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German Pages 360 Year 1991
HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
B and 2 6
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1991, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1490-4 ISBN eBook: 978-3-7873-2950-2 ISSN 0073-1578
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Mit diesem 26. Band der Hegel-Studien verbinden wir ein dankbares Wort des Gedenkens an LUDWIG LANDGREBE
der am 14. August 1991 im Alter von 89 Jahren verstarb. Landgrebe war seit 1958 Mitglied der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dann der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. So hat er dieses Jahrbuch und die editorisch-interpretatorische Arbeit am Werk Hegels durch Jahrzehnte hindurch mit seinem Rat begleitet. Der Wiener Philosophiestudent Landgrebe kam im Sommer 1923 nach Freiburg im Breisgau zu Husserl und damit auch zu Heidegger. In seiner Dissertation suchte er von der Phänomenologie aus das Gespräch mit Wilhelm Dilthey. Bei einem Gastaufenthalt im Seminar von Ernst Cassirer in Hamburg lernte er Joachim Ritter kennen, aber auch Siegfried Landshut, den Herausgeber der wiederentdeckten Pariser Manuskripte von Marx. In der Zeit der Diktatur mußte der Husserl-Schüler nach Prag und Löwen ausweichen; als er 1945 dann als Dozent in Hamburg und bald als Lehrstuhlinhaber in Kiel und Köln seinen Studenten die phänomenologische Philosophie vortrug, bezog er den jungen Marx und vor allem Hegel mit ein: zur transzendentalen Reflexion trat die „Monadologie" und somit die offene Geschichte und Praxis. Der große Aufsatz Phänomenologische Analyse und Dialektik aus dem zehnten Band der Phänomenologischen Forschungen von 1980 sucht das Resultat der Auseinandersetzung mit Hegel zu fassen.
INHALT
BERICHTE ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN WOLFGANG BONSIEPEN,
Bochum
Einleitung KLAUS DüSING,
11 Köln
Hegels Vorlesungen an der Universität Jena. Manuskripte, Nachschriften, Zeugnisse
15
Luzern Hegels Logik-Vorlesung aus dem Jahre 1817
24
Bochum Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Mit besonderer Berücksichtigung der Berliner Zeit
32
Bochum Hegels Vorlesungen über Naturphilosophie
40
KAREN GLOY,
HANS-CHRISTIAN LUCAS,
WOLFGANG BONSIEPEN,
Marburg Hegels Vorlesungen zur Philosophie des subjektiven Geistes
BURKHARD TUSCHLING,
...
54
Bochum Hegels rechtsphilosophische Vorlesungen. Zeugnisse, Manuskripte und Nachschriften
63
Saarbrücken Hegels Rechtsphilosophie von 1821/22
74
ELISABETH WEISSER-LOHMANN,
HANSGEORG HOPPE,
Marburg Hegels Vorlesungen zur „Philosophie der Weltgeschichte"
FRANZ HESPE,
H. N. SEELMANN, Hamburg Hegels Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23
78
87
Bochum Eine Nachschrift der Vorlesung Hegels über Ästhetik im Wintersemester 1820/21
89
Hagen Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Die Nachschriften und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen
92
HELMUT SCHNEIDER,
ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT,
Paris; FRIEDRICH HOGEMANN, Bochum Hegels Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie
PIERRE GARNIRON,
110
ABHANDLUNGEN Bochum Nachschriften von Hegels Vorlesungen
121
Marburg „Die Geschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". Zur Entwicklung von Hegels Philosophie der Geschichte
177
Bochum Die Vorlesungen der Hegel-Schüler an der Universität Berlin zu Hegels Lebzeiten
193
OTTO POGGELER,
FRANZ HESPE,
ELISABETH WEISSER-LOHMANN,
KLEINE BEITRÄGE Bochum Veränderungen in der Einleitung zur Naturphilosophie 1823/24-1828
213
Bochum Der „Vorbegriff" der enzyklopädischen „Logik" doch als Einleitung im emphatischen Sinne?
218
WOLFGANG BONSIEPEN,
HANS-CHRISTIAN LUCAS,
Bonn Legendenbildung. Ein erfundenes Tagebuchblatt Hegels
224
Düsseldorf Das Hegel-Haus in Stuttgart
228
FRIEDHELM NICOLIN,
LUCIA SZIBORSKY,
LITERATURBERICHTE UND KRITIK Logic, Dialectic, and Paradox
(SCOTT
E.
235
WEINER)
M. Wetzel: Dialektik als Ontologie auf der Basis selbstreflexiver Erkenntniskritik (Lu DE Vos, Löwen)
241
A. Doz: Le logique de Hegel et les problemes traditionnels de Tontologie (OLIVIER DEPR£, Louvain-la-Neuve)
243
H. Röttges: Dialektik und Skeptizismus (HANS-JüRGEN GAWOLL, Bo-
chum)
244
Hegel und die antike Dialektik. Hrsg. v. M. Riedel Bern) L. Samonä: Dialettica e Metafisica
(ANDREAS GRAESER,
247 Pennsylvania) .
249
Brüssel)
251
Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg. v. H.-C. Lucas u. G. Planty-Bonjour (ANDREAS ARNDT, Berlin)
254
G. Eichenseer; Die Auseinandersetzung mit dem Privateigentum im Werk des jungen Hegel (ELISABETH WEISSER-LOHMANN, Bochum) . .
260
G. Amengual (ed.): Estudios sobre la ,Filosofia del Derecho' de Hegel (ARTURO LEYTE COELLO, Vigo) '.
264
A. Valcärcel: Hegel y la etica (GABRIEL AMENGUAL, Palma de Mallorca)
269
K. Bai: Zwischen Ethik und Geschichtsphilosophie LOHMANN, Bochum)
272
(ALFREDO FERRARIN,
D. Berthold-Bond: HegeTs grand synthesis
(BRUNO COPPIETERS,
(ELISABETH WEISSER-
Hegels Ästhetik zwischen System und Emanzipation
(PAOLO D' ANGELO,
Roma)
275
P. Vollbrecht: Das Diskursive und das Poetische; O. Lorenz: Schweigen in der Dichtung (CHRISTOPH JAMME, Bochum)
282
F. Nicolin: Von Stuttgart nach Berlin. Die Lebensstationen Hegels (NORBERT WASZEK, Gieres)
284
M. S. Roth: Knowing and History
286
(ANGELICA NUZZO,
The Philosophy of T. H. Green. Ed. by A. Vincent Paris)
Pisa) (NORBERT WASZEK,
G. W. F. Hegel: Frühe Schriften und Entwürfe. Hrsg. v. I. Geliert (FRIEDHELM NICOLIN, Düsseldorf)
289
292
Kurzreferate und Selbstanzeigen
über C. Cordua, R. Hosfeld, H.-B. Lim, J. Porfirio Miranda, Ph. Moran, G. Rametta, K. Marx (übers, v. van Erp/van Peperstraten), G. Marini, J. Tischner, N. Bolz
297
BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989. Mit Nachträgen aus den Jahren 1986-1988. Zusammenstellung und Redaktion: DIETMAR KöHLER, Bochum, unter Mitarbeit von WILFRIED KORNGIEBEL
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BERICHTE ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
EINLEITUNG
Hegel hat in Heidelberg und Berlin Vorlesungen über Logik und Metaphysik, Philosophie der Natur und Philosophie des Geistes, über Philosophie des Rechts, der Kunst, der Religion, der Weltgeschichte, über Geschichte der Philosophie, über die Beweise vom Dasein Gottes und die Enzyklopädie der Philosophie gehalten. Die in die Zeit der Entwicklung des spekulativen Systems fallenden Jenaer Vorlesungen tragen zum Teil speziellere Titel. Von Hegels Vorlesungen — einschließlich der Jenaer Zeit — sind uns zur Zeit 129 Nachschriften bekannt, erhalten jedoch nur 89, die in sehr unterschiedlicher Form überliefert sind. Diese Berechnungen stützen sich auf die Angaben der nachstehenden Artikel und müssen sicherlich in den nächsten Jahren noch einige Male revidiert werden. Bei den Zahlenangaben sind die Nachschriften zu Hegels Religionsphilosophie, über die ein eigener Bericht fehlt, berücksichtigt. Der Großteil dieser Nachschriften wurde bereits erfaßt und ediert. i Hinzugekommen sind zwei neu auf gefundene Nachschriften, von J. CoRREVON (1824) und H. DRUEY (zwischen 1821 und 1826). Außerdem ist auf Hegels Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes (1829) zu verweisen, von denen wir zur Zeit zwei Nachschriften (von A. WERNER und RoLIN) besitzen.2 Die meisten Nachschriften sind uns zu Hegels Religionsphilosophievorlesungen bekannt (25), allerdings wesentlich weniger überliefert (12); danach rangieren unter den zahlreicheren Nachschriften die Nachschriften zur Geschichte der Philosophie (20 bekannt, 16 erhalten), zur Philosophie der Weltgeschichte (19 bekannt, 16 erhalten) und zur Ästhetik (19 bekannt, 12 erhalten). Nur eine einzige nachschriftenähnliche Mitteilung zu den Vorlesungen über die Enzyklopädie der Philosophie scheint uns erhalten zu sein. Es handelt sich um anonyme Eintragungen in ein durchschossenes Exemplar der ersten Auflage der Enzyklopädie. Betrachtet man die Verteilung der Nachschriften über die Vorlesungsjahrgänge der Heidelberger und Berliner Zeit, so ist zunächst festzuhalten, daß für die Vorlesungen des Wintersemesters 1816/17 in Heidelberg zur Zeit keine Nachschriften 1 Vgl. G. W. f. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd 3—5: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Hrsg, von W. Jaeschke. Hamburg 1983—85. Vgl. insbes. die Beschreibung der Nachschriften in Bd 3. XXX—XXXVIII. 2 Die Nachschrift Werner wurde bereits ediert, vgl. G." W. F. Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. Hrsg, von G. Lassen. Leipzig 1930, Nachdruck Hamburg 1973.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
bekannt sind. Für das Sommersemester 1824 und 1826 ist eine Anhäufung von Nachschriften konstatierbar (jeweils 10; für 1824 sind 8 und für 1826 sind 7 erhalten). Für die einzelnen Vorlesungszyklen lassen sich ebenfalls Schwerpunkte herausheben. Die Nachschriften zur Religionsphilosophie konzentrieren sich auf die Jahrgänge 1824 (9 bekannt, 7 erhalten) und 1827 (7 bekannt, 3 erhalten), zur Geschichte der Philosophie auf die Jahrgänge 1825/26 (5 bekannt und erhalten) und 1829/30 (5 bekannt, 4 erhalten), zur Philosophie der Weltgeschichte auf die Jahrgänge 1826/27 (6 bekannt und erhalten), 1822/23 (4 bekannt und erhalten) und 1830/31 (4 bekannt und erhalten), zur Ästhetik auf die Jahrgänge 1826 (9 bekannt, 6 erhalten) und 1828/29 (7 bekannt, 3 erhalten). Es wurde von sehr unterschiedlich ausgebildeten Personen nachgeschrieben: von jungen Studenten, Dozenten, Offizieren, Juristen, Dichtern, von eigentlichen Hegelschülern sowie von Nachschreibem, die der Philosophie Hegels neutral gegenüberstanden, ferner von Adeligen, Unadeligen, Deutschen und Ausländern. Charakter und Wert der Nachschriften divergieren stark. Nicht alle erhaltenen Nachschriften sind vollständig ausgearbeitete bzw. vollständig überlieferte Nachschriften. Grundsätzlich ist zwischen solchen, die als unmittelbare Mitschrift der Vorlesungsstunden, und solchen, die als häusliche Ausarbeitung bzw. Reinschrift anzusehen sind, zu unterscheiden. Hier gibt es wieder Mischformen, daß nämlich Mitschriften nachher mit Randnotizen versehen wurden, die dann fast den Charakter einer Ausarbeitung haben. Besonderen Wert erhalten Mitschriften, wenn sie ganz oder teilweise auf Diktate Hegels zurückführbar sind. Bei den Ausarbeitungen ist zu berücksichtigen, daß eine Nachschrift eine Abschrift von einer anderen Nachschrift, eine Kompilation von mehreren Nachschriften eines Jahrgangs oder sogar mehrerer Jahrgänge darstellen kann. Es finden sich auch Nachschriften, die den Vorlesungstext frei, in eigenen Gedanken zusammenfassen. So besorgte sich D. F. STRAUSS nach Hegels Tod eine Nachschrift von Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (1829/30) und faßte diese mit einer neuen Gliederung zusammen. Ferner ist zu berücksichtigen, daß vielfach von professionellen Nachschreibern gegen Entgelt Nachschriften erstellt wurden, die dann aber unter dem Namen des Auftraggebers überliefert sind. Es tritt auch der Fall auf, daß an der Erstellung einer Nachschrift mehrere Nachschreiber beteiligt sind. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht eine Nachschrift zur Ästhetik (1820/21), die durch die Redaktion von drei Personen zustande gekommen ist. Der größte Teil geht auf die Nachschrift eines beauftragten Nachschreibers zurück, der dann den Rest von einer anderen Nachschrift abschrieb. Der Auftraggeber ergänzte schließlich seinerseits das Heft. Einen besonderen Fall stellt P. WANNENMANNS Nachschrift der Rechtsphilosophievorlesungen dar, insofern sie eigentlich zwei Nachschriften enthält: eine der Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 und eine der Einleitung der Vorlesung des Wintersemesters 1818/19. Bei der Beurteilung der Nachschriften ist die Art des Hegelschen Vortrags zu berücksichtigen. Es ist bekannt, daß Hegels Vorlesungen nicht so angelegt waren, daß die Zuhörer sie Wort für Wort mitschreiben konnten. Sein Vortrag war stockend und umständlich; in sein Kollegheft hatte er Notizzettel einge-
Einleitung (W. Bonsiepen)
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legt, in denen er beim Vortrag herumblätterte. Der mitschreibende Student war nahezu gezwungen, während der Mitschrift den Text mitzukomponieren. Da Hegel kaum über ausformulierte Manuskripte verfügte bzw. diese immer neu bearbeitete, boten die Nachschriften seiner Vorlesungen auch eine Hilfe für ihn. Er ließ sich von zuverlässigen Mitschreibern Nachschriften erstellen, die er dann überarbeitete und einem späteren Vortrag zugrunde legte. Es folgt eine Liste der Nachschreiber, deren Namen uns teilweise nur unvollständig überliefert sind. Die geläufigeren sind mit * ausgezeichnet.^ Biographische Angaben zu den Nachschreibern enthalten oft auch die Vorworte zu den einzelnen Bänden der sogenannten Freundesvereinsausgabe. Im Anschluß an den Namen ist jeweils die Anzahl der Nachschriften notiert. Die erste, eingeklammerte Ziffer gibt die überhaupt bekannten, die zweite die tatsächlich erhaltenen Nachschriften an.
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Ackersdijck (1) 1 Ascheberg, Wilhelm von (1) 1 Bauer, Bruno (1) 0 Bernhardy, Gottfried (1) 1 Börner, Ignacy (1) 1 Boumann, Ludwig (1) 0 Carove, Friedrich Wilhelm (1) 0 Cariiere (1) 1 Correvon, Jules (4) 4 Deiters, P. F. (1) 1 Diecks (1) 1 Droysen, Gustav (2) 0 Druey, Henri (1) 1 Erdmann, Johann Eduard (3) 2 Förster, Friedrich Christoph (1) 0 Garczynski, Stefan von (2) 2 Geyer (3) 0 Geyer, Ludwig (1) 0 Good, Franz Anton (1) 1 Griesheim, Karl Gustav Julius von (7)7 Hagenbach, Rudolf (1) 1 Hegel, Karl Friedrich Wilhelm (3) 2 Heimann (2) 1 Helcel (1) 1 Henning, Leopold Dorotheus von (4)0
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* * *
Homeyer, Karl Gustav (1) 1 Hotho, Heinrich Gustav (9) 7 Hube, Joseph (3) 3 Hueck, A. (3) 3 Kampe, J. F. E. (1) 0 Kehler, Hermann von (6) 6 Kromayer (1) 1 Libelt, Karol (3) 3 Löwe, I. C. (2) 2 Meyer (1) 0 Meyer, Jürgen Bona (1) 1 Michelet, Karl Ludwig (6) 0 Middendorf, Wilhelm (1) 1 Mullach (1) 0 Pastenaci, Karl (1) 1 Pinder, Moritz (2) 2 Reichenow (1) 0 Rolin (3) 3 Rutenberg (1) 0 Sax van Terborg, Willem (1) 1 Schulze, Johannes (2) 0 Stieglitz, Heinrich Wilhelm August (1) 0 Stieve, Friedrich (2) 2 Strauß, David Friedrich (3) 3 Troxler, Ignaz Paul Vitalis (1) 1 Üxküll, Boris Frhr. von (1) 1
3 Vgl. die biographischen Angaben in Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 2. Hrsg, von F. NicoUn. Hamburg 1981. 128 ff.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
* Vatke, Johann Karl Wilhelm (1) 0 Walter, F. (2) 2 Wannenmann, Peter (1) 1 Weltlich, K. (1) 0
* Werder, Karl Friedrich (1) 0 Werner, A. (2) 2 Wiehern, Johann Hinrich (1) 1 Wolf, M. (1) 0
Zu den hier aufgeführten Nachschreibern, deren Namen im Titel der jeweiligen Nachschrift vermerkt sind oder erschlossen werden können, sind noch 17 anonyme Nachschreiber hinzuzuzählen. ASCHEBERG, MIDDENDORF und TERBORG wirkten — wie bereits erwähnt — bei der Erstellung einer Ästhetik-Nachschrift zusammen. Nach unseren augenblicklichen Kenntnissen haben also HOTHO, VON GRIESHEIM, VON KEHLER und MICHELET am meisten nachgeschrieben. HOTHO hat Nachschriften zu allen Hauptvorlesungen (über Logik und Metaphysik, Philosophie der Natur und Philosophie des Geistes, über Philosophie des Rechts, der Kunst, der Religion, der Weltgeschichte, über Geschichte der Philosophie) verfaßt, VON GRIESHEIM zu allen außer über Logik und Metaphysik, VON KEHLER ZU den Vorlesungen über Logik und Metaphysik, Philosophie des Geistes, der Kunst, der Religion und der Weltgeschichte, MICHELET ZU den Vorlesungen über Logik und Metaphysik, Philosophie der Natur, der Religion und über Geschichte der Philosophie. Während von den 9 bekannten Nachschriften HOTHOS noch 7 erhalten sind, ist von den 6 bekannten Nachschriften MICHELETS keine überliefert. Auffallend ist auch, daß von dem Hegelschüler L.v. HENNING keine einzige Nachschrift erhalten ist. Die Nachschreiber könnte man im einzelnen danach einordnen, ob sie ausgesprochene Mitschreiber oder Verfasser von ausgearbeiteten Nachschriften waren. Für die Nachschriften, die unter dem Namen GRIESHEIM überliefert sind, ist jedenfalls festzuhalten, daß sie keine Mitschriften, sondern häushche Ausarbeitungen bzw. Reinschriften darstellen. Da in den letzten Jahren immer wieder neue Nachschriften auftauchten, darf auch für die nächsten Jahre mit weiteren Funden gerechnet werden. Von den 40 bekannten verschollenen Nachschriften sind sicherlich einige als definitiv vernichtet einzustufen, aber doch nicht alle. Angesichts der Verstreuung der Nachschriften über aller Herren Länder — von Leningrad über München, Zürich, Paris bis Chicago — wird man kaum seine Suche auf bestimmte bevorzugte Orte beschränken können. Die durchaus begrüßenswerte Vermehrung der Nachschriften stellt allerdings auch eine Herausforderung an die editorische Arbeit dar. Der Gesamtumfang des zu edierenden Materials ist schwer überschaubar. Manche Nachschriftenmanuskripte sind sehr umfangreich, aber breiter und mit wenigen Abkürzungen geschrieben, manche sind engzeilig und mit Kürzeln verfaßt, andere existieren nur fragmentarisch. Bei einer vorsichtigen Schätzung von durchschnittlich 150 Seiten in Quartformat pro Nachschrift wären bei dem gegenwärtigen Stand der erhaltenen Nachschriften insgesamt ca. 13 400 Seiten zu edieren. Ein Teil ist allerdings schon durch frühere Editionen und Voreditionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Eine kritische Edition wird jedoch dieses schon edierte Material noch einmal überprüfen müssen.
Vorlesungen in Jena (K. Düsing)
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Ein eigens zu bearbeitendes Problem, das hier und in den Einzelberichten nicht näher erörtert werden konnte, stellt das Verhältnis von Nachschriften und handschriftlichen Exzerpten Hegels dar. Hegel griff in seinen viel empirisches Material verarbeitenden Vorlesungen auf zahlreiche Exzerpte zurück, die er nicht nur für eine Vorlesung oder einen Vorlesungszyklus, sondern auch in Vorlesungen über verschiedene Systemteile verwandte. Diese Exzerpte sind einerseits nur noch teilweise vorhanden, andererseits müssen sie oft erst im Text der Vorlesungen als Zitate und Exzerpte erkannt werden. Wolfgang Bonsiepen (Bochum)
HEGELS VORLESUNGEN AN DER UNIVERSITÄT JENA Manuskripte, Nachschriften, Zeugnisse
Hegel kündigte im Lektionskatalog der Universität Jena vom Wintersemester 1801/02 bis zum Sommersemester 1807 Vorlesungen an. Nicht alle hat er gehalten; bei einigen wissen wir nicht, ob sie stattfanden; mindestens zwei mußte er vorzeitig abbrechen; viele aber führte er durch. Insbesondere die Vorlesungen dokumentieren die rapide Entwicklung von Hegels Systemdenken in seiner Jenaer Zeit. Diese Entwicklung zeigt sich in allen Systemteilen. Die Logik wird von Hegel zwar von Anfang an gegen die traditionelle formale Logik abgesetzt; er entwickelt sie jedoch erst im Laufe der Jenaer Zeit von einer Theorie der endlichen Verstandesbestimmungen, die nur systematische Einleitung in die Metaphysik ist, zur spekulativen Logik, die selbst Metaphysik ist. Parallel dazu entwickelt er seine Dialektik von einer bloß negativ bleibenden Methode systematischer Entgegensetzung von Verstandesbestimmungen zu einer spekulativen Dialektik, die aus dem Widerspruch endlicher Bestimmungen das spekulative Resultat einer höheren Einheit gewinnt. — Die Metaphysik ist für ihn vom Beginn der Jenaer Zeit an Wissenschaft des Absoluten, das jedoch zunächst spinozistisch als Substanz von ihm konzipiert wird; erst ab 1804 bestimmt er die absolute Substanz fort zur absoluten Subjektivität. — Die Naturphilosophie erfährt eine erste ausgebreitete Ausführung; sie löst sich allmählich aus SCHELLINGS Schatten. — Ebenso gelingen Hegel in Jena erste Darlegungen einer Geistesphilosophie. Er entwickelt in ihr eine Theorie des Staates als sittlicher Substanz — zunächst in Orientierung an PLATOS politischer Ethik, später im Namen der Freiheit des Einzelnen in Wendung gegen FTATO. Ebenso entwirft er in ersten Ansätzen eine Ästhetik als Philosophie der Kunst, und zwar schon mit der These vom Vergangensein der Kunst. Schheßhch entwirft er, nachdem er zunächst keine wirkliche Entwicklung in der Philosophiegeschichte annahm, die Theorie einer dialektischen Entwicklung der
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
Philosophiegeschichte als geschichtlicher Dimension der Philosophie des Absoluten. Hegel kündigte in Jena insgesamt sechsmal eine Vorlesung über Logik und Metaphysik an. In den ersten drei Semestern vom Wintersemester 1801/02 bis zum Wintersemester 1802/03 lautete die Ankündigung, er werde „Logicam et Metaphysicam" lehren.i Für das Sommersemester 1806 lautete die Ankündigung, er werde lesen: „Philosophiam speculativam s. logicam ex libro suo: System der Wissenschaft, proxime prodituro"; für die beiden folgenden Semester, in denen Hegel offensichtlich nicht mehr las, kündigte er Vorlesungen an über „Logicam et Metaphysicam s. philosophiam speculativam praemissa Phaenomenologia mentis" mit Verweis auf das Buch: Phänomenologie des Geistes. Logik und Metaphysik gehörten ankündigungsgemäß auch zu seinen Vorlesungen über das gesamte System, nämlich vom Wintersemester 1803/04 bis zum Sommersemester 1805. In diesem Sommersemester 1805 las Hegel nach der von ihm selbst ausgefüllten Zuhörerliste — entgegen seiner Ankündigung, das gesamte System zu behandeln — nur über die Logik. 2 Von der ersten Vorlesung über Logik und Metaphysik im Wintersemester 1801/ 02 sind eigene Vorlesungsmanuskripte Hegels und ein Aushang für die Studenten überliefert, die aber beide nur den Gesamtentwurf enthalten, den Hegel offensichtlich einleitend vorgetragen hat; der Aushang setzt den Beginn auf den 26. 10. 1801 fest; von der Durchführung ist kein Manuskript Hegels erhalten. Diesen Gesamtentwurf, den die Vorlesungsmanuskripte bieten, teilt leicht gekürzt bereits ROSENKRANZ miü; ungekürzt und originalgetreu erscheint er in Band 5 der historisch-kritischen Hegel-Ausgabe, die auch jenen Aushang bringt. — Ferner hat sich von dieser Vorlesung eine kurze, zusammenfassende Nachschrift des Schweizer Studenten, ScHELLiNG-Freundes und späteren Arztes und Philosophen IGNAZ PAUL VITAL TROXLER erhalten, der fast sein Leben lang mit KARL AUGUST VARNHAGEN VON ENSE im Briefwechsel stand. TROXLER erscheint rückblickend, wie er mehrfach schildert, seine Zeit des Studiums bei den Größten des Geisteslebens, insbesondere bei SCHELLING und Hegel, als die Glanzzeit seines Lebens."* Die Nachschrift umfaßt in abbreviativ gedrängten, dichten Sätzen nur 16 Seiten. * S. den Abdruck der gesamten Vorlesungsankündigungen, die Hegel im Lektionskatalog der Universität Jena anzeigte, in der Abhandlung: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801—1807). Hrsg, von H. Kimmerle. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 53—56. Auch abgedruckt in: Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. Hrsg, von F. NicoUn. Hamburg 1977. 80—85. — Der Habilitationsvorgang bleibt im Folgenden ausgespart; Hegel disputierte über seine Habilitationsthesen am 27. 8. 1801 und hielt am 19. 10. 1801 seine Probevorlesung (vgl. ebd. 28-44). 2 Vgl. Dokumente ... (s. Anm. 1). 62 und Faksinüle zwischen 64 und 65. 3 K. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844. 190—192. — Aus diesem Werk werden nur die Partien erwähnt, die eindeutig bestimmten Vorlesungen Hegels zuzuordnen sind. * Hierzu und zum Folgenden: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801—1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing. Köln 1988. Vgl. hier bes. 14 f, zum Folgenden 16—21; die Nachschrift wird wiedergegeben 63—77, Anmerkungen dazu 93—98.
Vorlesungen in Jena (K. Düsing)
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Sie ist keine Mitschrift, sondern eine nachträgliche Zusammenfassung, wie auch der Titel zeigt; „Hauptideen von Hegels Vorlesung über Logik und Metaphysik". Daß TROXLER hiermit Hegels erste Logik-und-Metaphysik-Vorlesung meint, ist schon deshalb wahrscheinlich, weil wir die Zuhörerliste von ihr besitzen, in die TROXLER sich eingetragen hat, während das Stattfinden der Logik-und-Mefaphysik-Vorlesung in den beiden folgenden Semestern in keiner Weise bezeugt ist.^ ROSENKRANZ meint, Hegel habe 1802 gar nicht gelesen.* HENRY CRABB ROBINSON, ein Engländer, der im damals berühmten Jena studierte, berichtet für das Wintersemester 1802/03, Hegel habe „seine angekündigte Vorlesungen nicht zu Stande gebracht"^. Man muß hiernach offenlassen, ob es Hegels Logik-und-Metaphysik-Vorlesung oder seine Naturrechtsvorlesung oder evtl, auch beide waren, die abgebrochen wurden bzw. ausfielen. Gesichert wird die Zugehörigkeit von TROXLERS Nachschrift zu Hegels erster Vorlesung über Logik und Metaphysik durch spätere Selbstzeugnisse TROXLERS. So schreibt er zum Tode von GOETHES Neffen, FRIEDRICH SCHLOSSER, 1851 an VARNHAGEN: SCHLOSSER „war auch ein Zuhörer Hegels in dem ersfen Kolleg, das sich aber bald auflöste". Hiermit ist nicht Hegels Introductio-Vorlesung desselben Semesters gemeint, wie aus dem späteren, höchstwahrscheinlich auf TROXLER selbst zurückgehenden Lebenslauf von 1853 eindeutig zu ersehen ist: „Um jene Zeit trat auch Hegel auf und las über Logik, aber das Kollegium löste sich auf, da nur wenige wie FRIEDRICH SCHLOSSER (GOETHES Neffe, gesf. 22. Jänner 1851) und TROXLER dem Vortrag zu folgen vermochten. Letztere setzten sich dann mit Hegel in Privatbeziehung."® TROXLER schrieb also Hegels erste Logik-und-Metaphysik-Vorlesung von 1801/02 nach. Aus den späteren Mitteilungen TROXLERS geht zugleich hervor, daß Hegel die Vorlesung offensichtlich aus Hörermangel abbrechen mußte. Möglicherweise entstammen manche späteren Partien der Nachschrift dem privaten Kontakt, der sich nach der „Auflösung" des Kollegs zwischen TROXLER, SCHLOSSER und Hegel ergab. Die Nachschrift TROXLERS ist die erste und bisher einzige Nachschrift aus Hegels Jenaer Zeit, die erhalten ist, noch dazu aus Hegels erstem Jenaer Semester. Sie wird im ersten Band der zweiten Abteilung der historisch-kritischen Hegel-Ausgabe erscheinen. Sprachlich ist sie schwierig und enthält des öfteren gedankliche Sprünge. Obwohl TROXLER ein sehr begabter Student sowie ein Freund und Vertrauter SCHELLINGS war, auch SCHELLINGS Vorlesung vom Sommersemester 1801 Vgl. Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (s. Anm. 1). 59, 78. * Rosenkranz: Hegels Leben. 161. — Zum Disputatorium von 1801/02, von dem Rosenkranz irrtümlich meint, es sei ausgefallen, vgl. unten Anm. 15. ^ Vgl. Hertha Marquardt: Henry Crabb Robinson und seine deutschen Freunde. Bd 1. Göttingen 1964. (Palaestra. Bd237.) 84. Bei dem fehlerhaften Deutsch des Autors ist die Vermutung, der Singular: „angekündigte" könne auch für den Plural stehen, nicht abwegig. * Der Briefwechsel zwischen Ignaz Paul Vital Troxler und Karl August Varnhagen von Ense. 1815—1858. Veröffentlicht und eingeleitet durch I. Belke. Aarau 1953. 352; ferner ebd. 471. Vgl. auch Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (s. Anm. 4). 13 f; es kann in dieser zuletzt zitierten Mitteilung keine andere Vorlesung als die über Logik und Metaphysik von 1801/02 gemeint sein, die nachweislich beide, Troxler und Schlosser, besuchten; „seither" ging ihre „Lebensrichtung auseinander".
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
sehr viel klarer und verständnisvoller nachschrieb, dürfte er eine Reihe von Einzelausführungen Hegels nicht angemessen aufgefaßt haben. Man muß hierbei freilich berücksichtigen, daß der in Vorlesungen ungeübte Privatdozent Hegel durch seinen Vortrag zu solchen Mißverständnissen auch wohl Anlaß gab. Zudem hatte Hegel — anders als SCHELLING — bis zum Wintersemester 1801/02 kaum etwas publiziert, so daß sich TROXLER auch nicht gründlich einiesen konnte. Dennoch bereichert TROXLERS Nachschrift, deren Inhalte mit Hinweisen und Anspielungen in Hegels gleichzeitigen Schriften verglichen werden können, unsere Kenntnis von Hegels erster Jenaer Logik wesentlich. Diese Nachschrift zeigt, wie Hegel sich auf weite Strecken die Logik, die in dem erwähnten Vorlesungsmanuskript nur skizziert ist, in der Durchführung gedacht hat. Sie gibt insbesondere Einblick in die Kategorienentwicklung, die sich an KANT und teilweise an FICHTE orientiert; sie zeigt ferner, daß deren methodische Entwicklung durch Setzung, Entgegensetzung und Synthesis sich an FICHTE anlehnt, und schließlich, daß hierin offensichtlich Anfänge von Hegels zunächst noch nicht spekulativer Dialektik liegen. Einige Anspielungen auf die Metaphysik bei TROXLER lassen deutlicher als Hegels damalige Schriften erkennen, daß Hegel die Möglichkeit der Metaphysik als Erkenntnis des Absoluten in Auseinandersetzung mit KANTS Metaphysikkritik darlegen wollte. — TROXLER schließt mit der Bemerkung; „Ende der Transzendentallogik''^, obwohl auch schon von der spekulativen Erkenntnis des Absoluten und metaphysischen Inhalten die Rede war. Die Schlußlehre und ihre spekulative Bedeutung, die in Hegels eigenem Vorlesungsmanuskript noch zur Logik gehört, aber schon für den Übergang der Logik in die Metaphysik vorgesehen ist, fehlt u. a. hier; die paradoxe Gegenwart des Unendlichen, die ebenfalls zu diesem Übergang der Logik in die Metaphysik gehört, wird in der Nachschrift nur angedeutet. Ob der Abschluß der „Transzendentallogik" lediglich die Beendigung der Auseinandersetzung mit KANT oder auch von Hegels früher Logik bedeutet, muß offen bleiben; vermutlich gehören die Schlußpartien von TROXLERS Nachschrift zu Hegels privater Fortsetzung der Vorlesung, in der er wohl freiere Erläuterungen gab. Auf jeden Fall sollte, wie auch aus Vorverweisen bei TROXLER hervorgehtio, eine von der Logik unterschiedene Metaphysik noch folgen, die jedoch offenbar nicht mehr ausgeführt wurde. — So füllt TROXLERS Nachschrift den in Hegels Vorlesungsmanuskript skizzierten allgemeinen Rahmen der frühen Logik wenigstens in bedeutsamen Teilinhalten aus. Nachdem Hegel in der Systemvorlesung vom Wintersemester 1804/05, deren Zustandekommen belegt ist, auch die Logik und Metaphysik ausführlich behandelt hatte, las er gegen Ende der Jenaer Zeit noch zweimal über Logik, die nunmehr zur spekulativen, die Metaphysik in sich enthaltenden Logik wurde, nämlich im Sommersemester 1805 — bei Ankündigung des Gesamtsystems — und im Sommersemester 1806 mit Verweis auf sein demnächst erscheinendes Buch: System der Wissenschaß: er trug 1806 jedoch offenbar Phänomenologie und Logik ^ Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (s. Anm. 4). 77; vgl. auch 12 f, 179 f. 10 Vgl. z. B. ebd. 71.
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vor. ROSENKRANZ besaß von dieser Vorlesung vom Sommer 1806 noch einen „Auszug aus dem Ganzen''^ offenbar von Phänomenologie und Logik, der heute verschollen ist. GABLER, der damals Hegels Zuhörer war, berichtet, daß Hegel die Logik „nur im Grundrisse und im Anschlüsse an die Phänomenologie" vortrug. — Die Buchankündigung, die Hegel mit der Vorlesungsankündigung für das Wintersemester 1806/07 verknüpfte, ist nicht ganz eindeutig, enthält aber schon den Hinweis auf die Phänomenologie, auf die dann in der Logik- und- Metaphysik-Ankündigung für das Sommersemester 1807 als erschienenes Buch unzweifelhaft verwiesen wird. Hegel las — wie erwähnt — sehr wahrscheinlich trotz seiner Ankündigungen vom Wintersemester 1806/07 an in Jena nicht mehr. Nur ein einziges Mal kündigte Hegel in Jena an, er werde eine Vorlesung halten über „introductionem in Philosophiam", nämlich für das Wintersemester 1801/02.13 Von dieser Einleitungsvorlesung sind Vorlesungsmanuskripte Hegels vermutlich aus den Anfangspartien über das „Bedürfnis" nach Philosophie und eine vierteilige Systemskizze erhalten, die in Band 5 der historisch-kritischen Ausgabe erscheinen. Schon ROSENKRANZ berichtete teilweise darüber.Der bereits genannte Aushang für die Studenten über Hegels Vorlesungen im Wintersemester 1801/02, der neben der Vorlesung über Logik und Metaphysik auch diejenige über die Einleitung anführt, setzt den Beginn dieser Einleitungsvorlesung auf den 20. 10. 1801 fest. Inwieweit Hegel die Vorlesung durchführte, darüber haben sich keine Zeugnisse erhalten. — Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß ein Nachschriftenheft, dem ROSENKRANZ die allgemeine Inhaltsbeschreibung gab: „Einleitung in die Philosophie. Nachschrift aus einem Heft, worin der Übergang aus der Logik in die Realphilosophie. Phaenomenologie."!® — ohne Jahresangabe — sich auf diese Einleitungsvorlesung bezieht; zu welcher Vorlesung das Heft gehören könnte, muß offenbleiben; es ist seither verschollen. Fünfmal kündigte Hegel in Jena: „Jus naturae" an, nämlich für jedes Semester vom Sommer 1802 bis zum Winter 1803/04 sowie für das Sommersemester 1805. Belege dafür, daß eine von diesen Vorlesungen stattfand, sind nicht erhalten, Rosenkranz: Hegels Leben. 214. Vgl. zum Ende dieser Vorlesung am 18. 9. 1806 ebd. 214 f; wahrscheinlich stammt auch das Zitat 212—214 aus dieser Vorlesung. 13 Vgl. Dokumente . . . (s. Anm. 1). 71. — Zur Entstehungsgeschichte des Werks vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd9. Hrsg, von W. Bonsiepen und R. Heede. Hamburg 1980. 456—464. 13 Vgl. Dokumente . . . (s. Anm. 1). 53. 11 Vgl. Rosenkranz: Hegels Leben. 179. 15 Vgl. den editorischen Bericht über Hegels Vorlesungsmanuskripte zur Introductio-Vorlesung in: Hegel: Gesammelte Werke. Bd 5. Hrsg, von M. Baum und K. R. Meist usw. Erscheint demnächst. — Erwähnt sei noch, daß Hegel mit Schelling ein Disputatorium für das Wintersemester 1801/02 ankündigte, das auch stattfand, ein Disputierseminar, das keine Vorlesung war; vgl. dazu F. Nicolin: Aus Schellings und Hegels Disputatorium im Winter 1801/ 02. In: Hegel-Studien. 9 (1974), 43-48. 15 Der erwähnte Hinweis von H. Crabb Robinson, Hegel habe im Wintersemester 1802/03 „seine angekündigte Vorlesungen nicht zu Stande gebracht", könnte evtl, die Naturrechtsvorlesung betreffen; vgl. oben Anm. 7 und den entsprechenden Text. — Vermutlich gehören die von Rosenkranz (Hegels Leben, 132—141) zitierten und referierten Partien aus heute verschollenen Hegel-Manuskripten zu diesen Naturrechtsvorlesungen.
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Es ist freilich unwahrscheinlich, daß keine Naturrechtsvorlesung zustande gekommen sein sollte. Ferner könnte der Naturrechtsaufsatz, dessen erste Hälfte Ende 1802, dessen zweite Hälfte im Frühling 1803 erschien, auf Entwürfe zu einer Naturrechtsvorlesung zurückgreifen; insbesondere dürfte das Reinschriftfragment zum System der Sittlichkeit von 1802/03 wohl auf derartigen Vorlesungsentwürfen aufbauen. — In diesen Kontext gehört auch Hegels mißglückter Versuch, im Frühjahr 1802 eine Gratis-Vorlesung über Kritik des FiCHTEschen Naturrechts anzukündigeni^; sie war entweder für das eben beginnende Sommersemester oder für das folgende Wintersemester geplant; das Abhalten von Gratis-Vorlesungen aber blieb Privatdozenten, somit auch Hegel untersagt. Zwischen dem Sommersemester 1803 und dem Sommersemester 1805 kündigte Hegel fünfmal in variierenden Formulierungen Vorlesungen über sein gesamtes System an, das schon damals jeweils dreiteilig war und a) Logik und Metaphysik oder später: spekulative Philosophie, b) Philosophie der Natur und c) Philosophie des Geistes umfaßte. Für den Sommer 1803 kündigte er an: „Philosophiae universae delineationem“, für den Winter 1803/04: „philosophiae speculativae systema" — es ist das einzige Mal, daß Hegel in diesen Ankündigungen den Terminus: „spekulative Philosophie" auf das Gesamtsystem ausdehnt —, für den Sommer 1804: „philosophiae systema Universum", für den Winfer 1804/05 und den Sommer 1805: „totam philosophiae scientiam"; die letzte Ankündigung enthielt zugleich den Hinweis auf ein bald erscheinendes Buch; es folgen in den Ankündigungen in der Regel die drei Systemteile.Im Sommersemester 1804 wollte Hegel die Systemvorlesung auf zwei Vorlesungen verteilen; nach ROSENKRANZ fanden diese Vorlesungen aber nicht statti^; in der Tat fehlen Belege. Ohne Beleg ist ferner die Vorlesung vom Sommer 1803. Im Sommer 1805 las er, wie erwähnt, statt des Systems nur Logik. Belegt durch Zuhörerlisten, fanden die Vorlesungen der Wintersemester 1803/04 und 1804/05 statt. Während vom Sommer 1803 nur einzelne fragmentarische Entwürfe zur Geistesphilosophie, darunter die ersten zu einer Ästhetik, von Hegels Hand erhalten sind, die wohl Vorlesungsentwürfe darstellen und die in Band 5 der historisch-kritischen Hegel-Ausgabe publiziert werden, ist für das Wintersemester 1803/04 Hegels ausgeführtes Vorlesungsmanuskript mit nahezu durchgehend zwei Bearbeitungsstufen fast vollständig erhalten; es wurde in Band 6 dieser Hegel-Ausgabe als Jenaer Systementwürfe I ediert.In ihm fehlen Logik und Metaphysik, die Hegel, da er sie mit angekündigt hatte, vielleicht nach einem älteren Manuskript las. Die Naturphilosophie wird zum ersten Mal von Hegel ausführlich und vollständig mit Potenzenstufungen dargelegt. Die Geistesphilosophie ist Vgl. Dokumente . . . (s. Anm. 1). 56 ff, 78, 79; Hegel: Gesammelte Werke. Bd 5, s. den editorischen Bericht zum System der Sittlichkeit. 18 Dokumente . . . (s. Anm. 1). 54. 1® Rosenkranz: Hegels Leben. 161. Vgl. auch Dokumente . . . (s. Anm. 1). 45 Anm. 4, auch 78. — Zu den Belegen für die Wintersemester 1803/04 und 1804/05 vgl. 60 f. 78 Hegel: Gesammelte Werke. Bd 6. Hrsg, von H. Kinunerle und K. Düsing. Hamburg 1975. — Auf die Angabe von Beilagen wird hier und im Folgenden verzichtet.
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nicht abgeschlossen; sie enthält erstmals das Konzept einer systematischen Geschichte des Selbstbewußtseins bei Hegel sowie eine erste von ihm verfaßte Anerkennungstheorie. Vom Wintersemester 1804/05 ist ein umfangreiches Reinschriftmanuskript erhalten, das sehr wahrscheinlich auf frühere Entwürfe, die Hegel wohl zu Vorlesungszwecken ausarbeitete, zurückgeht und insbesondere in Teilen der Logik z. T. hastige Überarbeitungen — vermutlich zur Verwendung der bereits fertiggestellten Reinschrift in einer Vorlesung — aufweist. Dies Manuskript ist als Jenaer Systementwürfe II in Band 7 der historisch-kritischen Hegel-Ausgabe veröffentlicht.Es fehlen — abgesehen von verschiedenen Seiten im Manuskript — die Einleitung und der Anfang der Logik. Das Manuskript hört mitten in der Naturphilosophie auf; die Geistesphilosophie ist hier nicht ausgearbeitet. Dieser Systementwurf weist grundlegende Neuerungen Hegels auf. In die Logik werden metaphysische Gehalte, wird insbesondere die Unendlichkeit als Kategorie aufgenommen, so daß die Logik nicht mehr reine Einleitung in die Metaphysik sein kann. Die von der Logik noch unterschiedene Metaphysik vollendet sich nicht mehr in der Bestimmung der absoluten Substanz, sondern bestimmt diese fort zum absoluten Geist und zur absoluten Subjektivität. Die Dialektik konzipiert Hegel hier erstmals als spekulative Methode und führt sie nunmehr zumindest dem Ansatz nach im ganzen System durch. Gegen Ende seiner Jenaer Zeit kündigte Hegel viermal — in der Formulierung leicht varüerend — an, er werde über „Philosophiam naturae et mentis" lesen^z, nämlich für den Winter 1805/06, den Sommer 1806, den Winter 1806/07 und den Sommer 1807. Für den Sommer 1806 zeigt die Zuhörerliste, daß die Vorlesung stattfand; für die anderen Vorlesungen fehlen Belege. Die letzten beiden Ankündigungen realisierte Hegel, wie erwähnt, offensichtlich nicht mehr. — Von der Natur- und Geistesphilosophie von 1805/06 ist mit einzelnen Vorarbeiten ein großes Manuskript Hegels erhalten, das offenbar Vorlesungszwecken diente und in der historisch-kritischen Hegel-Ausgabe als Jenaer Systementwürfe III veröffentlicht wurde.23 In ihm hat Hegel weitere gravierende systematische Veränderungen vorgenommen. Logik und Metaphysik sind hier zwar nicht ausgeführt, aber am Ende skizziert; sie sind vereinigt zur spekulativen Philosophie. Die Naturphilosophie beginnt anders als früher mit einer Himmelsmechanik; sie verwendet ferner — ebenfalls anders als früher — in Fortführung ARiSTOXELischen Denkens den Zweckbegriff sowie vielfach die Argumentationsfigur des Schlusses, der inhalt21 Hegel: Gesammelte Werke. Bd 7. Hrsg, von R.-P. Horstmann und J. H. Trede. Hamburg 1971. 22 Dokumente ... (s. Anm. 1). 55 f; vgl. auch die Zuhörerliste vom Sommer 1806 ebd. 63 f. — Über Natur- und Geistesphilosophie las Hegel auch innerhalb seiner Systemvorlesungen, wie zumindest das Vorlesungsmanuskript von 1803/04 beweist. 23 Hegel: Gesammelte Werke. Bd 8. Unter Mitarbeit von J. H. Trede hrsg. von R.-P. Horstmann. Hamburg 1976. — Rosenkranz (Hegels Leben, 192 und 214) referiert kurz aus der Vorlesung vom Sommer 1806 (das Zitat 192 f gehört vermutlich in einen früheren Vorlesungskontext).
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lieh bestimmt ist. Die Geistesphilosophie hebt deutlicher als zuvor die Freiheit des Einzelnen heraus; sie differenziert zudem erstmals klar zwischen den drei Stufen des absolufen, sich selbst begreifenden Geistes, nämlich Kunst, Religion und philosophische Wissenschaft, ohne damit schon drei Teile der Philosophie des absoluten Geistes zu unterscheiden. Erwähnt sei nur, daß Hegel gegen Ende der Jenaer Zeit viermal Mathematik-Vorlesungen nach einem Arithmetik-Buch von STAHL und einem Geometrie-Buch von LORENZ ankündigte, nämlich für den Winter 1805/06, den Sommer 1806, den Winter 1806/07 und den Sommer 1807.^4 Für die letzten drei Vorlesungen liegen keine Belege vor; von der Mathematik-Vorlesung des Winters 1805/06, die stattgefunden hat, erklärt Hegels Jenaer Schüler GABLER, dieser habe ihm für Mafhematik erst das rechte Verständnis geweckt.^5 Schließlich kündigte Hegel am Ende seiner Jenaer Zeit zweimal an, er werde über „Historiam philosophiae“ lesen, nämlich für das Wintersemester 1805/06 und das Sommersemester 1807. Stattgefunden hat die Vorlesung über Geschichte der Philosophie im Winter 1805/06, wie GABLERS und ROSENKRANZ' Berichte zeigen; es ist Hegels erste Vorlesung hierüber, die dann zur Grundlage seiner späteren Berliner Vorlesungen über „Geschichte der Philosophie" wurde. MICHELET, der Herausgeber dieser Berliner Vorlesungen, besaß noch Hegels Jenaer „Heft", d. h. dessen Manuskript für die Vorlesung von 1805/06, und verwandte es mit bei seiner Edition; MICHELET erklärt, Hegel habe es auch seinen Berliner Vorlesungen über Geschichte der Philosophie zugrunde gelegt und vielfach erweitert. So finden sich in MICHELETS Edition vereinzelte Hinweise auf die Zeit von 1805/06^^; doch lassen sich die Partien des Jenaer „Heftes", das seither verschollen ist, nicht mehr eindeutig von den Berliner Partien in dieser Edition unterscheiden. — GABLER, der auch diese Vorlesung hörte, berichtet, Hegel habe „unter dem fleißigsten und anhaltendsten Quellenstudium", wozu insbesondere das Studium der Werke des ARISTOTELES gehörte, seine Vorlesung ausgearbeitet; er habe eine „damals unerhört neue dialektische Fortführung von System zu System" dargelegt und zur „Verwunderung" der Zuhörer schließlich auch von SCHELLINGS System gezeigt, daß es „noch unvollendet" sei.27 Hegels Prinzip der Korrespondenz dialektischer und geschichtlicher Entwicklung in der Abfolge der philosophischen Systeme und vermutlich auch die Auffassung, diese Abfolge erreiche ersf in seinem eigenen System die Vollendung, sind also schon in der Jenaer Vorlesung von 1805/06 vorgebildet.
24 Dokumente . . . (s. Anm. 1). 55 f. 25 Vgl. Dokumente. . . (s. Anm. 1). 69. 25 Vgl. hierüber z. B. vom Verf.: Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Hegel-Studien. 8 (1973), bes. 125 Anm. 14. — Vgl. auch unten in diesem Bande die Darlegungen zu Hegels Berliner Vorlesungen über „Geschichte der Philosophie". 27 Dokumente . . . (s. Anm. 1). 69 f.Vgl. Rosenkranz: Hegels Leben. 217, auch 201 f.
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Während GABLER als glühender Verehrer Hegels von dessen Vortragsstil nur erwähnt, daß Hegel mit „gewohntem philosophischen Ernste" sprach, der selten einmal auf externe Veranlassung hin unterbrochen wurde^^, äußerten sich weniger Beteiligte ganz anders. Geradezu vernichtend ist die Charakterisierung von Hegels Vortragsstil — noch zu Beginn der Jenaer Zeit — durch HENRY CRABB ROBINSON: „Ich hörte den armen Hegel [sic!] ein Mahl. Sie können sich nichts so erbärmlich wie sein Vortrag [vorstellen]. Er hustete, rauspetete, stotterte, konnte keine zwei Sätzen bestimmt aussprechen. "^9 Deutlich milder ist die Schilderung bei ROSENKRANZ, der nur die „schlichte Manier Hegels", die ganz „auf die Sache gerichtet" war, gegen die rhetorische Brillanz im Vortrag von SCHELLING abhebt, der damit und natürlich durch den philosophischen Inhalt Glanzerfolge in Jena erzielte.30 GOETHE, der Hegel offenbar schon am 21. 10. 1801 kennengelernt hatteOi, blieb bei seinem ungünstigen Urteil über Hegels Vortragsart auch, als SCHILI ER — nach ScHELLiNGS Weggang von Jena — sich ihm gegenüber am 9. 11. 1803 hoffnungsvoll äußerte, die Philosophie werde in Jena nicht verstummen; „unser Dr. Hegel soll viel Zuhörer bekommen haben, die selbst mit seinem Vortrage nicht unzufrieden sind"32. SCHILLER und GOETHE suchten Hegels Vortragsstil dann durch eine Begegnung Hegels mit FERNOW ZU verbessern; doch wurde daraus offenbar nicht viel. Immerhin bezeugt ein Student LANGE an KRAUSE im Frühjahr 1805: „Hegels Vortrag hat sich sehr gebessert. "33 — Hegel selbst sah später ein, daß sein Vortrag nicht nur des spekulativ befrachteten Gehaltes wegen so wenig verstanden wurde. Er bekennt 1816 an FROMMANN, er sei in Jena noch Anfänger gewesen und — wie er sagt — „im mündlichen Vortrag an den Buchstaben meines Heftes gebunden" geblieben. 34 Schenkt man den späteren Schilderungen von Hegels Vortragsstil in Berlin Glauben, so hatte diese selbstkritische Einsicht nicht sonderlich nachhaltige Auswirkungen. So war Hegels Vorlesungstätigkeit in Jena in den ersten Semestern teilweise von bitteren Mißerfolgen gekennzeichnet, da er mehrfach Vorlesungen wegen Hörermangels abbrechen bzw. ausfallen lassen mußte; erst später erreichte er einen gewissen Lehrerfolg, der jedoch im Vergleich zu den großen Erfolgen SCHELLINGS oder gar FICHTES bescheiden blieb. Mit dieser allenfalls mäßigen Bilanz äußerer Wirksamkeit in Jena kontrastiert auf das entschiedenste der spekulative Gehalt der Vorlesungen und die Entwicklung des Hegelschen Denkens, die originel-
38 Vgl. Dokumente. . . (s. Anm. 1). 71, auch 70. 39 Hertha Marquardt: Henry Crabb Robinson (s. Anm. 7). 84. 39 Vgl. Rosenkranz: Hegels Leben. 160. 33 Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von G. Nicolin. Hamburg 1970. 39. 33 Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Hrsg, von P. Stapf. Berlin, Darmstadt 1960. 805; zum Folgenden vgl. 806. Hegel hatte im Wintersemester 1803/04 in seiner System-Vorlesung laut Zuhörerliste 30 Hörer; vgl. Dokumente . . . (s, Anm. 1), 60. 33 S. Dokumente . .. (s. Anm. 1). 84. 34 Hegel an Frommann, 14. 4. 1816. In: Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1952—1954. 3. Aufl. Hamburg 1969. Bd2. 73.
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1er, variantenreicher und umwälzender kaum sein konnte, als sie in Jena war. Die Entscheidung für die Metaphysik des Absoluten als Wissenschaft fiel mit dem Übergang von Frankfurt nach Jena und war sicherlich eigenständig. Innerhalb der Jenaer Phase gelangte Hegel, was sich speziell in den Vorlesungen zeigt, von der Metaphysik der absoluten Substanz, wie er sie zunächst vertrat, zur Metaphysik der absoluten Subjektivität sowie von einer negativ bleibenden Dialektik, wie er sie zuerst in Jena konzipierte, zur spekulativen Dialektik; ferner gelangte er zur Ausbildung des Gesamtsystems im Detail mit vielfach versuchfen Alternativen. So wurde in Jena der Grund gelegt für Hegels reifes System. Für eine Edition von Nachschriften dieser Vorlesungen hat sich nach heutiger Kenntnis nur die Nachschrift von I. P. V. TROXLER erhalten; sie betrifft Hegels erste Vorlesung über „Logik und Metaphysik" vom Wintersemester 1801/02 und wird im ersten Band der Abteilung 2 von Hegels Gesammelten Werken ediert. Klaus Düsing (Köln)
HEGELS LOGIK-VORLESUNG AUS DEM JAHRE 1817
I. Ein glücklicher Zufall ereignete sich 1984, als der heutige Besitzer eines der bedeutendsten Privatarchive der Schweiz, der Kunsthistoriker Dr. FRANZ ANTON GOOD (Luzern), bei archivarischen Ordnungsarbeiten unter den Manuskripten seines Urgroßvaters gleichen Namens die Nachschrift einer Hegel-Vorlesung entdeckte, die dieser als junger studiosus iuris 1817 während seiner Studienzeit in Heidelberg bei Hegel mitgeschrieben hat. Die Nachschrift trägt den Titel Logik und Metaphysik, vorgetragen von Hn. Prof. Hegel nach seiner Encyklopedie der phil. Wissenschaften, im Sommersemester 1817. Weitere Recherchen brachten noch eine stattliche Anzahl mehr oder weniger bedeutender Kollegnachschriften ans Licht, darunter auch Nachschriften zu Vorlesungen von Hegels Vorgänger in Heidelberg, JAKOB FRIEDRICH FRIES, über Verschiedene Noten und Erklärungen aus dem Collegium der Physik aus dem Wintersemester 1815/16 und über Psychologie aus dem Sommersemester 1816. Während die letzteren von Prof. Dr. KöNIG von der Universität Bochum, dem Herausgeber der pRiES-Werke, ausgewertet werden, bereitet das Philosophische Institut an der Theologischen Fakultät Luzern die Edition der Hegel-Mitschrift vor, die in der Reihe Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen, Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte beim Meiner-Verlag erscheinen soll. Die Auffindung der Nachschriften zieht in zweierlei Hinsicht das Interesse auf sich, zum einen in historischer, insbesondere lokalhistorischer, zum anderen in philosophischer; in ersterer deswegen, weil sie Einblick in das Leben eines Angehörigen einer bedeutenden Schweizer Familie gewährt, in letzterer deswegen, weil die Schrift über Logik und Metaphysik Aufschluß über die Hegelsche Gedan-
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kenentwicklung zwischen 1817 und 1827, der ersten und zweiten Ausgabe der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, gibtd II. FRANZ ANTON GOOD (1793—1866), der Mitschreiber der Hegel-Vorlesung, war der Zweitälteste Sohn des Arztes und Politikers FRANZ ANTON GOOD (1755—1818) aus Meis. Er wurde schon früh für eine juristische Laufbahn bestimmt. Seine Schulbildung erhielt er an der Schulanstalt des Benediktinerklosters Pfäfers, an der er die ersten vier Gymnasialklassen absolvierte, dann ab 1808 für zwei Jahre am Gymnasium Katholischer Fundation in St. Gallen, deren obere Gymnasialklassen er besuchte, zu deren Fächern auch Poetik und Rhetorik zählten, und anschließend am Lyceum in Luzern, wo er drei Jahre weilte. In einem Nachruf auf GOOD heißt es wörtlich; „Aus St. Gallen zog es die studierenden Jünglinge der östlichen Schweiz damals häufig an das Lyceum in Luzern, wo berühmte Lehrer den philosophischen und theologischen Kursen vorstanden. FRANZ ANTON GOOD . . . erwarb sich ganz ausgezeichnete . . . Zeugnisse aus den verschiedenen philosophischen Fächern, inbegriffen die physikalischen Wissenschaften. Mit dieser Vorbildung begab sich FRANZ ANTON GOOD — wie damals übrigens viele Angehörige wohlhabender und gebildeter Schweizer Familien, so etwa auch sein Freund CARL BURCKHARDT aus der bekannten Basler Historiker-Familie — zum Studium ins benachbarte Ausland an die für Jurisprudenz führende Universität Heidelberg, wo er vier Semester lang, vom Wintersemester 1815/16 bis zum Sommersemester 1817, studierte; anschließend ging er an die Universität Göttingen, wo er allerdings nur ein Semester lang blieb und von wo er wegen des frühen Todes seines Vaters in seine Heimat zurückgerufen wurde. Über sein Studium läßt sich ein recht genaues Bild machen, da nicht nur das Testat sämtlicher Vorlesungsbesuche an der Universität Heidelberg durch den Prorektor ZACHARIä erhalten ist — für Göttingen fehlt ein solches —, sondern auch alle Vorlesungsnachschriften aus der Heidelberger und Göttinger Studienzeit. Das hier erstmals veröffentlichte Generaltestat lautet: „Wir Prorector und übrigen Mitglieder des akademischen Senats der Grosherzoglich-Badischen Universität Heidelberg bezeugen hierdurch, daß der am 7ten November 1815. als hiesiger Akademiker immatriculirte Studiosus juris FRANZ ANTON GOOD aus Meis im Canton St Gallen, während seines bisherigen hiesigen Aufenthalts folgende Vorlesungen, und zwar: im Wintersemester 1815 — 16. über Encyclopädie der Naturwissenschaften und Experimental-Physik, Geschichte des Mittelalters, juristische Encyclopädie und Methodologie und Institutionen des römischen Rechts; im Sommersemester 1816. über Psychologie, Völkerrecht, Geschichte des römischen Rechts, juristische Hermeneutik
^ Über biographische Einzelheiten der Familie hat bereits Beat Wyss berichtet: Fund einer Hegel-Nachschriß aus dem Jahr 1817. In; Hegel-Studien. 19 (1984), 469 f. Seine Mitteilungen werden hier ergänzt durch Berichte und Zeugnisse, die Herr Dr. Good zur Verfügung gestellt hat. 2 Neues Tagblatt aus der östlichen Schweiz vom 28. Juli 1866, Nr 168, S. 682.
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und Theorie des Civilprocesses; im Wintersemester 1816. — 17. über Pandecten, Criminalrecht und gerichtliche Arzneywissenschaft; in dem eben verflossenen Sommersemester endlich, über Logik und Metaphysik, Naturrecht verbunden mit der Politik und Philosophie der positiven Gesetze, den Code Napoleon, allgemeines und deutsches Staatsrecht und Civilproceßpraxis; sämmtlich mit vorzüglichem Fleiß und ausgezeichneter Aufmerksamkeit besucht, auch in dem letztem Collegio gute Rechtskenntnisse bewiesen und übrigens, ohne die geringste Ausnahme, gesetzmäßig und anständig sich betragen habe. Urkundlich der gewöhnlichen Unterschrift und des vorgedruckten großem Universitäts-lnsiegels, Heidelberg am 4ten October 1817 S. K. ZACHARIä d. Z. Pror. Jolly Universitäts-Amtmann. Vt Maurer." Den Unterlagen ist zu entnehmen, daß der junge Studiosus neben seinem Hauptfach Jura auch Vorlesungen aus dem Gebiet der Philosophie, der Geschichte und der damals noch zur Philosophischen Fakultät gehörenden Physik und Psychologie belegte und damit ein weitgespanntes Interesse zu erkennen gab. So hörte er mehrere Semester lang Philosophie, zunächst bei FRIES, Hegels Vorgänger auf dem Heidelberger Lehrstuhl, dann ein Semester lang bei Hegel. Wie die meisten kritischen jungen Leute zu allen Zeiten war auch GOOD politisch engagiert, und zwar, wie wir heute sagen würden, antiautoritär, liberal, demokratisch. Nicht nur beteiligte er sich 1814 an den Melser Unruhen und „Aufläufen" gegen die Restauration als Sekretär der aufständischen Demokraten und wurde wie sein Vater und Bruder MARTIN — Arzt in Flums — zu einer Geldbuße verurteilt, die allerdings wegen seiner Vermögenslosigkeit ausgesetzt wurde; er stand auch während seiner Studentenzeit der Burschenschaft nahe, war 1817 Mitbegründer der Burschenschaft in Heidelberg und ist mehrfach mit dem Burschenschaftler CARL LUDWIG SAND, dem späteren Mörder des Dichters KOTZEBUE, zusammengetroffen. Mit ihm tauschte er Stammblätter aus, die ebenfalls im Nachlaß erhalten sind. Nach der Rückkehr nach Meis begann GOOD seine juristische Laufbahn als praktischer Rechtsanwalt und Gemeindebeamter. Mit dem Anbruch der Regeneration 1830/31 eröffnete sich für ihn eine politische Karriere, er wurde in den Verfassungsrat berufen, gehörte seit 1833 für mehr als zwei Jahrzehnte dem Großen Rat von St. Gallen, dem höchsten Regierungsgremium des Kantons, an und starb nach einem erfüllten politischen Leben am 7. Juli 1866 in seinem Heimatort Meis. Die Tagebücher GOODS aus den Jahren 1818 bis 1866 vermitteln Einblick nicht nur in sein äußeres, an Begegnungen reiches Leben, sondern auch in seine Gedanken- und Gefühlswelt sowie seine Überzeugungen. Sie lassen das Büd einer vielseitig interessierten Persönlichkeit erkennen. GOOD stand mit zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Kontakt, nicht weniger mit Philosophen und Dichtern, wie z. B. JEAN PAUL FRIEDRICH RICHTER und JOHANN GAUDENZ VON SALIS-SEEWIS, zugleich Generalstabschef der Helvetischen Armee. Der Naturfor-
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sehenden Gesellschaft der Schweiz war er ebenso verbunden wie der Bewegung des Phühellenismus. Auf FRANZ ANTON GOOD geht auch der Ursprung der Bibliothek zurück, die heute in Luzern unter dem Namen Archiv und Bibliothek der Herren Good geführt wird und zu den größten und bedeutendsten Privatbibliotheken der Schweiz zählt. Einen Einblick in ihren Umfang vermittelt die Zusammenstellung des St. Gallischen Staats- und Stiftsarchivars FRANZ PERRET in seinem Beitrag Grundzüge der Geschichte von Mels^, wo neben Philosophien und Theologien auch luridica, Medica, Chirurgien, Pharmaceutica, Architectonica, Militaria, Geographica, Historien, belletristische Werke und eine Reihe von Wörterbüchern und Nachschlagewerken genannt werden. III. — Mit größter Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der Nachschrift um ein Diktat Hegels und damit um eine authentische Wiedergabe Hegelscher Gedanken und Argumente, was diese Schrift für die Forschung besonders wertvoll macht. Der damalige Vorlesungsbetrieb kannte drei Formen des Vortrags: das Lesen nach Diktaten, wobei der Vorlesungsstoff diktiert wurde; das Lesen nach eigenen oder fremden Kompendien, wie es z. B. KANT tat, indem er BAUMGARTENS Metaphysica oder MEIERS Auszug aus der Vernunftlehre, die als Schulbücher galten, kommentierte und die abstrakten Definitionen durch Beispiele erläuterte; schließlich den freien Vortrag, wie ihn FICHTE eingeführt hat, indem er seine eigene Wissenschaf tslehre immer wieder unter verschiedenen Aspekten präsentierte. Hegel hat während seiner Jenaer und Heidelberger Lehrtätigkeit und teilweise auch noch während seiner Berliner Zeit nach Diktaten gelesen, wobei er den Haupttext diktierte und die Anmerkungen mehr oder weniger frei extemporierte. Obwohl Hegel die Vorlesung über Logik und Metaphysik vom Sommersemester 1817 nicht ausdrücklich in dieser Weise angekündigt hat, sprechen eine Reihe von Indizien formaler wie inhaltlicher Art für ein Diktat. (1) Das erhaltene Manuskript macht einen äußerst akkuraten, sauberen und ordentlichen Eindruck. Die Schriftzüge sind ruhig, gleichmäßig und weisen nur wenige Streichungen, Verbesserungen und Dittographien auf. (2) Unmittelbar im Kolleg mitgeschriebene Texte enthalten gewöhnlich nur kurze, kryptische Sätze, die sich auf die wichtigen Substantive beschränken und die weniger wichtigen Verben auslassen, da sie den Sinn des Gesprochenen festhalten wollen. Demgegenüber besteht der überlieferte Text durchgehend aus wohlformulierten Sätzen, oft von hoher Komplexität und Schachtelung. Könnten diese Argumente auch noch für eine häusliche Reinschrift sprechen, wie sie zur damaligen Zeit üblich war und oft von professionellen Schreibern, die sich ein Zubrot verdienten, aufgrund des Notizenmaterials der Vorlesungen angefertigt wurde, gelegentlich auch von den Teilnehmern der Vorlesung selbst, so scheidet diese Möglichkeit aus folgenden Gründen aus: 3 In: Geschichte der Gemeinde Meis. Hrsg, von P. Good. Meis 1973. 172—174.
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(1) Aufgrund eines Vergleichs mit anderen Kollegheften GOODS, Tagebucheintragungen, Stammblättern usw. besteht keinerlei Zweifel, daß alle aus derselben Feder stammen, nämlich aus der GOODS, und nicht aus der eines fremden Schreibers. (2) Eine Reinschrift durch einen professionellen Schreiber scheidet schon deswegen aus, weil diesem nicht Fehler unterlaufen wären, die GOOD unterlaufen sind. GOOD war Student der Jurisprudenz, nicht der Philosophie. Eine gewisse Unvertrautheit mit philosophischer Fachterminologie zeigt sich beispielsweise in der fehlerhaften Schreibweise von Eigennamen und Schulrichtungen, wenn sie das erste Mal auftreten, während sie bei wiederholtem Vorkommen richtig geschrieben werden. Beispiele dafür sind „Huge" statt „HUME" oder „Eneatisch" statt „Eleatisch". (3) Für ein unmittelbares Diktat und gegen eine nachträgliche Reinschrift spricht nicht nur die Tatsache, daß die Nachschrift am Ende, einem damaligen Brauch folgend, das Datum des Kollegschlusses angibt, sondern auch nahezu alle Vorlesungstage und zum Teil sogar Vorlesungsstunden am Rand der Seiten notiert. Hinzu kommt, daß sich nach den Datumsangaben Wetterangaben am Rand des Manuskripts finden, was entschieden gegen eine später erstellte häusliche Arbeit spricht. (4) Obwohl das Schriftbild durchgängig ebenmäßig wirkt, wechseln bei genauerer Betrachtung die Schriftzüge analog den einzelnen Datumsangaben und zeugen gegen Ende einer Vorlesung gelegentlich von Ermüdungserscheinungen, indem die Schrift nachlässiger, flüchtiger wird, während sie in der nächsten Vorlesungsstunde wieder eng, komprimiert, gleichmäßig einsetzt. (5) Das Quantum des in einer Vorlesung Mitgeschriebenen, etwa anderthalb bis zweieinhalb Seiten, entspricht einer Vorlesungsstunde. (6) Die einzelne Vorlesung bricht ab ohne Rücksicht auf Paragraphenenden oder inhaltliche Einschnitte, offensichtlich genau mit dem Glockenschlag, und wird in der nächsten Stunde fortgesetzt. (7) Die Vorlesung enthält teilweise hochkomplexe und geschachtelte Sätze, wie sie für Hegel typisch sind, von einem normalen Schreiber aber vermieden werden. Diese Indizienkette läßt keinen Zweifel aufkommen, daß wir es mit einem Diktat und folglich mit einem authentischen Text Hegels zu tun haben. Im Vergleich zu den meisten anderen Vorlesungsnachschriften liegt hier eine von Anfang an nahezu perfekte Wiedergabe des Hegelschen Gedankenganges vor. Eine Ausnahme bilden allenfalls die Anmerkungen, die Hegel zum Haupttext diktierte und die Beispiele und Erläuterungen zu dem im Haupttext Dargestellten bringen. Ein gelegentliches Extemporieren kann hier nicht ganz ausgeschlossen werden, insbesondere mit fortschreitender Vorlesung. Zu konstatieren sind drei Auffälligkeiten: (1) die gelegentlich fragmentarische, sprunghafte, unverbunden wirkende Aneinanderreihung von Beispielssätzen, die darauf deuten könnte, daß die Angabe
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spontan erfolgte oder bei der Mitschrift der eine oder andere Satz ausgelassen wurde, (2) die zuweilen ungeschickten Formulierungen, die entweder auf einen unausgereiften und sprachlich nicht exakt formulierten Gedanken Hegels deuten, wie dies für mündliche Vorträge nicht atypisch ist, oder auf mangelnde Auffassung und unkorrekte Wiedergabe GOODS, und (3) die hin und wieder vorkommenden Wendungen des alltäglichen Sprachgebrauchs und Verweise auf Allgemeinplätze, z. B. „man sagt. . „man fragt unmittelbar . . die auf eine Improvisation schließen lassen. — Besondere Bedeutung kommt der Vorlesungsmitschrift zweifellos für die Rekonstruktion der Hegelschen Gedankenentwicklung in den Jahren 1817 bis 1827, den Erscheinungsjahren der ersten und zweiten Ausgabe der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen im Grundrisse, zu, auf deren erste Fassung die Vorlesung Bezug nimmt. Gegenüber dem eher schmalen Umfang der ersten Ausgabe ist die zweite — Gleiches gilt für die dritte — auf das Doppelte der Seitenzahl angewachsen, sie enthält 100 Paragraphen mehr, dazu eine Ausarbeitung des sog. „Vorbegriffs", in dem die Darstellung der zeitgenössischen Philosophien zu einer Abhandlung über grundlegende epistemologische Fragen hinsichtlich der Beziehung zwischen Denken und Sein vertieft ist, und sie nimmt teilweise eine Neugestaltung der Kategorienabfolge vor. Aus diesem Grunde spielt gerade die Vorlesung über Logik und Metaphysik von 1817, die schon im Untertitel Bezug auf die 1817 gerade im Erscheinen begriffene Enzyklopädie nimmt und von Hegel in der Absicht einer Kommentierung derselben konzipiert worden ist, für die inhaltliche Entwicklung zwischen der ersten und zweiten Ausgabe eine so große Rolle. Die Abfassung der Enzyklopädie von 1817 hatte einen mehr äußerlichen Anlaß. Sie sollte einen Leitfaden für Hegels Vorlesungstätigkeit abgeben. Die Aufgabe der Enzyklopädie war daher eine zweifache: Zum einen sollte sie einen Überblick über das Gesamtsystem der Philosophie mit allen Teilgebieten: der Logik, der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes sowie deren weiteren Unterteilungen verschaffen. Zum anderen sollte sie einen schematischen Abriß der Gedankenbestimmungen — der Kategorien als Manifestationen der Idee bzw. des Geistes — und ihrer Entwicklung durch die diversen Teilgebiete der Philosophie geben. Daraus resultierte naturgemäß für den Leser des gedruckten Textes ein zweifacher Mangel: Einerseits fehlte der schematischen Darstellung inhaltlich die Ausführlichkeit, die nur durch Beispiele und Erläuterungen der sonst trocken und dürre bleibenden Paragraphen erreicht werden kann, andererseits fehlte ihr formal die Ausarbeitung der argumentativen Begründung, die Durchführung der Deduktion, die für ein wissenschaftliches Philosophieren unerläßlich ist. Von hier gesehen fällt den Einzelvorlesungen ihre Aufgabe zu: Die Vorlesung über Logik und Metaphysik sollte mit der Ausführung des ersten Teils, der Wissenschaft der Logik, beginnen, andere Vorlesungen zur Naturphilosophie und Philosophie des Geistes sollten folgen. Dieser programmatischen Absicht kommt die Vorlesung dadurch nach, daß sie gegenüber der Enzyklopädie, wiewohl sie kommentierend auf diese bezogen bleibt, einen ganz eigenen Aufbau und Argumentations-
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gang anbietet, der vieles antizipiert, was erst in den späteren Ausgaben der Enzyklopädie zum Tragen kommt. Abgesehen von einer sich anbahnenden Erweiterung der Kategorien im Kapitel der Wesenslogik, beziehen sich die hauptsächlichen Änderungen der Vorlesung auf den „Vorbegriff", mit dem die Enzyklopädie nach einer Einleitung beginnt, ln diesem hatte die Enzyklopädie eine Definition der Logik gegeben, sodann eine methodische Explikation der wichtigsten methodischen Grundoperationen Hegels: des Verständigen oder Abstrakten, des Negativ-Vernünftigen oder Dialektischen und des Positiv-Vernünftigen oder Spekulativen, angeschlossen. Es folgte vom Hegelschen Standpunkt aus eine kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Metaphysiktypen, der rationalistischen Metaphysik, die das Unendliche, Absolute aus bloßen Begriffen zu erschließen sucht, deren kritischer Infragestellung durch den Empirismus, der sich allein auf Empirisches stützt, sodann mit KANTS nicht zu Ende geführtem Vermittlungsversuch, der den Gebrauch der Verstandesbegriffe auf die Erscheinungswelt, das Endliche, beschränkt und ihren Gebrauch zur Erfassung des Absolufen, Unendlichen, Göttlichen bestreitet. Der letzte Paragraph enthielt noch eine Gliederung der Wissenschaft der Logik in Seins-, Wesens- und Begriffslogik, deren Explikation im Hauptteil folgte. Zwar beginnt auch die Vorlesung mit einer Definition der Logik im Hegelschen Verständnis, nämlich, daß sie die Wissenschaft der Idee — des absoluten Geistes — im Elemente des Denkens sei, also Wissenschaft der reinen, nicht angewandten Idee, aber sie tut dies im Unterschied zur Enzyklopädie so, daß sie die Definition von vornherein einbettet in eine generelle Charakteristik der Logik und als Resultat eines immanenten logischen Prozesses, eines Kreisganges, aufzeigt, während die Enzyklopädie damit endet. Die Logik ist hiernach nicht nur Grundlage und Einleitung in die Philosophie überhaupt einschließlich ihrer angewandten Disziplinen, sondern auch Resultat, zu dem sich die Idee in ihrer Selbstexplikation entwickelt. Und sie ist nicht nur Anfang und Ende, Grundlage und Ziel, sondern auch Durchgang und immanente bewegende Seele des Ganzen, damit sowohl Teil wie Ganzes zugleich. So steht die Vorlesung von Anfang an unter der Idee des Kreisganges, der für Hegel fypischen Denkfigur, die seine Grundüberzeugung zum Ausdruck bringt, daß das Ganze, die Totalität, das Absolute durch das Denken einholbar sei. Hegels Philosophiekonzept ist ein durchgehend rationalistisches, das vor dem Absoluten nicht zurückschreckt, sondern auch dieses in seine Begrifflichkeit mit einbezieht. Dieser Ausgang hat den Vorteil, daß bei allen folgenden Explikationen die Hegelsche Grundidee den Leitfaden und Bezugspol abgibf. Sie bildet auch den Horizont für die Exposition und Explikation der methodischen Grundoperationen, die im übrigen zu den ganz wenigen Stellen des Hegelschen Opus gehört, in denen über diese selbst reflektiert wird. Hegel gilt zwar als Meister in der Handhabung der Dialektik, aber wie viele innovatorische Philosophen nicht als deren Explikator. Vor dem genannten Hintergrund bestimmt Hegel das Verständige als das Allgemeine (das Allgemeinbegriffliche), das aus der Abstraktion alles Mannigfaltigen, Sinnlichen hervorgeht. So notwendig dasselbe
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für die Begriffsbildung ist, so unvollkommen ist es, da es die immanente Gedankenbewegung verfestigt, indem es diese in exakte, präzise Begriffsbestimmungen zwängt. Die Dialektik repräsentiert das umgekehrte Moment der „Verflüssigung", das die fixierten, isolierten und einseitigen Bestimmungen aufhebt und in ihr Gegenteil verkehrt, sie in ihrer Beschränktheit aufzeigt und so zum Hinausgang über sie anleitet. Um dies an Beispielen zu erläutern: Wenn die anscheinend toten Bäume im Frühjahr Blüten und Blätter treiben, wenn das Recht bei Gnade und Lossprechung zu Unrecht wird, so ist dies für Hegel eine dialektische Aufhebung und Verflüssigung des Verfestigten, Starren. Das dialektische Moment dokumentiert sich als Streben, Tätigkeit, äußeres wie inneres Leben, als Bewegung schlechthin. Wird das Dialektische nur als Negatives, als Aufhebung alles Festen und Sicheren, aufgefaßt und nicht zugleich auch als Moment eines übergreifenden spekulativen Prozesses, der sich durch Gegensatz und Widerspruch hindurch konstituiert, dann fungiert es als zerstörende Macht, als Skepsis und Zweifel an allem. Bei einem solchen Zustand kann es nicht bleiben, er muß aufgehoben, integriert werden in die Spekulation, die die Einheit der Gegensätze, die Identität der Widersprüche darstellt und nur durch die Antithetik von These und Antithese sowie durch die Synthese beider zu gewinnen ist. Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige ist die Aufhebung der Negation, die Negation der Negation und somit die Position, eine Position, welche die Negation in sich enthält. Das allein ist das Lebendige, das nie nur einseitig, starr, tot, nie nur negativ, zerstörend ist, sondern beides in Form eines ständig sich aufhebenden und regenerierenden Prozesses. Auch Gott, die höchste Form des Lebens, ist höchste Entzweiung und höchste Einheit zugleich. Auf dieser Basis folgt eine kritische Durchmusterung und Auseinandersetzung mit den traditionellen Metaphysiken in ihrer je spezifischen Erkenntnisintention, d. h. in ihrem je spezifischen Verhältnis des Denkens zum Sein. Die Vorlesung antizipiert mit dieser Konzeption die spätere Ausarbeitung und Ausgestaltung in der zweiten Ausgabe der Enzyklopädie, die diese als 1., 2. und 3. Stellung des Gedankens zur Objektivität unter je eigenen Titeln behandelt. Hegel zeigt, daß weder die rationalistische Metaphysik LEiBNiz-WoLFFscher Provenienz zur Erkenntnis des Absoluten durch bloße Begriffe zu gelangen vermag noch auch die konträre Position des Empirismus, die alles auf sinnlicher Erfahrung basieren läßt, noch auch die KANiische Transzendentalphilosophie, die die Verstandesbegriffe auf Erscheinungen restringiert und ihren übersinnlichen Gebrauch zur Bestimmung des Absoluten negiert. Sie bleibt damit im Endlichen und bei der Festschreibung des Gegensatzes von Bestimmtheit und wahrer Identität. Nach KANT liegen die Widersprüche, die sich aus der Steigerung der Vernunft zur Totalität ergeben, nicht im Ding an sich, sondern in unserer Erkenntnis davon. Hegels Lösung demgegenüber besteht darin, durch die Aufhebung des Unterschiedes von Endlichem und Unendlichem und durch ihre Integration in einen umfassenden Prozeß, der Denken und Sein (Ding an sich) vereint, durch die Entzweiung hindurch zur Einheit zu gelangen. Das Konzept von Diastole und Systo-
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le, von Selbstdiremption der Einheit und Wiedervereinigung der Entzweiten mit sich zur neuen, umfassenden Einheit und Identität, liegt auch hier zugrunde, aber im Unterschied zur Enzyklopädie erster Fassung so, daß es 1. den Ausgang und Leitfaden, den ständigen Orientierungspunkt der gesamten Untersuchungen bildet, daß es 2. an gedanklicher Schärfe und Präzision gewinnt und damit die Weichen für die spätere Ausarbeitung der drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität stellt und daß es 3. dies so tut, daß die Erörterungen über Gott, Ganzheit und Totalität, insbesondere über das Verhältnis von Denken und Sein, im Mittelpunkt stehen. Aus diesen Gründen muß die aufgefundene Nachschrift als ein Markstein auf dem Wege von der ersten zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie und als ein bedeutender Fortschritt in der Genese Hegelscher Argumentationsstrategie gewürdigt werden. Karen Gloy (Luzern)
HEGELS VORLESUNGEN ÜBER LOGIK UND METAPHYSIK Mit besonderer Berücksichtigung der Berliner Zeit Aus den Quellen über seine Vorlesungstätigkeit geht deutlich hervor, daß Hegel die Vorlesung über Logik und Metaphysik häufiger als jede andere gehalten hat. Allein in Jena wurde diese Vorlesung sechs Mal angekündigt, wobei zu bedenken ist, daß natürhch auch die Vorlesungen über das gesamte System von der Logik bzw. von Logik und Metaphysik ausgingen, die ja zunehmend in eine Identität gerückt wurden.! jgr Jenaer Zeit ist erst kürzlich eine Nachschrift der Vorlesung im Wintersemester 1801/02 von IGNAZ PAUL VITAL TROXLER aufgefunden und herausgegeben worden.^ Wir belassen es hier bei diesem bloßen Hinweis, da über Hegels Jenaer Vorlesungen an anderer Stelle zusammenfassend von K. DüsiNG informiert wird.^ In seinen vier Heidelberger Semestern kündigte Hegel einmal (im Sommer-Semester 1817) eine Vorlesung über Logik und Metaphysik an, er verweist dabei bereits darauf, daß er die Vorlesung „nach Anleitung seiner demnächst erscheinenden Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Heidelberg bei A. OSWALD) 6 Stunden wöchentlich von 11 —12 Uhr" halten wer-
! Zu Hegels Vorlesungsankündigungen in Jena vgl. Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801—1807). Hrsg, von H. Kimmerle. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 21—111, bes, 53-56. 2 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801—1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen von K. Düsing. Köln 1988. (Hegels Vorlesung auf 63— 77.) ^ Vgl. K. Düsing in diesem Band 15-24; zu den Vorlesungen über Logik und Metaphysik s. bes. 16—18.
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de.^ Hierzu ist in neuerer Zeit eine Nachschrift von FRANZ ANTON GOOD gefunden worden, die von K. GLOY editorisch bearbeitet und zur Veröffentlichung vorbereitet wird. Auch dazu wird ein gesonderter Bericht an anderer Stelle gegeben.^ Die Ankündigung ist insofern von großer Bedeutung, als Hegel sich hier offenbar entschieden hat, seiner Vorlesung über Logik und Metaphysik nicht etwa seine Wissenschafl der Logik zugrunde zu legen, sondern eben die Logik, die in der Enzyklopädie enthalten ist. Für die Heidelberger Zeit ist gesondert zu beachten, daß Hegel im Wintersemester 1816/17 eine Vorlesung über Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften und im Sommersemester 1818 eine Vorlesung über Philosophie in ihrem gesummten systematischen Umfange ankündigte. Die Vorlesung im Sommersemester 1818 wollte Hegel „nach seinem Lehrbuche (Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Heidelb. bey OSWALD, 1817) und erläuternden Dictaten, tägUch von 10—11 Uhr“ halten.* Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß es sich bei den Eintragungen in das durchschossen gebundene Exemplar der Enzyklopädie von 1817 mit dem Exlibris: „1937/Ex BibUotheca/J. H. ANDERHUB" um eben diese von Hegel angekündigten ,erläuternden Dictate' handelt.^ Ein bemerkenswerter Teil dieser nicht sehr zahlreichen Texte bezieht sich auf die enzyklopädische Logik. Als Diktattexte sind sie allerdings als dem von Hegel intendierten Wortlaut so nahestehend zu beurteilen, daß sie im Rahmen der ersten Abteilung der Gesammelten Werke dem Band 13 zugeschlagen werden, der in der Hauptsache die Edition der Enzyklopädie von 1817 bringen wird. Hegels eigene Notizen zu seiner Vorlesung über Logik und Metaphysik werden ebenso dem Band 13 zugeordnet, sofern sie sich auf die Enzyklopädie von 1817 beziehen*; entsprechend sind die Notizen, die Hegel auf der Grundlage der Enzyklopädie von 1827 niedergeschrieben hat, im Band 19 herausgegeben worden^. In Berlin hat Hegel von 1819 bis 1831 in jedem Sommer seine Vorlesung über Logik und Metaphysik angekündigt. Die Vorlesung wurde in der Regel fünfstündig gehalten, lediglich in den Sommern 1822 und 1830 wurde sie mit vier Wochenstunden angekündigt. Die Zahl der Hörer schwankte zwischen 56 und 138. In
■* Vgl. F. Nicolin: Hegel als Professor in Heidelberg. Aus den Akten der philosophischen Fakultät 1816—18. In; Hegel-Studien. 2 (1963), 71—98, hier 96. * Vgl. K. Gloy in diesem Band 24—32. * F. Nicolin: Hegel als Professor in Heidelberg (s. Anm. 4), 96 f. Im Wintersemester 1817/18 hat Hegel offenbar auch eine Privatvorlesung über die Enzyklopädie für den Prinzen Gustav von Schweden abgehalten. Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd4, T. 1. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1977. 328. ^ Vgl. Unveröffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung Hegels. Eingeleitet und hrsg. von F. Nicolin. In: Hegel-Studien. 5 (1969), 9—30. * Vgl. Unveröffentlichte Vorlesungsmanuskripte Hegels. Hrsg, und erläutert von H. Schneider. In: Hegel-Studien. 7 (1972), 9—59, bes. 23—26. 5 GW Bd 19: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. (1827). 419-435.
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den Wintersemestern 1818/19 und 1826/27 las Hegel über die Enzyklopädie kn ganzen Diese zahlreichen Vorlesungen Hegels sind bisher nur in einer sehr unbefriedigenden Weise editorisch dokumentiert, nämUch in den sogenannten „Zusätzen", die LEOPOLD VON HENNING seiner Ausgabe des ersten Teils der Enzyklopädie im Rahmen der Werke Hegels (,Freundesvereinsausgabe') beigefügt hat. Er war bemüht, dabei auf Maferial aus Hegels Vorlesungen über die gesamte Enzyklopädie, aber besonders über Logik und Metaphysik zurückzugreifen. In seinem Vorwort verweist VON HENNING auf die beiden Berliner Enzyklopädie-Vorlesungen Hegels und begründet damit, daß „derselbe demnächst den großem Theil der in diesen Vorlesungen gegebenen Erläuterungen zu den §§ der ersten Ausgabe des vorliegenden Kompendiums, in der Form von Zusätzen und Anmerkungen, in die im Jahr 1827 erschienene und dadurch bedeutend erweiterte Ausgabe aufgenommen" habe, daß „sich sowohl in den von ihm hinterlassenen Papieren als auch in den nachgeschriebenen Heften nur sehr wenig Material zu weiter erläuternden Zusätzen" gefunden habe.^i Dieser Hinweis macht allerdings nicht eindeutig klar, ob sich in Hegels Nachlaß überhaupt nur noch wenige Papiere zum Thema fanden oder ob diese Papiere eben keine weiterführenden Erläuterungen enthielten. Auf jeden Fall wkd das Verfahren VON HENNINGS deutlich, das ja auch die anderen Herausgeber der Werke befolgten: Bei der Erstellung von Texten, die sich auf Vorlesungen beziehen, wird nicht zwischen Hegels eigenen Notizen und Nachschriften der Studenten unterschieden, ferner wird kein Unterschied zwischen verschiedenen Jahrgängen gemacht. In den Vorlesungen zu den einzelnen Teilen der Enzyklopädie (hier also der „Logik") findet VON HENNING dementsprechend „eine um so reichere Ausbeute"!^, und er macht eigens darauf aufmerksam, daß Hegel diese „Discipün . .. am häufigsten (in der Regel in jedem Sommersemester) vorgetragen hat"!^. Von besonderem Interesse ist im Zusammenhang einer Betrachtung der Vorlesungen Hegels der Hinweis, den VON HENNING auf den Modus des Vortrags gibt: „Das Äußere seines Verfahrens besfand hierbei darin, daß er den betreffenden Abschnitt seines encyklopädischen Kompendiums zur Grundlage seiner Vorlesung machte, sodann aber die abzuhandelnde Disciplin, in der Regel ohne specielle Rücksichtnahme auf die Fassung der einzelnen §§ und der darunfer befindlichen Erläuterungen, im zusammenhängenden Vortrag explickte und durch Bei-
10 Vgl. „Hegels Vorlesungs-Ankündigungen in Berlin". In; Briefe von und an Hegel. Bd4, T. 1. 114—125. Für die Hörerzahlen vgl. die Mitteilungen in: G. W. F. Hegel: Berliner Schriften 1818—1831. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 743 — 749. 11 Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten: Ph. Marheineke, J. Schulze, Ed. Gans, Lp. v. Henning, H. Hotho, K. Michelet, F. Förster. Bd 6: Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. T. 1: Die Logik. Berlin 1840. V. 12 Ebd. 13 Ebd. VI.
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spiele erläuterte. "1“* Man muß also davon ausgehen, daß Hegel sich im Vortrag auf der Grundlage eines Kompendiums nur allgemein inhaltlich auf dieses bezog, jedoch nicht auf die einzelnen Paragraphen und Anmerkungen zurückgriff. Der Vortrag als zusammenhängender Diskurs ist demnach, auch bei Vorlesungen auf der Grundlage eines Kompendiums, der Normalfall, keineswegs eine Besonderheit oder Ausnahme gewesen, wie die D. HENRICH im Zusammenhang mit der Bearbeitung einer ,Nachschrift' zu Hegels Vorlesungen über Rechtsphilosophie behauptet. Andererseits hat Hegel sich aber auch im allgemeinen inhaltlich nicht weit von der Vorlage entfernt. Dies spiegelt sich nach VON HENNINGS Ansicht in den Nachschriften wieder: „In den nachgeschriebenen Heften findet sich hiernach zum großen Theil derselbe Inhalt wie im Kompendium, nur in größerer, vornehmlich das Interesse der Popularisirung berücksichtigender Ausführlichkeit, Die inhaltliche Gestaltung der „Zusätze" zur „Logik" folgt insofern dem Duktus der Vorlesungen über Logik und Metaphysik, wie VON HENNING ihn kennt und wie er seinen Niederschlag in den entsprechenden Nachschriften gefunden hat, als sie gegen Schluß weniger ausführlich sind.i^ Hinsichtlich des von ihm benutzten Materials gibt VON HENNING fünf Nachschriften zur Logik an: „außer den beiden von ihm selbst in den Jahren 1819 und 1820 nachgeschriebenen Heften" habe er sich „hauptsächlich der Hefte seiner beiden werthen Kollegen, der Herren Professoren HOTHO und MICHELET" bedient „und außerdem aus späterer Zeit, des sehr sorgfältig geführten Heftes des Herrn Konrektor GEYER".— Es ist nicht ganz auszuschließen, daß es sich bei dem hier benannten Heft von HOTHO um dessen Nachschrift von 1823 handelt, die heute noch fragmentarisch erhalten ist; doch dann hätte VON HENNING immerhin noch vier Nachschriften benutzen können, die uns heute nicht mehr bekannt sind. In dieser Hinsicht hätten die „Zusätze" also auch einen gewissen Quellenwert; man muß sich jedoch andererseits fragen, ob dieser Wert als Quelle durch das editoiische Verfahren, das VON HENNING nach eigener Erklärung anwendet, nicht doch letztlich hinfällig wird. VON HENNING gibt beispielsweise an, daß bei der Bearbeitung der Texte „fortwährend darauf Bedacht genommen wurde, die eigenen Wendungen und Ausdrücke Hegels wieder zu geben", andererseits aber „lag es doch in der Natur der Sache, daß hierbei eine äußere diplomatische Genauigkeit nicht zum Hauptgesichtspunkt werden konnte". Vielmehr ging es darum, „das in den verschiedenen Heften verschiedener Jahrgänge zerstreute Material in der Art zu einem in sich zusammenhängenden Ganzen zu vereurbeiten, daß dadurch denjenigen, die 14 Ebd. 15 Georg Friedrich Wilhelm [sic] Hegel: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hrsg, von Dieter Henrich. Frankfurt a. M. 1983. Vgl. die ,Einleitung des Herausgebers'. 11, 19. Vgl. auch vom Verf.; Altes und Neues zu Hegels Rechtsphilosophie. In: Hegel-Studien. 20 (1985), 291-302. 1* Hegel: Werke. Bd 6. VI. 1^ Vgl. ebd. VII; s. u. das mit Anm. 21 nachgewiesene Zitat. 18 Ebd. Vni.
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ohne sonstige Vorübung im philosophischen Denken sich zuerst an das Studium der spekulativen Logik begeben, die bei der Schwierigkeit dieses Studiums so wünschenswerthe Hülfe geleistet wird"d® Die didaktische Zielsetzung hat also die der editorischen Akribie weitestgehend in den Hintergrund gerückt. Dabei geht der Herausgeber gelegentlich freilich sehr weit, so hat er nach eigener Auskunft „da wo das unmittelbar vorliegende Material nicht ausreichte, keinen Anstand genommen, die erforderlich scheinenden Erläuterungen aus seiner Erinnerung zu vervollständigen".20 Im übrigen begründet VON HENNING sein Verfahren, „daß bei den spätem Abschnitten des vorliegenden Kompendiums, zumal gegen das Ende hin, die Zahl und der Umfang der gelieferten Zusätze bei weitem geringer ausgefallen ist, als bei den früheren Abschnitten", mit Hegels eigenem Vorgehen bei seinen Vorlesungen, nämlich damit, „daß Hegel bei seinen Vorlesungen über die Logik, ohne Zweifel planmäßig, die spätem Abschnitte immer viel kürzer zu behandeln pflegte, als die früheren, weshalb denn auch in den nachgeschriebenen Heften sich, außer der nur wenig variirten Wiederholung dessen, was im Kompendium enthalten ist, in der Regel nur kurze und vereinzelte Erläutemngen der abgehandelten Gegenstände finden".21 Eine besondere Bedeutung und besonderes Gewicht wurde dabei offenbar dem ,Vorbegriff' der Logik zubemessen. Darauf ist bei der Behandlung der uns erhaltenen Nachschriften noch zurückzukommen. Gemessen an der Häufigkeit, mit der Hegel Vorlesungen über Logik angekündigt und tatsächlich abgehalten hat, und an der relativ hohen Zahl von Studenten, die diese Vorlesungen besuchten, ist die Zahl der uns erhaltenen Nachschriften zu diesem Thema erstaunlich gering. Es könnte sich dabei um einen bloßen Zufall handeln, allerdings sind auch sachliche Gründe denkbar, aus denen die Studenten Hegels diese Hefte womöglich weniger sorgsam aufhoben als die anderen Nachschriften, die — besonders zu Themenbereichen des , Absoluten Geistes' — weit über den Textbestand des Kompendiums hinausgingen: Eben gerade die große Nähe zum Text der Enzyklopädie, die bereits VON HENNING vermerkt, mag zu einer höheren Verlustquote dieser Nachschriften geführt haben. Neben den bereits erwähnten Nachschriften aus Jena und Heidelberg (vgl. Anm. 3 u.5) sind dem Hegel-Archiv sechs Nachschriften zu Hegels Berliner Logik-Vorlesungen bekannt, außerdem ein Manuskript HOTHOS, das jedoch keine Nachschrift, sondern eine eigenständige Ausarbeitung auf der Grundlage der Wissenschaß der Logik darstellt. 1. Eine undatierte Nachschrift von v. KEHLER, die den (wohl von der Bibliothek eingesetzten) Titel trägt: „Logik nach Hegel — Kollegheft von H.v. KEHLER". Der Umfang beträgt 128 Seiten; Grundlage der Vorlesung war die Enzyklopädie von 1817. Eine erste grobe Eingrenzung läßt daher auf den Zeitraum zwischen 1817 und 1827 schließen. KEHLER war jedoch offenbar ein Berliner Student Hegels, wie w Ebd. VI f. 20 Ebd. VII. 21 Ebd. VII.
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man aus anderen Nachschriften aus seiner Feder schließen kann, also ist das Sommersemester 1819 als früheste Zeitbestimmung anzunehmen. Da Hegel (schon seit dem Wintersemester 1826/27 also wohl auch) im Sommer 1827 Aushängebogen der zweiten Auflage seiner Enzyklopädie an einen engeren Schülerkreis verteilte^, kann als spätester Zeitpunkt einer Vorlesung über die „Logik" auf der Grundlage der ersten Auflage der Enzyklopädie das Sommersemester 1826 festgelegt werden. Die Nachschrift deckt die gesamte Vorlesung ab, d. h. sie reicht bis zum § 191 (die „Logik" in der Enzyklopädie von 1817 umfaßt die §§ 12—191), allerdings beginnt sie abrupt und lückenhaft und weist auch im Fortgang Lücken auf. Besonders auffallend ist die Lücke im „Vorbegriff" zwischen den §§ 12 und 37, die bedeutet, daß der Hauptteil des „Vorbegriffs" fehlt. Der reichUche Gebrauch von Kürzeln und die oft sehr eilig hingeworfenen Schriftzüge lassen stark vermuten, daß es sich um eine Mitschrift handelt. — 2. Sommersemester 1823. Hegels Ankündigung: „Logik und Metaphysik, nach seinem Lehrbuche Enzykl. d. phil. Wiss. (§ 12—191)". 5 Std. Nachschreiber HEINRICH GUSTAV HOTHO. Titel: „Logik u. Metaphysik. Nach dem Vortrage des Herrn Professor Hegel. Sommer 1823. Berlin. H. HOTHO." Die Nachschrift umfaßt 76 Seiten und behandelt die §§ 12—31, also nur den „Vorbegriff" der „Logik", sie bricht mitten im Satz ab und hat damit eindeutig fragmentarischen Charakter. Ob weitere Teile vorhanden waren, ist allerdings nicht bekannt. — Der Text des Manuskripts ist sorgfältig durchgegliedert, dabei werden die Paragraphentexte der Enzyklopädie von 1817 verkürzend aufgenommen. Die durchgängig am Rand angefügten Marginalien haben gliedernden und den Inhalt des Haupttextes begrifflich zusammenfassenden Charakter. Man daher wohl darauf schließen, daß es sich um eine häusliche Ausarbeitung handelt.23 3. Wahrscheinlich Sommersemester 1826. Anonymer Nachschreiber. Titel: „Logik und Metaphysik nach Hegel." Umfang: 54 Seiten eines umfangreichen Manuskripts (S. 221—274; vor dieser Nachschrift findet sich eine auf 1826 datierte Ästhetiknachschrift). Das Manuskript behandelt den größten Teil des „Vorbegriffs" der „Logik" auf der Basis der Enzyklopädie von 1817, nämlich Metaphysik und Kantische Philosophie (bis § 34). — Trotz einiger Streichungen und Korrekturen und wahrscheinlich später angefügter Marginahen handelt es sich wohl nicht um eine Mitschrift, sondern um eine (unvollständige) Ausarbeitung, die überarbeitet worden ist. — 4. Sommersemester 1828. Hegels Ankündigung: „Logik und Metaphysik, nach seinem Lehrbuche (Enzyklopädie der philosophischen Wissensch. 2te Ausg. Ir Teü". 5 Std. Nachschreiber: KAROL LIBELT. Titel: „Logik und Metaphysik, nach 22 Vgl. den Editorischen Bericht in GW Bd 19. 462. 23 Weiterhin ist aus dem Sommersemester 1824 eine Nachschrift von Jules Correvon bekannt, die hier noch nicht berücksichtigt werden konnte. Für die Information über diese Nachschrift danke ich den Herren Professor B. Tuschling und D. Hüning.
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den Vorlesungen des Prf. Hegel im Sommer 1828 als Erläuterung zu seiner Encyclopädie der phü. Wiss. u. zwar von 19 bis 244. paragraphen. —" Umfang: Blatt 65—164 (d. i. 200 Seiten). Die Nachschrift bricht bei §183 ab, d. h. die §§ 184—244 fehlen. Der Charakter des Manuskripts weist aus verschiedenen Gründen darauf, daß es sich um eine Mitschrift handelt, die gelegentlich deutliche Lücken aufweist (leere oder nur teilweise beschriebene Blätter) und unvollständig bleibt, da der Schluß fehlt. Auf den Seiten 126 a—128 a erscheint eine abweichende Handschrift, möglicherweise hat hier ein anderer Student vertretungsweise mitgeschrieben. — 5. Sommersemester 1829. Hegels Ankündigung: „Logik und Metaphysik, nach seinem Lehrbuche (Enzyklopädie der philos. Wissenschaften, 2. Ausg. 1. Abt.)". 5 Std. Nachschreiber: ROLIN. Titel: „Logik und Metaphysik von Hegel. § 19—240 der Enzyklopädie." Hinweis auf den Beginn der Vorlesung oben rechts auf der ersten Seite: „Anfang 4° May"; Seite 3 unten folgt der Eintrag „5. May". (HOFFMEISTER gibt den 4. Mai 1829 als Beginn der Vorlesung Über die Beweise vom Dasein Gottes an, die Vorlesung über Logik und Metaphysik hätte nach seiner Angabe erst am 20. 5. 1829 begonnen.^4 Wahrscheinlich liegt hier eine Verwechslung H9FFMEISTERS vor, denn auch in Hegels eigenen „Notizen zu Vorlesungen über Logik und Metaphysik" findet sich die Datierung „4/5 29"25.) Die Nachschrift umfaßt 160 (nicht paginierte) Seiten und endet mit dem ,Übergehen der absoluten Idee in die Natur', sie erfaßt also den gesamten Umfang der Logik. Groß- und Kleinschreibung verraten einige Unsicherheit in der deutschen Orthographie. Es gibt ein eigentümliches Kürzelsystem, das so in anderen mir bekannten Nachschriften nicht auftritt. Die Schriftzüge sind jedoch sehr regelmäßig, weisen allerdings eine Vielzahl nachträglicher Eintragungen über den Zeilen auf. Die Paragraphenziffern stehen bis § 122 einbezogen im fortlaufenden Text, dann sind sie (teilweise wiederholend) auf dem Rande eingesetzt. Das Einbeziehen der Paragraphenziffern in den Text führt gelegentlich auch zu wirklichen Zitaten aus der Enzyklopädie; so findet sich beispielsweise auf S. 27 die Formulierung: „Es heißt nun im § 30, daß die Subjecte auf diese Weise Maßstabe für die Prädicate waren^^; was aber ein Maßstab der Prädicate sei, ist hier noch nicht gesagt." Sehr gelegentlich sind Lücken im Text gelassen, die durch einen schrägen geschlängelten Strich gefüllt sind; auf S. 28 findet sich neben einer solchen Lücke der Vermerk: „Ende der Vorlesung v. 19/5 nach GROTZMACHER [?] nachgeschrieben". S. 116 endet mit dem Hinweis: „Es folgt unmittelbar hier was auf dem andern blatt steht." Die Rechtschreibung läßt es als unwahrscheinlich erscheinen, daß es sich hier durchgehend um eine Abschrift (etwa der Mitschrift eines deutschen Studenten)
Hegel: Berliner Schriften (s. Anm. 10). 748. 25 GW Bd 19. 419, Z. 4. 26 Vgl. die Enzyklopädie von 1827; GW Bd 19. 52, Z. 21—24.
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handelt. Gut denkbar ist jedoch, daß es sich um eine Ausarbeitung eigener Materialien handelt, die anhand anderer Nachschriften durchgesehen wurde. Der „Vorbegriff" macht etwas mehr als die Hälfte des Inhalts der gesamten Nachschrift aus. Die weitgehende Übereinstimmung einiger Formulierungen^^ sowie eine übereinstimmende Datierung auf den 4. MaP® lassen die Zuordnung dieser Vorlesungs-Nachschrift und Hegels eigener Notizen zum Beginn dieser Vorlesung zu. — 6. Sommersemester 1831. Hegels Ankündigung; „Logik, nach seinem Lehrbuche (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, dritte Ausgabe)" 5 Std. Nachschreiber: KARL HEGEL. Titel: „Hegels Vorlesungen über die Logik (nach der Enzyklopädie) im Sommer 1831. Nachgeschrieben von F. W. C. HEGEL." Das Heft umfaßt 266 Seiten, es deckt den gesamten Text der enzyklopädischen Logik (nach der dritten Auflage des Kompendiums) ab und ist daher vollständig. — Es handelt sich um eine (nur sehr gelegentlich nachträglich korrigierte) Mitschrift. Darauf verweisen die vielen Kürzel und Abkürzungen sowie die oft flüchtigen Formulierungen und der EUe verratende Schriftduktus. Der älteste Sohn des Philosophen ist in seinem Anfangssemester sichtlich darum bemüht, den Wortlaut der Vorlesung so vollständig wie möglich niederzuschreiben. Bei begrifflich schwierigen Passagen merkt man ihm seine Verständnisschwierigkeiten gelegentlich deutlich an. Trotz einzelner kleinerer Schwächen scheint der Text einen guten Einblick in Hegels (letzte) Vorlesung zu diesem Thema zu geben. Der Einleitungscharakter wird in den didaktisch geprägten Vereinfachungen gegenüber dem Enzyklopädietext deutlich, darüber hinaus durch den überraschend großen Umfang, welcher dem „Vorbegriff" eingeräumt wird, der immerhin zwei Fünftel der gesamten Vorlesung einnimmt. Die Nachschrift wird vom Verf. zusammen mit U. RAMEIL zum Druck vorbereitet. Der Herausgeber der enzyklopädischen Logik im Rahmen der ,Freundesvereinsausgabe', LEOPOLD VON HENNING, hatte bereits in seinem Vorwort darauf hingewiesen, daß Hegel gerade die Anfangsteile seiner Vorlesung über die Logik besonders ausführlich gestaltet habe. Bei den fragmentarisch überlieferten Vorlesungen erhält sich gerade der Teil der Nachschriften, die den „Vorbegriff" behandeln. In der vollständigen Nachschrift von KARL HEGEL umfaßt der „Vorbegriff" der Logik ungefähr zwei Fünftel des gesamten Manuskripts, in der Nachschrift ROLIN sogar etwas mehr als die Hälfte, während dieser Teil in der Druckfassung von 1830 nur ein Drittel der gesamten Logik ausmacht. Dies spricht dafür, daß Hegel, der die Logik-Vorlesung ohnehin als Einleitung in sein System verstand, im Rahmen dieser Vorlesungen gerade dem „Vorbegriff" die Aufgabe einer Ein-
27 Vgl. GW Bd 19. 419 ff u. Ed. Ber. 473 f, 476. 28 Vgl. Anm. 24.
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leitung in die spekulative Logik bzw. in die spekulative Philosophie zubemessen hat.29 Hinsichtlich der Planung der Edition dieser Materialien im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Hegels ergibt sich eine Reihe zur Entscheidung anstehender Fragen. Zunächst ist zu bedenken, daß die „Zusätze" VON HENNINGS (anders als die von GANS ZU den Grundlinien der Philosophie des Rechts, aber ebenso wie die anderen „Zusätze" zur Enzyklopädie) insofern Quellenwert besitzen, als sie aus uns nicht mehr bekannten Nachschriften (und möglicherweise aus eigenen Manuskripten Hegels) zusammengestellt worden sind. Dieser QueUenwert wird jedoch dadurch stark gemindert, daß diese Quellen aus den uns vorliegenden Texten nicht mehr rekonstruierbar sind. — Es wird noch genau zu prüfen sein, ob und in welcher Form das hier überlieferte Textgut in die Gesammelten Werke aufgenommen werden kann. Hinsichtlich der uns erhaltenen Nachschriften kann eine große Übereinstimmung hinsichtlich des am Textverlauf der jeweils zugrundegelegten Enzyklopädie-Fassung orientierten Argumentationsganges nicht übersehen werden. Ein ganz anderer Eindruck entsteht jedoch hinsichtlich der Übereinstimmung bei einzelnen Formulierungen und in bezug auf Einzelheiten des Argumentationsganges: Hier sind Abweichungen eigentlich die Regel. Im übrigen ist bisher kein einziger Jahrgang durch zwei Nachschriften dokumentiert. Von daher scheint es sich auf dem jetzigen Informationsstand nahezulegen, alle erhaltenen Nachschriften in chronologischer Reihenfolge in die Gesamtausgabe aufzunehmen. Hans-Christian Lucas (Bochum)
HEGELS VORLESUNGEN ÜBER NATURPHILOSOPHIE
Hegel klammert zu Beginn seiner Vorlesungstätigkeit in Jena keineswegs die Naturphilosophie aus seinem Vorlesungsrepertoire aus. Er kann sich auf ein reiches Material aus seiner Frankfurter Zeit stützen, das eine knappe Zusammenfassung Dies widerspricht der früher eher abwertenden Beurteilung des „Vorbegriffs" durch H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt/M 1965. 17 f. Vergleichbar dazu übrigens auch die Nichtbehandlung des „Vorbegriffs" in B. Lakebrink: Kommentar zu Hegels „Logik" in seiner „Enzyklopädie" von 1830. Bd 1; Sein und Wesen. Freiburg, München 1979. Vgl. dagegen W. Flach: Zum „Vorbegriff" der Kleinen Logik Hegels. In: Der Idealismus und seine Gegenwart. Fs. für W. Marx zum 65. Geburtstag. Hrsg, von U. Guzzoni, B. Rang, L. Siep. Hamburg 1976. 133—146; ders.: Die dreifache Stellung des Denkens zur Objektivität und das Problem der spekulativen Logik. In: Die Wissenschaß der Logik und die Logik der Reflexion. Hrsg, von D. Henrich. Bonn 1978. (Hegel-Studien. Beiheft 18.) 3-18. - Vgl. ferner vom Verf. in diesem Band 218—224; Der „Vorbegriff" der enzyklopädischen „Logik" als Einleitung im emphatischen Sinne.
Naturphilosophie (W, Bonsiepen)
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in der Habilitationsschrift über die Planetenbahnen (1801) fand. Die in den sogenannten Jenaer Systementwürfen überlieferten Ausarbeitungen liefern ein eindrucksvolles Zeugnis der naturphilosophischen Bemühungen Hegels. Gegen Ende der Jenaer Zeit wird die im Zusammenhang des Gesamtsystems erörterte Naturphilosophie Gegenstand spezieller Vorlesungen. Hegel kündigt Vorlesungen über Natur- und Geistesphilosophie an, von denen mit Sicherheit die Vorlesung des Sommers 1806 stattfand.^ In Jena wohnt Hegel im Umgang mit GOETHE der Ausarbeitung der Farbenlehre bei und pflegt auch sonst persönliche Beziehungen zu Naturforschern.2 Wie seine umfangreichen Anmerkungen zur Methode der höheren Analysis in der Wissenschaß der Logik zeigen, muß sich Hegel spätestens in Nürnberg ausführlich mit den Grundlagen der modernen Infinitesimalrechnung beschäftigt haben. Sein verstärktes Interesse für Mathematik zu dieser Zeit dokumentiert auch ein Brief an NIETHAMMER, aus dem wir von Hegels Plan erfahren, ein Mathematiklehrbuch für G)rmnasien zu verfassen, der aber nie realisiert wurde.3 Am Gymnasium in Nürnberg gibt Hegel für die Oberklasse auch Unterricht in Mathematik, und in der philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse handelt er über die Naturwissenschaften.^ In Heidelberg kündigt er für das Wintersemester 1816/17 Vorlesungen über die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen an.® In der dann bald darauf erscheinenden ersten Auflage der Enzyklopädie (1817) faßt Hegel seine bisherigen naturphilosophischen Entwürfe und Studien zusammen und gibt ihnen eine klarere Gliederung als in den Jenaer Systementwürfen. Wie insbesondere sein Eintreten für GOETHES Farbenlehre zeigt, hält er an seiner spekulativen naturphilosophischen Konzeption fest, obwohl sich inzwischen Desinteresse und Ablehnung jegHcher metaphysischer und transzendentaler Naturbetrachtung ausgebreitet hat.® Im Sommersemester 1818 liest Hegel über Philosophie in ihrem gesamten systematischen Umfang nach seinem Lehrbuch. Er bezieht sich dabei auf die Paragraphen der Enzyklopädie in erläuternden Diktaten. Uns ist noch eine systematische Übersicht erhalten, die sehr wahrscheinlich von einem Mitschreiber dieser Vorlesung stammt und auf die Naturphilosophie Bezug nimmt. ^ Auf der Grundlage des Handbuchs der Enzyklopädie hält Hegel dann in Berlin sechsmal Vorlesungen über Naturphüosophie: Winter 1819/20, 1821/22, 1823/24, 1825/26, Sommer 1828, 1830.* Er verweist dabei jedesmal auf sein Lehrbuch, die Enzyklopädie der philoso' Zu Hegels Vorlesungstätigkeit in Jena vgl. den Beitrag von K. Düsing in diesem Band 15-24. 2 Vgl. im einzelnen W. Bonsiepen: Hegels Raum-Zeit-Lehre. Dargestellt anhand zweier Vorlesungs-Nachschriften. ln: Hegel-Studien. 20 (1985), 11 ff. 3 Vgl. /. Hoßmeister (Hrsg.); Briefe von und an Hegel. Bd 1. Hamburg 1969. 398. * Vgl. Hegel: Nürnberger Schrißen. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1938. 3 ff. 3 Vgl. F. Nicolin (Hrsg.); Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 1. Hamburg 1977. 110. * Vgl. D. V. Engelhardt: Naturphilosophie im Urteil der „Heidelberger Jahrbücher der Literatur" 1808-1832. In; Heidelberger Jahrbücher. 19 (1975), 65. ^ Vgl. unten S. 50 mit Anm. 23. * Vgl. die lateinischen und deutschen Vorlesungsankündigungen, abgedr. bei F. Nicolin (Hrsg.): Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 1. 114—125. Vgl. außerdem Hoffmeisters Angaben,
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phischen 'Wissenschaften, 1828 auf die zweite Ausgabe, 1830 auf die dritte, die erst Ende des Jahres erschien. Im Winter 1819/20 liest er fünfmal wöchentlich, sonst viermal. Die Hörerzahl der naturphilosophischen Vorlesungen war nach J. HOFFMEISTERS Angaben im Vergleich zu der der anderen Vorlesungen eher bescheiden. Über Hegels Vorlesungstätigkeit gibt MICHELET einen aufschlußreichen Bericht: „Hegel hat überhaupt acht mal Vorträge über Naturphilosophie gehalten: ein- . mal in Jena, zwischen den Jahren 1804 und 1806: einmal in Heidelberg, im Sommer 1818; und sechsmal in Berlin .. . Von Jena besitzen wir noch ein vollständiges Heft Hegels in Quart. In Heidelberg legte er die erste Ausgabe seiner Encyclopädie (1817) zu Grunde, und Notizen, die er auf eingeschossene Blätter niedergeschrieben hatte. Den beiden ersten Berliner Vorlesungen diente wieder ein vollständiges Heft in Quarto zur Grundlage. Für die Vorlesungen von 1823—1824 verfaßte er eine neue Einleitung, und schloß daran ein neues ergänzendes Heft, eines in Foho; so jedoch daß für diese und die späteren Vorlesungen auch die früheren Hefte, selbst das Jenaische, benutzt wurden. Außerdem brauchte Hegel für die zwei letzten Vorlesungen auch schon die zweite Ausgabe der Encyclopädie (1827) als Leitfaden, während die dritte erst im Spätjahr 1830 erschien. Zu diesen autographischen Quellen gehören endlich noch viel reichhaltige eingelegte Blätter, die bei den verschiedenen Wiederholungen allmählig eingeschaltet wurden. Nachgeschriebene Hefte, aus denen ich schöpfte, waren: 1) aus dem Winterhalbenjahr 1821—1822 ein von mir selbst nachgeschriebenes; 2) drei Hefte aus dem Winter-Cursus 1823—1824, von Herrn Hauptmann v. GRIESHEIM, von meinem verehrten CoUegen, Herrn Professor HOTHO, und von mir; 3) das von Herrn Conrector GEYER im Sommer 1830 nachgeschriebene Heft."^ MICHELET bemerkt zu seinem Editionsverfahren, „daß allerdings das Anschließen von Vorlesungen an ein Buch manche, indessen leicht zu erklärende Modificationen herbeiführen mußte." Aus dem Jenaer Heft habe er manche Stellen, die der Leser noch an der Ungelenkigkeit erkennen werde, aufgenommen, „wie sehr ich auch die Phrase abzurunden und den Gedanken klarer zu machen bestrebt war". Andere Stellen dieses Heftes werde der Leser an der echten, die Natur der Sache treffenden Poesie erkennen. Bezüglich der Art der Benutzung der Quellen betont MICHELET, daß er kleine Mängel des Stils mit Absicht nicht verwischt habe. Er habe aber seine Aufgabe darin gesehen, Stücke aus verschiedenen Vorlesungen ineinander zu schieben: „Bei der Zusammensetzung obenerwähnter Elemente aus sämmtUchen Heften bin ich nun nicht so verfahren, daß ich entweder die eine oder die andere dieser Vorlesungen unbedingt zum Grunde gelegt, und etwa aus den übrigen das in jener nicht Enthaltene gehörigen Orts eingeschaltet hätte ... So habe ich bald der einen, bald der anderen Vorlesung der über uns heute nicht mehr zugängliches Material verfügte, in Hegel: Berliner Schriften (1818—1831). Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 743 —749. * Hegel: Vorlesungen über die Naturphilosophie als der Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse Zweiter Theil. Hrsg, von C. L. Michelet. Berlin 1842. (Hegel: Werke. Bd7, Abt. 1.) XVlllf. w Ebd. XIX, XXI f.
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den Vorzug gegeben; sonst aber, wenn es ohne Wiederholung ging, aus mehreren zugleich aufgenommen. Die Aufgabe für den Herausgeber bestand hier überhaupt in der Kunst des Ineinanderschiebens und zwar nicht nur größerer Stücke verschiedener Vorlesungen, sondern auch, wo es nöthig war, einzelner Sätze." MICHELET glaubt so, dem Hegelschen Geist seinen allseitigsten Ausdruck verschafft zu habenii — eine Annahme, die wir heute nicht mehr teilen. Mit der anfangs erwähnten Vorlesung über Naturphilosophie in Jena meint MICHELET vermutlich eine der Vorlesungen über Natur- und Geistesphilosophie gegen Ende der Jenaer Zeit. 12 Mit der Vorlesung über Naturphilosophie in Heidelberg kann nur die über Philosophie in ihrem gesamten systematischen Umfang nach erläuternden Diktaten gemeint sein. Unter dem Jenaer Heft ist die Naturphilosophie der zuerst von HOFFMEISTER edierten Jenaer Realphilosophie (1805/06) zu verstehen, die in der kritischen Hegel-Ausgabe in dem Band Jenaer Systementwürfe III veröffentlicht worden ist. HOFFMEISTER hat im einzelnen die Stellen aufgeführt, an denen in den späteren Vorlesungen, d. h. in MICHELETS Edition, auf das Jenaer Heft zurückgegriffen wurde.Aus MICHELETS Angaben geht die Bedeutung des Jenaer Heftes für die Berliner Vorlesungen hervor. Von dem von MICHELET aufgeführten Material ist uns fast nichts mehr erhalten. So fehlen vom durchschossenen Exemplar der ersten Auflage der Enzyklopädie die Notizen zur Naturphilosophie, und auch sonst sind viele Materialien verloren; die eingelegten Blätter zur Enzyklopädie, das Berliner Heft in Quarto, die neue Einleitung und das neue Heft in Folio. Nur einzelne Blätter zur Naturphilosophie sind noch vorhanden. Von den fünf Nachschriften, die MICHELET benutzte, ist nur die Nachschrift GRIESHEIMS erhalten. Deshalb könnte es bei MICHELET in der Tat viel Sondergut geben: Texte, die aus verlorenen Nachschriften und vor allem aus verlorenen Unterlagen Hegels stammen. Andererseits sind jedoch von den sechs Berliner Vorlesungsjahrgängen nach dem im Hegel-Archiv zur Zeit verfügbaren Material alle außer der Vorlesung von 1830 durch Nachschriften belegt. Anhand dieser Nachschriften lassen sich Änderungen im Aufbau der Naturphilosophie durchaus dokumentieren.
" Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Hrsg, von K. L. Michelet. Berlin 1833. (Hegel: Werke. Bd 13.) XI-XlII. Vgl. oben S. 41 mit Anm. 1. 13 Vgl. Hegel: Jenaer Realphilosophie. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1931, Nachdr. Hamburg 1967. 279 ff. 1^ Vgl. H. Schneider: Unveröffentlichte Vorlesungsmanuskripte Hegels. In: Hegel-Studien. 7 (1972), 20 ff, 50.
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Erhaltene Nachschriften
Dem Hegel-Archiv sind zur Zeit acht Nachschriften bekannt, die im folgenden kurz charakterisiert werden sollen. 1. Der Jahrgang 1819/20 ist durch eine Nachschrift von GOTTFRIED BERNHARDY, später Professor der klassischen Philologie in Halle, belegt, die sich in dessen Nachlaß in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt befindet. Sie wurde kürzlich von M. GIES ediert, Die Nachschrift trägt den Titel: ,Naturphilosophie nach Hegel. 1819—1820' und umfaßt 131 Textseiten in Quartformat. Die Nachschrift ist vollständig. Der Text ist sehr sauber geschrieben und in Kürzel und Abkürzungen verfaßt. Es fehlt eine Gliederung durch Überschriften oder Paragraphenangaben, ausgenommen die Anfangsüberschrift zur Einleitung, die Angabe von § 1 auf S. 5 und die Angabe von 1. auf S. 8. Diese Merkmale lassen darauf schließen, daß es sich um eine häusliche Ausarbeitung handelt, in der auf freie Weise die Grundgedanken der Vorlesung wiedergegeben werden. Die Authentizität der Nachschrift wird durch nicht immer zusammenstimmende Gliederungen in Erage gestellt, Möglicherweise handelt es sich um die Nachschrift eines Repetitoriums. In dem lateinischen Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1821/22 wird angegeben, daß beide Vorlesungen — über Natur- und Rechtsphilosophie — mit Repetitionen verbunden sind. Hegels Repetitor war zu dieser Zeit LEOPOLD V. HENNING. Dieser begann schon im Sommersemester 1819 als Nachfolger von F. W. CAROVS seine Repetitortätigkeit. Er durfte die Repetitorien aber zunächst nur in seiner Wohnung durchführen, da der Senat der Universität auf der Habilitation als Voraussetzung für eine solche öffentliche Tätigkeit bestand. Am 8. 7. 1819 wurde v. HENNING im Zuge der sogenannten Demagogenverfolgung verhaftet, aber bald wieder freigelassen. Man erlaubte ihm, weiter private Repetitorien der Hegelschen Vorlesungen abzuhalten. Im Wintersemester 1820/21 wurde er schließlich als öffenthcher Repetent Hegels angestellt, welches Amt er bis zum Sommersemester 1822 ausübte. So ist es gut möglich, daß BERNHARDYS Nachschrift in Wirklichkeit eine Ausarbeitung darstellt, die durch Teilnahme an einem Repetitorium entstand. Das Fehlen der Paragraphengliederung wäre ein Indiz dafür. 2. Dem Jahrgang 1821/22 lassen sich drei Nachschriften zuordnen. Die Nachschrift BORIS V. UEXKüLLS befindet sich in der Universitätsbibliothek Würzburg, Handschriftenabteilung. Sie befand sich zunächst im Nachlaß FRANZ V. BAADERS und wurde 1841/42 von der Würzburger Universitätsbibliothek gekauft. Eine Teiledition wurde von W. BONSIEPEN besorgt, Die Nachschrift trägt den Titel: ,PhiIoVgl. Hegel: Naturphilosophie. Bd 1: Die Vorlesung von 1819/20. In Verbindung mit KarlHeinz nting hrsg. von Manfred Gies. Neapel 1982. 1® Vgl. unten S. 50, 1^ Vgl. M. Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Halle 1910. Bd 2, 1. Hälfte. 57 f; ferner Hegel: Berliner Schriften. 598 ff. 1® Vgl. W. Bonsiepen: Hegels Raum-Zeit-Lehre (s. Arun. 2). 61—78. Es handelt sich um eine Edition der Passagen des ersten Teils über Raum und Zeit.
Naturphilosophie (W. Bonsiepen)
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Sophie der Natur vorgetragen von dem Profeßor G. W. F. Hegel zu Berlin Anno 1822. Boris v. Uexkull' und umfaßt 353 Textseiten in Kleinfoüoformat. Die Nachschrift ist vollständig. Der Text ist schön geschrieben, ohne Kürzel und fast ohne Abkürzungen. Die sich auf die erste Auflage der Enzyklopädie beziehenden Paragraphenangaben werden am Rande des Textes, aber auch im Text angeführt. Die Randbemerkungen sind teilweise in Tinte, teilweise in Blei verfaßt. Manche Textpassagen sind mit Bleistift unterstrichen. Es tauchen Wortlücken auf, die später von anderer Hand (in Tinte und in Blei) ausgefüllt worden sind. Der Schreiber besaß offensichtlich eine Vorlage, die er an manchen Stellen nicht entziffern konnte. Es handelt sich demzufolge um eine häusliche Ausarbeitung. Bezüglich des Titelblattes ist zu bemerken, daß nicht eindeutig ein X hinter der Jahreszahl erkennbar ist, das dann die Lesung: ,Dezember' erlauben würde. Ferner ist die Jahresangabe nicht ganz präzise; es kann nur das Wintersemester 1821/ 22 gemeint sein, nicht das Sommersemester 1822, in dem Hegel gar nicht über Naturphilosophie las. Was die Namensnennung betrifft, so geht aus einem Handschriftenvergleich hervor, daß die Nachschrift für UEXKüLL nicht von ihm selber abgefaßt worden sein muß. Er scheint außerdem im Wintersemester 1821/ 22 gar nicht durchgehend in Berlin gewesen zu sein.i^ KARL ROSENKRANZ berichtet, daß UEXKüLL nach seiner Heidelberger Periode, in der er bei Hegel studierte, ein großzügiges Reiseleben führte.So ist es verständlich, wenn er in Abwesenheit die Naturphilosophie-Vorlesung des Wintersemesters 1821/22 für sich nachschreiben ließ. Wie aus dem Handschriftenvergleich hervorgeht, stammt die Beschriftung der Titelseite von UEXKüLL. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat er auch einige Randbemerkungen abgefaßt; ob die im fortlaufenden Text nachträglich eingesetzten Wörter auch von ihm geschrieben wurden, ist rächt ganz sicher, aber durchaus möglich. Die unterschiedHchen Schriftzüge der Randbemerkungen veranlaßten schon damals Nachforschungen. Vor der Titelseite findet sich eine Seite, auf der von einem LUDWIG bezeugt wird, daß die Randnotizen von FRANZ V. BAADERS eigener Hand sind. Auf die Titelseite folgt eine Seite, auf der — wiederum von anderer Hand — bezeugt wird, daß die Randglossen von Oberbergrat BAADER in München eingezeichnet wurden. Diese Bemerkungen lassen sich jetzt richtigstellen: Nur einige Randnotizen stammen von BAADER, die anderen mit großer Wahrscheinlichkeit von UEXKüLL. Daß die Nachschrift in die Hände und dann in den Nachlaß BAADERS gelangte, erklärt sich daraus, daß UEXKüLL und BAADER befreundet waren. 3. Der Jahrgang 1821/22 läßt sich durch zwei weitere anonyme Nachschriften belegen. Die eine trägt keinen Titel und beginnt mit der Bemerkung: 'II.: 6 October 21.' TeUI — der Anfang der Einleitung fehlt also, der übrige Teil der NachVgl. /. Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel. Bd 2. Hamburg 1969. 297 f u. 300. 20 Vgl. K. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844. Nachdr. Darmstadt 1969. 303; vgl. auch B. Uxkull: Armeen und Amouren. Ein Tagebuch aus napoleonischer Zeit. Bearbeitet und hrsg. von J.-D. Freiherr v. Uexküll. Reinbek bei Hamburg 1965. 9 f, 161 ff, 227.
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Schrift ist aber vollständig. Der Gesamtumfang der in Kleinfolioformat überlieferten Nachschrift beträgt 131 Seiten. Die Nachschrift ist mit Kürzeln und Abkürzungen verfaßt. Am Rande befinden sich Paragraphenverweise, Datumsangaben und Gliederungsüberschriften. Es handelt sich um eine Mitschrift. Es finden sich Verweise auf die Enzyklopädie (1817) in der Form, daß dort etwas nachgelesen (vgl. 63) oder daß ein Druckfehler (128) berichtigt werden soll. Wie der Vergleich mit der UEXKüLL-Nachschrift zeigt, beschränkt sich der Mitschreiber auf die Notierung der Hauptgedanken. So werden breit ausgeführte Gliederungen in der UEXKüLL-Nachschrift hier knapp in den Hauptpunkten wiedergegeben. 4. Die andere anonyme Nachschrift zum Jahrgang 1821/22 wurde seinerzeit vom Meiner-Verlag erworben und dem Hegel-Archiv zur Verfügung gestellt. Im Krieg wurde das Manuskript durch Hitzeeinwirkung beschädigt; die Blätter sind deshalb stark bräunlich gefärbt, auch fehlen einige. Die einzelnen Blätter der Nachschrift wurden in Schutzfolie eingelegt und in zwei Bänden gebunden. Eine Teiledition wurde von W. BONSIEPEN besorgt.^i Die Nachschrift trägt den Titel: ,Natur-Philosophie vorgetragen vom Professor Hegel.' Eine Jahresangabe fehlt. Das Manuskript (Oktavformat) ist vom Titelblatt an blattweise mit Bleistift bis S. 449 durchnumeriert worden; es folgen Blattfragmente. Auf Blatt 257 folgt Blatt 270; die am Schluß aufbewahrten Blattfragmente könnten aus dem fehlenden Textteil stammen. Die im Text erscheinenden Paragraphenzahlen beziehen sich auf die erste Auflage der Enzyklopädie. Es lag ursprünglich eine vollständige Nachschrift vor. Der Text, in dem sich keine Kürzel und kaum Abkürzungen finden, ist schön geschrieben. Es handelt sich also um eine häusliche Ausarbeitung. Der Text wurde in anderer Handschrift, in Tinte und in Blei, verbessert und mit Randbemerkungen und Unterstreichungen versehen. Die Verbesserungen stellen oft den Sinn erst her. Es zeigt sich, daß der Schreiber seine Vorlage bzw. Vorlagen nicht richtig entziffern konnte oder den Inhalt nicht verstand. Auch dieser Nachschrift zufolge machte Hegel während der Vorlesung auf Druckfehler des Handbuchs, d. h. der Enzyklopädie (1817), aufmerksam (vgl. 312 r, 375 v). Die großen Übereinstimmungen mit der UEXKüLL-Nachschrift und der anderen anonymen Nachschrift aus dem Wintersemester 1821/22 ermöglichen die Datierung auf dieses Semester. 5. Der Jahrgang 1823/24 ist eindeutig durch eine Nachschrift KARL GUSTAV JULIUS V. GRIESHEIMS belegt. Sie trägt den Titel: ,Philosophie der Natur vorgetragen vom Professor Hegel im Winterhalbenjahre 1823/24. Iter Theü. nachgeschrieben von V. GRIESHEIM' sowie: ,Philosophie der Natur vorgetragen vom Professor Hegel im Winterhalbenjahre 1823/24. Ilter Theil. nachgeschrieben von v. GRIESHEIM'. Die Nachschrift umfaßt insgesamt 623 Textseiten in Quartformat. Im Text finden sich Paragraphenangaben und Gliederungsüberschriften, am Rande gelegentliche 21 Vgl. W. Bonsiepen: Hegels Raum-Zeit-Lehre (s. Anm. 2). 39—61.
Naturphilosophie (W. Bonsiepen)
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Verbesserungen (wahrscheinlich mit Bleistift) und Bemerkungen (Verweise auf Anmerkungen zu den Paragraphen) in der Handschrift des Textes. Es handelt sich um eine vollständige Nachschrift, die sehr sauber, ohne Kürzel und Abkürzungen geschrieben ist. Der Paragraphentext wird jeweils noch einmal — in Anführungsstriche gesetzt — ganz niedergeschrieben. Dies dürfte aber nicht darauf schließen lassen, daß Hegel in der Vorlesung den Paragraphentext noch einmal ganz vorgetragen hat. Aus den anderen Nachschriften ist vielmehr zu entnehmen, daß Hegel sich nur auf bestimmte Passagen des Paragraphentextes im Handbuch bezog und ausdrücklich weitere Passagen zum Nachlesen empfahl. Diese verschiedenen Merkmale weisen darauf hin, daß es sich um eine häusliche Ausarbeitung handelt, die nicht einmal unbedingt von v. GRIESHEIM selber stammen muß, dessen eigene Papiere für einen Handschriftenvergleich nicht mehr vorliegen. 6. Der Jahrgang 1825/26 ist durch eine Nachschrift ohne Titel belegt, die im Kleinfolioformat 289 Textseiten umfaßt. Es finden sich keine Randbemerkungen, also auch keine Datumsangaben. Nur einmal wird der Text durch die Überschrift: ,I Mechanik.' unterbrochen. Der Text bezieht sich durch gelegentliche Paragraphen-Verweise auf die Enzyklopädie von 1817. Die Nachschrift ist schön geschrieben, mit Kürzel und Abkürzungen verfaßt und vollständig. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um eine Ausarbeitung. Der Nachschreiber läßt sich durch Vergleich mit einer Nachschrift über Geschichte der Philosophie aus dem Wintersemester 1825/26 ermitteln; es ist MORITZ PiNDER.
Da sich die Nachschrift auf die Paragraphenzählung der ersten Auflage der Enzyklopädie bezieht, muß sie im Zeitraum 1817—1827 entstanden sein. In Frage kommen die Jahrgänge 1819/20, 1821/22, 1823/24, 1825/26. Eine genauere Datierung wird durch Berücksichtigung der Lebensdaten des Nachschreibers möglich. MORITZ EDUARD PINDER, Bibliothekar in Berlin, lebte von 1807 bis 1871.^2 Da PESTOER für den Jahrgang 1823/24 als 16jähriger nachgeschrieben haben müßte, wird es sich bei der vorliegenden Nachschrift wohl eher um den Jahrgang 1825/26 handeln, zumal in diesem Semester PINDER auch eine andere Vorlesung Hegels nachgeschrieben hat. 7. Für den Jahrgang 1828 sind zwei Nachschriften erhalten. Die eine trägt den Titel: ,Philosophie der Natur nach der Vorlesung von des Pf. Hegel im Sommer S. 1828 als Erweiterung dieses TheUes in seinem Werke Encyclop. der philosophischen Wissenschaften von 245—376 §.' Sie soll von KAROL LIBELT stammen. Die in Quartformat überlieferte Nachschrift ist lückenhaft, einige Blätter fehlen, andere sind nicht ganz beschrieben. Außerdem wurde nur bis § 319 mitgeschrieben, so daß also 57 Paragraphen fehlen. Am Rande befinden sich Datumsangaben, der Text bezieht sich direkt auf die Paragraphen der Enzyklopädie von 1827
22 Vgl. G. Nicolin (Hrsg.); Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hamburg 1970. 649 (zu Nr 543).
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
und ist in Überschriften gegliedert. Der Nachschreiber verwandte Kürzel und Abkürzungen, außerdem verbesserte er den Text gelegentlich. Vermutlich handelt es sich um eine Mitschrift, bei der der Mitschreiber die Vorlesung nicht vollständig besuchte. Anfangs benutzte er noch nicht das Verfahren, bei versäumten Stunden Raum frei zu lassen, so daß er sich genötigt sah, an späterer Stelle den fehlenden Text durch einen Einschub nachzutragen (vgl. 6 v u. 10 r). Wie der Vergleich mit der andern Nachschrift zu diesem Jahrgang zeigt, gibt LIBELT die Vorlesung recht frei wieder. Einzelheiten, aber auch größere Partien werden weggelassen. Der Argumentationsgang des Textes droht dadurch oft unverständlich zu werden. 8. Die andere Nachschrift soll von HUECK nachgeschrieben sein. Sie beginnt auf der ersten Textseite mit der Überschrift: ,Naturphilosophie § 245—376' und umfaßt 361 Seiten in Quartformat. Aufgrund einer der Datumsangaben am Rande: ,Nach d. 11* July 1828' läßt sich die Nachschrift eindeutig datieren. Die Nachschrift hebt sich durch eine umfangreiche Verwendung von Kürzel hervor. Es tauchen gelegentlich Durchstreichungen und kleinere Einfügungen auf. Der Text nimmt direkt auf die einzelnen Paragraphen Bezug und wird durch am Rande stehende Überschriften geghedert. Es handelt sich um eine vollständige Mitschrift, die sich gegenüber der Nachschrift von LIBELT durch getreuere Wiedergabe der Vorlesung auszeichnet.
Zur Neugliederung der Naturphilosophie Die Nachschriften zu Hegels Vorlesungen über Naturphilosophie bieten eine Möglichkeit, den Prozeß der Neugliederung der Naturphilosophie im einzelnen zu verfolgen. In der zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827), die Hegel während seiner Berliner Zeit veröffentlichte, findet sich eine gegenüber der ersten Auflage (1817) veränderte Gliederung. In dieser ersten Auflage wird die Naturphilosophie unterteilt in: Erster Theil. Die Mathematik. Zweyter Theil. Die Physik des ünorganischen. A. Die Mechanik. B. Die elementarische Physik. a. Elementarische Körper. b. Elemente. c. Elementarischer Proceß. C. Die individuelle Physik. a. Gestalt. b. Besonderung der Körper. c. Proceß der Vereinzelung.
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Dritter Theil. Die Physik des Organischen. A. Die geologische Natur. B. Die vegetabilische Natur. C. Der thierische Organismus. ln der Naturphilosophie von 1827 werden Raum und Zeit nicht mehr in einem gesonderten Teil unter dem Titel: ,Die Mathematik' abgehandelt, sondern zum Abschnitt über die Mechanik gezogen, der nun die erste Abteilung der Naturphilosophie bildet. Außerdem wird die Abteilung über Physik, der zweite Teil der Naturphilosophie, erweitert, insofern jetzt spezifische Schwere, Kohäsion, Klang und Wärme in einem eigenen, zweiten Teil der Physik dargestellt werden: Erste Abtheilung. Die Mechanik. A. Raum und Zeit. a. Raum. b. Zeit. c. Ort. B. Materie und Bewegung. a. Träge Materie. b. Stoß. c. Fall. C. Absolute Mechanik. Zweite Abtheilung. Die Physik. A. Physik der allgemeinen Individualität. a. Freie physische Körper. b. Elemente. c. Elementarischer Proceß. B. Physik der besonderen Individualität. a. Specifische Schwere. b. Cohäsion. c. Klang. d. Wärme. C. Physik der totalen Individualität. a. Gestalt. b. Besonderung der individuellen Körper. c. Chemischer Proceß. Dritte Abtheilung. Organik. A. Geologische Natur. B. VegetabUsische Natur. C. Thierischer Organismus. a. Gestalt. b. Assimilation. c. Gattungs-Proceß.
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Hegel gliederte schon bald nach Erscheinen der ersten Auflage der Enzyklopädie die Naturphilosophie um. Im Sommersemester 1818 las er über Philosophie in ihrem gesamten systematischen Umfang nach seinem Lehrbuch. Er bezog sich dabei auf die Paragraphen der Enzyklopädie in erläuternden Diktaten. Uns ist in einem Handexemplar der Enzyklopädie eine systematische Übersicht über die Naturphilosophie erhalten, die sehr wahrscheinlich von einem Hörer dieser Vorlesung stammt.Danach enthält die Naturphilosophie bereits die spätere Untergliederung in Mechanik, Physik und Organik: „Der erste TheU betrachtet d. Materie in ihrer Allgemeinheit, als schwer. Der zweyte als sich besondernd in d. physikalischen Eigenschaften und deren körperlichen Individualität, specielle Natur; der dritte die organische Natur. Mechanik, Physik und Organik oder Physiologie." Der erste Teil wird der Seinslogik, der zweite der Wesenslogik zugeordnet. In der Nachschrift von 1819/20 findet sich ebenfalls diese Gliederung, andererseits orientiert sich die Nachschrift noch an der Naturphilosophie der ersten Auflage der Enzyklopädie, wodurch eine gewisse Überschneidung verschiedener Einteilungen erfolgt: „Mechanik, nicht bloß Mathematik, in Raum und Zeit; Physik; Organik. . . . Die erste Sphäre hat die ganz abstrakte verschlossene Äußerlichkeit, Raum und Zeit. Ihre Identität ist die Materie. Die zweite ist das entwickelte System der Schwere, die Materie als sich bewegend. Das System der freien Bewegung ist das System der himmlischen Körper. Die dritte ist, daß die Form frei wird, die Sphäre der bestimmten Körperlichkeit. "24 Nach der vorstehenden Gliederung, deren Authentizität man bezweifeln kann, läge eine sowohl von der ersten als auch von der zweiten Auflage der Enzyklopädie abweichende Dreiteilung der Mechanik vor, insofern hier ein dritter Teil der Mechanik angegeben ist, der eigentlich den ersten Teil der Physik in der zweiten Auflage der Enzyklopädie ausmacht. Die Orientierung an der ersten Auflage drückt sich darin aus, daß eine zur Gliederung der zweiten Auflage entgegengesetzte Reihenfolge der Bewegungsarten befolgt wird; es wird von der absolut freien Bewegung der Himmelskörper zur relativ freien des Falls und von dort zur bloß mechanischen Bewegung von Druck und Stoß übergegangen. Allerdings wird auch diese Einteilung wieder durch eine gegenläufige in Frage gesfellt, nach der die absolut freie Bewegung als dritte Form der Bewegung erscheint.25 Auch dies spricht nicht gerade für die Authentizität der Nachschrift. Die neue Einteilung der Physik ist trotz der verschachtelten Strukturierung erkennbar.26 In der Vorlesung des Wintersemesters 1821/22, deren Dreifachbelegung eine besonders gute Überprüfung ermöglicht, wird eine Darstellungsform gefunden, die terminologisch und inhaltlich schon weitgehend der Naturphilosophie der 23 Vgl. F. Nicolin: Unveröffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung Hegels. In: Hegel-Studien. 5 (1969), 9-30; dort 28 f, 10 f. 24 Vgl. Hegel: Naturphilosophie. Bd 1 (s. o. Anm. 15). 11 f. 25 Vgl. ebd. 27 ff, 31. 26 Vgl. ebd. 54 ff. — Vgl. auch W. Neuser: Dokumente einer Entwicklung — Zu Hegels Naturphilosophie. In: Dialektik. 8 (1984), 245—257.
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zweiten Auflage der Enzyklopädie entspricht. Die Naturphilosophie wird in expliziter Abweichung von der Einteilung des Kompendiums in Mechanik, Physik und Organik unterteilt. So heißt es, daß von der Einteilung des Kompendiums in der Darstellung abgewichen werde.Die Mechanik erhält eindeutig die spätere Gliederung in: 1. Raum und Zeit 2. Materie und Bewegung 3. System der himmlischen Körper, wobei sich die spätere Reihenfolge der Bewegungsarten vorfindet. Von Druck und Stoß wird zur relativ freien Bewegung des Falls und von dort zur absolut freien Bewegung der Himmelskörper übergegangen.^8 Eine der Nachschriften gebraucht für den dritten Teil den späteren Titel: absolute Mechanik, so daß auch terminologische Differenzen zur zweiten Auflage der Enzyklopädie wegfallen.29 Auch die Neugliederung der Physik entspricht weitgehend der späteren Systematik, ohne daß allerdings schon genau die späteren Titel verwandt werden. Im Anschluß an die Naturphilosophie von 1817 wird der erste Teil der Physik: ,Die elementarische Physik' genannt, Der zweite, in der ersten Auflage der Enzyklopädie noch nicht vorhandene Teil wird im Unterschied zum späteren Titel: ,Physik der besonderen Individualität' mit: , Sphäre der fruchtbaren Individualität'^! bzw.: ,Der Körper in seiner Besonderung'82 betitelt. Der dritte Teil erscheint als: ,Die totale, freie Individualität' bzw.: ,Totale Form'^^ oder: ,Der individuelle Körper'84, welche Titel zwischen der Terminologie der ersten (Die individuelle Physik) und zweiten Auflage (Physik der totalen IndividuaUtät) schwanken. Im Unterschied zur Naturphilosophie von 1827 werden Klang und Wärme, die zum zweiten Teil der Physik gehören, zusammen besprochen, also die Wärme noch nicht wie später in einem eigenen Kapitel abgehandelt. Da Hegel in seiner Vorlesung die Paragraphen der ersten Auflage der Enzyklopädie Schritt für Schritt erläutert, sieht er sich an den Stellen, wo die Neugliederung eine Umstellung oder Ehminierung der Paragraphen erzwingt, zu entsprechenden erläuternden Bemerkungen genötigt. So hat sich der Beginn der Physik um eine beträchtliche Anzahl von Paragraphen verschoben. Beim Beginn der Physik in der alten Gliederung angelangt, erklärt Hegel, daß die dortige Einteilung uns nichts mehr angehe und daß der Paragraph mit der alten Einteilung (§ 205) ganz wegfalle.35 Ein problematischer Punkt stellt ebenfalls der Übergang vom ersten zum zweiten Teil der Physik gemäß der ersten Auflage der Enzyklopädie dar, da hier in der Neugliederung der neue zweite Teil der Physik eingeschoben wird. An diesem Punkt erklärt Hegel, daß die Darstellung vom Kompendium Vgl. ^ Vgl. Vgl. 30 Vgl. 31 Vgl. 32 Vgl. 33 Vgl. 3^ Vgl. 33 Vgl.
Anonymus-1. 19; dazu auch Uexkäll. 38. Anonymus-1. 36 ff. Anonymus-2. 68 v. Uexküll. 121. Anonymus-1. 52; Uexküll. 119. Uexküll. 172 (Randnotiz). Anonymus-1. 51, 80 (Randnotiz); vgl. Anonymus-2. 190 v. Uexküll. 204 (Randnotiz). Anonymus-1. 32 f (jeweils Randnotiz); vgl. Anonymus-2. 117 r, 122 v.
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in der Anordnung abweiche, daß aber der Inhalt der einzelnen Paragraphen erhalten bleibe.36 In der Tat gelingt es ihm, durch geschickte Umstellung und Ausweitung der Paragraphen der neuen Einteilung gerecht zu werden. Die speziellen Ausführungen, die auf die Behandlung der , Gestalt' folgten, werden dieser vorangeschickt und zum zweiten, neuen Teil der Physik zusammengefaßt. In einer Nachschrift findet sich auch eine Begründung dieses Verfahrens, das keineswegs auf eine nur äußerliche Umstellung reduzierbar ist. Der Begriff der Gestalt stellt einen Einschnitt in der Entwicklung der Naturphilosophie dar und ist von zentraler systematischer Bedeutung für den Aufbau der gesamten Hegelschen Naturphilosophie. Man wird nicht fehlgehen, wenn man ihn mit dem ARiSTOTELischen Begriff der Form in Verbindung bringt. In der betreffenden Nachschrift heißt es, daß die zur Gestalt gehörenden Momente im Kompendium nachher dargestellt seien. Diese — spezifische Dichte und Kohäsion — sind jedoch Momente der Gestalt und daher als Weg zur totalen Individualität und somit zur Gestalt zu betrachten. Zweckmäßiger sei es daher, die in jenen Momenten sich äußernde beginnende Individualität vorher zu behandeln, um die Totalität als das Resultat dieser Momente zu erhalten. 37 Der dritte Teil der Naturphilosophie wird nicht mehr: ,Die Physik des Organischen', sondern wie 1827: ,Organik' genannt. Die Untergliederung des ,Thierischen Organismus' der Naturphilosophie von 1827, die allerdings im Text der Naturphilosophie von 1817 schon vorgebildet ist, wird durch entsprechende, jedoch noch nicht gleichlautende Titel vollzogen: , Prozeß des Lebendigen in sich selbst', ,Prozeß des Lebendigen nach außen' und ,Prozeß der Gattung'.38
Entwicklungstendenzen in der Konzeption der Berliner Naturphilosophie
Zwischen 1817 und 1827 hat Hegels Naturphilosophie in verschiedenster Hinsicht eine Entwicklung durchlaufen, die teils aus systematischen Gründen erfolgte, teils durch Neuerungen in den zeitgenössischen Naturwissenschaften veranlaßt wurde. Die GoETHische Farbenlehre sucht Hegel gegen die NEWTONsche Ansicht zu verteidigen, wobei er immer stärker zur Darstellung einer alternativen Theorie der Brechbarkeit des Lichtes gezwungen wird. Dies geht einher mit einer Verlagerung der Abschnitte über Licht und Farbe vom Anfang zum Ende der Physik, d. h. zu deren dritten Teil. Die zeitgenössischen Entdeckungen des Elektromagnetismus und Elektrochemismus dürften den Ausbau der entsprechenden Teile der Hegelschen Naturphilosophie veranlaßt haben. Hegel ordnet allerdings auch insgesamt seine Naturphilosophie neu ein, wie der unterschiedliche Aufbau der Einleitungen in die Naturphilosophie zeigt. Aus der Einleitung in die Vorle-
36 Vgl. Anonymus-1. 70. 37 Vgl. Anonymus-2. 301. 38 Vgl. Uexküll. 325, 330, 338 (Randnotizen).
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sung von 1823/24, für die Hegel nach MICHELET eine neue Einleitung verfaßte^^, läßt sich folgende Gliederung herausheben, wobei die in eckige Klammern gesetzten Überschriften aus dem Text erschlossen sind®: I. Begriff der Naturphilosophie a. Was ist der Begriff der Naturerkenntnis? 1. Das praktische Verhalten 2. Das theoretische Verhalten b. Unterschied der Physik und Naturphilosophie II. Begriff der Natur [a. Die Natur in ihrer Äußerlichkeit ist nur Erscheinung des Begriffs] [b. Vergänglichkeit, Zufälligkeit der Natur] [c. Gesetze als eine eigentümliche Form des Begriffs in der Natur] [d. Die Natur ist der Notwendigkeit unterworfen, ist nicht frei] [e. Zweckmäßigkeit der Natur] [f. Begriff der Polarität] [g. Stufungen der Natur] [h. Ziel der Entwicklung der Natur] Hegel handelt hier ausführlich über das theoretische und praktische Verhalten zur Natur. Er zeigt die Widersprüchlichkeit beider Verhalten auf und sieht in einer bestimmten Einheit von theoretischem und praktischem Verhalten die wahre Einstellung zur Natur. ln der Einleitung zur Vorlesung von 1828 geht Hegel dagegen nur noch ganz kurz auf das theoretische und praktische Verhalten zur Natur ein. Ihn interessiert nun etwas anderes: [I. Begriff der Naturphilosophie] [a.] Zweck der Naturphilosophie [1.] Das praktische Verhalten zur Natur [2.] Das theoretische Verhalten zur Natur [b.] Verhältnis der Physik zur Naturphilosophie 1. Kategorie des gleichgültigen Bestehens der Naturgegenstände nebeneinander 2. Kategorie der untrennbaren Beziehung der Naturgegenstände aufeinander, Polarität [3.] Zweckbeziehung oder totale Physik
35 Vgl. oben S. 42. ® Vgl. im einzelnen W. Bonsiepen: Hegels kritische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Evolutionstheorie. In: R.-P. Horstmann/M. J. Petry (Hrsg.): Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen zwischen empirischer und spekulativer Naturerkenntnis. Stuttgart 1986. 155 f.
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[II.] Begriff der Natur Die Natur in ihrer Äußerlichkeit, Zufälligkeit und Notwendigkeit, Gesetze der Natur, Stufenfolge der Natur Weiten Raum nimmt jetzt die Erörterung des Zweckbegriffs ein, der aus Teil II. herausgenommen und innerhalb der Auseinandersetzung mit den Kategorien der Physik entfaltet wird. Hegel sieht sich mit der Ablehnung des Teleologiebegriffs in den zeitgenössischen Naturwissenschaften konfrontiert und sucht diesen Begriff neu zu fundieren, um darauf seine Naturphilosophie aufbauen zu können. Die breite frühere Erörterung des theoretischen und praktischen Verhaltens zur Natur dürfte im Zusammenhang mit einer bestimmten Entwicklung der Hegelschen Geistesphilosophie bzw. der Vorlesungen über Geistesphilosophie stehen, so daß hier deutlich wird, daß eine isolierte Betrachtung der einzelnen Vorlesungszyklen nicht möglich ist. Wolfgang Bonsiepen (Bochum)
HEGELS VORLESUNGEN ZUR PHILOSOPHIE DES SUBJEKTIVEN GEISTES
Im Kontrast zur Rechtsphilosophie, zu der seit Hegels Tod eine Fülle von Vorlesungstexten — seien es Nachschriften von Hörern, seien es Hegels eigene Vorlesungsnotizen — publiziert worden sindi, ist die Philosophie des Geistes eher stiefmütterlich behandelt, um nicht zu sagen: sträflich vernachlässigt worden. Seit der BouMANNschen Ausgabe der „Zusätze" zu den §§ 337—482 ist das Vorlesungsmaterial systematisch nicht mehr ausgewertet worden. Eine einzige Ausnahme bietet die eindrucksvolle — schon aufgrund ihrer Zweisprachigkeit einmalige — Ausgabe von M. J. PETRY, der die dem Hegel-Archiv zur Verfügung stehenden Nachschriften von v. GRIESHEIM, HOTHO und KEHLER aus den Jahren 1822 und 1825 ausgewertet und darüber hinaus das von NICOLIN entdeckte und edierte „Fragment" von 1822/25 in seine Edition eingebracht hat. Die stiefmütterliche Behandlung gerade dieses Systemteils ist um so erstaunlicher, als der Autor selbst auf ihn besonders großen Wert gelegt hat: nachdem er mehrfach — privaü, aber auch in den Pubhkationen — den Zustand der „Lehre ^ Beginnend mit der Edition von Eduard Gans, 1833, als Band 7 der Ausgabe des „Vereins der Freunde des Verewigten" erschienen, die — wie die Edition der Enzyklopädie — Vorlesungsnachschriften und eigenhändige Notizen Hegels zu „Zusätzen" verarbeitet hat; über die Teilpublikationen von Lasson und Hoffmeister (vgl. dazu die Suhrkamp-Ausgabe von Moldenhauer und Michel (= MM), Band 7. 527— 529) bis zu den Editionen von Vorlesungsnachschriften zur Rechtsphüosophie von Ilting, Henrich und der von C. Becker, W. Bonsiepen u. a. besorgten Edition der Wannenmann-Nachschrift. 2 Vgl. den Brief Hegels an Niethammer vom 10. Oktober 1811: Briefe von und an Hegel. Bd 1. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1969, 389.
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vom Geiste, die man gewöhnlich Psychologie nennt" als „vernachlässigt und schlecht" (RP § 4 A) verurteilt und erklärt hatte, die „weitere Ausführung" seiner in den §§ 363—399 der 1. Auflage der Enzyklopädie von 1817 erstmals entwickelten Lehre „dereinst geben zu können" (ebd.); nachdem dann aber diese Ausführung Hegels — vermutlich seines frühen Todes wegen — nicht mehr zustandegekommen ist, hätte es wenigstens nahegelegen, die Nachschriften der Vorlesungen über die Philosophie des Geistes kritisch zu sichten und zu edieren. Denn die von BOUMANN publizierten „Zusätze", so wertvolle und unentbehrliche Quellen für die Erschließung der Philosophie des Geistes sie auch sind, bieten nicht zuletzt dank ihrer überreichen Materialfülle nicht denjenigen Zugang zur systematischen Entwicklung von Begriff und Philosophie des Geistes, den die uns noch erhaltenen Nachschriften bieten. Dieser systematische Zugang aber ist auch für die von der Hegel-Forschung und der Öffentlichkeit lange Zeit ausschließlich beachtete Rechtsphilosophie von — im ursprünglichen Wortsinne: — grundlegender Bedeutung. Denn: „Daß der WUle frei und was Wüle und Freiheit ist — die Deduktion hiervon kann . . . allein im Zusammenhänge des Ganzen stattfinden. Die Grundzüge dieser Prämisse — daß der Geist zunächst Intelligenz und daß die Bestimmungen, durch welche sie in ihrer Entwicklung fortgeht, vom Gefühl, durch Vorstellen zum Denken der Weg sind, sich als Wille hervorzubringen, welcher, als der praktische Geist überhaupt, die nächste Wahrheit der Intelligenz ist — habe ich in meiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Heidelberg 1817) § 363—399 dargestellt und hoffe, deren weitere Ausführung dereinst geben zu können." (RP § 4 A) Das Systemkonzept von Begriff und Philosophie des Geistes so differenziert und komplex, zugleich aber auch so gedanklich stringent wie möglich verfügbar zu machen, ist also nach Hegels eigener Erklärung unbedingte Voraussetzung auch für die Philosophie des Willens und der Freiheit, die Philosophie des objektiven Geistes, die Rechtsphilosophie. Die Edition eines besonders wichtigen und wertvollen Jahrgangs dieser Vorlesung — aus dem WS 1827/28, erstmals gehalten auf Basis der erheblich revidierten und erweiterten 2. Auflage der Enzyklopädie — durch FRANZ HESPE und den Verfasser erfüllt deshalb ein seit anderthalb Jahrhunderten bestehendes Desiderat.
Die Philosophie des subjektiven Geistes im Kontext der Vorlesungen „Philosophie des Geistes" ist Hegels Titel für den die Anthropologie, Phänomenologie des Geistes und Psychologie umfassenden Teil seines philosophischen Systems und zugleich der Titel einer Vorlesung, die er in seiner Berliner Zeit regelmäßig gehalten hat. Hegel hat sich von Beginn seiner literarischen Beschäftigungen an ausgiebig mit Problemen der Philosophie des subjektiven Geistes befaßt. In den Dokumenten und Exzerpten aus der Stuttgarter Gymnasialzeit werden regelmäßig Probleme der späteren Anthropologie und Psychologie themati-
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sierü, aus der Berner Zeit ist ein erstes Manuskript zu Themen des subjektiven Geistes erhalten^. Unter den Manuskripten, Schülerheften und den von ROSENKRANZ redigierten Arbeiten der Nürnberger Periode finden sich zahlreiche Stücke zur Philosophie des subjektiven Geistes.^ Die außerordentliche Bedeutung der Probleme der Logik und der Metaphysik der Subjektivität im Prozeß der Herausbildung des Hegelschen Systems vor allem in der Jenaer Zeit ist in zahlreichen Arbeiten festgesteUt und analysiert worden.® Die Bedeutung, die Hegel selbst der Philosophie des subjektiven Geistes auch in der Berliner Zeit beimaß, wird durch die schon mehrfach erwähnte Tatsache unterstrichen, daß er ihre Publikation als eigenständiges Handbuch geplant und, ausweislich eines von NICOLIN edierten Fragments von 1822/25^, auch in Angriff genommen hat. Offenbar sollte dieses Handbuch das Gegenstück zur Publikation der Philosophie des objektiven Geistes in derjenigen Fassung bilden, die uns in Gestalt der Rechtsphilosophie von 1820 vorliegt. Waram es dann doch nicht zur Publikation gekommen ist, ist nicht bekannt.® Trotz dieser oder gerade wegen dieser intensiven Beschäftigung mit den Problemen des subjektiven Geistes ist die Konzeption dieses Systemteils bei Hegel beständig im Fluß gewesen, ln allen Jenaer Entwürfen enthalten die für die Probleme der Philosophie des subjektiven Geistes einschlägigen Systemteile wie Hegels spätere Psychologie auch — diesen Titel selbst gibt es dort, ebenso wie den Titel einer Philosophie des Geistes, noch nicht — eine Einteilung in Intelligenz und Willen. In den Nürnberger Materialien beginnt Hegel mit einem äußerst konzeritrierten und auf die ersten drei Kapitel (Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft) reduzierten Vortrag seiner Phänomenologie, an die er die Psychologie an-
3 Vgl. Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg, von J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 55 ff, 101 ff, 115 ff. Jetzt auch mit Abdruck der von Hegel benutzten Originaltexte in: G. W. F. Hegel: Frühe Exzerpte. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1991. (GW 3) 6 ff, 100 ff, 126 ff. ^ Ein Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilosophie (1794). ln: G. W. F. Hegel: Frühe Schriften 1. Hamburg 1989. (GW 1.) 165 ff. ® G. W. F. Hegel: Nürnberger Schriften. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1938. 11 ff, 122 f, 199 ff, 235 ff. ® Zu nennen sind hier: R. P. Horstmann: Hegels vorphänomenologische Entwürfe zu einer Philosophie der Subjektivität in Beziehung auf die Prinzipien der Reflexionsphilosophie. Diss. Heidelberg 1968. — H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels „System der Philosophie" in den Jahren 1800—1804. Bonn 1970. (Hegel-Studien. Beihefts.) — K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn 1976. (Hegel-Studien. Beiheft 15.) - M. J. Petry: Introduction. In: Hegel's Philosophy of Spirit. Ed. and transl. by M. J. Petry. Dordrecht, Boston 1978. — Hegels philosophische Psychologie. Hrsg, von D. Henrich. Bonn 1979. (Hegel-Studien. Beiheft 19.) — R. P. Horstmann: Über das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in Hegels Jenaer Schriften. In: Hegel in Jena. Hrsg, von D. Henrich u. K. Düsing. Bonn 1980. (Hegel-Studien. Beiheft 20.) 181 ff. ^ F. Nicolin: Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des Geistes. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 9 ff; jetzt in GW 15. 207 ff. ® Zum Ganzen vgl. ebd. und F. Nicolin: Hegels Arbeiten zur Theorie des subjektiven Geistes. In: Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Hrsg, von J. Derbolav und F. NicoUn. Düsseldorf 1960. 356 ff.
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schließt. Von der späteren Anthropologie fehlt nicht nur der Name, sondern auch noch inhaltlich jede Spur. Die Dreiteilung in Anthropologie, Phänomenologie und „Psychologie" findet sich erstmals in der „Subjektiven Logik" von 1816.® Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich Hegel auch 1816, an der o. a. Stelle der Wissenschaß der Logik, noch nicht ausdrücklich für die Bezeichnung „Psychologie" entscheidet. Auch in Enzi, wo diese Dreiteilung der Wissenschaft des subjektiven Geistes zum erstenmal durchgeführt ist, fehlen „Anthropologie", „Phänomenologie des Geistes" bzw. „Psychologie" in den Titeln der entsprechenden Abschnitte (vor §§ 308, 329, 363); und in § 307 ist mit deutlicher Distanzierung nur von „der gewöhnlich so genannten Anthropologie" und „der sonst so genannten Psychologie" die Rede. Erst 1827 hat sich Hegel — in den Titeln und im Text — endgültig für „Anthropologie" und „Psychologie" entschieden, nachdem die Bewußtseinslehre schon 1817 (in § 307) ausdrücklich als „Phänomenologie des Geistes" bezeichnet worden war. Wie stark aber auch in der reifen Philosophie Hegels dieser Teil im Fluß ist, insbesondere was die ARisxoxELEsrezeption und die Interpretation des Freiheitsbegriffs anbetrifft, zeigen seine Vorlesungen. Da Hegel den Plan, die Philosophie des Geistes in einem eigenständigen Werk abzuhandeln, nicht hat realisieren können, sind wir für die Kenntnis der detaillierten Ausführungen dieses Systemteils auf die Vorlesungen angewiesen. Hegel selbst hat ja nur einen kleinen Teil seines in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen im Grundrisse skizzierten Systems selbst näher ausarbeiten können, nämlich die Logik und die Rechtsphilosophie. Die Ausführung der übrigen Teile blieb dem mündlichen Vortrag Vorbehalten. Wie der Untertitel „Zum Gebrauch seiner Vorlesungen" belegt, ist aber auch Hegel selbst der Meinung gewesen, er werde erst in den Vorlesungen diejenigen Ausführungen bringen, die den im Haupttext und den „Anmerkungen" der Enzyklopädie nur skizzierten Gedankengang konkretisieren.
Übersicht über das überlieferte Material Hegels Philosophie des subjektiven Geistes liegt bislang nur in Gestalt des Textes der §§ 299—399 der 1. bzw. der §§ 377—482 der 2. und 3. Auflage der Enzyklopädie von 1827 bzw. 1830 sowie in den Zusätzen vor, die der Herausgeber des 3. Bandes der „Enzyklopädie" im Rahmen der Freundesvereinsausgabe, L. BOUMANN, hinzugefügt hat.^° Aus den verschiedenen Jahrgängen, in denen Hegel über die ® GW 12. 197, Z. 19; 198, Z. 6; 198, Z. 16—20; zu diesem ganzen Komplex vgl. U. Rameil: Bewußtseinsstruktur und Vernunß. Hegels propädeutischer Kursus über Geisteslehre von 1811/12. In: Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes. Hrsg, von F. Hespe und B. Tuschling. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. 155 ff. G. W. F. Hegel: Werke. Bd 7, Abt. 2. Berlin 1845; für die 2. Aufl. ist nunmehr verfügbar; G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen im Grundrisse (1827). Hrsg, von W. Bonsiepen und H.-C. Lucas. Hamburg 1989. (GW 19.)
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Philosophie des subjektiven Geistes gelesen hat^, lagen BOUMANN nur die folgenden Materialien vor: zwei von Hegel selbst angefertigte Hefte aus den Jahren 1817 und 1820, zwei Hefte, die Hegel sich hatte abschreiben lassen — eines davon hatte er selbst mit Zusätzen versehen und für seine Vorlesungen in den Jahren „1828" und „1830", d. h. im Wintersemester 1827/28 und 1829/30, benutzt —, ein Heft des Majors v. GRIESHEIM aus dem Jahre 1825, ein Heft des „Herrn Dr. MULLACH" aus dem Jahre 1828, ein eigenes Heft.i^ Bis auf das Heft von v. GRIESHEIM sind diese Quellen verloren. Vor Auffindung der neuen Nachschriften kannte man nur die Nachschriften HOTHO (1822), KEHLER (1825) und eben v. GRIESHEIM (1825), die jedoch bislang sämtlich nur auszugsweise publiziert sind (s. u.). 1961 hat F. NICOLIN das schon erwähnte Hegelsche Fragment zur Philosophie des Geistes herausgegeben^^, das er als Vorarbeit für eine von Hegel in den Jahren 1822 bis 1825 geplante Buchpublikation identifizieren konnte. 1969 hat NICOLIN handschriftliche Erläuterungen zu einigen §§ aus einem durchschossenen Handexemplar der ersten Ausgabe der Enzyklopädie von unbekannter Hand veröffentlicht. Nach NICOLIN handelt es sich um Diktate Hegels aus einer Enzyklopädievorlesung vom Sommersemester 1818. Einschlägig für die Philosophie des subjektiven Geistes sind Erläuterungen zu den §§ 304, 328 f und 373 der ersten Auflage. 1972 hat H. SCHNEIDER Vorlesungsnotizen Hegels aus den Hegel-Manuskripten der Harvard-Universität ediert^^, unter denen sich unter der Nr 151 a ff, 158 c ff, sowie 154 a auch Notizen zum subjektiven Geist befinden. SCHNEIDER bezieht die Notizen aufgrund der Datierung der Diplome, auf denen sie geschrieben sind, mit einer Ausnahme auf die Vorlesungen von 1820 oder 1822; das kurze Eragment 154 a wird dem § 392 der 2. Auflage der Enzyklopädie zugeordnet, 1975 haben NICOLIN und SCHNEIDER Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist aus dem durchschossenen Handexemplar herausgegeben, 1978 schließlich hat M. J. PETRY die Philosophie des subjektiven Geistes ins Englische übersetzt, zweisprachig ediert und dabei auf alle damals bekannten Quellen zurückgegriffen. Außer dem Text von BOUMANN und dem Fragment aus Insgesamt hat Hegel in Heidelberg und Berlin in den folgenden Semestern über Anthropologie und Psychologie bzw. Philosophie des Geistes gelesen: in den Sommersemestern 1817, 1820, 1822 sowie in den Wintersemestern 1827/28 und 1829/30. Vgl. hierzu die Auszüge aus dem Heidelberger und Berliner Vorlesungsverzeichnis in: Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 1. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1977. 110 ff, 114 ff. 12 Hegel: Werke. Bd 7, Abt. 2. Berlin 1845. VI. 13 S. o. Anm. 7. 1^ F. Nicolin: Unveröffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung Hegels. In: Hegel-Studien. 5 (1969), 9 ff. 13 H. Schneider: Unveröffentlichte Vorlesungsrtmnuskripte Hegels. In: Hegel-Studien. 7 (1972), 9 ff. 16 Ebd. 50, 54. 12 F. Nicolin/H. Schneider: Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist, ln: Hegel-Studien. 10 (1975), 11 ff. 1® S. o. Anm. 6.
Philosophie des subjektiven Geistes (B. Tuschling)
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Band 1 der Hegel-Studien gibt er Auszüge aus den Manuskripten von GRIESHEIM und KEHLER wieder. Nachdem WERNER STARK in Torun die Nachschrift WALTER aus dem WS 1827/28 gefunden hatte und mir selbst von der Bibliotheka Narodowa in Warschau mitgeteilt wurde, daß dort eine Nachschrift von JOHANN EDUARD ERDMANN über Hegels Philosophie des Geistes aus dem WS 1827/28 vorliege, konnte erstmals die Edition dieser den zur Zeit letzten verfügbaren Informationsstand über die Entwicklung der Hegelschen Philosophie des subjektiven Geistes betreffenden Nachschrift in Angriff genommen werden. Eine weitere noch vorliegende Nachschrift derselben Vorlesung — die Nachschrift HUECK — ist, von einigen geringfügigen Abweichungen abgesehen, eine wörtliche Abschrift der Nachschrift WALTER; sie wird deshalb in der bevorstehenden Edition nicht besonders berücksichtigt.
Die Manuskripte WALTER und ERDMANN
1. Das Manuskript WALTERI® besteht aus 6 Lagen ä 10 Doppelblatt, insgesamt 120 Blatt. Es trägt den Titel „Hegels Vorlesungen über die Philosophie des Geistes" sowie den Namen „F. WALTER" und einen Datumseintrag „XI27", der später durch die Eintragung der Jahreszahlen „1827/28" überschrieben wurde. Als weiteren Datumseintrag findet man auf Seite 43 am Rande: „7. 1. 1828". Ein Teil des Manuskripts wurde aus dem Manuskript ERDMANN abgeschrieben. Die Handschrift ist teils säuberlich, teils mit zahlreichen Korrekturen, nachträglich eingefügten Zitaten sowie sonstigen Text- und Randzusätzen (auf einem zunächst freigelassenen breiten Rand) niedergeschrieben worden, und zwar nicht in einem Zuge, sondern mit Unterbrechungen in einem größeren Zeitraum. Zwei Typen lassen sich deutlich voneinander unterscheiden: Diejenigen Partien des Manuskripts, die das Schriftbild des ersten Typs — der Abkürzung halber „Normalschrift" von uns genannt — aufweisen, sind engzeüig beschrieben, die Seiten enthalten etwa 55 Zeilen, die Buchstaben sind säuberlich ausgeschrieben, es werden kaum Sigel verwandt. Dieser Typus findet sich am Anfang sowie im Mittelteil des Manuskripts. Der andere Schrifttyp — unser Kürzel: „Konzeptschrift" — ist wesentlich größer, die Buchstaben sind verschUffen, die Wörter durch Weglassen der Vokale oder ganzer Silben abgekürzt, es werden viele Sigel verwandt, ln diesem Typus sind andere Partien des Mittelteils sowie der Schluß des Manuskripts gehalten. Das Manuskript stammt aber nicht von verschiedenen Händen. Denn die Übergänge von einem Schrifttyp zum anderen sind sehr oft fließend.
Das Original befindet sich in der Biblioteka Glowna Torun unter der Signatur IIIR 514.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
2. Das Manuskript ERDMANN^O besteht aus 11 Lagen von 6 und einer — der ersten — von 3 Doppelblatt, das Format ist Folio. Das Manuskript trägt auf der ersten Seite den Titel „Hegel. Vorlesungen über die Philosophie des Geistes, Berlin im Wintersemester 1827/28". Darunter steht der Namenszug „JOHANN EDUARD ERDMANN". Das Manuskript ist von einer einzigen Hand verfaßt. Außer dem Eintrag „Philosophie des Geistes" in der rechten oberen Ecke der ersten Seite der 2. bis 7. Lage stehen auf dem Rand noch einige wenige Zusätze mit Verweiszeichen, Verweise auf die §§ der Enzyklopädie von 1827 sowie das Datum der jeweiligen Vorlesungsstunde. Das Schriftbild ändert sich regelmäßig an jenen Manuskriptstellen, die durch Datumseinträge den Beginn einer neuen Vorlesungsstunde markieren; der Schreiber benutzt eine deutlich spitzere Feder. Dies läßt vermuten, daß das Manuskript im Wintersemester 1827/28 kontinuierlich angefertigt worden ist. Die Schrift ist ausgeprägt und nähert sich bisweilen im Charakter einer Schönschrift. Das Manuskript ist im allgemeinen säuberlich geschrieben, Durchstreichungen, Korrekturen und Ergänzungen finden sich nur ganz selten. Der Schreiber des Manuskripts verwendet Sigeln; Endsilben (v. a. Flexionsformen) werden fast durchweg weggelassen; auch sonst kürzt er vielfach ab. Es kann wohl ausgeschlossen werden, daß das Manuskript von einem kommerziellen Schreiber stammt. Außerdem bestätigen Schriftvergleiche, allerdings mit sehr viel späteren Briefen, daß das Manuskript von ERDMANNS Hand herrührt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es allerdings auch keine Mitschrift. Es dürfte sich am ehesten um eine nach eigenen oder fremden Unterlagen nachträglich angefertigte Ausarbeitung handeln, die allerdings, wie schon gesagt, wahrscheinlich in direktem zeitlichem Zusammenhang mit Hegels Vortrag entstanden ist. 3. Bezugstext der Vorlesung, die in den Manuskripten WALTER und ERDMANN mitgeteilt wird, ist die zweite Auflage von Hegels Enzyklopädie von 1827, 3. Teil, 1. Abteilung. Dies wird durch zahlreiche eindeutig zu identifizierende Paragraphenangaben und Zitate belegt. Hegel hat demnach bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die soeben erschienene Überarbeitung seiner Enzyklopädie seiner Vorlesung zugrunde gelegt. Dies wird bestätigt durch den „Index Lectionum" der Berliner Universität. Für das Wintersemester 1827/28 kündigte Hegel „Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes" nach der zweiten Auflage seiner Enzyklopädie an.^i Da beide Manuskripte nicht in einem Zug geschrieben, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg angefertigt wurden, ist auszuschließen, daß es sich um spätere Abschriften oder Kompilationen mehrerer Jahrgänge handelt. Sie dürften daher den Text von Hegels Vorlesungen aus dem 20 Das Original befindet sich in der Biblioteka Narodowa Warszawa unter der Signatur Akc. 2288. 21 „Privatim 1) Historiam philosophiae quinquies p. hebd. h. XII-I. 2) Psychologiam et anthropologiam sive phUosophiam mentis duce libro suo (Encyclop. d. phüos. Wiss. Vol. III. P. I. ed. II) quater per hebd. h. V—VI dieb. Lun. Mart. Jov. Ven. enarrabit." In: Briefe von und an Hegel. Bd4, T.l. 117; vgl. auch ebd. 123 die Ankündigung aus dem deutschsprachigen Verzeichnis der Vorlesungen.
Philosophie des subjektiven Geistes (B. Tuschling)
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Wintersemester 1827/28 einigermaßen verläßlich wiedergeben, freilich nicht wörtlich, sondern bestimmt durch die unterschiedliche Auffassungsgabe der Hörer und den unterschiedlichen Grad der Bearbeitung. Von den beiden Manuskripten ist das von ERDMANN stilistisch am meisten überarbeitet und zeigt die Bemühung, der Nachschrift einen einheitlichen Duktus zu geben. Darüber hinaus erklärt ERDMANN in seinen Vorlesungen über akademisches Leben und Studium ausdrücküch^^, daß es sich bei dieser Nachschrift um einen in häuslicher Arbeit ausformulierten Text auf Grundlage eigener Mitschriften im Hörsaal handelt; es ist zwar nicht auszuschließen, daß auch ERDMANN andere Hefte seiner Kommilitonen herangezogen hat, dafür gibt es im Manuskript jedoch keine positiven Anhaltspunkte. Davon, daß es sich bei ERDMANNS Nachschrift um eine selbständige Bearbeitung und nicht um eine bloße Abschrift handelt, zeugen auch die Art der Korrekturen, die einen mitdenkenden Schreiber erkennen lassen. Sehr viel heterogener ist dagegen das Material der Nachschrift WALTER. Im Reinschriftteil zu Beginn des Manuskripts hat WALTER zunächst fast wörtlich von ERDMANN abgeschrieben, wobei er jedoch Texte aus der Enzyklopädie eingearbeitet hat. Auf den Seiten 6 r und 6 v hat WALTER dann auf dem Rande Text aus einer anderen Vorlage (möglicherweise seinen eigenen Aufzeichnungen aus dem Hörsaal) niedergeschrieben und in den von ERDMANN abgeschriebenen Text eingewiesen. Auf den folgenden Seiten bietet er dann einen Text, der aus dem Manuskript ERDMANNS und einer anderen Quelle kompiliert ist. Diese Kompilation führt zu häufigen Wiederholungen im Gedarrkengang. Außerdem sind in diese Partien z. T. außerordentlich lange Zitate aus dem Text der Enzyklopädie eingearbeitet. Sichere Hinweise für die Abhängigkeit auch dieses Teils der Nachschrift WALTER von der ERDMANNS sind ferner Zeilensprünge, Lücken im Manuskript und Lesefehler, die sich aus Undeutlichkeiten bzw. WALTER nicht bekannten Kürzeln bei ERDMANN erklären lassen. Als ein weiteres Indiz dafür, daß der Text aus mehreren Quellen zusammengestellt worden ist, kann man ansehen, daß WALTER an mehreren Stellen mit der Niederschrift eines Satzes aus ERDMANN — manchmal auch aus einer anderen Vorlage — begirmt, diesen streicht, anderes Material einfügt, um dann mit dem zuvor gestrichenen Satz fortzufahren. Wegen der Uneinheitlichkeit des Textes, der größeren Materialfülle und der häufigen Wiederholungen vermittelt das Manuskript WALTER auf den ersten Blick der Eindruck der größeren Authentizität. Die nähere Untersuchung zeigt aber, daß es sich um Texte ganz verschiedener Uberarbeitungsstufen handelt. Diejenigen geschlossenen Textabschnitte, in denen das Manuskript WALTER mit dem Manuskript ERDMANN beinahe wörtlich übereinstimmt, hat Hegel zu Zeiten vorgetragen, in denen WALTER ihn offensichtlich nicht selbst gehört hat: WALTER kam erst nach Semesterbeginn nach Berlin, und zu Jahresbeginn 1828 konnte er krankheitshalber nicht an der Vorlesung teilnehmen.ggi diesen Textstücken dürfte es ^ Vgl. unten Abschnitt 4. Vgl. unten Abschnitt 4.
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sich um eine einfache Abschrift aus dem Manuskript ERDMANNS handeln. Die in Konzeptschrift geschriebenen Texte stammen dagegen wahrscheinlich direkt aus dem Hörsaal. Diesen Texten hat WALTER dann im freigelassenen Leerraum und in Randnotizen Material aus anderen Heften und aus der Enzyklopädie hinzugefügt.^4 Die Reinschriftpartien, die nicht vollständig mit dem Manuskript ERDMANN übereinstimmen, sondern in der Regel darüber hinausgehendes Material enthalten, sind vermutlich aus derartigen Vorlagen abgeschrieben. Keines der beiden Manuskripte gibt den Vortrag Hegels authentisch wieder, beide sind Resultat einer individuell recht unterschiedlichen Aufnahme des Vortrages und der Bearbeitung des Textes. Andererseits zeigen die inhaltlichen Übereinstimmungen in denjenigen Passagen, in denen WALTER von ERDMANN unabhängig ist, daß die Nachschriften zwar keine wörtlichen Protokolle der Vorlesung bieten, andererseits aber ihren Gedankengang verläßlich dokumentieren. ERDMANNS Text zeichnet sich jedoch nicht nur durch große gedankliche Geschlossenheit, sondern auch durch seine literarische Form vor der Nachschrift WALTER wie vor nahezu allen anderen Nachschriften Hegelscher Vorlesungen aus. Er präsentiert Hegels Philosophie des subjektiven Geistes in einer Lebendigkeit, wie er sie im Hörsaal vermittelt bekommen, wenn auch aller Wahrscheinlichkeit nach so nicht gehört hat. Wir haben uns deshalb entschlossen, ERDMANNS Nachschrift als Haupttext zu veröffentlichen und zusätzliches Material aus dem Manuskript WALTER in gesonderter Form mitzuteilen. 4. Über Hegels Vorlesungen berichtet J. E. ERDMANN, er habe weder diktiert noch so gelesen, daß man die Vorlesung Wort für Wort habe mitschreiben können.,,Wie die Notizen, welche er vor sich hatte, bald oben, bald unten in seinem Heft geschrieben standen, wie er sie bald von dieser, bald von jener Seite, bald mit Hilfe eines, bald eines anderen Blättchens zusammen suchte, geradeso wurden auch die Worte mühselig zusammen gesucht und schlossen sich nur selten zu correkt gebauten Perioden zusammen. Die Hauptgedanken traten in einzelnen Schlagworten prägnant hervor, so daß der Sinn und Geist gegeben war, der Nachschreibende aber dazu die Form selbst suchen mußte. Dadurch kam es, daß man jeden Gedanken zunächst nur als Hegelschen vernahm, dann aber durch die sprachliche Veränderung (Sprechen ist Denken) ihn sogleich wiederholte und sich assimilierte. "^6 Die Mitteilungen WALTERS und ERDMANNS belegen, daß beide Hegels Vorlesung regelmäßig gehört, nachgeschrieben und (auch mithilfe der Nachschriften anderer) ausgearbeitet haben. ERDMANNS Zeugnis bestätigt darüber hinaus zeitgenössische Berichte über Hegels Vorlesungen. Sein Vortrag wird überwiegend als stokkend und unzusammenhängend beschrieben^^, zugleich wird aber auch immer ^ 24 Daß er gieh der Hefte anderer Kommilitonen bedient hat, teilt Walter im übrigen selbst mit (vgl. unten Abschnitt 4). 25 j, E. Erdmann: Vorlesungen über akademisches Leben und Studium. Leipzig 1858. 264. 26 Ebd. 264 f. 22 Vgl. dazu Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von G. Nicolin. Hamburg 1970. Nr 280, 314, 385, 421, 558, 654, 769.
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wieder betont, daß Hegel es durchaus vermocht habe, den Schülern seine schwierigen Gedankengänge zu vermitteln^®. Der Befund der Nachschriften, insbesondere der Charakter ihrer Übereinstimmungen und ihrer Differenzen, wie schließlich die Nachrichten über Hegels Vortrag führen somit zu demselben Ergebnis: Hegels Studenten waren in der Tat darauf angewiesen (dank der Eigenart des Hegelschen Vortrags allerdings auch in der Lage), ausgehend von Formulierungen Hegels dessen Gedanken selbständig zu formulieren und zu verarbeiten. ERDMANN weist deswegen in den eben erwähnten Vorlesungen darauf hin, daß die Nachschrift einer Hegelschen Vorlesung nicht als „diplomatisches Actenstück dafür dienen kann, was die Ansicht des Professors gewesen sei", und es darum misslich sei, „wenn entschieden werden soU, wie Hegel über irgendeinen Punkt gedacht habe, sich auf nachgeschriebene Collegienhefte zu berufen".^? Burkhard Tuschling (Marburg)
HEGELS RECHTSPHILOSOPHISCHE VORLESUNGEN
Zeugnisse, Manuskripte und Nachschriften Bereifs im Jugendwerk Hegels nehmen politische Überlegungen und praktische Fragen einen festen Platz ein. Begreift man die 1820 erschienenen Grundlinien der Philosophie des Rechts als das Ergebnis des Bemühens um diese Fragen, so zeigen die Frankfurter, Jenaer^ und Nürnberger Arbeiten entscheidende Entwicklungsschritte. Erst in der Heidelberger Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) gelingt es Hegel aber, die Systemteile ,Recht', ,Moralität' und , Sittlichkeit' in einen systematischen Zusammenhang zu stellen und die Selbständigkeit dieses Systemteils zu begründen. Im Wintersemester 1817/18 — unmittelbar nach dem Erscheinen der Enzyklopädie — löst Hegel den Systemteil „Naturrecht und Staatswissenschaft" aus dem enzyklopädischen Verband und trägt diesen von nun an isoliert vor. In den folgenden drei Jahren entwickelt Hegel aus den fünfzig Paragraphen, die die Enzyklopädie zur Darstellung des „Objektiven Geistes" benötigte, die 360 Paragraphen seines Kompendiums zur Rechtsphilosophie. Diese Ausarbeitungsphase begleiten insgesamt drei Vorlesungszyklen über diesen
28 Vgl. außer dem oben abgedruckten Bericht Erdmanns den anonymen Bericht in den Jahrbüchern der Gegenwart (1847), abgedruckt in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Nr 435; außerdem die Berichte Hothos und Kremers in ebd. Nr 385, 558. 29 J. E. Erdmann: Vorlesungen über akademisches Leben und Studium. Leipzig 1858. 265. 1 Zu Hegels Jenaer Entwicklung, wie sie sich von den Vorlesungen her darstellt, vgl. Klaus Düsing in diesem Band, 15—24.
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Systemteil.2 Hegel liest erstmals im Wintersemester 1817/18, dann erneut im folgenden ersten Berliner Wintersemester 1818/19 und noch einmal unmittelbar vor dem Erscheinen der Grundlinien im Wintersemester 1819/20 über Naturrecht und Staats Wissenschaften. Nach Auskunft des Berliner Vorlesungsverzeichnisses hat Hegel nach dem Erscheinen der Grundlinien noch vier vollständige Vorlesungskurse anhand seines Kompendiums gehalten, und zwar im Wintersemester der Jahre 1821/22, 1822/23, 1824/25 und 1830/31. Für das Wintersemester 1831/32 kündigt Hegel, wohl durch den Kronprinzen bzw. dessen Partei veranlaßt^, erneut eine rechtsphilosophische Vorlesung an. Die Krankheit und der plötzliche Tod Hegels beenden diesen Kurs allerdings bereits nach den ersten beiden Vorlesungsstunden am 10. und 11. November 1831. Die Angaben des Vorlesungsverzeichnisses bedürfen allerdings einer Korrektur. Gemäß den Angaben HOFFMEISTERS'^ hat Hegel im Winter 1830/31 die rechtsphilosophische Vorlesung nicht selbst gehalten, sondern sich durch MICHELET vertreten lassen. Zusammen mit der Vorlesung des Wintersemesters 1831/32 hat Hegel also insgesamt sieben Vorlesungszyklen über seine Rechtsphilosophie abgehalten. Mindestens zwei dieser Vorlesungskurse, vielleicht sogar drei hat Hegel „nach Diktaten" gelesen. Das Heidelberger und das Berliner Vorlesungsverzeichnis kündigen die Vorlesungen für das Wintersemester 1817/18 und 1818/19 „nach Diktaten" an. Bei der Ankündigung für das Wintersemester 1819/20 hoffte Hegel, daß den Studenten zu Vorlesungsbeginn oder wenig später das gedruckte Kompendium vorliege. Er’kündigt diese Vorlesung mit den Worten „ad compendium proxime in lucem proditurum" an. Allen folgenden Rechtsphilosophie-Vorlesungen wird das gedruckte Kompendium zugrundegelegt („ad librum suum" bzw. „ex Ebro suo"). Nachricht über die rechtsphilosophischen Vorlesungen Hegels geben nicht nur das Heidelberger und BerEner Vorlesungsverzeichnis. Zahlreiche Vorlesungen Hegels sind in Nachschriften erhalten. Neben den Grundlinien bilden diese Schülermitschriften eine QueUe ersten Ranges für Hegels Rechtsphilosophie, ln einer Nachschrift des Jurastudenten PETER WANNENMANN ist die Heidelberger „Ur-RechtsphUosophie" des Wintersemesters 1817/18 unter dem Titel Naturrecht und Staatswissenschaft überliefert.^ Dieser Jahrgang brachte gegenüber der Enzyklo2 Zum folgenden vgl. die Zusammenstellung von Hegels Vorlesungsankündigungen in: Bd4, T. 1. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1977. 110 f, 114—125. ^ Vgl. dazu Arnold Rüge in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von Günther Nicolin. Hamburg 1970. 437. ^ G. W. F. Hegel: Berliner Schriften 1818—1831. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 744. 5 G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften. Bd 1: Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18 mit Nachträgen aus der Vorlesung 1818/19 nachgeschrieben v. P. Wannenmann. Hrsg, von C. Becker u. a. Hamburg 1983. Diese Nachschrift liegt zusätzlich in einer Edition durch K.-H. Uting vor. G. W. F. Hegel: Die Philosophie des Rechts in der Mitschrift Wannenmann (Heidelberg 1817/18) und Homeyer (Berlin 1818/19). Eingeleitet und erläutert von K.-H. llting. Stuttgart 1983. Vgl. auch die kritische Überprüfung der Edition Iltings durch W. Bonsiepen: Philologisch-textkritische Edition gegen buchstabengetreue Edition? ln: Hegel-Studien. 19 (1984), 259-269. Briefe von und an Hegel.
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pädie eine viel differenziertere Ausarbeitung. Zusätzlich erhält die Nachschrift WANNENMANNS Aktualität durch das brisante politische Umfeld. Die Forderung des Wiener Kongresses nach landständischen Verfassungen bestimmte damals die politische Auseinandersetzung entscheidend und forderte die Stellungnahme der Zeitgenossen. Hegel veranschaulichte sich die anstehenden Probleme in der Auseinandersetzung um die Württembergische Verfassung. Seine in diesem Zusammenhang vorgetragenen Lösungen finden in der Konzeption der ersten rechtsphilosophischen Vorlesung ihren Niederschlag. Hegel gestaltet 1817/18 die enzyklopädische Systematik um und formuliert erstmals Struktur und Aufbau seiner Rechtsphilosophie gemäß den Prinzipien der späteren Grundlinien. Im ersten Teil spricht Hegel konsequent von „abstraktem Recht". Es folgen — wie in der Enzyklopädie (1817) — die Abschnitte „Moralität" und „Sittlichkeit". Die „Sittlichkeit" untergliedert Hegel nun in die drei exemplarischen Formen, Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat. Neben der erst in jüngster Zeit bekannt gewordenen Nachschrift WANNENMANN ist seit langem die Überlieferung eines Textsplitters durch FRIEDRICH WILHELM CAROVS bekannt. Aus seiner Nachschrift der Vorlesung hat CAROVfi 1841 in einer (anonymen) Besprechung einer Schrift von OGIENSKI Splitter der Paragraphen 137 und 170 angeführt.^ Mit den Zitaten wollte CAROVE den Nachweis führen, daß Hegel sich in Heidelberg entschieden zur konstitutionellen Monarchie bekannt hat. Die wörtliche Übereinstimmung dieser Paragraphen mit der Nachschrift WANNENMANN ist ein Indiz dafür, daß WANNENMANN die Diktate Hegels zuverlässig überliefert. Die Vorlesung des Wintersemesters 1818/19 ist in einer Nachschrift des Studenten HOMEYER unter dem Titel Natur- und Staatsrecht überliefert.^ Die ersten Vorlesungsstunden dieses Zyklus sind zusätzlich noch durch WANNENMANN überliefert. Die Nachschrift HOMEYERS dokumentiert, wie Hegel in Berlin den ersten Teil seiner Rechtsphilosophie durch die Einführung weiterer Paragraphen differenziert. Allerdings umfaßt die Nachschrift HOMEYERS nur 140 Paragraphen, während die Nachschrift WANNENMANNS bereits über 170 Paragraphen notierte. Der geringere Umfang sowie der fragmentarische Stil in den Anmerkungen dieses Jahrgangs ist aber wohl weniger auf Hegels Vorlesung zurückzuführen als auf den Fleiß und das Interesse des Mit- bzw. Nachschreibers. Die Rechtsphilosophie-Vorlesung des Wintersemester 1819/20 ist durch einen anonymen Nachschreiber überliefert.® An der Authentizität dieser Nachschrift sind wiederholt Zweifel geäußert worden. Handelt es sich hier nicht um eine ® F. W. Carove: Hegel, Schubarth und die Idee der Persönlichkeit in ihrem Verhältnis zur preußischen Monarchie. In: HaUische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Jg. 1841, Nr. 68, Sp. 269 f. Mitgeteilt und kommentiert von F. Nicolin: Hegel über konstitutionelle Monarchie. Ein Splitter aus der ersten Rechtsphilosophie-Vorlesung. In: Hegel-Studien. 10 (1975), 79- 86. ^ G. W. F.
Hegel. Die Philosophie des Rechts in der Mitschrift Wannenmann (Heidelberg 1817/18) und Homeyer (Berlin 1818/19). Eingeleitet und erläutert von K.-H. Ilting. Stuttgart 1983. ® Herausgegeben wurde diese Nachschrift von D. Henrich. G. F. W. Hegel: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20. Stuttgart 1983.
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Kompilation? Aufschluß über die Entstehungsgeschichte der Grundlinien zu geben, ist diese Nachschrift wenig geeignet. Die Nachschrift zeigt in ihrer Gesamtkonzeption eine Entfernung von der Systematik der Grundlinien, weist doch der Haupttext keinerlei Gliederung durch Paragraphen auf. Erst nachträglich versuchte der Nachschreiber eine Gliederung des Textes anhand der Hegelschen Vorlesung des Wintersemesters 1818/19. Darüber hinaus zeigt auch der Titel „Rechtsphilosophie und Politik" eine Entfernung von Hegels Grundlinien-Konzeption. Wie den Briefen zu entnehmen ist, hat der Referendar LEOPOLD VON HENNING — sehr zum Mißfallen seiner Mutter — bereits in Erfurt Kolloquien über Politik und Naturrecht abgehalten, ln Berlin setzte er als Repetitor Hegels diese Arbeit fort. Hat V. HENNING vielleicht auf diesem Weg Einfluß auf die erhaltene Nachschrift genommen? Sowohl der Titel als auch die nachträglich eingefügten Paragraphenziffern weisen diese Nachschrift als Kompilation aus.^ Die Entfernung dieser Nachschrift von der Systematik der Grundlinien ist für den Herausgeber D. HENRICH ein Indiz dafür, daß Hegel zu Beginn dieser Vorlesung im Winter 1819/20 bereits über ein vollständiges Manuskript der Grundlinien verfügte und somit frei über den gesamten Stoff verfügen konnte. Gegen diese Auffassung steht ein im Zusammenhang mit der Vorlesung des Wintersemesters 1819/20 und der Arbeit am Manuskript der Grundlinien entstandener Vorentwurf Hegels zu einer Anmerkung zu dem Paragraphen 286. Dieser Entwurf muß auf das erste Halbjahr 1820 datiert werden. Hegel verfügte somit zu Beginn der Vorlesung des Semesters 1819/20 noch keineswegs über ein fertiges Manuskript. Vielmehr entstehen Teile des Manuskriptes erst während dieser Vorlesung. Bis zum Juni 1820, das ist der Termin, an dem Hegel die erste Hälfte des Manuskripts bei der Zensur abgab, arbeitete er die Systematik seines Kompendiums weiter aus. Bereits im Oktober desselben Jahres kann Hegel dem Minister ALTENSTEIN die gedruckte Fassung seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts überreichen. Die jüngere Forschung konnte zeigen, wie in Heidelberg neben den systematischen Problemen vor allem die politische Schriftstellerei die Umgestaltung und Ausdifferenzierung der Lehre vorantrieb. So bildet Hegels Stellungnahme im württembergischen Verfassungsstreitii den Kern des verfassungspolitischen Ge® Es ist daher fraglich, inwiefern es sich bei der Nachschrift der Vorlesung 1819/20 tatsächlich „um eine Hegel-nahe Handschrift" (382) handelt, wie W. R. Beyer annimmt. Beyers Einschätzung, daß hier ein „begeisterter Hegelianer" (383) eine Nachschrift anfertigte, mag man ja zustimmen. Wie sind aber Hegel-Nähe (Beyer) und „Entfernung von der Systematik der Grundlinien" (Henrich) in Einklang zu bringen? Vgl. W. R. Beyer: Eine Nachschrift zu den Veröffentlichungen hegelscher Rechtsphilosophie Nachschriften. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. 69 (1983), 364—390. Vgl. auch die Arbeit von K.-H. Ilting: Die Genese der Hegelschen Rechtsphilosophie. In: Philosophische Rundschau. Tübingen 30 (1983), 3/4, 161—209. 10 Zur Datierungsfrage vgl. H. Schneider: Unveröffentlichte Vorlesungsmanuskripte Hegels. In: Hegel-Studien. 7 (1972), 51. 11 Vgl. Verhandlungen in der Versammlung der Landstände. In: G. W. f. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 15: Schriften und Entwürfe! (1817—1825). Hrsg. v. F. Hogemann u. C. Jamme. Hamburg 1990. 30-125 sowie 289-292.
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halts seiner Rechtsphilosophie. Die Grundlinien sind in dieser Hinsicht aus dem „Südwestdeutschen Konstitutionalismus herausgewachsen"^^ Übergang nach Berlin führte Hegels Festhalten an altliberalen Grundsätzen zu Konflikten mit den preußischen Verhältnissen. Der dort tobende Verfassungskampf forderte Hegels Stellungnahme. 13 Ausdifferenzierungen und Erweiterungen, aber keineswegs Modifikationen bestimmen also zu dieser Zeit Hegels Arbeit an der Rechtsphilosophie, Die Behauptung, Hegel habe bereits im Sommer 1819 über ein druckfertiges Manuskript verfügt, dieses sei aber von ihm zurückbehalten worden, um den Text an die Restaurationspolitik anzupassen^s, ist nach den jüngsten Forschungsergebnissen unhaltbar geworden. Wie Hegel inhaltlich auf die preußischen Verhältnisse reagiert und wie die neue politische Situation in seine Konzeption eingeht, bleibt allerdings nach wie vor zu klären. Nach dem Erscheinen des Kompendiums hat Hegel noch drei vollständige Vorlesungskurse über seine Rechtsphilosophie abgehalten. Die Notizen, die er sich für diese Vorlesungen anfertigte, sind zur Hälfte in einem mit leeren Seiten durchschossenen Exemplar der Grundlinien erhalten. Im Wintersemester 1823/24 entschloß sich Hegel, die Geschichtsphilosophie als selbständigen Zyklus aus der Rechtsphilosophie herauszulösen. Nach dem Wintersemester 1824/25 hat er faktisch und wohl auch programmatisch die Rechtsphilosophie-Vorlesungen seinen Schülern überlassen. Damit nimmt der Systemteil ,Rechtsphilosophie' eine Sonderstellung im Hegelschen System ein. Seit dem Sommer 1822 las LEOPOLD VON HENNING kontinuierlich über „Naturrecht", bzw. seit dem Wintersemester 1825/26 über „Rechtsphilosophie".!® EDUARD GANS stützte seine Rechtsphilosophie-Vorlesungen ausdrücklich auf das Hegelsche Kompendium. Erst durch den Streit um GANS wurde Hegel veranlaßt, noch einmal selbst das Thema aufzugreifen. Glaubt man den Kommentatoren, so wurde die Auseinandersetzung um die Rechtsphilosophie in der Vergangenheit durch die „Derbheit"!^ des Hegelschen O. Pöggeler: Die Heidelberger Jahrbücher im wissenschaftlichen Streitgespräch. In: Heidelberg im säkularen Umbruch. Hrsg. v. F. Strack. Stuttgart 1987. 175. G. Lübbe-Wolff hat deutlich gemacht, wie intensiv Hegel sich mit den „unphilosophischen" Details dieses Verfassungskampfes auseinandersetzte und wie die Grundlinien in diesen Fragen in differenzierter Form Stellung beziehen. G. Lübbe-Wolff: Hegels Staatsrecht als Stellungnahme im ersten preußischen Verfassungskampf. In: Zeitschrift für Philosophische Forschung. 35 (1981), 476-501. Am Beispiel der Verfassungsfrage hat H.-C. Lucas gezeigt, wie wenig die These von der „Akkomodation" Hegels an Preußen Hegel gerecht zu werden vermag. Vgl. H.-C. Lucas: Wer hat die Verfassung zu machen? In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.-C. Lucas u. O. Pöggeler. Stuttgart 1986. 175 —220. Hegels Brief an Niethammer vom 26. 3. 1819 und sein Brief an Creuzer vom 30. 10. 1819 wurden immer wieder zum Beweisstück für diese These. Vgl. etwa M. Riedel: Vorwort. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Bd 1. Frankfurt a. M. 1975. 15/16. Die Mängel dieser Argumentation veranschaulichen U. Rameil und H.-C. Lucas: Furcht vor der Zensur? In: Hegel-Studien. 15 (1980), 63-93. Hegel: Berliner Schrißen (s. Anm. 4). 749. So Eduard Gans in der Vorrede zu seiner Edition der Rechtsphilosophie. Vgl. Hegel: Werke. Bd 8. Berlin 1833. XV.
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Kompendiums erschwert. Mit der Veröffentlichung der Grundlinien hat Hegel zwar eine gültige Fassung seiner Rechtsphilosophie vorgelegt. Nicht nur für die zeitgenössischen Kommentatoren schmälert aber die von Hegel gewählte Darstellungsform den Wert seiner Ausführungen erheblich. Als Kompendium für seine Vorlesungen konzipiert, entsprechen die Hegelschen Grundlinien nicht „der voll ausgearbeiteten Abfolge eines philosophischen Gedankens und auch nichf der Entwicklung einer Theorie in dem ganzen Umfang ihrer Verfügung und Konkrefion"i®. Aufgrund der mangelnden Konkretheit der Grundlinien forderten Interpreten und Herausgeber gleichermaßen Erläuterungen und Ergänzungen. Dieser Forderung kamen Nachschriften der Hegelschen Rechtsphilosophie-Vorlesungen aus den Jahren nach dem Erscheinen der Grundlinien entgegen. So komponierte der Herausgeber der Freundesvereinsausgabe der Rechtsphilosophie, EDUARD GANS, aus den Nachschriften, wie sie durch HOTHO (1822/23) und v. GRIESHEIM (1824/25) überliefert sind, „Zusätze" zu den Grundlinien in der Absicht, den Text zu vervollständigen und zu ergänzen. Die nachfolgenden Editionen haben bereitwUhg diese „Zusätze" übernommen. Durch den Vergleich der GANSschen Zusätze mit der Nachschrift GRIESHEIMS konnte FRIEDHELM NICOLIN 1955 nachweisen, daß der bekannte Satz: „Die Pädagogik ist die Kunst, die Menschen sittlich zu machen", gar nicht von Hegel stammt. NICOLIN zeigte, daß dieser Satz eine verkürzte Wiedergabe der Nachschrift bzw. Ausarbeitung v. GRIESHEIMS ist, in die GANS Teile des Satzes „wörtlich übernommen hat", Ausführungen Hegels aber auch in die bekannte „selbständige Form umgeändert" hat. Diese unvollständige und entstellende Wiedergabe der Aussagen Hegels durch GANS ist, wie NICOLIN mitteilt, kein Einzelfall.KARL-HEINZ ILTING hat in den siebziger Jahren im Rahmen seiner Edition der Hegelschen Vorlesungen über Rechtsphilosophie, die Nachschriften HOTHOS und GRIESHEIMS erstmals isoliert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.Es zeigte sich, daß die GANSschen Zusätze vollständig — bis auf die erwähnten , stilistischen' Eingriffe — auf diese Nachschriften rückführbar sind. Ein „Sondergut", wie es WALTER JAESCHKE für die Religionsphilosophie nachweisen konnte, ist hier nicht aufzuweisen. Ehe durch Hegels Tod vorzeitig beendete Vorlesung des Wintersemesters 1831/ 32 ist in einer Nachschrift durch DAVID FRIEDRICH STRAUSS überliefert.^ Überblickt
18 D. Henrich: Vernunft in Verwirklichung. In: Hegel: Philosophie des Rechts (s. Anm. 8). 9. 1^ Bekanntlich hat erstmals J. Hoffmeister die Gansschen Zusätze einer kritischen Überprüfung unterzogen und verworfen. Vgl. Hoffmeisters Vorwort zur vierten Auflage der Hegelschen Grundlinien. Hamburg 1955. 20 Friedhelm Nicolin: Hegels Bildungstheorie. Grundlinien einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik in seiner Philosophie. Bonn 1955. 162. 21 Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie. 1819—1831. Edition und Kommentar in sechs Bänden v. K.-H. Ilting. Bde 3 u. 4. Stuttgart 1974. 22 Vgl. die Edition in: Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818—1831. Hrsg. v. K.-H. Ilting. Bd 4. Stuttgart 1974. 917-925.
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man die Reihe des Überlieferten, so zeigt sich, daß mit Ausnahme des Wintersemesters 1821/22 zu allen Vorlesungsjahrgängen Nachschriften erhalten sind. In jüngster Zeit förderte der Zufall eine weitere anonyme, nicht datierte Nachschrift einer Berliner Vorlesung zutage. Diese sogenannte „Kieler Nachschrift" wird von HANS GEORG HOPPE ediert.23 Wäre diese Nachschrift dem Jahrgang 1821/ 22 zuzuordnen, dann wären alle rechtsphilosophischen Vorlesungsjahrgänge in einer Nachschrift dokumentiert. Auch die Überlieferungssituation zu den Hegelschen Rechtsphilosophie-Vorlesungen stellt somit einen Sonderfall dar. Da die einzelnen Jahrgänge nur durch jeweils eine Nachschrift dokumentiert sind, ist ein direkter Vergleich der einzelnen Nachschriften allerdings nicht möglich. Der unterschiedliche Charakter der überlieferten Nachschriften gestattet dennoch eine gegenseitige Abgrenzung, zumal HOTHO und v. GRIESHEIM ja neben der Rechtsphilosophie noch andere Vorlesungen Hegels reproduziert haben. Der unterschiedliche Charakter der Nachschriften wirft aber auch die Frage auf, wie Hegel in Berlin den Vortrag seiner Kompendienvorlesungen gestaltet hat. Hat er aus seinem Kompendium Paragraphen vorgelesen und erläutert? Gerade angesichts der Auseinandersetzungen, die Hegels Rechtsphilosophie seit ihrem Erscheinen 1820 auslöste, müssen eindeutige Kriterien entwickelt werden, die eine ünterscheidung zwischen Diktaten Hegels, direkten Mitschriften während der Vorlesungen, nachträglichen Ausarbeitungen zu Hause und Kompilationen gestatten. Für die Nachschrift zum Vorlesungsjahrgang 1819/20 ist zu klären, ob Hegel, als das Kompendium in Sicht war, aber dann doch nicht rechtzeitig fertig geworden war, noch einmal — wie in Heidelberg 1817/18 und in Berlin 1818/19 — Paragraphen diktiert hat. Wie hat Hegel dann, als das Kompendium vorlag, seine Vorlesungen gestaltet? Neben den Hegelschen Anmerkungen können nur jene Texte, die Hegel seinen Schülern ins Heft diktierte, nicht aber die mitskizzierten und zu Hause ausgearbeiteten Erläuterungen als authentische Hegel-Texte gelten. Für die Rechtsphilosophie schafft einzig diese exakte Trennung die Voraussetzung, um durch den Vergleich der Hegelschen Notizen mit den Nachschriften die Authentizität der überlieferten Manuskripte zu überprüfen. Über die Gestaltung der Kompendienvorlesungen herrschte in der Vergangenheit weithin die Ansicht, Hegel habe zunächst einen Teil des zu behandelnden Paragraphen vorgelesen, dann Erläuterungen gegeben, um dann den zweiten Teil des Paragraphen in der gleichen Weise vorzutragen. Geprägt wurde dieses Bild zweifellos durch die Heidelberger Diktatvorlesungen zur Enzyklopädie und Rechtsphilosophie. Welches BUd geben aber die überlieferten Nachschriften tatsächlich? Weithin findet die Auffassung, die Nachschrift HOTHOS sei unmittelbar, also direkt während der Vorlesung Hegels mitgeschrieben worden, Zustimmung.24 Nun läßt die Nachschrift HOTHOS zwar eine Paragraphenzählung erkennen, ihr äußeres Erscheinungsbild gestattet 23 Vgl. den Bericht in diesem Band, 74— 78. 24 Johannes Hoffmeister: Vorrede zur vierten Auflage. In: Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hamburg 1955. XII.
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es aber nicht, zwischen diktiertem Text und gegebenen Erläuterungen zu unterscheiden^s^ z. B. für die Diktatvorlesung des Wintersemesters 1817/18 problemlos möglich ist. Das durch HOTHO Überlieferte entspricht somit keineswegs den Materialien, wie wir sie bei Diktatvorlesungen (WANNENMANN und HoMEYER etwa) von einem Nachschreiber erwarten können. Am Rande des HOTHOschen Manuskriptes findet sich darüber hinaus eine äußerst dichte Kurzfassung der Hegelschen Rechtsphilosophie. Das am Rande Niedergeschriebene unterscheidet sich durch Schriftgröße und Tinte sehr deutlich vom Haupttext der Nachschrift. Diese Kurzfassung könnte während des Repetitoriums durch V. HENNING niedergeschrieben worden sein.^® Ein anderes Bild gibt die Nachschrift GRIESHEIMS. Die deutliche Unterscheidung zwischen dem Paragraphentext und den Erläuterungen scheint die These zu belegen, Hegel habe auch nach dem Erscheinen seines Kompendiums den Text der Paragraphen so langsam vorgelesen, daß die Studenten während des Lesens mitschreiben konnten. Vergleicht man allerdings die Paragraphen der Nachschrift GRIESHEIMS mit dem Text der Grundlinien, so zeigt sich eine so auffällig starke Übereinstimmung, daß der begründete Verdacht entsteht, es handelt sich hier um eine Abschrift des Textes der Grundlinien. Allein 88 Paragraphen werden vollständig und fehlerfrei wiedergegeben! Die Differenzen zum Text der Grundlinien belaufen sich ausschließlich auf Fehler, wie sie beim Abschreiben von Texten Vorkommen. Als Abweichungen vom gedruckten Text sind in erster Linie fehlende Wörter, durch Flüchtigkeit entstandene Verschreibungen, Lesefehler und die von Hegel abweichende Orthographie des Abschreibers zu verzeichnen.^7 Es kann aber keinerlei sinnvolle Abänderung oder Variante des Paragraphentextes der Grundlinien nachgewiesen werden. Sinnentstellende Abweichungen im GRIESHEiMSchen Paragraphentext müssen allerdings der Transkription durch K.-H. 1LTiNG angelastet werden.Berücksichtigt man die vielen Notizen, die Hegel in sein Handexemplar der Grundlinien eintrug, so erscheint es unwahrscheinlich, daß Hegels Paragraphendiktate — wenn es solche gab — diese Ergänzungen oder Varianten gänzlich außer acht gelassen hätten. Warum sollten ausgerechnet die 75 Zwar enthält diese Nachschrift, wie die Edition fltings gezeigt hat, zahlreiche Zitate oder Zitatfetzen der Grundlinien, diese heben sich aber in keiner Weise vom übrigen Text ab, so daß sie als Diktate Hegels eindeutig zu identifizieren wären wie etwa in der Nachschrift Wannerunanns. Das Fehlen von Überschriften, die gegenüber dem Randtext äußerst,schnelle' Handschrift sowie das Zusammenfassen von einzelnen Paragraphen bestätigen den Eindruck, daß hier ein direktes Dokument aus Hegels Vorlesung vorliegt. 75 Vgl. K.-H. Ilting: Einleitung des Herausgebers. In: Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818—1831. Bd 3. Stuttgart 1974. 81 ff. 77 So wird z. B. durchgängig ,Foderung' statt ,Forderung', ,k' statt ,c‘, ,pp' statt ,u. s. f.' geschrieben. Auch Klammerzeichen, die Hegel wohl kaum diktiert haben dürfte, wurden in die Nachschrift aufgenommen. Statt Hegels griechischer Gliederungszeichen verwendet der Abschreiber durchgängig arabische Zahlen. 78 So lautet § 260 bei Griesheim übereinstimmend mit dem Text der Grundlinien: „so daß das Allgemeine ohne das besondere Interesse . . . gelte", während Ilting liest, „so daß das Allgemeine oder das besondere Interesse . . . gelte".
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Paragraphentexte unkorrigiert bleiben? Die Abweichungen vom Text der Grundlinien weisen den Paragraphentext GRIESHEIMS eindeutig als eine Abschrift aus. Gegen die Annahme, Hegel habe den Text des jeweils zu besprechenden Paragraphen vorgelesen oder gar diktiert, spricht auch, daß das GRiESHEiMsche Manuskript z. T. zwar nicht den Paragraphentext wiedergibt, wohl aber größere Teilstücke aus dem Anmerkungstext der Grundlinien. ^9 Dies alles weist eindeutig darauf hin, daß hier keineswegs eine authentische Mitschrift der Hegelschen Rechtsphilosophie-Vorlesung des Wintersemesters 1824/25 vorliegt. Es handelt sich bei diesem Manuskript um eine nachträgliche Ausarbeitung — eine Ausarbeitung, der darüber hinaus v. GRIESHEIM keineswegs eindeutig als Autor zuzuordnen ist, denn von ihm ist kein handschriftliches Dokument bekannt, das eine eindeutige Identifizierung der Nachschrift gestatten würde. Auch die undatierte anonyme Nachschrift zeigt eine durchgehende Paragraphennumerierung. Eine Unterscheidung zwischen Diktat und Erläuterungen ist in dieser „Kieler-Nachschrift" wie auch in der Nachschrift HOTHOS nur zum Teil möglich. Aufgrund dieses Befundes kann das bisher vage Büd von Hegels Kompendienvorlesungen dahingehend konkretisiert werden — zumindest was die Vorlesungen über Rechtsphilosophie anbelangt —, daß Hegel wie in den Manuskriptvorlesungen auch in den sogenannten Kompendienvorlesungen einen freien Vortrag — gestützt auf das Kompendium, die Notizen im Handexemplar und weitere Aufzeichnungen — gehalten hat. Die Ankündigung „ad Ubrum suum" will sagen, daß Hegel seiner Vorlesung den Gesamtaufbau der Grundlinien zugrundelegte und gelegentlich Eormulierungen eines Paragraphen aufgriff und den Studenten vorlas bzw. diktierte. Eine eindeutige Identifizierung dieser Diktate ist aber in den heute verfügbaren Nachschriften nicht möglich. Die Orientierung an der Paragraphengliederung des Kompendiums machte den Studenten ein Nachlesen des behandelten Stoffes jederzeit möglich^o, die begleitenden Repetitorien^i konnten sich direkt auf den jeweiligen Stand der Vorlesung beziehen. Alle überlieferten Rechtsphilosophie-Nachschriften geben insofern ein einheitliches Büd von Hegels Vorlesungen, als ihr Aufbau und ihre systematische Durchführung sich entweder direkt an den Grundlinien orientieren oder aber deren Systematik vorwegnehmen. Diesem Büd der Rechtsphüosophie-Vorlesungen ent29 Vgl. etwa die §§ 245 und 255. 20 In der „Kieler Nachschrift" findet sich etwa der Hinweis „§ 31, 32, 33 werden zum Nachlesen empfohlen". 31 Über den Ablauf der Repetitorien sind wir gut informiert, da Hegel über die Tätigkeit seines Repetenten halbjährig dem Ministerium berichten mußte. Für die beiden wöchentlich je fünfstündigen Vorlesungen Hegels wurden jeweils zwei Wochenstunden Repetitorium anberaumt. Hegel selbst besuchte von Zeit zu Zeit die Repetitionen und überzeugte sich von der „zweckmäßigen, geordneten . . . richtigen Auffassung und denkenden Reproduction der abgehandelten Gegenstände". Zusätzlich zu dem Repetitorium, das den Charakter einer Vorlesung hatte, wurde ergänzend ein „Conversatorium" angeboten, „für diejenigen welche in mündlichen Besprechungen ihre Zweifel und Gedanken vortragen und Erläuterungen erhalten wollten." Hegel: Berliner Schriften (s. Anm. 4). 602.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
sprechen auch die Berichte von Zeitgenossen über Hegels Berliner VorlesungsstU. Hegels Vorlesungen zeigten, wenn man den Zeugnissen glauben darf, keinerlei Ähnlichkeiten mit dem Kolleg des 18. Jahrhunderts — eine Abweichung seines Vortragsstils in den rechtsphilosophischen Vorlesungen wäre von den Schülern mit Sicherheit vermerkt worden.^2 Die Orientierung am Aufbau der Grundlinien kann für Hegels Rechtsphilosophie-Vorlesungen nach 1820 grundsätzlich festgehalten werden. War für die Vorlesung 1818/19 aufgrund äußerer Faktoren — das Fehlen der gedruckten Vorlage — ein anderer Weg der Darstellung dieses Systemteils möglich? Die Klärung der Frage, inwieweit hinter der Paragraphenfolge der Grundlinien systematische Gründe stehen, die die Durchführung dieses Systemteils in einer Weise fixieren, daß sich eine ähnliche Entfaltung, wie sie Hegel seiner Ästhetik zugrundelegt, verbot, muß einer inhaltlichen Auseinandersetzung um die Stellung der Rechtsphilosophie im System Vorbehalten bleiben. Der Leser verlangt von einer kritischen Edition der Hegelschen Texte zurecht die sorgfältige Prüfung und Sicherung dessen, was als Hegel-Text gelten darf. Hierzu bedarf es neben der kritisch-philologischen Arbeit an den überlieferten Texten einer gegenüber früheren Editionen vollständigen Neuordnung der überlieferten Materialien. Die am geschlossenen System orientierte Gliederung der Freundesausgabe muß einer chronologischen Anordnung weichen. Erst diese Präsentation gibt den Bück frei auf die Entwicklung des Hegelschen Denkens. Der Absicht der Schüler und Freunde, mit der Ausgabe der Hegelschen Werke eine uneinnehmbare Festung zu errichten, ist auch die Vermischung der eigenen Elaborate mit Hegel-Texten zuzuschreiben.33 Für eine kritische Ausgabe verbietet es sich, die zu Hause ausgearbeiteten oder während der Repetitorien entstandenen Nachschriften der Schüler auf der gleichen Textebene zu präsentieren wie authentische Hegel-Texte. Von den Texten der Schüler müssen allerdings die Diktate Hegels unterschieden werden. Diese müssen gemäß den Editionsprinzipien der Gesammelten Werke^ in die erste Hälfte der Hegelschen Werkausgabe aufgenommen werden, während die Texte der Schüler, ihre unmittelbar mitgeschriebenen oder nachträglich ausgearbeiteten Nachschriften der Hegelschen Vorlesungen, sowie die posthumen Vorlesungseditionen in der zweiten Hälfte der Gesammelten Werke erscheinen werden. Erst so wird eine Unterscheidung zwischen Hegel und den Hegelianern und damit eine neue Form des Hegel-Studiums möglich. Folgt man diesen Kriterien, so müßten in die Edition der Vorlesungsnachschriften zur Rechtsphilosophie die Erläuterungen der Nachschrift WANNENMANN aus dem Wintersemester 1817/18, die Ergänzungen der Nachschrift 32 Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von Günther Nicolin. Hamburg 1970. 245 -250, 273-276, 376 ff. 33 Ist aber dieses Vorgehen bereits als „Editionspolitik" aufzufassen? Vgl. Christoph Jamme: Editionspolitik. Zur Freundesvereinsausgabe der Werke Hegels. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 38 (1984), 83—99. 34 Vgl. „Editionsprinzipien der Gesammelten Werke". In: G. W. F. Hegel: Frühe Schrißen 1. Hrsg. V. Friedhelm Nicolin u. Gisela Schüler. Hamburg 1989. 414 f.
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aus dem Wintersemester 1818/19 zusammen mit den Ergänzungen, wie sie WANNENMANN ZU den ersten Berliner Vorlesungsstunden überliefert hat, einbezogen werden. Desweiteren würde die anonyme Nachschrift 1819/20, die „Kieler" Nachschrift, die Nachschrift HOTHOS neben den Erläuterungen GRIESHEIMS und STRAUSS' in die kritische Ausgabe der Rechtsphilosophie-Vorlesungen Aufnahme finden. Will man die offenen Fragen um die Hegelschen Rechtsphilosophie-Vorlesungen klären, so muß beachtet werden, daß die Grundlinien und Hegels Vorlesungen keineswegs isoliert stehen.35 Schon in Heidelberg hat CAROVS ein Repetitorium zu Hegels Rechtsphilosophie-Vorlesung abgehalten.36 In Berlin soUte CAROvfi dann Hegels Assistent werden, als Burschenschaftler wurde er aber von der Universität verwiesen. An seine Stelle trat LEOPOLD VON HENNING, der nicht nur Repetitorien zur Hegelschen Rechtsphilosophie hielt, sondern auch Konversatorien. Später bemühte Hegel sich um EDUARD GANS. Seit dem Wintersemester 1825/26 las GANS Rechtsphilosophie nach den Hegelschen Grundlinien. 37 Die von Hegel angekündigte Vorlesung des Wintersemesters 1830/31 wurde MICHELET übertragen. Auch nach Hegels Tod baute GANS seine rechtsphilosophischen Vorlesungen auf das Hegelsche Kompendium auf. 3® Will man den Problemen, die Hegels Rechtsphilosophie und ihre Wirkungsgeschichte aufgeben, gerecht werden, so muß man die Repetitorien und Konversatorien, die Vorlesungen und die Arbeiten der Schüler als Quelle mitheranziehen. Nur dann ist die Frage zu entscheiden, was Hegels rechtsphilosophische Vorlesungen beabsichtigten und was sie tatsächlich zu leisten vermochten. Da die Interpreten der Vergangenheit eine Übersicht über diese Quellen nicht erreichten, blieb ihr Ansatz unzulänglich. Elisabeth Weisser-Lohmann (Bochum) HOMEYER
35 Hegels Erwiderung auf die von Hugo verfaßte Rezension in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen ist ein weiteres, direktes Zeugnis zur Wrrkungsgeschichte der Rechtsphilosophie. Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung, Mai 1821. Wiederabgedruckt in: Hegel-Studien. 5 (1969), 38 f. 36 Vgl. Caroves Lebenslauf, abgedruckt bei Friedhelm Nkolin: Hegel als Professor in Heidelberg. In: Hegel-Studien. 2 (1963), 89. 37 Eine dieser Vorlesungen ist unter dem Titel „Naturrecht" in einer anon5onen Nachschrift überliefert. Vgl. E. Gans: Philosophische Schriften. Hrsg. u. eingel. von Horst Schröder. Glashütte im Taunus 1971. 38—154. In einer Nachschrift von Georg Waitz ist darüber hinaus die Vorlesung „Deutsches Staatsrecht" aus dem Sommersemester 1834 erhalten. Vgl. op. cit., 155—181. 33 Für das Wintersemester 1832/33 ist eine Nachschrift der Gansschen Vorlesung durch Immanuel Hegel erhalten. Vgl. Eduard Gans: Naturrecht und Universalgeschichte. Hrsg. v. M. Riedel. Stuttgart 1981.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
HEGELS RECHTSPHILOSOPHIE VON 1821/22
Das Manuskript hat sich 1984 in der Pädagogischen Hochschule in Kiel gefunden; von dort ist es in die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek in Kiel gelangt. Es stammt aus den Beständen der Grund- und Hauptschule Sterley-Seedorf in Sterley (Krs. Hzgt. Lauenburg) und ist am 10. 9. 1984 offiziell in das Eigentum der Landesbibliothek übergeben worden. Aus einem Brief von Frau WALSEMANN, der stellvertretenden SchuUeiterin von Sterley, an Dr. JüRGEN ZANDER von der Landesbibliothek in Kiel geht hervor, daß das Manuskript zwischen 1968 und 1969 nach der Auflösung kleinerer Dorfschulen in der Nachbarschaft von Sterley in die neue Dörfergemeinschaftsschule gelangt ist. Möglicherweise stammt es aus der Schule in Brunsmark. Bisher hat die Herkunft nicht festgestellt werden können; nicht auszuschließen ist, daß das Manuskript nach dem Krieg von Flüchtlingen aus dem norddeutschen Osten in die Gegend von Mölln mitgebracht worden ist.
Beschreibung des Manuskripts
Das Manuskript beginnt nach dem Titeleintrag „Die PhUosophie des Rechts. Einleitung" auf derselben ersten Seite unmittelbar mit dem Text. Dieser umfaßt 288 Seiten, also 18 Bogen von jeweils 16 Seiten; er bricht beim Erreichen des Endes der letzten Seite des gebundenen Bandes in § 260 mitten im Satz ab. Der weitaus größte Teil des Staatsrechts fehlt also. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß es eine Fortsetzung der Mitschrift gegeben hat. Die Seitenzählung bis 32 stammt wohl noch vom Mitschreiber, die Vervollständigung der Paginierung bis 288 ist erst in der Landesbibliothek in Kiel vorgenommen worden. Die Seiten 2—32 sind mit einer Kopfzeile versehen. Diese lautet bis S. 26 „Die Philosophie des Rechts. Einleitung", ab S. 27 (§§ 34 ff): „Die Philosophie des Rechts. Erster Teil. Das abstrakte Recht". Seite 7 hat die abweichende Kopfzeile; „Die Philosophie der Natur. Einleitung", was man vielleicht als einen Hinweis darauf ansehen könnte, daß der Mitschreiber die von Hegel im selben Semester gehaltene Vorlesung über Naturphilosophie ebenfalls hörte. Die Kopfzeüe macht zwischen Vorrede und eigentlicher Einleitung (§§ 1—33) keinen Unterschied. Die Seiten 96 bis 97, also die letzte Seite des 6. Bogens und die erste des nächsten Bogens, sind unbeschrieben; das dürfte sich daraus erklären, daß bereits auf S. 95 der Text abbricht und der Mitschreiber für die spätere Vervollständigung Platz frei lassen wollte. Hier fehlen die §§ 115—117. Die Vorlesung ist auch sonst nicht vollständig: es fehlen die §§60—65, 133—135 und 227 sowie ein Stück aus den §§ 216—217. Außerdem sind zweimal zwei aufeinanderfolgende Paragraphen in der Behandlung zusammengezogen, so die §§ 47 und 48 und §§ 51 und 52. Nicht behandelt sind §16 („Pressiert frei"), §§31—33 („Werden zum Nachlesen empfohlen") und §§ 109-112 („cf.").
Rechtsphilosophie 1821/22 (H. Hoppe)
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Verfasser Der Verfasser des Manuskripts ist wahrscheinlich nicht mehr zu ermitteln. Bemühungen, über Hörerlisten weiterzukommen, sind bisher ergebnislos geblieben. Das Staatsarchiv in Merseburg teilte 1986 mit, daß dort die im Bestand des vormaligen preußischen Kultusministeriums über die Vorlesungen an der Universität Berlin verzeichneten Akten erst mit dem Jahr 1848 einsetzen. Die zeitlich davorliegenden Bände wurden nach Ausweis der Findbehelfe aufgrund ministerieller Verfügungen in der Behörde kassiert. „Aus einer ersatzweise aus demselben Bestand herangezogenen Akte" konnte nur ermittelt werden, daß Hegel im WS 1821/22 über Naturphilosophie (vor 61 Hörern) und Rechtsphilosophie (vor 56 Hörern) lask weiter daß im WS 1821/22 insgesamt 47 Studenten in der Philosophie immatrikuliert waren (also weniger als Hörer der Hegelschen Vorlesungen), davon 34 Inländer und 13 Ausländer. Von den inländischen Studenten sind in dem genannten Semester 20 neu immatrikuliert worden, deren Namen, da sie dem Ministerium aufgrund des § 23 des Ediktes vom 12. 10. 1812 zu übermitteln waren, bekannt sind. Es befindet sich darunter niemand aus Holstein oder Mecklenburg, allerdings einer aus Königsberg/Pr. (WILHELM HENSCHE), einer aus Pommern (CARL FERDINAND LEOPOLD KRAUSE), einer aus Westpreußen (LUDWIG MASUCH). Spezielle Hörerlisten Hegels konnten in den einschlägigen Beständen des Zentralen Staatsarchivs in Merseburg damals nicht ermittelt werden.
Vorlesung oder Repetitorium Die Frage stellt sich, ob es sich überhaupt um die Nach- oder Mitschrift (oder Ausarbeitung) einer Vorlesung Hegels oder um die eines Repetitoriums handelt. In der Tat ist im fraglichen Wintersemester 1821/22 zu Hegels Vorlesung von L.VON HENNING auch ein Repetitorium abgehalten worden.^ Ein Bück in die Aufzeichnung eines solchen Repetitoriums durch HOTHO im Wintersemester 1822/233 zeigt aber deutliche Unterschiede zwischen Vorlesung und Repetitorium. Das Repetitorium ist kurz, „kompakt und dunkel", während unser Manuskript als ausführlich, sehr umfangreich sich in Stil wie Duktus von den Vorlesungsnachschriften HOTHOS und GRIESHEIMS nicht unterscheiden läßt.
1 Diese Hörerzahlen hat Hoffmeister bereits mitgeteilt; vgl. Hegel: Berliner Schriften. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 744. 2 Vgl. die Ankündigung im „Verzeichnis der Vorlesungen", abgedruckt in: Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 1. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1977, 120. Siehe dazu ferner Hegel: Berliner Schriften. 601 ff. 3 Vgl. dazu Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818-1831. Hrsg, von K.-H, Ilting. Bd 3. Stuttgart-Bad Cannstatt 1974. 82 ff.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
Mitschriß oder Ausarbeitung
Wir haben es beim Kieler Manuskript fast stets mit vollständig ausformulierten Sätzen zu tun; es handelt sich also nicht um kurze Aufzeichnungen, die bloß stichwortartig - und nur ganz gelegentlich auch in vollständigen Sätzen — den vorgetragenen Gedanken festhalten. Dennoch macht eine ganze Reihe von Indizien die Annahme wahrscheinlich, daß eine Mitschrift vorliegt, d. h. daß wir es nicht mit einer späteren Ausarbeitung zu tun haben. Zu nennen sind zunächst einmal die vielen Verschreibungen und Durchstreichungen. Verschreibungen könnten natürlich auch bei einer Ausarbeitung auftreten, auffällig ist aber ein sehr eigentümlicher Typ von Verschreibungen: die Durchstreichungen betreffen nämlich nicht selten Ausdrücke, die tatsächlich im Text Vorkommen sollen, aber nicht an dieser Stelle, sondern erst später (z. B. S. 150; das gilt manchmal auch für nicht-korrigierte Fehler). Der Schreiber muß also, wenn er die entsprechenden Ausdrücke niederschreibt, sie bereits gehört haben. Das setzt voraus, daß es sich um Aufzeichnungen während eines mündlichen Vortrags handelt. Hinzukommen Verschreibungen, die bei einer Ausarbeitung sicher korrigiert worden wären: z. B. ist statt von „drakonischen" Strafen von „platonischen" die Rede (§ 96); ADAM SMITH wird zum Nationalökonomen „SCHMIDT" (§ 198), im § 126 steht „pereat justitia" statt „fiat iustitia" (dagegen richtig § 37), im selben Paragraphen heißt es „Zug" statt „Zucht", außerdem „Eintracht tun" statt „Eintrag tun". Aufschlußreich ist auch die Abfolge von Korrekturen während des Schreibens: so haben wir S. 102—103 im langen § 118 nacheinander „Eidip", „Eudip" und schließlich „Oedip". Auch das kann eigentlich nur im Zuge der Aufzeichnung eines gegenwärtig stattfindenden mündlichen Vortrags zustandegekommen sein. Für die Entscheidung Mitschrift oder Ausarbeitung wichtig ist natürlich auch, daß Lücken nicht gefüllt worden sind (vgl. oben „Beschreibung des Manuskripts"), auch, daß einige sehr wirre Äußerungen, z. B. § 80 über die Hypothek und S. 62 über den Naturzustand sowie der § 57 unverbessert stehengeblieben sind. Abgesehen von solchen Hinweisen spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung Mitschrift oder Ausarbeitung naturgemäß die große Uneinheitlichkeit der Schrift, die so weit geht, daß man sich fragen kann, ob wir es überhaupt mit nur einem einzigen oder vielleicht mit mehreren Schreibern zu tun haben. Die Schrift ist ganz außerordentlich schwer zu lesen z. B. in den §§ 118, 141, dagegen sauber und ohne weiteres lesbar im § 101, ebenso S. 112, wiederum nach einer längeren Passage, die der Entzifferung extrem große Schwierigkeiten bietet. Obwohl die studentischen Arbeitsmethoden bei der Erstellung von Mit- oder Nachschriften bisher nicht gut erforscht sind^ liegt angesichts der angeführten Beobachtungen der Schluß nahe, daß eine Mitschrift vorliegt. * Vgl. Werner Stark: Eine neue Quelle zu Hegels Berliner Vorlesungen. Mitteilung über einen Fund. In: Hegel-Studien. 20 (1985), 122 f.
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Datierung Die Nachschrift setzt das Erscheinen der Grundlinien, an deren Paragrapheneinteilung sich die wiedergegebene Vorlesung hält, voraus. Es muß sich also um eine nach 1820 gehaltene Vorlesung handeln, d. h. es kommen nur die Vorlesungen vom WS 1821/22, WS 1822/23 oder WS 1824/25 in Frage. Für die Datierung sind zwei Punkte von Bedeutung: 1. Zeitangaben im Manuskript selber und 2. der inhaltliche Vergleich mit zweifelsfrei datierten oder datierbaren Vorlesungen. Was explizite Zeitangaben angeht, so finden sich eine ganze Reihe von Bezugnahmen auf vergangene Ereignisse zusammen mit Hinweisen darauf, wie lange sie zurückliegen. So u. a. im § 244 der Hinweis auf die „vor 5 Jahren" veröffentlichten Ergebnisse des Untersuchungsausschusses des enghschen Parlaments über die Lage der Armen im Vereinigten Königreich. Je nach dem, ob „5 Jahre" eine exakte oder ungefähre Zeitangabe ist, und unter der Voraussetzung, daß die Berichte des Committee on the poor-laws von 1817 gemeint sind^, kämen wir für unsere Vorlesung auf das Jahr 1822, eher etwas früher. Zu einer genaueren Datierung dürfte man aber wohl auf dem zweiten Wege, dem des inhaltlichen Vergleichs mit anderen Vorlesungen gelangen. Es läßt sich nämlich feststellen, daß inhaltliche Übereinshmmungen nicht auf eine signifikante Weise so bestehen, daß man das Manuskript einer der Vorlesungen vom WS 1821/22 oder vom WS 1824/25 zuordnen könnte. Natürlich haben wir es mit demselben Gegenstand zu tun, mit derselben Gliederung, eben im Anschluß an die Grundlinien, aber unsere Handschrift weicht von den anderen Vorlesungsnachschriften mindestens so weit ab, wie diese auch untereinander divergieren. Daß keine der beiden genannten Vorlesungen vorliegt, ergibt sich aus vielen Einzelheiten. Z. B. sind im Unterschied zu unserem Manuskript bei HOTHO und GRIESHEIM die §§ 31—33 ausführlich behandelt, behandelt sind bei beiden auch der § 16 sowie die §§ 109—112. Wichtig ist auch, daß allein unser Manuskript den 2. Teil Moralität mit § 104 beginnt. Auffällig ist weiter die Tendenz der im Kieler Manuskript wiedergegebenen Vorlesung, an den Hauptübergängen (jedenfalls im Mitfelfeil) antizipaforisch möglichst viel des folgenden im voraus zur Sprache zu bringen, wodurch sich — im Gegensatz zu HOTHO und GRIESHEIM — der außerordentlich große Umfang der §§ 114, 141 und 181 erklärt.
5 Vgl. Edinburgh Review. Vol. 29 (Nov. 1817-Feb. 1818). February, 1818. No. LVllI — Art. I Report from the Select Committee on the Poor-Laws, with the Minutes of Evidence taken before the Committee. Ordered by the House of Commons to be printed, July 4, 1817. Weiter: The Quarterly Review. January, 1818. Art. I. 1,2. Reports from the Select Coiiunittee on the Poor Laws. July, 1817. March, 1818. — Darüber, daß Hegel beide Artikel gelesen hat, vgl. Hegels Exzerpte aus der „Edinburgh Review" 1817—1819. Mitgeteilt und erläutert von Norbert Waszek. ln: Hegel-Studien. 20 (1985), 79—112, sowie Hegels Exzerpte aus der „Quarterly Review“ 1817-1818. Mitgeteilt und erläutert von Norbert Waszek. In: Hegel-Studien. 21 (1986), 9-25.
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
Alles das spricht dafür, daß es sich hier nicht um einen der bisher belegten Vorlesungsjahrgänge handelt. Tatsächlich bewiesen wird dies nach meiner Meinung aber durch die unterschiedliche Verwendung von Hegels handschriftlichen Notizen zu § 75 der Grundlinien in allen drei Vorlesungen. Bei HOTHO ist in Übereinstimmung mit den Notizen im § 75 von fürstlichem Privateigentum, Domänen und davon die Rede, daß der „Gedanke" bestimmtes Prinzip der Staaten sei.^ FRIEDRICH II, der „philosophische König", und auch HALLER sind dagegen nicht erwähnt, wie es im Gegensatz dazu aber bei GRIESHEIM der Fall ist. Bei GRIESHEIM heißt es danach fast bekenntnishaft; „Diese Form ist so verschwunden, eine allgemeine Bestimmung, ein Gedanke hat sollen an die Stelle gesetzt werden dieses Verhältnisses von Privateigentum, bloßer Herrschaft".^ Im Kieler Manuskript kommt alles das im § 75 nicht vor, sondern sehr viel später (versteckt?) erst im § 258, wo wie bei GRIESHEIM vom „philosophischen König" FRIEDRICH 11 und von ROUSSEAU die Rede ist und wo es schließlich heißt: „Das Dominium galt vor 300 Jahren als Privateigentum der fürstlichen Dynastie — mehr und mehr kam es dahin, daß es Staatseigentum sei. Dies gehört zu diesen Umwandlungen. Die große Revolution ist geschehen, das Weitere ist der Zeit zu überlassen, Gott hat Zeit genug, was geschehen soll, wird geschehen. So ist die Leibeigenschaft aufgehoben; der Mensch soll ein Freier sein, dies ist ein Gedanke. . . .Aber der Gedanke muß sich einerseits als practisch zeigen und durch die Bildung zum Gedanken sind es nun besondere Rechte, die an Gewalt über den Willen verlieren. Der besseren Einsicht ist er dann (?) verknöchert [,] und tot erscheint, was als dem Gedanken widersprechend erscheinen könnte". Aus alledem ergibt sich, daß wir es nicht mit einer Nachschrift der Vorlesungen von 1822/23 oder 1824/25 zu tun haben: dann bleibt aber nur das Kolleg vom WS 1821/22. Hansgeorg Hoppe (Saarbrücken)
HEGELS VORLESUNGEN ZUR „PHILOSOPHIE DER WELTGESCHICHTE"
1. Die Philosophie der Weltgeschichte hat Hegel erst spät, im Wintersemester 1822/23, als eigenständige Vorlesung von der Philosophie des Rechts, wo sie ihren systematischen Ort hat, abgetrennt. Danach las er Philosophie der Weltgeschichte noch viermal, im zweijährigen Turnus jeweils im Wintersemester 1824/ 25, 1826/27, 1828/29 und 1830/31. Die Weltgeschichte gehört zu den Systemteilen, die in Hegels publizierten Arbeiten keinen größeren Raum einnahmen, weder als Abschluß der Rechtsphilosophie noch innerhalb der drei Auflagen der Enzyklcrpä^ Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie. Hrsg, von K.-H. Ilting. Bd 3. 269 f. 7 Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie. Hrsg, von K.-H. Ilting. Bd4. 253.
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die der philosophischen Wissenschaften. Dies mag mit dazu geführt haben, daß von diesen Vorlesungen relativ häufig Nachschriften angefertigt und aufbewahrt wurden. Bis auf den Jahrgang 1828/29, von dem bisher keine Nachschriften gefunden werden konnten, sind die Jahrgänge jeweils durch mehrere Nachschriften dokumentiert. Im einzelnen sind dem Verfasser bisher folgende Nachschriften bekannt geworden!: a) Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23. RUDOLF HAGENBACH. Die Nachschrift ist eine in außerordentlich kleinem Schriftzug verfaßte Reinschrift. Das Heft hat eine, mit dem Titelblatt beginnende Blattzählung; es besteht aus 68 Blatt. b) Philosophie der Weltgeschichte. Vorgetragen von Hegel im Winterhalbjahre 1822/23, nachgeschrieben von GUSTAV V. GRIESHEIM. 2 Bde von 379 bzw. 315 durchnumerierten Seiten, wobei im zweiten Band versehentlich die Seiten 178/179 übersprungen wurden. Es handelt sich dabei um eine ausgearbeitete Reinschrift. Die von mir eingesehenen Nachschriften VON GRIESHEIMS sind nicht alle von derselben Hand, so daß davon auszugehen ist, daß es sich nicht um eigenhändige Nachschriften handelt. c) Philosophie der Weltgeschichte nach dem Vortrage des Herrn Professors Hegel im Winfer 1822/23, Berlin, HEINRICH GUSTAV HOTHO. d) Philosophie der Weltgeschichte von H.v.KEHLER [1822/23]. Das Manuskript ist unvollständig (es umfaßt nur 23 Quartseiten) und flüchtig geschrieben, die Jahreszahl fehlt, läßt sich aber durch Vergleich mit den anderen Nachschriften dieses Jahrgangs eruieren. e) Philosophie der Weltgeschichte nach Hegel. — Im Winter 1824/25. H.v. KEHLER. Ebenfalls ein flüchtig geschriebenes Manuskript von 276 Seiten Umfang. f) Philosophie der Weltgeschichfe, von dem Professor Hegel vorgetragen, [begonnen] den 28. Oktober 1824 JULES CORREVON. Ein flüchtig geschriebener Text mit vielen Streichungen. Das Heft hat 271 Seiten. Die Vorlesungsstunden sind durchnumeriert und mit dem Datum der jeweiligen Vorlesung versehen. Das Manuskript ist von derselben Hand und in derselben Art der Anfertigung wie eine andere Nachschrift von CORREVON zur Logik. Auf dem Rande steht in einer kleinen Schrift (jedoch nicht sicher von anderer Hand) ein umfangreicher Text. Er wiederholt zunächst in Stichworten, später paraphrasierend den Grundtext. Diese Randbemerkungen gehen bis zum Beginn des Abschnitts: „1. China und Mongolei". Für die 32. Vorlesung vom 21. Dezember und die 33. Vorlesung vom 27. Dezember ist im Manuskript Raum freigelassen worden. In den Raum für die 32. Vorlesung ist in der kleinen Handschrift ein kurzer Text nachgetragen worden. Der Raum für die 33. Vorlesung isf außer der Angabe der Vorlesungsstunde und des Datums leer. Die folgende, 34. Vorlesung datiert vom 3. Januar 1825. Beginnend mit der Vorlesung vom 8. März enthält das Heft drei Blatt (sechs Seiten) 1 Herrn H. Schneider danke ich für die freundliche Mitteilung der im Hegel-Archiv gesammelten Nachschriften zur Philosophie der Weltgeschichte.
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von einem kleineren Format. Davon sind fünf Seiten beschrieben, die letzte ist leer. Die Vorlesungen ab 10. März sind dann wieder auf Papier vom früheren Format geschrieben. Diese Eigenarten wie die Übereinstimmung von Schriftbild und Anlage mit dem zweiten Heft CORREVONS lassen vermuten, daß es sich um eine eigenhändige Niederschrift handelt. g) Hegel. Vorlesungen über: Philosophie der Weltgeschichte. Nachgeschrieben von ED. ERDMANN. Berlin Wintersem. 1826/27. Das Manuskript ERDMANNS zur Philosophie der Weltgeschichte besteht aus 107 Blatt (nach der Zählung eines Bibliothekars) und ist in einem Folioband gebunden. Das Heft besteht aus Lagen von drei Doppelblättern Umfang am Anfang und am Ende des Manuskripts bzw. von vier Doppelblättern im Mittelteil. Auf der ersten Seite jeder Lage ist in der oberen rechten Ecke „PhU. d. Weltgesch." vermerkt. Anfänglich sind diese Lagen auch durchnumeriert. Das Manuskript ist am Anfang sehr säuberlich, von der Mitte an zunehmend flüchtiger geschrieben; die Handschrift ist dieselbe wie in einem Manuskript ERDMANNS zur Philosophie des Geistes.^ Im zweiten Teil des Manuskripts ist häufig Raum freigelassen, z. T. von der Länge eines Absatzes, z. T. in einem Umfang von bis zu zwei Seiten, der vermutlich für spätere Nachträge freigelassen wurde. Daß die Manuskripte ERDMANNS tatsächhch von ERDMANN selbst angefertigt und nicht von ihm nur gekauft worden sind, wird durch einen Vergleich mit der Handschrift in Briefen ERDMANNS wahrscheinlich gemacht und kann aufgrund der biographischen Umstände sowie von Äußerungen ERDMANNS als gesichert angesehen werden.3 h) JOSEPH HUBE, Philosophie der Geschichte nach den Vorlesungen des Herrn Professor Hegel. Wintersemester 1826/27. Berlin. Das Manuskript ist in zwei Bänden gebunden; es besteht aus 62 über beide Bände durchnumerierte Lagen zu je 8 Seiten. Der erste Band endet mit der „orientalischen Welt" auf der 4. Seite der 32. Lage, die restlichen 4 Seiten sind leer. Der Text des zweiten Bandes beginnt auf der ersten Seite der 33. Lage mit der griechisch-römischen Welt. Beide Bände enthalten außerdem eine im 2. Band neu beginnende Blattzählung, die jeweils mit der Titelseite beginnt. Band 1 enthält 127, Band II 123 Blatt. Die beiden Titelblätter enthalten den oben angegebenen Titel mit dem Zusatz „TheU I" bzw. „H" und darunter den Namenszug „JOSEPH HUBE". Das Manuskript ist, da sein Besitzer Pole war, anders als die beiden vorherigen, in lateinischer Schrift geschrieben, jedoch mit Übergängen zur deutschen Schrift. Das Manuskript ist offensichtlich in größeren Abschnitten geschrieben, die durch einen deutlichen Wechsel von einem inzwischen flüchtig und gröber gewordenen zu einem feineren Schriftzug erkennbar sind. Das Manuskript ist eine Reinschrift, die zu Beginn jedoch relativ viele Zusätze über der Zeile aufweist. Sie sind meist von der Art, daß sie den Satzbau korrigieren oder einen Gedanken präzisieren. Sie sind in einer 2 Zur Beschreibung dieses Manuskripts vgl. den Beitrag von B. Tuschling in diesem Band S. 60. 3 Vgl. vor allem J. E. Erdmann: Vorlesungen über akademisches Leben und Studium. Leipzig 1858. 264.
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blässeren Tinte geschrieben, aber offenbar von derselben Hand, da sie dieselbe Eigenarten aufweist. Ferner findet man vereinzelt Streichungen z. T. ganzer Sätze bzw. Halbsätze, die keine Dittographien sind, sondern deren Gedanken im folgenden in anderer Form wiedergegeben wird. Der Schreiber des Manuskripts ist also offensichtlich kein bloßer Abschreiber, sondern formuliert im Zuge der Niederschrift bzw. der Korrektur den Gedanken. Außer seiner unmittelbaren Funktion für die Erschließung von Hegels Philosophie der Geschichte hat dieses Manuskript besondere Bedeutung für die Rezeption von Hegels Philosophie in Polen. JOSEF HUBE (1804—1891), insbesondere aber sein Bruder ROMUALD J. FERDYNAND (1803—1890), aus dessen Bibliothek dieses Manuskript überliefert ist, waren beide bekannte Juristen. Beide haben in Berlin bei Hegel studiert (ROMUALD 1825 bei SAVIGNY und Hegel, JOSEF von 1824 bis 1828). ROMUALD war später Professor in Warschau und Petersburg und von 1856—1861 Vorsitzender der Gesetzeskommission für russisch Polen. Er war Anhänger der historischen Rechtsschule, folgte Hegel aber in der Strafrechtsbegründung.^ i) [F. WALTER:] Philosophie der Geschichte [1826/27]. Das Manuskript ist nur fragmentarisch überliefert und umfaßt 89 Blatt, die mit Bleistift von der Hand eines Bibliothekars durchnumeriert sind. Danach folgen noch einige unbeschriebene Blätter. Es fehlt das Titelblatt mit dem Namen des Schreibers; der Schreiber wurde anhand von Schriftproben eines anderen Heftes identifiziert. Es handelt sich um eine engzeUig beschriebene Reinschrift. Auf dem Rande sind häufig von gleicher Hand und offensichtlich gleichzeitig mit der Niederschrift wichtige Stichworte notiert. Die Nachschrift ist unvollständig, sie beginnt mit dem Abschnitt „1. Afrika" aus den „Geographischen Grundlagen der Weltgeschichte" und endet etwa bei der Hälfte des Stoffes zur Römischen Geschichte (thematisch mit dem Ende der Auseinandersetzung zwischen Plebejern und Patriziern). Der Jahrgang ist durch partielle Abhängigkeit vom Manuskript ERDMANN desselben Jahrgangs erwiesen. Das Manuskript enthält aber auch anderes Material. Da WALTER jedoch erst ein Jahr später nach Berlin gekommen ist, ist davon auszugehen, daß es sich bei dem Manuskript um eine Kompilation von Niederschriften mehrerer Kommilitonen handelt. j) Die Philosophie der Geschichte. Eine Vorlesung des Professors Hegel im Winter 1826/27 in Berlin. Eine außerordentlich sorgfältige Reinschrift von 374 durchnumerierten Seiten. Auffallend sind die Überschriften in großen dekorativen Lettern. Der Nachschreiber bzw. Besitzer des Heftes ist unbekannt. k) Philosophie der Weltgeschichte. Nach dem Vortrage des Prof. Hegel, nachgeschrieben von F. STIEVE, Berlin 1826/27. Das Manuskript ist eine Reinschrift in kleinem Schrifttyp mit ganz seltenen Randbemerkungen. Es besteht aus Lagen zu je zwei Doppelblättern, in deren obere Ecke „Ph. d. Gesch" oder eine ähnliche Angaben nach: Polski Slovnik Biograficzny und Encyklopedia of Social Siences. — Beide Namen finden in der einschlägigen Abhandlung von Walter Kühn: Die Polen und die Philosophie Hegels (in: Hegel bei den Slaven. Hrsg, von Dmitrij Tschizewskij. Reichenberg 1934. 7—145) keine Erwähnung.
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Abkürzung, gefolgt von der fortlaufenden Bogennummer steht. Das Manuskript hat außerdem eine Blattzählung von anderer Hand, insgesamt 109 Blatt. Die Seiten 86'', 87'', 102 und lOS' sind leer. l) Philosophie der Geschichte, vorgetragen im Wintersemester 1826/27 von dem ord. Pr. der Universität zu Berlin Dr. G. W. Hegel. Gehört von STC. GARCZYNSKI. Eine Reinschrift mit seltenen Verschreibungen, beinahe ohne Rand. Die Schrift ist relativ klein mit großen Ober- und Unterlängen. Das Manuskript besteht aus Lagen zu vier Blatt bzw. acht Seiten. In der oberen rechten Ecke jeder Lage steht „Phil. d. Geschichte v. Hegel", gefolgt von der laufenden Nummer der Lage. Das Manuskript hat außerdem eine Blattzählung von anderer Hand, insgesamt 185 Blatt, das letzte Blatt ist leer. Das Manuskript endet mit: „Berlin 30. März 1827". m) ACKERSDIJCK: G. W. F. Hegel; Dictat über Philosophie der Geschichte, 1830/ 31. Eine nach eigenen Angaben von ACKERSDIJCK in Auftrag gegebene Arbeit.^ Das Manuskript ist eine sehr saubere Abschrift in lateinischer Schrift. Es hat einen Umfang von 493 Seiten. n) Philosophie der Weltgeschichte nach den Vorlesungen seines Vaters von F. W. K. HEGEL, Wintersemester 1830—1831. Das Manuskript hat 509 Seiten, Titelblatt und ein Inhaltsverzeichnis sind vorgebunden, stammen jedoch von derselben Hand. Das Heft besteht aus Bogen zu je vier Blatt und hat eine Bogen- und eine Seitenzählung, letztere in Sprüngen zu je fünf Seiten. Es handelt sich um eine sorgfältige Reinschrift. Auf dem sehr breiten Rand von etwa einem Drittel der Seite befinden sich einige Bemerkungen mit Bleistift. Ebenfalls mit Bleistift geschrieben, befindet sich auf der Rückseite des Titelblattes ein besonderes Inhaltsverzeichnis der Einleitung. o) Philosophie der Geschichte. Hegel, Wintersem. 1830/31. Es handelt sich um eine Nachschrift von JOHANN HINRICH WICHERN. Das Titelblatt ist von anderer Hand als der fortlaufende Text und enthält außer dem Titel ein Siglenverzeichnis mit Auflösungen. Das Manuskript hat einen Umfang von 212 Seiten und ist eine Reinschrift mit wenigen Verschreibungen. Auf dem Rande stehen einige Ergänzungen mit Verweis und einige gliedernde Randbemerkungen. Es ist von mehreren Händen. p) [anonym] Philosophie der Weltgeschichte, Wintersemester 1830—1831. Das Manuskript ist ein Fragment von 47 Seiten. Es fehlt auch das Titelblatt. Die Zugehörigkeit zu diesem Jahrgang kann aber durch Übereinstimmung mit anderen Heften aus diesem Jahrgang erschlossen werden. Der Text setzt gegen Ende des Persischen Reiches ein und endet bei Kaiser AUGUSTUS. Das Manuskript ist insgesamt wenig ausführlich. 2. Die Philosophie der Weltgeschichte hat vier maßgebliche Herausgeber gehabt. Zunächst erlebte sie innerhalb der Freundesvereinsausgabe drei Auflagen. 1837 5 Vgl. Handschriften en Oude Drukken van de Utrechtse Universiteitsbibliothek. Utrecht 1984. 286 f, Nr 140 f.
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wurde die erste Auflage von GANS besorgt, 1840 eine erheblich veränderte zweite Auflage von Hegels Sohn KARL; 1848 wurde letztere nochmals aufgelegt. Dem ersten Herausgeber GANS, der nach eigenen Angaben aus dem mündlichen Vortrag der fünf Kollegien durch Eliminierung von Abschweifungen und Wiederholungen sowie Stilisierung des Textes erst ein Buch zu machen hatte®, lagen an Quellen vor: Nachschriften aus allen fünf Jahrgängen von SCHULZE, V. GRIESHEIM, HOTHO, WERDER, HEIMANN und KARL HEGEL^; eigenhändige Manuskripte Hegels aus verschiedenen Jahren*; ein ebenfalls von Hegel stammendes, eigens für die Vorlesung 1830/31 ausgearbeitetes Manuskript®, das GANS für einen Teil der Einleitung verwendet hat. Da ein Teil dieser Nachschriften sowie Hegels Manuskripte, mit Ausnahme der Einleitung von 1830 und eines Einleitungsfragments von 1822, heute nicht mehr vorhanden sind, kommt der Edition von GANS unabhängig von Neueditionen der Vorlesungsnachschriften auch weiterhin Quellen wert zu. 1840 legte KARL HEGEL dann die stark erweiterte zweite Auflage vor, in der er, wie er selbst ausführt, stärker als GANS Gedankengut Hegels aus den frühen Vorlesungen miteinbezog.io Dabei unterscheide sich seine Redaktion von der ersten dadurch, „daß sie durchaus von den eigenhändigen Manuskripten ausging und sich jener Hefte nur bediente, um sich in diesen zu orientieren und sie zu ordnen" und „daß er überall den Autor in seinen eigenen Worten reden ließ, weshalb . .. die neuen Einschaltungen wörtlich aus den Manuskripten genommen sind".H Diese Ausgabe wurde vielfach nachgedruckt, zuletzt als Band 12 der von MOLDENHAUER und MICHEL herausgegebenen Werke Hegels in zwanzig Bänden. 12 GEORG LASSON hat 1917—1920 eine neue Ausgabe der Philosophie der Weltgeschichte besorgt^*, dabei aber ebenso alles ihm verfügbare Quellenmaterial (die Nachschriften und KARL HEGELS Edition) zu einer nun weitaus umfangreicher gewordenen Ausgabe kompiliert, ohne auszuweisen, aus welcher Vorlesung und von welchem Nachschreiber das jeweilige Material stammt. An Quellen lagen ihm vor; das Manuskript Hegels für die Einleitung von 1830/31; Kolleghefte von v. GRIESHEIM und v. KEHLER (beide 1822/23), v. KEHLER (1824/25) und F. STIEVE (1826/27). ® Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. V. Eduard Gans. Zweite Auflage besorgt von Karl Hegel. Berlin 1840. XV ff. 7 Ebd. XIV. 8 Ebd. XVIII. ® Ebd. XVII. 10 Ebd. XX. 11 Ebd. XXII f. 12 G. W. F. Flegel: Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832—1845 neu edierte Ausgabe. Hrsg, von Eva Moldenhauer und Karl-Markus Michel. Frankfurt/M. 1970 ff (im folgenden: MM). 18 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg, von G. Lasson. Leipzig 1917.
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In seiner Neuauflage der Einleitung Die Vernunft in der Geschichtet'^ von 1955 konnte HOFFMEISTER dann zeigen, daß der Einleitung, wie sie in den Ausgaben bis dahin vorlag, zwei ganz unterschiedliche Ausarbeitungen Hegels zugrundelagenis, eine von 1822 und eine von 1830. Von beiden sind Manuskripte Hegels erhalten. Aufgrund dessen konnte HOFFMEISTER für die Einleitung einen Text hersteUen, in dem die beiden Konzepte Hegels getrennt abgedruckt werden und außerdem durch verschiedene Schrifttypen das Manuskript Hegels von den Einschüben aus den Nachschriften unterschieden wird. Neuerdings ist eine Rekonstruktion der Vorlesung von 1822/23 — unter Verwendung der Nachschriften HOTHO, V. GRIESHEIM und v. KEHLER — von H.N. SEELMANN und K. BREHMER im Eelix-Meiner-Verlag angekündigt worden.^® 3. Wahrscheinlich hat Hegel gegen Ende seines Lebens geplant, eine eigene Philosophie der Weltgeschichte zu publizieren. Darauf deuten Art und Anlage des Einleitungsmanuskripts von 1830/31 hin. Es beginnt zwar wie die Einleitung zu einem mündlichen Vortrag mit der Anrede: „Meine Herren"; auf dem Rand steht außerdem der Datumseintrag der ersten Vorlesungsstunde (8. XI 1830). Das Manuskript ist jedoch in Reinschrift — wenn auch z. T. stark überarbeitet — und mit regelrechten Noten versehen auf Eoliobogen geschrieben, die Hegel in der Regel für Druckvorlagen benutzte. Es enthält jedoch auch keinen durchgehenden Text, sondern besteht aus einer Zusammenstellung mehrerer Gedankengänge, die jeweils auf Lagen von 2 Doppelblättern (d. h. 8 Seiten) niedergeschrieben sind. Am Ende solcher Lagen sind z. T. mehrere Seiten leer.i^ Zur Publikation ist es dann aber nicht mehr gekommen. So sind wir für die Kenntnis der Geschichtsphilosophie Hegels im Detail auf diese Vorlesungen angewiesen. So verfehlt es ist, die Vorlesungs-Nachschriften umstandslos mit von Hegel selbst stammenden Texten zu identifizieren und sie als solche zu behandeln, so falsch wäre es, ins entgegengesetzte Extrem zu verfallen und ihnen jede Authentizität abzusprechen. Das Material, das die Nachschriften enthalten, ist deshalb für die Kenntnis und das Verständnis von Hegels Philosophie unentbehrlich, eine kritische Edition dieser Nachschriften deswegen notwendig. Die Herausgeber der Ereundesvereinsausgabe — ähnlich wie LASSON als Herausgeber der in der „Philosophischen Bibliothek" bei Meiner erschienenen Ausgabe — haben sich dieser Aufgabe entledigt, indem sie unterschiedslos Hegels eigenhändige Aufzeichnungen und Nachschriften mehrerer Jahrgänge kompiliert und zu einem synthetischen Text verschmolzen haben.
G. W. F. Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg, von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1955 (im folgenden: VG). '5 Dies wurde schon von E. Gans angemerkt; vgl. Hegel's Vorlesungen (s. Anm. 6). XVII. Vgl. den Bericht in diesem Band, 87—89. — Den Herausgebern danke ich für freundliche Überlassung eines Typoskripts dieser Ausgabe. Der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz danke ich für die freundliche Genehmigung zur Benutzung des Hegelnachlasses.
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Ein solches Editionsverfahren rechnet von vornherein nicht mit der Möglichkeit, daß Hegel seine Konzeptionen weiterentwickelt oder gar korrigiert haben könnte. Tatsächlich läßt sich heute, da die Hegelforschung beginnt, die Nachschriften Hegelscher Vorlesungen zu suchen und systematisch zu sammeln, zeigen, daß — wie nicht anders zu erwarten — solche Selbstkorrekturen, ja sogar bedeutende Weiterentwicklungen des Systems (vor allem in der Philosophie des subjektiven Geistes) innerhalb der rund fünfzehnjährigen Lehrtätigkeif Hegels als Universitätsprofessors auch wirklich sfatfgefunden haben. Als einschlägiges Beispiel erwähnf sei hier die Einleitung in die Philosophie der Geschichte, in der erstmals 1826/27 der philosophische Begriff der Weltgeschichfe nichf mehr in Abgrenzung gegen andere „Arten der Geschichtsschreibung", sondern aus dem Begriff des Geistes gewonnen wird. Gleichzeitig verändert sich nicht nur die Konzeption der Einleitung, vielmehr wandelt sich zwischen der ersten und der letzten Vorlesung auch Hegels Vorstellung von einer als vernünftig anzuerkennenden Moderne mif dem Ergebnis, daß die Reformation und ihr Prinzip, die Anerkennung der religiösen Inhalfe durch die subjektive Gewißheif eine Fortführung und Konkretisierung in der Aufklärung erhält. Ihre Prinzipien, die Begründung der Wahrheit und des Rechts sowie des Staats im Denken und im vernünftigen freien Willen, liefern nun das letzte geistige Prinzip der Weltgeschichte. 4. Wie sehr die Edition von KARL HEGEL außerdem von den eigenen Vorstellungen geprägt ist, kann ein Vergleich seiner Ausgabe mit den heute noch vorhandenen Materialien zeigen. Schon anhand der Editionen der Einleitung in der Freundesvereinsausgabe und der Edition von HOFFMEISTER läßt sich überprüfen, wie stark GANS bzw. KARL HEGEL in das Manuskript Hegels eingegriffen haben, nicht nur durch unausgewiesene Einfügungen, sondern auch durch Änderung im Wortlaut, Umstellungen ganzer Abschnitte und durch Streichung ganzer Sätze des Manuskripts. Es würde eine eigene Abhandlung erfordern, um auch nur die wichtigsten Abänderungen zu dokumentieren. Beispielhaft seien hier nur zwei gravierende Eingriffe genannf: Hegel führt im Manuskript aus, die religiöse Form des Satzes, daß die Vernunft die Welt regiere, nämlich der Glaube an die Vorsehung Gottes, dürfe endlich nicht mehr nur in bloß fühlender und vorstellender Weise vorhanden sein, sondern müsse vom Gedanken erfaßt werden und in bewußter Weise in die Wirklichkeit treten. Die Philosophie der Geschichte müsse insofern auch das Problem der Theodizee aufgreifen. — Diese Ausführungen werden durch Auslassungen ihrer Pointe beraubt; der Leser erfährt nicht, worauf es Hegel eigentlich ankommt: daß nämlich die bloß religiöse Form der Wahrheit in eine vom Gedanken erfaßte Wahrheit überführt werden müsse (vgl. VG 41, 45, 48 mit MM 12.27 ff). Nach dem Manuskripf beruht die Lebendigkeit des Staates darauf, daß dasselbe geistige Prinzip sowohl im Bewußtsein der Individuen, in den staatlichen Institutionen wie in Kunst, Religion und Wissenschaft vorhanden und deswegen in einem bestimmten Staat auch nur eine bestimmte Religion möglich ist (Ausführungen, die Hegel — wie das Manuskript ACKERSDIJCK bestätigt — so auch im
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mündlichen Vortrag vorgetragen hat). Diese Behauptung wird durch Umstellung der Absätze und Kontamination mit Texten aus Vorlesungsnachschriften dahingehend modifiziert, daß der Staat auf der Religion beruhe, insofern das Prinzip des Staates aus dem der Religion hervorgehe (vgl. VG 122 mit MM 12.71 ff). Ähnliche Inkorrektheiten lassen sich auch in der Wiedergabe Hegelscher Ausführungen aus den Nachschriften belegen. Auf einen Fehler KARL HEGELS in den Ausführungen zur Repräsentativverfassung im Einleitungstext hat schon O. PöGGELER hingewiesen. In die zweite Auflage von Hegels Geschichtsphilosophie hat KARL HEGEL einen Passus eingebracht, der Hegel die Repräsentation generell ablehnen läßt. Nach einem festen Vorurteil — heißt es dort — werde die Vorstellung einer freien Verfassung mit der sogenannten Repräsentativverfassung verknüpft; es folgt eine heftige Polemik gegen den in dieser Vorstellung enthaltenen Gegensatz zwischen Volk und Regierung und der Absolutheit des subjektiven Willens. In den Nachschriften von Hegels Vorlesungen ist diese Polemik gegen die Vorstellung vom Gegensatz von Volk und Regierung aber gar nicht mit dem Gedanken der Repräsentativverfassung verknüpft, Ein Vergleich der Darstellung der Geschichte seit der Reformation in der Nachschrift ACKERSDIJCK mit der Edition KARL HEGELS — die sich für diesen Teil weitgehend auf die Nachschrift K. HEGELS von derselben Vorlesung stützt — zeigt, daß letzterer einen zentralen Gedanken seines Vaters aus der letzten Vorlesung weitgehend ignoriert, daß das letzte geistige Prinzip der Geschichte nicht mehr die Reformation, sondern die in Frankreich entstandene Aufklärung ist und daß damit der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit in der neuesten Zeit theoretisch wie praktisch nicht in Deutschland, sondern in Frankreich endet, 5. Eine kritischen Maßstäben genügende Edition von Vorlesungsnachschriften — die der Verf. für ausgewählte Jahrgänge der Philosophie der Weltgeschichte vorbereitet — hat u. a. zu beachten; — Nachschriften verschiedener Jahrgänge dürfen nicht zu einem fortlaufenden Text verschmolzen werden. — Auch dort, wo von einem Jahrgang mehrere Nachschriften überliefert sind, kann nicht aus einer Kompilation dieser Nachschriften der authentische Vortrag rekonstruiert werden; denn es handelt sich bei diesen Texten nicht um Diktattexte oder stenographische Protokolle, sondern die Nachschriften überliefern — sofern sie überhaupt unabhängig voneinander sind — den Text der Vorlesung in einem durch individuelle Interessen, unterschiedliche Auffassungsgabe und meist auch durch häusliche Überarbeitung modifizierten Text. 1® Hegels Begegnung mit Preußen. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.-C. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, 311 ff, insbesondere 342 f. w Vgl. MM 12.67 mit VG 142, 144. 20 Vgl. dazu im einzelnen vom Verf.: „Die Geschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". Zur Entwicklung von Hegels Philosophie der Geschichte. Unten 177—192.
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— Darüber hinaus sollte es selbstverständlich sein, daß das Material aus den Vorlesungsnachschriften auf keinen Fall mit Originaltexten Hegels — Vorlesungsnotizen, Entwürfen zu geplanten Publikationen etc. — verschmolzen werden darf. Franz Hespe (Marburg)
HEGELS PHILOSOPHIE DER WELTGESCHICHTE VON 1822/23
Hegel hat erst in Berlin im Wintersemester 1822/23 die Weltgeschichte als einen selbständigen Gegenstand seiner Vorlesung behandelt und hielt bis zu seinem Tode 1831 fünf Vorlesungen darüber. Bis dahin hatte Hegel bekanntlich die Weltgeschichte nur am Ende der Rechtsphilosophie in knappster Form angesprochen. Der erste Jahrgang der Vorlesung über Philosophie der Weltgeschichte wird im Felix Meiner Verlag gesondert herausgegeben.i Der Vorlesungstext wurde aus drei Nachschriften^ rekonstruiert; Die umfangreichste der drei Nachschriften stammt von HEINRICH GUSTAV HOTHO (Bibliothek Sorbonne, Paris, Nachlaß VICTOR COUSIN) und ist betitelt: Philosophie der Weltgeschichte, nach dem Vortrage des Herrn Professor Hegel im Winter 1822/ 23. Diese Nachschrift ist vollständig und enthält viel von Hegelschen Wendungen und Ausdrucksweisen, die die Mitschrift HOTHOS während der Vorlesung vermuten lassen. Daß HOTHO während der Vorlesung mitschrieb, bezeugen auch die vielen Abkürzungen, die im Text Vorkommen, und die teilweise schwer lesbare Schrift des Verfassers. Die schlechte Lesbarkeit nimmt zu, je mehr die Vorlesung dem Ende zugeht. Man kann sogar anhand des Manuskripts genau angeben, wo die Vorlesungsstunde jeweils beginnt und wo sie endet. Diese Nachschrift dürfte dem Originalbild der Vorlesung am nächsten kommen, und da sie auch den größten Umfang aufweist, ist sie die wichtigste in der Rekonstruktion der Vorlesung. Den bisherigen Editionen lag diese Nachschrift nicht vor. Obwohl GANS in seiner Ausgabe 1837 ein Manuskript von HOTHO erwähnU, das er für seine Edition benützt hat, dürfte es sich dabei nicht um diese Nach-
1 G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd 12; Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (1822/23). Hrsg, von Karl Brehmer und Hoo Nam Seelmann. In Vorb. 2 Nach dem Abschluß der Editionsarbeit stellte sich heraus, daß in Basel ein weiteres Manuskript aus der ersten Vorlesung gefunden wurde. In der Edition konnte dieses Manuskript nicht mehr berücksichtigt werden. 3 Vgl. G. W. F. Hegel: Werke. Bd 9: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Hrsg, von Eduard Gans. Berlin 1837. XXL
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Schrift handeln. Ein Textvergleich zwischen der Nachschrift von HOTHO aus dem Wintersemester 1822/23 und der Ausgabe von GANS legt die Vermutung nahe, daß GANS eine andere Nachschrift von HOTHO vor sich gehabt hat. Die zweite Nachschrift ist von GUSTAV VON GRIESHEIM überliefert, war den bisherigen Editoren bekannt und wurde von ihnen verwertet. Wie die erste oben genannte ist diese Nachschrift auch vollständig, allerdings nicht so umfangreich. Sie trägt den Titel: Philosophie der allgemeinen Weltgeschichte, vorgetragen von Hegel im Winterhalbjahr 1822/23 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin). Die Nachschrift ist gut leserlich und sorgfältig erstellt. Das Schriftbild ist durchgehend einheitlich. Die dritte Nachschrift stammt von H.VON KEHLER und trägt den Titel: Die philosophische Weltgeschichte (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz). Diese Nachschrift ist unvollständig und besteht nur aus 23 Quartseiten zur Einleitung der Vorlesung. Hier fehlt zwar die Jahresangabe, aber der Vergleich mit den beiden anderen Nachschriften zeigt deutlich, daß es sich um die Nachschrift der ersten Vorlesung Hegels handelt. Wegen der Unvollständigkeit des Textes spielt diese Nachschrift eine untergeordnete Rolle in der Edition. Diese drei Nachschriften, vor allem aber die ersten beiden, weisen eine große Ähnhchkeit und teilweise sogar eine Übereinstimmung in vielen Details und Wendungen auf, so daß eine Rekonstruktion eines Vorlesungstextes auf dieser Grundlage berechhgt erscheint. Im folgenden soll kurz die Methode der Textherstellung skizziert werden: Der Text kam in drei Schritten zustande: Nach der Transkription der drei Nachschriften wurde aus den drei Texten eine Synopse hergestellt. Zuletzt diente die Synopse der Herstellung eines „integralen Textes". Bei der Herstellung des „integralen Textes" wurde die umfangreichste Nachschrift, also die von HOTHO, zugrundegelegt und mit HUfe der beiden anderen Nachschriften wurde der Text fortlaufend ergänzt. So wurden beispielsweise die verschiedenen Ausdrucksweisen und Wendungen, die das Gesagte verdeutUchen, aber bei HOTHO fehlen, in den jeweiligen Satz aufgenommen. Jedoch wurden abweichende oder nicht integrierbare Stellen in den kritischen Apparat aufgenommen, um dem Leser eine Vergleichsmöglichkeit zu bieten. Auch ganze Passagen, die bei HOTHO fehlten, bei v. GRIESHEIM bzw. v. KEHLER aber vorkamen, wurden in den Text integriert. Durch diese Verfahrensweise kam ein Text zustande, der die Vorlesung Hegels möglichst umfassend wiedergibt. Erst die Edition einzelner Vorlesungsjahrgänge erlaubt es, Hegels philosophische Konzeption der Weltgeschichte deutlicher als bisher zu erkennen. Wenn in absehbarer Zeit mehrere Jahrgänge, soweit die vorhandenen Manuskripte dies zulassen, getrennt ediert sind, wird es möglich sein, einen Vergleich anzustellen, um eventuelle Veränderungen der Konzeption in den verschiedenen Vorlesungen feststellen zu können. Der erste Vergleich der ersten Vorlesung mit der Ausgabe von KARL HEGEL, die im Rahmen der Ausgabe der Freunde des Verewigten erschien, läßt erkennen, daß die Einleitung in der Ausgabe von KARL HEGEL abgesehen von deren Anfang große Unterschiede zu derjenigen der ersten Vorlesung
Ästhetik 1820/21 (H. Schneider)
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aufweist. Hier muß die weitere Forschung zeigen, ob diese Unterschiede sich auf Hegel selbst zurückführen lassen oder auf dem bisherigen sehr problematischen Editionsverfahren beruhen. H. N. Seelmann (Hamburg)
EINE NACHSCHRIFT DER VORLESUNG HEGELS ÜBER ÄSTHETIK IM WINTERSEMESTER 1820/21
Hegels lebenslange Auseinandersetzung mit ästhetischen Problemen führte erstmals in Heidelberg im Sommersemester 1818 zu einer Vorlesung über Ästhetik. Genauere Informationen über den Inhalt dieser Vorlesung fehlen uns, da bisher keine Vorlesungsnachschrift gefunden werden konnte. Auch das Heft, das Hegel für diese Vorlesung ausarbeitete, ist verschollen. Trotzdem sind wesentliche Unterschiede zwischen der Heidelberger und der ersten Berliner Vorlesung durch Vorlesungsnotizen zum Abschnitt über Ästhetik im Rahmen der Vorlesung über Enzyklopädie bekannt. ^
Die Vorlesung von 1820/21 Auch HOTHO berichtet von der Distanzierung Hegels von seinem Heidelberger Heft für die erste Berliner Vorlesung, für die er das sogenannte Berliner Heft ausarbeitete. „Nach Berlin berufen muß es Hegel jedoch bei seinen ersten Vorträgen über Aesthetik nicht mehr für genügend erachtet haben, denn schon im Oktober 1820 begann er eine durchgängig neue Umarbeitung, aus welcher das Heft entstanden ist, das von nun an die Grundlage für alle seine späteren Vorlesungen über den gleichen Gegenstand blieb .. ."^ Die Vorlesung, die unter der Bezeichnung „Ästhetik, als Philosophie der Kunst" angekündigt war, fand fünfmal wöchentlich von 5—6 Uhr statt.^ Das Semester dauerte vom 24. 10. 1820 bis zum 24. 3. 1821; Hegel las vor 50 Zuhörern. Der wohl prominenteste bekannte Hörer war am Schluß des Semesters HEINRICH HEINE.
1 Hegels Notizen zum absoluten Geist. Eingeleitet und herausgegeben von H. Schneider. In: Hegel-Studien. 9 (1984), 9-38. 2 Hegel: Werke. Bd 10. Berhn 1835. VII. 2 Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. Hrsg. v. F. Nicohn. Hamburg 1977. 115 (lateinische Ankündigung) und 120 (deutsch).
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ÜBER NACHSCHRIFTEN ZU HEGELS VORLESUNGEN
Nachschriß und Nachschreiber
Die einzige bisher bekannte Nachschrift^ umfaßt 271 paginierte Seiten im Quartformat. Relativ wenige Korrekturen, Einfügungen und Abkürzungen weisen darauf hin, daß es sich nicht um eine direkte Mitschrift, sondern um eine sehr sorgfältige häusliche Ausarbeitung handelt. Die äußeren Umstände des Nachschreibens liegen offen zutage. Das Titelblatt nennt als Nachschreiber WILHELM VON ASCHEBERG mit dem Zusatz „seinem SAX VAN TERBORG". Aufklärung über den Sinn dieses Zusatzes gibt ein zwischen den Seiten 226 und 227 eingebundener kleiner Zettel mit der Mitteilung VON ASCHEBERGS; „Bis an der, (pag: 226,) mit einem Striche bezeichneten Stelle geht das von mir selbst nachgeschriebene Heft; von da an, habe ich das Fehlende nach MIDDENDORFS Heft abgeschrieben. Ich kann also nur bis hierher für die Richtigkeit des Inhalts bürgen, obgleich ich nicht glaube, daß bedeutende errata darin Vorkommen. Manches ist mir aber, der Kürze wegen, dunkel. Dies, lieber Bruder, dir zur Nachricht, und um meinen guten Ruf als Heftschreiber zu retten. Vale! Dein ASCHEBERG." ASCHEBERG gibt sich also als erfahrener „Heftschreiber" mit gutem Ruf zu erkennen, der offensichtlich Übung darin hatte, wohl gegen Entgelt für andere Studenten Vorlesungen mitzuschreiben, ln diesem Falle scheint er mit SAX VAN TERBORG jedoch persönlich verbunden gewesen zu sein, wenn er ihn als „lieben Bruder" bezeichnet. Sicher ist nicht der leibUche Bruder gemeint, sondern „Bruder" war eine in Studentenverbindungen übliche Anrede. Der Grund für das vorzeiüge Abbrechen des Vorlesungsbesuchs wird nicht mitgeteilt. Man bekommt hier einen Einblick in die Praxis des Nachschreibens und Abschreibens von Vorlesungsheften. Bemerkenswert ist einerseits das Selbstbewußtsein ASCHEBERGS als eines guten Heftschreibers, andererseits seine kritische Einstellung gegenüber anderen Vorlesungsnachschriften. Heute kann man ihm die Richtigkeit seines Urteils bestätigen. ASCHEBERG selbst hat hervorragend mitgeschrieben. Das teilweise abgeschriebene Heft von MIDDENDORF fällt dagegen zwar ab, kann aber immer noch als gut bezeichnet werden. Vom Auftraggeber der Nachschrift, SAX VAN TERBORG, stammen ein Zusatz auf einem Blatt 114 a und die zehn Seiten 121—131, die wohl eine direkte Mitschrift darstellen. Von den drei an der Nachschrift beteiligten Studenten konnte bisher nur die Biographie des SAX VAN TERBORG in etwa aufgeklärt werden. WILLEM SAX VAN TERBORG war geboren 1797 in Emden, wo er auch 1852 starb. Der Studiengang ist voll
* Ein direkter Niederschlag von Teilen dieser Vorlesung liegt in Aufsätzen vor, die der Hegelschüler Friedrich Förster bereits 1821 in der Neuen Berliner Monatschrift anonym veröffentlichte. Vgl. dazu: Neue Berliner Monatschrifl ßr Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunst. BerUn 1821. Faksimile-Neudruck in zwei Bänden. Mit einem Nachwort von Helmut Schneider. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987/88. (Über die Bezüge zu Hegels Ästhehk orientiert das Nachwort in Bd 2. XVIl—XXXVII.)
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überschaubar. Im WS 1816/17 ist er als Student der Medizin in Göttingen immatrikuliert, nachdem er vorher anscheinend schon in Berlin studiert hatte. Von Göttingen ging er zum Sommersemester 1818 wieder nach Berlin, von Berlin vom Wintersemester 1824/25 bis Ostern 1827 wieder nach Göttingen, wo er Jura studierte. In Göttingen gehörte er der Studentenverbindung „Frisia" an, in Berlin vermutlich der „Guestphaha". 1817 nahm er am Wartburgfest teil. Später wurde er wieder in Emden ansässig, wo er als Jurist tätig war. Seit 1850 war er als unbesoldeter Senator Mitglied des Magistrats. Der Hauptnachschreiber WILHELM V. ASCHEBERG gehört dem alten Adelsgeschlecht ASCHEBERG an, das seinen Stammsitz im Kreis Lüdinghausen in Westfalen hatte. Das weitverzweigte Geschlecht hatte außer der westfälischen Linie auch noch eine bayerische, kurländische, ostpreußische und schwedische Linie. Der Nachschreiber stammte aus Kurland und studierte in Berlin Jura seit dem Wintersemester 1819/20. Noch größer sind die Schwierigkeiten bei der Identifizierung von MIDDENDORF, von dem nicht einmal der Vorname genannt ist. Es gab im Baltikum eine weitverzweigte, teilweise auch adelige FamiUe MIDDENDORF. ES handelt sich um W. MIDDENDORF (vermutlich Wilhelm) aus Estland, der seit dem Wintersemester 1818/19 in Berlin Theologie studierte.
Grundzüge der Konzeption
Die Gliederung zeigt die in den ersten drei Vorlesungsjahrgängen gleich gebliebene Grundgestalt der Zweiteilung in einen allgemeinen und einen besonderen Teil. Nur die letzte Vorlesung über Ästhetik 1828/29 kennt eine formale Dreiteilung. Der Inhalt der zwei bzw. drei Teile ist jedoch in allen Jahrgängen gleichbleibend. Der allgemeine TeU, dem eine Einleitung vorangeht, behandelt die Idee des Schönen zunächst allgemein und dann in den besonderen Gestaltungen als symbolische, klassische und romantische Kunstform. Hier, also 1820/21, wird der Teil mit den historischen Gestalten des Ideals bereits als besonderer Teil (des allgemeinen Teils) bezeichnet. Der (eigentliche) besondere Teil enthält die Ausführungen über die Kunstarten Architektur, Skulptur, Malerei, Musik und Dichtung. Ein wichtiger Wandel der Gliederung gegenüber der Heidelberger Ästhetik besteht in der Zusammenfassung der vorklassischen Kunstformen in den Naturreligionen der Perser, Inder und Ägypter zur symbolischen Kunstform als der untersten Stufe der Entwicklung. Das wurde ermöglicht durch eine Neubestimmung des Symbolbegriffs in den ersten Jahren in Berlin. In Heidelberg war das Symbol noch der Mensch, die menschliche Gestalt, als idealer Ausdruck der Idee in der klassischen Kunst. Nun, in Berlin, drückt das Symbol die Idee nur unvollkommen aus in der Natur, so daß die symbolische Kunstform als „Vorkunst" der klassischen Kunstform vorausgeht. Ein sicher entscheidender Faktor für diesen Wandel der Konzeption war die Auseinandersetzung mit der 2. Auflage von CREUZERS Werk über die Mythologie.
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Die Nachschrift dokumentiert ferner die innere Trennung von Kunst und Religion, die in der Heidelberger Enzyklopädie noch als Kunstreligion verbunden waren, sowie die entsprechende äußere Trennung der Vorlesungen. Hegel ließ der Vorlesung über Ästhetik sofort im SS 1821 die erste Vorlesung über ReUgionsphüosophie in Berlin folgen. Er verwies am Ende der Ästhetikvorlesung auf diese Entwicklung, indem er eine Verbindung herstellte zwischen der Äbfolge der beiden Weisen des Göttlichen (mit dem Ende der Kunst) und der Äbfolge der beiden Vorlesungen. „Durch diese Comödien des äRISTOPHANES ist den plastischen Gestaltungen ein Ende gemacht, und wir sehen, daß die Kunstweise nicht die höchste Weise des Göttlichen ist. ln der Religion ist ein geistiges Wißen von dem Göttlichen. Damit haben wir das Gebiet der Kunst durchlaufen, und wir gehen fort zur Religion. So wie die Kunst eine nothwendige Darstellung des Göttlichen ist, so ist's auch eben so eine Stufe, die vorübergehen muß." (271) Die Bedeutung dieser Nachschrift von Hegels erster Ästhetikvorlesung in Berlin besteht darin, daß nun die Entwicklung von Hegels Ästhetik in Berlin voll überschaubar ist. Bisher lagen gerade die ersten Berliner Jahre im Dunkeln. Dadurch ergeben sich auch Ansatzpunkte für eine Quellenscheidung in der Edition HOTHOS. Die Nachschrift gibt den Grundbestand des wohl als verloren anzusehenden Berliner Hefts Hegels wieder, unangesehen möglicher Zufügungen und Auslassungen. Es bildete die Basis aller späteren Ästhetikvorlesungen; HOTHO konnte es für seine Edition noch verwerten. Eine Quellenscheidung in der Edition HOTHOS ist nötig, um Material, das nur in der Edition HOTHOS überliefert ist, im Hinblick auf seine Äuthentizität beurteilen und datieren zu können. Eine Edition der Nachschrift ist für die nächste Zeit vorgesehen. Helmut Schneider (Bochum)
ÄSTHETIK ODER PHILOSOPHIE DER KUNST
Die Nachschrißen und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen Man muß Hegels Berliner Vorlesungen über „Ästhetik oder Philosophie der Kunst" wohl als ein Sorgenkind der historisch-kritischen Edition seiner Werke betrachten. Der gegenwärtig greifbare Bestand an eigenhändigen Äusarbeitungen Hegels ist nirgends so gering wie bei der Ästhetik. Die Tradition dieser Vorlesung durch HEINRICH GUSTAV HOTHO, der sich als letzter noch auf Hegels Heidelberger Heft zur Ästhetik von 1818 und auf ein Berliner Heft zu den verschiedenen Ästhetikvorlesungen stützen konnte, muß als in hohem Grad unzuverlässig bezeichnet werden. Gegenwärtig bleiben uns neben einigen Splittern aus Hegels Berliner Heft, einer Reihe von Exzerpten und einigen Veröffentlichungen aus dem Umkreis der Vorlesungen zur Ästhetik die Hörermitschriften und Äusarbei-
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tungen, sowie nachträgliche Kompositionen verschiedener Vorlesungsunterlagen als mehr oder weniger zuverlässige Quellen. So sind Hegels Berhner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, die in der Diskussion um die Bedeutung seiner Philosophie bis heute ein so großes Gewicht haben, schwer — wenn überhaupt — rekonstruierbar. Hegels erste Ästhetikvorlesung fällt in das Jahr 1818 in Heidelberg, schließt also an die systematische Darstellung der Kunst in der Enzyklopädie von 1817 unmittelbar an. Nach dem Bericht HOTHOSI hat Hegel für diese Vorlesung ein Heft „nach Art der Encyklopädie und späteren Rechts-Philosophie" angelegt, das ihm „wahrscheinlich zu Diktaten gedient" hat und in „kurz zusammengedrängte Paragraphen und ausführende Anmerkungen gefheilf" war. HOTHO vermutet weiter, daß Hegel dieses Heft in den Hauptzügen bereits in Nürnberg im Rahmen des Ästhetikunterrichts für die Oberstufe der Gymnasien entworfen haben könnte. Hegel las in Berlin bereits ein Jahr nach seinem Weggang aus Heidelberg im Wintersemester 1820/21 über Ästhetik. Er trennte hier gegen seine ursprünglich bekundete Absicht die philosophische Behandlung der Kunst von der der Rehgion. Für diese Vorlesung hat Hegel in der kurzen Zeit nach seiner ersten Vorlesung über die Ästhetik in Heidelberg ein neues Heft angelegt, das er dann für alle weiteren Berliner Ästhetikvorlesungen in den Jahren 1823, 1826 und 1828/29 benutzt haben muß und das er — nach HOTHOS Bericht — mit allen Notizen zu den Änderungen im Vortrag und in der Sache ausgestattet hat. Hegel legte in dieses Berliner Heft Notizen und Exzerpte zu spezifischen Punkten ein, die er in Variation früherer Vorträge in die Vorlesungen mit eingebracht, möglicherweise in den verschiedenen Vorlesungen auch verschoben haben wird. Nach der Bearbeitung der Ästhetik, d. h. nach ihrer Drucklegung im Jahre 1835, sind diese Exzerpte aus dem Berhner Heft offensichtüch vom ursprünghchen Heft getrennt und an verschiedene Interessenten weitergegeben worden. Sie hefern uns heute die einzigen Quellen zu Hegels Berhner Heft, denn einige dieser Textsphtter sind inzwischen wieder aufgetaucht.^ Hegels Hefte selbst sind verschollen. Der heutige Leser ist also noch weitergehender als der Herausgeber der Ästhetik auf Mateliahen zu Hegels Ästhetik angewiesen, die nicht von Hegel selbst stammen. Ein gewisses Manko stellt bereits HOTHO fest, wenn er auf den vorläufigen Charakter der Ausarbeitungen des Berhner Hefts verweist — ein Umstand, der ihn bereits bei der ersten Bearbeitung dazu zwingt, auf weitere Zeugnisse zu Hegels Ästhetikvorlesungen zurückzugreifen.
^ Vorrede des Herausgebers. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Vorlesungen über die Aesthetik. Hrsg, von H. G. Hotho. Band 1. Berlin 1835. (Hegel: Werke. Bd 10, Abt. 1) VII. 2 Vgl. dazu z. B. Hegel über die Objektivität des Kunstwerks. Ein eigenhändiges Blatt zur Ästhetik. Mitgeteilt und erörtert von Lucia Sziborsky. In: Hegel-Studien. 18 (1983), 9—22; Neue Quellen zu Hegels Ästhetik. Mitgeteilt und erläutert von Helmut Schneider. In: Hegel-Studien. 19 (1984), 9-46.
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1. Hegels Ästhetik und ihre Quellen Im Jahre 1835, vier Jahre nach Hegels Tod, hat der Hegelschüler HEINRICH GUSTAV HOTHO unter Kenntnis der beiden heute verlorenen Hefte zur Ästhetik, im wesentlichen aber auf der Basis des Berliner Hefts sowie einiger Nachschriften die erste Druckfassung der Ästhetik erstellt. Diese erste Auflage wurde im Jahr 1842 und in den folgenden Jahren geringfügig überarbeitet, und die zweite Auflage bildet die Grundlage aller Textversionen, die bis heute im Umlauf sind. Sie liegt ebenso allen Übersetzungen und selbstredend auch den äußerst kontroversen philosophischen Diskussionen um Hegels Ästhetik zugrunde. In der Vorrede erwähnt HOTHO einleitend zur ersten Auflage der Vorlesungen über die Ästhetik, daß ihm bereits für seine Ausarbeitung die beiden Hegelschen Manuskripte nicht genügten, obwohl sie ihm den „sichersten Stoff lieferten" (VII, vgl. XI). Auf die „fast durchgängige stilistische Ausführung" der Einleitungen und einiger Absätze kommen in diesen Heften eine große Zahl „lakonischer Kennworte" und „verwirrend von Jahr zu Jahr gehäufter bunt durcheinander geschriebener Randanmerkungen", die es bereits verwunderlich erscheinen lassen, wie Hegel sich in seinem Vortrag hat zurechtfinden können (vgl. VIII). HOTHO sieht sich deshalb gezwungen, den Text der Ästhetik aus einem Vergleich „mit den am sorgsamsten nachgeschriebenen Heften" zu erstellen, unter der Hypothese, Hegelsches Manuskript und Vorlesungsnachschrift „verhalten sich wie Skizze und Ausführung" (ebd.). Neben Hegels Heften gibt HOTHO eine Reihe von Quellen an, die er für die Druckfassung der Ästhetik zur Verfügung hatte und nutzte. Zunächst läßt er nach eigenem Bericht das Heideibergische Heft beiseite, da Hegel nur wenige Beispiele aus diesem Heft entnommen habe. Ebenso verzichtet er auf Belege aus der ersten Berliner Vorlesung des Wintersemesters 1820/21. Bereits die Vorlesung von 1823 soll nach HOTHOS Zeugnis so „wesentlich umgearbeitet" worden sein, daß sich der Verzicht auf Dokumente der früheren Vorlesung rechtfertigt. Für die Vorlesung von 1823 stützt HOTHO sich auf sein eigenes Heft, das bis heute erhalten ist. Auch für die Vorlesung von 1826 gibt HOTHO an, er habe sich auf ein eigenes Heft bezogen, daneben auf ein Heft GRIESHEIMS, ein Heft eines Referendarius M. WOLF sowie ein Heft des Hegelschülers HEINRICH WILHELM AUGUST STIEGLITZ. Von diesen Heften ist lediglich das GRiESHEiMsche Heft erhalten. Vom Vortrag des Wintersemesters 1828/29 hat HOTHO neben einem heute wiedergefundenen Heft von HEIMANN die nicht mehr zuhandenen Notizen von L. GEYER, JOHANN GUSTAV DROYSEN (1808—1884), sowie der beiden Lizentiaten BRUNO BAUER (1809—1882) und JOHANN KARL WILHELM VATKE (1806—1882) berücksichtigt. Bis auf wenige Ausnahmen sind die meisten dieser Nachschriften zu Hegels Ästhetik heute zerstört oder gelten als verschollen. Dennoch hat sich die Quellenlage insgesamt gegenwärtig eher verbessert. Es sind nämlich zur Zeit von allen Berliner Ästhetikvorlesungen Nachschriften oder Ausarbeitungen bekannt, die ein lebendiges und großenteils genaues Bild von Hegels Vorlesungstätigkeit geben. Wie sehr die Nachschreiber selbst auf eine gute Dokumentation für den
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eigenen oder fremden Gebrauch bedacht waren, zeigt sich daran, daß diese Nachschriften meist als Bücher (manchmal sehr aufwendig) gebunden in Privatbibliotheken fortexistierten und zuweilen sogar Jahre später — z. B. in der Ästhetik THEODOR MüNDTS — als Vorlage für eigene Publikationen dienten. Die uns bekannten Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst übermitteln ein hinreichend getreues Bild vom Stand der Reflexionen. Hegel greift nämlich nicht nur in den späteren Vorlesungen die behandelten Themen wieder auf, er wiederholt in sachlicher Beharrlichkeit und oft in Formulierungstreue sogar Gedanken, die er z. T. schon in der Frankfurter oder Jenaer Zeit entfaltet hatte. Dennoch hat, wie man aus den Hinweisen HOTHOS entnehmen kann und wie es die Nachschriften bestätigen, Hegels Vorlesung sich im Lauf der Jahre entwickelt. Sein Plan, diese Vorlesung als Buch zu veröffentlichen, führte weniger zum Abschluß dieses Werks denn zu einem ständigen Prozeß der Erweiterung und Prüfung der zur Philosophie der Kunst vorgetragenen Gedanken. Über diese Entwicklung geben die Vorlesungsnachschriften, die heute bekannt sind, genauen Aufschluß; diese Fortschritte in der Sache wie in der Darstellung vermerkt allerdings bereits HOTHO in der Vorrede zu seiner Edition. Die einzelnen Hefte zu den Jahrgängen gewinnen dadurch ein großes Gewicht, denn das Fehlen einer authentischen Quelle bzw. eines von Hegel durch Abschluß eines Manuskripts oder gar Drucklegung als letztgültig ausgezeichneten Standes der Reflexionen liegt nicht vor. An die Stelle des Werks tritt ein „work in progress", eine stets wiederholende, beharrlich je neu prüfende Überlegung zur Philosophie der Kunst, zu ihrer Bedeutung, zu ihrem Gegenstandsbereich und ihrem Verhältnis zu sonstigem — sei es alltäglichem, sei es wissenschaftlichem — Wissen über die Kunst. Aus den beiden ersten Berliner Vorlesungen zur Ästhetik 1820/21 und 1823 ist jeweils nur ein Vorlesungszeugnis bekannt. Mit der Quelle zu Hegels erster Vorlesung in Berlin haben wir den Spiegel jenes Stands der Ausarbeitung der Ästhetik vor Äugen, aufgrund dessen Hegel sich veranlaßt gesehen hat, eine baldige Veröffentlichung der Ästhetik als Buch anzukündigen.3 Es handelt sich bei diesem Zeugnis zur Vorlesung von 1820/21 um eine Äusarbeitung WILHELM VON ÄSCHEBERGS für einen befreundeten Kommilitonen.“* bn Sommer-Semester 1823 kündigte Hegel eine vierstündige Vorlesung „Äestheticam sive philosophiam artis" an.^ Als bislang einziges Zeugnis für diese Vorlesung ist uns eine sorgfältig vorbereitete Mitschiift von HEINRICH GUSTAV HOTHO
3 Vgl. den Entwurf eines Briefes an Creuzer vom Mai 1821: Briefe von und an Hegel. Hrsg, von Johannes Hoffmeister. Bd 2. Hamburg 1953. 266. ^ Dazu Helmut Schneider in diesem Band, 90 f. 5 Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1; Dokumente und Materialien zur Biographie. Hrsg, von Friedhelm Nicolin. Hamburg 1977. 116; vgl. die deutsche Ankündung ebd. 121.
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(1802—1873) bekannt. HOTHO studierte seit 1822 mehrere Jahre lang bei Hegel und schrieb neben der Ästhetik eine Reihe weiterer Vorlesungen mit. Nach Hegels Tod übernahm er nicht nur die Edition der Ästhetikvorlesungen sondern auch Hegels Vorlesung über die Ästhetik an der Berliner Universität. HOTHO präparierte in der Regel seine Hefte durch Abknicken eines großzügigen Randes (der etwa ein Drittel der Seite umfaßte). Diesen Rand nutzte er — bei der Ästhetiknachschrift sehr ausgiebig — zu einer nachträglichen Gliederung und thetischen Erschließung der Vorlesung, wobei die Randglossen generell nur dann über den Text hinausgehen, wenn genauere Zitate (vor allem aus SHAKESPEARE) eingefügt werden. Allem Anschein nach hat HOTHO die mitgeschriebene Vorlesung nochmals durchgesehen, durch die Randbemerkungen strukturiert und den mitgeschriebenen Text ebenfalls in diesem Arbeitsgang meist geringfügig (manchmal allerdings gegen den ursprünglichen Sinn des Aufgenommenen) verändert. HOTHOS Nachschrift umfaßt 288 Oktavseiten (nachträglich numeriert), dokumentiert die ganze Vorlesung und liefert ein genaues Bild der wesentlichen Gedanken Hegels. Ein Vergleich verschiedener Nachschriften zur Vorlesung über die Philosophie der Geschichte aus dem Folgejahr 1824, deren Anfang in wörtlicher Ausformulierung Hegels vorliegt, weist HOTHO als präzisen und verständigen Nachschreiber aus, der Hegels Gedanken vollständig wiedergibt. Daher liegt es nahe zu vermuten, daß er in seinem Spezialgebiet, der Kunst und Kunstphilosophie, mit eben dem Interesse und Präzisionsgrad arbeitet. Hegel gliedert diese wie auch die drei Jahre später gehaltene Vorlesung nach einer „Einleitung" in einen „Allgemeinen" und einen „Besonderen Teil". Die „Einleitung" enthält die Reflexion darauf, ob die Kunst würdig sei, Gegenstand der philosophischen Betrachtung zu werden, in der Folge eine Bestimmung des Scheins und die Definition der spezifischen Weise des ästhetischen Scheins als des Erscheinenlassens des Geistigen. Es folgt ein historischer Überblick über verschiedene Versionen der Ästhetikbegründung, eine knappe Reflexion auf die Überlegenheit des Kunstschönen gegenüber dem Naturschönen und eine Rechtfertigung der „philosophischen" Abhandlung durch den Hinweis auf das „Bedürfnis" der Kunst. Auch hier entwickelt Hegel in Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen der Bestimmung des Sinnlichen in der Kunst seine These, daß das Sinnliche in der Kunst ein Geistig-Sinnliches, daß es somit — in der Mitte zwischen Realität und reinem Gedanken — als Ideal zu charakterisieren sei. „Nachahmung der Natur", „Milderung der Barbarei", „Lehrerin der Völker" — diese Momente schließt Hegel zu einem Begriff der Kunst zusammen, der in einem ersten strukturierenden Zugriff dann durch die Bestimmung der drei Kunstformen, die symbolische, klassische und romantische, spezifiziert wird. Diesem im „Allgemeinen Teil" entwickelten Verhältnis von Idee des Schönen zu den Kunstformen schließt sich im „Besonderen Teil" eine Charakteristik der verschiedenen Künste in Relation zu den Kunstformen, d. h. die Behandlung der Architektur, Skulptur, Malerei, Musik und Poesie, an. Der „Allgemeine" wie der „Besondere Teil" enthalten gleichermaßen Beispiele aus den Künsten bzw. der
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Kunsttheorie, mit denen Hegel seine Gedanken zu illustrieren und am Phänomen exemplarisch darzulegen versucht. Als weitere äußerliche Besonderheit fällt an der Vorlesungsmitschrift auf, daß dem Text später weitere Marginalien und Notizen hinzugefügt worden sind — in der Handschrift HOTHOS, aber nun mit einer schwärzlichen, nicht wie ursprünglich bräunlichen Tinte. Diese Notizen sind vermutlich bei der Benutzung der Nachschrift zur Erstellung der Druckfassung eingefügt worden, möglicherweise bereits bei einer eventuellen Nutzung für die eigenen Vorlesungen über Ästhetik nach Hegels Tod (also ca. 10 Jahre später). Verweise, Neugliederungen als Ersatz zunächst erarbeiteter Gliederungen und eine große Anzahl von Durchstreichungen — die Seiten sind meist quer durchstrichen, manchmal aber auch in aufeinanderfolgenden Linien — sind vermutlich eingefügt worden, um das bereits für die Edition benutzte Material zu kennzeichnen. Das reichste Quellenmaterial findet sich für die Ästhetikvorlesung von 1826, die, wiederum vierstündig, unter dem Titel; „Äestheticen sive philosophiam artis" angekündigt wurde.^ Hegel hat in dieser Vorlesung die Zweiteilung in „ÄUgemeinen" und „Besonderen Teil" beibehalten, denen er wiederum eine „Einleitung" voranschickt, die zugleich Einteilung, also die am Phänomen orientierte Strukturierung sein soll. Inhaltlich werden in dieser Vorlesung neue Schwerpunkte gesetzt. Vom Anfang der „Einleitung" beispielsweise wird eine differenziertere Begründung des Ansatzes beim Kunstschönen als der höheren, weil geistigen Schönheit überliefert. Hegel hat hier einige Gesichtspunkte vorgezogen, die er 1823 am Anfang des „Allgemeinen Teils" mit einigen Hinweisen zum unorganischen und organisch-lebendigen Schönen in der Natur (wieder-)aufgreift. Auch diese Erweiterung liefert aber zusammen mit den Überlegungen im Kontext des Ideals allenfalls den rudimentären gedanklichen Aufriß des breitangelegten Teils der Ästhetik über das Naturschöne. Dessen inhaltliche Ausbildung verweist so ohne Zweifel auf andere Quellen. Eine interessante Umgewichtung erfährt die Behandlung der symbolischen Kunstform. Hegel geht wie 1823 von der (3.) Bestimmung des Ideals als der äußerlichen Bestimmtheit, der „Wirklichkeit" der Kunst nach einer übergreifenden strukturellen Definition der drei Kunstformen zur symbolischen Kunstform über. Diese wird nun nicht mehr dreigeteilt in „unmittelbare Einheit des Symbolischen", „Trennung der unmittelbaren Einheit" und „Rückkehr aus der Trennung der Bedeutung und der Gestaltung in die Einheit". Der zweiten Form des Symbolischen wird statt dessen als „Gährung des beginnenden Unterschieds" die „indische Anschauung" zugeordnet, der dritten, dem „Tod des Natürlichen", die syrische und ägyptische; unter der vierten Eorm endlich, dem „Zerfallen der unter6 Ebd. 117; vgl. 123. ^ Sihe unten 103 f.; Hotho hat in seiner eigenen Vorlesung über Ästhetik diesen Teil ausgeweitet und zu einem konstitutiven Schritt im Dreitakt seines Systems aufgewertet.
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schiedenen Momente", versammelt Hegel alle Beispiele aus der Poesie der Erhabenheit, (der jüdischen Anschauung) bis zu gegenwärtigen Phänomenen der Poesie. Zwar ist es sachlich gravierend, daß nun Fabel, Parabel, Rätsel, Apolog usw. Formen des Zerfallens, nicht der Einheit von Bedeutung und Gestalt genannt werden. Hegel zieht damit aber nur eine naheliegende Konsequenz aus seiner Vorlesung von 1823, die mit der Fabel ansetzend diese Formen als „Zwitterwesen" umschrieb. Interessanter ist eine Erweiterung, die über den Schluß mit Beispielen aus SHAKESPEARE hinausgeht. Gegen den endgültigen „Zerfall" der symbolischen Kunstform setzt Hegel eine poetische Darstellung, die den „Charakter der Freiheit des Orients" wiederzugeben vermag: GOETHES Westöstlichen Divan. ^ Klassische und romantische Kunstform enthalten neben ihrer üblichen Charakteristik den Versuch, einige Beispiele der modernen Kunst im Sinn der Akzentuierung des GoETHEschen Divan hervorzuheben, nämlich als gelingende, entweder „schöne" oder „erhabene" (damit nicht mehr schöne, aber inhaltlich belangvolle) Exempel für die Wirkung der Kunst in der Moderne. Zunächst sind für eine Edition natürlich die Mitschriften als Quellen vordringlich interessant. Für die Vorlesung von 1826 liegen allein vier Mitschriften von unterschiedlicher Qualität vor. Eine anonyme Nachschrift aus dem Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin enthält einen zwar knappen, aber im Gedankenreferat sehr präzisen und treffenden Text. Die Mitschrift trägt den Titel „Philosophie der Kunst", umfaßt 92 Blatt, d. h. 183 Seiten in sieben Heften und ist besonders im ersten Heft mit prägnanten kommentierenden Marginalien versehen. Sie überliefert die Vorlesung vollständig, wurde sporadisch mit Datierungen versehen, beginnend mit dem „8. Juni 26" gegen Ende des zweiten Heftes der Aufzeichnungen, der Sache nach im „Allgemeinen Teü" bei der Bestimmung der Äußerlichkeit des Ideals, und endend mit dem 1. September. Eine weitere Mitschrift von FRIEDRICH CARL HERMANN VICTOR VON KEHLER (1804—1886) mit dem Titel: „Philosophie der Kunst / oder / Aesthetik. Nach Hegel. / Im Sommer 1826", beginnend mit dem Datum: „24. 4.26", überliefert die Vorlesung ebenfalls vollständig (die letzte Datierung nennt zwar den 1. 8., steht aber in der Mitte der dramatischen Poesie). Eine vorweggeschickte Inhaltsangabe endet mit „II. Klassische Kunstform". KEHLERS großzügig-flüchtige Handschrift nimmt 459 Seiten für die Aufzeichnung ein; er überliefert die Vorlesung in knap^ Vgl. dazu Annemarie Gethmann-Siefert/Barbara Stemmrich-Köhler: Faust: die „absolute philosophische Tragödie" — und die „Gesellschaftliche Artigkeit" des Westöstlichen Divan. Zu Editionsproblemen der Ästhetikvorlesungen. In: Hegel-Studien. 18 (1983), 23—64; diess.: Von Hammer, Goethe und Hegel über Firdausi. Literaturkritik, Geschichtsbild und kulturpolitische Implikation der Ästhetik. In: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg, von Ä. Gethmann-Siefert und O. Pöggeler. Bonn 1986. 295—326. — Hothos Nachschrift von 1823 überliefert außer einem Hinweis auf Goethes Gedicht: Mahomeds Gesang nur eine ausgiebige Auseinandersetzung mit Shakespeare, unterstützt durch ausführliche Zitate, die in den Marginalien vollständig beigefügt werden.
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pen, protokollarischen Sätzen, zu deren dürftiger Konstruktion das Weglassen von Artikeln, unelegante Wiederholungen, häufige Verwendung von Hilfsverben gehören. Sachlich aber ist die Überlieferung vollständig. Vor einigen Jahren wurde eine weitere anonyme Nachschrift der Ästhetikvorlesungen von 1826 zusammen mit einigen weiteren Quellen zu Hegels Vorlesungen im Besitz der Stadtbibliothek Aachen wiederentdeckt. Die Nachschrift trägt den Titel: „Aesthetik / nach Prof. Hegel". Die Aufzeichnungen beginnen mit dem Hinweis „Sommersemester 1826, vom 4. April an, nachmittags von 5—6". Eine vorletzte Datierung zu Beginn der Behandlung der lyrischen Poesie weist den 3. August aus, eine offensichtlich verschriebene letzte Datierung im Teil der dramatischen Poesie „Freyheit d. 1. Sept.". Die Handschrift zeigt mit moderaten Kürzeln, überstrichenen Doppelbuchstaben und flachem breitgezogenen Schriftduktus alle Merkmale einer eiligen Mitschrift. Auch der Sfil weist die knappe protokollarische Gedankenführung aus, ist aber im Vergleich mit dem KEHLERSchen Heft eleganter. Auf 219 Seiten wird die Vorlesung vollständig überliefert. Eine weitere, erst kürzlich wiedergefundene Nachschrift der Vorlesung von 1826 stammt vermutlich von dem polnischen Dichter STEFAN VON GARCZYNSKI (1805—1833). Sie trägt den Titel: „Philosophie der Kunst / oder / Aesthetik / vorgetragen von dem Königlich Preußischen Ordentlichen Professor der Philosophie / zu Berlin / Georg Wilhelm Friedrich Hegel / im Sommer 1826 / gehört von [ST.V. GARCZYNSKI]".* Die Nachschrift umfaßt 113 Blatt, d. h. 225 eng beschriebene Seiten, endet auf Blatt HO (Seite 221) am 1. 9. 1826. Der Verfasser fügt hier noch „Kurz gefaßte Resume's der Theile und des Ganzen" an, führt diese aber nur für den ersten Teil aus, für die „Vorrede bis zur symbolischen Gestaltung". Auch diese Nachschrift bietet eine gute Information über Hegels Vorlesung von 1826. Zwei sorgfältige Ausarbeitungen der Vorlesung von KARL GUSTAV JULIUS VON GRIESHEIM (1798—1854) und I. C. LöWE erlauben, wenn sie auch ein weniger direktes Bild der Vorlesung vermitteln, doch eine Überprüfung der Vollständigkeit des Inhalts der Mitschriften. GRIESHEIMS Heft trägt den Titel: „Philosophie der Kunst. / von / Prof. Hegel / Sommer 1826. / Nachgeschrieben durch / GRIESHEIM". ES enthält auf 333 Seiten den gesamten Bestand der Vorlesung. Der Text ist durch Zwischenüberschriften gegliedert — gelegentlich auch in Marginalien — und durch ein ausführliches Inhaltsverzeichnis erschlossen worden. LöWES Heft mit dem Titel: „Aesthetik / nach / Hegel. / I. C. LöWE." dokumentiert die Ästhetik ebenfalls vollständig auf 311 Seiten. Es ist im Text mit sorgfältiger Gliederung versehen worden — oft durch Unterstreichung des Textes statt durch gesondert eingefügte Gliederungspunkte erstellt — und mit einer vorweggeschickten Gesamtgliederung übersichtlich erschlossen. Zusätzlich enthält das Heft sporadisch kommentierende Marginalien, die gegen Ende seltener werden * Der Name wurde herausgeschnitten; die Nachschrift war aber mit einer Vorlesungsnachschrift in derselben Handschrift zu einem Kolleg v'on Savignys zusammengebunden, das namentlich gezeichnet ist.
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und trägt nicht so eindeutig Reinschriftcharakter wie das GRIESHEIMS. Trotz mannigfaltiger Streichungen und Überschreibungen im Text spricht einiges dafür, daß es sich um eine nachträgliche Ausarbeitung handelt. So fehlt jegliches Kürzel, die Seitenanfänge werden auf der vorhergehenden Seite jeweils in einer separaten Zeile kurz notiert und die Übergänge sind aufwendig kalligraphisch gestaltet. Für das Winter-Semester 1828/29 wird die Vorlesung nochmals unter dem nämlichen Titel, nun aber fünfstündig, angekündigt.® Obwohl HOTHO die Vorlesung von 1828/29 in der Vorrede zur Ästhetik als einen — bedingt durch Hegels „pädagogische" Aufarbeitung des Materials — wenig belangvollen Text abtut, bezeugen die gegenwärtig bekannten Quellen, daß sich auch hier ein neuer, für die Forschung interessanter Fortschritt in der Darbietung und gedanklichen Durchdringung des Materials findet. Allen Spekulationen gegenwärtiger Hegelinterpreten zum Trotz belegen die drei bekannten Nachschriften von HEIMANN, KAROL LIBELT und ROLIN, daß Hegel die Überarbeitung seiner systematischen Konzeption der Kunst, die er in der Enzyklopädie von 1827 entwickelt hat, auch in der Vorlesung vorträgt. Dadurch ergibt sich zunächst eine (von HEIMANN und LIBELT präzise verzeichnete) Verschärfung des auch sonst betonten „Vergangenheitscharakters der Kunst ihrer höchsten Möglichkeit nach" im Sinne der Enzyklopädie. Verbunden damit ist eine Umgewichtung zahlreicher Einzelbeispiele, an denen Hegel insbesondere in der Vorlesung von 1826 die Möglichkeiten der Kunst unter den Bedingungen der modernen Welt erörtert hatte. Letztlich wird diese Verschärfung der systematischen Konzeption auch die neue, nun dreiteilige Gliederung, mit ihr die nur knappe, aufrißhafte Darstellung sowohl der Idee und des Ideals, als auch der Kunstformen (insbesondere der klassischen Kunstform) sowie die Verlagerung der Beispiele in den dritten Teil zur Folge haben. Was HOTHO pädagogischer Verlegenheit und Verzweiflung zuschreibt, erscheint in den Quellen zur Vorlesung als bewußt vorgenommene Modifikation, als Re-Präsentation des Materials unter radikalisierter systematischer Prämisse, die eine eingehendere Auseinandersetzung eben mit den problematischen Teilen, mit der Konzeption der symbolischen Kunstform und mit — insbesondere zeitgenössischen — Beispielen der romantischen Kunstform, fordert. In der letzten Vorlesung beginnt Hegel einleitend mit einer Bestimmung des Bereichs der Ästhetik, dem Reich des Schönen und seiner „Philosophiefähigkeit", und geht die verschiedenen, auch sonst behandelten Punkte wieder durch; Natur- versus Kunstschönheit, Nachahmung, Bestimmung des Scheins, verschiedene Bestimmungen des Zwecks der Kunst, verschiedene Ästhetikansätze sowie eine begriffliche Bestimmung des Verhältnisses von Kunst, Religion und Philosophie mit der über die Ausführungen von 1826 hinausgehenden Verschärfung der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst. ® Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. 118, vgl. 124.
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Es folgt eine nun dreiteilige Abhandlung des „Allgemeinen", „Besonderen" und „Individuellen Teils" bzw. — wie HEIMANN überliefert — die Bestimmung des Idealen, die Formen des Schönen nach Form und Inhalt strukturiert in symbolische, klassische, romantische Kunstform und abschließend der individuelle Teil mit einer Geschichte der einzelnen Künste. Die symbolische Kunstform wird erneut neu gegliedert in 1) die Behandlung des Symbols überhaupt, 2) die Beziehung eines Inneren auf die Natur, 3) die phantastische Symbolik bzw. die Symbolik der Erhabenheit mit Pantheismus und Judaismus, 4) das bestimmtere Symbol, dem die ägyptische Kunst zugehört und 5) die bewußte Symbolik oder das Auseinanderfallen von Form und Bedeutung in Fabel, Parabel etc. Die dezidierte Auseinandersetzung mit GOETHE als einer „modernen" Form symbolischer Kunst fehlt in diesem Zusammenhang, der Westöstliche Divan wird im dritten, „Individuellen Teü" an wenig exponierter Stelle erwähnt. Klassische und romantische Kunstform bleiben im Prinzip unverändert, sind aber knapper (ohne ausführliche Beispiele) dargestellt. Fast die Hälfte der Aufzeichnungen nimmt bei HEIMANN und LIBELT der dritte TeU (begonnen am 23. 1. 1829) ein. Die beste Überlieferung dieser Vorlesung findet sich in der Nachschrift von HEIMANN, die den Titel trägt; „Die Ästhetik / nach Hegels Vorlesung / geschrieben von HEIMANN / Im Wintersemester 1828/29". HEIMANN gibt einen vollständigen Überblick der fünfstündigen Vorlesung, beginnend mit dem 26. Oktober 1828 und endend mit dem 2. 4. 1829. Die Nachschrift umfaßt 141 eng, aber gestochen klar beschriebene Seiten. Im einleitenden Teil (bis zur Einteilung) hat HEIMANN zahlreiche gliedernde Marginalien sowie stichwortartige Inhaltsangaben am Kopf der Seiten eingefügt. Die zahlreichen radikalen Kürzel im Text der Handschrift lassen aber trotzdem auf eine unmittelbare Mitschrift schließen, der diese Teile nur später zugefügt wurden, zumal die strukturierenden Bearbeitungen sich nicht durchhalten und die Vorlesungsdaten jeweils sorgfältig und durchlaufend am Textrand verzeichnet wurden. Eine weitere Mitschrift, die die letzte Vorlesung zur Ästhetik ebenfalls vollständig wiedergibt, stammt von dem polnischen Pädagogen und philosophischen Schriftsteller KAROL LIBELT (1807—1875). Sie trägt den Titel: „Aesthetik/ nach Prof. Hegel im Wintersemester 1828/29". Die Nachschrift hat 292 Seiten, die LIBELT bis zum zweiten Teü des Manuskripts, „besondere Kunstformen" beziffert, später nach der Vorlesung datiert hat. Die letzte Datierung nennt den 31. 3. Nach Seite 92 folgt ein Einschub (13 Seiten) von anderer Hand, der die Vorlesungen vom 28. 11., vom 1. 12. und vom 2. 12. überliefert. Nachträglich sind die Blätter durchgängig beziffert worden, wobei der Einschub mitgezählt wird (152 Blatt bzw. 305 Seiten). Ein großzügiger Rand wird etwa bis zum zweiten Teil für gliedernde und thesenhaft zusammenfassende Marginalien genutzt. Die Mitschrift überliefert Hegels Vorlesungen trotz einiger sprachlicher Ungeschicklichkeiten sinngemäß, ihr fehlt es aber im Vergleich mit der HEiMANNSchen Nachschrift an prägnanter Auffassung der Gedanken Hegels.
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Hinzu kommt als drittes Zeugnis für die Vorlesung von 1828/29 eine unvollständige Nachschrift von ROLIN mit dem Titel: „Philosophie der Kunst / Prof. Hegel angefangen d. 27. 8.*’®''". Obwohl ROLIN den 27. Oktober als Beginn angibt, beginnt das Heft mit dem identischen Text, der sonst auf den 26. Oktober datiert worden ist. Das Heft endet mit dem 27.Z29. (Januar 1829) beim Beginn des dritten TeUs, der Bestimmung der selbständigen Architektur, mit der Charakteristik des Turmbaus zu Babel bzw. des Tempels des Bel. Die Nachschrift hat einen Umfang von 98 Seiten, enthält bei der Einleitung erschließende Randbemerkungen in französischer Sprache, geht dann in einen fortlaufenden Texf über mit den für einen der deufschen Sprache nicht völlig mächtigen Hörer typischen Mängeln (primitiv, oft nicht korrekt konstruierte Sätze, dem Französischen angeglichene Orthographie, häufige Streichungen und Überschreibungen).
2. Sekundäre Quellen und die Strategie der Edition Neben diesen Quellen sind als Kuriosa einige weitere Quellen zu erwähnen, und zwar eine Ausarbeitung des Studenten KROMAYER, der sich aus Unterlagen der Jahre 1823 und 1826 eine eigene „Hegelsche" Ästhetik zusammenstellt und eine Nachschrift, die Hegels jüngerer Sohn IMMANUEL von der Vorlesung angefertigt hat, die HOTHO nach Hegels Tod in Berlin übernahm. Von der Ausarbeitung KROMAYERS mit dem Titel: „Die Aesthetik, oder Philosophie der Kunst, nach den Vorträgen des Herrn Professor's Hegel in den Jahren 1823 und 1826" ist der erste Teü, eine sorgfältige Reinschrift von 500 Seiten, erhalten. KROMAYER kompiliert die Ausführungen Hegels in den beiden Vorlesungen in ähnlicher Weise, wie es HOTHO auch für seine Edition vornahm. Heißt es bei HOTHO: „Der Zustand nun der Hegel'sehen Manuskripte machte die Beihülfe sorglich nachgeschriebener Hefte durchaus nothwendig" (XI), so stützt sich KROMAYER ausschließlich auf die Ausführungen der Studentenhefte. Er fügt die verschiedenen Versionen 1823 und 1826 so ineinander, daß sich die Schwerpunkte, die Hegel in den jeweiligen Vorlesungen setzte, zum Nebeneinander ordnen. KROMAYER erreicht durch dieses Verfahren die Art der Vollständigkeit, die auch HOTHO in der Druckfassung der Ästhetik durch die Ergänzung der Hegelschen Manuskripte mit HUfe der verschiedenen Vorlesungsnachschriften erzielt. Was bei einer persönlichen Aufbereitung der Ästhetik zum eigenen Gebrauch unproblematisch ist, führt in der Herstellung einer offiziellen Version der Hegelschen Ästhetik zu den Problemen, mit denen sich die kritische Edition heute auseinanderzusetzen hat. Für die Druckfassung ergibt sich nämlich durch dieses Verfahren eine prinzipielle Schwierigkeit. Der Grund für diese Schwierigkeit liegt in der Besonderheit des Berliner Heftes, von der HOTHO in seiner Vorrede berichtete. Hegel muß nämlich die für den Vortrag in dies Heft eingelegten Notizzettel und Blätter während des Vortrags der verschiedenen Vorlesungen verschieden plaziert haben. In der letzten Vorlesung erzwingt die Dreiteilung beispielsweise eine solche Verschiebung der exemplarischen Erörterungen zu verschiedenen
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Kunstwerken in den dritten Teil der Überlegungen, während Hegel die prinzipiellen Bestimmungen des Ideals und der Kunstformen nur knapp vorträgt und, folgt man den vorhandenen Nachschriften, von den sonst hier angesiedelten Beispielen weitgehend entkleidet. In der Druckfassung der Ästhetik ergibt sich dagegen durch die Kompilation aller Quellen eine Doppelbehandlung vieler Punkte. HOTHO hat zwar die Gliederung der letzten Vorlesung von 1828/29 übernommen, die Darlegungen aber entlang den verschiedenen Unterlagen jeweils (und je erneut) immer da eingesetzt, wo sie in den Quellen zu den Vorlesungen auftauchen. Häufig werden darum die Beispiele in der Behandlung des „Allgemeinen" wie des „Besonderen Teils" gebracht. Schon dadurch ist ausgeschlossen, daß die Druckfassung der Ästhetik ein genaues Bild der Hegelschen Konzeption der Philosophie der Kunst wiedergibt. Hinzu kommt eine Modifikation der systematischen Grundlage der Ästhetik in der Enzyklopädie. Hegel hat in der Enzyklopädie von 1827 die Paragraphen zur Kunst wesentlich geändert, er hat vor allen Dingen seine These vom Ende der Kunst in diesen Überlegungen schärfer herausgearbeitet. Heißt es in der Enzyklopädie seit 1827, daß die Kunst mit der geoffenbarten Religion wie im Staat kulturell durch andere Modifikationen des Bewußtseins (Religion, institutionalisierte Sittlichkeit und letztlich Philosophie) abgelöst worden sei, so spiegelt sich diese Überlegung getreu in den Vorlesungsmitschriften von 1828/29. Hier muß Hegel zu Beginn die Variation seiner Enzyklopädie in der Vorlesung mit vorgetragen haben, und er nimmt damit seine eigene einleitend vorgebrachte Zielvorstellung ernst, daß er in den Vorlesungen die Philosophie der Kunst „lemmatisch" einführe, an der Phänomenfülle und geschichtlichen Entwicklung eine immanente Systematik plausibel machen will, die er andernorts begründet. HOTHO dagegen betont, daß es ein System der Ästhetik nicht gebeio, daß er es allererst habe entwickeln und den Texten integrieren müssen, und so ergibt sich gleich ein weiteres Problem: nämlich die Verschiedenheit des „Systems" der Ästhetik, das Hegel durch die Enzyklopädie, HOTHO nach eigenem Geschmack festlegt. Eür die genaue Erhebung und die Lösung dieses Problems mag die zweite der sekundären Quellen einigen Aufschluß bereithalten. Es handelt sich um die Nachschrift IMMANUEL THOMAS CHRISTIAN HEGELS (1814—1891) zu einer Vorlesung
Vgl. dazu die Vorrede zur ersten Auflage der Ästhetik (s. o. Anm. 1). Hotho beruf sich in einer Rezension des Buches von A. Wendt: Über die Hauptperioden der schönen Kunst oder die Kunst im Laufe der Weltgeschichte auf Schelling (dazu auch Hothos Vorrede zur Ästhetik. V). Wenn er mit Hegels Ästhetik Schelling überbieten will, wird es wohl unumgänglich sein, die bloß „lemmatische" Behandlung Hegels durch ein vollständig gegliedertes System der Ästhetik aufzubessern. Die Durchführung im einzelnen erhärtet diesen Verdacht. Dies scheint Hotho selbst nicht für problematisch zu halten; so heißt es in der Vorrede: „Wer auch hierin ein Unrecht sehen wiU, für den weiß ich zur Sicherstellung nichts als eine dreizehnjährige Vertrautheit mit der hegel'schen Philosophie, einen dauernden freundschaftlichen Umgang mit ihrem Urheber, und eine noch in nichts geschwächte Erinnerung an alle Nüancen seines Vortrags, entgegenzusetzen." (XV)
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von HEINRICH GUSTAV HOTHO. Der genaue Titel ist „Aesthetik. Vorlesungen gehalten von HOTHO im Sommer 1833. Nachgeschrieben und durchgearbeitet von IMMANUEL HEGEL." IMMANUEL HEGEL hat wie HOTHO vor ihm seine Mitschrift mit Glossen am Rande versehen, die er selbst dem Manuskript hinzugefügt hat. Interessant ist die Gliederung der Ästhetik bei HOTHO. Auch HOTHO wählt eine Dreiteilung, die sich zwar nur bedingt an Hegel anlehnt, für die systematischen Eingriffe HOTHOS in Hegels Ästhetik aber aufschlußreich ist. Der erste Teil behandelt den Begriff des Schönen, ein zweiter und dritter Teil jeweils das Naturschöne und das Kunstschöne. Der zweite Teil über das Naturschöne selber wird in einer Weise aufgebaut, wie es Hegel in seiner Vorlesung ab 1826 sehr gerafft getan hat; er behandelt nämlich in einem Abschnitt das „Schöne der unorganischen Natur", in einem zweiten Abschnitt das „Schöne der orgaiüschen Natur" und in einem dritten Abschnitt die „schöne menschliche Gestalt". Vielleicht hegt in dieser Systematisierung der Grund dafür, daß der Teil über das Naturschöne in der Druckfassung der Ästhetik den in den Vorlesungsnachschriften verzeichneten kurzen Aufriß in der Länge bei weitem übersteigt. Der dritte Teil ist dann bei HOTHO dem Kunstschönen gewidmet und zwar beginnend mit einem Abschnitt über die Phantasie, der geteilt wird in verschiedene Formen der Phantasie, nämlich die „symbolisierende", die „plastisch-ideale" und die „romantische Phantasie". Ein zweiter Abschnitt dieses Teils zum Kunstschönen behandelt das „objektivierte Kunstschöne" zunächst im allgemeinen, dann im Blick auf einzelne Künstler und im Blick auf den Kunstgeist. Ein abschheßender Abschnitt dieses dritten TeUs behandelt im Sinne der HoTHOschen Konzeption der „spekulativen Kunstgeschichte" die Kunstgeschichte selbst. Ohne Zweifel nimmt sich die Behandlung der Ästhetik unter der Regie dieser Konzeption systematischer aus als das, was Hegel seinen Studenten vorgetragen hat. Für die endgültige Gestaltung der Ästhetik wird wohl dasselbe Unbehagen und Ungenügen an den Hegelschen Ausarbeitungen maßgeblich, das sich in Rechts- und Religionsphilosophie beispielsweise in weitgehende Eingriffe und Erweiterungen ausgemünzt hat.i^ Hegels Vorlesungen werden zu abgeschlossenen Teilen des Systems konstruiert, gegen den oft tentativen Charakter der Hegelschen Ausführungen — dies gilt vor allem für die Ästhetik — gegen Hegels eigene systematische Konzeption.
Es sei, so meint Hotho, Hegel nicht gelungen, die PhUosophie der Kunst in der Weise zu einem System zu runden, wie er es selbst in seiner spekulativen Kunstgeschichte entwickelt. In diesem Zusammenhang wird nämlich die Kunstgeschichte zum Kunstgericht, die Philosophie zur letztgültigen Richterin über Kunst oder Unkunst. Vgl. dazu Annemarie Gethmann-Siefert: H. G. Hotho: Kunst als Bildungserlebnis und Kunsthistorie in systematischer Absicht — oder die entpolitisierte Version der ästhetischen Erziehung des Menschen. In; Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg, von Otto Pöggeler und Annemarie Gethmann-Siefert. Bonn 1983. S. bes. 244 f. Vgl. dazu Elisabeth Weisser-Lohmann in diesem Band 63—73.
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3. Die Systematik der Ästhetik selbst weist in der Vorrede zur ersten Auflage der Ästhetik auf diese Schwierigkeit hin und sucht seine editorische Bearbeitung zu rechtfertigen. Die Art des Materials: das skizzenhafte Manuskript und die meist einer eleganten Darstellung hinderliche „Außenseite" des Hegelschen Vortrages lassen es unzweckmäßig und undurchführbar erscheinen, „den wirklichen mündlichen Vortrag, so viel irgend möglich, beizubehalten" (XII). Dies hieße, sich auf die nachgeschriebenen Hefte verlassen, die die „hemmenden Äußerlichkeiten" in den Vordergrund treten lassen, „aus denen jenes erquickendes innere Leben" der geistigen Durchdringung, des genialen Selbstgesprächs „entflohen ist" (XIII). HOTHO macht sich deshalb anheischig, diese innere Lebendigkeit wiederherzustellen ohne — wie es andernorts in den Vorlesungen geschehen sein soll — die „inneren Gebrechen" durch „Gliederung des Ganzen", Einfügung fehlender „dialektischer Uebergänge", philosophisch festere Verknüpfung des „lose Zusammenhängenden" oder gar die Vermehrung der „Anführung von Kunstbeispielen" zu beheben. So wäre nur dargetan, was die Herausgeber „in dem gleichen Felde zu leisten imstande wären" (XIV), nicht Hegels Leistung hervorgehoben. Diese prinzipielle Verpflichtung auf Hegel hat lange Zeit Leser und Kritiker in dem Glauben gelassen, mit Hegels Ästhetik nicht nur ein formal vollendet durchgearbeitetes Druckwerk, eine wohl nicht mehr wiederholbare, geschweige denn überbietbare Form seiner Philosophie der Kunst, sondern zugleich die authentische Darstellung seiner Gedanken zu besitzen. Erst GEORG hat in berechtigtem Zweifel an der Authentizität eine kritischere Version, vor allem einer Kennzeichnung des nicht auf Vorlesungsquellen rückführbaren Bestandes der Hegelschen Ästhetik versucht, brachte dies Unternehmen aber nicht zum Abschluß. Dennoch könnte bereits die Vorrede zum begründeten Verdacht Anlaß geben, daß HOTHOS eigenes Wirken an Hegel und im Sinne Hegels nicht frei von jenen Eingriffen ist, die er andernorts kritisiert. HOTHO verteidigt sich nämlich gegen mögliche Kritiker unter denen, die Hegel persönlich gehört, eigene Notizen angefertigt haben. Hier fordert er zum Vertrauen in ein Besserwissen auf, das aus dem Überblick über alles Material entstanden ist. Zugegebenermaßen hat HOTHO sich „häufig eine Veränderung" der vorliegenden Heße nicht versagt; er betont aber, er sei „mit durchgängiger Treue ... bemüht gewesen, die specifischen Ausdrücke der Hegelschen Gedanken . . . beizubehalten" (XIII). HOTHO
LASSON^^
'3 G. W. f. Hegel: Die Idee und das Ideal. Nach den erhaltenen Quellen neu herausgegeben von Georg Lasson. Leipzig 1931. (Philos. Bibliothek. 164.) — In der Forschung wurde Fassons Arbeit kaum berücksichtigt. In unerschütterlichem Vertrauen auf die Authentizität des Drucktextes mochte man sich nicht von der gewohnten Form der Flegelschen Ästhetik trennen, was die kritischen Trennungen von belegten und nicht belegten Textstücken bei Lasson nahelegen. Lediglich Lu de Vos hat im Rahmen des Hegel-Kolloquiums eine Darstellung der Neukonzeption des „Ideals" anhand der von Lasson kritisch gesichteten Quellen entwickelt.
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Auf dem Hintergrund der editorischen Grundannahme, die Hefte Hegels selbst und die Mitschriften und Ausarbeitungen seiner Schüler verhielten sich wie „Skizze und Ausführung", so wie der weiteren Einschränkung des Quellenwerts der Mitschriften, aus denen „jenes erquickende innere Leben entflohen ist" (ebd.), wird HOTHOS Unternehmen dubios. Behauptet ist nicht weniger, als daß unter Zugrundelegen der Hegelschen Skizzen die Lebendigkeit des geistigen Durchdringens eben nicht dem Quellenstudium, sondern der Kongeniaütät des Herausgebers zu danken ist. HOTHO sieht sich in Antizipation solcher Kritik denn auch zu dem Versprechen genötigt, für eine nächste Bearbeitung der Vorlesungen zur Phüosophie der Kunst die genauen Quellennachweise und Charakteristiken nachzuliefern — ein Versprechen, das nie eingelöst wurde. In der Vorrede zur zweiten Auflage ist von dieser Rechtfertigung nicht mehr die Rede. Für den heutigen Leser bleibt dieser Hinweis wichtig als erstes Indiz dafür, daß Hegels Ästhetik von den Zeifgenossen nicht mit — wie besonders die getreuen Hegelschüler hervorheben — ungetrübter Begeisterung auf genommen wurde. Wer immer eine der Vorlesungen gehört hat, mitgeschrieben oder ein eigenes Manuskript ausgearbeitet hat, mußte die Diskrepanz zwischen Vorlesungszeugnis und Drucktext feststellen — eine Situation, die sich im Laufe der Jahre allerdings entschärft und es HOTHO möglicherweise ratsam erscheinen läßt, in der zweiten Auflage auf den angekündigten Nachweis der Authenzität zu verzichten. Eine weitere Schwierigkeit deutet sich ebenfalls in der Vorrede, d. h. in der Charakteristik des Vorgehens der Hegelschen Vorlesung an. HOTHO unterstellt seine Arbeit an der Ästhetik dem Anspruch, SCHELLINGS „Anfänge einer spekulativen Aesthetik" ebenso wie die zweifellos verdienstvollen Versuche SOLGERS durch ein beide „überragendes" Hegelsches Werk in den Schatten zu stellen, Die mehr oder weniger geglückt verbundenen Reflexionen zur Kunst müssen darum wohl in ein System, in ein abgerundetes Ganzes gebracht werden. Auch dafür gibt das Material zu Hegels Ästhetik wenig Hilfen an die Hand. Hegel hat zwar in den Jahren 1823 bis 1827 eine „fortschreitende Durcharbeitung" seiner Vorlesungen erreicht, anders als in den sonstigen Vorlesungen scheint er aber in der Ästhetik die „volle Macht und Klarheit seiner Spekulation" aus bitterer pädagogischer Erfahrung verlassen zu haben. „Immer populärere Darstellungen" lassen ihn zwar schwierige Punkte prägnant entwickeln, „in der Strenge jedoch der wissenschaftlichen Methode merklich nachlassen" (X). Für HOTHO liegt darin einerseits die Motivation, sich auf die früheren (damit vordringlich die von ihm selbst mitgeschriebenen) Hefte eher zu verlassen, obwohl er die Grundgliederung der letzten Vorlesung für die Druckfassung übernimmt. Andererseits führt das Unbehagen an der systematischen Unzulänglichkeit zu einer Reihe von Eingriffen der oben inkriminierten Art: Die Ästhetik Hegels wird zu einer spekulativen Ästhetik vollendet, in der ein abschließendes Kunsturteil bzw. eine abschließende richterliche Entscheidung über Kunst und Unkunst den Endpunkt bilden kann. Vgl. Vorrede. V; s. o. Anm. 10 und 11.
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Um diese Art der „Vollendung" zu kennzeichnen, seien hier nur einige exemplarische Hinweise eingefügt; Bereits aus der Überarbeitung von G. LASSON geht hervor, daß die systematisch häufig kritisierte Bestimmung des Ideals als sinnliches Scheinen der Idee nicht in den Vorlesungszeugnissen zu finden ist. In den Nachschriften heißt es an dieser Stelle sämtlich, das Ideal sei „Dasein" oder „Existenz" der Idee, d. h. ihre konkrete geschichtliche Realisation in einem erfahrbaren Ding. Die Sinnlichkeif bzw. Anschaulichkeit dieser Erfahrung der Idee konstruiert Hegel dann im Verlauf der Vorlesung in einer Charakteristik der verschiedenen Künste so, daß sich bereits im „Dasein" oder in der „Existenz" der Idee, d. h. in der spezifischen sinnlichen Gegebenheitsweise des Werks eine Höherentwicklung zum Geistigen darlegt, Eine weitere, auch für die gegenwärtige Interpretation inakzeptable Eigenart der Hegelschen Ästhetik liegt in der logischen Vorkonstruktion der Geschichte der Künste, in der viel kritisierten „Logik der Ästhetik". Hatte HOTHO betont, daß er keine spekulativen, dialektischen Übergänge einfügt, so straft sein eigenes Vorgehen dieser Versicherung Lüge. Es findet sich beispielsweise im Beginn des Kapitels über die Malerei eine Hegelsche Reflexion über die Vergeistigung sinnlicher Anschaulichkeit, die dadurch entsteht, daß die räumliche Gegebenheit in eine Fläche transponiert wird. Diese größere Abstraktheit steht sozusagen auf der Mittelebene für die subjektive Innerlichkeit der Kunst ein, hier die der christlichen Malerei. Die Welt, die das BUd gibt, ist nicht die nachgeahmte Natur, sondern eine durch den Entwurf und Bück des Künstlers konstituierte Welt. Mit anderen Worten: Für die Malerei, für ihr Sujet, für Sifuation und Handlung ist es nicht belangvoll, daß ihre Gegenstände in einer Welt überhaupt, d. h. der vorfindUchen Natur stehen, sondern daß sie in bewußter Ausgrenzung durch den Rahmen zu einer Welt „gestellt" werden. Diese Reflexion auf die Bedeutung des Rahmens für die Malerei fehlt in der Druckfassung der Ästhetik vollständig. An ihre Stelle tritt aber eine ausführliche Überlegung dialektischer Art, die die Höherentwicklung der sinnlichen Anschaulichkeit begrifflich rechffertigen soll. Diese Logik als Versatzstück des geschichtlichen Übergangs entwickelt, findet in keiner der Hegelschen Vorlesungen ein Vorbild. Hegel entwickelt eine schlichte Reflexion auf die sinnlichen Grundlagen der Künste, die er dann in der Musik sinnvollerweise durch den nächsten Schritt, nämtich die Reduktion nicht nur der Dreidimensionalität, sondern der Räumlichkeit überhaupt auf die Zeitlichkeit des Vollzuges vollenden kann. Aus den Vorlesungen ergibt sich so ein eindeutiges Büd: Es geht um die nähere Bestimmung des Ideals in einer Reflexion auf die Mittel der Kunst, die Hegel selber als einen Übergang vom „Dasein" der Idee, d. h.
15 Im Rahmen des Hegel-Kolloquiums hat Lu De Vos anhand der kritischen Bearbeitung von Lasson diesen Zusammenhang einer Logik der Ästhetik mit der ungesicherten Bestimmung des Ideals kritisiert. — Vgl. dazu Annemarie Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Untersuchungen zu Hegels Ästhetik. Bonn 1984. S. bes. 256 ff.
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bloßem Gegebensein zur „Existenz" der Idee, nämlich zu Reflexionsformen dieses Gegebenseins schon in der Anschaulichkeit der Kunst entwickelt.!^ Ein letztes trübes Kapitel bilden die zahlreichen Kunstbe- und Verurteilungen, die sich in der gedruckten Ästhetik finden. Für diese höchstrichterhchen Zugriffe gibt es in den Vorlesungsnachschriften keine Anhaltspunkte. Hegel hat zwar jeweils an Kunstwerken exemplarisch seine Konzeption der Kunst entwickelt, er hat dies aber so gestaltet, daß er seine eigene systematische Konzeption der Ästhetik jeweüs am geschichtlichen Exempel prüft, ohne ein ästhetisches Lob oder eine ästhetische Verurteilung im engeren Sinn zu formulieren, wie sie sich in der Druckfassung der Ästhetik allenthalben finden. Während Hegels Ästhetik letztlich als die abgerundete Konzeption der HoxHOschen spekulativen Kunstgeschichte erscheint, lassen die Vorlesungen zur Ästhetik ein anderes Bild vor dem Auge des Lesers entstehen; das einer philosophischen Reflexion auf das geschichtliche Phänomen, auf die für menschliche Kultur überhaupt konstitutiven Künste. Es verwundert nicht, daß die Interpreten der Hegelschen Philosophie der Kunst seit geraumer Zeit mit Spannung der Edition der Vorlesungsmanuskripte entgegensehen, erhofft man sich doch aufgrund der Einsicht in die Zutaten des Herausgebers eine Erlösung vom dogmatischen System der Hegelschen Ästhetik. Zur umgekehrten Hoffnung, daß die historisch-kritische Bearbeitung der Quellen zu Hegels Ästhetik dem Leser die oft irritierenden Kunstbe- und Verurteilungen erspart (die einzig G. LASSON als störend anmerkt), fand man bislang keinen Anlaß. Und doch wird die Bearbeitung der Vorlesungen dies Resultat erbringen, daß viele der Kunsturteile Hegel nicht zugeschrieben werden können, einige sogar ausschließlich HOTHO zugeschrieben werden dürfen. Das System der Ästhetik liegt mit der Enzyklopädie von 1817 und ihrer Revision von 1827 fest. Die „Kunsturteile" aber gewinnen im Kontext der Gedanken zur Ästhetik, so wie sie die gegenwärtig bekannten Quellen überliefern, den Stellenwert einer Exemplifikation und kritischen Prüfung der philosophischen, damit systematisch fundierten, strukturierenden Behandlung der Künste wie ihrer theoretischen Charakteristiken. Während es in der Druckfassung der Ästhetik durchweg darum geht, große Kunst mit „idealem" — für die Moderne: „christlichem" — Inhalt als schöne Kunst vor rdcht-schöner Unkunst auszuzeichnen, entwickelt Hegel selbst eine diskutable Verknüpfung von systematisch fundierter, aber gegenüber dem geschichtlichen Phänomen nicht prädestinierender Erörterung. Die philologische Arbeit an den Vorlesungen über die Philosophie der Kunst wird so zu einer neu-
Dieser Zusammenhang wird in einer Abhandlung zu Hegels Ästhetikvorlesungen unter dem Titel Phänomen versus System. Bonn 1992 (in Vorb.) eingehend analysiert. Vgl. dazu in dem Band A. Gethmann-Siefert: Das „moderne" Gesamtkunstwerk: die Oper sowie dies.: Die Kritik an der Düsseldorfer Malerschule hei Hegel und den Hegelianern. In: Düsseldorf in der deutschen Geistesgeschichte. Hrsg, von Gerhard Kurz. Düsseldorf 1984; dies./Gregor Stemmrich: Hegels Ktigelgen-Rezension und die Auseinandersetzung um den „eigentlichen historischen Stil" in der Malerei. In; Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg, von A. Gethmann-Siefert und
O. Pöggeler. Bonn 1984. (Hegel-Studien. Beiheft 27.)
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en, nun Hegelschen Konnexion von System und geschichtlichem Phänomen führen. Selbstredend unterstellt Hegel auch die philosophische Ästhetik seiner Konzeption des „absoluten Wissens", aber diese bildet — da sie in der Enzyklopädie vorgegeben, in der Vorlesung nur geprüft wird — ledighch den Hintergrund der Erörterungen, ln der Philosophie der Kunst tritt Hegel an, unter der Prämisse der Wahrheitsfrage die inhaltlichen Orientierungen der schönen wie der nicht-schönen Künste zu prüfen. Vollzugs weisen der Kunst — angefangen vom Genuß am nur noch Schönen, das zwar formal vollendet erscheint, inhaltlich aber belanglos bleibt, bis zur Betroffenheit durch „wahres sittliches Pathos", das Hegel bei SCHILLER entdeckt — finden Hegels Aufmerksamkeit. Die Konzeption des „absoluten Wissens" erhält durch diese Darstellung der Verknüpfung von System und Phänomen in den Ästhetikvorlesungen eine diskutable Präsentation. Zumindest unter der Perspektiv^e der Ästhetik erscheint Hegels Konzeption des absoluten Wissens nämlich eher als ein philosophisches Ideal, als ein am Phänomen jeweils neu zu bewährendes Zusammenfallen von Begriff und Realität. Daß dieser Zusammenfall, der nach Hegel das absolute Wissen ausmachen würde, weder garantiert ist, noch sich automatisch durch den BHck auf die Reaütät ergibt, noch als Hegelsches Konstrukt schlicht aus der Realität herausgefiltert wird, zeigt sich insbesondere daran, daß Hegel in allen vier Vorlesungen die Phänomene erneut unter modifiziertem Ansatz in dieser Weise prüft. Nur durch diese Prüfungen läßt sich zeigen, wie weit die Kunst „Ideal" sein kann, „Dasein" oder „Existenz" der Idee genannt werden darf. Das absolute Wissen hefert so zumindest im Bereich der Kunst keinen vorgefertigten Maßstab der Beurteilung alles geschichtlich Begegnenden, sondern erscheint eher als ein Anspruch auf Vernunft, der im Phänomen quasi vor-bewußt gegeben, durch die PhUospohie eingelöst werden muß. Auch diese Einlösung ist nicht abgeschlossen und abschließüch geplant, wie sich an dem gedanklichen Fortschreiten der verschiedenen Vorlesungen zur Ästhetik ersehen läßt. Diese von der Druckfassung erheblich abweichende Version der Behandlung der Probleme philosophischer Ästhetik nötigt dazu, ein Editionsverfahren für die Nachschriften zu entwickeln, das die Schwächen der HoTHOschen Bearbeitung vermeidet. Da die Entwicklung der Gedanken im Laufe der verschiedenen Vorlesungen bis hin zur Umstrukturierung der Zwei- auf die durch die Edition verewigte Dreiteiligkeit des Jahres 1828/29 in einer Kompilation der verschiedenen Quellen unkenntlich wird, legt es sich nahe, für diese Vorlesungen Jahrgangstexte zu erstellen. Auch hier erscheint es sinnvoller, einen soliden Text (möglichst eine Mitschrift) als Grundlage zu wählen und gegebenenfalls Ergänzungen aus anderen Mitschriften oder Ausarbeitungen anzufügen. Selbst dies soUte nicht im Sinne einer Neukonstruktion des Textes durch Ineinanderschieben geschehen. Die Ergänzungen könnten als Varianten in Anmerkungen gebracht werden. Die Hoffnung, durch die historisch-kritische Arbeit an den Quellen zu Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Kunst eine absolut sichere, d. h. authentische Information zu erreichen, ist wohl überzogen. Was erreichbar ist, wird eine
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Kenntnis der Hegelschen Philosophie der Kunst im Spiegel ihrer ersten, ursprünglichen und häufig erstaunlich klaren Rezpetion sein. Der Fortschritt dieses Rückschrittes hinter die vollendete Konstruktion HOTHOS darf nicht unterschätzt werden. In der Arbeit mit den Quellen zur Ästhetik zeigt sich nämlich bereits jetzt, daß eine Reihe der Probleme sich sachlich auflösen, vor denen die Interpretationen bislang allenfalls mit dem Ratlosigkeitsindex einer anscheinend „dialektischen" (weil der Sache nach widersprüchlichen) Behandlung des anstehenden Phänomens kapituüeren mußten. So wird man davon ausgehen können, daß selbst dieser im Rückzug auf die Vorlesungszeugnisse gewonnene Textbestand mehr als nur die unlebendige, spröde Außenseite der Hegelschen Gedanken dokumentiert, wie uns der erste Herausgeber, HEINRICH GUSTAV HOTHO, glauben machen will. Annemarie Gethmann-Siefert (Hagen)
HEGELS VORLESUNGEN ZUR GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie hat Hegel in allen Perioden seiner akademischen Laufbahn gehalten. In Jena las er einmal, im WS 1805/06, über „Historiam phUosophiae"!, in Heidelberg zweimal; im WS 1816/17, „. . . nach eignem Plane, 6 Stunden wöchentlich . . .", und im WS 1817/18 5 Stunden pro Woche, „. . . mit ausführlicher Behandlung der neuern [Philosophie], zur Einleitung in die Philosophie, nach Diktaten . . ."2. in Berlin hat er diese Vorlesung siebenmal angekündigt: im SS 1819, im WS 1820/21, im WS 1823/24, im WS 1825/26, im WS 1827/28, im WS 1829/30 und im WS 1831/32.3 Diese Vorlesung hat er noch beginnen können, was durch die Aufzeichnungen bezeugt wird, die DAVID FRIEDRICH STRAUSS von ihr gemacht haü; sie enden nach neun Seiten lapidar mit der Notiz: „Am 14. Nov. Abends ist Hegel an der Cholera gestorben. Hegels Witwe berichtet, er habe „seine beiden Vorlesungen" am 10. und 11. November begonnen^a, mithin hat er noch zwei Vorlesungsstunden halten können. 1 S. hierzu den Beitrag von Klaus Düsing in diesem Bande, 22. 2 Briefe von und an Hegel. Bd4, Teill. Hrsg, von Friedhelm Nicolin. Hamburg 1977. 110 f. 3 Ebd. 114—125: „Hegels Vorlesungs-Ankündigungen in Berlin". — Vgl. auch die Angaben über Vorlesungsdauer und Hörerzahl in: Hegel: Berliner Schriften 1818—1831. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 743 ff. ^ S. hierzu auch unten 116. 3 Für diese Auskunft danken wir dem Deutschen Literaturarchiv Marbach a. N. Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von Günther Nicolin. Hamburg 1970. Nr 727 (S. 480, 482), Nr 739 (S. 499); Hegel: Berliner Schriften. 749; Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 1. 125. Neben der Vorlesung über die Geschichte der Philosophie handelte es sich um die Vorlesung über „Natur- und Staatsrecht oder Philosophie des Rechts".
Geschichte der Philosophie (Garniron/Hogemann)
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Bemerkenswert ist die Kontinuität der Themen, die Hegel in der Geschichte der Philosophie über dreißig Jahre hinweg abhandelt. Läßt sich von der Konzeption dieser Vorlesung das gleiche sagen?^ — Von allen Teilen der Philosophie des Geistes hat Hegel die Geschichte der Philosophie als erste separat dargestellt. Seit 1805/06 war er der Überzeugung, der Weltgeist habe „itzt" zur absoluten Transparenz seiner selbst gefunden, so daß der Kampf des endlichen Selbstbewußtseins mit dem absoluten Selbstbewußtsein aufhöre.^ Zu dem gleichen Ergebnis kommt auf anderem Wege, als Einleitung in die spekulative Philosophie, die Phänomenologie des Geistes. ® Beiden Wegen, dem philosophiegeschichtlichen wie dem phänomenologischen, liegt eine spekulative Logik zugrunde, die von der späteren „Wissenschaft der Logik" erheblich abweicht.^ Seit Hegels Weggang von Jena im Jahre 1807 wandelt sich das systematische Umfeld der „Geschichte der Philosophie": bis 1816 arbeitet Hegel eine neue Logik aus, die die Grundwissenschaft des Systems ist; damit zerbricht die Einheit von Logik und Phänomenologie. Er kürzt die Phänomenologie und gliedert sie in die Philosophie des subjektiven Geistes ein, wiewohl er der ursprünglichen Phänomenologie die Aufgabe beläßt, in das System einzuführen. Aber auch das Konzept der Geschichte der Philosophie selbst wandelt sich. MICHELET berichtet, Hegel habe die Einleitung zu seinem Jenaer Heft später nie wieder gebraucht. Das ist ein Hinweis darauf, daß er die ursprüngliche Konzeption dieser Vorlesung geändert hat. Gleichwohl soll eine Logik, nunmehr die „Wissenschaft der Logik", Leitfaden der Darstellung der Geschichte der Philosophie bleiben. ^ Hat Hegel diese Forderung wirklich eingelöst? Oder hat sich nicht die Geschichte der Philosophie stärker an der Chronologie orientieren müssen, so daß sie sich als eine Galerie der Heroen der denkenden Vernunft darstellt? Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie wurden im Rahmen der Freundesvereinsausgabe von KARL LUDWIG MICHELET veröffentlicht. Im ersten Band seiner Ausgabe hat MICHELET über die Grundsätze seiner Edition Rechen-
® Vgl. bis zum Schluß dieses Absatzes Otto Pöggeler: Geschichte, Philosophie und Logik bei HeIn: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von Hans-Christian Lucas und Guy Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 101 — 126. ^ Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Hrsg, von Karl Ludwig Michelet. [Erste Aufl.] Erster [und] Zweiter Band. Berlin 1833. Dritter Band. Berlin 1836. (Hegel: Werke. Bd 13-15.) - Hier: Bd 15. 689. ® Vgl. G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg, von W. Bonsiepen und R. Heede. Hamburg 1980. (Gesammelte Werke. Bd 9.) 431. ^ Eine Skizze dieser Logik enthält G. W. F. Hegel: Jenaer Systementwürfe III. Unter Mitarbeit von J. H. Trede hrsg. von R.-P. Horstmann. Hamburg 1976. (Gesammelte Werke. Bd 8.) 286. 10 Vgl. Werke. Bd 13. VII. 11 G. W, F. Hegel: Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832). Hrsg, von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1985. (Gesammelte Werke. Bd 21.) 76; „Was das Erste in der Wissenschaft ist, hat sich müssen geschichtlich als das Erste zeigen."
gel.
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Schaft abgelegt und die Materialien dargestellt, die ihm zur Verfügung gestanden haben. Von Hegels eigener Hand lagen ihm vori^: 1. Das Manuskript der Jenaer Vorlesungen in Quart. Nach Einschätzung MICHELETS ist es von hohem Wert; Hegel habe es stets mit aufs Katheder genommen; in Berlin komme er mehr auf es zurück als in seiner mittleren Schaffensperiode. 2. Aus der Heidelberger Zeit ein kürzerer Abriß, ebenfalls in Quart, zur weiteren Entwicklung beim Vortrage bestimmt. Auch dieses Manuskript habe Hegel stets in die Vorlesungen mitgenommen. 3. Zusätze, die Hegel bei späteren Wiederholungen teils am Rande dieser beiden Manuskripte ausgeführt oder angedeutet, teils auf einer Menge von eingelegten Blättern zumeist skizzenhaft aufgezeichnet habe. Beim Vergleich dieser Blätter mit den Vorlesungsnachschriften^^, schreibt MICHELET, könne man erkennen, was Hegel aus diesen Skizzen gemacht habe; andererseits biete der Vergleich der Skizzen und der Nachschriften die Möglichkeit gegenseitiger Korrektur. ^ MICHELET hebt hervor, die im folgenden genannten Nachschrißen habe er „vorzugsweise" benutzti^; sie sind also nicht die einzigen Quellen gewesen, die ihm zur Verfügung gestanden haben: 1. Die Nachschrift KAMPE aus dem WS 1829/30. 2. Die Nachschrift GRIESHEIM aus dem WS 1825/26. 3. Seine eigene Nachschrift aus dem WS 1823/24. Das KoUeg dieses Semesters hat MICHELET zum maßgeblichen seiner Edition gemacht. MICHELET berichtet ferner, von Nachschriften der Heidelberger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie habe er nichts zu Gesicht bekommen; Jenaer Nachschriften könnten „wohl vollständig durch das eigene Heft Hegel's ersetzt"!^ werden. MICHELETS Formulierung schließt nicht aus, daß ihm Nachschriften der Jenaer Vorlesung Vorgelegen haben, deren Heranziehung zu seiner Edition er 12 Vgl. Werke. Bd 13. VI f. 13 Ebd. 1^ Im folgenden bedienen wir uns zur Kennzeichnung des Materials folgender Terminologie: - Quellen
von Hegels eigener Hand
15 16
unmittelbare Nachschrift (Mitschrift) Werke. Bd 13. VII. Ebd.
Nacli'-ihriften
Nachschrift einer Nachschrift
Zusammenfassung
Ausarbeitung (Reinschrift)
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dann freilich nicht für notwendig erachtet hat. Speziell äußert sich MICHELET zur Quellenlage der Einleitung: außer den Nachschriften hätte ihm Vorgelegen „ein am besten beschaffener Theil der Hegelschen Manuskripte TheUs in 4., Theils in Fol., fast ausschließlich zu Berlin — und das Uebrige doch wenigstens in Heidelberg — verfaßt".!^ Zur Darstellung der orientalischen Philosophie habe sich Hegel einer reichen Sammlung von Exzerpten aus englischen und französischen Werken über den Orient bedient, die er mit kurzen Randnotizen versehen und ebenfalls mit aufs Katheder genommen habe. Die von Hegels Hand stammenden Quellen sind nach MICHELETS Darstellung unterschiedlichen Charakters; es handelt sich bei ihnen um vollständig ausformulierte Perioden, um Gedanken, die er erst auf dem Katheder formuliert hat und deren Authentizität uns nur durch die Nachschreiber verbürgt ist, und schließlich, zwischen diesen beiden Möglichkeiten liegend, um Skizzen, die er erst während des Vortrages ausgeführt hat. Sie sind aber nicht nur unterschiedlichen Charakters, sondern stammen wie auch die Nachschriften aus unterschiedlichen Jahrgängen, ja sogar Perioden, so daß sie nicht nur in der Auswahl der Themen, sondern auch in der Auffassungsweise differieren. Aus diesem heterogenen Material hat MICHELET getreu den Absichten der Freundesvereinsausgabe einen Text „wie mit Einem Gusse"i® erstellt, der Sinn und Geist Hegels so nahe wie möglich kommen sollte. Das Grundgerüst seines Textes ließ er sich von Hegels Jenaer Manuskript vorgeben; in diesem Rahmen ordnete er das übrige Material je nach dem Grad seiner gedanklichen Entwicklung ein, und zwar so, daß er bald dem einen, bald dem anderen Jahrgang den Vorzug gab. Seine Hauptaufgabe habe in der Kunst des „Ineinanderschiebens" ganzer Stücke, aber auch einzelner Sätze bestanden.!® An MICHELETS Edition der „Vorlesungen" haben GEORG LASSON^O und JOHANNES HOFFMEISTER^I scharfe Kritik geübt, — eine Kritik, die auch die zweite Auflage einbezieht, die diese Edition erfahren hat^2. MICHELET hatte zumindest die beiden ersten Bände der ersten Auflage sehr rasch hergestellt; seine dem ersten Band der ersten Auflage vorangestellte Vorrede ist auf den 28. April 1833 datiert. So mußte es MICHELET bei der Redaktion der zweiten Auflage darum gehen, materielle Fehler zu beseihgen, die möglicherweise auf den raschen Arbeitsprozeß zurückzuführen waren. Darüber hinaus hat er Wiederholungen beseitigt (die zweite Auflage ist um etwa 100 Seiten schwächer als die erste), den Aufbau des Textes geänEbd. 18 Ebd. XII. 1® Ebd. 20 Im Anhang zu: Kuno Fischer: Hegels Leben, Werke und Lehre. Teil 2. Zweite Aufl. Heidelberg 1911. 1246. 21 G. W. f. Hegel: Sämtliche Werke. Bd 15a: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Einleitung: System und Geschichte der Philosophie. Vollständig neu nach den Quellen hrsg. von Johannes Hoffmeister. Leipzig 1940. (Philos. Bibliothek. 166.) Insbes. XXIII—XXXI. 22 Ehe zweite Auflage der dreibändigen Ausgabe von Michelet (s. Anm. 7) erschien Berlin 1840, 1842, 1844.
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dert und Verbindungen hergestellt, die den Text glätten, aber von der Sache her nicht immer gerechtfertigt sind, so daß der Text der zweiten Auflage lesbarer, aber auch oft mehr interpretierend ist. Als HOFFMEISTER im Jahre 1931 eine Neuherausgabe der „Vorlesungen" in Angriff nahm, glaubte er zunächst, keinen wesentlich anderen Text als MICHELET bieten zu können.23 Eine Prüfung der Edition MICHELETS überzeugte ihn jedoch davon, daß dessen Konzept nicht mehr zu halten sei. Seine Kritik richtete sich gegen die Grundsätze MICHELETS; gegen die von ihm vorgenommenen Umstellungen, Kürzungen und anderen Veränderungen, gegen Nichtkennzeichnung von Parallelfassungen sowie die Vermischung von Hegelschen Manuskripten und Nachschriften, aber auch gegen das von ihm verwandte Material: so habe MICHELET die Gebrechen der Nachschrift GRIESHEIM, die als Ausarbeitung zu kennzeichnen er nicht für mitteUenswert gehalten habe, nicht erkannt und sie in unkritischer Weise verwendet. Als Mängel dieser Nachschrift stellt er „Unmengen"^! von Entstellungen und Ergänzungen heraus; was in Hegels Vortrag in lebendiger Entwicklung dargestellt sei, erstarre bei ihm zu abstrakten Gegenüberstellungen. Schließlich habe MICHELET bei der Aufgabe der Übersetzung der fremdsprachigen Quellen versagt. Was HOFFMEISTER aber entschieden auf den Weg zur Neuherausgabe der „Vorlesungen" geführt hat, war das Bekanntwerden neuer Quellen. Stellen wir fest, was ihm an Material zur Verfügung stand: A. Von den Quellen, die MICHELET zur Verfügung standen, nur noch; 1. Von Hegels Hand die Heidelberger und Berliner Niederschrift der Einleitung (beide Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz); ein Notizenblatt zur Einleitung (Harvard-Universitätsbibliothek) sowie ein Bogen Übersetzung aus ARISTOTELES: De anima mit Kommentar^s. 2. Von den drei Nachschriften die Nachschrift GRIESHEIM (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz). B. Neu hinzugekommen waren folgende Nachschriften: 1. Aus dem WS 1823/24: a) die knapp zusammenfassende Ausarbeitung von HOTHO (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz), b) die ausführlichere, aber lückenhafte Ausarbeitung von HUBE (Jagiellonische Bibliothek zu Krakau). 2. Aus dem WS 1825/26: a) eine unmittelbare Nachschrift. HOFFMEISTER berichtet, der Name des Nachschreibers sei durch Beschneidung der Titelseite verlorengegangen.26 Heute wird
23 Hegel: Vorlesungen . . . (s. Anm. 21). XLIII f. 24 Ebd. XVII. 25 S. hierzu Eine Übersetzung Hegels zu De anima III, 4—5. Mitgeteilt u. erläutert von Walter Kern. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 49—88. Das Manuskript befindet sich im Besitz der Nachfahren Hegels. Im Rahmen der Gesammelten Werke Hegels wird es in Bd 10; Nürnberger Schriften erscheinen. 26 Hegel: Vorlesungen . . . (s. Anm. 21). XVIII.
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die Nachschrift dem polnischen Juristen HELCEL zugeschrieben. Besitzer: Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften zu Krakau. b) eine kurzgefaßte unmittelbare Nachschrift von STIEVE (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz). 3. Aus dem WS 1827/28: a) eine unmittelbare Nachschrift von HUECK (Öffentliche Bibliothek zu Leningrad). b) eine Nachschrift von WELTRICH aus dem Eigentum von H. GLöCKNER. HOFFMEISTER berichtet, sie stimme stark mit der Nachschrift HUECK überein.Die Nachschrift WELTRICH muß heute als vernichtet gelten. 4. Aus dem WS 1829/30: a) eine Nachschrift von WERNER, wahrscheinlich eine Mitschrift. Sie ist ausführlich, aber lückenhaft. b) eine anonyme Nachschrift, ebenfalls wahrscheinlich eine Mitschrift; ein Indiz hierfür ist das Hastiger- und Nachlässigerwerden der Schrift jeweils gegen Ende einer Vorlesungsstunde. Besitzer: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. HOFFMEISTER verfügte also über insgesamt 9 Nachschriften. — Welche Fortschritte hat HOFFMEISTER gegenüber MICHELET erzielt und wo liegen gleichwohl seine Grenzen? Neue Transkriptionen hat HOFFMEISTER von den beiden Einleitungen und der „Orientalischen Philosophie" angefertigt; ferner hat er transkribiert: Elemente aus HOTHO und HUBE (WS 1823/24); aus GRIESHEIM, HELCEL und STIEVE (WS 1825/26); aus HUECK (1827/28). Aus den Texten des Berliner Anonymus und WERNERS hat er die Einleitung des WS 1829/30 rekonstruiert. Seine Rekonstruktion ist nicht zweifelsfrei; sie müßte eingehend überprüft werden. Jedoch stellt er in der Abfolge des Gedankengangs wie MICHELET Elemente aus verschiedenen Jahrgängen zusammen; freilich sind diese Elemente bei ihm gegeneinander abgegrenzt und chronologisch geordnet. Bei der von JEAN-LOUIS VIEILLARD-BARON veranstalteten Ausgabe^® handelt es sich um die Wiedergabe und Übersetzung ins Französische des Teiles der Nachschrift GRIESHEIM, der sich auf Hegels Darstellung der Philosophie PLATOS bezieht. Die Herstellung des Textes ist nicht fehlerfrei. Welche Quellen sind nach dem Erscheinen der von HOFFMEISTER veranstalteten Ausgabe der „Vorlesungen" (1940) neu entdeckt worden? 1. Für das SS 1819 die von dem verschollenen Heft VON HENNINGS abstammenden Nachschriften von CARRI6RE (Besitzer: Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum) und JüRGEN BONA MEYER (Universitätsbibliothek München). 2. Für das WS 1820/21 die in den Northwestern University Libraries Evanston (USA) aufbewahrte anonyme Reinschrift. Die Authentizität dieser Nachschrift 27 Ebd. XX. 28 Hegel. Legons sur Platon. Texte inedit 1825—1826. Edition, traduction et notes par Jean-Louis Vieillard-Baron. Paris 1976.
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könnte gesichert werden, indem ihre Version der Einleitung mit dem Manuskript Hegels verglichen würde. 3. Für das WS 1825/26: a) die Mitschrift von FINDER (Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum). Sie weist mehr Lücken auf als die Nachschrift HELCEL, ist aber nicht zuletzt auch philosophisch von hoher Qualität. b) die Reinschrift von LöWE (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz). Sie steht teilweise der Ausarbeitung GRIESHEIMS nahe. Ihre Teile sind von unterschiedlicher Qualität. 4. Für das WS 1827/28 die Zusammenfassung von DIECKS (Privatbesitz). 5. Für das WS 1829/30: a) die Zusammenfassung von DAVID FRIEDRICH STRAUSS (Deutsches Literaturarchiv Marbach). STRAUSS beabsichtigte, die von Hegel für das WS 1831/32 angekündigte Vorlesung über die Geschichte der Philosophie zu hören. Nach Hegels Tod besorgte er sich eine Nachschrift von Hegels Vorlesung über die Geschichte der Philosophie aus dem WS 1829/30 und faßte diese zusammen. Es ist nicht bekannt, welche Nachschrift er benutzt hat. Seine Zusammenfassung ist zweiteilig: griechische — christliche Philosophie. Die Zweiteilung geht jedoch nicht auf Hegel zurück, da die nächste hier zu erwähnende Nachschrift die übliche Dreiteilung aufweist. Darin stimmt sie mit dem Berliner Anonymus überein, der die Dreiteilung zumindest andeutet. b) eine anonyme Ausarbeitung (Universitätsbibliothek Chicago). Damit verfügen wir über 16 Nachschriften; zählen wir statt der beiden Nachschriften CARRifiRE und MEYER nur deren Quelle, die Nachschrift VON HENNING, lediglich über 15. — Die von PIERRE GARNIRON und WALTER JAESCHKE veranstaltete Edition der „Vorlesungen" gibt „den Teil für das Ganze"^®: das Kolleg aus dem WS 1825/26. Dieses Verfahren legte sich nahe nicht nur, weil dieser Vortrag am besten von allen belegt ist, nämhch durch 5 Nachschriften, sondern auch, weil der Vortrag dieses Semesters zumindest in den Grundzügen mit den meisten anderen übereinstimmt. Der Text wurde durch Integration der genannten 5 Quellen konstituiert, was dadurch ermöglicht wurde, daß die 4 Nachschriften GRIESHEIM, LöWE, HELCEL und FINDER den Text in weitgehender Parallelität überliefern. Die in den Quellen verborgenen Fehler konnten durch Kollationierung entdeckt werden. Der Text folgt im allgemeinen der Ausarbeitung GRIESHEIM. Der auf diese Weise gewonnene Text ist nicht so materialreich wie derjenige MICHELETS. Er bietet aber den Vorteil, erstmals einen Einblick in den tatsächlich gehaltenen Vortrag Hegels während dieses einen Semesters zu gewähren.
G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4; Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit. Hrsg, von Pierre Garniron und Walter Jaeschke. Hamburg 1986. VIII f.
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Im sechsten Band seiner Übersetzung der Ausgabe MICHELETS ins Französische^o übernimmt PIERRE GARNIRON die von W. JAESCHKE und ihm durchgeführte Rekonstitution des Textes der Vorlesung aus dem WS 1825/26.31 Im Vorwort zu seiner Übersetzung berichtet er von einer weiteren Bemühung um eine Annäherung an das authentische Wort Hegels. Der Text MICHELETS enthält zahlreiche und lange Zitate in deutscher Sprache aus philosophischen Autoren, deren Fassung nach MICHELET von Hegel stammt. Die Nachschriften geben von diesen Zitaten jeweils partielle Echos, deren Zusammensetzung wie in einem Puzzle das gesamte Zitat ergibt. MICHELET hat wahrscheinlich nur das in der Ausarbeitung GRIESHEIM zu hörende Echo gekannt; im allgemeinen gibt er statt dessen das vollständige Zitat wieder. Die Zitate verraten in der Regel die Handschrift Hegels; selten sind sie ganz wörthch, oft abgekürzt oder aus den Elementen des Originals frei komponiert; fremdsprachige Zitate sind frei übersetzt. Das gleiche gilt für die Biographien von Philosophen, die Hegel Biographen oder Historikern der Philosophie entnommen hat und von denen sich ebenfalls ein Echo in den fünf Vorlesungsnachschriften findet. In der Ausgabe MICHELETS lassen sich Passagen finden, in denen die Ansichten Hegels über die Entwicklung der Geschichte der Philosophie ausgedrückt sind. Handelt es sich hierbei um Auszüge aus dem Jenaer Heft? Die Ausgabe MICHELETS enthält sieben Textstücke, die teils selbst auf die Jenaer Zeit zurückverweisen, teils von ihm in Fußnoten in diese Periode verwiesen werden.32 Allerdings grenzt er diese Stücke nicht genau ab. Ein achtes am Schluß der „Vorlesungen", im „Resultat"33, findet sich ebenfalls in der Hegel-Biographie von ROSENKRANZ, und zwar dort, wo ROSENKRANZ auf Hegels Vorlesung über die Geschichte der Philosophie aus dem WS 1805/06 zu sprechen kommt34, womit seine Herkunft aus Jena ausgewiesen ist. Mit Sicherheit enthält MICHELETS Ausgabe aber noch mehr Texte aus der Jenaer Zeit, vielleicht sogar aus der davorliegenden Periode. Erst die Aufarbeitung aller überlieferten Textfragmente und Nachschriften wird es uns ermöglichen, diese Materialien genauer auszugrenzen. Eine historisch-kritische Edition der „Vorlesungen" wird chronologisch Vorgehen müssen; dabei muß jedes Kolleg für sich präsentiert werden. Die Form der Präsentation wird keine einheitliche sein können; sie ergibt sich aus der Beschaffenheit der Dokumente, über die wir für jedes Kolleg verfügen. Für das SS 1819 besitzen wir 2 Hefte, die eng miteinander verwandt, ja oft fast identisch sind. Das Heft von CARRI6RE enthält den Hinweis, es sei eine Nachschrift des Heftes VON HENNINGS; das MEYERsche Heft hängt entweder von demjenigen VON HENNINGS 30 G. W. F. Hegel: Lecons sur l'histoire de la philosophie. Tome 6. La Philosophie moderne. Traduction, annotation, reconstitution du cours de 1825—1826 par Pierre Garniron. Paris 1985. Vgl. zu den beiden letztgenannten Werken die Rezension von Robert Sasso. In; Les Etudes PhUosophiques. 4 (1978). 465 —479. 31 Zum Folgenden s. Lecons. 1233 ff. 32 Werke. Bd 14. 144, 248, 431; Bd 15. 227, 650, 680, 681. 33 Werke. Bd 15. 689. 34 Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844. 202.
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oder CARRI6RES ab. Beide Hefte sind also keine Zuhörernachschriften. Es stellt sich sogar die Frage, ob das Heft VON HENNINGS eine Zuhörernachschrift oder lediglich die Nachschrift einer Zuhörernachschrift ist. Was für die Authentizität dieses Heftes und mithin der beiden anderen Hefte spricht, ist die Tatsache, daß man Ln der Ausgabe MICHELETS wichtige Textstellen finden kann, die offensichtlich mit Passagen dieser Hefte verwandt sind, wie PIERRE GARNIRON für die „Einleitung in die neuere Philosophie''^® nachgewiesen hat®®. Solche und ähnliche Texte könnten ein Mittel der Kontrolle bei der Etablierung des kritischen Textes sein, wobei man wahrscheinlich das Heft CARRIERES zum Leittext nehmen muß. Der Wert dieser Nachschriften könnte nicht zuletzt darin bestehen, daß sie ein direktes Echo der Jenaer Zeit als die späteren enthalten könnten. Zudem enthalten sie einen Rückblick auf die gesamte Geschichte der Philosophie, insbesondere die griechische, die von hoher philosophischer Qualität ist. Ein Text von dieser Präzision Hegt aus Hegels späteren Kollegs nicht mehr vor. Es könnte sein, daß das Niveau von Hegels BerHner Vorlesungen eher niedriger gewesen ist als das seiner Jenaer Vorlesungen. Es stellt sich die Frage, ob der Text MICHELETS neben den genannten Nachschriften nicht noch eine weitere oder gar mehrere enthält oder nur noch das Jenaer Heft und den Heidelberger Abriß Hegels. Für die Verwendung weiteren Materials durch MICHELET spricht jedenfalls, daß der Text MICHELETS reicher und ausführlicher ist als der in den Heften. Dieses Problem muß weiter untersucht werden. Von dem Kolleg des WS 1820/21 ist uns nur eine Nachschrift überliefert. Ihre Authentizität könnte durch Vergleich des von ihr überlieferten Einleitungstextes mit dem Wortlaut von Hegels Berliner Einleitung gesichert werden. Für das Kolleg des WS 1823/24 könnte eine Rekonstruktion durch Integration der vorhandenen Quellen erfolgen. Zu ihnen zählt auch das Heft MICHELETS, das zwar verschollen ist, aber vielleicht aus dem Text der Freundesvereinsausgabe ausgegrenzt werden kann, wobei die aus dieser Arbeit erwachsende, sich mehrende Erfahrung für die editorischen Entscheidungen maßgebHch sein müßte. Der Leittext müßte die Nachschrift HUBE werden; ihr müßte man Texte aus HoTHOS und MICHELETS Heften substituieren. Der textkritische Apparat würde entsprechend umfangreich. Bei dem Kolleg des WS 1825/26 fragt es sich, wie weit die Arbeit von GARNIRON und JAESCHKE revidiert werden muß. Eine Kernfrage, die bei der Edition dieses Kollegs zu beantworten ist, bildet die Beurteilung der Ausarbeitung GRIESHEIM. Hierzu einige Worte. — Bei dieser Ausarbeitung handelt es sich um insgesamt fast 650 Seiten, die jede ca. 1 900 Zeichen enthält. Sie ist also um mehr als 50 % umfangreicher als die übrigen Nachschriften, die zwischen 350 und 430 Seiten 35 Werke. Bd 15. 265-277. 3® S. Pierre Garniron: Hegels Geschichte der Philosophie der Moderne. Eine Untersuchung auf der Grundlage verschiedener Berliner Nachschriften, ln; Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg. v. Hans-Christian Lucas und Guy Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989.
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umfassen. Sie ist in Schönschrift geschrieben und sehr wahrscheinlich aus mehreren Quellen zusammengearbeitet. Sie wird von den beiden guten Mitschriften dieses Kollegs (HELCEL und FINDER) weitgehend bestätigt, hat also einen hohen Grad der Authentizität. Wenig erheblich sind die in ihr enthaltenen kleinen Irrtümer, mehr schon die Tatsache, daß ihre Klarheit, Einfachheit und Weitläufigkeit die Kraft des Hegelschen Denkens oft abschwächt und verflacht. GARNIRON und JAESCHKE betonen, daß sie sich dem vernichtenden Urteil HOFFMEISTERS über sie nicht anschließen können. Sie bildet eine Hauptquelle der Ausgabe MICHELETS, von der sie ein Drittel bildet, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung: in der griechischen Philosophie (von THALES bis zu den Zynikern) ist sie mit 42 %, im Mittelalter mit 38 %, in der „neuesten deutschen Philosophie" mit 25 % des Gesamttextes vertreten. Für das Kolleg des WS 1827/28 sind die drei vorhandenen Quellen sehr ungleich. Die Hauptquelle ist die Mitschrift von HUECK, die als Leittext genommen werden kann und muß; ihre Unklarheiten, Ungeschicklichkeiten und andere Mängel müssen anhand der Zusammenfassung DIECKS einigermaßen korrigiert werden. Ein Nichterwähnen dieser beiden Quellen im Apparat gälte als Bestätigung des HuECKschen Textes; seine Nichtbestätigung würde im Apparat vermerkt. Von einer Integration wird man in diesem Falle kaum sprechen können. Anders steht es beim Kolleg des WS 1829/30. Hier könnte man eine Integration vornehmen, wobei die Mitschrift des Berliner Anonymus, die allerdings schwierig zu entziffern ist, als Leittext zu nehmen wäre. Dieser Leittext könnte durch die Mitschrift (?) WERNER bestätigt, erläutert und verbessert werden. Eine Kontrolle könnte von der Zusammenfassung STRAUSS her erfolgen, ebenfalls durch dasjenige, was in der Ausgabe MICHELETS als von diesem Kolleg herrührend bestimmt werden kann. — Die Etablierung kritischer Texte für jedes Berliner Kolleg über die Geschichte der Philosophie ermöglicht es, innerhalb der Ausgabe MICHELETS dasjenige zu bestimmen, was nicht von solchen Vorlesungen herrührt und sehr oft philosophisch von besserer Qualität ist. Dies gilt insbesondere für die Zitate, die bei den Zuhörern nur teilweise und unvollständig reproduziert worden sind. So erweist sich die Ausgabe MICHELETS als unersetzlich. Freilich kann dieser unersetzliche Rest nicht immer mit Bestimmtheit von den anderen Elementen des MICHELETschen mixtus compositus getrennt werden, einmal, weil diese Elemente oft sehr klein und mit anderen verbunden sind, zum anderen, weil Überlieferungsgut aus Hegelschen Manuskripten, insbesondere dem Jenaer Heft, und aus Nachschriften ineinandergearbeitet ist. So fragt sich am Ende, ob es nicht angebracht und sogar notwendig wäre, eine kritische, sehr kritische Ausgabe des Textes von MICHELET ZU erstellen, — als letzten Teil der historisch-kritischen Gesamtausgabe von Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Pierre Garniron (Paris)/Friedrich Hogemann (Bochum)
OTTO PÖGGELER (BOCHUM)
NACHSCHRIFTEN VON HEGELS VORLESUNGEN
Die Akademie-Ausgabe von Hegels Gesammelten Werken bringt in der ersten Abteilung Hegels Druckschriften und Manuskripte. Unter den Manuskripten sind auch jene Notizen, die von Hegel bei seinen Vorlesungen benutzt wurden. Ferner wurden die Diktate, die Hegel im Nürnberger Gymnasialunterricht sowie in den ersten Jahren seiner Heidelberger und Berliner Vorlesungstätigkeit gab, den Druckschriften und Manuskripten gleichgestellt. Von den zweiundzwanzig Bänden dieser Abteilung waren bis 1991 dreizehn erschienen; die Bände 5, 18 und 20 waren im Satz. Die restlichen Bände dieser Abteilung sind nicht nur genau geplant; sie sind inzwischen auch zur Bearbeitung vergeben. So kann diese Abteilung im jetzt beginnenden Jahrzehnt ihren Abschluß finden. Die zweite Abteilung der Ausgabe wird Hegels Vorlesungen von den Nachschriften aus zu rekonstruieren suchen; sie wird jetzt vorbereitet. Sieht man auf das Modell der KANT-Ausgabe, dann kann die Zusammenstellung von Schriften, die von Hegel selbst in Druck gegeben wurden, mit Manuskripten und auch mit Diktaten fragwürdig erscheinen. Diese Zusammenstellung ergab sich aus der entwicklungsgeschichtlichen Ordnung der überlieferten Texte; sie hat auch ihre Vorteile und ist deshalb zum Beispiel von der kritischen Gesamtausgabe SCHLEIERMACHERS übernommen worden. Schon aus technischen Gründen, aber dann auch gemäß den prinzipiellen Entscheidungen sind der ersten Abteilung nicht jene Texte zugewiesen worden, die man etwa aus MICHELETS Edition der Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie zum Beispiel als Bestandteil von Hegels Jenaer Heft rekonstruierend ausweisen möchte. (Wenn KARL ROSENKRANZ und MICHELET aus jenem Heft ein kleines Stück vom Schluß wörtlich wiedergeben, dann ist dieses Stück allerdings der ersten Abteilung eingeordnet worden.) Das rekonstruierende Ausweisen kann man auch in anderen Fällen versuchen, zum Beispiel bei KARL HEGELS Ausgabe der Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte; mag man kleinere oder höhere Wahrscheinlichkeit gewinnen können, so bleibt es doch bei einer Rekonstruktion und damit bei der Zuweisung zur zweiten Abteilung.
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Der Benutzer der Ausgabe wird künftig einmal die erste und zweite Abteilung der Ausgabe zusammen gebrauchen. Die Diktate der Paragraphen der Rechtsphilosophie aus der Zeit vor der Drucklegung dieses Kompendiums sowie die Paragraphen und Anmerkungen der gedruckten Rechtsphilosophie finden sich in der ersten Abteilung; die Darlegungen und Erläuterungen, die in Nachschriften festgehalten wurden, stehen in der zweiten Abteilung. Selbstverständlich werden diese Darlegungen und Erläuterungen nicht mehr — wie in der alten Ausgabe — auf „Zusätze" zum gedruckten Kompendium reduziert. Ist es nicht mißlich, daß die Hefte, in denen WANNENMANN und HOMEYER die Diktate und Erläuterungen der ersten beiden Vorlesungen über Rechtsphilosophie festhielten, nun auseinandergerissen werden? Auf diese Weise kommt jedoch zur Geltung, daß etwas Diktiertes und ein notizenhaft festgehaltener, relativ freier Vortrag einen ganz unterschiedlichen Grad von Authentizität haben. Zudem kann der Leser — allerdings aus zwei Bänden — sich die genannten Hefte vollständig und im ganzen vergegenwärtigen. Die Notizen, die Hegel sich für seine rechtsphilosophischen Vorlesungen anfertigte, zeigen schon, daß er sich auch nach Vorliegen des Kompendiums nicht sklavisch an das Gedruckte hielt. Diese Notizen gehören in die erste Abteilung, während die mündlichen Ausführungen, die von den Nachschriften widergespiegelt werden, der zweiten Abteilung zugewiesen sind. Wollte man sich voreilig an VON GRIESHEIMS Nachschrift orientieren, dann hätte Hegel sein gedrucktes Kompendium in kleinen Stükken vorgelesen oder gar diktiert und dann erläutert. Doch so ist Hegel nicht vorgegangen: VON GRIESHEIMS Ausarbeitung ist eine Umgestaltung von Hegels Vorlesungen, für die zu Hause sowohl der gedruckte Text wie Notizen aus den Vorlesungen benutzt und sicherlich oft genug gegen den Duktus der wirklichen Vorlesung ineinandergearbeitet wurden. Die Texte, die aus Hegels Kompendium abgeschrieben wurden, haben keinen eigenständigen QueUenwert. Die Trennung der Textsorten und die Verteilung auf zwei Abteilungen haben für den Benutzer der Ausgabe ihre Vorteile. Jedenfalls wird man in Zukunft nicht mehr eine Formulierung, in der ein Nachschreiber sich zu Hause seine Notizen aus Hegels Vorlesungen zurechtlegte oder zurechtbog, nur deshalb als Formulierung Hegels und als eigentlichen Hegeltext nehmen, weil ein Editor sie in die alte Hegel-Ausgabe aufnahm. Für die zweite Abteilung sind inzwischen etwa achtzig Nachschriften von Hegels Vorlesungen gesammelt worden. Viele der besten Nachschriften Hegels sind unter den längst bekannten; doch scheint sich die Neigung zu verstärken, Nachschriften, die neu gefunden werden oder
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von denen man dieses behauptet, möglichst sofort isoliert zu edieren. Würde man nach diesem Verfahren die historisch-kritische Ausgabe gestalten, so könnte man leicht viele Dutzend Vorlesungsbände bekommen; doch dann würde die Unübersichtlichkeit der Materialien verwirren. Die Dubletten würden Langeweile erregen, die Quantität des Buchstabens würde für den Geist schließlich tödlich sein. Es ist vielfach darauf hingewiesen worden, daß man einen Autor auch totedieren kann. Mit der genannten Quantität an Büchern würde die Belastung für die Statik und die Finanzen der Institute und Bibliotheken untragbar. Und welcher Doktorand würde nicht mit guten Gründen fortlaufen, wenn man ihn vor die unübersichtliche Zahl der Bände führte mit der Mahnung: „Lesen Sie das erst einmal." Zudem kommen zu den heute ermittelten Nachschriften jene Passagen hinzu, die uns durch frühere Editionen aus inzwischen verlorenen Nachschriften oder vielleicht auch aus Notizen Hegels erhalten sind. Im ganzen beläuft sich die Zahl der nachweisbaren Nachschriften zu Hegels Heidelberger und Berliner Vorlesungen auf fast hundertdreißig. So muß eine Kondensation angestrebt werden, bei der aber kein Wort mit irgendeiner Bedeutung, das Hegel gesagt hat, verlorengehen darf. Wer erforschen will, wie Hegels Philosophieren im Preußen der Restaurationsjahre nach dem Wiener Kongreß konkret wirkte, wird auf die spezifischen Wege jener achten, die Hegel nachschrieben, seine Vorlesungen repetierten oder nach seinem Kompendium lasen. Nicht nur CAROVE, auch der Repetent LEOPOLD VON HENNING war als Burschenschaftler gegenüber den öffentlichen Instanzen diskreditiert; er ist sogar zeitweise inhaftiert worden. Später jedoch ist er konservative Wege gegangen und hat die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik auf diese Wege gelenkt. Völlig anders wirkte EDUARD GANS, der zwar nach Hegels Kompendium las, aber es fertigbrachte, daß Hegel selbst zu neuen rechtsphilosophischen Vorlesungen verpflichtet und so (offenbar von der Kronprinzenpartei) gegen seinen Schüler aufgerufen wurde. Die Nachschriften zur Rechtsphilosophie von HOTHO und von v. GRIESHEIM unterscheiden sich in Anlage und Ausführung beträchtlich: HOTHO ist am philosophisch Bedeutsamen interessiert; v. GRIESHEIM wird erst richtig aufmerksam bei sehr konkreten historischen Dingen. So hält v. GRIESHEIM schon bei der Erläuterung der Vorrede fest, warum der Pfalzgraf zum Rhein das Privilegium hatte, „den Kesselflickern des ganzen deutschen Reiches Patente zu erteilen". Damit ist aber noch nicht angezeigt, daß dieser wohl wirkungsvollste Nachschreiber von Hegels Vorlesungen 1848 als hoher Offizier den Revolutionären in Berlin und damit auch Hegelianern
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entgegentrat und in einem seiner anonymen Pamphlete die sprichwörtliche Wendung durchsetzte, daß gegen Demokraten nur Soldaten helfen. Das unterschiedliche Vorgehen der Nachschreiber ist schon wichtig für die Frage, was in diesen so selektiv vorgehenden Nachschriften, Ausarbeitungen oder Kompilationen überhaupt an authentischem Gut aus Hegels Vorlesungen erwartet werden darf. Muß ein Pädagoge nicht auch ivissen wollen, wie Hegels Nürnberger Schüler Hegels Diktate und Erläuterungen aufnahmen? Schwerlich kann eine Hegel-Ausgabe die unterschiedlichen Aufmerksamkeiten und Aktivitäten (bis hin zu Zeichnereien zur Ableitung nervöser Energien) wiedergeben. Doch sollen Transkriptionen der einzelnen Nachschriften und die Rekonstruktion von Passagen aus verlorenen Nachschriften einmal zu Depots zusammengestellt werden, in denen der Spezialforscher sich schnell orientieren kann. Die Editionsprinzipien für die erste Abteilung der Ausgabe sind im Band 1 nachlesbar (Frühe Schriften I. 1989, 419—437). Was an speziellen Prinzipien für die zweite Abteilung hinzukommt, muß im Band 23 einmal dargelegt werden. Die Arbeit an den ersten beiden Abteilungen muß immer schon zurückgreifen auf den Inhalt der künftigen dritten Abteilung der Ausgabe, nämlich auf die Briefe und Aktenstücke. Diese sind jedoch noch kürzlich zum größten Teil in einer vorläufigen Ausgabe ediert und bearbeitet worden. Angehängt werden muß der Ausgabe auch noch ein Sachregister oder Index. Die vorliegenden Bände bringen nur Personenregister. Auf Sachregister wurde verzichtet, weil diese wegen der angestrebten Raumbegrenzung nur sehr selektiv hätten sein können. Die Selektion, die jeweils für einen Band hätte vollzogen werden müssen, könnte auch eine Irreführung in bezug auf einen anderen Band sein: der hier häufig vorkommende Begriff wäre dort wegen seines spärlichen Vorkommens ganz weggelassen worden. Im übrigen lagen die ersten Bände der Ausgabe vor, ehe der elektronische Satz sich durchsetzte, der bekanntlich die Registerherstellung erleichtert. Aus der Arbeit an der zweiten Abteilung der Gesammelten Werke teilt der vorliegende Band der Hegel-Studien einen ersten Schritt mit: den Versuch, eine Übersicht darüber zu gewinnen, welche Vorlesungen Hegel gehalten hat, welche Nachschriften zu seinen Vorlesungen einmal bezeugt oder benutzt wurden, welche Nachschriften heute noch erhalten sind, welches Bild von den einzelnen Disziplinen das Überlieferte einer ersten und vorläufigen Betrachtung zeigt. In weiteren Schritten müssen die einzelnen Nachschriften genauer erfaßt und aufgearbeitet werden;
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auch muß dann eine Einigung über die Frage stattfinden, aufgrund welcher Prinzipien dieser wichtige Teil von Hegels Werk und Wirkung ediert werden soll. Mögliche Prinzipien sind heute schon heftig umstritten; doch eine Entscheidung über sie kann erst gefällt werden, wenn das ganze Korpus der Vorlesungen im Blick ist. Auch in der Phantasie kann man sich schwer vorstellen, unter den vielen Besuchern des Hegel-Archivs werde einmal nicht nur dieser oder jener Hegel-Nachkomme sein, sondern Hegel selbst. In jedem Fall würde die Besichtigung jener Forschung, die nun den Namen Hegels trägt, Hegel selbst den Atem verschlagen. Könnte er auch nur mit einem Computer umgehen? Würde er zum Verständnis einer Stelle aus irgendeinem seiner Werke die vielen tausend Bände der Sekundärliteratur aufarbeiten? Würde er sich selbst auf die Schliche kommen wollen und erkennen, daß er zur Übersetzung PLATONS sich an der Übersetzung MARsiLio FICINOS orientierte? Es würde ihn befremden, wieviel Gewicht den jugendlichen Anfängen zugesprochen wird. Hatte er nicht die Exemplare seiner Übersetzung der CARTschen Schrift über das Waadtland so gut weggelegt, daß keiner aus seiner Familie und aus seinem Schülerkreis von seiner Autorschaft wußte? Es könnte ihn nur schmerzen, daß seine Arbeit, die doch dem System galt, selbst für den Jenaer Aufenthalt nach den frühen, mittleren und späten Jenaer Jahren getrennt wird. Der Kummer darüber müßte aufkommen, daß er die Mühe, die er in die Vorlesungen investiert hatte, nur im AusnahmefaU der Rechtsphilosophie in ein Kompendium einbringen konnte. Hatte er mit seinen Schülern und Kollegen nicht auch die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik ins Leben gerufen, überhaupt mehr auf die weitere Arbeit seiner Schüler gesetzt als auf Modifikationen des eigenen Ansatzes? Selbst seine berühmten Kollegen wie SCHLEIERMACHER und SAVIGNY hatte er so herausfordern können. Niemals würde er sich abfinden mit einem Editionsapparat, der statt des Bedeutsamen Quisquilien vorbringt, mag es über Einzelheiten auch jahrelangen Streit in der sogenannten Forschung gegeben haben. Ihm hätte es genügt, solche Details durch eine kleine Nuance — wie im Aussprechen des Namens des Herrn „Schläuermacher" — abzutun. Die Formen des Lebens und des Zusammenlebens in der Gesellschaft auf der einen Seite und die Formen des Wissens auf der anderen Seite stehen in einem Bezug und wandeln sich geschichtlich. Das philosophische Werk, das Hegel sich erarbeitete, mußte sich für ihn selbst schon auf den verschiedenen Stationen seines Lebensweges in unterschiedlicher Weise darstellen. Als eine geprägte Form, die sich lebend weiterentwickelt, trat dieses Werk auch nach seinem Tod in unterschiedliche Kon-
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stellationen ein. So konnte es auf das endlich erreichte System hin konzentriert werden; es konnte dann aber auch der junge Hegel gegen den späten Hegel ausgespielt werden. In seiner Wirkung gestaltete das Werk sich weiter, und in diesen Prozeß gehören auch die unterschiedlichen Editionsansätze hinein. Jede bedeutende neue Edition und jede Gesamtedition ist zugleich eine bestimmte Auslegung Hegels und eine Fortbildung seines Werkes. Daß die historische Edition ihre Bedingtheit hat, gilt nicht nur für die technischen Standards, sondern auch für den Ansatz und für die Methode. So ist die historisch-kritische Verortung einer angestrebten historisch-kritischen Ausgabe ein angemessener Weg bei der Vorstellung der Ausgabe.
I. Zur Geschichte der Hegel-Edition Sehen wir auf die Arbeiten des jungen Hofmeisters Hegel, dann kann kein Zweifel sein, daß er ein Schriftsteller werden wollte, der sich aufgrund der neuen philosophischen Ansätze mit aktuellen religiösen und politischen Fragen beschäftigte. Sicherlich zeigt ein Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilosophie den Berner Hegel schon auf dem späteren Weg, die vorliegende wissenschaftliche Arbeit anzueignen, die unterschiedlichen Ansätze zu koordinieren und so zu einer eigenen Systematik hinzustreben. Später versucht das sogenannte Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, Topoi der zeitgenössischen Diskussion so zusammenzufassen, daß ein systematischer Ansatz sich zeigt. Trotzdem hätte der junge Hegel es sich kaum träumen lassen, daß er später einmal als Hochschullehrer in einem Kompendium sein System in Paragraphen vorstellen werde. Als Hegel an der Universität Jena die Möglichkeit zur philosophischen Lehre bekam, konnte er mit seinen Vorlesungen in keiner Weise an dem großen Erfolg seines Freundes SCHELLING partizipieren. Der Engländer ROBINSON kam 1802 nach Jena und ging auch in eine Vorlesung Hegels, denn er hatte briefliche Grüße von LEONHARDY und JUNG aus Hegels einstigem Frankfurter Freundeskreis abzugeben. Diese Grüße blieben aber in ROBINSONS Autographen-Sammlung, denn über Hegel berichtete ROBINSON am 26. 11. 1802 in gebrochenem Deutsch an SAVIGNY SO: „Ich hörte den armen Hegel ein Mal. Sie können sich nichts so erbärmlich wie sein Vortrag [vorstellen]. Er hustete, rauspete, stotterte, konnte keine zwei Sätzen bestimmt aussprechen. Er hat seine angekündigte Vorlesung nicht zu Stande gebracht. Ich habe meinen Brief nicht abgegeben."
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Schwer verständlich mußte es für ROBINSON bleiben, daß Hegel SCHELLING dann später doch vom „Throne" stießd Indem Hegel gleich zu Anfang seiner Jenaer Zeit mit SCHELLING zusammen das Kritische Journal der Philosophie herausgab, trat er im Schatten des berühmten Freundes vor die Öffentlichkeit. Doch ging es ihm darum, von den eigenen Motiven her die Systematik der Philosophie zu entfalten. Schon in Jena gewann er Schüler, die sich leidenschaftlich für diese seine Philosophie einsetzten. (Zu ihnen gehörte der Niederländer VAN GHERT, der eine bedeutende Rolle in der Kulturpolitik erreichte, dann jener GABLER, der dreißig Jahre später Hegels wenig glücklicher Nachfolger in Berlin wurde.) Als Resultat des Ringens um das System der Wissenschaft entstand jedoch die Phänomenologie des Geistes. Sie sollte einleitend mittels eines exemplarischen Lernens in den Umgang mit den logisch-metaphysischen Grundbegriffen einführen. So verband sie die philosophischen Grundfragen mit bedeutenden Exempeln — dem Gebrauch eines Wortes wie „dieses", den Romanen DIDEROTS und ihrer Darstellung der sich auflösenden Welt vor der französischen Revolution, mit JACOBIS Roman Woldemar als Entfaltung der Gewissensproblematik, mit der Darstellung griechischer Sittlichkeit in der Antigone des SOPHOKLES. Da Hegel auf diese Weise sein Philosophieren mit den leitenden Impulsen der Geschichte und der eigenen Zeit vermittelte, konnte die Phänomenologie des Geistes in einer langsam anrollenden Wirkungsgeschichte eine zeitlang selbst den Berliner Systematiker in den Schatten stellen und den Weg zurück zu den jugendlichen Ansätzen im Kreis von Freunden wie SCHELLING und HöLDERLIN notwendig machen. Als Nürnberger Gymnasialdrrektor und Philosophielehrer hatte Hegel Schüler zu unterrichten; sicherlich überforderte er sie, wenn er ihnen doch so etwas wie sein System vortrug. Nürnberg wurde nicht nur die Zeit der programmatischen pädagogischen Amtsreden und der privaten Ausarbeitung der Wissenschaft der Logik; Hegel konnte mit den Aufzeichnungen zu einer Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften auch jenen Systemabriß im Entwurf ausbilden, den er schon in Jena versprochen hatte. So verwundert es nicht, daß er seine Universitätslehre in Heidelberg mit dieser Enzyklopädie begann. Die Jahre der neuen Konstituierung der europäischen Staaten nach dem Wiener Kongreß führten zugleich dazu, daß Hegel zuerst einmal die Rechtsphilosophie zur Voll-
' Vgl. Ernst Behler: Henry Crabb Robinson und Hegel. In; Hegel-Studien. 15 (1980), 51 ff, vor allem 60.
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endung über die Systematik der gerade publizierten Enzyklopädie hinaus zu ihrer endgültigen Gestalt führte. Was in Heidelberg begann, sollte sich in Berlin in einer wirkungsmächtigeren Weise erfüllen. Hegels Wunsch, etwa als Präsident der Akademie kulturpolitisch zu wirken, erfüllte sich freilich nicht. Er blieb darauf verwiesen, Philosophie an einer Universität zu lehren, obwohl er von dieser prekären Funktion bei fortgeschrittenem Alter gerade hatte befreit werden wollen. Schließlich jedoch gelang wenigstens der Plan, in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik so etwas wie eine „Gegenakademie" zu begründen. VARNHAGEN, der Hegel bei der Redaktion der Jahrbücher unterstützte, widmete Hegel eine seiner biographischen Schriften, weil Hegel mit Aufsätzen für die Jahrbücher wie jenen über SOLGER und HAMANN SO etwas wie eine neue Gattung mitbegründet hatte: eine philosophische Biographie, die den behandelten Autor in die Auseinandersetzungen mit seiner Zeit stellt. Doch waren es vor allem die Vorlesungen, auf denen Hegels Wirkung beruhte: dort gewann er zumeist seine Schüler und bildete seine Schule. Hegels plötzlicher Tod brach einen Arbeitsansatz ab, der noch nicht zu den beabsichtigten literarischen Fixierungen geführt worden war. So verwundert es nicht, daß die Schüler und „Freunde des Verewigten" wenigstens das Erhaltene in einer großen Ausgabe zusammenschlossen und dabei den Vorlesungen einen breiten Raum gaben, ln diesen Vorlesungen lag — anders als bei KANT oder bei FICHTE — in der Tat ein entscheidender Teil des Hegelschen Werkes. Die Hegelianer glaubten verteidigen zu können, was Hegel der Welt zu geben versucht hatte: die Verwirklichung der Philosophie in einem System der philosophischen Wissenschaften. Wenn einige wenige Zeugnisse der Entwicklung Hegels (wie die Jenaer Aufsätze und die Phänomenologie des Geistes) aufgenommen wurden, so sah MICHELET gerade in diesen Dokumenten seinen Lehrer Hegel auf dem konsequent eingehaltenen Wege zum System. Die Kompendien, also die Enzyklopädie und die Rechtsphilosophie, wurden durch Zusätze aus den Vorlesungen ausgebaut. (Dabei wurden allerdings Vorlesungspassagen, die auf die Enzyklopädie von 1817 bezogen waren, in die weit umfangreichere und detailliertere Enzyklopädie von 1830 eingefügt.) In neun Bänden wurden jene Vorlesungen von der Geschichtsphilosophie bis zu der Geschichte der Philosophie einbezogen, die nicht auf ein Kompendium hatten zurückgreifen können. So glaubte man am besten den Angriff abwehren zu können, den der einstige Freund SCHELLING nunmehr gegen Hegel richtete. Da SCHELLING seine Weltalter aus dem
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Druck gezogen hatte, trumpfte GANS im Vorwort zu Hegels Geschichtsphilosophie auf: „Die Hegelschen vier Weltalter sind wenigstens erschienen." MICHELET sah eine Fügung des Schicksals darin, daß Hegels erweiterte Naturphilosophie publiziert werden konnte, als der Urheber der Naturphilosophie nach Berlin geholt wurde. Das Blatt in der Geschichte der Philosophie, das SCHELLING halb vollgeschrieben habe, sei im Hegelschen Bande ganz beschrieben; die Philosophie habe nicht geschwiegen, weil SCHELLING geschwiegen habe, und dieser könne in seiner Polemik nun nur noch mit wirklich wissenschaftlichen Widerlegungen arbeiten. Doch kam auch, was kommen mußte: die Religionsphilosophie beseitigte nicht das Ambivalente in Hegels religionsphilosophischen Äußerungen, sondern führte den Streit herauf, der die Hegel-Schule in einen linken und in einen rechten Flügel auseinanderbrechen ließ. Sicherlich müssen die Editionen der Hegelschen Vorlesungen, die von den Schülern und Freunden erstellt wurden, unterschiedlich beurteilt werden. Hegel war kaum tot, da rückte man schon mit zwei Bänden der Religionsphilosophie heraus; doch diese Eile, das Wort des Meisters selbst in die Auseinandersetzungen zu bringen, konnte nur einen Schaden verursachen, den auch die Nachbesserung dieser Edition durch BRUNO BAUER nicht wieder beseitigte. Bei den Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte schien man besser gestellt zu sein. Dort konnte der Herausgeber GANS auf eine Nachschrift zurückgreifen, die Hegels eigener Sohn KARL unter den Augen seines Vaters (wie es scheinen mußte) von Hegels letzter Vorlesung zur Geschichtsphilosophie angefertigt hatte. GANS übernahm aus KARL HEGELS Nachschrift den Streit um die Angaben zur Chronologie der Weltgeschichte, in dem Hegel sich auf JOHANNES VON MüLLER stützte. Der junge Student hatte sich aber bei der Wiedergabe der schwierigen Zahlen geirrt, und so mußte er, als er später selber eine zweite Ausgabe dieser Vorlesungen edierte, gerade diese Angaben korrigieren. (LASSON machte die Sache nicht besser, als er auf JOHANNES VON MüLLER in einer Weise zurückgriff, die durch Hegel selbst so nicht geschehen war.^) KARL HEGEL trug in diese zweite Ausgabe Ergänzungen auch aus Hegels Manuskripten ein; indem er jedoch an unpassender Stelle Hegels Gedanken der Repräsentation einfügte, führte er nur die 2 Zum einzelnen vgl. Pöggeler: Der Geschichtsschreiber Johannes von Müller im Blickfeld Heln: Johannes von Müller — Geschichtsschreiber der Goethezeit. Hrsg, von Chr. Jamme und O. Pöggeler. Schaffhausen 1986. 277 ff, vor allem 298 f. — Zum folgenden vgl. Pöggeler: Hegels Begegnung mit Preußen. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg, von H.-Chr. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart 1986. 311 ff, vor allem 342 f. gels.
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spätere Forschung auf den Irrweg, von einer Perhorreszierung der Repräsentatiwerfassung durch Hegel ähnlich wie durch GENTZ ZU sprechen. Doch konnte KARL HEGEL die Interessen seines Vaters an der Stadtgeschichte und der neuen Städteordnung beibehalten, als er zum eigenständigen Stadthistoriker wurde. Wenn LEWIS MUMFORD in seinem bekannten Buch Die Stadt für die mittelalterliche Stadtgeschichte Hegel zitiert, dann ist der Sohn gemeint, nicht der Vater. Doch müssen wir heute genauer auseinanderhalten, was einmal in der Edition und in der weiteren eigenständigen Arbeit zusammenzuliegen schien. Es ist HEINRICH GUSTAV HOTHO gewesen, der mit der dreibändigen Ausgabe der Vorlesungen über Ästhetik das Beste und Bleibendste vorgelegt hat. Hegel hatte mit dieser Vorlesung auch in den neuen Zusammenhang einer gerade entstehenden Museumssphäre mit einer neuen Archäologie und Kunstgeschichte eingegriffen; so mußten sich die systematischen Ansätze und die Details schnell überholen. HOTHO mußte die Balance halten zwischen der Treue des Bewahrens dessen, was in Manuskripten und Nachschriften überliefert war, und dem Ausgleich mit den neuen Tendenzen der Sammler und Eorscher sowie den eigenen systematisierenden Gedanken. So hatte er einen guten Grund, sich nach Fertigstellung seines Werkes mit seinem Freund, dem Maler und Restaurator CHRISHAN XELLER, durch eine Parisreise zu erholen. Mit eigenen Vorlesungen und Arbeiten hat er dann das Anliegen von Hegels Ästhetik weitergeführt. Als XELLER 1868 beschuldigt wurde, ein Gemälde von ANDREA DEL SARTO durch unsachgemäße Restauration verdorben zu haben, gab es einen öffentlichen Skandal — der Generaldirektor der Berliner Museen v. OLFERS erlitt einen Schlaganfall. Man mußte einsehen: diese Weise, alte Bilder durch Maler restaurieren zu lassen, hatte sich überholt.^ Philosophen sind in diesen Dingen offenbar weniger sensibel. Sie lesen HOTHOS Restaurierung der Hegelschen Ästhetik weithin immer noch so, als hätten sie es unmittelbar mit Hegels Wort zu tun. Als Hegels Schüler BOUMANN 1845 den letzten Band der Ausgabe — die Geistesphilosophie — herausbrachte, gab er ihm den Wunsch mit auf den Weg, Hegels Werk möge „neben den auf denselben Gegenstand sich beziehenden, sehr verdienstvollen Arbeiten von MICHELET, ROSENKRANZ und DAUB einen ehrenvollen Platz behaupten". KARL MARX dagegen betonte, die Hegel-Schüler hätten nur in „Wachs, Gips und Kupfer" 3 Vgl. Pöggeler: Der Philosoph und der Maler: Hegel und Christian Xeller. In: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg, von O, Pöggeler und A. Gethmann-Siefert. Bonn 1983. (Hegel-Studien. Beiheft 22.) 351 ff, vor allem 373 ff.
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abgedrückt, was der Meister in „karrarischem Marmor" gebildet habe.^ Heute müssen wir beides als Hegels Wirkung sehen: die Fortführung der systematischen Arbeit Hegels in den Werken der Schüler und die Restaurierung und Zusammenstellung der Hegelschen Ansätze aus Manuskripten und Vorlesungsnachschriften. Über beidem dürfen wir nicht vergessen, daß Hegels Ansätze sich vielleicht überhaupt nicht zu jenem System synthetisieren lassen, das man den Feinden der Hegel-Schule als uneinnehmbares Bollwerk entgegenstellte. Die produktive Weiterführung von Hegels Anliegen mag eher dort liegen, wo man sich von Hegel trennte — bei DROYSEN, MARX oder KIERKEGAARD und selbst in den späten Vorlesungen SCHELLINGS, der Hegels Drachensaat in Berlin ausreuten sollte. Wenn man Hegels Ansätze nicht voreilig systematisiert, kann in den Lücken, Verschiebungen und Brüchen zutagetreten, was Hegel mit jenen verband, die er (wie etwa die Jenaer „Romantiker") aus dem entscheidenden Wirkungszusammenhang der Zeit hat ausschließen wollen. Als die Schüler, Freunde und Nachkommen des „Verewigten" die Hegel-Ausgabe durch das Supplement der Briefe von und an Hegel abschlossen, hat WILHELM DILTHEY erstmals die Forderung gestellt, Hegels Entwicklungsgeschichte ganz neu aus den nachgelassenen Papieren heraus zu schreiben. DILTHEY begann seine Besprechung der Briefausgabe 1888 aber damit, daß er die sofort nach Hegels Tod erstellte „Gesamtausgabe der Werke Hegels" wegen der „mustergültigen Behandlung der Papiere und Vorlesungen des großen Philosophen" lobte. „Wie diese Schüler von dem Gefühl der geschichtlichen Wirkungskraft des Systems noch ganz erfüllt waren, haben sie ohne schulmeisterliche Pedanterie dem Nachlaß eine Wirkung, die der von Büchern gleich käme, zu geben gewußt. Welchen Kontrast dazu bildet die Art, wie SCHLEIERMACHERS Vorlesungen behandelt worden sind!"^ Dieses Lob schließt nicht aus, sondern ein, daß HOTHOS Restaurierung der Hegelschen Ästhetik für DILTHEY einer vergangenen Periode angehörte: Philosophie wie Kunstgeschichte hatten sich auch dort, wo sie Hegelsche Motive aufnahmen, gegen Hegel und gegen den Hegelianismus gewandt; so mußten neue Versuche einer Ästhetik und Kunstgeschichte ganz anders ansetzen. DILTHEY verglich überhaupt die Destruktion der Metaphysikgeschichte aus seiner In den Vorarbeiten zur Dissertation spricht Marx in diesem Sinn von den Philosophen, die auf Aristoteles folgten, macht aber zugleich den Vergleich mit den Schülern Hegels. Vgl. Karl Marx: Frühe Schriften I. Hrsg, von H.-J. Lieber und P. Furth. Stuttgart 1962. 103 f. 5 Vgl. Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. Band 15. Göttingen 1970. 310 ff. — Zum folgenden vgl. Band 19. Göttingen 1982. 392.
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Einleitung in die Geisteswissenschaften nicht mit Hegels Wissenschaft der Logik oder Hegels Vorlesungen, sondern mit dem genialen Frühwerk, der Phänomenologie des Geistes. Wenn DILTHEY dann selbst begann, die Entwicklungsgeschichte Hegels aus den Papieren neu zu schreiben, ging er zurück zu den Motiven aus Hegels Jugendzeit. Als der Kreis um FRANZ ROSENZWEIG und HANS EHRENBERG die Ideen von 1900 in der Abhebung von den Ideen von 1800 gewinnen wollte, wurde der Blick zum wenigsten auf Hegels Jenaer Entwürfe und Vorlesungsmanuskripte gelenkt. Hegels Vorlesungen über Ästhetik ganz neu aus den kunstwissenschaftlichen Erfahrungen, gesellschaftlichen Wandlungen und philosophischen Fragestellungen seiner Zeit heraus zu verstehen, wurde noch nicht als Aufgabe erfaßt. Es war SCHELLINGS Spätphilosophie, die nun die entscheidenden Anstöße gab. Doch wenigstens ROSENZWEIGS wirkungsmächtige Geschichtsschreibung, Philosophie und Religionsdeutung blieb im Stil eher durch Hegels Vorgehensweise bestimmt.^ Wenn man schon zu den Motiven von Hegels Denken zurückzugehen suchte, mußte man dann nicht auch die Materialfülle neu erschließen, die Hegel in seiner Heidelberger und Berliner Vorlesungstätigkeit entfaltet hatte? GEORG LASSON, Sohn des Hegelianers ADOLF LASSON, suchte die Betreuung der neuen Ausgaben von Hegels Werken zu einer Gesamtausgabe zusammenzuschließen. Er konnte seine editorische Tätigkeit nur neben seinem Hauptberuf als Berliner Pfarrer ausüben. Doch mitten im Ersten Weltkrieg, im Jahre 1917, brachte er den ersten Band einer neuen Edition von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte heraus. Die Ausgabe kam in den Jahren 1919/20 mit drei weiteren Bänden zum Abschluß; dazu trat die zweite vermehrte Auflage des ersten Bandes und eine große Einleitung. Als Hegel im Winter 1830/31 seine Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte zum letzten Mal hielt, hatte er sie gegenüber dem Wintersemester 1822/23, als er sie von der Rechtsphilosophie ablöste und erstmals als eigenen Zyklus vortrug, grundlegend umgestaltet. Er hatte die Freude, daß nun sein ältester Sohn KARL die Vorlesung mithörte und nachschrieb. Die Schüler und Freunde konzentrierten sich bei der Ausgabe dieser Vorlesung auf diesen letzten Vorlesungszyklus und gliederten ihm zusätzliches Material aus früheren Vorlesungen ein. Es war ^ Vgl. die unterschiedlichen Akzentuierungen von Avineri, Pöggeler und Moses in: Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886—1929). Internationaler Kongreß Kassel 1986. Hrsg, von W. Schmied-Kowarzik. Freiburg, München 1988. Band 2. 831 ff.
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großer Nachteil, daß ihm die Nachschrift KARL HEGELS vom letzten Vorlesungszyklus nicht zur Verfügung stand. Indem er das Material zu dieser Vorlesung vor allem dadurch vermehrte, daß er die frühere Nachschriff v. GRIESHEIMS ausbeutete, verdeckte er noch einmal den unterschiedlichen Ansatz der Vorlesungszyklen aus den verschiedenen Semestern. Im Jahre 1925 begann LASSON auch eine neue und stark vermehrte Ausgabe der Vorlesungen zur Religionsphilosophie zu publizieren. Er suchte nun stärker das spezifische Gut der einzelnen Jahrgänge sichtbar zu machen, wollte aber immer noch alle Materialien zu einem Ganzen zusammenfügen. So bekam er erstmals scharfe Kritiken. Als er 1931 auch noch eine Neuausgabe der Vorlesungen über Ästhetik begann, wurde das Unternehmen allerseits als gescheitert angesehen. Inzwischen hatte RICHARD KRONER den jungen Germanisten JOHANNES HOFFMEISTER dafür gewonnen, die noch nicht edierten Jenaer Systementwürfe herauszugeben. HOFFMEISTER setzte diese Arbeit fort, indem er sich jenem Vorlesungszyklus zuwandte, der in der alten Ausgabe besonders kritisiert worden war: den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. War die Aufgabe aber nicht unlösbar, einerseits einen einheitlichen Text zu erstellen, andererseits die unterschiedlichen Ansätze und Details der verschiedenen Vorlesungsjahrgänge anzugeben? HOFFMEISTER mußte mit seiner Arbeit mehrmals völlig neu ansetzen. Als er 1940 den ersten Band seiner Edition herausbrachte, gab er ihm Überlegungen über eine mögliche Methode der kritischen Edition mit auf den Weg. Doch das Unfernehmen war ein Kompromiß geblieben, und so hat es keine Fortsetzung in einem zweiten Band gefunden. Die Jahreszahl 1940 zeigt zudem an, daß die Zeit sich politisch verdüstert hatte und die Schwierigkeiten für eine ruhige geisteswissenschaftliche Arbeit übermächtig geworden waren. RICHARD KRONER war aus der deutschen Universität verstoßen worden. Nach den Pogromen vom November 1938 floh er nach Großbritannien und dann nach Amerika. Er hatte in seinem großen Werk Von Kant bis Hegel die Dialektik als philosophische Methode zu rechtfertigen versucht. In den Erschütterungen der Zeit wurde es ihm aber zweifelhaft, ob diese Dialektik in der Weise zu einem sich in sich schließenden System führen konnte, wie das bei Hegel geschehen war. Hatte Hegel nicht berechtigte Fragen und Antworten in einer methodischen Weise vorgeführt, die bloße Hybris blieb? Die Aufgabe schien nunmehr zu sein, zu Hegels Motiven zurückzugehen und sich durch sie zu anderen Lösungen leiten zu lassen, vor allem zu einer angemesseneren Unterscheidung zwischen Religion und Philosophie. So gab RICHARD KRONER LASSONS
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in Amerika zusammen mit T. M. KNOX, COLLINGWOOD-Schüler im schottischen St. Andrews, eine englische Übersetzung von Hegels Jugendschriften heraus.
Auf diesem Rückgang zu den ursprünglichen Motiven Hegels, die allein noch einen Anschluß an Hegel zu rechtfertigen schienen, mußte der späte Vorlesungsbetrieb Hegels abgewertet werden. So schrieb RICHARD KRONER im Oktober 1944 an T. M. KNOX, in Amerika kenne man Hegel vorzüglich aus den Texten, die aus Vorlesungsnachschriften erstellt worden seien. Zwischen diesen Texten und Hegels eigentlichen Werken gebe es jedoch eine „enorme Kluft". KRONER sagte von den Editionen der Vorlesungen Hegels: „AUe seine wirklichen authentischen Schriften sind tiefer, subtiler und feinsinniger als diese Texte. Nun leuchtet es natürlich ein, daß ein Lehrer kein Autor ist, daß er sich dem Niveau seiner Hörer anpaßt, daß er pädagogisch verfährt usw.; dabei ist es begreiflich, daß er in seinen Vorlesungen sich so ausdrückt, wie er nie schreiben würde. Daher ist Hegels Religionsphilosophie sehr viel einfacher und sogar bisweilen flach und ungeschliffen-grob im Vergleich mit seinen sonstigen Äußerungen über die Materie."^ Für die Auseinandersetzung mit Hegel kann der Rückgang auf Hegels ursprüngliche Motive, wie sie die Manuskripte aus Hegels Jugendzeit zeigen, aber sicherlich nicht allein maßgeblich sein; berücksichtigt werden muß, was Hegel nach langen Überlegungen und mit guten Argumenten vorgetragen hat. Es sind überdies nicht zuletzt die Vorlesungen gewesen, in denen Hegel experimentiert und neue Versuche erprobt hat. Diese Arbeit bleibt wichtig, wenn sie auch durch noch so viele didakhsche Rücksichten in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt war. JOHANNES HOFFMEISTER hat nach dem Zweiten Weltkrieg die editorische Arbeit mit einer „Neuen Kritischen Hegel-Ausgabe" auf ein höheres Niveau führen wollen. Er hat früheren Editionen Wichtiges hinzugefügt, zum Beispiel die neue Ausgabe der Briefe von und an Hegel. Als er 1955 mit 47 Jahren starb, wurde die Ausgabe der Berliner Schriften gerade fertig. Wenn man dieser editorischen Arbeit gerecht werden wül, muß man berücksichtigen, unter welchen ümständen sie getan wurde. Die Diktatur und der Krieg erschwerten die Arbeit in den Bibliotheken und Archiven oft bis zur Unmöglichkeit. Wie die sonstigen Arbeitsbedingungen waren, wird unmittelbar klar, wenn man die Kopie eines kleinen Hegelschen Textes in den Händen hält: die erste Seite ist kopiert, der Textrest ^ Vgl. Walter Asmus: Richard Kroner (1884—1974). Ein Philosoph und Pädagoge unter dem Schatten Hitlers. Frankfurt a. M. 1990. 141.
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auf der zweiten Seite wurde von HOFFMEISTER aus Gründen der Gelderspamis mit der Hand abgeschrieben. Die Berliner Schriften mußten dreimal gesetzt und durchkorrigiert werden, da die ersten Ansätze in den Kriegs- und Nachkriegswirren wieder vernichtet wurden. Als dieser Band erschien, waren viele der benutzten Materialien bibliothekarisch nicht mehr verfügbar. HOFFMEISTER glaubte aber, daß die editorische Arbeit an Hegels Druckschriften und Manuskripten im wesentlichen getan sei. Er setzte in seinen letzten Lebensjahren alle Kraft daran, die Vorlesungen mit Hilfe von Mitarbeitern zu edieren; für diesen Versuch konnte er auch die HUfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewinnen. Als HOFFMEISTER Hegels Rechtsphilosophie herausgab, nahm er Hegels Vorlesungsnotizen zum Drucktext hinzu; jene Zusätze aber wurden entfernt, die in der alten Ausgabe durch GANS aus Vorlesungsnachschriften von HOTHO und v. GRIESHEIM ausgezogen und den Paragraphen beigegeben worden waren. Diese Zusätze geben in treffsicherer Auswahl wichtige Ausführungen Hegels wieder, entstellen gelegentlich aber Hegels Gedanken völlig. So wurde damals schon gezeigt, daß der „bekannteste Satz aus dem pädagogischen Gedankenkreis Hegels" ein solcher entstellter Zusatz ist: „Die Pädagogik ist die Kunst, die Menschen sittlich zu machen." GANS hat hier eine Passage aus der Vorlesungsnachschrift V. GRIESHEIMS durch Verkürzung und durch einen neuen Anschluß so verändert, daß eine letztlich absurde Formulierung entstand. Aus HoTHOS Nachschrift wurde eine Stelle über die „Zucht" bei der Erziehung so redigiert, daß nur Empörung über das angeblich von Hegel Gesagte übrigbleiben kann.® Die Aufgabe blieb, die Nachschriften auf Hegels Kompendium und auf die Vorlesungsnotizen neu zu beziehen. Die Nachschriften v. GRIESHEIMS und HOTHOS waren fertig transkribiert worden, so daß der Verlag die Publikation ankündigen konnte. Ebenso wurde die Nachschrift HOMEYERS, die mit Diktaten Hegels ja eine frühe Form der Rechtsphilosophie enthält, aufgearbeitet und von mehreren Seiten aus benutzt (sie ist ja keineswegs erst nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt, sondern zum Beispiel schon von GERHARD DULCKEIT 1936 in seinem Buch Rechtsbegriff und Rechtsgestalt herangezogen worden). Bei der Philosophie der Weltgeschichte waren die wichtigsten Nachschriften v. GRIESHEIMS und KARL HEGELS transkribiert und mit anderen Nachschriften kollationiert worden; so wurde sichtbar, wie anders Hegel zu Anfang und am Ende dieses Vorlesungszyklus' ansetzte. Ähnliches galt für die Religionsphilosophie und die Ästhetik. * Vgl. Friedhelm Nicolin: Hegels Bildungstheorie. Bonn 1955. 161 ff, 67 f.
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Als HOFFMEISTER plötzlich starb, ging es darum, sein großes Projekt fortzuführen. Trotz erster Zweifel an der Haltbarkeit des Erreichten durfte darauf hingewiesen werden, daß HOFFMEISTER die kritische Edition der Druckschriften und Manuskripte im wesentlichen für abgeschlossen ansah. Doch auch der zweite Teil der kritischen Ausgabe, die Vorlesungsedition, war schon weit gefördert worden. So war die Prognose durchaus fundiert, wenn ein Bericht von 1956 von der noch verbleibenden Vorlesungsedition sagte: „Diese bereits überall angegriffene, im wesentlichen aber noch auszuführende Aufgabe bildet also, wenn man so will, den zweiten Abschnitt der Neuen Kritischen Hegel-Ausgabe und wird — kontinuierliche Arbeit vorausgesetzt! — in sechs bis acht Jahren zu bewältigen sein." Eine revidierte Ausgabe der Jugendschriften, die sich auf NOHL stützte, war im Satz. Die Jenaer Systementwürfe und die Phänomenologie des Geistes waren schon einmal gedruckt worden; das Manuskript der Heidelberger Schriften mit den Vorlesungsnotizen lag fertig vor. 9 Es ist bekannt, daß Hegels Frühe Schriften dann völlig neu erschlossen wurden, daß selbst die Chronologie der Jenaer Entwürfe umgestülpt und neu nach den Wandlungen der Idee der Phänomenologie gefragt wurde. Symptomatisch mag sein, daß der Bruch mit der alten Konzeption sich an der Enzyklopädie vollzog. Beim Verlag lag eine fertige Edition, welche Varianten der Ausgabe von 1827 in die Ausgabe von 1830 einfügte. Eine Nachprüfung zeigte, daß damit eine unhaltbar subjektive, ja irreführende Selektion zustandegekommen war. Beim Versuch, den kritischen Apparat zu ergänzen, mußte schließlich der Entschluß gefaßt werden, beide Auflagen in einer kritischen Ausgabe gesondert darzubieten und die Abweichungen durch editorische Hilfen aufzuweisen. Heute fragt man sich, in wieviel Jahren wir die Edition der Heidelberger Auflage der Enzyklopädie von 1817 mit den zugehörigen Vorlesungsnotizen, die HOFFMEISTER 1955 fertig zu haben glaubte, bekommen werden. Vor die größten Schwierigkeiten mußte der Versuch stellen, die Vorlesungsedition weiterzuführen. War das, was HOFFMEISTER 1940 schließlich für die Geschichte der Philosophie erreicht hatte, eine Grundlage für die weitere Arbeit oder nur ein Kompromiß zwischen unterschiedlichen Motiven? Ließen sich von dem Vorlesungstyp her, dem Hegel bei der Geschichte der Philosophie gefolgt war, auch andere Vorlesungen (wie jene ® Vgl. Friedhelm Nicolin: Die Neue Kritische Hegel-Ausgabe. In; Johannes Hoffmeister zum Gedächtnis. Hrsg, von F. Nicolin und O. Pöggeler. Hamburg 1956. 31 ff. — Zum folgenden vgl. Friedhelm Nicolin: Die neue Hegel-Gesamtausgabe. Voraussetzungen und Ziele. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 295 ff.
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über Logik und Metaphysik oder über die Weltgeschichte) verstehen? Wenn schon die Edition der Druckwerke und Manuskripte zu ungeahnten neuen Problemen führte, so war das Anlaß genug, die Vorlesungsedition zuerst einmal zurückzustellen. Konnte man überhaupt den forschungsfördernden Instanzen empfehlen, den Satz der „Jugendschriften" zu verwerfen, die frühere editorische Arbeit an den Jenaer Systementwürfen und der Phänomenologie des Geistes ganz neu zu beginnen, angeblich fertige Manuskripte zur Enzyklopädie zurückzuziehen? Eine neue Planung konnte durchaus von einem Gutachter in der amtlichen Funktion der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Hinweis abgelehnt werden, man solle die „Jubiläumsausgabe" HERMANN GLöCKNERS als Neuauflage und Neuordnung der alten Ausgabe zum Hauptbestandteil einer neuen Ausgabe nehmen und dann um Einzelstücke wie die Jugendschriften, die Jenaer Entwürfe und Zusätze aus Vorlesungsmaterial erweitern. Diese Jubiläumsausgabe war durch ein Hegel-Lexikon ergänzt worden und sollte in dieser Form das Corpus Philosophiae Hegelianae darstellen. Sie war das auch in einem genaueren wörtlichen Sinn, als unterstellt wurde — nämlich als ein Corpus hegelianischer, aber nicht Hegelscher Philosophie. Würde dieses Corpus historisch-kritisch aufgearbeitet und auf seinen spezifischen Ansatz zurückgeführt, dann hätte es eine bleibende Bedeutung. Die Weise, wie die Rechtsphilosophie durch GANS mit Zusätzen aus Vorlesungsnachschriften erweitert wurde, hat nicht nur KARL MARX und seinen Zeitgenossen, sondern auch den Neuhegelianern unseres Jahrhunderts den maßgeblichen Hegel-Text geliefert. HOTHOS Redaktion der Ästhetik hat ihren unverlierbaren Wert eben deshalb, weil sie eine Umformung dessen ist, was Hegel wirklich vorgetragen hat.^o Doch muß sich unser heutiger Umgang mit Hegel von der Weise unterscheiden, wie seine Schüler die Philosophie ihres Lehrers fortführten. Auch wird niemand mehr die Standards akzeptieren, mit denen um 1955 die „Neue Kritische Hegel-Ausgabe" vollendet werden sollte. Die Auseinandersetzung mit Hegel konnte selbstverständlich nicht warten, bis eine langfristig angelegte historisch-kritische Edition alle Felder des Hegelschen Werkes erreicht hatte. So sind die einzelnen Nachschriften von Hegels Vorlesungen ediert und auch leidenschaftlich diskutiert worden. Man kann in der Freundschaft des jungen Hegel mit HöLDERLIN Motive finden, die erst in unserem Jahrhundert zur Ausbil10 Zum einzelnen vgl. Pöggeler: Das Hegelwerk Hermann Glöckners. In: Philosophische Rundschau. 8 (1960), 28 ff.
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düng kamen. Hegels Phänomenologie des Geistes mag aus den philosophischen und literarischen Eruptionen in Jena Konsequenzen gezogen haben, die über das hinausweisen, was Hegel mit seiner Schule in Berlin philosophisch verwirklichte. Wenn Hegels Philosophie als Auslegung des europäischen Weges in einer Umbruchszeit und so als Hermeneutik unserer modernen Welt genommen werden soll, dann muß die Auseinandersetzung mit jenen Systematisierungen gesucht werden, die Hegel nicht zuletzt in seinen Heidelberger und Berliner Vorlesungen darlegte. Was eine junge Generation sich von dem Philosophen der Reformuniversität Berlin erwartete, hat beispielhaft für viele andere der Doktorand WILHELM VATKE 1830 gegenüber GEORG VATKE formuliert: „Die Hegelsche Philosophie hat a priori gefunden, was das Christentum und die Weltgeschichte a posteriori gibt..." Es hieß Abschied nehmen von so vielem, was überliefert war; doch zugleich sah die „Sehnsucht" sich gestillt: „Du wirst es wahnsinnig finden, wenn ich Dir sage, daß ich Gott von Angesicht zu Angesicht schaue, und dennoch ist es so . . . Alle Wissenschaften sind mir verklärt und durchsichtig; ich weiß, was die Geschichte wUl, ich weiß, wie die Kunst sich gestaltet, wie Religion sich hinzaubert . . . "11 Hegel stand in Berlin nicht allein; er hatte sich zu behaupten gegen so bedeutende konkurrierende Gestalten wie SCHLEIERMACHER und SAVIGNY. Bald wurde die spekulative Philosophie überhaupt abgelöst durch eine einzelwissenschaftliche Arbeit, deren geisteswissenschaftlicher Teil von Hegel selbst noch maßgeblich angestoßen worden war. RUDOLF VIRCHOW konnte im Bewußtsein des Sieges in seiner Berliner Rektoratsrede von 1893 auf den einstigen Aufstieg Hegels zurückblicken. Bei seinem jähen Tode 1831 habe der Philosoph einen „förmlichen Generalstab geschulter Jünger" hinterlassen. „Nichts schien fester gefügt zu sein, als diese in sich geschlossene Schule. Theologie und Jurisprudenz, Staatswissenschaft und Ästhetik waren in Hegelsche Sprache und Anschauung übertragen; nur in der Medizin und den Naturwissenschaften beschränkte sich die Invasion auf einzelne Vertreter. Obwohl der Meister fehlte, erhielt sich der Nimbus noch ein volles Jahrzehnt, man kann sagen, bis zum Tode König FRIEDRICH WILHELMS III., vorzugsweise getragen durch die Gunst des Ministers ALTENSTEIN, der selbst ein begeisterter Hegelianer war. Aber in keinem der Schüler fand sich die schöpferische Initiative, auch nicht die schwärmerische Begeisterung, welche große Kreise Jürgen Gebhardt zitiert den Brief im Zusammenhang einer Darstellung der damaligen „Konversionen" zu Hegel: Politik und Eschatologie. München 1963. 53.
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von Menschen bewegt. . . Doch VIRCHOW sagt nur die halbe Wahrheit. Gegner Hegels wie MARX, KIERKEGAARD und DILTHEY nahmen Hegels Anliegen in verwandelter Weise auf, und so begleitete Hegels Philosophie Europa auch in seine große Krise und Katastrophe im 20. Jahrhundert. Zum Versuch, diese Geschichte eines Untergangs in einen Übergang zu Neuem zu wenden, gehört die Auseinandersetzung mit Hegel. Niemand hat daran gedacht, bei einer bloßen Edition von Nachschriften der Vorlesungen Hegels stehenzubleiben. Die Edition sollte Vorbereitung sein für einen künftigen großen Kommentar, das kommentierende Philosophieren sollte freiwerden für einen Ansatz, der in eine andere Zukunft führt. Blickt man zurück auf diese Bemühungen, dann findet man nur fragmentarische Editionsansätze; schon die Kommentare bheben aus. Innerhalb der Edition wurden jene Fragen gar nicht erst im Zusammenhang diskutiert, an denen JOHANNES HOFFMEISTER bei seinem Versuch gescheitert war, eine Gesamt-Edition der Vorlesungen auf den Weg zu bringen. Natürlich kamen auch andere Projekte nicht zum Ziel, weil sich auch dort ungeahnte Schwierigkeiten und die Notwendigkeit langfristiger und differenzierter Arbeit meldeten — etwa die Rekonstruktion von Hegels Bibliothek, die Sammlung und Erläuterung wichtiger Dokumente zur Geschichte des Nachlasses, die Aufhellung der KANX-Rezeption im Tübinger Stift^^. In jedem Fall fielen die unterschiedlichen Ansätze zur Vorlesungs-Edition zurück in jene Fülle von Ansätzen zur Hegel-Edition, wie die letzten hundert Jahre seit DILTHEYS Hinweis auf den Hegel-Nachlaß sie gebracht haben. Man kann die einzelnen nur bedauern, die oft eine Lebensarbeit einbrachten, aber isoliert voneinander blieben, ja oft eher gegeneinander als miteinander arbeiteten. Es verwundert nicht, daß ein großes Feld von Fragmenten, Trümmern und vergeblichen Versuchen der Zusammenfassung blieb. Wer in diesem Bereich etwas aufbauen will, sollte sich auf das Vollendbare beschränken und dafür die geeignete Arbeitsweise suchen. Für den Versuch einer Edition von Hegels Gesammelten Werken war in jedem Fall auch organisatorisch ein neuer Ansatz erforderlich, der nun auf die Vorlesungsedition auszudehnen ist. n Vgl. Idee und Wirklichkeit einer Unwersität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin. Hrsg, von Wilhelm Weischedel. Berlin 1960. 419 ff. n So stehen die Beihefte 5 und 9 mit der kommentierten Wiedergabe des Verzeichnisses von Hegels Bibliothek und dem Briefwechsel zwischen Rosenkranz und Karl Hegel über Hegels Nachlaß noch aus, ebenso die Edition des Diez-Nachlasses, die vor zweieinhalb Jahrzehnten erscheinen sollte, vgl. Hegel-Studien. 3 (1965). 276 ff.
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II. Der neue Ansatz Im Sommer 1826 sagte Hegel seinen Studenten in seiner Vorlesung über Ästhetik, er würde, wenn er Präsident der Akademie wäre, Monumenta Nationum sammeln. Was Hegel bei der Berufung nach Berlin versprochen bekommen hatte, hatte der Minister (bald der einzige verbleibende Reformer unter seinen Kollegen) seinem Philosophen nicht gewähren können: einen Sitz in der Akademie, wenn nicht gar das Präsidium dort. So polemisierte Hegel vergeblich gegen eine allzu nationalhistorische Beschränkung wichtiger Forschungsarbeit. In diesem Jahre 1826 erschien nach langer Vorbereitung mit fast 700 Folioseiten der Band Sciptores I der Monumenta Germaniae Historica. Hegel ahnte Schlimmes; doch diese Pointe von Hegels Bemerkung ist dem Nachschreiber v. GRIESHEIM entgangen; sie hat auch keinen Eingang in HOTHOS Edition der Ästhetik gefunden. Für die wirklich erscheinenden Monumenta hatte der Freiherr VOM STEIN entscheidende Impulse gegeben; inzwischen waren über 400 Subskribenten für die Ausgabe gewonnen worden. Wenn der König von Großbritannien-Hannover 24 Exemplare gezeichnet hatte, der König von Preußen 12, der Kaiser von Österreich ein Exemplar, dann spiegelte diese Liste Vorbehalte METTERNICHS wider. Hegels Protest folgte weder den Motiven STEINS noch den Motiven METTERNICHS. In seinen Ausführungen über die große Epik der Völker stellt er einer angeblich drohenden Beschränkung auf das Mittelalter oder gar auf die eigene Nationalgeschichte die universale Beschäftigung mit den Epen der Inder und der Griechen, mit der Bibel und den mittelalterlichen Sagenkreisen bis hin zu den Werken von TASSO und CAMOES entgegen. Sieht man auf die Geschichte der Monumenta Germaniae Historica, dann hat sich dort eine national motivierte Verengung nicht durchgesetzt. Vielmehr lehrt diese langfristige Großedition eher, daß es dem Wissenschaftler — wie MAX WEBER festhielt — um eine Konjektur gehen müsse, als stehe das Heil der Seele auf dem Spiel. Seit den Rom-Aufenthalten von WINCKELMANN und HUMBOLDT entfaltete sich der Impuls, die archäologische Arbeit institutsmäßig zusammenzufassen. Hier konnten sich auch die Inschriften-Unternehmen als langfristige Großprojekte anschließen. Das 19. Jahrhundert errichtete den Dichtern der gerade abgeVgl. Pöggeler: Preußische Kulturpolitik im Spiegel von Hegels Ästhetik. Opladen 1987. 9 ff. 15 Vgl. den Festvortrag zur 150-Jahr-Feier der Monumenta von Horst Fuhrmann: Die Sorge um den rechten Text. In: Archiv für Erforschung des Mittelalters. 25 (1969), 1 ff. — Zum folgenden vgl. Geisteswissenschaß als Aufgabe. Hrsg, von H. Flashar, N. Lobkowicz, O. Pöggeler. Berlin, New York 1978.
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laufenen Zeit bald seine Denkmäler. SCHILLERS Geburtshaus in Marbach konnte identifiziert und zu einer Gedenkstätte umgewandelt werden. So kam es dahin, daß heute große Literaturarchive in Marbach, Wolfenbüttel und Weimar zusammen mit der Hochschulgermanistik das literarische Erbe betreuen. Die Germanistik ist aber nicht zu einer universalen Philologie geworden, die sich auch Philosophen wie KANT oder Hegel zuwendet (wie das die Altphilologie gegenüber PARMENIDES oder PLATON selbstverständlich tut). So blieb die Frage, wer sich denn eigentlich um die Nachlässe der großen Philosophen zu kümmern habe, wenn die Kraft der Familien oder auch der „Freunde des Verewigten" nicht mehr ausreicht. Es ist WILHELM DILTHEY gewesen, der mit der entwicklungsgeschichtlich angelegten KANT-Ausgabe das Modell der Ausgabe eines Philosophen durchgesetzt hat, der zum Klassiker wurde. DILTHEY, universal an der Geistesgeschichte interessiert, hat 1889 auf der Gründungsversammlung einer „Gesellschaft für Deutsche Literatur" dazu aufgerufen, „Archive der Literatur" zu schaffen. Da ihm bekannt war, daß Papiere KANTS von einem Krämer zum Einwickeln von Heringen benutzt worden waren, hat er im selben Jahr in einem zweiten Aufsatz die Bedeutung dieser Archive „für das Studium der Geschichte der Philosophie" herausgestellt. WILHELM DILTHEY konnte wenigstens die ersten Teile der KANT-Ausgabe noch durch eine lockere Kooperation von Ordinarien fertigstellen, die sich weniger Hilfskräfte bedienten. Das ist ein Verfahren, das heute kaum mehr zum Erfolg führt. Die projektierten Archive der Literatur können im Falle Hegels nicht mehr helfen, da der Besitz von dessen Nachlaß bei Personen und Institutionen fixiert ist, deren große Zahl nur schwer festzustellen ist. So konnte DILTHEYS Konzeption nur in gewandelter Form aufgenommen werden.Das Ziel war also, mittels eines „Archivs" im Sinne eines kleinen Instituts eine neue Hegel-Ausgabe zustandezubringen. Die Skandalgeschichte des Weimarer NIETZSCHE-ATchivs konnte hier freilich schrecken; doch hatte das HussERL-Archiv in Leuven gezeigt, daß man in finstersten Zeiten einen Philosophennachlaß retten und dann der Öffentlichkeit vorlegen kann. Ging es nicht darum, in einer Zeit weiterer Bedrohungen und vielleicht in letzter Stunde eine wertvolle Überlieferung in geordneter Form für künftige Zeiten zu bewahren?
1'’ Vgl. Pöggeler: Das Wort Hegels, publiziert von Herman Nohl in seiner Zeitschrift: Die Sammlung. 11 (1956), 370 ff.
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Das Philosophieren lebt davon, daß es mit der Tradition bricht, sich in der Absetzung aber auch von der Tradition führen läßt und sie weiterträgt. Sieht man nicht auf begrenzte Einzeldisziplinen, sondern auf das Ganze, dann kann das Philosophieren keine Abgeschlossenheit beanspruchen. Es muß entscheidende Fragen offenlassen, sich jeweils an seinem Ort in einen weitergehenden Prozeß einfügen. Gerade deshalb können „Klassiker" das Philosophieren stabilisieren; in ihrer Vorbildlichkeit zeigen sie uns etwas Überlegenes und Bleibendes, sei es dadurch, daß sie immer wieder mögliche Antworten für bestimmte Fragen gefunden haben, sei es dadurch, daß sie wichtige Fragen wachhielten und uns lehren, diese Fragen besser zu stellen. Mit dem Ganzen ihres Philosophierens blieben auch die Klassiker freilich ihrer Situation verhaftet, die nicht mehr die unsrige ist; doch Vielperspektivität gehört zum Philosophieren, Die Tradition kann in durchaus unterschiedlicher Weise fortgeführt werden. PLATON wurde umgebildet, als der Sackträger AMMONIOS ihn in Alexandrien und PLOTIN ihn in Rom auslegte; ARISTOTELES wurde in Übersetzungen geltend gemacht im arabischen, hebräischen und lateinischen Mittelalter. MEISTER ECKHARTS deutsche Predigten wurden aus Nachschriften rekonstruiert. Inzwischen ist uns von Fiegel bis HEIDEGGER ein jüngstes philosophisches Erbe zugewachsen, das in vielem eine besondere Nähe zu unseren Fragen zeigt; aber auch hier kann Hegel gegenüber kein unmittelbares Anknüpfen mehr stattfinden, also kein Hegelianismus beansprucht werden. Für eine distanzierte Rezeption fehlen aber noch die einfachsten Hilfsmittel — für die Philosophie jener Zeit um 1800, die auch philosophisch eine „Sattelzeit" war, etwa ein Hilfsmittel, wie es das KnrELsche Wörterbuch zum Neuen Testament es ist. Die erste Aufgabe bleibt jedenfalls die Sicherung der Texte. Der Versuch, das geistige Erbe in historisch-kritischen Gesamtausgaben zu bergen, muß seinerseits historisch-kritisch an einer bestimmten geschichtlichen Stelle verortet werden. Hegel ist allenfalls in seinen HAMANN- und SoLGERdarstellungen von seiner Grundauffassung abgewichen, daß nur die Geschichte des Geistes im ganzen zähle und die Konzentration auf die individuelle Entwicklung — wie in SCHLEIERMACHERS PLATON-Forschung oder gar in SCHLEGELS Philosophischen Lehrjahren— ein falscher Weg sei. In der Tat hat der Versuch, die Ausbildung einer philoVgl. Wolfgang Kluxen: Der Geist lebt vom Buchstaben. Über Texte und Texteditionen als Träger geschichtlicher Kontinuität der Philosophie, ln; Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. 1980. 7 ff. Vgl. dort auch die anderen einschlägigen Aufsätze, besonders zur Edition von Vorlesungsnachschriften.
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sophischen Logik auf dem Weg von KANT ZU FICHTE, von FICHTE ZU SCHELLiNG und dann zu Hegel aus der Notwendigkeit der Sache zu begreifen, sein eigenes Recht. Damit aber wird die stärkere Individualisierung durch die Ausrichtung auf entwicklungsgeschichtlich angelegte Betrachtungen und Gesamtausgaben nicht ausgeschlossen. Diese langsam erwachsene Tendenz meldete sich ja keineswegs nur im philosophischen Bereich; sie war dort nicht einmal primär angesiedelt, sondern kam eher von den Bemühungen um das Erbe der Dichter her. Im Bereich der Musikgeschichte konnte man in den fünfziger Jahren das Wort von der „Stunde der Gesamtausgabe" prägen. Diese Stunde mit der verstärkten Ausrichtung auf den Weg eines Komponisten erschien einerseits als eine neue Stunde, andererseits mit der Rettung der vielfach bedrohten Manuskripte in einer Ausgabe als eine letzte mögliche Stunde. Die große deutsche Überlieferung der Philosophie und der Musik einer internationalen Öffentlichkeit in neuer Form vorzulegen, das war zugleich ein erstes Angebot der deutschen Forschung, in den Bemühungen der anderen Nahonen wieder mit dem eigenen Erbe dabei zu sein. Es bleibt darüber hinaus unverkennbar, daß andere Länder diese konzentrierten Bemühungen um das geistige Erbe nicht in gleicher Weise kennen. So konnte YEHUDI MENUHIN 1975 in einem Grußwort zu der Darstellung „Musiker-Gesamtausgaben in der Bundesrepublik Deutschland" sagen, daß diese Arbeit an einem unverlierbaren Erbe vor allem eine Aufgabe der Deutschen sei und nach der Lage der Dinge auch in Deutschland getan werden müsse.Daß diese Bemühungen in einem zerstörten Land nur noch im geringen Maße an alte Traditionen anknüpfen konnten, zeigt sich schon in der Ansiedlung der Ausgaben: Die BEETHOVEN-Ausgabe in Bonn kann sich dem neu ausgestalteten BEETHOVEN-Haus verbinden, die BACH-Ausgabe in Göttingen an alte Bemühungen um Barockmusik anknüpfen, die HAYDN-Ausgabe in Köln bleibt ohne unmittelbare traditionelle Anknüpfung dort. Ähnliches gilt auf philosophischem Gebiet, wo zu den Ausgaben der Werke von NIKOLAUS VON KUES, LEIBNIZ und HUSSERL die Ausgaben der großen Philosophen des Deutschen Idealismus — FICHTE, FRIEDRICH SCHLEGEL, HEGEL, SCHELLING und schließlich auch JACOBI - traten. Als man die Berliner Akademie um Hilfe für HOFFMEISTERS Fortführung der Arbeit LASSONS gebeten hatte, erklärte HEINRICH MAIER (als Philosoph und Akademie-Mitglied zuständig): „Ja, wenn es mit dem Hegel nicht so bald Vgl. Musikalisches Erbe und Gegenwart. Hrsg, von Hanspeter Bennwitz u. a. Kassel, Basel, Tours, London 1975. VII.
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zum Sterben gekommen wäre, dann wäre er sicher auch noch Mitglied der Akademie geworden, und dann könnten wir etwas für ihn tun."^^ Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich die neue Editionskonzeption mit den forschungsfördernden Organisationen nur durchsetzen, indem man zugleich die Wahrheit, die nach Hegel in der Macht (der geschichtlichen Tendenzen) liegt, gegen uneinsichtige Planungsvorgaben wirken ließ. In welchen Institutionen konnten die neuen Gesamtausgaben, die ja nicht mehr Arbeitsvorhaben einzelner waren, angesiedelt werden? Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat in ihrem Bericht für 1969 geschrieben: „Forschungsplanung, ein im Vokabular der Forschungsgemeinschaft während einer ganzen Epoche nahezu verfemter Begriff, wurde zur unausweichlichen Verpflichtung." Doch ging es nicht nur um Planung, sondern um die Ausbildung einer neuen Infrastruktur für das, was sich im Bereich der Forschung und der angewandten Forschung entfaltete. Erst 1971 hat die DFG einen Ausschuß zur Beobachtung jener „materialerschließenden langfristigen Projekte" eingesetzt, die sich vor allem in den Geisteswissenschaften unter der Hand gebildet hatten (Editionen, Corpora, Reallexika, Wörterbücher verschiedenster Art). Da man in den folgenden Jahren sogar den jungen Wissenschaftler als einen Menschen anzusehen begann, dem bestimmte Rechte zukommen, komplizierten die sozialrechtlichen Implikationen die Arbeitsverhältnisse erheblich. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (aus einer Notgemeinschaft der Wissenschaft erwachsen) hätte den Typ langfristiger Projekte nur bei sich behalten können, wenn sie ihre Satzung geändert und langfristige Arbeitsverträge ermöglicht hätte. Da die Aussichten für eine solche Änderung schwach waren, mußten Alternativen gesucht werden. Schon der Forschungsbericht IV der Bundesregierung von 1972 wies die Betreuung der Editionen den Akademien zu, die dafür in Kooperation treten und für alle Bundesländer sprechen mußten. Eine andere Möglichkeit wäre ein stärkeres Engagement des Bundes gewesen, bei dem sich inzwischen eine neue Großforschung entwickelt hatte. Nach 1945 hatten ADENAUER und HEISENBERG sowieso, allerdings vergeblich, eine solche Konzentration der Forschung gewünscht und es nicht für zulänglich gehalten, die Selbstverwaltung der Universitäten und Forschungseinrichtungen nur durch den Überbau des privaten Vereins der Deutschen
Vgl. den Bericht von Felix Meiner, in: Johannes Hoffmeister zum Gedächtnis (siehe Anm. 9). 51.
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Forschungsgemeinschaft zu stärken.20 Der Artikel 91 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland regelt das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Falle eines Notstandes. Dieser Artikel bekam 1969 einen Teil b, der es gestattet, unter den Gemeinschaftsaufgaben des Bundes und der Länder auch ein Akademienprogramm auszuweisen. Die Hegel-Ausgabe konnte auf diesem Feld ein Pilotprojekt sein: seit 1967 begannen die Vorverhandlungen, diese Edition der Düsseldorfer Akademie (die damals nur erst als Arbeitsgemeinschaft für Forschung existierte) und einer Rheinisch-Westfälischen Universität zu übergeben. Später wurde gemäß den Listen, die von der Forschungsgemeinschaft mit der entsprechenden Bund-Länder-Kommission ausgearbeitet wurden, eine Fülle von langfristigen Projekten in die Obhut der Akademien überführt. Vielerlei Diskussionen hatten schließlich zu einem Konsens geführt. Innerhalb der Betreuung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften trat die Hegel-Edition neben andere geisteswissenschaftliche Projekte — etwa neben die Acta Pacis Westphalicae, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Bemühungen um einen Frieden durch die Aufarbeitung früherer Friedensverhandlungen hatten unterstützen sollen. Die Düsseldorfer Akademie betreibt - anders als die weiter ausgebaute, ältere Münchener Akademie — Forschungsprojekte nicht in eigener Verwaltung, nur in Zusammenarbeit mit anderen Trägern. Dieser Träger wurde bei den Hegel-Editionen die Ruhr-Universität Bochum, die damals als Neugründung neben die drei anderen Landes-Universitäten trat. Was Bonn, Köln und Münster mit dem KANT-Archiv, dem THOMAS-Institut und dem HussERL-Archiv, der LEiBNiz-Forschungsstelle besaßen, sollte die Ruhr-Universität im Hegel-Archiv erhalten. Seit 1958 war das Hegel-Archiv eine Forschungsstelle, die in Bonn von der Ar-
20 So mußte 1973 mein Bericht Die Förderung der Editionen durch die DFG. Entwicklungen und Möglichkeiten eine andere als die Akademielösung noch offenlassen, während Günther Bren-
ner gerade unter Hinweis auf die Absprachen für die Hegel-Ausgabe für die Akademielösung plädierte. Vgl. Philosophisches Jahrbuch. 80 (1973), 11 ff, 24. Vgl. auch meinen Rückblick Die historisch-kritische Edition in der Wissenschaßsorganisation. In: Buchstabe und Geist. Zur Überlieferung und Edition philosophischer Texte. Hrsg, von Walter Jaeschke u. a. Hamburg 1987. 27 ff. Vgl. ebenda Günther Brenner: Akademienprogramm - Die Lage der Editionen nach der Überleitung. 39 ff. 21 Vgl. z. B. Hermann Lübbe: Philosophische Editionen — kulturpolitisch von hohem Rang, loissenschaßspolitisch ohne Präferenz. In: Wirtschaft und Wissenschaft. 2/1976, 2 ff; Hermann Krings: Wohin mit den Editionen? Zur Lage der langfristigen Forschungsvorhaben im Bereich der Geisteswissenschaften. In: Geisteswissenschaß als Aufgabe (siehe Anm. 15). 54 ff; Wolfgang Kluxen (siehe Anm. 17). Zu den übergreifenden Gesichtspunkten vgl. Otto Pöggeler / Heinz Breuer: Fragen der Forschungspolitik. Opladen 1980.
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beitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen unterhalten wurde; 1968/69 wurde das Archiv nach Bochum verlegt. Auch für die Hegel-Edition war zu entscheiden, ob sie nur dem Bereich der Forschung zugewiesen werden sollte (wie es der Tendenz bei den Musiker-Editionen entsprach), oder ob sie auch mit der Lehre der Universität verbunden werden konnte. Mit der Einbindung des Hegel-Archivs in die Ruhr-Universität wurde der zweite Weg, der ja auch eine zusätzliche Belastung darstellt, gewählt. Die Konsequenz war, daß nicht nur Dissertationen, sondern seit der Institutionalisierung in Bochum acht Habilitationen von Mitarbeitern dort oder an anderen Universitäten die weitere Entfaltung des Projektes mittrugen. Die Zahl der auswärtigen Gäste, die langfrishg blieben und nicht nur kurzfristig zur Einsichtnahme in diesen oder jenen Teil der editorischen Arbeit kamen, ist seit langem meist mehr als ein Dutzend. Diese Einbettung der Edition in die Eorschung und Lehre einer Universität war aber das Ziel. Was man damals Universitätspolitik nannte, verlangte Satzungsentwürfe; aus der heute nicht mehr feststellbaren Zahl dieser Entwürfe, die ja längst zum Altpapier gewandert sind, gibt ein Bericht von 1970 den „§ 2, Absatz 1" folgendermaßen wieder: „Das Hegel-Archiv hat die Aufgabe, a) alle Voraussetzungen zu schaffen für die kritische Ausgabe von G. W. E. Hegels Werken, b) alle Schriften Hegels, Photographien seiner Manuskripte sowie der Nachschriften seiner Vorlesungen, gegebenenfalls auch Originalmanuskripte, ferner die von Hegel benutzte Literatur und die Literatur über Hegel zu sammeln und zu ordnen, c) die Hegel-Forschung durch eigene Arbeiten zu fördern, d) Möglichkeiten zur Koordinierung der Hegel-Forschung zu bieten, e) qualifizierten Nachwuchs zur Erfüllung der dem Archiv übertragenen Aufgaben heranzubilden."22 Wenn die Edition von Hegels Gesammelten Werken einen „Klassiker" der Philosophie heraussteilen sollte, dann konnte die Arbeit nicht in einer stillen Gelehrten-Klause geschehen; sie mußte sich mit jener Auseinandersetzung um Hegel verbinden, in der dessen Werk eine klassische, vorbildliche Rolle zu spielen begann. Die bisherigen Vorurteile der Hegel-Aneignung sollten vermieden werden; eine historisch-kritische Re^ Vgl. meinen Artikel Zwischen Philosophie und Philologie. Das Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum. In: Ruhr-Universität Bochum. Jahrbuch 1970. 137 ff. Vgl. auch meinen Bericht Hegel editing and Hegel research. In: The Legacy of Hegel. Ed. by ]. O'Malley etc. The Hague 1973. 6 ff.
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zeption sollte zu den Motiven Hegels, die auch uns noch bestimmen können, vorstoßen. Gerade deshalb mußten die Möglichkeiten eines Zugangs zu Hegels Werken neu erörtert werden. So traten zu den ersten Bänden von Hegels Gesammelten Werken viele andere Bände: exemplarische Voreditionen und Studien-Ausgaben, das Jahrbuch Hegel-Studien als Organ der Koordination der Internationalen Hegelforschung, Sammelbände von Kolloquien, die sich einzelnen Texten zugewandt oder Hegel in den Zusammenhang der idealistischen Philosophien und der Zeitströmungen gestellt haben. Rechnet man zusammen, was so publiziert wurde, dann kommt man auf hundert Bände. Die eigentliche Edition war also der Kern eines weit größeren Wachstums. Da die Jenaer Schriften und Entwürfe der erste Teil der Ausgabe waren, der im Zusammenhang aufgearbeitet wurde, konnte DIETER HENRICH schon 1977 auf einer Zwettler Tagung Hegel in Jena von Hegels Jenaer Druckschriften und Manuskripten sagen: „Die Interpretation dieser Texte ist seit 15 Jahren durch die Publikationen aus dem Hegel-Archiv auf eine zuvor nicht absehbare Höhe geführt worden. "23 Bei der primären Aufgabe der Edition der Gesammelten Werke sollte eine Konzentration auf Teilaufgaben zum Erfolg führen: die Arbeit sollte vorerst nicht nur beschränkt werden auf die I. Abteilung, sondern in dieser Abteilung neben den Jugendschriften zuerst die Jenaer Schriften im Zusammenhang erarbeiten. Innerhalb der Jugendschriften, die den Titel Frühe Schriften bekamen, liegen die Bände 1 und 3 vor und fordern zu einer Revision des bisherigen Bildes vom jungen Hegel heraus. Leider beginnt die zusammenfassende editorische Arbeit an Band 2 erst. In diesen Band gehören jene Erankfurter Aufzeichnungen, in denen Hegel im Zusammenwirken mit HöLDERLIN einen neuen Ansatz ausbildete und dann eigene Wege einschlug. Der neu entfachte Streit um das sog. älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus mußte die Hegel-, FICHTE-, ScHELLiNG- und HöLDERLiN-Forschung verbinden. Neue Ansätze zur Deutung des Weges, den Hegel in Frankfurt gegangen ist, mußten deshalb provisorisch bleiben, weil vor allem die Aufzeichnungen zum Geist des Christentums (nach DILTHEY das Schönste, das Hegel geschrieben hat) editorisch noch nicht neu aufgeschlüsselt und geordnet worden sind. Die konzentrierte Arbeit an den Jenaer Schriften und Entwürfen konnte zu einer umstürzend neuen Ordnung dieser Texte führen und verlangte neue philosophische Auswertungen. Nach einem ersten expe^ Vgl. Hegel in Jena. Hrsg, von Dieter Henrich und Klaus Düsing. Bonn 1980. (Hegel-Studien. Beiheft 20). 106.
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rimentierenden Hin und Her konnten auch Ansatz, Aufbau und Entwicklungsgeschichte der Phänomenologie des Geistes und damit eines wichtigen Stadiums in der Entfaltung der Hegelschen Logik und Systematik geklärt werden: dieses Werk des Hegelschen Durchbruchs braucht nicht mehr die wächserne Nase zu bleiben, an der jeder nach Belieben drehen kann. Daß nunmehr alle Bände der I. Abteilung durchgeplant sind, gilt am wenigsten für den Bd 11; dieser Band wurde auf völlig neue Grundlagen gestellt, als wichtige Materialien zu jener philosophischen Propädeutik wiedergefunden wurden, die von Hegel auf dem Nürnberger Gymnasium vorgetragen worden ist. Zu Anfang unseres Jahrhunderts hatte ein Bibliothekar die benutzten Materialien fälschlich unter MORITZ HAUPT statt unter Hegel zurückgelegt; in dieser Verschollenheit überstanden die Texte dann zwei Weltkriege, bis sie bei einer Revision in Berlin schließlich wiedergefunden wurden. So können glückliche Funde das Bild von Hegels Werk immer noch ändern. Doch wird die Arbeit an der 1. Abteilung von Hegels Gesammelten Werken im wesentlichen zu endgültigen Ergebnissen gekommen sein. Als 1968 ein erster Band der Gesammelten Werke erschien und das Hegel-Archiv an der Ruhr-Universität Bochum institutionalisiert wurde, war die Hoffnung leitend, man werde etwa jedes Jahr einen Band der Ausgabe vorlegen können. Wenn 1991 statt der 22 Bände der 1. Abteilung nur 13 Bände Vorlagen, muß man nach den Gründen fragen. Diese liegen sicherlich auch darin, daß erst die konkrete Arbeit die Schwierigkeiten aufdeckt. So mußte z. B. eine neue Ordnung der Jenaer Entwürfe gewagt werden; neue Funde brachten Ergänzungen im Detail. Ein Nebenergebnis des editorischen und philosophischen Interesses an Hegel ist, daß die Preise für Hegel-Manuskripte etwa um das dreißigfache gestiegen sind; es lohnt sich also, sorgfältig auf solche Manuskripte zu achten und nach ihnen zu suchen. So konnte das Jahrbuch Hegel-Studien kontinuierlich auch ungedruckte Texte voredieren. Wichtiger als diese Schwierigkeiten und Ausweitungen blieben aber die Personalprobleme: geisteswissenschaftliche Arbeit verlangt eine lange Einarbeitungszeit und ein Sammeln von Erfahrungen; so muß der Wechsel in den Stellen ebenso schaden wie die umgekehrte Schwierigkeit, zur gegebenen Zeit auf andere Stellen überzugehen. Die leitende Absicht war immer, nie den bloßen Editor heranzuziehen, vielmehr die editorische Arbeit mit der Forschung und auch mit der Lehre an der Universität zu verbinden. Wenn die gemeinsame Arbeit sich nicht in einem äußerlichen Betrieb totlaufen sollte, mußte sie auf eine kleine Gruppe beschränkt werden: die
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geradezu tödliche Leere in aufwendigen Editionsunternehmungen der einstigen kommunistischen Diktaturen zeigt, daß eine bloße Planung von oben und Vergrößerung der Mitarbeiterzahl nichts bringt. Für die Hegel-Edition wurden die zugesagten sechs Stellen aber nie vollständig bewilligt. Vielmehr belastete die unberechenbare Stellenpolitik die kontinuierliche Arbeit erheblich. Beim Vakantwerden einer Stelle konnten selbst die Mittel des Akademienprogramms, die vom Bund kamen, für neun Monate zur Sanierung des Landeshaushalts eingezogen werden. Die Duldung des relativ großzügig eingerichteten Projekts auch in einer Zeit der verordneten Nivellierung hat es trotzdem ermöglicht, daß Hegel weltweit in neuer Weise als ein philosophischer Klassiker studiert werden kann. Immer wieder wird die Klage oder der Vorwurf laut, die Geisteswissenschaften könnten nicht planen. Sollten die forschungfördernden Organisationen nicht einmal auch eine Liste jener Großprojekte aufstellen, die Bauruinen blieben (vom PhAXON-Index bis zum Lexikon für Philosophie und so vielen editorischen Ansätzen)? Bei der forschungspolitischen Erörterung langfristiger Projekte kann man selbstironisch etwa die alte Ankündigung anführen, der Thesaurus linguae latinae werde zu Anfang des 20. Jahrhunderts fertig (obwohl er im 20. Jahrhundert sicherlich nicht fertig wird, aber vielen Altphilologen eine gediegene Ausbildung verschafft hat). Zu denken mag es geben, daß die neue BACH-Ausgabe begonnen werden mußte, als die alte BACH-Ausgabe fertig geworden war, und daß man die Forderung nach einem editorischen Neubeginn auch bei der Ferhgstellung der LuTHER-Ausgabe vortrug. Ist die Archäologie nicht noch schlimmer dran, da in ihr die unzulängliche frühere Grabung die geforderte neue Grabung schon schwer geschädigt hat? Erfahrungen dieser Art führten bei der Hegel-Edition dazu, das ganze Vorgehen in vollendbare Einzelkomplexe aufzuteilen, also zuerst nur die Druckschriften und Manuskripte zu bearbeiten. Diese I. Abteilung der Ausgabe würde auch dann, wenn sie das einzig VoDehdete bliebe, ein relafiv abgeschlossenes Ergebnis darstellen. Diese Aufgabenstellung paßte sich der Arbeitszeit eines Lebens und einer bestimmten Absicherung der Prinzipien ein. Da sie in zusammenhängende Teilprojekte zerlegt wurde, kam es zu Ergebnissen, und so kann man heute die Vollendung dieses Projekts absehen. Damit aber wird der Weg frei zur konkreten editorischen Arbeit auch an der II. Abteilung der Ausgabe, an den Nachschriften zu Hegels Vorlesungen.
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III. Das Korpus der Vorlesungen Hegel hat die besten unter seinen Studenten überzeugen können, daß seine Philosophie für die Lebensorientierung entscheidend Neues brachte — nämlich zeigte, wohin die Geschichte geht, was die Kunst leistet, wie die Religion zu Gott erhebt. Konnten die geistigen Impulse, mit denen Hegel seine Zeit prägte, sich stützen auf eine gesicherte Ordnung des Wissens im ganzen, nämlich auf das versprochene System der Wissenschaft? Als Hegel sein großes frühes Werk, die Phänomenologie des Geistes, in einer neuen Auflage herausbringen sollte, mußte er zugestehen, daß dieses Werk in seinem Ansatz durch die vergangene Zeit seiner Entstehung bestimmt sei; es ließ sich nicht bruchlos in das System einfügen, das Hegel erreicht zu haben glaubte. Die entscheidende Frage, warum die Logik oder spekulative Philosophie nicht so ausgestaltet worden war, wie es von der phänomenologischen Dialektik vorausgesetzt wurde, ist von Hegel nicht aufgeworfen worden. Vielmehr hat der § 25 der Enzyklopädie mit verwischenden Andeutungen und Umdeutungen die letzten Abschnitte der Phänomenologie auch auf die Realphilosophie bezogen (obwohl sie dem ursprünglichen Verständnis nach den Logik-Kapiteln Wissen des Wissens, Geist, Wissen des Geistes von sich zu entsprechen hatten). Dagegen hat Hegel wenigstens das erste Buch seiner Wissenschaft der Logik vor seinem Tode noch weiter ausgestaltet. Als Grundlage für die Vorlesungen hat die Enzyklopädie die ganze Wissenschaft der Logik reproduziert. Diese Enzyklopädie gibt an ihrem Schluß aber nur skizzenhafte Andeutungen über die Weise, wie der Geist Geschichte hat und sich als absoluter Geist in Kunst, Religion und Wissenschaft differenziert. Für die entsprechenden Disziplinen der Philosophie der Weltgeschichte, der Ästhetik, der Religionsphilosophie und der Geschichte der Philosophie konnte die Enzyklopädie kein Kompendium sein. Trotzdem ist nicht übersehbar, daß Hegel in seinen späteren Berliner Jahren mit den Vorlesungen über Religionsphilosophie stärker als früher an die systematischen Vorgaben anschließt, wie die Enzyklopädie sie zusammenfaßt. Ist der Systemabriß jedoch eine Grundlage ohne Brüche und Unzulänglichkeiten? Gerade die Logik des Begriffs gibt in der Enzyklopädie einfach wieder, was Hegel sich in den entsprechenden Abschnitten der Nürnberger Wissenschaft der Logik erarbeitet hatte. Doch dieser Teil der Logik bleibt gerade mit der zentralen Ideenlehre problematisch. Ein äußerliches Anzeichen dafür ist schon, daß die Idee des Lebens ausführlich entfaltet, die Idee des Guten ganz unproportional kurz dargelegt, die absolute Idee nur undifferenziert angegeben wird. (In der Phä-
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nomenologie des Geistes war es gerade umgekehrt: die Dialektik der sinnlichen Gewißheit hat als Entsprechung zur ganzen Sphäre des Seins nur wenige Seiten bekommen; der Geist und das Wissen des Geistes von sich, also die in Entsprechung zur Idee des Guten und zur absoluten Idee, sind breit entfaltet worden.) Muß man die Ideenlehre nicht (wie schon KARL ROSENKRANZ vorschlug) ganz aus der Logik verweisen, oder zeigt sie gerade den spezifisch Hegelschen Ansatz an? Ähnliche Fragen stellen sich für die Philosophie des subjektiven Geistes, ln den Jugendschriften dominierte noch die Orientierung am Gefühl; am Ende der Jenaer Jahre führte Hegel die Unterscheidung von Anschauung, Vorstellung und Denken als Prinzip der Gliederung des absoluten Geistes ein. Die drei Auflagen der Enzyklopädie tragen die genannten Bestimmungen in unterschiedlichen Einordnungen und Gewichtungen vor. Hätten Anschauung, Vorstellung und Denken als Leitfaden für die Gliederung des absoluten Geistes nicht überhaupt in den freien Geist statt in den theoretischen Geist gehört? Fragen dieser Art müßten erörtert sein, wenn man entscheiden wollte, ob Hegels Berliner Vorlesungstätigkeit jenes sichere Fundament hat, das sie beansprucht. Das „prekäre" Geschäft, Vorlesungen für Studenten zu halten, blieb Hegels zeitraubendste Aufgabe in den Heidelberger und Berliner Jahren. Doch muß man den Erfolg, den er mit seinen Vorlesungen hatte, im Zusammenhang der weiteren Ausgestaltung seiner Hauptwerke sehen, vor allem auch im Zusammenhang mit der Anwendung der Systematik auf konkrete Fragen in Aufsätzen und schließlich im Gemeinschaftsunternehmen der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Nur so konnte Hegel seine Schule heranbilden. Diese Schule wirkte dann mit ihren Impulsen und Arbeiten auch schon auf Hegels Vorlesungen zurück. Zu Anfang der zwanziger Jahre konnte LEOPOLD VON HENNING, als Burschenschaftler gegenüber der Regierung diskreditiert, sich dadurch rehabilitieren, daß er mit einem GoETHE-Liebhaber, dem Regierungsbeauftragten für die Universität SCHULTZ, und mit Hegel Experimente zur Farbenlehre arrangierte. Am Ende der Berliner Jahre war es wohl die Darstellung der Naturreligion durch KARL ROSENKRANZ, die Hegel zu seiner Verengung des Begriffs der Naturreligion auf die früheste, unmittelbare Weise von Religiosität führte. Symptomatisch für die Rückwirkung der Arbeit der Schule auf die Arbeit Hegels mag der späte Streit mit EDUARD GANS sein, in den Hegel geradezu von offizieller Seite hineingerufen wurde. Auch Hegel konnte wohl nicht übersehen, daß er selbst mit seiner ursprünglichen Konzeption gescheitert war, die Repräsentation durch eine indirekte Wahl von den Kommunen und den dort einzurichtenden Korporatio-
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nen aus zu bestimmen: die Preußische Städteordnung war diesen Weg nicht gegangen! Hegel hatte auch darauf zu reagieren, daß seine Vorlesungen, in vielen Nachschriften verbreitet, von anderen benutzt wurden. Fand er seine Gedanken wieder, als WINDISCHMANN ihm den I. Teil seines Buches Die Grundlagen der Philosophie im Morgenland, über China und Indien zusandte? Jedenfalls kam dieses Gerücht zu WINDISCHMANN, und so mußte dieser sich in seinem Brief an Hegel vom 1.8. 1829 gegen den Vorwurf des „Plagiats" verteidigen. Hegel hat 31 Semester lang in Heidelberg und Berlin (ohne jedes Freisemester oder eine sonstige Unterbrechung) Vorlesungen gehalten, und zwar durchweg zwei parallele Vorlesungen. Er begann damit, wenigstens eine der Vorlesungen an allen sechs Wochentagen zu halten. In Berlin ging er auf fünf Wochentage zurück und hielt schließlich eine Vorlesung fünfmal wöchentlich, eine viermal wöchentlich. Während er in Heidelberg eine Vorlesung morgens und eine Vorlesung nachmittags las, legte er in den ersten Berliner Semestern beide Vorlesungen hintereinander auf den Nachmittag, um dann freilich auf den alten Modus zurückzugehen. Alle Vorlesungen wurden „privatim" gehalten — bis auf eine: im Sommer 1829 kündigte Hegel eine einstündige Vorlesung am Mittwochmittag „publice" an, nämlich die Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes. Für die Vorlesung über Logik und Metaphysik vom Sommer 1817 hatte Hegel angekündigt, daß er von der Mitte des Semesters an die Samstagsstunde für ein Konversatorium verwenden würde. Im vorhergehenden Semester hatte er gemäß einer brieflichen Äußerung ein solches Konversatorium zu seiner Enzyklopädie-Vorlesung auch mit der Möglichkeit von „schriftlichen Ausarbeitungen" verbinden wollen. In Berlin übernahm LEOPOLD VON HENNING die Repetition zu Hegels beiden Vorlesungen und zusätzlich ein Konversatorium (eine „Unterhaltung", wie Hegel sagte). Vorträge hat Hegel immer nur aus offiziellem Anlaß gehalten (etwa bei der Rektoratsübergabe oder der Feier des Augsburgischen Bekenntnisses). Hegels Vorlesungstyp steht noch in der Tradition der landessprachlichen deutschen Vorlesung, die seit dem 18. Jahrhundert sich durchsetzte und auf Kompendien ausgerichtet war. KANT mit seinem übergroßen Lehrdeputat las noch nach fremden Kompendien; Hegel hat nur in Jena für die Mathematik die Kompendien von STAHL und LORENZ zugrundegelegt. In der Vorlesung über die Geschichte der Philosophie verwies er auf mehrere Kompendien, ohne sich selbst an eines von ihnen halten zu wollen. Doch konnte Hegel nur für die Vorlesungen über Enzyklopädie, Naturphilosophie, Philosophie des subjektiven Geistes und Rechtsphilo-
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Sophie ein Kompendium zugrundelegen (nämlich die Enzyklopädie oder die Rechtsphilosophie). Die anderen Vorlesungen mußten ohne diese Abstützung nach eigenen Ausarbeitungen und Notizen gehalten werden. Doch auch bei diesen Manuskript-Vorlesungen ist Hegel nicht zu jenem Typ vorgeschritten, in dem jede Vorlesung ein eigener origineller Ansatz und Denkschritt mit eigenständigen Ausarbeitungen ist (wie das in einem Raubbau an der Kraft der Dozierenden HEIDEGGER in unserem Jahrhundert durchgesetzt hat). Auch die Manuskript-Vorlesungen tendierten bei allem Experimentieren auf eine endgültige, dann auch immer neu verfügbare Systematik. Als der Nürnberger Gymnasialrektor Hegel einen Ruf an die Universitäten Erlangen, Heidelberg und Berlin erwartete, legte er einem Berliner Abgesandten, dem Historiker VON RAUMER, am 2. August 1816 in einem Gutachten seine Auffassung vom Vortrag der Philosophie auf Universitäten dar. Hegel wollte Logik lesen, in die auch die ehemalige Metaphysik falle, dann Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Zur Philosophie des Geistes gehörten Psychologie mit Anthropologie, Rechtsund Pflichtenlehre, dann Ästhetik und Religionsphilosophie; die Geschichte der Philosophie komme noch hinzu. Als wenige Jahre später der Rektor der Universität Berlin Gutachten über „die Vollständigkeit des Lehrkursus" in der philosophischen Fakultät einforderte, antwortete Hegel am 5. 5. 1820, er könne nur seine eigene Ansicht darlegen, da es seines Wissens keine gesetzlichen Bestimmungen gebe. Die Vollständigkeit des Kursus der Philosophie liege nach der gewöhnlichen Einteilung in einer Vorlesung über die theoretische und einer Vorlesung über die praktische Philosophie. „So lese ich in einem Semester Logik und Metaphysik und im andern desselben Jahres Naturrecht und Staatswissenschaft oder Philosophie des Rechts in dem Sinne, daß Ethik oder Pflichtenlehre darin enthalten ist, — welche beiden Wissenschaften somit innerhalb eines Jahres gehört werden können. — Für die weitere wissenschaftliche Vollständigkeit ergeben sich als fernere Teile Philosophie der Natur, Philosophie des Geistes, — Anthropologie und Psychologie; Ästhetik, die sich zugleich auf Religionsphilosophie bezieht; — an das Ganze schließt sich dann Geschichte der Philosophie an. Von diesen vier Teilen lese ich jedes Semester abwechselnd einen so, daß in zwei Jahren der ganze Zyklus durchlaufen ist. "24 Mit Logik und Metaphysik einerseits, Naturrecht und 24 Vgl. Hegel: Nürnberger Schriften. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1938. 448 ff, XXIII f. — Hegels sämtliche Vorlesungsankündigungen sind wiedergegeben in; Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. Hrsg, von F. NicoUn. Hamburg 1977. 110 f, 114 ff.
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Staatswissenschaft andererseits ist ein Kernbestand gegeben. Zu diesen beiden TeUen treten zwei andere: die weiteren speziellen Disziplinen und die Geschichte der Philosophie. Hegel hat in Berlin in jedem Sommersemester Logik und Metaphysik als Grundlage seiner ganzen Vorlesungstätigkeit vorgetragen. Die vier Semester seit dem Sommer 1819 zeigen in der Tat den „vollständigen" Kursus, den Hegel in seinem Votum gegenüber dem Rektor nennt. Als Hegel in seinen letzten Jenaer Jahren wie so viele andere von der verfallenden Universität in Jena nach Heidelberg strebte, nannte er schon gegenüber Voss auch einen literarisch-ästhetischen Kurs als mögliche Vorlesung. ln Heidelberg kündigte er dann im Sommer 1817 Ästhetik an; doch ließ er diese dritte Vorlesung „aus Verlegenheit wegen der Stunde" und aus „gesundheitlichen Umständen" ausfallen. Doch im letzten Heidelberger Sommer 1818 gab er die Ästhetik wie geplant. Hegel las nach Diktaten, und in der Tat soll diese Vorlesung rudimentär geblieben sein. In Berlin trug Hegel im Winter 1820/21 Ästhetik als Philosophie der Kunst vor; das war ein neuer Ansatz: die Vorlesung wurde aufgrund von Manuskripten und Notizen vorgetragen. Schon im folgenden Sommer las Hegel die Religionsphilosophie als selbständige Vorlesung; auch äußere Umstände, vor allem der Kampf um die dogmatische Ausrichtung der erstrebten Union der protestantischen Kirchen, drängten zu diesem Schritt. Noch während der Vorlesung hörte Hegel, daß SCHLEIERMACHER eine Dogmatik, nämlich die Glaubenslehre, drucken ließ; damit trat für Hegel der bedeutendste Gegner in neuer Weise ins Blickfeld. Im Winter 1822/23 las Hegel neben Naturrecht und Staatswissenschaften zum erstenmal den Schluß dieser Vorlesung auch als selbständige Vorlesung, nämlich als Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte. Im Winter 1824/25 kombinierte er noch einmal die rechtsphilosophische Vorlesung mit der Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte. Dann überließ er den Vortrag der Rechtsphilosophie seinen Schülern. Der Wiener Kongreß hatte mit der Empfehlung landständischer Verfassungen der Ausbildung dieser Disziplin einen Vorrang gegeben; als Hegel mit seinem neuen Kompendium zu einer lehrbuchmäßigen Darstellung gekommen war, konnte er die eigenen Bemühungen auf andere Ziele richten. Die allzu liberalen Tendenzen von GANS zwangen ihn dann am Schluß des Lebens, die Rechtsphilosophie wieder selber zu lesen. Gesundheitliche Rücksichten brachten Reduktionen; doch geschah es wohl nicht ohne Grund, daß Hegel im Winter 1830/31 die angekündigte Vorlesung über Rechtsphilosophie ausfallen ließ, die Vorlesung zur Philosophie der Weltgeschichte aber vortrug. War die Geschichte nicht über ei-
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nige rechtsphilosophische Gedanken Hegels hinausgeschritten? Als Hegel im folgenden Winter wirklich wieder Rechtsphilosophie vorzutragen begann, ereilte ihn der Tod. Hegel hat viermal, jeweils aus besonderem Anlaß, eine Vorlesung über die Enzyklopädie im ganzen angekündigt. Das geschah im ersten Heidelberger Semester, als Hegel mit aller Energie seine Nürnberger Manuskripte in eine Lehrbuchform bringen mußte. (Im Winter 1817/18 hat Hegel offenbar eine nichtangekündigte Privatvorlesung für den schwedischen PRINZEN GUSTAV gehalten, und zwar — wie Notizen in seinem Enzyklopädieexemplar zeigen — über die inzwischen erschienene Enzyklopädie.) Im letzten Heidelberger Semester las Hegel seine Vorlesung noch einmal, aber nun „Philosophie in ihrem gesamten systematischen Umfange: Prof. Hegel, nach seinem Lehrbuche und erläuternden Diktaten". Führte das literarisch Fixierte schon über sich hinaus? Hegel hatte seine erste Heidelberger Vorlesungsstunde sowieso nicht über Enzyklopädie, sondern (vor so enttäuschend wenigen Hörern) über die Geschichte der Philosophie gehalten, deren Darstellung in der Enzyklopädie keine Grundlage finden sollte. Bei der Geschichte der Philosophie konnte Hegel an ein Jenaer Heft anknüpfen; doch die Nutzung der Details schloß einen Bruch in der eigentlichen Konzeption der Vorlesung ein (denn diese Vorlesung hatte in Jena in der Nähe der Phänomenologie des Geistes gestanden). Hegel las in Heidelberg die Geschichte der Philosophie „nach eigenem Plan"; ein Jahr später kündigte er an: „nach Diktaten". Wenn Hegel im Sommer 1817 Logik und Metaphysik „nach Anleitung seiner demnächst erscheinenden Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" lesen wollte, aber Anthropologie und Psychologie „nach Diktaten", so kann man das noch so erklären, daß er wenigstens die ausgedruckten Bogen seines Buches zur Logik und Metaphysik für den Semesteranfang noch erwarten konnte, nicht aber die Bogen über den subjektiven Geist. Auch die Ästhetik sollte nach Diktaten gelesen werden und wurde es tatsächlich ein Jahr später. Überraschenderweise las Hegel im Winter 1817/18 auch Naturrecht und Staatswissenschaft nicht nach der Enzyklopädie, sondern nach Diktaten. Der heftige Verfassungsstreit, in den Hegel persönlich verwickelt wurde, verlangte noch einmal eine Umgestaltung der Systematik zugunsten des Aufweises der maßgeblichen Institutionen (etwa der zwei Kammern innerhalb der Repräsentation, damit der relativen Emanzipation einer bürgerlichen Gesellschaft als Träger der einen Kammer). In Berlin hat Hegel zielbewußt sein rechtsphilosophisches Kompendium in eine endgültige Form gebracht und publiziert. Geschichte der Phi-
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losophie und Ästhetik hat er nicht mehr nach Diktaten gelesen. Wenn er seinem Heidelberger Freund CREUZER schrieb, dessen Arbeiten setzten ihn imstand, auch über Ästhetik etwas zu veröffentlichen, so war kaum noch an ein Kompendium in Paragraphenform gedacht. Eine neue Darstellung der Philosophie des subjektiven Geistes hielt Hegel für besonders dringhch; hier liegen Entwürfe für ein selbständiges Kompendium in Paragraphenform vor. Vor seinem Tode schloß Hegel aber noch einen Verlagsvertrag ab über eine Publikation seiner vervollständigten öffentlichen Vorlesung zu den Gottesbeweisen. Für den Winter 1830/31 kündigte er nur den ersten Teil der Philosophie der Weltgeschichte an und ließ die Rechtsphilosophie ausfallen. Hegel schrieb zur Philosophie der Weltgeschichte als Einleitung in einem neuen Ansatz ein Manuskript über die Vernunft in der Geschichte offenbar im Hinblick auf eine baldige Publikation. Doch zu einer Fertigstellung dieses Manuskriptes kam es nicht; Hegel hielt seine Vorlesung auch wieder über die Weltgeschichte im ganzen. In jedem Fall stand der Sinn des Sechzigjährigen kaum noch nach neuen Kompendien; vielmehr dachte er daran, die große Arbeit seiner Manuskript-Vorlesungen in neuen Formen zu publizieren. Der Streit mit GANS machte überdies deutlich, daß die lehrbuchmäßige Ausgestaltung des Systems bei wichtigen Fragen problematisch geblieben war. Schon JOHANNES HOFFMEISTER hat 1940 im Vorwort zu seiner Ausgabe der Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie die wichtigsten Zeugnisse über Hegels Vorlesungstätigkeit gesammelt; ganz unterschiedliche Perspektiven, aus denen heraus Hegels Verfahrensweise gesehen wurden, mußten in Übereinstimmung gebracht werden. Bis heute fehlt aber eine Übersicht und Aufgliederung der Hörer, die Hegel in Heidelberg und in Berlin gehabt hat. Sicherlich gab es die Masse der Mitläufer. KARL ROSENKRANZ hält in seiner Hegelbiographie im Kapitel Die Schule und ihre Enkomiastik fest, daß man „in der Hegelianisierung oder im Schein derselben ein Mittel der Anstellungsfähigkeit" gesehen habe. So zeigten sich nur die Folgen davon, daß Hegel in seinen Vorlesungen Geheimräte wie JOHANNES SCHULZE und Offiziere hatte. Es gab auch die Distanzierten, die sich (wie etwa der Jurist HOMEYER) Hegel anhörten, aber andere als die Hegelschen Wege einschlugen. HOTHO kam sein Leben lang von dem Eindruck nicht los, den Hegel nach der Reise in die Niederlande mit den Ästhetikvorlesungen auf ihn machte; doch schon unter den Kunsthistorikern, die Hegel einmal nahegetreten waren, steht dem Epigonen HOTHO z. B. GUSTAV FRIEDRICH WAAGEN gegenüber, der zum Kunstkenner und Museumsdirektor ohne spekulativ konstruierende Ausrichtung wurde. VATKE ließ sich durch die spekulativen Gedankengänge nicht ab-
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halten, für das Alte Testament die überlieferte Folge von Gesetz und Propheten umzukehren; doch ihm steht etwa FEUERBACH gegenüber, dessen Studien bei Hegel schließlich in die bewußte Abkehr von Hegel umschlugen. Für die Gruppe der FEUERBACH, BAUER und STRAUSS konnte die Phänomenologie des Geistes als Werk eines Durchbruchs eine höhere Bedeutung erhalten als die toten Fixierungen des lehrbar gemachten Systems. Natürlich mußte Hegels Einfluß in den verschiedenen Disziplinen unterschiedlich sein. Auf die spekulative Naturphilosophie hat nicht erst eine spätere Generation ihren Hohn ausgegossen. ALEXANDER VON HUMBOLDT schickte Hegel seine Vorlesungsnotizen zum Beweis, daß er nicht ungebührlich gegen die spekulative Naturphilosophie polemisiert habe. Doch wurde die „Verwahrung gegen Hegel" auch in der Publikation der Kosmos-Vorlesungen eindeutig sichtbar. Ohne Verstimmung, Ironie und Distanz konnten die Konkurrenten nicht mehr miteinander verkehren (wie Hegels Brief an den vermittelnden VARNHAGEN vom 24. 11. 1827 wider Willen zeigt). Die Zukunft gehörte hier nicht Hegel. Die Logik und Metaphysik einerseits und die Philosophie des subjektiven Geistes andererseits sind jene Disziplinen, für die Hegels Schüler bald ihre eigenen hegelianischen Lehrbücher vorlegten. Auch hier ging es ohne Abstriche nicht ab: in der Zwischenstellung, welche die Phänomenologie bei Hegel in der Philosophie des subjektiven Geistes bekommt, mag man logische Notwendigkeiten finden; eine Aufarbeitung der Materialien aus der rationalen und empirischen Psychologie ist dort keineswegs so gegeben wie in den Teilen Anthropologie und Psychologie. Hegel selbst nahm in den Titel seiner Vorlesung ja auch nur die Namen von Anthropologie und Psychologie auf, und auf diesem Wege schritten seine Schüler dann weiter. Was in der Logik und Metaphysik sowie in der Anthropologie und Psychologie eine epigonale Nachfolge fand, zeigte aber gerade nicht an, wo Hegel die Probleme der Zeit berührt hatte: in den großen geistesphilosophischen Vorlesungen über Recht, Geschichte, Kunst, Religion und Geschichte der Philosophie. Es kann auch nicht verwundern, daß die Manuskript-Vorlesungen besonders eifrig nachgeschrieben wurden; selbst die rechtsphilosophischen Vorlesungen, die ja auf ein Kompendium verweisen konnten, sind mit den einzelnen Jahrgängen jeweils nur durch eine Nachschrift dokumentiert. Zum Hören von Hegels Vorlesungen kam das Lesen der Nachschriften. Das Nachschreiben konnte sich auf bloße Notizen beschränken, aber auch in der selbständigen Aneignung zu eigenständigen Reproduktionen des Gehörten führen. Offenbar kam es bald dazu, daß Hegels
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Vorlesungen im Auftrag nachgeschrieben wurden; die erstellten Nachschriften wurden aus verschiedenen Mitschriften hergestellt, abgeschrieben und wenn nicht gehandelt, so doch ausgetauscht und weitergegeben. Ein reicher Kauz, Hegels Freund HEINRICH BEER, hörte Hegels Vorlesungen mehrmals, beauftragte aber einen Studenten mit dem Nachschreiben. Andere vornehme Interessenten mögen sich auf das Blättern in Nachschriften beschränkt haben. Einstige Hörer wie VAN GHERT und RAVENSTEIN, aber auch ein Kollege wie COUSIN erbaten sich Nachschriften. Was Hegel von diesen Bemühungen hielt, schrieb er am 19. Januar 1824 auf eine entsprechende Bitte um Nachschriften hin an FRANZ VON BAADER: „Daß Collegienhefte von meinen Vorlesungen kursieren, kann ich ohnehin nicht verhindern; Herr VON HENNING wird gern die Gefälligkeit [haben,] Ihnen von den Seinigen mitzuteUen; — für das, was in solchen Heften steht, kann ich überhaupt nicht einstehen . . .". JOHANN EDUARD ERDMANN hat nicht nur berichtet, daß die Vorlesungen „Hegels ganze Kraft in Anspruch" nahmen; er sagt auch: „Wo er von einer guten Nachschrift eines Zuhörers hörte, ließ er diese kopieren und sie ward bei abermaligem Lesen zugrundegelegt, so daß sich an sie Veränderungen und Erweiterungen schlossen ..." MARHEINEKE gibt in der Vorrede zu seiner Edition der religionsphilosophischen Vorlesungen genauer an, daß Hegel 1827 eine Abschrift der Nachschrift GRIESHEIMS auf das Katheder mitgenommen habe, 1831 die Nachschrift eines Herrn MEYER aus der Schweiz. Sicherlich konnte Hegel nicht ablesen, was andere auch lesen konnten. Mußte er nicht eher schockiert sein über diese Fixierungen dessen, was er einmal hatte sagen wollen? In jedem Fall reproduzierte er seine Gedanken in den einzelnen Vorlesungsjahrgängen jeweils in einer eigenständigen Weise und mit unterschiedlichen Gewichtungen. Ein wichtiger Schritt in der Vorbereitung der Edition des Vorlesungskorpus wird sein, daß die Absicht, die Arbeitsweise, überhaupt das „Profil" der einzelnen Nachschreiber genauer erfaßt wird. Der Streit über Authentizität und Wert der Ausarbeitungen, die v. GRIESHEIM gemacht hat oder hat machen lassen, zeigt sofort die Schwierigkeiten dieses Versuchs. Aufgehellt werden muß auch, welche Nachschreiber zusammengearbeitet und ihre Notizen oder Ausarbeitungen ausgetauscht haben. Standen einem Nachschreiber bei der Herstellung einer Reinschrift oder einer Ausarbeitung auch andere Nachschriften oder gar Nachschriften von früheren Vorlesungsjahrgängen zur Verfügung? Diese Sichtung der überlieferten Materialien muß zu einer klaren Typologie in der Unterscheidung der Nachschriften führen. Die Mitschrift, die in unterschiedlichen Weisen im Kolleg erstellt wurde, ist zu unterscheiden
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von der Reinschrift, die das Mitgeschriebene ohne Umgestaltungen und Ergänzungen zu Hause überträgt. Solche Reinschriften sind abzuheben von den Ausarbeitungen, die eigene Formulierungen wagen, vielleicht das Kompendium neu benutzen können und für versäumte Stunden andere Nachschriften heranziehen. Diese Ausarbeitungen wieder dürfen nicht mit den Kompilationen verwechselt werden, in denen vielleicht gar ein berufsmäßig arbeitender Schreiber oder eine Mehrzahl davon aus verschiedenen Unterlagen und vielleicht auch unter Benutzung von Nachschriften früherer Vorlesungsjahrgänge und mit Materialien aus Repetitorium und Konversatorium einen Text hersteilen. Große Kompilationen sind ja auch die Editionen der Vorlesungen in der Hegel-Ausgabe der Schüler; sie vermitteln oft ein Überlieferungsgut, das uns in anderer Weise nicht mehr verfügbar ist. Aus den Materialien, die für eine Edition relevant sind, können natürlich die bloßen Abschriften von Nachschriften ausgeschieden werden. Nur auf den ersten Blick konnte die Ankündigung einer Nachschrift zur Philosophie der Weltgeschichte von A. MEYER in Halle bestehen, da sie sich als Exzerpt aus der Edition von GANS entpuppte. Für eine Edition von Hegels Vorlesungen sind in den letzten Jahrzehnten verschiedene Ansätze gemacht worden, die auch dann wichtige Vorarbeiten bleiben, wenn sie nicht zu den gesteckten Zielen führten. In der Edition der Vorlesungen über die Philosophie der Religion durch WALTER JAESCHKE (1983 ff) wurde das Ziel erreicht, in deutscher Sprache (und zugleich in englischer und spanischer Sprache durch PETER C. HODGSON und RICARDO FERRARA) eine zulängliche Studienausgabe dieser Vorlesungen zu geben. Voraussetzung für diese Arbeit war eine vieljährige Beschäfti^ng mit der Überlieferung (seit der Magisterarbeit von 1971: Der Aufbau und die bisherigen Editionen von Hegels Vorlesungen über Philosophie der Religion). Selbstverständlich folgt die Studienausgabe anderen Gesetzen als eine historisch-kritische Ausgabe: Manuskripte und Nachschriften werden zusammengestellt; der Apparat wird begrenzt, die Nachweise in den „Anmerkungen" können Hilfen geben, was für den studentischen Gebrauch erforderlich, aber in einer historisch-kritischen Ausgabe kaum gestattet ist. Die Ausgabe macht erstmals durchsichtig, wie Hegel in den einzelnen Jahrgängen auf unterschiedliche Weise ansetzte. So wird nun erst die Frage diskutierbar, vor die uns die zitierte kritische Bemerkung von RICHARD KRONER stellt: hat Hegel sich in diesen Vorlesungen didaktisch dem studentischen Fassungsvermögen angepaßt oder hat seine begriffliche Arbeit nach verschiedenen Experimenten das gesuchte Ergebnis gewonnen? Hat Hegel mit der Einfügung der Vorlesungsansät-
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ze in den enzyklopädischen Rahmen das Ziel seiner systematischen Bemühungen erreicht, oder ist schon die Entfaltung des Begriffs der Religion zirkelhaft mit Bestimmungen der absoluten Religion verbunden, ist die einmal erstrebte „phänomenologische" Vermittlung des Ansatzes doch nicht ausgeschaltet? Nicht von ungefähr sind es die Vorlesungen über Ästhetik gewesen, die von Hegel neben den überkommenen Vorlesungen über Naturrecht und über Geschichte der Philosophie als erste weitere Vorlesungsreihe zur Philosophie und Geschichte des Geistes ausgebildet wurden. In einer Umbruchszeit wurden damals die Werke der Kunst nicht mehr weiterhin dem Hof und den Kirchen zugeordnet; die heimatlos gewordenen Bilder strömten als isolierte Stücke in Sammlungen und Museen, die Künstler selbst mußten neue Wege finden. Hegels Vorlesungen müssen aus dieser geschichtlichen Bewegung verstanden werden, in der sich die neuen Museen und zugleich die neuen Universitätswissenschaften der Archäologie und Kunstgeschichte ausbildeten. Nach der Transkription der erhaltenen Vorlesungsnachschriften mußte der weitere Schritt hier der Versuch einer Antwort auf die Frage sein, welche Kunstwerke Hegel denn in welchem Zusammenhang in Heidelberg und in Berlin sowie auf seinen großen Reisen gesehen, gelesen oder gehört hatte. Schon KARL ROSENKRANZ hat in seiner Hegelbiographie festgehalten, daß das ästhetische Interesse im Berlin der Restaurationszeit das „einzig öffentliche" gewesen sei; Hegel habe in seinen Vorlesungen Beispiele aus der Welt der Berliner Theater und Gemäldeausstellungen bringen können und so dem Publikum „einen großen Impuls" gegeben, „der rückwirkend ihm selbst eine ungemeine Popularität schaffte". Symptomatisch geworden sind die Turbulenzen um Hegels Vorlesungen über die Rechtsphilosophie. Hat Hegel nicht jene weltrevolutionären Tendenzen angestoßen, die als große Verführung unser Jahrhundert bestimmten? LEO STRAUSS (von seinem Förderer CARL SCHMITT in einer Zeit neuer Verfolgungen getrennt in der Emigration in England) hat HOBBES von Hegels Phänomenologie des Kampfes auf Leben und Tod her gedeutet; doch hat er diese Einbettung in die Geschichte als Zerstörung der politischen Philosophie gesehen. Sein Freund ALEXANDRE KOJ£VE nutzte dagegen den gemeinsamen Plan einer Kommentierung der Phänomenologie des Selbstbewußtseins, um mit Hegel zu zeigen, daß die Geschichte schließlich zu vernünftigen Prinzipien für Staat und Religion geführt habe. Die Diskussion der beiden über Tyrannei zeigt die Gegensätzlichkeit der Auffassungen und die Aktualität der Kontroversen. Gegenüber der Orientierung an Hegels Phänomenologie hat ein Au-
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tor wie ERIC WEIL gezeigt, daß Hegels Verhältnis zum Staat den Weg nach Preußen einschloß, daß Preußen für ihn jedoch zuerst ein Staat der Reformen war. So hat JOACHIM RTITER Hegels Rechtsphilosophie (zusammen mit den entsprechenden Werken von ARISTOTELES und KANT) als Weg zu einer Hermeneutik der modernen Welt nehmen können. Die zurückzugewinnende Einbettung des Naturrechts in die Geschichte der Sittlichkeit, dazu Hegels relative Trennung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und staatlicher Sphäre verwiesen auf eine Figur der Auslegung, die auf ständig neue Differenzierungen ausgerichtet ist und nur in diesen die Einheitlichkeit des Lebens gewinnen kann. RITTERS Hegelkommentare gehören in den übergreifenden Ansatz einer hermeneutischen Philosophie und speziell in die Tendenzen zu einer Rehabilitierung der praktischen Philosophie. KARL-HEINZ ILTING hat sich auf andere Weise um die Rehabilitierung der praktischen Philosophie bemüht. Seine radikale These ist: „Wenn es keine universal verbindlichen und folglich rahonal begründbaren Normen in der Ordnung menschlichen Zusammenlebens gibt, so ist alles erlaubt. "26 DOSTOJEWSKI ließ Ivan Karamasow noch anders formulieren: ohne Gott und Unsterblichkeit könne es keine Moral geben, und dann sei das Verbrechen unvermeidlich. Solchen Radikalismen gegenüber muß man zum mindesten fragen, wie denn das Gesetz und das Göttliche überhaupt erfahren und verstanden werden. Jedenfalls glaubt ILTING, daß seinem einstigen Lehrer HEIDEGGER (genau wie WITTGENSTEIN) „selbst die elementarsten Voraussetzungen für eine fundierte Stellungnahme zu Naturrecht und Sittlichkeit" fehlen. Diese repräsentativen Philosophen unseres Jahrhunderts und ihre Nachfolger hätten eine umfassende Krise des Freiheitsbewußtseins mitheraufgeführt und die Öffentlichkeit für die Erörterung moralisch signifikanter Zeitfragen zu den Theologen getrieben. Es kommt ILTING nicht in den Sinn, daß HEIDEGGER vielleicht gar nicht zu einem Existentialismus drängte, sondern zu der Frage führen wollte, was Gesetz und Norm (z. B. in der Mathematik, in den Naturwissenschaften, dann in den Sphären von Kunst, Religion und Staat) eigentlich meinen. Wie kann Philosophie eine Verallgemeine^ Vgl. dazu Pöggeler: Heidegger und die hermeneutische Philosophie. Freiburg, München 1983. 306 ff. Vgl. Karl-Heinz Ilting: Naturrecht und Sittlichkeit. Begriffsgeschichtliche Studien. Stuttgart 1983. 22, zum folgenden 30. Vgl. auch schon Ilting: Anerkennung. Zur Rechtfertigung praktischer Sätze. In; Probleme der Ethik zur Diskussion gestellt. Hrsg, von Gerd-Günther Grau. Freiburg, München 1972. 83 ff. Vgl. ebenda 45 ff meinen anderen Ansatz: Die ethisch-politische Dimension der hermeneutischen Philosophie.
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rung erstreben, für die Erörterung der Differenzierungen in dieser Verallgemeinerung eine „Logik" des Philosophierens selbst gewinnen? 1LTiNG findet die antiken Bemühungen um das Naturrecht unbefriedigend und sucht in der Neuzeit vor allem bei HOBBES (auf den CARL SCHMITT verwies) die Formulierung der entscheidenden Fragen. Gibt es den Souverän, der die Befriedung im Vertrag durch eine Grundnorm verbindlich machen kann, so daß sich ein gültiges Recht in der Wirklichkeit aufbauen läßt? Hegel, dessen Folgen bei MARX sichtbar wurden, habe eine Vermittlung zwischen dem antiken und dem neuzeitlichen Ansatz gesucht, aber schließlich doch Recht und Sittlichkeit der Geschichte ausgeliefert. Muß man nicht Gründe für diesen Abweg aufzeigen können? ln denunziatorischer Weise wird wieder — wie früher schon — hingewiesen auf die Akkomodation des Philosophen oder Pseudophilosophen an den plötzlich so mächtigen preußischen Staat. Gab es nicht zwischen den verschiedenen Seelen in Hegels Brust ein verborgenes Drama, das die Bücher durch die Angst vor der Zensur geprägt sein ließ, die mündlichen Vorlesungen aber zum Träger wichtiger Bekenntnisse machte? Muß nicht erst Hegels geheime Philosophie aus den rechtsphilosophischen Vorlesungen erhoben werden, aus denen EDUARD GANS keineswegs die relevanten Passagen schon mitgeteilt habe? Die sachlichen philosophischen Fragen verknüpfen sich so mit biographischen und historischen; vor allem soll eine Antwort auf diese Fragen nur über neue editorische Bemühungen gewonnen werden können. Wenn KARL-HEINZ ILTING die Ausbildung der Begriffe von Naturrecht und Sittlichkeit darstellt, dann tut er die Gegenposition von LEO STRAUSS diskussionslos ab.^^ RITTERS Untersuchungen werden nicht einmal genannt: wo HEIDEGGER als Verhängnis erkannt wurde, kann der ihm schließlich doch folgende hermeneu tische Ansatz nicht mehr zählen. Ist es aber nicht schon problematisch, HOBBES als „Prüfstein einer jeden Rechts- und Staatsphilosophie" zu nehmen? Kann überhaupt der Übergang vom Naturzustand zum Rechtszustand als vollkommener Bruch gedacht werden? Darf das Recht im ganzen als ein System angesetzt werden, das von einer Grundnorm aus zu begründen ist? Als Konkurrent zum Ansatz bei HOBBES mit seinem Schwanken zwischen Vertrag und Souverän gibt es nicht nur ARISTOTELES; eine sachliche Fortführung 27 Vgl, Ilting: Naturrecht und Sittlichkeit (siehe Anm. 26). 22, zum folgenden 7. Zum folgenden vgl. auch die Ausführungen über Hegel und Machiavelli in Pöggeler: Etudes hegeliennes. Paris 1985. 87 ff. Stephan Strasser hat den italienischen Bürgerhumanismus mit dem hegelkritischen Ansatz von Levinas verbunden; vgl. dazu meine Besprechung Denkt Hegel bürgerlich und humanistisch? In: Hegel-Studien. 19 (1984), 346 ff.
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der ARiSTOTELischen Position hat z. B. der italienische Bürger-Humanismus gebracht. So mag selbst MACHIAVELLI, der schon für den frühen Hegel bedeutsam wurde, nicht nur als Zerstörer des naturrechtlichen Ansatzes gesehen werden (auch in der hermeneutischen Richtung — bei RITTER, bei GADAMER, bei LANDGREBE — wird MACHIAVELLI ausgelassen). Bei KANT bekam die Urteilskraft ein neues Gewicht; eine entscheidende Korrektur an KANT und Hegel wäre es, wenn die heutige Thematisierung des „Anderen" die Verallgemeinerung wie die wechselseitige Anerkennung aufbrechen könnte. In jedem FaU müßten die gegensätzlichen Traditionen von der behandelten Sache her diskutiert werden. So hat JOACHIM RITTER es als abwegig empfunden, daß seinen Versuchen indirekt immer neue angebliche editorische Funde vorgehalten wurden. Eine angemessene Forschungspolitik müsse die editorische Arbeit relativ unabhängig halten von aktuellen sachlichen Kontroversen, dürfe aber auch umgekehrt Editorisches nicht kurzschlüssig in die Erörterung der Sachlagen hineintragen. ILTINGS Edition präpariert dagegen den überlieferten Text schon auf eine Deutung und Kritik hin. So werden selbst die Paragraphen der Rechtsphilosophie zerlegt und mit Titeln und Zwischentiteln versehen. Der wichtige Paragraph 36 bekommt die Überschrift: „Die Grundnorm des Naturrechts". Damit wird eine bestimmte Auffassung vom Recht (die naturrechtlich untermauerte Analyse KELSENS) in Hegels Text eingezeichnet. Hegels Paragraph fordert das wechselseitige Respektiertwerden der Rechtspersonen, die Anerkennung. Hält die Einleitung zur Rechtsphilosophie, die wichtige Thesen des Systems rekapituliert, überhaupt noch die voUe Problematik der Anerkennung fest, wie Hegel selbst sie einmal entwickelt hatte? Anerkennung meint bei Hegel ja nicht nur das wechselseitige Respektiertwerden; sie meint auch: in einer bestimmten Sphäre seine „Ehre" haben. Lassen sich diese Sphären (etwa Recht und Moral) gemäß der relativ abstrakten Unterscheidung KANTS, lassen sich bürgerliche Gesellschaft und Staat endgültig systematisch aufgliedem? ILTINGS Paragraphentitel unterdrückt diese Fragen, die auch zur Phänomenologie des Geistes, jedenfalls in das Systemganze zurückführen. An anderen Stellen verdecken die Überschriften das, was Hegel 28 Vgl. O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München 1973. 231 ff; Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen-zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg, München 1979. Ein Versuch Iltings, Hegels Rechtsphilosophie als Phänomenologie des Bewußtseins der Freiheit zu deuten, zeigt drastisch sein Unverständnis der Entwicklungsgeschichte der Rechtsphilosophie und des Versuchs, von der Phänomenologie her seine kurzschlüssige Methodik aufzubrechen; vgl. Iltings
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konkret gemeint hat. So gebraucht ILTINGS Edition der GRiESHEiMausarbeitung in §245 den Titel „Hegels ,bestes Mittel'". Hegel empfiehlt dort, wie in Schottland jene, die aus dem Arbeitsprozeß herausfallen, dem „öffentlichen" Bettel zu überlassen. ILTINGS Titel unterstellt Hegel einen einfachen Zynismus; doch wird übersehen, daß Hegel die Zustände in Schottland von den früh untersuchten englischen Zuständen unterschied: England führte die Armensteuer ein, doch dieser Weg zur bloßen Sozialfürsorge nimmt den Arbeitslosen die Ehre. In Schottland erkannte man die Arbeitslosen als solche an — als Bettler des Königs, als Bettler einer Gemeinde, als Bettler (was heute besonders aktuell sein könnte) des Rektors einer Universität. Dieser Weg zur Arbeitslosenversicherung habe den Vorteil, daß die beanspruchten Organisationen ein Interesse an der Wiedereingliederung der Arbeitslosen behielten. Sicherlich ist es nicht möglich, Hegels Rechtsphilosophie ohne die Anstöße zu verstehen, die von HOBBES kamen. Doch könnte ein Versuch in die Irre führen, Hegel überhaupt von HOBBES her aufzufassen. ILTING hat in seiner Einleitung zur neuen Auflage des HoBBES-Buches von TöNNIES (1971) herausgestellt, daß HOBBES in einer Zeit schrecklichster Religionsund Bürgerkriege „mit der Person des rechtsschöpfenden Souveräns das Schwert der Gerechtigkeit und das Schwert des Krieges verbunden" hat. Deshalb laute das Schlüsselwort der politischen Philosophie des THOMAS HOBBES nach CARL SCHMITT: „authoritas, non veritas, facit legem." Der junge Hegel habe „diesem Gedanken" in seiner Schrift zur Verfassung Deutschlands einen „etwas überschwenglichen Ausdruck" gegeben — nämlich den idealischen Geschichten und den ersonnenen Träumereien „die Wahrheit, die in der Macht liegt", entgegengestellt. Doch worauf wül Hegel mit diesen Formulierungen eigentlich aufmerksam machen? Seine Beispiele zeigen es: wenn die Entfaltung des Könnens und der Macht der Menschen größere und arrondiertere Staaten an der Zeit sein läßt, dann wird NAPOLEON das ferne San Marino durch Kanonen als Republik grüßen, das nahe Genf aber kassieren, usf. Daß die Rechtsbildung in diesem Kontext steht, ist in unserer Zeit etwa durch die Nutzung der Atomenergie — aber nicht nur durch sie — demonstriert worVortrag und dessen Widerlegung durch Ludwig Siep. In: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik. Hrsg, von Dieter Henrich und Rolf-Peter Horstmann. Stuttgart 1982. 225 ff, 255 ff. Wenn Ilting (ebenda 254) in dieser Konzeption einer Phänomenologie des Bewußtseins der Freiheit das „Buch über Staatspädagogik" in den Umrissen verwirklicht sieht, verkennt er völlig diesen zeitweihgen Hegelschen Buchplan. Vgl. zu diesem Plan Pöggeler: Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusammenhang. In: Hegel-Studien. 15 (1980), 241 ff, vor allem 256 f. — Zum folgenden vgl. Norbert Waszek: Hegels schottische Bettler. In: Hegel-Studien. 19 (1984), 311 ff.
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den. Können in dieser Situation die großen klassischen Ansätze im ethisch-politischen Bereich überhaupt noch leitend bleiben? Wenn Hegel sich auf die Geschichte und den Wandel der „Macht" in ihr einläßt, so sieht ILTING darin einen Irrweg, der letztlich die Begründungsproblematik zerstört. 29 Damit wird Hegel aus einer Perspektive gesehen, die den unvoreingenommenen Blick auf seine Arbeit verstellt, die Dokumente darüber mißdeutet. Für den Winter 1819/20 kündigte Hegel rechtsphilosophische Vorlesungen nach seinem nun erscheinenden Buch an. Am 30. Oktober 1819 gab er seinem Heidelberger Freund CREUZER Rechenschaft: er habe Majores, Obristen, Geheime Räte unter seinen Zuhörern, also ein geradezu offizielles Publikum. Er habe CREUZERS Neuauflage der Symbolik mit ein paar Paragraphen Rechtsphilosophie erwidern wollen, doch nicht jeder könne so fleißig (im Publizieren) sein wie CREUZER. Offenbar wollte Hegel die Rechtsphilosophie seiner Gewohnheit nach stückweise in Druck geben. Doch bei der Herstellung des endgültigen Manuskripts war er nur langsam vorwärtsgekommen. Die Karlsbader Beschlüsse zur Demagogenverfolgung brachten nun Zensurbestimmungen, und so schrieb Hegel: „Ich wollte eben anfangen drucken zu lassen, als die Bundestagsbeschlüsse kamen. Da wir jetzt wissen, woran wir mit unserer Zensrufreiheit sind, werde ich jetzt nächstens in Druck geben." Hegel war also froh, über die Zensur Klarheit zu haben, ehe er bis zum Beginn des Drucks eines ersten Teilstücks gekommen war. ILTING mißversteht Hegels Bericht, imaginiert ein verworfenes Manuskript Hegels und schließt an die Fehldeutung eine Kette weiterer Imaginationen an. Ein unruhiger Geist wie HEINRICH HEINE hatte Hegel nur einmal angehört und angelesen, aber die Zeit anders erlitten als der Philosoph. So hat er schon die Legende von Hegels dramatischer Verinnerlichung der Zensur aufgebracht. Die Ausgestaltung dieser Legenden konnte in unserer Zeit auch die Federn jener Zeitungsschreiber in Bewegung setzen, die sonst keine Zeile von Hegel gelesen hatten. Von der philosophischen Arbeit führt dieser Tumult der Gefühle nur ab. Inzwischen dürfen diese Legenden als erledigt gelten: Hegel hat in kontinuierlichem Fortarbeiten und Schon in seinem Vorwort zu Ferdinand Tönnies: Thomas Hobbes. Leben und Lehre (Neudruck: Stuttgart-Bad Cannstatt 1971) mißdeutet Ilting Hegels Satz von Hobbes aus (85) und wirft Tönnies eine hegelianisierende Sicht vor (38). Aus der Fülle der Kritiken an Iltings Editionen und Deutungen seien nur genannt: Wolfgang Bonsiepen: Fhilologisch-textkritische Edition gegen buchstabengetreue Edition? In: Hegel-Studien. 19 (1984), 259 ff; Hans-Christian Lucas/Udo Rameil: Furcht vor der Zensur? Zur Entstehung und Druckgeschichte von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts. In: Hegel-Studien. 15 (1980), 63 ff. — Über die einzelnen Nachschriften
und Nachschrifteneditionen vgl. im übrigen die Übersicht in diesem Band.
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mit starker Konzentration auf dieses Arbeitsfeld seine Rechtsphilosophie in wenigen Jahren fertiggestellt. Die Vorrede zum Kompendium brachte unter dem Eindruck jener Geschehnisse, die zur Mordtat SANDS führten, peinliche Ausrutscher. Im übrigen gibt es unterschiedliche Gewichtungen im einzelnen und dazu Ergänzungen oder Korrekturen des Details. Gedanken, die trotz der Offiziere und Geheimräte im Hörsaal in einer Zeit möglicher Verfolgung geheim gehalten wurden und deshalb im gedruckten Werk nicht stehen, gibt es nicht. Leider ist auch DIETER HENRICHS Edition einer „Nachschrift" der Vorlesung über Rechtsphilosophie vom Winter 1819/20 angesteckt worden vom voreiligen Suchen nach Aktualitäten und Novitäten. Sicherlich kann gezeigt werden, daß Hegel nicht nur sagen konnte, das Vernünftige sei wirklich und das Wirkliche vernünftig; er konnte hier auch von einem „Werden" sprechen. Seine alte Auffassung von der „Wahrheit", die in der „Macht" liege, verlangte eine neue Aufarbeitung der Modalitätenlehre. So muß man in der Logik nachschlagen, wenn man die unterschiedlichen populären Formulierungen über das Wirkliche und Vernünftige richtig verstehen will. — Der Herausgeber sieht Hegel auch dabei, den neuen Armen der bürgerlichen Gesellschaft ein Recht auf Revolution zuzusprechen; doch das war Sache der nachfolgenden Generation. Sicherlich war die Revolution Hegels große Erfahrung; der Ausbildung von Bedingungen weiterer Revolutionierung galt seine Aufmerksamkeit. Doch ist es nur traditionell, wenn er jenen ein Notrecht zuspricht, denen die Mittel zum Erhalt des Lebens und zur Ausübung des Berufs und der Rechte versagt werden. — Zurecht möchte man schließlich genauer sehen, wie Hegel eigentlich die gewählte Systematisierung rechtfertigt. Doch ist es vergebliche Mühe, gerade in dieser oft so unklaren Kompilation, die zuerst auch die Vorlesung von 1818/19 einbezieht, Argumente für den Weg der Systematisierung finden zu wollen. Hört der Hegelleser in dieser Kompilation überhaupt noch „his master's voice"? Der Herausgeber hat den Titel „Rechtsphilosophie und Politik" durch „Philosophie des Rechts" ersetzt. Damit tilgte er vorschnell eine Spur, die zum Repetitorium von LEOPOLD VON HENNING führt (denn dieser sprach von der Philosophie des Rechts und der Politik). Das Versehen wurde schöpferisch, wenn der Titel das Edierte einem „Georg Friedrich Wilhelm Hegel" zusprach und nicht dem bekannten Georg Wilhelm Friedrich (der mittlere Name war der Rufname). Ist in der Erörterung der Lehre eines Philosophen ein bestimmter Diskussionsstand erreicht, dann kann ein Text, der jahrzehntelang der Vergessenheit anheimfiel, eine entscheidende Bedeutung bekommen. So
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geschah es mit der Nachschrift, die P. WANNENMANN von Hegels Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft 1817/18 in Heidelberg angefertigt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ein Geograph sich diese Nachschrift aus dem wertlosen Altpapier eines Heidelberger Antiquariats mitgenommen, sie aber dann seinem philosophischen Kollegen FRANZ JOSEF BRECHT gegeben. BRECHT hatte fleißig die Vorlesungen seines Lehrers HEIDEGGER nachgeschrieben. Nach seinem Tode kam die Hegel-Nachschrift mit den HEiDEGGER-Nachschriften in das Deutsche Literatur-Archiv in Marbach am Neckar und fand ebenso großes Interesse wie die HEiDEGGER-Nachschriften.30 WANNENMANN hielt in verläßlicher Form Hegels Diktate fest; diese Diktate belegen zusammen mit Hegels vorausgehendem Aufsatz über die Verfassungsdiskussionen in Stuttgart, daß Hegels Rechtsphilosophie ihre endgültige Gestalt den europäischen Verfassungsdiskussionen und speziell den Kontroversen im süddeutschen Konstitutionalismus nach dem Wiener Kongreß verdankt. Eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung muß aber auch zu der Frage führen, ob Hegels endgültige Systematisierung überhaupt in der einzig möglichen oder auch nur angemessenen Weise die Probleme verarbeitet habe. Fragt man so, dann muß erörtert werden, ob Hegel seine Jenaer Lehre von den „Potenzen" der Sittlichkeit als der zweiten Natur zulänglich ausgestaltet hat, als er sie innerhalb seiner Nürnberger Schultätigkeit auf die dort vorgeschriebene Rechts- und Pflichtenlehre bezog. Natürlich darf man gelten lassen, daß die Rechtsphilosophie — wie die Phänomenologie des Geistes — beim Unmittelbaren und damit Abstraktesten einsetzt: beim Recht auf Eigentum, in der Lehre von den staatlichen Gewalten bei der Aufgabe des Monarchen, der den Punkt auf das „i" zu machen habe. Erbringt jedoch die Umgestaltung der Lehre von Recht und Moralität zu einer Lehre von den Elementen der möglichen Rechtsförmigkeit sittlicher Bildungen das, was einst die Lehre von den Potenzen leistete? Der Nachvollzug der Entwicklungsgeschichte der Rechtsphilosophie führt aus ihm selbst heraus vor kritische Fragen. Unumgänglich wird in der Tat auch die Überlegung, ob Hegels Kompendium sein letztes Wort war. Dabei geht es nicht darum, in Hegels Vorlesungen jene geheimen Gedanken zu finden, die im publizierten Text verschwiegen wurden. Doch könnten die Vorlesungen zeigen, daß die Systematisierung den er30 Noch zu Brechts Lebzeiten waren die Heideggernachschriften von Thomas Sheehan ausgewertet worden; vgl. dann die Auswertung in zwei Bochumer Symposien, publiziert in: Dilthey-Jahrbuch. 4 (1986—87), 11 ff. Zur Geschichte der Hegelnachschrift vgl. den Hinweis in meiner entwicklimgsgeschichtlichen Einleitung zu Hegel: Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft Heidelberg 1817/18. Hrsg, von Claudia Becker u. a. Hamburg 1983. XV.
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Örterten Problemen nicht gerecht geworden war. Schon in Heidelberg sah Hegel sich gegensätzlichen Repräsentanten der damaligen Jurisprudenz wie THIBAUT und SAVIGNY gegenüber. In Berlin arbeitete er an einer Universität, die den neuen „Geisteswissenschaften" zum Durchbruch verhalf. Er reagierte sensibel auf die neuen Forschungsansätze, und so blieb ihm das Schicksal des Scheiterns tiefsinniger Spekulation erspart, das ScHELLiNG zwei Jahrzehnte später in Berlin durchleiden mußte. Die Jahre nach dem Sturz NAPOLEONS brachten für Europa eine bewegte Fortbildung der Probleme in Recht, Verfassung und Ökonomie. Die fortgehende Geschichte selbst konnte jene Vorschläge zu Anachronismen machen, die Hegel in seinem Kompendium gemacht hatte. Als Hegel kurz vor seinem Tode seine Phänomenologie des Geistes neu herausgeben wollte, konnte er dieses eigentümliche Produkt einer früheren Periode dem System nicht mehr integrieren. Hätte er seinem Kompendium problemlos folgen können, wenn der Tod nicht die rechtsphilosophische Vorlesung vom Winter 1831/32 abgebrochen hätte? Da Hegel die rechtsphilosophischen Vorlesungen seinen Schülern überlassen hatte, wurden Grundfragen der Rechtsphilosophie nur an anderen Stellen weiter diskutiert, vor allem in den politischen Schriften und Aufzeichnungen und in den geschichtsphilosophischen Vorlesungen, die sich von der Rechtsphilosophie gelöst hatten. Als Hegel seiner Rechtsphilosophie die endgültige Gestalt gab, war Frankreich ein Vorbild, das sich nach einem revolutionären Umbruch in der Charte eine neue Verfassung gegeben hatte. Dann aber mußte Hegel die weiteren Revolutionen in den romanischen Ländern beobachten; 1830 schreckte die Revolution in Paris und das Auseinanderbrechen der Vereinigten Niederlande. Hegel hatte das Problem der religiösen Konfessionsverschiedenheit für überholt gehalten und in der Toleranzpolitik FRIEDRICHS DES GROSSEN, JOSEPHS II. und NAPOLEONS den neuen Weg gesehen. In seinen letzten Berliner Jahren trug Hegel aber die Auffassung vor, nur die protestantische Religion ermögliche einen vernünftigen Staat, die katholische Religion provoziere immer neue Revolutionen. Der Berliner Professor konnte sich offenbar nicht vorstellen, daß man in Paris etwa aus Unwillen gegen die Entschädigungen des alten Adels und um der Meinungsfreiheit willen auf die Straße ging. Das Bild, das Hegel in seinen geschichtsphilosophischen Vorlesungen zum Beispiel von FRIEDRICH DEM GROSSEN gab, fiel sehr unterschiedlich aus. Im Winter 1822/23 wurde FRIEDRICH, dem Hegel einmal nur eine „ephemerische" Wirkung zugesprochen hatte, zur „welthistorischen Person", die „konstitutionell", aus der Staatsräson heraus, einen neuen Großstaat in die Ge-
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schichte einführte. Im Winter 1830/31 trat FRIEDRICH dagegen „als Held des Protestantismus" auf; der Freund VOLTAIRES wurde zum besten Christen, der mit seiner vernünftigen Auffassung von Religion auch eine neue Staatlichkeit ermöglichte. Das preußische Landrecht, das vom jungen Hegel einmal scharf kritisiert worden war, wurde zu FRIEDRICHS unsterblichem Werk. 31 Im Winter 1824/25 hat Hegel zum letzten Mal seine rechtsphilosophischen Vorlesungen bis zum Ende vortragen können. Dabei hat er in der Erläuterung zum § 250 seine Gegnerschaft gegen die Verfassungstheorien von SiEYfis und damit gegen die Französische Revolution auf eine Pointe gebracht: „Die Gemeinde, die Korporation ist der große Punkt, um den es sich gegenwärtig in der Welt in Beziehung auf Verfassung handelt." Die bürgerlichen Repräsentanten in der ersten Kammer sollten über indirekte Wahlen von den Gemeinden und den korporativen Untergliederungen in ihnen delegiert werden! Die Revidierte Preußische Städteordnung von 1831, die Hegel sich noch anschaffen konnte, belegt, daß diese Tendenzen in Preußen gescheitert sind. Hegels Aufsatz über die englische Reformbill diskutierte dann die Verhandlungen über die Neuordnung des Wahlrechts in England. Hegel fürchtete, die Wahlrechtsprobleme könnten England (also einen protestantischen Staat!) in die Revolution treiben; offenbar wurde ihm untergründig bewußt, daß der Parlamentarismus gerade auch in England über die Vorstellungen seiner Rechtsphilosophie von einer konstitutionellen Monarchie hinaustrieb. EDUARD GANS legte im Winter 1832/33 nach Hegels Tod Hegels rechtsphilosophisches Kompendium weiterhin seinen Vorlesungen zugrunde. Die Nachschrift der Vorlesung durch IMMANUEL HEGEL zeigt, daß GANS bei der Frage nach der Gemeindeverfassung und dem Wahhnodus entschieden von Hegel abwich. Hegels Gedanke der Korporation wird auf mittelalterliche Prinzipien zurückgeführt: „Die mittelalterlichen Stände repräsentieren nicht den Staat, sondern ihre Geschäfte: Sie kommen in ihrem eigenen Recht, nicht im allgemeinen Rechte des Staates. Unsere Stände sollen den Staat repräsentieren." Statt Hegels zweiter Kammer (der Pairie) wird ein Senat als stabilisierende Institution gefordert. Hegels Lehre 31 Vgl. Päggeler: Hegels Option für Österreich. Die Konzeption korporativer Repräsentation. In: Hegel-Studien. 12 {1977), 83 ff, vor allem 104 ff. Die Transkription und Kollationierung der entsprechenden Nachschriften war von mir noch im Rahmen des Ansatzes von Hoffmeister in den fünfziger Jahren vorgenommen worden; eine Veröffentlichung einer einzelnen Vorlesxmg bzw. eines einzelnen Vorlesungsjahrganges zusammen mit notwendigerweise einseitigen und überholbaren Auswertungen wäre aber einem Verrat an der langfristigen Editionskonzeption gleichgekommen.
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wird historisch relativiert: „So wie die Pairie früher historisch war, so wollte man sie jetzt aus dem Gedanken herleiten: im Staate seien zwei Momente zu repräsentieren, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft. Die Repräsentation der Familie sei die Pairie ..." GANS fixiert noch einmal den Streit zwischen den Auffassungen von SIEY£S und Hegel über die Repräsentanten: „Es sind zwei heftig sich bekämpfende Meinungen. Sollen sie nach Korporationen, Ständen, oder nach der Bevölkerung, nach der räumlichen Abteilung gewählt werden? Für die erste Meinung sagen sie: Jeder aus der Korporation Gewählte vertritt mit seiner Kenntnis dieselbe. Aber die Stände in der bürgerlichen Gesellschaft verschwinden im Staate und alle werden Bürger, jetzt um so mehr, als die Grenzen der Stände durchaus verschwinden."3^ Hat die fortgehende Geschichte damit gegen Hegel und sein Kompendium gesprochen? So einfach lassen sich geschichtliche Fragen nicht entscheiden — Hegels Motive behalten in neuen Zusammenhängen ein eingeschränktes Recht (das zeigen die Bemühungen auch unserer Parlamente, unter den Abgeordneten zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Vertretern der Bauern zu haben, eine Frauenquote durchzusetzen, usf.) In jedem Fall hätte Hegel, wenn ihm eine längere Lebenszeit gegönnt gewesen wäre, wesentliche Lehren seiner Rechtsphilosophie überdenken müssen. Als EDUARD GANS 1837 Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte herausgab, bezog er in seiner Vorrede Vico in die Ausbildung der Geschichtsphilosophie ein und markierte so gegenüber Hegel einen höheren Reflexionsstand. Er reklamierte (wohl nicht ganz ohne Ironie) als Motto seiner Edition einen Satz von WILHELM VON HUMBOLDT: „Die Weltgeschichte ist nicht ohne eine Weltregierung verständlich." So folgte er Hegels Bemühungen, sich gutzustellen mit diesem einstigen Reformer und großen Gelehrten; doch hat man bis heute nicht belegen können, daß Hegel selbst HUMBOLDTS Akademieabhandlung Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers zur Kenntnis genommen hat (aus dieser Abhandlung stammt das Motto). GANS gab in seiner Vorrede an, daß Hegel die erste Einleitung über die Arten der Geschichtsschreibung 1830/31 durch ein großes Manuskript über die Vernunft in der Geschichte ersetzte; doch kombinierte seine Edition die unterschiedlichen Einleitungen zu einem geschlossenen Text. Bei der Darstellung der Weltgeschichte selbst Vgl. Eduard Gans: Naturrecht und Universalgeschichte. Hrsg, von Manfred Riedel. Stuttgart 1981. 102 f. Gans hat seine Auffassung im Streit mit der Zensur in den Beiträgen zur Revision der Preußischen Gesetzgebung (Berlin 1830 —32) publiziert. Vgl. dazu meinen Hinweis in: Hegels Begegnung mit Preußen (siehe Anm. 2). 330 f.
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stützte GANS sich vor allem auf Hegels letzte Vorlesung, in der Hegel (gegen die erste Ankündigung) gerade das Mittelalter und die neuere Zeit ausführlicher behandelte. Der siebzehnjährige Student KARL HEGEL hatte die Vorlesung nachgeschrieben und eine saubere Ausarbeitung hergestellt. Als KARL HEGEL nach dem Tode von GANS 1840 eine zweite Ausgabe der geschichtsphilosophischen Vorlesungen seines Vaters veranstaltete, war das Lob seines Vorgängers auch wohl nicht ohne Ironie: der Verewigte habe „mit geistreichem Geschick Vorlesungen zu einem Buche gemacht". KARL HEGEL hielt an der Anlage und dem Rahmen des Buches fest, suchte das bloß Geistreiche und Unsolide in ihm aber zu korrigieren. Er griff stärker auf die Nachschrift zurück, die v. GRIESHEIM 1822/23 angefertigt hatte. Diese erste Hegelsche Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte entfaltet innerhalb einer weltgeschichtlichen Neuorientierung Hegels an den „statarischen" Kulturen Chinas und Indiens, was überhaupt ein Volksgeist ist. Aus Hegels Manuskripten entnahm KARL HEGEL Kernworte und wichtige Formulierungen (die nun aus seinem Text zurückgewonnen werden müssen, da Hegels Manuskripte größtenteils verloren sind). Es wurde schon bemerkt, daß KARL HEGEL dabei die chronologischen Angaben zur Weltgeschichte korrigieren mußte, die er selber einmal niedergeschrieben hatte. Sein Verfahren, weitere Formulierungen in den Text einzubringen, führte zu neuen Mißverständnissen.33 Eigentlich hätte schon ein flüchtiger Vergleich der beiden Editionen zu der Einsicht führen müssen, wie prekär der Text dieses populären Hegelschen „Werkes" überliefert ist. KARL HEGEL korrigiert einige schwankende Namen und Geschichtszahlen — vgl. die Ausführungen zur medischen und zur assyrisch-babylonischen Geschichte (190 bei GANS, 248 f bei KARL HEGEL) oder die Daten der frühen römischen Geschichte (309 bei GANS, 388 bei KARL HEGEL). Was bei GANS eine Polemik gegen NIEBUHR ist (311), wird bei KARL HEGEL durch eine Einfügung eher zur Polemik gegen die römische Geschichtsschreibung (391). Kleine Abweichungen im Text führen zur vollkommenen Änderung des Sinnes. So heißt es bei GANS, Ormuzd solle den Ahriman überwinden, „aber ewig mit ihm kämpfen" (183). KARL HEGEL korrigiert: „Daß Ormuzd mit Ahriman kämpfen und ihn letztlich überwinden solle" (241). „Jeder Dschemschid" bei GANS (184) wird bei KARL HEGEL ZU „Jener Dschemschid" (243). GANS bringt im Abschnitt China und die Mongolen nach dem Kapitel über China ein Kapitel: Die Religion des Fo oder Buddha und die Mongolen. KARL HEGEL 33 Siehe Anm. 2.
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dagegen gibt nach dem Abschnitt über China und Indien einen Exkurs: Der Buddhaismus; er bemerkt, daß er mit dieser Anordnung Hegels erster Vorlesung folge, die mit den neueren Forschungen „mehr" übereinstimme. Die Ausführungen, die Hegel in der zweiten, dritten und vierten Vorlesung über das mongolische Prinzip machte, besagen etwa, daß China sich zum Mongolenreich verhalte wie ein weltliches Reich zu einer geistigen Integration. Diese Ausführungen verkennen natürlich völlig die Stellung des Buddhismus, der ja relativ jung ist, und so glaubt KARL HEGEL sie nicht mehr wiedergeben zu sollen. Es blieb bei der Verbindung der verschiedenen Einleitungen. Der Einleitung mit der Erörterung der Arten der Geschichtsschreibung, wie Hegel sie 1822/23 und 1828/29 machte, steht schon 1824/25 eine andere Weise der Einleitung gegenüber.34 So zeigt sich, daß die Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte sich zwar erst spät zur Eigenständigkeit emanzipierten, aber aUe zwei Jahre in den fünf Vorlesungsjahrgängen die stärksten Variationen durchliefen. Was Hegel in seinen Berliner Vorlesungen zum Beispiel über Recht und Staat, über Weltgeschichte und Religion zu sagen hat, ist von ihm in unterschiedlichen Weisen zu einem Ganzen verknüpft worden. In jedem Fall kann man die eine Vorlesungsreihe nicht zureichend ohne Berücksichtigung der anderen Reihen in das Ganze von Hegels Geistesphilosophie zurückstellen und mit der Philosophie des subjektiven Geistes verbinden. Ist Hegel in den verschiedenen Vorlesungsreihen überhaupt ein und derselben systematischen Anlage gefolgt? Schon bei der groben Gliederung dieser Vorlesungen fallen die Unterschiede ins Auge. So entwickelt die Rechtsphilosophie zuerst aus den Elementen des abstrakten Rechts und der Moralität oder Handlung die rechtsförmige Fassung der Idee des Guten; sie fügt dann die maßgeblichen Formen des Sittlichen ^ Zur ersten Einleitung hat Hegel die Daten des Anfangs seiner Vorlesung gestellt: „31. X. 1822" und „30. X. 1828". Wie er 1828/29 die erste Einleitung einbezog, kann zur Zeit nicht gezeigt werden, da dieser Jahrgang noch nicht durch eine Nachschrift belegt ist. Da nur durch Gerüchte bekannt ist, Hegel sei an seinem Lebensende aufgefordert worden, gegen Gans einzuschreiten, und da Hegels Motive bei der Ausgestaltung der Vorlesung von 1830/31 uns entzogen sind, kann man hier nur mit Hypothesen spekulieren, die letztlich nicht zu beweisen sind. Nicht unwahrscheinlich ist: als Hegel die rechtsphilosophische Vorlesung ausfallen ließ, mußte er gegen seine Ankündigung, Philosophiae historiae universalis partem priorem lesen zu wollen, das Gewicht auf die neueren Zeiten legen, wenn er Gans auf dessen eigenem Felde sowohl auf nehmen wie korrigieren wollte. Damit ist die Herausstellung des protestantischen Prinzips für Religion und Staat in der Anmerkung zum § 552 der Enzyklopädie so wenig widerrufen wie die Analyse der geschichfUchen Bewegungen seit der europäischen und der deutschen Aufklärung in den großen Rezensionen zu Solger und Hamann.
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an. Die Geschichte erscheint mehr als Anhang, verselbständigt sich dann aber. Die Ästhetik schiebt die Geschichte der Kunstformen zwischen die Entfaltung der Idee des Schönen und die Darstellung der Hauptgattungen der Kunst ein. Die Vorlesung ist zuerst zweigeteilt, aber mit der Tendenz zu einer Dreiteilung, die sich dann durchsetzt. Wiederum anders ist die Religionsphilosophie aufgebaut: sie beginnt mit dem Begriff der Religion, richtet dann die Geschichte der bestimmten Religionen auf eine absolute Religion aus; die Formen und Institutionen des religiösen Bereichs, z. B. des Kults, werden nicht für sich dargestellt. Hegels Geschichte der Philosophie behauptet, die Folge der repräsentativen Philosophien sei durch die Folge der Momente der Logik bestimmt; doch dieses Gliederungsprinzip kann nicht recht deutlich gemacht werden. In jedem Fall gibt es einen Bruch zwischen dem Ansatz in der Jenaer Vorlesung zur Geschichte der Philosophie und den Heidelberger bzw. Berliner Vorlesungen, obwohl Hegel in Berlin im steigenden Maße für die konkreten Ausführungen auf sein Jenaer Heft zurückgegriffen hat.^^ Die Zeit läuft ab, in der man (oft unter Mißachtung des längst Bekannten) die einzelne Nachschrift einer Hegelschen Vorlesung als etwas schlechthin Neues und dazu Aktuelles präsentieren konnte. Sicherlich können Editionen und Übersetzungen auf Impulse der Zeit treffen und so zu einer Neuorientierung verhelfen. Das galt etwa in den Jahrzehnten um den Ersten Weltkrieg für LUTHERS frühe Römerbriefvorlesung, für die Übersetzungen von KIERKEGAARD und DOSTOJEWSKI, für NIETZSCHES Nachlaßtexte, für HöLDERLINS späte Hymnen. Wenn die Gunst der Stunde vorüber ist, verblaßt auch das Licht, das von den Editionen und Übersetzungen ausging; verbesserte und vervollständigte Editionen und Übersetzungen können dieses Licht oft nicht mehr zurückrufen. Wie jedoch noch nicht ausgemacht ist, ob die Arbeit des ERASMUS oder die Impulse LUTHERS die Geistesgeschichte stärker bestimmt haben, so kann auch nicht vorweg darüber entschieden werden, ob eine langfristig angelegte Editionsarbeit oder die sensationssuchende Einzeledition die größere Wirkung hat. In jedem Fall entspricht es dem Ethos wissenschaftlicher Arbeit, sich von vorschnellen Aktualisierungen zurückzuhalten; die historisch-philologische Bemühung muß für den Autor eintreten und gegebenenfalls sein Gewicht als „Klassiker" auch gegen vorschnelle Ansprüche auf Aktualität stellen. Bei Hegels Vorlesungstätigkeit ist es so-
35 Vgl. Pöggeler: Geschichte, Philosophie und Logik bei Hegel. In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Chr. Lucas und G.Planty-Bonjour. Stuttgart 1989. 101 ff.
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wieso offen, ob nicht erst der Blick auf das Ganze die entscheidenden Impulse für eine Verständigung unserer Zeit über ihre Aufgaben gibt. Als KOJ£VE in Paris über Hegel las, LUKäCS in Moskau an seiner Hegeldarstellung arbeitete, die NiSHiDA-Schule in Kyoto sich mit SCHELLING und HEGEL auseinandersetzte, wurde Hegels Philosophie endgültig herausgelöst aus der engeren Wirkungsgeschichte in Deutschland und in Europa. Darüber darf aber nicht aus dem Blick geraten, daß Hegel durch seinen Weg von Heidelberg nach Berlin zum repräsentativen Autor seiner Zeit wurde und fortan auch für ihn die Maxime der Wirkungsgeschichte galt: Wer hat, dem wird gegeben. An einer Universität, die zum Modell neuer Universitäten wurde, konnte Hegel die Philosophie als Mitte der Wissenschaften im Mittelpunkt eines neuen Großstaates der eiuropäischen Pentarchie vertreten. Doch jenes Preußen, von dem aus dann deutsche Länder zusammengefaßt wurden, ist in den Weltkriegen und in einer beispiellosen politischen Katastrophe aus der Geschichte verschwunden. Der Neubeginn, den die Bundesrepublik Deutschland repräsentierte, war ausdrücklich gegen eine Dominanz gerichtet, wie sie Preußen einmal erlangt hatte; die Regionen Mitteleuropas sollten ohne einseitige Nationalismen auf Europa ausgerichtet und in eine neue Weltordnung eingefügt werden. Man sollte nicht verkennen, daß der oft so einseitige und gewaltsame Zugriff auf Hegels Vorlesungen den Motiven folgt, die sich in dieser Geschichte ausbildeten. Wohin immer KARL-HEINZ ILTINGS Versuch einer neuen Begründung von Verantwortung und Recht schließlich geführt hat — KARL-OTTO APEL Z. B. glaubt, diesen Versuch noch verschärfen zu müssen.3^ APEL will sich durch die PhUosopheme unserer Zeit nicht „darüber hinwegtäuschen" lassen, „daß es gerade eine Paralysierung des ethischen Prinzipienbewußtseins war, die — zusammen mit einem kompensativen Nationalismus und dem überall und stets anzutreffenden Opportunismus — das Versagen der ,intellektuellen Elite' im Dritten Reich zur Folge gehabt hat". Doch ist der eigene Ansatz überhaupt auf dem rechten Wege? Diese Frage wird nur noch dringlicher, wenn man bedenkt, daß es nicht nur um eine Rekonstruktion Europas geht, sondern um ein Zusammenleben auf dieser Erde im ganzen unter ^ Vgl. Karl-Otto Apel: Faktische Anerkennung oder einsehbar notwendige Anerkennung? In; Zur Rekonstruktion der praktischen Philosophie. Gedenkschrift für Karl-Heinz Ilting. Hrsg, von Karl-Otto Apel in Verbindung mit Riccardo Pozzo. Stuttgart 1990. 67 ff. — Zum folgenden vgl. Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus. Hrsg, vom Forum für Philosophie Bad Homburg. Frankfurt a. M. 1988. 123; vgl. ebenda 262 ff und 268 meinen kritischen Hinweis auf einen anderen (hermeneutischen oder topischen) Ansatz.
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den Bedingungen möglicher atomarer Kriege und in den Zwängen des Gefälles zwischen Kulturen unterschiedlichster Herkunft und Ausbildung. Gegenüber der Aufgabe der Neuorientierung, die von uns verlangt ist, bleibt die Bemühung um Hegels Vorlesungen eine kleine und abgelegene Sache. Trotzdem könnte die Besinnung auf die Weise hilfreich sein, wie Hegel Recht und Staat begründet oder die neue Rolle der Kunst bestimmt hat. Dabei darf man nicht übersehen, daß für eine zureichende Edition der Hegelschen Vorlesungen im ganzen ein Ansatz erst noch gewonnen werden muß. Auch für diese Aufgabe wird Hegels Satz gelten, daß nichts Großes ohne Leidenschaft vollbracht werde. „Zwecke des partikulären Interesses, die Befriedigung der Selbstsucht" seien „das Gewaltigste", so führt Hegel im späten Manuskript der Einleitung in die Philosophie der Weltgeschichte aus. Die „Naturgewalt der Leidenschaft" liege dem Menschen „unmittelbar näher" als „die künstliche und langwierige Zucht zur Ordnung und Mäßigung". Die Geschichte sei aber nicht der Ort des Glücks; dem Betrachter biete sich vom anscheinend ruhigeren Ufer nur der ferne Anblick einer „verworrenen Trümmermasse". Hegel vertraute darauf, daß in der Geschichte der sich abarbeitenden Leidenschaften schließlich doch die Vernunft sich durchsetze. Dieses Vertrauen ist uns verlorengegangen. Um so mehr sollte man für die unscheinbare und doch so schwierige Aufgabe, Hegels Vorlesungen im ganzen zu rekonstruieren, die nötige Vernunft und vorweg überlegende Besonnenheit aufbringen.
FRANZ HESPE (MARBURG)
DIE GESCHICHTE IST DER FORTSCHRITT IM BEWUSSTSEIN DER FREIHEIT" Zur Entwicklung von Hegels Philosophie der Geschichte
Die eben zitierte Formulierung^ aus einem eigenhändigen Manuskript Hegels für seine letzte Vorlesung über Philosophie der Weltgeschichte von 1830 ist so bekannt, daß sie geradezu als das Programm der Geschichtsphilosophie Hegels gilt. Aber kaum jemand hat sich Gedanken gemacht über die Eigenartigkeit der Formulierung: Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit. Noch seltener hat sich jemand um eine Interpretation dieser eigenartigen Formulierung bemüht. In der Regel wird sie einfach im Sinne von Fortschritt in der Realisierung von Freiheit interpretiert. So hat Hegel es aber nicht gemeint, als er diese Zeile nicht nur als Einleitung für seine letzte Vorlesung, sondern wahrscheinlich auch für eine geplante Publikation zu diesem Thema, zu der er dann nicht mehr gekommen ist, niederschrieb; denn es ist nicht bloß vom Fortschritt der Freiheit, sondern vom „Bewußtsein der Freiheit" als dem „Endzweck der Welt" die Rede, die „erst die Wirklichkeit seiner Freiheit überhaupt" ist (ebd.). Hegel hat eine durch die erste Interpretation nahegelegte Auffassung zuvor allerdings lange Zeit vertreten, und die Fortentwicklung seiner Geschichtsauffassung ist aus den bisher gedruckten Materialien auch nicht zu eruieren. Hegels erste Berliner Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte stellen nämlich nichts anderes dar als die Ausformulierung eines schon in den frühen Jenaer Schriften entwickelten Konzepts, demzufolge die Geschichte die Entwicklung ein und desselben Prinzips in einer notwendigen Abfolge sozialer und kultureller Formationen von unvollkommeneren zu vollkommeneren Formen des Wissens und der Freiheit darstellt. Dort argumentiert Hegel nämlich bezogen auf die Philosophiegeschichte, daß das „Absolute, wüe seine Erscheinung die Vernunft ewig ein und dasselbe", und daher jede „wahre Philosophie" „zu allen Zeiten diesel-
1 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1; Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1955. 68. Im folgenden zitiert als VG.
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be" sei (GW4. lO)^, die „aus dem Bauzeug eines besondern Zeitalters sich eine Gestalt organisiert." (GW4. 12) An anderer Stelle beschreibt er die Weltgeschichte als einen teleologischen Prozeß, der sich in einer notwendigen Stufenfolge — deren Subjekt die „sittliche Totalität" bzw. der „Weltgeist" ist — realisieren muß (GW 4. 477, 479 f).^ Die antike Polis, das römische Kaiserreich und die Neuzeit bilden Stadien eines durch eine dialektische Folge des Verhältnisses von Einheit und Differenz bestimmten Prozesses. Dagegen legen die späteren Vorlesungen ein Geschichtskonzept vor, in dem die Geschichte kein bloßes Schicksal, sondern die Entwicklung von in der Menschheit angelegten Anlagen bedeutet, für deren Realisierung die Individuen als einzelne wie die Menschheit als ganze selbst verantwortlich sind. Mit einer zeitlichen Verzögerung macht Hegel damit auch für die Geschichtsphilosophie einen Begriff von „Geist" fruchtbar, dessen Momente Freiheit und Subjektivität einerseits, Perfektibilität und Entelechie andererseits sind — Begriffe, die Hegel von der neuzeitlichen Rechts- und Sozialphilosophie einerseits, der ARisioxELischen Philosophie anderseits übernommen hat. Das älteste Dokument für diesen Geistesbegriff ist wohl die Einleitung in die Rechtsphilosophie; später findet er sich auch in den Fragmenten zur Philosophie des subjektiven Geistes (von 1822/25) und den Vorlesungen von 1827/28 zu diesem Thema. Infolge der Entwicklung der Geschichte aus diesem Geistesbegriff wird die Geschichte für Hegel offen, zwar nicht für Willkürliches und Zufälliges, aber doch so, daß die in der Menschheit angelegten Anlagen wirkliche Möglichkeiten sind, deren Verwirklichung in der Verantwortung der Menschheit liegt. Insofern hat die Geschichte auch weiterhin ein Ziel, ein telos, das aber noch der Verwirklichung harrt und an dessen Ende nicht das Ende aller Geschichte, sondern der bewußte Vollzug vernünftigen menschlichen Zusammenlebens stünde.“* 2 Vgl. dazu auch die Ausführungen in der Metaphysikvorlesung von 1801/2—1802/3, abgedruckt in Karl Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844. 192. ^ Vgl. R.-P. Horstmann: Der geheime Kantianismus in Hegels Geschichtsphilosophie. In: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik. Hrsg. v. D. Henrich und R.-P. Horstmann. Stuttgart 1982. 56 ff (58 f). ^ Die folgenden Darstellungen beruhen im wesentlichen auf den unveröffentlichten Nachschriften von Ackersdijck (1830/31), zitiert als A; K. Hegel (1830/31), zitiert als KH; Erdmann (1826/27), zitiert als £; Hute (1826/27), zitiert als H; Hagenbach (1822/23), zitiert als Ha, und von Griesheim (1822/23), zitiert als Gr. Prof. Pöggeler danke ich dafür, daß er mir seine Transkriptionen der Nachschriften von Griesheim, Hube und Karl Hegel zur Verfügung stellte. — Zur Entwicklung der Hegelschen Geschichtsphilosophie vgl. auch K.-R. Meist: Differenzen in Hegels Deutung der „Neuesten Zeit" innerhalb seiner Konzeption der Weltgeschichte. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg, von H.-
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I. In den frühen Vorlesungen behandelt Hegel Geschichte als einen Prozeß des historischen Aufkommens und Niedergehens von Völkern, in dem jede Zivilisation, wenn sie ihren Höhepunkt überschritten hat, zwar untergeht, aber die zivilisatorischen Errungenschaften gleichsam als Bauzeug an ein anderes Volk weiterreicht.s Schließlich stellt sie die Frage nach dem „Endzweck dieser ganzen Arbeit und dieser Aufopferung. Diese Frage, ob nicht ein geheimnisvolles Werk dem Ganzen zum Grunde liegt, um dessentwillen alles geschehe, ist die Frage worin die Kategorie der Vernunft liege . . . Daß ein letzter Zweck bei allem Tun und Leiden das Letzte ist, mit anderen Worten, daß Vernunft in der Weltgeschichte ist, ist eine Wahrheit, mit der wir anfangen müssen" (Ha 4 a). Die Vernunft bzw. synonym damit, die Idee, sei das Bleibende in allem Wechsel der Erscheinungen und sei hier im „Elemente der menschlichen Freiheit" und näher des menschlichen Willens zu erkennen, d. h. als dritte Erscheinungsform neben der logischen Betrachtung der Idee und ihrer Betrachtung im Elemente der physischen Natur (Ha 4 b). Hegel vertritt also in der Tat die Auffassung von der einen Vernunft oder Idee, die in den logisch/ontologischen Gesetzen, der Natur, dem menschlichen Erkennen und dem menschlichen Zusammenleben gegenwärtig ist. Diese Idee ist als Subjekt der Weltgeschichte gleichsam hinter dem Handeln der Individuen tätig, macht sich dieses nur zur Mitteln ihrer eigenen Verwirklichung. Sie ist ferner — nach Art einer Theodizee — Rechtfertigung für das Leiden der Menschen, als bloße Mittel zur Realisierung dieses Endzweckes, die auch nicht in der Willkür der Menschen liegt, nicht ihnen, sondern der transsubjektiven Vernunft zuzurechnen ist. In den Vorlesungsnachschriften von 1826/27 wird diese, an die Weltgeschichte herangetragene Vorstellung, daß die Vernunft die Begebenheiten der Weltgeschichte regiert habe, dann auch ausdrücklich und unter namentlicher Nennung LEiBNizens als Theodizee bezeichnet (E 2). Die Vorlesung von 1826/27 stellt jedoch schon eine Art Übergangsstadium dar. — Die These, daß die philosophische Geschichtsbetrachtung nur die Vernunft als einzige Voraussetzung an die Geschichte heranzutragen habe, wird neu interpretiert; zwar gilt für Hegel sogar noch im Chr. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. 465 ff. Ders.: Der geschichtliche Zeitort der Freiheit. Überlegungen zu Flegels letzten Entwicklungen einer Geschichtsphilosophie als Ansatz einer geschichtlichen Selbstreflexion des Hegelschen Denkens in der Moderne. In: Philosophisch-theologische Grenzfragen. Festschrift für Richard Schaeffler. Essen 1986. 5 Hfl 3 b f in Verbindung mit 5 b.
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Manuskript von 1830, daß die Vernunft sich als „Endzweck" nicht nur im „natürlichen Universum", sondern auch im „Geistigen, — in der Weltgeschichte" realisiert (VG 29; vgl. 48)^, daß die Weltgeschichte der „notwendige Gang des Weltgeistes gewesen, . . . dessen Natur eine und immer dieselbe ist" {VG 30), aber die Vernunft zu verwirklichen ist Zweck der philosophischen Geschichtsbetrachtung selbst. Die philosophische Betrachtung ist „denkende Betrachtung" der Weltgeschichte, die als „denkende Vernunft" sich kein anderes Interesse zum Zwecke ihrer Geschichtsbetrachtung machen kann als das „Vernünftige" selbst (E 2). Die philosophische Geschichtsbetrachtung ist nicht mehr nur Rechtfertigung des faktischen Geschehens, sondern hat das Interesse, die geschichtlich gewordene Welt als Werk des Menschen bzw. der Vernunft zu enthüllen. In dieser Vorlesung wird der philosophische Begriff der Weltgeschichte nun erstmals nicht mehr in Abgrenzung gegen die anderen „Arten der Geschichtsschreibung", sondern aus dem Begriff des Geistes gewonnen. Es wird damit sehr viel pointierter herausgestellt, daß der Begriff des Geistes — das Bewußtsein der Freiheit — der notwendige Endzweck der Geschichte ist und zugleich ihre wirkliche Ursache werden muß. Seinen endgültigen Niederschlag findet dieser Umbruch in Hegels Manuskript zur Einleitung in die Philosophie der Weltgeschichte von 1830, wo Hegel nun ausdrücklich konstatiert, daß die Philosophie der Weltgeschichte aus dem Begriff des Geistes zu entwickeln sei. Jedoch wird der Begriff des Geistes im Manuskript nicht ausgeführt; der Gedankengang bricht mitten in einem Satz ab, es folgt eine Lücke.^ Aus den folgenden Ausführungen zur Entwicklung des Geistes in der Geschichte kann hier aber soviel festgehalten werden: nach Hegels, zuerst in der ^ Vgl. auch VC 30: . . es wird sich aus der Betrachtung der Weltgeschichte selbst ergeben, daß es vernünftig in ihr zugegangen, daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen, der die Substanz der Geschichte [ist], der eine Geist, dessen Natur eine und immer dieselbe ist, und der in dem Weltdasein diese seine eine Natur expliziert. (Der Weltgeist ist der Geist überhaupt.)" und VG 48: „Unsere Erkenntnis geht darauf, die Einsicht zu gewinnen, daß das von der ewigen Weisheit Bezweckte, wie auf dem Boden der Natur, so auf dem Boden des in der Welt wirklichen und tätigen [Geistes] herausgekommen ist." ^ Der Text bricht auf Blatt 57 a auf Vt der Seite mit dem Satzfragment ab: „Das erste also, was wir anzumerken haben, ist die abstrakte Bestimmung des Geistes. Wir sagen nun von ihm," Blatt 57 b beginnt mit: „Von der Weltgeschichte kann nach dieser abstrakten Bestimmung gesagt werden, daß sie die Darstellung des Geistes sei, wie er zum Wissen dessen zu kommen sich erarbeitet, was er an sich ist. . ." (Texte abgedruckt in VG 54 und 61 f) Hegel knüpft also an den Gedankengang der vorherigen Seite — aus den abstrakten Bestimmungen des Geistes die Weltgeschichte zu entwickeln — wieder an, die angekündigten Bestimmungen hat er jedoch nicht ausgeführt.
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Einleitung zur Rechtsphilosophie, dann aber vor allem in der Mitte der 20er Jahre in den Arbeiten zur Philosophie des subjektiven Geistes entwickeltem Begriff ist Geist als Selbstorganisation aus äußerem Stoff zu verstehen, wodurch dieser einerseits als funktionales Mittel der Produktion und Reproduktion des Geistes dient, der Geist sich andererseits selbst die Mittel einer neuen Stufe der Selbstorganisation bereitstellt. Das Leitmotiv dieser Gedankenführung ist das der Entelechie oder Perfektibilität, daß im Begriff einer Sache an sich schon ein Zweck enthalten ist, der zwar noch nicht wirklich ist, aber zu seiner Verwirklichung drängt, dazu aber der Praxis des Wirksamwerdens bedarf. Dieser Prozeß wird nun von Hegel gleichzeitig als ein Prozeß der Freiheit im Sinne von Autonomie oder Selbstsetzung gedeutet; denn Freiheit besteht nach Hegel nicht allein in der Möglichkeit willkürlicher Wahlakte — obwohl auch dies zur formalen Bestimmung von Freiheit gehört —, sondern in der Selbstorganisation zu einem Ganzen, deren Bestimmungen insgesamt von den Identitätsbedingungen dieses Ganzen gesetzt sind, auch wenn sie, abgesehen von ihrer Bestimmung, Mittel zu diesem Zweck zu sein, ebenfalls in anderen Kontexten stehen.® Auf die Weltgeschichte angewandt, soll dieser Begriff des Geistes erklären, daß die Menschen als handelnde Vernunft sich selbst ständig zu solchen Ganzen (Völkern) organisieren. Diese haben aber zu Beginn nicht die Mittel zur Realisation des Endzwecks, nämlich des Bewußtseins der Freiheit, sondern müssen sich die Mittel zu diesem Zweck in einem historischen Prozeß erst bereitstellen.^ Wie in der Entwicklung des subjektiven Geistes eine Stufe auf die andere aufbaut, die Resultate der früheren zu Mitteln ihrer Selbstorganisation nimmt, so bedarf jedes Zeitalter die Resultate des vorausgegangenen als Voraussetzung seiner Wirklichkeit. Im Manuskript von 1830 lehnt Hegel nun die Vorstellung einer bloßen Gesetzmäßigkeit der Geschichte oder, daß der Plan einer göttlichen Vorsehung die Geschichte bestimme, als eine bloß abstrakte Formulierung des Gedankens, daß Vernunft in der Welt herrsche, daß es auch in der Weltgeschichte vernünftig zugehe, ab, weil es „in der Entwicklung des Geistes endlich dahin kommen müsse, das was dem fühlenden und vor-
® Vgl. dazu vom Verf. System und Funktion der Philosophie des subjektiven Geistes. In: Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes. Beiträge zu einer Hegel-Tagung in Marburg 1989. Hrsg, von F. Hespe und B. Tuschling. 490 ff. ® Vgl. dazu Hegels Randbemerkung: „Erziehung des Menschengeschlechts — zu was? — zur Freiheit — Mensch erzogen dazu — nicht unmittelbar — Resultat" {VG 64 Anm.).
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stellenden Geiste zunächst [in der Offenbarung] vorgelegt worden, auch mit Gedanken zu erfassen." Ob es aber an der Zeit sei, dies zu erkennen, hänge davon ab, „ob das, was der Endzweck der Welt ist, endlich auf allgemeingültige, bewußte Weise in die Wirklichkeit getreten ist" (VG 45, vgl. ebd. 63). Eine Randnotiz „Dies — Verstehen unserer Zeit" (VG 45 Anm.) macht deutlich, daß Hegel im Ringen um eine bewußte Gestaltung der geschichtlichen Wirklichkeit einen Ansatz für die Erklärung der jüngsten Geschichte sieht. Das, was die geschichtliche Welt von der Natur unterscheidet, ist die Notwendigkeit ihrer Realisation durch den menschlichen Willen, ln Anknüpfung an die oben erwähnten Gedanken von Entelechie und Perfektibilität — und unter ausdrücklichem Bezug auf ARISTOTELES {VG 157) — wird die Geschichte jetzt als ein Prozeß gedacht, in dem das, was der Mensch zunächst nur an sich ist, vermittelst seines WiUens und Bewußtseins erst wirklich werden muß: „Was an sich erst ist, ist eine Möglichkeit, ein Vermögen, aber noch nicht aus seinem Innern zur Existenz gekommen. Es muß ein zweites Moment für ihre Wirklichkeit hinzukommen, und dies ist die Betätigung, Verwirklichung, und das Prinzip ist der Wille, die Tätigkeit der Menschen in der Welt überhaupt. Es ist nur durch diese Tätigkeit, daß jene Begriffe, ansichseiende Bestimmungen, realisiert, verwirklicht werden" (VG 81, vgl. 151, 152, 157). Am Rande hat Hegel zu diesen Ausführungen noch notiert: „Individueller Wille, Wille und Zweck des Individuums". Es geht Hegel also nicht mehr um einen letzten, nicht mehr in der Macht der Menschen stehenden, selbst das Übel in der Welt noch rechtfertigenden Grund der Geschichte. Im Gegenteil, Hegel schmäht die Vorstellung, daß die Übel in der Welt nur als Mittel der Realisierung eines Endzwecks dienen, als eine „gefühlvolle Reflexion" (VG 81).
II. Wenn Hegel im Text wie in einer Randbemerkung des Manuskripts von 1830 auf der Bedeutung insistiert, die seinen Überlegungen zur Vernunft in der Geschichte als einem Fortschritt im Bewußtsein der Ereiheit für den Begriff der Moderne zukommt, wird man zu recht Auswirkungen auf Hegels Interpretation der jüngsten Geschichte vermuten dürfen. Nach den frühen Vorlesungen ist die Reformation der Schlüssel für das Verständnis der Moderne, das letzte geistige Prinzip der Weltgeschichte, „das neue Panier, um das sich alle Völker sammeln, die Idee der Frei-
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heit, der wahrhafte Geist" (Gr 279). Noch nach den Nachschriften der Vorlesung von 1826/27 geht von der Reformation die letzte Periode der Geschichte, das „Reich des Geistes" aus (HII110'', E 200). Alle folgende Entwicklung ist nur eine Ausbildung dieses Prinzips, „daß das nur Wahrheit haben kann, was durch den Geist erhalten ist" (HII HO’’), das daher Selbstbestimmung des Geistes durch sich und somit Freiheit ist; die Reformation verlangt, daß die religiösen Inhalte aufgrund subjektiver Gewißheit und nicht aufgrund äußerer Autoritäten anerkannt werden (E 199). Von der Reformation an hat die Geschichte das Prinzip der Subjektivität dann nur noch praktisch zu verwirklichen. In den Vorlesungen von 1822—1826 wird die Zeit nach der Reformation bis zur Gegenwart in zwei Perioden eingeteilt, die der „Konsolidierung der Staaten" und die der „Herrschaft des Gedankens" (HII 110''). In der ersten Periode kommt es durch Zurückdrängung der feudalen Partikulargewalten und Stärkung der Zentralgewalt zur Ausbildung von Nationalstaaten als besonderen Individuen. Diesen Prozeß interpretiert Hegel als die staatliche Realisation des Prinzips der modernen Subjektivität und Freiheit. Die zweite Periode geht von der Innerlichkeit des Protestantismus aus, der Forderung, nur das als wahr anzuerkennen, was in der subjektiven Gewißheit und nicht auf äußeren Autoritäten gegründet ist. Im Protestantismus ist der Inhalt des subjektiven Wissens aber noch durch die offenbarte Religion vorgegeben. Die Geschichte muß nach Hegel deshalb dazu führen, die Wissenschaften auch inhaltlich von der Religion zu emanzipieren. Im modernen Selbstverständnis der Wissenschaften müssen sich theoretische Wahrheiten wie sittliche Prinzipien auf die menschliche Vernunft gründen: „Gott hat sie zwar eingesetzt, wie mehrere behaupten wollen, aber der Geist des Menschen ist es, welcher alles vollbringt und deswegen die Produkte in seiner Natur hat." (HII 119'') Die Entwicklung der Wissenschaften, in Hegels Terminologie die „Bildung" des Bewußtseins, vollzieht sich daher „außerhalb der Kirche", „im weltlichen Bewußtsein" (HII HßO. «Die Kunst ausgenommen, haben sich die Wissenschaften von der Kirche geschieden" (HII 119). Die Vorlesung wendet sich dann den modernen Naturwissenschaflen mit ihrer Orientierung an der Erfahrung und der Suche nach allgemeinen Gesetzen und dem neuzeitlichen Naturrecht und seiner Begründung von Recht und Sittlichkeit in der Freiheit des menschlichen Geistes zu (H118'' ff). Nicht mehr äußere Autorität, sondern Erfahrung und Erfahrungswissenschaft und die Entdeckung allgemeiner Gesetze bestimmen jetzt das Bild der Welt.
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Dieses neue Bewußtsein, „daß keine Autorität für den Menschen gelte als die Vernunft", sei Aufklärung genannt worden, als deren Begründer DESCARTES bezeichnet wird (HII120''). Die Verdienste um die Aufklärung rechnet Hegel vor allem Frankreich zu, in Deutschland sei sie nur durch die „Redlichkeit. . . torquiert" worden. „In der Deutschen Aufklärung ist nichts enthalten, was nicht in VOLTAIRE und ROUSSEAU ausgesprochen wäre" (HII 12V). Jedoch ist die Aufklärung zufolge der Nachschriften bis 1826/27 in Frankreich bloß formal geblieben, nicht praktisch geworden, hat keinen wahrhaften Inhalt in der Verfassung und der Religion erhalten, sondern es war FRIEDRICH II., der sie politisch zu Herrschaft brachte, weshalb er „mit Recht ein philosophischer König genannt" wurde {HII 12V; vgl. auch schon Gr 308). Wie schon in der Vorlesung von 1820/21, so wird FRIEDRICH II. 1826/27 gerühmt, weil er die Staatsräson gegen die feudalen Privilegien und Stände durchsetzte und das privatrechtliche Feudalrecht durch das moderne Staatsrecht überwand {HII 121''). Die Kriege dieser Epoche bezeichnet Hegel 1822/23 als konstitutionelle (Gr 308), weil sie Ausdruck der Auseinandersetzung um die Bildung des modernen Staates durch die Staatsräson seien. Während FRIEDRICH II. in den frühen Vorlesungen als der letzte geschichtliche Heros und die von ihm begründete „konstitutionelle Monarchie" als die Verwirklichung der Vernunft gefeiert wird, wird die Französische Revolution als eine pathologische Entwicklung dargestellt; als Reaktion auf das „alte legalisierte Unrecht" ist sie zwar notwendig, „nachdem die Prinzipien der allgemeinen Grundsätze bei den Völkern Wurzeln geschlagen hatten" (HII122’'); auch hat sie „den Gedanken zur Grundlage . . ., daß der Staat erbaut werden soll auf dem Grunde des Rechts an und für sich" {HII 122''). Weil die Vernunftprinzipien in Prankreich aber nur in abstrakter Weise zur Geltung gebracht — d. h. nicht in einer konstitutionellen Staatsverfassung wirklich wurden —, resultierten daraus jedoch die bekannten Greuel und der Fanatismus. Die fanatischen Gesetze sind es, die mit Unrecht Liberalismus genannt wurden. Weil die Französische Revolution es nur zum „falschen" bzw. dem „mit Unrecht so genannten" „Liberalismus", der „abstrakten Freiheit" gebracht hat, die sich „gegen alle Form, aUe Organisation" richtet, mußte sie notwendig scheitern. In den frühen Vorlesungen wird sie eher als eine Episode behandelt, die zunächst in Erankreich das durch die katholische Kirche legalisierte Unrecht aufhebt, ohne daß es zu einer wahrhaften Versöhnung kommen kann, in den Ländern mit protestantischer Religion aber nicht notwendig ist, weil durch die Reformation die Verhältnisse schon verbessert sind.
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findet in der ersten Vorlesung von 1822/23 nicht einmal eine Erwähnung, in der von 1826/27 erscheint er als eine im Grunde tragische Figur, der die liberale Verfassung vergeblich in andere Länder trug, die nur „provisorische Schöpfungen" (HII123'^) waren; denn in den romanischen Ländern waren sie äußerlich aufgesetzt, in Deutschland überflüssig, „weil die protestantischen Staaten schon in jener Einheit ihrer Religion und ihrer politischen Institutionen leben, die NAPOLEON erst schaffen wollte" {HII1230Gegenüber diesen Vorlesungen setzt Hegel in der letzten Vorlesung von 1830/31 neue Akzente, die zwar keinen völligen Konzeptionswandel darstellen, in denen sich aber doch einige signifikante Modifizierungen abzeichnen; einerseits wird die Bedeutung des Protestantismus für die politische Gesinnung pointiert, andererseits Liefert der Protestantismus bloß die Form des modernen Prinzips der Subjektivität, enthält noch nicht das „System der Gesetze der Freiheit"io und bedarf einer Fortbildung. Nicht mehr der Protestantismus ist das letzte geistige Prinzip, sondern die Aufklärung, die von Frankreich und DESCARTES ihren Ausgang nimmt. Die Neuakzentuierung findet ihren Ausdruck schon rein äußerlich darin, daß Hegel seine Vorlesung mit einer umfangreichen Erörterung der französischen Geschichte seit der Revolution und dem Ringen um eine stabile Staatsverfassung beendet. Die Breite dieser Ausführungen ist keineswegs zufällig — etwa weil Hegel in den vorangegangenen Jahrgängen keine Zeit mehr für diesen Stoff gefunden und ihn daher nur kursorisch behandelt hätte —, sondern wird bereits in der Periodisierung der Geschichte ab der Reformation deutlich: An die Konsolidierung der Staaten und die Aufklärung knüpft nach dieser Darstellung eine weitere Periode, in der „der Gedanke sich an die Wirklichkeit, die Staatenbildung macht"ii. Als Periode der „Umbildung des Staates nach dem Begriff des Rechts" (MM 12. 535) wird die Französische Revolution, deren Prinzipien jetzt als „welthistorisch" (MM 12. 535) anerkannt werden, und die darauffolgende Zeit bis zur Julirevolution gesehen: solange die Sonne am Firmament stehe, sei es noch nicht gesehen worden, „daß der NAPOLEON
A 446 f; vgl. G. W. F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Flrsg. von Eva Moldenhauer und Karl-Markus Michel. Frankfurt/M. 1970 ff. (im folgenden: MM) 12. 504. Die im folgenden aus der Edition von Karl Hegel nach der Ausgabe von Michel und Moldenhauer zitierten Belege stammen aus dem Heft von Karl Hegel nach der Vorlesung von 1830/31. KH 477; diesen Gliederungspunkt hat K. Hegel in seine Edition nicht übernorrunen; vgl. MM. 12. 508.
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Mensch sich auf den Kopf, auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach den Gedanken erbaut." (MM 12. 529; vgl. A 481 f). Die Pointierung der Bedeutung des Protestantismus für die politische Gesinnung beginnt bereits bei der Darstellung der Prinzipien der Reformation. 12 Hatte Hegel in der Vorlesung von 1822/23 und 1826/27 seine Behauptung, daß „der Staat auf die Religion gegründet sei", noch in dem Sinne interpretiert, daß der Begriff des freien Geistes in der Religion und in seiner Erscheinung als Staat derselbe sei (Gr 280), Staat und Kirche durch die Reformation daher zur „wahrhaften Harmonie" (HII 110''; E 201) gelangten, so wird dieser Zusammenhang nun dahingehend konkretisiert, daß der Protestantismus die bürgerliche Rechtschaffenheit als das Höchste anerkennt und darüber hinaus nichts Höheres mehr kennt. Indem der Protestantismus das Zölibat, das Armutsgebot und den blinden Gehorsam abschafft, erkennt er die Ehe, die Erwerbstätigkeit und die Unterwerfung unter die Staatsgesetze als der Vernunft und der Freiheit gemäß an und verpflichtet Fürsten und Gläubige auf die moderne bürgerliche Gesellschafts- und Staatsverfassung als das System der gesetzmäßigen Realisierung subjektiver Freiheit, während die katholische Kirche den Gläubigen die Befolgung vernunftwidriger Pflichten zur Gewissenssache macht (MM 12. 502 ff, vgl. A 444 ff). Daß Hegels Bekenntnis zum Protestantismus in erster Linie politischer Natur ist, belegen die weitläufigen Ausführungen zum Verhältnis von Staat und Kirche in der Einleitung zur Philosophie der Religion, die wegen der aktuellen politischen Bezüge aus der Vorlesung von 1831 stammen müssen. In den katholischen Staaten, führt Hegel dort unter Anspielung auf die Regierungszeit des letzten Bourbonen, KARL X., aus, „sind die Ansprüche der Freiheit mit den religiösen Prinzipien, die jene Entsagung [sc. die Aufhebung der subjektiven Freiheit] forderten, in Kampf geraten" (MM 16. 241). Es läßt sich zwar eine Trennung von Staat und Religion fordern, dann resultiert daraus aber ein Widerspruch zweier Prinzipien, die nicht beide Anspruch auf absolute Gültigkeit haben können. „So haben die Franzosen z. B., die das Prinzip der weltlichen Freiheit festhalten, in der Tat aufgehört, der katholischen Religion anzugehören" (MM 16. 243). Zwar kann die politische Gesinnung des einzelnen Individuums auch in etwas anderm als der Religion — etwa in der Bildung und Philosophie — gründen, aber für das Volk haben die Prinzipien von Recht und SittlichDaß Hegel seine These vom Protestantismus als wesentliches Moment moderner Staatlichkeit erst im Laufe seiner Berliner Jahre ausbildet, zeigt Otto Pöggeler: Hegels Option für Österreich. Die Konzeption korporativer Repräsentation. In: Hegel-Studien. 12 (1977), 83-128 (104 ff). 12
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keit ihre Bewährung nur in einer bestimmten Religion (MM 16. 245 f in Verb, mit 244). Mit der Akzentuierung der Bedeutung des Protestantismus für die politische Gesinnung wird auch die Behandlung der Staatenbildung um einen neuen Gesichtspunkt erweitert; neben die Konsolidierung der Staaten nach innen durch die Festigung der Monarchie und der Depression der Feudalgewalten sowie der Ausbildung eines Gleichgewichts der Mächte nach außen hat sie eine Bedeutung für die poliüsche Garantie der Existenz der protestantischen Kirche (MM 12. 514). Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges wird die protestantische Kirche im Westfälischen Frieden zunächst bloß politisch anerkannt, durch die Konsolidierung Preußens als protestantischer Staat aber in ihrer Existenz auch tatsächlich geschützt. Dies gelang FRIEDRICH II. — den Flegel jetzt als „Held des Protestantismus" apostrophiert — im Siebenjährigen Krieg. Der Siebenjährige ICrieg gilt jetzt als Religionskrieg — zwar nicht, weil er wie die eigentlichen Religionskriege um einer bestimmten Konfession willen geführt wurde, aber doch, weil in diesem FCrieg die politische Unabhängigkeit Preußens als Haupt des protestantischen Lagers konsolidiert wurde (MM 12. 519). In der Vorlesung von 1822/23 galt dieser Krieg dagegen noch als konstitutioneller. Auf der anderen Seite gewinnen ,Aufklärung und Revolution' eine neue Stellung. Nicht mehr der Protestantismus, sondern das Denken und die Aufklärung liefern das letzte Prinzip der Weltgeschichte, weil mit der Aufklärung das Denken insofern über die bloße „Innerlichkeit" des Protestantismus hinaus ist, als es einen vernünftigen Inhalt hat, und das „Selbst" darin nicht nur durch den Glauben der Form nach frei, der Inhalt aber durch die geoffenbarte Religion vorgegeben ist, sondern es den Inhalt aus sich selbst bestimmt. „Damit ist den Völkern ein neues und letztes Panier des Geistes auf gegangen" (A 470). „Mit diesem Prinzip der Freiheit im Denken gehen wir dann über zum letzten Stadium der Weltgeschichte, zur Form unseres Geistes, unserer Tage" (A 475). Mit dieser Entwicklung geht aber der Fortschritt in der Weltgeschichte von Deutschland nach Frankreich über. Entschiedener noch als in der Vorlesung von 1827/28 insistiert Hegel darauf, daß dieses Prinzip durch n Vgl. zu diesem Komplex auch die Rede bei der dritten Säkularfeier der Übergabe der Augsburgischen Konfession in: G. W. F. Hegel: Berliner Schriften. Hrsg, von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1956. 30 ff. n Diese Ausführungen zum Denken und zur Aufklärung als letztem Prinzip der Weltgeschichte sind in der Edition von Karl Hegel nicht enthalten; nach dieser Edition ist weiterhin der Protestantismus das „letzte Panier" der Weltgeschichte (MM 12. 496).
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in Frankreich aufgekommen ist. „In der germanischen Nation, der Reformation, war das Prinzip des Geistes aufgegangen, in einer romanischen das des Denkens. wie das Prinzip des Denkens rührt auch die Idee, Recht und Staat auf den freien Willen zu gründen, von Frankreich her: „Der Mensch ist Wille, und sofern er einen Willen hat und tut, was sein Wille ist, ist er frei. — Dies ist in Frankreich besonders von ROUSSEAU aufgestellt worden, Erst später ist dasselbe Prinzip in die KANTische Philosophie aufgenommen worden. Aber wie das Prinzip des Willens bei KANT nur abstrakt bleibt und nicht konkret wird — Hegel denkt offenbar an die von ihm stereotyp wiederholte Kritik, daß der kategorische Imperativ kein Prinzip abgibt, um Rechte und Pflichten inhaltlich zu bestimmen —, so wird dieses Prinzip nicht in Deutschland sondern in Frankreich praktisch wirksam. „Die Franzosen gingen also gleich zum Praktischen über, die Deutschen blieben bei der Theorie", weil hier durch den Protestantismus schon alles verbessert wurde {A 477 f). Obwohl Hegel nicht explizit darauf rekurriert, so denkt er wohl an seine Ausführungen in der Einleitung, daß jedem Volk nur eine welthistorische Aufgabe zukomme (vgl. VG 167 f); ist in Deutschland der Protestantismus begründet worden, so sind in Prankreich die modernen politischen Ideen aufgekommen und praktisch verwirklicht worden; in Deutschland hingegen brauchte (oder konnte) keine Revolution mehr stattfinden, weil durch die Reformation das überkommene Unrecht schon soweit aufgehoben war, daß dagegen keine Empörung mehr stattfand. Hegel hält auch weiterhin an seiner Überzeugung fest, daß die politische Gesinnung — mit der die französische Nation noch immer zu ringen habe — im Protestantismus gründe, weswegen er gerade in seinem letzten Lebensjahr noch betont, es sei eine falsche Annahme, „daß die Fesseln des Rechts und der Freiheit ohne die Befreiung des Gewissens abgestreift werden, daß eine Revolution ohne die Reformation sein könne" (MM 12. 535; vgl. VG 123; A4M 10.355 f). Aber der Protestantismus enthält die Prinzipien der Freiheit und Subjektivität doch zugleich nur DESCARTES
'5 A 472; auch dieser Gedanke, daß der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit damit theoretisch (Aufklärung) wie praktisch (Französische Revolution) in Frankreich endet, ist in der Edition von K. Hegel eliminiert. Nach dieser Edition ist in Frankreich nicht das Prinzip des Denkens, sondern — pejorativ gemeint - das der „Abstraktion" aufgegangen (MM 12. 521). A 477; diese Ausführungen fehlen in der Edition von Karl Hegel, ebenso die folgende Parallelisierung von theoretischem Formalismus und praktischer Wirkungslosigkeit der deutschen Aufklärung.
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abstrakt, enthält nicht ein System von Gesetzen nach Freiheitsprinzipien; diese liefert erst die Philosophie der Aufklärung. Die Philosophie hat daher nach dieser Vorlesung nicht nur die Aufgabe, im nachhinein ihr Zeitalter begrifflich zu erfassen, sondern soll auch praktisch werden: „Man hat gesagt, die Französische Revolution sei von der Philosophie ausgegangen, und nicht ohne Grund hat man die Philosophie Weltweisheit genannt, denn sie ist nicht nur die Wahrheit an und für sich als reine Wesenheit, sondern auch die Wahrheit, insofern sie in der Wirklichkeit lebendig wird" (MM 12. 527 f). Die Ursache der Französischen Revolution sieht Hegel 1830/31 in dem Widerspruch zwischen dem „Bewußtsein der Freiheit" und den realen Zuständen in Frankreich: der Not, der Verschwendung durch den Hof, Klerus und Adel und der dadurch erzeugten Misere der Staatsfinanzen. Insbesondere in der Bindung des Hofes an die katholische Religion sieht Hegel ein Hindernis, durch Reformen den Staat auf den Begriff des Rechts aufzubauen (AlM 12.528 f; A 480 ff). Die Entwicklung Frankreichs bis hin zu den neuesten Ereignissen zu Hegels Zeit wird nun aus der Dissonanz dreier Prinzipien erklärt, die nach Auffassung Hegels nur zusammen den dauerhaften Bestand des modernen Rechtsstaates gewährleisten können, nämlich: 1. der Begriff des Rechts: Freiheit der Person, Eigentums- und Gewerbefreiheit und die Möglichkeit, Zutritt zu allen Staatsämtem erhalten zu können; 2. die Entwicklung staatlich monopolisierter Rechtssetzungs- und Ausführungsorgane zur Garantie der abstrakten Rechtsprinzipien; diese müssen nach Hegel an ihrer Spitze in einem subjektiven Willen vereinigt sein, weshalb die konstitutionelle Monarchie die adäquate Regierungsform sei; 3. schließlich die politische Gesinnung, daß für Regierung und Bürger nichts Höheres gelte als das Recht, das aber nicht in der beliebigen Meinung eines jeden, sondern nur in der Vernunft des menschlichen Bewußtseins als solchem begründet sein soll (MM 12. 529 ff; A 482). Aus dieser Dialektik sucht Hegel nun die jüngste Geschichte Frankreichs von der Revolution, über die Diktatur des Wohlfahrtsausschusses, die Thermidor-Reaktion, das Kaisertum NAPOLEONS, die Monarchie bis hin zur Julirevolution zu entwickeln, und kommt zu dem Resultat, daß „noch heutzutage der revolutionäre Zustand fortdauert" und diese Dissonanzen „künftige Zeiten zu lösen haben" {A 485; vgl. MM 12.534). Die französische Geschichte wird als ein Kampf zur Harmonisierung dieser drei Prinzipien gewertet, ein Kampf, der bis dahin nicht ausgestanden
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ist, dem eine dauerhafte Versöhnung fehlt, weil es entweder an einer organischen Regierung oder — zu Zeiten der konstitutionellen Monarchie — an der Gesinnung fehlt. Dem Monarchen fehlt es an der Gesinnung, wo aber das Volk an die Herrschaft kam, kam es zu keiner organischen Regierung, und es herrschte der Terror der Gesinnung. Gleichwohl begrüßt Hegel — entgegen der gängigen Auffassung — die Julirevolution als das Ende einer „fünfzehnjährigen Farce", in der die regierende katholische Fraktion es sich zur Gewissenssache macht, die bestehenden „konstitutionellen" Institutionen zu zerstören, die Opposition andererseits Ergebenheitsadressen an den König richtet. „Endlich nach vierzig Jahren von Kriegen und unermeßlicher Verwirrung könnte ein altes Herz sich freuen, ein Ende derselben und eine Befriedigung eintreten zu sehen" (MM 12.543). Aber Hegel befürchtet doch, daß die neue Regierung, weil sie keine „konstitutionelle" ist, bald durch eine andere Fraktion abgelöst werden könne, diese wiederum durch eine andere usf. Das Ende der Geschichte bleibt mithin in dieser Vorlesung nicht nur offen, ist künftigen Zeiten Vorbehalten, sondern die Realisierung der modernen Rechts- und Freiheitsprinzipien bleiben in der Verantwortung der einzelnen wie der Menschheit im ganzen. In den früheren Vorlesungen erschien — wie oben gezeigt — die Französische Revolution als eine Episode, die zwar notwendig war, es aber nicht zu einer Organisation der Freiheit gebracht hat und deshalb zugrunde gehen mußte. Es paßt zu diesem Ausgang, wenn die Geschichte in der abschließenden Reflexion über den Zweck der Vorlesung „eine Theodizee, eine Rechtfertigung Gottes" genannt wird, die keine zufällige Abfolge von Ereignissen ist, sondern die „Verwirklichung des Geistes" bzw. eine „Entwicklung der Momente der Vernunft und damit des Selbstbewußtseins und der Freiheit des Geistes", der im Laufe vieler Jahrhunderte sein eigenes Wesen realisieren muß (HII123'"). Im Gegensatz dazu endet die Vorlesung von 1830/31 damit, daß die Weltgeschichte nichts als die Entwicklung des Begriffs der Freiheit und daß es das Interesse der Philosophie sei, den Entwicklungsgang der sich verwirklichenden Idee zu erkennen, und zwar der Idee der Freiheit, welche nur als Bewußtsein der Freiheit sei {A 493).
III. Hegels politischer Standpunkt zwischen Restauration und Revolution ist oft kontrovers diskutiert worden; den einen war seine Philosophie die
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„wissenschaftliche Behausung des Geistes preußischer Restauration"^^, für andere ist sie wie keine zweite „Philosophie der Revolution"^®. Hegels politische Option erweist sich jedoch als viel differenzierter, wenn man sie entwicklungsgeschichtlich verfolgt. Seine frühe Begeisterung für die Französische Revolution fand eine schnelle Ernüchterung durch den Terror der „Robbespieroten" und die BeteUigvmg Frankreichs am Länderschacher auf dem Rastatter Kongreß. Aufgrund des Terrors des Wohlfahrtsausschusses gewinnt Hegel die Überzeugung, daß die notwendigen politischen Umwälzungen nur durch Reformen möglich sind. Nach dem Ende des Reiches und dem Sieg NAPOLEONS über Preußen empfand Hegel eine Bewunderung für den französischen Kaiser, die weniger dem Eeldherrn als dem ,,große[n] Staatsrechtslehrer" galt, der den deutschen, wie Despoten agierenden Fürsten den „Begriff einer freien Monarchie" lehren müsse.Für Preußen hatte Hegel damals nur Verachtung übrig. Erst sehr spät wurde Hegel darauf aufmerksam, daß in Preußen — ausgelöst durch die Niederlage gegen NAPOLEON, wenn auch schon länger vorbereitet — für kürzere Zeit ein politischer Reformprozeß im Gange war. Da dieser hauptsächlich durch die Verwaltung getragen wurde, setzte Hegel seine Hoffnungen nun auf Preußen, wohin er offensichtlich mit weiteren politischen Ambitionen ging^o, als den Ort, wo seine politischen Vorstellungen wirklich werden könnten, ohne daß Hegel dadurch seine Philosophie der preußischen Politik adaptierte. Seine geschichtsphilosophischen Vorstellungen etwa läßt Hegel nicht nüt Preußen, sondern mit Frankreich und der Französischen Revolution enden. Im Laufe der Berliner Jahre entwickelt er dann auch die These, daß nur die protestantische Religion durch ihre in der Subjektivität begründeten Prinzipien der Sache nach mit den Prinzipien der bürgerlichen Subjektivität übereinstimmt und daher nur sie die geistigen Voraussetzungen für politische Reformen schafft.^i Rudolph Haym: Hegel und seine Zeit, Berlin 1857. 359. Joachim Ritter: Hegel und die französische Revolution. 2, Aufl. Frankfurt a. M. 1965. 192. Vgl. den Brief an Niethammer vom 29. 8. 1807; Briefe von und an Hegel. Bd 1. Hamburg
1969. 185. 20 Vgl. den Brief an das Badische Irmenministerium vom 21. 4. 1818; Briefe von und an Hegel. Bd 3. Hamburg 1969. 182. 21 Zur Entwicklungsgeschichte der politischen Ideen Hegels im ganzen vgl. Franz Rosenzweig: Hegel und der Staat. München und Berlin 1920, bes. 1.18 f, II. 1 ff, 64 ff, 204 ff; Otto Pöggeler: Philosophie und Revolution beirn jungen Hegel. In; ders.; Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München, 13 ff; ders.: Politik aus dem Abseits. Hegel und der Homburger Freundeskreis. In; Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis um Hegel und Hölderlin. Hrsg, von Christoph Jamme und Otto Pögge-
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Aber auch diese Option wurde enttäuscht. Schon bald klagt Hegel darüber, daß er nicht berechtigt sei, für Interessen, die ihm teuer wären, tätig zu werden, und daß die Partei, die ihm wohlgesinnt sei, selbst bescheiden auftreten müsse: wohl eine deutliche Anspielung auf die kleine Gruppe von Reformern im Ministerium ALTENSTEIN, die nach der Restauration in der preußischen Regierung noch übrig geblieben und Hegels Ansprechpartner war.22 In seiner letzten Schrift, Über die englische Reformbill, erwartet Hegel dann sogar eine Revolution in England, einem protestantischen Lande. Es ist nun nicht mehr der Gegensatz von katholischen und protestantischen Ländern bestimmend, sondern der zwischen den kontinentalen — auf allgemeinen Gesetzen und Vernunftprinzipien begründeten — Verfassungen (MM. 11. 89, 121) und dem englischen, auf überkommene Willkür begründeten, letztendlich noch aus der Eeudalverfassung tradierten Fallrecht, das nur den Interessen einer überwiegend grundbesitzenden Aristokratie dient (vgl. MM. 11. 89). Zwar sieht Hegel in der Reformbill einen Schritt zum Abbau der Privilegien der herrschenden Parlamentsaristokratie, aber sie geht ihm einerseits nicht weit genug, andererseits hält er England für nicht mehr reformfähig. Die Gründe sieht er in der allgemeinen politischen und sozialen Situation Englands, der Käuflichkeit der Parlamentssitze, den ungerechtfertigten Privilegien und feudalen Rechten — wie etwa dem Kirchenzehnten —, dem ungeheuren Gegensatz von Armut und Reichtum {MM. 11. 121) und schließlich dem Fehlen einer starken monarchischen Gewalt. Denn insofern eine solche fehlt, kann eine Opposition gegen die, deren Privilegien beschnitten werden müßten, aber die Parlamentsmehrheit für sich haben, sich nur an das Volk wenden und statt einer Reform eine Revolution herbeiführen (AlM. 11. 122). Daß diese Einschätzungen maßgeblich durch die Ereignisse der Julirevolution beeinflußt sind, zeigen Entwürfe Hegels zu dieser Schrift, in denen er den englischen mit dem französischen „Pöbel" vergleicht und letzterem attestiert, daß er ein allgemeines politisches Motiv verfolgt; er „führt auf seine Weise aus, was der Regierung zukommt"23.
1er. Stuttgart 1981. 67 ff; ders.: Hegels Option für Österreich. Die Konzeption korporativer Repräsentation. Hegel-Studien. 12 (1977), 38 ff. ders.: Hegels Begegnung mit Preußen. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.-C. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. 311 ff. ^ Vgl. Hegels Brief an Creuzer vom 27. 7. 1825; Briefe von und an Hegel. Bd 3. 89. 23 MM. 11. 553.
ELISABETH WEISSER-LOHMANN (BOCHUM)
DIE VORLESUNGEN DER HEGEL-SCHÜLER AN DER UNIVERSITÄT BERLIN ZU HEGELS LEBZEITEN
Hegels Biograph KARL ROSENKRANZ deutet dessen Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1818 als ein Werk der progressiven Tendenz des preußischen Geistes: „Da nun die Hegelsche Philosophie in Wahrheit die Vollendung der KANTischen ist, so ergibt sich hieraus die höhere Notwendigkeit, welche Hegels Berufung nach Preußen und die schnelle Einwurzelung seiner Philosophie in demselben bewirkte."^ Für Hegel selbst ist es die besondere Rolle, die den Wissenschaften im reformwilligen Preußen beigemessen wird, die ihn für sein Wirken in Berlin zu großen Hoffnungen veranlaßt: „Hier ist die Bildung und die Blüte der Wissenschaften eines der wesentlichsten Momente selbst im Staatsleben; auf hiesiger Universität, der Universität des Mittelpunktes, muß auch der Mittelpunkt aller Geistesbildung und aller Wissenschaft und Wahrheit, die Philosophie, ihre Stelle und vorzügliche Pflege finden. Sein künftiges Wirken möchte Hegel allerdings keineswegs ausschließlich an die Universität binden, vielmehr hofft er wegen seines vorrückenden Alters, die „prekäre Funktion", Philosophie an der Universität zu lehren, künftig zugunsten „einer anderen Tätigkeit" aufgeben zu können.^ Wurde Hegel bei seinen Verhandlungen mit Berlin in Aussicht gestellt, statt an der Universität zu lehren in einer anderen Position das Preußische Reformwerk selbst mitzugestalten und vollenden zu können?^
1 Karl Rosenkranz: G. W, F. Hegels Leben. Berlin 1844, Nachdr. Darmstadt 1988. 317. 2 G. W. F. Hegel: Berliner Schriften 1818—1831. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 4. 3 So Hegel in seinem Abschiedsgesuch an das Badische Ministerium. Vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1969. Bd 2. 182. * Der Geheime Rat Schulze erinnert daran, daß Hegel bei seiner Berufung die Ernennung zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften verheißen worden war. Vgl. C. Varrentrapp: Johannes Schulze und das Preussische Unterrichtswesen in seiner Zeit. Leipzig 1889. 435; vgl. auch O. Pöggeler: Hegels Begegnung mit Preußen. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.-C. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. 327 sowie Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik. Hrsg. V. O. Pöggeler in Zusammenarbeit mit W. Bonsiepen u. a. Wiesbaden 1981. 16.
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Diese Möglichkeit — wenn es sie je gab — zerschlägt sich. Auch in Berlin muß Hegel sich im wesentlichen auf die Universität und das philosophisch interessierte Publikum als direkten Wirkungskreis seines Schaffens beschränken. Trotz der Gebundenheit an die „prekäre Funktion" bleibt Hegel auch in Berlin ein kritischer Beobachter und Kommentator der Ereignisse seiner Zeit; die politischen Fragen können nicht in den Hintergrund treten, war doch unter den Reformen die Lehre selbst zum Politikum geworden. Was aber veranlaßte Hegel in seinem Abschiedsgesuch an das Badische Ministerium, die Lehre als „prekäre Funktion" zu bezeichnen? Oder ist der Wunsch nach einer „anderen Tätigkeit" ein Hinweis darauf, daß Hegel, wie der Historiker der Universität Berlin MAX LENZ schreibt, seine philosophische Entwicklung zur Zeit seines Wechsels nach Berlin bereits für abgeschlossen hält? Ein Brief an NIETHAMMER gibt ein anderes Bild: „Als Professor", so schreibt Hegel im März 1819, „habe ich nur den Anfang gemacht; es ist aber noch viel an mir und an der Sache zu tun übrig. "5 Dieses Bild entspricht auch dem Eindruck der Zeitgenossen. Keineswegs spektakulär ist Hegels erstes Auftreten in Berlin: „Es spricht niemand von ihm, denn er ist still und fleißig", vermerkt Solger mit Bedauern. Auch die Hörerzahlen bestätigen diesen Eindruck: Von anfänglich 102 Zuhörern bringt Hegel es zwar im zweiten Semester auf 170 Zuhörer, danach, so teilt MAX LENZ mit, ist ein „allmähliches Nachlassen" des Interesses zu konstatieren. „Erst vom Winter 1822 an wächst die Frequenz"6 wieder. Die Gründe für das — zunächst — nachlassende Interesse sind schwer auszumachen. Es mag, wie LENZ vermutet, Hegels Distanzierung von den burschenschaftlichen Kreisen ein Desinteresse bei den Studenten seinem Lehrangebot gegenüber zur Folge gehabt haben. Mit Sicherheit ist die sinkende Hörerzahl aber nicht auf Hegels mangelndes Engagement zurückzuführen. Sein Eintreten beim Ministerium für die Einstellung eines Repetitors, der auch Konversatorien zu seinen Vorlesungen abhalten sollte, macht deutlich, daß Hegel durch Anhänger und Schüler der spekulativen Philosophie eine möglichst weite Verbreitung zu sichern sucht. Dies entspricht auch seinem in der Antrittsvorlesung entwickelten Programm, das seine Tätigkeit als Hochschullehrer in den Kontext der Reformbemühungen stellt: Durch Ausbau und Pflege 5 Briefe von und an Hegel. Bd 2, 213. ® Max Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd 2, 1. Hälfte: Ministerium Altenstein. Halle a. d. S. 1910. 205.
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der Philosophie will Hegel am Ausbau des „freien Reichs der Gedanken" mitwirken7 Allerdings stellt sich der mächtige Ausbau und die Verbreitung der spekulativen Philosophie nicht von selbst ein und ist auch nicht das Werk „innerer Notwendigkeit", sondern verdankt sich zum einen dem Bemühen Hegels, durch ein umfangreiches Lehrangebot die spekulative Philosophie an der Universität Berlin einem größeren Publikum zugänglich zu machen; darüber hinaus wirkte Hegel durch die gedruckten Werke, die Rezensionen in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik und die Vorträge. Zum anderen dürfen die Arbeiten der Schüler, wenn man über die Verbreitung der Hegelschen Lehre spricht, nicht außer acht gelassen werden. Auch die Schüler Hegels wirkten — neben ihren gedruckten Schriften und ihrer Mitarbeit an den Jahrbüchern — durch ihre Vorlesungen an der Universität. Zieht man die Vorlesungen mit heran, so zeigt sich, wie eng die Zusammenarbeit zwischen Lehrer und Schüler war. Z. B. setzt Hegel sich in seinen Vorlesungen zur Ästhetik ausführlich rrüt der romantischen Ironie auseinander; eng daran anschließend rezensiert HOTHO KLEISTS Werke in den Berliner Jahrbüchern. Für HOTHO ist KLEIST ein Vertreter der Romantik — seine Kritik ist eine unmittelbare Umsetzung der von Hegel in den Vorlesungen entwickelten Prinzipien. Im Winter 1829/30 liest HOTHO über die Schriften SOLGERS, 1828 hatte Hegel eine Kritik zu dessen Nachgelassenen Schriften verfaßt. Das Anliegen, durch die Lehre an der Universität der Hegelschen Philosophie eine weite Verbreitung zu sichern, findet im Ministerium ALTENSTEIN und vor allem bei dem Geheimen Rat JOHANNES SCHULZE®, einem Anhänger der Hegelschen Philosophie, die breiteste Unterstützung. Das Ministerium ist bei der personellen Ausgestaltung der Hochschulen in Preußen zwar unabhängig; jedoch machen die Mitglieder der Fakultäten ebenfalls ihren Einfluß geltend und widersetzen sich unter Umständen den Absichten des Ministeriums^, so daß verschiedene Strömungen und Bewegungen ihrem Einfluß in der Hochschulpolitik Geltung verschaffen. Die Ansicht, das Ministerium ALTENSTEIN hätte die Hegelsche Philosophie einseitig und vorzugsweise befördert, ist durch ^ Vgl. Rede zum Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin. In: Hegel: Berliner Schriften (wie Anm, 2). 3—21. 8 Zu Leben und Werk vgl. C. Varrentrapp: Johannes Schulze und das Preussische Unterrichtswesen in seiner Zeit. Leipzig 1889. ^ Diesen Einfluß veranschaulicht der Fall „Gans". „Der Minister darf", so erklärt Schulze einem anderen Bewerber, „die Wünsche und Vorschläge der Facultät nicht unberücksichtigt lassen." Vgl. Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben II. Hrsg. v. H. Gerstenberg. Berlin 1894. 273.
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gründlich widerlegt worden. Die Anzahl der Hegelianer an preußischen Universitäten macht deutlich, daß um 1850 von insgesamt 29 Professoren der Philosophie 20 keine Hegelianer, sondern eher Gegner der Hegelschen Philosophie waren.Ein ähnliches Bild zeigen die 30 Philosophieprofessuren in den anderen deutschen Staaten, wobei Österreich vernachlässigt werden kann, denn, so ROSENKRANZ, „in Österreich existirt eigentlich gar keine Philosophie" (197): ln Erlangen vertritt FISCHER die Hegelsche Philosophie, in Tübingen sind VISCHER und SCHWEGLER Hegelianer, in Gießen ist CARRI6RE ein Vertreter der Hegel-Schule, in Marburg BAYRHOFER, in Göttingen BOHTZ. Den Leipziger WEISSE zählt ROSENKRANZ ebenso wie FICHTE in Tübingen und ULRICI in Halle zu den „Pseudohegelianern", ln Leipzig vertritt MARBACH, in Rostock WiLLBRAND die Hegelsche Philosophie. Diesen 8 Hegelianern stehen 22 Vertreter anderer philosophischer Schulen und Lehren (Aristoteliker, Fichteaner, Jacobianer, Mystiker, Eklektiker etc.) gegenüber. Eine einseitige Begünstigung der Hegelschen Philosophie in Preußen ist mit diesen Zahlen nicht nachzuweisen, auch wenn eine solche Begünstigung beabsichtigt und von den Reformern gewünscht worden wäre. Die politischen Umstände in Preußen hatten sich bei Hegels Eintreffen in Berlin bereits gegen den Reformkurs gewendet und die Umsetzung ihrer politischen Ziele unter erschwerte Bedingungen gestellt. 12 Hegel setzte den seiner Philosophie keineswegs günstigen Verhältnissen die Ausbildung seines Systems und das Wirken seiner Schule entgegen. So ist nach Hegels Weggang von Heidelberg seine Philosophie auch dort nicht vollständig aus dem Lehrprogramm verschwunden. HINRICHS und DAUB vertreten die Hegelsche Philosophie im Lehrprogramm der Universität. HINRICHS liest nach Hegels Enzycklopädie über „speculative Philosophie". Das Ansinnen von HINRICHS, Hegels Philosophie in Heidelberg zu lehren, weist dieser allerdings schroff zurück: „. . . daß, wenn von Philosophie als solcher die Rede ist, nicht von meiner Philosophie die Rede sein kann, daß aber überhaupt jede Philosophie das Begreifen ROSENKRANZ^O
Vgl. Das historisch-statistische Verhältnis der Philosophie in Preußen und Deutschland 1851. In; K. Rosenkranz: Neue Studien. Bd2. Leipzig 1875. 186—206. Als Hegelianer lehrten an preußischen Universitäten zu dieser Zeit folgende Professoren: in Berlin v. Henning, Gabler, Hotho, Michelet und Werder, in Greifswald Mafthies, in Königsberg Rosenkranz und in Halle Hinrichs, Erdmann und Schaller; in Bonn und Münster lehrte kein Vertreter der Hegel-Schule. 12 Vgl. O. Pöggeler: Hegels Begegnung mit Preußen. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.-C, Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. 328 ff.
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des Absoluten ist/'i^ Wie aber ist es um die Verbreitung der Philosophie an der Universität Berlin bestellt und welche Konzeption entwickelt Hegel für den Philosophieunterricht an der Universität? Mit der Berufung Hegels nach Berlin ist, wie die Anfrage des Rektors bei Hegel erkennen läßt, die Absicht verbunden, die Qualität und „Vollständigkeit des Lehrkursus" zu verbessern. Nach der „gewöhnlichen Einteilung" kann, so antwortet Hegel, eine Vollständigkeit in einer Vorlesung über die theoretische und in einer über die praktische Philosophie gesehen werden — er selbst lese daher in einem Semester „Logik und Metaphysik" und im anderen desselben Jahres „Naturrecht und Staatswissenschaften oder Philosophie des Rechts". Als weitere Teile ergeben sich für die wissenschaftliche Vollständigkeit die „Philosophie der Natur" und die „Philosophie des Geistes" mit Anthropologie und Psychologie sowie Ästhetik, „die sich zugleich auf Religionsphilosophie bezieht". Hegels Plan für Berlin ist es — so seine Erklärung dem Rektor gegenüber —, von diesen vier Teilen jedes Semester abwechselnd einen zu lesen. An das Ganze schließt sich die „Geschichte der Philosophie" an. Innerhalb von zwei Jahren wird der ganze Zyklus durchlaufen.Wie Hegel ausdrücklich betont, ist die Aufteilung in theoretische und praktische Philosophie nur die „gewöhnliche". Keineswegs gibt sie seine Systemkonzeption wieder, wie sie in der Vorrede zum ersten Teil der Wissenschaß der Logik formuliert wurde. Grundsätzlich allerdings hält Hegel an diesem ,Zwei-Jahresplan der Philosophie' fest. In einem Sommersemester etwa beginnt er mit der Vorlesung über „Logik und Metaphysik" und bietet gleichzeitig „Geschichte der Philosophie" an. Im darauffolgenden Wintersemester liest er dann über die „Philosophie der Natur" und bietet gleichzeitig einen Kursus über die „Philosophie des Rechts" an. Im zweiten Sommer lehrt Hegel dann wieder „Logik und Metaphysik", an die Stelle der „Geschichte der Philosophie" tritt nun ein Thema aus der Philosophie des Geistes (Anthropologie und Psychologie, später Religionsphilosophie oder Philosophie der Kunst). Im Winter folgt die Vorlesung über die „Philosophie des Rechts" und erneut „Philosophie der Natur" oder aber jene Vorlesung, die Hegel in Berlin neu in sein Vorlesungsprogramm aufnimmt und dem Rektor gegenüber noch nicht erwähnt hat: die Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte. Diese Vorlesung trägt Hegel seit dem Wintersemester 1822/23 jeweils im Briefe von und an Hegel. Bd 2. 216. Das Gutachten Hegels wird mitgeteilt von J. Hoffmeister in seinem Vorwort zu G. W. F. Hegel: Nürnberger Schriften. Leipzig 1938. XXIV.
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Winter abwechselnd mit der „Geschichte der Philosophie" vord^ Hegels umfangreiches Vorlesungsprogramm folgt somit einer systematisch-didaktischen Konzeption, der aber keineswegs nur die eigenen, sondern auch die Vorlesungen der Schüler verpflichtet sind. Das Wirken Hegels in Berlin ist daher nicht nur von seinen eigenen Vorlesungen her zu betrachten. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Rechtsphilosophie; Hegel hatte diese Vorlesungen zugunsten der großen weltgeschichtlichen Vorlesungen seinen Schülern überlassen. Exemplarisch soll deshalb zunächst an diesem Bereich das Wirken der Hegel-Schüler veranschaulicht werden. Wie die Schüler Hegels die Verbreitung der anderen Systemteile durch ihre Vorlesungen unterstützen, wird abschließend dargestellt. Mit PHILIPP KONRAD MARHEINEKE, der von 1811 bis 1846 Fachkollege SCHLEIERMACHERS in Berlin war, gelang es Hegel zunächst in der theologischen Fakultät eine „Bresche zu legen", wie LENZ formuliert, MARHEINEKE war über Erlangen und Heidelberg, wo ihn ein freundschaftliches Verhältnis mit Karl DAUB verbindet, nach Berlin gekommen. Auf seinem Werdegang als Theologe steht die Hegelsche Philosophie keineswegs von Anfang an im Zentrum. Vielmehr findet sich — wie bei DAUB — hinter seiner Dogmatik eine gründliche Beschäftigung mit AUGUSTINUS und LUTHER, wie KARL BARTH hervorhebt, Der schnelle Anschluß an Hegel, als dieser 1818 nach Berlin kommt, erklärt sich aus MARHEiNEKES Deutung der Dogmatik und seiner Gegnerschaft zu SCHLEIERMACHER.19 In der Juristischen Abteilung hielt SAVIGNY „die Diktatur, die er als Schöpfer der Fakultät von Anfang an gehabt hatte, gewaltig aufrecht"20, so daß hier ein ähnlicher Erfolg wie bei den Theologen lange verwehrt blieb. Wenn auch zunächst kein Hegelianer in die Juristische 15 Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 1: Dokumente und Materialien zur Biographie. Hrsg, von Friedhelm NicoUn. Hamburg 1977. 114 ff. 1^ Die hier genannten Vorlesungen der Hegel-Schüler sind dem Berliner Vorlesungsverzeichnis entnommen. Vgl. das Verzeichnis der Vorlesungen, welche von der Universität zu Berlin im Sommerhalben/Winterhalbenjahre. . . gehalten werden. 1^ Max Lenz: Geschichte . . . (s. Anm. 6). 209. 1* Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und Geschichte. 3. Aufl. Zürich 1960. 442—444. Von Augustinus und Luther geleitet, erklärt Marheineke in Umkehrung der Schleiermacherschen Formel die Offenbarung Gottes in dem Bewußtsein von ihm als das Prinzip der Dogmatik. Nicht die historische Prüfung, sondern die Anerkennung des in Christus offenbar gewordenen Logos ist die Aufgabe der Dogmatik — ein Anliegen, das Marheineke bei Hegel wiederzufinden glaubt. 1^ Die zweite Auflage seiner Dogmatik zeigt gegenüber der 1. Auflage von 1818 schon den Hegelianer Marheineke; vgl. hierzu Karl Barth in dem angeführten Werk. ^ Max Lenz (s. Anm. 6). 209.
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Fakultät einzuschleusen war, so wurden dennoch Wege gefunden, um der spekulativen Philosophie auch bei den Studenten dieser Fachrichtung Gehör zu verschaffen. Zum einen waren die Studenten der Jurisprudenz verpflichtet, ein Logik-KoUeg zu belegen und konnten auf diesem Weg in Hegels Vorlesung über „Logik und Metaphysik" gelangen. Zum anderen sucht Hegel durch Repetitorien und Konversatorien den Studierenden allgemein den Einstieg in die Philosophie zu erleichtern. Ein berühmter Schüler Hegels, KARL ROSENKRANZ, lernt auf diesem Weg Hegels Philosophie kennen: „Gegen die allgemeine Versicherung, daß Hegel gar nicht oder doch sehr schwer zu verstehen sei", wurde ihm, so berichtet ROSENKRANZ, ein junger Professor „LEOPOLD VON HENNING als ein Dozent gerühmt, der die Gabe besitze, Hegel für Anfänger verständlich zu machen". In Halle ist es dann HINRICHS, der als erster Professor dort die Hegelsche Philosophie vorträgt und ROSENKRANZ endgültig für die Hegelsche Philosophie gewinnt. Für die Durchführung der einführenden Veranstaltungen stand Hegel eine erste Schülergeneration zur Verfügung. FRIEDRICH WILHELM CAROV£, der mit Hegel von Heidelberg nach Berlin gekommen war, hatte bereits dort Repetitorien zu Hegels Rechtsphilosophie abgehalten. Der bereits genannte LEOPOLD V. HENNING hatte als preußischer Verwaltungsbeamter 1817 in Erfurt sein staatswissenschaftliches Studium wieder aufgenommen und siedelte 1818 — fast gleichzeitig mit Hegel — nach Berlin über. In v. HENNING fand Hegel einen reifen Schüler; da es CAROVS wegen seiner burschenschaftlichen Vergangenheit verwehrt wurde, Repetitorien an der Universität abzuhalten, übertrug Hegel v. HENNING diese Aufgabe. Jedoch verlief auch die Anstellung V. HENNINGS keineswegs reibungslos.^2 Erst zum Wintersemester 1821/22 kann Hegel die Repetitorien zu seinen Vorlesungen im offiziellen Vorlesungsverzeichnis ankündigen. Im Wintersemester 1821/22 hält V. HENNING ZU den beiden Vorlesungen Hegels Repetitionen ab, im Sommer 1822 und im Winter 1822/23 führt er zusätzlich auch noch ein Konversatorium durch.23 Die Wartezeit bis zur offiziellen Anstellung überbrückte v. HENNING mit der Realisierung eigener Projekte: Er übersetzt JEFFERSONS Handbuch K. Rosenkranz: Von Magdeburg bis Königsberg. Berlin 1873. 186 und 280. Wegen „demagogischen Verdachtes" wurde v. Henning 10 Wochen inhaftiert; die fehlende Habilitierung — so die offizielle Begründung — zwang ihn darüber hinaus, die Repetitorien zunächst in seiner Wohnung durchzuführen, erst im August 1820 wurde er als „öffentlicher Repetent" an der Berliner Universität angestellt. Sein Einsatz für die Goethesche Farbenlehre trug wesentlich zu seiner Rehabilitierung bei, vgl. Anm. 46. 23 Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 4. Hrsg. v. F. Nicolin. Teil 1. 120; vgl. auch Teil 2. 42. 22
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des parlamentarischen Rechts und ergänzt den Text mit Erläuterungen für das deutsche Publikum. Mit der Abhandlung Über den Begriff des Feudalsystems bewarb sich v. HENNING am 2. August 1820 um den Doktortitel, die Habilitation erfolgte wenig später. 24 Bereits im Sommersemester 1821 kündigt v. HENNING erstmals eine selbständige Vorlesung an: „Philosophische Propädeutik als Einleitung in das Studium der spekulativen Philosophie wird Dr.v. HENNING unentgeltlich vortragen". Es ist das Ansehen seines Lehrers Hegel, so mutmaßt V. HENNING, das ihm sogleich die ungewöhnlich hohe Hörerzahl von „einigen fünfzig" verschafft. Im Winterhalbjahr liest v. HENNING zusätzlich über „Logik und Metaphysik" nach Hegels Encyklopädie (§ 12—§ 191). Mit dem Sommersemester 1822 beginnt v. HENNING mit den von nun an regelmäßig bis zum Sommer 1830 durchgeführten Vorlesungen über „Philosophie des Rechts und Politik nach Hegels Grundlinien"25. Über die Hegelsche Rechtsphilosophie wurde somit in jedem Semester gelesen; im Winter liest Hegel selbst, im Sommer sein Schüler V. HENNING. Nachdem Hegel im Wintersemester 1824/25 seine Vorlesung über „Natur- und Staatsrecht" zum vorläufig letzten Mal gehalten hat (bis zum Winter 1830/31), liest v. HENNING auch während der Winterhalbjahre diesen Kursus. Ab dem Winter 1825/26 kommt MICHELETS Vorlesung über „Natur- und Staatsrecht" verstärkend hinzu. Wie sehr v. HENNING sein Wirken an der Universität in den Dienst Hegels stellt, macht seine 1824 veröffentlichte, Hegel gewidmete Untersuchung über die Principien der Ethik in historischer Entwicklung deutlich. Der Verfasser verzichtet, so das Vorwort, „ausdrücklich auf die Ehre der Originalität in sofern", als er „gern und dankbar" anerkennt, „daß der wesentliche Inhalt desselben ein Resultat dessen ist, was er gelernt habe".26 Eine Entfernung von oder gar Kritik der Hegelschen Position ist von V. HENNING auch in seinen Vorlesungen nicht zu erwarten. Die Principien der Ethik bilden die Grundlage für v. HENNINGS Vorlesung über „Die Principien der Sittenlehre" im Wintersemester 1823/24. Diese Vorlesung bleibt einmalig — ab dem Winter 1824 wendet v. HENNING sich wieder dem weiteren Kreis der rechtsphüosophischen Themen zu. In der Vorlesung „Über die verschiedenen Principien der Erkenntniß und Gültigkeit des Rechts" (WS 1824/25, SS 1825, WS 1825/26) sucht v. HEN^4 Vgl. Hegel: Berliner Schriften (wie Anm. 2). 600. ^ Bis zu seiner Habilitierung im Herbst 1825 liest v. Henning diese Vorlesung ausdrücklich nach dem Hegelschen Kompendium, später — etwa im Sommer 1828 — wird das Kompendium Hegels nur noch hinzugezogen. ^ L. V. Henning: Principien der Ethik in historischer Entwicklung. Berlin 1824. Vorrede, XV.
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die Auseinandersetzung mit der historischen Rechtsschule SAVIGNYS. In der Abteilung für Kameralwissenschaft kündigt v. HENNING im Wintersemester 1826/27 erstmals eine Vorlesung über das „Allgemeine Preußische Staatsrecht" an, im Winter 1827/28 folgen dann die Vorlesungen über die „Philosophische Begründung des peinlichen Rechts" und über „Allgemeines und provincielles Preußisches Staatsrecht". Über „Preußisches Staatsrecht in Verbindung mit der Statistik der Preußischen Monarchie" liest v. HENNING im Sommer 1828, im folgenden Wintersemester 1828/29 kündigt er „Politische Ökonomie oder National- und Staatswissenschaften" an. Themen aus dem Umkreis des Preußischen Rechts dominieren Ende der zwanziger Jahre eindeutig das Lehrangebot V. HENNINGS: Er liest 1829 im Sommer über „Preußisches Staatsrecht und Preußische Statistik", im Winter 1828/29 über die „Geschichte des preußischen Staats seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf die Ausbildung des öffentlichen Rechts", im Winter 1830/ 31 über die „Philosophische Begründung des Criminalrechts". Im Sommer 1831 kündigt er „Öffentliches und administratives Recht in Preußen" und im Winter 1831 „Grundzüge der National-Ökonomie und Staatswirthschaft" an. Eine „Inhalts-Uebersicht der Vorlesung des Professor, DR.V. HENNING über das preußische Staatsrecht" befindet sich im Nachlaß ALTENSTEINS. Die Übersicht könnte, so W. BONSIEPEN, anläßlich der Beförderung v. HENNINGS zum ordentlichen Professor im Jahre 1835 angefordert worden sein.27 Insgesamt spiegelt das Lehrangebot den Schwerpunkt v. HENNINGS eindeutig wieder: rechtsphilosophische und politische Fragen, wie Hegel sie in den Grundlinien behandelt und ausführt, bilden die Ausgangsbasis, von der aus er sich in den späten zwanziger Jahren verstärkt mit den zeitgenössischen politischen Fragen in Preußen auseinandersetzt. Mit diesem Interesse steht v. HENNING nicht allein. Gerade die aktuellen Fragen und der Rekurs auf die jüngste Geschichte stoßen auf seiten der Studenten auf größtes Interesse. F.v. RäUMERS Vorlesungen über „Das 18. Jahrhundert und die französische Revolution" ziehen ebenso ein größeres Publikum an wie GANS' Vorlesungen über die gleiche Thematik. Auch das Lehrangebot des aus Berlin stammenden KARL LUDWIG MICHELET (1801—1893) fügt sich in das bisher gezeichnete Büd der Vorlesungen der Hegel-Schüler. Im Wintersemester 1825/26 nimmt er seine VorleNiNG
W. Bonsiepen: L. v. Hennings Parteinahme in der preußischen Verfassungsfrage. Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v.
In: Hegels H.-C. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, 361 ff. In diesem Beitrag findet sich auch ein Abdruck der „Inhalts-Uebersicht" Altensteins.
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sungstätigkeit zunächst mit einer Vorlesung über „Natur- und Staatsrecht oder Philosophie des Rechts" auf. Im Sommer 1827 setzt er seine Arbeit mit den Themen „Philosophische Sittenlehre" und „Geschichte der letzten Systeme seit KANT" fort. Die Vorlesungen über das „System der Moral" und „Das Verhältniß des preußischen Landrechts zur Philosophie des Rechts"^® zeigen auch bei MICHELET in den späten zwanziger Jahren die Hinwendung zu den aktuellen Fragen der Zeit. Über diese Themen trägt MICHELET kontinuierlich vor, im Sommer 1828 tritt dann die Vorlesung über die „Nikomachische Ethik des ARISTOTELES" hinzu.^9 Seit 1829 ist MICHELET Extraordinarius der Berliner Universität. Aufgrund seines philosophisch-politischen Werdegangs kann er, so ROSENKRANZ, als Hegelianer bezeichnet werden: MICHELET repräsentiert innerhalb der Hegelschule einen der „linken Rechten", den Übergang zwischen Altund Junghegelianer.30 Im Wintersemester 1826/27 gelingt es dem wohl berühmtesten Schüler Hegels, EDUARD GANS, als Professor Einlaß in die juristische Fakultät zu erhalten.31 In diesem Semester fand ALTENSTEIN endlich einen Weg, GANS gegen den Widerstand SAVIGNYS der Fakultät zu oktroyieren. SAVIGNY reagierte mit einem völligen Rückzug aus den Fakultätsgeschäften, lediglich seine Vorlesungen hielt er nach wie vor. Seine Studienzeit (1816—19) hatte GANS in Berlin, Göttingen und Heidelberg verbracht; THIBAUTS Methode des Rechtsvergleichs machte er sich bereits während seiner Heidelberger Zeit zu eigen und stellte sich damit gegen die „Mikrologie" der Historischen Rechtsschule und ihre „Verzettelung in irrelevante Details". Als GANS sich im Wintersemester 1818/19 in Heidelberg immatrikulierte, hatte Hegel Heidelberg bereits verlassen: „eine geishge Beeinflussung GANS' durch Hegel schon während des Wintersemesters 1818/19 in Heidelberg ist nicht ersichtlich", so der Biograph HANNS GüNTHER REISSNER32. Im Frühjahr 1819 kehrte GANS als promovierter Jurist nach Berlin zurück in der Absicht, künftig wissenschaftlich tätig zu sein. Der Dissertation Über das Reurecht folgten die Schriften Über das römische Obligationsrecht (1819) und die Scholien zum Gajus (1821), eine kritische Auseinandersetzung mit der von NIEBUHR 1816 Diese Vorlesung kündigt Michelet im Fachbereich Kameralwissenschaften an. Diese Themenstellung wurde dem Fachbereich Philologische Wissenschaft zugeordnet. 30 K. Rosenkranz: Aus einem Tagebuch. Leipzig 1854. 140. Zum weiteren Werdegang Michelets vgl. auch H. Lübbe: Die politische Theorie der Hegelschen Rechten. Basel, Stuttgart 1963. 71 ff. 31 Zur Vorgeschichte vgl. M. Lenz (s. Anm. 6). 216 ff. 33 H. G. Reissner: Eduard Gans. Ein Leben im Vormärz. Tübingen 1965. 46.
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in Verona aufgefundenen Handschrift der ,Institutionen' des GAJUS. Bereits Ende 1819 beginnt das langwierige Bemühen um eine Zulassung zu einer Laufbahn an der Universität — Verschleppung und Hinhalten durch das Ministerium lassen ihn erst im Winter 1827/28 das gewünschte Ziel erreichen. In der Zwischenzeit erscheinen die beiden ersten Bände seines Erbrechts in weltgeschichtlicher Entwicklung (Band 1: 1824, Band 2: 1825), dessen Methodik, so GANS im Vorwort, sich an Hegels Philosophie orientiert. 1825 nutzt GANS einen Aufenthalt in Paris zum Studium mittelalterlicher Manuskripte und zur Vorbereitung des dritten Bandes, der 1829 erscheint. 1835 erscheint dann der vierte und letzte Band des Erbrechts. Seinen Anfang als Hochschullehrer macht GANS zunächst ganz im Rahmen der vorangegangenen eigenen Studien, wenn er im Sommer 1827 zunächst Vorlesungen über die „Pandecten" und das „Erbrecht" ankündigt. Im Winter 1826/27 tritt neben diese klassischen Themen erstmals eine explizit Hegelsche Themenstellung: „Naturrecht und Rechtsphilosophie in Verbindung mit Universalgeschichte". Im Sommersemester 1828 folgt die Vorlesung über die „Geschichte der neuesten Zeit von 1789 an, in besonderer Beziehung auf öffentliches Recht". Diese Vorlesung ist in einer Nachschrift erhalten; auch GANS hat — den damaligen Gepflogenheiten entsprechend — seinen Vortrag von Zeit zu Zeit unterbrochen, um eine Zusammenfassung des dargestellten Stoffes den Schülern zu diktieren.33 Das erhaltene Manuskript stammt von FELIX MENDELSSOHN, der es nach den GANSschen Diktaten angefertigt hat.34 Die Darstellung der Geschichte der neuesten Zeit hat sich ausschließlich auf die Einwirkungen der französischen Revolution auf die übrigen Staaten zu beschränken — mit diesem Programm eröffnet GANS diese Vorlesung. Denn, so erläutert er, „alle anderen Geschichten pausieren in der Zeit der Französischen Revolution"35. Im Wintersemester 1828/29 und im Sommersemester 1829 setzt GANS diese Vorlesung fort — die Vorlesungsverzeichnisse kündigen für den Winter 1828/29 „Geschichte der neuesten Zeit von 1789 in besonderer Beziehung auf öffentliches Recht bis 1814" an, im Sommer wird unter der gleichen Themenstellung die Zeit seit 1814 behandelt. Diese Vorlesungen werden 1833 und 1834 in
So berichtet A. v. Humboldt, vgl. Hanno Beck: Gespräche mit A. v. Humboldt. Berlin 1959. 34 Hanns Günther Reissner stand dieses Manuskript zur Verfügung, vgl. Eduard Gans. Ein Leben im Vormärz. 126 ff. 35 Ebd. 126.
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dem von v. RAUMER herausgegebenen Historischen Taschenbuch veröffentlicht.36 Wie schon im vorangegangenen Winter liest GANS auch im Wintersemester 1828/29 über „Naturrecht oder Rechtsphilosophie in Verbindung mit Universalgeschichte".ln der Abteilung für Staats- und Kameralwissenschaften kündigt GANS im gleichen Semester eine Vorlesung über das „heutige Staatsrecht oder über die Staatsverfassung in beiden Welttheilen" an. Die Lehrangebote der kameralwissenschaftlichen Abteilung sind damit ausschließlich den aktuellen Verfassungsfragen in Europa gewidmet.3* Die aktuellen Verfassungsfragen gewinnen allerdings auch in dem Lehrangebot der juristischen Abteilung allmählich an Boden gegenüber dem unter der Herrschaft der historischen Rechtsschule rein am rörrüschen Recht orientierten Lehrstoff. Im Sommer 1830 etwa liest Professor PHILLIPS über die „Heutige Englische Verfassung", GANS kann seine im Winter in der Staatswissenschaftlichen Abteilung angekündigte Vorlesung „Über das heutige Staatsrecht" nun auch als juristische Lehrveranstaltung anbieten. Neben den bereits genannten Themen liest GANS im Winter 1831/32 über das „Preußische Landrecht". GANS' Versuch, mit der Zeitschrift Beiträge zur Revision der Preußischen Gesetzgebung ein Forum für die öffentliche Auseinandersetzung über die wichtigen Fragen zu schaffen, scheiterte an der mangelnden Unterstützung durch die FachkoUegen sowie an den Beschränkungen, die seinen Absichten — von Seiten der Zensur — auferlegt wurden. Mit seinen Vorlesungen zieht Gans ein ausgesprochen zahlreiches Publikum aus Studenten und gebildeten Bürgern in die Hörsäle der Universität. Im Winter 1830 muß GANS seine Vorlesungen in zwei Abteilungen abhalten, weil selbst der größte Hörsaal der Universität nicht ausreichend Platz bietet.40 LENZ berichtet von über 800 Studenten, die im Winter 1831/32 bei GANS eingeschrieben waren, — eine für die damaligen ^ Historisches Taschenbuch. Jg. 4 und 5. Leipzig 1833—1834. Auch diese Vorlesung ist in einer allerdings anonymen Nachschrift überliefert. Vgl. Eduard Gans: Philosophische Schriften. Hrsg, und eingeleitet von Horst Schröder. Glashütten im Taunus 1971. 37—154. Neben Gans und v. Henning kündigt v. Raumer eine Vorlesung über „Staatsrecht und Politik" an. Vgl. Eduard Gans: Vorrede. In; Beiträge zur Revision der Preußischen Gesetzgebung. Hrsg, von Eduard Gans. Berlin 1830—32. Vgl. die Vorrede vom 3. Juni 1832, in der Gans von den beiden zurückgewiesenen Abhandlungen „Über die Preußische Städteordnung von 1831" und „über die Revision der Gesetzgebung" berichtet. ^ Saint-Marc Girardin: Erinnerungen an Eduard Gans. In: Zeitung für die elegante Welt. Nr 14-16, 20.-23. Januar 1840.
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Verhältnisse außerordentliche Hörerzahl, bedenkt man, daß Hegel mit stattlichen 170 Hörern in Berlin seinen Anfang machte!^^ Das Lehrangebot der Hegel-Schüler und die Hörerzahlen sprechen eine deutliche Sprache; eindeutig gilt das Interesse der Studierenden und auch der Öffentlichkeit den aktuellen Fragen der Reform der Gesetze und der Verfassung, die im Zuge der gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen immer dringender wird. In den europäischen Nachbarländern führen die innen- und außenpolitischen Spannungen bereits zu Unruhen und revolutionären Konfrontationen: Die Juli-Revolution in Frankreich stärkt die oppositionellen Kräfte in den europäischen Ländern und bringt die Regierungen unter zunehmenden Druck. 1830 kommt es in Belgien nach erfolglosen Petitionen zu einem Aufstand. Unter den Zeitgenossen herrscht die Furcht — oder Hoffnung, daß die Auseinandersetzung um die Reformbill in England zu ähnlichen revolutionären Aktionen führen könnte. Die Verhältnisse in Preußen verlangen dringend nach Reformen — mit der , Revision der Preußischen Städteordnung' werden erste Bemühungen um eine zeitgemäße Neuordnung sichtbar. Entsprechend heftig und entschieden wird die Diskussion über diese Fragen unter den Zeitgenossen und von Seiten der Zensurbehörden geführt, wie das Schicksal der GANSschen Beiträge zeigt. Darüber hinaus versetzen die Angriffe gegen die Hegelsche Rechtsphilosophie die Schüler in die schwierige Situation, eine Deutung der preußischen Politik vorzutragen, die Hegel gegen den Vorwurf, seine Rechtsphilosophie vertrete und verkörpere die preußische Reaktion, verteidigte. Die fortschrittlichen Ansätze und Perspektiven in der preußischen Politik mußten in ihren Analysen hervorgehoben bzw. als noch zu realisierende eingefordert werden. Das traditionelle Lehrangebot und Pflichtpensum im Rahmen der juristischen Ausbildung an der Universität Berlin war, als Hegel dort seine Vorlesungen zu halten begann, keineswegs an der Praxis der Gesetzgebung oder der Auslegung des in Preußen geltenden Rechts orientiert. Diese Situation war in erster Linie dem Wirken SAVIGNYS geschuldet. Neben einer gründlichen philosophischen Vorbildung war bereits im Jahr 1788 vom zuständigen Ministerium ein eigener Kursus in Preußischem Recht als Pflichtpensum für die Ausbildung der Juristen gefordert worden. Bei der Gründung der Universität aber wurde auf das Preußische Mit Sorge beobachten die Berliner Behörden die steigende Beliebtheit der Gansschen Vorlesung — so daß Gans schließlich die Aufforderung erhält, die Vorlesung zu unterlassen; nach einer Unterbrechung liest er erst im Wintersemester 1838/39 wieder über dieses Thema — erneut mit großem Erfolg.
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Recht nicht die geringste Rücksicht genommen, statt dessen baute die „philologisch-antiquarische Rechtsschule" ihren Einfluß und die Auffassung, daß die Gegenwart bei der Findung des Rechts sich allein am römischen Recht zu orientieren habe, weiter aus. Die dringend notwendigen Vorschläge zur Anpassung und auch Durchsetzung des Allgemeinen Landrechts gegen die regionalen Rechtsgepflogenheiten waren von den Rechtswissenschaftlern in Berlin nicht zu erwarten. Im Gründungsjahr 1810 berufen, griff SAVIGNY erstmals 1819 das Thema „Preußisches Recht" auf und wiederholte diese Vorlesung insgesamt drei Mal; dabei verwehrte ihm aber, so ein anonymer Kritiker „S." in den Hallischen Jahrbüchern'^, sein ausschließliches Interesse am Leichnam des vorjustinianischen Rechts den „Zugang zum Geist des allgemeinen Landrechts". Gegen SAVIGNYS Verachtung der eigenen Zeit in Beziehung auf ihre Befähigung zur Gesetzgebung, gegen die „Versetzung des Zeitalters in das Greisenalter" breitet auch GANS seinen Spott aus. Bei aller Ironie der Kritiker bleibt festzuhalten, daß die „philologisch-antiquarische Rechtsschule" es abgelehnt hatte, sich mit dem preußischen Recht zu befassen, mit der Begründung, dem Allgemeinen Landrecht sei keine wissenschaftliche Seite abzugewinnen. Die Differenzen zwischen dem Hegel-Schüler GANS und SAVIGNY faßt ALTENSTEIN in einem Gutachten für den Kronprinzen folgendermaßen zusammen: Die „historische Schule hält nicht das Gesetz, sondern die Gewohnheit für die Hauptquelle des Rechts. Dem Gesetz gesteht dieselbe nur eine ergänzende Wirksamkeit zu. Der Professor GANS glaubt, daß in allen ursprünglichen und anfänglichen Staaten dies allerdings der Fall sei, daß aber sobald die Zustände ausgebildeter werden, das Gesetz nicht allein die Hauptquelle, sondern fast die alleinige Quelle des Rechts wird, und die Gewohnheit im Recht eben so sehr als in der Sitte und Sprache zurücktritt. Die politische Aufgabe der Gegenwart besteht für die historische Rechtsschule daher in der Restauration des Bestehenden. Seit 1806, so kritisiert auch der Anonymus in den Hallischen Jahrbüchern, war „nicht das Geringste für das preußische Recht geschehen"44. Nachdem die Rechtswissenschaftler in Berlin sich verweigerten, blieb die Auseinandersetzung mit dem Allgemeinen Landrecht, sei^ Schule und Wissenschaß des preußischen Rechts. Dritter Artikel. In: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Red. A. Rüge und Th. Echtermeyer. Nr 278, 20. November 1838. 2218. Dieses Gutachten wurde von K. R. Meist veröffentlicht in: Hegel-Studien. 14 (1979), 46-49. ** Schule und Wissenschaß des preußischen Rechts (Fortsetzung). In: Hallische Jahrbücher. Nr 279, 21. November 1838. 2226.
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ne Anpassung an das regional gültige Recht den praktizierenden Juristen überlassen. Die Arbeit von KAMPTZ, seine zusammenfassende Darstellung der „Literatur des preußischen Rechts vom Jahr 1807" und seine 1814 gegründeten „Jahrbücher für die preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung", war in dieser Hinsicht beispielhaft. Für die Universität wurden erst im Jahr 1826 Vorlesungen über das Preußische Recht angeordnet und Preußisches Recht zum Prüfungsfach erklärt. Eine Neuregelung, die von den Hegel-Schülern bereitwillig aufgegriffen wurde! War das Allgemeine Landrecht als ein Vermächtnis FRIEDRICHS DES GROSSEN überhaupt das geeignete Mittel, den Problemen Preußens im 19. Jahrhundert zu begegnen? War die Durchsetzung dieses Rechts eine Antwort auf die anstehenden Fragen? Dem Anonymus „S" war die fortschrittliche Bedeutung des Allgemeinen Landrechts trotz seines „Janusgesichts" (TREITSCHKE) nicht entgangen. Das von SVAREZ formulierte innere Staatsrecht hob zumindest für die Zukunft die Ständeordnung auf — von den dort formulierten staatsrechtlichen Voraussetzungen aus ließ sich eine auf den Staatsbürger bezogene Rechtsordnung ableiten: dabei legt die Eigentumsgarantie und die Enteignungsbefugnis des Staats die Richtung der Reformen fest — das Tempo der Reformen bestimmt die Entschädigungsverpflichtung für enteignete Eigentümer. „Das Landrecht war", so resümiert R. KOSELLECK, „nicht nur ein Recht des Staates, sondern ebenso eines der altständisch bürgerlichen Gesellschaft".^^ Nicht nur verlangten die praktischen Probleme der Rechtssprechung mit Vehemenz nach einer Klärung und Erörterung auf rechtswissenschaftlicher Ebene. Auch die rasch sich verändernde ökonomische Situation forderte eine Neuregelung der unterschiedlichsten Bereiche und gesellschaftlichen Belange wie der Eigentumsordnung, der Selbstverwaltung der Gemeinden und der Mitbestimmung der Bürger. Vor dem Hintergrund dieser Probleme muß die verspätet einsetzende Auseinandersetzung und die große Resonanz, die die aktuellen Themen bei den Studierenden an der Universität Berlin fand, gesehen werden. Neben diesen rechtswissenschaftlichen Vorlesungen sind die philosophiegeschichtlichen Themen und die Vorlesung über „Logik und Metaphysik" das Hauptarbeitsgebiet innerhalb des Vorlesungsprogramms der Hegel-Schüler. L.v. HENNING etwa trägt jeweils im Wintersemester über Logik vor — seit dem Winter 1824/25 bis zum Winter 1830/31. Diese ® R. Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution. AUgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. 2. Aufl. Stuttgart 1975. 37.
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Vorlesung verbindet v. HENNING später mit einer „Einleitung in das Studium der gesammten Philosophie". Neben den Vorlesungen über „Logik und Metaphysik" hält v. HENNING seit dem Wintersemester 1822/23 Vorlesungen über „Propädeutik und Encyklopädie der spekulativen Philosophie" (Sommer 1823, 1824 und Winter 1825/26). Nicht genug aber mit dieser Fülle des v. HENNiNGschen Lehrangebots: Seit dem Sommersemester 1823 hat er ein Extraordinariat inne und liest regelmäßig über die „GöTHEsche Farbenlehre"^^. Diese naturwissenschaftliche Vorlesung bleibt aber eine Ausnahme. Daneben las v. HENNING dreißig Jahre lang als Lehrer der Logik an der allgemeinen Kriegsschule.^^ Neben der Vielfalt im Lehrangebot v. HENNINGS und MICHELETS bildet die Lehrtätigkeit HEINRICH GUSTAV HOTHOS eher eine Ausnahme. Fast ausschließlich widmet er sich ästhetischen und kunsthistorischen Fragestellungen. Seine Vorlesungstätigkeit setzt mit dem Wintersemester 1827/28 ein, „Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften und Geschichte der Systeme der Aesthetik" kündigt er in der Abteilung Philologische Wissenschaft an. Im Sommer 1828 lehrt er über die „Geschichte der Deutschen Dramatischen Poesie seit LESSING bis auf die neueste Zeit", im Winter 1828/29 über „Allgemeine Litterär-Geschichte". 1829/30 wiederholt er die letztere und liest zusätzlich über „FRIEDRICH SCHLEGELS, NOVALIS', L. TIECKS und SOLGERS Schriften". Im Sommer 1830 kündigt er dann erstmals seine Vorlesung „Über GöTHE als Dichter und seine poeHschen Werke" an — ein Thema, das ihn auch in den folgenden Jahren beschäftigen wird.48 Gleichzeitig wiederholt er in diesem Semester seine Vorlesung über „Allgemeine Litteraturgeschichte". Im Wintersemester 1829/ 30 trägt er im Fachbereich Philosophische Wissenschaften über „Allgemeine Litteraturgeschichte des Altertums, des Mittelalters und der neueren Zeit" sowie „Über die neueste Periode der Ironie und Mystik in der Poesie und Ästhetik oder über FRIEDRICH V. SCHLEGELS, NOVALIS', L. TIECKS und SOLGERS Schriften" vor. Im Sommer 1830 folgt dann die Vorlesung über „FRIEDRICH V. SCHILLER als Dichter und Ästhetiker". Im folgenden Wintersemester bietet er eine Vorlesung über „Poetik in Verbindung mit allgemeiner Geschichte der Poesie des Ältertums, des Mittelalters und ^ Zu diesem Themenkreis verfaßte L. v. Henning auch eine Abhandlung: Über Göthes Farbenlehre. Berlin 1822. Vgl. auch Hegel: Berliner Schriften (wie Anm. 2). 607. C. L. Michelet: Leopold von Henning. In; Der Gedanke. Zeitschrift für wissenschafüiche Forschung und Kritik. Hrsg, von C. L. Michelet und J. Bergmann. 7 (1867), 77. Vgl. A. Gethnmnn-Siefert: H. G. Hotho: Kunst als Bildungserlebnis und Kunsthistorie in systematischer Absicht - oder die entpolitisierte Version der ästhetischen Erziehung des Menschen. In: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg. v. O. Pöggeler und A. Gethmann-Siefert. Bonn 1983. (Hegel-Studien. Beiheft 22.) 231 ff, vor allem Anm. 3 und 14.
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der neuern Zeit" an, im Sommer 1831 liest er „Über LESSING als Dichter und Aesthetiker". Im Winter 1831/32 folgt eine Auseinandersetzung „Ueber die vornehmsten Systeme der Aesthetik bei den Griechen und Römern". In den folgenden Jahren wird die Malerei einen weiteren Schwerpunkt in HOTHOS Arbeiten bilden. Im Sommersemester 1828 nahm noch ein anderer Hegel-Schüler, HEINRICH THEODOR RöTSCHER, seine Vorlesungstätigkeit als Hochschullehrer mit einer Vorlesung „Über die PLATONische und ARiSTOTEÜsche Philosophie mit besonderer Rücksicht auf das Studium der spekulativen Philosophie überhaupt" auf.^^
Eindeutig bilden die rechtswissenschaftlich-politischen Themenstellungen einen Schwerpunkt in den wissenschaftlichen Arbeiten der zu Hegels Lebzeiten an der Universität lehrenden Hegelschüler. Die Zuwendung der Schüler zur Rechtsphilosophie ist von Hegel insofern gefördert worden, als er selbst diesen Systemteil seit 1824/25 nicht mehr lehrte. Hier war ein selbständigeres Arbeiten, eine Fortführung möglich. Für die Annahme, Hegel habe diese Vorlesung seinem Schüler GANS offiziell übertragen, wie J. E. ERDMANN behauptet, gibt es allerdings keinen Hinweis, so ünter den Vorlesungen der Hegelschüler waren die Vorlesungen von GANS, seine Modifikationen der Hegelschen Rechtsphilosophie sowie seine Erfolge bei den Studenten immer wieder Anlaß zu Spekulationen über ein angebliches Zerwürfnis zwischen Hegel und GANS. GANS soll, so lautet die Begründung, Konsequenzen aus den Grundlinien gezogen haben, die Hegels Widerspruch herausfordern mußte und ihn zu einer „Gegendarstellung" zwangen. Eine ,Anti-GANS-Vorlesung' wollte oder sollte Hegel im Wintersemester 1830/31 bzw., da er diese Vorlesung wegen „ünpäßlichkeit" absetzte, im darauffolgenden Wintersemester vortragen. MANFRED RIEDEL hat diese Spekulationen kritisch überprüft. Die von IMMANUEL HEGEL überlieferte Nachschrift der GANSschen Vorlesung des Wintersemesters 1832/33 über „Naturrecht und Universalgeschichte" zeigt, so RIEDEL, wie sehr GANS den von Hegel vorgezeichneten Begriffsrahmen überschreitet. Insbesondere seine Deutung des Staates, der ReDie Habilitation erfolgte 1825. Auch Mußmann wurde von Hegel in Berlin habilitiert. Über seine Tätigkeit als Dozent macht das Berliner Vorlesungsverzeichnis keine Angabe. Daß auch Mußmann durch öffenthche Vorträge wirkte, zeigen seine „Grundlinien der Logik zum Gebrauch bei mündlichen Vorträgen entworfen von Johann Georg Mußmann". Berhn 1828. 50 Vgl. den Artikel Hegel von J. E. Erdmann in der Allgemeinen Deutschen Biographie. Bd 11. Leipzig 1880. 272.
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Präsentation und der bürgerlichen Gesellschaft macht deutlich, wie sehr GANS' Modifikationen und nicht die Religionskritik D. F. STRAUSS' den Beginn der Auflösung der Hegelschule einleitet. Aber seine Modifikationen sind keineswegs so gravierend, daß zwischen Lehrer und Schüler nicht doch noch ein Einvernehmen möglich war: Noch an Hegels Krankenbett kommt es zu einer Versöhnung zwischen Hegel und GANS. Auch weiß sich GANS' Arbeit an der Freundesvereinsausgabe dem Lehrer verpflichtet — den GANSschen Zusätzen sind keineswegs Ergänzungen nachzuweisen, die eine bewußte Sinnveränderung anstreben: GANS' Zusätze lassen sich fast vollständig auf die Nachschriften von HOTHO und GRIESHEIM zurückführen. Keineswegs gibt GANS — trotz aller Modifikationen — die Voraussetzungen des Hegelschen Denkens preis, wie dies etwa V. HENNING tat.^^ Es sind nicht bzw. nicht in erster Linie die Differenzen oder die Furcht vor einer Konfrontation mit GANS, die Hegel 1830/31 zur Absage seiner Vorlesung über die Rechtsphilosophie veranlaßte. Wegen „Unpäßlichkeit" vertritt ihn MICHELET, die zweite für dieses Semester angekündigte Vorlesung kann er aber trotz „Unpäßlichkeit" abhalten.^3 Als er im folgenden Wintersemester erneut über seine Rechtsphilosophie lesen will, stirbt Hegel. Waren es nicht die politischen Entwicklungen in Preußen, die Hegels Konzeption widersprachen und seine Option endgültig als in der Gegenwart unrealisierbar der Vergangenheit zuordnet? Das Votum für die Korporationen ist in der revidierten Preußischen Städteordnung (1831) endgültig preisgegeben worden. Hegel hat diese Entwicklung verfolgt, in seiner Bibliothek befand sich sowohl der Gesetzestext als auch die V. RAUMERsche Stellungnahme. Hätte seine Vorlesung angesichts dieser Entwicklungen nicht erhebliche Korrekturen vornehmen und ein 51 Karl Hegel, so berichtet Michelet, soll nach dem Tode von Gans, anläßlich einer Neuauflage der Grundlinien von Johannes Schulze und Marheineke den Auftrag erhalten haben, einige ,freisinnige' Stellen der Gansschen Zusätze auszumerzen. Vgl. C. L. Michelet: Wahrheiten aus meinem Leben. Berlin 1884. 171. 52 Ordnete sich v. Henning zu Lebzeiten Hegels kritiklos seinem Lehrer unter, so akkomodiert er sich nach Hegels Tod an die preußische Monarchie, plädiert für eine konsultative ständische Monarchie und tilgt jene liberalen Implikationen, die von der Hegelschen Rechten mit ihrem Insistieren auf die Versöhnung gerade betont wurden, so etwa in seiner Schrift Zur Verständigung über die Preußische Verfassungsfrage. Berlin 1845. Vgl. W. Bonsiepen: L. V. Hennings Parteinahme in der preußischen Verfassungsfrage. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.-C. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986 und auch H. Lübbe: Die politische Theorie der Hegelschen Rechten. Basel, Stuttgart 1963. 27—84. 55 Vgl. J. Hoffmeisters Vorwort zur 4. Auflage der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hamburg 1955. IX.
Vorlesungen der Hegel-Schüler
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Scheitern seiner Konzeption eingestehen müssen? Die heraufdrängenden ökonomischen Umwälzungen verändern nicht nur die Stellung des Individuums; auch die Städte und Gemeinden müssen mit neuen Rechten und Befugnissen ausgestattet werden, sollen die Probleme der Zukunft gemeistert werden. Die Schüler Hegels greifen diese Fragen in ihren Vorlesungen mit Erfolg auf und formulieren auf der Grundlage der Hegelschen Lehre Wege aus der Krise der Zeit. Die divergierenden Wege, die die Hegelianer mit ihren jeweiligen Optionen einschlagen, spiegeln in unterschiedlicher Weise die verschiedenen Anknüpfungspunkte wider, die die Hegelsche Rechtsphilosophie ihren Lesern bietet, — ohne daß freilich Hegels Konzeption als Ganze für die aktuellen Probleme einer zukunftsweisenden Antwort fähig schien.
KLEINE BEITRÄGE
VERÄNDERUNGEN IN DER EINLEITUNG ZUR NATURPHILOSOPHIE 1823/24-1828
Hegel gibt in seinen umfangreichen Einleitungen zur Naturphilosophie einen interessanten Aufschluß über die Aufgabe, die seiner Meinung nach die Naturphilosophie zu erfüllen hat. Diese Einleitungen verdienen deshalb ein eingehenderes Studium. Gerade in ihren verschiedenen Versionen lassen sie Hegels eigenste Intentionen erkennen. Im folgenden können diese allerdings nur skizziert werden, ihre ausführliche Erörterung muß einer weiteren Arbeit überlassen bleiben. Hegel leitet seine Naturphilosophie mit einem etwas ungewöhnlichen Gedanken ein. In der Naturphilosophie könne man nicht einfach von der Natur als einem Gegebenen ausgehen, sondern es müsse zunächst einmal bewiesen werden, daß überhaupt eine Natur sei; „Es ist daher nötig, die besondere Weise der Naturphilosophie zu bestimmen und sogar zu beweisen, daß eine Natur ist. In anderen Wissenschaften setzen wir dies voraus, jeder Geometer setzt einen Raum voraus, keiner zweifelt daran; anders ist es in der Philosophie, die Natur muß bewiesen werden; ihre Notwendigkeit, die Erschaffung der Natur, dies ist etwas, was nicht vorausgesetzt werden kann." (G 5)i Die
philosophische Erkenntnis der Natur gibt sich nicht mit dem Sammeln von mannigfaltigen Kenntnissen zufrieden, das ohnehin schier ins Endlose geht. Als Philosophen haben wir das Bedürfnis, die Natur in ihrem Wesen kennenzulernen, „diesen Proteus zu zwingen, seine Verwandlungen einzustellen, so daß es uns in einfacher Weise zum Bewußtsein komme, was die Natur ist." (G 8) Angesichts des konkreten
Gegebenseins der Natur hält es Hegel nicht für angemessen, in der Naturphilosophie unmittelbar von der Idee der Natur auszugehen; „Wenn ich so unmittelbar von der Idee der Natur ausgehen wollte, so könnte dies undeutlich sein. Sie enthält verschiedene Bestimmungen, sie ist konkret; wir müssen jene einzelnen Bestimmungen zu fassen und dann zusammenzufassen suchen, so daß wir dann erst die Vorstellung erhalten, was die Erkenntnis der Idee sei." (G 8 f)
1 Wir verwenden bei den Stellennachweisen folgende Siglen (iiüt Seitenzahl); G = Nachschrift V. Griesheim 1823/24; H = Nachschriß Hueck 1828. In den Zitaten, die insgesamt kursiv gesetzt sind, wird der Text normalisiert, d. h. Rechtschreibung und Zeichensetzung werden der heutigen vorsichtig angepaßt.
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KLEINE BEITRäGE
Hegel will nun eine Erkenntnis der Natur dadurch gewinnen, daß er unser praktisches und theoretisches Verhalten zur Natur analysiert. — Im praktischen Verhalten, das durch unser leibliches Bedürfnis bestimmt ist, haben wir es nur mit einzelnen Produkten der Natur zu tun. Außerdem sind uns hier die Dinge nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Befriedigung unserer Bedürfnisse. Hegel hat die technische Nutzung der Natur durch den Menschen vor Augen, deren Problematik uns heute besonders deutlich zu Bewußtsein gekommen ist. — Die theoretische Einstellung verhält sich nach Hegel genau umgekehrt zur Natur wie die praktische. Wir hemmen die Begierde, lassen die Natur frei: „Indem wir uns theoretisch verhalten, treten wir von den Dingen zurück, und indem wir von ihnen zurücktreten, lassen wir sie frei. Es ist umgekehrt wie beim praktischen Verhalten. Die Begierde und ihre Sucht, zu vernichten, zu verzehren, ist gehemmt. Die Bestimmung der Dinge ist nicht mehr in uns, sondern sie ist, daß sie sind, wir richten uns nach den Dingen." (G 11) Bereits in der sinnlichen Wahrnehmung, im Sehen, kündigt sich die theoretische Einstellung zur Natur an. Zweitens haben wir es hier nach Hegel nicht mehr mit einzelnen Produkten zu tun, sondern mit dem Allgemeinen. Im Denken verwandeln wir die Dinge in etwas Allgemeines. Die wissenschaftliche Naturerkenntnis kann allein in der denkenden Naturbetrachtung bestehen, darin kommen Physik und Naturphilosophie seiner Meinung nach überein; das Sammeln empirischer Details allein macht noch keine Wissenschaft aus. Allerdings hat das verallgemeinernde Denken auch einen negativen Effekt: „]e mehr des Denkens in der Vorstellung wird, je mehr verschwindet von den Einzelheiten der Dinge. Das Denken macht den Reichtum der Natur arm, der Frühling stirbt, das Rauschen schweigt zur Stille des Gedankens, die Fülle der Natur verdorrt in trockner Form, zu gestaltloser Allgemeinheit." (G 14)2 5Q bewirkt das theoretische Verhalten zur Natur das Gegenteil von dem, was es beabsichtigte. Indem wir die Dinge zu etwas Allgemeinem machen, verfehlen wir ihr konkretes Gegebensein. Wir machen sie zu etwas uns Angehörigem, das nicht mehr mit dem, was sie wirklich sind, übereinzustimmen scheint. Auch in der andern Hinsicht, im Freilassen der Natur, verkehrt sich das theoretische Verhalten in sein Gegenteil: „Das theoretische Verhalten will hiernach die Begierde hemmen, ist uneigennützig, läßt die Dinge gewähren, bestehen, stellt sie uns gegenüber. So entsteht ein Diesseits und Jenseits, ein Subjekt und Objekt. Dies Verhältnis ist aber unserer Absicht entgegen, die Natur wollen wir fassen und sie zu dem llnsrigen machen, sie soll uns kein Jenseits sein." (G 16) Hegel sieht die Hauptaufgabe der neueren Philosophie darin, die festgestellten Widersprüchlichkeiten aufzuheben. Er versucht dies im Rekurs auf die Erfahrungen des praktischen Bewußtseins. Dieses widerlegt die im theoretischen Verhalten entstandene Auffassung, die natürlichen Dinge seien etwas Festes, Ansichseiendes. Gegenüberstehendes. Das praktische Bewußtsein negiert die Dinge und zeigt darin seine idealistische Einstellung: „Idealismus ist, daß die Dinge an sich 2 Vgl. auch Hegel: Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Bd 7, Abt. 1. Berlin 1842. 12 f (Zusatz zu § 246); Hegel: Werke. Hrsg, von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Bd 9. Frankfurt a. M. 1970. 16.
W. Bonsiepen: Einleitung zur Naturphilosophie
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nichts sind, daß ihnen nicht Realität zukommt; beim Idealismus ist das Sein nur Schein, wesentlich nur ein Negatives, nicht ewig, nicht dauernd; seine Wahrheit ist, aufgehoben zu werden." (G 25) Selbst die Tiere sind idealistisch gesinnt, wenn sie die Dinge einfach verzehren. — Der andere Gegensatz — zwischen Allgemeinem und Einzelnem — läßt sich ebenfalls auflösen. Wenn wir das Allgemeine der Natur erkennen, ist dies kein bloß subjektives Allgemeines, sondern wir erfassen die Dinge objektiv. Dies weiß schon das gewöhnliche Bewußtsein. Aber auch zur Aufhebung dieses Gegensatzes ist auf die Einsichten des praktischen Bewußtseins zurückzugreifen. Hegel wertet es gegenüber der anfänghchen, mehr negativen Charakterisierung auf: „Das praktische Verhalten hat es mit den Naturdingen als einzelnen zu tun; das Subjekt verhält sich gegen sie als negative, es negiert sie; die Begierde befriedigt sich und das Subjekt ist nicht nur, sondern es ist auch für sich und erhält sich durch die Negation seines Anderen, dadurch ist es affirmativ mit sich selbst. Ich negiere die Negation, dadurch setze ich mich als identisch mit mir, es ist Affirmation durch Negation der Negation. Die Unendlichkeit ist so Negation der Negation. Dies ist die Einzelnheit des praktischen Verhaltens. (G 57 f) Das Denken ist demgegenüber einseitig, es fehlt ihm die Negativität des praktischen Verhaltens: „Das Denken gibt den Dingen Bestehen, aber nur abstraktes, und die Form ist nur abstrakte Allgemeinheit; oder es gibt den Dingen noch kein freies, für sich seiendes Bestehen, dies wäre das selbstbestimmende Bestehen: Diese Allgemeinheit, Abstraktion ist aber nur ein leerer Schein des Bestehens. Was dem Gedachten fehlt, das ist das freie Bestehen für sich, gerade das Moment, welches wir dem praktischen Verfahren zugeschrieben haben, Affirmation durch Negation der Negation." (G 58 f) In der Einheit von theoretischem und praktischem Verhalten konstituiert sich nach Hegel der Begriff, d. h. die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, die die Kategorie der Naturphilosophie wie überhaupt der Philosophie ist. Der referierte Gedankengang Hegels ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, worauf hier nur hingewiesen werden kann und worauf genauer eingegangen werden müßte. Als Positivum kann man festhalten, daß Hegel sich von vornherein um einen Begriff der Natur bemüht. Der alltäglichen Meinung, daß Natur etwas selbstverständlich Vorgegebenes sei, tritt er entgegen. Damit wird die Aufmerksamkeit auf andere Seinsbereiche — wie den der Freiheit — geweckt. Wenn es der Naturphilosophie wesentlich um eine Bestimmung des Begriffs der Natur geht, muß sie auch zu einer Abgrenzung der Natur gegenüber der Freiheit gelangen. Das ist ein wichtiger Punkt, der in einer allzu formalen wissenschaftstheoretischen Reflexion auf die Methoden der Naturwissenschaften leicht vernachlässigt wird. — Hegels anfängliche Charakterisierung des praktischen Verhaltens kann man als treffende Darstellung einer rein technischen Einstellung zur Natur akzeptieren. Als durch und durch problematisch erweist sich bei näherem Zusehen jedoch seine Beschreibung des theoretischen Verhaltens. Hegel geht von einem bestimmten Begriff von Allgemeinheit und Subjektivität aus, der ihn allererst dazu führt, einen Gegensatz zwischen Allgemeinem und Einzelnem, Subjekt und Objekt aufzubauen. Von seinem Verständnis des Allgemeinen als konkret Allgemeines ausgehend, muß er notwendig das abstrakt Allgemeine der Physik
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KLEINE BEITRäGE
kritisieren. 3 Die Widersprüchlichkeit des theoretischen Verhaltens soll dann durch die Negativität des praktischen Verhaltens aufgelöst "werden. Dies kann nur durch eine gewaltsame Umdeutung des praktischen Verhaltens geschehen, das anfangs als selbstsüchtige, rein technische Bemächtigung der Natur dargestellt wurde. Nun soll in dessen Negativität eine Unendlichkeit und Affirmation als Negation der Negation zur Erscheinung kommen, die in der Lage sein soll, die Widersprüchlichkeit des theoretischen Verhaltens aufzuheben. Wie die uns erhaltenen Nachschriften zu Hegels Vorlesungen über Philosophie der Natur zeigen^, ist Hegel spätestens im Jahre 1828 klar geworden, daß er mit seiner bisherigen Darstellung der Einheit von theoretischem und praktischem Verhalten seine Zuhörer überforderte. Über die beiden Weisen des Verhaltens zur Natur wird in der Einleitung zur Vorlesung von 1828 anders und kürzer als früher gehandelt. Hegel weist zunächst daraufhin, daß die Wissenschaften ganz im Dienste praktischer Bedürfnisse der Naturbeherrschung stehen; „Diese Sublimität der Wissenschaß reduziert sich so auf ganz subjektive Zwecke. Wir dürfen daher, wenn wir diese Wissenschaß treiben, nicht so vornehm gegen rohe Völker tun, die sich über unsre Forschungen wundern, denn unsre Zwecke sind mit den ihrigen dieselben gewesen, nur daß wir sie mit größerer Ausführlichkeit treiben, eine unendliche Reihe von Vermittlungen anwenden, um sie zu erreichen. Da dürfen wir also auch keinen Anstand nehmen, die Nützlichkeit der Wissenschaft auszusprechen; was an und für sich vortrefflich ist, ist zugleich auch nützlich, ohne daß es dadurch an seiner Würde verliert, daß es zum Nutzen dient, wie das Licht durch seine physische Wirkung nichts an seiner Reinheit verliert." (H 1) Neben dem praktischen Bedürfnis gibt es noch ein anderes Bedürfnis,
die Natur kennenzulernen: die Wißbegierde. Diese wird zunächst — ähnlich wie früher das theoretische Verhalten — als uneigennützig charakterisiert, dann aber im Unterschied zu früher als eine besondere Form von Eigennutz: „. . . indem wir uns betrachtend verhalten, ist das ein theoretisches Verhalten, hier sind wir uneigennützig, lassen die natürlichen Dinge frei, lassen sie draußen und bleiben frei von ihnen, sind nicht im Gefühl der Abhängigkeit von ihnen; — aber man kann nicht sagen, daß man sich uneigennützig dabei verhält, denn die Betrachtung hat eine Beziehung auf die Wißbegierde, es ist dem Geiste schlechthin um sich zu tun. Die Dinge sollen sein eigen werden, nicht ihrer Existenz, sondern ihrem Inhalte, ihrer wesentlichen Bestimmung nach. Diese Art des Eigennutzes bezieht aus der höchsten Bestimmung des Geistes sich seine Freiheit, diese verlangt, daß der Geist in allem sich finde, in allem sich zeige als bei sich seiend. Dies macht den Geist unersättlich in dieser Begierde." (H 2) Im theoretischen Verhal-
ten wird also von vornherein ein immanenter praktischer Bezug angesetzt, wodurch die Konstruktion einer komplizierten, nicht leicht zu durchschauenden Einheit von theoretischem und praktischem Verhalten zur Natur hinfällig wird. Allerdings muß der Anspruch des Geistes, in allem — auch in der Natur — bei sich zu sein, als realisierbar gesichert werden. Einen breiten Raum nimmt deshalb jetzt die Erörterung der organischen Zwecktätigkeit ein, die als Vorstufe der 3 Vgl. G 42 ff. * Vgl. in diesem Band 40—54.
W. Bonsiepen: Einleitung zur Naturphilosophie
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geistigen Zwecktätigkeit gedeutet die allseitige Anwesenheit des Geistes fundiert. Die Behandlung des Lebens wird aus dem zweiten Teil der Einleitung, der über den Begriff der Natur handelt, herausgenommen und nun im ersten Teil — im Zuge einer Gegenüberstellung der Kategorien der Physik und der Kategorien der Philosophie — diskutiert.^ Hegel geht davon aus, daß die Physik wesentlich gegeneinander gleichgültiges Sein antrifft. Es scheint nicht notwendig zu sein, daß Elektrizität und Magnetismus, Anziehung und Abstoßung, Stein und Baum zusammen existieren; das eine ist dem andern gleichgültig. In der Zweckbeziehung hingegen ist dieses gleichgültige Bestehen aufgehoben: „Wir sagen: Dem Tier ist Luß, Licht, Pflanze unentbehrlich, bleiben also bei dieser Gleichgültigkeit nicht stehen, sondern hier ist eine Beziehung aufeinander, die ihnen immanent ist." (H 9) Hegel weiß, daß die teleologische Betrachtung der Natur mißbraucht wurde, indem man die gesamte Natur nach der Weisheit Gottes zur Erbauung des frommen Menschen geordnet fand. Die teleologische Betrachtungsweise ist deshalb aus der Naturwissenschaft verbannt worden. Dem Zeitgeist entgegen will Hegel der Kategorie des Zwecks aber neue Bedeutung verschaffen. Nach Hegel können wir uns der Vorstellung nicht erwehren, daß eine wundervolle Zusammenstimmung in der Natur herrscht, daß eine ursprüngliche Harmonie zugrunde hegt; in unserer Vernunft liegt der Glaube an eine ursprüngliche Einheit. Er beruft sich auf ARISTOTELES, der sagte, daß mit der Erfahrung des Wundervollen alle Philosophie angefangen habe.^ ARISTOTELES war es auch, der die Zweckmäßigkeit der Natur lehrte, eine Auffassung, die KANT wiederbelebte. Hegel betont, daß die von KANT wiederentdeckte innere Zweckmäßigkeit von der äußeren wohl zu unterscheiden sei, nach der eines dem andern willkürlich, in unserer subjektiven Vorstellung als Mittel zum Zweck untergeordnet wird. Wenn wir die Natur als zweckmäßig eingerichtet betrachten und damit behaupten, daß Vernunft in der Natur sei, dürfen wir diese nicht — so betont Hegel — als wissende Vernunft bezeichnen: „Die Natur ist dieselbe Realität des Begriffs, aber auf eine andre Weise. — Die ganze Natur ist eine Tat des Begriffs, nicht des bewußten Begriffs ... — Wenn man sagt: Es ist Vernunft in der Natur, so ist es nichts anders, als daß die Vernunft immanent der Natur ist, daß sie zweckmäßige Beziehung enthält; damit will man nicht wissende Vernunft bezeichnen. (H 23) Ob Hegel allerdings durch diese veränderte Darstellungsweise seinen Begriff von Naturphilosophie verständlicher als früher hat machen können, muß bezweifelt werden. Der Begriff des Geistes als Beisichsein in Natur und Geschichte setzt ein Verständnis von Subjektivität voraus, dessen Begründbarkeit kritisch zu überprüfen wäre. Die Suche nach einer konkreten Möglichkeit der Realisierung des Beisichseins des Geistes in der Natur führt zu einem ebenfalls problematischen Begriff von Teleologie. Hegel bezieht sich auf ARISTOTELES und KANT, geht aber über die von diesen Denkern gesetzten Restriktionen in der teleologischen Betrachtungsweise der Natur bewußt hinaus — was im einzelnen zu zeigen wäre. 5 Wie schon anfänglich früher, vgl. G 53 f. * H 7 f, 13 f. — Vgl. die Berufung auf Aristoteles' Begriff der Zweckmäßigkeit in G 100.
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KLEINE BEITRäGE
Die festgestellten Veränderangen in der Einleitung zur Naturphilosophie sind im Zusammenhang mit Hegels Bearbeitung der Geistesphilosophie zu betrachten. Hegel gibt die ausführliche Erörterung des theoretischen und praktischen Verhaltens vermutlich deshalb auf, weU sie nach seiner Meinung noch zu sehr der vermögenspsychologischen Denkweise verhaftet ist, gegen die er sich in der Einleitung zur Geistesphilosophie der zweiten Auflage der Enzyklopädie im Unterschied zur ersten Auflage unter Berufung auf ARISTOTELES' Abhandlung über die Seele richtet. Dem Eindruck, den Geist in verschiedene Kräfte und Tätigkeiten aufspalten zu wollen, tritt Hegel auch im Aufbau der Geistesphilosophie der dritten Auflage der Enzyklopädie entgegen. Die Psychologie wird nicht mehr wie in der ersten und zweiten Auflage in theoretischen und praktischen Geist unterteilt, sondern in theoretischen, praktischen und freien Geist. Wolfgang Bonsiepen (Bochum)
DER „VORBEGRIFF" DER ENZYKLOPÄDISCHEN „LOGIK DOCH ALS EINLEITUNG IM EMPHATISCHEN SINNE?
„Die Frage, ob Hegels Systemkonzeption einer Einleitung bedürfe oder eine solche ermögliche, ist in der Hegelliteratur der letzten Jahrzehnte nicht mehr ernsthaft diskutiert worden."i Mit diesem Satz führt H. F. FULDA sein bekanntes Buch zur Einleitungsthematik in bezug auf Hegels Philosophie ein, in dem in einem vielschichtigen Argumentationsgang die einleitende Rolle der Phänomenologie des Geistes von 1807 herausgestellt, gleichzeitig aber jedem anderen Text Hegels abgesprochen wird, ln mancher Hinsicht, und dies betrifft in ganz besonderer Weise den „Vorbegriff" der „Logik" im Rahmen der Enzyklopädie der philosophischen Wi'ssenschaßen und dessen RoUe als Einleitung, kann man sagen, daß dieser rückwärts gewandte Satz für die Hegel-Forschung und Interpretation auch prophetischen Charakter hatte: FULDAS Verdikt über die einleitende RoUe des „Vorbegriffs", auf das noch näher einzugehen ist und das FULDA selbst, freilich unter Voraussetzung einer eigenen Konzeption von ,Vorbegriff', weitgehend revidiert hat^, hat m. E. nur W. FLACH widersprochen^, eine weiterführende Diskussion 1 H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels 'Wissenschaß der Logik. Frankfurt a. M. 1965. 1. — Stellennachweise aus diesem Buch im folgenden mit bloßer Seitenzahl. ^ Vgl. unten Anm. 15; es ist bis jetzt aber noch fraglich, ob diese Revidierung so weit rezipiert wird wie die ursprüngliche These. 3 — in einem Vortrag von 1972, der in zwei kaum voneinander abweichenden Versionen publiziert wurde: W. Flach: Zum „Vorbegriff" der Kleinen Logik Hegels. In: Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für W. Marx zum 65. Geburtstag. Hrsg, von U. Guzzoni, B. Rang, L. Siep. Hamburg 1976. 133—146; ders.: Die dreifache Stellung des Denkens zur Objektivität und das Problem der spekulativen Logik. In; Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion. Hrsg, von D. Henrich. Bonn 1978. (Hegel-Studien. Beiheft 18.) 3—18.
H.-Chr. Lucas: Der „Vorbegriff" der „Logik'
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der Frage nach der Rolle des „Vorbegriffs" hat sich aus diesem Widerspruch jedoch offenbar nicht ergeben. Es ist im übrigen nicht ganz auszuschließen, daß die völlige Nichtbeachtung des „Vorbegriffs" in dem Kommentar, den B. LAKEBRINK zur enzyklopädischen „Logik" veröffentlicht hat^, auch auf das Verdikt FULDAS zurückgeht. Es muß allerdings betont werden, daß durch eine solche Interpretation des „Vorbegriffs", was sich offenbar weder FULDA noch LAKERBRINK vor Augen halten, der erste Teil der „Wissenschaft der Logik", wie sie in allen drei Fassungen der Enzyklopädie aufgebaut ist, gegen Hegels Intention aus dem eigentlichen Bereich der „Logik" ausgegrenzt wird. Bevor hier näher auf die alte Diskussion eingegangen wird, soll auf einige Gemeinsamkeiten der damaligen entgegengesetzten Standpunkte hingewiesen werden, die es möglicherweise als sinnvoll erscheinen lassen, diese Diskussion (zunächst in der hier gebotenen Kürze) nochmals aufzunehmen. Beide Kontrahenten konzentrieren sich auf den „Vorbegriff" in seiner Fassung von 1830 und lassen die Umarbeitung der Version von 1817 in der zweiten Auflage von 1827 weitgehend aus dem Blick. Entsprechend konzentriert sich das Interesse allein auf die Behandlung der ,Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität', nicht aber auf die Umstellungen, die Hegel sonst 1827 innerhalb des „Vorbegriffs" vorgenommen hat. Die Behandlung des „Vorbegriffs" in den Vorlesungen wird weitgehend außer acht gelassen, wahrscheinlich weU die entsprechenden Nachschriften^ zu der Zeit noch nicht bekannt waren. Der Briefwechsel Hegels, insbesondere mit DAUB, der die Korrektur der zweiten Auflage in Heidelberg für Hegel besorgte, wurde nicht beachtet — zugegebenermaßen liegen auch auf diesem Gebiet heute weitergehende Informationen vor. Zunächst soll kurz daran erinnert werden, worum es sich bei dem „Vorbegriff" in den verschiedenen Fassungen der Enzyklopädie handelt: In einem groben Überblick kann man in dem „Vorbegriff", wie er seit 1827^ aufgebaut ist, eine dreiteilige Gliederung erkennen: Die §§ 19—25 beschäftigen sich mit der Darstellung des (logischen) Denkens, um beim ,objektiven Gedanken' anzugelangen und in § 25 die Aufgabenstellung der folgenden Paragraphen zu umreißen. Die §§ 26—78 umfassen die berühmten ,Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität', d. h. A. Metaphysik, B. 1. Empirismus 2. Kritische Philosophie, C. Unmittelbares Wissen. (Dabei haben die letzten Paragraphen rückblickenden und abschließenden Charakter.) Die §§ 79—83 enthalten eine überblickartige Darstellung der drei Formen des Logischen: 1. die verständige, also für Hegel die abstrakte, 2. die dialektische, die zwar schon als vernünftige Form,
^ B. Lakebrink: Kommentar zu Hegels „Logik" in seiner „Enzyklopädie" von 1830. Band 1: Sein und Wesen. Freiburg, München 1979. 5 Vgl. dazu den Beitrag des Verf. in diesem Band, 32 —40. ® In der Fassung von 1827 ist bekanntlich die entscheidende Erweiterung und der systematische Umbau des „Vorbegriffs" vollzogen worden.
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KLEINE BEITRäGE
aber doch nur als die negative Weise der vernünftigen Form gUt, und schließlich 3. die spekulative Form, die als die positiv-vernünftige hervorgehoben wird (vgl. § 79) — und den Gliederungsüberblick der „Einteilung". In der Fassung von 1817 ist der „Vorbegriff" nicht nur wesentlich kürzer als in den späteren Fassungen, sondern er ist auch noch völlig anders aufgebaut. In der frühen Fassung umfaßt der „Vorbegriff" nur die §§ 12—37 und im Original kaum mehr als 17 Seiten, während er in der Fassung von 1830 zur Stärke von (wieder im Original) knapp 72 Seiten angewachsen ist und die §§ 19—83 enthält. Der Darstellung des logischen Denkens ist in der Fassung von 1817 allein der erste Paragraph (§ 12) gewidmet, darauf folgt sogleich die Darstellung der Formen des Logischen, also dessen verständiger, dialektischer und spekulativer Form. Mit dem begründenden Hinweis, daß das Logische von daher „seine nähere vorläufige Aufklärung" erhalte (§ 18), wird dann die (sehr kurze) Abhandlung von [WoLFFScher] Metaphysik und KANTischer Philosophie vorgenommen (§ 18—34). Den Abschluß bildet eine Reflexion über die Voraussetzungslosigkeit des spekulativ-philosophischen Standpunkts (d. h. des ,,Standpunkt[s] der Wissenschaft"), welche diesen von den vorher dargestellten Standpunkten unterscheide. Der abschließende § 37 enthält den Vorbück auf die Gliederung der gesamten „Logik". Es ist nicht ohne ein eigenes Interesse, daß die Anmerkung zu § 36 einerseits einem Rückverweis auf die Phänomenologie des Geistes gewidmet ist und andererseits auf den Skeptizismus und dessen Tragfähigkeit als „Einleitung" hindeutet. Diese beiden Hinweise werden in den späteren Eassungen auf die Anmerkungen zu dem zentralen Paragraphen 25 (PdG) und zu § 78 (Skeptizismus) aufgeteilt, sie werden so in einer neuen Weise systematisch zugeordnet. Was ist — wenigstens in Umrissen — bei diesem Umbau geschehen? Die Antwort auf diese Frage läßt sich folgendermaßen auf den vielleicht kürzest möglichen Nenner bringen: Die Darstellung des logischen Denkens bis zu der Stufe des ,objektiven Gedankens' ist bemerkenswert ausgearbeitet worden. (Ein Ergebnis von Hegels Vorlesungstätigkeit, wie noch zu zeigen ist.) Die kritische Darstellung der die Zeit bestimmenden Philosophien ist um zwei Positionen ergänzt und wesentlich erweitert. Und was besonders bedeutsam erscheinen muß: Die Darstellung der Eormen des Logischen steht nicht vor der Abhandlung der , Stellungen des Gedankens', sondern wird ihr, gewissermaßen als Resultat, nachgeordnet. Während die Unterscheidung von verständiger, dialektischer und spekulativer Eorm 1817 noch als ein Schema erscheinen muß, das erst im folgenden seine Anwendung findet, ergibt sie sich ab 1827 als zusammenfassendes Resultat des kritischen Durchgangs durch die PhUosopheme, die einerseits das Interesse der Zeit ausmachen, wie eine Vorlesung formuliert, und deren Standpunkte als „Voraussetzungen aufzugeben" sind, wie es bereits 1817 im § 36 heißt. — Es soll hier nur kurz erwähnt werden, daß eben diese gewichtige Verschiebung in den bisher bekannten Vorlesungsnachschriften eben nicht ablesbar ist. In diesen Nachschriften ergibt sich allerdings bereits früh die ausführlichere Ausarbeitung der Darstellung des philosophischen Denkens.
H.-Chr. Lucas: Der „Vorbegriff" der „Logik'
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In der Fassung von 1817 wird die Aufgabenstellung einer wahrhaften Einleitung in die „reine Wissenschaft" als „die Erzeugung ihres Begriffs" (§ 36 Anm., meine Hervorhebung) verstanden und dazu vermerkt, daß diese Aufgabe „früher" der Phänomenologie des Geistes übertragen und diese darum auch als erster Teil der Philosophie behandelt worden sei. Bereits in dieser Version des „Vorbegriffs" wird an die Phänomenologie von 1807 also als an eine andere Möglichkeit der Einleitung in die spekulative Logik erinnert. Ähnliches geschieht mit dem Skeptizismus: „Der Skeptizismus, als eine durch alle Formen des endlichen Erkennens durchgeführte, negative Wissenschaft, würde gleichfalls sich als eine solche Einleitung darbieten." (Ebd.) In der folgenden Argumenfation wird dann freilich verdeutlicht, daß es sich bei dem Konjunktiv in diesem Satz eindeutig um einen Irrealis handelt. — Der § 25 der beiden späteren Enzyklopädie-Fassungen stellt dann eindeutig heraus, daß die Funktion einer Einleitung im emphatischen Sinn nun dem Kern des „Vorbegriffs" aufgebürdet wird: „Die dem Denken zur Objektivität gegebenen Stellungen sollen als nähere Einleitung, um die Bedeutung und den Standpunkt, welcher hier der Logik gegeben ist, zu erläutern und herbeizuführen, nun betrachtet werden."^ FULDA bezieht sich zwar auch auf die entscheidenden Formulierungen dieses Satzes, unterschätzt jedoch deren Tragweite und rechnet den „Vorbegriff" mitsamt der Hegelschen „Vorreden" und „Einleitungen" zu vor- oder unwissenschaftlichen Präliminarien: „AU diesen Präliminarien ist gemeinsam, daß sie keinen wissenschaftlichen Charakter haben." (17) Dabei wird offensichtlich nicht beachtet, daß das 1817 genannte „Erzeugen" und das nun postulierte „Herbeiführen" inhaltlich identisch sind: Der „Vorbegriff" als wahrhafte Einleitung soU das Bewußtsein auf den Standpunkt der spekulativen Logik in ihrem Anfang führen. W. FLACH hat dazu bemerkt: „Die RoUe, die damit dem ,Vorbegriff' der Kleinen Logik zukommt, ist ganz offensichtlich vergleichbar der Einleitungsfunktion, die der Phänomenologie des Geistes von Hegel bei ihrem Erscheinen zugedacht war, weshalb Hegel auch im Zusatz [gemeint ist die Anmerkung!] zum § 25 der Enzyklopädie ausdrücklich und in vergleichender Rücksicht auf die Einleitungsfunktion der Phänomenologie des Geistes eingeht. Es ist so nur konsequent, den ,Vorbegiiff' der Kleinen Logik gewichtig zu nehmen, und zwar so gewichtig wie Fulda die Phänomenologie des Geistes nimmt. 7 GW. Bd 19. 50; Bd 20. 68; allein die Hervorhebung ist eine Zutat der Fassung von 1830 gegenüber der von 1827. * W. Flach: Die dreifache Stellung . . . (oben Anm. 3). 4 Fußnote; s. ferner ebd. 10: „So steht fest, daß der ,Vorbegriff' der Kleinen Logik das Problem der spekulativen Logik herausstellt, und so steht fest, worin dieses Problem besteht: es geht darum, das Erkennen als etwas zu begreifen, ,das weder in einseitiger Unmittelbarkeit noch in einseitiger Vermittlung fortgeht'." (Das Zitat ist aus 1830, § 75.) Vgl. dazu neuerdings auch G. Schmidt: Die zweite „Phänomenologie des Geistes" als philosophiehistorische Kritik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaflen im Grundrisse". Hrsg, von L. Eley. Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. 155—172; bes. 159: „Die scheinbar unmotiviert auftretende Erörterung der verschiedenen ,Stellungen des Gedankens zur Objektivität' läßt soviel von der alten Phänomenologie Wiederaufleben, wie für die Vorbereifung der ,Wissenschaft der Logik' nötig schien."
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KLEINE BEITRäGE
Hegels eigenen Hinweis in der Anmerkung zu § 25 (1827/30), daß die folgende „hier vorzunehmende Betrachtung" als „nähere Einleitung" (so der Paragraphentext) „noch mehr [als die Phänomenologie von 1807] das Unbequeme" habe, „nur historisch und räsonnirend sich verhalten zu können" nimmt FULDA (44) als eindeutiges Zeichen dafür, daß Hegel selbst die nun folgende Form der Einleitung in das Denken des Systems „für unzulänglich erklärt". — Darum gelten ihm allein die Hinweise auf die Phänomenologie von 1807 als Hinweise auf eine wahrhafte Einleitung oder eine Einleitung im emphatischen Sinn — oder als ernst zu nehmende Hinweise auf eine solche wahrhafte Einleitung. Die aus den entsprechenden Texten ersichtlichen Hinweise auf eine andere Einleitung (als die der Phänomenologie von 1807) sieht FULDA dunkel bleiben: „Allein, der andere Hinweis gilt einer Gestalt der Einleitung, deren Ausführung Hegel nie publiziert, wenngleich vielleicht einmal entworfen hatte." (21 f) Man könnte diese Bemerkung gegen FULDAS eigene Intention als einen (vielleicht merkwürdig hellsichtigen) Hinweis auf den „Vorbegriff" eben in der Bedeutung dieser Einleitung verstehen, wenn man eine zu wenig beachtete Passage eines Hegel-Briefes an DAUB berücksichtigt, die hier etwas ausführlicher zitiert werden muß. „Der Einleitung insbesondere habe ich eine — vielleicht zu grosse Erweiterung gegeben; es hat mich aber am meisten Zeit und Mühe gekostet, sie ins Engere zu bringen. Festgehalten und zerstreut durch die Vorlesungen und hier in Berlin auch mitunter durch Anderes, habe ich mich ohne Übersicht darin so gehen lassen, daß mir die Arbeit über den Kopf gewachsen und die Gefahr war, es werde ein Buch daraus [sic!]; so habe ich sie mehreremale herumgearbeitet; die Behandlung der Standpunkte, die ich darin unterschieden, sollte einem zeitgemässen Interesse entsprechen; es ist mir diese Einleitung aber um so schwerer geworden, weil sie vor und nicht innerhalb der Philosophie selbst stehen kann".® Allein die Rede von der „Behandlung der Standpunkte" verdeutlicht, daß Hegel hier bei ,Einleitung' an den „Vorbegriff" der „Logik" denkt. Es soll hier jetzt noch ein anderer Satz FULDAS gegen dessen eigene Intention gelesen und an einem merkwürdigen Phänomen innerhalb der Enzyklopädie bemessen werden. FULDA sagt (175 f): „Hegel hat die Einleitung im systematischen Kontext der Encyklopädie nicht mehr erwähnt." Dagegen soll hier beispielhaft auf drei Verweise Hegels aufmerksam gemacht werden, in denen er im gedruckten Text der Enzyklopädie-Fassungen von 1827/30 auf die ,Einleitung' verweist, jedoch den „Vorbegriff" meint. So heißt es z. B. in der „Vorrede zur zweiten Ausgabe": „s. Einleit, zur Logik § 64. Anm."io In § 415 heißt es: „s. §. 58. Einl."ii Und ® Der Brief ist von J. Hoffmeister, dem das Original nicht vorlag, nur unvollständig nach der Ausgabe von Karl Hegel abgedruckt worden; vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 3. 125 ff. Herr Prof. B. Tuschling hat den Herausgebern von GW Bd 19 freundlicherweise Kopie und Transskription des Originals zur Verfügung gestellt. Zum Zitat vgl. GW. Bd 19. 457, 463 (Editorischer Bericht). 10 GW. Bd 19. 15; Bd 20. 17. 11 GW. Bd 19. 317; Bd 20. 423.
H.-Chr. Lucas: Der „Vorbegriff" der „Logik'
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in § 455 Anm. heißt es (diesmal nicht in einem Klammerausdruck: „Ueber den Unterschied von Vorstellungen und Gedanken vergl. Einl. §. 20. Anm."i2 Die Paragraphen-Zählung verweist in all diesen Fällen auf den „Vorbegriff" der Logik, den Hegel also dementsprechend als die eigentliche Einleitung versteht. ln Hegels Notizen zu seiner Vorlesung über Logik und Metaphysik vom Sommer 1830 sind uns Partikel erhalten, die den Eindruck, den seine Verweise in der Enzyklopädie erwecken, noch zu verstärken in der Lage sind. Auch wenn Hegel offenbar in seinen Vorlesungen (wie ja auch in seinen publizierten Texten) zur Anhäufung von Emphasen über die Wichtigkeit, Schwierigkeit oder Härte von Texten und Problemen neigt, sind im folgenden doch die Emphasen besonders zu beachten: „Wichtigste — Verhältniß der logischen Form zum Inhalt Nicht unbekümmert, wie formale Logik Voraussetzungen, die logischen Formen gehen den Inhalt nichts an — Formen [des] Denkens, Logik scheint weithin zur Wahrheit — Interessantester Gesichtspunkt — Denken, Verhältniß zur Wahrheit, Inhalte — Einleitung — unterschiedene Stellungen Vorher sehen was Denken ist".i3 Hier ist das Feld des „Vorbegriffs" abgesteckt und unter dem Titel ,Einleitung' zusammengefaßt, wohl geht es dementsprechend auch um die , unterschiedenen Stellungen [des Denkens zur Objektivität]', welche Thematik hier ausdrücklich mit der Problematik der Wahrheit in Zusammenhang gebracht wird, aber eben auch um die Formen des Logischen, um die Darstellung des philosophischen Denkens, also um den gesamten Inhalt des „Vorbegriffs". Eine wichtige Entsprechung findet diese Hervorhebung des „Vorbegriffs" im Vorgehen von Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik, so weit sie uns bis jetzt bekannt sind. Dort wird dem „Vorbegriff" mit gutem Grund ein etwas überproportionaler Raum gegenüber den gedruckten Fassungen zugebilÜgti^; es gibt allerdings selbst in diesem Rahmen Rückverweise auf die Phänomenologie von 1807, die noch eingehender zu bedenken sind. Eine wirklich durchschlagende Argumentation gegen FULDAS These einer gleichmäßig beibehaltenen einleitenden Rolle der Phänomenologie von 180715 müß12 GW. Bd 19. 334; Bd 20. 449. 13 GW. Bd 19. 432. i"! Vgl. in diesem Band 32—40, bes. 39. 13 Es muß allerdings auch der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Fulda in späteren Veröffentlichungen in ähnlicher Weise wie Hegel selbst den „Vorbegriff" der Logik als ,Einleitung' in die (enzyklopädische) Logik bezeichnet hat. Vgl. H. F. Fulda: Flegels Heidelberger Enzyklopädie. In: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Urüversität Heidelberg 1386—1986. Band 2; Das neunzehnte Jahrhundert. 1803—1918. Hrsg, von W. Doerr u. a. Berlin [usw.] 1985. 298 —320, bes. 308: „Die allzu knappen Ausführungen über philosophische Enzyklopädie stehen im Kontext der Eirüeitung zur ganzen ,Encyklopädie' und zu deren erstem Teil, der ,Wissenschaft der Logik'." Ferner ders.: Idee und vereinzeltes Subjekt in Hegels „Enzyklopädie". In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes . . . (oben Anm. 8). 59—83, bes. 72: „Den entscheidenden Flinweis, daß dies der richtige Weg ist, die Begründbarkeit spekulativer Gedankenschritte nachzuweisen, gibt Hegel selbst, wenn er in der ,Encyclopädie' am Ende der Einleitung [sic!] zur Logik sagt (§ 79), das Logische habe der Form nach drei Seiten ..." In einem neueren Text geht Fuldas Revision seiner ursprünglichen These noch weiter, vielleicht aber immer noch nicht weit genug: „Ich unterstelle, daß die Exposition des
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KLEINE BEITRäGE
te außerdem noch auf den Forschungsstand rekurrieren, der zu Hegels Einrücken der „Phänomenologie" in die „Philosophie des subjektiven Geistes" erreicht worden ist.i^ FreiÜch können unsere wenigen Hinweise geeignet scheinen, das Verständnis dafür zu verstärken, daß Hegel selbst den „Vorbegriff" als eine Einleitung in emphathischen Sinn verstanden hat. Natürlich müßte sich hier die Frage anschließen, ob er die damit verbundene Absicht in angemessenem Maße verwirklichen konnte. Die Lösung dieser Frage kann man sich nur aus der eingehenden inhaltlichen Diskussion der Fassungen des „Vorbegriffs" in den drei Ausgaben der Enzyklopädie, allerdings auch in den uns erhaltenen Vorlesungsnachschriften versprechen, bei denen man sich allerdings ergänzende Funde wünschen muß. Hans-Christian Lucas (Bochum)
LEGENDENBILDUNG
Ein erfundenes Tagebuchblatt Hegels „Unter dem 27. Juni 1792", also während seines vorletzten Studienjahres im Tübinger Stift, „ist in Hegels Tagebuch notiert; ,Am 14. nächsten Monat werden wir hier auf der Stube mit den Mömpelgardern die Gläser heben.'" So zu lesen in der Hegel-Monographie, die ROLF HOSFELD für die Buchreihe „Preußische Köpfe" verfaßt hat.i Der Autor schließt die übernommene Notiz exakt in Anführungszeichen ein und kennzeichnet sie damit als wörthches Zitat, verzichtet aber — dem Duktus seiner ganzen Darstellung gemäß — auf einen Nachweis des Fundorts. Wer sich mit Hegels Biographie im Detail beschäftigt hat, weiß sehr wohl, daß wir an direkten Selbstzeugnissen außer den Briefen nur das frühe fragmentarische Tagebuch aus der Stuttgarter Gymnasialzeit (1785—1787) und den tagebuchartigen Bericht über die 1796 von Bern aus unternommene Alpen Wanderung beVorbegriffs einem Zweck dienen soll, der ursprünglich der einleitenden Phänomenologie des Geistes gesetzt war; diese Exposition zugleich auf einen Beweisanspruch verzichten soll, den die Phänomenologie des Geistes von 1807 erhoben hatte ..." Fulda: Vorbegriff und Begriff von Philosophie bei Hegel. In: Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes. Hrsg, von D. Henrich u. R.-P. Horstmann. Stuttgart 1984. Vgl. z. B. K. Kozu: Das Bedürfnis der Philosophie. Ein Überblick über die Entwicklung des Begriffskomplexes „Bedürfnis", „Trieb", „Streben" und „Begierde" bei Hegel. Bonn 1988. (Hegel-Studien. Beiheft 30.). Bes. 225—229; „Die Stellung der Phänomenologie des Geistes in den Nürnberger Enzyklopädie-Kursen." U. Rameil: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes . . . (oben Anm. 8). 84—130. 1 Rolf Hosfeld: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Berlin: Stapp 1988. 165 S. (Preußische Köpfe. 22.) — Das Zitat ebd. 27.
F. Nicolin: Legendenbildung
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sitzen.2 Man fragt sich spontan, wo denn jene Tagebuchstelle (vielleicht sekun-
där) überliefert ist. . .? Der in Hegels Leben erst einzuführende Leser, der hier vor allem angesprochen ist, hat solche Quellenprobleme fürs erste nicht; er läßt sich beeindrucken von dem dargebotenen Lebens-Dokument, das ihm die Weise, wie der Student Hegel sich zur Französischen Revolution bekannte, unmittelbar und anschaulich belegt. Was hat es aber mit dieser Hegelschen Tagebuchnotiz wirklich auf sich? Sie ist, um es rundheraus zu sagen, frei erfunden. HOSFELD verhält sich im Zitieren ganz korrekt, doch ist er leider einer Täuschung erlegen. Das Literaturverzeichnis am Schluß seines Bändchens führt u. a. auf: MECHTHILD LEMCKE und CHRISTA HACKENESCH; Hegel in Tübingen. Tübingen 1984. Dabei handelt es sich um ein unkonventionelles kleines Buch, das in collagenartiger Form ein Bild von Hegels Studienjahren zu vermitteln sucht. Es enthält einweisende Gedanken der beiden Herausgeberinnen über die „Philosophie des Tübinger Hegel" wie über sein Studentenleben im Stift und verbindet damit einschlägige Dokumente: einerseits zeitgenössische Berichte über die Stadt Tübingen, über das Theologiestudium der Stiftler und über das Magisterdasein in Württemberg — andererseits biographisch relevante Materialien, wie Stammbuchblätter von und an Hegel, die auch abgebildet werden, eine faksimilierte Wiedergabe seines im Dezember 1788 verfaßten, noch handschriftlich erhaltenen Aufsatzes über die Lektüre der klassischen griechischen und römischen Schriftsteller, mit angefügter Transskription, einen Auszug aus einer Predigtniederschrift, den Text eines Erlasses der herzoglichen Behörde über Strafmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Disziplin im Stift, einen Abdruck des als Quelle bedeutsamen Briefes von CHRISTIAN PHILIPP LEUTWEIN über Hegel, den seinerzeit DIETER HENRICH aufgefunden und ediert^ hat. Inmitten dieser authentischen Stücke findet sich auf drei Druckseiten^ jener Text mit der Datumsüberschrift „27. Juni 1792", aus dem das oben angeführte Zitat entnommen ist. Er wird im vorangestellten Inhaltsverzeichnis als „Tagebuchblatt Hegels" angekündigt; aber im Anhang des Buches heißt es unter mancherlei Mitteilungen, Besitzvermerken und ähnlichem zu den Abbildungen und Dokumenten: „Das ,Tagebuchblatt Hegels' verdankt sich, angesichts des traurigen Mangels an Originaldokumenten, der Phantasie von C. HACKENESCH."^ Dieser Hinweis ist so sehr im Verborgenen angebracht, daß er leicht übersehen werden kann; dagegen wird im Textteil selbst die Vorspiegelung von Authentizität noch einmal dadurch verstärkt, daß am Kopf der betreffenden Seiten der Kolumnentitel steht: „G. W. F. Hegel: Tagebuchblatt" — in genauer Parallele zu legitimen benachbarten Kolumnentiteln wie; „G. W. F. Hegel: Arbeiten für die Stiftszensur" oder „Chr. Ph. Leutwein: Brief". Diese Gegebenheiten vor Augen, haben 2 Beide Texte jetzt in Hegel: Gesammelte Werke. Band 1: Frühe Schriften I. Hrsg, von Friedhelm Nicolin und Gisela Schüler. 3—33; 381—398. 3 Dieter Henrich: Leutwein über Hegel. Ein Dokument zu Hegels Biographie. In; Hegel-Studien. 3 (1965), 39-77; der Brieftext ebd. 53-57. Lemcke und Hackenesch: Hegel in Tübingen. 63—65. 5 Ebd. 92.
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wir schon bei früherem Anläße die Einschleusung der imaginierten Tagebuchnotizen zwischen Hegelsche Originaltexte als ein riskantes Unternehmen bezeichnet. Inzwischen hat sich nun erwiesen, daß solche Sorge begründet war. Durch den Übergang in die Sekundärliteratur, wie er erfolgt ist, hat das fiktive Tagebuchblatt einen anderen Charakter gewonnen. Der Leser der Biographie von HOSFELD hat nicht mehr die Gelegenheit, etwas über die Herkunft des Blattes zu erfahren; die zitierten Passagen begegnen ihm als unbezweifelbar eigene Gedanken Hegels. Die in der Erstveröffentlichung nicht verschwiegene, wenn auch gut getarnte didaktische Täuschung verwandelt sich so in eine Fälschung, der Weg zu neuer LegendenbUdung steht offen. HOSFELD entnimmt geradezu die eigentlichen Akzente seines Kapitels „Studium in Tübingen" dem erfundenen Tagebuch. Was bedeutet das im einzelnen? Die Stelle, von der wir ausgingen, ist ihrer inhaltlichen Aussage nach einigermaßen harmlos. Sie macht lediglich aus der für die Berliner Zeit überlieferten Gepflogenheit des Philosophen, am 14. Juli das Glas auf die sich jährende Erstürmung der Bastille zu erheben^, eine Gewohnheit schon des Studenten Hegel, und sie verknüpft damit den Hinweis auf seine tatsächlich belegte besondere Freundschaft mit den französischsprechenden Stipendiaten aus der Grafschaft Mömpelgard, die damals noch zu Württemberg gehörte. Die Notiz als konkretisierenden „Beweis" für Hegels Einstellung zur Französischen Revolution zu lesen, ist gleichwohl fatal; denn sie ist ihrerseits nur eine schriftstellerische Applikation vorhandener Vorkenntnisse. Gravierender ist es, wenn in die Darstellung der Freiheitsgesinnung der Stiftler die folgenden Sätze des angeblichen Tagebuchblattes einbezogen werden: „Die Griechen! Da war Freiheit, sie konnten das Leben genießen. Bei uns ist es langweilig. . . . "* Die Suggestivkraft dieser Hölderlin nahen Formulierungen zeigt sich darin, daß HOSFELD sie gleich zweifach heranzieht; er setzt sie nämlich zusätzlich als Motto über das ganze Kapitel, mit der Unterschrift: „Hegel (1792)". Die Tatsache, daß auch die übrigen Kapitel jeweils ein — authentisches — Motto aufweisen, trägt noch dazu bei, daß dieses der Phantasie entsprungene Leitwort als selbstverständlich-echt erscheint und sich zu weiterer Verwendung anbietet. Ein anderer Passus der Niederschrift ist der Verliebtheit Hegels in die Professorentochter AUGUSTE HEGELMEIER gewidmet.® Über diese Begebenheit hat KARL ROSENKRANZ berichtetio, und mehrere noch vorliegende Stammbuchblätterii enthalten Anspielungen darauf. Allerdings gehören diese Zeugnisse allesamt dem ® Vgl. meine Besprechung des Bändchens in: Hegel-Studien. 21 (1986), 261. ^ Vgl. beispielsweise für das Jahr 1820: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von Günther Nicolin. Hamburg 1970. 214. 8 Hosfeld (Anm. 1). 28; zum folgenden: 21. 9 Ebd. 33. Karl Rosenkranz: G. W. f. Hegels Leben. Berlin 1844. 31 f. Auch in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. 18. Vgl. Briefe von und an Hegel. Band 4, Teil 1: Dokumente und Materialien zur Biographie. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1977. 135, 150, 154, 156.
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Jahr 1791 an. Es ist also unzutreffend, in Anlehnung an das „Tagebuchblatt" zu konstatieren, Hegel habe „1792" AUGUSTE wochenlang den Hof gemacht. Gewichtiger als der chronologische Fehler sind aber in diesem Falle psychologische Mutmaßungen über die Persönlichkeit Hegels, zu denen die spätpubertären Reflexionen des Textes, wenn man sie für echt hält, geradezu auffordern: „Ob AUGUSTE heute nur kokettiert hat? Ihre Augen sind wunderbar! Vielleicht findet sie mich plump, schwerfällig. Wenn ich nur etwas mehr Esprit hätte. Ich trinke und trinke, damit ich ein wenig leichter werde — und werde immer nur schwerer." Fast ängstliche Anmutungen über die wünschbaren Eigenschaften seiner späteren Ehefrau, die der Text des Phantasie-Journals bietet, scheinen dem Interpreten HOSFELD ebenso auf einen dauerhaften Problembestand von Hegels Psyche hinzudeuten wie der Satz: „HöLDERLIN ist schön, ich bin es wohl nicht." Ehe gefährlichste der legendenschaffenden Passagen, die HOSFELD in ernsthafter Absicht heranzieht, betrifft Hegels persönliches Verhältnis zu SCHELLING.^^ Ist die spätere Entwicklung dieses Verhältnisses in der Literatur ohnehin mancherlei ungesicherten Vermutungen und Deutungen ausgesetzt, so wird hier mit den angenommenen Gedanken des Pseudo-Tagebuches die eben erst begründete Freundschaft aus der Sicht Hegels sogleich in dem deutlichen Bewußtsein von Distanz und Differenz beurteilt. So heißt es etwa: „Er [SCHELLING] ist brillant, so selbstbewußt, schreibt an FICHTE wie an seinesgleichen! Und er ist fünf Jahre jünger als ich. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis man meinen Namen kennt." Daß biographische Anachronismen nötig sind, um die in diesen Worten aufscheinenden Konkurrenzgefühle verständlich zu machen, bleibt unbemerkt. Das Datum der zitierten Notizen, von HOSFELD wohl beachtet, ist der 27. Juni 1792 (s. o.). Der erste Brief SCHELLINGS an FICHTE, von dem wir wissen, liegt aber mehr als zwei Jahre später, er datiert vom 26. September 1794.13 Unter der Hand wird hier auch Hegel eine viel zu frühe FiCHTE-Kenntnis zugeschrieben, was die inhaltlichen Möglichkeiten des damaligen philosophischen Gesprächs der Freunde im Stift verfälscht. Hegel konnte im Juni 1792 ebenso wenig wie SCHELLING schon etwas von dem Autor JOHANN GOTTLIEB FICHTE und seiner denkerischen Bedeutung wissen, FICHTES Ersthngsschrift, der Versuch einer Critik aller Offenbarung, war zwar gerade erschienen, jedoch ohne Verfassername und Vorrede, so daß sie allgemein für ein Werk KANTS gehalten wurde, bis dieser selbst im August 1792 in der Allgemeinen Literatur-Zeitungi® den Irrtum des Publikums berichtigte, den Namen des Autors, der ihn im Jahr zuvor in Königsberg aufgesucht hatte, bekanntgab und ihm damit zu raschem Ruhm verhalf. Als FICHTE dann im Frühsommer 1793 auf der Reise nach Zürich durch Tübingen kam, war dies für die Stiftler ein
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Hosfeld. 33 f. F. W. /. Schelling: Briefe und Dokumente. Hrsg, von Horst Fuhrmans. Bd. 1. Bonn 1962. Zum folgenden vgl. /. G. Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der WissenschafReihe 2, Bd. 1. Vorwort der Herausgeber, bes. 1 und 10 f. Vgl. Intelligenzblatt der A. L. Z., Nr 102 vom 22. August 1792.
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Ereignis. Es gibt leider kein Zeugnis darüber, ob Hegel dabei FICHTE in irgendeiner Form begegnet ist. Zurück zum Kontext der He^eZ-Biographie von R. HOSFELD. ES verdient Beachtung, daß er in seinem Büchlein nicht einfach überUeferten Vorurteilen folgt. So ist er im „Berlin"-Kapitel bemüht, das aus durchschaubaren polihschen Konstellationen entstandene Klischee von Hegel als dem restaurativen preußischen Staatsphilosophen kritisch aufzulösen. Daß es aber zugleich möglich ist, die Darstellung einer ganzen Lebensepoche (Tübingen 1788—1793) auf einen erdichfeten Text zu gründen, der zudem bekannten Fakten und Daten widerspricht, gibt sehr zu denken. Es scheint, als habe sich im Bück auf Hegel ein Bewußtsein von der Notwendigkeit solider biographischer Arbeit noch nicht hinreichend entwickelt. Oder sollte der spekulative Anspruch der Hegelschen Philosophie noch immer die Nebenwirkung haben, daß man sich ihm gegenüber durch die Bildung von Legenden zur Person ihres Urhebers zu entlasten sucht? Friedhelm Nicolin (Bonn)
DAS HEGEL-HAUS IN STUTTGART
Im Februar 1991 eröffnete der Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, MANFRED ROMMEL, im Geburtshaus G. W. F. Hegels eine Gedenkstätte. Damit wurde lange Versäumtes nachgeholt und das Haus endlich einer Verwendung zugeführt, die seiner historischen Bedeutung entspricht. An folgendes sei erinnert: Im Jubiläumsjahr 1970, in dem der 200. Geburtstag Hegels begangen wurde, fand unter dem Titel „Stuttgarter Hegel-Tage“ in der Vaterstadt des Philosophen ein internationaler Kongreß statt. Er wurde begleitet von einer ersten großen Ausstellung, die mit einer Fülle von Originaldokumenten das Leben und Wirken Hegels in seinen verschiedenen Stationen vergegenwärtigte. Dem Gedenkanlaß und dem Ort der Veranstaltung entsprechend war in der Ausstellung und in dem sie erschließenden Katalog^ das Kapitel „Stuttgart" besonders ausführlich gestaltet. Demgegenüber fand das Haus Eberhardsfraße 53, in dem Hegel am 27. Augusf 1770 geboren wurde, nur beschränkte Aufmerksamkeit. Zwar war es äußerlich renoviert worden, aber das Innere des Hauses bUeb durch Geschäfts- und Lagerräume fremdgenutzt und war für eine Besichtigung nicht zugänglich. Wer damals und in den nachfolgenden Jahren als Fremder in die Stadt kam und Hegels Geburtshaus aufsuchen wollte, hatte mitunter Mühe, sich zu ihm durchzufragen; seine Lage wie seine Bedeutung waren im lokalen Bewußtsein kaum präsent. Hinzu kam eine akute Bedrohung durch
' Friedhelm Nicolin: Hegel 1770—1970. Leben, Werk, Wirkung. Stuttgart 1970. (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart. Sonderband 2.) Vgl. dort 9—57.
L. Sziborsky: Das Hegel-Haus in Stuttgart
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die städtische Verkehrsplanung. Wie bei der jetzigen Neueröffnung zu erfahren war, hatte man in einem der zuständigen Gremien bereits den Abriß des Gebäudes beschlossen. Schon im 19. Jahrhundert war das Hegel-Haus für eine lange Zeit der Vergessenheit anheimgefallen. Als im Jahre 1869 nach einem Aufruf, den die Berliner Philosophische Gesellschaft anläßlich des bevorstehenden 100. Geburtstags von Hegel verfaßte, an vielen Orten Deutschlands und des Auslands Spenden für die Errichtung eines Denkmals in Berlin gesammelt wurden, ergriff in Stuttgart der Gemeinderat eine zusätzliche Initiative zur Anbringung einer Gedenktafel am Geburtshaus Hegels. Dabei hatte man das Haus Lange Straße 7 im Auge, in dem, wie man wußte, Hegel seine Kindheit und Jugend verlebte; doch stellte sich bei näherer Nachforschung heraus, daß die Familie Hegel hier erst seit 1776 gewohnt hatte.2 Die Suche nach dem eigentlichen Geburtshaus blieb damals erfolglos. Auch ein erneuter Anlauf, der 1931, hundert Jahre nach Hegels Tod, unternommen wurde, führte zunächst nicht zum Ziel, bis schließlich eher zufällig — „bei anderweitigen Nachsuchungen" — der Stadtarchivar Dr. STENZEL „das alte hübsche Haus Eberhardstraße 53" als das gesuchte ermitteln konnte. Er zeigte auf, daß sich Besitzer und Bewohner des Hauses bis Anfang des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen ließen. So kam u. a. zu Tage, daß es sich um das Elternhaus von Hegels Mutter MARIA MAGDALENA LOUISE FROMM handelte. Als diese 1769 den Rentkammersekretär GEORG LUDWIG HEGEL heiratete und das junge Paar hier eine Wohnung bezog, war das Haus jedoch schon seit längerer Zeit nicht mehr im Besitz der Familie. STENZEL brachte in dem Artikel, in dem er 1931 über die Identifizierung des Hegel-Hauses berichtete^, erneut die Idee einer Gedenktafel in Erinnerung, „sofern die Freunde und Verehrer des Philosophen sein eigentliches Geburtshaus nicht ungekennzeichnet lassen wollen". Bald darauf wurde das Haus mit einem Bronzerelief Hegels versehen, das der Sfuttgarter Bildhauer KARL DONNDORE schuf.“* Dieses Reliefbüdnis war dann, zusammen mit einer Hinweistafel, für ein halbes Jahrhundert das einzige, was Passanten auf die Besonderheit des Hauses aufmerksam machte. Jetzt ist das runde Relief in den Türsturz des umgestalteten Hauseingangs eingelassen worden. Auf die Vorgeschichte des neuen Hegel-Museums kann hier nicht näher eingegangen werden. Nach ersten Anstößen um die Mitte der achtziger Jahre kam es zunächst nur zu dem Vorschlag, zwei Räume im zweiten Stockwerk dem Gedenken Hegels zu widmen. Die weitere Diskussion des Projekts, die zunehmend auf 2 Das Haus Lange Straße 7 wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Eine ältere fotografische Abbildung findet sich in dem Ausstellungskatalog von 1970 (Anm. 1), neben S. 33. 3 [Karl] Stenzel: Hegels Geburtshaus in Stuttgart ermittelt. In: Stuttgarter Tagblatt, Nr 587 vom 16. Dezember 1931. Exemplar des Stadtarchivs Stuttgart. — Zum folgenden konnten wir verschiedene neuere Unterlagen (Presseberichte) des Stadtarchivs benutzen. * Abbildung des ReEefs bei Karl Schümm: Bildnisse des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Stuttgart 1974. (VeröffentUchungen des Archivs der Stadt Stuttgart. Sonderband 5.) Tafel 20.
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öffentliches Interesse stieß, führte schließlich zu dem Beschluß, nach grundlegender Restaurierung des Hauses die beiden Obergeschosse ganz für die Hegel-Gedenkstätte in Anspruch zu nehmen und im Erdgeschoß eine geeignete stadtgeschichtliche Ausstellung unterzubringen. Diese Rahmenvorgabe wurde auf ideale Weise genutzt, indem man den Parterre-Raum unter das Thema „Stuttgart zur Zeit Hegels 1770—1831" stellte. Er ist so als eigenständige Einheit angelegt, dient aber gleichzeitig dazu, auf die Präsentation von Hegel-Dokumenten in den oberen Stockwerken einzustimmen. Pür das inhaltliche Konzept der Hegel-Gedenkstätte wurde FRIEDHELM NICOLIN gewonnen, der bereits die Hegel-Ausstellung 1970 entworfen hatte. Das stadtgeschichtliche Sonderthema betreute Dr. MANFRED SCHMID vom Stadtarchiv Stuttgart. Das Design beider Ausstellungsteile lag in den Händen des erfahrenen Grafikers HANS PETER HOCH.^ In dem lichten, freundlich-offenen Raum im Erdgeschoß, den man von der Empfangsdiele aus betritt, wird das Thema „Stuttgart zur Zeit Hegels" schon aufgegriffen durch charakteristische Architektur-Elemente jener Epoche, — so z. B. durch zwei nachgebildete Bogenfenster aus dem Neuen Schloß. Hinterlegt mit stark vergrößerten zeitgenössischen Stichen, vermitteln diese Fenster die Illusion eines Durchblicks auf belebte Plätze des alten Stuttgarts. An anderer Stelle des Raums werden Bilder mit Alltagsszenen gezeigt, die daran erinnern, daß dieses Stuttgart vor allem eine Stadt der Handwerker und Weingärtner war. Eine als Schrifttafel dargebotene „Stuttgarter Besucher-Liste 1770—1831" gibt einen Überblick über bedeutende Gäste von auswärts. In Scherenschnitten von LUISE DUTTENHOFER®, die einen Kaminspiegel zieren, sind neben GOETHE, LUDWIG TIECK und JEAN PAUL der Verleger COTTA und der Bildhauer DANNECKER festgehalten. Der erste der sechs Räume der eigentlichen Hegel-Ausstellung im ersten Stock hat einen meditativen, — man könnte auch sagen; einen provokativen Charakter. Einziges Exponat ist die in der Raummitte stehende Hegel-Büste von LUDWIG WiCHMANN aus dem Jahre 1826. Gleichzeitig hat der Betrachter auf der dahinterliegenden Wand Sentenzen aus Schriften und Vorlesungen Hegels vor Augen. In verschieden großer Schrift unmittelbar auf die Wand gebracht, also nicht durch Rahmen und Glas gebrochen, fordern sie zu spontaner Auseinandersetzung mit dem Denker Hegel heraus, bevor man — von Bildern, Dokumenten und erläuternden Texten geleitet — den Gang durch seine Biographie „von Stuttgart nach Berlin" antritt. Ehe wir auf Einzelheiten verweisen, soll etwas über den Gesamteindruck und über das Verhältnis von Ausstellungsgut und Raum gesagt werden. Die Zimmer sind klein und niedrig. Daß ihr intimer Charakter gewahrt bleibt und trotzdem
5 In jüngster Zeit gestaltete Hoch u. a. die Gedenkstätte des Deutschen Widerstandes in Berlin. ® Über sie vgl. Die Scherenschneiderin Luise Duttenhofer. Bearbeitet von Gertrud Fiege. 2. Aufl. Marbach 1990. (Marbacher Magazin. 13.)
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keine Enge entsteht, ist zwei Momenten zu verdanken: 1) Die eigens für das Hegelhaus entworfenen Vitrinen sind in ihren Maßen und in ihrer Form optimal auf die Raumproportionen abgestimmt. Sie bestehen aus zwei aufeinandergesetzten prismatischen Glaskörpern. Der obere, querliegende TeU, der die Exponate enthält, gewinnt dadurch, daß er auf einer transparenten Stütze ruht, etwas Schwebendes; jedenfalls treten die Vitrinen nicht als Möbelstücke, die den Raum besetzen, hervor. 2) Der bei den Vitrinen in Ausmaß und Anzahl geübten Beschränkung entspricht eine begrüßenswerte Begrenzung der Exponate. Unbeschadet der Absicht, Hegels ganze Biographie zu vergegenwärtigen, sind die ausgestellten Stücke streng nach dem exemplarischen Prinzip ausgewählt. Nirgendwo ergibt sich ein Zuviel an Exponaten, das die Übersichtlichkeit beeinträchtigen würde. Durch die farbliche Gestaltung der Vitrinen wird eine fließende Bewegung erreicht, die alle Ausstellungsräume durchzieht und atmosphärisch belebt. Auflagefläche und Rückwand haben jeweils in einer zusammengehörigen Gruppe von Vitrinen die gleiche Farbe, während die dreieckigen Fußflächen die nächste Farbe vorwegnehmen. Auswahl und Folge der Farben orientieren sich an GOETHES Farbenlehre, die Hegel philosophisch unterstützt hat. „Zunächst am Licht entsteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunächst an der Finsternis, die wir mit dem Worte Blau bezeichnen", heißt es in der Einleitung zu GOETHES Farbenlehre von 1810.^ Dementsprechend begleiten die Farben der Vitrinen im Stufengang von Gelb nach Blau, vom Hellen zum Dunkeln Hegels Lebensweg.® Ein Raum ist Hegels Kindheit und Jugend in Stuttgart und Tübingen gewidmet. Familie und Herkunft werden u. a. durch getuschte Schattenrisse seiner Eltern thematisiert; sie sind die einzigen von ihnen erhaltenen Bildnisse. Ansonsten stehen die Stuttgarter Jahre (bis 1788) ganz unter dem Zeichen der Schule, die Hegel besuchte: des berühmten „Gymnasium Ulustre", das heute noch existiert. Gedenkmünzen zur 100-Jahr-Feier 1786, die Hegel miterlebte, ein Holzmodell der Gebäude im damaligen Zustand, Auszüge aus der Schulordnung, ein Notizenblatt CHRISTIANE HEGELS über die Schulzeit ihres Bruders sind in diesem Kontext zu sehen. Die Tübinger Periode (bis 1793) wird dargestellt unter den beiden Aspekten des Studiums an der Universität, mit Hegels Magisterdiplom als Hauptstück, und des studentischen Lebens im Stift. Hier zeugen mehrere Stammbuchblätter für Hegel vom Freiheitsverlangen und von der Revolutionsbegeisterung der Stiftler. Ein Bild HöLDERLINS und eine Ansicht der Wurmünger Kapelle, die Ziel gemeinsamer
^ /. W. V. Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe. Bd 13: Naturwissenschaftliche Schriften I. 8. neubearb. Aufl. München 1981. 326. ® Unser Bericht zeichnet im folgenden die Hauptlinien der Ausstellung nach und nennt einzelne Exponate nur selektiv. Ein vollständiges Verzeichnis der ausgestellten Stücke gibt die Beilage zu der einführenden Biographie: Von Stuttgart nach Berlin. Die Lebensstationen Hegels. Bearbeitet von Friedhehn Nicolin. Mit 64 Abbildungen. Marbach 1991. (Marbacher Magazin. 56.)
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Spaziergänge war, erinnern an die Freundschaft beider. Schriften von LESSING, JACOBI, ROUSSEAU repräsentieren die damalige Lektüre Hegels und seines Kreises. Die Bedeutung der Heimatstadt für Hegels Jugend wird zusätzlich akzentuiert durch eine Vitrine „Sommer 1793 in Stuttgart". Sie bezieht sich darauf, daß Hegel aus Gesundheitsgründen seinen Studienaufenthalt im Stift vorzeitig beendete und die Monate vor dem Abschlußexamen zu Hause verbrachte. Zwischen den Religionsschriften FICHTES und KANTS liegt ein Bogen aus dem frühen Manuskript Hegels über das Problem der Religion, das in der Literatur unter der Bezeichnung „Tübinger Fragment" bekannt ist. Die hier gewählte Plazierung verlegt (wohl nicht ohne Grund) die Entstehung der undatierten Niederschrift nach Stuttgart. Auf dem gleichen Stockwerk folgen noch die inhaltlichen Einheiten: „Schweizer Hauslehrerjahre", „Mit HöLDERLIN in Frankfurt", „Gemeinsamkeit mit SCHELLiNG in Jena", „Phänomenologie des Geistes und Bamberger Zeitung", „Professor und Rektor des Gymnasiums zu Nürnberg". Interessante Stücke der Berner Jahre (bis 1796) sind ein schönes altes Aquarell des Landhauses der Familie v. STEIGER in Tschugg, ein Paß für den „Gouverneur des enfants . . . George Guülaume Hegel" zu einer Reise nach Genf, in die Stadt ROUSSEAUS, und — als Hinweis auf Hegels eigene schriftstellerische Arbeiten — das später von KARL ROSENKRANZ angelegte Umschlagblatt zum Leben Jesu. Die in Frankfurt a. M. (1797—1800) wiedergewonnene Nähe zu HöLDERLIN wird angezeigt durch dessen noch nach Bern geschickten Einladungsbrief vom Oktober 1796, durch einen Schattenriß des Dichters von 1797 und durch den im gleichen Jahr erschienenen ersten Band des Hyperion, den HöLDERLIN Hegel schenkte. Zu finden sind ferner die für diese Zeit wichtigen politischen Streitschriften Hegels: die anonym veröffentlichte Übersetzung der Vertraulichen Briefe über das Wadtland und das Manuskript der „an das Wirtembergische Volk" gerichteten Elugschrift Daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen. Schwerpunkte für die Jenaer Zeit (bis 1807) sind das zusammen mit SCHELLING herausgegebene Kritische Journal der Philosophie, das flankiert wird von einem 1804 gezeichneten Büd SCHELLINGS; ein Bittschreiben an GOETHE, der damals gewissermaßen noch Dienstherr des Privatdozenten Hegel war; eine der erhalten gebliebenen HörerUsten zu Hegels Vorlesungen; und schließlich — an der Wand — die dekorativen Mitgliedsurkunden zweier naturwissenschaftlicher Gesellschaften für Hegel. Einen exponierten Platz hat die Phänomenologie als literarischer Ertrag der Jenaer Jahre inne. Das Buch wird in ein doppeltes Spannungsverhältnis gerückt: Zum einen verdeutlichen ein Porträt des von Hegel bewunderten Kaisers NAPOLEON und ein Stich der Schlacht von Jena die Kriegswirren, unter denen das Manuskript mühsam fertiggestellt und fast wieder dem Verlust preisgegeben wurde. Zum anderen macht die daneben ausgelegte Nummer der Bamberger Zeitung bewußt, daß Hegel gleichzeitig mit dem Erscheinen seines spekulativen Werkes (Erühjahr 1807) aus Existenzgründen die „Brotarbeit" eines Journalisten übernehmen mußte.
L. Sziborsky: Das Hegel-Haus in Stuttgart
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Für die lange Nürnberger Periode (1808—1816), die auf das Bamberger Intermezzo folgte, veranschaulichen die in einer Hochvitrine zusammengefaßten Exponate alle Bereiche von Hegels dortigem Leben und Wirken. Eine Schüler-Nachschrift von Diktaten Hegels verweist auf seinen Philosophieunterricht, in einer Preisurkunde zum Schuljahrsende und in einer interessanten Beurteilung der einzelnen Lehrer manifestiert sich die Verwaltungsarbeit des Rektors. Ein handschriftlich erhaltenes Liebesgedicht an seine Braut MARIE VON TüCHER und eine gedruckte „Verbindungs-Anzeige" illustrieren Hegels Heirat im Jahre 1811. Die drei Bände der Wissenschaft der Logik zeigen den Fortgang seiner systematischen Gedankenarbeit an. Der vierte Raum, im zweiten Obergeschoß, wird beherrscht von KUGLERS Zeichnung „Hegel am Katheder", die vergrößert auf der Wand reproduziert ist. Thema dieses Raums ist der Universitätslehrer in Heidelberg und Berlin. Vorlesungsverzeichnisse und Ankündigungszettel, Manuskripte Hegels und die gedruckten Kompendien der Enzyklopädie (Heidelberg 1817) und der Philosophie des Rechts (Berhn 1820), die Hegel „zum Gebrauch seiner Vorlesungen" erscheinen ließ, Platzkarten für Sfudenten, Tesfafschreiben u. a. führen seine Vorlesungstätigkeit lebendig vor Augen. Für die nur vier Semester umfassende Heidelberger Zeit (1816—1818) finden sich außerdem Hinweise auf Hegels Beteiligung an der Redaktion der Heideibergischen Jahrbücher und seine dort erschienene umstrittene Kritik der Württembergischen Landstände. Hegels Lebens- und Wirkungsort Berlin ist auch noch der ganze folgende Raum zugeordnet. Eine Reihe von Exponaten eröffnet Einblicke in seine private Sphäre, — so ein minutiös von ihm geführter Haushaltskalender, ein Dokument über den Verkauf eines Klaviers, eine Quittung seiner Schwester CHRISTIANE über eine von ihm erhaltene finanzielle Unterstüfzung, ein Brief Hegels an seinen sechsjährigen Sohn KARL. Auch Hegels Barett findet sich hier, das deswegen besonders interessiert, weil Hegel es trägt auf dem berühmten „Schlafrockbild", das ihn in seinem Arbeitszimmer zeigt und das ebenfalls hier hängt. Eine andere Gruppe von Ausstellungsstücken dokumentiert Hegels Teilnahme am kulturellen und geselligen Leben Berlins. Dann wird die Aufmerksamkeit noch einmal auf die philosophische Arbeit seiner letzten Jahre gelenkt: durch die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik mit Hegels bedeutenden Rezensionen, durch die Neuausgaben von Enzyklopädie und Logik, durch die lateinische Rede zur 300-Jahr-Feier der Augsburgischen Konfession ... Ausführlich belegt ist der Tod Hegels am 14. November 1831. Besonders anrührend ist ein gefalteter Umschlag mit der Aufschrift seiner Witwe: „Die letztgeschriebenen Worte meines Geliebten"; er enthält einen Zettel mit einer Anweisung an eine Berliner Druckerei, die Hegel am Tag vor seinem Tod notierte. Ebenso eindrucksvoll sind die von DAVID FRIEDRICH STRAUSS mitgeschriebenen Schlußworte aus Hegels letzter Vorlesung, mit einem nach Bekanntwerden der Todesnachricht daruntergezeichneten Kreuz. Der abschließende Raum schlägt einen Bogen zurück zum Anfang, indem er ausschließlich Hegels Wort in den Vordergrund rückt. In repräsentativen Beispie-
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KLEINE BEITRäGE
len geben die ausgestellten Bücher einen Überblick über die Geschichte der Hegel-Editionen, die schon wenige Tage nach Hegels Tod mit der Ankündigung der Ausgabe „durch einen Verein von Freunden des Verewigten" beginnt und bis zu der gegenwärtigen Arbeit an der historisch-kritischen Edition der Gesammelten Werke Hegels viele Stahonen durchläuft. In einer weiteren Buchvitrine wird die Verbreitung seiner Schriften und Vorlesungen in den Sprachen der Welt demonstriert; hier sind die ersten im 19. Jahrhundert erschienenen Übersetzungen vereint mit aktuellen Übertragungen in europäische und außereuropäische Sprachen. Ein wichtiges Element in der didaktischen Gesamtanlage der Hegel-Ausstellung sind die begleitenden Texte. Sie wurden verfaßt von FRIEDHELM NICOLIN. Alle Vitrinen tragen außen auf der Glasabdeckung eine kurze Beschreibung und Erläuterung der einzelnen Exponate. Über diese Orientierung hinaus findet der Besucher in jedem Raum eine gut gegliederte Schrifttafel, die dreierlei enthält: 1) eine zusammenfassende Charakteristik der jeweiligen biographischen Epoche; 2) eine nach Jahreszahlen fortschreitende Übersicht zu Hegels Leben und Werk; 3) parallel dazu wichtige politische Ereignisse und Daten der Sozial- und Kulturgeschichte. Dadurch kommt der historische Kontext zur Geltung, der bei den Ausstellungsstücken nur vereinzelt und andeutungsweise berücksichtigt ist. Die neue Hegel-Ausstellung reiht sich würdig ein in die literarischen Gedenkstätten, wie sie gerade in Baden-Württemberg anzutreffen sind (HöLDERLIN, SCHILLER, MöRIKE, KERNER U. V. a.).^ Das lange vergessene und dann zeitweise vernachlässigte Hegel-Haus hat inzwischen, wie man feststellen kann^o, eine wohlbeachtete Position unter den Stuttgarter Museen gewonnen. Lucia Sziborsky (Düsseldorf)
® Vgl. Literarische Museen und Gedenkstätten in Baden-Württemberg. Bearbeitet von Friedrich Pfäfflin, Irina Renz und Thomas Scheuffelen. Marbach 1989. t'' Vgl. z. B. den Bericht in der Zeitschrift Merian, Jg. 45, Heft 1 (Januar 1992): Stuttgart. 118—119: „Museen".
LITERATURBERICHTE UND KRITIK
Logic, Dialectic, and Paradox
Errol E. Harris: Formal, Transcendental, and Dialectical Thinking: Logic and Reality. Albany: SUNY Press 1987. 289 p. Howard P. Kainz: Paradox, Dialectic, and System: A Contemporary Reconstruction of the Hegelian Problematic. University Park: Pennsylvania State
University 1988. 137 p. ambitious project is to examine three types of logic — formal, transcendental, and dialectical — and their presuppositions, their accord with Contemporary Science, and their suitabiüty for resolving moral and political issues. How adequate is each logic to reality, as reaUty is currently conceived by the theories and results of Contemporary Science? Although HARRIS' results from a basically Hegelian account are not surprising, the lucid presentation is instructive. The advantage of HARRIS' retelhng over Hegel's original version is that the cast of philosophers and scientists and their positions has been substantially updated. HARRIS does not dismiss the other two inadequate approaches, but specifies their limitations, within which they retain legitimate roles. These critiques open the way to considering dialectic as the required way of thought that is adequate for both theoretical knowledge and pracfical issues. HARRIS' „attempt [is] the propaedeutic to the solution of the Contemporary predicament" (6). Solutions to our grave, global practical issues are hindered by cultural presuppositions, including the fact-value distinction, the consequent acceptance of relativism, and a lack of objectivity and universality in values. „But the real difficulty is that the problems are not simply technical but are moral" (12). Impeding views of logic and their metaphysical presuppositions need Investigation. That there is a divorce between logic and metaphysics is itself a metaphysical presupposition. Form and content are not isolatable as is necessarily presupposed in the metaphysics of formal logic. HARRIS detaUs ways in which each type of logic, in its practice and doctrine, presupposes a metaphysics, which, for example, specifies the relationship between concepts and their objects. ,,[M]y main thesis is that logic, properly conceived, is inseparable from fhe structure of HARRIS'
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LITERARURBERICHTE UND KRITIK
the actual world, as well as from our understanding of it. It must therefore be directly and intimately relevant to the solution of practical problems" (2). Formal logic is the logic of external relations. Its main metaphysical presuppositions are empiridsm and logical atomism, with its atomic facts and bare particulars expressed in atomic propositions. In Hegelian terms, formal logic corresponds to the category of quantity, its concept is abstract, and its whole is a mere aggregate. HARRIS' criticisms of formal logic center on external relations and their atomicity, through detaüed discussions of FREGE on concept and number, operations of formal symbolic logic, and the problem of induction. HARRIS examines many cases of the manifest inadequacy of formal logic to reality, since Contemporary Science is holistic, not atomistic. CruciaUy, formal logic is also unable to handle practical issues. Transcendental logic is the logic of internal relations. Transcendental logic's advance on the central hmitations of formal logic is evident in: its focus on the synthetic unity of a coherent whole, its being explicitly systematic, and its unity of logic, epistemology, metaphysics, and ethics. Not only has the Separation become theory and praxis been overcome, but the practical is even given priority. However, the starting point of transcendental logic in the self-identity of fhe subject is also its main limitation. Despite denials, transcendental logic remains within subjectivism and, therefore, cannot satisfactorily explain the relationship between the knowing subject and the objechve world. This conclusion is supported by detaüed accounts of KANT, FICHTE (and more briefly SCHELLING), HUSSERL, and the dialectical transcendentahsm of ANDRö DE MURALT. The transition to dialectic considers HUSSERLIAN seeds of dialectic that are not adequately developed, for, in the relation of whole and part, HUSSERL faüs to conceive organic wholes and mutual determination. „Dialectical logic is the logic of System, and as aU Science Claims to be systematic thinking, it is the ultimate and genuine form of logic" (131). The discussion of the general course of the categories is prefaced by two superb chapters on the logic of self-differentiating System and on negation, contradiction, and their misconceptions. By themselves, these chapters would serve as an excellent introduction to Hegelian thought. ParalleUng the Logic, HARRIS succinctly explains some of the major categories of perception, reflection (concentrating on Actuality), and systematic thinking; and ends with objectivity, and its identity (and difference) with subjectivity, and value. The focus is on a impressive array of scientific exemplifications, such as: the dynamic relationship of becoming between being and nonbeing of particles, the oscülaHon of waves to unfold determinate entities, and Contemporary physics' substance as a space-time conünuum, so that paired concepts (such as matter and motion) are no longer separable, but are conceived as unity in and through differences. The volume closes with concise discussions of dialectic and world problems and of metaphysical questions about the individuaTs relations to the universal whole. Any single volume on Hegel is forced to deal briefly with some aspects of his thought. Art, religion, and phüosophy, for example, are merely mentioned in
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passing. In turn, the continuing controversies over the religious — or theological — aspects of Hegel's System are not addressed. The Science of Logic and the Encyclopedia are not situated in terms of Hegel's other writings and development. (HARRIS slips and implies, on 80, that Hegel did not use the term „metaphysics" because it meant dogmatism, despite Hegel's Logic and Metaphysics lectures.) Given the crucial roles both of HARRIS' numerous scientific ülustrations to „demonstrate," „confirm," and „reveal" (174 f) Hegelian thought-determinations and of HARRIS' fluidly moving from the Logic's thought-determinations to examples from Contemporary Science to cognitive phases, it is unfortunate that HARRIS does not raise the issue of the relationship between Realphilosophie and Logic. Also, the crucial transition from Logic to Philosophy of Nature is not discussed. Life, consciousness, and (as shown by KLAUS DüSING) subjectivity warrant fuUer discussion. Readers who closely study HARRIS' book will be amply rewarded with an increased understanding of a number of philosophical and scientific positions. The greatest strength of this volume is that the reader can confront many of Hegel's central ideas — unimpeded by the legendary difficulty of reading Hegel — and, thus, one need hesitate to do so no longer. HARRIS' book offers more than a demonstration of Hegel's continuing relevancy, for it is a contribution both to Contemporary philosophy and to philosophy of Science. The book throughout is characterized by an adroit usage of a wealth of informative scientific examples. Contemporary Science is interpreted as supporting, and accounted for by, central aspects of Hegelian thought. Scientific advance is the dialectical unfolding, not of „mere error" but of truth's „embryonic form," and the resolving of contradictions (see 221 ff). HARRIS also suggests several philosophical terms, including „polyphasic unity" and „energism" (193), „teleonomy" (from JACQUES MONAD, 231), and the „faUacy of spurious homogeneity" (138). Unexpectedly, the presentation of Hegel is the most questionable aspect of HARRIS' „unashamedly Hegehan . . . propaedeutic to Hegel, followed by an application of the logico-epistemological principles set out to scientific method and recent scientific theory" (cf. 198 note 2). Admittedly, there is a diversity of views as to what constitutes a „proper propaedeutic" to Hegelian thinking. However, if a propaedeutic's gocd is to advocate and apply Hegelian thinking as the adequate form of logic for reaüty, over other forms, then clear expücation alone does not suffice. Hegel is presented as if no criticisms merit a response and as if the presentation itself involved no issues of interpretation. Thus, some readers will be disappointed that not a single critic of Hegel is mentioned, much less responded to (aside from discussing some „Misconceptions" of LENIN and POPPER). Yet, current widespread criticisms of „metaphysics" and the Hegelian project (such as those of HEIDEGGER) need to be addressed. A concluding chapter indicating why major critics of Hegel err in their judgments (on the model of the „Misconceptions" discussion or an updated, expanded Version of the Interpretation's „PostScript; Is Hegeüanism tenable today?") would have been appreciated. This shortcoming aids HARRIS' optimistic accent, e. g., that — without quaÜfication — „the
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LITERARURBERICHTE UND KRITIK
objective view is the most concrete and self-complete, that in which all sane persons agree and on which all good evidence converges" (234, my italics). Brevity and reliance upon prior agreement with Hegel sometimes give his conclusions a dogmatic tone. The „nullification" of relativism and the consequent „extirpation" of the root cause of Contemporary problems is more a terse announcement than a lengthy discussion, since HARRIS Claims this as the result of what has preceded it in the presentation. (Cf. 240 and 245—8, which would not persuade skeptics.) For a detaUed work of this length, the lack of reference to specific texts or passages of Hegel, both in the text and in the notes, as weU as the relative scarcity of books by and about Hegel in the bibhography is surprising. Notably, these aspects are in striking contrast both with the book's previous discussions of, e. g., FREGE and HUSSERL, and the earlier Interpretation. Hence, they can be remedied by reading the two volumes together, though one might have hoped for this in one volume. Readers who disagree with Hegel might not be convinced otherwise by HARRIS' book, but they will probably understand far more clearly what it is that they disagree with. (Unfortunately, HARRIS' text is marred by a high number of typographical errors. Though few change the meaning, there is the omission of crucial logical Symbols twice on 50.) KAINZ'S central question is whether the three factors of paradox, dialectic, and System are „necessarüy interrelated, so that, for example, a dialectic without paradox would be suspect, and phUosophically significant diaiectical paradoxes might be optimally presented in a System ..." (vii). KAINZ, however, is not arguing for the strong Claim of the inseparabiUty of the three factors, for he supplies examples, from the history of phüosophy, of their various combinations. Contemporary Science, mathematics, and logic give phUosophers „external considerations" for carefully rethinking assumptions about traditional nonparadoxical logic. ln addition to Hegel, other Challengers of the absolute Status of formal logic's foundational laws, include WITTGENSTEIN, NICHOLAS RESCHER, ERIC TOMS, GEORGE MELHUISH. After first distinguishing the philosophical variant among each factor's many meanings, KAINZ examines their unique combination in Hegel's dialecticalparadoxical System. However, unUke for HARRIS, „Hegel's System is presented as a result, but not necessaiily the last or best result" (vii). KAINZ'S analyses and summaries of Hegel are biilhant in their encapsulations, including a two page summary of the Phenomenology.
Self-reference is a central feature of many paradoxes, including the har paradox (e. g., „this Statement is false"), the Barber paradox, and set-theory paradoxes. The paradoxical aspect of bending-back-upon-self ought not to be attributed to the words actually turning, but to the movement of consciousness. The experience of the subject-object distinction is foundational for traditional logic. The distinction limits ambiguities, without clearly specifying the limits of the entities involved. KAINZ Claims, following Hegel, that the distinction rests upon a more basic experience-self-consciousness, which is the exemplar of paradox. The fusion of subject and object in self-consciousness enables reflection, self-reference, and the contradictory Union of opposites that traditional logic cannot adequately handle.
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These „fusion[s] of mental entities .. . [through] seZ/-conscious operations o£ the human psyche" (27, 30), include, for example, Identity and difference, being and negation, etc. With the careful consideration that characterizes the whole book, KAINZ points out that this is not Ucense that anything goes (e. g., that black is white, a cause follows its effect, etc.) or that tradihonal logic is to be discarded. In philosophy, rarely is paradox used explicitly. True philosophical paradoxes are distinguished from many other varieties of paradoxes (such rehgious, Hterary, logical, semantical, and grammatical paradoxes) by four features; syzygy, borrowing a JuNGian term for the cohabitation of unity-in-distinction; circularity that is nonvicious; dynamic transcendence of static oppositions; and demonstrable (as well as discursive and conceptual). KAINZ helpfully sketches six important systematic attempts at dialectic (e. g., SocRATic, PLATONIC, and ARISTOTELIAN) and some Contemporary variations (e. g., RORTI', DERRIDA, GADAMER, HEIDEGGER). The discussion focuses on arguing that MARX used dialectic, albeit in a „complex," „nuanced," „eclectic" way (71—2). He concludes that „MARX'S empirical data burst the bonds of their Hegehan trappings" and wonders whether it is „not an overextension of [the traditional meaning of] ,dialectic' to apply it to the physical and social world" (73—4, cf. 87—8). (In this context of dialectical-empirical sysfematization, KAINZ mentions HARRIS' book [121 note 63].) Hegehan dialectic is the unfolding of ideas (rather than thinkers and their varying views). It has roots particularly in HERACLITUS and the KANTiAN antinomies, which are due „to the thoughts they [the thinkers] are thinking, which are intrinsically dialectical" (66). This dialectic is the „perhaps ultimate extension" of systematization of paradox that Starts „with a paradoxical thesis already incorporating major oppositions" (64—5). (Earher versions may be found in MARTIN LUTHER, CUSANUS, BRUNO [65].) In HegeTs dialectic-paradoxical System, not only are paradoxical formulations used, but the conceptions themselves of a System are paradoxical. Such conceptions include that the beginning is also the end, the immediate is mediated, and the distinction between analytic and synthetic methods as well as the dUemma between completeness and consistency are overcome. LUce HARRIS, KAINZ doubts that dialectical logic can be formahzed. Briefly responding to DERRIDA, KAINZ points out that paradox (rather than mere synthesis) in HegeTs System „leads to a collapse of the binary distinction between closure and unassimilable otherness, as distinction perpetuates and intensifies itself" (88—89). Drawing upon German (PöGGELER, BONSIEPEN), French (LABARRI6RE), and Anglo-American (INWOOD, ROCKMORE) sources, KAINZ insightfuUy investigates the paradoxical circularity of the Encyclopedia and The Phenomenology of Spirit. Both are circular unfoldings of the originary paradox of fhe unity-in-distinction of being and thought, systematicaUy through corollary paradoxes (such as the paradoxical unities-in-distinction of subject and object, form and content, method and subject-matter, freedom and necessity) and series of derivative paradoxes. SkUlfuIly using a series of diagrams, with ample quaUfication as to their usefulness, KAINZ illustrates different interpretations of HegeTs analogy, „circle of circles." The analogy faUs to convey parado-
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xical unfolding, for it lacks explicit inclusion of „the power of the negative/' the contradictory element. KAINZ also reproduces LABARRIERE'S excellent charts of the Phenomenology's parallel circular movements. KAINZ correctly criticizes DONALD VERENE'S Claim that there is no tripUcity in Hegel and ROBERT SOLOMON'S Claim that PöGGELER agrees with THEODOR HAERING that the Phenomenology was originally to stop with the Reason chapter (108, 125 notes 96—99). (The Phenomenology's quotation on 22 is from the penultimate paragraph of Chapter III, not the Introduction.) Given that by „paradox" KAINZ means „unity-in-distinction" (and not a vague „unity of opposites" [36]), his conclusion is correct: „systemafic circularity in Hegel is of a special sort — the dialectical circularity of philosophical paradox, in which two opposed or contradictory ideas are joined together in such a way that they complement and confirm each other, and transform themselves into each other. Philosophical paradox is the inseparable concomitant to circularity in both the Phenomenology and the Encyclopedia" (109). KAINZ'S investigation of the HegeUan problematic from the perspective of paradox is extremely suggestive and raises a host of systematic questions about paradox's formulations and contents. For example, are all shapes of consciousness in the Phenomenology and thought-determinations in the Logic when expressed equally paradoxical or, in the Logic, do the „first and third categories in every triad" have a special Status? (Cf. Encyclopedia Logic § 85.) Would the speculative Satz discussed in the Phenomenology's Preface be the exemplary model for paradox and the „paradoxical proposition" (64) or the unfolding through syllogism of the Logic? Do different structures of negation or different moments of the System lead to separate forms of paradox? One central paradox that is not explicitly dealt with is the unity-in-distinction of the inner and the outer, which arguably is one of fhe originary paradoxes, e. g., as Actuality {Wirklichkeit, Encyclopedia Logic §§ 137 ff). A concrete working out of the Realphilosophie as series of paradoxes would augment KAINZ'S analyses. A future exploration would be a detailed contrast of paradox in KIERKEGAARD and Hegel. Both HARRIS' and KAINZ'S books return us to HegeTs texts, enriched with new insights about his problematic. Their interdisciplinary discussions are of broad interest. Scott E. Weiner
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Manfred Wetzel: Dialektik als Ontologie auf der Basis selbstreflexiver Erkenntniskritik: Neue Grundlegung einer „Wissenschaft der Erfahrung des Be-
wußtseins" und Prolegomena zu einer Dialektik in systematischer Absicht. Freiburg, München: Alber 1986. 864 S.
Dialektik als Ontologie ist der Versuch, Hegels unvollendetes System von 1807 insgesamt zu wiederholen und zu berichtigen. So wiederholt und erneuert der 1. Teil nicht Hegels Phänomenologie des Geistes, sondern nur die Wissenschaft der Erfahrung des (einzelnen) Bewußtseins, die nicht über die Vernunft hinaus kommt und fast keine außerphilosophischen Positionen berücksichtigt. Der 2. Teil heißt zwar Prolegomena, versteht sich aber als grundrißhafte logische Dialektik und Realphilosophie in systematischer Absicht. Gegen philosophische Alternativen aus dem 20. Jahrhundert gibt es immer einen dritten Weg, der als Hegels Weg der ,Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins' gekennzeichnet werden kann; dieser Weg entzieht sich den vorgestellten Alternativen. Von diesem Weg aus wird sichtbar, daß die Vorgefundene Natur, die vorausgesetzte Gesellschaft und die unmittelbare Subjektivität mit Erfahrbarkeit, Aneigenbarkeit und selbsterfahrende Selbstbestimmung keine letzten Gegebenheiten sind, ebensowenig wie das nur im reflektierenden Tun des Philosophen verdoppelte und weiterbestimmte Subjekt. Daher ist in der Erfahrbarkeit und Aneigenbarkeit wie im Selbstrückgang des unmittelbaren Subjekts ein Verhältnis vorhanden, das ebensowenig wie das Verhältnis des rein reflektierenden Philosophen zu ihnen, in einer Alternative aufgeht. Der Philosoph wiederholt und begreift, er bringt auf den Begriff, was unmittelbar und reflexiv vollzogen worden ist. Welche Alternativen es nun in der heutigen Philosophie des 20. Jahrhunderts gibt, wird von WETZEL beschrieben. Dazu verwendet er ohne weiteren Kommentar oder eingehende Deutung, also schablonenmäßig, Hegels Stellungen der Gedanken zur Objektivität. Inhalthch werden so fast alle wichtigen deutschsprachigen und angelsächsischen Philosophen (aber keine französischsprachigen) in Hegels erste und zweite Stellung in Beziehung auf die Natur, die Gesellschaft oder die Subjektivität hineingetragen; die Phänomenologie HEIDEGGERS und die Reflexionsphilosophie PIAGETS, APELS und von HABERMAS werden als Vorstufen der wirklichen Philosophie in einer dritten Stellung dargestellt. Die dritte Stellung aber bietet für WETZEL gegen Hegels Selbstverständnis keine Subjekt-Objekt-Identität als absolute Subjektivität, sondern die fundamentale Subjektivität ist eine zwar selbstreflektierende, aber endliche. Die Wissenschaft der Erfahrung des (Selbst)Bewußtseins bietet dann zwei Wege. Die Selbsterfahrung der Beziehung einerseits und die Konstitution in bezug auf Natur, Gesellschaft und Subjektivität andererseits. Wichtig bei der Erfahrung ist die Zutat bzw. das Zusehen des ,Wir'. Dies ,Wir' ist aber keine Gefährdung der Durchführbarkeit einer Wissenschaft der Erfahrung als Wissenschaft, sondern es ist gerade die positive Möglichkeit der Darstellung selbst. Denn wir als darstellende Sub-
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jekte sind in Beziehung auf uns selbst als darzustellende nochmals die in sich unterschiedene Einheit von Bei-sich-sein und Bei-Anderem-sein, die die darzustellenden Subjekte selbst sind. Gerade die Darstellung bringt auf den Begriff, was die Darstellenden sind: sprachlich und begrifflich darstellende Aktivität. Wie solche Subjektivität aber im einzelnen auszusehen hätte, wird nur Umrissen, nicht ausgeführt. Statt dieser Ausführung wird ein zweiter Teil geboten, der leider überhaupt keine Einheitlichkeit mehr zeigt, ln diesem Teil wird in einer Bewegung Hegels Dialektik gegen die formale Logik-Kritik verteidigt und in ihren geschichtlichen Wurzeln betrachtet: Von PLATOS Dialektik, von ARISTOTELES' Ontologie, von KANTS Transzendentalphilosophie und von FICHTES Selbstreflexion der Vernunft ist sie angeregt worden, aber diese Betrachtungen bieten kein differenziertes Büd der historischen Bezüge. Die gesonderte Darstellung des dialektischen Denkens als eines subjektiven Denkens vom unendlichen Denken beschränkt sich auf eine Kurzfassung der Hegelschen Qualitätskategorien und der Urteilslogik. Diese Eassung aber zeigt einige Spezifika. Insgesamt ist das dialektische Denken kein autonomes Denken. Denn ,wir' denken die Denkbestimmungen des dialektischen Denkens: Wir treiben die Darstellung fort. Auf diese Weise haben wir das Seinsdenken zu betrachten. Das darstellende Denken des Seins ist kein Denken seiner selbst, sondern eine Darstellung des Denkens von einem Seienden. In der Darstellung selbst muß also eine ursprüngliche Beziehung des Denkens auf Seiendes, welche als Bewußtsein vorliegt, aufbewahrt werden. Oder das (Sich)Denken der Hegelschen Kategorien ist ursprünglich eine Selbsterfahrung. Zweitens werden die Reflexionsbestimmungen schon beim Denken von Endlichem nicht nur operativ verwendet, sondern thematisch betrachtet. Sie sind zur Identifikation des Endlichen im Denken notwendig. Drittens wird Hegels Urteilslehre auf eine Lehre der verschiedenen Arten von Sätzen reduziert und mit Hinzunahme des unentbehrlichen spekulativen Satzes erläutert, denn nur dieser bietet die Darstellung, die wir durch unsere besondere Arbeit zustande bringen. Ist diese Arbeit aber die Freiheit, in welcher die Zutat sich auf das Zusehen beschränken könnte? Mit dieser Frage sollte eigentlich die — absolute — Methode erreicht werden; aber diese wird nicht eigens thematisiert, sondern nur über Deutungen von verschiedenen deutschen Hegel-Interpreten evoziert. Was etwas anderes als ein Denken des dialektischen Denkens ist, was Denken in Beziehung auf Gegebenes ist, wird in dem letzten Teil nicht unmittelbar von Hegel angeregt: Ein solches Denken versucht zwar Widersprüche zu betrachten, gibt aber im wesentlichen nur eine Prinzipientheorie der Natur, Gesellschaft und Subjektivität. Insgesamt kann man in diesem Buch die Reichhaltigkeit der Themen nur bewundern. Es wäre aber eine außerordentliche Leistung gewesen, wenn man bei solcher Themenvielfalt über Pauschalurteile hinaus eine genauere Einsicht hätte vermitteln können. Lu de Vos (Löwen)
Besprechungen
Andre Doz: Le logique de Hegel et les problemes traditionnels de l'ontologie.
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ris: Vrin 1987. 326 S. (Bibliotheque d'histoire de la philosophie.) Mit seiner Wissenschaß der Logik hat Hegel die Geschichte der Metaphysik vollenden Vi^ollen. Dieser Anspruch ist genau der Kern der Studie von Doz über die Beziehungen zwischen Hegels Logik und den klassischen Problemen der abendländischen Ontologie. Dem ARiSTOTELischen Projekt einer Ontologie zufolge — das schon tief problematisch ist und von Doz, vor allem in bezug auf AUBENQUES Auslegung der Metaphysik des ARISTOTELES, kritisch untersucht wird — beabsichtigt die Hegelsche Logik, eine Wissenschaft des Seins zu sein. Freilich ist aber das Sein bei Hegel die niedrigste Stufe der Entwicklung der „Wissenschaft des reinen Denkens", wobei die neugefaßte Ontologie ihren Abschluß in der Wahrheit des Seins, bzw. in der Subjektivität des Absoluten findet, die ARISTOTELES nicht imstande gewesen war zu denken. Wenn die Logik Hegels also dem metaphysischen Ansatz des ARISTOTELES treu bleibt, gelangt sie auch zu einer Erneuerung der Ontologie, was erfordert, daß man die Logik unter dem Gesichtspunkt ihrer Beziehungen mit der Tradition betrachtet; es ist dabei merkwürdig, daß die Logik Hegels alle klassischen Begriffe der Metaphysik in Betracht zieht und sich mit ihnen auseinandersetzt. Doz versteht sein Buch als eine von aller dogmatischen Auslegung weit entfernte „fragwürdige Erklärung", wobei es sich sowohl als eine Erklärung — jedoch nicht im Sinne eines kontinuierlichen Kommentars — als auch als eine philosophische Untersuchung verstehen läßt. In dieser Absicht sucht zunächst die Einleitung, die Bedeutung der Worte „Logik", „spekulative Philosophie", „reine Wissenschaft" näher zu bringen, wobei es sich zunächst verstehen läßt, aus welchen Gründen die klassische Logik von Hegel als unbefriedigend beurteilt werden konnte: ihre objektivistische Behandlungsart der Kategorien gestand der Entwicklung des Denkens keinen freien Platz zu. Schon in der kritischen Philosophie sah Hegel eine Verwandlung der Metaphysik in eine Logik, auch wenn man mit Doz behaupten kann, daß KANT seine transzendentale Logik erst als eine Darstellung der Quelle aller mögUchen Metaphysik darstellte. FICHTE und SCHELLING folgend versucht aber dann Hegel über die Grenzen der kritischen Philosophie hinaus zu gehen, indem er die jeweiligen Vollkommenheiten der Anschauung und des Denkens in ihrem Zusammenhang dachte, in welchem die ständige Vermittlung zu sehen ist, wodurch sich das seiner selbst gleiche Subjekt im Anderen sich immer schon entgegensetzt. Doz beschäftigt sich auch mit dem Problem der Denkstruktur der Logik, der Kategorienlehre und ihrer Beziehung zu dem, was Hegel „Denkbestimmungen" nennt, und mit der Dialektik. Es genügt die Vielfältigkeit der hier betrachteten Themen zu erwähnen, um auf den doppelten Verdienst dieser „fragwürdigen Erklärung" nochmals aufmerksam zu machen: inneres Verstehen der Wissenschaß der Logik und sorgfältige Interpretation ihrer wichtigsten Stellen unter Berücksichtigung der klassischen ontologischen Probleme der abendländischen Tradition. Der Leser soll jedoch nicht in diesem Buch einen
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vollständigen Kommentar der Hegelschen Logik suchen: dafür gibt es die Studien LAKEBRINKS, LECRIVAINS und LEONARDS U. a. Die vorrangige Absicht von Doz ist vielmehr, den Dialog mit den größten Gestalten der Metaphysik — ARISTOTELES, SPINOZA, LEIBNIZ, KANT — zu rekonstruieren. Deshalb ist z. B. die Interpretation der Seinslogik sehr kurz ausgefallen, während der Logik der Wirklichkeit oder der Logik des Begriffs mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Durch seinen Ansatz ist dieses Buch eine der interessantesten und reichsten Studien der letzten Jahre über Hegels Logik. Erfreulich ist die Beigabe eines Namenregisters, was in den französischen Veröffentlichungen leider zu selten vorkommt. Olivier Depre (Louvain-la-Neuve)
Heinz Röttges: Dialektik und Skeptizismus. Die Rolle des Skeptizismus für Genese, Selbstverständnis und Kritik der Dialektik. Frankfurt a. M.: Athenäum 1987. 158 S. (Monographien zur philosophischen Forschung. Bd 245.) Die entscheidende Funktion, die dem Skeptizismus für die Formierung der neuzeithchen Philosophie zukommt, läßt sich z. B. an der CARTESischen Zweifelsbetrachtung und an der Umwandlung des Isotheniegedankens zur Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft aufweisen. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn neben FICHTE, dessen Rezension von AENESIDEMUS-SCHULZE ihn auf den paradigmatischen Begriff der Tathandlung einer vollkommen autonomen Subjektivität führte, auch Hegel dem Skeptizismus einen hohen Stellenwert im Hinblick auf die theoretische Verständigung über die moderne Welt einräumt. Von einer solch positiven Beurteilung ausgehend, behandelt RöTTGES die wichtige, allerdings von der Forschung bislang wenig beachtete Beziehung zwischen dem Skeptizismus und der idealistischen Spekulation mit der Absicht, „daß zentrale methodologische Kategorien Hegels selbst in dieser kritischen Interpretation an Schärfe gewinnen" (12). Seine textimmanenten Analysen, die weitestgehend auf den Gebrauch der Sekundärliteratur verzichten, stellt RöTTGES unter den systematisch leitenden Gesichtspunkt, ob Hegel das Verhältnis von Skeptizismus, Dialektik und Philosophie bestimmen kann, „ohne sich in Aporien zu verstricken" (13). Gemäß einer derartig hermeneutischen Vorgabe zeigt sich für RöTTGES bereits in Hegels früher polemischer Abrechnung mit der Kritik der theoretischen Philosophie des nun popularisierenden AENESIDEMUS-SCHULZE, gegen den das „edle Wesen" des wahrhaften Skeptizismus rehabilitiert werden soll (I. Kapitel), ein folgenschweres Dilemma: Zwar bilden nach Hegel Philosophie und Skeptizismus
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eine Einheit, weil dieser in seiner unreflektierten Form (PYRRHO) die Katharsis des gemeinen Menschenverstandes übernimmt oder in reflektierter Gestalt (SEXTUS EMPIRICUS) den Dogmatismus stets beschränkter Verstandesbegriffe vernichtet. Aber sobald er seine Argumentation, die in der Annahme der universalen Relativität von Seiendem zentriert ist, auf die Philosophie anwendef, verfehlt er das spekulative Wesen der Vernunfterkenntnis. Diese Aporie des Skeptizismus, als ein notwendig katharsisches Element der Philosophie zugleich unwahr zu sein, setzt laut RöTTGES die Phänomenologie des Geistes fort (II. Kapitel). In der Einleitung bedeutet der Skeptizismus bei Hegel einerseits ein Konstituens für die Erfahrung des Bewußtseins, wodurch der CARTESische Vorsatz des Zweifels zur Verzweiflung gesteigert wird, die allererst eine Befreiung aus der natürlichen Vorstellungswelt des erscheinenden Wissens ermöglicht. Andererseits identifiziert Hegel die Skepsis mit einer eigenständigen Erfahrungsweise des unglückhchen Bewußtseins, die er nach dem Abschnitt über den Stoizismus behandelt. Dieser zweifache Rekurs der Phänomenologie auf den Skeptizismus zieht nach RöTTGES eine „grundsätzliche Unvereinbarkeit" (48) nach sich, daß man ein Movens der philosophischen Methode, die Einsicht in den Scheincharakter des gegenständlichen Wissens beansprucht, auf eine bloß historische Gestalt reduziert. Während demzufolge die Phänomenologie der seif 1802 auftretenden Ambivalenz im Skeptizismus-Auisatz verhaftet bleibt, scheint die Enzyklopädie (1830) prima vista von einer derartig argumentativen Schwäche frei zu sein. Im Kontext des § 81 strebt Hegel eine systematisch endgültige Klärung des Verhältnisses von Skeptizismus und dialektischer Methode an, dessen defizienten Modus er bildet (III. Kapitel). Zielen die Tropen darauf, kategoriale Bestimmtheiten gegeneinander zu fixieren, dann überbietet Hegel dieses negative Verstandesdenken durch die Dialektik, die allein das reflexive Wesen des Skeptizismus aufklärt. Im Unterschied zur Phänomenologie kehrt Hegel hier die antike Ausprägung des Skeptizismus zu einem Moment der Dialektik um, die nichts anderes als ein sich wahrhaft verstehender Verstand ist, der die Transformation zum spekulativ Vernünftigen vorbereitet. An dieser für RöTTGES unleugbaren Relativierung des Skeptizismus zu einem genetischen Aspekt der Dialektik taucht erneut der Zwiespalt auf, wie sich die eingeforderte Stringenz der Tropen mit ihrem philosophiehistorischen Stellenwert, lediglich ein vorläufiges Verfahren zu sein, in Einklang bringen läßf. Die offensichtliche Tatsache, daß Hegel zu einer systematischen Distanzierung vom Skeptizismus fortschreitet, erörtert RöTTGES im Anschluß an die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (IV. Kapitel). Gerade diese Vorlesungen verschärfen laut RöTTGES noch einmal die Schwierigkeit Hegels, die methodologisch ihrer selbst bewußt gewordene Dialektik post festum zu einem Organon antiskeptischer Argumentation zu erheben (vgl. 101). Daher vermögen die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie weder die in der Enzyklopädie festgeschriebene Integration des Skeptizismus in die Dialektik zu bewahrheiten noch zu konkretisieren.
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Wichtiger als das von RöTTGES subtil herauspräparierte Scheitern einer philosophiegeschichtlich internen Widerlegung der Skepsis bei Hegel bleibt jedoch deren katalysatorische Funktion. Für Hegel markiert der Skeptizismus eine epochale Zäsur, die der Sieg des römischen Imperiums und das Heraufkommen des Christentums bedingt haben. Wenn der Skeptizismus theoretisch die ,Wirklichkeit' der politischen Welt Roms ausspricht, die de facto auf der Negation aller Bestimmtheiten beruht, bereitet er die Reflexion der Substanz in sich und so den Schritt zur Subjektivität des Absoluten im christlichen Geistbegriff vor (vgl. 110 f)-
Diese historische Verortung des Skeptizismus, vermittels der Negation den Übergang von einem abstrakten Allgemeinbegriff in die konkrete Idee geleistet zu haben, hegt der abschließenden These RöTTGES' zugrunde: Allein Hegel beantwortet die Herausforderung der Tropen, wobei „Definition und Genese der Dialektik" (113) mit der Aufhebung des Skeptizismus eins sind. Neben PLATONS Parmenides und KANTS Antinomienlehre weist RöTTGES überzeugend auf eine dritte Quelle der Hegelschen Dialektik hin, die sich aus dem Motiv einer geistesphilosophischen Überwindung skeptischer Relativierung ergibt (V. Kapitel). Der Diaphonie von Meinungen im ersten Tropus hält Hegel die grundsätzliche Ansicht entgegen, daß die Geschichte eine Darstellung des Absoluten ist, das sich in einander aufhebenden Ausrichtungen teleologisch vollendet. Beim zweiten Tropus eines infinitiven Regresses in der Begründung greift Hegel auf den Begriff der konkreten Unendlichkeit vor, wo die Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung gedacht wird; methodologisch gesehen, bildet Hegel den für den Skeptizismus zentralen Gedanken des pros ti alles Seienden zur Theorie der bestimmten Negation aus, die den Übergang bei einer Erkenntnis des Absoluten leistet; den vierten Tropus einer dogmatischen Setzung vermeidet Hegel durch einen neuen Begriff des Anfangs, demzufolge die zugrundegelegte Substanz nur in der Weise eines sich selbst determinierenden Subjektes aufgefaßt werden kann; was zum Schluß die tropische Dialelle betrifft, geht Hegel die Zirkelbegründung unter der Hinsicht bewußt ein, daß der Geist nur im Anderen bei sich ist. Angesichts der von RöTTGES sonst aufgezeigten „Brüche" (82) innerhalb der Hegelschen Position überrascht seine resümierende These, wonach Hegel sich nicht an einer propädeutischen Widerlegung des Skeptizismus versucht hat, sondern die aus der Phänomenologie des Geistes stammende These eines vollbrachten Skeptizismus tatsächlich einlöst (vgl. 156). Mit einer solchen Behauptung gerät RöTTGES allerdings in ein ähnliches Dilemma, das er zuvor Hegel bescheinigte. Sofern RöTTGES die durchgängige Ambivalenz in der Beurteilung des Skeptizismus bei Hegel diagnostiziert, verliert seine These von einer endgültigen Überwindung, die die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie geleistet haben sollen, an Plausibilität. Diese Inkonsistenz resultiert wahrscheinlich daraus, daß eine Argumentationsstrategie, die sich vornehmlich auf die Entwicklungsgeschichte bezieht, nichtsdestoweniger die Anfänge von Hegels Rezeption des Skeptizismus außer acht läßt.
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Laut ROSENKRANZ beschäftigte sich Hegel bereits am Ende der Frankfurter und zu Beginn der Jenaer Zeit mit SEXTUS EMPIRICUS, den er neben PLATON ausführlich studierte. Ihren Niederschlag fand diese Rezeption in der Differenz-Schiiit (1801), die zum ersten Mal einen „ächten Skepticismus" (GW4.92) erwähnt, der das Bedürfnis nach der Vereinigung von Gegensätzen hervorbringt. Obschon der Skeptizismus hier noch nicht die Stufe wissenschaftlicher Selbstreflexion erreicht hat, wird er bei Hegel gegen die Ohnmacht einer Subjektivitätsphilosophie eingesetzt, die sich nicht zur Objektivität des Absoluten zu erheben vermag. Von Anfang an grenzt Hegel damit die methodologische Funktion des Skeptizismus von seiner Vereinnahmung durch eine kantianisierende Bewußtseinslehre ab, die er bei SCHULZE und BOUTERWEKS Anfangsgründe der spekulativen Philosophie (vgl. GW4.95 ff) kennengelernt hat. Innerhalb seiner eigenen kritischen Versuche, eine Methode ausfindig zu machen, die endlichen Bestimmungen des Denkens aufzulösen, greift Hegel also auf die Tropen des antiken Skeptizismus zurück. Er stellt für Hegel heuristisch das Vorbild einer spekulativen Methode dar, anhand der Erzeugung von Antinomien die Depotenzierung jeglichen Bewußtseinsidealismus' zu verdeutlichen. Dieser Umfunktionierung des Skeptizismus im Dienste eines die Wirklichkeit vollständig umfassenden Rationalitätsmodells widerspricht es gleichfalls nicht, daß ihn Hegel seit der Phänomenologie auf seine historische Ausprägung festlegt. Vielmehr bleibt der Skeptizismus ein unentbehrliches Moment der ganzen Methode, die sich geschichtlich ausbildet. So ist es dann eher die von RöTTGES bestrittene Kontinuität, die immanent Hegels Anspruch auf einen vollbrachten Skeptizismus rechtfertigt, durch die die Verabsolutierung eines ,subjektiven Denkens' außer Kraft gesetzt wird. Hans-Jürgen Gawoll (Bochum)
Hegel und die antike Dialektik. Hrsg, von Manfred Riedel. Frankfurt a. M. 1990. 283 S. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.) Dieser Band erhält 13 Beiträge, die 1986 anläßlich eines Symposiums in Nürnberg Vorgelegen hatten und nun in überarbeiteter Form erscheinen. Diese gUedem sich in vier Gruppen: Geschichtliche Grundlagen (M. RIEDEL, O. PöGGELER); Zur Vorgeschichte der Dialektik: Parmenides, Zenon, Heraklit (E. BERTI, R. BUBNER, H. BOEDER); Objektive und subjektive Vernunft: Von Anaxagoras zu Sophistik (G. SCHMIDT, K. HELD); Dialektik zwischen Wissenschaß und Erfahrung: Plato und Aristoteles (S. ROSEN, K. DüSING, M. BAUM, P. AUBENQUE); Antiker Skeptizismus und Dialektik der sinnlichen Gewissheit (H. BüCHNER, R. W. MEYER); hinzukommt ein Anhang mit einem Bericht über das Istituto ItaÜano per gli Studi Filosofici (A. GARGANO) und einer Bibliographie zur Thematik des Bandes (N. WASZEK) (Zwei Bücher, die der sy-
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stematisch interessierte Leser mit Gewinn studieren wird, wären hinzuzufügen: M. N. Förster: Hegel and Skepticism. Cambridge, Mass. 1989; K. R. Westphal: Hegel's Epistemological Realism. Dordrecht 1989.) Die Thematik weist jedoch über sich hinaus und stößt, wie bereits der Beitrag von M. RIEDEL (13 ff) gut zeigt, in das Zentrum der Frage auch der Entstehung und Geschichte der Hegelschen Dialektik überhaupt. Hier wird die Konstellation der Jugendschriften wichtig — die Spannung zwischen Neuspinozismus und Platonismus und natürlich das HERAKLir-Verständnis, das von HöLDERLINS Blick auf PLATONS Symposion geprägt ist. Eine andere Dimension eröffnet sich, wenn man, wie O. PöGGELER dies tut, dem Hinweis ROSENKRANZ' nachgeht, wonach Hegel und seine Freunde die PLATONischen Dialoge nicht nur zusammen mit JACOBIS Spinoza-Buch lasen, sondern auch zusammen mit dessen Romanen Allwil und Woldemar (49 ff). Ungeklärt — wenn auch nach Ansicht des Rez. ein Desiderat erster Ordnung — bleibt die Frage, wann es (und in welcher Form) zum Studium neuplatonischer Philosophen (53) kam. An der Beschäftigung Hegels mit dem Eleatismus, der R. BUBNER nachgeht, fällt auf, daß Hegel PARMENIDES einen geradezu „spinozistischen Pantheismus" zuschreibt (87) und Fr. 8,34 im Sinne einer „Produktionsthese" zu deuten scheint, — „der Seinsgehalt des Denkens entspringt also ihm selbst, seiner autonomen Tätigkeit" (88). E. BERTI zeigt, daß Hegel in der Einschätzung ZENONS (auf dem Hintergrund des PLATONischen Parmenides, Teil 1) dem PLATONischen bzw. ARiSTOTELischen Begriff der Dialektik nahekommt (77). Dieser Punkt erfährt dann in P. AUBENQUES lehrreichem Vergleich zwischen Hegelscher und ARiSTOTELischer Dialektik weitere Präzisierungen (208 ff).
Hegels Auseinandersetzung mit PLATON nimmt begreiflicherweise großen Raum ein. Hier bietet namentlich M. BAUMS Beitrag {Kosmologie und Dialektik bei Platon und Hegel, 192 ff) wichtige Einsichten. So findet sich z. B. ein Hinweis auf PLATONS Timaios 30 B—C, eine Stelle, die im Hintergrund der für Hegel und SCHELLiNG so zentralen These von der Lebendigkeit der Natur stehen dürfte. Freilich wäre in diesem Zusammenhang wohl auch Sophistes 248—249 A zu nennen. Diese Stelle wird zusammen mit ARISTOTELES' Charakterisierung des Geistes als wirkliches Leben PLOTINS Auffassung des intelligiblen und lebendigen Universums beeinflussen. Bei PLOTIN findet sich dann auch die Auffassung der Idee als denkendem Wesen: V 9(5)8,2. Ferner weist BAUM auf die Charakterisierung der Methode ZENONS im Phaidros 261 D hin, die KANT offenbar nicht unbekannt war; und zu diesem Zusammenhang gelingt es BAUM, auch etwas von der Brüchigkeit in Hegels Orientierung am Dialog Parmenides deutlich werden zu lassen (207). In seinem Beitrag Formen der Dialektik bei Plato und Hegel (169 ff) macht K. DüSING zurecht daruf aufmerksam, daß „bei Plato die Ideen im dialektischen Durchgang ihre konstante Bedeutung" behalten, während sie bei Hegel „darin eine notwendige Bedeutungsveränderung" erfahren (191). Auch deutet DüSING an, daß Hegel den Parmenides von einer „unplatonischen Auffassung von der logisch-ontologischen Bedeutung des Widerspruchs" (186) angeht. Doch gibt es wohl eine Fülle von Fragen, die aufzuwerfen wären. So z. B. weshalb Hegel (ebensowenig wie
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die Neuplatoniker) nicht merkte, daß die Behauptung, ,Sein' involviere in allen Fällen Teilhabe an Zeit (Parmenides 141 E7 ff) im Gegensatz zur Annahme eines atemporalen Sinnes von ,ist' im Timaios 37 E3 ff steht und damit das Argument der ersten Hypothese (und mutatis mutandis die explizit theologische Interpretation) des zweiten Teils des Parmenides untergraben muß. Auf diesen Punkt hatte bereits der von DüSING genannte F. M. CORNFORD hingewiesen. DüSINGS Arbeit ist besonders reich dokumentiert. Allerdings fehlen Hinweise auf neuere, wichtige Bücher zur philosophischen Diskussion des Parmenides (z. B. R. E. ALLEN, K. SAYRE, M. MILLER).
H. BüCHNERS Überlegungen zu Hegels Verständnis des Antiken Skeptizismus lassen namentlich die frühen Berührungen gut hervortreten. Die Figur des Skeptizismus zwischen , Herrschaft und Knechtschaft' und dem , unglücklichen Bewußtsein' bleibt unkommentiert (240). Dies ist bedauerlich. Denn hier stellen sich eine Reihe von präzisierbaren Fragen, die zumal Licht auf Hegels Verständnis der Bewußtseinsgestalt als Bewußtseinsgestalt werfen könnten. Zweifellos bietet dieser Band eine Fülle von hilfreichen Informationen und anregenden Gesichtspunkten. Doch sind die Beiträge selbst von unterschiedlicher Intensität und ungleichem Gewicht. Auch finden sich in den griechischen Zitaten viele, z. T. sehr viele Druckfehler. Einer der Autoren verwendet sogar ein Wort, das es nach meinen Erkundigungen nicht gibt (140); andere Autoren geben den griechischen Text in Transkription. Generell leidet dieser Band, der H. G. GADAMER zum 90. Geburtstag gewidmet ist, m. E. daran, daß die systematische Perspektive vage bleibt und so auch die Diskussion über die Sache selbst nicht recht Boden gewinnt. Andreas Graeser (Bern)
Leonardo Samonä: Dialettica e Metafisica. Prospettiva su Hegel e Aristotele. Palermo: L'Epos Societä Editrice 1988. 227 S. (Zum Grunde hai d'archäi. 4.) L. SAMONä geht es in seiner differenzierten und kenntnisreichen Arbeit darum, eine Perspektive zu entwickeln, um die aporetische Auseinandersetzung zwischen ARISTOTELES und Hegel erneut zu führen. In einem ersten Abschnitt (13—48) erörtert SAMONä Hegels Deutung der ARISTOTELischen Philosophie. In Absetzung von bisherigen Interpretationen, wie etwa der von W. KERN, geht es SAMONä darum, zu zeigen, daß in die Konzeption der Einfachheit des Denkakts Hegels Dialektisierung von Denken und Gedachtem, von Intellekt und Intelligiblem integrierbar ist. Man mag diese Sicht der Hegelschen ARiSTOTELES-Interpretation anzweifeln, richtig bleibt, daß hier Hegels Standpunkt, wonach ARISTOTELES der echte Anfang der Philosophie ist, plausibel rekon-
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struiert wird. ARISTOTELES schafft nach Hegel die Möglichkeit, die Identität von Objekt und Subjekt zu denken, weil er das Objekt als das intelligible Wesen der Dinge versteht, und die konkrete Überwindung der Differenz von Subjekt und Objekt im Denken des Denkens vorbereitet. In der göttlichen voTjoig uör|aeco5 findet sich das Element des Anfangs und der Vollendung des Denkens, also in ARISTOTELES der Anfang und das Endziel der philosophischen Entwicklung (vgl. 15) vorbereitet. So kann das Verhältnis Hegel-ARISTOTELES als eine Einheit erscheinen, die keinen Anlaß mehr dazu gibt, selbst „eine Geschichte" zu haben, zu verschiedenen Möglichkeiten ihrer Überwindung zu motivieren. SAMONä entwickelt von diesem Standpunkt her die Radikalisierung der Auseinandersetzung, die sich bei jenen Kritikern der Hegelschen Philosophie findet, die nach einer dem System äußerlichen Verankerung in Form eines ARiSTOTELischen Korrektivs streben. Hier erscheint die Einheit von Anfang und Vollendung der Philosophie nicht mehr als denkende Beziehung zu sich, sondern es geht darum, einen anderen, extralogischen Anfang des Systems der Philosophie zu finden. SAMONä erörtert hier SCHELLINGS Münchener Vorlesungen, unter der besonderen Berücksichtigung des Versuchs, ARISTOTELES gegen Hegel auszuspielen in dem Vorwurf, Hegel habe Wesen und Existenz konfundiert, die rein logische Aufhebung des Gegensatzes von Idealem und Wirklichem darum zu einer realen Versöhnung zusammengeschmolzen und den AjRisTOTELischen Gott zu einem ewigen Philosophen hegelianisiert. Darüber hinaus werden für SAMONä hier die Schriften des jungen MARX, KIERKEGAARDS, üLRICIS, HEYDERS und TRENDELENBURGS wichtig. Treffend ist seine Charakteristik der Logischen Untersuchungen TRENDELENBURGS, d. h. der BCritik des Hegelschen Anspruchs, die Einheit von Denken und Sein im Denken selbst hervorzubringen. Dies erscheint als bloße Umkehrung des Panlogismus; so tauschen „Denken und Sein die Rolle, ohne daß man die Frage nach der Grundlegung ihrer Beziehung berührt" (79). TRENDELENBURGS reduktive Deutung der Dialektik entspricht so der antihegelschen Lektüre der AniSTOTELischen Philosophie, basiert auf der unbewiesenen Heterogenität von Logik und deren Inhalt, von Empirie und Denken. Den zentralen Teil seiner Arbeit widmet SAMONä HEIDEGGER und seiner Kritik von Hegels Ontotheologie, die ihre erste, folgenreiche Formulierung in der Aristotelischen Metaphysik gefunden haben soll. So bleibt auch die Wiederbelebung der Metaphysik bei Hegel, wie die Analyse des Zeitbegriffs (131—169) andeutet, der Seinsmetaphysik der Vorhandenheit treu. Hegel denkt — nach HEIDEGGER — das Seiende als Seinsfülle, das Sein als den Grund des Seienden, ohne daß es je zum Problem würde, inwiefern das Sein als die Differenz zum Seienden gefaßt werden müsse. Gegen HEIDEGGERS Vorwurf der Seinsvergessenheit führt SAMONä aber ins Feld, daß HEIDEGGER selbst in seinem Kommentar zur Seinslogik einseitig argumentiert. So kann für Hegel denkbar sein, daß die Differenz lücht als Sein ist und doch als Differenz ist (vgl. 174), daß, was der ARiSTOTELischen Auffassung der Metaphysik fremd bleibt, das widersprüchhche Ergebnis eines Denkens, d.h. die Aporetizität der Metaphysik ist, die Hegel von ARISTOTELES her auf den Begriff bringt.
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Hegel läßt anders als HEIDEGGER dadurch, daß er in die Logik die ARisTOTELische Irreduzibilität des Seins auf das Sein des Seienden wiedereinführt, die ARISTOTELische Schwierigkeit bestehen. Er kennt die Aporetizität des metaphysischen Denkens an in seiner Konzeption der sich auf sich beziehenden Negativität als dem Akt des Zu-sich-selbst-Kommens, d. h. in der Grundlage seiner Dialektik. Nach SAMONA scheitert deshalb auch der Versuch HEIDEGGERS als des schärfsten Kritikers des Verhältnisses Hegel-ARISTOTELES. Auch hier geht es um einen Versuch, sich außerhalb der Abgeschlossenheit des Systems denkerisch anzusiedeln, um den Versuch, einen privilegierten Ausgangspunkt zu erreichen, von dem die jeweiligen Stellungnahmen des Denkens zu beurteilen wären, ohne daß sich dieser Versuch selber der Kritik stellen würde. So hat sich bislang jeder Anspruch, die Aporetizität des metaphysischen Denkens zu entschärfen oder zu beseitigen oder nach einer vereinheitlichten Perspektive zu suchen, als einseitig erwiesen. Mit einer Übersicht über gegenwärtige Arbeiten zu Hegel und ARISTOTELES, die diese Schwierigkeit akzeptieren, setzt sich SAMONA im letzten Abschnitt seiner Arbeit auseinander. Alfredo Ferrarin (Pennsylvania)
Daniel Berthold-Bond: Hegel's grand synthesis. A study of being, thought and history. Albany: State University of New York Press 1989. X, 233 S. Der Titel des Werkes — „Hegels große Synthese" — könnte auf den ersten Blick befremden. Beabsichtigt der Autor etwa eine Gesamtdarstellung des Hegelschen Systems der Wissenschaften? Von solcher Perspektive wären heute kaum noch neue Einsichten zu erwarten. Der Untertitel weist ebensowenig auf eine Begrenzung der Problemstellung hin: „Eine Studie des Seins, des Denkens und der Geschichte". In den einleitenden Bemerkungen des ersten Kapitels wird der Autor präziser. Es geht BERTHOLD-BOND nicht um eine systematische Darstellung der Hegelschen Synthese des Seins, des Denkens und der Geschichte, sondern er will vom Begriff dieser Synthese her einige Zentralthemen der Metaphysik, der Erkenntnistheorie und der Geschichtsphilosophie erörtern. Das zweite Kapitel behandelt die Bedeutung dieser Synthese für Hegels Wahrheitsbegriff. Das dritte verfolgt diese Analyse vom Standpunkt der Einheit. Die Einheit hat einen teleologischen Charakter: Das Sein des Objekts und das gedachte Objekt sind eins, wobei das Ziel der Erkenntnis darin besteht, dem Objekt des Bewußtseins die Form des Selbstbewußtseins zu geben (63). Kapitel vier analysiert die Bedeutung der Synthese von Denken und Sein unter dem Gesichtspunkt des Werdens. Das fünfte Kapitel behandelt die Frage nach der Methode, die Hegels Konzeption der Synthese zu-
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gehört. Die fünf ersten Kapitel sind als Vorbereitung zu den beiden letzten Kapiteln gedacht. Im sechsten und siebenten Kapitel wird eine grundlegende Ambiguität im Hegelschen System erörtert, die der Autor als das Kernproblem von Hegels Synthese von Sein und Denken betrachtet. BERTHOLD-BOND zufolge ist Hegels System in zwei einander widersprechenden Ansprüchen befangen: sowohl den teleologischen Prozeß des Werdens darzustellen als auch, in der Kritik des erkenntnistheoretischen Relativismus und Skeptizismus, das absolute Wissen als eine geschichtsfreie Überwindung des Prozeß-Seins der Welt zu behaupten. Hegel habe sich zwischen diesen beiden Alternativen — die absolute Metaphysik des Abschlusses gegenüber der dynamischen Metaphysik des Werdens — nicht entscheiden können. Der Autor wehrt sich gegen Interpretationen, die entweder das Dilemma ignorieren oder eine der beiden Positionen als die „eigentliche" Auffassung Hegels sehen wollen oder schließlich, wie Hegel selbst, zwischen beiden Varianten keine Wahl treffen können (5 ff). Das Dilemma zwischen einer statisch-geschlossenen und einer dynamisch-offenen Synthese von Einheit und Denken durchziehe das ganze Denken Hegels: Er stellt die Wahrheit als ewig und auch als zeitlich vor; er faßt das Wissen sowohl als eine abgeschlossene als auch als eine offene Zirkelbewegung auf; er denkt das Ende der Geschichte als ein absolutes Ende und ebenso als ein epochales, ln den Hegelschen Texten ließen sich jeweils Belege für beide Lesarten finden. Dem Autor zufolge stellt diese Ambivalenz das Hegelsche Grundprinzip der Einheit von Denken und Sein selbst in Frage. Die erste Alternative (die statisch-geschlossene Metaphysik des absoluten Wissens) unterminiere die Erkenntnis der Synthese von Denken und Sein insoweit, als die Begriffe des Denkens und Seins ohne den vermittelnden Begriff des Werdens ihre Bedeutung verlieren würden (117). Der Autor betrachtet die Metaphysik des Werdens als grundlegender für Hegels Synthese von Denken und Sein als die abschließende, überhistorische Konzeption, da sie eine Versöhnung mit der Wirklichkeit ermögliche und deren historischen Charakter wie deren Negativität anerkenne. Das Ende der Geschichte solle nicht als abschließendes, sondern als epochales gedacht werden. Jede Epoche der Geschichte kulminiere in einem Höhepunkt, und nach dessen Überschreiten könne sie ihr Prinzip als einen befangenen Ausdruck im Fortschreiten des absoluten Geistes begreifen (123). Das Ende einer Epoche kündige eine neue Welt und ein neues Telos an. (137 ff). In der Hegelrezeption überwiege die Auffassung einer abschließenden Geschichtskonzeption Hegels, ünter denjenigen, die die epochale Konzeption bevorzugen, unterscheidet der Autor verschiedene Denkströmungen. Philosophen wie KARL LöWITH, HERBERT MARCUSE und QUENTIN LAUER mochten die tiefe Ambiguität der Hegelschen Texte nicht wirklich zur Kenntnis nehmen. Andererseits hätten Interpreten wie ROBERT SOLOMON oder SHLOMO AVINIERI diese Ambiguität zwar herausgearbeitet, ohne aber ihre Auffassung von einer offenen Geschichtskonzeption zureichend aus den Hegelschen Texten begründen zu können oder deren Gewicht für das Gesamtsystem herauszuarbeiten (146 ff). BERTHOLD-BOND will hingegen eine solche Lektüre nicht nur vorschlagen, sondern sie als die er-
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forderliche Wahl zwischen zwei deutlichen Alternativen vorstellen. Der Autor möchte das Dilemma lösen, das Hegel nicht lösen wollte oder nicht lösen konnte. Die Bedeutung dieser Wahl ergebe sich von ihren Folgen für das System des Wissens her. Da das Wissen absolutes Wissen sein müsse, wenn es mehr sein solle als eine bloße Annäherung an das Gegebene, wäre Hegel außer Stande gewesen, sich zu entscheiden. BERTHOLD-BOND gibt Hegel hinsichtlich der Alternativen Recht. Wie Hegel denkt er, daß eine konsequent historisierende Konzeption der Wahrheit und der Geschichte notwendigerweise ein gewisses Maß an historischem Relativismus (158) und Skeptizismus (160 f) impliziere. Das sei der Preis für die Kritik der abschließenden Geschichtskonzeption. Die Kritik des Skeptizismus und des historischen Relativismus rechtfertige hingegen — und hier distanziert BERTHOLD-BOND sich von Hegel — eine abschließende Konzeption nicht (117). Der Skeptizismus könne dem Autor zufolge mit anderen Hegelschen Argumenten entschärft werden. Der Autor nimmt die Hegelsche Synthese gegen Hegels eigene Ambivalenz oder Zwiespältigkeit in Schutz. Die Möglichkeit, Skeptizismus und Relahvismus von anderen Grundlagen her als von der Hegelschen Synthese von Denken und Sein zu kritisieren, zieht er nicht in Erwägung. ln seiner Verteidigung einer historisierenden Lektüre stellt der Autor die Hegelsche Konzeption der Geschichtsepochen nicht in Frage. Jede Epoche sei Ausdruck eines bestimmten Prinzips, das sie zu erfüllen habe. Die Philosophie könne der Geschichte bei deren Wirklichkeitsdrang beistehen, indem sie das Prinzip einer Epoche begrifflich erfasse. Gewiß hat Hegel versucht, diese Konzeption von Zeit und Wahrheit zu begründen. Er hat seine Epoche philosophisch gefeiert. Die Vernunft sei eine Kraft, die die Welt zu ordnen und diese mit der menschlichen Existenz zu versöhnen vermag. BERTHOLD-BOND würdigt das historische Verständnis Hegels und will es mit einer offenen Konzeption von Geschichtsepochen verbinden, wonach die menschliche Vernunft die Wirklichkeit zu gestalten versuche, ohne aber hingegen die vorrangige Frage zu beantworten, was genau unter dem Begriff einer Epoche zu verstehen wäre und nach welchen Kriterien unterschiedliche Epochen voneinander abgegrenzt werden können. Unsere Zeit ist gewiß reichlich von Untergangs- und Übergangsprozessen aller Art erfüllt. Ein Autor, der sich der Hegelschen Geschichtsphilosophie anschließt, wie BERTHOLD-BOND es tut, sollte sich darum auch im klaren sein, was gegenwärtig noch unter „dem Telos" und „dem Prinzip" einer Epoche zu verstehen wäre. Allerdings wird es an der Lektüre dieses interessanten Buches nicht deutlich. Bruno Coppieters (Brüssel)
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Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von Hans-Christian Lucas und Guy Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1989. 384 S. (Spekulation und Erfahrung. Abt. 2, Bd 10.)
Unter dem Titel des angezeigten Bandes fand Ende 1986 in Poitiers eine Tagung des Bochumer Hegel-Archivs und des Centre de Recherche et de Documentation sur Hegel et Marx statt; das Buch vereinigt die Referate dieser Tagung, die im Inhaltsverzeichnis in vier Themengruppen gegliedert werden: (1) „Die Lehren der Geschichte"; (2) „Dialektische Logik und Geschichtsmetaphysik"; (3) „Geschichte der Philosophie und logische Kategorien"; (4) „Entwicklung, Geschichte der Philosophie und Evolution". Worum es dabei geht, ist aus dem Vorwort OTTO PöGGELERS zu entnehmen: „Fragen der Philosophie der Weltgeschichte und der Geschichte der Philosophie stehen im Zentrum; sie werden aber gestellt im Hinblick auf das System im ganzen und im Hinblick auf Hegels Versuch, eine spekulative und dialektische Logik zu entfalten" (9 f). Diese Schwerpunktsetzung bestimmt auch die umfängliche, sehr verdienstvolle und informative Auswahlbibliographie zu Hegels Logik, Philosophie der Weltgeschichte, Geschichte der Philosophie (329—378), die von dem Mitherausgeber HANS-CHRISTIAN LUCAS in Gemeinschaft mit NORBERT WASZEK erstellt wurde. Die thematische Vorgabe zielt auf nicht weniger als auf den systematischen Status des Geschichtlichen bei Hegel. Eine Sichtung der damit vorgegebenen Problemfelder unternimmt OTTO PöGGELER (Geschichte, Philosophie und Logik bei Hegel, 101—126), indem er das Verhältnis von Logik und Geschichte aus der Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Philosophie heraus darstellt. Der Akzent liegt dabei auf dem Versuch Hegels, Geschichte logisch zu begreifen (vgl. 103 f), wobei PöGGELER — im Rückgriff namentlich auf LLVINAS und DERRIDA — zu dem Ergebnis kommt, er sei in seinem Universalitätsanspruch notwendig gescheitert und tauge nur für „eingeschränkte Bereiche" der geschichtlichen Wirklichkeit (126). Dieser Beitrag ist, wie auch seine Zuordnung zu der zweiten Themengruppe signalisiert, nicht als programmatisch für den ganzen Band zu verstehen; gleichwohl ist er repräsentativ für eine darin verbreitete Tendenz, das Problem des Geschichtlichen anhand materialer historischer Bezüge der Geschichtsphüosophie, Philosophiegeschichte und Logik anzugehen, um so den Wahrheitswert der Hegelschen Auffassung des Geschichtlichen am jeweiligen Fall diskutieren zu können. Deutlich tritt diese Tendenz in den Beiträgen zur ersten Themengruppe hervor, vor allem in dem Aufsatz JACQUES D'HONDTS mit dem doppelsinnigen Titel Les legons hegeliennes de l'histoire (17—32); im Ausgang von Hegels Diktum, die Philosophie komme zum Belehren immer zu spät, wird gezeigt, wie Hegels Philosophie gleichwohl von der Geschichte eines Besseren belehrt wurde; „Au moment de sa mort, l'histoire a donne au philosophe une le^on sur laquelle il n'a pas eu le loisir de mediter, mais qui n'a pas ete perdue pour ses proches successeurs" (32).
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In einem materialreichen Beitrag, der Hegels (wohl durch Anregungen EDUARD GANS' vermittelte) Lektüre des „Globe" zum Gegenstand hat (Weltgeschichte und Zeitgeschehen, 33—56), stellt NORBERT WASZEK die These auf, Hegel habe sich nicht nur bis zu seinem Tode bemüht, die zeitgeschichtlichen Ereignisse zu verfolgen, sondern sei auch bereit gewesen, „seine Darstellung der Geschichte zu revidieren, wenn die aktuellen Ereignisse ihm eine solche Veränderung notwendig erscheinen ließen" (55). Auf prinzipieller Ebene argumenfierf BERNARD BOURGEOIS (Hegel et la deraison dans l'histoire, 57—79), indem er den Widerparf des Vernünftigen als immanenten Widerpart des Hegelschen Vernunft-Vorurteils darstellt. Auch DENKE SOUCHE-DAGUES (La ,fierte' de l'Esprit, 81-100) greift das Problem der posthegelianischen Vorurteile gegen Hegels Vernunft-Vorurteil auf, indem sie mefaphorischen Konnotationen des Geistbegriffs im Blick auf das Problem der Geschichte nachgeht. Einigkeit scheint bei allen Autoren darin zu bestehen, daß Hegels Begriff der Geschichfe auf eine Geschichtsmetaphysik hinauslaufe. Sehr grundsätzlich hat dies KLAUS DüSING in seinem Beitrag Dialektik und Geschichtsmetaphysik in Hegels Konzeption philosophiegeschichtlicher Entwicklung (127—145) dargelegt, der sich keineswegs auf den Fall der Hegelschen Philosophiegeschichfsschreibung beschränk!. Der spekulative Idealismus sei als die Möglichkeit der Auflösung eines Dilemmas zu befrachten; dieses bestehe darin, daß es für die Erkenntnis „vernünftig begreifbarer Zusammenhänge" „übergreifender Kriterien und Maßstäbe" bedürfe, die entweder allgemein gelten, dann aber der Geschichtlichkeit enthoben seien, oder aber geschichtlich seien, dann aber nicht allgemein gelten könnten. In einem Durchgang durch die „dialektische und geschichtliche Abfolge philosophischer Theorien" bei Hegel kommt DüSING ZU dem Resultat, daß dieser „in drei Fragen in nicht zu begründender Weise unhistorisch" bleibe: er identifiziere die Prinzipien früherer Philosophien unkritisch mit Kategorien seiner „Logik", erhebe seine spekulative Methode „unmittelbar" zum „Maßstab für das vernünftige Begreifen des Zusammenhangs" und konzipiere schließlich seine eigene Philosophie als telos der Philosophiegeschichfe (136 f). Hegel freilich könne dies dadurch rechtfertigen, daß er in seiner „Metaphysik der Zeit" die Geschichtszeit als Äußerlichkeit der ewigen Idee konzipiere und in diese Metaphysik auch seine Philosophiegeschichte einordne; so „bleiben die Grundlagen des philosophischen Begreifens einer geschichtlichen Epoche ebenso wie die Grundlagen der philosophischen Betrachtung philosophiegeschichtlicher Entwicklung bei Hegel ungeschichtlich; sie gehören unmittelbar zur ungeschichtlichen spekulativen Logik als Metaphysik" (142 f). DüSING will gleichwohl den Hegelschen Ansatz in abgeschwächter Form aufnehmen, um nicht in einen historischen Relativismus zu verfallen und um an begrifflich erkennbaren Zusammenhängen unter den Theorien und Epochen einerseits und innerhalb der Epochen andererseits festhalten zu können; dazu müsse „ein Horizont metaphysischen Problemverstehens" ebenso erhalten bleiben, wie eine „nicht spekulative Logik" die Grundlage alles Argumentierens bilden müsse. — Daß der Abschied vom spekulativen Denken nicht einfach im Absehen von
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der Metaphysik bestehen könne, dies hatten — auf unterschiedlicher Grundlage — zuletzt HEIDEGGER und ADORNO eindringlich hervorgehoben; gerade darum hätte sich Rez. an dieser Stelle wenigstens eine Andeutung gewünscht, in welche Richtung der historisch wie systematisch so perspektivenreiche Aufsatz DüSINGS hier weist. Hinter dieser Anfrage verbirgt sich nicht nur Neugier, sondern auch ein massives Bedenken, denn die Geschichtsmetaphysik, die DüSING als die Möglichkeit einer Lösung des eingangs aufgestellten Dilemmas entwickelt, könnte ja vielmehr dessen Voraussetzung in dem Sinne sein, daß sich die Disjunktion „übergeschichtlich'7„geschichtlich" erst als Konsequenz eines vorausgesetzten Absoluten ergibt, das zugleich als Inbegriff aller Realität, Bedingungstotalität alles Geschichtlichen und als telos der Geschichte konzipiert ist. Ob sich diese Disjunktion vermeiden läßt, wäre anhand der nachhegelschen, ihrem Anspruch nach antispekulativen Geschichtstheorien vor allem auch des 19. Jahrhunderts zu erörtern, wozu in dieser Besprechung um so weniger der Ort ist, als darauf in dem vorliegenden Band nur sporadisch Bezug genommen wird. Dies ist deshalb als erstaunlich festzuhalten, weil ja das Problem des Geschichtlichen einen Kern des Streites um die Hegelsche Philosophie im 19. Jahrhundert bildet, der in den historischen Wissenschaften aufgegriffen und fortgeführt wird. Das Fehlen von eingehenderen Beiträgen zu diesen Diskussionszusammenhängen ist vor allem deshalb zu bedauern, weil dadurch systematische Überlegungen (wie z. B. die von DüSING vorgetragenen) ohne Antworten aus der Geschichte bleiben, die eine fruchtbare Diskussion hätten provozieren können. Einen Schritt zur Behebung dieses Defizits unternimmt GERHART SCHMIDT in seinem Beitrag Kausalität oder Substantialität? (147—171), wenn er sich mit DILTHEYS Forderung nach einer „Kritik der historischen Vernunft" (148—151) sowie mit Substanzialitätsvorstellungen bei DROYSEN, BURCKHARDT, WEBER und im Marxismus (160 f) auseinandersetzt. Vor allem die Behandlung der letzteren Positionen hat aber eher illustrativen Charakter, ln erster Linie zielt auch SCHMIDTS Aufsatz auf die philosophiehistorischen Voraussetzungen der Hegelschen „Ontologie der Geschichte", die er am Leitfaden des spinozistisch gefärbten, wohl von F. H. JACOBI übernommenen (vgl. 163) Terminus „Aktuosität der Substanz" rekonstruiert. Mit diesem Gedanken werde schließlich auch die endliche Freiheit substantiell erfaßt und damit „Geschichte ontologisch bestimmt, das Wissen von Geschichte transzendentalphilosophisch gerechtfertigt" (167). Die damit bezeichnete Alternative zu der Als-ob-Teleologie KANTS, gewissermaßen einer „Kritik der historischen Urteilskraft" (151), ist indessen für SCHMIDT nicht zu rechtfertigen, verlasse sie doch den „Boden" der Erfahrung, auf den sich die KANTischen Erkenntnisvermögen bezögen (168). An dessen Stelle trete die „Natur des Geistes", so daß schließlich die „geschichtlichen Inhalte . .. ihre Konkretheit den logischen Formen" verdankten (ebd.). Bei solcher Gegenüberstellung wüßte man freilich gerne, was der vieldeutige Ausdruck, KANTS Erkenntnisvermögen seien auf Erfahrung bezogen, genau bezeichnet, denn diese Bezügüchkeit allein begründet noch keine Alternative zu Hegel. Wenn SCHMIDT Hegel zurecht vorhält, bei ihm gingen die Bestimmungen
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der endlichen Wirklichkeit im Absoluten zugrunde, so daß diese Wirklichkeit zum „Schattenspiel" des Geistes herabsinke, so ist es doch die Kehrseite dieses Verfahrens, daß Hegel den Anspruch erhebt, die endliche, empirische Wirklichkeit an ihr selbst in das Absolute aufzuheben. Gerade deshalb aber kann er sich nicht mit einem äußerlichen Bezug auf diese Wirklichkeit zufriedengeben; sein Scheitern an dieser Aufgabe kann daher, bei aller notwendigen Kritik spekulativer Verfahrensweisen, noch immer das Problem aufgeben, die historische Wirklichkeit mit Begriffen der Vernunft zu begreifen; und vielleicht war es ja auch kein Zufall, daß DILTHEY, der sich dieser Aufgabe bewußt stellte, sie als Kritik der Vernunft und nicht im Rückgriff auf die Kritik der Urteilskraft konzipiert hatte. Die Beiträge zum dritten Schwerpunkt des Bandes („Geschichte der Philosophie und logische Kategorien") variieren das Thema im Blick auf Hegels Wissenschaft der Logik. MANFRED RIEDEL (Erster und anderer Anfang. Hegels Bestimmung des Ursprungs und Grundes der griechischen Philosophie, 173—197) spürt dem Anfang der „Logik" hinsichtlich der von Hegel behaupteten Parallelität von Philosophiegeschichte und Gang der logischen Kategorien nach. Dabei macht er eine Differenz von erster und zweiter Auflage zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, indem er in der Fassung von 1812 auf einen zweifachen Anfang der griechischen Philosophie bei PARMENIDES und HERAKLIT aufmerksam macht, der in der überarbeiteten Neuauflage von 1832 eliminiert ist. In dieser Figur des doppelten Anfangs erkennt RIEDEL „die Urschicht der Hegelschen Dialektik, den tieferen Gedankensinn der Erinnerung, der die Notwendigkeit einer Wiederholung des ersteren im anderen Anfang motiviert" (191). Der zweite Beitrag zu dieser Themengruppe stammt von BURKHARD TUSCHLING und setzt sich unter dem Titel Necessarium est idem simul esse et non esse mit „Hegels Revision der Grundlagen von Logik und Metaphysik" auseinander (199—226). „Revision" heißt hier: Hegels Musterung der KANXischen Kritik der „vormaligen" Metaphysik, die selbst noch zentrale Theoreme dieser Metaphysik einfach aufnimmt. „Diese Revision betrifft insbesondere den Satz vom Widerspruch .. . Sie ergibt sich .. . aus der Einsicht, daß alles was überhaupt ist, als das, was es ist, nur begriffen werden kann, wenn der Satz vom Widerspruch negiert und Bestimmtheit als Vereinigung von Sein und Nichtsein begriffen wird" (199 f). Indem TUSCHLING einige Gründe erörtern will, die für diese Revision sprechen, rührt er gleichsam an ein Tabu der Hegel-Interpretation, denn eine ernsthafte, nicht bloß polemische Auseinandersetzung mit dem Widerspruchsbegriff der „Logik", die diesen als Antwort auf Schwierigkeiten gerade auch der KANTischen Metaphysikkritik versteht, hat kaum stattgefunden (eine bemerkenswerte Ausnahme bilden in dieser Hinsicht die Arbeiten von MICHAEL WOLFE; vgl. bes. Der Begriff des Widerspruchs. Meisenheim und Königstein/Ts 1981; leider ist dieses grundlegende Werk in der Auswahlbibliographie nicht aufgeführt). TUSCHLING interpretiert den Anfang der Wissenschaß der Logik vor dem Hintergrund der KANTischen Kritik an der Metaphysik LEIBNIZ', wobei er zu dem Schluß kommt, erst Hegel bringe „die ,Kritik der Kategorien und der Vernunft' zum Abschluß", weil er die „letzte Voraussetzung der ,vormaligen' Metaphysik", den
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Satz des Widerspruchs, nicht mehr — wie noch KANT — „ungeprüft hinnimmt" (223). TUSCHLINGS Beitrag verdiente in einem anderen Zusammenhang eine ausführlichere Erörterung, ist er doch in seiner Zuspitzung auf den Widerspruchsbegriff zugleich ein Beitrag zur historischen Aufhellung des spezifisch Logischen in Hegels Wissenschaß der Logik. Eine solche Konfrontation der Hegelschen Ausführungen mit den seinerzeitigen, ihm überlieferten Theoriebeständen der traditionellen Logik ist freilich auch ein Desiderat der Hegel-Interpretation. Hegels Geschichte der Philosophie der Moderne behandelt PIERRE GARNIRON auf der Grundlage verschiedener Berliner Nachschriften (227—258). GARNIRON, der zusammen mit WALTER JAESCHKE für die Neuausgabe der Hegelschen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie in der Reihe Ausgewählte Nachschrißen und Manuskripte verantwortlich zeichnet, stützt sich dabei auf sechs Nachschriften zwischen 1819 und 1829/30, für die ihm JAESCHKES Transkriptionen Vorlagen (vgl. 228, Anm. 3). GARNIRONS Beitrag bietet willkommene ergänzende Hinweise zu dem 1986 erschienenen 4. Teil der Neuausgabe (Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit), der sich auf die Rekonstruktion eines Kollegs (1825/26) beschränken mußte, für das immerhin fünf der zehn Nachschriften Vorlagen. Die in dem Aufsatz ergänzend herangezogenen Nachschriften lassen sich auf 1819, 1820/21, 1823/24, 1827/28 sowie 1829/30 datieren. Neben Korrekturen an MICHELETS Edition (230-237) beleuchtet GARNIRON mit einigen Schlaglichtern Hegels Darstellung der Geschichte der Philosophie der Neuzeit, wobei zahlreiche „Variationen in der Organisation" des Materials sichtbar werden, „ohne daß jedoch diese Variationen eigentlich die Gesamtbewegung dieser Philosophie betreffen" (257). GARNIRONS Beitrag ist inhaltlich zwischen dem dritten und dem vierten Themenschwerpunkt des vorliegenden Bandes angesiedelt, aber dem letzteren zugerechnet, der vor allem dem Entwicklungskonzept in Hegels Theorie des Geschichtlichen gewidmet ist. Der Mitherausgeber des Bandes, HANS-CHRISTIAN LUCAS, legt hier „Überlegungen zu Hegel und THOMAS S. KUHN" vor (Kontinuität, Einheit und das Neue, 259—292), in denen ein „begrifflicher Brückenschlag" (269) zwischen dem Hegelschen Konzept der Kontinuität in der Wissenschaftsentwicklung und den Theorien der Wissenschaftsentwicklung bei KUHN und LAKATOS versucht wird. Die „Übersetzung" der auf den ersten Blick mit KUHNS Theorie inkommensurablen Hegelschen Auffassung der Geschichte der Philosophie in eben diese Theorie (287 ff) regt dazu an, im Gegenzug die universelle Teleologie Hegels durch ein von Kuhn entlehntes schwächeres Verständnis von Zusammenhang und Einheit zu ersetzen (290 ff). Auch LUCAS' Überlegungen sind, trotz der Bezugnahme auf (natur)wissenschaftsgeschichtliche Diskussionszusammenhänge, an der Geistesphilosophie Hegels orientiert. Demgegenüber bringt WOLFGANG BONSIEPEN (Der Zusammenhang von Naturevolution und geschichtlicher Entwicklung in Hegels Berliner System, 293—322) das Verhältnis von Natur und Geist ins Spiel und erinnert mit Recht daran, daß für Hegel (im Einklang mit seinen Zeitgenossen) „die spätere Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften" noch nicht gilt (322). Vor dem Hintergrund der Naturwissenschaften des 18. Jahrhunderts diskutiert BONSIEPEN He-
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gels Ablehnung des modernen Evolutionsgedankens zugunsten der Betrachtung der Natur als eines Systems von Stufen; diese Option werde erst vor dem Hintergrund der Rezeption der aristotelischen Minima-naturalia-Theorie verständlich, deren Fortbildung es Hegel erlaube, Naturstufen und Entwicklung des Geistes miteinander zu verknüpfen, ln seinem Resume hebt BONSIEPEN besonders auf die akfuelle Bedeutung der Fragestellungen der klassisch-idealistischen Natur- und Geschichtsphilosophie ab (320 ff). Wenn diese auch außer Frage stehen dürfte, so ist doch — jenseits der spezifischen Themensfellung BONSIEPENS — zu fragen, ob die damit angesprochene Vermittlung des menschlich-geschichtlichen Bereichs mit der „ersten" Natur auf der Ebene des Verhältnisses Mensch-Universum, als wechselseitige Anpassung beider, zureichend erfaßt werden kann, wie es neuerdings (wieder) versucht wird (vgl. 321). Auch hier wäre diejenige historische Rückbesinnung vonnöten, die bereits oben als Desiderat angemahnt wurde, die Besinnung auf die nachhegelsche Philosophie- und Wissenschaffsentwicklung im 19. Jahrhundert. Diese installierte ja nicht nur die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften, sondern brachte, in bewußter Wendung gegen die spekulative Ontologie Hegels, zugleich eine Theorie der Geschichte hervor, die die Natur als Grundlage und Moment des gesellschaftlichen Lebensprozesses versteht und insofern der Scheinaltemative von Geschichfe und Natur enthoben ist, ohne „einer falsch verstandenen, naturalistischen Geschichtstheorie" das Wort zu reden (322), aber auch, ohne die Natur zur bloß toten Grundlage der Geschichte zu machen. Das Anmahnen solcher Desiderate freilich verdankt sich der Auseinandersetzung mit den Beiträgen des vorliegenden Bandes. Diese sind, der weiten thematischen Vorgabe entsprechend, so wenig direkt miteinander vernetzt, daß es sich verbietet, hier ein einheitliches Fazit zu ziehen. Gleichwohl sind sie alle in der Weise auf das Problem des Geschichflichen bei Hegel bezogen, daß — auch in dem notwendig Fragmentarischen seiner Behandlung aus verschiedensten Perspektiven — nicht nur ein Bild des Diskussionsstandes entsteht (wozu die Auswahlbibliographie erhebliches leistet), sondern auch ein Bild der wissenschaftshistorischen und systematischen Problematiken, die daran hängen und die auch in der Rezension nur gelegentlich angedeutet werden konnten, ln dieser Hinsicht ist der vorliegende Band Orientierungshilfe in einem schwer überschaubaren Problemfeld und unentbehrlicher Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zur Sache. Andreas Arndt (Berlin)
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Georg Eichenseer: Die Auseinandersetzung mit dem Privateigentum im Werk des jungen Hegel. Privateigentum als gesellschaftliches Herrschaftsver-
hältnis in der polihschen Philosophie des jungen Hegel in den Jahren 1793—1805. Giessen: Focus 1989. 144 S. Die Einsicht, daß die frühen Arbeiten Hegels in die Erörterung miteinzubeziehen sind, will man den Intentionen des reifen Systems gerecht werden, wurde entscheidend für die Studie GEORG EICHENSEERS zum Eigentumsbegriff im Werk des jungen Hegel. Die Defizite der bisherigen Forschung bestimmen das Anliegen des Autors: Es sollen sowohl die politisch-gesellschafthchen Erfahrungen als auch die systematischen Gehalte der politischen Philosophie Hegels in den Jahren 1793 bis 1806 herausgestellt und am Eigentumsbegriff veranschaulicht werden. Spätestens in Frankfurt steht Hegel die spezifische Aufgabe der praktischen Philosophie in der Gegenwart deutlich vor Augen. Keineswegs kann sie als eine Theorie der Praxis antreten, die ihrem Objekt unbeteiligt gegenübersteht. Die Begriffe der praktischen Philosophie müssen aus der geschichtlichen Situation hervorgehen und mit der Idee der absoluten Sittlichkeit in Verbindung gebracht werden. EICHENSEER unterscheidet zwischen vier Versuchen Hegels, unter den genannten Bedingungen diese praktische Philosophie zu formulieren — mit der Entstehung der Grundlinien erreichen diese Bemühungen ihren Höhepunkt und Abschluß. Die in Bern und Frankfurt verfaßten sogenannten „theologischen Jugendschriften" bilden eine erste Stufe, ihr folgt die Flugschrift über die Verfassung Deutschlands (1800/1802); als dritte Etappe erweisen sich die beiden 1802 bzw. 1803 entstandenen Arbeiten Über die wissenschaßliche Behandlungsart des Naturrechts und das System der Sittlichkeit, einer vierten und letzten Entwicklungsstufe ordnet EICHENSEER die beiden Jenaer Manuskripte zur Geist- bzw. Realphilosophie aus den Jahren 1803/04 und 1805/06 zu. Für die in diesen Stufen und Etappen sich entwickelnde politische Philosophie Hegels ist das Privateigentum Anlaß und Mittelpunkt. Der veränderte Blickwinkel der einzelnen Etappen ist jeweils einer, so EICHENSEER, sich wandelnden Einschätzung der neuzeitlich-bürgerhchen Welt geschuldet. Das spezifische Anhegen Hegels kommt bereits in den „theologischen Jugendschriften" zum Ausdruck, wenn dort nicht nach dem transzendenten Wahrheitsgehalt der Religionen gefragt wird, sondern die Religionen als Ausdruck einer spezifischen Lebenspraxis erscheinen. Hegel stellt der „subjektiven Volksreligion" der Antike die „objektive Religion der Gegenwart" entgegen, wobei seine Charakterisierung der Volksreligion an ROUSSEAUS „religion civile" mit ihren ausgesprochen staatsbürgerlichen Merkmalen erinnert. Volksreligion ist „mit der Freiheit absolut identisch": Gott, Freiheit und Natur liegen zusammen auf einem Sinnhorizont. Dieses Gesellschaftsideal ist der Ausgangspunkt für Hegels Kritik an den modernen Institutionen, in deren Zentrum der Begriff der Positivität steht. Das „Gegebensein der Positivität" ist der entscheidende Indikator für den Aufstieg „unnatürlicher" Herrschaftsformen, der mit der Etablie-
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rung des Privateigentums einhergeht. Für Hegels historische Begründung seiner Kritik des Privateigentums wird ROUSSEAU „anthropologisiert Hegel das Privateigentum zum Paradigma von Herrschaft überhaupt" (26). Das Scheitern der christlichen Liebesbotschaft, die Einsicht, daß die „Trennung" nicht hintergehbar ist, führt am Ende der Erankfurter Zeit zum entscheidenden Wendepunkt in der Einschätzung von Privateigentum und Positivität; „Die ursprünglich bis zur völligen Ablehnung neigende Kritik wandelt sich, bei Preisgabe des rousseauistischen Dekadenzmodells und des hölderhnisch-antikisierenden eschatologischen Resurrektionsmodells, in ihr Gegenteil." (47) Die emphatische Positivitätskritik weicht in der , Verfassungsschrift' von 1800/1802 den unter den Bedingungen der Gegenwart zurückgenommenen Ansprüchen. Die „vernünftig freie Sozietät aller Individuen" bleibt zwar das Zentralthema, das etablierte Privateigentum ist aber nun Voraussetzung einer vernünftigen Vergesellschaftung. „Die Staat-Eigentumsbestimmung ist grundlegend für die gesamte , Verfassungsschrift'" (50). Hegel nähert sich hier bereits deutlich, so EICHENSEER, der bürgerlichen Naturrechtsbzw. Vernunftsrechtslehre. Nach den realpolitischen Betrachtungen der ,Verfassungsschrift', die unter systematischen und methodischen Gesichtspunkten lediglich eine Zwischenstufe bilden, wird der Naturrechts-Aufsatz und das System der Sittlichkeit zur eigentlich zweiten Stufe in der Entwicklung der politischen Philosophie Hegels, ln dreifacher Hinsicht — begrifflich, inhalthch und methodisch — findet hier eine Konzeptionsveränderung statt. Für diese Schriften tritt der Systemgedanke in den Vordergrund. Neben dem äußerlichen ScHELLiNcianismus werden für den metaphysischen und staatstheoretischen Hintergrund SPINOZAS Substanzbegriff und ARISTOTELES' Praxis-Poiesis-Dichotomie bedeutsam. Bereits MANFRED RIEDEL hat auf die Überfrachtung dieser Natur-Konzeption hingewiesen: als Totalität im Sinne SPINOZAS und als Wesen im ARiSTOTELischen Sinne gerate der Naturbegriff zu einer „Kategorie größtmöglicher Komplexität". „Der eigentliche Unterschied zwischen Sittlichkeit und physischer Natur liegt genauso im Dunkeln wie die behauptete Überlegenheit des Intelhgenten." (59 f) Neben ARISTOTELES und SPINOZA wurde die PuATONische Ständelehre der Politeia zum Vorbild für diese Konzeption. Alle Subjektivität erscheint als Mangel des Seins, erst in den Ständen erreicht die Sittlichkeit die Grenze der Individualisierung. Die bürgerliche Gesellschaft bricht wie eine fremde Macht in die Sittlichkeit ein — diese Sphäre verwirklicht nur eine unvollständige und relative Einheit. Hegel kann nicht zeigen, wie das zersetzende Prinzip zu transzendieren ist. Lediglich seine Eindämmung durch den Staat ist gefordert. Antiker Staatsbegriff und moderne Negativität erweisen sich als unvereinbar. Angesichts dieser Mängel ist die Staatslehre von 1802/03 keine tragfähige Ausgangsbasis für das Hegelsche Programm, den gesellschaftlich-politischen Bereich mit der Sittlichkeit in eins zu fassen. Dieses Ziel erreicht Hegel, so EICHENSEER, in den Manuskripten von 1805/ 06. EICHENSEER legt seiner Interpretation der Jenaer Texte die Edition von GERHARD GöHLER zugrunde; der Verzicht auf die textkritische Edition wird nicht begründet. — In der Jenaer Realphilosophie II ist „die gesamte politische Philosophie He-
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gels teils explizit, teils implizit, zur Gänze entwickelt" (125). Die Affirmation des Privateigentums, die überragende Dominanz von Subjektivitätskategorie und Willensparadigma sind für EICHENSEER die entscheidenden Merkmale dieser Entwicklungsstufe. Die Prominenz der Ständeorganisation tritt zugunsten des sich aus Wille und Intelligenz zusammensetzenden , subjektiven Geists' zurück. Hegel steht nun, so EICHENSEER im Anschluß an M. RIEDEL, „Hobbes' Leviathan näher als der Nikomachischen Ethik oder der Politik des ARISTOTELES" (73), damit wird die Kritik an der bürgerlichen Naturrechtslehre obsolet. Die Darstellung der Subjektivität entspricht der Entwicklung des für sich seienden Geistes, der Prozeß der Arbeit wird zum Vermittlungsglied das Geist und Gesellschaft als Selbstobjektivierung der Subjektivität auffaßt. EICHENSEER folgt hier RIEDELS Interpretation; der Hegelsche Praxisbegriff ist nicht in erster Linie auf das ARiSTOTELische Handeln bezogen, sondern ganz allgemein auf die „Ebene der natürlichen Lebendigkeit" und auf ihr aneignend formierendes Verhältnis zu den dinglichen Objekten der Gegenstandswelt. Wenn RIEDEL allerdings die fehlende Unterscheidung zwischen Praxis und Poieses bei Hegel kritisiert, so hält EICHENSEER RIEDEL die ,Eakten' entgegen: „in der Moderne ist das Poietische selbst zur dominierenden Praxis geworden" (126). Neben der überragenden Rolle des subjektiven Willens ist es die abwertende Stellung alles Natürlichen, die Hegel eine weitere gewichtige Annäherung an HOBBES und die bürgerliche Naturrechtslehre machen läßt. Auf der Basis dieser neuen Grundbestimmungen formuliert Hegel seine Theorie politisch-rechtlicher Vergesellschaftung als sich etablierende Anerkennungsverhältnisse. Das Anerkennen ist als Prozeß zu verstehen, der alle konkreten Formen von Subjektivität und Geist, von Gesellschaft und Institution erfaßt. EICHENSEER grenzt sich deutlich von den bisherigen Interpretationen ab, die entweder die Relevanz des Anerkennens übersehen oder aber systematisch fehldeuten. Im Zentrum der Kontroverse um die Rolle der Anerkennung steht die Frage, ob Hegels Grundansicht in der Tat, wie EICHENSEER gegen WILDT, SIEP, HABERMAS und RITSERT interpretiert, nur auf der Grundlage eines „HoBBEsianismus" möglich ist. Für EICHENSEER impliziert Anerkennung ein ausgesprochenes Gewalt- und Herrschaftsverhältnis (84); Hegel geht nicht von einem historisch, sondern „more geometrico" verstandenen Antagonismus aus — ein Zustand, der in den Grundzügen der Charakterisierung des „Naturzustandes" bei HOBBES entspricht. Für HOBBES wie für Hegel verweist die menschlich-bürgerliche Vergesellschaftung auf einen logisch ihr vorausliegenden Naturzustand, in dem der Trieb des Subjekts zur maßlosen Aneignung in einer selbstzerstörerischen Praxis endet oder aber die Gewalt auf den Plan ruft (85). Für EICHENSEER ist Anerkennung ein Verhältnis der Unterwerfung des fürsichseienden Willens unter den allgemeinen Willen. Denn zwangsläufig geht die Auseinandersetzung um das Eigentum in den Kampf um die physische Existenz über. Damit weisen die Kontrahenten über sich hinaus: Anerkennung und Privateigentum können entweder nur allgemein oder gar nicht sein. Die Entstehung des Rechtszustandes, so schließt EICHENSEER, ist also gar kein Rechtsvorgang, sondern ein quasi naturwüchsiger Prozeß. In der ökonomischen Tätigkeit leisten die Indi-
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viduen ein dreifaches: „Sie reproduzieren sich 1. als Besondere, 2. als gleiche und freie Rechtspersonen, die in der Rechtsform des Privateigentums und des vertragsmäßigen Tausches aneignen, und sie reproduzieren schließlich 3. die gesamte Anerkennungstotalität.“ (96) Auf dieser ökonomischen Ebene bleibt das Anerkennungsverhältnis allerdings noch unbestimmt, — ohne Geltung und Konkretisierung —; erst mit der Staatsgewalt gelangt das Recht zum Pragma. Der Rechtszwang geht ausschließlich auf das der Souveränität unterworfene Individuum. Dieser Gewaltzustand des Staates ist absolut und kann nicht „mit Mitteln des Rechtszwanges nochmals an das Recht gebunden werden" (111). Die Stellung des Monarchen ist bei Hegel im Unterschied zu HOBBES nicht aus dem Übergang vom Natur- zum Vergesellschaftungszustand abgeleitet. „Urplötzlich" wird der Monarch „als derjenige gesetzt, der allein sein Naturrecht, sein Recht auf alles behält" —, der Monarch ist derjenige, der allein vom Naturzustand übriggeblieben ist. EICHENSEER will in dieser Konstruktion keineswegs allein ein „absolutistisches Machtstaatsdenken" (BONSIEPEN) am Werke sehen — Hegels Konstruktion berge „den Wahrheitskern der souveränen Stellung des Monarchen" (111). Nur vor dem Hintergrund des entfesselten unbeschränkten Privateigentums als Gesamtkategorie des Hegelschen realphilosophischen Systems sei auch diese „assymetrische" (SIEP) Umkehrung in der Anerkennung zwischen Individuum und Allgemeinheit nachvollziehbar und begreifbar. Die Forschungsliteratur zu Hegels Jenaer Entwicklung nennt unterschiedhche Quellen und Ansatzpunkte für Hegels Jenaer Entwicklung. Für KARL-HEINZ ILTING greift Hegel in Jena von SPINOZA aus die ARISTOTELISCHE Konzeption auf und vereinigt beide Ansätze. Für LUDWIG SIEP ist, wenn auch mit deuthch anderem Schwerpunkt als bei EICHENSEER, HOBBES der entscheidende Anreger für den Jenaer Hegel. MANFRED RIEDEL betont die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit ROUSSEAU für die Jenaer Konzeption, während die ältere Literatur vor allem die Auseinandersetzung mit PLATON in den Vordergrund stellte. Es scheint so, als wechsle je nach dem Blickwinkel des Interpreten oder dem in das Zentrum gestellten Begriff auch der Hegelsche-Gesprächspartner. Will man den Hegelschen Intentionen gerecht werden, so müssen die Analysen der Einzelbegriffe in Hegels Jenaer Systemansatz zurückgestellt, Hegels Anliegen bei der Bestimmung einzelner Begriffe an das treibende Motiv für die Jenaer Entwürfe zurückgebunden werden. Die ausschließliche Konzentration auf Einzelbegriffe — wie den des Eigentums — verkürzt das Hegelsche Anliegen. Die Konzentration auf den Eigentumsbegriff ignoriert darüber hinaus die systematische Bedeutung der herangezogenen Entwürfe und Schriften Hegels. Die festgeschriebenen Bestimmungen sind keineswegs auf der gleichen Ebene angesiedelt und damit unmittelbar vergleichbar. Die Berücksichtigung der logisch-systematischen Voraussetzungen des jeweiligen Textes ist unverzichtbar, aus dieser Perspektive ist auch die Rede von der „poUtischen Philosophie des jungen Hegel" problematisch. Die naturrechtlichen Wurzeln des Hegelschen Eigentumsbegriffs sollen hier keineswegs geleugnet werden, sie sind bis in die Grundlinien hinein spürbar. In dem Jenaer Entwurf des Jahres 1803/04 erreicht die Natur-Geist-Dichotomie ihren Höhepunkt: der Gewinn an Freiheits-
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rechten für den einzelnen und der gleichzeitige Verlust an Naturbedingungen des sittlichen Lebens stehen nebeneinander. Der „Geist eines Volkes" konstituiert das sittliche Leben, der einzelne ist in seinem Volk anerkannt und in seiner Freiheit aufgehoben. Die Geistesphilosophie von 1805/06 legt dagegen allen Nachdruck auf das Selbst und auf den Rechtszustand, der die Freiheit des einzelnen sichern soll. Es ist ein Herr-Knecht-Verhältnis, das den Kampf beendet. Der Rechtszustand kann aus ihm nur insofern hervorgehen, als — und hier liegt in der Tat die Bedeutung von HOBBES — durch den Kampf die Einsicht siegt, daß der Naturzustand verlassen werden muß (e tali statu exeundum). Hegel betont in seinen Berliner Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, denen die aus Jena stammenden Aufzeichnungen zugrundeliegen, daß ROUSSEAU, KANT und FICHTE HOBBES' Ansatz vertiefen, in dem sie die Geistigkeit und Vernünftigkeit des Menschen als seine Freiheit bestimmen. Für den von HOBBES vollzogenen Bruch mit dem traditionellen Naturrecht stehen Recht und Gesellschaft nur insofern in Verbindung mit den natürlichen Bedingungen, als diese das Gesetz enthalten, das ein Verlassen des natürlichen Rechts notwendig macht. Es ist HOBBES' Verdienst, auf die Zweideutigkeit im Begriffe der Natur hingewiesen zu haben; „Der Ausdruck Natur hat diese Zweideutigkeit, daß Natur des Menschen seine Geistigkeit, Vernünftigkeit ist; sein Naturzustand ist aber der andere Zustand, daß der Mensch nach seiner Natürlichkeit sich bestimmt". Die HoBBESsche „Vernünftigkeit" wird bei ROUSSEAU, KANT und FICHTE als Freiheit bestimmt — dieser „freie Wille" erst löst den Menschen vollständig aus der Natur. Diese „Vertiefung des Naturrechts" wurde für Hegels Rechtsbegriff entscheidend; bereits der Entwurf von 1805/06 folgt diesem Ansatz, wenn er die Natur von der Struktur des Selbst aus interpretiert: die Natur kann keine sittliche Ordnung begründen, das „Bewußtsein des Geistigen" wird zum Eundament der Naturrechtslehre. Für Hegel geht dieses idealistische Fundament des Naturrechts über HOBBES' Ansatz hinaus. Die ausschließliche Rückführung der Jenaer Konzeption auf HOBBES verfehlt diese Dimension der Hegelschen Rechtstheorie und kann dem Hegelschen Ansatz im ganzen nicht gerecht werden. E. Weisser-Lohmann (Bochum)
Gabriel Amengual (Hrsg.): Estudios sobre la ,Filosoßa del Derecho' de Hegel. Madrid: Centro de Estudios Constitucionales 1989. Wie der Herausgeber des Bandes in der Einleitung mit Recht anmerkt, ist Hegel in Spanien ein vielzitierter, aber kaum erforschter, da „unzugänglicher" Philosoph. Dies führt man einerseits auf die sprachliche Barriere zurück (Hegel wird erst seit kurzer Zeit auf Deutsch gelesen), andererseits auf die Eigenart und die ,Maßlosigkeit' seiner Ideen. Dieses Bild einer extremen Kompliziertheit wurde im
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Verlauf vieler Jahre aus Mangel an Studien und Untersuchungen sowie vor allem an Primärtexten geprägt. Obwohl durch eine kleine Anzahl von Forschern in gewisser Weise während der letzten zwei Jahrzehnte eine Umorientierung eingeleitet wurde, ist es immer noch zu früh zu behaupten, daß dieses Vorurteil endgültig verschwunden sei. Das Vorurteil besteht vor allem darin, unter Hegel ein einziges und einheitliches System zu verstehen, das so unzugänglich ist wie beispielsweise Das Schloß von KAFKA. Aber die Situation, in der sich die Philosophie von Hegel in Spanien befindet, muß symptomatisch für die gesamte Situation der Studien zum deutschen Idealismus gesehen werden: die Grundidee ist, daß der Idealismus aus einer sehr begrenzten Folge von abgeschlossenen Werken in Bücherform bestehe, zu denen fast ausschließlich die Kritik der reinen Vernunft, die Phänomenologie des Geistes und die Wissenschaft der Logik gerechnet werden. Erst in den letzten Jahren hat man begonnen, auch die Kritik der Urteilskraft zur Kenntnis zu nehmen. Andererseits ist es so, daß trotz einiger Übersetzungen des letzten Jahrzehnts SCHELLING und FICHTE praktisch nicht existieren. Im allgemeinen setzt sich dies bis heute fort, ohne daß man sich auf ein zuverlässiges Arbeitsmaterial stützen könnte, sei es in Form guter Übersetzungen der Quellen oder in Form einer guten und soliden Sekundärbibliographie. Es wird immer noch versäumt, eine Vorstellung zu präsentieren, die einen wirklichen Ausgangspunkt zur Erforschung der Philosophie des deutschen Idealismus darstellen würde; darunter ist die Vorstellung zu verstehen, daß diese Philosophie als historischer Prozeß zu betrachten ist, in welchen Positionen gewonnen werden und sich Versuche und Systemprojekte abzeichnen, so daß man nie von einem abgeschlossenen System, das ein für allemal Gültigkeit hätte, sprechen kann. Es ist gerade so, daß entgegen der geläufigen Meinung (einschließlich der akademischen) ein solches System niemals entworfen wurde — weder von allen Idealisfen zusammen noch von jedem einzelnen. Das bisher Gesagte gilt in besonderer Weise für Hegel, den man nicht verstehen kann, wenn der genetische Aspekt vernachlässigt wird und wir uns ausschließlich auf die vier publizierten Werke (Phänomenologie, Logik, Enzyklopädie und Philosophie des Rechts) konzentrieren und sie darüber hinaus isoliert betrachten, wie wenn jedes von ihnen eine abgeschlossene Einheit für sich darstellen würde. Es besteht kein Zweifel daran, daß der erwähnte genetische Aspekt in Spanien eine adäquatere und fruchtbarere Arbeitsperspektive eröffