mache die vernünftige Notwendigkeit „konkret" und werde durch die Philosophie als „Werk der Freiheit" entwickelt. So erweise sich die Philosophie der Geschichte als „Theodizee" (C 252).
3. Das Kolleg 1826/27 Die Vorlesung von 1826/27 folgt nach der Nachschrift HUBES in ihrem grundsätzlichen Aufbau den vorhergehenden Vorlesungen. Verschiebungen und inhaltliche Neuakzentuierungen bleiben freilich durchaus auch hier nicht aus.
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Die orientalische Welt, das „Kindesalter des Geistes", beginnt mit China als dem „Reich des strengsten Despotismus" (H I, 98), in dem der allgemeine Zustand ein patriarchalischer, der Wert des Individuums hingegen unbekannt ist (HI, 98,107,113, vgl. 176). Den Mongolen widmet Hegel einen eigenen kleineren Abschnitt (H I, 141 ff), um dann sogleich zu Indien überzugehen. In Indien beginnt sich Partikulares geltend zu machen, eine Partikularität, die indes „eisern", „steinern", „durch die Natur bestimmt" bleibe (H1,150). Der „Taumel der Phantasie" sei Kennzeichen der Religion (H I, 144, 166 ff, 176).35 Den eigentlichen Anfang der Weltgeschichte markiert das persische Reich, wo der Unterschied von Sirmlichem und Denken einsetze (H I, 175 f). Die Bedeutung speziell der jüdischen Religion wird wie in den vorherigen Vorlesungen darin gesehen, das persische Prinzip des reinen natürlichen Lichts „zur geistigen Einheit von der Natürlichkeit gereinigt" zu haben (H I, 212). Der Glaube an Gott wird zum Glauben „auch für den Gedanken", der andererseits eine Entgötterung der Welt zur Folge hat. So beginne hier die „Prosa des Natürlichen" (H 1,214). Bemerkenswert ist der relativ große Raum, den die Darstellung Ägyptens in dieser Vorlesung erstmals erhält (im Manuskript HUBES immerhin über dreißig Seiten; HI, 220 ff). So sollte der geschichtlichen Brückenfunktion des Landes zwischen Orient und Okzident wohl eigens Rechnung getragen werden. Derm Ägypten ist, wie Hegel betont, der „Ausgangspunkt des orientalischen Prinzips zu dem westlichen, hauptsächlich aber zu dem Griechischen" (H1,220). In Ägypten beginnt sich der Geist aus dem Natürlichen herauszuarbeiten (H1,246) - was sich in der „symbolischen Vorstellung des Tieres" (HI, 233) in der Religion ebenso bekundet wie in der Architektur, namentlich in den Sphinx-Gestalten (H I, 231, 235). In allen seinen Äußerungen aber bleibt der äg5^tische Geist sich selbst ein „Rätsel". „Die Aufgabe hat sich zwar der Geist gestellt, aber zu ihrer Auflösung nicht gelangt" (H I, 221, vgl. 222, 236, 241). Das ist Sache erst des griechischen Geistes, wofür Hegel wiederum die Inschrift des Apollo-Tempels in Delphi als Beleg anführt: „der Mensch soll sich rücht mehr nach seiner Besonderheit, Partikularität, sondern den Geist, sein Wesen erkennen". So könne man sagen, „daß der Grieche die Aufgabe der Ägyptier gelöst hat" (HI, 249). 35 Seine kritische Sicht Indiens sucht Hegel zur selben Zeit, vornehmlich mit Blick auf die indische Religiosität, in der Rezension von Humboldts Indienschrift zu vertiefen, die 1827 in den neugegründeten Jahrbüchern fiir wissenschaftliche Kritik erschien. Vgl. dazu C. Menze: Wilhelm von Humboldt und die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". In: Chr. Jamme (Hrsg.): Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“. Hegels Berliner Gegenakademie. Stuttgart 1994.177 ff, bes. 178183.
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Das „Jünglingsalter" (H 1,56), das der Geist in Griechenland erlebt, zeigt sich geprägt von der „ersten Harmonie des Sittlichen und des Rechtlichen mit dem Subjektiven" (HII, 2). „Die Sittlichkeit ist ungetrennte Einheit des Wesens des Sittlichen mit dem individuellen Willen", „schöne Mitte" (HII, 27); der „allgemeine Zweck" des Staats stellt sich gleichzeitig als „Hauptzweck der Individuen" dar, ohne daß freilich deren subjektive Freiheit schon anerkannt würde (H II, 28). Die Nachschrift HUBES verzeichnet zwar nicht eine explizite Kategorisierung der Formen des griechischen Geistes wie CORREVONS Nachschrift der Vorlesung von 1824/25 (als subjektives, objektives und politisches Kunstwerk). Doch ist die Sache, die Hegel in der vorherigen Vorlesung unter diesen Titeln verhandelte, nach wie vor präsent: In den Spielen stellt sich der Mensch als Kunstwerk dar, als schönes Individuum (HII, 19 f); in der Religion erscheint das Absolute als „schöne menschliche Gestalt", die griechische Religion ist Kunstreligion (HII, 20); das Leben der Polis gestaltet sich als „schöne Sittlichkeit" mit den Zügen einer „heiteren Unbefangenheit" (H 1,49, vgl. II, 52). Das Schöne ist indessen noch nicht das Wahre. Und so macht die Befangenheit Griechenlands in der Schönheit sein elementares Defizit aus, das letztlich auch für sein Scheitern verantwortlich ist. Der Mangel des griechischen Geistes bekundet sich nicht nur in der Religion - die griechischen Götter sind „nicht genug anthropomorphistisch gewesen" (H II, 21), sie waren besondere, selbst noch dem Fatum unterlegene Partikularitäten (HII, 24). Der Mangel tritt vor allem im politischen Leben zutage, sobald das freie Bewußtsein des Individuums sich zu regen beginnt. Das ist bei SOKRATES der Fall, dessen Auftreten mithin den „Wendepunkt" zu einer höheren Entwicklung markiert (H II, 42). Mit SOKRATES setzt die Reflexion des Geistes in sich ein, die die schöne Sittlichkeit Griechenlands in Frage stellt, und die diese am Ende nicht auszuhalten vermag. So wird das Prinzip der Innerlichkeit zum „Zerstörer des atheniensischen Lebens" (H II, 45), wobei die schon in der ersten Vorlesimg begegnende Analogie SOKRATES-LUTHER nun sogar dahingehend zugespitzt wird, daß jenes Prinzip der Innerlichkeit und subjektiven Freiheit direkt als „christlich" apostrophiert wird (H II, 45) und der durch es in Gang gesetzte Fortschritt des Geistes bereits als „Übergang zur christlichen Welt" firmiert (H 1, 50). Andererseits kommt Hegel natürlich nicht umhin, den „großen Unterschied" zur neueren Welt festzuhalten, daß nämlich erst da der Mensch als solcher als frei begriffen werde und somit auch die Sklaverei nicht mehr aufrechtzuerhalten sei (HII, 29 f). Der von ARISTOTELES, „dem tiefsten Denker der ganzen denkenden Welt" erzogene ALEXANDER bringt die griechische Bildung und Wissenschaft nach
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Asien; nach ihm, der „schönsten Individualität eines Helden" (HII, 46), bildet sich das subjektive Prinzip freilich allein unter den Vorzeichen der Partikularität aus: Griechenland erscheint „zerrissen durch Partikularitäten" (HII, 50). Gegen diese in sich zerstreute Besonderheit erhebt sich sodann die abstrakte Macht Roms. Sie wird, gemäß dem schon 1822/23 zitierten Diktum NAPOLEONS, zum „Schicksal" der griechischen Welt (H II, 51), womit der Geist in das „Mannesalter" (H 1,56) übergeht. Die Abstraktheit des römischen Prinzips belegt Hegel mit Beispielen, die aus den vorherigen Vorlesungen bekannt sind: Das römische Recht (ein „großes" zwar, aber nicht das „höchste" Geschenk; H II, 57) anerkennt lediglich die „abstrakte Persönlichkeit des Individuums" (HII, 58, vgl. 94 f). Abstrakt sind auch die römischen Götter; sie haben, wie Hegel sagt, „etwas Äußerliches, Trockenes, Kaltes für uns" (H II, 59). Den Charakter des bloß „Oberflächlichen" und „Nachgeahmten" verrät die römische Dichtkunst und Architektur (HII, 86). Der inneren Auflösung des römischen Reichs am Ende der Republik wird durch CAESAR Einhalt geboten, der durch seine Eroberungen zugleich einen „ganz neuen Schauplatz der Weltgeschichte" auftut (H II, 89,133). So erhebt sich im germanischen Reich schließlich mit dem christlichen Prinzip ein weltgeschichtlich neues, höheres Prinzip. „Als die Zeit erfüllt, als die Bedingungen vorbereitet und der Schmerz des in sich unbefriedigten Geistes vorhanden war, als die kalte Hand des Fatums alle Gemüter empfunden haben, trat ein höheres Prinzip in die Welt ein. Die christliche Religion kam zum Vorschein" (H II, 99). Der Geist erlangt jetzt die „wahrhafte Versöhnung": die Erkermtnis der Identität von Gott und Mensch, der „Einheit der menschlichen und göttlichen Natur" (HII, 106, vgl. 113,115). Die Erkenntnis und weltliche Ausbildung des christlichen Prinzips fällt dem germanischen Volk zu, wo der Geist in sein „Alter" kommt (HI, 56). Hatte Hegel 1824/25 der Erörterung dieses letzten weltgeschichtlichen Reiches eine Zwischenreflexion über das byzantinische Reich vorgeschaltet, so ordnet er letzteres sowie den Islam jetzt je einem kleineren Unterabschnitt des Gesamtkapitels „Christlich-Germanische Welt" zu (H II, 121 ff und 127 ff), ehe er, nach einem Seitenblick auf die für den geistigen Fortschritt der Weltgeschichte sogleich als belanglos verworfenen slavischen Völker (H II, 133 f), zur Abhandlung seines eigentlichen Themas, des germanischen Reiches, fortschreitet (HII, 133 ff). Die Darstellung der Perioden der Geschichte des germanischen Reiches verhält sich dabei zu derjenigen der vorherigen Vorlesungen zunächst weitgehend kongruent. Der „Stumpfheit" der ersten Germanen (HII, 142, vgl. 152) bis hin zu KARL DEM GROSSEN folgt das durch den Gegensatz von
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Kirche und Staat gekennzeichnete Mittelalter. Erwähnung finden u. a. die Kreuzzüge (HII, 187 ff), aber auch der „schöne Rittergeist" eines Cid (HII, 192). Deutschland bildet sich nicht zu einem „geordneten Staat" (H II, 197, vgl. 194); doch entstehen Stände und freie Assoziationen - und damit der Ursprung der „eigentlichen Gesetzlichkeit" und die „Ausgleichung des Geistes mit sich selbst" (HII, 202). „Das ist der wesentlichste Punkt der Geschichte des Mittelalters, welcher den Anfang des Unterganges der früheren Geschichte imd den Übergang zur neueren bildet" (HII, 203). Wie in der Vorlesung von 1824/25 stellt Hegel eigens die Bedeutung der Bildung, besonders die diesbezügliche Relevanz Frankreichs heraus (H II, 204). Neben ANSELMS „spekulativer Theologie" (HII, 206) erfährt mithin Frankreich als „Sitz scholastischer Theologie" Beachtung (HII, 208, vgl. 228). Zwar sei dieses Denken formelles, auf einen vorgegebenen Inhalt bezogenes Verstandesdenken geblieben, doch habe sich davon ausgehend „das Bewußtsein der Vernunft gegen das Äußerliche der Kirche ... nach und nach ausgebildet und entwickelt" (HII, 207 f). Die Äußerlichkeit der Kirche selbst führt ihr Verderben herauf; Hegel nimmt den erstmals in der Vorlesung von 1822/23 angestellten Vergleich des dem Bau des AtheneTempels folgenden Niedergangs Athens mit dem dem Bau der Peterskirche folgenden Sturz der kirchlichen Gewalt durch die Reformation LUTHERS auf (HII, 214,215 ff). Die Lehre LUTHERS bringt nicht allein den Wegfall aller Äußerlichkeit und des Unterschieds zwischen Priestern und Laien mit sich (HII, 217). Sie ist für Hegel darüber hinaus in ihrem Zusammenhang mit der letzten Periode der Geschichte des germanischen Reichs, dem „Reich des Geistes", zu sehen (H II, 219). Kommt der Neuzeit doch keine andere Aufgabe zu, als das reformatorische Prinzip der Freiheit „in die Welt einzubilden" und derart den Staat als die „Verwirklichung der Freiheit" auszugestalten und zu begründen (HII, 220). Hegel betrachtet demzufolge im abschließenden Teil der Vorlesimg zuerst die Prinzipien einzelner Staaten, die sich nach der Reformation konsolidiert haben (Spanien, Portugal, Italien, Frankreich, Deutschland und England; HII, 224 ff), xmd legt von da aus den Übergang zur „Herrschaft des Gedankens" dar (HII, 233 ff). Dabei kommt es zu entscheidenden Innovationen gegenüber den früheren Vorlesimgen, die, wie gezeigt, ja kaum über die Epoche der Reformation hinausgekommen waren. So werden mm überhaupt erstmals DESCARTES als „Urheber der neuen Philosophie" und die Aufklärung genarmt (HII, 238 ff).36 Die deutsche Aufklärung enthalte nichts, „was nicht in VOL36 In Jena kam Descartes bei Hegel bekanntlich als bloßer „Reflexionsphilosoph" vor. Die gewandelte Einschätzung Descartes' in Berlin (wie sie ja auch in den Vorlesungen über die Ge-
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TAiRE und ROUSSEAU
ausgesprochen wäre" (H II, 240). Sie weise freilich noch keinen „wahrhaften Inhalt" auf (HII, 239). Hegel moniert ihre „große Einseitigkeit, daß sie nicht zur Objektivität des Denkens, zum vernünftigen Inhalte fortgegangen ist" (H II, 240), zu demjenigen substantiellen Inhalt, den die dogmatischen Lehren in sich enthielten, und der lediglich aus der „Schale" der religiösen Vorstellung zu lösen sei (H II, 241). Dem „Allgemeinen des Gedankens" zur Herrschaft verholten, den allgemeinen Staatszweck gegen die Privilegien besonderer Stände geltend gemacht zu haben - das bleibt in Hegels Sicht das Verdienst FRIEDRICHS II., der, wie Hegel seine schon 1822/23 geäußerte Ansicht wiederholt, „mit Recht ein philosophischer König genannt" werde (HII, 241, vgl. 200). Diese „Allgemeinheit des Bewußtseins" sei indessen auch im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und bei JOSEPH II. und KATHARINA DER GROSSEN ZU verzeichnen (HII, 242). Die Französische Revolution habe auf den „Prinzipien der allgemeinen Grundsätze" gefußt, diese seien freilich „auf abstrakte Weise gefaßt" und deshalb nur „polemisch gegen alles Bestehende, gegen alle Form, alle Organisation" gewendet worden (HII, 242 f), wodurch „ein falscher Liberalismus" (H II, 243) befördert worden sei. NAPOLEON, den Hegel früher allein im Zusammenhang des Übergangs zur römischen Welt mit seinem Wort von der Politik als Schicksal zitiert hatte, kommt nunmehr in den Blick als der Stifter liberaler Verfassungen und als gleichsam tragische Figur, der „so lange gegen seine Feinde gekämpft" habe, „bis er sie seiner würdig gemacht hat" (H II, 244).37 In der Gegenwart, dem „Bewußtsein unserer Tage", so schließt Hegel, ist der Geist, der sich in der Weltgeschichte gesucht habe, „endlich zu sich selbst", „zu seiner Freiheit gekommen". In dieser Zielrichtung erweist sich schichte der Philosophie ihren Niederschlag gefunden hat), dürfte wohl wesentlich durch Hotho angeregt worden sein, der gleich zu Beginn seiner Descartes gewidmeten Dissertation explizit auch die Verbindung zwischen dem methodischen Ansatz Descartes' und der „neueren", d. h. der Aufklärungsphilosophie herstellt. - Siehe H. G, Hotho: De Philosophia Cartesiana. Berlin 1826. 3: „Quae vero philosophia id attuht novi, quod non res veras esse praesumit, sed hanc ipsam praesumtionem censet esse probandam. Et quidem haec probandi necessitas non Cartesianae modo, sed recentiori orrmino philosophiae inhaeret, cum in eo consistat, quod cogitationis objecta ... non jam ab initio data atque proposita habeantur, sed id ipsi cogitationi magis vindicandum sit, quo sibi sua objecta cogitatio effingeret." 37 Eine ähnliche Einschätzung Napoleons belegt Hegels Brief an Niethammer vom 29. April 1814. S. Briefe von und an Hegel (Anm. 33). Bd 2. 28: „Es sind große Dinge um rms geschehen. Es ist ein ungeheures Schauspiel, ein enormes Genie sich selbst zerstören zu sehen. - Das ist das TpaYtxmxaxov, das es gibt. Die ganze Masse des Mittelmäßigen mit seiner absoluten bleiernen Schwerkraft drückt ohne Rast und Versöhnung so lang bleiern fort, bis es das Höhere herunter auf gleichem Niveau oder unter sich hat. Der Wendepunkt des Ganzen, der Grund, daß diese Masse Gewalt hat und als der Chor übrig und obenauf bleibt, ist, daß die große Individualität selbst das Recht dazu geben muß und somit sich selbst zugrunde richtet."
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die Geschichte für Hegel weder als das „Spiel zufälliger menschlicher Bestrebungen und Leidenschaften" noch als „abstrakte vernunftlose Notwendigkeit eines blinden Schicksals". Sie erschließt sich dem Blick des Philosophen als „eine notwendige Entwicklung der Momente der Vermmft". Und als eine solche soll sie sein, worin Hegel 1824/25 erstmals die Auszeichnung der spekulativen Geschichtsphilosophie namhaft gemacht hatte: eine Theodizee, Rechtfertigung Gottes (HII, 245).
4. Das Kolleg 1830/31 Der Jahrgang 1828/29 ist bislang leider nicht durch eine Nachschrift ausweisbar. Doch wird man der Konsequenzen etwaiger Änderungen in jenen Jahren in der Vorlesung gewahr, die Hegel 1830/31 als letzte entfaltet hat. Auch in seiner letzten Vorlesung verfolgt Hegel (mit der von HERDER geborgten Lebensalter-Metapher) den Gang des Geistes von seinem „Kindesalter" (KH 82, 91 ff) über sein „Jünglingsalter" (KH 83, 220 ff) und „Mannesalter" (KH 84, 292 ff) bis hin zu seinem Greisenalter im germanischen Reich (KH 85 f, 373 ff). Die sich im wesentlichen wiederholenden Exempel und Einschätzungen Hegels brauchen hier nicht noch einmal referiert zu werden. Gleichfalls karm davon abgesehen werden, auf kleinere Umstrukturierungen näher einzugehen (so etwa verzichtet Hegel auf Auslassungen über die Mongolen; wie 1824/25 und 1826/27 schaltet er außerdem der Erörterung des germanischen Reichs einen Abschnitt über das byzantinische Reich vor, bringt eine Reflexion des „Mohammedanismus" jedoch erst später, nämlich innerhalb der Darstellung der ersten Periode des germanischen Reichs; KH 366 ff und 385 ff). Was hier vornehmlich Beachtung verdient, sind indessen einige gewichtige materiale Neuakzentuierungen, die die letzte Gestalt von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, wie sie die Nachschrift KARL HEGELS überliefert, aufweist - Änderungen, wie sie in dieser Vehemenz kein vorheriger Vorlesungsjahrgang erkennen läßt. Sie betreffen insbesondere das Kapitel über das germanische Reich, und darin wiederum die Stellung von Christentum, Reformation, Aufklärung und Französischer Revolution. Das christliche Prinzip der Versöhnung, der Einheit des Göttlichen und Menschlichen, eine Erkenntnis, die der christlichen Gemeinde erst nach dem Tode Christi aufgeht (KH 361), ist, wie Hegel sagt. Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte: Das Geschäft der weiteren Geschichte nach Stifhmg der christlichen Religion ist die Verwirklichung der in ihrem Prinzip
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statuierten Versöhnung (KH 348, 350, 353, 360). Das christliche Prinzip weist dabei für Hegel nicht allein über die Gestalt des römischen Prinzips hinaus. Es stellt überdies die „tiefere Lösung" des äg)^tischen Rätsels dar (KH 363) - eine Linie, die Hegel so vorher nicht gezogen hatte. Die früheren Vorlesungen hatten, wie wir sahen, SOKRATES gleichsam als antiken ,Reformator' in Betracht gezogen, die SoKRAiische ,Innerlichkeit' selbst als christliches Prinzip gedeutet. Wenn nun nicht nur wie ehedem davon die Rede ist, der griechische Geist habe das ägyptische Rätsel gelöst (KH 193, 220 f), sondern die „tiefere Lösung" dieses Rätsels im Christentum namhaft gemacht wird, ist damit wohl zweifellos auch diejenige Seite des christlichen Prinzips im Blick, die Hegel im Zusammenhang seiner geschichtsphilosophischen Vorlesungen hauptsächlich interessiert: daß dieses Prinzip nicht wie die subjektive Freiheit des SOKRATES sich bloß negativ gegen die bestehende Sittlichkeit verhält (vgl. KH 280), sondern vielmehr die Aufgabe einer Gestaltung der politischen Wirklichkeit auf dem Grund der Freiheit stellt. LUTHER wird denn seinerseits auch nicht mehr als eine SOKRATES entsprechende Figur angesprochen, sondern gleichsam als erster Repräsentant der Aufklärung (vgl. KH 494 f). Die LuTHERische Reformation behält dementsprechend für Hegel ihre Bedeutimg gerade darin, „das Prinzip des freien Geistes" „zum Panier der Welt gemacht" zu haben, woraus sich darm „die allgemeinen Grundsätze der Vernunft" entwickelt hätten. „Seinen wahren Gehalt erhielt das Denken erst durch die Reformation, durch das wiederauflebende konkrete Bewußtsein des freien Geistes." Und so werden auch von hier aus erst die Grundsätze ausgebildet, „nach welchen die Staatsverfassung rekonstruiert werden mußte: das Staatsleben soll... der Vernunft gemäß eingerichtet werden ...; die verschiedenen Rechte müssen sich legitimieren als auf vernünftigen Grundsätzen beruhend. So kommt die Freiheit des Geistes erst zur Realität" (KH 376). Die Reformation erhebt sich „als die alles verklärende Sorme" (KH 459) vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Dunkels, in dem sich der Geist in „innerer Zerrissenheit" (KH 456) befand. Zwar regte sich, wie Hegel bemerkt, vor der Reformation bereits das Bedürfnis, den der Theologie im Dogma vorgegebenen Inhalt „für den Gedanken zu rechtfertigen" (KH 441), so etwa bei ANSELM und in der scholastischen Theologie (KH 440, 449 f). Auch gab es Bestrebungen, die päpstliche Autorität zu schwächen (z. B. auf den Reformkorrzilien von Konstanz und Basel), sowie erste Reformbestrebungen bei BRESCIA, WYCLIFF und Huss. Doch blieben diese Ansätze nach Hegel „etwas Partielles" (KH 453). Der Geist hatte durch die Zerrissenheit und Unfreiheit hindurch das Bewußtsein seiner Freiheit zu erringen, zur „Gewißheit der Versöh-
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nung“ (KH 456) zu gelangen. So setzt mit der Reformation LUTHERS die dritte Periode des germanischen Reichs ein, die Periode des sich als frei wissenden Geistes (KH 460). Entscheidend ist für Hegel, daß durch den Protestantismus das Verhältnis zur Welt auf eine neue Grundlage gestellt wird, trete jetzt doch auch das Sittliche in die Versöhnung des Geistes ein. „Das Göttliche hört auf, die fixe Stellung eines Jenseits zu haben: es wird gewußt, daß das Sittliche und das Rechte das Göttliche und das Gebot Gottes ist, daß es dem Inhalt nach kein Höheres, Heiligeres gibt" (KH 469).3® An die Stelle eines blinden Gehorsams tritt ein Gehorsam aus Freiheit. Was der Protestantismus allerdings nicht zustandebringt, ist, Hegel zufolge, ein „System der sittlichen Weltlichkeit" auszubilden (KH 472). Nach der Reformation kommt es zwar zur Staatenbildung; aus dem Verhältnis der Staaten gegeneinander erwachsen hingegen wieder mannigfaltige Kriege. Die Staatenbildung betrachtet Hegel in seiner letzten Vorlesimg freilich nicht allein wie in den früheren Vorlesungen in Hinsicht auf die innere Konsolidierung der Staaten und ihre Prinzipien. Was jetzt als wichtigstes Interesse herausgehoben wird, ist der „Kampf der protestantischen Kirche um eine politische Existenz" (KH 484), die auch in England und in den Niederlanden gegen den Katholizismus errungen (KH 486 f) und im Westfälischen Frieden anerkannt wird. Erst FRIEDRICH II. aber, von Hegel ein weiteres Mal als „philosophischer König", ja als „genialer König" gepriesen (KH 488), habe der protestantischen Kirche die politische Garantie gegeben. „FRIEDRICH faßte das protestantische Prinzip von der weltlichen Seite auf, er hatte das Bewußtsein, daß der Geist seine letzte Tiefe erreicht habe, daß er zum Denken gekommen sei, sich denkend erfaßt habe" (KH 489, vgl. auch 491 f). Als die „Hauptsache" in der Neuzeit erkennt Hegel die „Fortbildung des Geistes in sich" (KH 489 f). Das Denken selbst erweist sich als die letzte Stufe der geschichtlichen Entwicklung des Geistes, die Weltgeschichte da3* Die Betonung dezidiert des Protestantismus als des Fundaments des Staats markiert nach Rosenzweig eine Zäsur in Hegels Entwicklung seit 1827. Rosenzweig beruft sich dafür auf die zweite Auflage der Enzyklopädie, verweist darüber hinaus auf Hegels Rede zur 300-Jahr-Feier der Confessio Augustana 1830 (F. Rosenzweig: Hegel und der Staat. Bd 2. München/Berlin 1920. 213 ff). Hier ist das Fehlen einer Nachschrift der geschichtsphilosophischen Vorlesung 1828/29 bedauerlich. Hegel beabsichtigte freilich 1830/31, wie es scheint, eine kleine Schrift über die Vernunft in der Geschichte zusammen mit einer Abhandlung über Gottesbeweise zu pubUzieren. Dieser Plan mag die von Roserrzweig bei Hegel seit 1827 beobachtete Tendenz einer stärkeren Gewichtung der Religion, namentlich der protestantischen Rehgion, verdeutlichen. Doch wird mam darüber das bei Hegel gleichfalls neu aufkeimende Interesse an Aufklärung und Französischer Revolution nicht übergehen dürfen. Dafür bietet gerade Hegels letzte geschichtsphilosophische Vorlesung einen vorzüglichen Beleg.
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mit insgesamt als nichts anderes denn ein Zu-sich-selbst-Kommen des philosophischen Begriffs - und insofern als „wahrhafte Theodizee", wie Hegel am Ende erklärt (KH 509). Es macht die Einzigartigkeit der letzten Gestalt von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte aus, daß sie die „Herrschaft des Gedankens" als das Signum der Neuzeit nun in ihrer Eigenständigkeit entwickelt und in diesem Kontext auch zu einer eingehenderen Würdigung der (nach Hegel philosophisch begründeten) Französischen Revolution kommt (KH 496 ff). Wie schon in seiner dritten Vorlesung von 1826/27 nennt Hegel DESCARTES als Begründer der Aufklärung; das Bewußtsein des Allgemeinen, das bei ihm aufgegangen sei, markiere einen „neuen Standpunkt", ein „neues Interesse" (KH 491). Hegel verweist ferner auf die naturrechtliche Rechtsbegründung durch HUGO GROTIUS (KH 491) sowie auf die vernunftrechtliche Begründung des Staatsrechts bei ROUSSEAU und in der Folge bei KANT, wo im Prinzip des freien Willens „ein reines Gedankenprinzip für den Staat gefunden worden" sei (KH 493, 495). Zwar bleibt Hegel bei seinem Einwand, die Aufklärung sei im Abstrakt-Formalen steckengeblieben. Doch „neu" verdient ihr Standpunkt gerade deshalb genannt zu werden, weil selbst noch für LUTHER, wie Hegel jetzt kritisch anmerkt, der Inhalt der geistigen Freiheit und der konkreten Versöhnung noch „ein Gegebenes", „ein durch die Religion Geoffenbartes" gewesen sei. Die Aufklärung habe demgegenüber „das Prinzip aufgestellt", „daß dieser Inhalt ein gegenwärtiger sei, wovon ich mich innerlich überzeugen könne". Auf diesen Grund müsse alles bezogen werden (KH 492). So erwachse das Interesse, „die Gesetze der Natur und ihr System zu finden" (KH 490), komme es zur Ausbildung der empirischen Wissenschaften, schließlich im Prinzip der Freiheit des Denkens zum „letzten Stadium der Weltgeschichte", der „Form unserer Tage" (KH492). Das Hervortreten dieses Prinzips in Frankreich hat dort zur Revolution geführt (vgl. KH 496), während man in Deutschland beim Theoretischen stehengeblieben sei. Die Frage, warum es in Deutschland keine Revolution gegeben, Deutschland aber auch keine Revolution nötig habe, beantwortet Hegel wie in seiner ersten Vorlesung unter Verweis auf die Erscheinung des Protestantismus: Deutschland war durch den Protestantismus bereits „zur Beruhigung über die rechtliche und sittliche Wirklichkeit gekommen". „In Deutschland war die Aufklärung auf seiten der Theologie, in Frankreich nahm sie sogleich eine Richtung gegen die Kirche. In Deutschland war in Ansehung der Weltlichkeit schon alles durch die Reformation gebessert worden" (KH 494 f, vgl. 508).
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Gleichwohl findet die Französische Revolution, die noch in der Vorlesung von 1826/27 nur eben erwähnt und überdies vorwiegend negativ gewertet worden war (vgl. HII, 242 f), bei Hegel nunmehr jene nahe an Enthusiasmus grenzende „Theilnehmung dem Wunsche nach", von der KANT gesprochen hat^^ ; „So lange die Sorme am Firmamente steht und die Planeten um sie herum kreisen, war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, d. i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach dem Gedanken erbaut. ANAXAGORAS hatte zuerst gesagt, daß der voüq die Welt regiert; nun aber ist der Mensch dazu gekommen zu erkennen, daß der Gedanke, die geistige Wirklichkeit regieren solle. Es war dies ein herrlicher Sormenaufgang. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht; ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen" (KH 497 f). Und so schließt Hegel seine Vorlesung denn auch folgerichtig mit einer Betrachtung der Französischen Revolution (KH 501 ff).40 ln dieser Betrachtung unterbleiben kritische Töne keineswegs, wenn Hegel etwa den Tugendterror ROBESPIERRES anprangert (KH 502 f, vgl. 475) oder das französische „Prinzip der Atomistik" eines Liberalismus zeiht, der allenthalben Bankrott gemacht habe (KH 505). NAPOLEON wird demgegenüber wie 1826/27 als der geniale Staatsrechtslehrer gewürdigt, der seine liberalen Verfassungen über beinahe ganz Europa gebracht habe, am Ende jedoch von der „Individualität der Völker" gestürzt worden sei (KH 503). Die Versöhnung zwischen dem Willen der Regierung und dem Willen der Vielen bleibt für Hegel ein Problem, „an dem die Geschichte steht und das sie noch zu lösen hat" (KH 504). Die Anerkennung der weltgeschichtlichen Signifikanz der Französischen Revolution wird von solchen kritischen Erwägungen indes nicht berührt: „Dem Gehalte nach ist die französische Revolution welthistorisch ..." (KH 505).
III. Resume und Ausblick Überblickt man die verschiedenen Jahrgänge von Hegels Vorlesrmgen, wird man sich schwerlich des Eindrucks einer im Detail höchst variablen 39 I. Kant: Der Streit der Fakultäten. In: Akademie-Ausgabe. Bd 7. Berlin 1968.85. ■*0 Das Berliner Exzerpt zu Walter Scotts Napoleon-Buch verteidigt demgemäß - gegen die nach Hegels Urteil „seichte" Sicht Scotts - die „charakteristischen Grundsätze" der Französischen Revolution, „die das Wesen der Revolution bezeichnen und (die ihr) ihre fast imermeßHche Macht über die Gemüter geben". Siehe G. W. F. Hegel: Berliner Schriften 1818-1831. In; Werke (s. Anm. 13). Bd 11.566.
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und durchaus wechselvollen Systematik erwehren können. Hegels weltgeschichtliche Betrachtungen, so ließe sich der Befund resümieren, erfolgen zwar in systematischer Absicht, ohne aber jemals zu einer endgültigen, in sich geschlossenen imd konsistenten Systematik zu gelangen. Die Vorlesung von 1830/31 etwa bleibt hinsichtlich des Status von Reformation und Aufklärung bzw. Französischer Revolution letztlich sparmungsvoll: Erscheint die reformatorische Theologie einerseits als ein Phänomen der Aufklärung, karm letztere mithin als eine Explikation des reformatorischen Prinzips verstanden werden, so soll andererseits das aufklärerische Prinzip der Freiheit des Denkens doch auch über LUTHER hinaus führen und das Fundament des „letzten Stadiums der Weltgeschichte" markieren. Ist eine vernünftige Staatsordmmg für Hegel einerseits ohne die Grundlage der „wahrhaften", christlichen Religion, wie sie sich im protestantischen Prinzip artikuliere, nicht denkbar^i, so bleibt der Protestantismus in seiner Sicht andererseits gegenüber der Freiheitsphilosophie der Aufklärung defizitär, da es in ihm noch nicht zur Entwicklung eines „Systems der sittlichen Weltlichkeit" gekommen sep2. Die Verwendung derselben Metapher zur Kennzeichnung des geschichtlichen Auftretens von Reformation und Französischer Revolution ist bezeichnend: Heißt es von der Reformation, sie sei „als die alles verklärende Sorme in ihrer ganzen Herrlichkeit" aufgetreten, erkennt Hegel umgekehrt in der Französischen Revolution einen in der bisherigen Geschichte nicht dagewesenen, „herrlichen Sormenaufgang". Die Problematik der systematischen Anlage von Hegels Vorlesungen belegen indessen nicht allein die mannigfachen strukturellen und thematischen Modifikationen, wie sie die Nachschriften erkermen lassen. Sie tritt nicht zuletzt und besonders an ihren „Rändern" hervor, den Ländern imd Kontinenten nämlich, die Hegel aus seinen weltgeschichtlichen Betrachtungen ausschließen bzw. als weltgeschichtlich nicht bedeutsam einstufen zu körmen vermeint. So kommen China und Indien durchgängig gerade nur als „Vorgeschichte" gleichsam einer „eigentlichen" Geschichte vor; Amerika scheidet als „Land der Zukimft" von vornherein aus (G 1,98 f; C 29, 31, 33; H 1,59, 63; KH 48 ff); Afrika ist Hegel zufolge schlechthin geschichtslos und deshalb nicht zur Weltgeschichte gehörig (G 1,103 ff; C 33 ff; H 1,72,77,
41 Vgl. auch G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 270; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse. § 552. 42 Dieses spannungsvolle Ineinander übergeht m. E. die Darstellung Hespes, die einen eindeutigen Gang der letzten Vorlesung Hegels von der Reformation hin zu Aufldärung imd Französischer Revolution suggeriert. - Vgl. F. Hespe: „Die Geschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ (s. Anm. 9), 185 ff.
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78 ff; KH 68 f, 70 ff) .43 Gleichwohl kann Hegel freilich nicht umhin, Äg5rpten, obschon Teil des afrikanischen Kontinents, zu berücksichtigen. Die Schwierigkeit, Afrika aus der Philosophie der Weltgeschichte aussondem, Ägypten aber aufnehmen zu müssen, „löst“ Hegel in der Weise, daß er das Land als vierte Gestalt der orientalischen Welt (mit unterschiedlicher Gewichtung) behandelt - Konstruktionen und Auslassungen, die für sich besehen schon den Anspruch des spekulativen Diskurses, die Geschichte logisch zu begreifen, in seiner Fragwürdigkeit sirmfällig machen. Als Indiz des Scheitems dieses Anspruchs mag überhaupt gewertet werden, daß Hegel eben nicht zu der Eindeutigkeit einer vollendeten und in sich stimmigen Systematik gelangt ist, die die Schüler dem Meister später unterschieben wollten.44 Die Nachschriften der Vorlesungen Hegels vermitteln jedenfalls mitnichten ein geschlossenes Bild. Sie geben vielmehr Einblick in die Entwicklung eines Denkens, das über „einzelne Ansätze" in der Tat nicht hinausgekommen ist.45 Diese Einschätzung ließe sich verifi43 Vgl. dazu H. Kimmerle: Hegel und Afrika: Das Glas zerspringt. In: Hegel-Studien. 28 (1993), 303 ff; zur Kritik des „Ethnozentrismus" des Hegelschen Denkens ders.: Gibt es Fortschritt(e) in der bildenden Kunst? Zur Dekonstruktion der Hegelschen Ästhetik. In: H. Kämpf/R. Schott (Hrsg.): Der Mensch als homo pictor? Die Kunst traditioneller Kulturen aus der Sicht von Philosophie und Ethnologie. Bonn 1995.127 ff, bes. 132 f, 136. - Zur Debatte um Zukunft und Ende der Geschichte bei Hegel vgl. jüngst R. Bubner: Hegel and the End ofHistory, sowie L. Pompa: Philosophical History and the End ofHistory, beide Beiträge in: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. 23/24 (1991), 15 ff und 24 ff. B. Bourgeois: Hegel et lafin de l'histoire. In: Philosophie PoUtique 1994, Nr 5,11 ff bemerkt im Zusammenhang einer Diskussion der Stellung Amerikas bei Hegel m. E. zu Recht, daß es für Hegel eine Zukunft, die über die in der eigenen Gegenwart erreichte Verwirklichung der Vernunft hinaus strukturell Neues zu bringen vermöchte, von den seiner Philosophie eingeschriebenen Prinzipien her nicht geben köime. „L'histoire de l'universel est achevee: le futur, en toute sa richesse detaillee, ne pourra produire coimne durable aucune structure sociopolitique ä la fois nouvelle et fondamentale. ... L'affirmation par Hegel de la fin de l'histoire universelle ... nous semble intimement liäe aux principes directeurs de toute sa Philosophie" (22). 44 Frühere Darstellimgen der Geschichtsphilosophie Hegels wie diejenige K. Leeses haben diese Sicht indessen perpetuiert. So rühmt Leese, aufbauend auf Lassons Edition, Hegels Geschichtsphilosophie als „Werk eines Denkstils von wundervoller Formklarheit und Geschlossenheit des Grundrisses und des Aufbaus". Siehe K. Leese: Die Geschichtsphilosophie Hegels. Berlin 1922.310. 45 So O. Pöggeler: Geschichte, Philosophie und Logik bei Hegel. In: H.-Chr. Lucas/G. Planty-Bonjour (Hrsg.): Logik und Geschichte in Hegels System. Stuttgart 1989.10 ff, hier 103. - Zur entwicklungsgeschichtlichen Erforschung von Hegels Geschichtsphilosophie vgl. gnmdsätzhch die wegweisenden Arbeiten von K. R. Meist: Philosophie ist „ihre Zeit in Gedanken erfaßt". Zur Rolle der Geschichte in Hegels System der Philosophie. In: Journal of the Faculty of Letters. The University of Tokyo (Aesthetics). 6 (1981), 25 ff; Differenzen in Hegels Deutung der „Neuesten Zeit" innerhalb seiner Konzeption der Weltgeschichte. In: H.-Chr. Lucas/O. Pöggeler (Hrsg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte (s. Arun. 9). 465 ff; Zur Entstehungsgeschichte einer Philosophie der Weltgeschichte bei Hegel in den Frankfurter und Jenaer Entwürfen. Habil.-Schrift Bochum 1986. - Entstehung, Systematik und Konzeption von Hegels Philosophie
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zieren in Hinsicht auf die anderen Systemteile sowie auf Hegels politische Schriften. So bestätigt etwa die letzte zu Hegels Lebzeiten veröffentlichte Schrift, die Abhandlung über die englische Reformbill, daß der Philosoph selbst vermeintlich unumstößliche und über lange Jahre vertretene Positionen revidieren konnte; Hegel erwartet eine Revolution in England, obwohl England nach den geschichtsphilosophischen Vorlesungen doch zu jenen Ländern gehört, die mit der Reformation ihre Revolution gehabt haben.46 Die späte Würdigung andererseits des „welthistorisch" bedeutsamen Gehalts der Französischen Revolution findet ein Pendant z. B. in der zweiten INürttemberg-Schrih, Ln der Hegel vor dem Hintergrund des württembergischen Verfassungskonflikts die Landstände auf das durch die Französische Revolution proklamierte Vemunftrecht als Grund einer modernen Staatsverfassung verweist.47 Kontinuität und Wandel der in den Vorlesungen entwickelten Ansätze werden derart allererst im Blick auf weitere Texte des Hegelschen Oeuvre voll zu erfassen sein, unter Berücksichtigung aber nicht zuletzt auch der Arbeiten von Hegel-Schülern. So hat EDUARD GANS beispielsweise in seiner Vorlesung vom Sommer 1828 über die „Geschichte der neuesten Zeit" nachdrücklich auf das epochemachende Datum der Französischen Revolution als des „Anfangspunkts" der Geschichte hingewiesen.48 Seine im September desselben Jahres in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik erschienene Rezension von GUIZOTS Histoire de la Revolution d'Angleterre thematisiert die Französische Revolution entsprechend als „Werk von Theorieen und Gedanken". Die gleichsam „vollkommene Metaphysik" der Revolution mache sie, im Gegensatz zur englischen Revolution, zu einer weltgeschichtlichen, „allgemeinen Begebenheit". „Von ihr", notiert GANS emphatisch, „beginnt die Geschichte eine neue Epoche."49 Das erneute Interesse Hegels an Aufklärung und Französischer Revolution, wie es u. a. die letzte Gestalt seiner Berliner Vorlesungen über die Phider Weltgeschichte waren (neben ihrer Kritik und Wirkungsgeschichte) auch Thema einer Bochumer Tagung im Herbst 1996. Die Publikation der Tagungsbeiträge ist vorgesehen (hrsg. von D. Köhler und E. Weisser-Lohmarm). ‘*6 Vgl. dazu jüngst den von Chr. Jamme und E. Weisser-Lohmarm herausgegebenen Sammelband: Politik und Geschichte. Zu den Intentionen von G. W. F. Hegels Reformbill-Schnit. Bonn 1995. Vgl. dazu die Beiträge von Chr. Jamme und H.-Chr. Lucas in: H.-Chr. Lucas/O. Pöggeler (Hrsg.): Hegels Rechtsphilosophie (s. Anm. 9), 149 ff und 175 ff. 48 Vgl. die Mitteilimg aus einem Manuskript Felix Mendelssohns bei H. G. Reissner: Eduard Gans. Ein Leben im Vormärz. Tübingen 1965.126. 49 Jahrbücher für wissenschaflliche Kritik, Nr 55/56 (September 1828), Sp. 467 ff, hier 476, 475. Zu Gans' Mitarbeit an den Jahrbüchern vgl. auch die Beiträge von N. Waszek und K. Vieweg in: Chr. Jamme (Hrsg.): Die „Jahrbücher für wissenschaflliche Kritik" (s. Anm. 35), 93 ff und 489 ff, bes. 498 ff.
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losophie der Weltgeschichte belegt, wird insofern begreiflich als Reflex auch der geschichtlichen Betrachtungen von Schülern wie GANS und der Zäsur, die die Arbeit an den Jahrbüchern zweifellos bedeutete. Läßt sich die These vertreten, die Nachschriften der Vorlesungen leiteten nicht nur dazu an, Hegel anders zu lesen, sondern präsentierten darüber hinaus, mindestens streckenweise, einen anderen (wenngleich nicht „ursprünglichen") Hegel, so darf freilich die prinzipielle Frage nach dem Status von Nachschriften nicht unbedacht bleiben. Wie ist die Güte von Nachschriften einzuschätzen? Ist nicht stets damit zu rechnen, daß die Nachschreiber selektiv verfahren sind, je nach Interesse und intellektueller Auffassungsgabe? Es ist hier nicht der Ort, diese Fragen im einzelnen zu diskutieren.so Ich möchte abschließend statt dessen noch einmal auf die eingangs angestellten Überlegungen über das grundsätzliche methodische Dilemma des Umgangs mit Nachschriften zurückkommen und sie mit einem Plädoyer verbinden. Es ist dies ein Plädoyer für die Sache und wider die Präokkupation von der Präge nach dem Autor. Ist es doch müßig und unergiebig, darüber zu streiten, ob Nachschriften nun den „authentischen" Hegel oder nur einen Hegel in Anführungszeichen vermitteln. Ob Hegel oder „Hegel", letztlich ist diese Frage nicht entscheidbar. Letztlich ist sie aber auch gegenüber der Sache des Denkens uninteressant. Wenn denn bisweilen mit Eifer die alleinige Authentizität von Nachschriften gegenüber Druckfassxmgen Hegelscher Werke verfochten wird, sei daran erinnert, daß die neutestamentliche Exegese es größtenteils längst aufgegeben hat, nach den ipsissima verba Jesu zu suchen. Könnte ein solcher Verzicht nicht Vorbild sein, wo doch Hegels Philosophie fürwahr kein Evangelium ist? So hätte man sich denn, unbefrachtet von (ohnedies nicht einzulösenden) Authentizitätsansprüchen, auf die Sache von Hegels Vorlesungen zu konzentrieren. Ihr allein wird auch eine Edition verpflichtet bleiben müssen, die die einzelnen Vorlesungsjahrgänge in ihrem individuellen Gang und ihrer je spezifischen Gestalt dokumentiert.
50 Griesheim beispielsweise ist als Nachschreiber bis heute umstritten. Vgl. die kontroversen Einschätzungen bei P. Gamiron und W. Jaeschke (die eine Nachschrift Griesheims als „Leittext" ihrer Edition des Hegelschen Kollegs über Geschichte der Philosophie von 1825/26 genommen haben; G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4: Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit. Hrsg, von P. Gamiron und W. Jaeschke. Hamburg 1986) und O. Pöggeler: Nachschriften von Hegels Vorlesungen. In: Hegel-Studien. 26 (1991), 121 ff, hier 123 f, 140. Schon bei Hoffmeister stößt man freilich auf harsche Kritik an Griesheim; s. sein Vorwort zu: G. W, F. Hegel: Einleitung in die Geschichte der Philosophie. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1940. IX ff, hier XIII.
HEINZ EIDAM (KASSEL)
DIE VERGESSENE ZUKUNFT Anmerkungen zur Hegel-Rezeption in August von Cieszkowskis „Prolegomena zur Historiosophie“ (1838R
. man sollte sich ... wohl bedenken, das Absolute, das nur Ende ist, mit dem Wort Geist zu bezeichnen." (F. W. J. Schelling) Versuch, die Hegelsche Philosophie mit einer „Verschiebung" (129)2 zu lesen, läßt sich leichter lesen als denken. Und wenn auch im folgenden Zitat von der „unsrigen" Zeit die Rede ist, so muß damit keineswegs, werm auch nicht mehr die Hegelsche, die unsere schon gemeint sein; „Wo die Philosophie ... in ihrer höchsten Vollendung vorhanden ist, da enthält sie gerade in ihrer begrijflichen Weise die dem Gehalt der Wahrheit entsprechendste und wesentlichste Art der Exposition. ... Wie nun aber die Philosophie in der Kunst und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, d. h. einen Kreis, der wiederum ihre Auffassungs- und Darstellungsweise des Absoluten überschreitet. ... Uns gilt die Philosophie nicht mehr als die höchste Weise, in welcher die Wahrheit sich Existenz verschafft. ... Bei fortgehender Bildung tritt überhaupt bei jedem Volke eine Zeit ein, in welcher die Philosophie über sich selbst hinausweist. ... Solch eine Zeit ist die unsrige. Man karm wohl hoffen, daß die Philosophie immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat auf gehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein. "3 Dieses Zitat ist selbstverständlich gefälscht. Die Eingriffe und Veränderungen, die vorgenommen wurden (Kursivschrift) und den Hegelschen Text entstellen, folgen jedoch den Anweisungen, die CIESZKOWSKI in seinen Prolegomena zu einer erweiterten Hegel-Lektüre gegeben hat, um jenen EntCIESZKOWSKIS
1 Überarbeitete Fassimg eines im Juni 1995 auf der Internationalen August von CieszkowskiKonferenz in Lodz (Polen) gehaltenen Vortrags. 2 A. V. Cieszkowski: Prolegomena zur Historiosophie. Berlin 1838 (Reprint: Hamburg 1981. Mit e. Einl. V. R. Bubner u. e. Anhang v. J. Garewicz). 3 G. W. E Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik 1. In: Werke. Hrsg, von E. Moldenhauer u. K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1981. Bd 13.140-142.
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wicklungsschritt zu kennzeichnen, der zu einer „Verschiebung der Synthesis um eine Stufe höher erfordert" (124) wird. Denn aus dem Vergleich seiner eigenen Ausführungen mit Hegels Vorlesungen über die Ästhetik soll die Intention seiner „partielle[n] Ahdication" der Philosophie und die „Verschiebung ihres eigenen Wesens" (129) zugunsten einer neuen Synthesis deutlich werden, die die absolute Idee des Hegelschen Systems übersteigt und insofern herabsetzt, gleichwohl aber in ihrer Plausibilität und Legitimität durch dessen Autorität getragen wird. Die Hegelsche Philosophie soll bestätigt werden, um über sie hinausgehen zu können, ihre dialektische Methode soll affirmativ gefaßt werden, um gerade aus dieser Bestätigung heraus ihre Beschränktheit als absoluter Idealismus aufzeigen und die Einseitigkeit einer Philosophie des Geistes zugunsten einer Historiosophie des Geistes korrigieren zu können. Daß dieser Versuch auf Schwierigkeiten stößt, versteht sich - fast - von selbst. Denn der absolute Idealismus Hegels hat auch CIESZKOWSKI zufolge das „Höchste", „was Philosophie zu leisten vermag", bereits „erreicht". Wie aber sollte dann ein Höheres noch über das Höchste gestellt, wie eine Vollendung die Vollendung vollenden, wie ein „Inhalt" noch gedacht werden können, der den absoluten Geist zum Moment einer übergreifenden Synthesis herabsetzt, um eine Sphäre, die gerade als die Einheit von theoretischer und praktischer Idee, von Erkenntnis und Wille konzipiert ist, in ihrer Einseitigkeit überhaupt begreifen und derart auch bestimmen zu können? Wenn an der Hegelschen Philosophie deshalb etwas „mangelhaft" sein sollte, so kann es für CIESZKOWSKI nur „die Philosophie selber und die Beschränktheit der philosophischen Sphäre sein". Diese Beschränktheit ist CIESZKOWSKI zufolge „darin zu setzen, dass die Philosophie überhaupt das seinem Begriffe nach unendlich concrete und überhaupt thätige Allgemeine, den Geist, in übersinnlich abstracter Form zum Gegenstände macht, und im absoluten Idealismus die vollendete Ineinsbildung des Denkens und Seyns bloss als einseitige Vermittlung in sich hinstellt. Bei dieser Identität aber kommt in der That der Geist noch nicht zu seiner wahren und höchsten Bestimmung, zu seiner höchsten Identität. Denn der Geist ist nicht bloss die absolute Innerlichkeit, er vermag auch nicht sich an sich, für sich und aus sich frei zu gestalten, sobald er auf diese Innerlichkeit als auf sein gemässes Dase5m angewiesen bleiben soll. Aus diesem Princip heraus hebt die künftige Form der Philosophie jene speculative Einheit des Idealismus wieder auf, weil sie einen Inhalt gewonnen hat, der über den Idealismus hinausgeht." (124 f) Wie aber ein Inhalt gewonnen oder auch gefunden werden könnte, der über die der Hegelschen Philosophie zugestandene „vollendete Ineinsbil-
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düng" von Denken und Sein hinausgeht, wird gerade dann zu einem Problem, wenn - wie es scheint - weder gegen Hegel noch mit Hegel über Hegel hinauszugehen ist, d. h. werm die Hegelsche Dialektik bzw. deren in der Logik explizierte „absolute Methode" eine immanente Transzendenz ebensowenig zu denken erlaubt wie eine zu transzendierende Immanenz, weil aufgrimd dieser Methode kein Inhalt analytisch sich aufzeigen läßt, der durch ihre Synthesis nicht erfaßt, und synthetisch kein Inhalt zu gewinnen ist, der analytisch in ihr nicht schon zu finden wäred Um gleichwohl den absoluten Idealismus als gesetztes Moment einer höheren Synthesis begreifen zu körmen, versucht CIESZKOWSKI den Nachweis zu führen, daß erstens die Hegelsche Methode konsequenter hinsichtlich der Realphilosophie angewandt zu werden verlangt, als es von Hegel selbst geleistet wurde, imd zwar besonders hinsichtlich der Geschichtsphilosophie imd der in dieser ausgeblendeten Dimension der Zukunft, daß zweitens eine organische, d. h. die Triplizität der Methode konsequent verfolgende Auffassung von Geschichte zu einer Neuformulierung der Teleologie zu führen hat, die nicht nur als ein Werden des Gewordenen das Vergangene und eine empirisch zeitlose, weil ewige Gegenwart, sondern als ein Werden des Werdenden auch die Zukunft noch umfassen muß, und daß schließlich drittens diese organologische S5mthesis die Sphäre der Philosophie als Philosophie überschreiten muß, um einen neuen Ausgangspunkt finden zu können, von dem aus die absolute Idee nicht nur philosophisch, sondern im „Aus sich" des Geistes in der Form einer praxeologischen Übersetzung in sein Anderes als die zu gestaltende „sociale Wirklichkeit" zu begreifen wäre. Daß mit der Verschiebung der Grundlagen imd der aus ihr resultierenden „Abdication der Philosophie" das Verhältnis von Sein und Denken in seiner Identität anders gefaßt werden muß, liegt darm in der Konsequenz dieser Kritik des absoluten Idealismus, die - wie die etwa von FEUERBACH, KIERKEGAARD und MARX angestrengten Versuche auch - inspiriert ist vom Ansatzpunkt des späten SCHELLING, das Sein zu denken, ohne es als Gedachtes im Denken sich aufheben und letztendlich doch nur ein Gedankending bleiben zu lassen. Damit wären die drei Punkte benannt, um die es im folgenden gehen wird.
■4 Vgl. G. W, F. Hegel: Wissenschaß der Logik 2: Die subjektive Logik (1816). In: Gesammelte Werke. Bd 12. Hrsg, von F. Hogemann u. W. Jaeschke. Hamburg 1981.248 f.
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1. Die Weltgeschichte als Organismus Prolegomena heben mit dem Vorwurf gegen Hegel an, daß dieser die Menschheit in einer wichtigen „Lebensfrage" - „gleichsam ... absichtlich" - im Stich lasse, sofern er den Anschein erwecke, auf dem „Felde der Philosophie der Geschichte" „seinen Weg, seinen Standpunkt und seine Entdeckungen verlassen" zu wollen. (2) Denn gerade Hegel, der doch die „speculative Nothwendigkeit und Regelmässigkeit" des Fortschritts der Menschheit - im Bewußtsein der Freiheit - „begriffsmässig" fassen und die „totale, streng speculative Entwicklung" der logischen Gesetze aufzeigen konnte, habe es nicht vermocht, den „ganzen Inhalt der Geschichte" seinem Begriffe gemäß durchzuarbeiten und mit „genügender Klarheit" darzustellen, d. h. Hegel habe es „nicht bis zum Begriff der organischen und ideellen Ganzheit der Geschichte, bis zu ihrer speculativen Gliederung und vollendeten Architektonik gebracht". (3) Ein formales Indiz sieht CiESZKOwsta darin, daß Hegel keine dem Begriff gemäße trichotomische Einteilung der Epochen der Weltgeschichte vomimmt, sondern deren vier vorstellt - die orientalische, die griechische, die römische und schließlich die christlich-germanische. Doch unabhängig davon, ob die „Besonderheit" des Stoffes, ob nur eine Nachlässigkeit oder „Schwäche des Meisters" oder gar eine unzulässige Übertragung einer nur für „die Natur und im Äusserlichen überhaupt", nicht aber für den „Process des Geistes" gültigen „Tetrachotomie" der Grund dafür sein mag, auch für die Weltgeschichte vier Epochen anzunehmen; es gilt für CIESZKOWSKI, den wesentlichen Einwand zu entkräften, der gegen Hegels Philosophie der Geschichte erhoben werden könnte und später ja auch immer wieder erhoben wurde: „dass wir uns" - entgegen dem Anschein, den gerade eine trinitarische Geschlossenheit erzeugen könnte - „doch noch nicht am Ende der Geschichte befinden und dass es deswegen nicht erlaubt seyn könne, die Geschichte so zu schliessen und möglichen Weiterentwicklungen allen Platz zu versagen" (4). Dieser Einwand aber, sollte er von Hegel überhaupt hinsichtlich der Epocheneinteilung bereits prophylaktisch in Erwägung gezogen worden sein, trifft die viergliedrige Einteilung seiner Geschichtsphilosophie nicht minder: Es wäre dann eben „bei dieser vierten Periode mit der Geschichte aus" und folglich hätte „die Menschheit ihr letztes Stadium" bereits „erreicht"
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Um diesem „nicht von der Hand zu weisen[den]" Einwand zu begegnen, stellt der Hegelianer CIESZKOWSKI die Hegelsche Philosophie vor die folgende Alternative: „Entweder sind die Gesetze der Dialektik allgemein und unumstösslich", und dann müssen sie sich auch adäquat in der Real-
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Philosophie „abspiegeln", d. h. „in der Geschichte ihre realen Manifestationen finden", oder aber sie sind zu „schwach, partiell und ungenügsam, und dann dürfen sie sich auch in anderen Sphären des Wissens nicht offenbaren", d. h. ihre „Deduction" entbehrt „überall ... aller Nothwendigkeit". (5f) Weil aber die Gesetze der Dialektik das „Kriterium ihrer Nothwendigkeit" in sich selbst tragen, eben „deswegen" wird CIESZKOWSKI zufolge auch die Geschichte in ihrer „realen Manifestation" dieselben Gesetze „sub specie aeternitatis in der Sphäre der Thaten offenbaren müssen", und umgekehrt werden diese Gesetze so lange „ihrer sichersten Stütze beraubt" bleiben, wie sie „in der Geschichte ihrer allergenauesten Realisation entbehren". Die Geschichte wird derart für CIESZKOWSKI zum „Prüfstein aller Speculationen". Und sollte die Philosophie die Gültigkeit dieser Gesetze in der Geschichte nicht konstatieren körmen, so begehe sie „entweder einen Selbstmord oder einen Kindesmord, indem sie entweder sich selbst oder ihre Corollarien" vernichte. (6) Diese Alternative, vor die CIESZKOWSKI die Hegelsche Theorie stellt, setzt voraus, daß in dieser das Verhältnis von Sätzen und Folgerungen, von Propositionen und Korollarien überhaupt als ein solches gedacht wird bzw. daß man es bei ihr mit einem Verhältnis der Schlußfolgerung oder der Anwendung von Gesetzen auf einen Gegenstand zu tun habe. Der Geschichte müßte als der Sphäre der „realen" Manifestation eine Eigenständigkeit gegenüber den logischen Gesetzen zukommen, welche die Frage nach der Bestätigung oder Nichtbestätigung als eine sirmvolle zu stellen erst erlaubt. Damit der „Prüfstein aller Speculationen", den CIESZKOWSKI in Anschlag bringt, das leisten kann, was er leisten können soll, und Geschichte als reale Manifestation der dialektischen Gesetze diese selbst in Frage stellen könnte, müßte sie - als „Sphäre der Thaten" - zugleich auch anders oder wenigstens in einem Punkt auch unabhängig eben von jenen Gesetzen gedacht werden können, die sich in ihr manifestieren, d. h. sie müßte als Manifestation notwendiger Gesetze zugleich auch so gedacht werden, daß sie - in ihrer Funktion als Prüfstein - dieser Manifestation sowohl entsprechen als auch nicht entsprechen körmte. Diese Unabhängigkeit der Geschichte vom Begriff, diese Autorität der Geschichte als selbständig gegebener und derart als Prüfstein der Spekulation anzusehender Bereich, in dem, als der Sphäre der Taten, die logische Notwendigkeit sich sowohl manifestieren als auch nicht manifestieren bzw. so oder auch anders darstellen könnte, hat Flegel der Geschichte aber von vornherein abgesprochen. Das spekulative Verhältnis zwischen logischer Notwendigkeit der Gesetze und ihrer Manifestation bzw. zwischen der Logik und der Realphilosophie ist bei Hegel nicht gedacht als das einer Zuordnung und insofern der Bestätigung
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der Propositionen durch die Folgerungen, sondern an sich selbst enthält der Gegenstand seine Voraussetzungen, d. h. die Bestimmung dessen, was er ist und ohne die er ein Gegenstand philosophischer Betrachtung gar nicht sein körmte, führt auf die Voraussetzungen seiner Bestimmung zurück. Für Hegel hat die Geschichte als die Form des zeitlichen Außersichseins des Geistes keine Selbständigkeit gegenüber der Form einer Vermittlung, die diesen mit sich selbst vermittelt. Hegel faßt die Geschichte rein spekulativ, und deshalb ist sie ihm bereits der nur organisch zu denkende Zusammenhang, dessen Darstellung CIESZKOWSKI erst fordert. Daß die Geschichte als „Auslegung des Geistes in der Zeit"5 der „vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen" sei, ist das Hegelsche „Prinzip" der Betrachtung der Weltgeschichte.^ Die „Anwendung des Prinzips auf die Weltlichkeit" ist dann nichts anderes als „die Durchdringung, Durchbildung des weltlichen Zustandes durch dasselbe".^ Was das Organische im Zusammenhang der Geschichte ausmacht, ist für Hegel deshalb nicht ein übergreifender Zusammenhang im bloß zeitlichen Auseinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern der prinzipielle Zusammenhang dessen, was sich als Wahrheit in dieser Äußerlichkeit zur Darstellung gebracht hat und in der Form seiner „Auslegung" sich auf sich zurückbezieht. Deshalb ist für Hegel durch die Methode selbst schon verbürgt, was CIESZKOWSKI noch zu leisten fordert: daß aus jedem „in der Geschichte vor-
5 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1994.154. 6 Ebd. 30. Doch darf dieses Prinzip nicht abstrakt und als solches seinem Gegenstand gegenüber festgehalten werden, sondern es muß „zur nähern Determination und zur konkreten Entwicklimg fortgegangen" (38) werden, um es zugleich als das Resultat der Betrachtung erweisen zu können. Der vernünftige Gang des Weltgeistes muß zugleich auch das „Ergebnis der Geschichte selbst sein. Die Geschichte aber haben wir so zu nehmen, wie sie ist", d. h. „wir haben historisch, empirisch zu verfahren." (30) „Daß eine bestimmte Besonderheit in der Tat das eigentümliche Prinzip eines Volkes ausmacht, ist die Seite, welche empirisch aufgenommen und auf geschichtliche Weise erwiesen werden muß. Dies zu leisten, setzt nicht nur eine geübte Abstraktion, sondern auch schon eine vertraute Bekarmtschaft mit den Ideen voraus; man muß mit (dem) Kreise dessen, worein die Prinzipien fallen, werm man es so nennen wiO, a priori vertraut sein, so gut als ... Kepler mit den Elhpsen, mit Kuben und Quadraten und mit den Gedanken der Verhältnisse derselben a priori, schon vorher bekannt sein mußte, ehe er aus den empirischen Daten seine unsterblichen Gesetze, welche in Bestimmxmgen aus jenem Kreise von Vorstellungen bestehen, erfinden kormfe. Derjenige, der in diesen Kermtnissen der allgemeinen Elementarbestimmungen unwissend ist, kann jene Gesetze, und werm er den Himmel und die Bewegungen seiner Gestirne noch so lange anschaut, ebensoweiüg verstehen, als er sie hätte erfinden können." (168) Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2. In: Werke. Bdl7.316 f. 7 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (s. Anm. 5). Bd 1.62.
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liegenden faktischen Detail" - sofern es als ein geschichtliches begrijfen werden kann - das „Allgemeine der Besonderheit" herauszufinden und zur Darstellung zu bringen ist.s Auch das Kontingente, Vereinzelte und Zerstreute kann einzig als das Besondere des Allgemeinen für die geschichtsphilosophische Betrachtung einen Wert besitzen, und erst im Licht dieser nachträglichen Betrachtung wird sich zeigen, was es im Grunde gewesen ist. Ein jeder, schreibt CIESZKOWSKI ganz allgemein, meint im besonderen aber Hegel, „jeder, welcher ein Princip aufstellt, ist damit gezwungen, dessen äusserste Consequenz anzuerkennen, wobei es ganz gleichgültig ist, ob er selbst oder ein Andrer sie zieht; [und] wehe ihm, wenn das Resultat sein Princip umstürzt". (6 f). Nach dem Selbstverständnis der Hegelschen Philosophie aber kann das Resultat ihr Prinzip rücht Umstürzen, weil das System aufgrund der absoluten Methode selbst der Umsturz des Prinzips ins Resultat und des Resultats ins Prinzip ist, weil das System selbst nur aufgrund der absoluten Negativität ein System ist. Jede Kritik, die einen Standpunkt außerhalb anzunehmen genötigt ist, fällt durch die Reflexion dieses Standpunktes entweder ins System zurück, weil in ihm sich jeder fixierte, als solcher festgehaltene Standpunkt als ein haltloser erweist, oder aber sie bleibt ihm äußerlich und deshalb belanglos. Doch nicht die von CIESZKOWSKI eingeforderte Triplizität für die Einteilung und Darstellung der vergangenen Geschichte, so wichtig ihm selbst die syllogistische Grundfigur auch gewesen sein mag, ist das entscheidende Argument, um auf eine „Anomalie" (8) im Hegelschen System schließen zu können - für Hegel selbst war es letztendlich nur eine Frage der Zählung der Momente einer dialektischen Entwicklung, „wenn man überhaupt zählen will"^ -, auch nicht ein Defizit in der von Hegel selbst geforderten und ihm durchaus zugestandenen „gefrewjen]" Auffassung des Historischenio führt CIESZKOWSKI zufolge zu einem „Mangel in seinem [Hegels] System" (7); entscheidend für CiESZKOWSBa ist vielmehr, daß Hegel in seiner Philosophie der Geschichte nicht nur einem „privativen", sondern einem „negativen Vorurtheil gehuldigt" habe, durch welches die „normale" - und das ist für CIESZKOWSKI gerade die dem System gemäße - „Auffassimg" verhindert worden sei: Hegel habe „nämlich in seinem Werke mit keiner Sylbe der Zukunft er-
8 Ebd. 168. 9 „... so kann das als Dritte gezählte auch als Viertes gezählt, und statt der Triplicitäi die abstrakte Form als eine Quadruplicität genommen werden; das Negative oder der Unterschied ist auf diese Weise als eine Zweyheit gezählt." (Wissenschafl der Logik. In; GW, 12.247) 10 Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1 (s. Anm. 5). 31.
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wähnt; und sogar war es seine Meinung, dass die Philosophie in der Ergründung der Geschichte nur eine rückwirkende Kraft besitzen könne, die Zukunft aber gänzlich aus dem Bereiche der Speculation auszuschliessen sey." (8 f) Nicht also die spekulative Methode als solche kritisiert CIESZKOWSKi, sondern die Inkonsequenz der Anwendung des Prinzips bzw. der sub specie aeternitatis gedachten Gesetze auf einen Prozeß, dessen innere Notwendigkeit in ihnen so seinen Ausdruck wie diese in ihm ihre Konkretion erfahren sollen. Gerade die Totalität ihrer Geltung fordere eine kongruente Repräsentation dieser Totalität im Gegenstand selbst und erlaube es nicht, sie in ihrem Gegenstand nur partiell zur Darstellung und eine Geschichte ohne Zukunft auf den Begriff zu bringen. Nun trifft es - zunächst wenigstens - gar nicht zu, daß Hegel die Zukunft nicht erwähnt; als Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit ist die Weltgeschichte gar nicht anders denkbar als ein temporaler Prozeß, der einer jeden Gegenwart ihr Vor und Nach zuordnet. In diesem Prozeß ist der gegenwärtige Augenblick ebenso ein durch die Vergangenheit bestimmter, wie er „trächtig von der Zukimft" sein soll.n Gleichzeitig aber, und darauf macht die Doppeldeutigkeit der Formulierung schon aufmerksam, ist dieser Prozeß nur im Bewußtsein der Freiheit als ein solcher denkbar und erkennbar, d. h. er stellt sich im Ausgang von diesem Bewußtsein retrospektiv erst dar als ein Werden, und nicht als bloßer Wandel und Wechsel von unzusammenhängenden Zuständen. Nur im Bewußtsein der Freiheit ist der Gang der Geschichte ein Prozeß - in beiden Bedeutungen des Wortes, sowohl temporär als auch juridisch, sowohl als Weltgeschichte als auch als Weltgericht -, ist der Wechsel der Zeiten mehr als ein bloßer Ablauf und anderes als ein bloßer Wandel von Zuständen und Gewordenheiten. Nur im Bewußtsein der Freiheit gibt es auch den Prozeß, der zu ihm geführt hat. Dadurch aber, daß der Geist sich als präsent, in seiner „ewigen Gegenwart" erkermt, setzt er die Momente seines Werdens als Momente seines Gewordenseins. Seine „rückwirkende" Kraft ist die der „Er-irmenmg", die selbst die Zeit des Werdens - und damit auch die Zukunft des Gewordenen - in sich trägt. Der Geist „tilgt" die Zeit als das Auseinander ihrer Momente, indem er „seinen reinen Begriff erfaßt"und sich derart sowohl aus der räumlichen (Natur) als auch aus der temporalen Äußerlichkeit seines Daseins (Geschichte) in sich zurücknimmt. Im Bewußtsein der Freiheit hat der Geist jede Äußerlichkeit des Werdens, das in der Zeit sich auslegt. 11 Wenigstens nach dem Zusatz zu § 259 der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse (1830). Zweiter Teil. In: Werke. Bd 9.55. 12 G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. vonj. Hoffmeister. Hamburg 1952.558.
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ebenso aufgehoben wie von jeglichen Bedingungen in der Form von Voraussetzungen, seien sie nun bloß physiologischer oder rein logischer Natur, sich gelöst, weil er die Wahrheit des Werdens nur als seine eigene erkennt. Er ist das, was ist; weder ein Vergangenes noch ein Künftiges, weder ein Gewordenes, weil er seine Vergangenheit in sich präsent weiß, noch ein noch Werdendes, weil der als solcher begriffene Prozeß das Werden in der Form des Außer-sich-Seins in sich zurückgenommen hat. Keine Zukunft ist denkbar, die über den absoluten Begriff der Freiheit hinausgehen, in der über das zu sich gekommene Absolute hinaus etwas wesentlich Neues sich ereignen könnte. Der Geist ist im Bewußtsein seiner Freiheit das, was war und gewesen sein wird deshalb, weil er ist und nicht erst noch werden muß. Daß es nicht „unmittelbar" die Sache der Philosophie sei, wie eine jede „zeitliche, empirische Gegenwart aus ihrem Zwiespalt heraus[zu]finde[n]" habei3, kann daher der Fiegelschen Philosophie entweder als ihr großer Vorzug angerechnet werden: Als Philosophie der Freiheit gibt sie keine empirischen Fiandlungsanweisungen, die Gesetze der Dialektik lassen sich gerade nicht in bezug auf einen endlichen und als solchen vergänglichen Standpunkt zur Legitimationsgrundlage dafür nehmen, wie - und sei es im Namen des Weltgeistes oder auch der Weltrevolution - gehandelt werden muß, derm jede Gegenwart hat Hegel zufolge etwas so Eigentümliches, „ist ein so individueller Zustand", daß auch nur aus ihm selbst heraus entschieden und gehandelt werden kann.i4 - Oder aber es zeigt sich gerade in dieser Zurücknahme der Philosophie aus der vorgängigen Praxis eine Hilflosigkeit des spekulativen Gedankens, die der konstitutiven Retrospektivität des Begriffs entspringt: Gerade wenn, wie es Hegel selbst in seinen letzten Tagen erschien, die empirische Gegenwart als eine Zeit des „Verfalls" sich darstellt, wäre der Anspruch an eine Philosophie, die als Selbsterkermtnis des Absoluten sich präsentiert, durchaus legitim, sich zu diesem Niedergang in einer anderen Weise zu äußern, als daß es sie „unmittelbar" nichts angehe. Bleibt die Philosophie aber ein „abgesondertes Heiligtum" und die „zeitliche, empirische Gegenwart" außen vor, dann bleibt auch die „Versöhnung ... ohne äußere Allgemeinheit" und insofern selbst „nur eine partielle".is Die Geschichte imd ihr empirisches, d. h. zeitliches und vor allem künftiges Werden bliebe so aber einer Beliebigkeit und Zufälligkeit überantwortet, die im Unterschied zum retrospektiv be13 G, W. f. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2. In: Werke. Bd 17.344. M G, W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1 (s. Anm. 5). 19. 15 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2. In: Werke. Bd 17.434.
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trachteten Gang der Weltgeschichte die absolute Notwendigkeit gerade nicht mehr offenbarte, sie als bereits erkannte auch gar nicht mehr zu offenbaren bräuchte. Eine Philosophie aber, die „in der Weltgeschichte alles nur als ... Erscheinung" des Geistes betrachtet, die es, auch wenn sie die Vergangenheit durchläuft, „nur mit Gegenwärtigem zu tun" hati6, die also glaubt, „nach der Seite der Geschichte" es nur mit dem, „was gewesen ist und mit dem, was ist", nach der Seite der „Wahrheit" aber stets mit dem, „was weder nur gewesen ist, noch erst nur sein wird, sondern mit dem, was ist und ewig ist", zu tun zu haben und eben deshalb behauptet, die Zukunft gehe sie in Betrachtung der Geschichte „überhaupt ... nichts an"i7, diese Philosophie wird - CiESZKOWSKi zufolge - weder dem Prozessualen der Geschichte noch ihrem eigenen Anspruch gerecht. Wenn die Philosophie -imd so scheint die Hegelsche wenigstens verstanden worden zu sein - ein „zeitloses Begreifen, auch der Zeit und aller Dinge überhaupt, nach ihrer ewigen Bestimmung" sein können solP^, darm bleibt durchaus unverständlich, warum sie in ihrer geschichtsphilosophischen Bestimmung der Weltgeschichte und ihrer Epochen die Dimension der Zukunft ausklammert und so auffällig unbestimmt läßt. Die Totalität, die sie denkt und vorstellt, ist für CiESZKOWSKi ohne die Zukunft als Dimension des noch nicht zu Ende gekommenen Werdens rücht die ganze und deshalb an sich selbst unversöhnt. Sofern durch das Vergessen der Zukunft ihre partielle Versöhnung als die falsche sich erweist, weil ohne die Dimension der Zukunft ein weiterer Fortgang der Geschichte sinnvoll nicht zu denken ist und Hegels System der Philosophie gerade durch den Ausschluß der Zukunft aus dem Bereich des Spekulativen in die abstrakte Einseitigkeit zurückfällt, die es auch in der konkreten Betrachümg der Geschichte überwunden zu haben beanspruchte, droht diese Philosophie, an ihrem eigenen Anspruch zu scheitern. Denn wie sollte noch sinnvoll von Zukunft, d. h. von einer zukünftigen Geschichte und, weil ein Werden ohne Zukunft keines mehr ist, von Geschichte überhaupt gesprochen werden können, wenn - nicht nur bezüglich der Natur-, sondern selbst der Weltgeschichte - der „Zeitunterschied ... ganz und gar kein Interesse für den Gedanken"!^ mehr hat und die Zeit ihres Werdens mit der „ganz andere[n]" „Kontinuität des Begriffs mit
16 G. W, F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1 (s. Anm. 5), 183. 17 Ebd.210. 18 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Zweiter Teil. In; Werke. Bd 9. Zusatz zu § 247,26. 19 Ebd. Zusatz zu § 249,32.
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sich selbst"20 in keinem Zusammenhang mehr steht? Wie sollte die Geschichte überhaupt noch Gegenstand einer philosophischen Betrachtung sein können, wenn die „absolute Gegenwart, das Jetzt ohne Vor und Nach"2i, mit dem Jetzt einer gerade durch ihr Vor und Nach sich auszeichnenden historischen Gegenwart nicht mehr in Verbindung und die „Diremtion des Begriffs"22 mit seinem äußerlichen Dasein in keinen Zusammenhang mehr gebracht werden könnte? Wie sollte verhindert werden können, daß die Philosophie in ihrem „zeitlosen Begreifen“ die Zeit ihres Begreifens nicht mehr begreift, also gerade ihre Zeit nicht mehr in Gedanken fassen könnte - imd der Philosoph deshalb die Welt nicht mehr, weil er die Zukunft nicht versteht? Dieses Unbehagen an einer zukunftsvergessenen Philosophie artikuliert CiESZKOWSKi, wenn er fordert, daß die „Totalität der Weltgeschichte" „durchaus imd absolut unter die speculative Trichotomie zu fassen" ist, daß es „aber, um der Freiheit der Entwicklung keinen Abbruch zu thun", „kein Theil der Geschichte" sei, „etwa der verflossene, sondern eben deren Totalität", die „speculativ und organisch aufgefasst werden muss". (7) Gegen Hegel behauptet CIESZKOWSKI, „dass ohne die Erkennbarkeit der Zukunft, ohne die Zukunft als einen integrirenden" - und nicht perfektfuturisch immer schon integrierten - „Theil der Geschichte, welche die Realisation der Bestimmung der Menschheit darstellt, unmöglich zum Erkennen der organischen imd ideellen Totalität, so wie des apodiktischen Processes der Weltgeschichte zu gelangen ist." (9) Sofern die Weltgeschichte - wie die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung - an ihr Ende nicht schon gekommen sein soll, dann könnte die Dimension der Zukunft in der Tat zum „Prüfstein" der spekulativen Philosophie werden, indem diese in bezug auf die „Erkennbarkeit" der Zukunft als Dimension des geschichtlichen Werdens - und nicht des spekulativ oder gar empirisch vorweggenommenen Gewordenseins- das Kriterium ihrer Gültigkeit zugewiesen bekommt. Nun geht CIESZKOWSKIS Kritik an Hegel einerseits vorbei, weil dieser gerade die Gültigkeit dieses Kriteriums als Kriterium in Frage stellt. Seine Einwände erreichen ihn nicht, weil er dort, wohin die Kritik ihn stellen möchte, gar nicht anzutreffen ist. Denn CIESZKOWSKI scheint die Geschichte und den zeitlichen Zusammenhang ihrer Ereignisse eher empirisch und pragmatisch als die Sphäre der Taten, Handlungen und Entscheidungen 20 Ebd. 34. 21 Ebd. Zusatz zu § 247,26. 22 Ebd. Zusatz zu § 249,34.
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der Menschen und weniger als Tat und Ereignis des sich selbst explizierenden Weltgeistes zu nehmen. Die Weltgeschichte aber bewegt sich Hegel zufolge „auf einem höheren Boden", über dem empirischen, über dem der Privatinteressen und selbst über dem moralischen und der „Privatgesinnung" des Gewissens.23 Daß aber Hegel an diesem Punkt sich gar nicht treffen lassen kann, könnte sich andererseits zugleich als ein Mangel der Hegelschen Philosophie insgesamt und nicht nur in der Darstellung der Geschichtsphilosophie erweisen, d. h. gerade deshalb, weil das Hegelsche System für den Sinn und die Intention dieser Kritik imempfänglich, wenn nicht gar taub bleibt, könnte sie durchaus berechtigt sein. Denn wenn der Frage nach der geschichtlichen Zukunft und ihrer Erkennbarkeit irmerhalb der Hegelschen Philosophie selbst die Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, ihr aber die Systematik des Systems keinen Ort zuweisen kann, an dem sie sinnvoll noch zu stellen wäre, so daß diese Frage nicht nur nicht gelöst, sondern hinsichtlich ihrer geschichtlichen, für das praktische Handeln unverzichtbaren Relevanz nur aufgelöst, d. h. zum Verschwinden gebracht wird24, dann bedroht diese Inkonsistenz die Prätention des Systems, das, was wirklich ist, wirklich und in seiner Totalität auch begriffen zu haben. Keine Antwort ist - anders als es KANT hinsichtlich der Frage nach der Beschaffenheit eines transzendentalen Gegenstandes noch behaupten kormte25 - in diesem Falle dann wirklich keine; und keine Frage dadurch schon beantwortet, daß man sie nicht stellt. Wenn es nun aber der Hegelschen Philosophie nicht gelingen sollte, der Totalität ihrer Bestimmungen die Anwendbarkeit auf ihre Gegenstände bzw. deren Bestimmung selbst die Totalität zu garantieren, d. h. wenn - und das ist der zentrale Punkt - Hegels Philosophie dadurch, daß sie die Zukunft als geschichtsphilosophische Dimension unbedacht läßt, an sich selbst Stückwerk bleibt, darm wäre der „Kindesmord", den sie begeht, eben der „Selbstmord", den sie aus freien Stücken nicht zu begehen vermag. Die Zukunft aus Gründen der systematischen Totalität nicht vergessen zu dürfen, sie aber gleichwohl hinsichtlich der Totalität des Systems vergessen, d. h. eliminieren zu müs23 „Was der an und für sich seiende Endzweck des Geistes fordert und vollbringt, was die Vorsehung tut, liegt über den Verpflichtungen und der Imputationsfähigkeit und Zumutung, welche auf die Individualität in Rücksicht ihrer Sittlichkeit fällt." (G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1 (s. Anm. 5). 171). 24 Nicht anders vielleicht als die Frage nach dem Zusammenhang von Leib und Seele in der Hegelschen Anthropologie; vgl. Philosophie des Geistes nach Hegel, Sommer 1825. Nachschrift der Vorlesungen über „Anthropologie imd Psychologie" im Sommersemester 1825 von H. v. Kehler; z. T. abgedruckt in M. /. Petry: Hegel's Philosophy ofsubjective Spirit. Vol. 2. Dordrecht/Boston 1979.16 f. (Dieser Hinweis ist Dirk Stederoth zu danken.) 25 Vgl. 1. Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 507, Fußnote.
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sen, dies wäre dann das Dilemma, das in der Form eines im System nicht aufzuhebenden Widerspruchs das System als Ganzes durchzieht und deshalb als absolutes relativiert.
2. Die Teleologie der Zukunft Den Fragen freilich, die sich aus dieser Ergänzung der Hegelschen Philosophie um die Zukunft ergeben: wie zum einen gerade durch die Figur der Trichotomie, durch welche die Totalität der Geschichte als eine in sich geschlossene vorgestellt wird, die Freiheit der Entwicklung gewahrt werden soll bzw. wie verhindert werden karm, daß durch den Systemanspruch selbst die Zukunft des Werdens ausgeschlossen wird, und wie zum anderen in einer „speculativ und organisch", mithin teleologisch gefaßten Weltgeschichte die Dimension der Zukunft als die eines Werdens gedacht werden kann, ohne dieses Werden durch die Totalität der Bestimmungen auf das Werden eines Gewordenen und derart, indem sich die „rückwirkende" Kraft der Hegelschen Philosophie auch und gerade der Zukunft bemächtigt, auf ein virtuell immer schon Vergangenes zu reduzieren, diesen Fragen wird sich auch CIESZKOWSKIS „Verschiebung" der Hegelschen Philosophie stellen müssen, wenn sie mehr und anderes als eine Ergänzung sein will. Festhaltend am Prinzip der trichotomischen Totalität, will CIESZKOWSKJ „die Erkermtnis des Wesens der Zukunft für die Philosophie vindiciren" (8); um so mehr muß gerade er dann verhindern, daß das Resultat das Prinzip umstürzt. Mit der „Unerkermbarkeit der Zukunft bei Hegel" hat es CIESZKOWSKI zufolge „dieselbe Bewandtniss, wie auf dem kritischen Standpunkt KANTS mit der Unerreichbarkeit des Absoluten überhaupt, nur mit dem Unterschiede, dass dieses bei KANT das nothwendige Resultat seines Standpunktes und Systems war, während es bei Hegel äusserlich hereingebracht und so in der ganzen Folge störend ist." (9) Wer nun so über Hegel hinauszugehen versucht, wie Hegel selbst über KANT hinausging, der müßte den Nachweis führen, daß das Hegelsche System dem eigenen Anspruch entgegen die höchste Synthesis noch nicht erreicht, Denken und Sein bzw. theoretische und praktische Idee noch nicht zur letzten Einheit geführt habe und deshalb noch immer von einer analogen, vielleicht nicht konstitutiven, aber wenigstens störenden Dichotomie geprägt sei, wie sie für die KANTische Philosophie charakteristisch ist, welche mit der Behauptung eines empirisch unerkennbaren imd theoretisch nicht zu fassenden An-sichselbst-Seins der Dinge die logisch-ontologische Differenz durch die beibe-
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haltene Trennung von Real- und Erkenntnisgrund erkenntnistheoretisch festschrieb und derart nicht zu der - erst von FICHTES kritischem Idealismus postulierten - Einheit der Gründe in der S}mthesis des Realen und Idealen im Absoluten fortzuschreiten vermochte. Gibt es in der Hegelschen Philosophie ein der KANiischen ,,analoge[s] VorurtheiT' (9), d. h. gibt es auch in der Hegelschen Philosophie eine Dimension, die sie deshalb nichts angeht, weil die Erkenntnis selbst hier sich den Zugang zu ihrem Gegenstand versperrt, so hätte die Überwindung dieses Vorurteils die Erkennbarkeit des nur scheinbar und nur in seiner spekulativen Verkennung Unerkennbaren zu erweisen. Aus der Perspektive dieser Analogie wäre das verfemte Ding an sich der Hegelschen Philosophie eine Zukunft, deren Unerkennbarkeit nach CiESZKOWSKi zwar nicht als konstitutiv, sondern nur als mißliche Folge einer falschen Bescheidenheit angesehen werden müßte.26 Der „fehlende ... Theil" (13) im Hegelschen System ist für CIESZKOWSKI nur die vergessene, die aus einem ,negativen VorurtheiT heraus nicht oder nur noch nicht er-innerte und nicht etwa die systematisch unzugängliche Zukunft oder gar aus Systemzwang verdrängte. Gerade der Hegel zufolge „richtige Gedanke über die Zukunft", den er bei EPIKUR hervorhebt: das Zukünftige „geht uns nichts an, weder daß es ist, noch daß es nicht ist", und „wir ... keine Unruhe deshalb haben" „dürfen"27, gerade dieser Gedanke, sei es nun der über die Zukunft oder auch den Tod, wäre aufgrund eines „Vorurtheils" der falsche. Wenn aber ohne die Erkennbarkeit der Zukunft zu keiner ideellen Totalität der Weltgeschichte zu gelangen ist, dann müssen die Modalitäten dieser Erkennbarkeit - ihre „Möglichkeit", „Nothwendigkeit" und „Wirklichkeit" - überzeugend aufgewiesen werden, denn eine Erkenntnis dessen, was zukünftig und deshalb - noch - nicht ist, scheint auf nichts anderes als auf die geschichtsphilosophische Quadratur des speculativen Zirkels hinauszulaufen. - Dann wenigstens, wenn man davon ausgeht, daß die „ungeheure Arbeit der Weltgeschichte" noch nicht beendet, die höchste Synthesis noch nicht vollbracht ist, weil ihr Inhalt als die zur „Möglichkeit getilgte Wirklichkeit, die bezwungene Unmittelbarkeit" zwar als „ein Gedachtes ... Eigentum der Substanz", das „erirmerte Ansich" ist, aber auch die Umkehrung „in die Form des Fürsichseins" nur das erinnerte Ansich umkehrt und als dieses auch die Zukunft nur als eine vergangene, nicht aber als eine aus dem Geist heraus noch zu verwirklichende kennt. 26 Wahrend für Hegel selbst diese scheinbare Dichotonaie nur einer Täuschung des im Endlichen und seinen Entgegensetzungen beharrenden Verstandes entspringen könnte, der die eigene Unzulänglichkeit als die Unmöglichkeit von Erkenntnis mißversteht. 22 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie 2. In: Werke. Bd 19.331.
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Wie aber wäre eine Zukunft zu denken, deren Wirklichkeit möglich, aber keine zur Möglichkeit „getilgte" Wirklichkeit wäre?28 Nun mag CIESZKOWSKIS Beispiel, nach dessen Analogie die „Möglichkeit der Erkermbarkeit der Zukunft" zu denken wäre, nicht besonders glücklich gewählt sein. Wenn der von CIESZKOWSKI angeführte CUVIER „nur einen einzigen Zahn" verlangte, „um aus diesem den ganzen Organismus eines antediluvianischen Thieres zu erforschen" (12), so ist diese Erforschung selbst keineswegs eine „apriorische Speculation", sondern bleibt eine empirische, welche die Anwendung des KANT zufolge nur regulativen Begriffs der Zweckmäßigkeit im Bereich der Erkenntnis auf die Natur zwar voraussetzt, aber nicht begründen kann. Aus einem nur empirisch gegebenen bzw. gefundenen Zahn eines urzeitlichen Tieres dessen Größe, Freßgewohnheiten. Lebensumstände und anderes mehr zu erschließen, fällt KANTisch gesprochen - in den Bereich der dynamischen Gesetze der Bestimmung von Erscheinungen, bleibt also von vornherein auf den Bereich möglicher und in indefinitum erweiterbarer Erfahrungen bezogen. So läßt sich KANT zufolge sogar „einräumen", daß - sofern auch nur die „mindeste Triebfeder" der Handlungen eines Menschen und „alle auf diese wirkenden äußere Veranlassung" „uns bekannt gemacht würde" - „man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft" mit der gleichen „Gewißheit ... wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis ausrechnen könnte", man aber gleichwohl, d. h. ausgehend von der in sich notwendigen „Kette von Erscheinungen", so wenig auf die Unfreiheit dieses Menschen schließen könne wie umgekehrt aus einer scheinbar unbegründeten Handlung auf dessen transzendentale Freiheit. Nur durch einen „anderen Blick" körmten die empirischen Handlungen eines Subjekts als freie, ihre Ursache in sich selbst tragende angesehen werden; da aber die „Spontaneität des Subjekts, als Dinges an sich selbst", nur einer uns rücht gegebenen „intellektuellen Anschauung" zugänglich wäre, verweigern die beobachtbaren Taten der Menschen gerade den Einblick in ihre innersten Beweggründe.29 Wenn sich jedoch, wie Hegel mit einigem Recht an KANT kritisierte, von der Tat durchaus auf den Tater schließen lassen soll, weil dieser ja gerade durch seine Tat imd keineswegs anders sich offenbart, also zu erkennen gibt, warum sollten dann rücht auch die „Thatsachen" der Vergangenheit im Organismus 28 Vgl. G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 12). 28. Und wenn die einfache Umkehrung nicht zureicht, müßte sie dann rücht gerade in der Form einer noch unbezwungenen Unmittelbarkeit gedacht werden, die, ohne das eriimerte Ansich in bUnder Spontaneität auszulöschen, aus ihrer Er-innerung auch wieder herausginge, wieder, aber wie? „in das Dasein [sich] versenkte"? 29 Vgl. 1. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. A 178 f.
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der Geschichte auf die „Thaten" der Zukunft bezogen werden können? „Warum", so fragt CIESZKOWSKI, „construiren wir nicht aus dem schon verlaufenen Theile des ganzen historischen Processes seine ideelle Ganzheit überhaupt und insbesondere den noch fehlenden künftigen Theil, welcher dem vergangenen entsprechen muss und erst integral mit diesem die wahre Idee der Menschheit aufstellen wird?" (13) Die Aufgabe, die sich einer Historiosophie der Geschichte darm stellte, wäre, aus den „vergangenen Thaten", welche als empirische „Fachs" oder „Thatsachen" die „Fossilien" oder „antediluvianischen Überreste" der philosophischen Konstrukhon darstellen, „das Allgemeine des Lebens der Menschheit auf[zu]bauen". (13) Nicht anders als in der Hegelschen Philosophie auch wären so die weltgeschichtlichen Tatsachen als die Taten des Weltgeistes zu re-konstruieren, freilich ergänzt um den bei Hegel vergessenen Teil der Zukunft. Die Idee der Freiheit, bei Hegel Prinzip und Resultat der Weltgeschichte zugleich, deren „logischer" Ausdruck nach der Formulierung CiESZKOWSKis „die speculative S)mthesis der Nothwendigkeit mit der Zufälligkeit, des Gesetzes mit seiner Offenbarung, des apodikhschen Wesens mit seiner willkührlichen Erscheinung" (13, Anm.) ist, diese Idee in den vergangenen Taten aufzufinden hieße dann aber, die Taten zugleich in der Perspektive einer noch (zu) kommenden Zukunft und nicht nur einseitig in der Retrospekhve der Hegelschen Darstellung der schon gekommenen zu betrachten. Mit der gleichen „Nothwendigkeit" aber, die Hegel in der Manifestation des Geistes nach der Seite seiner Vergangenheit in der Weltgeschichte glaubte begreifen zu können, soll CIESZKOWSKI zufolge nun auch die Erkenntnis des Wesens der Zukunft erfolgen. Das „Aufdecken der integrirenden Momente des geschichtlichen Organismus" kann deshalb „unmöglich willkührlich oder zufällig ausfallen; und so wie der Astronom, der eine künftige Einsternis voraussagt, gar nicht die Grenze seiner Wissenschaft überschreitet, noch dadurch irgendwie in das Gebiet der Weissagungen tritt, so werden auch wir im Erforschen des Wesens der geschichtlichen Zukunft nur die ewigen und consequenten Rechte der Idee verfolgen." (14, Anm.) Einerseits soll und kann die Erforschung des Wesens der Zukunft keine empirische Vorhersage künftiger Ereignisse bedeuten, andererseits dürfen die ewigen Rechte der Idee auch nicht auf den Status bloß transzendentaler Voraussetzungen zurückfallen. Sollte sich aber die Erkenntnis der Zukunft lediglich auf die empirisch-äußerliche Realisierung der in ihren inneren Gesetzen erkannten Idee reduzieren, dann wäre der Schritt über Hegel hinaus nur die Explikation der Korollarien, keineswegs aber die „Verschiebung" einer Theorie im Hinblick auf eine bei Strafe für das Prinzip nicht zu
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Übergehende, als höchste Synthesis bestimmte Zukunft. Weder bloß empirisch noch transzendental, dem ewigen und konsequenten Recht der Idee gemäß und doch gleichzeitig von der Dimension des zukünftigen Werdens in ihr selbst nicht abzulösen - in dieser Spannung wird von CIESZKOWSKI die Konzeption einer Historiosophie gedacht, die der Menschheit einen Raum zur Verwirklichung ihrer Idee öffnen und ihrer Geschichte jene Zeit zurückgeben will, die in der Hegelschen Philosophie der Geschichte deshalb zu kurz gekommen, weil als Zukunft rücht mehr im Kommen ist - und sie deshalb, und nicht weil sie als solche dunkel ist, auch nichts mehr angeht. Der Zirkel, in den CIESZKOWSKI gerät, wenn er einerseits die „Möglichkeit der Erkermbarkeit der Zukunft" aufgrund eines vorausgesetzten Organismus der Weltgeschichte „constatirt" (14) und andererseits durch das „Princip der Erkennbarkeit der Zukunft" auf die „Totalität des weltgeschichtlichen Processes", mithin „deren Organismus“ glaubt geführt werden zu können, ist nur insofern kein fehlerhafter, als die Möglichkeit der Erkennbarkeit der Zukunft ohne die Notwendigkeit dieser Erkermbarkeit „nach speculativ-vemünftigen Gesetzen" (23 f) gar nicht zu denken ist. Das „Princip der Erkennbarkeit der Zukunft" ist „nur" dann „als ein besonderer Fair des „höheren Princip[s] des Organismus" (21) aufzufassen, wenn dieses vorab als für die Geschichte konstitutiv aufgewiesen ist. Um so entscheidender aber wird für CIESZKOWSKIS Konzeption einer Historiosophie der Weltgeschichte darm die Frage nach der „Wirklichkeit" der Erkennbarkeit der Zukunft, d. h. er muß „nachweisen" können, „wie das Bewußtsein wirklich dazu kommt", „dieses Erkennen sich anzueignen". (15) Der Bezug des Bewußtsein zur Zukunft ist nun CIESZKOWSKI zufolge auf dreifache Weise möglich: als „Gefühl", das seinen Bestimmungsgrund in einer Realität außerhalb des Bewußtseins hat, als „Denken", das eine reflektierte Form darstellt und sich nicht mehr auf einen äußeren oder vorgegebenen Gegenstand, sondern auf die rein begriffliche Gesetzmäßigkeit bezieht, und schließlich als „Wille" in der Form einer praktischen Bestimmung der Zukunft. Während die „erste Determination" durch das Gefühl eine „unmittelbare, natürliche, blinde, zufällige" ist imd derart „meistentheils" auch „nur die Partikularitäten des Seins" bzw. „einzelne Facta" erfaßt, die von „Seherin]“ oder „Propheten" auf die Zukunft bezogen werden, ist die „zweite Determination" eine „reflektierte, gedachte, theoretische, bewusste, nothwendige", in welcher durch die „Philosophen der Geschichte“ die „Allgemeinheit des Gedankens, die Gesetze, das Wesentliche" an ihr gefaßt wird. Die „dritte Determination" schließlich umfaßt als Synthesis der beiden vorhergehenden „die ganze Sphäre der That, die Facta und ihre Bedeutung, die Theorie und die Praxis, den Begriff und seine Realität", ln-
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dem sie die „Vollführer der Geschichte" „erzeugt", ist sie „endlich die wirklich-praktische, angewandte, vollführte, spontane, gewollte, freie". Die erste Bestimmung hat ihr Kriterium „ausser sich in der äusserlich seienden Vollbringung der Verheissung; die zweite hat es in sich, in der Apodikticität der Gesetze des Denkens; die dritte aber hat es sowohl in sich als ausser sich in der objectiven Realisirimg einer subjectiv bewussten Teleologie." (16) Das „zufällige", „instinctartige", aber auf seiende Gegenstände bezogene Erahnen der Zukunft gehört - der triplizitär-organischen Aufteilung zufolge - dem „Alterthume" an, das Auffinden und die Darstellung der allgemeinen und notwendigen, aber zunächst nur abstrakt gefaßten Gesetzmäßigkeit ist das Verdienst der „denkenden Geister" der Gegenwart - vor allem aber das Hegels -, „welche die Propheten abgelöst haben". Die „dritte Determination" aber soll der Zukunft angehören: „sie wird das objective, wirkliche Realisiren der erkannten Wahrheit; und das ist eben das Gute, d. h. das Practische, welches das Theoretische schon in sich enthält." (17) Es ist, wenn sich so sagen läßt, eine moralische Teleologie, welche aber anders als die KANiische - die natürliche wie auch die spekulativ-ideal gefaßte als Momente derart in sich aufgehoben hat, daß sie selbst als Veranlassung imd Verwirklichung einer sittlichen Praxis Dasein auch verschaffen kann. Wie diese Synthesis aber zu denken und zu verwirklichen ist, das ist der für CIESZKOWSKIS Konzeption entscheidende, aber auch problematische Aspekt. Denn ist das „wirkliche Realisiren" der bereits erkannten Wahrheit nichts mehr und nichts anderes als die Umsetzung einer nach ewigen Gesetzen feststehenden Erkenntnis ins Praktische, dann bleibt diese immer noch in dem von Hegel vorgezeichneten spekulativen Rahmen, sofern sie nicht transzendentalphilosophisch ins bloß Subjektive zurückgenommen werden soll: Als „objective Realisirung einer subjektiv bewußten Teleologie" wird und kann das Resultat nur in der Form einer äußerlichen Allgemeirüieit auf die im Prinzip selbst schon bestimmte zurückkommen, als äußerliche Verwirklichung nur das Werden darstellen, das mit dem im Prinzip schon Gewordenen sich als identisch erweisen muß. Auch die von CIESZKOWSKI eingeklagte Zukunft wird sich insofern nur als das erweisen können, was der Geist wirklich, d. h. an und für sich und selbst angesichts einer ihm noch mangelnden bzw. nicht ganz adäquaten „äußeren Allgemeinheit" schon ist. Hinsichtlich der apodiktischen, ewigen und notwendigen Bestimmungen der Idee droht die Zukunft als Dimension der Ausführung einer vorher gefaßten Wahrheit bzw. der Anwendung ihrer unabänderlichen Gesetze zu einem bloß empirischen Appendix des ewigen, an und für sich seienden Geistes zu werden.
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Hegel hatte mit seinem offen zugestandenen Desinteresse an der Zukunft die Konsequenz bereits gezogen: Es kann in ihr nichts wirklich noch werden und nicht werden sollen, weil alle Wirklichkeit in der absoluten Idee im Wesentlichen schon ist, noch wirklich werden, weil alle Wirklichkeit im Wesentlichen schon geworden ist. Insofern geht diese Zukunft die Philosophie Hegels in der Tat nichts mehr an. Und wenn auch „die Jugend meint, die Welt liege schlechthin im argen und es müsse aus derselben erst ein ganz anderes gemacht werden", so stellt Hegel - sofern man den Mit- und Nachschriften seiner Schüler Glauben schenken darf - diesem „unbefriedigte [n] Streben" und auf ein leeres Sollen sich gründenden Forderungen die Einsicht des reifen „Mannes" entgegen, „daß der Endzweck der Welt ebenso vollbracht ist, als er sich ewig vollbringt".30 Hegels Philosophie beschreibt den als vollbracht sich vollbringenden Prozeß des Werdens zu dieser höchsten Wirklichkeit der Idee als den Prozeß ihrer Erkenntnis: Vernunft und Wirklichkeit fallen zusammen, weil nur das als vernünftig erkannt werden karm, was wirklich ist - und nicht es erst noch werden soll.31 Mag die Jugend in ihrer subjektiven, als Freiheit sich mißverstehenden Willkür auch in Forderungen imd Belehrungen, wie die Welt sein soll, sich ergehen, die „Versöhnung mit der Wirklichkeit" liegt nicht in der Zukunft, sondern in dem, was an und für sich schon ist.32 Die „absolute Idee" wäre darm hinsichtlich der ,,absolute[n] Form, in welche alle Bestimmungen, die ganze Fülle des durch sich selbst gesetzten Inhalts zurückgegangen ist", vielleicht wirklich „dem Greis zu vergleichen, der dieselben Religionssätze ausspricht als das Kind, für welchen dieselben aber die Bedeutung seines ganzen Lebens haben. ... Alle Arbeit ist nur auf das Ziel gerichtet, und wenn dies erreicht ist, so ist man verwundert, nichts anderes zu finden als eben dies, was man wollte."33 „In" der ,,absolute[n] Idee" „ist" „kein Über30 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse (1830). Erster Teil. In: Werke. Bd 8. Zusatz zu § 234,387. 31 Und so wenig, wie von einem als gelungen angesehenen Gottesbeweis über den Beweis hinaus noch verlangt werden könnte, in der Form einer objektiven Realisierung bzw. empirischen Umsetzung sich bewähren zu müssen, weil er sonst keiner sei; oder gar zu fordern wäre, daß der Beweis des Daseins der höchsten Wirklichkeit an einer anderen Wirklichkeit sich prüfen oder gar bestätigen lassen müßte, so wenig kann gegenüber der absoluten Idee eine Zukunft, die über deren Erkenntnis hinaus noch Wesentliches bringen bzw. offenbaren soll, eingefordert werden. 32 Vgl. G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1995.16 f. 33 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Erster Teil. In: Werke. Bd 8. Zusatz zu § 237,389. Der Wunsch Zarathustras, das Vergangene zu erlösen und „alles ,Es war' umzuschaffen in ein ,So wollte ich es!"' (f. Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen. München 1979.115.) wäre dann schon in Erfüllung gegangen, weil
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gehen noch Voraussetzen und überhaupt keine Bestimmtheit, welche nicht flüssig und durchsichtig wäre". „Für sich ist die absolute Idee ... die reine Form des Begriffs, die ihren Inhalt als sich selbst anschaut".34 Keine Empirie, weder die vergangene noch eine künftige, vermag, diese Selbst-Durchsichtigkeit der Idee zu trüben, während jeder empirische Standpunkt als solcher immer schon ein von besonderen und zufälhgen Interessen getrübter ist, keine Praxis diese Durchsichtigkeit noch durchsichtiger, für sich selbst klarer machen, keine objektive Realisierung in Zukunft noch Bestimmungen setzen, die nicht in der absoluten Flüssigkeit des Geistes schon gelöst, als Lösung schon gegeben wären. Als der „realisierte Begriff" erweist sich die Idee am Ende als das Resultat, das keines ist, ebenso als ein Letztes ohne Ende wie als ein Erstes ohne Anfang; Anfang und Ende in sich, „sich mit sich selbst zusammenschließend"35, wird sie, was sie geworden, war, was sie ist, und ist, was sie geworden sein wird. Auch CiESZKOWSKis Teleologie bleibt, sofern das „Resultat" des Werdens im „Prinzip" - als ein gewußtes - schon gegeben ist, ein Werden des Gewordenen, und eine bloß empirische, auf die Erkenntnis des Absoluten geschichtlich noch folgende Zukunft dem Geist der Tat in dieser Hinsicht so unwesentlich wie dem Hegelschen die historischen Zufälligkeiten und Ereignisse der Vergangenheit, deren er sich, ohne sich in ihnen, weil schon heraus, noch verlieren zu können, stets zu bedienen wußte.36 Als Wissen wird auch von CIESZKOWSKI die höchste Synthesis schon vorausgesetzt; die subjektiv bewußte Teleologie besteht insofern in nichts anderem als in der objektiven Realisierung eines Prinzips, welche das Resultat als das zu Realisierende des - im Wissen schon - Realisierten ist. Das Prinzip der Teleologie mit seiner auf dem Organismus der Weltgeschichte sich gründenden Erkermbarkeit der Zukunft wäre in dieser Hinsicht, nämlich gemessen am Hegelschen System, von dem es ausgeht, das denkbar ungeeignetste, um der Zukunft eine geschichtsphilosophische Relevanz geben zu können, die für den Geist selbst noch von Bedeutung wäre.37 CIESZKOWSKIS Konzeption die späte, späteste Einsicht auch alle Zukunft mit umgreift. In der vernünftig begriffenen Rose der Gegenwart verschwindet, letztendlich, jedes Kreuz. 34 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse (1830). Erster Teil. In: Werke. Bd 8.388. 35 Ebd.392. 36 Vgl. H. Eidam: Kontingenz und Metaphysik - Anmerkungen zum „Spitzengekräusel" des Zufälligen im Hinblick auf Hegels Philosophie des Notwendigen. In: Zeitschrift für Kritische Theorie. H. 2. 1996. 37 „Zum einen", so Manfred Frank, „verlangt die Anlage dieses System, das sich selbst als Resultat der Weltgeschichte begreift, den Zusammenfall von Wesen und Erscheimmg, jedenfalls in dem Augenblick, da der Gedanke seine Zeit als die Wahrheit Aller Zeit durchdrungen
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einer systematischen Historiosophie karm insofern als der verzweifelte Versuch angesehen werden, „von innen her gegen die Grenzen des HegeIschen Systems" anzurennen, d. h. die „von Hegel vergessene Zukunft" „innerhalb der spekulativen Synthesis begründen zu wollen, aus der sie ja nicht von ungefähr als ein außerlogisch Seiendes ausgeschlossen blieb".38 Sollte sich aber zeigen lassen, daß Hegels Gerontologie des Geistes das Werden und die Zukunft gerade deshalb verkennt, weil die systemlogisch bedingte Retrospektivität, die sich nur in der Form einer „rückwärts auf ihr Ziel zuschreitenden Geschichtsbewegung"39 darstellen karm, zu eben jenem als Altersweisheit sich mißverstehenden Systemzwang führt, der deshalb, weil er etwas, was neu oder auch nur anders wäre, nicht mehr zulassen, weil als möglich nicht denken karm - und sich insofern, werm alles schon vollbracht ist, auch gar nicht zu wundem braucht, stets nur das finden zu körmen, was er wollte, also gar nichts anderes mehr finden wollen karm -, so karm auch CIESZKOWSKIS Revisionsprozeß um die Zukunft der Geschichte nur darm mit Aussicht auf Erfolg gegen das Hegelsche Vorurteil gegenüber der Zukunft geführt werden, wenn das Resultat der eigenen Historiosophie das ihr zugrunde gelegte Prmzip der Hegelschen Teleologie umstürzt. Daß dies aber einerseits nicht geschehen darf, weil gerade das teleologische Prinzip das tragende der Historiosophie sein soll, es aber andererseits durch dessen minervisch-retrospektive Ausrichtung die Zukunft und insofern die Totalität der Weltgeschichte selbst verfehlt, dieser Ambivalenzkonflikt im Absoluten führt bei CIESZKOWSKI ZU einer von Hegel sich lösenden - und sicherlich durch den späten SCHELLING inspirierten - anderen Auffassung des Verhältnisses von Dasein und Bestimmung.
3. Das „Perigeum der Thal“ Werm CIESZKOWSKI zunächst für sich beansprucht, durch die Konzeption eines „ideellen Organismus des allgemeinen Laufes der Geschichte" und ih-
hat - und das ist ja auch die Voraussetzung der Historiosophie. Zum anderen muß der Gedanke, soll er nicht als subjektives Räsonnement aus dem Diskurs einer abgelebten imd vom Wahren noch entfernten Epoche schöpfen, seine geschichtliche Realität als eine von keiner zukünftigen überbietbare Reahtät in sich absorbiert haben. Ohne diese Voraussetzung schlösse diese philosophische Konzeption sich gar nicht zu dem System, das sie zu sein behauptet." (M. Frank: Einleitung des Herausgebers". ln: F. W. ]. Schelling: Philosophie der Offenbarung (1841/42). Hrsg. u. eingel. v. M. Frank. Frankfurt a. M. 1977.27) 38 Ebd.27f. 39 Ebd. 27.
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rer „Kategorien" die Philosophie der Geschichte hinsichtlich ihrer Methode und inhaltlichen Ausführung „dem Hegelschen Standpunkt der Philosophie überhaupt adäquat gemacht" zu haben, weil Hegels Philosophie der Geschichte „dem eigenen System überhaupt nicht angemessen war" (71 f), so ist doch die Konsequenz, die sich aus dieser „Vervollständigung" der Hegelschen Philosophie nach Maßgabe ihres eigenen Prinzips ergibt, in der Tat erstaunlich. Denn die Beseitigung der Unstimmigkeiten innerhalb der Hegelschen Philosophie soll nun zu einer „Durchbrechung seines Standpunktes" führen, die deshalb möglich und nötig wird, weil gerade der „Mangel" der Hegelschen Geschichtsphilosophie die „treueste Consequenz" (73, Anm.) dieses Standpunktes darstellt und Hegel selbst ihn deshalb „nie zu heben vermocht" (73) hätte.^o CIESZKOWSKIS Anspruch ist, mit seiner projektierten Historiosophie - und auch schon im letzten, die „Teleologie der Weltgeschichte" überschriebenen Kapitel seiner Prolegomena über das allgemeine System [Hegels] hinausreichen" und einen „positiven Durchbruch desselben" erzielen zu können. Nach erfolgter Re-Konstruktion der Hegelschen Geschichtsphilosophie wird ihm das System als garrzes
“10 Für Michelet hingegen, der die Prolegomena seines Freundes in den Jahrbüchern für ivissenschaflliche Kritik rezensierte (Nr 99 u. 100, Nov 1838, S. 785-798), war Hegels ambivalente Stellung zur Zukunft eine „Eigentümlichkeit" der Person und nicht des Systems: „Hegel lehrt ja überall, daß die Philosophie als das Bewußtsein und In-Gedanken-Fassen einer Zeit zugleich das Hinausschreiten über dieselbe und so der Keim einer neuen Gestaltung der Wirklichkeit sei. Warum er mm, seinem Prinzip imtreu, der vollendeten Gestaltung der Philosophie die Zeugungsfähigkeit einer besseren Zukunft habe absprechen sollen, ist nicht abzusehen, obgleich freilich in praxi bei Hegel sich die Sache ungefähr so stellte, als ob seine Zeit das vollendete Ideal der Menschheit darbiete, über das sie nichts Höheres erreichen körme. Daher Hegeln auch die Juli-Revolution, obgleich er sie als eine Große Tat anerkermen mußte, dennoch immer eine imangenehme und widerwärtige Begebenheit blieb. Dies ist also eine Eigentümlichkeit Hegels, die nicht, wie der Herr Verfasser (S. 73) will, aus der Konsequenz seines Systems floß, sondern ... nur eine nicht bis zu ihrer strengen Folgerichtigkeit gebrachte Durchfühnmg seines Prinzips ist." (Zit. n. Walter Kühne: Graf August Cieszkowski - ein Schüler Hegels und des deutschen Geistes. Ein Beitrag zur Geschichte des deutsches Geisteseinflusses auf die Polen. Leipzig 1938. Reprint: Nendeln/Liechtenstein 1968.64) Eine „vollendete Gestaltung der Philosophie" aber muß sich freilich nicht mehr vollenden, sollte auch in praxi noch vieles im Argen liegen, und karm sich deshalb eine indifferente Haltung gegenüber der Zukunft durchaus leisten. Wie jedoch eine strenge Folgerichtigkeit bei der Durchführung des Prinzips zu dem Resultat kommen können sollte, daß die Philosophie deshalb ihre vollendete Gestalt noch nicht erreicht hat, weil das Medium ihres Werdens selbst noch in einem Werden begriffen ist, läßt sich - da ausgehend von dieser Gestalt - gerade nicht begreifen - es sei deim, ihre vollendete Gestalt wäre gerade als solche für den Geist nicht das Höchste. Dies aber auch nur in seiner Möglichkeit denken zu köimen wäre für das Hegelsche System eben der „Selbstmord", den es nicht begehen kann; folgerichtig verdrängt es eine Zukunft, die ihm nicht als eine schon vergangene, und mit ihr ein Werden, das nicht als ein schon gewordenes erscheint. Insofern wäre Hegels Philosophie die im System Gestalt gewordene Angst vor dem, was sich ihm in seiner Vollendung entzieht.
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fraglich, und er zieht die Konsequenz: „In der Folge werden wir also Hegeln nicht mehr der Inconsequenz, oder wenigstens nicht vollständiger Ableitung imd Durchführung auf diesem Felde seiner eigenen Principien beschuldigen körmen, sondern umgekehrt werden wir ihn für streng consequent anerkennen, aber eben darum ihn verlassen müssen." (72) CIESZKOWSKi will das Hegelsche System als solches verlassen; will die Wahrheit, die es formulierte, und die Wirklichkeit, die es als absolute erkannt zu haben vorgibt, in der Umkehrung der Hegelschen Schlußfolgerung nur als Möglichkeit verstanden wissen, die, um Wirklichkeit werden zu können, sich als solche aufheben muß. Die Verschiebung der Grundlagen, so minimal sie auch erscheinen mag, soll so zu einer „totale [n] Umkehr" führen.41 Der später auch von ADORNO visierte Gedanke, die - Hegelsche - Dialektik „in einem dialektischen Schritt zu verlassen"42, ergibt sich für CIESZKOWSKi aus der dem Hegelschen System inhärenten und immanent nicht aufzulösenden Schwierigkeit, daß sie entweder hinsichtlich der Geschichtsphilosophie inkonsistent bleibt oder aber aufgrund ihrer konsequenten Durchführung auf eine von ihrem Gegenstand selbst getrennte und ihrem eigenen Anspruch zuwiderlaufende apriorische Konstruktion zurückfällt. Also", so CiESZKOWSKi, „sowohl wegen Inconsequenz, als auch wegen Consequenz müssen wir ihm entgegentreten" (72), um weder, wie Hegel selbst, der „Scylla" einer bloß empirischen und deshalb „unspeculativen" Auffassung der Geschichte zu „verfallen", noch aus Gründen der immanenten Konsequenz zum Opfer der „Charybdis" einer rein „aprioristischen Construction" zu werden. (33, vgl. 50 f) Das „Dilemma", das dadurch entsteht, zwei „entgegengesetzten Forderungen" gleichzeitig genügen zu müssen, „nämlich die Totalität der Weltgeschichte einerseits ideell zu umschliessen, ohne andererseits die Möglichkeit der künftigen Fortbildung abzuschliessen” (30), soll sich durch die „Idee ... der absoluten Teleologie" (29) lösen lassen. Daß aber gerade der Gedanke der Teleologie es möglich machen soll, sowohl „der Empirie ihren natürlichen Lauf zu belassen und zugleich die Strenge der logischen Deduction wirklich und systematisch durchzuführen" (50), scheint zunächst und vor allem in seiner Abgrenzung „... zwischen dem Standpunkte der Identität des Denkens und Seins imter der Form des Denkens (Hegel's Philosophie) - und dem Standpunkte der Philosophie der Thal und des geistigen Lebens (s. Prolegomena zur Philosophie) ist zwar die Strecke sehr gering, denn diese Standpxmkte folgen unmittelbar auf einander, aber in dieser Strecke findet sich ein entschiedener Wendepunkt, welcher eine totale Umkehr bewirkt und eine specifisch neue Richtung eröffnet." Die Grundlagen sind verschoben - die Resultate müssen es also auch sein." (A. v. Cieszkowski: Gott und Palingenesie. Erster, kritischer Theil. Berlin 1842.77 u. 89) 42 Theodor W, Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt a. M. 1982.398.
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gegen Hegel sehr zweifelhaft. Denn das von CIESZKOWSKI aufgezeigte Dilemma ist kein anderes als der Zirkel des Teleologischen selbst, der in dem Augenblick sich einstellt, da der Zweckbegriff der empirischen Wirklichkeit nicht mehr transzendental bzw. bloß regulativ gegenüberstehen, sondern als ein für den Prozeß seines Werdens selbst konstitutiver, d. h. transzendent und immanent zugleich betrachtet werden soll. Hegel hat diesen Zirkel in der Phänomenologie des Geistes ausführlich beschrieben. Für das Bewußtsein, das „sich zum Handeln bestimmt", ist zwar das Ansichsein der „dem Bewußtsein entgegengesetzten Wirklichkeit ... zum bloßen leeren Scheine herabgesunken" und „ebenso hat es sich aus dem Herumtreiben in leeren Gedanken und Zwecken auf den ursprünglichen Inhalt seines Wesens zusammenzuhalten"43, da aber dieser ursprüngliche Inhalt „fiir das Bewußtsein" nur ist, „indem es ihn verwirklicht hat", kann das Individuum „nicht wissen, was es ist, ehe es sich durch das Tun zur Wirklichkeit gebracht hat. "44 Hegels Lösung besteht nun darin zu zeigen, daß dieser Zirkel, in den das „ans Handeln gehende Individuum" gerät, in Wahrheit der Kreis ist, in dem es sich bewegt und in dem sowohl das unmittelbare, dem Interesse entspringende Handeln als auch das aus diesem Handeln entstehende Werk in ihrer „gegenständlich[en] Wirklichkeit ... keine Wahrheit mehr für sich" haben, sondern durch beide Momente hindurch „das Seiende und Bleibende" als das „wahre Werk" sich „behauptet" - „unabhängig von der Sache, welche die Zufälligkeit des individuellen Tuns als eines solchen, der Umstände, Mittel und der Wirklichkeit ist."45 Könnte nun die Umformung, die Hegel mit dem „Grundsirm" der KANlischen Philosophie vornimmt, so verstanden werden, wie es etwa EUGENE FLEISCHMANN sich vorstellt, daß zuerst die Zweckmäßigkeit der Kritik der Urteilskraft „von ihrem ,Als-Ob-Charakter' befreit wird", darauf die „Erkenntnislehre als die Philosophie des endlichen Erkennens" folgt und
43 G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 12). 287. 44 „Es scheint aber hiermit den Zweck seines Tuns nicht bestimmen zu können, eh es getan hat; aber zugleich muß es, indem es Bewußtsein ist, die Handlimg vorher als die ganz seinige, d. h. als Zweck vor sich haben. Das ans Handeln gehende Individuum scheint sich also in einem Kreise zu befinden, worin jedes Moment das andere schon voraussetzt, und hiemit keinen Anfang finden zu körmen, weil es sein ursprüngliches Wesen, das sein Zweck sein muß, erst aus der Tat kennen lernt, aber, um zu tun, vorher den Zweck haben muß." (Ebd. 287 f) 45 Ebd. 293 f. „Die Sache selbst drückt hiemit die geistige Wesenheit aus, worin alle diese Momente aufgehoben sind als für sich geltende, also nur als allgemeine gelten, und worin dem Bewußtsein seine Gegenständlichkeit von sich selbst gegenständliches Wesen, eine Sache, ist; der aus dem Selbstbewußtsein als der seinige herausgeborene Gegenstand, ohne aufzuhören, freier eigentlicher Gegenstand zu sein. - Das Ding der sinnlichen Gewißheit imd des Wahmehmens hat nun für das Selbstbewußtsein allein seine Bedeutung durch es ..." (294 f)
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schließlich die „praktische Philosophie - als das im Erkermen begründete zweckmäßige Tun- dieses ganze Gebäude zusammen[schließt]", darm wäre in der Tat die „Versöhnung" erreicht; „eine ,Versöhnung' zwischen der weltentfremdeten Vemvmft und der irmeren Zweckmäßigkeit der Welt", die, so FLEISCHMANN, „erst im vernünftigen, freien imd selbstbewußten Handeln" „erfolgt", „demzufolge sich der Mensch (als das die Wirklichkeit bewegende Subjekt) mit dem objektiven Weltlauf endgültig zusammenschließt, d. h. die Geschichte lenkt"46 - und zwar von innen her, weil er als (in) ihr tätiges Subjekt außerhalb der Geschichte nicht zu handeln vermag. Wäre dem so, daß die praktische Philosophie die das Hegelsche System zusammenschließende Einheit darstellt, dann wäre CIESZKOWSKIS Kritik am absoluten Idealismus Hegels gegenstandslos. Dann wäre aber auch der Vorbehalt gegenstandslos, den Hegel selbst nicht nur in der Rechtsund Geschichtsphilosophie, sondern auch in der Logik formuliert hat, daß in der Sphäre des Daseins bzw. des Endlichen und des Handelns der unendliche Zweck selbst immer nur ein endlicher bleibt, weil diese Sphäre sich gerade durch die Trermung von Begriff und Realität definiert. „Im Endlichen können wir es" Hegel oder wenigstens dem - vielleicht gar nicht adäquaten, aber doch wirkmächtig gewordenen - Verständnis seiner Hörer zufolge gerade „nicht erleben oder sehen, daß der Zweck wahrhaft erreicht wird." So wenig wie das Handeln nach subjektiven Zwecken, wäre das Werden des absoluten Zweckes als solches die „Versöhnung", sondern als dieses Werden gerade die „Täuschung", weil der höchste Zweck schon Resultat und derart das Werden an ihm selbst ein schon Gewordenes ist: „Die Vollführung des unendlichen Zwecks ist so nur, die Täuschimg aufzuheben, als ob er noch nicht vollführt sei. Das Gute, das absolut Gute vollbringt sich ewig in der Welt, und das Resultat ist, daß es schon an und für sich vollbracht ist und nicht erst auf uns zu warten braucht. Diese Täuschung ist es, in der wir leben, und zugleich ist dieselbe allein das Bestätigende, worauf das Interesse in der Welt beruht." Allein auf der Täuschung, daß das Absolute nicht an und für sich schon vollbracht, nicht schon das ewig sich vollbringende Resultat ist, beruhte das Interesse in der Welt und - an der Welt; die Täuschung, etwas bewirken zu können, was nicht an und für sich wirklich schon ist, während doch nur diese Täuschung selbst das Bewirkende wäre, das allein zum Handeln treibt. Zuletzt aber bliebe auch diese Täuschung nicht die dem Handeln selbst zukommende und ihm eigene. Aufgehoben in der Idee, erwiese auch diese Täuschung sich noch als 46 Eugene J. Fleischmann: „Hegels Umgestaltung der Kantischen Logik". In: Hegel in der Sicht der neueren Forschung. Hrsg, von I. Fetscher. Darmstadt 1973.159.
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Täuschung: „Die Idee in ihrem Prozeß macht sich selbst jene Täuschung, setzt ein Anderes sich gegenüber, und ihr Tun besteht darin, diese Täuschung aufzuheben. Nur aus diesem Irrtum geht die Wahrheit hervor, und hierin liegt die Versöhmmg mit dem Irrtum und mit der Endlichkeit. Das Anderssein oder der Irrtum, als aufgehoben, ist selbst ein notwendiges Moment der Wahrheit, welche nur ist, indem sie sich zu ihrem eigenen Resultat macht. "47 Die Teleologie des Absoluten stellte sich derart als die notwendige Selbsttäuschung der Vernunft im Werden dar. Nur die philosophische, durch die Erkenntnis des Absoluten gegebene Einsicht wäre über die Tauschimg, auf der das Interesse und das Handeln in der Welt und ihrer Geschichte beruht, schon hinaus. Der Zirkel des Teleologischen löst bei Hegel so sich auf, daß er im Kreis des Absoluten, das „Resultat" immer schon ist, keiner mehr sein karm. Im Absoluten, das ist, geht das die Vermittlimg Vermittelnde als solches zugrunde, es verschwindet; und mit ihm auch eine Zukunft, die dem Gewordenen gegenüber so wenig wie einem Werden jenseits der interessierten Täuschung im Grunde noch eine sein körmte.48 Die Methode, nach der das, was ist, begriffen werden kann, ist
47 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse (1830). Erster Teil. In; Werke. Bd 8. Zusatz zu § 212,367. „Schranke, Mangel des Erkennens ist ebenso nur als Schranke, Mangel bestimmt durch die Vergleichung mit der vorhandenen Idee des Allgemeinen, eines Ganzen und Vollendeten. Es ist daher nur Bewußtlosigkeit, nicht einzusehen, daß eben die Bezeichnung von etwas als einem Endlichen oder Beschränkten den Beweis von der wirklichen Gegenwart des Unendhchen, Unbeschränkten enthält, daß das Wissen von der Grenze nur sein karm, insofern das Unbegrenzte diesseits im Bewußtsein ist." (Ebd. 144) Zu beachten wäre dann freilich, daß das „Jenseits nicht mehr Jenseits" bleibt, „da es es Diesseits wird, es bleibt aber auch nicht Diesseits, da es ein anderes Jenseits wird." („Eragmentarische Abhandlung Cieszkowskis über Diesseits und Jenseits zur Ergänzung von Gott und Palingenesie". In: W. Kühne: Graf August Cieszkowski - ein Schüler Hegels und des deutschen Geistes (s. Anm. 40). 448) 48 Die von Hegel so bezeichnete „Güte des Absoluten, die Einzelheiten zu ihrem Selbstgenuß zu entlassen" (Enzyklopädie. Erster Teil. In: Werke Bd 8. 118; vgl. 170 f), überstiege insofern die subjektive Ironie des nach eigenen Zwecken handelnden Subjekts, dem in seiner eigenen Gewißheit nur die „Unwirklichkeit der Welt" (Logik. In: GW. Bd 12,231) gegenübersteht, vmd wäre - als „List" der Vernunft - die objektive des Absoluten selbst, das die bestimmten Einzelheiten, die endlichen Subjekte mitsamt ihren Handlungen und Zwecken in die „absolute Einheit" „zurücktreibt" (Enzyklopädie, ln: Werke. Bd 8. Zusatz 1 zu § 42,118; vgl. 132). Die „absolute Idee allein ist Seyn, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, imd ist alle Wahrheit"; „alles Uebrige ist Irrthum, Trübheit, Meynung, Streben, Willkühr und Vergänglichkeit" (Logik. GW Bd 12, 236, vgl. 248). Die metaphysischen Beweise vom Dasein Gottes sind Hegel zufolge deshalb „mangelhafte Auslegimgen und Beschreibungen der Erhebung des Geistes von der Welt zu Gott, weil sie das Moment der Negation, welches in dieser Erhebung enthalten ist" und die Welt als solche zu einem Irrtum herabsetzt, „nicht ausdrücken oder vielmehr nicht herausheben" (Enzyklopädie. In: Werke. Bd 8.132). Damit freilich das Vergehen des Vergehens das Affirmative, das Hegel zufolge aus ihm resultiert, sein karm, hat sich der Prozeß, der das Vergehen selbst im Irrtum und der Täuschung darstellt, als solcher und als die Wahrheit der in ihrem Irrtum aufgehobenen Welt stets zu wiederholen. Indem die Wahrheit nur als Resultat ist, sofern sie sich dazu
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für Hegel nicht nur die „blosse Art und Weise des Erkennens", sondern als „Modalität des Erkennens" ist sie „gesetzt als durch den Begriff bestimmt, und als die Form, insofern sie die Seele aller Objectivität ist, und aller sonst bestimmte Inhalt seine Wahrheit allein in der Form hat".49 Die Methode selbst ist die „schlechthin unendliche Kraft ..., welcher kein Objekt ... Widerstand leisten, gegen sie von einer besonderen Natur se3m und von ihr nicht durchdnmgen werden könnte". Nichts könnte „begriffen und in seiner Wahrheit gewußt werden", das der Methode nicht „vollkommen unterworfen" ist.50 Das Endliche als Endliches erweist sich mitsamt seinen relativen Notwendigkeiten als ein an ihm selbst Bedingtes und Zufälliges, dessen Dasein nur als Möglichkeit gesetzt ist; und sofern in seiner dialektischen Bestimmung an ihm selbst und d. h. in seinem Verschwinden die absolute Notwendigkeit (spekulativ) sich offenbart, karm Hegel auch das „Schicksal" als die zweckmäßige Tätigkeit des Geistes fassen, die eben deshalb „sehend" und als „Vorsehung" die Welt regiert, weil der „Zweck überhaupt das Wirkende" und notwendig Wirkliche „als das vorher an und für sich Bestimmte" ist.si In der Einheit des Erkennens mit der praktischen Idee erweist sich die „vorgefvmdene Wirklichkeit ... zugleich als der ausgeführte absolute Zweck".52 Dem „trostlos[en]" und - solange es unbegriffen bleibt - blinden Schicksal der „Alten" stellt Hegel die Religion des „absoluten Trostes" entgegenss, welche die christliche nicht weniger ist als der Gottesdienst seiner Philosophie. Doch auch für CIESZKOWSKI bleibt das „göttliche Walten" das „Princip der Weltgeschichte" und „zugleich" ihr „Resultat" (69), nur mit dem Unterschied gegenüber der Hegelschen, in sich selbst beschlossenen, weil sich in sich abschließenden Teleologie, daß „eben die Geschichte noch nicht alle in ihrem Begriffe liegenden Elemente aus sich entwickelt hat" und „uns" deshalb „eine Zukunft" noch „bevorsteht, welche wir nach den Prämissen der verflossenen Zeiten zu erkeimen haben" (26). Auch CIESZKOWSKI findet sich einem Zirkel gegenüber, den er freilich anders als Hegel auflösen muß, um die Zukunft weiterhin als eine noch bevorstehende und den Zweck als eimacht, fallen die ewige Wiederkehr des Absoluten und das Vergehen des Endlichen ineinander. Weil die „absolute Idee als der vernünftige Begriff ... in seiner Realität nur mit sich selbst zusammengeht", ist in der „Rückkehr" der Idee „zum Leben" (Logik. In: GW. Bd 12.236) die diesem gewährte „Gunst" die der Vergänglichkeit; der Königsweg zum Absoluten insofern das Negative, das „ein für sich Nichtiges" negiert. (Vgl. auch Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 12). 29 f) « G. W. F. Hegel: Logik. In: GW. Bd 12.237. so Ebd.238. 51 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie. Erster Teil. In: Werke. Bd 8.289 f. 52 G. W. F. Hegel: Logik. In: GW. Bd 12.235. 53 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie. Erster Teil. In: Werke. Bd 8.290 f.
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nen objektiv noch zu realisierenden denken zu können. Er muß die Gegenwart einer Zukunft als die einer jeden Gegenwart zukommende und deshalb in ihr gegenwärtige aufzeigen, ohne sie nur als eine künftige Gegenwart vorzustellen, die nur empirisch noch von Bedeutung, an sich aber im ewig Gegenwärtigen schon so aufgehoben wie beschlossen ist. Die „Antinomie“, die er deshalb aufzulösen hat, besteht darin, daß das Zukünftige gar nicht ist und der Gegenwart auch nicht zukommen kann, werm es nicht auch ein gegenwärtiges, die Zukunft der Gegenwart ist, daß es aber als ein gegenwärtiges zugleich so begriffen werden muß, daß es (in) der Gegenwart ein noch zu kommendes bleibt. Wie aber - so fragt CIESZKOWSKI - soll das Zukünftige etwas gegen die „Macht des Bestehenden und Gegenwärtigen ausrichten körmen“, wenn und vor allem „so lange es noch selbst ein Zukünftiges ist“, wenn „alles Zukünftige, es mag auch noch so vernünftig und consequent ausfallen, gar keine Wirkung gegen das Bestehende hat, sondern, ehe es selbst ein Bestehendes wird, schon ein Bestehendes seyn muß“ (36)? Wie soll eine Zukunft, die noch nicht und deshalb so gut wie nicht ist, wirklich werden können, wenn sie es im Gegenwärtigen und in jeder Gegenwart als Präludium der kommenden nicht auch schon ist? So wenig wie Hegel geht auch CIESZKOWSKI von einem abstrakt-verstandesmäßigen Entweder-Oder aus, für das alles, was zukünftig und ein gegenüber dem Bestehenden Anderes und Neues wäre, aufgrund seiner Inkompatibilität mit Gewesenem und Gegenwärtigem weder gedacht, noch erkannt, noch - zu seiner Zeit - auch begriffen und im Handeln verwirklicht werden kann. Die „scheinbare Antinomie“ des Zukünftigen wird CIESZKOWSKI zufolge „erklärlich durch die Wiederholung“ einer ,,jede[n] Neuerung, welche, indem sie sich zuerst in der Realität aufstellt, noch immer dem Früherbestehenden weichen muss, aber beim zweiten Eindringen in die Existenz, als etwas schon Dagewesenes, mit innerer und äusserer, gleichsam physischer und moralischer Kraft ausgerüstet“, sich auch „endlich zu behaupten weiss“. (36 f) Gerade das Neue muß, wenn es in die Geschichte eintritt, als ein solches auch erkannt werden können; weil es aber in seiner Einmaligkeit der Erkenntnis, ja selbst der Wahrnehmung sich entzöge, ist jede Neuerung zugleich auf eine Wiederholung, d. h. eine Erirmerung, angewiesen - nicht weniger übrigens als eine jede Wiederholung auf ein ihr gegenüber Neues, das sie als Wiederholung überhaupt unterscheidbar und erkennbar macht.54 Was sich aber derart als Neuerung einer Wie54 „Da aber freilich das Bewusstseyn ... der Thal voranzueilen hat, so braucht man gar nicht mit dem Construiren der socialen Verhältnisse zu ängstUch zu sein ... Um eine Wahrheit zu entwickeln, karm man nicht genug ideell se5m; denn das reele Gute ist nur deren andere Seite."
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derholung und als Wiederholung einer Neuerung verdankt, ist eine Zukunft, die in ihrem „zweiten Eindringen" sich „als etwas immer schon Dagewesenes" erinnert, d. h. aber weder als ein schon Vergangenes, an sich Gesetztes, noch als ein an und für sich und deshalb ewig Gegenwärtiges, sondern als eben jene Zukunft sich in Eriimerung ruft, der die Gegenwart in ihrem ersten Eindringen noch nicht gerecht zu werden vermochte. Diese sich in ihrer Wiederholung selbst erinnernde, der Gegenwart sich (wieder) ins Gedächtnis rufende Zukunft öffnet das Bestehende auf ein Werden hin, das im Gewordenen und in keiner Gegenwart seinen Abschluß und Bestand schon gefunden hat. „So kommen wir zu der Erkenntnis, dass das, was war, ist und wird, und das, was seyn wird, ist und war" (37) - während die Hegelsche Verschränkung der Zeiten umgekehrt so formuliert werden könnte, daß das, was sein wird, war und ist, und das, was ist, war und wird. Die Hegelsche Philosophie wird derart in der Tat „verschoben" - zwar „sehr gering" nur, aber doch eine „specifisch neue Richtung eröffne[nd]"55; „derm das, was bei Hegel schon Resultat war und als Letztes gelten wollte, hat uns bloss als Vermittlungsglied gedient und nur als Vorletztes sich legitimirt." (128) Erst dadurch, daß CIESZKOWSKI das Hegelsche „Resultat ... als Letztes" „selbst im Widerspruche begriffen erk[e]nnt", weil es als ein Absolutes, das nur Ende und anfänglich nur im Ende ist, die Zeit seines Werdens entzeitlicht und derart sich selbst auch in seiner Auslegung als gewordenes verkennt, ergibt sich für ihn die „Forderung, zu einer weiteren Synthesis fortzuschreiten": „Wir kündigen also der Philosophie als solcher eine neue Epoche an, wo sie, werm auch ihr eigentlichstes Element und ihren Standpunkt [den Hegelschen] verlassend, nichts desto weniger ein Fortschritt des Geistes sein wird." (128 f)56 Die „Unhaltbarkeit des Standpunktes jenes absoluten Idealismus" führt CIESZKOWSKI zufolge zu einem
Aber so „wie aUes Neue nie mit einem Male in die Welt heraustritt, so ist auch keine Utopie von vom herein in der Welt zu realisieren; also werm das Vernünftige von dem Wirklichen getrennt ist, so müssen sie beide gegeneinander gravitiren imd sich durch unvollkommne Versöhnungen immer mehr nähern, bis sie endlich organisch zusammenfallen. An ein einseitiges Einholen ist gar nicht zu denken." (A. v. Cieszkowski: Prolegomenazur Historiosophie. 147 ff) 55 Vgl. A. V. Cieszkowski: Gott und Palingenesie (s. Arun. 41). 77. 55 Auch noch in seiner Schrift Gott und Palingenesie wird Cieszkowski nicht müde, „gegen Hegel und seinen Standpunkt des absoluten Bewußtseins (zwar auf anerkennende, aber doch auf imtergrabende und fortführende Weise) zu polemisiren" (69). Das Ziel seiner Prolegomena zur Historiosophie sei es gewesen, die „Erbsünde der Einseitigkeit", d. h. das „Uebergreifen des ideell Allgemeinen" aufzuheben (24): „jene einseitige, obgleich höchst concrete Auffassung des Absoluten sub specie universalis, jenes Uebergreifen des Allgemeinen als negativer Macht, welche nie, imgeachtet des logischen Postulats, zur positiven und concreten Einzelheit kommt, eine ab-
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„Wendepunkt" der Philosophie überhaupt: „d. h. im Gebiete der Wissenschaft zur Philosophie der That und des Lebens, und im Gebiete der Wirklichkeit zur Lösung der realen thatsächlichen Widersprüche der Zeit, wodurch eben die Theorie ein praktisches, die Praxis aber ein theoretisches Resultat erreichen, und die Identität des Vernünftigen mit dem Wirklichen xax' e^oxf)v gesetzt wird." Und wenn Philosophie auf diesem Standpunkt „über sich selbst hinausgehen und wirklich ins Leben treten" will, so „versteht sich" für CiESZKOWSKi „von selbst", daß „dadurch eine durchgreifende Umbildung des Zeitbewußtseins und der aus ihm herstammenden Verhältnisse erfolgen muss".57 CiESZKOWSKis Verschiebung und „partielle Abdication" des absoluten Idealismus führt so zu einer - der MARXschen Umstülpung durchaus verwandten, wenn auch nicht in revolutionärer, sondern in „conservativer"58 Absicht gedachten - Umwendung der spekulativen Philosophie zu einer „Philosophie der Praxis" (129). Der „Standpunkt des absoluten Idealismus", der als solcher, d. h. in seiner Verkennung des Zeitbewußtseins Verhältnissen sich verdankt, die als scheinbar zeitlose aus ihr dann auch folgen, dieser für CIESZKOWSKI unhaltbar gewordene Standpunkt soll verlassen werden zugunsten einer Historiosophie, für welche die Geschichte in ihrer Zukunftsbezogenheit der praktische „Prüfstein aller spekulativen Erkenntnis" ist. Wenn aber die „Zeit" der Geschichte „sich gegenüber der geschlossenen Totalität der Hegelschen S)mthesis emanzipier[en]" können soll, so wird sie weniger als eine „jeden bestehenden Zustand" überflutende, sondern als die in einem jeden so auf der Spitze stehende gedacht werden müssen, daß in einer jeden Gegenwart, „für welche die geschichtlich Handelnden verantwortlich sind"59, eine Zukunft sich noch ereignen und praktisch verwirklichen kann. Die Geschichte in ihrem durch die Spekulation stracte Auffassung, welche ich sowohl Hegeln, als Ihnen [seil. Michelet] und allen Ihren Denkgenossen beständig vorwerfe". (91) 57 Vgl. A. V. Cieszkowski: Gott und die Palingenesie (s. Anm. 41). 95,77 u. 99. 58 Vgl. ebd. 11 f u. 95. Daß Marx' Dissertation „bereits mit dem Geist und den Ideen Cieszkowskis durchtränkt" sei {Reinhard Lauth: „Die,verwirtschaftete' Humanität". Grundvoraussetzungen der philosophischen Weltanschauung von Karl Marx". In: Neue Deutsche Hefte. Beiträge zur europäischen Gegenwart. 2 (1955/56), 341), ist Stuke zufolge eher unwahrscheinlich, obgleich die „nicht wenigen Berührungspunkte zwischen Cieszkowski rmd dem jungen Marx" vor allem aus jener beiden gemeinsamen Einsicht sich ergeben konnten, daß eine Geschichte ohne Zukunft nicht sinnvoller zu denken ist als ein Weltgeist ohne Welt. Vgl. Horst Stuke: Philosophie der Tat. Studien zur Verwirklichung der Philosophie bei den Junghegelianem und den Wahren Sozialisten. Stuttgart 1963.85 ff. 59 Vgl. M. Frank: „Einleitung des Herausgebers". In: F. W. /. Schelling: Philosophie der Offenbarung (1841/42). Frankfurt a. M. 1977.29.
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vindizierten Kollektivsingular läßt sich als Erefgnzszusammenhang nicht in den Erfcenntnzszusainmenhang des Begriffs überführen, ohne, wie es bei Hegel geschieht, sich entweder in einen Widerspruch zu verwickeln oder ihr die Zukunft zu nehmen. Gegenüber der Übersetzung alles Seins in den Begriff fordert CIESZKOWSKI die Übersetzung des Begriffs in das Sein, um das Hegelsche System einer retrospektiven Teleologie des Absoluten durchbrechen zu können. Die Erkennbarkeit der Zukunft, die sich nicht als eine Anwendung der Philosophie auf die Praxis und derart als ihre vom absoluten Standpunkt aus legitimierte Manipulation, sondern nur als eine jeweils konkrete in der geschichtlichen Praxis selbst verstehen kann, erweist sich in der von CIESZKOWSKI avisierten Philosophie der Praxis verwiesen auf den Augenblick einer Erkennbarkeit, in dem das, was Zukunft hat, auch eine werden will; ist es doch die Zukunft selbst, die sich in dem, was in abgelebten Zeiten die seine nicht finden kormte, wiederfindet und sich so auch der Er-innerung noch in Erinnerung ruft.^o Die „erinnerte, aber doch neu hervorgebrachte Welt“ soll CIESZKOWSKI zufolge nicht nur die in ihrer reinen Idealität erkannte und damit als eine solche immer schon hervorgebrachte sein, sondern sie „wird den Inhalt der Zukunft ausmachen und deshalb als dieses Innere im Aeusseren sich selbst adäquat darstellen": „So wird der absolute Friede der Innerlichkeit mit der Aeusserlichkeit gefeiert und dieser sowohl im Aeussem als im Innern den gegenseitigen Sieg, durch welchen das sinnlich Erscheinende seiner Werthlosigkeit entnommen wird, erscheinen lassen." (128)6i Dieser Friede aber ist dem ewigen Frieden, wie KANT ihn sich dachte, ähnlicher als der Hegelschen Versöhnung, der sich das bloß äußerliche Dasein stets, und sei es als „gewolltes Vorübergehen" im Kriege^2, zu opfern hat. In der von CIESZKOWSKI vorgestellten Form der Übersetzung des Denkens in das Seines wird die Gegenwart - auch in metaphysischer Hinsicht - zu
M Vgl. H. Eidam: Discrimen der Zeit. Zur Historiographie der Moderne bei Walter Benjamin. Würzburg 1992. 61 In Gott und Palingenesie versucht Cieszkowski das Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit als „Momente der Individuation" im Sinne einer ,,concrete[n] Totalität" (24) zu fassen, während im absoluten Idealismus Hegels sich zwar „die Allgemeinheit beständig durch die Einzelheit verwirkhch[e], aber nichtsdestoweniger das allein Uebergreifende imd Absolutberechtigte gegen dieselbe an und für sich" (30 f) bleibe. Wahrend im absoluten Idealismus „die Einzelheit an der Allgemeinheit zu Grunde gehen muss", versucht Cieszkowski zu zeigen, „wie dies Zugrundegehen eben nur ein Fortgehen zu einem gemeinschafllichen Grunde" ist, nämlich zum Grunde sowohl der Einzelheit als der Allgemeinheit selbst, welches das Concret-Wirkliche als individuelle Totalität ist." (29 f) 62 Vgl. G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 324,280. 63 Vgl. A. V. Cieszkowski: Prolegomena zur Historiosophie. 118,111,149.
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jenem „Rand", an dem sowohl über die Vergangenheit als auch über die Zukunft entschieden wird. Der „Rand der Gegenwart" (58) wird bei CIESZKOWSKi zum Zentrum des Absoluten. In jeder historischen Gegenwart, in der das Vernünftige und das Wirkliche gegeneinander gravitieren, ohne sich in ihrer Einseitigkeit einholen zu können, ist das Handeln dazu aufgefordert, zu vermitteln und - eingreifend in die bestehenden Verhältnisse über eine Zukunft zu entscheiden, so daß dieser in der „That" ihre Relevanz für das Absolute zukommt. Der Augenblick der Entscheidung aber, der in seiner bloßen Kontingenz zu verschwinden drohte, kehrt in ihr zurück: Dem „Wesen" ist, nicht anders als Hegel es aufwies, „wohl die Erscheinung wesentlich, aber die Erscheinung überhaupt, nicht diese oder jene ausschliesslich". Zwar muß, auch für CIESZKOWSKI, die Erscheinung dem Wesen „durchaus angemessen seyn, aber das Feld der Angemessenheit ist weit und die Nothwendigkeit hat die Fülle der adäquaten Möglichkeit vor sich" - und rücht, wie bei Hegel, hinter sich -, „um in die Wirklichkeit ... treten" zu können. „Indem wir so die Nothwendigkeit des wesentlichen Processes statuieren, beeinträchtigen wir keineswegs die Zufälligkeit, und umgekehrt kehren wir zu ihr zurück; denn bloss die gegenseitige Durchdringung dieser Momente erzeugt die Freiheit, welche der wirkliche Begriff des Entwicklungsprocesses ist." (155 f)64 Indem der Geist, der in seinem immanenten Selbstbezug sich nur auf sich bezieht und darum der absolute Zweck nur idealiter ist, „aus sich" herausgeht und derart den Zweck als gesetzten an sich hat, begreift er auch das Handeln in der Geschichte von einem „neuen teleologischen Standpunkt" (137) aus. Dieser aber ist nicht mehr der ins Subjekt zurückfallende der Transzendentalphilosophie, sofern auch nach CIESZKOWSKI die „im socialen Leben und Wirken" hervorzubringende Synthesis „auf Kosten des Sollens" in seiner abstrakten Form geschieht: „denn erst auf dieser Stufe wird das Sollen in der Wirklichkeit durch das Thun - aus dem Denken - in das Seyn übergehen." (136) Er ist aber auch nicht mehr der retrospektive der Hegelschen Teleologie, weil das Denken das Tun zwar anleiten, nicht aber als Moment an ihm selbst setzen und durch kein bloß Gedachtes substituieren kann. Alles endliche, zufällige Dasein versetzt Hegel in den Status der Möglichkeit, um es vernünftig M Weil Hegel aus systematischen Gründen „das handlende und begreifende Bewußtsein notgedrungen ausemander[fallen]" läßt, ist - Josef Derbolav zufolge - eine „ernsthafte Korrektur an Hegels Handlungstheorie" notwendig, gerade „um das von Hegel selbst so entschieden betonte Recht der Subjektivität, der unabdingbaren Voraussetzimg eines konstituierbaren Handlungsbegriffs, gegen den Widerstand seiner Dialektik zu behaupten und zu bewahren." (/. Derbolav: Hegels Theorie der Handlung", ln: ders.: Impulse europäischer Geistesgeschichte. Hrsg, von D. Benner, W. Schmied-Kowarzik u. L. Wigger. Sankt Augustin 1987.143-145)
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denken und im Gedanken in das, was wahrhaft wirklich und notwendig ist, aufheben zu können; CIESZKOWSKI hingegen will dem Denken selbst die Möglichkeit geben, ein Dasein, das nur im Gedarvken wirklich ist, in der Tat auch vernünftig werden zu lassen, denn das von der Philosophie als solches Erkannte ist für ihn darum, weil es erkannt und der philosophische Geist damit bereits fertig geworden ist, in Wirklichkeit noch kein Bekanntes. Erst im Handeln könnte der Geist, der nicht nur Ende ist, die Bekanntschaft mit einer Wirklichkeit machen, in der er sich auch künftig noch wiedererkennt. In CiESZKOWSKis A-vision einer „Philosophie der Praxis" ist die „Regeneration der Natur" (30), die „Rehablitation der Materie" (127) und d. h. die „Versöhnimg des Geistes mit der Natur" (144) durchaus mitgedacht. Die Versöhnrmg, die Hegel für den absoluten Geist sich aufgehoben hat, ist CIESZKOWSKI zufolge in jener Sphäre zu denken, die der absolute Idealismus als die des bloß Kontingenten stets schon hinter sich gelassen hat. Das jugendlich-aufklärerische Pathos freilich, mit dem CIESZKOWSKI die Aufgabe der Philosophie vorträgt, setzt sich bewußt einer abgeklärten Altersweisheit, der die Welt und ihre Zukunft nichts Neues mehr zu bieten hat, entgegen: „Was ... die Empfindung vorgefühlt und das Wissen erkannt hat, das bleibt dem absoluten Willen zu realisiren übrig; und diess ist mit einem Worte die neue Richtung der Zukunft. Die Idee der Schönheit und Wahrheit im practischen Leben, in der bereits bewussten Welt der Objectivität zu realisiren, alle einseitige und sich einzeln offenbarende Elemente des Lebens der Menschheit organisch zu fassen und zur lebendigen Mitwirkung zu bringen, endlich die Idee des absoluten Guten und der absoluten Teleologie auf unserer Welt zu verwirklichen, - diess ist die grosse Aufgabe der Zukunft. (29 f) Einem Denken, das, mit Hegel, „das Wesentliche bereits aufgedeckt" (130) das „seinen Culminationspunkt erreicht und seine wesentliche Aufgabe gelöst hat" (131), wird nun zugemutet, über diesen Punkt hinauszugehen; das Denken soll „durch den Fortschritt selbst zurücktreten", d. h. weder abtreten noch resignativ in sein Heiligtum sich zurückziehen, sondern „aus seiner Reinheit", die es gerade als solche in ihrer Einseitigkeit durchschaut hat, „in ein fremdes Element übergehen" und derart den „esoterischen Charakter" der Philosophie „in einen exoterischen ... verwandeln" (131). Eine Philosophie, die das Höchste für sich erreicht und das Denken auf seine einsame Spitze gebracht hat, „muß sich", will sie eine dialektische bleiben, „in die Tiefe verflachen" (131), d. h. umgekehrt sich in das, was sie als bloße Oberfläche und Oberflächlichkeit des Kontingenten^s gerade hinter sich gelassen hat, vertiefen. Tiefe, darin sind CIESZKOWSKI und
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sich einig, gibt es nur auf der Oberfläche, das nur tief Gedachte bleibt immer oberflächlich. „Die Theorie ist das Vortrefflichste! sagen noch viele Blödsinnige, die nicht einsehen, daß die Theorie, insofern sie nur Theorie ist, nimmermehr das Vortrefflichste seyn kaim, denn jedes Nur deutet auf ein Noch."^(> Auch „Hegel beeinträchtigt das Praktische, indem er es nur als eine Seite der Theorie, als einen sozusagen Filialausfluß des Denkens betrachtet. Es ist aber eine Stufe des Geistes für sich, ganz abgesondert, und sogar die höchste." Was Hegel, der „den Geist bloß zum an imd für sich se)m geführt" hat, aufgrund der spekulativen Retrospektion des Systems gerade verkermt, ist der Übergang der Causa finalis in die „Causa initialis ... als teleologische causa sui". „Das Thun überhaupt ist das abstract Teleologische und dasselbe hat auch einen Phaenomenologischen Proceß wie das Bewußtsein durchzumachen; so daß das Thun als solches, welches zum noch äußeren Objekte tritt, dasselbe überwindet und so die teleologische Endlichkeit überschreitet, zum Selbstthun als solchem wird, d. h. das Selbst hier ist nicht mehr Subjekt, sondern selbst Object und dadurch geht die Causa finalis in die Causa initialis über".67 Wäre, wie SCHELLING es - wenigstens implizite auch schon gegen Hegel formulierte, „das Absolute nur das Produkt, das hintendrein erst durch die Vernichtung des Gegensatzes gesetzt wird, so wäre ja das Absolute alsdann selbst bloß eine Negation, nämlich die Negation einer Verschiedenheit, von der man nicht weiß, woher sie kommt, und warum sie gerade dienen soll an ihrer Negation das Absolute zu demonstrieren. Das Absolute wäre darm keine Position, sondern eine bloß negative Idee, ein Produkt des synthesirenden Denkens, ... mit Einem Wort ein bloßes Gedankending".68 Die logisch-ontologische Differenz zwischen Wesen (Begriff) und Wirklichkeit (Dasein), an der KANT gegenüber der ontotheologisch-schwärmenden Metaphysik beharrlich, d. h. kritisch, festhielt und die Hegel, der Kritiker KANTS, im Absoluten wieder aufgehoben sich dachte, kehrt bei CIESZKOWSKI zurück in dem Bewußtsein, daß eine Wirklichkeit, die als absolute nur das Produkt des synthetisierenden Denkens ist, die ganze deshalb nicht schon sein kann, weil in einer sich (im Denken) in sich abschließenden Totalität MARX
^ G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen. Dritter Teil. In: Werke. Bd 10. Zusatz zu § 396,84. 66 Nachlaß zu Gott und Palingenesie, zit. n. W. Kühne: Graf August Cieszkowski - ein Schüler Hegels und des deutschen Geistes (s. Anm. 40). 441. 67 Nachgelassene Aufzeichnungen zu den Prolegomena, zit. n. W. Kühne: Graf August Cieszkowski - ein Schüler Hegels und des deutschen Geistes (s. Aiun. 40). 428 f. 68 F. W. J. Schelling: Sämmtliche Werke. Stuttgart 1856 ff. Bd 1,6.163 f; vgl. M. Frank: „Einleitung des Herausgebers" (s. Anm. 59). 64 f.
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(des Denkens) auch die Zeit und vor allem das nach SCHELLING eigentlich Zeitliche an der Zeit, die Zukunft, nur als ein ideell Abgeschlossenes begriffen werden kann. Gegenüber der retrospektiven, den Prozeß als Negation des Negativen ins Absolute zurücknehmenden Teleologie, die alles, was noch werden körmte und sollte, in sich, d. h. in den an und für sich schon bestimmten Endzweck aufgehoben hat, ist die von CIESZKOWSKI konzipierte „absolute" eine die Hegelsche, ihm durch die List der Vernunft denkbar und möglich gewordene Mediatisierung des Daseins prospektiv zurücknehmende und derart, weil auch für CIESZKOWSKI das bloße Sollen des sich selbst aufschiebenden Sollens verschwindet, eine ohne Endzweck. Durch die von CIESZKOWSKI avisierte Umwendung des absoluten Idealismus körmte aber, und das war seine Hoffnung, der Gedanke eine Wirklichkeit/i'nden, die, weil es nicht eine andere, sondern die ist, aus der er kommt, in der „That" die seine auch werden karm. In dieser nur zeigte sich die Gegenwart als „Rand": in einem geschichtlichen Handeln jene causa initialis, die „in einem noch so schmalen Differential zwischen Geschichtlichkeit und Verhaltensentscheidung" für die Geschichte selbst einen „Spielraum, einen Entscheidungsraum des individuellen Gewissens überhaupt''^? erst öffnen und so eine Zukunft der Geschichte auch zeitigen kann.
69 Ulrich Sonnemann: Negative Anthropologie. Vorstudien zur Sabotage des Schicksals. Frank-
furt a. M. 1981.217.
LU DE VOS (LÖWEN)
HEGELS ENZYKLOPÄDIE 1827 UND 1830: DIE OFFENHEIT DES SYSTEMS? Mit den neuen Editioneni der Enzyklopädie im Rahmen der Gesammelten Werke wird erstmalig ihre am wenigsten bekarmte Version von 1827 wieder der Forschung allgemein zugänglich; sie ist zusammen mit Vorlesungsnotizen zu Logik und Metaphysik herausgegeben worden.2 Die Änderungen dieser Enzyklopädie sind in Beziehung auf die Fassung von 1817 so zahlreich und zum Teil so grundlegend, daß die zweite Version die Entwicklung des Hegelschen Systems selbst aufzuzeigen scheint. Gerade der Evolution oder dem Ausbau dieses Gedankengebäudes ist dieser Aufsatz gewidmet.
I. Die Ausgabe von 1827 Was ändert sich faktisch 1827? Als didaktische Verbesserung kann man gegenüber der ersten Fassung die durchgängige Überarbeitung und Hinzufügung von Überschriften bewerten. Auch die Neugestaltung der realphilosophischen Teile mit eigener Einleitung, mit einem als solchem kermtlich gemachten Begriff und einer hervorgehobenen Einteilung ist vielleicht ebenfalls so einzuschätzen. Bei genauerer Betrachtung aber gibt es noch weitere Einschnitte, die sich sowohl auf die Logik als auch auf die Realphilosophie beziehen. Sind diese Änderungen bloß didaktischer Art, oder
1 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse. (1827). Herausgegeben von Wolfgang Bonsiepen und Hans-Christian Lucas; Hamburg: Meiner 1989. X, 552 S. (Gesammelte Werke. Bd 19.) G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse. (1830). Unter Mitarbeit von U. Rameil herausgegeben von Wolfgang Bonsiepen und Hans-Christian Lucas. Hamburg: Meiner 1992. X, 682 S. (Gesammelte Werke. Bd 20.) 2 Gerade diese zweite Version wird von den Herausgebern fast wie ein neues oder wenigstens doch als ein selbständiges Werk betrachtet. Der textkritische Apparat bezieht sich also seltsamerweise nur auf die erste Fassung (1817). Sowohl für die Ausgabe von 1827 wie 1830 ist O 2 die Grundlage der Herstellung des Textes. - Die wichtigsten Änderungen der zweiten und dritten Fassung werden im editorischen Bericht vermerkt.
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kann man Hegels Darstellung als Entwicklung im eigentlichen Sinn betrachten? Als erstes behandele ich die Evolution der Logik, um dann zweitens die Änderungen der Realphilosophie zu analysieren und zu bewerten.
1. Zur Logik Zunächst versuche ich hier eine Übersicht der Änderungen im Enzyklopädie-Text über Logik darzulegen und frage in Hinblick auf diese Änderungen, ob und in welcher Hinsicht eine Konzeptionsänderung dabei eintritt. Anschließend diskutiere ich die Bedeutung der Änderungen des Vorbegriffs der Logik.
a: Zur Logik selbst In der Seinslogik fügt Hegel eine neue Einleitung hinzu; Änderungen gibt es beim Dasein und im Maß. In den §§ 90 bis 92 wird das Dasein vorerst (in Gegensatz zur H(eidelberger) E(nzyklopädie) §§ 43-A4) zu einem in sich reflektierten Etwas ohne ausschließende Beziehung zum Anderssein. Nur als Ansichsein grenzt Etwas dies Anderssein aus. Im Etwas zeigt sich dann die Bestimmtheit in ihrer negativen Bedeutung (anders als in HE) als Grenze und Schranke. Das Etwas wird demzufolge als in sich reflektiert herausgestellt. Damit wird die Terminologie des Wesens in die Seinslogik hineingeschoben.3 Wichtiger ist vielleicht, daß Hegel den Versuch preisgibt, das Dasein selbst zunächst als seiend, in einer Unbestimmtheit gegen (s)ein Anderes, zu betrachten. Beim Übergang des Maßes (§§ 110-111) wird das Maß in dem Maßlosen als eine relative Identität von Qualität und Quantität aufgewiesen. So ist diese Einheit, die keine Unmittelbarkeit mehr darstellen kann, die Negation der Negation, die ihre einfache, affirmative Unmittelbarkeit als Resultat nur vermittels der unterscheidenden Negation gewinnt.^ - Man kann vermuten, daß hier eine einfache, unmittelbare Negation aufgezeigt wird.
3 Vgl. ZU dieser Tendenz D. Henrich: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1975.147 Anm. ^ Zugleich wird durch diese ausgeführte negationstheoretische Straffung der Vokabel ,Entäußerung' vermieden.
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Diese kann nicht mehr innerhalb der Seinslogik verbleiben, wenn sie als Negation verstanden wird, weil sie dann die Unmittelbarkeit des Seins selbst durchbricht. Für die Lehre vom Wesen arbeitet Hegel die Einleitung um. Dabei kann man sich fragen, ob sich diese Veränderung noch auf eine didaktische Fassung - wie bei verschiedenen einleitenden und zusammenfassenden Paragraphen - beschränkt oder ob konzeptuell sich etwas verschiebt?5 Für die letztere Alternative spricht, daß im § 112 das argumentative Verhältnis von Reflexion des Wesens und Schein genauer vom Wesen aus herausgestellt wird: Das Sein ist nur Scheinen. Dadurch karm § 113 - methodisch - in die Form der Unmittelbarkeit überführt werden (in Beziehung auf HE § 65). Diesem Eingriff gemäß differenziert § 114 A(nmerkung) weiter Seins- und Reflexionsbestimmtheiten; § 114 selbst macht die Schwierigkeit namhaft, daß jedes Wesen, abstrakt gefaßt, immer nur ein Unwesen ist, wie es auch von den Nominalisten verstanden wurde. Vermutlich zielt also diese letzte Bemerkung darauf ab, die Problematik des Empirismus, die im Vorwort ausführlicher angezeigt worden ist, zu entschärfen: nur so läßt sich die kritische Pointe des hervortretenden Empirismus integriert übernehmen. Daher kann man vermuten, daß in dieser Empirismus-Problematik der Anlaß zu weiteren Umarbeitungen in der Lehre vom Wesen liegt. So wird die Existenz - nach einigen bloß überschriftsmäßigen Umstellungen - zu einer ,Welt der Erscheinimg' (§ 132) imd zu ,Inhalt und Form' (§ 133) ausgeweitet. - Vielleicht wird das Weglassen der Inhaltskomponente des spekulativen Logischen im ,Näheren Begriff' (HE § 17) dann auch dadurch verständlich, daß der Gehalt des Empirismus nur in Reflexionsbestimmtheiten gefaßt werden kann, so daß der Inhalt am Anfang entgegen seiner Bedeutung nur als aufgenommen anzusehen wäre, während er aus der Methode abgeleitet werden muß. Das Logische ist, so die Betonung Hegels, die autonome Entfaltung einer in und aus sich konkreten, nicht-empirischen Philosophie: Die Denkbestimmungen sind deshalb kein vorgegebener gesonderter Inhalt. - Der empirische Inhalt dagegen hat ein Moment des Bestehens (§ 134), das sowohl der Form der Philosophie wie selbst den Inhaltsbestimmtheiten der Natur- oder Geistesbestimmtheit fremd und äußerlich ist (vgl. auch den neuen § 12). Zuletzt pointiert die Wirklichkeit (§ 144) die einfache Möglichkeit als schieren Zufall, der die bloße Äußerlichkeit eines Wirklichen ist. Diese Äußerlichkeit selbst wird (§ 147) Totalität der Form, die die Momente der Be-
5 Eine bloße Textkorrektur gibt § 140 = HE § 89.
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dingung und der Sache als wechselseitig Vorausgesetztes und Gesetztes betätigt.^ Auch hier ist der Prozeß des Wirklichen bei der selbständigen Existenz der Momente eine nur äußere Notwendigkeit. Beim Begriff scheint alles beim ältesten Alten zu bleiben: Aber wichtige Details werden hier hervorgehoben. Nicht mehr die theologische oder religionsphilosophische Problematik tritt in den §§ 170 und 171 beim Urteil in den Vordergrund, - weil HE § 119 A der Sache nach jetzt in § 31 A aufgenommen worden ist, - sondern der bestimmte Inhalt des einander äußerlichen Subjekts und Prädikats. Die Urteilsidentität wird da zwar gesetzt, sie bleibt aber wesentlich abstrakt. Diese Abstraktion zeigt die Aufgabe an, eine vernünftige Identität als Erfüllung der copula herauszustellen.7 Im Versuch der vernünftigen Erfüllung zeigt sich im neuen § 182 A der urunittelbare Schluß als Schluß der Endlichkeit der Dinge. Solches (empirisches) Schließen bleibt eine subjektive Verstandesaktivität. Und zu einer Kritik des empirizistischen Verständnisses der Induktion ringt sich § 190 mit A durch.8 Die Umarbeitung der §§ 195-197 aus HE §§ 143-145 wendet sich gegen einen (unzureichenden) Mechanismus sowohl des Handelns wie der Frömmigkeit. Vermuten oder Wünschen, daß das menschliche Handeln sich in diesem Mechanismus erschöpft, ist wenigstens ein ,Kategorien'feh1er, und dieser wird dementsprechend gerügt. Dagegen wird eine alternative, vernünftige Darstellung der vorerst mechanischen Objektivität des Sormensystems wie des Staates (§ 198 A) angeboten. - Vielleicht kann man auch hier die Diskussion mit dem Empirismus vermuten: die mechanische Darstellung von Natur und Sittlichkeit ist zwar möglich, zumindest bei der Sittlichkeit aber ist diese Darstellung nicht ausreichend. Weitere Änderungen führt Hegel in der Idee des Lebens aus. In der Einleitimg (§ 216) betont er die Einzelheit des Lebendigen. Das Leben ist einerseits nur da als Lebendiges. Damit verbindet er eine Kritik am vulgären CARTEsianismus, die er aus HE § 165 A in den Haupttext aufgenommen
* Vgl. G. Baptist: 11 Problema della Modalitä nelle Logiche di Hegel. Genova 1992.203. - Gegen die von ihr vorgeschlagenen Historisierung der „Wirklichkeit" möchte ich doch die erfahrungsmäßige Empirizität überhaupt, die Natur imd Geist umfaßt, betonen. t Die Grundauffassung jedes Empiristen, daß der Satz (oder das Urteil) der sprachliche Ort der Wahrheit sei, wird lücht bloß negiert, sondern - nach Hegel - als aufgehoben integriert. 8 Damit soll HE § 140 wegfallen: Das Objekt ist keine Instanz, der der Begriff als eine subjektive, sich entschließende Aktivitäf gegenübertritt, ln dieser Hinsicht werden in §§ 210-212 aus HE die §§ 159-160 umgestaltet: die Pointe berührt die Einseitigkeit eines nur Subjektiven gegenüber dem bloß Objektiven.
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hat. Andererseits hat die Idee sich dennoch von diesen unmittelbaren Lebendigen, und damit von der Unmittelbarkeit überhaupt, zu befreien, um zu ihrer Wahrheit zu kommen (§§ 224 (2. Teil) und 225). Die Idee des Erkennens wird tiefgreifend geändert. Hegel führt sie ausdrücklich als endliches Erkennen ein, das sich zur Wahrheit zu erheben (§ 224) und damit die Einseitigkeit der Subjektivität wie diejenige der objektiven Welt aufzuheben hat (§ 225). Das Erkennen als solches wird in Gegensatz zu HE § 171 nicht mehr als die subjektive Idee ausgeführt, deren bloße Einseitigkeit zu beheben wäre {HE § 171), sondern als eigenes Verhältnis der Reflexion (§ 226). Die Aufnahme der seienden Welt als des gegebenen Stoffes versperrt dem Erkennen die Möglichkeit der Wahrheit selbst, weil die Begriffsbestimmungen als verschiedene ihm äußerlich bleiben. Als bloß theoretische Idee kann sie damit auch nicht mehr, wie HE § 178, als selbständige Subjektivität betrachtet werden, ebensowenig wie die einseitig erkennende Subjektivität allein nicht dazu ausreicht, die Objektivität insgesamt - sei es bloß formell - aufzuheben wie noch HE § 180. Mit dem Reflexionsverhältrtis selbst im Erkennen überhaupt beschränkt sich das Verwirklichen des Guten auf ein neues Erzeugen des Gegensatzes von Subjektivität einerseits und Objektivität als Sollen andererseits in einem unendlichen Progreß, der statt des Endzwecks des Guten (HE § 181) auftritt, der selbst wiederum eine Subjektivität sein könnte.^ In der absoluten Idee wird ebenfalls eine methodische Straffrmg der Überarbeitung, wie sie schon in der Seinslogik angetroffen worden ist, deutlich. Nicht sosehr die unreflektierte Einheit eines Unmittelbaren (lebendig: HE § 187) wird hervorgehoben, sondern die irmere, widersprüchliche Bedeutung jedes Begriffs. Der unendliche Progreß nun, der dem Empirismus anzugehören scheint, und sowohl im Erkermen wie beim Zweck eingeführt worden ist, wird ebenso als eigenes Verstandsmoment gegenüber diesem Widerspruch anerkannt (§ 242). Am tiefgreifendsten aber ist der Übergang zur Natur überarbeitet worden. Verschwunden ist der Terminus ,unendliche Wirklichkeit'. Neu sind dagegen 1827 (§ 244) die folgenden Begriffe: Anschauung, betrachtet, einseitig und äußerliche Reflexion. Eine Konzeptionsänderung ist vielleicht dadurch noch nicht zu beobachten. Doch ist eine Nuance angebracht. Wo 1817 die Natur als das Fürsichwerden der Idee und damit als zweites Moment einer nur mit dem Dritten vollständigen, umfassenden Triade gedeutet werden kann, bleibt jetzt diese Möglichkeit auf der Strecke. Wo HE § 191 9 Vielleicht entspricht dem Empirismus-Problem gerade die sich als exklusive verstehende Dichotomie zwischem (erkennbarem) Sein und (nur postulierbarem) Soll.
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das Fürsichsein eine Wirklichkeit aufschließt, ist das Für-sich 1827 nur lesbar als isoliert, durch äußerliche Reflexion gesetzt. Die Idee, gerade nicht in ihrer Wahrheit, ist Anschauenio oder Unmittelbarkeit, die als einfache und einseitige Negation gedeutet wird, sofern sie nicht als Stufe ihrer Wiedererfassung erscheint. So scheint Hegel 1827 eine Wiederannäherung an den Text der Wissenschafl der Logik vorzunehmen. Insgesamt kann die Revision der Logik als ein durchgängiges Hervortreten der doppelten Negation verstanden werden, die die einzige Denkaktivität darstellt. Um die Differenziertheit dieser Aktivität zu zeigen, werden die wichtigsten Texte, die diese Funktion belegen, grundlegend erneuert: Dasein, Wesen und auch der Übergang zur Natur als der bloßen, für sich seienden, unmittelbaren Negation. Diese Denkaktivität aber ist keine subjektive, wie sie der Empirismus vorschlägt. Die Fassung von 1827 kann so interpretiert werden, daß sie von der empiristischen Problematik veranlaßt wurde. Gegen den Empirismus betont aber Hegel den aboluten Charakter, nicht eines Ens, sondern der logischen Bewegung, der Methode oder des Denkens. Diese letzte Behauptung läßt sich am Vorwort erhärten.
b: Zum Vorbegriff der Logik In diesem Abschnitt behandele ich nicht bloß den Vorbegriff, sondern auch die Einleitung zur Seinslehre. Derm nur in Beziehung zum Vorbegriff kaim die Bedeutung dieses Eingriffs eingeschätzt werden. Vorerst muß man schon auf die Ausweitung des Vorbegriffs der Logik hinweisen. Dieser umfaßt nun eine ausgearbeitete Fassung des Empirismus und eine dritte SteUvmg des Gedankens zur Objektivität. Aber schon in der Einleitung hat Hegel den Status des philosophischen Gedankens selbst präzisiert. Von reinem Denken selbst ist das (subjektive) Wollen zu entfernen (HE § 36, jetzt § 17): nur ein individuelles Subjekt kann sich dagegen zum Philosophieren entschließen. Mit dieser Entsubjektivierung des Gedankens verschwindet auch der Charakter der Logik, ,subjektive Wissenschaft' (HE § 17 A) zu sein. Die Logik gelangt nicht zu ihrer zusätzlichen Wahrheit als spekulative Theologie; sie ist die einzige spekulative Philosophie, die den Gehalt der Wahrheit als 10 Wenn man schon hier interpretiert, wie es 1830, § 445 A erlaubt, dann ist die Erwähnung der Anschauung, die nur im Denken ihre Wahrheit findet, ein grundsätzliches Herabsetzen der Natur.
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Wahrheit darzustellen hat (vgl. § 70). Dieser Gehalt ist kein der Denkbewegung fremder Inhalt, sondern er ist nur die negative Totalität der Begriffe. Diese sind zwar auch zur Grundlegung der spekulativen Theologie geeignet,ii deshalb werden sie als Definitionen Gottes (§ 85) verwendet; aber in dieser Form ist es nicht das Logische selbst, das hervortritt (§ 31 A). Denn in den Definitionen tritt der Gedanke selbst nicht heraus, er bleibt bloßes Substrat. 12 Oder: die Form des Gedankens selbst ist, als ,objektiver Gedanke', wesentlich ausgezeichnete Leistung der logischen Bewegxmg. Und, wie vorhin herausgestellt, ist sie nur die Selbstdifferenzierung der methodisch gefaßten Negation. Diese Präzisierung bedeutet keine innersystematische Schwankung, die sich dann in einer Änderimg des Gedankens selbst, d. h. der ganzen Logik, darzustellen hätte. Aber diese genauere Fassung kormte sich doch für einen den bloßen Text überschreitenden Bezug auf SCHELLING als wichtig erweisen.
2. Zur Realphilosophie Wie sich heraussteilen wird, kann man die Änderungen oftmals als Resultat von Hegels gehaltenen Vorlesungstätigkeit betrachten. Wenn dies aber stimmt, dann werden für die genaue Entwicklungslinien gerade diese noch nicht allgemein zugänglichen Vorlesungen wieder außerordentlich wichtig!
a: Naturphilosophie Die Modifikationen innerhalb der Naturphilosophie betreffen die Einleitung, die neue Gliederung und eine durchgängige Bearbeitung.i3 Diese Änderungen beruhen ihrerseits auf einer umgearbeiteten Darstellung der Naturphilosophie in den Vorlesungen, wie man nach der Edition von 1819-20 beachten karm. 11 Man könnte vermuten, daß die spekulative Bestimmtheit der Religionsphüosophie wesentlich aus der Logik herkommt; vgl. dazu die Logik-Vorlesung 1817; aber aus der Religionsphilosophie ist ersichtlich, daß die Logik auch einzige Grundlegung und Wahrheit der spekulativen Theologie oder des absoluten Geistes ist. 12 Vgl. H. F. Fulda: Philosophisches Denken in einer spekulativen Metaphysik, ln: Transformation der Metaphysik. Köln 1991.62 ff. 13 Vgl. die Anmerkung der Herausgeber: 465 ff.
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Die Einleitung in die Naturphilosophie richtet sich gegen eine Naturvergötterung; Die Natur ist weder göttlich noch eine empirische Quelle der Wahrheit, sofern die Natur nur die Ohnmacht und die bloße Notwendigkeit des Begriffs zeigt. Deshalb kann die empirische Physik zwar der Entstehung der Naturphilosophie fördern, aber sie darf nicht als mit ihr gleichartig betrachtet werden. Die Neuordnung des ersten Teils der Naturphilosophie auf eine Frage der Gliederung zurückführen, die statt vier jetzt drei Teile enthält, könnte die philosophische Bedeutung dieses Wechsels verunklaren. 1817 bietet die Mathematik keine Rekonstruktion einer natürlichen Gegebenheit, sondern gibt nur die möglichen Begriffe an die Hand, die noch als Abstraktionen, als hintergründige Gedankenbestimmtheit oder bloße Form dargestellt werden. Damit aber ist keine Gegeninstanz zur Logik vorgeführt. Diese empirische Gegeninstanz ist vielmehr Hauptthema der Mechanik (1827): die Materie selbst wird vollständig aus Begriffen des Außersichseins rekonstruiert. Wo 1817 die Mathematik analog einer quantitativen Bewegungslehre entsprechend der quantitativen Werdensdialektik aufgebaut wird, ist die Darlegung der Materie und ihrer Bewegung, mit Aufnahme der vorherigen, leicht umgestalteten Dialektiken, Hauptziel des Vorgehens. Hegel zeigt, wie das erste Dasein der Natur gerade die Materie ist. Damit wird eine physische Gegebenheit als bloße Begrifflichkeit expliziert. Weitere Anmerkungen zeigen ähnliche Pointen: Nicht sosehr eine metaphysische Naturauffassung ist zu kritisieren, sondern die Naturphilosophie muß die Abstraktionen des Verstandes in den wissenschaftlichen Resultaten kritisch betrachten. Deshalb wird die abstrakte Universalisierung gerügt (§ 276 A); so wird auch die differenzierende Betrachtung gegen die Zahlverhältnisse verteidigt, denn eine wirkliche Gesetzmäßigkeit karm nicht auf bloße Quantität reduziert werden (§ 280 A).
b: Philosophie des endlichen Geistes Die Änderungen im subjektiven Geist beziehen sich weitgehend auf die Anthropologie und weniger auf die Psychologie, für die Hegel eine eigenständige Veröffentlichung geplant hatte; zudem wird eine neue Einleitung hinzugefügt. Diese Einleitung erinnert an die rationale Psychologie und kritisiert so die empirische Psychologie, die weder als Grundlegung der rationalen Metaphysik noch zur spekulativen Philosophie des Geistes ausreicht! Beide Kritikpunkte findet man ebenso in der Anthropologie; denn die Empfin-
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düng ist unzureichend als Quelle der Grundsätzei^ und völlig verfehlt als Rechtfertigung derselben (§ 400 A). Kritisch gegen eine physische Totalisierung gewendet sind die Bemerkungen über die Kategorienfehler der physischen Ursachen historischer Ereignisse (§ 392 A); in diesem Sinn lehnt Hegel auch die Ideenassoziation (§ 398 A) ab. Daß die spekulative Anthropologie sich selbst als wirklicher Nachfolger der empirischen betrachtet, zeigt die Aufgabe der zukünftigen Leistung einer psychischen Physiologie (§ 401 A). In der Psychologie wird die Bedeutung der wahren, philosophischen Psychologie betont, die den Begriff und die Befreiung des Geistes zu sich statt das Materielle der Vermögen und Kräfte aufweist (§§ 440 A und 442 A). Umgestaltet ist gleichfalls die Anmerkung über das Denken; eine ausführliche Erwähnung der ,Fundstellen' des spekulativen Denkens wurde beschränkt (§ 467 A). - Bezogen auf die neuesten Kenntnisse der Sprachforschung und Historiographie sind die Anspielungen zum Schacht der Erinnerung (§ 453 A) und die seitdem berühmte oder berüchtigte, sogenannte logozentrische Amnerkung zur Sprache (§ 459 A). Alle Umarbeitungen scheinen eine doppelte Beziehimg zur (positiven) Wissenschaft imterstreichen zu wollen. Wissenschaftlich aufgearbeitete Phänomene werden aufgenommen, damit sie die Relevanz der spekulativen Philosophie verdeutlichen können, aber so, daß sie die Möglichkeit bieten, die Spezifizität dieser Spekulation hervorzuheben. Die Änderungen innerhalb des objektiven Geistes scheinen noch gewichtiger zu sein. Obwohl dieser Teil nur die für Vorlesungen geeignete Kurzfassung der Rechtsphilosophie sein soll, bietet er dermoch eine ziemlich umfassende Ausarbeitung der Sittlichkeit. Auch hat die Kürzung des äußeren Staatsrechts im Vergleich mit HE nicht sosehr mit dem Übergang zum absoluten Geist zu tun, als vielmehr mit den internen Schwierigkeiten der logischen Gliederung des Staatsrechts selbst, wo Hegel auf den Lebensbegriff und nicht auf den Begriff des Guten zurückgreift, is - Daß Hegel sich mit der Begriffsentwicklung schwer tut, zeigt der Verzicht auf Hinweise zur logischen Struktur der Philosophie des objektiven Geistes: HE § 401, wo diese als Recht, Moralität und Sittlichkeit noch nach Begriff, Urteil und Schluß verstanden worden sind, oder HE 417, der das Reflexionsurteil be-
u Diese Einschätzung entspricht derjenigen der Religionsphilosophie: Wo die Empfindung am Anfang schroff abgelehnt wurde, ist sie um 1827 notwendig, aber unzureichend als Rechtfertigung der Religion. 15 Leider ist ein Hinweis der Herausgeber falsch: HE §§ 442-444 werden nicht § 547, sondern §545.
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tont, sind ausgelassen, ohne daß Hegel neue begrifflich einsehbare Gliederungen vorgeschlagen hat, obwohl aus den Nachschriften solche Versuche sichtbar werden. - Die Behandlung der Geschichte nimmt einerseits den Hauptgedanken des ,Ersten Entwurfs' zur Geschichtsphilosophie auf. Eine Verdeutlichung bietet andererseits § 552: Wo in HE § 452 die Furcht des Todes, in Nachklang von HE § 355, das Ende des selbstbewußten, endlichen Geistes aufzeigt, bietet § 552 das Ende des endlichen Geistes überhaupt und damit auch der Natur dar. Diesem zu-Ende-Gehen entsprechend entfaltet die Anmerkung Gottesbeweise in einer Version der Negation des Ausgangspunkts.
d: Philosophie des absoluten Geistes Nach der Einführung einer neuen Einleitung zum absoluten Geistes, in der die Realität des absoluten Geistes zur Gemeinde (§ 554) auch umgestaltet worden ist, wird der Abschnitt über die Kunst umgearbeitet. Doch scheint der Einfluß der Ästhetik-Vorlesimgen, in Gegensatz zu derjenige der Religionsphilosophie, ganz gering einzuschätzen zu sein: Die Kunst wird, obwohl nicht mehr die Kunstreligion Thema ist, zwar mit einigen romantischen Konnotationen, wie Genie, versehen, sie wird aber in Sittlichkeit und Sitte (§ 557) einerseits und Religion (§ 563 A) andererseits eingebunden, so daß die Kunst nicht autonom wird. Von dieser Abhängigkeit zeugt auch die neue Anmerkimg über das Verhältnis von Religion, Staat und Wahrheit der Spekulation (§ 563 A). Wichtiger noch als die Kunst-Diskussion ist das erstmalige Erwähnen der ,Schlüsse' der geoffenbarten Religion (§ 571), die ihren ganzen Inhalt gestalten. Durch die Betonung der Verstehbarkeit zeigt Hegel sich von der Kraft seiner Spekulation überzeugt.
3. Resultat Insgesamt zeigt die Umarbeitung der Enzyklopädie (1827), daß sie einerseits von der empiristischen und wissenschaftlichen Problematik berührt und angeregt und andererseits von den gehaltenen Vorlesungen bereichert wurde. Indem Hegel gleichzeitig die Spekulation herausstellt, bietet sich ihm die Möglichkeit, den Dogmatismus überhaupt zu kritisieren. Sowohl gegen den Natur-Dogmatismus der physischen Wissenschaften wie gegen den Religions-Dogmatismus der (katholisch-inspirierten?) Konfessionali-
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sten bietet Hegel die stringent ausgebaute Methode der spekulativen Negation auf.
II. Die Ausgabe von 1830 Schließt die Umarbeitung in 1830 sich der gleichen Tendenz an? Überprüfen wir dazu erst die Änderungen. In Beziehung auf die zweite Fassung, die mit Ausnahme der Schlüsse der Philosophie als Grundtext auftritt, kann man in der endgültigen Version Umarbeitungen beim Unterschied, am Galvanismus, beim Übergang des Lebens einerseits und eine veränderte Gestaltung des ,freien Geistes' andererseits feststellen, f6 Terminologisch ist, gegen die Herausgeber dieser Werke, keine Eliminierung des Terminus ,Bestimmen' festzustellen.
1. Logik Zusätzlich zu den wiederum stilistischen und vielleicht didaktischen Veränderungen kann man eine genauere Ausarbeitung der logischen Termini feststellen. Ist hierin schon ein Vorgreifen auf die zweite Fassung der Logik zu beobachten? Dabei werden Begriffe hinzugefügt wie ,gesetzt' oder ,Setzen'18 ,für sich' (§ 112). Zusätzlich wird die ,Negations'terminologie (§§ 135, 216) erweitert, auch ist eine erweiterte Berücksichtigimg der logisch-wissenschaftlichen Praxis beim Schluß (§§ 183 A-184 A) zu beobachten. Jetzt wird der Anfang der Philosophie noch weiter entsubjektiviert; nicht mehr als gewollt, sondern als notwendig („müssen" in § 17) ist er charakterisiert. Das Wollen bleibt nur beibehalten für das Subjekt, das philosophieren will.i^ Insgesamt zeigt diese dritte Version eine genauere Fassung im Hinblick auf (falsche) Metaphysik und auf die mögliche Differenzierung der Formen des Erkennens (§§ 20 A, 130 A). So gilt bereits jede Verstandesleistung und jedes natürliche Bewußtsein als eine Art Metaphysik (§ 130 A), wie sie 16 Nicht auf jeder Seite sind die mehrseitigen Zufügungen vermerkt, was das Einheitsbild der Gesammelten Werke beeinträchtigt imd das differenzierende Lesen ziemhch erschwert. n Leider wird dieser Terminus ja § 165 A, § 223, § 366 und S, 250, Z 12 auch neu hinzugefügt. 18 Vgl. z. B. §§ 111,112,143,180,196,200,204 A, 223. 19 Insgesamt sind die Umschreibungen nicht unwichtig für die genaue Beurteilung der um diese Zeit aus München sich artikulierenden Attacke Schellings,
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denn auch im Empirismus erscheint (§ 38 A). Insgesamt wird das natürliche Bewußtsein in immer neuen Diskussionszusammenhängen kritisiert, und zwar nicht wegen der von ihm vollbrachten Leistungen (vgl. § 231 A (Z. 18-19)), sondern insofern es metaphysisch verfährt (§§ 115 A, 130 A, 164). So steht auch die Wahrheitssuche des endlichen Erkennens unter Leitung des Begriffs (§ 226): Also zeigt sich schon hier die Vermmft in der (empirisch erschlossenen) Wirklichkeit. Die 1827 neu angesprochene Pantheismusdiskussion wird durch Anführung der These, Pantheismus sei Atheismus (§§ 50 A, 71 A) verschärft, die Hegel mit der Einführung des Nichts der Buddhisten (§ 87 A), mit der HERDERschen Verwirrung (§ 136 A) imd mit einer ausführlichen Erörterung der jACOBi-SpiNOZA-Diskussion (§ 153 A) zu entkräften sucht. Hierbei beruft er sich ausdrücklich auf den Status einer philosophischen Theorie, um nicht mit einer ,Definition oder Anschauung' des Absoluten anfangen zu müssen (§ 86 A). Eine methodische Überarbeitung schließt ein letztes Relikt der Logik von 1806 dadurch aus, daß Hegel nicht mehr die Bestimmtheit selbst als Begriffsmoment faßt, die so in sich zur Einzelheit wird (§ 163). Zugleich macht Hegel den Versuch, die exklusive Einzelheit als ,Singularität' (§ 175) von der Einzelheit zu unterscheiden. Systematisch geschliffen sind 1827 neu eingefügte Passagen wie die Einleitung der Wesenslogik. Auf einen geschliffenen Begriff bringt Hegel die Erscheinung, die als das entwickelte Scheinen gesetzt wird (§ 131). Einmal beseitigt er den erst 1827 eingeführten ,unendlichen Progreß' im § 212. Eine Konzeptionsänderung ist dabei nicht zu entdecken; vielleicht ist allein die nähere Erkundung der Vernunft, auch wo die Phänomene kritisiert werden, die auffälligste Neuerung.
2. Naturphilosophie In der Einleitung zur Naturphilosophie wird die Individualität als natürliche, sinnliche hervorgehoben (§ 245); im Begriff der Natur wird die notwendige Existenz des Geistes betont, wogegen jene sich abhebt (§ 247). a: Vermutlich im Zusammenhang mit der Unterscheidung der Formen der Erkenntnis, mit der Diskussion des Verstandes in der Logik führt Hegel eine Diskussion der Vorstellungsebenen aus. Er richtet sein Augenmerk auf die Unterschiede von rein spekulativer Philosophie, spekulativer Naturphilosophie und empirischer Theorie einerseits und der vorgestellten, verstandenen Sache andererseits. Insgesamt kann man also eine weitere
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Differenzierung zwischen den begrifflichen Terminologien, der naturphilosophischen Begrifflichkeit der Kategorien und den abstrakten Begriffen der Theorie und der Eigenständigkeit der anvisierten Realität (Anwendung von Kategorien) feststellen.20 So wird das metaphysische Unding in den Verstandeswissenschaften gerügt (§ 272). Es folgt auch eine Diskussion der wissenschaftstheoretischen Schwierigkeiten der Theoriebildung in der Physik (§§ 318 A, 320 A) in dem Sinn, daß die empirische Physik nichts mehr zu begreifen, aber dennoch viel zu verstehen hat (§ 334 A). b: Eine zweite wichtige Präzisierung betrifft das lebendige Individuum. Zuerst betont Hegel, daß die Endlichkeit beim Leben endigt. Die Subjektivität des Lebens, das Subjekt selbst wird hervorgehoben2i, gerade mit einem Hinweis auf die logische Idee (§ 337). Aber, unerachtet seiner individuellen Subjektivität, ist das Tier noch nicht für sich; es macht noch keine negative Rückkehr in sich (§ 365), sondern es erreicht nur eine ihm eigentümliche Gestalt; das Zusammenschließen mit sich realisiert hier nur den Tod des Individuums, des Natürlichen.
3. Geist Hierin ist die scheinbar wichtigste Differenz gleich namhaft zu machen; die trichotomische Gliederung der Psychologie zum Aufbau des ,freien Geistes', die aber eine bloße Umstellung bedeutet, weil die Gedanken selbst nicht geändert worden sind. Vielleicht entspricht diesem Umstand das Auftreten des ,Endzwecks', der aus dem logischen Gang ausgeschlossen worden ist, im Bereich der Geschichte (§ 549). Kleinere Änderungen betreffen die Umbenermung im Gefühl und die Ausarbeitung der Gewohnheit. Weiter wird betont, daß Anschauung und Vorstellung nur Wahrheit als Denken, selbst als Verstandsdenken erreichen (§445A). Die wichtigsten begrifflichen Änderungen gehen vor sich im Bereich der Religion. Die Erschaffung als vorstellungsmäßiger Ausdruck des Wissens wird ausgelassen (§ 442 A), hinzu kommt aber die Bedeutung der Religion für das Individuum (§ 406 A) und als ,absolute' Substantialität der Sittlich-
20 Vgl. §§ 258 A, 288 [.Seiten' statt .Momente'], 291 A, 293 A, 298 A, 312 A, 313 A, 324, 328, 329,334 [.Prozesse' statt .Momente']. 21 Der Gnmd ist vermutlich die Änderung der internen Gewichtung der logischen Ideenlehre: erst 1830 verschwindet die Subjektivität als exklusives Charakteristikum der Idee des Erkennens überhaupt.
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keit (§ 540). Erstmals deutlich merkbar ist der Einfluß der Ästhetik-Vorlesungen. Aufgenommen wird nicht nur die Einteilung der Kunstformen, sondern darüber hinaus wird die Problematik angesprochen, daß die Kunst die Natur überhaupt nicht nachzuahmen hat, obwohl die Leiblichkeit der wahrhafte Ausdruck des geistigen Gehalts ist (§ 558 A). Neu gegliedert wird der ganze Abschnitt über die geoffenbarte Religion. Die Kreise der reflektierten Vorstellung bilden nur den ersten Teil, wogegen der Glaube und die Andacht die Einheit der Religion ausmachen (§§ 565, 566 und 571). - Damit versucht Hegel eine Bedrohung durch die Theologie abwehren zu körmen: er verstärkt nicht mehr die aufklärerische Tendenz in Sachen der Religion, sondern weicht aus. Die Philosophie selbst aber nimmt keine ihrer Ansprüche zurück, mehr noch: sie bestätigt aus sich die Gliederung der Erscheinung zu liefern: sie wiederholt (aus HE) die Schlüsse ihrer Vermittlung mit sich.22 Mit dieser letzten Umarbeitung, die die Wirklichkeit des Geistes ins Denken umformt, kommt Hegel ein letztes Mal auf ein Problem seiner ganzen Philosophie zu sprechen: die Wirklichkeit der Idee, gemäß der Idee, nach der Idee.23 Welche Art Wirklichkeit, die nicht einfach empirisch gegeben ist, die Realphilosophie visiert, scheint Hegel also erneut zum Problem geworden zu sein. Die Idee erreicht zwar keine Wirklichkeit in der Natur (weggefallen in § 368 A), aber zugleich ist die Existenz des Geistes, obwohl wahre Wirklichkeit, nicht Wahrheit und Endzweck der Idee (§ 251). Aber was heißt dann und wo geschieht das Sich-Genießen der Idee (§ 577)?24
22 Was es mit den Problemen des Aristoteles-Zitats 1827 auf sich hat, bleibt unklar. Der Hinweis auf die Anmerkungen erläutert wenig: vielleicht meinen die Herausgeber nur, daß Hegel nicht dem ihm geläufigeren Erasmus-Text, sondern diesmal dem Casaubonschen folgt. Aber auf Differenzen mit der jetzigen Version wird ebensowenig hingewiesen. Mit der Version 1830 ändert sich diese problematische Sache leider nicht. 23 Ein Satz weist vielleicht schon auf die geplante und in Angriff genommene Neu-Auflage der Phänomenologie des Geistes hin: § 441, der parallel zur Wirklichkeitsproblematik die Bewußtseinsproblematik erneut ins Bhckfeld bringt. 24 Verfasser war während der Abfassung ,Onderzoeksleider' beim Belgischen Nationaal Fonds voor Wetenschappelijk Onderzoek.
BURKHARD LIEBSCH (ULM)
PROBLEME EINER GENEALOGISCHEN KRITIK DER ERINNERUNG Anmerkungen zu Hegel, Nietzsche und Foucault
I. Was zu Ende gegangen ist, ist am Ende xmd muß nicht mehr bekämpft werden, so scheint es. Mit Hegel verhält es sich anders. Mit Hegel ist etwas zu Ende gegangen, was offenbar nicht am Ende ist, wie aus den Auseinandersetzungen um das Erbe seiner Philosophie zu ersehen ist. Nach Hegel, bemerkte MERLEAU-PONTY in seiner am College de France gehaltenen Vorlesung Die Möglichkeit der Philosophie, „tritt eine philosophische Leere auf, was nicht heißen soll, daß Denker oder große Geister gefehlt hätten, sondern daß MARX, KIERKEGAARD und NIETZSCHE jeweils mit der Leugnung der Philosophie begonnen haben. Gelangt man mit ihnen in eine Zeit der Nicht-Philosophie? Oder ist diese Zerstörung der Philosophie deren Verwirklichung? Oder bewahrt die Philosophie ihr Wesen, aufersteht sie aus ihrer Asche .. .?"i Tatsächlich sind die Wege der Geschichte philosophischen Denkens seit Hegel gepflastert mit Werken, die durch den „Kampf gegen Hegel und die klassische Metaphysik beherrscht" und gerade deswegen mit dem Ziel ihrer Angriffe „solidarisch" erscheinen. Philosophie „nach Hegel" ist nicht unbedingt auch über Hegel hinaus. Und es gibt andere Möglichkeiten als die einer Überwindimg durch Überbietimg, die wiederum eine philosophische zu sein hätte. Gerade darauf will MERLEAU-PONTY aufmerksam machen: An die Stelle einer metaphysischen Philosophie kann auch eine Nicht-Philosophie treten, „in der der einzige gemeinsame Nenner der Philosophen eine gewisse moderne Verworrenheit" (oder postmodeme Unübersichtlichkeit) ist. Da wir die neue Philosophie, die sich legitimerweise in dieser Situation behaupten dürfte, nicht kennen, „liegt es an uns, sie angesichts der gegenwärtigen Welt zu schaffen; in dieser Welt wird es evi-
1 M. Merleau-Ponty: Vorlesungen I. Berlin/New York 1973. HO.
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dent, daß die Negation der Philosophie durch MARX und NIETZSCHE keinen Ersatz für die Philosophie darstellt".^ Wird eine „neue" Philosophie auf eine Wiederauferstehung der „alten" oder auf deren bloße Variation innerhalb eines längst ein für allemal gestifteten begrifflichen Rahmens hinauslaufen? Speziell eine antihegelsche Rhetorik unterstellt, dieser Rahmen selbst könne und müsse gesprengt werden selbst wenn man sich auf diesem Wege, wie etwa im Fall ADORNOS, „hegelscher Mittel" bedienen müsse.3 Heißt am Ende auf Hegel zu „verzichten", wie es RICOEUR fordert, „ihm folgen im Verzicht auf das, was als bloße ,Magie' aufgegeben werden muß"?4 Kann sich der Versuch einer radikalen „Lossage" (ADORNO) von Hegels eine solche, von manchen für vmverzichtbar gehaltene Loyalität noch eingestehen? Steht zu erwarten, daß der „archimedische Punkt", von dem aus die Hegelsche Philosophie aus den Angeln zu heben wäre, in der Reflexion je gefunden werden wird?6 Werm nicht, kann dann der Versuch eines „Verzichts" auf Hegel, einer „Verabschiedung" oder einer bekennenden Lossage von Hegel nur in der problematischen Form einer Vergleichgültigung oder eines Vergessens „gelingen", das gewiß zum Scheitern verurteilt wäre? So gesehen werden in der Tat die „Schwierigkeiten beim Versuch, ein Hegelianer zu sein, nur noch übertroffen ... durch die Schwierigkeiten beim Versuch, kein Hegelianer zu sein".7 So hat es auch FOUCAULT gesehen, als er über den Autor der Maitres penseurs schrieb, es bleibe „seine Frage wie für jeden Philosophen seit 150 Jahren: wie nicht mehr Hegelianer sein? Allerdings fragt sich GLUCKSMANN nicht, wie man Hegel umdrehen, auf die Füße oder auf den Kopf stellen, von seinem Idealismus befreien, mit Ökonomie beschweren, fragmentieren, humanisieren könne. Sondern wie überhaupt nicht Hegelianer sein."8 FOUCAULT unterstellt in der zitierten Rezension, daß es sich hier nicht bloß um ein Spiel handelt, dessen man mit recht überdrüssig sein könnte, wenn nicht auch das Recht einer Sache in Frage stünde, die die Hegel-Kritik noch immer in Atem hält. FOUCAULT selbst deutet diese Sache nur an. Eine hegelianisch belastete Philosophie mache uns „den Tod der anderen erträglich", indem sie die geschichtliche Wirklichkeit „rationalisiert" und rechtfertigt. 2 Ebd. 111. 3 H. Schnädelbach: Vernunfl und Geschichte. Frankfurt/M. 1987.179 ff. 4 Vgl. die Ausführungen von O. Pöggeler und E Hogemann unter dem Titel Auf Hegel verzichten? in den Hegel-Studien. 23 (1988), 245 ff. 5 Vgl. Th. W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt/M. 1975,148. 6 H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. 4. Aufl. Tübingen 1975.326 f. 2 O. Marquard: Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Frankfurt/M. 1982.51. ® M. Foucault: Dispositive der Macht. Berlin 1978. 218 ff.
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Stehen wir nicht dem Tod der namenlosen anderen, den man uns massenweise vor Augen führt, in einer nicht-indifferenten Weise - um einen Zentralbegriff von LEVINAS aufzugreifen - gegenüber, die uns eine solche Rationalisierung und Rechtfertigung nicht länger gestattet? Macht sich jene Philosophie nicht einer skandalösen Indifferenz schuldig, der eine „Moral des Wissens" (FOUCAULT) Widerstand leisten muß? Diese Moral verlangt uns ab, „das Wirkliche stechend, scharf, kantig, unannehmbar zu machen" und es zu „derationalisieren".9 Diese Moral steht am Eingang einer Philosophie, die sich im Verhältnis zum Projekt einer „Vermmft in der Geschichte" als gegen-geschichtliche Anti-Philosophie begreift. Zumal der späte FOUCAULT bleibt uns freilich eine Antwort auf die Frage, wohin diese Frontstellung führen soll, schuldig. Es bleibt uns überlassen, dem Recht jener Sache zur Geltung zu verhelfen - nicht zuletzt auch gegen FOUCAULT selbst, wo er sich nur einer antiidealistischen Rhetorik bedient, welche einer triumphierenden Kritik in die Hände spielt, die die Auskehr aus dem Hegelianismus lediglich in eine Rückkehr zu ihm münden sieht und insofern in der inzwischen erreichten Distanz keinen Gewinn erkermen karm. - Gewiß, „seit mehr als einem Jahrhundert der Absetzungsbewegungen, der ,Überwindungen', mit oder ohne ,Umsturz', war das Verhältnis zu Hegel selten so schwierig zu bestimmen: eine vorbehaltlose Komplizität begleitet den Hegelschen Diskurs" - denkt man an Autoren wie BATAILLE, dem DERRIDA einen „rückhaltlosen Hegelianismus" bescheinigt hat - nicht ohne sich von BATAILLES Faszination durch eine rückkehrlose Verausgabung inspirieren zu lassen.io In Falschgeld mündet dies in den erklärten Versuch, sich „auf krasse und einschneidende Weise" von einer Tradition zu „verabschieden", die die Zeit letztlich auf eine zirkuläre „Ökonomie", auf eine odysseeische Rückkehr zum Ursprung reduziert habe.u Hier ist vor allem Hegel gemeint.i2 Auch DERRIDA, der wie kein anderer den Kritikern Hegels, insbesondere BATAILLE, LEVINAS und FOUCAULT nachgewiesen hat, was sie Hegel „schulden", reiht sich schließlich in die Phalanx derer ein, die uns nach dem „Ende", das Hegel für uns bedeutet, einen radikal neuen Anfang versprechen ... Daß eine Anti- oder Nicht-Philosophie, die sich der einzi9 Ebd.217. 10 Vgl, /. Derrida: Die Schrifl und die Differenz. Frankfurt/M. 1976.382. 11 /. Derrida: Falschgeld. Zeit geben I. München 1993.24. 12 Derrida bezieht sich auf seine früheren Erörterungen zu Sein und Zeit, wo Heidegger sich in einem Zug mit dem Aristotelischen und mit dem Hegelschen Zeitverständnis auseinandersetzt. Daß diese Zusammenstellung anfechtbar ist, wurde wiederholt betont. Zur Zirkularität der Zeit vgl. im übrigen /. Derrida: Randgänge der Philosophie. Frankfurt/M./Berlin/Wien 1976. 44 ff; M. Theunissen: Sein und Schein. Frankfurt/M. 1980.293 ff.
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gen uns zur Verfügung stehenden Sprache, der „Sprache der okzidentalen Philosophie" bedient, kaum darum herum kommt, „den Hegelianismus zu wiederholen", hatte DERRIDA vor Jahren bereits festgestellt. 13 Eine Auseinandersetzung mit FOUCAULT - im Blick auf Hegel - wäre kaum der Mühe wert, würde sie ims nicht von der Sache her, um die es ihr geht, dazu nötigen, eine solche Wiederholung in Betracht zu ziehen. Vielleicht täuscht man sich aber im häufig unterstellten konservierenden Charakter einer Wiederholung. Es kann nicht um ein orthodoxes Bewahren gehen, und nicht darum, „der Vergangenheit ein Über-leben zu verleihen, das nichts als eine heuchlerische Form des Vergessens ist, sondern [darum], die Wirksamkeit einer Wiederaufnahme oder einer ,Wiederholung'" zu erproben, „welche die edle Form des Gedächtnisses ist".i4 Im folgenden beschränke ich mich in dieser Perspektive auf eine erste Bestandsaufnahme der Probleme einer „genealogischen" Kritik der Erinnerung, die sich FOUCAULT, anknüpfend an NIETZSCHE, „nach Hegel" aufgebürdet hat, ohne selbst im geringsten die Möglichkeit einer „Wiederholung" erwogen zu haben.
II. Erinnerung ist das, was Zeit als Geschichte erfahrbar und darstellbar werden läßt. Geschichte ist das, was den Sinn des Vergangenen zu vergegenwärtigen und gleichsam zu rekapitulieren vermag. So gesehen hat die Erinnerung als das entscheidende Relais zwischen Zeit und Geschichte zu gelten: Geschichte ist erinnerte Zeit, Erirmerung begriffene Vergangenheit. So denkt man auf den Spuren einer Philosophie, die sich mit der schieren Negativität der Zeit, ihrem Vergehen, das alles vernichtet, nicht abfinden will. 15 In dieser vernichtenden Zeit geschieht Geschichte, der erst nachträglich, nach Maßgabe einer narrativen Vernunft, zur Wahrheit zu verhelfen ist. Sollte Erinnerung nicht als jenes Relais genau das sein, was der verzeitlichten geschehenen Geschichte und der erzählbaren Geschichte eine „gemeinsame Grundlage" gibt, wie Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte vermutete? „Geschichte vereinigt in unserer Sprache die objektive sowohl und subjektive Seite und bedeutet ebensowohl die hi13 /. Derrida: Die Schrift und die Differenz (wie Anm. 10). 182. 14 M. Merleau-Ponty: Die Prosa der Welt. München 1984.88. 15 Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg, von J. Hoffmeister. 6. Aufl. Hamburg 1994.178 (im folgenden VG).
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storiam rerum gestarum als die res gestas selbst, die eigentlicher unterschiedene Geschichtserzählung als das Geschehene, die Taten und Begebenheiten selbst. Diese Vereinigung der beiden Bedeutungen müssen wir für höherer Art als für eine äußerliche Zufälligkeit ansehen: es ist dafür zu halten, daß die Geschichtserzählung mit eigentlich geschichtlichen Taten und Begebenheiten gleichzeitig erscheine; es ist eine innerliche und gemeinsame Grundlage, welche sie zusammen hervortreibt, Inzwischen hat sich geschichtsphilosophisches Denken von BENJAMIN über PATOCKA bis hin zu RICOEUR nachdrücklich insofern vom Hegelschen Standpunkt distanziert, als dieser erst dem Staat und seinem geschichtlichen Über-Leben attestiert, für die „Prosa der Geschichte" geeignet zu sein und sie gar selbst zu „erzeugen".Nicht das geschichtliche Über-Leben von Entitätenis, die selbst über Leichen gehen, wie RICOEUR sagt, begründet für uns den Sirm und die Notwendigkeit des Erzählens. Es ist vielmehr die Erfahrung der Opfer und die Erinnerung der Überlebenden - insofern sie allererst nach Erzählung verlangt -, worin wir eine für unsere Geschichtlichkeit überhaupt maßgebliche „gemeinsame Grundlage" von Geschehenem und erzählter Geschichte erkennen.i9 Im Leben von Überlebenden artikuliert sich in erster Instanz ein Verlangen nach Erzählimg, das das Geschehene nicht einem universellen Vergehen des Vergangenen überläßt. Dank dieses Verlangens wird nicht alles Geschehene früher oder später zum „bloß historischen" Vergangenen, das „nichts mehr mit dem Gegenwärtigen zu tun" haben wird, um so „zum Gleichgültigen und Toten herabzusinken". Dank dieses Verlangens wird es immer eine Eriimerung geben, für die das Vergangene nicht „nur noch Geschichte" ist, d. h. „tot genug, um nur noch historisch zu interessieren".20 Freilich wird auch hinsichtlich der Opfer und der Überlebenden jene gemeinsame Grundlage von vergangenem Geschehen und Geschichtserzählung im Sinne einer das
16 VG. 164. 17 VG. 164. 18 Vgl. VG. 70 f. 19 Vor dem Hintergrund des Hegel zugeschriebenen sog. „ältesten Systemprogramms des deutschen IdeaUsmus", in dem G. Lukäcs eine „anarchistische Utopie von einer staatenlosen Befreiung der Menschheit" glaubte erkennen zu köimen, gibt freilich O. Pöggeler mit Recht zu bedenken: „Auch das Zeugnis derer, die gescheitert sind, imd das Zeugnis für sie wäre nicht möglich, wenn nicht das Räderwerk staatlicher und überstaatUcher Ordmmgen den Menschen wenigstens ein teilweises und vorläufiges Überleben sicherte." Vgl. O. Pöggeler: Das Menschenwerk des Staates. In: Chr. Jamnte/H. Schneider (Hrsg.): Mythologie der Vernunft. Frankfurt/M. 1984. 221.
20 Vgl. /. Ritter: Subjektivität. Frankfurt/M. 1974.126 f.; H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode (wie Anm. 6). 282.
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Geschehene vergegenwärtigenden, aufhebenden Erinnerung gedacht, die einer narrativen Vernunft zuarbeitet, welche aufgrund der Erinnerung ihrerseits vergangene Zeit als Geschichte erfahrbar und darstellbar werden läßt. Einer hermeneutischen Philosophie, die Vergangenheit, Erinnerung und narrative Vernunft auf diese Weise in der Hoffnung zusammenschließt, daß sich eine geschichtlich „humanisierbare" Zeit denken läßt, erteilt nun die „genealogische", dezidiert antihegelianische Kritik der Eriimerung eine rigorose Absage. Die Hoffnung, mittels der Erinnerung lasse sich Zeit als Geschichte vergegenwärtigen, gibt diese Kritik ebenso preis wie den Anspruch an die Philosophie selbst, sie möge Erinnerung sein. Ohne Bedauern erklärt FOUCAULT in der Archäologie des Wissens: „Wenn die Philosophie Erinnerung ... ist, kann das, was ich tue, in keinem Fall als Philosophie betrachtet werden. Und wenn die Geschichte des Denkens darin besteht, halb verwischten Figuren erneut Leben zu geben, ist das, was ich tue, auch nicht Geschichte."2i Immer wieder spricht FOUCAULT im Anschluß an NIETZSCHE davon, eine „vielfältige" Zeit von den Zwängen einer Erinnerung befreien zu wollen, welche sie auf eine Vemimft festlegt, die nur dem Sichwiederfinden und der „Wiederholung" des Vergangenen dient und so, unterstellt FOUCAULT, die Zeitlichkeit verkennt, gegen die sie erirmemd ankämpft. Unnachsichtig weist FOUCAULT auf den Preis hin, um den sich eine erinnernde Subjektivität inmitten einer dem Sichwiederfindenwollen widerstreitenden Verzeitlichung zu behaupten sucht. Doch mündet seine Kritik in eine Apologie der Kontingenz, die die Frage aufwirft, woher sie ihr Pathos nimmt. Im Namen welcher höheren Wahrheit hält man uns denn den Spiegel einer „Grimdlosigkeit" angesichts dieser Verzeitlichung vor, um ims kryptonormativ auf deren Anerkennung zu verpflichten? Und mit welcher Konsequenz muß sich die Erirmerung als „allzu menschliche Schwäche" angesichts einer abgründigen Verzeitlichung entlarven lassen? Welcher, geradezu einen Ideologieverdacht gegen die Erinnerung begründenden Wirklichkeit wird hier das Wort geredet? Diese offenen Fragen hat der Genealoge FOUCAULT von Hegel und NIETZSCHE her aufgeworfen, ohne sie indessen zu beantworten. Nicht weniger als das Zeit und Geschichte verbindende Relais einer „Aufhebung" des Sinns des Vergangenen in der Erinnerung steht hier auf dem Spiel. Und es geht auch um die kritische Diagnose einer kulturellen Gegen-
21 M. Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1981.293.
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wart, die ihr Verhältnis zum Vergangenen stets als ein erinnerndes begriffen hat.22
III. „Die Geschichte müssen wir nehmen, wie sie ist; wir haben historisch, empirisch zu verfahren", wenn wir vom Vergangenen Rechenschaft ablegen wollen, lehrt uns Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Das Vergangene lebt nicht mehr; es ist tot, „an sich", wie SARTRE sagte, gerormene Faktizität, die nur noch festzustellen ist. Die historische Erkenntnis hat, so scheint es, nur noch die Aufgabe, das damals wirklich Gewesene zu verifizieren. Diese Aufgabe verlangt als seine „erste Bedingung", „daß wir das Historische getreu auffassen; allein in solchen allgemeinen Ausdrücken wie treu und auffassen liegt die Zweideutigkeit".23 Die „Treue" der historischen Erkenntnis glaubte man allzu oft als Entsprechung oder als Rekonstruktion des wirklich Gewesenen bestimmen zu müssen, um dieser Zweideutigkeit begegnen zu können. Der Historismus unterstellte, daß die dem wirklich Gewesenen entsprechende „Treue", die Wirklichkeitstreue, zugleich die einzig legitime Auffassvmg des Vergangenen bedeutet bzw. daß das Vergangene in seinem Vergangensein gar nicht verschieden aufgefaßt werden könne. Es gibt, so will es scheinen, nur diese leblos gewordene, graue Faktizität, die in einem unerhellten, freilich ein für allemal abgeschlossenen Raum der Erkennbarkeit des Gewesenen darauf wartet, erkarmt zu werden. Daß sich mfolgedessen das Problem einer „Auffassung" des Vergangenen gar nicht eigens stellt, hat Hegel in seinen Vorlesungen allerdings energisch bestritten. Im Zuge seiner Abgrenzung der eigentlichen, „philosophischen" Geschichte von der berichtenden Historie und der „reflektierenden", „pragmatischen" oder „kritischen" Geschichte bekennt sich Hegel zu einer „Auffassung" des Vergangenen als Gewesenen, das in einer erirmemden
Vgl. /. Derrida: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie. München 1987.136. 23 VG. 31. Vgl. die Einleitimg in Herbert Schnädelbach: Vemunfl und Geschichte (wie Anm. 3). 9-20 sowie die Absage Nietzsches an die Idee einer vernünftigen „Erzählung vom Weltprozess" in: Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hrsg, von G. Colli und M. Montinari. München 1980. Bd 7. 661. Im folgenden zitiert als KSA mit anschließender Bandzahl. 22
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Vernunft aufzuheben ist, die ihren Maßstab an die Geschichte anlegt, indem sie zeigt, „daß es in ihr vernünftig zugegangen" ist.24 Die eigentliche Wirklichkeit des Vergangenen, so besagt diese Auffassung, liegt in den Begebenheiten selbst, von denen man einen „treuen" Bericht geben möchte, nur insofern, als man sie als Medium der Realisierung eines vernünftigen Sinns zu betrachten versteht. Als bloße Begebenheiten treten sie wie in der antiken Geschichtsschreibung lediglich zu kontingenten geschichtlichen Konfigurationen zusammen, deren Sinn nur vorübergehend besteht, um sich sogleich wieder aufzulösen im Fortgang der Zeit. Die Parataxe des Episodischen verkettet sich nicht einmal zu einer Geschichte. Das gelingt nur auf dem Wege einer Geschichtserzählung, die das geschichtliche Geschehen reflektiert und nachträglich, kraft der Erzählung selbst, verifiziert. Nur die Erzählung bewahrheitet im nachhinein das Vergangene. Die nicht nachträglich narrativ bewahrheitete Geschichte verfällt der Geschichtslosigkeit, wohingegen die im Lichte der Vernunft erzählte Geschichte den Sinn des Gewesenen aufklärt, der sich aus dem Fortgang des Geschehenen allein nicht bestimmen läßt.25 Nichts, so wird hier nebenher unterstellt, geht unterwegs verloren, um sich womöglich in eine dem Sirm sich verschließende Exteriorität zurückzuziehen und die Geschichte aufzuspalten in eine Geschichte der Vernunft und in eine Geschichte der Nicht- oder Un-Vermmft, die niemand schreiben körmte ... Die Philosophie, die den vernünftigen Sirm des Gewesenen festhält, kommt zwar im Verhältnis zum Vergangenen immer zu spät, doch als eine Art Retrodiktion erkermt sie im Vergangenen die „Zeichen der Reife",
24 Hegel unterscheidet einen Anspruch auf Richtigkeit und auf Wahrheit der Geschichte. Nur auf den allein „geschichtsphilosophisch" zu legitimierenden Wahrheitsanspruch bezieht sich seine Rede vom „Apriorischen der Geschichte, dem die Erfahrtmg entsprechen muß", während auch eine „philosophische Geschichte" sich dem Kriterium der Richtigkeit unterwerfen lassen muß, soweit sie die Darstellung des Geschehenen betrifft. Aus heutiger Sicht erscheint gerade diese säuberliche Arbeitsteilung von Historie und Geschichtsphilosophie als überaus fragwürdig. (Vgl. VG. 14,39,157.) 25 Völker ohne Staat gehören der „Vorgeschichte" an; erst der Staat ist der eigentliche Träger substanzieller Erinnerung, die ein geschichtliches Über-leben gestattet. Die Erinnerxmg aber muß sich narrativ manifestieren. Ohne „subjektive" Geschichte, d. h. Geschichtserzählung haben Völker auch keine kollektive Erinnerung und sind insofern, flir uns, „geschichtslos". (VG. 163-165). Diese integrale Verknüpfung von Erirmerung und Staat sowie (implizit) Schrift hat sich für uns aufgelöst. Vgl. aber Chr. Jamme: ,Gott an hat ein Gewand'. Frarrkfurt/M. 1991,186,192, 209. R. Schott: Das Geschichtsbewußtsein schriflloser Völker. In: Archiv für Begriffsgeschichte. 12 (1968), 166-205.
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die auf eine progressive Verwirklichung des vernünftigen Sinns der Geschichte im ganzen hoffen lassen.26 „Indem wir die Weltgeschichte begreifen, so haben wir es mit der Geschichte zunächst als mit einer Vergangenheit zu tun. Aber ebenso ... haben wir es mit der Gegenwart zu tun. Was wahr ist, ist ewig an und für sich, nicht gestern und nicht morgen, sondern schlechthin gegenwärtig ... im Sinne der absoluten Gegenwart. In der Idee ist, was auch vergangen scheint, ewig unverloren. Die Idee ist präsent, der Geist unsterblich; es gibt kein Einst, wo er nicht gewesen wäre oder nicht sein würde... So ist hiermit schon gesagt, daß die gegenwärtige Welt, Gestalt des Geistes ... alle in der Geschichte als früher erscheinenden Stufen in sich begreift. ... Die Momente, die der Geist hinter sich zu haben scheint, hat er auch in seiner gegenwärtigen Tiefe. "27 Genau hier hat das entwicklungslogische Denken unserer Tage seinen Ansatzpunkt. Es streicht zwar die metaphysische Vision einer Odyssee des absoluten Geistes, doch übernimmt es das Hegelsche Erbe einer Rekonstruktion der Vernunft, deren vorläufig endgültig letzte Gestalt alle vorangegangenen soll nachträglich in ihrem vernünftigen Gehalt bewahrheiten imd aufheben können.28 Ob man eine finale Gestalt bereits Wirklichkeit geworden sieht, wie etwa FUKUYAMA, oder ob man sie im Sirme einer KANiischen regulativen Idee ständig in eine fernere und dennoch maßgeblich bleibende Zukunft entweichen sieht, wie HABERMAS, macht hier keinen Unterschied. Auch die regulative Idee repräsentiert einen end-gültigen Sinn, von dem aus nachträglich der geschichtliche Weg einer Vernunft rekonstruierbar werden soll, die das wirklich Gewesene im Lichte der Treue zur Vernunft, die in ihm schon möglich war, erinnert. Die Vernunft selbst ist das Maß der „Treue", an der sich die Auffassung des Vergangenen muß messen lassen, nicht die erkaltete, ihre Wahrheit nicht von allein kundgebende Faktizität des Geschehenen. An einem solchen retrograden Vemunftanspruch hält auch „gattungsgeschichtliches" Denken bis heute fest - obgleich nicht mehr die Rede ist von einem die historische Bildungsgeschichte der Vernunft erzeugenden Subjekt oder von einer Teleolo26 Die Asche, die der Untergang zurückläßt, läßt die Vernunft in der Geschichte nur „verjüngt" überleben. Im schlimmsten Fall muß sie „wieder von vorne anfangen", nachdem „der ganze ungeheure Gewinn der Bildung vernichtet worden ist". Auch eine solche Katastrophe kann Hegel nur, wie jeden Stillstand oder „Rückgang", „äußerer Zufälligkeit" zuschlagen, der gegenüber die Vernunft sich „imbeschädigt im Hintergrund" hält, bis bessere Zeiten kommen ... Vgl. P. Ricoeur: Zeit und Erzählung. Bd 3. München 1991.325. 27 VG. 182 f. Vgl. vom Verf.: Abgebrochene Beziehungen: Merleau-Ponty und Foucault über Ontogenese und Geschichte. In: Philosophisches Jahrbuch. 101 /1 (1994), 177-194. 28 Vgl. /. Habermas: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. Frankfurt/M. 1976. 37; Theorie des kommunikativen Handelns. Bd 1. Frankfurt/M. 1981.104 ff.
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gie, die in einem An-sich der Vernunft bereits ihr Ziel präformiert erscheinen lassen würde. Die Vernunft geschieht als Rationalisierung in der Kontingenz und als Auseinandersetzung mit der Unvernunft; und zwar diachron in der Form einer „Prozeßlogik", nicht auf dem Wege einer von den Gegnern Hegels unterstellten „metahistorischen" oder pseudohistorischen Entfaltung, der die Ereignisse von vornherein nichts anhaben körmten. Nur in einem ständigen Sich-auf-sich-zurückwenden, nachträglich also, bestimmt sich diese Vernunft konkret und gestattet es provisorisch, Linien künftigen Fortschritts zu antizipieren.29 Man sieht die Dynamik der Gattungsgeschichte einem quasi-evolutionären Prozeß überantwortet, der sie sich auf Abwegen imd Umwegen verzweigen läßt und Zweifel daran wecken muß, ob man sich jeweils gerade auf einem Weg dieses divergenten Geschehens befindet, der später weiter führen oder in einer Sackgasse enden wird. Wenn auch die Apologie der liberalen Demokratie als Anfang vom Ende der Geschichte nur auf einer nachträglichen Deutung bisheriger Geschichte beruht, die in einer späteren Retrospektive widerlegt werden könnte, so muß der Entwicklungslogiker am Ende doch (zu Zwecken einer Gegenwartsdiagnose bereits) den „fiktiven Standpunkt der evolutionstheoretischen Erklärung einer in Zukunft zurückliegenden Vergangenheit" einnehmen.30 D. h. er muß eine Geschichte der Gegenwart im Lichte einer späteren Zukunft denken, die ihm die Logik der Narrativität zu denken untersagt, der auch eine „philosophische Geschichte" imterworfen ist. Die Logik der Narrativität erlaubt es nicht, einer nachträglich erzählbaren Geschichte vorzugreifen, die den ganzen Sinn des Früheren betreffen würde. Sofern die Vemimft selbst auf narrative Verifikation angewiesen ist, wie bereits Hegel unterstellt, muß ihre geschichtlich-konkrete Bestimmung infolgedessen prinzipiell ebenfalls vorläufig bleiben. Die Idee einer „künftigen Geschichte" ist, wie HABERMAS mit A. C. DANTO ZU Recht sagt, inkonsistent.3i Eine jetzt antizipierte künftige Geschichte wird nur im nachhinein vernünftig gewesen sein körmen - um sich in die Form narrativer Darstel-
29 Vgl. /. Habermas: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. 35 f, 234,247; Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt/M. 1985. 55; Nachmetaphysisches Denken. Frankfurt/M. 1988.169,184. 30 /, Habermas: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus (wie Anm. 28). 256. 31 Ebd. 207. Die Vorstellung einer „künftigen Geschichte" hat zweifellos ein prophetisches Moment, wenn die Zukunft, auf die sie abzielt, „nur mit HUfe solcher antizipierten Erzählimgen dargestellt werden [kann], die die lebendige Gegenwart in eine vergangene Zukunft verwandeln: diese Gegenwart wird der Beginn einer Geschichte gewesen sein, die eines Tages erzählt werden wird" ...; vgl. P. Ricoeur: Zeit und Erzählung. Bd 3 (wie Anm. 26). 416.
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lungert bringen zu lassen, die nicht totalisierbar sein werden.32 Es gibt keine Meta-Erzählung aller möglichen Erzählungen. So gegensätzliche Philosophen wie LYOTARD und RICOEUR scheinen diesen Standpunkt zu teilen. Für RICOEUR bedeutet der Verzicht darauf, „die höchste Fabel entziffern" zu wollen, den wirklichen Ausgang aus dem Hegelianismus33, nach dem zu suchen sich auch der Genealoge Foucault vorgenommen hat. Realisiert eine gattungsgeschichtliche Vernunft selbst nur eine narrative Identität, d. h. eine Identität, die prinzipiell instabil bleiben muß, da man in bezug auf dieselben narrativ konfigurierten Geschehnisse sogar gegensätzliche Fabeln ersirmen kann, so kann diese Vernunft in keiner „definitiven" Erzählung sich bewahrheiten. Im Unterschied zu LYOTARD hält RICOEUR freilich daran fest, daß „das Eingeständnis der Grenzen der Erzählung ... mitnichten die Idee der Einheit der Geschichte auf[hebt], mit all ihren ethischen und politischen Implikationen".34 Sichert nicht nur diese Idee einer Welt-Geschichte die Möglichkeit einer „philosophischen" Geschichte, die in der Lage sein müßte, über eine berichtende Historie, die die Geschichte „Geschichte" sein läßt, hinausgehend sich des vernünftigen Sinns des Vergangenen zu versichern, der andernfalls in einer nicht vernünftig „wiederholbaren" Vergangenheit verborgen bleiben müßte? Ungeachtet seiner Absage an die „Hegelsche Versuchung", das Ende der Geschichte und eine „totale Vergangenheit", die es implizieren würde, jetzt zu denken, teilt RICOEUR mit Hegel die Voraussetzung, daß der Sinn des Vergangenen gerade nicht in ihm selbst liegt, sondern nur einer („gattungsgeschichtlich") finalisierten Vernunft entspringen kann, die ihn retrograd bewahrheitet. Was HABERMAS „Selbstvergewisserung" im Zeichen des modernen Projekts einer solchen Vernunft nennt35, muß so gesehen am Anfang jeder Reflexion über das Vergangene und die Weisen stehen, in denen wir uns zu ihm ins Verhältnis setzen. Der Sinn des Vergangenen ist eine Funktion der Vernunft. Die Gegenwart der Vernunft hat die Vergangenheit in ihrer auf „archäologischem" 32 Die Idee einer Totalisierbarkeit der Geschichte spielt noch in der evolutionär reinterpretierten „Eschatologie der indefinite community" bei Peirce eine zentrale Rolle - auch wenn man deren Finalisienmg im Sinne einer Kantischen regulativen Idee begründet; vgl. Karl-Otto Apel: Der Denkweg von Charles S. Peirce. Frankfurt/M. 1975.162,167, sowie die ins Gerüst dieser Reinterpretation eingehängten lemtheoretischen Aussagen zum gattungsgeschichtlichen Prozeß einer „normativen Selbstselektion" bei /. Habermas: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. (wie Anm. 28). 224,186,188; Der philosophische Diskurs der Moderne (wie Anm. 29) 104. 33 P. Ricoeur: Zeit und Erzählung. Bd 3 (wie Anm. 26). 331. 34 Ebd.437. 35 /. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne (wie Anm. 29). 69.
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Wege erinnerbaren „Tiefe"; und wenn diese Tiefe für eine Vergangenheit der Gegenwart steht, so doch nur im Sinne ihrer Immanenz in der Gegenwart der Vernunft, die somit nirgends an die Grenze einer temporalen Exteriorität stoßen würde, welche sich ihren Totalitätsansprüchen zu entziehen vermöchte.
IV. Davon ausgehend, daß das Vergangene sich dem Gedanken seiner Totalisierbarkeit widersetze, hat genealogisches Denken mit NIETZSCHE gegen eine falsche „Rationalisierung" und „Logifizierung" des Vergangenen protestiert, das nicht von sich aus vernünftig sei. „Wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht sie auch vernünftig an, beides ist in Wechselbestimmung", hatte bekanntlich Hegel gesagt.3^ Verbirgt sich in dieser Formulierung aber nicht bereits die Einsicht, daß in der „vernünftigen" Aujfassung des Vergangenen ein Gefälle der Rationalisierung überwunden wird, welches in beiden Richtungen nach Gewinn und Verlust zu befragen ist?37 Vernünftiges „Auffassen" stellt das Geschehen einer vergangenen Zeit als Geschichte dar. Streng genommen erlaubt es dieses „als" aber nicht, die hermeneutische Differenz zwischen Zeit und Geschichte etwa im Sinne einer Äquivalentsetzung von erzählter Geschichte und geschehener Geschichte einzuziehen. Den Preis, der dafür zu entrichten wäre, ist der Genealoge nicht zu entrichten bereit (abgesehen davon, daß er im übrigen dezidiert antihermeneutisch argumentiert). Weder möchte er die Gegenwart apriori auf eine Geschichte der Vernunft verpflichtet wissen, noch ist er bereit, die Vergangenheit dem Denken einer letztlich „ewigen" Gegenwart der Vemimft zu unterwerfen.38 Im folgenden knappen Resümee beschränke ich mich, ausgehend von NIETZSCHE, auf diesen Zweig genealogischen Denkens.
36 VG.31. 37 Diese Frage hat so allerdings nur Sinn, wenn sich nicht die Vernunft und die Unvernunft (und bei Foucault: der Wahnsinn), sondern jeweils historische Ausformungen einander gegenüberstehen. Von wo aus sollte sonst eine Kritik von Rationalisierungsprozessen erfolgen, wenn diese im Sinne der „Vernunft im allgemeinen" erfolgen? Müßte diese fCritik sich nicht selbst außerhalb der Vernunft lokahsieren, weim sie lücht auf eine andere, historisch anders formierte Vemimft abzielte? Vgl. bzgl. Foucault hierzu /. Derrida: Die Schrift und die Differenz (wie Anm. 10). 60 f, 88; B. Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich. Frankfurt/M. 1987.518 ff. 38 KSA 1.250,269.
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(1) In genealogischer Perspektive ist die Vergangenheit mehr, als eine Retrospektive „historischer Menschen" erkennen läßt, die glauben, „daß der Sinn des Daseins im Verlaufe eines Prozesses immer mehr ans Licht kommen werde", und die nur deshalb „rückwärts schauen", „um an der Betrachtung des bisherigen Prozesses die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft heftiger begehren zu lernen".39 Der Sinn des Vergangenen liegt nicht in einer Finalisierung oder Futurisierung, in deren Licht er später allerdings gedacht werden kann; er ist vielmehr vielgestaltig, polymorph, verzweigt - unendlich reicher als das rationalisierte, gebändigte Bild, das ein historisches Erinnern von ihm sich macht. Anschließend an Bemerkungen von GRILLPARZER und SCHILLER betont NIETZSCHE in diesem Sinne in Vom Nutzen und Nachtheil der Historie ßr das Leben ein unaufhebbares Mißverhältnis zwischen der „Undurchdringlichkeit" und „Unverständlichkeit" vergangenen Geschehens einerseits und einem retrospektiven „Ganzen" andererseits, das nur in der Vorstellung nachträglich entsteht. Jeder Sinn des Vergangenen, der retrospektiv im Sinne einer Notwendigkeit des Geschehenen hypostasiert wird, verfehlt die anarchische Zeitlichkeit dieses Geschehens selbst, in dem „tausend kleine Ursachen wirkten", so daß im Vergangenen „Millionen Richtungen parallel in krummen und geraden Linien nebeneinander laufen, sich durchkreuzen, fördern, hemmen, vor- und rückwärts streben und dadurch für einander den Charakter des Zufalls annehmen. . .".40 (2) Jede erinnerte Vergangenheit wird im Vergleich zu dieser anarchischen Zeitlichkeit nur einen rudimentären Anteil des Vergangenen in sich aufnehmen können und narrativ darzustellen erlauben. NIETZSCHE spielt in diesem Zusammenhang mit der Idee einer Historia abscondita, die freilich nicht einer absoluten Vergessenheit anheimfällt, von der man nichts wissen könnte, sondern durch „rückwirkende Kräfte" auf unvorhersehbare Weise neu zu sehen sein wird. „Alle Geschichte" könnte eines Tages „wieder auf die Waage gestellt" werden. „Tausend Geheimnisse der Vergangenheit" körmten eines Tages „aus ihren Schlupfwinkeln kriechen".4i Aber keine auf neue Weise „gesehene" Vergangenheit darf umstandslos in eine „Vorherigkeit" des Gewesenen zurückprojiziert werden. Was eine neuartige Vergangenheit, die sich erst im Lichte einer späteren Geschichte überhaupt abzu-
39 KSA 1.255. « KSA 1.290 t. « KSA 3.404.
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zeichnen beginnt, nachträglich bewahrheitet42, ist selbst nur das kontingente Produkt einer stets „ironischen“ Geschichtlichkeit, die alles aus anderem entstehen läßt. Auch die Moral und ihre Geschichte sind am Ende nur das Resultat „entsetzlicher Evolutionen".43 Heterogonie ist die Regel. Jede Identität muß sich retrospektiv in ein Geflecht von Kontingenzen zurückverfolgen lassen, in das Wurzelwerk einer heterogenen Herkunft, die nicht bloß die Maske eines verheimlichten Ursprungs ist. Und was aus der genealogischen Kontingenz so kontingent entsteht wie die Vielfalt der Arten, hat kraft seines Erfolgs kein Vorrecht gegenüber anderen Möglichkeiten, die unterdessen auf der Strecke geblieben
sind.44 So energisch der Genealoge nun aber eine „überschüssige", reichere Vergangenheit gegenüber einer Vernunft ins Spiel bringt, die im Vergangenen nur ihre Vorgeschichte zu erkennen erlaubt, so wenig unterwirft er sich selbst einer von den Zwängen eines teleologischen Werdens entfesselten Vergangenheit. Im Gegenteil propagiert er im Gegenzug einen rigorosen Präsentismus, der zugleich mit der Preisgabe einer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft teleologisch verknüpfenden Vernunft auch jeglichem historischen Werden abzuschwören verspricht, das die „Kraft der Gegenwart" auf Vergangenheit oder Zukunft verpflichten körmte. Diese radikal entpflichtete Gegenwart wird keine historische mehr sein können. Im ewigen Mittag scheint sie schließlich still stehen zu können und damit ihre ^2 Foucault hat die Geschichte des Wahnsinns als eine solche neuartige Vergangenheit der Vernunft zu erzählen versucht. Deshalb kann er sagen, der Begriff vom Wahnsinn sei eine „Entdeckung" in dem Maße wie „dank einer Rückläufigkeit, einer eingenommenen Distanz seine beunruhigende Anwesenheit verspürt worden ist..." Verspätet erst läßt die Vernunft den Preis erkennen, den ihre Geschichte gekostet hat; und zwar im Kontrast zu einer Abwesenheit, welche sich in eine Vergangenheit zurückgezogen zu haben scheint, in der sie damals nicht erkennbar war... Vgl. M. Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Frankfurt/M. 1969.434. « KSA2.210;KSA7.459. 44 KSA 7. 644. Im Blick auf Darwin entwirft Nietzsche so das Bild einer verzeitlichten Vernunftentwicklung. Der Entwicklimgsbegriff wird, radikaler noch als bei Darwin selbst, konsequent als ateleologischer begriffen. (Darwin selbst blieb in dieser Hinsicht „traditioneller" als die späteren „Darwinisten", die sich auf ihn beriefen.) Daß Nietzsche seinerseits eine suggestive Filiation zwischen Hegel und Darwin herstellte, darf nicht übersehen lassen, daß eine nach dem Vorbild der Genealogie der Arten verzeitlichte „Vernunft in der Geschichte" gerade unvereinbar ist mit der „Entfernung des Zufalls" aus der philosophischen Geschichte und mit Hegels Kritik des Perfektibilitätsbegriffs; vgl. VG. 29,149 f sowie W. Stegmaier: Nietzsches Hegel-Bild. In: Hegel-Studien. 25 (1990), 99-110, hier: 107. Zur Frage, ob Hegel sich einer vielfach unterstellten falschen „Rationalisierung" des Zufalls bzw. des Kontingenten schuldig macht, vgl. im übrigen D. Henrich: Hegels Theorie über den Zufall. In: Kantstudien. 50 (1958/59), 131-148. Für eine „Entfernung" des Zufalls aus einer realen Geschichte wie der Naturgeschichte (die Hegel freilich nirgends „evolutionär" im Darwinschen Sinne beschreibt) spricht bei Hegel jedenfalls nichts. Vgl. unten Anm. 70.
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temporale Struktur einer Zwischenzeit - zwischen Geburt und Tod, zwischen einer „Vorwelt" von Toten und einer „Nachwelt" derer, die uns überleben werden - einbüßen zu müssen, um ein unbezügliches Über-Leben zu realisieren, das die Kraft hat, jede „Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können".45 Was zunächst das Vergangene im Namen eines „wahren historischen Sinns" gegen eine Vernunft-Geschichte zu rehabilitieren versprach, die im „Weltprozeß" nur den finalen Sinn unvermeidlicher Opfer „auf dem weiten Altar der Erde" zu erkennen vermochte46, schlägt um in eine Neutralisierung der historischen Zeit selbst, indem die „Kraft der Gegenwart" entbunden wird von jeglichem Wohin oder Woher. Als „Leben" ist sie, die Gegenwart, nun das Gericht, vor der sich Geschichte und Vernunft zu verantworten haben: „Es ist nicht die Gerechtigkeit, die hier zu Gericht sitzt; es ist noch weniger die Gnade, die hier das Urtheil verkündet: sondern das Leben allein, jene dunkle, treibende, unersättlich sich selbst begehrende Macht."47
V Hier knüpft FOUCAULT sicherlich nicht unvermittelt an. FOUCAULT, der seine erste NiETZSCHE-Lektüre auf Mitte der 50er Jahre datiertes, begirmt erst im Zuge seiner Hinwendung zum genealogischen Denken der „Diskurse", nach der Veröffentlichung seiner Archäologie des ärztlichen Blicks, der Archäologie der Humanwissenschaften und der Archäologie des Wissens, systematische Konsequenzen aus dieser Lektüre zu ziehen. In seiner Antrittsvorle-
Vgl. Karl Löwith: Nietzsche. In: Sämtliche Schriften. Bd 6. Stuttgart 1987; KSA 1, S. 269. ■46 Zwar bekermt sich Hegel zunächst zu „tiefster, ratlosester Trauer ..., welcher kein versöhnendes Resultat das Gegengewicht hält" angesichts „ungeheuerster Opfer", die dem geschichtlichen „Endzwecke" gebracht worden sind (bzw. die ihm zum Opfer gefallen sind). Doch verwirft er schließlich die angeblich „leeren, imfruchtbaren Erhabenheiten" der „Trauer über Vergangenheit" im Namen der Gegenwart, die nicht Trauer, „sondern unsere Wirksamkeit" fordere. So gesehen wird die Gegenwart nur gelähmt von der Trauer angesichts des Scheitems da-gewesenen Lebens. Das scheint auch dann gelten zu müssen, wenn eine „uninteressierte Trauer" unsere Nicht-Indifferenz angesichts des Todes anderer ans Licht bringt, die uns nicht nahestanden. Daß diese Trauer ihrerseits eine geschichtliche „Wirksamkeit" inspirieren körmte, die nicht so indifferent über ein universales Scheitern sich hinwegsetzt wie die „List der Vernunft", zieht Hegel nicht in Betracht; vgl. VG. 35. 80 ff sowie vom Verf.: Geschichte im Zeichen des Abschieds. München 1996. Kap. III. 47 KSA 1.269. 48 Vgl. M. Foucault/G. Raulet: Um welchen Preis sagt die Vernunfl die Wahrheit? In; Spuren. 1/2 (1983), 22,39; M. Foucault: Nietzsche, Freud, Marx. In: Nietzsche. Cahiers de Royaumont. Philosophie. Nr VI. 1967,183-192.
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sung am College de France bekennt sich FOUCAULT als Schüler HYPPOLITES zu seiner Zugehörigkeit zu einer Epoche, die, „sei es in der Logik oder in der Epistemologie, sei es mit MARX oder mit NIETZSCHE, Hegel zu entkommen trachtet".49 Von Hegel mit NIETZSCHE loszukommenso, hieß für FOUCAULT vor allem, einem „Subjekt" der Geschichte abzuschwören, das vermittels der Erinnerung den Sinn des Vergangenen in einer totalisierbaren Geschichte aufheben könnte. Dabei glaubte FOUCAULT keineswegs gleichsam im Handstreich sich des idealistischen Erbes entledigen zu können. Hatte nicht nach seiner eigenen Einschätzung die Histoire de lafolie „einen viel zu beträchtlichen und übrigens ziemlich rätselhaften Teil dem ein[geräumt], was darin als eine ,Erfahrung' bezeichnet wurde, wodurch das Buch zeigte, in welchem Maße man noch bereit war, ein anonymes und allgemeines Subjekt der Geschichte zuzugestehen"?5i Und hatte dieses Buch nicht die geschichtlichen Grenzen bestimmen sollen, „mit denen eine Kultur etwas zurückweist, was für sie außerhalb liegt", um diesem Außerhalb das Versprechen einer Öffnung der Vemimft selbst für die deraison, selbst für das Andere, das sie ausschließt, abzulesen?^^ Sicherlich hatte EOUCAULT dabei keine Versöhnungsperspektive einer Aufhebung des Anderen im Sinn. Ganz im Gegenteil: er versuchte eine völlig neuartige Geschichtsschreibung zu praktizieren, die das geschichtliche Entfemtsein und -bleiben vom Anderen im Rückbezug auf es hatte bestätigen sollenSS; eine Ge49 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am College de France - 2. Dezember 1970. München 1974.49,61; Von der Subversion des Wissens. Frankfurt/M. 1987.19. 50 Vgl. auch M. Foucault: Dispositive der Macht. Berlin 1978.217 ff; Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte. Berlin 1986,23; Schriflen zur Literatur. Frankfurt/M. 1988.121,136. 51 M. Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 42). 13, 550; Archäologie des Wissens. 29. Vgl. auch die Hinweise auf H. Gouhiers Gutachten zu Wahnsinn und Gesellschaft bei D. Eribon: M. Foucault. Frankfurt/M. 1991.180. 52 M. Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft, (wie Anm. 42). 280,283; vgl. M. Foucault: Psychologie und Geisteskrankheit. Frankfurt/M. 1968. 116 ff. Wenn Foucault mit seiner „Archäologie des Schweigens", das die Vernunft erzwimgen haben soll, eine „Revolution gegen die Vernunft" beabsichtigt haben sollte, so könnte diese doch wiederum nur „innerhalb von ihr" erfolgen - „gemäß einer hegelschen Dimension", behauptet Derrida und fügt hinzu: Wenn die Vernunft dieses Schweigen verschuldet hat (und nicht eine bestimmte, historisch formierte „Vernunft von gestern" etwa), darm ist dieses Schweigen ein unvermeidliches. Es handelt sich dann um ein „irreduzibles Schweigen, [das] die Sprache trägt und heimsucht rmd außerhalb dessen allein vmd gegen [das] allein sie auftauchen kann"; vgl. J. Derrida: Die Schrift und die Differenz (wie Anm. 10). 59,61,87 f, 95. Wenn es sich freilich um das „Andere jedes Logos" handeln soll, verliert - worauf Derrida ebenfalls aufmerksam gemacht hat - der Kern der Foucaultschen These von einer Trennung der Vernunft vom Wahnsinn seine historischen Konturen. 53 Mußte nicht der Wahnsinn seine Wahrheit „im Augenblick seines Verschwindens" preisgeben - „seine Wahrheit der Abwesenheit, die Wahrheit, die die des Tages an den Grenzen der Nacht ist"? Konnte der Wahnsinn sich nicht allein als „abwesender" einer Eingemeindung durch die Vernunft entziehen, welche ihn thematisiert? Die Distanz, die uns von dieser Abwe-
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Schichtsschreibung, die das Andere als eine Alterität in der Gegenwart zu deuten versuchte, welche sich vergeblich darum bemüht, sich das Vergangene „anzueignen". Gerade aus dieser Vergeblichkeit bezieht die Histoire de lafolie ihre eigentliche Inspiration. Gemessen an den Ansprüchen einer erinnernden Vemimft stellt sich der Reichtum dieser Inspiration freilich als eine Sinnarmut, als eine Beraubung geschichtlichen Sirms dar. FOUCAULT dagegen will das „Andere" nicht „erinnern" - obgleich man Wahnsinn und Gesellschaft durchaus im Sinne einer „Trauer" um Vergangenes verstehen könnte, das dem geschichtlichen Werden der Vernunft zum Opfer gefallen zu sein scheint. Freilich ist die Intention des Autors weniger „romantizistisch", als es zunächst vielleicht den Anschein hat, denn das Buch beschwört kein historisch Zurückliegendes, dessen versäumtes Potential reaktivierbar zu werden verspricht oder, andernfalls, für immer einem verlorenen Ursprung überlassen bleiben muß, von dem uns eine notwendig entfremdete Vernunft auf irreversible Weise trennen würde.54 Zweifellos in der Sprache der Vernunft selbst thematisiert Wahnsinn und Gesellschaft vielmehr auf indiskrete Weise ein in ihr selbst über sie hinausweisendes Anderes, dem sie auf subtile Weise zugleich ent-sagt, um es von sich zu weisen, sich entziehen zu lassen, weil es nur im Abstand von seiner Thematisierung Anderes der Vernunft wird bleiben können, ohne sich umstandslos eingemeinden zu lassen.55 senheit trennt, wird Foucault schließlich selbst zum zentralen methodischen Problem; vgl. M. Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 42). 205, 250. Das wirft die Frage auf, inwieweit die Grundstruktur von Wahnsinn und Gesellschafl selbst noch formal einem Erinnerungsdenken verpflichtet bleibt, welches sich paradoxerweise - so lautet Foucaults eigene Diagnose vomimmt, in die Richtung vorzugehen, in der sich das Zurückweichen des zu Erinnernden vollzieht imd unaufhörlich vertieft. Wenn man einer bereichernden Rückkehr aus der Fremde (im Sinne einer Odyssee) abschwört, muß man dann dieses Zurückziehen affirmieren als das, was „den Ursprung im Maße seines Rückzugs freisetzt“? Vgl. M. Foucault: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt/M. 1974.403. 54 Vgl. ebd. 148, sowie die Kritik einer Erirmerung an ein „retrospektives Jenseits" in Die Ordnung der Dinge (wie Anm. 53). 272, 399. - Auch Hegels spekulative Philosophie wurde im Zeichen eines wesentiichen Verlusts entwickelt; doch läßt Hegel die Erinnerung eine Art Trauerarbeit verrichten, die eine Aufhebimg des Verlusts vmd sogar seine Kapitalisienmg verspricht; vgl. die Hinweise in dieser Richtung bei R. K. Maurer: Hegel und das Ende der Geschichte. 2. Aufl. Freiburg/München 1980.65,193. 55 Das „Ent-Sagen" ist hier im doppelten Sinne eines Verzichtens imd - entsprechend dem Gebrauch des „dedire“ bei Levinas - im Siime eines subtilen Widerrufens dessen zu verstehen, was auf „indiskrete" Weise über eben das gesagt wird, was nach Foucaults eigenen Voraussetzungen nicht in der Sprache der Vernunft faßbar sein kaim. Auch das dedire ist freilich noch ein Sagen - andenrfalls würde es das Gesagte lediglich durchstreichen, ja zerstören und nur in diesem Sinne „aufheben" bzw. widerrufen. Dann hätte das widerrufene Gesagte am Ende nichts gesagt.
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Der Diskurs der Vernunft zeigt mit anderen Worten das Andere an und bestätigt zugleich, um eine Denkfigur von LEVINAS aufzunehmen, den Rückzug des Anderen in der „indiskreten" Thematisierung selbst. Mit Hegel wäre ein solcher Entzug des Anderen, das hier ein Vergangenes ist, in einer erinnernden Vernunft nicht zu denken.56 Bleibt aber FOUCAULT nicht doch der Anstrengung einer erirmernden „desalienation" des Anderen verpflichtet57, von der er sich suggestiv in der Ordnung der Dinge distanzierte, um sich schließlich im Zeichen eines „glücklichen Positivismus" scheinbar ganz der Last einer das Andere zugleich versprechenden und es verbergenden Vergangenheit zu entledigen? „Wäre nicht eine Diskursanalyse möglich", fragt Foucault bereits in Die Geburt der Klinik in diesem Sinne, „die in dem, was gesagt worden ist, keinen Rest und keinen Überschuß, sondern nur noch das Faktum seines historischen Erscheinens voraussetzt?"58 Jeglicher Vergangenheitsbezug, der sich nicht einer solchen diskursanalytischen Neutralisierung unterstellen läßt, erscheint nun eines narzißtischen Präsentismus verdächtig, d. h. einer Funktionalisierung des Vergangenen im Lichte einer gegenwärtigen Selbstvergewisserung, die die Form eines kollektiven Gedächtnisses armimmt.59 Ausdrücklich wird der mit NIETZSCHE genealogisch bestimmte „historische Sinn" deshalb als Modus eines Gegen-Gedächtnisses begriffen. „Der historische Sinn umfaßt drei Arten der Historie, die sich jeweils deren platonischen Spielarten entgegensetzen: die wirklichkeitszersetzende Parodie widerstreitet der Historie als Erirmerung oder Wiedererkermung; die identitätszersetzende Auflösung stellt sich gegen die Historie als Kontinuität oder Tradition; das wahrheitszersetzende Opfer stellt sich gegen die Historie als Erkenntnis. In jedem Fall geht es darum, die Historie für immer vom - zugleich metaphysischen und anthropologischen - Modell des Gedächtnisses zu befreien. Es geht darum, aus der Historie ein Gegen-Gedächtnis zu machen und in ihr eine ganz andere Form der Zeit zu entfalten."60 56 Vgl. M. Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 42). 385. 57 Vgl. M. Foucault: Die Ordnung der Dinge, (wie Anm. 53). 394. 58 M. Foucault: Die Geburt der Klinik. Frankfurt/M. 1988.15. 59 Foucault scheint in diesem Zusammenhang weniger die in Frankreich vor allem mit dem Namen Maurice Halbwachs verbundene soziopsychologische Erforschung der kollektiven Gedächtnisse (für Halbwachs konnte es überhaupt kein umfassendes, einheitliches Gedächtnis geben) im Auge zu haben, sondern ein kollektives Gedächtnis im Sinne der Ausprägung eines „objektiven Geistes", den eine Metaphysik der Erinnerung legitimiert. Vgl. meine Hinweise in: Zwischen Epistemologie und Ethik. In: Philosophische Rundschau. 39 (1992), 186-213, Anm. 58. 60 M. Foucault: Archäologie des Wissens (wie Anm. 21). 181 f; Von der Subversion des Wissens (wie Anm. 49). 85; vgl. den Abriß der am College de France unter dem Titel „Historie der Denk-
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Ist aber als einzige Alternative zum Versöhnungsdenken Hegelscher Provenienz - bis hin zu ADORNO - nur ein „gnadenloser Historismus" und ein „zynischer Blick" des Genealogen auf ein kontingentes Kommen und Gehen von Diskursformationen denkbar?6i Werden wir so gar auf eine neue Spielart „berichtender" Historie zurückgeworfen, wie es PAUL VEYNE nahelegt, wenn er FOUCAULT als einen „Historiker im Reinzustand" charakterisiert, „der nichts anderes will, als stoisch zu sagen, wie es gewesen ist" bzw. zu sagen, daß es „in der Geschichte nur individuelle oder gar einzigartige Konstellationen" gibt, deren jede nur „aus ihrer eigenen Situation vollständig erklärbar" ist?62 Und wird sich ein so historistisch verstandener Historiker am Ende selbst widerstandslos gemäß der Bedürfnisse seiner jeweiligen Gegenwart in Dienst nehmen lassen? Ich glaube nicht, daß diese Konsequenz zwingend ist, auch wenn man zugesteht, daß FOUCAULT bestenfalls indirekt durchschimmern läßt, wo die Kritik der erinnernden Vernunft und des kollektiven Gedächtnisses, in dem diese Vernunft auskristallisiert, noch auf einen Vergangenheitsbezug verpflichtet bleibt, der sich einer diskursanalytischen Neutralisierung vielleicht widersetzt. Zweifellos verabschiedet sich das genealogische Denken nicht von jeglicher in der Rekonstruktion des Vergangenen vorausgesetzten Normativität. Es genügt, in diesem Zusammenhang auf den Stellenwert hinzuweisen, den FOUCAULT im Anschluß an BACHELARD und CANGUILHEM dem Typus einer epistemologischen Geschichtlichkeit selbst im Hinblick auf eine Geschichte praktischer Vernunft einzuräumen bereit war.63 FOUCAULT legt sogar die Vergleichbarkeit einer epistemologischen Geschichte mit einem entwicklungslogischen Denken nahe, die um so plausibler wird, als letzteres seinerseits ausdrücklich auf das Denken „linearer Genesen", „monotoner Finalitäten" einer unverzweigten Evolution oder Teleologie der Vernunft verzichtet hat, um eine Orthogenese der Vernunft denken zu körmen, welche sich nur retrograd aus einer abgründigen „Vielfalt der Zeit" herauszuschälen vermag. Die Geister scheiden sich freilich an der Frage, inwieweit Systeme" abgehaltenen Lehrveranstaltungen in A. Kremer-Marietti: Foucault - der Archäologe des Wissens. Frankfurt/M. 1976.196. Foucault imterscheidet die Begriffe Ermnerung und Gedächtnis terminologisch nicht; vgl. dazu bei Hegel: H. Schmitz: Hegels Begriff der Erinnerung. In: Archiv für Begriffsgeschichte. 9 (1964), 37-44. 61 Vgl. /. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne (wie Anm. 29). 324. 62 Vgl. Paul Veyne: Der Eisberg der Geschichte. Berlin 1981.52. 63 Vgl. das Interview mit G. Raulet in den Spuren (s. o. Anm. 48) sowie M. Foucault: Omnes et singulatim: vers une critique de la raison politique. In: Le Debat. 41 (1986), 5-35. Archäologie des Wissens, S. 269,271; G. Canguilhem/M. Foucault: Der Tod des Menschen im Denken des Lebens. Tübingen 1988.58.
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die Vernunft durch ihre Verzeitlichung in dieser Vielfalt selbst eine Zerstreuung erleiden muß, statt sich wie der „Geist" Hegels „unbeschädigt im Hintergrund" zu halten.64 Weniger beachtet als diese viel diskutierte Frage wird allgemein der Status der Rede von einer zerstreuenden Verzeitlichung, die uns, wie FouCAULT in seinem Essay „NIETZSCHE, die Genealogie, die Historie" apodiktisch formuliert, jegliche Identität angeblich „untersagt". Was veranlaßt FOUCAULT, mit NIETZSCHE einer an-archischen Zeitlichkeit das Wort zu reden, die sich einer erirmemden Vernunft widersetzt und die sich eben deshalb einer vernünftigen Bestimmung des Sinns des Vergangenen überhaupt nicht scheint mitteilen zu können? Immerhin verspricht der NIETZSCHE-Essay auf die Spur einer möglichen Antwort zu führen.
VI. Dieser Text setzt zunächst mit derselben Polemik gegen ein Ursprungsdenken ein, die auch die Archäologie des Wissens eingeleitet hatte. „Die Genealogie verhält sich zur Historie nicht wie die hohe (und tiefe) Sicht des Philosophen zum Maulwurfsblick des Gelehrten; vielmehr steht sie im Gegensatz zur metahistorischen Entfaltung der idealen Bedeutungen und unbegrenzten Teleologien. Sie steht im Gegensatz zur Suche nach dem ,Ursprung'." Die Genealogie widersetzt sich der die Zeitlichkeit des Vergangenen verkeimenden Gewohnheit, dank eines „metaphysischen Nachtriebs" (NIETZSCHE) „nach Ursprüngen zu suchen, unbegrenzt die Linie der Rückläufigkeiten abzulaufen, Traditionen zu rekonstruieren, Entwicklungskurven zu verfolgen, Teleologien zu entwerfen und unaufhörlich zu den Lebensmetaphern zurückzugreifen" - so als hätte man insgeheim „eine eigenartige Abneigung verspürt, den Unterschied zu denken, Abweichungen und Dispersionen zu beschreiben, die vergewissernde Eorm des Identischen aufzulösen ..." - „als hätten wir Angst, das Andere in der Zeit unseres Denkens zu denken".6S Dieses Andere, von dem sich FOUCAULT, gerade indem er ihm gerecht zu werden versucht, nicht zur Anstrengung einer „desalienation" herausfordern läßt, figuriert im folgenden als das, was die unterschiedlichsten Geschichten möglich macht - von der klassischen Ereignisgeschichte bis hin 64 ß. Waldenfels: In den Netzen der Lebenswelt. Frankfurt/M. 1985.120. 65 M. Foucault: Archäologie des Wissens (wie Anm. 21). 22; Von der Subversion des Wissens (wie Anm. 49). 69.
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zur longue duree „fast unbeweglicher Geschichten..Geschichten mit leichtem Gefälle: die Geschichte der Seewege, die Geschichte des Getreides oder der Goldminen, die Geschichte der Dürre und der Bewässerung, der Koppelwirtschaft, die Geschichte des von der Menschheit erreichten Gleichgewichts zwischen Hunger imd Vermehrung".66 Das „Andere" figuriert hier als die polymorphe Ressource, die eine solche Vielfalt von Geschichten möglich macht und es zugleich verbietet, ganz selbstverständlich weiter davon auszugehen, es handle sich „um die gleiche Vergangenheit oder Geschichte, die hier wie dort erzählt wird". Tatsächlich sind wir ja mit vielfältigen Versuchen nachträglichen Umschreibens von Geschichte konfrontiert, die auf die Spur „mehrerer Vergangenheiten, mehrerer Verkettungsformen, mehrerer Hierarchien der Gewichtung, mehrerer Determinationsraster, mehrerer Teleologien" führen, die sich schwerlich im Bild eines geronnenen An-sich des wirklich Gewesenen unterbringen lassen. Jene Vergangenheiten sind zunächst jeweils das Korrelat der internen Kohärenzen oder „architektonischen Einheiten", die man konstruieren kann.67 Die Vergangenheit aber, die diese vielfältige Konstruierbarkeit zuläßt, ist für FoucAULxein Zeit-Raum einer Streuung, des Disparaten; eine Mannigfaltigkeit, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise gliedern läßt.68 Es handelt sich um die noch „lebendige, zerbrechliche, zitternde ,Geschichte'", nicht um „das Verschwinden von Geschichte, sondern [um] das Verschwinden jener Form von Geschichte, die insgeheim, aber völlig, auf die synthetische Aktivität des Subjekts bezogen war".69 Der Begriff des Subjekts steht hier für ein „archäologisches" Verhältnis zum Vergangenen, das ihm nur das Spiegelbild einer Teleologie ist, welche ihrerseits die Vergangenheit im Sinne Hegels nachträglich bewahrheitet
66 M. Foucault: Archäologie des Wissens (wie Anm. 20). 9 f, zur historiographischen Literatur, auf die Foucault Bezug nimmt, vgl. C. Honegger: „Michel Foucault und die serielle Geschichte“, In: Merkur. 36 (1982), 500-523. 67 M. Foucault: Archäologie des Wissens (wie Anm. 21). 9,48,181; Roberto Machado: Archeologie et epistemologie. In: Michel Foucault philosophe. Paris 1989,15-31. 68 Vgl. P. Veyne:DerEisbergderGeschichte(wieAnm.62).49,62. 69 Foucault legt allerdings Wert auf die Feststellimg, daß jener Zeit-Raum nicht als der Raum eines Nebeneinanders einer Vielzahl von Geschichten zu verstehen sei; vgl. Archäologie des Wissens (wie Anm. 21). 22, 26,19; Die Ordnung des Diskurses (wie Anm. 49). 39, wo Foucault gegen die Vorstellimg einer „lebendigen" Historie bei „gestrigen Philosophen" polemisiert. Zur Programmatik einer genealogischen Dezentrierung des Subjekts vgl. im übrigen in den Dispositiven der Macht (wie Anm. 8). 32, sowie in der Archäologie des Wissens (wie Anm. 20). 23 f. In diesem Zusammenhang sind die Abgrenzungen gegen die beliebte Rhetorik einer solchen Dezentrierung bei Ricoeur allerdings bedenkenswert; vgl. Zeit und Erzählung. Bd 3 (wie Anm. 26). 351355.
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und sie dabei totalisiert, also nichts draußen läßt.^o FOUCAULT greift demgegenüber nicht die Geschichte, wie SARTRE gemeint hat, sondern eine alles erinnernde Geschichte an, die jenes Andere, welches die Vergangenheit birgt, aufheben könnte. FOUCAULT verlangt, unser Verhältnis zum Vergangenen von der „Ideologie“ der Erinnerung zu befreien und die dem Vergangenen aufgezwungenen Kontinuitäten, Linearitäten und Finalitäten zu „suspendieren“, um dann auf ein Material stoßen zu können, „das man in seiner ursprünglichen Neutralität zu behandeln hat“, d. h. der Widersetzlichkeit einer „Vielfalt der Zeit“ angemessen, mit der diese sich gegen ihre Bändigung durch ein Subjekt sperrt. So soll der Blick geöffnet werden für ein unermeßliches Panorama der Korrelierbarkeit von „Aussagen“, d. h. dessen, was jemals gesagt worden ist; so soll der Sinn geschärft werden für ein überbordendes Spiel möglicher Beziehungen - „von allen Gruppierungen befreit, die sich als natürliche, unmittelbare und universelle Einheiten geben“.7i Wenn man nicht länger Handelnde als Autoren ihres Tuns und Ereignisse als geschichtliche Kristallisationskerne dieser Einheiten betrachtet, wird man die Chance haben, ungeahnte, völlig neuartige Geschichtsgebiete sich zu erschließen, deren Vergangenheit keineswegs nur neu gegliedert wird, sondern selbst als Neu-Vergangenheit erscheint.72 Es handelt sich nicht darum, hinter einer auf individuelle oder kollektive Tater und Opfer zugeschnittenen Geschichte „das schäumende Leben selbst“ entdecken zu wollen, sondern auf der Ebene eines anonymen Gesagten alle möglichen Gliederungsformen ausfindig zu machen, um sich der „Vielfalt der Zeit“ zu versichern, die man ereignisgeschichtlich so selbstverständlich als Geschichte von Menschen, ja des Menschen glaubte darstellen zu dürfen. Es geht nicht um „das Sammeln des Ursprünglichen oder die Erinnerung der Wahrheit", nicht um eine Rehabilitierung des Ver70 In seiner großen Freud-Studie hat Ricoeur eine solche Verknüpfung von Archäologie und Teleologie angesichts eines „unaufhebbaren" Unbewußten nachdrücklich zu legitimieren versucht; vgl. Die Interpretation. Frankfurt/M. 1974. - Zur Spiegelbildlichkeit von Archäologie und Teleologie vgl. D. Henrich: Hegels Theorie über den Zufall (Anm. 44), 135. Für Foucault würde jedenfalls der Prozeß der nachträglichen Bewahrheitung, den Merleau-Ponty und Ricoeur mit Bezug auf Hegel und Bergson beschrieben haben, ganz und gar in die kontingente Geschichte fallen. Ein Ursprung zeichnet sich stets erst nach dem Abfall von ihm ab, im Zuge einer „Rückgestaltung" (Merleau-Ponty) des Vergangenen, die ihrerseits von einem späteren „mouvement retrograde du vrai" (Bergson) überformt werden kann und so selbst einer imvorhersehbaren künftigen Geschichte ausgesetzt bleibt. 71 M, Foucault: Archäologie des Wissens (wie Anm. 20). 41 ff, 52. 72 Der Sinn dieses Begriffes, der in epistemologischer Perspektive allerdings gesondert zu legitimieren wäre, habe ich ausführlich zu begründen versucht in Geschichte im Zeichen des Abschieds. München 1996.
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gangenen, sondern darum, welche Unterschiede gemacht werden können, die zu einer Vielzahl heterogener Geschichten führen können.73 Der gleiche Tenor bestimmt, wie gesagt, den NiETZSCHE-Essay. Energisch treibt er das Projekt einer „Entwirklichung" der erinnernden Vernunft im Spiegel einer „überschüssigen" Vergangenheit voran, welche jeglichem Ansinnen, sich in ihr „wiederfinden" zu wollen, spottet. Dabei wird der Überschuß affirmiert und zur Grundlage einer Vernunft-Kritik, deren normative Substanz, zumindest was die Erirmerung betrifft, unklar bleibt. Befreit werden soll alles, was auf eine Auflösimg des Subjekts der Erinnerung hinarbeitet - befreit zu was, möchte man fragen. „Die genealogisch aufgefaßte Historie will nicht die Wurzeln unserer Identität wiederfinden, vielmehr möchte sie sie in alle Winde zerstreuen; sie will nicht den heimatlichen Herd ausfindig machen, von dem wir kommen, jenes erste Vaterland, in das wir den Versprechungen der Metaphysiker zufolge zurückkehren werden; vielmehr möchte sie alle Diskontinuitäten sichtbar machen, die ims durchkreuzen." Jegliche Identität wird insgeheim vom Plural regiert, „unzählige Seelen machen sie einander streitig".74 Das Vergangene ist ein Irrgarten, in dem jegliches Sichwiederfindenwollen sich verlieren muß. Das erweist ein Gegen-Gedächtnis, das sicherlich keine Ersatzidentität anbietet, sondern unsere eigene Unwirklichkeit angesichts einer „Vielfalt der Zeit" erkennen läßtis, gegen die eine fingierte Identität ihre Wahrheit müßte behaupten können. „Anstatt unsere blasse Individualität mit den starken Identitäten der Vergangenheit zu identifizieren, geht es darum, uns in so vielen wiedererstandenen Identitäten [!] zu entwirklichen." Diese Identitäten haben sich in einer verzweigten Herkimft eingenistet, die keine narrative Vermmft zu totalisieren vermöchte. Denn die Geschichten, in denen die Identitäten sich jeweils darstellen lassen - auf Kosten anderer, teils gegensätzlicher Geschichten -, sind so wenig kompossibel wie Perspektiven in einem universalen Geometral.76 „Dem komplexen Faden der Herkunft nachgehen heißt ... das festhalten, was sich in ihrer Zerstreuung ereignet hat: die Zwischenfälle, die winzigen Abweichungen oder auch die totalen Umschwünge, die Irrtümer ..., die das entstehen ließen, was für 73 M, Foucault: Archäologie des Wissens (wie Anm. 21). 178,289,111,293. 74 M. Foucault: Von der Subversion des Wissens (wie Anm. 49). 86. 75 Ebd. 79. 76 Hegel beruft sich ausdrücklich auf eine denkbare „Totalität aller Gesichtspunkte" (VG. 32). Ohne den fälligen Hinweis auf Chladenius' Idee einer historischen Perspektivität (im Anschluß an Leibniz) weist P. Vejme, anspielend auf Merleau-Ponty, den Gedanken eines Geometrals aller möglichen historischen Perspektiven zurück in: Geschichtsschreibung. Und was sie nicht ist. Frankfurt/M. 1990.41,83,192.
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uns Wert hat. Es gilt zu entdecken, daß an der Wurzel dessen, was wir erkennen und was wir sind, nicht die Wahrheit und das Sein steht, sondern die Äußerlichkeit des Zufälligen ... Die Erforschung der Herkunft liefert kein Fundament: sie beunruhigt, was man für unbeweglich hielt; sie zerteilt, was man für eins hielt; sie zeigt die Heterogenität dessen, was man für kohärent hielt."77 Vor allem das Ereignis soll demnach zunächst von dem Zwang befreit werden, nur als Moment einer Filiation, einer über es hinausweisenden Bedeutung wahrgenommen zu werden imd wird so als möglicher Schnittpunkt anderer Zusammenhänge sichtbar, so daß man in ihm nicht nur einen späteren Sinneffekt wiedererkennt. Das so „befreite" Ereignis läßt jene „Vielfalt der Zeit" hervortreten, weit entfernt, auf den Trümmern entfinalisierter Bedeutungen die schiere Bedeutungslosigkeit herrschen zu lassen. Die gegen-geschichtliche Anstrengimg einer Unterwanderung der Logik der erirmernden Geschichtlichkeit führt infolgedessen auf eine abgründigdivergente Zeitlichkeit, aus der eine erinnernde Vernunft ihrerseits das Erzählbare zu schöpfen scheint. Suspendiert man die Erirmerung im Lichte dieser Zeitlichkeit, so entdeckt man die „Unstimmigkeit des Anderen", eines relativen Anderen in einer Geschichtlichkeit anderer, „wiedererstandener Identitäten" mit eigenem Maß und eigener Intensität. Der Genealoge weiß sehr wohl, daß er der Logik der Identität insofern nicht entkommt, als seine gegen-geschichtliche Arbeit nur auf andere, eben Gegen-Geschichten führen wird, die die Identität zwar von innen her pluralisieren, nicht aber endgültig restlos auflösen. Aber er insistiert darauf, daß im Spiegel einer „genealogisierten" Vergangenheit auch die Identität, die uns auf diese Vergangenheit zurückkommen läßt, kontingent werden muß. Karm sie je mehr sein, als ein Ast eines viel weiter verzweigten, quasi-evolutionären Geschehens, das andere, nicht in ihrer Gegenwart aufgehobene Richtungen zeitigte?^« Gewiß, FOUCAULT geht mit NIETZSCHE zunächst von einer epistemologischen Problematik aus, wo er sich zum Denken „metahistorischer Entfaltungen idealer Bedeutungen" in Gegensatz setzt. Doch wendet er seine Kritik sogleich auf gängige Vorstellimgen individueller Geschichtlichkeit an. „Wo die Seele sich zu einen behauptet, wo sich das Ich eine Identität oder Kohärenz erfindet, geht der Genealoge auf die Suche nach dem Anrr M. Foucault: Von der Subversion des Wissens (wie Anm. 49). 74,85. 78 Vgl. vom Verf. „Archeological questioning: Merleau-Ponty and Ricoeur". In: P. Burke/J. Van der Veken (Hrsg.): Merleau-Ponty in Contemporary Perspectives. Dordrecht/Boston/London 1993,1324.
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fang - nach den unzähligen Anfängen..." Diese Analyse der Herkunft „führt zur Auflösung des Ich und läßt an den Orten und Plätzen seiner leeren Synthese tausend verlorene Ereignisse wimmeln".79 Es wäre ganz sinnlos, diese Auflösung im Namen einer absoluten Unwirklichkeit von Identität zu postulieren, die nach einer methodischen „Entwirklichung" einer nur fingierten Identität das letzte - nichtssagende - Wort behielte. Die genealogische Strategie kann vielmehr nur das Vorspiel der Eröffnung einer anderen Wirklichkeit sein und einer IdentitätsGeschichte keineswegs wie die Wahrheit einer demaskierten Unwahrheit gegenüberstehen. Diese Strategie sperrt sich vor allem gegen den archäologisch-teleologischen Kurzschluß, der uns eine entstandene Identität in die Wurzeln ihrer Geschichte hineinprojizieren und so womöglich verkeimen läßt, „daß es hinter allen Dingen ,etwas ganz anderes' gibt: nicht ihr wesenhaftes und zeitloses Geheimnis, sondern das Geheimnis, daß sie ohne Wesen sind oder daß ihr Wesen Stück für Stück aus Figuren, die ihm fremd waren, aufgebaut worden sind".80 Die Identität ist demnach an-archisch verfaßt. Sie hat eine verstreute Herkunft, aber in der Geschichte ihres Geschehens als Sichsammeln- und Sichwiederfindenwollen keinen Ursprung. Gerade das aber inspiriert sie. Nur ein an-archisch verfaßtes „Subjekt" begibt sich auf die Suche nach seiner „reinsten Möglichkeit", nach seiner „in sich gekehrten Identität", nach einer womöglich „unbeweglichen und allem Äußeren, Zufälligen, Zeitlichen vorhergehenden Form". Die genealogische „Demaskierung" der Identität, die sich von keiner angeblichen Wahrheit einer solchen Suche mehr bevormunden läßt, zeigt indessen nur die „Unstimmigkeit des Anderen", die man imterdrückt, ohne sie aber ausschalten zu können, denn das Andere hat seinen unverrückbaren Ort - den Ort einer verkörperten Erinnerung. Was schmerzhaft ist, bleibt im Gedächtrüs als ein Brandzeichen der Existenz, hatte NIETZSCHE gelehrt.si Das scheint FOUCAULT im Sinn zu haben, wo er den Blick des Genealogen als gleichsam „physiologischen" charakterisiert: er entdeckt, daß die Erbschaft, die eine Gegenwart antritt, kein „erworbener Besitz [ist], der immer größer und sicherer wird; sie ... ist schwankend und brüchig und bedroht von innen und von unten auch den Erben" - weil er sie existiert - körperlich, leibhaftig: „weil der Körper in 79 M. Foucault: Von der Subversion des Wissens (wie Anm. 49). 73. 80 Ebd.71.Vgl. PG.56. 81 Vgl. KSA 5.295.
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seinem Leben und in seinem Tod ... die Folgen jeder Wahrheit und jeden Irrtums zu tragen hat". Denn der „Leib ist der Ort der Herkunft: am Leib findet man das Stigma der vergangenen Ereignisse ..als Analyse der Herkunft steht die Genealogie also dort, wo sich Leib und Geschichte verschränken. Sie muß zeigen, wie der Leib von der Geschichte durchdrungen ist und wie die Geschichte am Leib nagt. "82 So ist der Leib eine Art Dokument seiner Genealogie. Wenn das Universalität prätendierende „Subjekt" gerechten Urteilens glauben machen kann, es habe sich in einer reinen Orthogenese der moralischen Urteilsfähigkeit gebildet, die es irreversibel aus seinen Fehlern hat lernen lassen, so belehrt uns der Leib in seiner stummen Sprache eines besseren: ihm ist das Stigma einer anderen „Vorgeschichte der Subjektivität", einer heteronomen Subjektivierung durch Gewalt, durch die man ihn „zur Vermmft gebracht hat", auf die Stirn geschrieben. Ihm wird das lebendige Gegen-Gedächtnis all dessen zugeschrieben, was sich gegen ein glückliches Wiederfinden einer ersten oder letzten Identität sperrt. Warum aber Partei ergreifen für ein leibhaftiges Gedächtnis, in dem die Ereignisse nicht zurücktreten, „damit die wesentlichen Züge, der endgültige Sinn, der erste und letzte Wert zur Geltung kommen"? Warum einen „wahren historischen Sirm" proklamieren, der vordergründig doch nur die Vorzeichen der Arbeit der Identität umkehrt, nicht dem Verstehen, sondern dem „Zerschneiden" des Kontinuierlichen, nicht dem „tröstlichen Spiel des Wiedererkennens", sondern dem niemals „wieder" zu erkennenden Anderen das Wort redet?S3 FOUCAULT selbst begnügt sich mit Andeutungen: weil es der Schmerz ist, der dieses Andere dem Leib eingebrannt hat und gerade deshalb nicht vergessen läßt, was die Arbeit der Identität vergeblich zu er-irmern versucht. Ist der ständige Versuch einer geschichtlichen „Wiederholung" der Identität nicht gerade das Symptom dieser Vergeblichkeit? Dieser Spur geht FOUCAULT freilich nicht nach, so daß die Genealogie dem Denken einer wiedererirmemden Identität schroff entgegengesetzt bleibt. FOUCAULT möchte auch nicht zeigen - was einer Vermittlimg vielleicht den Weg hätte bahnen können -, „daß die Vergangenheit noch da ist, daß sie in der Gegenwart noch lebt und sie insgeheim belebt.. ."84 Gerade die „Redlichkeit" eines „wahren [!] historischen Sinns", die FOUCAULT mit NIETZSCHE gegen eine erirmernde Vermmft aufbietet, untersagt uns den Glauben an eine wieder zum Leben zu erweckende Vergangenheit. 82 M. Foucault: Von der Subversion des Wissens (wie Anm. 49). 73,75. 83 Ebd.78. 84 Ebd. 74.
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Wenn die Vergangenheit kraft des Schmerzes noch ein „Leben" hat, so nicht, weil nun der Körper sich als eine erinnernde Subjektivität behauptet, sondern weil er eine Subjektivierung erfährt durch jenes Andere. Der Schmerz bleibt gerade deshalb „in Erinnerung", weil seine „Ursache" sich nicht „erinnern" läßt. Genau so hat FREUD, Z. T. in Analogie zum physiologischen Schmerz und mit Hilfe einer allerdings inadäquaten Begrifflichkeit, die Trauer zu erklären versucht. Die Trauer hält an und intensiviert sich noch, weil ihre „Ursache", der fehlende und für immer abwesende Andere, weder durch eine melancholische Identifikation sich „aufheben" oder ersetzen, noch libidinös einfach vergleichgültigen läßt. Die leibhaftige Trauer ist die an-archische Erinnerung im Leben eines Identitätswesens, das vom Anderen her lebt und sich gerade durch dessen Nichterinnerbarkeit inspirieren läßt.^s Diese Erinnerung verleibt sich den abwesenden Anderen gerade nicht ein, sondern ent-sagt dieser Möglichkeit, weil der Andere nur so Anderer, unwiderruflich Vorübergegangener bleiben karm. Daran, daß der Andere in unwiderruflicher „Vorübergegangenheit" bleiben muß, entzündet sich ja gerade die Trauer als Rückbezug auf die „Vergangenheit" des Anderen, dessen Verlust sie verzweifelt bestätigen muß. FREUD hat mit dieser Interpretationsmöglichkeit seines Werkes zugleich den Weg gewiesen, auf dem das An-archische, das sich einer Ursprungserinnerung widersetzt, wie sie FOUCAULT mit NIETZSCHE kritisiert, als eine erinnernde Geschichtlichkeit inspirierend denken läßt.86 Gibt man eine solche Vermittlungsperspektive (die nicht auf eine Versöhnung hinauslaufen muß) völlig preis, so verliert die Apologie des Anderen, in dessen Namen FOUCAULT die erinnernde Vernunft überhaupt verabschieden möchte, viel von ihrer Überzeugungskraft und droht ins Rhetorische abzugleiten. Richten sich das Gegen-Gedächtnis und die genealogische Entwirklichung der Identität nur gegen eine Eriimerung, die die Sprache jener „Vielfalt der Zeit" ohnehin nicht versteht und die von ihrer Fixierung auf einen verlorenen Ursprung ohnehin nicht lassen kann? Und ist dagegen alternativ nur
*5 So gesehen würde in der Tat die Geschichte mit jenem Verhältnis zum Anderen beginnen, das Levinas jenseits der Geschichte ansiedelt. Dieser Andere aber wäre nicht mehr bloß ein (verinnerlichter) „relativer" Anderer (Ricoeur), der „repräsentiert" wäre im Unbewußten als dem „brüderlichen Anderen" unserer selbst (Foucault). Und das Verhältnis zum - absoluten - Anderen wäre nicht mehr gemäß einer Kategorie der Negativität zu beschreiben, die einer erinnernden „Arbeit" des Sinns nicht im Wege stünde. Was uns zu denken bleibt, ist, wie gleichwohl ein - absoluter - Anderer die Bemühung um ein - stets nur relatives - Verstehen zu inspirieren vermag, das die - radikale - Fremdheit des Anderen nicht aus der Welt schafft. Vgl. }. Derrida: Die Schrifl und die Differenz, (wie Anm. 10). 57,146,181,193,393. 86 Vgl. vom Verf.: Geschichte im Zeichen des Abschieds. München 1996. Kap. 111.
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eine glückliche Indifferenz gegen jegliche Identitätsansprüche zu setzen, die sich widerstandslos mit der an-archischen Verzeitlichimg arrangiert? Mit Wahnsinn und Gesellschaft schien FOUCAULT selbst jenen angedeuteten dritten Weg gehen zu wollen, indem er die Perspektive eines „trauernden" Rückbezugs auf die Vergangenheit eines Wahnsinns eröffnete, deren Resistenz er gegenüber einer „erinnernden" Sprache schien bestätigen - und nicht etwa im Sirme einer Vergegenwärtigung des Vergangenen „aufheben" - zu wollen. Mit diesem Werk schien FOUCAULT den Sinn einer an-archischen Erinnerung beweisen zu wollen, die sich zu einer anderen, gegengeschichtlichen Identität aufgerufen weiß gerade durch das Andere, von dem die erinnernde Vernunft-Geschichte schwieg. Daß auch eine „Archäologie" dieses Schweigens diesem Anderen ent-sagen muß, will sie es nicht geradewegs der Vernunft-Geschichte einverleiben, hat FOUCAULT selbst gesehen.87 Der NiETZSCHE-Essay aber fällt hinter das so sich stellende Problem einer an-archischen Erinnerung und einer „indiskreten" Thematisierung des „Anderen" zurück, insofern er im Versuch, sich endgültig vom Hegelianischen Erbe zu verabschieden, von einem erinnernden Vergangenheitsbezug überhaupt abzurücken scheint. So kann der Eindruck entstehen, als körme einer das Vergangene in sich aufhebenden Erinnerung nur ein neuer Historismus entgegengesetzt werden, der uns nicht sagt, warum eine abgründige Vergangenheit, die die narrative Erinnenmg überfordert, gleichwohl nicht einem universalen Vergehen des Vergangenen überantwortet bleiben soll. Zu zeigen wäre gerade, wie eine Vergangenheit, die sich nicht in der Weise der Vergegenwärtigung aufheben lassen wird, im Zeichen des Anderen eine andere Erirmenmg zu inspirieren vermag. Mit der Preisgabe eines allzu „hegelianisch belasteten" Erinnerungsbegriffs droht zugleich vergleichgültigt zu werden, was uns heute abverlangt, vergangene Zeit als Geschichte verständlich werden zu lassen.
87 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses (wie Anm. 49). 9; vgl. /. Derrida: Die Schrift und die Differenz (wie Anm. 10). 53-101.
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G. W. F. Hegel: El „Fragmento de Tubinga". - In: Revista de Eilosofia. Madrid. 7 (1994), 139-176. (Das „Tübinger Fragment". Einleitung und Übersetzung von Carmen-Paredes-Martin.) Das Tübinger Fragment wird hier zum ersten Mal ins Spanische übersetzt. Diejenigen, die sich nur auf Spanisch mit dem Werk Hegels befassen können, werden möglicherweise darüber erstarmt sein, daß Hegel in dieser 1793 verfaßten Schrift solche Reife in seinen Gedanken zeigt, eine so große Sicherheit in seiner Haltung zum Vorschein bringt und, was den Inhalt angeht, so viel Wesentliches vorwegnimmt. Die zahlreichen und mannigfaltigen Untersuchimgen zum jungen Hegel haben u. a. eindeutig gezeigt, daß Intentionen und Leistungen des Verfassers der Phänomenologie xmd der Enzyklopädie nicht ohne eine explizite Assimilation der frühen Schriften durchsichtig werden. Dort, wo die späteren Werke besonders abstrakt sind und imzugänglich scheinen, hilft zu einer angemesseneren rmd präziseren Interpretation die Lektüre der an Inhalt imd Perspektiven so reichhaltigen ersten Schriften. Das gilt auch mit besonderem Recht für das sogenannte Tübinger Fragment, derm hier finden wir eine Quelle des Hegelschen Denkens. Nim kann man das entweder so verstehen, daß hier ein wirklicher Anfang vorliegt, der aber hinsichtlich seiner weiteren Entwicklung ganz unbestimmt bleibt, oder so, daß wir es mit einer Art Grundanschauung zu tun haben, die in sich das Wichtigste enthält und zur Selbstentfaltung tendiert. Freilich kann mem auch beides zu verbinden versuchen imd sagen, das Grundlegende dieser Schrift bleibe noch unbestimmt in bezug auf die Konzeption des späteren Hegel, enthalte aber Elemente, die Wesentliches antizipieren. Auf jeden Fall karm man an Inhalt und Bedeutung der Schrift nicht vorbeikommen. Mit Recht hebt die Verfasserin in einer kurzen Einleitung drei Aspekte hervor: Vindizierung des Gefühls, Natur und Ideal: die Sehnsucht nach Griechenland, Volksreligion. Man könnte hierin drei Themen sehen, um die das Ganze, nämlich Bedeutung und Sinn der Religion selbst kreist. Dem Gefühl kommt die Aufgabe zu, den Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft zu überwinden und ihre gegenseitige
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Wechselwirkung ans Licht zu bringen. Schließlich geht es darum, zu zeigen, wie „die Ideen der Vernunft das ganze Gewebe der Empfindungen beleben". An diesem Punkt ist der Einfluß von ROUSSEAU und JACOB: ZU erkennen. Die Lektüre PLATOS bringt Hegel sogar dazu, die Liebe als Verbindung von Gefühl und Vernunft zu betrachten, was ja einer Betonung des Gefühls gleichkommt. Von diesem Standpunkt aus ist auch die Auffassimg zu verstehen, daß die Freiheit zur Eintracht mit der Natur gelangen muß. Das starke Interesse an der Lebensauffassimg der Griechen, das z. T. auf den Einfluß von SCHILLER und HERDER zurückzuführen ist, bringt u. a. mit sich, daß Hegel einerseits die Selbstbeherrschung gegenüber dem Schicksal und infolgedessen eine Art Versöhnung mit der Natur überhaupt als Merkmal der Freiheit in den Vordergrund stellt und zum anderen in der Fröhlichkeit ein Kriterium der echten Religion sieht. Von da aus übt er eine scharfe Kritik am Christentum. Bekanntlich sieht Hegel in der Religion eine Angelegenheit des Volkes als solches und will deswegen dazu beitragen, daß sie eine Volksreligion wird. Dazu gehört vor allem, daß die Religion das Volk bildet, indem sie die Erhebung und Veredlung seines Geistes fördert. Im Einklang damit muß die Religion die Phantasie des Volkes nicht nur berücksichtigen, sondern zum Ausdruck bringen und als Hauptelement ihrer Darstellungsformen betrachten. Bildung und Phantasie haben nicht nur und auch nicht in erster Linie mit dem Individuum, sondern mit der Gemeinde als solcher, mit dem Volk selbst zu tun. Die Religion darf deswegen nicht in die Innerlichkeit flüchten und von den öffentlichen Angelegenheiten absehen. Von neuem ist an diesem Punkt der Einfluß ROUSSEAUS festzustellen. Die „religion civile" findet ihre Entsprechung in der positiven Rolle, welche die Religion bei der politischen Erziehung des Volkes übernehmen muß. Wenn Hegel in der ersten Stufe seines Denkens zwischen objektiver tmd subjektiver Religion eindeutig unterscheidet und sich nur noch für die letzte positiv interessiert und einsetzt, bedeutet dies, daß die individuelle und persönliche Kraft des Gemüts zwar anerkannt, zugleich aber in ein überindividuelles und gemeinsames Leben aufgenommen wird. Subjektivität ist also hier schon dialektisch als Vereinigung entgegengesetzter Momente zu verstehen. Daß die Übersetzerin auf diese Weise in die Lektüre des Textes einführt, ist begrüßenswert. Es trägt zu einer vernünftigen Einordnung und somit zum leichteren Verständnis der Schrift bei. Darüber hinaus läßt diese Darstellung gewisse Fragen von selbst auftauchen, welche zur weiteren Beschäftigung mit Hegel anregen, z. B. inwieweit er sein ganzes Leben lang der Religion als solcher dieselbe wesentliche Bedeutung beimißt, ob die Sinnlichkeit weiterhin als Hauptelement des Lebens betrachtet wird und ob die Liebe, wenn auch vielleicht mit anderen Worten, im späteren Werk auch als Grundprinzip des empirischen Charakters gilt oder ob die Weise, wie das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit in diesem Zusammenhang zutage tritt, doch den Grundhorizont bildet, in den spätere, oft sehr schwierige Ausführungen gehören. Die Übersetzung zeichnet sich andererseits dadurch aus, daß sie den Inhalt treu wiedergibt, ihn möglichst klar und präzis zum Ausdruck bringt und da, wo es nötig
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ist, mittels der entsprechenden Anmerkimgen erläutert. Mit dieser Veröffentlichung des Tübinger Fragments sind die Hegelkenntnisse in spanischer Sprache ein Stück weiter gekommen. Mariano Alvarez-Gomez (Salamanca)
Myriam Bienenstock: Politique du jeune Hegel. Jena 1801-1806. Paris: Presses
Universitaires de France 1992.278 S. Es waren die Defizite der modernen Politiktheorie, die in den vergangenen Jahren eine Rückbesinmmg auf die Tradition der praktischen Philosophie notwendig erscheinen ließen. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung von Hegels politischer Philosophie kontrovers. Von den einen als antimodemistisch verurteilt, wurde sein Ansatz den anderen zum Ausgangspimkt des Bemühens um eine Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Entscheidende Beiträge und Anstöße für die Auseinandersetzung um die politische Philosophie Hegels sind von Frankreich ausgegangen. Es sei hier nur an die Arbeiten von ERIC WEIL und BERNARD BOURGEOIS erirmert. In dieser Tradition steht auch die hier zu besprechende Arbeit von MYRIAM BIENENSTOCK. Für BIENENSTOCK wird die Frage, ob Hegel in Jena eine Restituienmg der ARiSTOTELischen Einheit von Ethik imd Politik unter den Bedingungen der arbeitsteiligen Gesellschaft gelingt, zum Prüfstein dieser politischen Philosophie. Der Versuch, Hegels Jenaer Lehren für die praktische Philosophie der Gegenwart fruchtbar zu machen, ist keineswegs ein Novum. Im Kern lassen sich - den drei Erscheinimgsformen des Geistes entsprechend - drei Interpretationsansätze unterscheiden: CASSIRER verweist auf die Rolle der Sprache, LUKACS auf die der Dialektik der Arbeit, LITT auf den Kampf um Anerkenmmg als das tragende Prinzip des Jenaer Systems. Allen drei Ansätzen gelingt es zwar, so BIENENSTOCK, gewisse Gesichtspimkte des Hegelschen Ansatzes zu verdeutlichen, um aber die wahre Konzeption einer Legitimation des Politischen zu rekonstruieren, müssen andere Wege eingeschlagen werden. Einseitigkeit ist auch bei der Frage nach den Quellen der politischen Philosophie Hegels zu vermeiden. Bleibt Hegel der klassischen Tradition des Naturrechts verpflichtet oder führt seine Entwicklung nicht vielmehr rmter dem Einfluß der schottischen Volkswirtschaftslehre zu einer vollständigen Preisgabe des antiken Modells? Oder sind die entscheidenden Anstöße in den Gesprächen des Frankfurter Freimdeskreises zu suchen? Ein weiterer Gesichtspunkt ist entscheidend. Hegel hatte nur wenig publiziert, als er nach Jena kam. In den folgenden drei Jahren erscheinen in rascher Folge wichtige Arbeiten, danach kommt es bis 1807 zu einem Stillstand in der Reihe der Veröffentlichimgen. Die Grimdlagen für die Erforschung dieser ,Lücke', die Genese des Systems, ist mit der Ausgabe Gesammelte Werke (Bd 6, 7, 8) geschaffen worden. Auf dieser Basis rekonstruiert und prüft die Verfasserin Hegels praktisch-politischen Ansatz. Jede Auseinandersetzung mit Hegels Jenaer praktischer Philosophie sieht sich mit dem Vorwurf von J. HABERMAS konfrontiert, Hegel gebe zu Beginn seiner Jenaer
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Zeit die ihn noch in Frankfurt leitende Hoffnung preis, kritische Einsicht bereite die Praxis einer klugen Reform vor, und konvertiere zum geschichtsphilosophisch aufgeklärten Quietismus. Für Habermas wird in der Anerkennung, die Hegel der „Wahrheit, die in der Macht liegt", zollt, diese Entwicklung manifest. Für BIENENSTOCK kann hier nur die Interpretation der Verfassungs-Schrift Klarheit bringen (Kap. 1). Der im Kontext dieser Fragestellung gewonnene Problemhorizont gestattet es in einem zweiten Schritt, die Dimensionen der Hegelschen Theorie des Politischen herauszuarbeiten (Kap. 2). Hegels These von der „Wahrheit, die in der Macht liegt" wird vor dem Hintergrund der Berner und Frankfurter Bestimmvmgen zur „Macht der Religion", dem Pantheismusstreit und der Auseinandersetzung um den Fatalismus der spinozistischen Philosophie analysiert. Die Rekonstruktion dieses Diskussionszusammenhangs vermag überzeugend darzustellen, daß die berühmte Passage der Verfassungs-Schrift zwar die Begriffe Macht und Gewalt wie äquivalente des Begriffs Autorität (potestas) gebraucht, dies aber nicht im Sinne einer Verteidigung jeglicher Form von Machtpolitik zu verstehen ist, wie es etwa die Interpretation F. ROSENZWEIGS unterstellt. Vielmehr will Hegel zeigen, daß Moral imd Gerechtigkeit keine Bedeutung haben in einer politischen Konstellation, die auf einer Macht gründet, die als reine Gewalt auftritt. Wie verkürzt die Einbindung der ,Macht' in eine modern verstandene rein politische Sphäre ist, zeigt die Konfrontation mit MACHIAVELLi, HOBBES und vor allem SPINOZA. Eine ganze ,Weltanschauimg' steht bei der Bestimmimg der „Macht" auf dem Spiel, keineswegs geht es nur um ihre Funktionsbestimmimg im Rahmen einer politischen Studie. Dieser Hintergrund muß gewärtig sein, wenn die spezifisch politische Bedeuhmg dieses Begriffs herausgearbeitet werden soll. Jenen Zusammenhang, den Hegel im Schicksalsbegriff zwischen Macht und Leben herstellt, führt keineswegs notwendig zum Fatalismus, vielmehr gewinnt er mit dieser Verbindung allererst einen Maßstab, um den Fatalismus zu bekämpfen. Nur wer dem „Schicksal" gerecht wird, kann die Bedingungen wirksamen politischen Handelns bestimmen. Der Zusammenhang aller Bürger in einem Ganzen macht jene lebendige Einheit aus, die Hegel zum Ausgangspunkt seines Angriffs auf die gewalttätige Anarchie im Deutschen Reich veranlaßt; die Verhältnisse im Deutschen Reich sind der Hintergnmd für Hegels berühmte Formulierung von der „Wahrheit, die in der Macht liegt". Mit dieser Problementfaltimg ist das Leitthema der kommenden Jahre formuliert: Welcher Zusammerüiang besteht zwischen dem Leben des ganzen Volkes und dem Staat, der dieses Leben organisieren soll? Mit ihrem Empirismus und Formalismus bleibt die moderne Theorie des Naturrechts ungenügend. Um nicht in die Barbarei zu verfallen, müssen die Sitten eines Volkes als gewußte Form, d. h. als Gesetz vorgestellt werden. Insistiert Hegel mit diesem Appell lediglich auf die Systematisierung der spezifischen Gesetze einer Epoche oder aber wird hier die Erhebung in die Form der Universalität gefordert? Hegel wendet sich gegen die zeitgenössischen Bestrebungen, das Recht zum Objekt eines positiven Wissens zu machen. Auch der KANiische imd FiCHXEsche Idealismus verfährt letztlich positiv und dogmatisch. BIENENSTOCK weist nach, wie die Zurück-
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Weisung des KANTischen und FiCHXEschen Freiheitsbegriffes mit der Kritik an deren (abstraktem) Erkenntnisbegriff einhergeht. Hegel folgt in seiner Kritik MONTESQUIEU und begreift das Recht als einen Faktor der Empirie imd der Vernunft. Die Kritik an MONTESQUIEU macht allerdings auch deutlich, daß Hegel in gewisser Hinsicht näher zu HERDER steht: Ist es MONTESQUIEU doch seiner Ansicht nach nicht gelungen, die lebendigste Idee zu erfassen, die sich in der absoluten Totalität eines Volkes verwirklicht findet. Mit FICHTE imd KANTimterscheidet Hegel im Naturrechts-Aufsatz zwischen Legalität imd Moralität. Die Annäherung bleibt formal, nimmt Hegel doch klassisch ARISTOTELische Formulierimgen auf, nicht ohne sich allerdings auch von dieser Konzeption abzugrenzen. Für Hegel begründet die Metaphysik die Wissenschaft des Rechts. Warum, so fragt BIENENSTOCK, bemüht sich Hegel um eine Integration der klassischen Tradition in seine politische Philosophie imd warum muß diese Philosophie Wissenschaft sein? Beide Fragen verweisen für die Verfasserin auf das Hauptproblem Hegels: Wie kann der Positivismus überwunden werden? Den notwendigen Dualismus des Bewußtseins zwischen Idealismus und Realismus bzw. zwischen einer aktiven und passiven Seite überwindet Hegel, indem er das Bewußtsein als Begriff des Geistes faßt (Kap. 3). Hegels Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Ansätzen in Glauben und Wissen dient BIENENSTOCK als Ausgangspunkt für diese Erörterung. Hegels Kritik an KANT, JACOBI und EICHTE bleibt zunächst an SCHELLEMG orientiert, nichts deutet darauf hin, daß er zwischen 1801/2 eine ihn befriedigende Lösung gefunden hat. Erst die Vorlesungen zur Philosophie des Geistes entwickeln einen Lösungsweg. Die Reflexionen zur Sprache zeigen deren doppelte Funktion: Kommunikation zu ermöglichen, aber auch Ausdruck zu sein. In den Vorlesungsfragmenten zur Philosophie des Geistes (1803/4) unterscheidet Hegel zwischen jener Tätigkeit, die die Bedeutungen einer Sprache schafft, und dem Rekonstruieren der bedeutenden Sprache in dem „Formalen der reinen Tätigkeit". Erst Letzteres macht die Sprache zu dem, was sie ihrem Begriffe nach ist. Dieser Tätigkeit liegt ein neuer Begriff des Bewußtseins zugrunde - ist dieser auch der Lösungsansatz für Hegels praktische Philosophie? Vermag dieses Rekonstruieren als das praktische Leben eines Volkes auch die politischen Institutionen eines Volkes zu legitimieren? Erst ab 1805/6 baut Hegel seine praktische Philosophie auf den Begriff des Willens auf. Noch in den Entwürfen der Jcihre 1803/4 fehlt dieser Begriff. In der Folge wird die Konstitution des Staates als Willensausdruck gefaßt. Für den Interpreten dieser Entwicklungsstufe (Kap. 4) stellt sich zunächst die Frage, ob hier tatsächlich, wie LUKäCS interpretiert, eine Transformation der Bewußtseinsphilosophie in eine Philosophie der Arbeit vorliegt. Das „Werkzeug" als Produkt der Arbeit wird von Hegel wie auch die Sprache eines Volkes als ein Werk verstanden, das sich nicht einem Herstellen (poiesis) verdankt, sondern aus der menschlichen „praxis" hervorgeht. Einen weiteren Problempunkt bilden die Hegelschen Analysen zur Arbeitsteilung und dem Kampf der Individuen um Anerkennung. Die Arbeitsteilung bringt ungleiche Beziehungen zwischen den Einzelnen hervor. Der Vertrag als Garant des
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Eigentums fixiert diese ungleichen Beziehungen noch. ROUSSEAU fordert daher einen grimdlegenden Vertrag auf der Basis der Gleichheit der Bürger, d. h. er fordert auch Eigentumsgleichheit. Hegels Nähe zu ROUSSEAU ist unübersehbar. Ab 1805/6 vollzieht er die Ablösung von der antiken Ständelehre. Er fordert nun, daß die Mitglieder eines Staates, die Bürger im Vollsinn den allgemeinen Willen wissen müssen. Bildimg wird damit zur Gnmdlage des politischen Lebens. Die öffentliche Meinung ist zur Quelle exekutiver und legislativer Macht geworden. Hier zeigt sich vielleicht, so BIENENSTOCK, das eigentlich Originelle der Hegelschen Willenskonzeption: Nicht länger ist die Natur des Menschen auf die Verfassxmg eines Volkes beziehbar, sondern allein der Wille. Was an der Natur des Willens allein entscheidend ist, ist die Möglichkeit, gebildet zu werden. Das Schlußkapitel dieses Buches widmet sich der „großartigen Synthese der Jenaer Studien", der Phänomenologie des Geistes. Hier begründet Hegel eine Logik bzw. Dialektik, die mit Notwendigkeit von einer Philosophie des Bewußtseins zu einer Philosophie des Geistes führt. BIENENSTOCK verzichtet auf die (von der Forschung bereits geleistete) Analyse der Entstehimgsgeschichte der Hegelschen Logikkonzeption zugunsten der Erörterimg der Frage, in welcher Konzeption des Begriffs die Phänomenologie gründet. Die praktischen Konsequenzen dieser Logik zeigen sich in der „Macht des Begriffs", die sich auch über die Praxis des Lebens erhebt. Die Deutung dieses Ansatzes muß klären, inwiefern diese praktische Philosophie das Bedürfnis „leben zu lernen" zu befriedigen vermag. Bereits im Zusammenhang der Rekonstruktion des Ansatzes von 1803/4 wurde die Frage erörtert, ob Hegels Auffassimg des Bewußtseins als Wesen des Geistes nicht einen AmsTOTELischen Einfluß verrät. Es zeigte sich dort eine große Distanz zu ARISTOTELES. Wie aber ist es in der Phänomenologie um diese Tradition bestellt? Für BIENENSTOCK ist es eine AmsTOTELische Konzeption des Lebens, die zum zentralen Bezugspunkt der Phänomenologie wird. Für Hegel ist es weder die Macht des Bewußtseins noch das Handeln des Individuums, das die Welt des Menschen und der Natur organisiert, sondern es ist das telos, der Zweck als Prinzip. Die Erkenntnis der hier herrschenden Notwendigkeit führt nicht notwendig zum Fatalismus, sondern gibt der Freiheit allererst ihr Recht. Dies leistet für Hegel die Macht des Begriffs. Auf der Grundlage der Jenaer Arbeiten rekonstruiert BIENENSTOCK die Spaimweite des ,Begriffs' bei Hegel. Die Phänomenologie des Geistes bestimmt die Dialektik als den Erfahrungsprozeß, den das natürliche Bewußtsein auf dem Weg zum Wissen durchläuft. Auf jeder Stufe des Wissens muß das Bewußtsein seinen Irrtum erkennen imd zu einer neuen Form weiterschreiten. Diese bestimmte Negation einzelner Wissensformen bezeichnet Hegel als die Tat des Geistes. Es ist die „Energie des Denkens des reinen Ichs", dem Hegel alle Macht zuweist. Dieser Begriff von Macht ist nicht politisch im modernen Siim des Wortes und dennoch hat er politische Bedeutung. Diese Differenzierung ist entscheidend für das Verständnis jenes berühmten Kapitels über die „Selbständigkeit xmd Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft". Gegen KojfivES (vorschnellen) Versuch, aus der Phänomenologie des
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Geistes eine praktische Philosophie zu gewinnen, betont BIENENSTOCK, daß für Hegel das Ziel der Erfahrung von Herrschaft und Knechtschaft keine Lektion in politischer Macht ist. Die Frage, warum Hegel die Prüfung einer Wissensform mit konkreten geschichtlichen Handlungsformen bzw. deren Ablösimg verdeutlicht, bleibt offen. Für BIENENSTOCK erfährt das reine Selbstbewußtsein auf dieser Stufe seine Ohnmacht gegenüber der wirklichen Realität; diese Erfahnmg ist erst der Beginn seiner vernünftigen Tätigkeit. Wahrhaft praktisch im umfassenden Sinn wird das Tun des Selbstbewußtseins erst als Geist. Die Bausteine dieser praktischen Philosophie werden abschließend rekonstruiert. Hegel ist weit davon entfernt, einem modernen Zweckrationalismus das Wort zu reden. Seine Teleologie der Vermmft steht eher in der Nachfolge des AiuSTOTELischen „zweckmäßigen Tuns". Für Hegel ist erst durch die Macht des ganzen Volkes die Subsistenzsicherung formal garantiert und die allgemeine Substanz auch inhaltlich als Sitte und allgemeine Geschicklichkeit verwirklicht. Das Leben eines ganzen Volkes erhält alle Macht. Das ethische Verhalten ist zugleich ein sittliches, das einzelne Individuum vollzieht ausschließlich die Ziele der Gemeinschaft. Aber diese sittliche Welt kann rucht bestehen ohne religiöse Welt. Das ist es, was die Antike nicht zu begreifen vermochte, daß das Individuum danach strebt, ein inneres göttliches Gesetz zu verwirklichen. Das Auftreten dieses Prinzips führt zum Konflikt zwischen den Individuen und macht die Anerkennung der Einzelnen als abstrakte Personen im Rechtszustand notwendig. Auf dieser Stufe siedelt Hegel auch die Erfahrung der „Bildung" an. Wie ist die Erfahrungsstufe „Bildxmg" im Gesamtbildungsprozeß der Phänomenologie zu situieren? Die Verfasserin zeigt, daß auf dieser Stufe eine neue Erfahnmgsdimension erreicht ist. Mit seinen Erfahnmgen greift das Individuum erstmals gestaltend in die Welt, insbesondere die soziale imd politische Realität ein. Die Bildung des Individuums wird zu einem Machtfaktor. Auf dieser Entwicklungsstufe ist die Formienmg der Bildimg identisch mit der Formierung der Staatsmacht zur wahren Wirklichkeit: Die Staatsmacht - zunächst nur das gedachte Allgemeine wird in diesem Bildungsprozeß zum „seyenden Allgemeinen", zur wirklichen Macht. In diesem Prozeß erweist sich die eigentümliche Bedeutung der Sprache, die „für sich seyende Einzelheit des Selbstbewußtseins" tritt als solche in Existenz und wird für andere wirklich. Die Pluralität selbstbewußter Individuen fordert die Sprache als Kommunikations- und Bildungsmittel. Die Sprache wird zur Quelle der Macht. Andere Faktoren treten hinzu, Reichtum etwa, aber auch Religion. Worauf es Hegel hier ankommt, so BIENENSTCXIK, ist die Pluralität der Faktoren, die die Legitimierung von Macht ermöglichen. Der sich entfremdete Geist strebt aber auch danach, das Allgemeine selbst zu vollbringen. Denn „wobey das Selbst nur representirt und vorgestellt ist, da ist es nicht wirklich; wo es vertreten ist, ist es nicht". In dieser Entfremdimg vermag die allgemeine Freiheit aber kein positives Werk hervorzubringen; es bleibt ihr nur das negative Tun, sie ist die „Furie des Verschwindens". In diesem Abschnitt zeigt Hegel, was dem Bewußtsein in seinem Bildimgsprozeß noch fehlt. Es ist die Erfahrung der Moralität. Die Moralität selbst besitzt für ihn eine Macht, die der allgemeine Wille nicht besitzt. Das Wissen des Selbstbewußt-
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Seins ist hier Substanz geworden. Das Wissen ist hier wesentlich die Bewegung des Selbst, die Abstraktion des unmittelbaren Daseins aufzuheben und für sich Allgemeines zu werden. BIENENSTOCK verweist auf die politischen Implikationen dieses vorletzten Abschnitts der Phänomenologie. In den Sphären Sittlichkeit, Bildung und Moralität entfaltet Hegel die Bausteine seiner praktischen Philosophie. Mit der Unterscheidung dieser drei Sphären zeigt Hegel, daß für ihn kein Staat, keine politische Organisation auf Dauer stabil sein, wenn das Individuum in ihm sich nicht wiederzuerkennen vermag. Macht, das hat BIENENSTOCK im Ausgriff auf die Jenaer Entwicklung Hegels überzeugend entfaltet, darf nicht einseitig auf einen engeren politischen Bereich reduziert werden. Macht ist für Hegel ebenso in der Moralität wie in der Religion und Philosophie wirklich. Der Entwicklimgsprozeß der Phänomenologie ist Hinführimg des Bewußtseins zum absoluten Wissen, zugleich aber auch dieses Wissen selbst. Praktisch im engeren Sinne wird die Einübung xmd Überprüfung von Wissenformen erst auf der Stufe des Geistes. Problematisch scheint an dieser Konzeption die teleologische Ausrichtung des Begriffs: Läßt diese der Kontingenz des Geschichtlichen Raum, oder eliminiert Hegel hier nicht viel eher eine zentrale Dimension des Praktischen? Das sind Fragen, die sich an diese Konzeption der politischen Philosophie anschließen. Die Studie von BIENENSTOCK rekonstruiert überzeugend die Dimensionen von Hegels Jenaer politischem Denken, insbesondere dessen Verknüpftheit mit der Bestimmimg der Philosophie. Die vorliegende Arbeit ist ein wichtiger Beitrag nicht nur zur Hegel-Forschung, sondern auch zur Bestimmung der praktischen Philosophie der Gegenwart. Elisabeth Weisser-Lohmarm (Hagen)
Bruno Coppieters: Kritik der reinen Empirie. Hegels Jenaer Kommentar zu Montesquieus Theorie des Politischen. Berlin: Akademie Verlag 1994. 252 S. In Hegels Aufsatz für das Kritische Journal: „lieber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften" (im folgenden zitiert nach G(esammelte) W(erke). Bd 4) werde MONTESQUIEUS Methode in Vom Geist der Gesetze allen übrigen neuzeitlichen Behandlimgsarten des Naturrechts gegenübergestellt. Sie stelle zu den vertragstheoretischen Naturrechtstheorien eine Alternative dar und werde von Hegel als beispielhaft für seine eigene Konzeption einer wissenschaftlichen Behandlimgsart des Naturrechts gewürdigt. Gemäß dieser Interpretation setzt es die vorhegende Arbeit sich zum Ziel, die methodische Bedeutung derjenigen wissenschaftlichen Gnmdpositionen, die Hegel für die Konstitution seiner eigenen Philosophie als wichtig ansieht - insbesondere Begriffe wie „l'esprit des lois“, „caractere d'xme nation", „genie de la nation" und „l'esprit general d'une nation" - in ihrer systembildenden Wirkimg für Hegels Philosophie des Absoluten zu untersuchen (vgl. 13,23).
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stellt sich damit in der Tat eine in der Hegelforschung wenig bearbeitete Aufgabe; denn anders als Hegels Rezeption der Philosophie KANTS und FICHTES wie der politischen Ökonomie hat Hegels MoNTESQUiEU-Rezeption kaum im Mittelpunkt der Hegelforschung gestanden. Die Untersuchung beschränkt sich auf Hegels Arbeiten aus den frühen Jenaer Jahren imd hier vor allem auf den Naturrechts-Auisatz. Auch in methodischer Hinsicht setzt die Arbeit sich ein begrenztes Ziel: sie will nicht die Einwirkimg einzelner Thesen von MONTESQUIEU auf Hegels Philosophie nachzeichnen, sondern vielmehr die geistige Verwandtschaft zwischen beiden analysieren (16). hn ersten von drei Kapiteln der Arbeit geht COPPIETERS Hegels methodischer Grundkonzeption nach, die er in der systematischen Darstellung des Absoluten anhand der Seinsbestimmungen von Einheit und Vielheit sieht: philosophische Grundfragen wie das Verhältnis des Denkens zum Sein oder der Gegensatz zwischen allgemeinen Gesetzen und besonderen Bestimmungen der Wirklichkeit würden anhand dieser Einheit-Vielheit-Konstruktion des Absoluten neu formuliert und beantwortet; sie bilde den konzeptionellen Rahmen für Hegels Philosophie der Sittlichkeit und gebe nicht zuletzt auch die Folie für die Kritik des Naturrechts ab. Hegel unterscheidet im Naturrechts-Auisatz bekanntlich zwei Behandlungsarten des Naturrechts, die empirische und die formale. Die erste begründe das Naturrecht in empirischen Zwecken und Trieben, die zweite entwickle eine rein formale Rechtstheorie. Die empirische Behandlungsart identifiziert COPPIETERS umstandslos mit HOBBES Vertragstheorie, obgleich er den Einwand aufgreift, daß Geselligkeitstrieb, Liebe und Haß, die Hegel neben dem Selbsterhaltungstrieb als gnmdlegende Elemente der empirischen Behandlungsart des Naturrechts aufzählt, für HOBBES' Vertragstheorie keine Bedeutung haben (113, Anm. 272). ln dieser Behandlimgsart führt nach COPPIETERS Interpretation von Hegels Kritik die fehlende Differenzierung zwischen den Momenten des Apriori und Aposteriori zur einseitigen Hervorhebung der Vielfältigkeit in der unmittelbaren Anschauung. Weil aber der systematische Anspruch eine einheitliche Darstellung verlange, verlasse die systematische Empirie den Ausgangspunkt der Vielheit durch die begriffliche Reduktion der Anschammg. Diese willkürliche Reduktion der Erfahrungswirklichkeit widerspreche aber dem Primat der Vielheit. Im Gegensatz zu den empirischen Wissenschaften räume die Kritische Philosophie KANTS und FICHTES in ihrem Begriff von Objektivität der vereinheitlichenden Instanz der Vernunft gegenüber dem Seienden Priorität ein. Sie vermöge aber das Verhältnis von Einheit imd Vielheit nicht auf eine der Einheit wie der Vielheit angemessene Weise darzustellen; ihr Verfahren führt nicht zu einem Umgreifen der Vielheit durch die Einheit, sondern zur Entgegensetzimg von Einheit und Mannigfaltigem. Im zweiten Kapitel analysiert COPPIETERS Hegels Unterscheidung zwischen einer „systematisch" und einer „rein" verfahrenden Empirie im Naturrechtsdenken. Während er die systematisch verfahrende Empirie - wie oben angeführt- mit HOBBES' Naturrecht identifiziert, versucht er nachzuweisen, daß Hegel sich mit der als „reine Empirie" charakterisierten Naturrechtskonzeption auf MONTESQUIEU beCOPPIETERS
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zieht. Diese Interpretation versucht er durch einen Vergleich der Textstellen zur reinen Empirie und zu MONTESQUIEU nachzuweisen. Zwischen der Art, wie Hegel die reine Empirie der systematischen, und der Art, wie er die Methode MONTESQUIEUS den vertragstheoretischen Behandlungsarten des Naturrechts gegenüberstellt, werden eine Reihe von Parallelen aufgezeigt; bei der Charakterisierung der „reinen Empirie" wie im MoNTESQUiEukommentar hebe Hegel den erkenntnistheoretischen Primat der Anschauung und die Konzeption der Gesellschaft als Totalität besonders hervor. Der Name MONTESQUIEUS falle nur aufgrund von Hegels typologiesierender Darstellungsweise nicht bei der Behandlung der „reinen Empirie". Hegel bezeichnet die reine Empirie als „alte" Empirie. COPPIETERS schließt daher das zweite Kapitel mit einer Untersuchung, inwieweit diese Charakteristik MONTESQUIEU im Verhältnis zu HOBBES gerecht werde. Der wesentliche Gesichtspunkt, der diese Charakterisierung rechtfertige, sei MONTESQUIEUS Erneuerung der ARISTOTELisch-scholastischen Tradition, mit der er sich gegen HOBBES' systematische Vertragstheorie wende. In vielerlei Hinsicht sei MONTESQUIEUS Traditionsgebimdenheit jedoch auch als spezifisch modern zu betrachten, vor allem seine historisierende Betrachtung der Gesellschaft imd des Rechts. COPPIETERS' These, die alte Empirie müsse nicht notwendig die antike sein, ist sicher zutreffend; die Bezeichmmg „alte Empirie" benutzt Hegel nur einmal und eher beiläufig, keineswegs als Terminus technicus. Er konzediert ihr auch, daß sie zurecht gegen die „wissenschaftliche" Empirie einwende, die Komplexheit empirischer Phänomene zu ignorieren (vgl. GW 4. 429), was Hegel ja nur bzgl. eines tatsächlichen Diskurses konstatieren kann. Dagegen ist die These, daß Hegel mit „reiner Empirie" vorzügUch MONTESQUIEU meine, kaum stichhaltig. Der NaturrechtsAufsatz enthält, wie schon der oben zitierte Titel anzeigt, drei Teile, eine kritische Auseinandersetzimg mit dem früheren Naturrecht, einen Entwurf von Hegels eigenem System der Sittlichkeit und schließlich dessen Verhältnis zu den „positiven Rechtswissenschaften", i. e. den Wissenschaften von den historisch und geographisch individuellen Rechtssystemen (GW 4. 471), die - Hegel zufolge - quasi eine Verlängerung der Naturrechtstheorie zum Empirischen darstellen (GW 4. 471, vgl. auch 417). MONTESQUIEUS Esprit des lois wird nun keineswegs, wie COPPIETERS suggeriert, unmittelbar im Anschluß an die Darstellung der eigenen Systemkonzeption als ein gelungenes Beispiel für diese gewürdigt, sondern im Anschluß an die Kritik der positiven Rechtswissenschaften diesen beispielhaft entgegengesetzt. Beispielhaft ist MONTESQUIEU also nicht als Naturrechtstheoretiker, sondern weil seine Methode es ermöglicht, historisch und geographisch individuelle Rechtssysteme als nicht zufällig, sondern in ihrem notwendigen Zusammenhang mit dem Geist eines Volkes zu sehen.
Hegels Beurteilung von MONTESQUIEUS Wissenschaftlichkeit steht im Mittelpunkt des dritten Kapitels. Aus dem MoNTESQUiEukommentar und der Kritik des Naturrechts destilliert COPPIETERS fünf Kriterien, die Hegel zur Beurteilung der Wissenschaftlichkeit einer Methode anwende: Hegel kritisiere erstens die Positivität der Wissenschaften, i. e. die Reduzierung der Wirklichkeit auf einige wenige Bestim-
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mungen und die Subsumtion der Wirklichkeit unter abstrakte Gesetze; er fordere zweitens eine einheitliche Begründung der theoretischen und praktischen Philosophie auf dem Standpxmkt der Subjektivität, drittens eine systematische Darstellvmg der Forschungsresultate, viertens eine innere Strukturgliedervmg, wonach das Ganze seinen Teilen vorhergeht und schließlich fünftens die spekulative Erfassung der Idee, worin der Erfahrungsreichtum der Empirie bewahrt imd dessen rationale Gnmdlage durch das Wissen der Idee erweitert werde. Während KANT und FICHTE gemessen am zweiten und dritten Kriterium MONTESQUIEU überlegen seien, gebühre ihm dagegen der Vorrang in der Beurteilung gemäß dem ersten imd vierten Kriterium. Das fünfte Kriterium dagegen sei weder bei MONTESQUIEU noch in der Transzendentalphilosophie erfüllt. Mit dem besonders in diesem Kapitel zum Ausdruck kommenden, aber für die ganze Arbeit gnmdlegenden wissenschaftstheoretischen Verständnis, die in Hegels Philosophie eine „Wissenschaft der Erfahnmg" (13, 33. 77 u. ö.) sehen will, die formale Kriterien zur Beurteilung der Wissenschaftlichkeit von Erfahrungswissenschaften liefern wolle, verfehlt COPPIETERS ganz offensichtlich Hegels Intentionen. Während Hegel die Konzeption des Absoluten als einer komplexen Relation von Einheit imd Vielheit entwickelt, um die zuvor (sei es mm vermeintlich oder wirklich) gezeigten Aporien der kritisierten Naturrechtstheoretiker zu überwinden, destilliert COPPIETERS daraus abstrakte „Kriterien für Wissenschaftlichkeit" (29) bzw. Maßstäbe der Wissenschaftskritik (30 f), anhand derer andere Theorien gemessen würden. Zwar ist richtig, daß Hegel die Einbeziehung der Erfahrung bzw. empirischer Phänomene in die Philosophie fordert. Seine Intention ist aber nicht die Begründung irgendwelcher Kriterien der Wissenschaftskritik, sondern ein Programm, das alle Wirklichkeit in einem ontologisch gedachten Seinszusammenhang begründet und daher den empirischen Phänomenen ihre Stelle im notwendigen Zusammenhang des Wirklichen zuweisen kann. Hegel will keine „Wissenschaft der Erfahrung" begründen, sondern eine Theorie der Begründung alles Wirklichen, die insofern die Erfahrung aufnehmen muß, als sie das, was in ihr „wirklich" - d. h. nicht bloß als subjektives Meinen - vorhanden sei, in ihrem notwendigen Zusammenhang zu begreifen beansprucht (GW 4.471 f). Franz Hespe (Bergen)
Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807). Hrsg, von Walter Jaeschke. Hamburg; Meiner 1993. VIII, 239 S. - Quellenband. Hrsg, von W. Jaeschke. Hamburg: Meiner 1993. XII, 416 S. (Philosophisch-literarische Streitsachen. Bd. 2 u. 2.1) Die beiden Bände bemühen sich darum, den diskursiven Zusammenhang bei der Ausgestaltung des deutschen Idealismus aufzuhellen. Vor allem der erste Band, der Vorträge eines Symposiums aus dem Jahr 1989 versammelt, zielt auf die Aufklärung
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und Analyse der idealistischen Problemkonstellation. Ein Verdienst aller Autoren, die hier nur insofern besprochen werden, als sie für Hegel relevant sind, besteht darin, daß sie auch entfernte Aspekte einer Diskussion über eine Philosophie nach der KANTischen Vemunftkritik in Betracht ziehen und bislang verborgene intertextuelle Zusammenhänge aufdecken können. So werden nicht allein die klassischen Vertreter des idealistischen Denkens behandelt, sondern ebenfalls scheinbare Neben- und Randfiguren in den Blick genommen, deren scharfsinnige Kritik und eigenständige Überlegrmgen man bislang nicht genügend berücksichtigt hat. Die gemeinsame Suche nach einer Ersten Philosophie, die man in Auseinandersetzung mit KANT konzipiert, zeigt damit mehr Facetten, als sich prima f acie vermuten läßt. Außer dem Aufweis eines Grundes des Wissens, der etwa für FRIEDRICH SCHLEGELS Vorlesungen über die Transzendentalphilosophie und BOUTERWEKS Idee einer Apodiktik leiten ist, wird bei HERDER desweiteren KANT mit der Erfahrung und Geschichte konfrontiert, während JACOBI in seiner Polemik gegen FICHTE das Verhältnis von Philosophie und Leben zum Thema macht. Hinzu kommt der frühe Versuch SCHLEIERMACHERS, die KANiische Philosophie imter Zuhilfenahme SPENOZAS umzugestalten, sowie der spekulative Ansatz SCHELLINGS, die begrifflichen Mittel der Transzendentalphilosophie solchermaßen umzuformen, daß man neben dem menschlichen Geist auch die relative Selbständigkeit der Natur anerkennen kann. Wenn darüber hinaus REINHOLDS rationaler Realismus kritisch diskutiert und die Entwicklung von SOLGERS erster Philosophie dargestellt wird, so mündet der Band doch in der Philosophie Hegels, dem am Ende drei Aufsätze gewidmet sind. KLAUS DüSDNG führt zu Beginn seines Aufsatzes „Die Entstehung des spekulativen Idealismus. SCHELLEVIGS und Hegels Wandlungen zwischen 1800 tmd 1801" (144161) den wesentlichen Unterschied aus, der zwischen Hegels und SCHELLENGS Konzeption der Philosophie schon vor ihrer Zusammenarbeit in Jena bestand. Dies wird durch die Beschreibung derjenigen Elemente ergänzt, die Hegel und SCHELLESIG voneinander übernahmen. Die Gnmdlage der eigenständigen Entwicklung Hegels bildete sich bereits in der zweiten Hälfte seiner Frankfurter Zeit heraus. DüSING betont, daß Hegel es war, der die von ihm und SCHELLING gegenüber FICHTE vertretene Metaphysik des Absoluten begründete. Nach der Zusammenarbeit mit Hegel wendet sich SCHELLENG von der Identitätsphilosophie ab, während Hegel sich eine Metaphysik der absoluten Subjekhvität erarbeitet. WOLFGANG JANKE führt ein Gedankenexperiment im Aufsatz „Das bloß gesoUte Absolute. Zur strittigen Rolle des Sollens in Hegels Logik und Fichtes Phänomenologie ab 1804" (177-191) solchermaßen vor, daß er eine imaginäre Diskussion zwischen FICHTE und Hegel entwirft. Es konfrontiert FICHTES Idee des Sollens aus der Zweiten Vortragsreihe der Wissenschaftslehre und Hegels Sollenskonzeption aus der Jenaer Logik imd aus der Wissenschaft der Logik. JANKE hebt hervor, daß die Kritik am Sollen zu den stärksten Gegenargumente Hegels gehört, die er gegen FICHTE richtet, der die Aufgabe einer Ersten Philosophie mit eben dieser Kategorie lösen wollte. Hegel wendet den Begriff der schlechten Unendlichkeit zur Widerlegung des FicHTEschen Sollensbegriff an, sofern dieser im Endlichen befangen bleibt.
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seinerseits kritisiert Hegels dialektisches Prinzip in den Vorlesungen von 1804. Im letzten Teil seines Aufsatzes entwirft JANKE die philosophischen Dimensionen jener imaginären Diskussion imd weist auf die Wichtigkeit des Sollensproblems für den gesamten deutschen Idealismus hin. Im letzten Aufsatz „ ,Sich vollbringender Skeptizismus'. G. E. SCHUTZES Replik auf Hegel und Schelling" (192-230) analysiert KURT RAINER MEIST die Debatte zwischen ScHELLiNG und Hegel sowie SCHULZE. MEIST weist nach, daß sich SCHUTZES skeptische Kritik in viel größerem Maße auf die beiden jungen Philosophen auswirkte, als dies in der Fachliteratur bislang angenommen wurde. SCHUTZES erste Reaktion auf die Hegel-ScHELLiNGsche Identitätsphilosophie waren die camouflierten Aphorismen über das Absolute, in denen er das Denken des Absoluten spöttisch übertreibt. Seine darauf folgenden Hauptmomente der skeptischen Denkungsart entwickeln dann eine gut kalkulierte Gegenposition. MEIST stellt heraus, daß SCHUTZES Argumentation SCHELLING imd Hegel zum Rückzug zwingt und daß die jeweils divergierenden Reaktionen beiden den Unterschied ihrer Philosophien zum Vorschein bringen. Hegel meint, daß SCHELLING einerseits ihn in der Diskussion mit SCHULZE im Stich läßt und andererseits keine Kenntnis davon nimmt, wie ihr gemeinsamer Standpunkt, den SCHELLING noch in den Aphorismen zur Naturphilosophie von 1806 vertrat, inzwischen gegenüber der skeptischen Kritik unhaltbar wurde. Deshalb unterzieht er SCHELLINGS Ansichten einer scharfen Kritik in der Phänomenologie des Geistes. bn abschließenden Teil seines Aufsatzes geht MEIST jene Pimkte in der Phänomenologie der Reihe nach durch, die SCHUTZES tiefgreifende Wirkung beweisen, so daß dieses Werk Hegels als „ein sich Vollbringer Skeptizismus" erklärt werden kann. Der zweite Band gibt eine gut zusammengestellte Auswahl aus den Briefen, Kritiken, Aufsätzen und Sendschreiben der behandelten Philosophen. Diese Auswahl ist vor allem für ausländische Forscher hilfreich, da sie hier mit nicht immer leicht zugänglichen Materialien bekannt gemacht werden. Über diese Hilfestellung hinaus können die Materialien weitere Untersuchungen anregen, die vergessene Fäden einer bedeutenden philosophischen Diskussion wieder aufnehmen. Mihäly Szivös (Budapest) FICHTE
Terry Pinkard: Hegel's Phenomenology: The Sociality ofReason. New York and Cambridge: Cambridge University Press 1994. VII, 451 S. In his most recent book, TERRY PEVIKARD does not Claim to offer us yet another commentary on the Phänomenologie des Geistes; rather, he attempts to reconstruct the central arguments of HegeTs text. According to the author, this reconstruction should stand on its own; to that end, he quotes Hegel sparingly, reserving extensive citations for endnotes. A number of theses guide PINKARD'S argument. First, he contends that the project of the Phenomenology is epistemological rather than metaphysical. Further, he main-
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tains that knowledge for Hegel is a social practice; as such, it can only be understood as historical. Finally, he argues that the dialectic of the text proceeds through the successive completion of deficiencies in self-undermining Claims to knowledge. As the author puts it, „The Phenomenology offers a dialectical-historical narrative of how the European community has come to take what it does as authoritative and definitive for itself' (13). Thus, PINKARD'S argument aims to recapitulate HegeTs. Broadly, his first chapter considers the phenomenological project; chapters two through six run through the Phenomenology proper; and the seventh and final chapter examines the relation of the 1807 text to the later System, and especially to the Philosophy of Right. Taking the chapters singly, the first presents PINKARD'S theses, in part through a discussion of the „introduction" to the Phenomenology. Chapter two, entitled „The Claims to self-sufficient knowledge", deals with consciousness; it maintains that the development from sense-certainty through perception to the understanding demonstrates the untenability of knowledge-claims that do not recognize the social and historical embeddedness of the knower. Chapter three, „The Claims of self-sufficient agency", considers self-consciousness, which is first and foremost an awareness of this situatedness. For the independent self-consciousness, an authoritative reason for action is one that fits in with the subject's projects; in particular, such a reason is one in and through which the subject is recognized as independent by another selfconsciousness. Reconciliation of these two self-consciousnesses comes about through construction of objective, impersonal, universal point of view, which is attained in principle in the unhappy consciousness. „Modem life's project of self-justification", PINKARD'S fourth chapter, discusses the development of this transcendent, timeless reason. Chapter five, or „Modem life's alternatives and modern life's possibilities", considers Geist. According to PINKARD, the movement from reason to spirit is a movement from a „view from nowhere" to a conception of spirit as a reflective social practice; in Sittlichkeit, for example, rationality is groimded in a normative social Order. The sixth chapter, „The self-reflection of the human commimity", examines absolute spirit, which consists in the meditation of the European community on that which is ultimately authoritative for belief and action. These „authoritative Standards" are expressed in the institutions of art, religion, and philosophy; the author argues that this trinity of practices corresponds to Religion and absolutes Wissen in the 1807 text. Where religion elaborates this self-reflective process on the level of Vorstellung, absolute knowing considers it on the level of reflection. In absolute knowing, authoritative Standards are not extemal to the modern community, but come from the structure of its historically developed social practices. More particularly absolute knowing is the Union of thought and action, of reflection and politics, and, to use PINKARD'S example, between „doers" and „thinkers" or „between the ,NAPOLEONS' and the ,Hegels' of modern life" (264). The seventh and final chapter, „The essential stmcture of modern life", discusses what the author calls HegeTs „post-phenomenological project". This project consists in articulating a modern.
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freedom-based form of Sittlichkeit. The necessity of such a project is demonstrated in the Phenomenology, the mariner of its execution in the Philosophy of Right. There is much that is good about PINKARD'S book. It is a sustained and detailed analysis of the arguments of the Phenomenology. Copious and very helpful endnotes not only place HegeTs work in historical context, but also situate PINKARD'S argument in the context of the most current Hegel scholarship on both sides of the Atlantic. This is no small achievement in itself, yet the author goes one Step further: Refusing to get trapped within the details of the argument, he provides us with a key by means of which we can unlock the complexities of HegeTs text. PINKARD'S main thesis may be open to qualification, however. The Phenomenology certainly allows epistemological and non-metaphysical readings, though perhaps HegeTs work is best understood as transcending and unifying such distinctions. Further, should we accept that knowledge is a social practice for Hegel, it does not necessarily follow that the phenomenological development is temporal or world-historical. Thus, for example, the intersubjectively constituted nature of self-consciousness does not necessarily imply a dialectical history beginrung in ancient Greece with reflective accounts of mastery and slavery, as PINKARD Claims (64r-66). Rather, perhaps Hegel uses historical examples to illuminate phenomenological and logical points. Further still, PINKARD'S reconstruction does not sufficiently emphasize a number of important distinctions in the structure of HegeTs text. For example, his argument often glosses over the difference between textual and meta-textual levels in the Phenomenology, that is, between that which is „for consciousness" and that which is „for us". Finally, the focus on the relation of the Phenomenology to the Philosophy of Right could be read as minimizing the role of the former as an introduction to a System of science in general, and to logic in particular. These reservations aside, PINKARD'S book is a welcome addition to the discussion of Hegel in the English language. The high level of the scholarship, the familiarity of the author with the text and the relevant literature, and the provocativeness of the theses will do much to provoke and advance debate on the Phenomenology. Marcos Bisticas-Cocoves (State University of New York at Stony Brook)
Andreas Luckner: Genealogie der Zeit. Zu Herkunft und Umfang eines Rätsels. Berlin: Akademie Verlag 1994.249 S. Schon seit einiger Zeit ist ein wachsendes Interesse für die Zeitkonzeption Hegels wahrzunehmen. In neueren Arbeiten wird vor allem die Funktion der Zeit als Instanz der Vermittlimg zwischen Endlichkeit imd Unendlichkeit betont. Auf Grund der Ergebnisse der neueren Forschung ließe die Zeit sich sogar als die Mitte von Hegels Denken kennzeichnen. Unter dem Einfluß HEIDEGGERS hatte A. KOJ6VE bereits früh die Bedeuhmg der Zeit bei Hegel im Rahmen einer existentiellen Interpretation des Herr-Knecht-Ver-
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hältnisses hervorgehoben. Mehr systematisch angelegte Beiträge zur Wichtigkeit der Zeitfrage in Hegels Philosophie haben später dann verschiedene Autoren geliefert, zu denen auch A. LUCKNER mit seiner bemerkenswerten Arbeit zählt. Die Interpretation LUCKNERS schränkt sich auf die Zeit im Rahmen der Phänomenologie des Geistes ein. So steht er im Gegensatz zu den meisten der obenerwähnten Autoren, die auch relevante Texte aus dem späteren Werk Hegels für ihre Darlegung der Zeitfrage heranziehen. Wie LUCKNER erklärt (80), beabsichtigt er eine ,dekonstruktive' Deutung der Phänomenologie, wobei die Zeit als Schlüsselbegriff zur Erschließung der eigentlichen Perspektive auf den Geist in seinem Werdegang fungiert. LUCKNERS Absicht scheint schon deshalb plausibel, weil die Struktur der Zeit (namentlich hinsichtlich ihrer Zirkularität) in der Tat mit der Komposition der Phänomenologie einhergeht. Außer dieser Übereinstimmung zwischen Zeitstruktur imd Komposition der Phänomenologie wäre als ein weiteres Argument für LUCKNERS Interpretationsperspektive noch geltend zu machen, daß bei der Herausarbeitung der der Phänomenologie zugrundeliegenden Idee die Zeit (als Geschichtlichkeit des Geistes) erst später allmählich in ihrer konstitutiven Bedeutung für den Begriff hervortrat. Der anfänglich transzendentale Ansatz Hegels wurde somit nahezu von einem Wechsel zur geschichtlichen Perspektive ,unterminiert'. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch deutlich die Relevanz der Frage nach der Zugehörigkeit der Phänomenologie (als Darstellung des geschichtlichen Weges zum Absoluten Wissen) zur (zeitlosen) Wissenschaft. Ohne sich aber auf die Bedeuhmg des Perspektivwechsels innerhalb der Phänomenologie eingehend einzulassen, beantwortet LUCKNER (19,22,108) diese Frage negativ. Wiewohl LUCKNERS Interpretation sich in mancher Hinsicht als aufschlußreich erweist, könnte man sich fragen, ob sie nicht an Überzeugimgskraft gewonnen hätte, wenn die Texte bezüglich der Zeit im späteren Werk Hegels (Logik, Enzyklopädie) und die geschichtliche Komponente der Phänomenologie ebenfalls berücksichtigt worden wären. Sehr fraglich scheint mir LUCKNERS Absicht, WUTGENSTEINS Konzeption der ,Familienähnlichkeit' für eine Deutung der Zeit in ,genealogischem' Sinne zu nutzen (11 ff). Man wäre geneigt zum Zweigespann von Hegel und Wittgenstein zu sagen: ,bien etonnes de se trouver ensemble'. LUCKNERS Arbeit umfaßt zwei Hauptteile. Der erste Teil besteht aus einer dreifachen Exposition des Zeitproblems. Zuerst werden die metaphysischen Aspekte des Problems anhand einer historischen Betrachtung naturphilosophischer Zeitkonzeptionen erläutert. Dann wird der von KANT gesetzte transzendental-ästhetische Rahmen näher analysiert, innerhalb welchem die Zeit apriorische Geltung bezüglich der Erfahrung hat. Und abschließend wird das Problem im Licht der zuerst in Hegels Phänomenologie durchgeführten ,Dynamisierung' der transzendentalen Perspektive KANTS exponiert. Der zweite Hauptteil beinhaltet die erwähnte ,dekonstruktive' Interpretation der Phänomenologie, die auf genealogische Weise die Verschiedenheit der Zeitformen
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sichtbar machen soll. Mit dieser genealogischen Deutung der Zeit geht, so LUCK(20), eine ,neue' Perspektive auf die Phänomenologie einher. Dabei wird mittels einer Analyse der Entwicklung vom Bewußtsein zum Geist (und, wie bemerkt, imter Benutzung des von WITTGENSTEIN entwickelten Modells der ,Familienähnlichkeit') die Verzweigung der verschiedenen Arten von Zeit in der Phänomenologie nachgegangen. Über die Stationen von ,sinnlicher Gewißheit', ,Wahmehmimg' und ,Verstand' führt der Weg an der ,subjektiven' und ,objektiven' Zeit entlang, um danach die zum ,Geist' gehörige, geschichtliche Zeit zu erreichen. Diese unterscheidet LUCKNER innerhalb der Perspektive von ,Sittlichkeit', ,Entfremdung' und ,Moralität' wiederum in eine ,statisch-zyklische', ,prozessual-teleologische' xmd ,offene Geschichtszeit' (193-226). Sein Ziel findet der,genealogische Weg' in dem, leider knappen, Schlußabschnitt über Kunst, Religion xmd Absolutes Wissen (227-235). Dort wird auf die Möglichkeit eines ,Sprimges' angespielt, der in Verbindung mit den für die Phänomenologie wesentlichen Begriffen ,Verzeihung' und ,C>pfer' aus der Zeit heraus in die Ewigkeit (im Sinne der ,begriffenen Geschichte' oder ,getilgten Zeit') leiten soll. NER
Man könnte sagen, daß LUCBCNERS Interpretation einer einigermaßen forcierten Konstruktion gleichkommt, insoweit sie in ihrem genealogischen, an WITTGENSTEIN orientierten Ansatz Hegels Sache fremd bleiben muß. Es handelt sich bei Hegel, um es in LUCKNERS Terminologie zu formulieren, nicht um ,Genealogie', sondern um ,Genese'. Diese führt nicht zu der, von LUCKNER gesuchten ,Verzweigung', sondern ergibt vielmehr einen Begriff von ,genetischen' Einheit, kn Gegensatz zu LUCKNERS Wertung (12) wäre für Hegel gerade die ,holistische' Betrachtungsweise als einzige der Sache angemessen. ,Ganzheit' ist in Hegels Philosophie untrennbar mit dem Herz des Mysteriums (Absoluten) verbimden, das innerhalb LUCKNERS genealogischer Perspektive imerreichbar bleibt. Deshalb hätte Hegel über die Sache seines Denkens, gemäß einem Wort WITTGENSTEINS, ,schweigen sollen'. Anders aber als die relativierende Tendenz der ,language games' von WITTGENSTEIN ist die spekulative Sprache Hegels gerade auf das Absolute bezogen. Für eine zureichende Einschätzung der geschichtlichen Bedeutung von Hegels Zeitkonzeption hätte HEIDEGGER in dem von LUCKNER gegebenen historischen Überblick eigentlich nicht fehlen dürfen. Dies um so weniger, weil etwa NEWTON imd P. BIERI, die von LUCKNER eingehend behandelt werden, schwerlich den HEIDEGGER gebührenden Platz einnehmen können. LUCKNER betont zwar die außerordentliche Bedeutung HEIDEGGERS in diesem Zusammenhang, aber zu mehr als einigen knappen Hinweisen gibt dies keinen Anlaß, ki gespannter Erwartung sehe ich deshalb der noch ausstehenden Auseinandersetzimg mit HEIDEGGER, die auch LUCKNER für unumgänglich und ,sehr lohnenswert' (191) hält, entgegen. Diesbezüglich wäre hier schon anzumerken, daß LUCKNER mit seiner These, die Frage nach der Zeit sei notwendig eine metaphysische (23), HEIDEGGERS fundamental-ontologische Deutung der Zeit offensichtlich ungenügend berücksichtigt. Weiter vermißt man eine nähere Argumentation für die Annahme (191) eines Begründungszusammenhanges zwischen der von HEIDEGGER dargelegten ,Geschichtlich-
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keil' und der ,Irreversabilität' der Zeit. Irreversabilität bezieht sich, wie HEIDEGGER in Sein und Zeit (§ 81) hervorhebt, nur auf die ,vulgäre' Zeit mit ihrem linearen Fortgang. Als konstitutiv für die Geschichtlichkeit hingegen ließe sich die zirkuläre Struktur von Vorlaufen und Zurückkommen betrachten, welche der ,eigentlichen' Zeit (als Existential) eignet. Wie erwähnt, behandelt LUCKNER im Rahmen des Geistes die Zeitform der Geschichte. Dieser wird als qualitativer Zeit ein ,Mehr' im Verhältrüs zur quantitativen Zeit zugeschrieben (195). Für eine Erläutenmg dieses ,Mehr' wäre gerade eine nähere Betrachtung der Texte über die Zeit im späteren Werk Hegels von Bedeutung gewesen. Die in der Phänomenologie dargelegte Entwicklimg geht zwar mit der (zirkulären) Struktur der Geschichte einher. Aber die Geschichtlichkeit, die sich am Ende (als begriffene Geschichte) mit der ,wahren Unendlichkeit' der Ewigkeit verknüpfen läßt, wird in der Phänomenologie nicht thematisch abgehoben von der quantitativen Zeit. Diese Thematisierung wäre erst möglich anhand einer genauen Analyse der mit der Linearität der,natürlichen' Zeit verbundenen ,schlechten Unendlichkeit', zu welchem Zweck die Heranziehung von späteren Texten Hegels mir xmerläßlich scheint. Auch die von LUCKNER (auf Gnmd seines transzendentalen Ansatzes) erstrebte Formalität der Interpretation steht einer richtigen Beurteilung des Sinnes der Zeit bei Hegel im Wege. Innerhalb dieser formalen Perspektive muß vor allem der existentielle Aspekt unbeleuchtet bleiben. Zwar gibt LUCKNER dem Verhältnis von Herr und Knecht eine, für das Anliegen seiner Interpretation, tragende Bedeutung. Dennoch übersieht er dabei leider die existentiellen Implikationen dieses Verhältnisses, wenn er diesbezüglich meint (159), seine formale Deutung sei die ,einzig mögliche'. Nicht nur A. KOJEVE, sondern auch J. HYPPOLITE hat in seiner (von LUCKNER merkwürdigerweise nicht herangezogenen) Arbeit über die Phänomenologie überzeugend den existentiellen Sinn der Geschichte bei Hegel nachgewiesen. Demgemäß käme dem Begriff der ,Versöhnung' (oder, wie LUCKNER sagt, ,Verzeihung') eine zentrale Stellung in der Phänomenologie zu. Zudem wäre der auf Opferbereitschaft gegründete ,Sprung' in die ,Ewigkeit', auf welchen LUCKNER am Ende seiner Interpretation hindeutet, schwerlich nur formal, mit Ausschließung des existentiellen Sinnes, zu begreifen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist vor allem auch, daß gerade wegen ihres existentiellen Anliegens die Kunst und die Philosophie den Raum für ,Versöhnung' offenhalten können. Bei seiner Darlegung dieser Möglichkeit von Kunst und Philosophie greift LUCBCNER mit Recht zurück auf eine Hoffnung, die uns in Hegels Phänomenologie des Geistes überliefert worden ist. Stephan Baekers (Den Haag)
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Reinhold im Lichte Kants und Hegels Gerhard W. Fuchs: Karl Leonhard Reinhold - llluminat und Philosoph. Eine Studie über den Zusammenhang seines Engagements als Freimaurer und llluminat mit seinem Leben und philosophischen Wirken. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien; Peter Lang 1994.187 S. (Schriftenreihe der internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850". Hrsg. vonH. Reinalter. Bd 16.) Pierluigi Valenza: Reinhold e Hegel. Ragione storica e inizio assuluto della Philosophia. Padova: Cedam 1994.308 S. Die philosophische Laufbahn CARL LEONHARD REINHOLDS ist neben vielen Unstetigkeiten und Systemwechseln auch durch geradezu erstaimliche Kontinuitäten gekennzeichnet: sein leidenschaftliches Engagement im Kreise der Illuminaten, sein unbeirrbares Bemühen, das philosophische Denken, darunter nicht zuletzt die eigenen spekulativen Systementwürfe, an Aufklärungskonzepte zu koppeln. Als Jesuit und Bamabit tritt der jrmge REINHOLD 1783 dem Freimaurerorden der Illuminaten bei imd bleibt diesem bis zu seinem Tode, 1823, treu. Nicht nur in seinen Lehrjahren, die ihn von Wien nach Leipzig und Weimar führen, sondern auch in seinen großen Zeiten als Professor in Jena und Kiel sind für REINHOLD Kontakte zu führenden Illuminaten und hochfliegende illuminatische Reformpläne eine Selbstverständlichkeit. In der 1991 abgeschlossenen und nun in der Schriftenreihe „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850" erschienenen Dissertation von G. W. FUCHS wird der Versuch unternommen, diese kontinuierliche und eher untergründige Seite von REINHOLDS Schaffen und Wirken und einige Zusammenhänge zu seinem philosophischen Werdegang nachzuzeichnen. Sie knüpft damit der Sache nach an Studien zum jimgen REINHOLD von LAUTH, SAUER, GLIWITZKY, BATSCHA, SCHüTTLER U. a. an, ist jedoch dahingehend umfassender, daß auch die Jenaer und die Kieler Zeit REINHOLDS ZU Wort kommt. Die Periode von REINHOLDS Ausbildungszeit und erstem Wirken im josephinischen Wien bis zu seinem Anschluß an die KANiische Philosophie während der Weimarer Zeit wird im ersten Kapitel unter dem Titel „Monastik und Mosonik" thematisiert (11-51). In Wien führt der sich in jimgen Jahren in der österreichischen Aufklärungselite etablierende REINHOLD das Doppelleben eines katholischen Priesters imd angesehenen Mitgliedes der Illuminaten. Da ihm der Konflikt mit der katholischen Institution in dieser Lage bald unerträglich wird, flüchtet er mit Hilfe illuminatischer Freunde zunächst nach Leipzig, wo er kurze Zeit bei PLATNER studiert. Bald darauf übersiedelt er nach Weimar zu WIELAND und arbeitet als Redakteur bei dessen Teutschem Merkur. REINHOLD, inzwischen zum Protestantismus übergetreten, ist zu Begirm der Weimarer Zeit philosophisch noch wenig gefestigt. LEIBNIZ und
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WoLFF sind ihm aus der Jesuitenzeit wohlbekannt, und als Bamabit macht er, wie der Autor vermerkt, Bekanntschaft mit dem theologischen PLATONismus und SPINOzismus MALEBRANCHES (16). Die Mitgliedschaft bei dem Illuminatenorden hat zur Folge, daß der SpnsiozA-Einfluß sich verstärkt. REINHOLD sich sehr wahrscheinlich für einige Zeit als SPINOZIST versteht. Jedenfalls steht die Ethik des Ordens in den 80er Jahren SPEMOZA sehr nahe (20), der Gründer der Illuminaten, A. WEISHAUPT, dessen Geschichtskonzeption für REINHOLD lange Zeit Vorbild ist (46 ff), ist bekennender Pantheist (40). Freilich werden REINHOLD durch den Orden auch andere philosophische Autoren nähergebracht wie beispielsweise LOCKE und ROUSSEAU. Zudem darf man nicht außer acht lassen, daß der kommende Vorstellungstheoretiker REINHOLD bei seinem Besuch der Vorlesungen PLATNERS in Leipzig wohl auch dessen Bestimmimgen zum Begriff der Vorstellungskraft auf gegriffen hat (33 ff). Erst im Laufe der Weimarer Zeit findet REINHOLD jedenfalls zu einer Philosophie, die für längere Zeit seinen Aufklänmgswünschen angemessen erscheint. Es kommt zur Begegnimg mit der KANiischen Philosophie (48 ff). Zimächst gerät REINHOLD aufgrund einer enthusiastischen Rezension von HERDERS Ideen im Teutschen Merkur zwischen die Fronten des KANT-HERDER-Streites. Nach dem Erscheinen von KANTS kritischer Rezension der Ideen in der ALZ sieht sich REINHOLD, unterstützt durch WIELAND und HERDER persönlich, zu einer Reaktion veranlaßt: Er verteidigt den erneuerungswilligen und phantasiebegabten Geschichtsphüosophen HERDER gegen den starrsinnigen „Metaphysiker" KANT. Doch nur kurz darauf kommt es zu einem spektakulären Umschwimg. REINHOLD muß einsehen, daß er KANTS Philosophie falsch verstanden imd eingeschätzt hat. 1786 liest er ohne Unterbrechimg viermal die Die Kritik der reinen Vernunft, die fortan zu seinem neuen illuminatischen Evangelium wird. Ab 1787 folgen im Teutschen Merkur seine berühmten Briefe über die Kantische Philosophie. hn mit „Illuminatismus imd KANTianismus" betitelten zweiten Kapitel (53-118) gibt der Autor einen Überblick über das illuminatische Wirken REINHOLDS in Weimar imd Jena. REINHOLD ist nicht nur dafür verantwortlich, daß der KANTiaiüsmus in den 80er und 90er Jahren im akademischen Bereich Boden gewinnt. Er ist, wie der Autor erhellend aufgezeigt, auch derjenige, der den KANTianismus - in Auseinandersetzung mit dem Ordensgründer und KANT-Gegner WEISHAUPT - zur neuen illuminatischen Ideologie erhebt (Bes. 104 ff). Diesen letzten Hintergrund versucht der Autor dabei besonders aus den Briefen über die Kantische Philosophie herauszulesen (62-90). Die Briefe werden im großen und ganzen als Resultat einer KANiisch-REiNHOLDischen Überwindung sowohl der SpiNOZA-Debatte (und damit der SpiNOZAnischen Philosophie) als auch der von WEISHAUPT wiederauf genommenen vorkantischen Materialismus-Idealismus-Kontroverse interpretiert. An diesem Punkt wird meines Erachtens die Gedankenführung des Autors allzu sehr verengt. Es ist zwar unübersehbar, daß die Überwindung der SpnsiozA-Debatte und der Materialismus-Idealismus-Kontroverse in REINHOLDS KANTianismus, der vornehmlich unterschiedliche systematologische Standpunkte vereinigen will, eine Rolle spielt. Und es mag auch richtig sein, in REINHOLDS Behandlung dieser Eragen
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das Bestreben zu sehen, gegen WEISHAUPT die bessere Ideologie des Illuminatismus einzuführen. Aber genauso wichtig - wenn nicht wichtiger - ist es, die Briefe sowohl in aufklärungspragmatischer als auch systematischer Hinsicht als Resultat des KANT-HERDER-Streites zu begreifen. REEMHOLD bemüht sich bereits in den frühesten Briefen wesentlich um einen KANiianismus, der auf einem höchsten, evidenten Gnmdsatz aller Wissenschaften beruht. Dies ist ein Indiz dafür, daß er HERDERS Annahme einer „Originalgattung", die KANT vehement kritisiert, hinsichtlich der Fundierimgsfrage der Philosophie verteidigt xmd in den Kritizismus mit der Absicht hinüberzuretten versucht, erstens eine KANrische Theorie zu generieren, die Vereirdgung imter den Aufgeklärten durch erleichterte Einigung auf höchste Grundsätze zu stiften vermag, zweitens ein KANiisches System der reinen Vernunft aufzustellen, das aus einem besser fundierten höchsten Punkt konstruiert wird. Nicht ganz befriedigen können auch die kurzen Räsonnements zur Elementarphilosophie und zu REDIHOLDS generellem KANT-Verständnis am Ende des Kapitels. Der Autor trägt hier die altbekannte These von einer REiNHOLDschen „Popularisienmg von KANTS Transzendentalphilosophie" vor (117). In der Tat geht es REINHOLD doch nicht um Aufklärung durch Popularisierung, sondern um Aufklärung durch so etwas wie semantische Präzisienmg von Begriffen und Grundsätzen. Es ist, worauf der Autor zu Beginn des folgenden Kapitels dann auch selbst hindeutet (z. B. 122), genau genommen die Aufklärungsstrategie einer intellektuellen Vereinigung durch Gnmdsätze, welche das Unternehmen der Elementarphilosophie begleitet. Hinzu kommt, daß der Autor REDJHOLDS KANiianismus allzu sehr auf eine strategische Form des KANiischen Kritizismus reduziert. Dazu gilt es in Erinnerung rufen, daß REEVIHOLDS Neufundierung eines KANiischen Systems der reinen Vernunft neben allen strategischen Uberlegimgen selbstverständlich auch durch eine Reihe emstzunehmender theorieinterner Probleme bestimmt wird. Im abschließenden dritten Kapitel „Revolution xmd Liberalismus" (119-143) steht der Bezug von REINHOLDS illuminatischem Denken zur Französischen Revolution und zu den Möglichkeiten einer Revolution der deutschen Verhältnisse im Brennpxmkt. Die Ausfühnmgen des Autors bestätigen die bereits von BATSCHA vertretene Ansicht: REINHOLD war zwar keineswegs ein Umstürzler, er hat sich auch nie, wie beispielsweise FICHTE und ERHARD, für ein Recht auf Revolution erwärmen können. Jedoch hat er sich zeitlebens für eine von der Philosophie ausgehende moralische Reform der Gesellschaft eingesetzt. Diese moderate Haltimg kommt denn auch in REINHOLDS Gründungsversuch eines „Moralischen Bxmdes" am Anfang der Kieler Zeit zum Ausdmck (137 ff). REBVHOLD strebte mit diesem Bund eine Vereinigung führender intellektueller Geister seiner Zeit an, eine Vereinigung, welche die philosophische Grimdlage einer theoretischen xmd praktischen Moralisierxmg im Bereich des Rechtes xmd der Politik sein soUte. Am Schluß gibt der Autor einen kurzen Überblick über REDVIHOLDS Wirken in der Kieler Zeit, wobei er leider auf die Bedeutxmg von REINHOLDS nach 1800 manifest werdender endgültiger Abkehr von der
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philosophischen Revolution, die mit KANT begonnen hatte, nicht näher eingeht. Es wäre interessant zu wissen, welche neue Aufklärimgsstrategie dem Kieler Professor von dieser Zeit an denn eigentlich genau vorschwebte. Insgesamt ist die Studie zweifellos eine gewinnbringende Ergänzung zu den bisherigen Beiträgen zu REINHOLDS illuminatischem Wirken. Dank umfangreicher Archivrecherchen ist es dem Autor gelimgen, einige neue Materialien zu REINHOLDS Wirken zugänglich zu machen und diverse spannende Aspekte zur Geschichte der Freimaurerei Ende des 18. Jahrhunderts herauszumodellieren. Positiv hervorzuheben ist auch, daß der Anmerkimgsteil eine wertvolle Zusammenstellimg von REINHOLDS Vorlesungen während der Jenaer (171-173) und Kieler Zeit bis 1801 (186 f) enthält. Während FUCHS gleichsam die von KANT geprägte Vorgeschichte darstellt, aus der heraus REESIHOLD das Programm einer Philosophie entwickelt, verfolgt VALENZA die Wandlung dieses Konzeptes bis hin zur abschließenden Sprachphilosophie REINHOLDS. Beide Arbeiten zusammen lassen dabei das gesamte Denken REINHOLDS dergestalt in den Blick kommen, daß es beispielhaft für die Genese der idealistischen Spekulation stehen kann. Was in dieser Hinsicht insbesondere das Verhältnis von REINHOLD und Hegel betrifft, so gehören die zwischen ihnen bestehenden Gemeinsamkeiten und produktiven Anregungen zu den bislang wenig aufgearbeiteten Kapiteln von Hegels Denkentwicklung. Zwar weiß man aus der REiNHOLD-Literatur imd aus einigen Beiträgen zum Jenaer Hegel, daß REINHOLDS Lehre des Rationalen Realismus - so sehr sie von Hegel in der Differenz-Schrift von 1801 der Unphilosophie bezichtigt wird - in der Tat weniger eine Gegen- denn eine ernsthafte Konkurrenztheorie zur ScHELLDJG-Hegelschen Identitätsphilosophie darstellt. Beide Theorien, so wurde häufig erwähnt, seien in ihrer anti-subjektivistischen und spekulativen Gnmdausrichtung verwandt. Außerdem sei unverkennbar, daß REINHOLD für Hegels spätere, ScHELLiNG-kritische Jenaer Zeit wichtige Anregungen hinsichtlich des Anfangs und der Methode der Philosophie gegeben habe. Letzteres hat der späte Hegel in Form von gelegentlichen Hinweisen auf REINHOLD auch durchaus konzediert.
Die VALENZA-Studie schließt an einige Aspekte dieses Diskussionszusammenhangs an und bemüht sich zur Hauptsache um eine Klärung der Frage, ob denn wirklich, wie behauptet, relevante Verbindungen zwischen REINHOLDS Rationalem Realismus und dem frühen Identitätssystem Hegels bestehen. Mit der Absicht, transparent werden zu lassen, auf welchem philosophischen Problemniveau sich REINHOLD zum Zeitpunkt der Hegelschen Differenz-Schrift befindet, geht der Autor im ersten Kapitel auf die vorangehende philosophische Entwicklung des ersten unter den nachkantischen Systemphilosophen ein. Auf die Darstellung einiger Ziele und Probleme der ab 1789/90 entstandenen, durch KANT inspirierten Elementarphilosophie (18-30) folgen kurze Einlassimgen zu REDJHOLDS Gemeinschaft mit FICHTES Wissenschaftslehre von 1797-1799 imd zu seiner Zwischenposition zwischen FICHTE und JACOBI um 1799 (31-50). Schließlich wird die Ende 1799 beginnende Begegnung REINHOLDS mit C. G. BARDILIS Grundriß der ersten Lo-
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gik geschildert, die REINHOLD nach 1800 den Weg zum Logischen bzw. Rationalen Realismus eröffnet (51-68). Was den thematischen Leitfaden dieses Denkweges anbelangt, stellt der Autor eine RsiNHOLDsche Entwicklung zu einem System der Subjektivität und einer anschließenden Wende zu einer neuen Form von Objektivität in den Mittelpunkt. Bei seinem Bemühen, KANTS System der reinen Vermmft neu zu fimdieren, wird für REINHOLD, da er sich zentral mit KANTS ursprünglich-synthetischer Einheit der Apperzeption auseinandersetzt, zunächst ein Subjekt- bzw. Selbstbewußtseinsproblem maßgebend, was ihn nach einigen Jahren zu einem moralphilosophisch akzentuierten PiCHTEschen Ich-Standpunkt führt. Sodann beginnt REINHOLD, nicht zuletzt unter dem Einfluß JACOBIS, sich von FICHTES Ich-Philosophie abzuwenden imd sich einer objektivistischen Seins- imd Glaubensphilosophie anzunähern, die mit dem Rationalen Realismus zu einer neuen Erkenntnislehre fortgebildet wird. Zweifellos gelingt es dem Autor mit dieser Sichtweise, eine wichtige Denklinie REINHOLDS aus den 90er Jahren herauszupointieren, in der sich eine Gemeinsamkeit mit dem Hegel von 1801 anbahnt. Denn sowohl REINHOLD als auch Hegel vertreten nach der Jahrhundertwende eine Lehre, die sich programmatisch als neue einheitliche Seinsphilosophie versteht, welche FICHTES Ich-Philosophie mit Blick auf das Objekt (bzw. die Natur) komplettieren und überwinden möchte und welche zugleich eine Überwindung von JACOBIS Glaubensstandpunkt in Anspruch nimmt, zumal sie eine neue Form von Wissen oder Erkermen statuieren will. Doch hat der Autor damit die Sache nur zum Teil ausgeschöpft. Denn REINHOLDS philosophische Entwicklung der 90er Jahre ist auch - und dies weit signifikanter - durch einen Komplex von Einheitsfragen, die sich im Anschluß an KANTS dualistische Systematik stellen (Einheit der Vermögen, der Erkenntnisstämme, der Urteilsarten, Monismus der Vorstellimg usw.), sowie durch Fragen der Ableitung und Konstruktion aus einem höchsten Prinzip, das an der Spitze des neuen Systems der reinen Vernunft stehen soll, bestimmt. Zu all dem erwähnt der Autor lediglich, daß bei REINHOLD KANTS transzendentale Deduktion zugunsten eines neuen cartesianischen BegründungsmodeUs auf gegeben werde (22 ff). Er verfolgt damit nicht, was in diesem Pimkt bis 1801 vor sich geht: daß nämlich REINHOLD sich allmählich von der Grundsatz-Philosophie abwendet imd nach einer Begründungsmethode sucht, wie sie FICHTE in seiner Methode des vollständigen transzendentalen Idealismus skizziert hat. Es soll nicht mehr vom Grundsatz zu Folgesätzen geschritten werden, vielmehr soll es darum gehen, ein Gegebenes, Bedingtes zur Bedingung zu führen. Diese Neuorientierung stellt dann auch einen Anschluß an den Hypothesis-Gedanken des Rationalen Realismus her, der erklärtermaßen auf PLATONische Wurzeln zurückgeht und der sich, entgegen der Annahme des Autors (83, Anm. 25), auch in BARDILIS Grundriß findet. Dies alles muß deshalb betont werden, weil doch eine Vergegenwärtigung von REINHOLDS Entwicklungsschritten in der Einheits- und Ableitungsfrage keinesfalls weniger bedeutsam für die Klärung des Verhältnisses zwischen REINHOLD und Hegel um 1801 ist als die Subjekt-Objekt-Frage. Nur werm diese Fragen ebenfalls einbezogen werden, läßt sich angemessen entscheiden, inwieweit Hegels Vorwurf des Dualismus gegen REINHOLD und die Kritik an dessen Begrün-
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dungsmethode denn auch wirklich gerechtfertigt ist, ob nicht vielmehr gerade durch Hegel kaschierte Gemeinsamkeiten vorliegen. Im zweiten Kapitel stehen REINHOLDS Beiträge zur leichteren Übersicht des Zustandes der Philosophie ... von 1801-1803 im Mittelpunkt. Zu Beginn nimmt der Autor eine durchaus sirmvolle Dreiteilimg der darin publizierten Aufsätze vor (72 f). Er unterscheidet zwischen erstens Aufsätzen zu REINHOLDS Ansichten über die Geschichte der Philosophie bis in die Gegenwart, zweitens Aufsätzen, die sich kritisch mit dem mit der KANiischen Philosophie anhebenden Prinzip der Subjektivität und dessen fatalen Folgen bei FICHTE und SCHELLING auseinandersetzen, und schließlich drittens Aufsätzen, in denen die Lehre des Rationalen Realismus expliziert wird. Nicht besonders plausibel ist dann aber, daß der Autor in den darauf folgenden Kommentierungen der Beiträge die Aufsätze der dritten Kategorie so gut wie ausklammert, sind es doch gerade diese Aufsätze, welche die systematischen Pointen von REINHOLDS Denkentfaltung enthalten und die deshalb für den Vergleich mit Hegel doch unentbehrlich sind. Man denke nur daran, daß REINHOLD in diesen Aufsätzen wichtige Resultate zur Begründungsmethode der Analysis (d. h. der Methode des Zurückführens einer anfänglichen Bedingung auf ihren Grimd), zum Verhältnis von Logik und Metaphysik sowie zur Rolle einer Phänomenologie des Rationalen Realismus vorlegt, Resultate also, die sich allesamt für den Vergleich mit Hegel geradezu aufdrängen. Doch trotz dieser einseitigen Auswahl arbeitet der Autor in diesem Kapitel einige Gharakteristika der REiNHOLDschen Ansicht über die neueste Geschichte der Philosophie heraus, die erhellen köimen, worin eine der Verwandtschaften zwischen REINHOLD und Hegel liegt. Der rationale Realist REINHOLD, der sich ausdrücklich als ein Erbe PLATONS und des genuinen LEIBNIZ versteht, diagnostiziert nachträglich die mit KANT beginnende Subjektphilosophie bald als Zerreißung einer ursprünglichen Einheit von Denken und Sein, die zu einem bloß subjektiven, formalen oder empirischen Denken in der theoretischen Vernunft geführt hat, bald als Symptom eines überhand nehmenden philosophischen Egoismus im Bereich der praktischen Vernunft. Die Philosophien FICHTES imd SCHELLINGS werden aus diesem Blickpimkt grundsätzlich als Potenzienmgen des KANiischen Irrtums eingestuft. Dies deshalb, weil sie in ihrem nachkantischen Bemühen um eine neue fundamentale Einheit von Denken und Sein den richtigen Ausgangspunkt, das heißt für REINHOLD das richtige Verhältnis von Identität und Differenz, verfehlen. Von dieser REiNHOLDschen Diagnose der neuesten KANiischen und nachkantischen Philosophie, die der Autor außerdem an Quellen wie HERDERS Metakritik und WEISHAUPIS Prüfung der KANiischen Kritik festmacht (53, Anm. 76,92), zehrt bekanntlich auch Hegels KANTund FicHTE-Kritik ab 1801, wiewohl Hegel über das richtige Verhältnis von Identität und Differenz natürlich anderer Meinimg ist. Dabei streicht der Autor zurecht heraus, daß die dieser Diagnose zugrundeliegende Gleichsetzung von Ichheit und Individualität bzw. Egoität etwas an den Haaren herbeigezogen ist. Und zurecht wird auch darauf hingewiesen, daß mem sich mit dem Rekurs auf eine sich der Subjektivität entledigende Objektivität, die auf der Grundlage einer Einheit von Denken und Sein behauptet wird (111 ff), eine Reihe von Problemen einhandelt, wobei der Autor
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aber nicht darauf eingeht, daß REINHOLD diese Probleme zum Teil natürlich erkannt und mit einer neuen Konzeption eines angewandten Denkens zu lösen versucht hat. Verdienstvoll in diesem Kapitel ist schließlich der Nachweis, daß REINHOLD die philosophische Entwicklung SCHELLINGS genau verfolgt hat und daß deshalb Hegels Behauptung aus der Dijferenz-Schiift, REINHOLD wisse nichts von einer Differenz zwischen dem ScHELLiNGschen und dem FiCHXEschen System, auf schwachen Füßen steht (115 ff). Während im dritten Kapitel FICHTES und SCHELLINGS Reaktionen auf REINHOLDS philosophiegeschichtliche Verortung ihrer Systeme behandelt werden, kommt im vierten Kapitel Hegels REiNHOLD-Kritik aus der Differenz-Schnft zur Sprache. Einigen Hinweisen auf die wahrscheinliche Beschäftigung Hegels mit REINHOLD schon vor 1800 (159) folgen in einem ersten Schritt die bekannten Kontrastienmgen der in dieser Zeit relativistischen und organizistischen Auffassung Hegels von Philosophiegeschichte (die immerhin aber zwischen Philosophie und Unphilosophie unterscheidet) mit REINHOLDS Ansicht einer philosophischen Fortschrittsgeschichte, in welcher es Hegel zufolge nurmehr um ein mechanisches Einüben eines philosophischen Handgriffs gehen karm (162-191). Bemerkenswert ist, daß der Autor dazu die damalige breitere, um die Namen TIEDEMANNS und TENNEMANNS kreisende Debatte um ein angemessenes Konzept der Philosophiegeschichte einbezieht. In einem zweiten Schritt befaßt der Autor sich mit Hegels Kritik an REINHOLDS Anfang des philosophischen Systems, den REINHOLD selbst als hypothetisches Begiimen oder auch als Beginn mit einem Wahren, das auf ein Unwahres zurückgeführt werden muß, bezeichnet hat (191-233). Hier wird die Grundfrage des Autors nun entscheidend zugespitzt. Der Autor expliziert, daß Hegel nicht anders als REINHOLD sowohl einen endlichen Anfang (Anfang in der Reflexion) wie auch einen absoluten Anfang (Anfang mit dem Absoluten selbst) vorliegen hat, daß Hegel im Unterschied zu REINHOLD aber offenkundig beide Anfänge besser zu vermitteln können glaubt als REINHOLD und sich deshalb berechtigt fühlt, diesem bald ein bodenloses hypothetisches Beginnen, bald ein unvermittelt naives Ergreifen des Absoluten vorzuwerfen. An diesem Punkt vertritt der Autor nun die These, wonach die Differenz zwischen REINHOLD und Hegel großenteils nur darin besteht, daß Hegel derjenige ist, der zur kohärenteren, vollkommeneren Darstellimg eines in seinen Elementen gemeinsamen Theorieansatzes gelangt (210 f, 141). Hegels Identitätssystem wäre aus dieser Sicht nicht eine Gegentheorie zur REiNHOLDschen, sondern die kohärentere Darstellung des Rationalen Realismus. Was Hegel als Kritiker des REiNHOLDschen Fortschrittsmodells zu dieser These gesagt hätte, bleibe dcihingestellt. Ich halte die Annahme, derzufolge bei REINHOLD und Hegel ein weitgehend gemeinsamer Theorieansatz vorliegt, der unterschiedlich kohärent formuliert wird, für richtig. Ich bin aber der Überzeugung, daß nicht in jedem Falle Hegel die kohärentere Darstellung dieses Theorieansatzes präsentiert hat. Hegel ist zweifellos derjenige, der es besser als REINHOLD versteht, dem Dynamismus, der sowohl der Identitätsphilosophie als auch dem Rationalen Realismus eigen ist, eine „flüssige“ und damit adäquate Begriffs- und Konstruktionsform zu geben. Dagegen ist REINHOLD derjenige, der es bes-
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ser als der Hegel von 1801 versteht, eine Form von Differenz in die Identität zu integrieren, die es ermöglicht, eine methodische Kritik an Scheirddentitäten vorzunehmen. REINHOLD beharrt schon 1800, gegen SCHELLING, auf einer Differenz in der Identität, die auf der Unterscheidimg von wahrem von falschem Wissen aufbaut. Im abschließenden fünften Kapitel geht der Autor zu einer teils zusammenfassenden, teils allgemeineren Betrachtung des Verhältnisses zwischen REINHOLD imd Hegel über (234—265) und schließt seine Gedankenführung mit einigen Überlegimgen zu möglichen Bezügen zwischen REINHOLDS späterer Sprachphilosophie, die hauptsächlich in der Synonymik von 1812 entfaltet wird, imd Hegels Wissenschafl der Logik (265-289). Dabei wird zu Recht auf entscheidende Divergenzen aufmerksam gemacht. Dem Sprachphilosophen REINHOLD geht es darum, Verirnmgen der spekulativen Philosophie mittels eines Programms der Sprachreinigung zu heilen, in dem Bedeutungen klar auseinandergehalten, mithin Begriffe eindeutig bestimmt werden sollen, während Hegel in der Wissenschafl der Logik seine Aufgabe vielmehr darin sieht, einen Geist der universalen Vermittlung herzustellen, so daß nicht ein Auseinanderhalten von Bedeutungen, sondern vielmehr ein sukzessives Anfüllen von Begriffen mit Bedeutung Ziel ist. Wenn der Autor bei seiner Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage nach den Gemeinsamkeiten Hegels imd REINHOLDS gegen Ende schlußfolgert, man könne zumindest um 1801 wirklich von einem relevanten Zusammenhang beider Philosophien sprechen (265), so kann man nicht umhin einzuwenden, daß ein Vergleich zwischen REINHOLDS Beiträgen und Hegels späterer Jenaer Denkentfaltung zeigen kann, daß relevante Zusammenhänge, so beispielsweise in der Wahrheitsfrage, weit über 1801 hinaus bestehen. Martin Bondeli (Bern)
Gabriella Baptist: II Problema della Modalitä nelle Logiche di Hegel. Un
itinerario tra il possibile e il necessario. Genova: Pantograf 1992.315 S. Die Untersuchung von GABRIELLA BAPTIST behandelt Hegels Reflexion auf die Modalbestimmungen in allen Phasen seines Gesamtwerkes. Vom frühesten Aufbruch des mit HöLDERLIN und ScHELLmG befreundeten Denkers spannt sich der Bogen bis 1830. Hegels sich stets wandelndes Durchdenken der Modalbestimmungen, welche Thematik auch seine Schüler und Nachfolger nicht zur Ruhe kommen läßt, wird als Brennglas erkannt, in dem sich die Phasen und Schübe des Hegelschen Denkweges spiegeln, der zuletzt mit dem zeitgenössischen Denken konfrontiert wird (279). Daß von ARISTOTELES an über Scholastik und frühe Neuzeit bis hin zu KANT und Hegel es jeweils die Modallehre ist, von der die entscheidende Weichenstellung für eine Philosophie ausgeht, wird einleitend mit einem gleichsam als Motto dienenden Zitat N. HARTMANNS hervorgehoben, nach dem „die fundamentalen Entscheidungen der Metaphysik von jeher auf dem Gebiete der Modalität gefallen sind" (11). So hat sich im Übergang von KANT ZU Hegel der Primat von den Bedingungen der Möglichkeit zur spekulativen Wirklichkeit verschoben (14), welche Verwandlung schon
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angelegt ist in HöLDERLINS „Urtheil und Seyn" (32). Der 1. Teü der Arbeit zeichnet Hegels Weg bis zur Phänomenologie des Geistes nach. Wie das Grundmotiv der nachkantischen bzw. nachfichteschen „Vereinigungsphilosophie'' überhaupt (32) in HöLDERLINS „Urthal und Seyn" modalkategorial als die Einheit von Möglichkeit imd Wirklichkeit charakterisiert wird, so tritt in Hegels frühesten Schriften die vor allem religionsphilosophische Bedeuhmg der Modalitätsbestimmung klar ans Licht (38 ff). In der Logik von 1801/2 sollen die Trennungen der Reflexion zwischen Notwendigkeit und Freiheit, Möglichkeit und Wirklichkeit spekulativ überwunden werden; die Modalbestimmung bleibt jedoch, FICHTE und SCHELLING vergleichbar, eng an die Relationskategorien angebunden. Im „Kraft"-Begriff der Phänomenologie schließlich, der in der Logik von 1804/5 vorkonzipiert ist imd bereits dort die ,Entsubjektivierung' der Modalkategorien definitiv besiegelt (54), denkt Hegel das sich gegenseitige (objektive) Durchdringen von Modalitäts- und Relationsbestimmimg (56). Die Kraft markiert einen neuralgischen Punkt der Phänomenologie, nämlich den immanenten Umschlag von der gewußten „Wirklichkeit" zum „wirklichen Wissen" (59). Der 2. Teil untersucht im wesentlichen Hegels Wissenschafl der Logik (WdL); das Kapitel „Die Wirklichkeit" wird detailliert analysiert. In dieser Gelenkstelle des Werkes, dem Übergang von der objektiven zur subjektiven Logik werden die Modalbestimmungen als formale (101 f), reale (111 f) und absolute (118 f) durchdacht. Die geschichtlichen Vorgaben von SPINOZA, LEIBNIZ, ARISTOTELES, KANT imd SCHELLING wie auch die systematischen Prinzipien (das „Sein" und das „Wesen" überhaupt, 127) verdichten sich einzigartig in der Dialektik der Modalbestimmungen, aus der der Begrijfhzw. die Freiheit entspringt. Der Primat der Wirklichkeit erhärtet sich nach Baptist, weil diese einerseits sich als Kontingenz und absolute Notwendigkeit zugleich und somit als Einheit der äußersten Gegensätze erweist, andererseits aber in ihrer manifestierten Inadäquatheit zum Begriff den Übergang zur subjektiven Logik gerade notwendig macht. Der 3. Teil behandelt das Modalkapitel der Logik der Enzyklopädie (Enz.); neben den Ausgaben von 1817, 1827 und 1830 werden Sekundärquellen und Schülerzusätze mit berücksichtigt. Innerhalb des Gesamtsystems enthüllen sich die real-, vor allem geschichtsphilosophischen Implikationen der Modalbestimmimgen sowie deren Rückwirkung auf die „reine" Logik. Ein Hauptaugenmerk der Untersuchung fällt auf die Differenz zwischen WdL und Enz.-Logik, da die letztere nicht nur eine erhebliche Vereinfachung zeigt, sondern bekanntlich das ganze Kapitel über das „Absolute" weggelassen hat. Gegenüber didaktischen, historischen oder system-architektonischen Gründen versucht BAPTIST den Wegfall dieses Kapitels innerlogisch zu begreifen: Da das „Absolute" das Ganze ist, kann es nur im Resultat der Logik gedacht werden (169). Zu fragen bleibt, ob die WdL imd die Enz.-Logik nicht tiefer unterschieden werden müssen als es bei BAPTISTB Parallelanalyse geschieht, da die Enz.-Logik, wie Hegel schon 1817 in der Vorrede hervorhebt, als bloßer Grundriß nicht mehr die ,systematische Ableitung' ihrer Ideen eigens ausführt. (Welche Bedeutung das Kapitel über das „Absolute" gerade für die Bewegung der Wesenslogik hat, ist von S. JüRGENSEN in seinem bald erscheinenden Buch Freiheit in den Systemen
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Hegels und Schellings auf eine Weise erörtert worden, die für das Nachdenken der Verfasserin anregend sein dürfte). Aufs Ganze stellt das auch philologisch anspruchsvolle Buch von BAPTIST ein Itinerarium durch Hegels Denken dar, das, wie die Verfasserin überzeugend nachweist, immer bewegt, niemals zum „System“ erstarrt ist. Hegels Denk-Weg wurde neu erschlossen. Wilhelm Metz (Freiburg)
Petra Braitling: Hegels Subjektivitätsbegriff. Eine Analyse mit Berücksichtigimg intersubjektiver Aspekte. Würzburg 1991. 233 S. (Epistemata. Reihe Philosophie. 99.) Es ist nicht zu verkennen, daß die Subjektivitätsthematik den immensen Stellenwert verloren hat, den sie in der Neuzeit innehatte. Vielmehr sind gegenwärtig Theorien vorherrschend, die die Subjektivität als von intersubjektiven Sachverhalten abgeleitet betrachten. Verf. geht es darum zu zeigen, daß das Ansirmen, Subjektivität zu erfassen, auch aus intersubjektiver Perspektive lücht als obsolet abgetan werden kann. Denn wie kann sich das Subjekt im Austausch mit anderen Subjekten überhaupt begreifen, wenn es sich nicht bereits als Subjekt weiß? Andererseits ist es unmöglich, intersubjektive Momente ohne weiteres aus einer Subjektivitätstheorie zu eliminieren. Die Zirkelproblematik, die die Subjektivitätstheorien seit jeher gedrückt hat, erscheint in diesem Zusammenhang erneut. Damit ist Umrissen, welche Themen im Zusammenhang einer Diskussion der Subjektivitätsproblematik behandelt werden müssen; 1. Die Zirkelproblematik in dem angegebenen Sinne und 2. Die Möglichkeit der Integration intersubjektiver Aspekte in eine Theorie der Subjektivität. Entsprechend wird im ersten Kapitel des ersten Teils der Abhandlung auf Mißlichkeiten verschiedener Subjektivitätstheorien hingewiesen. Im zweiten Kapitel folgt ein skizzenhafter Überblick über Hegels System. Das dritte befaßt sich mit der Subjektivitätskonzeption Hegels. Im zweiten Teil der Abhandlrmg versucht Verf., unter Festhalten der Hegelschen Subjektivitätskonzeption zumindest ansatzweise intersubjektive Aspekte zu gewinnen (11 ff). Von den Subjektivitätstheorien thematisiert Verf. diejenigen KANTS und FICHTES. hn Gegensatz zu KANT und FICHTE sei Hegel in der Lage, dem Problem der Zirkularität konstruktiv zu begegnen, indem er nämlich das Verhältnis von Selbst- und Gegenstandsbewußtsein als Selbst- und Fremdbezug erkennt (16 f). Damit gelinge es Hegel, zwischen KANTS imd FICHTES Ansatz zu vermitteln (51). Verf. beabsichtigt, Subjektivität als realphilosophische Kategorie zu diskutieren (53). Die Entfaltung der realphilosophischen Begrifflichkeit erfolgt aber bei Hegel am Leitfaden der in der Logik entfalteten reinen Begriffe. Verf. hebt zu Recht hervor, daß im System Hegels die logische Sphäre für die realphilosophische fundierend ist
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(vgl. 115). Es gilt also zunächst, die Wissenschafl der Logik in kurzen Strichen darzustellen (53). Verf. fragt zunächst, ob die Wissenschafl der Logik oder nicht doch die Phänomenologie den Anfang des Systems bilden. Ist diese schwierige Frage schon damit beantwortet, daß man eine genetische imd eine geltungstheoretische Ebene unterscheidet? Schon deshalb nicht, weil die Logik der Phänomenologie nicht diejenige der Wissenschafl der Logik ist. Zudem hat Hegel in dieser Frage nie eine klare Entscheidimg getroffen: mit seiner Erklärung, der Anfang der Wissenschaft sei auch durch einen Entschluß zu gewinnen, schließt er die Möglichkeit nicht aus, daß die Phänomenologie weiterhin einen Zugang zu ihr darstellt. Hegel thematisiert in der Wissenschafl der Logik immer wieder philosophiegeschichtliche Sachverhalte, was einige seiner Interpreten dazu verleitet hat, die Wissenschafl der Logik als Nachkonstruktion der Geschichte der Philosophie mißzuverstehen, - eine Auffassimg, die Verf. zu Recht zurückweist. Die Wissenschafl der Logik ist eine Entfaltimg von Kategorien auf ontologisch-apriorischer Grundlage; zwischen dem Arsenal der Kategorien, das uns die Tradition zur Verfügung stellt, und diesem apriorischen Entwurf besteht ein Zirkel von Verständnis und Vorverständnis (60). Die Wissenschafl der Logik muß drei Voraussetzungen erfüllen: 1. Die erste ihrer Denkbestimmungen muß voraussetzungslos sein; 2. bedarf sie einer einheitlichen Methode und schließlich muß 3. ein Kriterium angegeben werden, wann der Prozeß der Gewinnung der Kategorien abgeschlossen ist (62 ff), bi ihrer Darstellimg berührt Verf. die Antworten, die die Hegel-Literatur auf die Schwierigkeiten gegeben hat, die das Verständnis des Anfangs der Logik zweifellos belasten. Um überhaupt zu einer Bewegung der Begriffe zu kommen, muß Hegel bereits am Anfang Kategorien voraussetzen, die erst späterhin deduziert werden können. Handelt es sich bei ihnen ausschließlich um wesenslogische Kategorien (HENRICH) oder muß der gesamte Fundus der Kategorien als der pragmatische Untergrimd der auf semantischer Ebene erfolgenden Kategoriendeduktion vorausgesetzt werden (WIELAND)? Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, wenn Verf. die Sonderstellung der drei ersten Kategorien der Wissenschafl der Logik schärfer hervorgehoben hätte: Sein und Nichts sind ja nur im Meinen greifbar; sie gehen nicht ins Werden über, sondern sind in es übergegangen (vgl. GW 21,69. 79.). Eine nicht minder große Schwierigkeit stellt das Problem des „Übergangs" von der Logik zur Naturphilosophie dar. Verf. betont, eine rationale Rekonstruktion dieses Übergangs sei bisher rticht geleistet. Wer die Möglichkeit dieser Rekonstruktion leugne, bürde sich eine nicht minder schwere Beweislast auf als derjenige, der sie bejahe (73,78). Ich möchte die Frage stellen, ob es an dieser Stelle überhaupt um eine Rekonstruktion gehen kann. Es gilt zu beachten, daß das Sichzusammermehmen der Idee zur Natur „nicht ein Gewordensein und Uebergang“ ist. Weim Hegel in diesem Zusammenhang dennoch von einem Übergang spricht, dann in dem Sinne, „daß die Idee sich selbst frey entläßt, ihrer absolut sicher und in sich ruhend" (GW 12,253). Die Freiheit der Idee wäre nicht Freiheit, wenn sie sich der Notwendigkeit
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des Deduktionsganges der Logik fügte. Lediglich zum besseren Verständnis der Sache sei daran erinnert, daß nach KANT die Freiheit als intelligibler Charakter den zeitlich-kausalen Bedingungen entzogen ist. Indem sich die Idee frei entläßt, löst sie sich nicht ins Reale auf, sondern bleibt bei sich. D. h. indem sie sich äußert, hält sie an sich. Eine Struktur tritt hervor, die auf dem Boden der Hegelschen Idee, der sich wissenden Wahrheit, der absoluten Transparenz ihrer selbst, („alles heraus aus dem lebendigen Gotte") nicht mehr gedacht werden kann. Die Frage, ob rms die Freiheitslehre ScHELLiNGs hier weiterführt, sei lediglich gestellt. Verf. verschweigt nicht, daß sich die Begriffslogik mehr als die beiden anderen in erhebliche Schwierigkeiten verstrickt, worauf ich nicht im einzelnen eingehen kann. Erwähnt sei dagegen der für die Thematik des Buches höchst wichtige Hinweis, daß Hegel bei der Ausarbeitung des Systemteils „Objektiver Geist" notwendig intersubjektive Kategorien verwendet, dagegen in der Wissenschaft der Logik hierfür keine Begrifflichkeit bereitstellt. Aus diesem Dilemma ergibt sich das Motiv, das den zweiten Teil der Abhandlung leitet (vgl. 185 ff). Im dritten Kapitel handelt Verf. Hegels Subjektivitätsbegriff ab. Zur Einführung in die Thematik berührt sie in einem Exkurs PLATOS Dialog Charmides, für dessen Interpretation sie sich auf K. OEHLER beruft. Nach OEHLER habe die antike Philosophie mit der Entdeckimg der Reflexionsstruktur (der Selbstbeziehung) des Wissens ihren höchsten Pimkt erreicht, auch wenn diese Struktur in der Anhke im wesentlichen noch imentfaltet geblieben sei (vgl. 108 f). Verf. läßt den Einwand unberücksichtigt, den E. TUGENDHAT gegen diese Interpretation erhoben hat. Das Bedenken TUGENDHATS wird bestätigt durch die Feststellimg J. LOHMANNS, die Herkunft der CARTESL schen Philosophie des cogito sum sei nicht im klassischen Griechentum, sondern in der hellenistisch-römischen Überlieferung zu suchen. LOHMANN verweist insbesondere auf den § 8 von CICEROS Topica, wo die Grundbegriffe der CARTEsischen Einstellung zur Welt wie in einem Neste vereirügt seien („Vom ursprünglichen Sinn der aristotelischen Syllogistik". ln: Lexis II. Insbes. 206 f, 222). Für ein Gelingen des Erfassens von Hegels Subjektivitätsbegriff ist es entscheidend, den vollen Begriff von Subjektivität in Anschlag zu bringen; dazu darf er nicht seiner ontologischen Implikationen entkleidet und auf bloße Selbstbezüglichkeit reduziert werden. Nur nach dieser Verkürzung gewinnt der Versuch, die Herkunft des Subjektivitätsbegriffs in der klassischen griechischen Philosophie zu suchen, einen Anschein von Plausibilität. Wie gelingt es Hegel, die spekulative Begriffsstruktur als absolute nachzuweisen? Die erste Bedingung hierfür ist, daß eine gerichtete Bewegung der Begriffe vom Unmittelbaren zur absoluten Vermittlung zustande kommt. Diese Bewegung läßt sich nach Verf. dadurch einsichtig machen, daß man die Wissenschaft der Logik als Bedeutungstheorie liest. „In der Diskrepanz zwischen tatsächlich Expliziertem und eventuell noch vorhandenen Implikationen" - der semantischen und der pragmatischen Ebene einer Aussage - „kommt eine solche widersprüchliche Struktur zum Ausdruck, die als performativer Widerspruch zu explizieren ist." (151) Aus diesem Widerspruch ergibt sich ein Prozeß, der erst zur Ruhe kommt, wenn der performative Wi-
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derspruch aufgehoben ist. Das Problem, das sich uns schon beim Nachdenken über den Anfang der Logik gestellt hatte, zeigt sich nunmehr in seiner Folgenschwere; es ist weit davon entfernt, gelöst zu sein. Es steht ja nicht einmal fest, aus welchem Material das zu Anfang Implizierte konstituiert ist: allein aus nicht aufgearbeiteten Kategorien? Oder noch aus andren Elementen? Gelingt es der Logik wirklich, alles zu Anfang Vorausgesetzte aufzuarbeiten? Allem voran müßte angegeben werden, welches die Wesenszüge des Pragmatischen sind. Die Unsicherheit, die auf diesem Feld herrscht, kann Verf. nicht angelastet werden; sie kennzeichnet die zeitgenössische Diskussion insgesamt. Am weitesten scheint mir hier der DiLTHEY-Schüler Georg MISCH in einer Vorlesung vorgedrungen zu sein, die schon vor Jahrzehnten gehalten, aber erst vor kurzem veröffenthcht wurde (Der Außau der Logik auf dem Boden der Philosophie des Lebens. Freiburg/München 1994). Die Triftigkeit seiner Analysen vorausgesetzt, kctnn die Differenz zwischen semantischer und pragmatischer Ebene niemals aufgehoben werden, was zur Schlüssigkeit des Interpretationskonzepts der Verf. erforderlich wäre (vgl. 143). Mir scheint, Hegel selbst hat diesen Unterschied rücht thematisiert. Eine solche Thematisierung scheint mir schon deshalb ausgeschlossen, weil seine Logik nur einen Gegenstand hat: die absolute Idee. Allein schon darin Hegt ein sicheres Indiz, daß für Hegel der überlieferte Vorrang des Theoretischen maßgeblich bleibt. Zudem ließe sich von Hegel aus der Vollzug des Pragmatischen nur als äußerhche Reflexion deuten; diese genügte nicht seiner Forderung, der Leser der Logik müsse sich der Selbstbewegimg des Begriffs vorbehaltlos hingeben. Hat Hegel mit seinem Ansatz bei der absoluten Idee nicht von vornherein die Ebene des Pragmatischen zugunsten der des Theoretischen übersprungen? Hieran schließt sich eine weitere Frage an: Verf. stellt mit anderen Interpreten der Hegelschen Logik zutreffend fest, daß das Konzept dieser Logik intersubjektiver Kategorien ermangelt. Dieser Mangel wird insbesondere dadurch spürbar, daß die Realphilosophie durchaus intersubjektive Begriffe thematisiert. Verf. versucht, die Subjekt-Objekt-Struktur, die die Hegelsche Logik durchgängig bestimmt, dadurch zu überwinden, daß sie über die Form des Urteils zu einer Subjekt-Subjekt-Struktur gelangt (vgl. 198). Vor aller Entscheidimg über Gelingen oder Mißlingen dieses Versuchs ist ihm die Frage vorauszuschicken, ob nicht schon mit dem Ansatz von Subjektivität der Boden verlassen ist, auf dem allein eine Ich-Du-Beziehung denkbar ist. Jedenfalls endeten alle Versuche, sie auf diesem Boden zu denken, etwa derjerdge HUSSERLS, ausnahmslos aporetisch. Damit ist das Frag-würdige, das Verf. in Hegels Logik entdeckt, keineswegs erschöpft. Ich muß mich auf die abschließende Feststellung beschränken, daß der Leser mit vorliegender Abhandlimg ein Werk kermenlemt, das sich rücht nur durch gründliche Einarbeitung in seine Thematik und durch klare Darstellung, sondern auch dadurch auszeichnet, daß es, wie ich hoffe gezeigt zu haben, zum Formulieren wichtiger philosophischer Fragen provoziert. Friedrich Hogemarm (Bochum)
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Angelica Nuzzo: Logica e Sistema sull'Idea Hegeliana di Filosofia. Genova;
Pantograf 1992.564 S. Nuzzos großangelegte systemtheoretische Studie möchte Tiefenstruktur und Organisationsprinzip des Hegelschen Systems herausarbeiten. Gegen Interpretationen, die in Hegels Realphilosophie nur die „Anwendung", „Realisierung" und „Konkretisierung" (38, 361, 504) der Logik erblicken und nach der „Korrespondenz" (33, Anm. 35; 460; vgl. 190 f) zwischen Logik und Realphilosophie fragen, geht es Nuzzo um die Logik der Realphilosophie selbst und deren Verhältnis zur „reinen" Logik. Die von Hegel selbst nirgends explizierte „Logik des Systems" erfordert es gerade, daß die realphilosophische Artikulation der logischen Bestimmungen diese als solche modifiziert imd differenziert; denn jedem Logisch-Reellen, wie mit Hegel unterstrichen wird (43, Anm. 45), gebührt eine „eigene Methode". Die Akzentuierung der Offenheit der Hegelschen Philosophie für die Strukturen der erfahrbaren Wirklichkeit führt zu einer neuartigen Sicht des Hegelschen Systems, das im Resultat einer immanenten Kritik unterzogen wird. Der 1. Teil behandelt Hegels Bestimmung der Philosophie als Wissenschaft und System. Das Problem der letzten Begründung des Wissens wird von Hegel weder mit Hilfe eines ersten Grundsatzes noch durch das Modell einer methodologischen oder ontologischen Zirkularität gelöst, sondern durch die systematische Totalität des Wissens und seine innere Ausdifferenzierung selbst (gleichsam eine „Fundierung ohne Fundament", 18). Läßt Nuzzo hinsichtlich der „reinen" Logik den Akzent auf den „poietischen" Charakter des Wissens (141) fallen, liegt die Pointe der realphilosophischen Logik gerade in ihrem Sich-Einbilden-Können in die empirische Gegebenheit (145), deren eigener Rationalität zu entsprechen ist, um sie dem System zu integrieren. Der paradoxe Begriff einer „produzierten Gegebenheit" (27) beleuchtet die Konstellation des Hegelschen Gedankens. Die „Logik des Systems", wie im 2. und 3. Teil der Arbeit gezeigt wird, ist nun jenes Gesamt-Arrangement von Formen und Regeln, die Logik und Realphilosophie in ein Ganzes vereinigen. Die „reine" Logik wird in der Realphilosophie zu einer „kombinierten" Logik, wodurch dem Gedanken eine neue „Sphäre" (233 f) eröffnet wird; ein reinlogisch vollständig Bestimmtes kann so und nur so weiterbestimmt und „wiederholt" werden. Die beiden Haupt-„Sphären" des Systems sind mm die Logik und die Realphilosophie selbst (35, 250, 258); daß zwar nicht für Hegels System, aber für seinen Gedanken die Phänomenologie des Geistes eine dritte Sphäre darstellt, die das Bewußtsein mit der Sphäre des reinen Begriffs erst vermittelt, reflektiert Nuzzo nicht, die sogleich von der Höhe des Systems aus (36 f, 217) dessen innere Differenzierungen untersucht. - Die Logik der Realphilosophie fordert die Kombination von „Begriff" und „Vorstellimg" (380 f), wie es am Beispiel der Deduktion des Lichts erläutert wird (419 f). In der Doppelbewegung „vom Begriff zur Vorstellung" (382 f) und „von der Vorstellung zum Begriff" (393 f) wird die Verwandlung der KANTSchen Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft erkannt (407 f); der Hegelsche Gedanke vermag sich dadurch empirisches Wissen
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zuzueignen, ohne als spekulativer selber empirisch zu werden. Als das differenzierende Medium zwischen Logik und Realphilosophie ist die „Existenz" zu denken (466 f); am zusätzlichen Leitfaden der Begriffe „Widerspruch" und „Allgemeinheit" (497 f) wird die gegensätzliche Struktur der beiden Sphären „Natur" imd „Geist" aufgezeigt, die nur zusammen das realphilosophische Pendant zur „reinen" Logik darstellen imd deren jeweiliger Grundriß abschließend gezeichnet wird. Die an Detailuntersuchungen reiche Arbeit, die originell die Formen der Hegelschen Architektonik beleuchtet - die „Relationen" und „Subsysteme", die Homogenität, Isomorphie imd gleichzeitige Nicht-Homologie der Systemteile, die Differenzierungen und Modifikationen der reinen Bestimmungen in den unterschiedlichen „Sphären", die „Begrenzimgen" und „Erweiterimgen" im Systemverlauf, die sich wandelnden Strukturen imd Bedingungen des Wissensgewinns - und die die Logik, die Natur und den Geist sowie deren Mittelpunkt in der absoluten Idee in weitgehender Selbständigkeit vom Hegelschen Text entwickelt, stellt im ganzen eine Hegelforschimg auf höchstem Niveau dar. Wenn die Verfasserin jedoch Hegels Philosophie ohne das „Absolute" zu denken versucht (294 f, 322 f, 513 f) und Hegel eine „Verwechselung zwischen dem metaphysischen Begriff des Absoluten und dem wissenschaftlichen Begriff des Systems der absoluten Vernunft" (330) vorhält, scheint sie einen anderen Begriff des „Absoluten" {„ens“, 329) zu verneinen als Hegel bejaht und den Wald vor lauter Bäumen zu übersehen. Der Wunsch nach einer aktualisierenden „Verwertung" (526) des Hegelschen Gedankens verbaut die letzte Vertiefung in den Hegelschen „Ort"; Nuzzo macht so, ungewollt, die Grenze sichtbar, die jedes nichttopologische Nachdenken über Hegel eben nicht überschreiten zu köimen scheint. Wilhelm Metz (Freiburg)
Karen Gloy und Rainer Lambrecht (Hrsg.): Bibliographie zu Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. Primär-
und Sekundärliteratur 1817-1994. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag Günther Holzboog 1995.123 S. Gut gemachte Bibliographien sind für die Forschung allemale erfreulich und hilfreich, dermoch muß man sich fragen, warum eine Bibliographie ausdrücklich zu Hegels Enzyklopädie in ihren drei Fassungen und nicht zu Hegels enzyklopädischem System, separat veröffentlicht wird, zumal eben dieses Werk gegenüber der Phänomenologie, den Grundlinien der Philosophie des Rechts und der Wissenschafl der Logik, ja sogar gegenüber den Jugendschriften und den Jenaer Schriften für geraume Zeit ein Schattendasein zu führen schien. Die Herausgeber sehen in ihrem „Vorwort" völlig zu Recht diese „allgemeine Geringschätzung ... in krassem Gegensatz zu der Bedeutung" stehen, „die Hegel selbst und seine Schüler sowie unmittelbaren Nachfolger diesem Werk zumaßen" (7). Hinweise auf Hegels intensives Fortarbeiten am Text der
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Enzyklopädie, die man in der Tat als eine Art ,work in progress' betrachten kann, auf Hegels Vorlesungstätigkeit in Heidelberg und Berlin und auf die Bedeutung des von Hegel ,geerbten' Systemgedankens für die Schüler können das Desinteresse natürlich weder erklären noch wegerklären oder überwinden. Die Herausgeber sehen den Grimd für die Mißachtung der Enzyklopädie vornehmlich in der ,politisch-ideologischen' Motivation der „Hegel-Renaissance der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts" im Sirme des „Marxismus-Leninismus" (10 f). Dementsprechend gilt für sie; „Erst in den 60er Jahren begann unter zunehmendem Einfluß der analytischen Philosophie eine ideologiefreie, rein immanente, sach- imd themenspezifische Hegel-Interpretation" (11). Es steht allerdings zu befürchten, daß man einen großen Teil der Hegel-Literatur nicht unter diesen Rubriken wird einordnen können. „Auffällig ist" für die Herausgeber „die seit 1970 ständig anwachsende Flut von Einzeluntersuchimgen, z. B. zu Themen der Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, die durch Tagungen und Sammelbände mit spezifischen Schwerpimkten noch gefördert wird" (11). Es ist offenbar doch ein von den Herausgebern nicht weiter expliziertes spezifisches Interesse an der Enzyklopädie und ihren Teilgebieten neu erwachsen. Dies hängt wohl teilweise mit dem Staunen über eine zunächst rächt vermutete Modernität von Thesen Hegels zusammen, wie dies beispielsweise (mit welcher Berechtigung auch immer) für Hegels Kritik an NEWTON gilt, aber auch für sein gewissermaßen ,psychosomatisches' Verständnis von Gesundheit und Krankheit im Rahmen der „Anthropologie". Teilweise kann man vielleicht auch entgegen vielen aktuellen, z. T. modischen Strömungen ein neu erwachendes Interesse an systematischer Philosophie als Gnmd vermuten. (Möglicherweise wird ja auch HEIDEGGERS Diktum, daß die ,Zeit der Systeme vorbei' sei, nicht mehr so ernst genommen.) Gerade der Hinweis auf die „Flut gegenwärtiger Hegel-Arbeiten" macht natürlich die Frage der Auswahlkriterien für eine solche Bibliographie zu einem vordringlichen Problem. Die Herausgeber geben ihre drei Kriterien an wie folgt: „1. Texte, die sich gänzlich oder überwiegend mit der Enzyklopädie befassen. 2. Texte zu anderen Schriften, aber mit längeren Passagen zur Enzyklopädie. 3. Texte mit vielen Zitaten oder Verweisen auf die Enzyklopädie" (13). Es ist abzusehen, daß auch solche Kriterien die Entscheidung schwierig bleiben lassen, ob eine Schrift über Hegels Wissenschaft der Logik, die sich auch auf die Darstellimg dieses Systemteils in der Enzyklopädie bezieht, aufgenommen werden muß oder nicht. Ähnliches gilt für die Thematisierimg der Weltgeschichte und der Systemteile, die Hegel unter dem Titel „Absoluter Geist" enzyklopädisch zusammenfaßt. Das mit der Kriterienfrage zum Teil gegenstrebig zusammenhängende Bemühen um Vollständigkeit wird immer schwer zu befriedigen sein. Der Band enthält nach dem Vorwort einige ,bisherige' Bibliographien, Hegels eigene Ausgaben der Enzyklopädie, Gesamtausgaben der Werke Hegels, Einzelausgaben der Enzyklopädie sowie Übersetzimgen und als eigentlichen Schwerpimkt „Sekundärliteratur 1829-1994 (31-123). Die Sekundärliteratur wird chronologisch, ab 1964 in Einzeljahrgängen, dargeboten. - Ob vollständig oder nicht bietet diese Bibliographie eine ergiebige Fundgrube, der man freilich ein (wenn auch noch so be-
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scheidenes) alphabetisches Verzeichnis als Orientierungshilfe hätte beigeben können. Hans-Christian Lucas (Bochum)
Barbara Markiewicz: Lebende Bilder. Warszawa: IFis Pan 1994.104 S. Der Wert des schmalen Bandes liegt vor allem in seinem außergewöhnlichen Thema: MARKIEWICZ beschäftigt sich mit bildlichen Darstellungen wichtiger politischer Begriffe bei Hegel und dabei mit dem Verhältnis von Begriff und Bild überhaupt. Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste befaßt sich mit „Vorstellimgen und dem öffentlichen Bereich". Erörtert wird der Begriff der „lebenden Bilder", ihre Bedeutung um die Jahrhundertwende 1800 sowie auch das gegenseitige Verhältnis von Vorstellung imd Begriff bei Hegel. Der zweite Teil ist bildlichen Darstellungen der Begriffe „Vaterland", „Staat" und „Europa" gewidmet; erörtert werden darin vor allem Bilder, deren sich Hegel bediente, aber auch jene, die in Polen gang und gäbe waren. Der abschließende Teil ist den bildlichen Darstellungen der Seuchen, insbesondere der Cholera von 1831 gewidmet. Ein wichtiges, bis jetzt kaum berührtes Thema ist aufgegriffen worden. Es ist jedoch zu bedauern, daß es nicht ausführlicher reflektiert worden ist. Mehreres ließe sich wohl hier noch hinzufügen. Nichtsdestoweniger bietet der Band einen wertvollen und originellen Beitrag zum Verhältnis von Bild und Begriff, insbesondere im Hinblick auf Hegel. Leider fehlt dem Band eine fremdsprachige Zusammenfassung, so daß man sich außerhalb Polens wohl kaum einen Begriff von seinem Inhalt machen kann. Auch die Reproduktionen der Bilder lassen bedauerlicherweise viel zu wünschen übrig. Jan Garewicz (Warschau)
Angela Requate: Pragmatischer versus absoluter Idealismus. G. W. F. Hegels
und R. G. Collingwoods Geschichtsphilosophie. Cuxhaven: JunghansVerlag 1994. XXX S. In der Einleihmg zu ihrer an der Universität Hamburg verteidigten Dissertation über Hegel und COLLINGWCXJD schreibt ANGELA REQUATE, daß ihre Abhandlung zum Ziel hat, aufzuzeigen, daß COLLINGWOODS pragmatische Geschichtsphilosophie „als Aktualisierung der hegelschen unter den Bedingungen der Moderne" verstanden werden kann (13). Leider hat die Autorin es versäumt, diese sehr allgemein gehaltene Fragestellung weiterhin zu konkretisieren, wodurch es dem Leser schwerfällt, die Bedeutung der verschiedenen Schritte der vergleichenden Untersuchung beider philosophischen Systeme für die Gesamtdarstellxmg zu verstehen. Die Inhaltsangabe der Arbeit gibt dem Leser ebenfalls nicht die Möglichkeit, die Relevanz der ein-
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zelnen Teile der Abhandlung in ihrem Gesamtzusammenhang nachzuvollziehen. Die angesprochene Problemstellung geht offenbar nicht über das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden Autoren hinaus, wodurch das Buch vor allem einen zusammenfassenden Charakter erhält. Der Vergleich beider Autoren führt trotzdem zu einer Reihe von interessanten Ergebnissen, die die Autorin im einzelnen gut zu analysieren weiß. Die Dissertation besteht aus zwei Teilen, die zum Ziel haben, beide Philosophien zu parallelisieren. Im ersten Teil wird das Verhältnis von Geschichte und Philosophie, von Geschichtsphilosophie imd Historiographie und von Geschichtsphilosophie und Geschichtsmetaphysik im Hegelschen System ermittelt, hn zweiten Teil werden vor allem die Differenzen von COLLINGWOODS Konzeption der Geschichtsphilosophie, der Historiographie und des Pragmatismus mit derjenigen Hegels herausgearbeitet. Ein erstes interessantes Ergebrds der vergleichenden Untersuchung bezieht sich auf den pragmatischen Ansatz COLLINGWOODS. Für üm ist alles Denken handlungsbezogen (10). COLLINGWOODS Historismus wäre, im Gegensatz zum Deutschen Historismus, praxisbezogen (180). COLLINGWOOD sieht die Philosophie insbesondere als ein Mittel, das fragmentarische Dasein des modernen Individuums und das Spezialistentum der modernen Wissenschaft zu überwinden (9 und 88). ANGELA REQUATE widmet der CoLLiNGWOODschen Konzeption des Nachvollzuges („reenactment") eine längere Analyse. Diese Analyse der historischen Tätigkeit unter Bedingungen der Absicht und des Zwecks (136) faßt sie auf als eine Reinterpretation des Hegelschen Begriffs des „Begriffes" (98), der nicht vom Einfluß des CROCEanischen Historismus loszulösen sei (135,181). Nachvollzug heißt, daß der Historiker mithilfe der Einbildungskraft die Situation, die Gedanken und Handlimgsmöglichkeiten von Akteuren in bestimmten Situationen noch einmal für sich selbst denkt (184). Eine wichtige Übereinstimmung zwischen beiden Philosophien sieht ANGELA REQUATE in der Auffassimg der Geistesgeschichte als Prozeß der Selbsterkenntnis. In dieser Hinsicht sei COLLINGWOODS Buch Speculum mentis or the Map of Knowledge analog zur Hegelschen Phänomenologie des Geistes aufgebaut. In COLLINGWOODS Verständnis kann der Geist erst in der Vergegenständlichung und Objektivienmg seiner Subjektivität die Welt als die seinige erkermen. Hiermit ist „er der Spiegel der Welt und die Welt sein Spiegel" (272). Brimo Coppieters (Brüssel)
Hegel and Newtonianism. Ed. by Michael John Petry. Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers 1993. XIV, 786 S. (International Archives of the History of Ideas. 136.) Der vorliegende Band enthält die Beiträge einer Tagung, die in NEWTONS ehemaligem College in Cambridge im Herbst 1989 stattfand. Der umfangreiche Band ent-
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hält zweiundvierzig Aufsätze zu NEWTON und Hegel. Wie der Herausgeber MICHAEL PETRY in seinem Vorwort erklärt, soll die Aufteilung des Bandes dem Aufbau der Hegelschen Enzyklopädie entsprechen: Im ersten Teil wird über die metaphysischen Grrmdlagen der NEWTONschen Physik und Hegelschen Naturphilosophie gehandelt, es folgen Beiträge zur Mathematik (Teil 2), Mechanik (Teil 3 u. 4), Optik (Teil 5) und Chemie (Teil 6). Die einzelnen Themen werden jeweils von zwei Seiten angegangen, zxmächst wird von einem Referenten ein Überblick über den Standpimkt NEWTONS bzw. der NEwroNianer gegeben, von einem andern Referenten Hegels Stellungnahme dazu dargestellt. Die Thematik des Bandes erfordert eine Konzentration auf die Teile der Hegelschen Naturphilosophie, die sich mit NEWTON auseinandersetzen. Nach MICHAEL PETRY wird deutlich, daß NEWTON und Hegel über mehr Gemeinsames verfügen, als gemeinhin vermutet wird. Ein solches Resultat wäre bemerkenswert, da es der traditionellen Auffassxmg widerspricht, die Hegel - in Übereinstimmimg mit seiner eigenen scharfen NEwroN-Kritik - als Antipoden NEWTONS interpretiert. Nach PETRY simplifiziert die alte Interpretationsrichtxmg das Verhältnis Hegels zu NEWTON; sowohl die Hegelforschimg der letzten zwanzig Jahre als auch das neue NEwrON-Bild, das durch die Aufarbeitung von NEWTONS Nachlaß gewonnen wurde, zwingen zu einer differenzierteren Sicht. Ob allerdings durch diese auch eine entscheidende Revision der traditionellen Auffassimg möglich ist - wie PETRY annimmt, wird im folgenden zu prüfen sein. Nach PETRY richtet sich Hegels Kritik nicht so sehr gegen NEWTON als gegen den NEwroNianismus des 18. Jahrhimderts. Das Gemeinsame, über das NEWTON und Hegel angeblich verfügen, soll in der Übernahme der wissenschaftlichen Methode der Analyse und Synthese bestehen. Nim zeigen aber die betreffenden Beiträge, daß Hegel imd NEWTON sehr verschiedenen Formen dieser wissenschaftlichen Methode folgen. Die Verwendung unterschiedlicher Modelle der Analyse und Synthese durch Hegel und NEWTON könnte sicherlich ein zentraler systematischer Gesichtspunkt sein, wird aber nur von einigen Autoren verfolgt. Der Großteil der Beiträge bietet vielmehr eine divergierende Vielfalt. Die ursprüngliche Intention der Tagung, die Referate über Hegel und NEWTON jeweils einander zuzuordnen, ist leider kaum verwirklicht worden. Es bleibt oft dem Leser überlassen, die gelehrten Ausführungen zu NEWTONS Physik für die Interpretation der Hegelschen Naturphilosophie fruchtbar zu machen. Es zeigt sich, daß die Kluft zwischen beiden Denkern nicht so leicht überbrückbar ist, wie erhofft. Im folgenden soll versucht werden, den genannten systematischen Gesichtspunkt möglichst weit zu verfolgen. Den besten Einstieg in die Problematik von Hegels Verwendung der analytischen imd synthetischen Methode im Rahmen seiner Naturphilosophie bietet der Beitrag von RENATE WAHSNER („The philosophical background to HegeTs criticism of Newton", 81-90). Die Autorin stellt im einzelnen heraus, daß es Aufgabe der Naturwissenschaften ist zu messen. Dazu bedarf es theoretischer und experimenteller Festlegungen. Beim Messen werden Momente einer Sache nicht nur unterschieden, sondern auch getrermt. Diese Verselbständigung von Momenten geschieht kontrolliert, um einen physikalischen Sachverhalt erfassen zu können. Der Fortschritt der Natur-
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Wissenschaft hängt wesentlich vom Gelingen der relativen Verselbständigung weiterer physikalischer Größen ab. Hegel mißversteht nun das Verfahren der Naturwissenschaft. Er deutet die Isolierung physikalischer Größen zum Zweck der Messimg radikaler, als sie gemeint ist, nämlich als Auseinanderlegen eines Zusammenhangs in eine diskrete Marmigfaltigkeit, die daim nur noch äußerlich zusammengefaßt werden kann. Als Gegenpol zu dem äußerlichen Verfahren der Naturwissenschaft stellt Hegel dann seine spekulative Naturbetrachtimg vor, die vom Begriff, von der Idee ausgehend den Zusammenhang der Natur angeblich bewahrt. Hegels Fehler besteht darin, eine Fehlform der Naturwissenschaft für deren Repräsentantin zu halten. Mechanismus und Empirismus isolieren in der Tat in der von Hegel gedachten Weise physikalische Größen. Hegels Kritik trifft diese Fehlformen, nicht aber die Naturwissenschaft als solche. Das Verhältnis der Philosophie zur Naturwissenschaft kann denn auch nicht in der von Hegel angegebenen Weise betrachtet werden. Aufgabe der Philosophie ist es zwar durchaus, die Begriffe der Naturwissenschaften zu klären; diese besitzen jedoch eine viel größere Selbständigkeit gegenüber der Philosophie, als Hegel ihnen zugestehen will. Es könnte nun sein, daß NEWTONS Physik jenen Mechanismus darstellt, den Hegel mit Recht kritisiert, und Hegels NEWTON-Kritik berechtigt ist. Nach HORST-HEINO VON BORZESZKOWSKI („Hegel's interpretation of classical mechanics", 73-80) wäre eine solche Unterstellimg jedoch abwegig. NEWTON hat trotz aller Unzulänglichkeiten seiner Physik als Begründer der modernen Naturwissenschaft imd nicht als Repräsentant einer ihrer Fehlformen zu gelten. NEWTONS Mechanik bleibt auch nach EINSTEINS Relativitätstheorie imd der Quantentheorie der Prototyp jeder physikalischen Theorie. Deshalb sind Versuche, Hegels NEwroN-Kritik als Antizipation der modernen Physik zu interpretieren, verfehlt. Nach dem Interpretationsansatz von WAHSNER und VON BORZESZKOWSKI muß man Hegel eine falsche Handhabung der analytischen Methode vorwerfen, insofern er die methodische Unterscheidung und Trennung von Eigenschaften zu radikal vollzieht, wodurch ein zu affirmatives und holistisches Verständnis von Synthese provoziert wird. WALTER E. WEHRTE („The conflict between Newton's analysis of configurations and Hegel's concephial analysis", 17-26) und RICCARDO POZZO („Analysis, Synthesis and dialectic", 27-39) arbeiten diesen Umstand deutlich heraus. Pozzo knüpft an HANS-JüRGEN ENGFERS Untersuchungen an, die hier kurz skizziert werden sollen. 1 Die Diskussion über die richtige wissenschaftliche Methode zu Beginn der Neuzeit konnte sich auf verschiedene Traditionen der Antike beziehen. Durch die Übersetzung der mathematischen Schriften von PROKLOS und PAPPOS Mitte des 16. Jahrhunderts war eine neue Situation eingetreten. Der EuKLiD-Kommentar von PROKLOS wurde als Ergänzung von ARISTOTELES' Analytica posteriora verstanden. Ein aus mathematischem und AmsTOTELischem Methodenmodell gebildetes Wissen1 Vgl.H.-/. Engfer: Philosophie als Analysis. Studien zur Entwicklung philosophischer Analysiskonzeptionen unter dem Einfluß mathematischer Methodenmodelle im 17. und 18. Jahrhundert. Stuttgart-Bad Cannstatt 1982.
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schaftsideal wurde gegen die scholastische disputatio in forma ausgespielt. Dieses durchaus progressive Wissenschaftsideal hatte den Nachteil, einem extrem deduktionistischen Denken Vorschub zu leisten. PROKLOS' Verbindung der geometrischen Methode der Analyse und Synthese bei EUKLID mit der Syllogistik des ARISTOTELES führte zu einer noch strengeren Axiomatik als bei EUKLID. Im 17. Jahrhimdert befreite sich die Mathematik aus der Bindung an die ARiSTOTELische Philosophie und wurde zum Paradigma von Wissenschaft. Es bildete sich das mathematische Modell einer Einheitswissenschaft (DESCARTES, SPINOZA, LEIBNIZ, WOLFE U. a.) heraus, das noch den jimgen KANT beeinflußte. Aber auch die Naturwissenschaft ging ihren eigenen Weg. Das neue naturwissenschaftliche Methodenmodell wurde im ARISTOTELismus der sog. Paduaer Schule - bei ZABARELLA - vorbereitet. ZABARELLA unterscheidet zwischen methodus resolutiva und compositiva. Die resolutive Methode wird wiederum unterteilt in demonstratio ab effectu imd inductio. Durch die Induktion werden die Prinzipien gefunden, die sinnlich wahrnehmbar sind, während die demonstratio ab effectu auch zu den nicht sinnlich wahrnehmbaren Ursachen vordringt. Für die demonstratio ab effectu ist es nicht nötig, alle einzelnen Fälle zu untersuchen, denn es handelt sich um eine demonstratio im Felde des Notwendigen. ZABARELLA grenzt sein naturwissenschaftliches Methodenmodell streng vom mathematischen ab, in dem die Prinzipien schon bekannt sind und nicht wie in der Naturwissenschaft erst aufgesucht werden müssen. GALILEI unterscheidet wie ZABARELLA zwischen metodo resolutivo und compositivo, NEWTON zwischen Analyse und Synthese. Beide verbinden jedoch empirische Beobachtung mit mathematischer Konstruktion. Der Prototyp einer mathematischen Naturwissenschaft war damit geboren.2 Wie WALTER E. WEHRLE herausstellt, knüpft Hegel in seiner Naturphilosophie nicht an diese durch GALILEI und NEWTON begründete mathematische Naturphilosophie an, sondern versucht, die begriffliche Analyse des ARISTOTELES ZU restituieren, die im späten Mittelalter außer Mode kam. Es ergibt sich daraus eine große Ähnlichkeit zwischen ARISTOTELES' Physik und Hegels Naturphilosophie (vgl. 21). RICCARDO POZZO macht noch andere Einflüsse geltend. Er sucht im Rückgang auf Hegels philosophische Entwicklung eine Klärung des Dialektikbegriffs Hegels zu erreichen, dessen Vorstufen - nach Darstellung der Wissenschaft der Logik - Analyse und Synthese sind. Er kann nachweisen, daß Hegel im Laufe seiner Entwicklung deutlich der Synthese einen Vorrang vor der Analyse einräumt. Während die Synthese eine begriffliche Subsumtion unter erste Ursachen bedeutet, hat es die Analyse - die Methode der Empiristen - mit der abstrakten Identität zu tun. Hegel entwickelt so die Konzeption einer axiomatisch-deduktiven Methode, die bei EUKLID, PROKLOS, DESCARTES und SPINOZA ausgebildet wurde. Pozzo glaubt, Ähnlichkeiten der Hegelschen Methode mit der MELANCHTHONS feststellen zu können, bei dem - ähnlich wie bei ARISTOTELES die analytisch-synthetische Methode als begriffliche Methode gehandhabt wird (vgl. 34 f). Daß Hegel sich damit in Gegensatz zu NEWTONS Naturwissenschaft stellt.
2 Vgl. ebd. 68 f, 74,77,70,90 ff, 95 f, 97 f, 100 ff.
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sucht Pozzo herunterzuspielen. Er glaubt, daß Hegel NEWTONS Methode in seine eigene eingebaut habe (vgl. 30,39). Hegel hat sich bekanntlich ausführlich mit den Methoden der höheren Analysis in seiner Wissenschaft der Logik auseinandergesetzt. Dem modernen Infinitesimalkalkül stellt er seine Konzeption des qualitativen Quantitätsverhältnisses gegenüber. Er wirft der Mathematik vor, den Begriff des mathematisch Unendlichen nicht aus dem spekulativen Begriff entwickelt zu haben. Wie HORST-HEINO VON BORZESZKOWSKI deutlich macht, entspricht die Reduzierung des Infinitesimalkalküls auf rein arithmetische Begriffe durch CAUCHY, WEIERSTRASS, CANTOR, DEDEKIND nicht der Hegelschen Intention. Hegel glaubte vielmehr an eine unmittelbare Synthesis von Mathematik und Philosophie, an eine philosophische Mathematik, die eine Wissenschaft der Maße als eine Mathematik der Natur ermöglicht (vgl. 75 f). Welche Konsequenzen Hegels Betommg des begrifflichen Verfahrens in der Mathematik hat, verfolgt im einzelnen ANTONIO MORETTO („Hegel on greek mathematics and the modern calculus“, 149-165). Hegel verwirft KANTS Berufung auf eine reine Anschauung, die synthetische Urteile a priori in der Mathematik ermöglichen soll. EUKLIDS Werk gilt ihm zwar als Modell der synthetischen Methode, anderseits kritisiert er es, weil EUKLIDS geometrische Konstruktion noch sinnlichen Bestimmungen verhaftet bleibe, ihr die Notwendigkeit des Begriffs fehle. Axiome der Geometrie sind für Hegel eigenthch Lehrsätze, die zumeist aus der Logik genommen sind. In der höheren Analysis stützt sich Hegel auf LAGRANGES Potenzreihenmethode, die das moderne Operieren mit dem Unendlichkleinen vermeiden und zur Strenge der griechischen Mathematik zurückkehren will. Gegen Hegels Verallgemeinerung von LAGRANGES Potenzreihenmethode ist mit MORETTO darauf hinzuweisen, daß diese nur imter bestimmten Bedingungen anwendbar ist (vgl. 162), und mit VON BORZESZKOWSKI, daß Hegel nicht zufällig zwar LAGRANGES Theorie der analytischen Funktionen, nicht aber dessen Analytische Mechanik zitiert (vgl. 78). Einen positiven Anknüpfungspunkt für seine Konzeption des qualitativen Quantitätsverhältnisses sieht Hegel erstaunlicherweise in NEWTONS Methode der ersten und letzten Verhältnisse. BERKELEYS Kritik, die Infinitesimalmethode verstricke sich in Widersprüche, insofern sie das Unendlichkleine nach Belieben für Etwas imd für Nichts ausgebe, entkräftet NEWTONS Methode, weil sie nach Hegel zeigt, daß es ein Drittes zwischen Etwas und Nichts gibt. Aber auch hier ist wieder darauf hinzuweisen, daß Hegel uminterpretiert. Er schätzt NEWTONS Verständnis des Infinitesimalkalküls, lehnt jedoch dessen Anwendung durch NEWTON ab (vgl. 78). Eine positive Seite sucht LOUK FLEISCHHACKER („Hegel on mathematics and experimental Science", 209-225) Hegels Philosophie der Mathematik abzugewinnen; dies gelingt aber nur partiell. Es stellt sich für ihn die Frage, ob wir jene von Hegel anvisierte wissenschaftliche Behandlung der Mathematik durch den Begriff brauchen. Festzuhalten bleibt, daß auch für die moderne Mathematik (nach GöDEL) gilt, daß die Mathematik sich nicht selbst begründen kann. Tendenzen der modernen Wissenschaft, Wissen rein analytisch zu nehmen, Semantik durch Syntax zu ersetzen, kann man mit Hegel entgegentreten. Hegel scheint einen Begriff davon gehabt zu haben, daß mathematisches Denken die Frei-
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heit besitzt, Strukturen innerhalb des Bedeutungsvollen zu postulieren. Allerdings ist zu fragen, ob es ihm gelang, auch die Prinzipien der von ihm in Anspruch genommenen mathematischen Freiheit zu formulieren (vgl. 219). Hegels Mechanik wird wesentlich durch die Unterscheidung zwischen endlicher und absoluter Mechanik bestimmt. Jene stellt das System der trägen, diese das System der schweren Massen dar. So wie die endliche Mechanik der absoluten unterzuordnen ist, so die träge Masse der schweren. Die träge Masse ist für Hegel eine Abstraktion und existiert nur in einem sehr eingeschränkten Bereich. Da Hegel hauptsächlich an der absoluten Mechanik interessiert ist, würde es sich für ihn nahelegen, direkt von Raum xmd Zeit zur schweren Materie überzugehen. Die Enzyklopädie geht jedoch anders vor; nach der dialektischen Entwicklung der Raum- und Zeitbestimmungen wird zur endlichen, trägen Materie übergegangen. DIETER WANDSCHNEIDER („The Problem of mass in Hegel", 249-265) lenkt in seinem Beitrag die Aufmerksamkeit auf Hegels Jenaer Naturphilosophie, in der von Raum und Zeit unmittelbarer zur schweren Materie übergegangen wird. Der Übergang wird durch eine spekulative Deutung der Kreisbewegung vollzogen. Diese ist Bewegung an einem Ort und stellt für Hegel ein Einswerden der Zeitdimensionen dar. Als die in sich erloschene Bewegung setzt die Kreisbewegung die Masse als das Dauernde. In der dauernden Masse wird Ruhe imd Bewegung eins: Die dauernde Masse ist Bewegung, die in Ruhe bleibt. Die achsendrehende Bewegung der Himmelskörper verwirklicht die formale Struktur der Kreisbewegung. Sie repräsentiert Selbstidentität und ist als eine Art innerer Bewegimg aufzufassen. Sie stellt eigentlich eine unwirkliche Bewegimg dar, da ein außerhalb liegender ruhender Pimkt angenommen werden müßte, von dem sie als solche überhaupt erst wahrgenommen werden könnte. WANDSCHNEIDER will Hegels Beschreibimg der achsendrehenden Bewegung lediglich als Modell übernehmen, als eine intuitiv erfaßte Synthese von Dauer imd Lokalität, die es rational zu rekonstruieren gilt (vgl. 257 ff). Entsprechend hinterfragt er nicht weiter die irmere Stimmigkeit des Hegelschen Gedankengangs. Man könnte nämlich durchaus Hegels Behauptung, daß in der Kreisbewegung die Zeitdimensionen verschmelzen, bestreiten. Offensichtlich ist es die antike Vorstellung der Vollkommenheit und Ewigkeit der Kreisbewegung, an der sich Hegel orientiert. Diese als Modell für die Beschreibimg moderner physikalischer Phänomene zu nehmen (Atomspin - Elementarteilchen in der Quantenphysik, die ihr eigenes Feld kontinuierlich produzieren- Elementarteilchen als einfachste Repräsentationen mathematischer Symmetrien), dürfte sehr weit hergeholt sein. WANDSCHNEIDER muß denn auch selber zugestehen, daß der Vergleich mit Hegels achsendrehender Bewegung zu metaphorisch bleibt und nur heuristische Bedeutung hat (vgl. 263). Ähnlich kritisch wäre WANDSCHNEIDERS These zu betrachten, Hegels Charakterisierung des Lichts als absolute Geschwindigkeit sei als ein Vorgriff auf die moderne Relativitätstheorie zu verstehen (vgl. 264). Hegel macht qualitative Aussagen über physikalische Phänomene, es handelt sich nicht um Aussagen einer empirischen Naturwissenschaft. Hegels Intentionen treten deutlicher in seiner Einteilimg der Mechanik zutage.
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die STEFAN BüTTNER („Hegel on Galilei's law of fall", 331-339) zu rekonstruieren sucht. Nach BüTTNER ist Hegels Naturphilosophie keine Anwendung der Logik, sondern deren Veräußerlichung. Die logischen Bestimmungen werden sich selbst äußerlich und generieren eine Struktur, die einen apriorischen Rahmen für die Naturerkenntnis bereitstellt. Es müssen drei Methodenschritte unterschieden werden; 1) apriorische Konstruktion der Kategorien der Naturphilosophie, 2) Zuordnung der empirischen Naturphänomene zu den Kategorien, 3) Prüfung, ob die empirischen Phänomene den logischen Bestimmungen tatsächlich entsprechen, ln Schritt 2 erhalten die logischen Kategorien einen empirischen Gehalt und werden so zu den die Naturphilosophie bestimmenden Naturformen. BüTTNER betrachtet im einzelnen die vier Naturformen: Trägheit, Stoß, Fall, System der Schwere (Sonnensystem) als die vier Entwicklungsstadien der Naturform Materie. Diese wird von Hegel zunächst als Einheit von Raum und Zeit, Repulsion und Attraktion verstanden. Näherhin bedeutet diese Einheit Negativität, Selbstbeziehung, d. h. Gravitation als Streben nach einem außerhalb liegenden Zentrum. Dieser apriorisch gewonnene Begriff der Gravitation findet seine Konkretisienmg in den vier Naturformen: Trägheit, Stoß, Fall, System der Schwere. Der Fall ist die noch abstrakte Darstellung der Naturform Gravitation, die erst im Sonnensystem als absolut freie Bewegimg erscheint. In der Fallbewegung ist die Höhe des Körpers der Bewegimg vorgegeben, dieser also äußerhch. Raum und Zeit stehen hier in einem Verhältnis, das noch nicht vollständig durch den Begriff (im Sirme Hegels) bestimmt ist. Die Einheit von Raum und Zeit wird nun folgendermaßen im Fall reahsiert: 1. Zunächst ist ein bestimmtes Quantitätsverhältnis gegeben, eben das GAULEische (s = i/2gt2). 2. Das Quantitätsverhältnis muß nach den Bestimmungen des Begriffs rekonstruiert werden. Danach ist von der Zeit als negativer Beziehimg auf sich auszugehen, von der Zeit als relationaler Einheit, die im Nermer erscheint; der Raum als Quantum der Äußerlichkeit ist Zähler; beide ergeben ein Maß. 3. Die Zeit bestimmt dieses Maß, sie ist das spezifizierende Moment der Relation. 4. Die Relation zwischen Raum und Zeit muß als Potenz begriffen werden, als Selbstbeziehung; die Quantität wird durch sich selbst vermehrt (s/t^). 5. Indem das Quantum der Zeit eine Totalität wird, sich selbst realisiert, eignet es sich den Begriff des Raums als Äußerlichkeit an (s = V2gt2). Auf diese Weise soll nach BüTTNER deutlich werden, wie selbstgenerierende Gedanken die Struktur der Natur bestimmen (vgl. 339). BüTTNER hat damit zwar durchaus Hegels Gedankengang korrekt wiedergegeben, seine Rekonstruktion läßt aber jede kritische Distanz vermissen. Zimächst wäre zu fragen, was unter einer apriorischen Herleitung der Gravitation zu verstehen ist, schließlich, was durch die spekulative Neuformulierung des GALiLEischen Fallgesetzes in der Sprache qualitativer Naturbestimmungen eigentlich gewonnen wird. Interessant wäre ein solches Vorgehen, wenn auf diesem Weg nachweisbar physikalische Gesetzmäßigkeiten gefimden werden könnten. Hegels apriorische Herleitung der Gravitation dürfte originär sein; vergebens sucht man im NEWTONianismus des 18. Jahrhunderts nach Vorläufern. Aus FRANS VAN LUNTERENS detailliertem Überblick („Eighteenth-century conceptions of gravita-
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tion", 343-366) geht hervor, daß bezüglich der Ursache der Gravitation einmal ein Agnostizismus vertreten, daim eine Erklärung mit Hilfe der Äthertheorie gesucht und schließlich die Gravitation innerhalb einer Kräftephilosophie abgehandelt wurde. Die Mitte des 18. Jahrhunderts populär werdende Äthertheorie wurde von den britischen NEwroNianem, aber auch von kontinentalen Naturforschern wie EULER und LESAGE weiterentwickelt. Ende des 18. Jahrhunderts, als immer mehr imponderable Flüssigkeiten entdeckt wurden, verlor sie an Bedeutung. Im 19. Jahrhimdert gab FARADAYS Feldtheorie den Anstoß zur Wiederbelebung der Äthertheorie. Die sowohl von britischen (R. GREEN) als auch von deutschen Naturforschern (im Gefolge KANTS) vertretene Kräftephilosophie deutet die Gravitation als eine Form der Attraktion, nicht wie Hegel als Einheit von Repulsion und Attraktion. Hegel kritisiert denn auch in dieser Hinsicht ausdrücklich KANT (vgl. Enzyklopädie. § 262). Wie KARL-NORBERT IHMIG („Hegel's treatment of universal gravitation", 367-381) erläutert, führt die Dialektik des Einen und Vielen in der Wissenschafl der Logik dazu, Gravitation als Einheit von Repulsion und Attraktion zu deuten. Hegel versucht hier im Gnmde, die atomistische Grundlage der NEwroNschen Physik mit deren Kräftetheorie dialektisch zu vermitteln. Das Ergebnis ist - so wird man im Gegensatz zu IHMIGS Auffassimg konstatieren müssen - eine kaum noch nachvollziehbare Theorie der Gravitation. Diese wird nämlich als Streben nach einem außerhalb der Materie liegenden, immateriellen Punkt vorgestellt. Entsprechend versteht Hegel im Unterschied zu NEWTON die Gravitation als Wesenseigenschaft der Materie imd folgerichtig muß für Hegel die Gravitation dem Trägheitsgesetz widersprechen (vgl. 376 ff, 368 f). Von der allgemeinen Materie, die Gegenstand der Mechanik ist, unterscheidet Hegel das Licht als erste qualifizierte Materie. Wie BRIGITTE FALKENBURG („Hegel on mechanistic models of light", 531-546) ausführt, wird das Licht kategorial mit Begriffen der Wesenslogik wie Identität, Manifestation u. a. gekennzeichnet. Es ist das universelle Selbst der Materie und als solches bezogen auf das immaterielle Zentrum der Gravitation. Licht existiert in polarem Gegensatz zur schweren Materie und manifestiert sich an dimkler Materie. Hegel unterscheidet zwischen der Idealität des Lichts, aufgrund derer ihm absolute Geschwindigkeit zukommt, und seiner Materialität, die eine endliche Geschwindigkeit bedingt (vgl. Enzyklopädie. § 275 Zusatz, § 276 Anm.). Es gibt zwei Arten des Lichts: das kalte Licht der Sonne und das in die Erdatmosphäre eintretende warme Licht. Diese Unterscheidimg geht letztlich auf Hegels Unterscheidxmg zwischen endlicher und absoluter Mechanik zurück. BRIGITTE FALKENBURG gesteht zu, daß Hegels Theorie des Lichts sowohl vom heutigen Standpunkt der Physik als auch vom damaligen befremdend wirken muß. Man muß konstatieren, daß Hegel den empirischen Rahmen der damaligen Theorien nicht ausgeschöpft hat. Diese Feststellung bleibt auch dann gültig, wenn man die sehr begrenzten damaligen Möglichkeiten empirischer Aussagen über das Licht berücksichtigt. Anfang des 19. Jahrhimderts gab es keine allgemein akzeptierte Theorie des Lichtes, obwohl die NEwroNsche Korpuskeltheorie weit verbreitet war. Neben NEWTONS Theorie gab es die Wellentheorie HUYGENS' imd EULERS, die dann
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durch YOUNG und FRESNEL zwischen 1801-1817 in einer Weise ausgearbeitet wurde, die allgemeine Anerkennimg fand (vgl. auch A. Ziggelaar: The early debate concerning wave-theory. 517-529). Hegel erwähnt in der ersten Auflage der Enzyklopädie (1817) die Wellentheorie nicht, sondern richtet sich nur gegen die Korpuskeltheorie; in der dritten Auflage der Enzyklopädie (1830) lehnt er beide Theorien ab. Er nimmt zwar eine lineare Ausbreitung des Lichts an und akzeptiert das Reflexionsgesetz, nach dem Einfalls- und Reflexionswinkel gleich sind, hält aber das SNELLiussche Brechimgsgesetz für unzureichend, da es die beobachteten Phänomene nicht erklärt. Indem er tendenziell alle theoretischen Begriffe verwirft, die mit der Sinneswahrnehmimg in Konflikt geraten, zieht er sich auf eine rein phänomenologische Betrachtimg zurück. Mit GOETHE verbündet sich Hegel im Kampf gegen die schlechte Metaphysik der Physik und weiß sich mit diesem einig im Festhalten an den Phänomenen. BRIGITTE FALKENBURG muß zugeben, daß Hegels berechtigter Antireduktionismus schließlich in einen solchen übergeht, der gegen die gesamte nachnewtonsche Physik gerichtet ist, die von einem ontologischen Reduktionismus als regulativem Prinzip ausgehen muß (vgl. 544 ff). Ein überzogener Antireduktionismus leitet Hegel auch bei der Übernahme der GoETHEschen Farbentheorie und führt in diesem Zusammenhang zu scharfen Verurteilungen NEWTONS. Wie der Beitrag von LUCA IILETTERATi („Hegel's exposition of Goethe's theory of colour", 557-568) deutlich macht, geht Hegel über GOETHES Farbentheorie dadurch hinaus, daß er eine begriffliche Fassung dieser Theorie anstrebt. Er will gerade auf dem physikalischen Gebiet mit NEWTON konkurrieren. Dabei vernachlässigt er den originellen Teil der GoETHEschen Farbenlehre, die Theorie der physiologischen Farben. Nach ILLETTERATI verfügte Hegel über eine Theorie des Organismus, die ihm eine positive Aufnahme dieses Lehrstücks ermöglicht hätte. Hinzuzufügen wäre, daß auf diesem Weg eine Annäherung an NEWTONS Standpunkt möglich gewesen wäre, da NEWTON auch über die physiologischen Bedingimgen des Farbensehens geforscht hat (vgl. F. Steinle: Newton's colour-theory and perception. 569-577). Opticks hat nicht nur durch ihre optischen Lehren gewirkt, sondern auch durch die in den Queries nur angedeuteten, zu denen die erst Mitte des 18. Jahrhimderts rezipierte Äthertheorie und Theorien über chemische Affinität gehören. Wie WOLFGANG BONSIEPEN („Newtonian atomism and eighteenth-century Chemistry", 595-608) im Anschluß an BETTY JO TEETER DOBBS imd RICHARD S. WESTFALL deutlich zu machen sucht, sind jene Theorien und vermutlich sogar NEWTONS Deutung der physikalischen Kraft als aktives Prinzip auf dem Hintergrund eines erst in jüngster Zeit wahrgenommenen Paradigmas des 17. Jahrhunderts zu sehen, nämlich des Paradigmas der Alchemie. Für viele stellt es ein Ärgernis dar, daß NEWTON, der Autor der Principia, auch der Verfasser alchemischer Abhandlungen war. NEWTON war aber weder Alchemist noch mathematischer Physiker, der sich jeder hypothetischen Erklärung enthielt. Er vertrat wie andere Wissenschaftler seiner Zeit eine Mischung aus beidem. BOYLE und NEWTON verbanden die alchemistische Idee einer allgemeinen Umwandlvmg der verschiedenen Stoffe ineinander mit einer Korpuskulartheorie der Materie. Der alchemistische Hintergrund, der erst heute durch EinNEWTONS
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blick in NEWTONS Nachlaß erkennbar geworden ist, wurde von den NEWXONianern des 18. Jahrhunderts nicht rezipiert. Nach CELES DE PATER („Newton and eighteenthcentury conceptions of Chemical affinity", 619-630) versuchte man vielmehr, die in den Queries der Opticks vorliegenden Ansätze zu einer Theorie chemischer Verbindungen weiterzuentwickeln. ETIENNE FRANCOIS GEOFFROY war bestrebt, mit Hilfe von Affinitätstafeln mathematische Gesetze der chemischen Verbindungen nach dem NEWTONschen Vorbild aufzufinden. Es folgten Affinitätstafeln von MACQUER imd TORBERN BERGMAN, dessen attractio electiva mit Wahlverwandtschaft übersetzt wurde. Auf die Grenzen solcher Bemühimgen verweist schon früh GEORG ERNST STAHL, der Erfinder der Phlogiston-Theorie. Er ging von der Praxis des Chemikers aus und unterschied zwischen physischen imd chemischen Elementen. Aus den physischen Elementen besteht ein Körper wirklich, aber sie sind nicht bekannt; in die chemischen Elemente wird ein Körper durch die ims bekannten chemischen Operationen zerlegt. Diese Unterscheidung wurde von späteren Autoren immer wiederholt (vgl. Bonsiepen: Newtonian atomism. 603). Ein anderer Kritiker des einseitig mathematischen Modells der chemischen Affinitäten war CLAUDE LOUIS BERTHOLLET, der auf die Abhängigkeit der chemischen Wahlverwandtschaft von der Masse und Quantität der beteiligten Substanzen hinwies. HENRICUS ADRIANUS MARIE SNELDERS („The significance of HegeTs treatment of Chemical affinity", 631-643) zeigt, daß sich Hegel in seiner Jenaer Naturphilosophie nicht dem ihm durchaus bekannten TORBERN BERGMAN, sondern BERTHOLLET anschloß und zu einem Kritiker der Theorie der chemischen Wahlverwandtschaft wurde. Hegels Parteinahme für BERTHOLLET bedeutet allerdings nur bedingt die Entscheidung für eine empirische, messende Chemie. Nach WOLFGANG BONSIEPEN (vgl. 606 f) legt Hegel der gesamten Darstellung des chemischen Prozesses sein Modell des meteorologischen Prozesses und dessen Elementenlehre zugnmde. Den meteorologischen Prozeß bezeichnet Hegel auch als das physikalische Leben der Erde, in dem - im Unterschied zur Chemie der Menschen - eine allgemeine Umwandlung der traditionellen Elemente Luft, Feuer, Wasser, Erde stattfindet. Sachlich argumentiert Hegel damit für die noch von BOYLE und NEWTON vertretene alchemistische Auffassung, nach der die verschiedenen Stoffe der allgemeinen Materie ineinander umgewandelt werden können. Auch erinnert seine Unterscheidung zwischen chemischem und meteorologischem Prozeß an STAHLS Unterscheidung zwischen chemischen und physischen Elementen. Die Parteinahme für BERTHOLLET kann also als Rückbeziehimg des chemischen auf den physikalischen Prozeß der Erde gedeutet werden. Hegel geht es allerdings nicht um die Restituierung der antiken Elementenlehre, sondern um die Gewinnung eines Prozeßbegriffs, d^r ähnlich wie die Alchemie eine allgemeine Umwandlimg der Stoffe annimmt. Damit wird - wie JOHN W. BURBIDGE („Chemistry and HegeTs logic", 609617) deutlich macht - eine Zuordmmg der empirischen Phänomene der Chemie zu dem in der Wissenschaft der Logik entwickelten Prozeß- imd Totalitätsgedanken möglich. Die Logik führt das chemische Objekt als Prozeß des reinen Denkens ein. Während die empirische Chemie die Trennung der Körper betrachtet, denkt die Logik ihren Zusammenhang, ihre Kontinuität. Die in der Logik postulierte Kontinuität
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ist jedoch nicht bezüglich der Beziehung zwischen Körpern, wohl aber in bezug auf Klassen von Körpern (Säuren, Basen, Salze) aufzufinden. Die Philosophie findet so im chemischen Prozeß, der zugleich Differenzierimg und Kontinuität beinhaltet, eine Vorstufe des Organischen. Die vorstehende Übersicht konnte leider nur einen Teil der zweiundvierzig Beiträge des Bandes berücksichtigen. Vornehmlich wurde auf die Beiträge, die sich direkt auf Hegels Naturphilosophie beziehen, eingegangen. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß die These des Herausgebers, NEWTON und Hegel würden über mehr Gemeinsames als gemeinhin vermutet verfügen, so nicht aufrechtzuerhalten ist. Hegel entfernt sich in seiner Philosophie der Mathematik, Mechanik, Optik imd Chemie grimdlegend von dem durch NEWTON aufgestellten Prototyp der Naturwissenschaft, ohne daß man seine Abweichungen von NEWTON als Vorgriff auf die moderne Physik interpretieren könnte. Für RENATE WAHSNERS These spricht viel, daß Hegel das Verfahren der messenden Naturwissenschaft mißversteht, indem er die Isolierung physikalischer Größen zum Zweck der Messung radikaler deutet als sie gemeint ist. Wie BRIGITTE FALKENBURG schließlich zugeben muß, geht Hegels berechtigter Antireduktiorüsmus in einen solchen über, der gegen die gesamte nachnewtonsche Physik gerichtet ist. Der Band wird durch einen sehr nützlichen bibliografischen Teil abgeschlossen, der die naturwissenschaftlichen Werke verzeichnet, die in Hegels Bibliothek aufgefunden wurden. Die Titel sind mit informierenden Bemerkungen zum jeweiligen Autor und seinem Werk sowie zur Benutzung des Werks durch Hegel versehen. Es überrascht, daß Hegel von KEPLER, den er so sehr schätzte, offensichtlich kein Werk besaß. Ferner werden die Stellen der von Hegel benutzten Amsterdamer zweiten Auflage der Principia im Wortlaut aufgeführt, auf die er sich in seinen Schriften bezieht. Den Band beschließt eine Liste der Referenten mit biografischen Angaben, eine ausführliche Bibliografie und ein kombiniertes Sach- und Personenregister. Das breite Spektrum der Aufsätze sowie der sorgfältig erstellte bibliografische imd indexalische Teil machen den Band zu einem einschlägigen Handbuch für die gewählte Thematik. Wolfgang Bonsiepen (Bochum)
Louk Eduard Fleischhacker: Beyond Structure. The Power and Limitations of Mathematical Thougt in Common Sense, Science and Philosoph]/. Frankfurt a. M.
[usw.]: Lang 1995.221 S. Das vorliegende Buch will Einflüsse der Mathematik auf die Metaphysik aufzeigen. Es ist trotz des ähnlich klingenden Titels inhaltlich sehr verschieden zu dem im selben Jahr erschienenen Buch von Chr. Thiel: „Philosophie und Mathematik: Eine Einführung in ihre Wechselwirkungen und in die Philosophie der Mathematik (Darmstadt
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1995). Dort stehen mathematische Inhalte im Vordergnmd und wie diese zum Gegenstand wissenschaftstheoretischer Betrachtungen werden. FLEISCHHACKER geht es nicht um die genaue Beschreibung einer Entwicklung mathematischer Begriffe wie z. B. Axiomatisierung, Formalisierung, Grundlagenstreit, Logik etc., sondern er ernennt „mathematism" zum Paradigma, um dann zu untersuchen, welchen Einfluß dieses Paradigma auf andere Wissenschaften, insbesondere auf die Philosophie, hat. Für diese Untersuchung wählt er als begrifflichen Rahmen, und hält dies konsequent im gesamten Buch durch, die sogenannten drei ,Ebenen des Wissens': die empirische (oder „common sense"), die mathematische und die metaphysische (oder philosophische) Ebene. Diese Ebenen werden dargestellt und ihre Beziehungen aufeinander untersucht, um letztendlich zu zeigen, daß die Probleme der modernen Philosophie einer unberechtigten Imitation mathematischer Methoden geschuldet sind. Ist einmal dieser Einfluß (i. e. „mathematism" als Paradigma) erkannt, so - meint PLEISCHHACKER - kann die Philosophie ganz neue Wege beschreiten. Doch überzeugt FLEISCHHACKERS Darstellung wenig, und dies Unbehagen rührt auch schon daher, daß sein begrifflicher Rahmen, i. e. die oben genannten drei Ebenen, terminologisch nicht genau festgelegt ist: So heißen sie mal „level", „degree" oder „dimension", und für Wissen wird „knowledge", „reflection" oder „abstraction" benutzt. Weiterhin vermißt man oftmals stringent entwickelte Gedankengänge, so daß die Darstellung hinter ihrem eigenen Anspruch zurückfällt: „The main use to which this book may be put: to sense as a training ground for systematic thinking, without leading to a closed or rigorous System" (9). Im Folgenden skizziere ich den Inhalt der Kapitel und belege exemplarisch den Gnmd meines Unbehagens. Das erste Kapitel dient zur Darstellung der zweiten, der mathematischen Ebene. In den anschließenden Kapiteln sollen die drei Ebenen (d. h. die empirische, mathematische und metaphysische) näher untersucht werden, und zwar erst einmal als getrennte, unabhängige (Kapitel 2), dann als doch aufeinander bezogene (Kapitel 3), dann wiederum werden die Beziehungen selbst problematisiert (Kapitel 4), um schließlich den Einfluß des mathematischen auf das philosophische Denken aufzuzeigen und es möglicherweise davon zu befreien (Kapitel 5). Das erste Kapitel ist ein historischer Abriß des mathematischen Denkens und der Philosophie der Mathematik. Dabei geht FLEISCHHACKER rächt historisch vor, sondern er orientiert sich am historischen Material. Sein Anspruch ist: „The present Work is purely systematical" (9). Allerdings ist es wenig systematisch, wenn zum Beispiel auf zweieinhalb Seiten (19-21) neim verschiedene Positionen (von PLATON, ARISTOTELES über HUSSERL, WITTGENSTEIN, TH. V. AQUIN bis hin zu Hegel, FREGE U. a.) zum Begriff der mathematischen Objektivität zitiert werden. Zwangsläufig muß dann die Zusammenfassung unpräzise Ausdrücke wie „related in a certain way" verwenden. bn zweiten Kapitel werden die drei Ebenen erläutert, und FLEISCHHACKER xmterscheidet Grade der Abstraktion. Weil diese Ausführungen von erkenntnistheoretischer Art sind, vermisse ich - wie auch schon bei den Bemerkungen zur mathemati-
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sehen Abstraktion in Kapitel 1 - KANTS Resultate zur Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis; zwar wird KANT hier und da erwähnt, aber im gesamten Buch nicht zitiert. Wieder liefert FLEISCHHACKER eine Ansammlung von historischen und eigenen Gedanken und eine Flut von Literaturzitaten, aber den zitierten Gegenständen wird er so nicht gerecht (siehe zum Beispiel die Darstellung der Hegelschen spekulativen Dialektik auf zwei Seiten (86 f)). In Kapitel 3 beschreibt der Autor selbst seinen Stil mit den Worten: „We have walked in this section through modern philosophy with ,seven league boots'" (110). Es werden viele Beispiele von Theorien in der Philosophie und der Mathematik (Strukturalismus, Empirismus, OSTWALDS Energetik, BROUWERS Philosophie, Positivismus, kritischer Rationalismus, FREGES Logik, u. v. a. m.) angeführt zum Beleg, daß selbst in den einzelnen Theorien nicht festzumachen ist, wie groß jeweils der Anteil der Ebene in der Theorie ist. Auf den Seiten 106-110 wird der Einfluß des mathematischen Denkens auf die Philosophie DESCARTES', MARX', SPINOZAS, LEIBNIZ', Hegels, ARISTOTELES', SARTRES, U. V. a. m. ,dargelegt'. Für alle versucht FLEISCHHACKER nachzuweisen, daß sie stets versucht haben, die mathematischen Vorgehensweisen zu imitieren. So fühlt sich FLEISCHHACKER HUSSERLS Initiative verpflichtet, nämlich mathematische und philosophische Exaktheit nicht zu verwischen und begrifflich zu trennen (116). Dies soll nun in Kapitel 4 ansatzweise geleistet werden, systematisch soll das Verhältnis der drei Ebenen geklärt beziehungsweise problematisiert werden. Ein „dialektischer Ansatz", rekurrierend auf Hegels Begriffe ,Moment' und ,aufheben', soll dabei hilfreich, aber unzureichend sein. Das Hegelreferat wird wieder sehr verkürzt und wenig überzeugend dargestellt (118-119). Begriffe wie ,implizites' und ,explizites Wissen' werden benutzt, aber nicht entwickelt (122), eine Zusammenfassung der Wissenschaft der Logik wird in neun Zeilen (126) gegeben. Es verwundert, daß, obwohl ständig Hegel zitiert wird, Hegels Resultate zum Unterschied von Philosophie und Mathematik aus der Vorrede der Phänomenologie des Geistes nicht erwähnt werden. Ziel FLEISCHHACKERS Ausführungen, die ontologische bzw. erkenntnistheoretische Aspekte und Prinzipien beinhalten, ist die Aufdeckung des Grundes des „mathematism", nämlich die Gleichsetzung von Mathematik und Metaphysik unter der Voraussetzung, daß Sein und materielles Sein gleichgesetzt werden (134 f). Kapitel 5 beinhaltet FLEISCHHACKERS Versuch, die Metaphysik vom Paradigma des „mathematism" zu „befreien". Problematisiert wird die Notwendigkeit des mathematischen Beweises, die, wenn die mathematische Methode auch in der Philosophie vorherrscht, der Freiheit der Metaphysik Gewalt antäte (137). Die Ausführungen zum Begriff des freien Willens in Hegels Philosophie des Rechts beschränken sich auf zehn Zeilen (25). Nachdem in Kapitel 1 schon Strukturierbarkeit (25) zum Prinzip ernannt wurde, findet FLEISCHHACKER nun in der Intuition der „principality" das Prinzip der Prinzipien (170). Mit seiner „ ,deconstruction' of mathematism" (17) meint FLEISCHHACKER einen Beitrag zur „true post-modern philosophy" geleistet zu haben. Achim Ilchmann (Lübeck)
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Giovanna Pinna: L'ironia metafisica. Filosofia e teoria estetica in K. W. F. Solger. Genova; Pantograf 1994.258 S. Lange Zeit war K. W. F. SOLGER von den Philosophen der GoEXHEzeit der am wenigsten bekannte und gelesene. Diese Studie einer jungen italienischen Wissenschaftlerin zeigt jedoch, daß das Interesse für ihn auch im Ausland im Wachsen begriffen ist: es handelt sich hierbei um die erste Monographie über SOLGER in italienischer Sprache. Bei Erscheinen dieses Bandes war noch keines der Werke SOLGERS ins Italienische übersetzt worden; erst nachfolgend erschienen die Übersetzungen der Vorlesungen „Über Ästhetik“ (ebenfalls hrsg. von G. Pinna; Palermo 1995) und die einer Auswahl aus den Nachgelassenen Schriften (Hrsg, von V. Pinto. Napoli 1995). Da sich die Kenntnis des Werkes von K. W. F. SOLGER allenfalls auf wenige Aspekte seiner Ästhetiktheorie beschränkte, war es das vordringlichste Anliegen dieser Monographie, wie schon der Untertitel besagt, die Reflexionen SOLGERS über die Kirnst immer in enger Beziehung zu ihren philosophischen Voraussetzungen aufzuzeigen, in der berechtigten Überzeugung, daß es nur vor dem Hintergrund des gesamten Denkens von SOLGER möglich sein wird, die Bedeutung und die Tragweite seiner Ästhetik zu erfassen. Aus diesem Grund ist das erste Kapitel der SOLGERschen Metaphysik und der Rekonstruktion der Beziehungen gewidmet, die SOLGER mit den zeitgenössischen Philosophen - besonders FICHTE und SCHELLING - verbinden. Nachdrücklich wird von der Autorin betont, daß es sich bei SOLGER trotz gewisser terminologischer Konvergenzen besonders mit SCHELLING um autonome philosophische Ausarbeitungen handelt; aus dieser Sicht hebt sie auch die Bedeutung der direkten Verbindung zwischen der SoLGERschen Philosophie und der von SPINOZA und BRUNO hervor. Auch in bezug auf Hegels Rezension der Nachgelassenen Schriften und des Briefwechsel SOLGERS, die er in den Jahrbüchern für Wissenschaftliche Kritik veröffentlicht hat, bemerkt PINNA, wie die Hegelsche Auslegung die Philosophie SOLGERS mit einem ihr fremden Maß mißt; mit dem der Beziehung und der Übereinstimmung zwischen der Dialektik SOLGERS und der Dialektik Hegels. So wird der Weg für viele der nachfolgenden Interpretationen geöffnet - man denke im besonderen an die Interpretation KIERKEGAARDS-, die SOLGERS Philosophie ausschließlich unter dem Gesichtspunkt untersucht haben, welche Entwicklung sie in der Philosophie Hegels einschlagen könnte. In Wirklichkeit darf jedoch die SOLGERsche Reflexion über die Negativität rdcht als Vorstufe zu der Dialektik Hegels verstanden werden, sondern als autonome gedankliche Struktur, die um ihrer selbst willen untersucht werden muß. Somit werden auch viele der immer wieder geäußerten Vorwürfe hinfälUg, die sich auf SOLGERS Wahl der Dialogform beziehen, da sich im Dialog die Spanmmg zwischen System und Systemlosigkeit, die in SOLGERS Philosophie lebendig ist, gut ausdrücken läßt. PINNA erkennt in SOLGERS Abneigimg gegenüber strenger Gliederung imd Gleichmäßigkeit in der systematischen Exposition, wie sie ein Traktat erfordern würde, einen der persönlichsten imd zugleich modernsten Aspekte seines Denkens. Bei der Behandlung der ästhetischen Fragen im engeren Sinn wird in erster Linie
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der Begriff des Symbols erläutert; im zweiten Kapitel werden dessen Genealogie innerhalb der Kunsttheorien der GoETHEzeit sowie die spezifische Funktion, die ihm in der Ästhetik SOLGERS zukommt, beschrieben. Auch im Falle des Symbols sind die offenkundigen Gemeinsamkeiten mit der Philosophie SCHELLINGS nach Meinung der Autorin nicht tiefgreifender Art, und die Besonderheit von SOLGERS Position tritt vor allem bei der Darlegung der Beziehungen zwischen dem Begriff des Symbols im engeren Sinne und dem der Allegorie zutage. Die positive Neubewertung der Allegorie und die Hervorhebung ihrer Komplementarität zu dem Symbol bilden hier die wichtigsten Aspekte des SoLGERschen Gedankens. Im dritten Kapitel werden mittels einer genauen Analyse der beiden Schlußdialoge des Erwin die Schlüsselbegriffe von SOLGERS Ästhetik untersucht. PINNA zeichnet bis ins Kleinste den komplexen Werdegang der beiden Begriffe „Einbildungskraft" und „Phantasie" nach, es folgen „Betrachtung", „Witz" und „Begeisterung". Bei der Behandlung von SOLGERS „Phänomenologie des ästhetischen Schaffens" ist es ein besonderes Anliegen der Verfasserin, die Rolle des Verstandes in Übereinstimmung mit SOLGERS Vorlesungen über Ästhetik herauszustreichen: „der künstlerische Standpimkt ist ein Standpunkt der Einsicht, der verstandesmäßigen Erkenntniß und das Denken bleibt die innerste wesentlichste Kraft der Kunst". Innerhalb dieses Kontextes bekommt der Begriff vom „Verstand der Phantasie" seinen Sinn, der seinerseits wiederum grundlegend für das Verständnis des wahren Brennpunktes der Ästhetik SOLGERS ist, nämlich der Theorie der Ironie. Gerade bei der Behandlung der Ironie zeigt sich die Stärke von PINNAS Ausgangsposition, daß nämlich die SoLGERsche Ästhetik ohne ein Einbeziehen seines metaphysischen Horizontes unmöglich verstanden werden kann: die Ironie steht nämlich in Beziehung zu dem Problem der Offenbarimg des Absoluten, der Unmöglichkeit und gleichzeitig der Notwendigkeit, daß diese Offenbarung in einem Endlichen stattfinde. Die Kunst ist ein solches Endliches, Zeitliches, in welchem ein vollkommenes Wesen sich zeigen kann, aber gleichzeitig zugrxmde geht, sich vernichtet. Deshalb ist SOLGERS Ironie im wesentlichen eine tragische Ironie, und da die gesamte Philosophie SOLGERS sich in einer Reflexion über das Tragische auflöst, ist das letzte Kapitel des Buches der Tragödie gewidmet. PINNA bezieht sich hier vor allem auf die ausführliche Rezension, die SOLGER in seinem Todesjahr A. W. SCHLEGELS Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur vorangestellt hat; anhand dieses Textes wird zum einen aufgezeigt, inwieweit sich SOLGERS Theorie der Tragödie von anderen zeitgenössischen Tragödientheorien unterscheidet, zum anderen wird deutlich gemacht, wie jedes Kunstwerk für SOLGER einen tragischen Inhalt offenbart. In der Tragödie ist nicht so sehr ein Konflikt moralischer Natur zwischen Freiheit und Notwendigkeit, sondern ein metaphysischer Konflikt zwischen Absolut imd Endlichkeit am Werk: das Problem der Schuld oder Schuldlosigkeit des tragischen Helden tritt an die zweite Stelle zurück. Die Fruchtbarkeit dieser Theorie des Tragischen zeigt sich anhand der Tatsache, daß sie eine Interpretation der griechischen Kunst möglich macht, die stark von der traditionellen, WiNCKELMANNschen Sicht der Klassik als eines Zeitalters des Gleich-
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gewichtes und der Heiterkeit abweicht: sie eröffnet aber zugleich auch die Möglichkeit, den tragischen Konflikt auch außerhalb der literarischen Form der Tragödie ausfindig zu machen, zum Beispiel im modernen Roman: in diesem Sirme ist SoLGERs Lektüre von GOETHES Wahlverwandtschaften beispielhaft. Bei der Rekonstruktion des Begriffs der Ironie sowie bei der Exposition der Grundlinien der Ästhetik wird in dieser Abhandlimg mehrmals das Problem der Beziehung zwischen der Theorie von SOLGER und der der Frühromantiker aufgeworfen. Es gelingt der Verfasserin mit Leichtigkeit zu beweisen, daß sich die SoLGERsche Theorie der Ironie nicht nur von der ,lectio facilior' AUGUST WE:.HELM SCHLEGELS, sondern auch von der tieferen Funktion der Ironie in der Philosophie FRIEDRICH SCHLEGELS weit entfernt hat. Verallgemeinernd kann man behaupten, daß, wird von der Verbindung zwischen SOLGERS Ästhetik imd der Kunsttheorie der Romantik gesprochen, immer wieder der Abstand SOLGERS von seinen romantischen Vorläufern und die gnmdsätzlichen Unterschiede seiner Positionen von denen des Athenäum-Kreises hervorgehoben wird. SOLGER erscheint als ein in seiner „stolzen Selbständigkeit" isoliert dastehender Denker, wenn auch die Romantik besonders auf seine Terminologie xmd auf die Ausgangspunkte seines Denkens einen gewissen Einfluß ausgeübt hat. Die Hervorhebimg der Autonomie von SOLGERS Denken gegenüber der Philosophie imd Ästhetik der Romantik seitens der Autorin ist wahrscheinlich aus der Tatsache heraus zu verstehen, daß bei Inangriffnahme eines Denkers wie SOLGER, der in der Vergangenheit so oft auf die Positionen anderer zurückgeführt und verflacht wurde, und der so selten Subjekt einer spezifischen Betrachtung wurde, die Hauptsorge des Interpreten nur die Rückfordenmg seiner Originalität sein kann, die dann erst den Weg zu einer direkten Auseinandersetzung mit den Inhalten seiner Philosophie öffnet. Paolo D'Angelo (Messina)
Eduard Gans: Chroniques frangaises. Un hegelien juif ä Paris. Textes presentes et edites par N. Waszek. Traduit par M. Bienenstock. Paris: Editions du Cerf 1993. 260 S. (Bibliotheque franco-allemande.) Eduard Gans: Rückblicke auf Personen und Zustände. Neudruck. Hrsg., kommentiert und mit einer Einleitung versehen von N. Waszek. StuttgartBad Carmstatt: Frommarm-Holzboog 1995. 466 S. (Spekulation und Erfahrung. Abt. I: Texte. Bd 4.) Diese Bände legen die Schilderung des Aufenthalts von GANS in Paris in den Jahren 1825, 1830 und 1835 in einer französischen Übersetzimg imd in einer deutschen Neuauflage vor. In diesen Berichten werden Personen und Ereignisse zur Sprache gebracht, wie die Krönung KARLS X. im Jahre 1825; 1830 klagt GANS über den ,Verlust' der Bekarmten imd 1835 werden negative Urteile über BALZAC und SAND gefällt: insgesamt die ,petite histoire' eines nicht unklugen Zeitgenossen. Hie und da kann
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man spüren, daß GANS einige hegelianisierende Floskeln verwenden möchte, aber der Haupteindruck ist der eines religiös völlig indifferenten Juden, der Rechtswissenschaftler ist. Die philosophische Bedeutung von GANS innerhalb des Hegel-Kreises kann man daher nur erkennen, wenn man die Geschichte der Jahrbücher betrachtet. In der Einleitung entwirft WASZEK dagegen ein Bild von GANS als eines Hegelianers, der selbst - imter Einfluß von HEINE -, zum Haupt der Schule hochstilisiert wird xmd dessen Verdienst darin besteht, daß er als Jude nicht konvertierte, sondern vielmehr hegelianisiert wurde. Gerade die Beziehung zu HEINE wird in der französischen Edition ausführlich behandelt, sowie dort auch - zu Recht - betont wird, daß GANS in erster Linie Jurist war imd es immer blieb. Er lehnt sich zwar an Hegel an, aber dies geschieht nur, damit er gegen die Römische Rechtstradition ein eigenes Rec/itsparadigma entwickeln kann. In der deutschsprachigen Edition wird dann gezeigt, wie GANS Befürworter der gleichen Kulturpolitik wie Hegel gewesen ist. Zu Recht wird betont, daß GANS eine sozial-liberale Haltung in Hinblick auf die bürgerliche Gesellschaft xmd deren Verhältnis zum Staat vertritt. Insgesamt erscheint GANS in der Einleitung nicht als ein Philosoph imd schon gar nicht als ein spekulativer Denker. Es ist daher auch zu bedauern, daß sowohl HEINE wie MARX sich weit mehr mit GANS als mit der Hegelschen Philosophie haben auseinandersetzen müssen. Wo GANS sich aber ausdrücklich auf die Philosophie Hegels beruft, zeigt WASZEK an einer wichtigen Stelle leider die Quelle nicht. Wo Hegel die geschichtsphilosophische Gliedenmg der vier Reiche auf Grund des Monotheismus (!), der Schönheit, des Staatsernstes und des Christentums aufgeschlossen hat, wird, obwohl als Hegelisches Erbe bei GANS hervorgehoben (Dt, XVIII, Fr. 71), nicht angedeutet: Hegel hat weder Geschichtsphilosophie noch Religionsphilosophie bis dahin als Vorlesung angeboten, und die Rechtsphilosophie weist eine solche Einteilimg nicht auf. Als bloßen Schönheitsfehler in den Fundgruben des Anmerkungsteils empfinde ich die Bezeichnung der flämischen Städte Leuven und Mechelen in der deutschen Edition (385) mit französischen Namen. Obwohl ich gerne zugestehe, daß GANS' rechtsphilosophische Schriften unbedingt zur Kenntnis zu nehmen sind für jeden, der die deutsche Geistesgeschichte des 19ten Jahrhunderts studieren will, möchte ich doch fragen, ob es für einen systematischen (spekulativen) Philosophen imbedingt notwendig ist, mit der Beurteilimg einiger historischer Zustände der posthegelianischen Zeit nochmals konfrontiert zu werden? Und selbst wenn man dies bejaht, bleibt es weiterhin offen, ob dann solches rein persönliches Schrifttum erneut herausgegeben werden muß. Lu De Vos (Löwen)
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Hans-Jürgen Gawoll: Nihilismus und Metaphysik. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchung vom deutschen Idealismus bis zu Heidegger. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1989. 301 S. (Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus. Abt. II: Untersuchungen. Bd 9.) In der Absicht, der verbreiteten „Emotionalisierung und Dämonisierung des Nihilismus" durch die vorliegende Darstellung „eine theoretische und rational nachvollziehbare Dimension des Nihilismus" (285) entgegenzuhalten, zeichnet HANSJüRGEN GAWOLL einen weiten Bogen der kritisch durchgeführten historischen imd philosophischen Bestandsaufnahme, der (im Vorwort) bis auf GORGIAS, dann näher auf den Nominalismus, HOBBES vmd DESCARTES zurückgreift, um bis zu MARTIN HEIDEGGER imd schließlich zu EMMANUELE SEVERINO fortzuführen. Um den Ort genauer bestimmen zu können, den Hegel im Rahmen einer solch weitgespannten Darstellimg eirmehmen kann, muß man sich das Grundschema verdeutlichen, das in GAWOLLS Sicht die Ausprägimg des Nihilismus-Begriffs bestimmt hat, ohne daß hier alle Stationen des vielgestaltigen Weges berücksichtigt werden können. Wortgeschichtlich führt der Begriff Nihilismus zurück in die hochmittelalterliche Scholastik, in der die „annihilatio" als bloß hypothetisch angenommene Vernichtung alles Geschaffenen auftritt. Es folgen Hinweise auf die methodologischen Umwertimgen dieser Vemichtungshypothese bei HOBBES und LEIBNIZ. Im CARTESianismus entspricht dem eine methodologische Konzentration auf die Subjektivität (Schule von Port Royal), die von ihren Kritikern „Egoismus" gescholten wird. THOMAS REID wendet diesen Egoismusvorwurf gegen den (als Solipsismus gedeuteten) Idealismus BERKELEYS, bis schließlich bei JACOB HERMANN OBEREIT der Begriff des Nihilismus selbst (mit durchaus auch positiver Konnotation) auftritt. Unter der Hand ist die Wortgeschichte in einen Zusammenhang von Begriffsund Problemgeschichte übergegangen. Ich würde als gemeinsames Charakteristikum der bisher dargestellten Positionen die ,Ausschließung' vorschlagen. Damit paßt dann auch FRIEDRICH HEINRICH JACOBIS Sicht (in seinem überaus folgenreichen „SpiNOZA-Büchlein") auf SPINOZAS Metaphysik der Einen Substanz zusammen, wenn er an der „Totalität einer Substanz, der nichts mehr extern bleibt" (25) das Ausbleiben „einer absoluten Andersheit" beklagt, „die mit dem Namen Gott bezeichnet wird" (ib.). Dieser,Atheismus' hat für JACOBI SPINOZAS entschiedenen Rationalismus imd die entsprechende deduktive Methode, den ,mos geometricus', als Quelle und Ursache. Wenn JACOBI seine SpiNOZAinterpretation zunächst polemisch (mit dem Vorwurf des Pantheismus rsp. Atheismus) gegen LESSING richtet, so wendet er sich doch bald im David Hume auch polemisch gegen KANTund dessen methodologischen Rückzug auf das Subjekt. Der gegen KANT erhobene Vorwurf des ,spekulativen Egoismus' macht die Verankerung von JACOBIS Polemik in der Tradition der Kritik am CARTEsiarusmus und von THOMAS REIDS Vorgehen gegen BERKELEY
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deutlich. Philosophiegeschichtlich von kaum zu unterschätzendem Interesse ist dann JACOBIS Angriff auf FICHTE: Den gegen FICHTE gewandten Vorwurf, dessen Subjektivitätsphilosophie ließe sich am besten verstehen, wenn man sie als einen „umgekehrten SpiNOzismus" interpretiere, münzt JACOBI ZU einer generellen Attacke gegen den Idealismus um, der für ihn nun schlechterdings Nihilismus sei. FICHTE spielt für JACOBI eine vergleichbare Rolle der Radikalisienmg im Rahmen der Transzendentalphilosophie wie SPINOZA für den CARTEsianismus. Im Anschluß an diese Auseinandersetzungen tritt Hegel mit seinem kritischen Resümee der sogenannten Reflexionsphilosophie auf, unter welchem polemischen Titel KANT, JACOBI und (der frühe) FICHTE in Glauben und Wissen zusammengefaßt werden. Mit dem Hauptvorwurf des methodologisch begründeten Rückzugs auf die Erkenntrüs des (entsprechend verabsolutierten) Endlichen sieht Hegel aus den Spätformen des Aufklärungsdenkens eine unvermeidliche Kontraposition von Glauben imd Wissen entstehen. Mit Recht verweist GAWOLL (unter Rückgriff auf KLAUS DüSING imd GIUSEPPE VARNIER) auf den argumentativen Zusammenhang, den Nihilismus imd Skeptizismus für Hegel „als Methode [einer] Einleitimg in eine Philosophie des Absoluten" (80, Fn 19) gewinnen. Gewisse Schwierigkeiten entstehen dann allerdings dadurch, daß GAWOLL dieses Argument mit der These von der engen „Verbindung von philosophischem Nihilismus und christlicher Religionswahrheit" (Verweis auf OTTO PöGGELER; 82, Fn 25) verknüpfen will, zumal er ständig darauf bedacht ist, Parallelen zwischen Hegel und OBERETT aufzuzeigen. Dies gilt besonders für die Berufung auf den neutestamentarischen Karfreitag als ,spekulativen' Karfreitag. Dieses eigentliche Hegel-Kapitel ist inhaltlich sehr stark befrachtet, dagegen aber nur recht kurz ausgeführt (Das Nichts der Außdärung; 72-83). Bei der zweiten (ebenfalls kurzen) Karriere Hegels in diesem Buch geht es bereits um die Verabschiedung seiner Philosophie {Die Negation der Philosophie Hegels; 140146), die zumindest in den Gestalten der Jenaer Systementwürfe und des Systems des reifen Hegel nicht behandelt wird. Für die Darstellung der Verabschiedung macht GAWOLL ausdrücklich Anleihen bei KARL ROSENKRANZ: Demnach hat sich die „Entmachtung der Philosophie Hegels ... imter nihilistischen Vorzeichen vollzogen". Angeblich habe Hegel der Phüosophie „am Anfang des 19. Jahrhunderts [... die] Aufgabe [gestellt...], ein Surrogat der verlorenen Religion zu sein und damit die Totalität des Lebenszusammenhanges gedanklich einzuholen". Das Scheitern an dieser Aufgabe - oder anders: Das Leugnen dieser Funktion der Philosophie - bedeute die „Trennung von Vernunft und Wirklichkeit" (alles 140) und damit die zitierte ,Entmachtung' der spekulativen Philosophie. Der zweite Teil des Kapitels würdigt im wesentlichen SCHOPENHAUERS Philosophie als eine (laut MICHELET) nihilistische Radikalisierung KANTS. Die zweite Hälfte des Buches ist vornehmlich der kritischen Darstellung NIETZSCHES und HEIDEGGERS gewidmet, muß hier darum nicht eigens behandelt werden. Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß GAWOLL nachdrücklich verdeutlicht, welch besondere Bedeutung HEIDEGGERS streitbaren Rückblicken auf den ,Deutschen Idea-
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lismus', insbesondere auch auf Hegels Wissenschaft der Logik in den aus dem Nachlaß herausgegebenen Beiträgen zur Philosophie zukommt. Alles in allem gewinnt man jedoch aus dieser filiationsreichen an instruktiven Hinweisen reichen und dadurch interessant zu lesenden Darstellung, in der man auch auf allerhand bemerkenswerte Nebenfiguren der (überwiegend deutschen, aber auch der russischen) Philosophiegeschichte hingewiesen wird, die Überzeugung, daß Hegel für die Geschichte des Nihilismus nicht sehr viel hergibt. Vielleicht hätte GAWOLL auch die weniger braven Denker aus der Hegelschen Schule oder doch zumindestens aus deren Umkreis in seine Darstellung einbeziehen sollen. Sicher hätte sich beispielsweise ein Rückgriff auf den Buchanfang von MAX STIRNERS Der Einzige und sein Eigenthum (Leipzig 1845) nahegelegt. Dort erläutert STIRNER seine Ausgangsthese: „Ich hab' Mein Sach' auf Nichts gestellt" durch folgende zustimmende Erklärung des Egoismus, die einer der Thesen des Buches entsprechend als eine solche des Nihilismus verstanden werden karm: „Gott und die Menschheit haben Ihre Sache auf Nichts gestellt, auf nichts als auf Sich. Stelle Ich denn meine Sache gleichfals auf Mich, der Ich so gut wie Gott das Nichts von allem Andern, der Ich mein Alles, der Ich der Einzige bin." (Der Einzige 1845, 7). Vielleicht hätte das aber nicht zu einer der Schlußthesen dieses Buches gepaßt: „Der Nihilismus wird heute zunehmend wieder zu einem Ärgernis; als eine typische Form des Zeitgeistes scheint er alle Werte zu verneinen, ohne daß er andere Werte kennt." (285) Hans-Christian Lucas (Bochum)
B. Bianco, M. Longo, G. Micheli, G. Santinello e L. Steindler: U etä hegeliana. La storiografia filosofica nell' area tedesca. Padova: Antenore 1995. XII, 528 S. (Storia delle storie generali della filosofia. A cura di G. Santinello e G. Piaia. Bd 4,1.) As part of an ambitious project, which reconstructs the history of phüosophical historiography from its origins in the Renaisscince to the second half of the nineteenth Century, this volume covers a crucial period: the development of KAisnianism, Idealism, and its alternatives. The Organization of the text follows the model of the previous volumes: each section is essentially a monograph about a particular thinker or school of thought which includes a general introduction, analysis of the particular subject(s) through a systematic consideration of their writings on the history of philosophy, and a bibliographical note. The first section, written by B. BLANCO, M. LONGO, and G. MICHELI, considers „The Histiorographical Development of Kantianism" (3-182). The authors show that the KANTian problem of the relationship between philosophy and the history of philosophy remains the principal problem in German phüosophical historiography after KANT. From this description, we can see a partial bridging of the typical dichotomy between KANiianism and Hegelianism: between a critical per-
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spective which maintains a conception of firmly anchored experience and thus denies any resolution of dogmatic metaphysics, leaving open the possibility for infinite progress in research, and a panlogism which calls for the expression of an absolute and final knowledge in the form of a rigid System. For the KANtians, criticism represents the definitive solution of the fundamental philosophical questions. For KARL LEONHARD REINHOLD, for example, KANiian philosophy represents not only the new universally valid metaphysics, but also „the highest point of the whole of history". All that preceded KANT must be interpreted as a progress „towards" philosophy as Science. KANT has conquered the standpoint of Science; he has fixed in definite form the formal structures, the immutable laws of human thought, and from here begins a progress „in" Science, the infinite task of research (4-11, 18-20). For W. G. TENNEMANN, as for E. C. G. REINHOLD, the history of philosophy has as its goal „the idea of philosophy as Science" in the KANiian sense; the historian of philosophy must always keep in mind that this is the criterion by which he judges the actual progress of a theory in the history of philosophy (44-^7, 170-171). According to J. F. FRIES, the history of philosophy, if it is not to be a mere biographical or literary illustration, must understand the significance and the necessity of the historical development of human thought. Therefore, philosophy as Science must offer to the history of philosophy the „regulative principles" which are written in human reason and which drive, more or less explicitly, the historical progress. The regulative principle for the systematic Organization of philosophical theories is primarily the KANiian division of the philosophical task into „physical, moral and teleological", accordingly into the ideas of truth, good and beauty; further regulative guideposts are the conflict between Intuition, induction and speculation, the conflict between dogmatism and scepticism, etc. (139-142,162-164). KANiian transcendental idealism „determines the end of the whole history of speculative metaphysics" (157). The development of post-KANiian philosophy is actually a history of „great regressions (große Rückschritte)", in that it has moved away from the spirit and method of criticism, and in that it has not recognized, that criticism forms a speculative kingdom from which no further progress is possible (159). The historical-philological school of SCHLEIERMACHER, presented in the second section, offers an alternative not only to Hegelianism, but also to the systematic and historiographical perspective of KANiianism. M. LONGO recontructs, in „Hermeneutics and History of Philosophy" (183-348), the program of historical-phüosophical research which SCHLEIERMACHER developed along with F. SCHLEGEL, W.VON HUMBOLDT, and L.VON RANKE, later continued by C. A. BRANDIS and A. H. RITTER. These authors share the belief in the irreducibility of the historical individual, a denial of that rational imderstanding which reduces the individual to a cog in a rigid systematic wheel. They deny the fundamental presupposition of the idealistic philosophy of history, i. e., the possibility of a rational deduction of historical events a priori. According to BRANDIS, truth in all her depth and extension cannot be grasped in Science. If we admit, with REINHOLD, that the history of philosophy is only possible after the attainment of the standpoint of Science and the possession of truth, then the history
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of philosophy is only a history of errors, of philosophical theories which fail to grasp truth and are therefore uninteresting (230-231). It is worth noting that RITTER poses the same argument against Hegel (296). SCHLEIERMACHER finds in the philosophy of his day a proliferation of Systems which all claim to present completely the singulär truth of reality. The too little consideration which, for SCHLEIERMACHER, is dedicated to hermeneutical theory can be explained by the fact that philosophers are usually „loners", who are always preoccupied with their own „speculative exercises": „Der Philosoph an sich", SCHLEIERMACHER notes, „... selten verstehen will selbst aber glaubt nothwendig verstanden zu werden" (187 and 217-218). LONGO points out that, whereas Hegel overcomes the dualism between philosophy and the history of philosophy by identifying historical process with the logical development of the idea, SCHLEIERMACHER'S perspective remains problematic in that he affirms an unbridgeable gap between the concrete historical existence and its comprehension, and so affirms a „structural appurture in the hermeneutical circle" (287). In spite of this different philosophical outlook. LONGO Claims that the rigid Opposition between the two schools, which was fought out at the beginning of the nineteenth Century, was unjustified at the theoretical level (222-223). SCHLEIERMACHER'S conception of the history of philosophy can be considered, as DILTHEY already affirmed in his Leben Schleiermachers, as a complementary perspective to HegeTs. In fact, HegeTs way of conceiving the individual in relation to the prior whole remains a rmilateral point of view, if it is not completed with SCHLEIERMACHER'S method, which considers the singulär writing of the singulär philosopher, moving only thereby to a comprehension of the whole. Likewise, if Hegel treats the products of historical-cultural activity as a linear succession of increasing worth, instead SCHLEIERMACHER distends them in a process of differentiation, in which every moment retains its independence, an element of irreducible alterity (283-284). The third section, by L. STEINDLER, considers „The History of Philosophy as ,Organism'. The School of Schelling" (349—412). The author points out that SCHELLING proposes an organic conception of history, from which follows a cyclical consideration of the history of philosophy: Western thought is considered as a process of development and retrogression from an original „Urphilosophie" - i. e., oriental thought, an innocent and „golden age" of harmony between man and the cosmos - which dissolves in Western philosophy (350-352,355356). SCHELLING gives particular importance to the faculty of fantasy, which discloses the history of thought not through discursive procession, but through poetic vision. Comprehended in an immediated act of consciousness, the absolute identity of nature and spirit, as in the first mythological conceptions of the „one-all", is recognised as the imitary and eternal reason of every historical event; the absolute is the universal life of spirit, harmony, the homogeneous ground of the natural succession of the various philosophical theories (352-356). The history of philosophy takes the form of „a necessary and involuntary process", guided by a meta-historical and meta-individual „philosophia perennis", in relation to which the individual in his singularity is not important, but rather is „die bloße Schale und Hülfe, die in der folgenden Entwicklung zurückbleibt" (358-361).
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G. SANTINELLO describes in the last section „The History of Philosophy and Dialectic: Hegel" (413-509). HegeTs work is described as the culmination of a historiographical tradition which had its tuming point in KANT, who for the first time in the history of Western thought posed the problem of analysis of the speculative and systematic significance of the history of philosophy. The author shows at the outset the continuity of this tradition through the debate in HegeTs time over the possibility of an Organization of the whole of the history of philosophy in a System, from which follows the question of the possibility of an a priori history of philosophy and the problem of the relationship between historical-empirical succession and rational necessity. KANT had fixed the transcendental and therefore immutable structures of reason. If the perspective of the development of KANiianism is that of a reduction of the concept of reason to its psychological and anthropological conditions, Hegel takes the ontological path, forbidden by KANTianism, over the transcendental limit „of a reason, which is the absolute itself, and of a philosophy/history of philosophy, which is the self-thinking of the absolute" (417). For KANT the development of knowledge is already inscribed in the nature of human reason. The KANiian historiography is not preoccuppied with the problem of the linearity and necessity of the historical development of thought; it concerns itself rather with showing the emergence of the universal, ideal forms of human thinking in the history of phüosophy. Contrariwise for Hegel, our „rational self-consciousness" is not a natural faculty, but is given through an articulated and complex process of development of human thought. This leads necessarily to an evident contradiction: on the one hand, thought, in itself, „ist wahr nicht nur heute und gestern, sondern wahr außer aller Zeit"; on the other hand, thought has a history, and in fact comes to self-manifestation through this history (425). SANTINELLO then shows certain methodological Problems which remain unresolved in Hegel. Primarily, the Hegelian idea of a linear succession of historical progress risks sacrificing difference in the name of necessary advancement: so, for example, we must ask whether the relationship between PLATO and ARISTOTLE can be more adequately described through the category of progress, or rather through that of alterity (459, 492^93). Another problem arises in that Hegel organized the exposition of the individual philosopher according to the fxmdamental moments of his own System: logic-metaphysics, philosophy of nature, and philosophy of spirit. This way of proceeding cannot but provoke embarrassment, for example, when even the PYTHAGORian school is presented according to this presupposed scheme. Yet, according to SANTINELLO, this must be attributed more to „a didactic tool and a methodological convenience", than to the „Intention to lay out in a singulär, true, theoretical cliche, all the nominal variations of system's articulations" (494-495). This volume inserts itself in a larger project, which has the merit of filling a gap in the broad field of international bibliography. However, the limitation of the research perspective solely to those texts which explicitly handle the history of philosophy risks sometimes excluding the very texts which develop the fundamental concepts of phüosophical historiography. FICHTE, for example, is not discussed, since he wrote
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no explicitly historiographical texts. This limitation leads, further, to a disproportionate internal Organization of the single sections, especially in the section on SCHELLiNG and his school: against the vast expansion of authors over whose historiographical Work ScHELLiNG exercised a great influence, from E. G. STECK to G. A. E AST and T. A. RIXNER (362—412), insufficient attention is given to the texts of SCHELLING himself, especially to his Munich lectures Zur Geschichte der neueren Philosophie, covered in three short pages (359-361). Sometimes the philological observations are insufficient: for example, in the consideration of SCHELLING'S Munich lectures, there is no mention of the problem of the originality of the available text. Nonetheless, the volume as a whole offers a useful presentation of materials for consultation. From present-day scholars, there is a parcelling of historiographicalphilosophical research in ever more specialized fields. One must appreciate, therefore, this attempt to give an overall picture of such a controversial but also exceptionally fertile time period.* Paolo Giuspoli (Bochum/Perugia)
Stefan Koslowski: Idealismus als Fundamentaltheismus. Die Philosophie Immanuel Hermann Fichtes zwischen Dialektik, positiver Philosophie, theosophischer Mystik und Esoterik. Wien: Passagen-Verlag 1994.354 S. Innerhalb der von P. KOSLOWSKI herausgegebenen Reihe: „Philosophische Theologie. Studien zu spekulativer Philosophie imd Religion" ist mit der Arbeit seines Bruders über den Sohn J. G. FICHTES nun schon die zweite Schrift erschienen, die sich mit einem der Hauptvertreter des sog. Spätidealismus oder Spekulativen Theismus (neben CHR. H. WEISSE imd I. H. FICHTE auch H. ULRICI, K. P. FISCHER, H. M. CHALYBäUS, J. U. WiRTH, J. SENGLER) beschäftigt. Gegenüber den (wenigen) früheren Arbeiten zum jüngeren FICHTE, die vorwiegend seine Hegel-KriHk im Auge hatten, will KOSLOWSKI den Nachweis führen, daß FICHTES Versuch, zwischen Mystik, idealistischem Rationalismus und atomistischer Metaphysik zu vermitteln, notwendig zum Scheitern verurteilt sei (332 f). Das groß angelegte, jedoch von seinen eigenen Voraussetzimgen her undurchführbare (112,156,211 u. ö.) Unternehmen, die Hegelsche Dialektik mit BAADERS Gnosis (II. Kapitel, 101-204) imd HERBARIS Realismus (III. Kapitel, 205-264) mit dem Ziel einer (wissenschaftlichen) Begründung eines „konkreten Theismus" zu versöhnen, läßt FICHTE, SO die These des Verfassers, schließlich „zum Vorläufer einer theistischen Esoterik" werden, in der „das religiöse Wissen nicht spekulahv entfaltet, sondern als Wissenschaft positivistisch dargestellt wird" (329; vgl. 299 ff). Der schon zu Lebzeiten FICHTES erhobene Eklektizismus-Vorwurf (39) steigert sich damit zum Verdacht von „Scheinsynthesen" (114), die letzten Endes, so KOSLOWSKI, in FICHTES zwiespältigem Verhältnis zum Idealismus Hegels (21,33 f, 39, Aus dem Italienischen ins Englische übersetzt von J. Murray Murdoch, Jr.
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44,327 u. ö.) begründet sind, dessen System er wegen seiner pantheistischen Implikationen ablehnen muß, während er andererseits Hegels Methode zeitlebens als vorbildlich anerkannt hat (27, 183 u. ö.). Daraus resultiert auch die zumindest inhaltliche, wenn auch nicht methodologische (35 ff, 67 ff, 82) Nähe FICHTES zum späten ScHELLiNG, die beide gleichermaßen - werm auch unabhängig voneinander - die Hegelsche Lehre nur noch als Teil eines umfassenderen Systems zu interpretieren suchen, das in der begrifflich gerade nicht einholbaren, sondern nur durch Anschauimg und Erfahrung gegebenen Freiheit imd Persönlichkeit des Absoluten wie des Menschen ihr Zentrum hat. Die zweideutige Haltung zur Hegelschen Philosophie gründet dabei nach FICHTE in der „,Schwebelage' des Hegelschen Systems" selbst, d. h. in der (gerade für die Trinitätsspekulation zu beobachtenden) „Möglichkeit, es personalistisch wie pantheistisch zu interpretieren". Daß FICHTE dessen „pantheistisch-rühilistische Konsequenzen" von Anbeginn seines Denkens an scharf gesehen habe, begründet nach KOSLOWSKI seine „imgeahnte Aktualität" (64 ff), auch wenn FICHTES eigener Ansatz doch wieder in jenen Monismus zurückfällt, den er eigentlich überwinden wollte (155 u. ö.), so daß die Schwächen der ideahstischen Spekulation zugleich die Defizite FICHTES bezeichnen (287; vgl. 329): letzten Endes lasse sich auch in dessen „Panentheismus", so KOSLOWSKI, die Freiheit des Menschen in ihrer „Labilität" (252) ebensowenig adäquat denken wie die von BAADER her schärfer zu fassende (293, 297) Realität des Bösen (243 f), mit der die Möglichkeit von so etwas wie Erlösung (so BAADER) im Unterschied zur bloßen Entwicklung (so FICHTE) steht bzw. fällt (131). Dieser im Prinzip schon durch WEISSE, später dann durch CHALYBäUS formulierte (vgl. 316 f) Einwand ist es nun, der KOSLOWSKI zwingt, seinen Blick auf das eigentliche Zentrum des spätidealistischen Denkens zu lenken: auf die Ethik und die in ihr gründende, wesentlich von KANT abhängige Ethikotheologie (309-323). Obwohl sich das Programm einer solchen ,Spekulativen Ethik' im Zuge der allgemeinen Rehabilitierung der praktischen Philosophie heutiger Aufmerksamkeit gewiß sein darf, scheint der sich bewußt (21) auf die theoretische Philosophie beschränkenden Studie von KOSLOWSKI das Interesse, das der nicht bloß ,concret', sondern ,ethisch' genannte ,Theismus' Fragen der Ethik (gerade im Hinblick auf das Problem der Metaphysik) entgegengebracht hat, letzten Endes unverständlich zu bleiben. Tatsächlich ist es in den Augen FICHTES nur innerhalb der Ethik möglich, den Pantheismus der idealistischen Systeme wirklich zu vermeiden, denn erst in ihr verläßt die spekulative Theologie das Gebiet der Naturphilosophie, für die eine theogordsche Vorstellung ebenso notwendig wie typisch ist. Die im ,Spekulativen Theismus' neu angestrebte Versöhnung von Vernunft und Glaube kann daher nur hier: in der Ethik vollzogen werden, denn alle Mysterien des Christentums bis hin zur Offenbarung Gottes in Christus haben - wie FICHTE dies programmatisch 1856 formuliert hat - lediglich einen ethisch-religiösen Charakter, keinen metaphysischen, am wertigsten einen physischen, so daß eine kritische Auseinandersetzung mit FICHTE wesentlich auf diesem Gebiet anzusetzen hätte. Tatsächlich läßt sich das von CHALYBäUS gegenüber FICHTE aufgerollte Problem auf die kurze Formel: Ontologie oder Ethik, Monade
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oder Persönlichkeit bringen, so daß auch KOSLOWSKIS FiCHXE-Kritik - etwa im Hinblick auf den von CHALYBäUS und (von Seiten der Tübinger Schule;) J. KUHN problematisierten Schöpfungsbegriff (144) - hier ihre Wurzeln hat. Indessen wird man die eigentliche Bedeutung von KOSLOWSKIS Arbeit darin zu suchen haben, daß sie im Hinblick auf ein adäquates Verständnis des Spätidealismus durch ihren Hinweis auf BAADER, vor allem aber auf HERBART das Interesse auf das weitverzweigte Geflecht all jener philosophischen Strömungen zu lenken versucht, als deren legitime Erben und Vollender sich die - ja gerade auch durch ihre philosophiehistorischen Studien hervorgetretenen- spekulativen Theisten empfanden. Daß hier noch weitestgehend Pionierarbeit zu leisten ist, macht es zumindest verständlich, warum eine ganze Reihe durchaus grimdlegender Diskussionen bei KosLOWSKi nur beiläufig erwähnt oder ganz unberücksichtigt bleiben. Das gilt etwa für jene Kontroverse, die mit der Kritik an HERBARTS Seinsbegriff als ,absolute Position' und der damit verbundenen Frage nach der Möglichkeit einer ontologischen Fassung des Zweckbegriffs gerade gegenüber Hegel die Idee eines zwecksetzenden, mithin frei-persönlichen Gottes zu verteidigen suchten. Schon in diesem Zusammenhang hätte mit Fr. A. TRENDELENBURG ein Autor Beachtung finden können, dem sich die Spätidealisten zumindest dem Prinzipiellen nach verbimden wußten, wie auch TRENDELENBURG selbst seine Nähe gerade zu WEISSE und I. H. FICHTE nie geleugnet hat. Weniger das damit berührte und von KOSLOWSKI kurz gestreifte (69 ff) Problem ,KANT im Spätidealismus' (G. LEHMANN), als vielmehr der Umstand, daß KOSLOWSKI die unmittelbar das Verhältnis zu Hegel betreffende Diskussion FICHTES etwa mit WEISSE vernachlässigt, gehört mit zu jenen Punkten, die in einer tieferdringenden Untersuchung aufgeroUt werden müßten; prinzipiell Ähnliches gilt für die Debatte um FICHTES Thesen zur Unsterblichkeit, für seine Auseinandersetzung mit der von SENGLER geäußerten Kritik, für sein Verhältnis etwa zu SCHLEIERMACHER oder A. GüNTHER sowie für seinen bislang kaum beachteten Einfluß auf die protestantische Dogmatik des 19. Jahrhunderts (insbesondere R. ROTHE imd 1. A. DORNER). Gerade der Blick auf die Vermittlungstheologie hätte dabei vielleicht Gelegenheit gegeben, dem Programm der Reihe ,Philosophische Theologie' stärker als hier geschehen gerecht zu werden, waren es neben J. G. Fr. BILLROTH und G. MEHRING doch gerade Theologen wie A. TWESTEN, C. I. NITZSCH imd Fr. LüCKE, die sich mit der Frage nach dem Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität (253 ff) und dem damit unmittelbar zusammenhängenden Problem der Persönlichkeit Gottes vor die Aufgabe gestellt sahen, die Bedeutung der spekulativen Betrachtungsweise für die Theologie in adäquater Weise zu bestimmen. Tobias Trappe (Bochum)
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Knut Wolfgang Nörr: Eher Hegel als Kant. Zum Privatrechtsverständnis im 19. Jahrhundert. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 1991. 55 S. In einer relativ kurzen Studie versucht der Autor zu zeigen, daß das Privatrecht eine wichtige Rolle im Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts gespielt hat. Aber eine Privatrechtsidee, wie man sie in der Rechtslehre KANTS findet, gibt es nicht mehr. Als Beleg wird zuerst die These, nach welcher das 19. Jahrhimdert das Jahrhundert des Privatrechts ist, dargestellt. Dafür werden vier Gründe angegeben: 1) der Autonomieanspruch der Gesellschaft gegenüber dem Staat hat versucht das Recht im Sinn des Privatrechts zu interpretieren, das sowohl den Interessen der Gesellschaft als auch denen des Staats nutzt; 2) die Wiederorganisation der wirtschaftlichen Strukturen auf Gnmd der Prinzipien des Eigentums und der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung; 3) die Feststellung der sozialen Verhältnisse und Arbeitsbeziehimgen im Hinblick auf die Privatrechtskategorie der Vertragsfreiheit, auch wenn diese nur formal war; 4) die Auffassung des Privatrechts als Faktor der Rechtsentwicklimg. In einem zweiten Schritt versucht der Autor zu zeigen, ob man berechtigt ist zu behaupten, daß der Rechtsbegriff im 19. Jahrhundert tatsächlich von der Privatrechtsidee inspiriert ist. Zu diesem Zweck werden fünf Juristen, - FRIEDRICH CARL V. SAVIGNY, ROBERT V. MOHL, LORENZ V. STEIN, RUDOLF VON JEHRING, OTTO V. GIERKE, insofern sie einen bedeutenden Einfluß auf die Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert ausgeübt haben, in Betracht gezogen. Bei SAVIGNY wird das Privatrecht als „ein Gebiet imabhängiger Herrschaft des individuellen Willens" definiert, aber diese Definition verliert an Bedeutung, werm SAVIGNY das Recht durch den Volksgeist und nicht durch die Freiheit des Individuums begründet. In diesem und in vielen anderen Punkten stimmt SAVIGNY mit Hegel überein. Beide stützen sich auf denselben Sittlichkeitsbegriff, lehnen die Vertragstheorien ab. Trotzdem sollte man vorsichtig sein und nicht von einer totalen Übereinstimmung reden. Sicher haben SAVIGNY und Hegel die Individuen als Glieder der sittlichen Gemeinschaft gesehen. Aber soll man daraus folgern, daß Hegel die Individuen als autonome Subjekte abgelehnt hat? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Auf jeden Fall muß man hier auf Hegels Versuch einer Synthese zwischen dem ARiSTOTELischen Individuumsbegriff und dem modernen Autonomiebegriff aufmerksam machen. Diese Synthese setzt die Kritik der modernen Autonomieidee voraus, aber sie lehnt die Idee der Autonomie nicht ab. Deshalb kann man aus Hegels Ablehnung der Vertragskategorie die Ablehnung der Autonomieidee nicht folgern. 1.
Mit ROBERT V. MOHL wird Privatrecht und Staatsrecht auf dieselbe Stufe gesetzt. Hier wird der Staat nur als einer von vielen anderen Lebenskreisen betrachtet. In dieser Hinsicht wird der Staat auf die Autonomie von Subjekten gegründet. 2.
3. Bei LORENZ VON STEIN befinden wir uns wieder in einer Verwandtschaft zu Hegels Rechtsbegriff, denn für VON STEEN soll nur der Staat als die freie Individualität
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betrachtet werden. Der Autor macht darauf aufmerksam, daß der Einzelne bei VON STEIN frei ist, aber nur indem er in voller Harmonie mit dem Staat lebt imd handelt. 4. Auch RUDOLF VON JEHRING betont den Vorrang des Staatsrechts beziehungsweise des Gesellschaftsrechts gegenüber dem Privatrecht. Als Beweis erwähnt der Autor die Ablehnung der individualistischen Eigentumstheorie, um das Interesse der Gesellschaft zu garantieren. 5. Ein ähnliches Bild gewirmt man, wenn man den Rechtsbegriff bei OTTO VON GIERKE betrachtet. Hier wird das Recht nicht aus dem Individuum und dem Privatrecht entwickelt. Die Quelle der Rechtsidee ist vielmehr der gemeinschaftliche Verband und das Volk. In einem dritten Schritt, versucht der Autor diese Rechtsauffassungen nach einigen Kategorien zu ordnen, um die Frage nach dem Privatrechtsverständrus im 19. Jahrhundert beantworten zu können. 1. In einer ersten Kategorie wird die Rolle des Privatrechts entweder als wichtig oder sogar imwichtig, aber niemals als entscheidend für die Definition des Rechtsbegriffs betrachtet. Dieser Kategorie gehören alle hier geprüften Rechtstheoretiker an. 2. hl einer zweiten Kategorie verliert das Privatrecht an Bedeutung. Hier wird die Identität zwischen Staat und Recht gesetzt. Als typisches Beispiel wird KELSEN erwähnt, aber auch JEHRING, der nach dem Verfasser zur Formalisierung und Entleerung des Rechtsbegriffs und zur Bedeutungslosigkeit des Privatrechts als eigener Kategorie gelangt. 3. Nur in der dritten Kategorie besitzt das Privatrecht einen entscheidenden Platz für die Definition des Rechtsbegriffs. Dies geschieht, wenn das Recht, das Privatrecht sowie das Staatsrecht, aus dem Begriff der individuellen Freiheit abgeleitet wird. Diese KANiische Auffassung der Rechtsidee wurde, nach dem Verfasser, im 19. Jahrhundert nicht mehr vertreten. Mit großer Präzision und Klarheit gelingt es dem Autor seine oben erwähnte These darzustellen. Um diese These zu begründen, sollte man vielleicht den KANTIschen Begriff der individuellen Freiheit überprüfen. Denn zwischen KANT und Hegel betrifft die entscheidende Divergenz nicht die Option für die individuelle Freiheit, sondern die wirkliche Auffassung dieser Freiheit. R. Chennoufi (Tunis)
Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaflen. Festschrift zum 65. Geburtstag von Otto Pöggeler. Hrsg, von Hans-Jürgen Gawoll und Christoph Jamme. München: Fink 1994.347 S. Ehe Festschrift erörtert einen der Forschungsschwerpunkte OTTO PöGGELERS, der sich auf die Entwicklung, Vollendung und Nachwirkung des Idealismus bezieht.
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Im Anschluß an die Einleitung von CHR. JAMME, die einen Einblick in die philosophische Herkunft und die hauptsächlichen Arbeitsbereiche PöGGELERS vermittelt, folgen 22 Aufsätze, die von den Herausgebern vier weitgefaßten Problemkreisen zugeordnet wurden: „Frühe Ansätze" (I), „Aesthetik und Politik" (II), „Hegel" und der Idealismus" (III), „Nachidealistische Perspektiven" (IV). Die angefügte Bibliographie verzeichnet die seit 1988 erschienenen selbständigen Schriften, Editionen imd Aufsätze PöGGELERS.
In den den „Prühen Ansätzen" subsumierten Aufsätzen untersucht HANS-JüRGEN GAWOLL die mythologischen Anfänge in SCHELLINGS Philosophie und erörtert im Rückgriff auf die Arbeiten der Tübinger Zeit, „auf welche Weise eine immer gültige Vernunft mit der ältesten, überlieferten Tradition vermittelt werden kann, wenn anders sie nicht bloß willkürliche Erdichtung beinhalten soll" (20). PLATO gibt für ScHELLiNG ein Beispiel für den „innovatorischen Gebrauch von Mythen" (23), die als erste Porm des Wissens ein Denken in Bildern darstellen, die es in ihrem rationalen Kern zu erfassen gilt. SCHELLINGS Erwägungen zielen auf den „Urgrund", in dem Sein und Denken zusammenfallen. Das Ich ist für ihn in seiner ursprünglichen Form „reine Identität und Sich-Selbst-Gleichheit" (32) imd läßt sich als unentzweiter Ursprung nur durch die „intellektuale Anschauung" erfassen. NORBERT WASZEK handelt über „Der junge Hegel imd die ,querelle des anciens et des modernes': FERGUSON, GARVE, Hegel" und zeigt, daß Hegel mit seinen frühen Aufsätzen in der Tradition der Gesellschaftstheorie, insbesondere der über GARVE vermittelten Philosophie FERGUSONS steht, in der er den Fortschrittsgehalt des Funktionswandels schärfer herausarbeitet. WOLFGANG MüLLER-LAUTER stellt in seinem Aufsatz den Gang der Auseinandersetzung zwischen FICHTE und JACOBI dar. Im Mittelpunkt steht der exakt nachgezeichnete Streit über Idealismus und Realismus. „Während FICHTES transzendentaler Idealismus all das, was das natürliche Bewußtsein als sein Außersich erfahre, in das Wissen des Ich hineinziehe, lehrt JACOBIS unmittelbar ,wahrnehmende' Vernunft ihn hingegen ,instinktmäßig', daß ein Gott außer ihm als ,die Fülle des Guten und Wahren' ist" (52). Allphilosophie steht gegen Unphilosophie. RfiMi BRAGUE untersucht in HöLDERLINS „Anmerkungen über Ödipus" auf philologisch eindringliche Weise die Herkunft eines rätselhaften Zitates über ARISTOTELES. Er referiert den bisherigen Forschungsstand und nimmt an, daß es aus dem vierbändigen Werk von JEAN BAPTIST ROBINET ,De la Nature' (1761-63) entnommen sein könnte, wo es sich, aus „Suidas" herrührend, auf dem Titelblatt findet. Er vermutet, „daß das französische Denken den HöLDERLESischen Naturbegriff mitgeprägt hat, und zwar nicht nur durch ROUSSEAU, ... sondern ebensosehr durch die ,Materialisten'" (74). ERNST FEHLER schreibt über „Die Sprachtheorie in FRIEDRICH SCHLEGELS frühen Schriften (17951803)". Die Bedeutimg dieser frühen Reflexionen sieht er darin, daß sie „jene metaphysischen Ursprungstheorien und ontologischen Begründungen des Repräsentativcharakters der Sprache" erschütterten, „um die es in der Sprachtheorie des achtzehnten Jahrhunderts hauptsächlich ging" (78). So markiert F. SCHLEGELS Sprachtheorie auf ihre Weise den Epochenbruch. Der Mensch in seiner Endlichkeit erfährt
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„eine Ordnung der Dinge, die den Dingen selbst und ihren inneren Gesetzen angehört - das Leben, die Arbeit, die Sprache" (79). Der zweite große Teil der Festschrift beginnt mit einem Meisterwerk der Interpretationskvmst, das KARSTEN HARRIES unter dem Titel „Laubwerk auf Tapeten" vorstellt. An der Unterscheidung KANTS zwischen „freier" und „bloß" anhängender Schönheit zeigt er, daß die Aufgabe der Kunst, reine Schönheit zu erzeugen, zu ihrer eigenen Selbstaufhebung führe (96). Die von KANT angeführten Beispiele freier Schönheit, so auch „Laubwerk auf Tapeten", illustrieren in ihrem Schwanken zwischen sich selbst genügender und dienender Schönheit, daß die Kirnst nicht mehr mit der Bestimmung des Menschen Zusammengehen kann, und machen mit der Fragwürdigkeit der Kirnst die Epochenschwelle sichtbar. CLAUDIA BECKER stellt A. W. SCHLEGELS Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache (1795) in den Mittelpunkt ihrer Erörterungen und würdigt ihre maßgebliche Rolle für die stärker systematische Entwicklung der ästhetischen Ansichten in den Vorlesungen von Jena über Berlin bis Borm. Sie sieht in ihnen A. W. SCHLEGELS „Beitrag zu einem Programm einer ästhetischen Erziehung", „in dem die Poesie als Lehrerin der Menschheit propagiert wird" (106). WALTER MüLLER-SEIDEL handelt in einem für die Bildimgsgeschichte grundlegenden Beitrag über „Dichtung und Medizin in GOETHES Denken. Über Wilhelm Meister und seine Ausbildung zum Wundarzt" und kritisiert die auf eine individualistische Interpretation zentrierten Auslegungen, in denen der entscheidende Zusammenhang zwischen Krcinken-, Arzt- imd Bildungsgeschichte ausgeblendet ist. Im Wilhelm Meister liege ein über die Auffassung der Allgemeinbildung im 19. Jahrhundert hinausgehender erweiterter Bildungsbegriff vor, der mit der Vielzahl der Weltbezüge die Richtung aufs Weltgcinze einschließt und sowohl die soziale Dimension als auch die Mitwirkung an der Bildung anderer und die Bildung aller enthält. Aus diesem Verständnis ergibt sich der Weg zur Medizin, die als Symbol humanen Denkens der Dichtung geistesverwandt ist (125). Beide Disziplinen richten sich auf die Herbeiführung einer „moralischen Kultur" (132). Diese Interpretation deckt sich mit der Überzeugung WILHELM VON HUMBOLDTS, der aber die Lehrjahre gerade wegen der Verquickung von Bildung und Berufsausbildung ablehnt. GüNTER SEUBOLD analysiert „Die Disproportion des Talents mit dem Leben. Zum Verhältnis von ästhetischer und praktischer Realität in GOETHES Torquato Tasso". Die gängige Zuordnung des TASSO zum Klassisch-Harmonischen hält er für falsch. Die Ausdifferenzierung des Ästhetischen und Praktischen zeigt den Tasso als ein modernes Werk, in dem mit der Katastrophe des Individuums Tasso zugleich die des modernen Dichters und Pragmatikers dargestellt wird. Es gelingt Tasso nicht, die ideale klassische Harmonie in seiner Person zu erreichen. Der Tasso erweist sich als ein antagonistische Momente aufweisendes, die Epochenschwelle markierendes Schauspiel. In dem Beitrag von SIEGHILD BOGUMIL „Landschaft im Spannungsfeld zwischen Ästhetik und Natur. SCHILLERS Rückgewinnung der Landschaft für die Poesie in seiner Auseinandersetzung mit LESSING und ROUSSEAU „wird die Entstehung der Landschaft aus dem Geist der Sprache zwischen den beiden Polen ästhetischer und natürlicher Landschaft vorgestellt. Während LESSING ein Sprachverbot
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über die Landschaft in der Poesie verhängt und ROUSSEAU die Landschaftsdarstellung in der Nouvelle Heloise eng mit der Handlung des Menschen verbindet, übergibt der von ROUSSEAU beeinflußte SCHILLER die ästhetische Landschaftsdarstellung der Poesie und fixiert ihre poetischen Regeln. beschreibt die Rehabilitienmg von MACCHIAVELLI durch FICHTE und die Stellungnahme dazu von CLAUSEWITZ. Er sieht in FICHTES Macchiavelli-Aufsatz einen Schlüsseltext, in dem sich die positive Bewertung MACCHIAVELLIS mit dem politischen Realismus verbindet, und will deshalb nicht nur MACCHIAVELLI rechtfertigen, sondern auch dazu beitragen, „der politischen Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen, statt vor ihr zurückzuschrecken" (176). FICHTES Überzeugung findet Resonanz bei CLAUSEWITZ, der die moralischen Kräfte über die mechanischen setzt, den Geist für wichtiger als die Form auch in der Kriegskunst hält. Gregor Stemmrich zeigt in seinem anschaulichen Beitrag „GOETHE/MEYERS Einteilvmg der höchsten Bildgattungen als theoretische Grundlage von SCHINKELS Schmuckprogramm für das Berliner Museum", daß in dem unter Anleitung GOETHES von MEYER verfaßtem Traktat Über die Gegenstände der bildenden Kunst (1798) der poetische, mythische und allegorische Charakter der Malerei näher festgelegt wird und SCHINKEL, für den GOETHES Einfluß bestimmend bleibt, sich an diese Einteilung und Theorie hält. FRANCO VOLPI
Der dritte Teil umfaßt fünf Aufsätze über Hegel, die sehr unterschiedliche Hinsichten thematisieren. ISTVäN M. FEHER erörtert am Beispiel einer sehr genauen Interpretation eines einzigen, 15 Sätze umfassenden Absatzes aus der „Vorrede" der Phänomenologie des Geistes die Einleitimg in die Philosophie als philosophisches Problem und will zugleich damit auch einen Beitrag zur Interpretation der Phänomenologie leisten. Ihre Zielsetzung versteht er als „Darstellung des Werdens der Wissenschaft im Medium des Bewußtseins vom sinnlichen bis zum eigentlichen Element derselben, dem reinen Begriff" (207). Es bleibt im Werke eine Zweideutigkeit: „Erfüllt das Individuum die Vorbedingungen der Einleitung, in den Äther der Wissenschaft vorher erhoben zu haben, so wird die ganze Einleitimg überflüssig; bleibt hingegen die Vorbedingung imerfüllt, so kann die Einleitung nicht einmal in Gang gesetzt werden" (209, Anm. 15). In „Hegels Kritik an Schelling" will MASAKATSU EUJITA die These untermauern, „daß Hegel in der Phänomenologie des Geistes nicht nur die ScHELLiNGianer, sondern auch SCHELLING selbst kritisiert" (212). Schon in den Jenaer Vorlesimgen übt er schommgslose Kritik an den Schülern SCHELLINGS, weil sie den geschichtlichen Stellenwert der Philosophie SCHELLINGS nicht erkennen und seine Terminologie bloß nachbeten, den Sinn aber übersehen. Auf der Grundlage der Auseinandersetzungen mit DANTE durch die BRüDER SCHLEGEL stehen Hegels nicht gerade zahlreiche und ausführliche Bezugnahmen, die GABRIELLA BAPTIST in ihrem Beitrag „Das Paradies des Absoluten und das Schicksal der Kunst. Zu Hegels DANTE-Deutung" vorstellt. Sie sind vorgängig durch Hegels Auffassung der Kunst bestimmt, der zufolge DANTE nicht mehr modern ist, was Hegel jedoch nicht daran hindert, in DANTES Kunst „die Eröffnung von Bedeutungen in der perspektivischen und utopischen Dimension des Absoluten zu erkennen" und systematische Aspekte zu aktivieren, „die z. B. auf die Geschichtsproblematik, auf die Religions-
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Philosophie und selbst auf das Theoretische und Logische verweisen" (233). Mit Hegels und HERDERS Interpretationen des Epos beschäftigt sich HEINRICH CLAIRMONT. Hegel kann sich bei seiner Charakterisierung der vorklassischen Epen auf parallele Aussagen HERDERS berufen. Doch versucht er auch zeitweise, HERDERS Überlegungen als Totalitätsentwürfe der Geschichte der Gattung zu deuten und „am eigenen Entwurf des zu sich selbst kommenden Absoluten" (250) zu erfassen. Im Unterschied zu HERDER, der die Universalität epischer Welterfahnmg betont, behauptet Hegel die Partikularität des Epos und des jeweiligen epochalen Zustandes. Aspekte der Romantheorie bei Hegel und LUKäCS bilden das Zentrum der Arbeit von ELISABETH WEISSER-LOHMANN. Für Hegel unterliegt die Kunst, die er in eine untergeordnete Sphäre des absoluten Geistes verweist, dem historischen Wandel. Ihre Unmittelbarkeit ist unwahr. Daher tritt in der modernen Welt an die Stelle der echten Epik der bürgerliche Roman, zu dessen entscheidenden Merkmalen das Private und Subjektive gehören. Die Aufhebimg der Entfremdung zwischen Subjekt und Objekt ist nicht mehr durch die Unmittelbarkeit der Kirnst möglich. Für Lukäcs wird das Kunstwerk „zum erfüllten Augenblick des jeweiligen Rezipienten" (254). Die Kriterien aufzufinden, die dem Kimstbetrachter ein erfülltes Erleben ermöglichen, in dem die Dualität von Innerlichkeit und Außenwelt aufgehoben ist, ist Sache der Philosophie der Kirnst. Für Hegel bleibt ein solcher erfüllter Augenblick in der Unmittelbarkeit und erfüllt sich erst im „begriffenen und begreifenden Anschauen der spekulativen Idee" (262). Der mit „Nachidealistische Perspektiven" überschriebene abschließende Teil enthält fünf Aufsätze, die über den Idealismus hinausführen wollen oder Ansätze jenseits des Idealismus zu thematisieren versuchen. TAKAKO SHKAYA schreibt über „HöLDERLENI, Dichter jenseits des Idealismus". Sie unternimmt es zu zeigen, wie sich HöLDERLEVI in seinen späten Hymnen vom Klassischen zum Hesperischen wandte, und illustriert diese Ablösung an HöLDERLINS Homburger Theorie der Tragödie. In einem gut dokumentierten Beitrag erforscht JEAN-FRANCAIS COURTINE die Beziehungen zwischen RAVAISSON (1813-1890) und SCHELLD'IG und stellt bemerkenswerte Ergebnisse der frühen ScHELLiNG-Rezeption in Frankreich dar. FELIX DUQUE erörtert in den „Transformationen der Hegelschen Philosophie bei ROSENKRANZ" die Frage, ob es Hegels Nachfolgern gelungen sei, die ständige produktive Umbildung der Hegelschen Philosophie fortzusetzen. Der dafür wirklich geeignete ROSENKRANZ aber verwandelt diese in eine Schulphilosophie und macht so aus dem lebendigen „Gewebe des objektiven Geistes bei Hegel" ein „trockenes Gerüst, eine Maschine" (298), verwässert sie „in eine Metatheorie der Wissenschaften und in eine fromme Annahme des zeitgenössischen Supranaturalismus" (307). AMY COLDJ referiert „Die Gedankenwelt HERDERS und FICHTES in der multikulturellen Bukowina des neunzehnten Jahrhunderts". In der Bukowina als dem Kristallisationspunkt sehr heterogener Traditionen erhalten im Rückgriff auf HERDER und FICHTE drei Grundgedanken der deutschen Philosophie eine maßgebliche Bedeutung für die Sprache und Literatur: „die Auffassung von einem organischen Wachstum der Völker, die Vorstellung vom innigen Zusammenhang zwischen menschlicher Identität und Sprache sowie die
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damit verbimdene Ansicht, der Nationalcharakter eines Volkes konstituiere sich erst in der Muttersprache" (312). Den Nationalstaat gilt es in einen Kulturstaat umzuschaffen, in dem die deutsche Tradition der Humanität und Bildimg die einzelnen Nationalitäten harmonisch verbinden soll. Schließlich erörtert WOLFGANG KUBIN in „Zeitbewußtsein und Subjektivität. Zum Problem der Epochenschwelle in China und dem Abendland" die Bedingtheit des abendländischen Denkens und stellt dar, wie der den fremden Kulturen eigene Wert erfaßt werden kann. Erwünscht gewesen wäre in diesem Zusammenhang ein Artikel, der nicht nur die Wirkimgen und frühen Verkehnmgen des Idealismus darlegt, sondern sich in systematischer Absicht mit den Haupteinwänden befaßt, aus denen sich das Scheitern des Idealismus ergeben soll. Zwar wird in einigen Aufsätzen eine solche Thematik eher beiher berührt, aber nicht eigens expliziert. Die Aufsätze in der Festschrift reichen von LESSING bis zu den Hegelianern, von der deutschen und französischen bis zur chinesischen Philosophie. Sie beschränken sich nicht nur darauf, Forschimgsnischen auszuleuchten, sondern rücken auch zentrale philosophische und geistesgeschichtliche Fragen aus der Zeit um 1800 in helles Licht. Sie zeichnen ein vielfältiges Bild der Epochenschwelle, an der Aufklärung, Humanismus, Idealismus aufeinanderstoßen und zu neuen Denkrichtimgen anregen. In der Vielfalt der Auffassungen und Ansichten spiegeln die Beiträge eine Diskussion wider, die in ihrem engen Zusammenhang mit OTTO PöGGELERS Forschimgen Ausdruck einer fortwirkenden Aneigmmg des Idealismus nicht nur in Deutschland ist. Clemens Menze (Köln)
Kommt das „Hegel-Jahrbuch" zu produktiver Ruhe? Hegel-Jahrbuch 1993/1994. Begründet von Wilhelm Raimund Beyer (|). Hrsg, von Andreas Arndt, Karol Bai, Henning Ottmarm. Redaktionelle Mitarbeit: Peter-Ulrich Philipsen. Berlin: Akademie Verlag 1995.471 S. Hegel-Jahrbuch 1995. Begründet von Wilhelm Raimund Beyer (t). Hrsg, von Andreas Arndt, Karol Bai, Henning Ottmarm. Redaktionelle Mitarbeit: Peter-Ulrich Philipsen. Berlin: Akademie Verlag 1996.408 S. Die vorliegenden Bände des seit 1961 (zunächst im Münchener Dobbeck Verlag) erscheinenden Hegel-Jahrbuchs repräsentieren eine neue Etappe sowohl in der Entwicklung der Internationalen Hegel-Gesellschaft (z. B. hinsichtlich des Vorstands) als auch in der Präsenz des Jahrbuches selbst (Herausgeberschaft, Verlag). Es sei daher zur Verdeutlichung der augenblicklichen Situation ein kurzer Rückblick gestattet. Der XrV. Internationale Hegel-Kongreß, der 1982 in Athen stattfand, machte deutlich, daß der Streit um die schmähliche Behandlung zweier (unter anderem
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auch mit Hegel befaßter) Philosophen wegen ihrer Einschätzung als Dissidenten in der damaligen DDR insofern zu einer personellen Neustrukturierung der Internationalen Hegel-Gesellschaft geführt hatte, als linientreue' Ostblock-,Denker' diesem Kongreß und den folgenden Veranstaltimgen der Gesellschaft (die weniger linientreuen' meist gezwungenermaßen) femblieben. Auffallende Ausnahmen bildeten z. B. die Philosophen aus dem damaligen Jugoslawien xmd aus Rumänien. Auch der gewohnte bimdesrepublikanische Verlag versagte (offenbar ebenfalls linien-begründet) eine weitere Zusammenarbeit. (Die Hegel-Jahrbücher 1965 bis 1972 erschienen im Anton Hain Verlag - Meisenheim am Glan, die von 1974 bis 1980 bei Pahl Rugenstein - Köln.) Auf diesem Athener Kongreß wurde der Vorsitz der Internationalen Hegel-Gesellschaft grundsätzlich neu geordnet: Die Mitgliederversammlung wählte den bisherigen Vorsitzenden WILHELM RAIMUND BEYER zum Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft, ein Dreiergremium (HEINZ KIMMERLE, WOLFGANG LEFEVRE, RUDOLF W. MEYER) wurde als neuer Vorstand bestimmt. Dieser neue Vorstand sollte ab sofort auch die Aufgabe der Herausgeberschaft des Jahrbuchs übernehmen. Diese Arbeit begann notgedrimgen zunächst mit der Suche nach einem neuen Verlag. Eine neue verlegerische Bleibe fand sich (durch Vermittlimg von NICOLA DE DOMENICO) zunächst in Rom, freilich nur als ein kurzfristiges Exü, bei der Societä Editoriale Jouvence (Hegel-Jahrbücher 1981/82, 1983). Der Rotterdamer Kongreß (XV) von 1984 wurde dann endlich 1988 im Bochumer Germinal Verlag von den neuen Herausgebern KIMMERLE, LEFEVRE, MEYER publiziert (Hegel-Jahrbücher 1984/85,1986). Bereits 1987 war in eben diesem Bochumer Verlag das Hegel-Jahrbuch 1987 erschienen, in dem der Zürcher Kongreß (XVI) vom März 1986 zur ersten Hälfte dokumentiert wurde. Eine erstaunliche Normalität schien sich für die kommende Entwicklung anzudeuten, welche jedoch in der Tat nicht realisiert werden konnte. Der tragische Tod des 39jährigen Verlegers imd Alleininhabers des Germinal-Verlags THILO STOFFREGEN im Juni 1988 und der ebenfalls überraschende Tod des Vorstandsmitglieds und Mitherausgebers des Hegel-Jahrbuchs RUEXDLF W. MEYER Anfang 1989 machten nicht nur persönlich betroffen, sondern rissen auf verschiedenen Ebenen schwer zu schließende Lücken und gaben auf Dauer der Gesellschaft neue Probleme auf. (Vgl. Hegel-Jahrbuch 1988. Unter Mitarbeit von PETER GüNTER hrsg. von HEINZ KIMMERLE, WOLFGANG LEFEVRE, RUDOLF W. MEYER (f). Bochum 1989.5.) In gewisser Weise kann man davon ausgehen, daß mit dem XIX. Kongreß von 1992 neue Weichen in der Entwicklung dieser Gesellschaft xmd ihres Jahrbuches gestellt wurden: Dieser Kongreß soUte eigentlich zu Ehren von WILHELM RAIMUND BEYER und zur Feier von dessen 90. Geburtstag am 2. Mai 1992 in dessen Geburtsstadt Nürnberg abgehalten werden, in der ja auch Hegel zeitweilig gewirkt hatte. BEYERS bereits 1990, kurz nach Plammg imd Festsetzung der Termine auf dem (XVIII.) Kongreß in Breslau/Wroclaw, eingetretener Tod ließ dann jedoch aus dem Nürnberger Kongreß eine Gedenkveranstaltung werden. Im Laufe dieses Kongresses wurde ein neuer Vorstand gewählt (ANDREAS ARNDT, KAROL BAL, HENNING OTTMANN), dementsprechend änderte sich auch das Herausgeber-Gremium des Jahrbuchs. Die eher
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provisorische Fortführung der Arbeiten im Germinal-Verlag nach THE.O STOFFREGENS Tod ließ auch einen erneuten Verlags-Wechsel wünschenswert erscheinen. Die beiden vorliegenden Bände stellen die ersten Resultate dieser Neuerungen vor; Der Nürnberger Kongreß (XIX) von 1992 wird als Hegel-]ahrhuch 1993194; erstmalig im Rahmen des Berliner Akademie-Verlages von den Herausgebern ARNDT, BAL, OTTMANN vorgelegt. Im gleichen Verlag ist ergänzend eine Monographien-Reihe mit dem Titel „Hegel-Forschungen" imter der gleichen Gesamtherausgeberschaft mit dem Band BRUNO COPPIETERS: Kritik einer reinen Empirie. Hegels Jenaer Kommentar zu Montesquieus Theorie des Politischen. Berlin 1994 eröffnet worden. (Vgl. die Rezension in diesem Band der Hegel-Studien, 148-151.) Das Hegel-Jahrbuch 1993/1994 steht unter dem Gesamttitel „Recht und Staat". Da zum Kongreß ausdrücklich nur Beiträge zugelassen worden waren, die sich diesem Gesamtthema einfügten, kann in diesem einen Band der gesamte Nürnberger Kongreß dokumentiert werden. Der Band enthält ein Vorwort der drei Herausgeber, den Eröffmmgsvortrag von WOLFGANG LEFEVRE, die Begrüßungsrede von WOLEGANG SüNKEL, der den Kongreß orgarüsiert hatte, imd 70 Einzelbeiträge. Als Gedenkveranstaltung für W. R. BEYER hat der Nürnberger Kongreß immerhin drei Beiträge mit direktem Bezug auf dessen Werk vorlegen können; ROLF GEFFKEN (Hamburg): Reines Recht als Unrecht. Reinheit und Reinheitspostulate als Rechts- imd Substanzverluste - Der Rechtspositivismus HANS KELSENS und die Kritik W. R. BEYERS (25-30). ARNOLD KöPCKE-DUTTLER (Kist); Ein Stück Prosa der Welt im Rechtsstaat. WILHELM RAIMUND BEYERS Kritik des Entschädigungsgesetzes (30-35). ENDRE KISS (Budapest); Zum philosophischen Werk WILHELM RAIMUND BEYERS (40^5). - Im übrigen hätte man gewiß annehmen können, daß „die tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen in Europa in den letzten Jahren" (so LEFEVRE in der „Eröffnung", 15) bei der dezidiert polit-philosophischen Gesamtthematik deutliche Spuren hinterlassen und aktuelle Bezugnahmen erzeugt hätten, auch wenn LEFEVRE sich angesichts der „Brisanz und Aktualität" der Thematik eher bange zu fragen scheint, „ob rücht vielleicht die Eule der Minerva zu früh zum Fluge ansetzt" (15). „Wir alle", fährt er fort, „sind von diesen Umwälzungen so unmittelbar betroffen und bewegt, daß wir imser ganzes Ethos als Philosophen zusammennehmen müssen, um unsere Zeit - imd nicht etwa bloß den veröffentlichten Zeitgeist - in Gedanken zu fassen. Viele werden durch die Ereignisse genötigt umzudenken. Das mag nicht einfach sein imd manchmal sogar schmerzlich, ist aber der bessere Teil." (15 f) Auch WOLFGANG SüNKEL verweist auf aktuelle politische Umbrüche; „Große und bedeutende Staaten, die Sowjetunion, Jugoslawien, die Deutsche Demokratische Republik, sind von der politischen Landkarte verschwunden; neue Staatsgebilde entstehen vor unseren Augen, und die Gefahr einer nationalstaatlichen Geschichtsverengung wächst von Tag zu Tag in großen Teilen der Welt." (17) Themen wie politische Freiheit, Nation und Staat, Volk und Staat, Geschichte als Dialektik der Völkergeister, Krieg (auch Bürgerkrieg, bemerkenswerterweise kaum Frieden) werden in den Beiträgen wohl behandelt, jedoch sind kaum Versuche direkter Aktualisierung zu vermerken. Man mag dies als Zeichen fehlender Flexibilität eines solchen Kongresses bedauern, man
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könnte allerdings sehr wohl auch die Meinung vertreten, daß Hegels Bild von der Eule der Minerva emstgenommen und als Mahnung vor moralisierenden Schnellschüssen beherzigt worden sei. Eine berechtigte Frage scheint allerdings gerade bei einem inhaltlich recht geschlossenen Band wie diesem die nach einer größeren Übersichtlichkeit durch eine (wenigstens grobe) Innengliederung zu sein. Eine solche Orientiervmgshilfe wäre geeignet, den Zugang zu der großen Zahl der nicht aufeinander bezogenen Einzeltexte zu erleichtern. Im Verlauf der Entwicklung des Jahrbuchs hat es dazu unterschiedliche Ansätze gegeben, an die hier nur kurz als Anregvmg erinnert werden soll. - Die bereits benannten ersten Halbbände von 1961 gliedern sich nach folgendem Schema: Vorwort des Herausgebers, Aufsätze, Aus Forschung und Lehre, Hinweise. Das Hegel-Jahrbuch 1973 ist folgendermaßen gegliedert: Vorwort des Herausgebers, Referate des Antwerpener Hegel-Kongresses (mit vier thematisch begründeten Unterteilungen), Mitteilungen der Internationalen Hegel-Gesellschaft, Aus Forschung imd Lehre. Das Hegel-Jahrbuch 1984/85 nimmt immerhin die Kategorie „Aus Forschung und Lehre" wieder auf. Das Jahrbuch 1987 gliedert die erste Hälfte der Beiträge des Zürcher Kongresses von 1986, der unter dem Gesamtthema „Moralität und Sittlichkeit" stand, folgendermaßen: I. Sittlichkeit vs. Moralität, [a] Systematische Beiträge, [b] Exegetische Beiträge. II. Normenbegründtmg. Im Jahrbuch 1988 folgt die zweite Hälfte der Beiträge: III. Sittlichkeit und Lebenswelt, [a] Systematische Beiträge, [b] Exegehsche Beiträge. IV. Staat - Recht - Moral - Politik, [a], [b] s. o. V. Hegel und ... und Anderes, [a] Hegel und MARx/Marxismus. [b] Hegel und andere, [c] Andere Beiträge. - Mir erscheint für die zukünftige Gestaltung insbesondere das Beispiel der Jahrbücher 1987 und 1988 beherzenswert. Der XX. Hegelkongreß, der im August 1994 in Debrecen xmd Budapest stattgefunden hat imd mit dem eher skeptisch formulierten Thema „Vernunft in der Geschichte?" wieder zu aktuellen Bezugnahmen zu ermutigen schien, bot allein durch die beiden Veranstaltungsorte die Möglichkeit einer sehr groben Außengliederung. Das Hegel-Jahrbuch 1995 bietet ein Vorwort der Herausgeber, die Eröffmmgsrede von ERZS6BET RöZSA, die für die Organisation in Debrecen stand, imd 59 EinzelbeiträgeIm „Vorwort" sehen die Herausgeber durch das Thema des Kongresses „Hegels Philosophie der Weltgeschichte auf die aktuelle Situation des weltpolitischen Umbruchs nach dem Ende des sozialistischen Lagers" bezogen. (5) Die Wahl von Debrecen und Budapest als Tagungsorten wurde im Blick auf den „welthistorischen Schritt" Ungarns, als erster ehemals realsozialistischer Staat den eisernen Vorhang niederzureißen, auch als „Reverenz an den Mut und die Entschlossenheit der damals Verantwortlichen in Ungarn" begründet. ERZS^BET RöZSA zeichnet in der „Eröffnimg" Züge der Geschichte Debrecens nach, die auch dessen geistige Verbundenheit mit Westeuropa sichtbar werden lassen. Zeitweise wurde dieser ländlich geprägten Stadt offenbar sogar ein übergroßer „Hunger nach Philosophie" diagnostiziert. (15) Die Präsenz deutscher Philosophie an der Debrecener Urdversität läßt sich historisch offenbar insbesondere als Einfluß WOLFES und seiner Schule, dann
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hauptsächlich KANTS und dessen schulartiger Nachwirkung, kaum jedoch Hegels (außer in der unmittelbaren Gegenwart; H.-C. L.), nachweisen. - Behutsame, wohlbedachte Aktualisierungen des Hegelschen Geschichtsdenkens sind durch den gesamten Band spürbar. Es scheint daher kaum möglich, einzelne Beiträge besonders auszuzeichnen. Es sei lediglich auf den baskischen Autor XABIER INSAUSTT hingewiesen, der 1996 in San Sebastian/Donostia den folgenden Kongreß organisiert und der in seinem Beitrag Einige Bemerkungen zu Hegels Rezeption der griechischen Tragödie in der „Phänomenologie des Geistes" die aktuelle allgemeinmundane politische Problematik durch einen spanisch-baskischen Rückverweis verdeutlichen will: „in derselben Zeit in der andere Philosophen mit einer auf die dunkelste Seite Kreons bauenden Politik die Philosophie glaubten binden zu müssen, wußte der phüosophisch nicht so solide UNAMUNO ganz genau, daß eine Regienmg und eine Politik, die auf den Tod bauen, keine Zukunft haben, weil bei ihnen die einzig mögliche Philosophie, nämlich diejenige, die auf eine Gleichstellung von Antigone und Kreon setzt, keinen Platz hat. ,Tod den Intellektuellen' bedeutet Tod der Vernunft, den Schlaf der Vemimft, um mit dem Maler der Nacht zu sprechen." (317) Der Ungeheuer, die dieser von GOYA heraufbeschworene „sueno de la razon" (der ineins vom Schlaf und vom Traum der Vernunfl spricht) geboren hat und weiter gebiert, gedenkt AGNES HELLER in ihrem gewissermaßen als Einleitimg positionierten Beitrag Requiem für ein Jahrhundert (1914r-1989). Das Gedenken an frühere Jahrhunderte führt zu AGNES HELLERS erster These: „Seit dem 17. Jahrhundert aber gab es eigentlich kein glückliches Jahrhundert mehr." (17) Das 18. Jahrhundert, als „le siede de la lumiere", bedeutet für HELLER neben der Fülle von „Selbstdenken, Kritik, Geschmack, Witz, Öffentlichkeit, Atheismus, Industrie, Demokratie, Revolutionen, Massenkriege[n], Bonapartismus" ineins das „Jahrhundert der Schicksalswende", (ib.) Die besonders reiche Konstellation dieses Jahrhunderts sieht sie in der Schlacht bei Waterloo enden, während das 19. Jahrhundert für sie bis zum 1. Weltkrieg fortdauert. Wenn das 18. und das 19. Jahrhundert Epochen des Versprechens gewesen seien, müsse man davon ausgehen, daß das 20. Jahrhundert dagegen durch das „teuflische Sternbild" des Verrats „gegen jede Spielart des Versprechens" gekermzeichnet sei. (18) Freilich sei auch dieses Jcihrhundert bereits Vergangenheit: „Was wir wirklich wissen ist, daß unser Jahrhimdert zu Ende geht. Wir leben schon im 21. Jahrhundert." Der Umgang mit dem Jahrhundert des Verrats ist also bereits geprägt durch Erinnerimg, „die schon Hegel ,Andenken' narmte": „Andenken ist Andacht - Andacht des Denkens. Wenn es um Trauer geht, ist die Andacht des Denkens ein Requiem. Ich spreche von einem Requiem für ein Jahrhundert." (18) Im Anschluß an die Ideen des 19. Jahrhunderts sei das 20. geprägt gewesen durch die Hauptvorstellimg der „Erlösung durch Gewalt", was eigentlich dem „Mythos der Apokalypse" entspreche. Freilich habe dieses unselige Jahrhundert „nur blutige Parodien der Apokalypse" hervorgebracht (nicht die von MARX diagnostizierte Wiederholung der geschichtlichen Tragödie als Komödie), die Hauptkämpfe seien „zwischen geschichtlichen Phantomen" als „phantomachiae" ausgetragen worden. (22) Nachdem HELLER festgehalten hat: „Ideen kann man nicht töten, werm sie nicht
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selbst schon abgestorben sind" (19), stellt sich ihr am Schluß die Frage, was es in der Trauerfeier vor der Befreiung im 21. Jahrhundert zu begraben gebe: „Die Konstellationen, die wir jetzt ins Grab legen, waren schlechte Selbstverständlichkeiten: d. h. die Selbstverständlichkeit, daß wir eine privilegierte Position in der sogenannten Geschichte einnehmen, die Selbstverständlichkeit, daß wir im Zeitalter von Gottes Tod leben, die Selbstverständlichkeit, daß Gewalt erlöst, die Selbstverständlichkeit, daß ,wir' (als Herren oder Sklaven) ein historisches Recht besitzen, ,sie' zu versklaven oder zu vernichten, die Selbstverständlichkeit, daß wir durch menschliches Wollen und menschliche Entscheidxmg ein gänzlich neues Zeitalter hervorzaubern körmen. Wenn wir diese Selbstverständlichkeiten begraben, dann gibt es Befreiung - dann gilt unsere Trauer nur den Gestorbenen. Wir begraben die Phantome der Phantomachia. Dämonische Phantome sollen nicht wiederauferstehen. Deswegen sollte die Geste ihres Begräbnisses zu einer unserer Selbstverständlichkeiten werden. Nimm die Schaufel in die Hand!" (23) Die noch junge Vereinigung resp. Kooperation von Jahrbuch und Verlag, die sich jeweils von teilweise belasteten und schwierigen Vorgeschichten verabschiedet haben, wird hoffentlich eines der Produkte der politischen Wende darstellen, die zu einer Ruhe führen, die Konsolidienmg bedeutet tmd in der Lage sein kann, unbelastete Aktivität und Produktivität zu fördern. i Hans-Christian Lucas (Bochum)
Jahrbuch für Hegelforschung. Hrsg, von Helmut Schneider. Bd 1. Sankt Augustin: Academia Verlag 1995.172 S. Ein neuer Interessent stellt sich vor: das Jahrbuch für Hegelforschung. Es will zur systematischen und historischen Erschließimg der Philosophie Hegels beitragen durch Interpretationen, bibliographische Berichterstattung und vor allem durch Editionen neuer Hegel texte. Neu und vollständig ediert von INGA GORTAT ist der erste Teil von Hegels Niederschrift der Bewußtseinslehre und Logik für die Mittelklasse von 1808/09 aus der Houghton Library der Harvard-Universität (18-42). Das Manuskript enthält zahlreiche Streichimgen und Neufassungen. Die Edition weist nach, daß Hegel Das Bewußtseyn von dem absoluten Geiste mit yvcöOi a(E)at)TÖv entwickelt (19). HELMUTH KREYSING teilt (8-13) zwei Briefentwürfe BORIS VON UEXKüLLS an Hegel aus der Zeit um 1820/21 mit: „Womit beschäftigen Sie sich jetzt", fragt der estnische Baron (10), der in Heidelberg Hegels Hörer war, „& sind Ihre Aussprüche von anno 6 noch unverändert die selben?" Mit „anno 6" könnte (im Unterschied zu Anm. 23) das VI. Jahr der Republik gemeint sein: 1798, als Hegel in Frankfurt Entwürfe verfaßte und 1 Die Einzelbeiträge aus beiden Bänden werden, wie bisher üblich, im bibliographischen Teil der Hegel-Studien als „Abhandlungen zur Hegel-Forschung" vorgestellt.
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Anmerkungen veröffentlichte. LUTZ GELDSETZER stellt in seinen Überlegimgen „Über das logische Prozedere in Hegels Phänomenologie des Geistes" die „ganze ,Theorie' der Phänomenologie in einem von uns entwickelten logischen Formalismus" dar, in einer „semiformalen Begriffsschrift" (45, 79), genau genommen als „semiformale begriffsschriftliche Notation" (43-80). Ziel des Aufsatzes „Hegels Lehre vom ,Begriff' in MARX' Grundrissen" von Myriam Bienenstock - in der Übersetzung von NORBERT WASZEK - ist es, „die besondere Weise zu erhellen, in der MARX hier auf die Idee der ,Abstraktion' zurückgreift". (111-120) Es ist ohne Zweifel eine bleibende Aufgabe akademischer Hegel-Forschung, die Fälle verwirrender ,Aneigmmg' zu untersuchen und zu dokumentieren, im vorliegenden Fall - wie die marxistische Einverleibimgsstrategie Hegels Lehre vom Begriff veiküTzt und verfälscht. „Hegels Theorie der Komik imd die Auflösung der schönen Kunst" ist (81-110) das Thema von HELMUT SCHNEIDER. Die Komik trifft durch Lachen. „Das Ende der schönen Kirnst in der antiken Komödie ist mit einem allgemeinen Bewußtseinswandel dieser Zeit verbunden." (106) Durch Lachen kündigt sich das Ende der Kunst einer Epoche an. „Skeptizismus ist Philosophie, die jedoch nicht System genannt werden kann, noch sein will", sagt Hegel in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Semem Verhältnis zum Skeptizismus ist ELLA CSIKöS nachgegangen (121-139), ein Verhältnis im „ewigen Aufhebungsversuch" (139). Die Hegel-Rezeption des Philologen und Historikers JOHANN GUSTAV DROYSEN (1808-1884) beleuchtet (141-155) Stefan Jordan. Im Frühjahr 1826 hatte DROYSEN sich an der Berliner Uiüversität immatrikuliert. Später schrieb er (154, Anm. 74): „Deutschland ist wie verrückt geworden in Sachen der Philosophie. Was irgend nach Hegel riecht, wird verschmäht ..." Bis auf das Jahr 1878 zurückverfolgen läßt sich die (universitäre) Hegel-Forschung in Japan. SEHCHI YAMAGUCHI aus Tokyo gibt (157-169) einen Überblick (bis 1990). Katharina Comoth (Köln)
Phänomenologie im Schatten Hegels
Walter Biemels „Gesammelte Schriften" hat seine philosophische Arbeit mit bahnbrechenden HussERL-Editionen begonnen, dazu mit Übersetzungen von Arbeiten HEIDEGGERS ins Französische (und dann auch Rumänische). Er hat in seinen bekarmten Büchern Monographien über HEIDEGGER und SARTRE vorgelegt, die Begründung der Ästhetik seit KANT thematisiert und moderne Kunst analysiert. Die zwei Bände Gesammelte Schriflen bringen nun eine Auswahl aus seinen Aufsätzen, im ersten Band thematisch gruppiert um die Auseinandersetzung mit HUSSERL und HEIDEGGER, im zweiten Band um die WALTER BIEMEL
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Zuwendung zur modernen Kunst. i Für diese phänomenologische Philosophie unseres Jahrhimderts ist Hegel nah wie ein ferner Berg, der immer noch seine Schatten wirft imd so die maßgeblichen Richtungen und mögliche Kehren angibt. Vorangestellt wurde statt eines Vorworts ein Rückblick auf das eigene Leben auf ein Leben in einem Jahrhimdert der Zerstörung, der Kriege, des Hasses, der Verzweiflung imd Trauer" (1, 7). Von Kronstadt in Siebenbürgen und vom Studium in Bukarest führte der Weg nach Freiburg zu HEIDEGGER. Belgien wurde 1945 für WALTER BIEMEL über die Heimat seiner Frau zum Gastland. So konnte Pater VAN BREDA, der Retter von HUSSERLS Nachlaß, WALTER BIEMEL zur HussERL-Edition in Löwen heranziehen. Das Problem, daß ein Protestant sich an der katholischen Universität nicht habiliheren konnte, wurde gelöst durch die Gründimg der HussERL-Archive in Deutschland. Über die Dozentur in Köln kam WALTER BIEMEL an die Technische Hochschule in Aachen und dann an die Kunstakademie in Düsseldorf. Paris blieb immer das entscheidende Orientienmgszentrum; das Philosophieren dort richtete sich nach dem letzten Weltkrieg aus an den Philosophen mit dem unaussprechlichen deutschen „H" - an HUSSERL, HEIDEGGER imd Hegel. Die Philosophierenden und die Studierenden lebten aus einer deutsch-französischen Gemeinsamkeit, die sich als Kern eines neuen Europas politisch nur langsam durchsetzte. Dieses Europa muß heute die mittel- und osteuropäischen Länder neu einbeziehen. ln seinem Aufsatz Heidegger als Lehrer berichtet WALTER BIEMEL, wie er im Sommer 1942 in seinem ersten Freiburger Semester an HEIDEGGERS Seminar über Hegels Phänomenologie des Geistes teilnehmen konnte. HEIDEGGER begann mit dem Hinweis, daß Hegel in seiner Geschichte der Philosophie die Philosophie der Neuzeit mit DESCARTES begirmen läßt. Denken und Sein oder Geist und Natur seien die beiden „unendlichen Seiten der Idee". Die Frage, was denn „unendliche Seiten" seien, führte dazu, das Un-endliche als das Nicht-einseitige zu sehen, so in der Natur wie im Geist das Ganze der Idee zu finden. Der Blick richtete sich deshalb auf die Metaphysik des ARISTOTELES, den HEIDEGGER wieder einmal den „ersten Wcihren Phänomenologen" nannte, der nichts einfach setzt, sondern etwas sichtbar macht (1,462). Der Aufsatz Dank an Löwen schildert die lebendige Vielfalt im dortigen Philosophischen Institut. Das HUSSERL-Archiv wurde zu einer Begegnungstätte, in der sich die neue Intemationalität der Phänomenologie zeigte. Im nahen Brüssel konnte man T. S. ELIOT ebenso begegnen wie MERLEAU-PONTY. Der schnelle Ruhm des dortigen phänomenologischen Kolloquiums von 1951 bleibt jedem unvergessen, der damals zur Philosophie fand und so auf die Phänomenologie stieß. JEAN HYPPOUTE, der Übersetzer und Kommentator von Hegels Phänomenologie, suchte zuerst vergeblich den Kontakt auch mit HEIDEGGER. Erst 1955 konnte HEIDEGGER ein Kolloquium in Cerisy-la-Salle durch seinen Vortrag Was ist das - die Philosophie? prägen. HEIDEGGER erinnerte an Hegel, der die wahre Gestalt der Wissenschaft im System findet. Doch 1 Hier und im folgenden verweisen römische Ziffern auf Band I und II von Walter Biemel: Gesammelte Schriflen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. Arabische Ziffern verweisen auf die Seitenzahlen.
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suchte HEIDEGGER im Gespräch mit der abendländischen Philosophie deren vergessene Frage herauszustellen und so die Gelassenheit für eine Wandlung zu finden („etre pret")- Damals schon zeigte sich, welche Fragerichtungen das kommende Philosophieren bestimmen sollten. RICOEUR versuchte unter HEIDEGGERS Widerspruch dessen Forderung eines „Entsprechens" im „Horizont der jüdischen Propheten imd ihres Bundes zu deuten"; ihm folgte MARCEL. LUCIEN GOLDMANN brachte HEIDEGGERS „Engagement für die Nazis" zur Sprache. Er wollte HEIDEGGERS Deutung des Daseins auf die Arbeit Geschichte und Klassenbewußtsein von LUKäCS zurückführen. Die Obsession widerlegt sich selbst durch das simple Faktum, daß HEIDEGGER diese Arbeit nicht gelesen hat. (Ein Blick auf SIMMEL hätte eher die Polemik gegen die Verdinglichung verstehen lassen.) In einem nicht aufgenommenen Aufsatz Erinnerungen an Martin Heidegger hat WALTER BIEMEL genauer festgehalten, welches Schicksal dieser selbst totalitaristisch verwickelte Widerspruch gegen HEIDEGGERS politische Verwicklung zuteil werden mußte: als die Kolloquiumsteilnehmer beim Eintritt HEIDEGGERS aufstanden, blieb GOLDMANN sitzen. Da er aber am Ende der Bank saß, kippte diese um und GOLDMANN rollte vor HEIDEGGERS Füße.2 HEIDEGGERS Hegel-Seminar von 1942 führte zu dem Hegel-Aufsatz des Bandes Holzwege von 1950. WALTER BIEMEL fragt in einem Aufsatz nach der Komposition imd Einheit dieses Sammelbandes. Dort steht am Begirm die Frage nach dem Ursprung des Kimstwerkes und damit nach dem Geschehen der Wahrheit in der Kvmst. Demn thematisieren der Weltbild-Aufsatz, der Hegel-Aufsatz und der NIETZSCHE-Aufsatz drei Etappen der neuzeitlichen Metaphysik. Die Metaphysik als Zugriff auf das Ganze des Seienden endet nach Heidegger in der Technik, welche alle Zugriffe des Menschen in sich vereint. So müssen die abschließenden Aufsätze über RILKE und ANAXIMANDER Dichtung und anfängliches Denken auf das Zeitalter der Metaphysik und Technik beziehen und nach einem anderen Anfang fragen. BIEMELS Aufsatz Metaphysik und Technik bei Heidegger zeigt im einzelnen, wie die Metaphysik, die nach Hegel als das Abstrakteste erscheint oder nach anderen Traditionen als Nonsens, die universale Technik vorbereitet. Der Band 68 der HEiDEGGER-Gesamtausgabe vereint unter dem Titel Hegel nach HEIDEGGERS Anordmmg die Arbeit Die Negativität von 1938 und eine weitere Erläuterung der Einleitimg der Hegelschen Phänomenologie von 1942. Im Band Holzwege sagt Heidegger (344) zum Hegel-Aufsatz nur: „Der Inhalt der Abhandlimg wurde in einer mehr didaktischen Form in Seminarübungen über Hegels Phänomenologie des Geistes und die Metaphysik des ARISTOTELES (Buch IV und X) 1942/43 durchgesprochen und gleichzeitig in zwei Vorträgen vor einem engeren Kreise dargelegt." In seinen Erinnerungen an Martin Heidegger hält WALTER BIEMEL genauer fest, daß HEIDEGGER im SS 1942 mit seinen Studenten einige Seiten aus der „Einleitung" zur Phänomenologie las. Im WS 1942/43 habe die Interpretation der sinnlichen Gewißheit im Mittelpunkt gestanden; das Nachdenken über Wahrheit habe zu ARISTOTELES ZU2 Vgl. Walter Biemel: Erinnerungen an Heidegger. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. 2 (1977). 1-23, vor allem 16.
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rückgeführt, nämlich zu De anima und zum 10. Kapitel des 9. Buches der Metaphysik. „Im Sommer-Semester 1943 war der Übergang vom Bewußtsein zum Selbstbewußtsein das Thema, dabei wurde der Übergang von KANT ZU FICHTE, SCHELLING und Hegel in seinem Grundzug gefaßt, so daß dann entscheidende Stellen aus der ,Vorrede' verständlich wurden''.^ Schon der junge MARX hatte in seinen Pariser Manuskripten die Phänomenologie des Geistes vom Selbstbewußtseinskapitel her verstanden; die Motivation dafür war BRUNO BAUERS Umbildung der Hegelschen Phänomenologie zur Kritik imd die Zuwendung zur Ökonomie. HEIDEGGERS Motivation ist eine andere und doch eine ähnliche: das Philosophieren von DESCARTES wird vom Cogito her verstanden imd damit auf KANT und FICHTE ausgerichtet; im Hintergrund steht die These, daß das neuzeitliche Philosophieren die metaphysische Tradition zur Technik hin umwandele. Damit unterlegt HEIDEGGER dem Hegelschen Text aber Absichten, die dieser nicht hat. Für den Jenaer Hegel war DESCARTES noch ein Reflexionsphilosoph, der Ausdehnung imd Denken oder Natur und Geist ohne Vermittlimg auf das Leben einandergegenüberstellte. Die Phänomenologie des Selbstbewußtseins bekommt erst nachträglich und im Inhaltsverzeichnis diesen Titel; hier geht es nicht um DESCARTES, sondern um anderes - darum, den Weg vom Leben zum Erkennen und zur Freiheit erfahrbar zu machen. BIEMELS Aufsatz Das Wesen der Dialektik hei Hegel und Sartre konnte 1958 nur SARTREs Frühwerk Das Sein und das Nichts berücksichtigen. Der Aufsatz zeigt, daß SARTRE die Philosophie von HUSSERL imd HEIDEGGER vor dem Hintergrund Hegels nicht nur aufnimmt, sondern zu einer produktiv-neuen Philosophie verwandelt. Der neue Bezug auf Hegel wird programmatisch so charakterisiert: „Der Anteil an Dialektik in einem philosophischen Werk ist der Maßstab für den Anteil an Wahrheit in ihm." (25) Die Vernunft bleibt bei Hegel nicht mehr ein menschliches Vermögen unter anderen oder überhaupt nur ein menschliches Vermögen; sie wird zum Absoluten. Das Absolute aber muß erscheinen, sich der dialektischen Selbstvermittlung anvertrauen und sich so als Geist erweisen. WALTER BIEMEL zeigt diesen Ansatz von der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes her zuerst am spekulativen Satz. Der Satz „Gott ist das Sein" löst sich dadurch auf, daß Gott im Sein verschwindet, dieses sich aber als Fülle der spekulativen Bestimmungen erweist. Diese dialektische Bewegung der Begriffe wird dann in der Phänomenologie zur „Erfahrung" des Bewußtseins, die eine Selbsterfahrung des Absoluten ist. Auch SARTRE gibt dem Bewußtsein einen Absolutheitscharakter, doch beruht dieser nicht in der Geisthaftigkeit, sondern in der Scheinhaftigkeit des Bewußtseins. So verliert das Bewußtsein jede Substantialität. Es ermöglicht das Erscheinen des Andersartigen; wie aber das Bewußtsein vom Vorstellen von etwas her bestimmt bleibt, so das Andersartige von der überlieferten Auffassung der Materie als des Undurchdringlichen und Widerständigen. Damit kommt SARTRE ZU einer imdialektischen Gegenüberstellung von Fürsich und Ansich. Entscheidend wird SARTRES Verarbei3 Vgl. Erinnerungen an Heidegger. 2 f - Zum folgenden vgl. Otto Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. 2. Aufl. Freiburg/München 1993.410 f, 242 ff.
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tung von HEIDEGGERS Grundbestimmungen der Faktizität und der Transzendenz. An der Verflechhmg von Aufrichtigkeit und Unaufrichtigkeit wird gezeigt, daß SARTRE einerseits beides identisch setzt, andererseits die Verschiedenheit behauptet. So gelingt die dialektische Vermittlung nicht. „Auf diese Weise kann zur Transzendenz Zuflucht genommen werden, werm es sich darum handelt, sein gegenwärtiges Sein (Verhalten) zu verleugnen, oder aber umgekehrt zur Faktizität, um sein Sein zu entschuldigen, die Verantwortung von sich abzuwälzen." (I, 45) BIEMEL macht zwar auch darauf aufmerksam, daß SARTRE HEIDEGGERS „Ent-rückimg" als „Ent-drückung" liest und so zu seinem Grundbegriff der „decompression" kommt, also zur Spaltung, zum Auseinandertreiben des massiven Seins (I, 47). Entscheidend ist die sachliche Kritik, daß SARTRE nur das „unechte" Dasein treffe. SARTRE erreiche also nicht die Aufgabe, Hegels Dialektik phänomenologisch einzuholen und neu zu formulieren. Neben dem Hegel-Seminar gab HEIDEGGER im Sommer 1942 ein Seminar für Anfänger über KANTS Abhandlung Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz’ und Woljfs Zeiten in Deutschland gemacht hat (1,457). Vor allem hielt HEIDEGGER seine dritte HöLDERLIN-Vorlesung über die Ister-Hymne. WALTER BIEMEL hat diese Vorlesung 1984 ediert; in einem Aufsatz zeichnet er den Gang der Vorlesung nach. Resümierend wird festgehalten, daß HEIDEGGER anders als DESCARTES oder HUSSERL in der Philosophie nicht den „radikalen Neuanfang" suche, sondern den „Rückgang zum ursprünglichen Anfang" (1,440). Der Ursprung unseres Philosophierens liege bei den Griechen; werm wir einen anderen Anfang suchten, müßten wir es aus dem Gespräch mit den Griechen heraustim. HEIDEGGERS späterer Versuch, mit Hilfe eines chinesischen Lektors LAOTSE ZU übersetzen imd so in den Bezug zu einem anderen Ursprung zu kommen, sei abgebrochen worden, weil die Sprachgrenze nicht wirklich habe überschritten werden können (1, 439).^ Müssen wir heute nicht schon fragen, ob HEIDEGGER überhaupt in ein Verhältrüs zu HöLDERLINS späten Wegen kam? Wurde nicht auch HöLDERLINS Blick auf HEIDEGGERS engere Heimat, das obere Donautal, eine Zuflucht, die vom wirklichen geschichtlichen Geschehen abdrängte? Bei dieser Frage kommt auch HEIDEGGERS Verhältnis zur Politik ins Spiel. Jene, die gesundheitlicher Probleme wegen in den letzten Kriegsjahren in Freiburg studieren durften (wie WALTER BIEMEL, WALTER JENS, ERNST NOLTE), sahen in HEIDEGGER einen Denker, der auf seine Weise Widerstand leistete gegen das herrschende Regime. Studenten, die heute Texte aus dieser Zeit lesen, sehen eher den untergründigen Einklang mit der Zeit und vermissen den Widerstand. Der hier nötige Streit läuft dann auf die Frage hinaus, ob Heidegger je die Politik in ihrer Eigenständigkeit hat sehen können. * Zu dem Gespräch, das heute unabdingbar wurde, vgl. Otto Pöggeler: Westliche Wege zu Nishida und Nishitani. In: Philosophie der Struktur - „Fahrzeug" der Zukunft? Festschrift für Heinrich Rombach. Hrsg, von Georg Stenger, Margarete Röhrich. Freiburg/München 1995, 95-108. - Zum folgenden vgl. den Sammelband: Jenseits des Idealismus. Hölderlins letzte Homburger Jahre. Bonn 1988.
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Gespräch mit HöLDERLEM und die Besinnung auf die Kirnst gehen etwa seit 1929/30 parallele Wege. Hier hält WALTER BIEMEL fest, daß er selber moderne Kunst deute, weil ihm „HEIDEGGERS Darstellung der Kunst als Streit von Welt und Erde fragwürdig" erscheine. Heidegger versuche, auszubrechen aus dem traditionellen Kreisen des Menschen um sich. Wenn er dabei eine nicht-metaphysische Dimension erreiche, so dürfe die Umschreibung dieser Dimension „nicht als eine absolute Wahrheit" aufgefaßt werden, sondern vielmehr als „Versuch eines neuen Sprechens, also einer Wandlung". „Ob HöLDERLESI und mit ihm HEIDEGGER den Deutschen nicht zu viel zumutet, gerade auch als Mittler zur griechischen Welt, bleibe offen". (11,272, 277 f) So führt BIEMEL Gespräche mit KAFKA und CELAN, aber auch mit PROUST. ZU den Malern von PICASSO bis GERHARD HOEHME treten Plastiker wie CHILLIDA und NORBERT KRICKE. WALTER BIEMEL dürfte nicht ein leidenschaftlicher Quartettspieler sein, wenn ihm nicht auch die Musik (durch das Werk von BERND ALOIS ZIMMERMANN) zum Thema der Erörterung würde. In der Musik, so wird mit Hegel festgehalten, bewegt sich das „innerste Selbst" seiner „ideellen Seele" nach in sich (II, 191). Gegenüber Hegel aber wird vorausgesetzt, daß es eine eigenständige moderne Malerei gibt und daß diese die Leistungen der Musik einholen wollte. So nennt WALTER BIEMEL die Malerei HOEHMES „die musikalischste Malerei", die er keime (II, 209). HEIDEGGERS
Von einer musikalischen Malerei zu sprechen, ist nichts Selbstverständliches. Als WERNER HEISENBERG sich gleich nach dem Ersten Weltkrieg einen Beruf wählen mußte, entschied der gute Pianist sich für die Physik. Der Einzelne, so ging die Überlegung, könne nur die Möglichkeiten verwirklichen, die von seiner Zeit angeboten würden. Die Musik habe ihre größten Möglichkeiten von HAYDN bis SCHUBERT ausgeschöpft; in der Physik gehe es dagegen um eine Umlegung der Grundlagen selbst.5 PAUL KLEE hatte zwei Jahrzehnte vorher zu wählen; er entschied sich nicht für die Musik, sondern für die Malerei. Nach HEISENBERG hat die Malerei im 15. und 16. Jahrhundert ihre große, nicht wiederkehrende Zeit gehabt. KLEE wollte für eine neue, die moderne Malerei jene formalen Möglichkeiten erobern, wie die Musik sie von BACH bis MOZART - z. B. durch die polyphone Stimmführung - gewonnen hatte. Ein Museumsdirektor wie WERNER HOFMANN hat im Katalog seiner Hamburger KLEE-Retrospektive von 1990 bezeugt, daß in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg PAUL KLEES Erbe als Widerlegung der Thesen SEDLMAYRS vom Verlust der Mitte in der Kunst genommen wurden; dabei stand KLEE gegen PICASSO. Diese Auffassung findet sich auch in HEIDEGGERS zeitweiliger Zuwendung zu KLEES Gedanken und Werken. Der zweite Band von WALTER BIEMELS Gesammelten Schrißen bringt Schriften zur Kunst; vielleicht ist er trotz der bahnbrechenden Arbeiten zu HUSSERL und HEIDEGGER im ersten Band der gewichtigere, weil originalere. An seiner Spitze steht ein Vortrag, der die Wahrheit der Metaphysik und die Wahrheit der Kunst konfrontiert. 5 Vgl. Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. München 1969 u. ö. Kapitel 2. - Zum folgenden vgl. Otto Pöggeler: „Über die moderne Kunst“. Heidegger und Klees Jenaer Rede von 1924. Erlangen und Jena 1995.
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geht mit HEIDEGGER davon aus, daß der metaphysische Zugriff auf das Seiende im Ganzen in der universalen Technologie ausgelaufen sei. Doch soll das Gestell als das Ganze des Vorstellens imd Zustellens nicht das Geviert verdrängen, in dem die Erde sich zur Welt öffnet, die Sterblichen den Göttlichen gegenüberstehen. Die bloße Metaphysik gleicht dem Tier, das sich in KAFKAS Erzählung Der Bau in seinem Bau einrichtet und sich dabei doch vergeblich vollständig zu sichern sucht. HEIDEGGERS leitende Thematik wird in den Blick gebracht von jenem KAFKA her, den HEIDEGGER nicht las. (WALTER BIEMEL erwähnt, daß seine KAFKA-Interpretation wenigstens ein Echo, das ermutigte, erhalten habe - von HANNAH ARENDT; 1,444.) Führt die Kunst den Menschen, der sich in sich und in seinem Bau einschließt, ins Offene und Freie? PAUL KLEES Rede Über die moderne Kunst soll zeigen, wie Natur als Genesis verstanden werden könne, die über die Menschen und seine Kunst neue Formungen verwirkliche, ohne daß die Natur selbst dabei vergewaltigt werde. KLEE, der über den Weltzugriff der „Metaphysik" und Technik hinausweist, wird gegen PICASSO gestellt, dessen „Kubismus" im „Einklang mit der metaphysischen Position des Willens zur Macht" stehe (II, 24). WALTER BIEMEL
Was kann ein Philosoph, der sich durch HUSSERL, HEIDEGGER und Hegel belehren läßt, noch über die vorliegenden aberhundert Arbeiten hinaus zu PICASSO sagen? WALTER BIEMEL beschränkt sich auf ein bestimmtes Phänomen, die Polyperspektivität, und dazu auf eine Reihe ausgewählter Bilder, nämlich auf die Frauenportraits vom Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre. Schon LORENZ DITTMANN hat gegen KAHNWEILERS neukantisch inspirierte Deutung des kubistischen Durchbruchs gesagt, von einer Rekonstruktion im Begriff könne bei PICASSOS Bildern nicht die Rede sein, da der Gegenstand doch zerstört werde. WALTER BIEMEL zeigt, daß PICASSO die Frau nicht allein aus verschiedenen Perspektiven sieht, sondern verschiedene Blickrichtungen auch z. B. durch Nägel über den Augen des Kopfes deutlich macht. Wenn PICASSO die menschliche Gestalt aus Dreiecken aufbaue, mache er sie geometrisierend verfügbar (was HEIDEGGER als Grundzug der neuzeitlichen Welteinstellung seit DESCARTES ausgewiesen habe). Durch die Deformation der Frauengestalt wolle PICASSO keineswegs zeigen, daß wir triebhaften Mächten ausgeliefert seien. PICASSO reduziere, um zu herrschen; die Frau werde Thema, weil ein besonders mächtiger Zauber gebannt, nämlich der Macht tyrannisierenden Schaffens ausgeliefert werden solle. PICASSO könne darauf verzichten, auch den Stuhl, auf dem die Frau sitze, zu deformieren, weil es sich da um etwas handle, was der Mensch sowieso hergestellt habe und was ihm verfügbar sei. Die tyrannisierende Gewaltsamkeit der Kxmst, die zur Grausamkeit werde, habe NIETZSCHE angesprochen. Müsse es aber nicht überraschen, daß PICASSO die grausame Gewalt des Krieges in seinem Guernica-Bild herausstelle, im Zweiten Weltkrieg dann selbst die menschliche Nähe durch grausame künstlerische Gewalt zerstöre? Hier zeige sich, daß diese Grausamkeit überhaupt die Gefahr unserer Zeit sei - „eben als der durch das Willenswesen bestimmten und geprägten Zeit, in der die Perversion des Willens als Möglichkeit ständig auf dem Sprung ist" (II, 64). Damit ist deutlich geworden, daß sich gerade
Besprechungen
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von den Formprozessen des Malens aus eine allesbestimmende Grundmöglichkeit unseres In-der-Welt-Seins zeigt. In einem Aufsatz, der ARON GURWITSCH gewidmet ist, sucht WALTER BIEMEL den plötzlichen Umschlag der Kunst zur Pop-Art zu verstehen. Hegels Überzeugung, die Natur werde durch die Kirnst zugänglich, habe ihre Wirkung getan; doch dann habe das gelebte Leben sich neu melden müssen. Die Problematisierung der Lebenswelt bei HUSSERL und WITTGENSTEIN, HEIDEGGERS Analyse des Man köime so Hilfe leisten zur Erhellung einer Kunst, die diesen Philosophen noch völlig unbekannt oder aber doch fremd blieb. Eine zentrale Kategorie wie die „Wiederholung" bei PROUST, aber auch bei STELLA und WARHOL wird gesondert behandelt. Hier laufen die Überlegungen auf die Einsicht hinaus, daß sich die „Uniformierung" bei der Herrschaft des Man in der industriellen westlichen Gesellschaft ebenso zeige wie in den kommunistischen Systemen. Leider kaim hier nicht mehr erörtert werden, wie WALTER BIEMEL den neuen Realismus in der Malerei ebenso deutet wie die Plastik KRICKEs; selbstverständlich brachte schon der Ferienwohnsitz in Deyä die spanische Kunst unseres Jahrhimderts nahe. Der Aufsatz Die neue Zeitauffassung im Werk von Bernd Alois Zimmermann verbindet die phänomenologische Zeitanalyse mit ZIMMERMANNS Überlegimgen Intervall und Zeit. Die Töne können nach Höhe, Dauer, Stärke und Farbe auseinandertreten; bei der Bewegung in der Zeit verwandelt sich das eine in das andere. Die Verwandlung in der Musik verwandelt auch den Menschen. Der linear fortschreitenden und vergehenden Zeit entzieht sich die „Kugelgestalt" der Zeit, die nach ZIMMERMANN im Vergehen das Beständige zeigt. Es geht nicht um das Sukzessive und Zyklische, das innerhalb der seriellen Musik zur Geißel wurde; vielmehr sprechen in dieser Gleichzeitigkeit die Stimmen anderer Zeiten über die „Zitate" aus früheren Werken mit. Zimmermann verweist z. B. darauf, daß im sechsten Dialog seines Konzerts Dialoge MOZART, DEBUSSY, der Hymnus an den Heiligen Geist und eine Jazz-Floskel auftauchen: „Zeugen aus den verschiedensten Epochen der Musikgeschichte, die uns täglich umgeben, Dialoge über die Zeiten hinweg von Träumenden, Liebenden, Leidenden und Betenden, Träume durchhallt von Glokkenschlägen und dem Gedröhn von Düsenmotoren, Träume wachen Auges und versunkenen Ohres geträumt, Ahnungen von Unwiederbringlichem" (II, 333 f). Der Begriff der Collage karm das eigentliche Geschehen allzu leicht verdecken; so zeigt BIEMEL, wie die Kugelgestalt erreicht wird und was ihre „Vollendung" eigentlich bedeutet. ZIMMERMANNS Musik bleibt ein Ruf der Verzweiflung über die politischen Gebilde und Kirchen unserer Zeit; doch wird diese Zeit imter ein Maß gestellt, indem jenes Unrecht auf gedeckt wird, welches vom Prediger Salomo bis zu DOSTOJEWSKI beklagt wird. Nicht Hegel, sondern der scheiternde HöLDERLIN spricht das entscheidende Wort: Auf den Komponisten, der gegen Ende seines Lebens beinahe erblindete, treffe HöLDERLINS Ausspruch zu, der König Ödipus habe ein Auge zu viel vielleicht (II, 342). In den Ausführungen über CELANS Lyrik verweist BIEMEL noch einmal auf ZIMMERMANNS Verzweiflung, „die wie bei CELAN zum freiwilligen Abschied vom Leben führte". In KLEES Fortsetzung der Natur als Genesis in der Kunst karm dieses Schei-
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tem eindringen (II, 285). Gegenüber KRICKE zeigt WALTER BIEMEL, wie seine letzten Arbeiten zu einem Fließen führten, das zur Ruhe strebte und so den freiwilligen Tod vorwegnahm (II, 315). HEIDEGGER aber wird unterschieden von jenen, die wie ZIMMERMANN (oder wie JOYCE und PROUST) die Zeiten in einer Einheit der Zeit einbrachten. Es gehe HEIDEGGER darum, die Zeiten auseinanderzuhalten. Die Zeit der Griechen sei nicht unsere Zeit, aber unsere Zeit habe ihren spezifischen Auftrag (II, 331). Es verwundert nicht mehr, daß die phänomenologische Besinnung in eine Zeit der Zerstörung und der Kriege gehört; sie soll ja helfen, die äußeren und inneren Störungen zu sehen und über sie hinauszugelangen. Die Liste der Publikationen von Walter Biemel, die dem zweiten Band beigegeben ist, zeigt auch, was leider nicht aufgenommen werden konnte. So fehlen der Vortrag Die Phänomenologie des Geistes und die Hegel-Renaissance in Frankreich und der Hinweis auf HEIDEGGERS Gespräch mit Hegel in den Aufzeichnungen über Negativität von 1938. Ein Aufsatz über die romantische Ironie und die Philosophie des Deutschen Idealismus ist nur auf französisch und spanisch erschienen; Vorlesungen über den Weg von KANT bis Hegel und über Hegels Ästhetik (in Barcelona gehalten) wurde nur auf spanisch gedruckt. Vermissen müssen wir leider auch die Hinweise auf JAN PATOCKA: Die Laudatio zur Verleihung des Ehrendoktors, die Bemerkungen über PATOCKAS Deutung der Kirnst, den wichtigen Rückblick auf PATOCKA Der Philosoph als Gewissen seines Volkes. JAN PATOCKA war durch die Bemühung um COMENIUS in der Tradition seines Landes verwurzelt; als Philosoph war er HUSSERL und HEIDEGGER verpflichtet und dazu Hegel, dessen Phänomenologie und Ästhetik er ins Tschechische übersetzte. Als Sprecher der Charta 77 starb PATOCKA als Opfer allzu langer Verhöre 1977. Wenn heute ein größeres Europa Gestalt annehmen soll, dann dürfen wir die Stimmen jener nicht vergessen, die auf Irrwegen durch Europa oder im Gefängnis ihres Landes die neue Freiheit von der Philosophie und von der Besinnung auf die Kunst her suchten. Otto Pöggeler (Bochum)
BIBLIOGRAPHIE
ABHANDLUNGEN ZUR HEGEL-FORSCHUNG 1994 Zusammenstellung und Redaktion: Annette Seil (Bochum) bl dieser fortlaufend fortgesetzten Berichterstattung wird versucht, das nicht selbständig erschienene Schrifttum über Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, Sammelbänden usw. möglichst breit zu erfassen und im einzelnen durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Die Anordnung geschieht alphabetisch nach den Namen der Autoren. Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis Redaktionsschluß fertiggestellt werden. Sie werden im nächsten Band nachgeholt. Für diesen Band haben Berichte verfaßt: Edgardo Albizu (Lima), Georgia Apostolopoulou (loannina), Gabriella Baptist (Roma), Alessandra Lazzerini Belli (Milano), Myriam Bienenstock (Grenoble), Massimihano Biscuso (Roma), Marcos Bisticas-Cocoves (New York), Andris Breitling (Bochum), Cinzia Ferrini (Roma), Jorge Luis Gömez (Quito), Paolo Giuspoli (Perugia), Christoph Jamme (Jena), Jeong-Im Kwon (Seoul), Barbara Markiewicz (Warszawa), Pasqualino Masciarelli (Pisa), Claudia Mehca (Roma), Vlada Müller (Berlin), J. Murray Murdoch (New York), Friedhelm Nicolin (Bonn), Angelica Nuzzo (Firenze), Breno Onetto (Santiago de Chile), Alain Olivier (Paris), Orrin Firm Summereil (Bochum), Frank Volkel 0ena), Lu de Vos (Leuven), Norbert Waszek (Paris), Keimeth R. Westphal (New Hamsphire), Elisabeth Weisser-Lohmann (Hagen) sowie Wolfgang Bonsiepen, HansJürgen Gawoll, Andreas Großmann, Friedrich Hogemann, Dietmar Köhler, Hans-Christian Lucas, Helmut Schneider und Annette Seil vom Hegel-Archiv (Bochum). Die über Hegel arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. Allen, die solche HUfe bisher schon leisteten, sei besonders gedankt.
Comienzo como concepto especulativo [Anfang als spekulativer Begriff]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.5^2.
ALBIZU,
EDGARDO:
An interpretation is offered of the study „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?", which, in H.'s Larger Logic, precedes the exposition of the Doctrine of Being. After referring the problems to the polysemy of the word arche, the study is examined as the development of the necessary philosoher's discourse. For the phenomenological ascension to Absolute BCnowing still differs from the voice of logical silence. With the recourse to the H.ian theories of
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BIBLIOGRAPHIE
imagination and sign, Support is given to the thesis that in this study pure reason provides itself with the means to speak for itself.
El concepto de persona en la Filosofia del derecho de Hegel [Der Begriff der Person in der hegelschen Philosophie des Rechts]. In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.43-73. AMENGUAL, GABRIEL:
Focussing on the analysis of the concept of Person set forth in H.'s Philosophy of Right, §§ 3439, the author attempts to show the conceptual development towards the foundation of a Theory of State. Firstly, the systematic locus and the deUmitation of the meaning of the concept of Person is explained. Secondly, an analysis of the concept is offered according to the following items: Person as inmediacy, Person as universality (with an excursus dealing with recognizance), the function of the concept of Person in Right, the limits of the concept, and suggestions for is legal realization.
Das Paradies des Absoluten und das Schicksal der Kunst. Zu Hegels Dante-Deutung. - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kirnst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. v. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme. München 1994.221-234. BAPTIST, GABRIELLA:
Siehe Besprechung in diesem Band, 206.
La doctrina hegeliana del organicismo politico [Die hegelsche Lehre des politischen Organismus]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994. 75-99. BECCHI,
PAOLO:
The essay concems itself with the organicist character of H.'s poUtical philosophy. It is argued that organicism and conceptualism are not always incompatible. Firstly, criticism is advanced of the fact that all organicist theories are characterized as totalitarian in Opposition to mecanicist theories which are regarded as individualistic. Secondly, an attempt is made to trace out the origin and implications derived from the metaphorical character which the term „organism" has in a legal-political context. FrnaUy, the author shows how, in H.'s theory of social institutions, this concept may be suitable to explain the internal articulation of the State, but reveals itself as an inadequate metaphor when it is a matter of the relationship holding between citizens and the state.
Hegel e Cousin: storie di plagi e di censure [H. und Cousin: Plagiat- und Zensurgeschichten]. - In: Verifiche. Trento. 23 (1994), N. 3-4, 211-235. BECCHI, PAOLO:
Verf. schildert die Beziehungen zwischen Cousin und H. und zeigt dabei die Entwicklungen eines menschlichen imd wissenschaftlichen Verhältnisses. Beim ersten Treffen 1817 in Heidelberg entstand die Freundschaft im Zeichen der politischen Nähe bezüglich der Beurteilung der
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Französischen Revolution sowie der zeitgenössischen internationalen Situation. Ab dem zweiten Cousin Aufenthalt in Deutschland im Jahre 1824 imd nach H.s Einsetzimg im Falle seiner Inhaftierung in Dresden wuchs auch der philosophische Kontakt, was besonders durch Cousins Interesse an H.s Vorlesungsnachschriften über die Geschichte der Philosophie und die Philosophie der Geschichte belegt wird. Cousins Cours de philosophie, der ihn in ganz Europa bekannt machte, sei im Grunde anhand von H.s Vorlesungsnachschriften entstanden, obwohl H. selbst darin nie erwähnt wird. Auch wegen dieses ,Plagiats', nach dem H. vorsichtiger im Umgang mit seinen Vorlesungsmanuskripten wurde, wurde der briefliche Kontakt unterbrochen und die frühere Freundschaft zu einer viel kälteren Beziehung.
Hegel e Liszt: un incontro sulla musica. - In: Diastema. Treviso. Anno 4, N. 8 (1994), 17-24. BELLI, ALESSANDRA LAZZERINI;
Der Aufsatz von Liszt mit der Überschrift „Berlioz und seine Symphonie ,Harold in Italie'", der 1855 in der „Neuen Zeitschrift für Musik" erschien, enthält einige Hinweise auf H.s Ästhetik. Der Text hat zunächst historischen Wert, da es sich um eine der ersten Reaktionen auf die musikalische Ästhetik H.s handelt. Darüber hinaus zeigt er überraschende Verwandtschaften zwischen Liszts und H.s Derrken, obwohl beide die Rolle und den Wert der Kirnst wesenhaft verschieden auffassen. Diese Denkverwandtschaft offenbart sich besonders in der Analyse des Verhältnisses von Gefühl und Musik, in der Beschreibung der Eigenschaften der musikalischen Gefühle sowie in der Weise, wie das korrekte musikalische Hören verstanden wird.
Croce critico di Hegel: la filosofia della storia [Croce als Kritiker H.s: die Geschichtsphilosophie]. - In: Verifiche. Trento. 23 (1994), N. 3-4,273-292. BIASUTTI, FRANCO:
H. kann, mit Vico, als der eigentliche Inspirator von Croces philosophischem Projekt gelten, obwohl seine Auseinandersetzung mit dem Idealismus oft kritische Züge angenommen hat, wie aus der Geschichtsphilosophie besonders ersichtlich wird. Nach Croce sei bei H. sowohl das Zufällige als auch das Individuelle prinzipiell abgelehnt, was die Geschichtsphilosophie stark von der Geschichtswissenschaft abtrennt. Noch dazu mache die Hervorhebung der geistigen Züge aus der Geschichte etwas ganz Apriorisches aus, wobei ihre Eigenart von der Philosophie völlig usurpiert wird. Innerhalb dieses interpretatorischen Rahmens stellt Verf. noch einige weitere Interpretationen von H.s Geschichtsphilosophie (Haym, Dilthey, Martinetti, Guzzo, Vanni Rovighi, Th. W. Adorno, M. Rossi, Merker, Popper) dar, bei denen auch der metaphysische Charakter von H.s Geschichtsphilosophie als deren Grenze herausgestellt wird. Anschließend wird die systematische Stellung der Weltgeschichte als Übergang von der praktischen zu der absoluten Perspektive problematisiert, was den Weltgeist zum endlichen Gott werden läßt.
(mit WASZEK, NORBERT): L'Ecole hegelienne. Les hegeliens. - In: Philosophie Politique. Paris. 5 (1994), Nr 5,55-68. BIENENSTCX:K,
MYRIAM
In welchem Sinne läßt sich davon sprechen, daß H. „Schule gemacht" habe? Jenseits der überholten Schulemteilungen - H.sche ,Rechte', ,Mitte', ,Linke' - sind die Interpretationen zu studieren, die H.s politisches und reUgionsphUosophisches Denken durch bedeutende Schüler (wie z. B.: Eduard Gans und D. F. Strauß) erfuhr. Wer H.s Lehren weiterdenkt und sie auf spätere historische Ereignisse anwendet, wird den Philosophen, bei aller Nachfolge, notwendig ,überholen'. H. selbst hätte dieses nacheifemde Überschreiten sicherlich begrüßt.
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BIBLIOGRAPHIE
La lecture du journal selon Hegel. - In: Archives de Philosophie. Paris. 57 (1994), 669-681. BIENENSTCXTK, MYRIAM:
Das Verhältnis von Tagespolitik und Philosophie bei H. wird an Hand seiner beständigen Lektüre der Zeitungen und Zeitschriften analysiert. Als Ausgangspunkt dieser Analyse dient H.s Jenaer Aphorismus (Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844,543): „Das Zeitungslesen des Morgens früh ist eine Art von realistischem Morgensegen. Man orientiert seine Haltung gegen die Welt an Gott oder an dem, was die Welt ist. Jenes gibt dieselbe Sicherheit, wie hier, daß man wisse, wie man daran sei."
Biscuso, MASSIMILIANO: Hegel critico del mito romantico deirorigine. - In: II cannocchiale. Roma. 3 (1994), 149-168. Verf. trägt H.s Kritik an der romantischen Vorstellung des ursprünglichen Zustands des Menschengeschlechts vor. Die romantische Vorstellung, die H. bei de Maistre, dem „ersten" Lamermais oder bei Schelling, F. Schlegel und Görres findet, entsteht aus dem negativen Urteil über die Französische Revolution, imd dieses Urteil breitet sich im modernen Zeitalter imd in der ganzen Zivilisation aus. H.s Kritik entwickelt sich auf drei Ebenen: 1) politisch: H. faßt die Französische Revolution positiv auf; 2) geschichtlich: die romantische Vorstellung von einer ethischen und theoretischen Vortrefflichkeit hat keine historischen Beweise: überdies stützt sie sich auf eine falsche Auslegung der Erbsünde, die Begriff und historisches Dasein verwechselt; 3) gnoseologisch: H. nimmt nicht das Urwissen oder die Uroffenbarung an, weil sie die Philosophie negieren. Aus H.s Kritik entwickelt sich der dialektische Komplex Bedürfnis-Arbeit-Befriedigung als das H.sche Vorbild der Zivilisation.
BOURGEOIS, BERNARD:
Hegel en France. - In: Philosophie Politique. Paris. 5
(1994), 173-188. Erst ab 1970 wird H. in Frankreich als lebendiger und klassischer Autor von den Schul- und Universitätsinstitutionen anerkannt. Den Gnmd für den anfänglichen „Widerstand" gegen die H.sche Philosophie ist in der französischen Kultur zu suchen. Erst nach 150 Jahren bürgerte sich die deutsche Vemunftphilosophie in die Philosophie des Verstandes ein. 1820-1870 wurde H. als politischer Pantheist von der Rechten wie von der Linken mißverstanden und abgelehnt (trotz seiner Bekanntschaft mit Cousin, Comte und Taine), und von 1870-1920 wurde er, im Gegensatz zu dem Republikaner und Kosmopoliten Kant, zum Inbegriff des preußischen Nationalismus. Obwohl üm einige Denker wie zum Beispiel Levy-Bruhl, Jaures oder L. Herr näher karmten, so war H. für die französische Universität wenn nicht ein Eeind, so doch ein Fremder. Nach 1920 erkarmte Alain H. als den „Aristoteles der modernen Zeit" an. Berühmt geworden ist H. aber in Frankreich durch den Vergleich mit dem marxistischen Materialismus, dem Existentiahsmus Kierkegaards imd durch die Deutung der Phänomenologie des Geistes von Jean Wahl, Kojeve und Hippolyte. So wurde die Realität phänomenologisch gesehen, und die systematisierende abstrakte Theorie trat in den Hintergrund. Die französische Rezeption verzichtet aber auch gegenwärtig nicht auf eine von H. selbst geforderte kritische Haltung der deutschen Vernunft gegenüber, sondern ermöglicht durch diese Sicht die Entwicklung einer H.schen „Weltkultur".
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Hegel et la fin de Thistoire. - In: Philosophie Politique. Paris. 5 (1994), 11-22. BOURGEOIS, BERNARD:
Entgegen einem oberflächlichen und H. letztlich verfehlenden Neo-Hegelianismus (Fukuyama) geht es Verf. darum, „de restituer le hegeUanisme en sa teneur propre". Demgemäß ist H.s Statuienmg eines Endes der Weltgeschichte nicht losgelöst von den leitenden Prinzipien seiner gesamten Philosophie zu begreifen: Für H. gibt es zwar eine Zukxmft; sie vermag indes über die (in der eigenen Gegenwart) erreichte Selbstverwirklichung des Geistes hinaus nichts strukturell Neues zu bringen. „L'histoire de l'uruversel est achevee: le futur, en toute sa richesse detaillee, ne pourra produire comme durable aucune structure sociopolitique ä la fois nouvelle et fondamentale."
Negaciön y negatividad en Hegel [Negation und Negativität bei Hegel]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.101-119. BRAUER,
DANIEL:
The article examines the H.ian concepts of „negation" and „negativity" against the background of a logical-semantical analysis of the function of negation in discourse and action. With the term „negation", H. refers to operations, relations and terms, which are all centred in „determinate negation", i. e., in a type of predicative negation (A is non-B) rather than the propositional negation (A is not B) as in D. Henrich's interpretation, which is criticized. Predicative negation is inspired in Kant's „infinite judgment" and aims at conceptualizing semantic universes of dipolar categorial alternatives. On this basis, the dialectic notions of „negativity", „negation of negation" and „reflexive contradiction" are interpreted. It is contended that the latter is constituted by two reciprocal predicative negations (A is non-B and B is non-A) and expresses the reciprocal relationship of complementarity and exclusion of the extremes of a dipolar Opposition.
Hegel in Canada. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2,215-219. BURBIDGE, JOHN:
Verf. stellt die Tradition der H. rezeption in Kanada in Form von Normung zahlreicher Forschungsliteratur sowie einiger Thesen dar.
Christian Hermann Weißes frühe Hegel-Kritik. - In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, München. 101 (1994), 277-306. BURKHARDT, BERND:
Verf. stellt C. H. Weißes frühe Argumente gegen H.s Wissenschafl der Logik zusammen, indem er zuvor Weißes eigenen philosophischen Ansatz diskutiert und daran anschließend die Kritik Weißes selbst beurteilt: Weiße kritisiert das Absolute H.s imd stellt diesem (so wie auch I. H. Fichte) ein der Vernunft Entgegengesetztes gegenüber. Er erarbeitet in Auseinandersetzimg mit H. seine eigenen Werke, wobei seine Kritik an H. rücht von außen herangetragen wird, sondern sich einerseits auf das Innerlogische bezieht, andererseits den systematischen Zusammenhang der Wissenschafl der Logik anspricht. Nach Weiße gibt es (im Gegensatz zu H.) ein „positives Mehr", das sich nicht durch logisches Erkermen erfassen läßt.
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BIBLIOGRAPHIE
Tempo e storia in Hegel [Zeit und Geschichte bei Hegel], - ln: Verifiche. Trento. 23 (1994), 17-56. CHIEREGHIN, FRANCO:
Verf. analysiert H.s Entwicklung des Begriffs der Zeit in der Natur und in der Geschichte. Er diskutiert die Mittel-Funktion der Zeit in bezug auf „das Werden" und „die Geschichte". Er stellt auch die Beziehung zwischen diesen Momenten des Begriffs der Zeit und der Zeiterfahrung in der Kunst, besonders in der ästhetischen Erfahrung der Musik, dar.
Die religiöse Wahrheit und die philosophische Wahrheit. Die religiöse Vorstellung und das philosophische Erfassen der Versöhnung bei Hegel. [Koreanisch. ] - ln: Hegel-Studien [Koreanisch]. Seoul. 5 (1994), 20-44. CHOI, SHIN-HAN:
Verf. erläutert die Möglichkeit wie die Notwendigkeit des Übergangs von der Religion zur Philosophie in H.s System durch das Verhältnis von beiden. Nach H. haben die Religion und die Philosophie denselben Gegenstand, nämlich die denkende Vernunft, zum Inhalt. Sie unterscheiden sich lediglich durch die verschiedenen Formen des Denkens, die unmittelbare „Vorstellung" (Religion) und das vermittelnde begriffliche „Denken" (Philosophie). Indem er die Vorstellung von der Gottes- bzw. Vemunftidee in der Religion für die inhaltliche Voraussetzung des philosophischen Denkens hält, sieht Verf. die Notwendigkeit des Übergangs von der Religion zur Philosophie darin, daß der noch innerlich vorgestellte Inhalt (Vernunft) seinem Wesen nach letztendlich durch das Denken begriffen und forthin objektiv gerechtfertigt werden muß. Auch die Möglichkeit dieses Übergangs erklärt er dadurch, daß die Religion als Mitte zwischen unmittelbarer Anschauung (Kunst) und begrifflichem Denken (Philosophie) die Bewegungskraft bereits in sich enthält. Insbesondere durch die Tatsache, daß H. die Christologie als Analogie zum zu sich zurückkehrenden Geist in die Darstellung des Verhältnisses von Religion und Philosophie einbezieht, artikuliert Verf. den Realitätsbezug der Philosophie.
,Kritisieren heißt einen Autor besser verstehn als er sich selbst verstanden hat'. Zu Hegels Solger-Rezension. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. V. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Carmstatt 1994.257-279. CLAIRMONT, HEINRICH:
In zwei Artikeln im März imd im Juni 1829 erscheint H.s Rezension von Solger's nachgelassene Schriflen und Briefwechsel im Jahrbuch für wissenschaßliche Kritik. Diese polemischen Artikel wenden sich auch gegen die Romantik im allgemeinen. Verf. betrachtet diese Rezension kritisch, zeichnet sie nach und zeigt dabei H.s Haltung zu Romantik.
„Man kann von Homer's Gedichten weiß Gott was sprechen und zusammenbringen ...". Hegel, Herder und das Epos. - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. V. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme. München 1994.235-250. CLAIRMONT, HEINRICH:
Siehe Besprechung in diesem Band, 207.
Abhandlungen zur Hegelforschung 1994
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CoRDUA, CARLA: El delincuente en el derecho penal de Hegel [Der
Verbrecher im Strafrecht Hegels], - In: Escritos de Eilosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.121-132. This paper deals with the Hegelian analysis of delinquents and their actions. The focus is not on the justification of the right of the state to punish but rather on the elucidation of Hegel's main thesis on injustice and its consequences, as developed in the Philosoph^ of Right §§ 81-104. The author attempts to show the locus of injustice within Hegel's theory of criminal law with a view on its systematic and methodological connections.
Van metafysica tot logica. Hegels kritiek van de traditionele metafysica [Von der Metaphysik zur Logik. Hegels Kritik der vormaligen Metaphysik]. - In: Naar leeuweriken grijpen. Leuvenl994.51-81. CRUYSBERGHS, PAUL & DE VOS, LU:
H.s Verhältnis zur klassisch-dogmatischen Metaphysik ist destruktiv. Alle Fragen der ontologischen Disziplinen werden zu Problemen eines spekulativ sich denkenden Denkens verwandelt, das sich als einziges Thema der Philosophie überhaupt erweist. Das Ende der Metaphysik zeigt sich zudem noch in der Realphilosophie, die die endgültige Destruktion der Substrate ,Welt', ,Seele' und ,Gott' auch für die Vorstellung leistet.
Gott oder die absolute Idee. Zum Thema der Hegelschen Religionsphilosophie. - In: Hegel-Studien. Bonn. 29 (1994), 103-116. DE VOS, LU:
La „Introducciön" a la Eilosofia del derecho de Hegel [Die „Einleitung" der Hegelschen Philosophie des Rechts]. - In: Escritos de Eilosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 133-143. DE ZAN, JULIO:
This paper examines the different levels and points of view which Hegel seems to have taken into account in the development of his plan for the exposition of the Introduction to the Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), §§ 1-33. By means of the correlation of diverse schemes, a guideline is advanced in Order to attain several readings for the text. The author is not concerned with a commentary but rather with a reconstruction of the structure of the Hegelian exposition which might outline a framework for a possible analytic Interpretation.
Doz, ANDRE: La distinction hegelienne de raison et entendement est-elle eclairante pour nous aujourd'hui? - In: Vemunftbegriffe in der Moderne. Hrsg. V. H. E. Fulda und R. P. Horstmann. Stuttgart 1994. Ist für die heutige Zeit, in der eine Synthese der Wissenschaft problematisch ist, die H.sche Unterscheidung von Verstand und Vemvmft noch einleuchtend? Verf. referiert diese Unterscheidung und stellt eine Verbindung zu Bergsons Unterscheidung zwischen „intelhgence" imd „intuition" sowie Heideggers Unterscheidung zwischen dem „rechnenden Denken" und dem „besinnlichen Nachdenken" her. Bergson steht dabei in der Nähe von H., denn Vernunft
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BIBLIOGRAPHIE
und Verstand bleiben für beide verbunden, und die Vernunft bzw. die „intuition" haben eine Regel. Für Heidegger bleibt die H.sche Unterscheidung zweideutig, weil die Vernunft H.s eben als Aufhebung des Verstandes durch den Verstand bzw. das „rechnenden Denken" gekennzeichnet ist. Die Unterscheidung ist daher zwar erleuchtet, verlangt aber auch erleuchtet zu werden.
Der Begriff der Vernunft in Hegels „Phänomenologie“. - ln: Vernunftbegriffe in der Moderne. Hrsg. v. Hans Friedrich Fulda und RolfPeter Horstmann. Stuttgart 1994.245-260. DüSING, KLAUS:
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um den Vemunftbegriff untersucht Verf. dessen spezifische Bestimmungen in den verschiedenen „Phasen" des Vernunft-Kapitels der H.schen Phänomenologie unter besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzung H.s mit Kant und Fichte wie der modifizierten Bedeutung des Begriffs in H.s Nürnberger Propädeutik. Endliche Vernunft bedeutet zimächst ein vernünftiges Fürwahrhalten, das sich sowohl als vernünftiges Naturerkermen wie als praktische Vernunft in unterschiedlicher Weise zu einer erfüllten Allgemeinheit im Sinne der Einheit von Denken und Seiendem, von Subjektivität imd Objektivität des Selbstbewußtseins konkretisieren muß. Diese ist letztlich in der unendlichen Einheit der spekulativen Vernunft fundiert.
Der Ring der Ewigkeit. Transformation der Hegelschen Philosophie bei Rosenkranz. - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. v. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme. München 1994.293-307. DUQUE, FELIX:
Siehe Besprechung in diesem Band, 207.
The Political Significance of Hegel's Concept of Recognition in the „Phenomenology“. - In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 29 (Spring/Summer 1994), 38-54. DUQUETTE,
DAVID:
The author's task in this paper is „to discuss the political significance of H.'s concept of recognition by exploring its Connection to H.'s overtly political works" (p. 38). He differentiales between recognition at a historical level, involving a struggle for recognition between two distinct entities, and at a psychological, involving an internal struggle within an individual subject. The latter gives us an exemplary picture of self-determination. Recognition is then taken as a key to elucidate the process in the Philosophy of Right from uruversality to particularity to individuality in the modern state. In looking at the Hegelian description of the modern state, he poses the question, whether „the dialectic of dominance and Submission, which originales in the master-slave relation, is totally overcome in the Ethical Life of the modern nation-state?" The author suggests that as in the internal mastery of appetites by the rational will, „in the self-consciousness of the state the inclinations of the subjective will as a whole must be subsumed under the rationally inherent in the idea of the state in Order for it to realize its Freedom." While the modern state is seen as an achieved identity in difference, negativity persists in the relation of the state to other States and in the openness of world history.
Abhandlungen zur Hegelforschung 1994
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K.: The Sounds of the Ideal: Hegel's Aesthetic of Music. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 26 (1994/1995), N. 1,47-58. ELLER, BRIAN
Entgegen verbreiteter Vorbehalte gegenüber H.s Musikverständnis und -kenntnis verteidigt Verf. die Musikästhetik des Philosophen als einen musikalisch wie philosophisch sinnvollen Entwurf: H.s Auffassimg der Musik als eines - geordneten und kohärenten - Ausdrucks subjektiver limerlichkeit zeigt sich als ein historisches Dokument des Verständnisses der abendländischen musikalischen Traditionen und gleichermaßen als ein philosophisch konsistenter Versuch, die Geschichte der westlichen musikalischen Kultur auf den Begriff zu bringen, der nicht zuletzt auch eine Herausforderung für das Selbstverständnis des zwanzigsten Jahrhunderts darstellt. „Whereas music was once held to be the tonal expression of the ideal of human nature, twentieth Century Composers and artists have lost all belief in such an essential ideal. Thus H.'s philosophy of the arts both challenges the prevailing ahistorical ways of understanding the art of music in the twentieth Century and clarifies the radical rupture with the past that has characterized so much of the musical history of this Century."
Das Problem der politischen Repräsentation bei Kant, Hegel und Marx. - In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, München. 101 (1994), 165-176. VAN ERP, HERMANN:
Verf. erläutert den Kantischen Begriff der politischen Repräsentation sowie seine Kritik imd Entwicklung in der politischen Philosophie von H. imd stellt die Marxsche Kritik des illusorischen Charakters der politischen Repräsentation dar.
tempo nella Naturphilosophie di Hegel [Die Zeit in H.s Naturphilosophie]. - In: Verifiche. Trento. 23 (1994), N. 3—^, 237-271. ERLE, GIORGIO: II
Die Zeit ist bei H. hauptsächlich durch ein Außersichsein charakterisiert, was in dem Nacheinander und in der Reihenfolge zum Ausdruck kommt. Wenn sich das Ineinandergehen von Raum und Zeit beim Ort, in der Bewegung, in der Materie und in der Schwerkraft zeigt, durchzieht das zeitliche Moment als Paradigma der Negativität und der Unruhe die ganze unorganische Physik, etwa beim Zusammenhang von Dunkelheit, Licht und Parbe, in der Deutung des Mondes und der Kometen, in den physischen und metereologischen Elementen, im Klang, in der Wärme, in der elektrischen Spannimg oder im chemischen Prozeß. Auch im Organismus wirkt die Dialektik zwischen einer ruhigen, räumlichen Positivität und der Negativität der Zeit: Von der Erde als Bedingung des organischen Lebens, durch die Pflanze bis zum Tier in seiner Selbstbewegung ist die zeitliche Idealität eine Vermittlung zwischen den Sachen und dem Subjekt, wobei die Zeit sich als Ausdruck des Vemichhmgsschicksals im Reiche der Äußerlichkeit imd als Öffnung zu jener Unendlichkeit des Möglichen erweist, welche die Ewigkeit und das Absolute ist.
ISTVAN M.: Einleitung in die Philosophie als philosophisches Problem. Hermeneutische Interpretation eines Absatzes aus der „Vorrede" von Hegels „Phänomenologie des Geistes". - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. FEHöR,
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BIBLIOGRAPHIE
Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. v. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme. München 1994.197-210. Siehe Besprechung in diesem Band, 206.
Karl August Vamhagen von Ense und Hegel. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. V. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Carmstatt 1994.147-176. FEILCHENFELDT, KONRAD:
Verf. stellt Vamhagens Beteiligrmg an den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik sowie das Verhältnis von Vamhagen zu H. aus der Sicht Vamhagens, der nicht als Philosoph, sondern vielmehr als Organisator und Rezensent zu sehen ist, dar. Verf. beanspmcht keine Würdigung Vamhagens vorzunehmen. Es geht ihm um eine sozialgeschichtliche Studie. In einem Anhang zeigt Verf. eine von Vamhagen verfaßte „Anzeige" für die Jahrbücher.
La „Division" de la Filosofia hegeliana de la religiön. [Die „Einteilung" der hegelschen Philosophie der Religion]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.145-162. FERRARA, RICARDO:
The Hegelian Philosophy of Religion is structured according to the Logic of the „whole Concept". Whereas the Subjective Concept must pass through the inadequate Objectivity of Mechanism in Order to consummate itself in the Idea, the Concept of Rehgion must go through the servile freedom of the religions of nature as a mean to disclose that „there is Reason in Religion", ln this case the development from Concept to Actuality is the transition that mediates between Spirit and Consciousness in the twofold process through which man „becomes conscious of God, of the Spirit, and the Spirit is fulfilled in Consciousness".
The Function of Syllogism in Hegel's Encyclopedic System. - In: Paradigmi. 12 (1994), N. 34,53-75. FERRINI,
CINZIA:
The main issues at stäke in this paper are: 1) the criticism of the Standard view conceming the logical pathway of H.'s Doctrine of Being as mied by the model of „transition" set forth in the first of the three final syllogisms of the Encyclopaedia; 2) the proposal of an alternative interpretation. At the outset, the author points out both the theoretical consequences and the storiographical relevance of accounting for the role played by 1817 (§§ 475-4:77) and 1830 (§§ 575577) as regards the „Order" of the parts into which H.'s System is divided. The first part presents the „Status qaestionis", takes into account the differences between the Heidelberg and the Berlin Version, and öfters a first set of interpretative parameters in Order to provide the reader with a line of Orientation through the second part, which opens with a comprehensive and critical survey of those different positions among the scholars which have in common the feature to consider the three final syllogisms as immanent and constitutive of H.'s System of philosophical Science. Then the author comes to her own reading, focusing on the relations among the terms in each of the three final syllogisms as well as among the syllogisms themselves.
Abhandlungen zur Hegelforschung 1994
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C.: The Dialectic of Irony and the Irony of Dialectic. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2,209-214. FLAY, JOSEPH
Verf. spricht von zwei Arten der Dialektik. Erstens ist die Dialektik die Bezeichnung für eine Methode, dann für ein ontologisches Verhältnis. Verf. diskutiert in seinem Aufsatz nur die erste Art, die er sokratisch-hegelianisch nennt, die zweite ist aristotelisch-kantianisch. „In the Socratic-Hegelian, the original thesis is shown to refute itself by generating its own antithesis (under the specific terms of the examination conducted), while in the Aristotelian-Kantian, the original theisis is examined for ist strengths and then the antithesis is independently examined for its strengths." Die erste Art kommt durch eine rhetorische BCraft zu ihrem Ergebnis, so daß Verf. sie mit der Ironie verbindet und weiter von der Dialektik der Ironie und der Ironie der Dialektik schreibt, indem er die Bedingungen und Voraussetzungen für eine These (T) untersucht.
C.: Rupture, Closure, and Dialectic. - In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 29 (Spring/Summer 1994), 23-37. FLAY, JOSEPH
Rupture and closure are equiprimordial to H.'s systematic thought. The immediacy of a beginning can only be mediated for H.; thus, aU beginnings take the form of rupture. This is true in the Science of Logic, where the beginning is made in reference to absolute knowing in the Phenomenology; and in the latter text itself, where beginrüng is thematized as rupture. The move from rupture to closure in the Phenomenology, from beginning to absolute knowing, is a form of maieutic dialectic, in which rupture is not effaced.
Hegels Kritik an Schelling. - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. v. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme. München 1994.211-219. FUJITA, MASAKATSU:
Siehe Besprechung in diesem Band, 206.
Hegel und Kleist. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. v. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994.435^45. GRATHOFF,
DIRK:
H. und Kleist sind sich nie begegnet, und ob Kleist H. gelesen hat, bleibt fraglich. H.s Kritik an Kleist steht im engen Zusammenhang mit seiner Romantik-Kritik. Gemeinsamkeiten sind im Bereich der Dialektik und der Geschichtsphilosophie festzustellen. Doch kommen beide zu unterschiedlichen Ergebnissen, was sich besonders bei der Beurteilung Napoleons zeigt. Für Kleist gibt es keine Synthese, die Gegensätze bleiben bestehen. H.s Kritik an Kleist findet sich in der Ästhetik und dann in der Solger-Rezension in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik.
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BIBLIC«RAPHIE
La realizacion de la negatividad dialectica en la substancia-sujeto hegeliana [Die Verwirklichung der dialektischen Negativität im Hegelschen Substanz-Subjekt], - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.163-181. GUTIERREZ CUARTANGO, ROMAN:
The Hegelian discovery that negativity is essential and not extemal, will be disclosed finally as subjectivity not in the sense of a mere abstract reflection but as the soul of the thing itself. The object must establish its subjectivity by showing the one-sidedness of the categories in previous metaphysics, mainly Kantian philosophy, which sums up its history and brings it forth to its truth. As against the fixation of a Substrate of inherence, Substance is explained as a category to which the reflection of Essence develops. As its fulfilled negativity, Substance tums out to be activity and life. In this line the Contents unified in Spinoza's Substance are the result of an external reflection, and not of their own activity, whereas each Leibnizian Monad, even if it is pure activity, has need of a subjet in order to be coordinated with the others. So it can be understood why the speculative standpoint will give rise to a Substance-Subject to which the Aristotelian entelechy provides a model.
Goethe und die Schule Hegels. H. G. Hothos Rezension von „Wilhelm Meisters Wanderjahre" in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik". - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. v. Ch. Jamme. StuttgartBad Cannstatt 1994.396-434. HAMLIN, CYRUS:
In zwei Ausgaben der Jahrbücher für wissenschaflliche Kritik (Dezember 1829 und März 1830) veröffentlicht H. G. Hotho seine Rezension zu Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre. Veit, gibt eine detaillierte Betrachtung dieser Rezension. Hothos Interesse gilt besonders der im Roman dargestellten Bildung eines Individuums sowie formalen Aspekten des Romans. Die Rezension wird von Verf. als besonders gelungen hervorgehoben. Jedoch ist Hotho, der als Herausgeber der H.schen Ästhetik bekaimt geworden ist, nicht als Literaturkritiker oder als Philosoph zu betrachten.
Being-for-Self in the Greater Logic. - ln: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2,155-162. HARRIS, ERROL E.:
The author discusses the category of being-for-self in the Wissenschaft der Logik, examining the logical development of being-for-self as such, the one and the many, including the void, and repulsion and attraction with some reference to the respective philosopical-historical background of these concepts, such as atomism and the thought of Spinoza and Leibniz.
S.: Hail and Farewell to Hegel: the Phenomenology and the Logic. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2, 163-171. HARRIS, H.
Verf. problematisiert H.s Phänomenologie des Geistes und Wissenschafl der Logik als weiterhin bestehende Auffordenmgen auch für das Denken der Gegenwart. Im Fokus der Auseinandersetzung steht besonders das Thema der Erfahrung des Bewußtseins als einer endlichen und das
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Problem des Absoluten als Unendlichkeit, was auch in seinen religiösen ImpUkationen untersucht wird. Jedenfalls kann H.s System nicht ohne seinen ,ersten TeU' bestehen, so bleibt die Phänomenologie wesentlich gerade in ihrer Zirkelhaftigkeit, die den Schlüssel zur ,Ewigkeit' der Logik bietet.
S.: Hegel's Correspondence Theory of Truth. - In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 29 (Spring/Summer 1994), 1-13. HARRIS, H.
H.'s model of truth is correspondence, not coherence. However, truth in H. is not the correspondence of thought to thing; rather, it is the correspondence of knowledge to its experienced object, and admits several levels of experience. Tracing the development of the Phenomenology of Spirit, the author attempts to demonstrate that truth as correspondence is the logical structure of the speculative concept of experience.
Die „Idee des Guten" in Hegels „Wissenschaft der Logik". - In: Hegel-Studien. Bonn. 29 (1994), 79-102.
HOGEMANN, FRIEDRICH:
Die Entstehung der „Sozietät" und der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. v. Ch. Jamme. StuttgartBad Cannstatt 1994.57-92. HOGEMANN, FRIEDRICH:
Die Geschichte der Gründung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik stellt Verf. dar. Die Gründungsphase sieht er im Jahre 1829 mit ihrer finanziellen Konsolidierung abgeschlossen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Tatsache, daß es H. und seinem Kreis gelungen ist, eine niveauvolle rmd literatur-kritische Zeitschrift zu gründen. Verf. stellt die Umstände xmd Schwierigkeiten dieser Gründung dar. Es werden besonders das Verhältrüs zur Sozietät xmd H.s Interessen bei der Gestaltxmg der Jahrbücher thematisiert. H. begegnet hier rücht als spekulativer Philosoph, sondern als Herausgeber, Redakteur und Verwaltimgsfachmarm. So wurde die Zeitschrift zwar stark von H. geprägt, er Ueß aber auch andere Meimmgen zu.
Hegel und das „Journal des savants". - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. V. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Caimstatt 1994.119-144. D'HONDT,
JACQUES:
Um den Zweck der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik herauszustellen, vergleicht Verf. sie mit der Kritischen Zeitschrift der Literatur, die H. bei der preußischen Regierxmg vergeblich eingereicht hat. H. wollte eine Zeitschrift, die imter der Kontrolle der Regierxmg stand, xmd verfaßte hierzu eine Denkschrift, die sich auf das französische Journal des savants bezog. Verf. stellt dieses Journal sowie H.s Denkschrift vor.
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BIBLIOGRAPHIE
La politique de Hegel en son temps. - In: Philosophie Politique. Paris. 5 (1994), 23^0.
D'HONDT, JACQUES:
Verf. sucht eine Ortsbestimmung von H.s politischem Denken vor dem zeitgenössischen Hintergrund. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei H.s Verhältnis zur Zensur und seine Stellung zur Monarchie. Schwierig bleibt bezüghch dieser Fragen indessen, „quelle etait la pensee veritable de Hegel". Zur Bestimmung der politischen Halhmg des Philosophen legt es sich daher nahe, den „konkreten Menschen" in Augenschein zu nehmen, „les evenements de la vie de Hegel, exterieurs ä sa carriere universitaire et htteraire". Trotz mancher offener Fragen zeigt sich, daß H. „a eu Tintention de parachever la grande revolution philosophique allemande, mais aussi de la prolonger dans la realite humaine ..."
Hegel and Fichte: Recognition, Otherness and Absolute Knowing. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 26 (1994/ 1995), N. 1,3-19. HOULGATE,
STEPHEN:
Beginning with a discussion of Robert William's recent book Recognition: Fichte and Hegel on the Other, the author discusses the significance of the concept of intersubjective recognition for absolute knowledge, however, revising William's interpretation to show that absolute identity does not rnvolve the collapse of otherness into the seif even as the structure of recognition implies the dissolution of the distmction between thought and berng. Special attention is given to H.s critique of Fichte's view of reciprocal recognition and the positing of the other by the selfpositing I from the perspective of love. As the truth of being, the self-renouncing element of Hegelian self-thinking thought - it is maintamed - manifests the dialectical structure of love and recognition.
Die Freiheit in Hegels System der Philosophie. [Koreanisch. ] - In: Hegel-Studien [Koreanisch]. Seoul. 5 (1994), 172-207.
KANG,
YOO-WON:
Den Ausgangspunkt der H.schen Überlegungen zur Freiheit sieht Verf. darin, daß das Prinzip der Subjektivität zwar in der Sehnsucht nach der Freiheit wurzelt, dermoch stets im Widerspruch mit den Gegenständen steht. Um H.s Versuch zur Lösung dieses Problems zu zeigen, verdeutlicht er zunächst H.s Bestimmung der Freiheit und erörtert sodarm, wie sich die Freiheit - in H.s System - im Staat rmd in der Geschichte verwirklichen läßt. H.s grundlegende Bestimmung der Freiheit entnimmt Verf. der Phänomenologie des Geistes. Dort spricht H. von der selbstbewußten Freiheit, „die in sich ruht und den Gegensatz nicht auf die Seite gebracht hat imd ihn da liegen läßt, sondern mit ihm versöhnt ist". Diese Freiheit wird mit dem Wesen des denkenden Geistes sowie mit dem Prinzip von dessen Selbstbewegung gleichgesetzt. Dadurch erklärt Verf., warum H. die Freiheit zum Gegenstand seines Systems insbesondere in der Rechtsphilosophie und Geschichtsphilosophie nimmt, ln der Rechtsphilosophie, wobei der objektive Geist behandelt wird, geht es nämlich um den Begriff der Freiheit. Im Unterschied dazu wird in der Geschichtsphilosophie der Prozeß der Verwirklichung dieses Begriffs gezeigt.
Hegels Philosophie der Geschichte. [Griechisch. ] - In: Roptro. Bolos. H. 7 Qanuar-Februar 1994), 20-30. KELESSIDOU, ANNA:
Da H. die vernünftige Struktur der Geschichte um jeden Preis nachzuweisen versucht, gerät er in Widersprüche. So hebt er das Tragische als Geschichte und in der Geschichte dadurch auf.
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daß er die Vielfältigkeit des geschichtlichen Lebens durch den Geist und das Individuelle durch das Allgemeine absorbieren läßt. Vernunft und Freiheit sind Prinzip und Ziel der Geschichte, aber dadurch werden weder die Leidenschaft noch das Schicksal beseitigt, denn das tragische Geschick der Endlichkeit trifft sowohl den Menschen als auch den Geist.
Hegel und Napoleon. [Koreanisch. ] - In: Hegel-Studien [Koreanisch]. Seoul. 5 (1994), 158-171.
KIM, HEUI-JOON:
H.s Darstellung von Napoleon deutet Verf. vor dem Hintergrund der H.schen Überlegungen zum Staat und der damaligen international-politischen Konstellation in Europa. Die Eroberung Preußens durch Napoleon gilt H. als geschichtliche Notwendigkeit, die schheßlich zur Forderung nach der Reformation Preußens führt, ln dieser Hinsicht wird Napoleon rücht als Eroberer, sondern eher als Befreier im Sinne des Aufklärers dargestellt. Verf. weist darauf hin, daß H. dermoch durch Napoleon keinen richtigen Weg zur Reformation Preußens weisen kormte, weil die Eroberung Napoleons in Preußen - wie die Französische Revolution - nicht gelungen ist. Der Grund für den Mißerfolg sieht H. darin, daß Napoleon im protestantischen Preußen den Katholizismus bloß durch den politischen Zwang verbreiten wollte. Verf. expliziert dabei H.s methodische Überlegungen zur Reformation, daß die politische Freiheit die Entfaltung des Geistes in der Religion voraussetze und daß daher zimächst die Reformation der Religion vor der politischen Reformation durchgeführt werden soll. Aufgrund der so verstandenen Verknüpfung von Religion und Politik charakterisiert Verf. H.s Geschichtsphilosophie als theokratisch.
L.: The Hegelian Roots of S. L. Frank's Ethics and Social Philosophy. - In: The Owl of Minerva. ViUanova, Pa. 26 (1994/1995) N. 1, 33-46. KEINE, GEORGE
Verf. klärt die Herkunft der philosophischen Termini des russischen Philosophen Frank (1877-1950). Aufgnmd seiner Mitgliedschaft in einer marxistischen Gruppe (Anführer P. B. Struve) wird Frank aus jeder russischen Universitätsstadt verbannt; er beendet seine Ausbildung in Berlin tmd München (1899-1902). Franks Terminologie erweist sich als spezifisch hegelianisch. Franks Ethik und Sozialphilosophie sind entscheidend von H.s Rechtsphilosophie beeinflußt. In Abgrenzung etwa von den russischen Anarchisten anerkennt Frank Recht, Staat und bürgerliche Gesellschaft. Sie sind für ihn keine Formen objektiv gewordener Entfremdung, sondern diese Institutionen erweisen sich als für das menschliche Handeln unabdingbar.
Eine Interpretation zu Hegels These vom Vergangenheitscharakter der Kirnst. [Koreanisch.] - In: Studien zur Ästhetik und Kunstwissenschaft [Koreanisch]. Bd 3/4 (1994), 5-22. KWON,
JEONG-IM:
H.s These vom Vergangenheitscharakter der Kunst wird in den gegenwärtigen Diskussionen über seine Ästhetik für ein großes Hindernis bei deren Aktualisierung gehalten. Daher gibt es seit der H.schen Zeit zahlreiche Versuche, diese These umzudeuten. In diesem Aufsatz wird aber zunächst die Konsequenz dieser These in H.s Überlegungen bestätigt, und ausgehend davon wird von H.s eigener Intention her ein möglicher Weg zur Aktualisierung seiner Ästhetik gezeigt. Den Ansatzpunkt dafür weist Verf. in H.s Bestimmung der Kunst und ihrer Funktion in der modernen Welt nach. Mit der geänderten Gottesvorstellimg, d. h. Menschwerdung Gottes, in der Religion wird nach H. zum neuen Inhalt der Kunst der humanus imd alles, was die
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BIBLIOGRAPHIE
Brust des Menschen bewegt. Die Funktion der Kunst in der modernen Welt läßt sich damit, werm auch beschränkt, in der poetischen Vermittlung alles Menschlichen und der verschiedenen Lebensformen der Völker finden. H.s Berliner Ästhetikvorlesungen, in denen solche Überlegungen zu verfolgen sind, können daher als die Grundlage dafür, die verschiedenen Phänomene der Kunst in der modernen Welt plausibel zu deuten, in ein neues Licht gebracht werden.
L'ontologie et la politique. - In: Philosophie Politique. Paris. 5 (1994), 41-54. LABARRIERE,
PIERRE-JEAN:
Anhand einschlägiger Passagen der Phänomenologie des Geistes sucht Verf. die ontologische (resp. logische) Begründimg des Politischen bei H. aufzuzeigen. „Wahrheit" im H.schen Sinne entspringt einer Verbindung von Logik und Geschichte, die im Bereich des Sittlich-Politischen Gestalt gewinnt (wie etwa Sophokles' Antigone dartut): „teile est, chez Hegel, la seule explication de l'etre - la seule ontologie - qui precede, accompagne et acheve l'experience du politique".
Religion, Reason, and Culture: A Hegelian interpretation. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2, 173-186. LAUER,
QUENTIN:
The author offers a H.ian description of the relation of religion, reason, and culture - or of religion, philosophy, and history. Culture is here the German, Bildung, and Bildung is understood as a process, one explicitly historical, by which „the seif becomes more authentically a seif". The author approaches these issues largely through the Lectures on the Philosophy of World History, and offers through these lectures some observations on two questions (answers for which would admittedly Stretch beyond the scope of his essay): „(1) How Christian, in fact, is (or was in HegeTs day) the culture of the West? and (2) How philosophically necessary is it still to link religious consciousness and cultural development?" - The author makes explicit the Connection between Culture and Christianity in H. He explains Bildung as a mediating factor between the universal (i. e., the divine) and the particular (i. e., finite, human). He later cormects this process of mediation to the Christian doctrine of incamation and, drawing from the 1807 Phenomenology, argues for the unity of content in religion and philosophy.
El problema de una introducciön al sistema enciclopedico de Hegel. [Das Problem einer Einleitung in das enzyklopädische System Hegels]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.183-207. LUCAS,
HANS-CHRISTIAN:
On H.'s view, a scientific introduction to philosophy must be a systematic development from non philosophical consciousness to speculative thought. This paper imdertakes an analysis of the „Prefaces", the „Introduction" and the „Preliminary Concept" of the Logic between 1817 and 1830 with the aim of appraising their ability to perform this introductory function. It is contended with reservations that the „Preliminary Concept" alone can meet the requirement. ln Order to prove this point, the author compares the roles ascribed by Hegel to the Phenomenology of Spirit and the „Previous Concept", and shows that the recasting of the latter in 1827, in so far as it places the exposition of the logical forms after the examination of the attitudes of thought to objectivity, is intended to afford an introductory argument.
Abhandlungen zur Hegelforschung 1994
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A ambigüidade da conciencia moral moderna e da dialetica da sua resolu^äo na etiddade. [Die Zweideutigkeit des modernen Gewissens und der Dialektik seiner Aufhebung in die Sittlichkeit]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.209-238. LUTZ MüLLER, MARCOS:
H.'s views conceming Conscience (Gewissen) in the Philosophy of Right are examined in the light of his diagnosis on modern subjectivity. For they disclose in a Strategie manner the presuppositions and implications of the Hegelian project of conceiving Ethical life as a mediation between the institutional ethics of Ancient philosophy and the autonomous morality of the Enlightemnent. An analysis is offered of the argumentative and systematic function of the exposition of ambiguity (Zweideutigkeit) and the dialectic of modern Conscience at the end of Part II in so far as they provide the justification for the sublation of Morality in Ethical life.
Philosophie als ,sich vollbringender Skeptizismus'. - In: Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Hrsg. v. F. Strack. Stuttgart 1994.519-531. LYPP, BERNHARD:
Entwicklungsgeschichtlich zeichnet Verf. H.s Denken der Entzweiung und des unglücklichen Bewußtseins nach. Den Prozeß der Erfahrung und der Selbstfindung bezeichnet Verf. als sich vollbringender Skeptizismus. Dieser Prozeß ist kein transzendentalphilosophischer, sondern vollzieht sich im Reiche der Natur und des Denkens. Beide Reiche beziehen sich aufeinander im Welt- und Selbstverhältnis, wobei „sich die Anschauungs-, Verstandes- und die Vernunftformen des Menschen verkehren und aus ihrer Verkehrung erst in der Findung des genannten ,dritten Selbst' zurückkehren."
The Absolute Spirit comes to Old Sarum: Hegel on the English Reform Bill. - In: Clio. Kenosha, Wisc. 23 (1994), H. 3,247-256. MANN, DOUG:
H.s Versuch, ein Verständnis für den politischen Reformprozeß in Großbritannien zu gewinnen, ist, so Verf., gescheitert. Die Reformierung des britischen Repräsentationssystems mit seinen mittelalterlichen Strukturen - Old Sarum etwa ist eine seit Jahrhtmderten unbewohnte Stadt, sie wird im britischen Parlament imter anderem durch den Abgeordneten William Pitt vertreten. Die Beseitigung dieser Mißverhältrüsse ist das Ziel der Reformer. H.s Stellimgnahme schwankt zwischen progressivem Liberalismus und einem Konservatismus Dukescher Prägvmg: „he refuses to see these reforms in their historical context, as part of a gradual break from Britain's feudal past... H.'s attempt to apply the absolutist Standards of the Prussian monarchy to the evolutionary and fragmented politics of Great Britainbetrays a lack of understanding on the part of this Germanophile of the British political tradition."
Hegels Tod. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. v. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994.531-556. MARKIEWICZ,
BARBARA:
Verf. spricht von H.s Tod, der am Montag, den 14. November 1831 gegen 17 Uhr erfolgte. Dieser Tod erregte wegen der Berühmtheit H.s sowie wegen der Todesursache besondere Auf-
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BIBLIOGRAPHIE
merksamkeit in der Öffentlichkeit. Die Cholera war zu der Zeit stark verbreitet, und ihr galt das Interesse der Forschung. So berichteten auch die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik von der Cholera. Sie wurde in ganz Europa für eine „barbarische Krankheit" gehalten.
Fede, natura ed essere nel giovane Hegel. Lessico e dottrine tra il 1793 e il 1800 [Glauben, Natur und Sein beim jungen Hegel. Wortschatz und Doktrinen zwischen 1793 und 1800]. - In: Novecento IV. Roma. 10/12 (1994), 5-33. MASCIARELLI, PASQUALINO;
Verf. versucht, den Hintergrund und die Entwicklung einer „zweiseitigen Konzeption des Glaubens" in der Vorgeschichte des Fragments Glauben und Sein (1797) zu rekonstruieren.
El „Hegel y America" de Ortega o la imposible universalidad Occidental. [„Hegel und Amerika" von Ortega oder der unmögliche abendländische Universalismus]. - In: Revista de Occidente. N. 160. Madrid 1994.101-114. MATE, REYES:
Anhand eines Textes von Ortega y Gasset, Hegel und Amerika, kommentiert Verf. die offensichtliche Einseitigkeit des Universalismus, der von H. in seinen Gedanken über die Weltgeschichte hervorgehoben wurde. Bei der Analyse von H.s Hauptgedanken über Amerika, welche in der Philosophie der Weltgeschichte dargestellt wurden, weist Verf. auf jene impliziten Widersprüche einer vorausgesetzten Universalität des Weltgeistes in Bezug auf die „vorgeschichtlichen" Kulturen Amerikas hin. In einer Art Auseinandersetzung mit diesem Idealismus H.s schlägt Verf. vor, eine nötige Revision der im ersten Drittel dieses Jahrhunderts entwickelten „Philosophie der Erfahrung" von deutsch-jüdischen Denkern wie Rosenzweig, Benjamin und Cohen vorzimehmen.
Koyre, Hegel e il problema del tempo [Koyre, Hegel und das Problem der Zeit]. - In: Rivista di Filosofia. Bologna. 85 (1994), 131140.
MELICA, CLAUDIA:
In diesem Aufsatz wird die Dialektik des Zeitbegriffes in Koyres Schrift Hegel ä Jena untersucht und damit Koyres Interpretation der H.schen Zeitauffassung in der Jenenser Naturphilosophie (1804r-05) und der Jenenser Realphilosophie (1805-06).
Koyre e l'Aufheben hegeliano [Koyre und das Hegelianische Aufheben]. - In: Alexandre Koyre. L'awentura intellettuale. Hrsg. V. C. Vinti. Napoli 1994. 399-406. MELICA,
CLAUDIA:
Verf. imtersucht Koyres Aufsatz Note sur la langue et la terminologie hegelienne (1931) und diskutiert das Problem der französischen Übersetzung des Wortes „Aufheben". Die Frage besteht darin, warum in einem Aufsatz über die Übersetzbarkeit der H.schen Sprache das Wort „Aufheben" nur in seiner negativen Bedeutung übersetzt wird. Drei mögliche Antworten auf diese Frage werden vorgeschlagen.
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Recepciön y superaciön de la tradiciön cläsica en la filosofia practica de Hegel [Rezeption und Aufhebung der klassischen Tradition in der praktischen Philosophie Hegels]. - In: Escritos de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994.239-250. MEYER, LUISA;
The Aristotelian notion of ethical Community is present very early in H.'s practical philosophy and enables him to develop a criticism both of British empiricism and of the positions of Kant and Fichte. At the beginning of the Jena period it is subject to an important change which consolidates itself before the end of this stage in H.'s development with the incorporation of the Kantian principle of subjective moral consciousness as a central constituent part. A synthesis is achieved allowing social institutions to be regarded both as the product and the condition of possibility for the realization of man's autonomy. ln this new standpoint, Fichte's principle of recognizance plays a decisive role and at the same time undergoes a modification.
Ancora del kantismo nel Leben Jesu di Hegel [Weiteres zum Kantianismus in Hegels Leben Jesu], - In: Storicismo come tradizione. Studi in onore di Girolamo Cotroneo [Historismus als Tradition. Studien Girolamo Cotroneo zur Ehre]. A cura di G. Gembillo. Messina 1994. 149169.
NEGRI, ANTIMO:
Ausgehend von einigen Bemerkungen in Althaus' H.-Biographie, untersucht Verf. die im Leben Jesu thematisierte ,entwickelte Sittlichkeit' als Aufhebung sowohl des Schicksals von Judentum und Christentum als auch des Kantischen Moralismus. Diese gereifte Moralität ist gleichzeitig die entwickelte Rehgiosität einer mündigen Welt, die die Minorität eines kindlichen Gottverständnisses überwindet, was in Bezug auf Kants Überlegungen zur Religion zu verstehen ist. Die von H. vorgeschlagene Versöhnung zwischen Vernunft und Sinnlichkeit - Antizipation seiner späteren Überlegungen zum Wirklichen und Vernünftigen - sowie die Gleichstellung von Vernunft und Gott charakterisieren eine Religion ,innerhalb der Grenzen der Vernunft' mit Schillerschen Zügen. Diese kann daher die Transzendenz eines ,ganz Anderen' akzeptieren, weil sie die naive Transzendenz der Idole oder der Wunder entschieden ablehnt.
Nuzzo, ANGELICA: Vernunft und Verstand. Zu Hegels Theorie des Denkens. - In: Stuttgarter Hegel-Kongreß 1993. Vemunftbegriffe in der Moderne. Hrsg, von Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmann. Stuttgart 1994.261-285. Verf. zeigt, inwiefern H.s Konzeption des Denkens auf der Grundlage einer bestimmten Auffassung von ,Vemunft' basiert und inwieweit auch seine Philosophie des philosophischen Denkens eng danüt verbrmden ist. Im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältrus des Denkens zum denkenden Subjekt und zum gedachten Objekt ergibt sich ein System des Denkens, wobei die Vernunft selbst, auch aufgrund ihrer Verwirklichimg, als die Bedingtmg der Möglichkeit der denkenden Subjektivität sich erweist, dabei kommen die ontologischen imd erkermtnistheoretischen Implikationen einer solchen systematischen Sicht zum Ausdruck. Die allgemeine Form der Vernunft als einzig und einheitlich wird schließlich in ihren monistischen Zügen untersucht, die sich dermoch als pluralistisch erweisen, da die spekulative Vernunft letztlich mit dem im Monismus selbst begründeten Pluralismus des Verstandes zusanunenhängt. Die Einheit der Vernunft ist mithin die Quelle der Mannigfaltigkeit, die als eine Vielfalt von Perspekti-
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BIBLIOGRAPHIE
ven in der Vernunft selbst begründet und für diese konstitutiv ist: Letzten Endes ist überhaupt kein Standpunkt der Vernunft möglich, es sind dagegen verschiedene Standpunkte in der Vernunft notwendig. Dieser Plurahsmus der Vernunft ist allerdings kein Relativismus, weil er sich in einer systematischen Struktur gründet, die ihrerseits kein Standpunkt mehr ist.
Berliner Allgemeine Literaturzeitung oder „Hegelblatt"? Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik" im Spannungsfeld preußischer Universitäts- imd Pressepolitik der Restauration und des Vormärz. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg, von Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994.15-56. OBENAUS, SIBYLLE:
Verf. stellt die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik als „Berliner Universitätsorgan" sowie als „Parteiblatt Hegels imd seiner Schule" heraus. Dabei zeigt Verf. die Entwicklung der Jahrbücher, die nüt der kulturpolitischen Situation eng verknüpft ist.
Hegel und die Japaner. Zum Begriff der Vemimft im Femen Osten. - In: Stuttgarter Hegel-Kongreß 1993. Vemunftbegriffe in der Moderne. Hrsg, von Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmann. Stuttgart 1994. 775-788. ÖHASHI, RYöSUKE:
H. hat sich nur beiläufig mit Japan und seiner Geschichte auseinandergesetzt, jedenfalls ist seine These, der Lauf der Geschichte gehe von Osten nach Westen, von der Geschichte selbst widerlegt worden, obwohl die sogenannte Modernisierung Asiens nicht bloß als eine Europäisierung interpretiert werden kann. Verf. problematisiert H.s Deutimg des Nirwanas als Bewußtlosigkeit, was nicht dessen Bedeutimg als höchstem Zustand des Geistes entspricht, wie auch aus der Analyse des „Prajnä Sutras" und seiner Thematisierung der Leere hervorgeht. Dieser Text, den Verf. in einem Anhang ins Deutsche übersetzt, karm allerdings parallel zu H.s Darstellung des Absoluten in der Wissenschaft der Logik als Ineinanderfallen der Leere und Fülle des Seins gelesen werden. H.s Einsicht in das Wesen der Geschichte verhelfe jedoch nicht dazu, die moderne Geschichte Asiens zu begreifen, da sie eine den Eurozentrismus begründende Vernunft voraussetzt, deren Universalitätsanspruch auf dem Willen basiert und zur technischen Beherrschung der Welt hinführt. Dagegen bildet die Gleichstellimg von Erscheinung und Leere im „Prajnä Sutra" die Möglichkeit eines anderen Anfanges der modernen Welt.
Hegel contra Hegel in bis Philosophy of Right: The Contradictions of International Politics. - In: Journal of the History of Philosophy. 32 (1994), 241-263. PEPERZAK, ADRIAAN:
Die Studie widmet sich einem vernachlässigten Thema der H.schen Rechtsphilosophie, dem äußeren Staatsrecht. H.s Analyse der Weltpolitik betont die Macht der Negativität imd des Schicksals. Tod und Böses sind unter bestimmten Bedingungen Ausdruck einer vernünftigen Notwendigkeit. Dabei knüpft H.s Bestimmung des Patriotismus an Paulinisches Denken an: wahres Leben zeichnet sich durch Armahme des Todes aus. Leben, Tod und Auferstehung sind die Hauptstufen der H.schen Logik: sie bestimmen auch das Leben der Staaten der Geschichte. Krieg als Kampf auf Leben und Tod wird zu einem notwendigen Faktor, um eine höhere Stufe
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des Geistes zu erreichen. H.s Deutung der politischen Geschichte säkularisiert das christliche Schema „Leiden als notwendiger Übergang zur Erlösimg" im Lichte der griechischen Tragödie. Das Ergebnis des Leidens ist nicht neue Größe und Macht, sondern der Trost des Verstehens. Mit dieser Konzeption wird H. für Verf. zu einem „post-Christian-Greek".
Logic and History in Hegel's Philosophy of Spirit. - In: Vemunftbegriffe in der Moderne. Stuttgarter Hegel-Kongreß 1993. Hrsg, von H. F. Fulda und R.-P. Horstmann. Stuttgart 1994. 607-622. PEPERZAK, ADRIAAN:
Verf. faßt die gesamte Philosophie H.s als Idee, die sich als Einheit der Zeit und der Ewigkeit entfaltet. H.s Denken versteht sich immer aus dieser Totalität, die die Postmodeme, nach welcher Geschichte nicht mehr als ideale begriffen werden kann, hinter sich gelassen hat. Wie die Idee bei H. historisch und die Geschichte ideal sein karm, zeigt Verf. in seinem Text, indem er die Logik der Geschichte, die Weltgeschichte, die Geschichte der Welt und die absolute Selbsterkermtnis sowie die Geschichte der Menschheit bei H. (bes. in der Enzyklopädie und den Grundlinien der Philosophie des Rechts) betrachtet. Zusammenfassend sagt Verf., daß die Philosophie die Verwirklichung der Idee ist, die in der Logik entwickelt wird, und die Logik ist das Produkt der europäischen Geschichte des Gedankens. Die Bedeutung der Weltgeschichte in ihrer Totalität ist die Logik als Selbsterkenntnis der Idee. Die Geschichte ist das Resultat der Selbstverwirklichung der Idee. Die Logik bringt das Ganze der Geschichte hervor. Es besteht also eine Zirkularität von Logik imd Geschichte in H.s System.
Kann Ironie tragisch sein? Anmerkungen zur Theorie des Tragischen in Hegels Solger-Rezensionen. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. v. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994.208-300. PINNA, GIOVANNA:
1824 verfaßt H. zu Solgers Nachgelassenen Schriften und Briefwechsel eine Rezension. Diese nimmt Solgers Besprechung von A. W. Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur auf, welche Solgers eigene Position sowie seine Stellung zur romantischen Tragödienauffassung enthält. Verf. geht in ihrem Aufsatz auf die Tragödientheorie H s, Solgers und A. W. Schlegels ein und arbeitet deren Unterschiede heraus. H. stellt dabei das von Solger behauptete Verhältnis von Tragik und Ironie in Frage.
B.: On Being Anti-Cartesian: Heidegger, Hegel, Subjectivity, and Sociality. - In: Vemunftbegriffe in der Moderne. Stuttgarter HegelKongreß 1993. Hrsg, von Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmann. Stuttgart 1994. 327-346. PIPPIN, ROBERT
Entgegen der Heideggerschen Sicht von H. versteht Verf. beide Philosophen als Anti-Cartesianer, da beide einen anti-individualistischen imd anti-mentalistischen Grund bei jeglicher Art von Bedeutimg annehmen, ob diese an linguistische Ausdrücke gebunden ist oder rucht. Daraus folgt, daß für beide Bedeutung nicht durch das Subjekt oder „representation" möglich ist, sondern durch Partizipation am Geist (bei H.) und durch das Dasein als In-der-Welt-sein (bei Heidegger).
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BIBLIOGRAPHIE
Hegel und die Jenenser Romantik. - In: Evolution des Geistes. Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Hrsg. v. F. Strack. Stuttgart 1994.545-569. PöGGELER, OTTO:
Verf. zeigt in einer ausführlichen Darstellung der verschiedenen dichterischen und theoretischen Kreise der Jenenser Romantik, welche Anregungen xmd Widersprüche und welche Verhältnisse der verschiedenen Autoren Einfluß auf die Entwicklung des H.schen Denkens gehabt haben. So wurde auch H.s Kritik an der Romantik sowie sein Begriff von der Romantik geprägt.
Le istituzioni nel concetto autocosciente. Ancora su Hegel e la rivoluzione francese [Die Institutionen im selbstbewußten Begriff. Noch Weiteres zum Thema Hegel und die französische Revolution]. - In: Storicismo come tradizione. Studi in onore di Girolamo Cotroneo [Historismus als Tradition. Studien Girolamo Cotroneo zur Ehre]. A cura di G. Gembillo. Messina 1994.217-236. RACINARO, ROBERTO:
Nach einer kurzen Darstellung der internen Widersprüche in Kants Stellungnahme zur Französischen Revolution, untersucht Verf., imter Bezugnahme auf die bekanntesten Interpretationen (Lukäcs, Ritter, Habermas, D'Hondt, llting, Pöggeler), H.s Position gegenüber den französischen Ereignissen. H.s Kritik des Schreckens in der Phänomenologie und seine scheinbar entgegengesetzte Hochschätzvmg der Revolution in der Geschichtsphilosophie werden besonders hinsichtlich der Rolle des Denkens im revolutionären Prozeß analysiert: Die Revolution ist nach H. nicht ein Naturereignis, sondern hängt vielmehr von dem Bewußtsein der Grenzen einer geistlos und sinnlos gewordenen Institution ab, deswegen ist die revolutionäre Zerstörimgswut immer iiüt dem Projekt einer neuen Ordnung verbunden.
Philosophical Republicanism and Monarchism -and Republican and Monarchical Philosophy - in Kant and Hegel. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 26 (1994/1995), N. 1,33-46. REDDING,
PAUL:
H.s Beziehvmg zur Kantischen Philosophie wird hier hinsichtlich der politischen Philosophie betrachtet. Dabei wird das Eintreten für die monarchische und republikanische Regierungsform hinsichtlich der damit verbundenen Konzeption von Philosophie analysiert. Kants Republikanismus muß im Zusammenhang mit seiner Epistemologie gesehen werden, genauso wie H.s Kritik am Republikanismus: in der Wirklichkeit des Wissens ist genauso wie in der Wirklichkeit des Politischen ein Subjekt in der Einzelheit entscheidend: in der Politik übernimmt der Monarch diese Rolle, im Bereich des Wissens ist es, so der Verf., der Philosoph. H.s Deutung des Monarchen leitet sich somit aus seiner Epistemologie her - dies wurde in der Vergangenheit nicht hinreichend beachtet.
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„Ich aber fordere Sie auf, absolute Genesis ins Auge zu fassen!" Realität und absolute Negativität in Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und in Hegels Wissenschaft der Logik. - In: Fichte-Studien. Amsterdam, Atlanta/Ga. 6 (1994), 423-433. RICHLI, URS:
Verf. beruft sich auf Fichtes Spätphilosophie, wo das Absolute nicht das absolute Wissen ist, sondern als Bild, das als Form und Inhalt bzw. Realität unterschieden wird, gefaßt wird. Verf. parallelisiert diesen Ansatz der Wissenschaftslehre von 1804 mit H.s Wissenschaft der Logik, wobei er „die innere Beziehung und die Differenz der beiden Fvmdamentalphilosophen an der Weise, wie in ihnen das Verhältnis von Unmittelbarkeit imd Vermittlung gedacht wird" (424), thematisiert. Verf. zeigt dabei, daß die selbstbezügliche Negation ohne Vermischung mit der Identität als rein lücht-Identisches gedacht werden karm, und Fichte keimt auch diese Negation, ohne eine Konstitution der Realität einzuschließen.
The Comedy of Hegel and the Trauerspiel of Modem Philosophy. - In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 29 (Spring/Summer 1994), 14-22. ROSE, GILLIAN:
A reading of the Phenomenology as comedy might be of use in the search for a new ethics and politics. Postmodemism fails in to provide such an ethics and politics; in particular, Derrida's „Spectres of Marx" is an aberrated mouming for Marxism. What is needed is not Derrida's tragic pessimism, which is limited to the „dialectical oppositions of the Understanding", but a speculative viewpoint that can moum for and move beyond the past. The Phenomenology provides US with such a viewpoint. The comedy of absolute spirit as the drama of recognition and misrecognition makes possible an understanding of law as triune, as the middle term of full mutual recognition.
ROTENSTREICH, NATHAN:
Sublation and reflection. - In: Hegel-Studien. Bonn.
29 (1994), 63-77.
Hegel et TAfrique ou sur la raison dans l'histoire. In: Stuttgarter Hegel-Kongreß 1993. Vemunftbegriffe in der Moderne. Hrsg, von Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmarm. Stuttgart 1994. 789-802. SAVADOGO, MAHAMADE:
Anhand von H.s Deutung Afrikas in den Vorlesungen über Geschichtsphilosophie problematisiert Verf. das Verhältnis der philosophischen Reflexion zur Geschichte. Diese letztere ist in H.s Sicht eine Entwicklung des Freiheitsbewußtseins imd also Befreiung von der Naturbestimmung, deswegen ist der Afrikaner durch seine Einheit mit der Natur auch aufgrund der geographischen Lage verdammt, vor der Schwelle der Geschichte zu bleiben. Die eigentliche geschichtliche Entwicklung findet nach H. zwar in Afrika ihre Voraussetzrmg, macht aber erst in Asien ihre ersten Schritte, um in Europa durch die Erkenntnis der Gleichheit aller Menschen zu ihrer Erfüllung imd also zum Ende des geschichtlichen Prozesses selbst zu gelangen. Aufgrund dieser Gesamtdarstellung ist deimoch der Afrikaner ,an sich' schon im geschichtlichen Prozeß imd soll ihn also noch ,für sich' durchlaufen, was neue Perspektiven sowohl bei der Deutung
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BIBLIOGRAPHIE
des phänomenologischen Weges zum absoluten Wissen und zum ewigen Horizont des Denkens als auch im Hinblick auf die Problematik des Endes der Geschichte öffnet.
L.: On a Resistant Strain within the Hegelian Dialectic. In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2,147-154. SCHMITZ, KENNETH
The author suggests that nominalism functions as the driving force of scientific-logical development and imdergirds the spirit of contradiction animating dialectical thought.
Schleiermacher, Hegel und die Akademie. - In: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie. Hrsg. V. Ch. Jamme. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994.204-227. ScHOLTZ, GUNTER:
Verf. zeigt, wie Schleiermacher das Ende der Akademie bewirkte, um H.s Aufnahme zu verhindern. H.s Reaktion hierauf ist die Gründung einer „Sozietät für wissenschaftliche Kritik". Die Gründe für Schleiermachers Verhalten liegen in H.s Kritik an seiner „Glaubenslehre" sowie an dem immer stärker werdenden H.ianismus. So wurde bisher der Streit zwischen Schleiermacher und H. gesehen. Verf. hingegen zeigt ihn aus der Perspektive der theoretischen Gegensätze. H. sieht die Vernunft in seiner spekulativen Philosophie begriffen, wohingegen Schleiermacher die Vernunft im Kommunikationsprozeß enthalten sieht, so daß er H.s Zutritt zur Akademie verweigert, da es dem Philosophen nicht um Kommunikation, sondern um das Dozieren seiner Lehre geht.
Die Kunst bei Hegel in der Berliner Zeit. [Ins Koreanische übers, von Byung-Cheol Kim.] - In: Hegel-Studien [Koreanisch]. Seoul. 5 (1995), 208-215. SEELMANN,
HUNAM:
Verf. behauptet, daß H.s Interesse an der Kunst, das bereits in der Tübinger Zeit vorhanden war, erst in der Berliner Zeit intensiviert wurde. Den Grund dafür sieht Verf. vornehmlich in der politischen Konstellation Preußens, in der die politische liberale Aktivität durch die Unterdrückung der Restauration ausgeschlossen wurde, wodurch sich das politische Interesse zum Interesse an der Kunst wandelte. Die Kunst wurde damals somit das Surrogat der Politik und der bürgerlichen Freiheit, und H.s Interesse an der Kunst konnte durch die Aktivität im Bereich der Kirnst verstärkt werden. Andererseits verdeutlicht Verf. in H.s SteUimgnahme zur Entstehung des Museums in Berlin (1830) dessen Konzeption der Kunstsammlung, die im Hinblick auf die historische Reflexion aufgefaßt wurde. Aufgnmd der Ansicht, daß die Kunst die Basis für die Identität des Volks und zugleich die Repräsentation des Volksgeistes ist, fordert H. nämlich die Sammlung der Kunstwerke aller Nationen und historische wie chronologische Einordnung der Kunstwerke im Museum.
Escision y reconciliaciön [Entzweiung und Versöhnung]. - In: Escrito de Filosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994. 251263. SEIBOLD,
JORGE:
This article examines the notions of „inner division" (Entzweiung) and „reconciliation" (Ver-
Abhandlungen zur Hegelforschung 1994
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söhnung) as H. deals with them in the „Introduction" to the 1821 manuscript of his Lectures on
Philosophy of Religion. Here H. offers a brief and Condensed „phenomenology" of the religious consdenciousness of his time. By appealing to diverse figures, he illustrates the principal types of „inner division" as well as the inadequate „reconciliations" which affected this consciousness. H. was mainly concemed with the dividedness emerging in human consciousness between religious knowledge and profane forms of knowledge, i. e., the problem of the unity and differential plurality of knowledge. Among the aims of his Philosophy of Religion is the advancement of a solution of this problem, the relevance of which is asserted to-day with fresh vigour.
La dottrina di Aristotele sull'intelletto in De Anima III 4-5 e Metaph. XII 7 e 9 nelL interpretazione di G. W. E Hegel [Die Lehre von Aristoteles über den Intellekt in De Anima III4-5 und Metaph. XII7 und 9 in der Interpretation von G. W. F. Hegel] - In: Angelicum. Roma. 71 (1994), 203-222. SEIDL, HORST:
Entgegen H.s eigener Auffassung versucht Verf., die „tiefe Unvereinbarkeit" der H.schen und der Aristotelischen Philosophie herauszuarbeiten, indem er die Umdeutimg nachzeichnet, die Aristotelische Grundbegriffe bei H. erfahren. Ein erster Überblick zeigt, wie H. insbesondere den Begriff der d5mamis und den Gedanken einer noesis noeseos für seine Idee einer dialektischen Entwicklung des Geistes in Anspruch nimmt, dabei aber wichtige Aristotelische Unterscheidungen mißachtet. So übergeht H. die Unterscheidung von Form imd Materie des Erkenntnisgegenstandes, die Bestimmung der dynamis als passiv-materieller Gegensatz zur wesenthchen Aktualität der noesis, die Unterscheidung eines passiven und eines aktiven Prinzips innerhalb der menschlichen Seele sowie schließlich die von menschlicher und göttlicher Selbsterkenntnis. - Seine Thesen belegt Verf. durch eine detaUlierte Analyse von De anima III, 4-5 und Metaph.Xll, 7 und 9, wobei er an H.s eigenen Überzeugungen der Textstellen grammatikalische und syntaktische Fehler aufweist, die im Zusammenhang mit einer fehlgeleiteten Auslegung stehen.
Hegel and the Hegel Society of America. - In: The OwI of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2,135-140. SMITH, JOHN E:
In a brief tribute to the accomphshments of the H. Society of America in its 25 years of existence, Smith Sketches the progress made in American conceptions of H.'s thought since the beginning Century. Smith looks at three particular (and crucial) aspects of H.'s thought which are today much more adequately understood on the American scene: „The points I have in mind are the roots of H.'s entire philosophy in experience, the meaning of dialectic, and what is to be meant by System in his Claim that philosophical truth must assume this form". Smith recounts each of these points, giving the earUer misconceptions and brief but weighty accounts of a more truly Hegelian conception on each. On the last of these topics, he comments: „System, moreover, need not be something closed, and H.'s was indeed more flexible and open-ended than has been acknowledged in the past."
H.: The language of Mastery and the mastery of Language: The Recognition of Rhetoric in Hegel. - In: Clio. Kenosha, Wisc. 23 (1994). SMITH, JOHN
Verf. analysiert das Verhältnis zwischen Rhetorik und Philosophie in den Termini der
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BIBLIOGRAPHIE
H.schen Dialektik von „Herr und Knecht". Dieses betrachtet er sowohl als Kampf zwischen Sprache und Bewußtsein als auch zwischen repräsentativem und begrifflichem Ausdruck, wobei der erste der beiden Pole dieses Binarismus mit dem „Herrn" und der andere mit dem „Knecht" assoziiert werden muß. Die Dialektik dieses Verhältnisses besteht darin, daß die Sprache, die als „mächtig" erscheint, zum Werkzeug des aktiven begrifflichen Bewußtseins wird imd umgekehrt: Der „mächtige" Gedanke wird von der Aktion der Metapher bestimmt. Gleichzeitig ist dieser Artikel eine Würdigung des Buches von Donald Philip Verene Memory and Imagination: Hegel, Vico and Cassirer.
Diritto e Eticitä della famiglia nella Rechtsphilosophie di Hegel [Recht und Sittlichkeit der Familie in Hegels Rechtsphilosophie]. -In: Verifiche. Trento. 23 (1994),57-95. TOMBA, MASSIMILIANO:
Verf. analysiert die Entwicklung des Begriffs „Familie" in H.s verschiedenen Vorlesungen über Rechtsphilosophie sowie im Kompendium von 1821. Es zeigt sich, daß die Familie nicht eine statische Struktur, sondern immer in Bewegung ist. Das Recht tritt auf den Plan, werm die Familie nicht mehr existiert, da die Mitglieder der Familie dann einzelne, gegeneinander stehende Personen geworden sind.
Die Dialektik des Einen imd des Vielen. Hegels Logik von 1804/05 im Vergleich zu Platons ,Parmenides'. - In: Perspektiven der Philosophie. Amsterdam, Atlanta/Ga. 20 (1994), 179-197. TRIENES, RUDIE:
Verf. zeichnet die Phasen in H.s Denken nach. In Frankfurt stellte H. bereits die Frage nach dem Einen und dem Vielen. Die Jenaer Logik von 1801 und 03/04 zeigt eine negative skeptische Dialektik, wobei der Parmenides als echter Skeptizismus bezeichnet wird. Daß die Wende von 1804/05 zur spekulativen Dialektik (Negation der Negation mit positivem Resultat) vom Parmenides hervorgerufen wurde, vermuten Gadamer, Kimmerle und Düsing. Nun will Verf. den bisher nicht erfolgten tatsächlichen Vergleich von Parmenides und H.s Logik von 1804/05 vornehmen. Er zeigt dabei erst H.s Dialektik des Einen und des Vielen, dann Platons im Parmenides, um zu dem Ergebnis zu gelangen, daß die Parallelen nur formell sind und die wichtigste Übereinstimmung das positive metaphysische Resultat ist. Die Methode und das Wesen der Dialektik sind jedoch bei beiden unterschiedlich, ebenso die Entwicklung des Einen und des Vielen.
A. J.: Hegel in de Chinese keuken [Hegel in der Chinesischen Küche]. In: Filosofie & Praktijk. Amsterdam. 15 (1994), 16-30.
VAN DER STAAY,
Als Hintergrund von kunsttheoretischen Betrachtungen fungiert ,Hegel' als Metapher für die historisch-stylistische Betrachtung der Kunst, die die Endlichkeit und die momenthafte, zukunftträchtige Wandlung derselben denkt, gegenüber ,China', das die integrative Kontinuität der Kultur repräsentiert.
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La ciencia segün Hegel [Die Hegelsche Ansicht der Wissenschaft], - In; Escritos de Eilosofia. XIII, 25-26. Buenos Aires 1994. 265-279. VäSQUEZ, EDUARDO:
H. shows the derivation of the whole content of Science from the Concept. The object is immanent in consciousness; it is Spirit itself in its progressive extemalization drawing differences out of itself by virtue of the negativity intrinsic to identity. It is the contradiction inherent to the Concept that brings forth a new object that substitutes the previous one and at the same time maintains the truth it held. Hence, as the necessary development of categories on the basis of the Concept (infinite thought), Science is linked to experience and contradiction.
Hegel's Spiritual Zoo and the Modem Condition. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2, 235-240. VERENE,
DONALD
PHILLIP:
Verf. stellt den Abschnitt aus dem Vemimftkapitel „Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbst“ in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und diskutiert den Begriff des Tierreiches und dessen englische Übersetzimgen. Er nimmt das Bild des „zoo" auf und zeigt verschiedene „cages“. Dabei sieht er H.s spekulatives Vorgehen und die philosophiegeschichthchen Bezüge (Descartes, Kant) und fragt; „How is reflective understanding the modern condition?" In der modernen Welt wird die Sprache zur „flattery" und „humbuggery". Schließlich sieht Verf., daß der „spiritual zoo" viele Käfige hat: „Positivism, logical empirism, analytic philosophy of language, existentialism, descriptive phenomenology, hermeneutics, cognitive Science, narratology, deconstruction, postmodemism, applied ethics etc. There are ahnost too many cages to visit before seeing the show in the bigtop - technological life itself."
Wissen oder Ersehnen des Absoluten. Hegel contra Novalis und Friedrich Schlegel. - In: Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Hrsg, von Friedrich Strack. Stuttgart 1994.532-544. ViEWEG,
KLAUS
UND
GRüNING,
THOMAS:
H. nahm viele frühromantische Denkimpulse in Jena auf, obwohl seine philosophische Konzeption davon Abstand nahm. Der Rekurs auf die sowohl auf- wie auch angegriffene Philosophie Fichtes war dem spekulativen Idealismus Schellings imd H.s wie auch den Frühromantikern Schlegel und Novalis gemeinsam, trotz differenter Akzentsetzung und Wertschätzimg. Werm das Sehnen nach dem Absoluten und die These von dessen Nichterkermbarkeit das frühromantische Philosophieren charakterisieren, was im Symbol der Kunst seinen Ausdruck findet, distanziert sich schon das Älteste Systemprogramm entschieden von der Frühromantik, indem die verlangte Mythologie der Vemimft im Dienste der Idee, d. h. einer neuen Metaphysik als Wissenschaft stehen muß. Dasselbe philosophische Projekt geht auch aus anderen Jenaer Texten von SchelUng imd H. hervor, wobei deutlich wird, daß auch die neuplatorüsche Tradition anders als bei den Frühromantikem interpretiert wird. AnschUeßend werden noch die Hauptpunkte von H.s Jenaer philosophischem Weg zum absoluten IdeaUsmus kurz präsentiert.
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BIBLIOGRAPHIE
Theo-Logik. Ein Beitrag zur theologischen Interpretation von Hegels „Wissenschaft der Logik“. - In: Religionsphilosophie und spekulative Theologie. Der Streit um die göttlichen Dinge (1799-1812). Hrsg. V. Walter Jaeschke. Hamburg 1994.195-220. WAGNER, FALK:
I. Religionsphilosophie als Auslegung des Gottesbewußtseins. Verf. setzt sich zunächst mit Kants Kritik der theoretischen Erkennbarkeit der objektiven Realität des Gottesgedankens auseinander. Die Schwierigkeit besteht nach Meinung des Verf. s für das religiöse Bewußtsein darin, daß sich das Gottesbewußtsein mit dem Bezug auf Gott nicht selbst auslegen karm. II. Philosophische Theologie als Explikation des Gottesgedankens. Wird der Gottesgedanke auf das Gottesbewußtsein, das im religiösen Bewußtsein ist, bezogen, so wird Theologie zur Religionsphilosophie. III. H.s Wissenschaft der Logik als philosophische Theologie. In diesem Werk H.s befindet sich eine kategorial-logische Explikation des Gottesgedankens. Verf. spricht von drei Grundmodellen der Auslegung des Absoluten. 1. Das seinslogische Modell eines korrelativen Dualismus. 2. Das wesenslogische-monistische Modell des konsequenten akosmischen Pantheismus. 3. Das begriffslogisch-monodualistische Modell der Selbstexplikation des Absoluten an der Stelle des Andersseins.
Hegel et Lopera Italien. - In: Chroniques Allemandes. Grenoble 1994. Nr 3,73-82. WASZEK, NORBERT:
Der Aufsatz rekonstruiert H.s Bildungsreise nach Wien (vom 20. September bis 6. Oktober 1824). Es erweist sich deutlich, daß diese Reise in erster Linie „wegen der [in Wien zu hörenden; N. W.] italienischen Oper" unternommen wurde, wie sich H. in einem Brief an seine Frau ausdrückt. Diese zunächst überraschende Option für die italienische Musik wird im Kontext von H.s musikalischem Erfahrungshintergnmd und seiner musikästhetischen Theorie erklärt.
Der junge Hegel und die ,querelle des anciens et des modernes': Ferguson, Garve, Hegel. - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. v. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme, München 1994.37-46. WASZEK, NORBERT:
Siehe Besprechung in diesem Band, 204.
„Abenteuerei" und „utopischer Augenblick". Zur Theorie des Romans bei Hegel und Lukäcs. - In: Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von O. Pöggeler. Hrsg. v. H.-J. Gawoll u. Ch. Jamme. München 1994.251-262. WEISSER-LOHMANN,
ELISABETH:
Siehe Besprechung in diesem Band, 207.
Abhandlungen zur Hegelforschung 1994
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R.: Community as the Basis of Free Individual Action. Translation from HegeTs Phänomenologie des Geistes. - In: Communitarianism. Ed. by M. Daly. Beimont, Ca. 1994.36—40. WESTPHAL, KENNETH
HegeTs Angst vor dem Sollen. [Englisch. ] - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 25 (1993/1994), N. 2,187-194.
WESTPHAL, MEROLD:
Westphal takes a witty and insightful look at Hegel's „Angst vor dem Sollen“, or his „Jenseits phobia". Westphal traces this Hegehan philosophy of presence through the Encyclopedia Logic and the Philosophy of Right. He addresses thereby two key questions: 1) Is an adequate account of evil possible under the Hegehan claim that reason is fully present and actual in the here and now?; and 2) Why is the state as over agarnst the individual Citizen deemed actual, whereas the individual as moral agent or the state as mteracting with other States are not? Westphal clarifies the Hegehan affirmation of the present as neither an ideological defense of a parhcular political authority nor a naive denigration of the reality of evil. Rather this affirmation follows out of the Hegehan concept of a worldly theology, which cannot leave paradise for future realization. The Hegehan view of life is Stoic-tragic as opposed to (unrealized-) eschatological.
Hegel or Schelling? - In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 30 (1994), 14-22. WHITE, ALAN:
The author addresses the critique of his defense of Hegel over against Schelling advanced by Andrew Bowie in his recent book Schelling and Modern European Philosophy, asserting that H.'s metaphysics of absolute thought is superior to Schelling's positive metaphysical theology.
„Stammelnde Natursprache" und „Lallendes Wörterbuch". Anfänge von Sprache in Hegels Anthropologie. - In: Hegel-Studien. Bonn. 29 (1994), 117-145.P ZiCHE, PAUL: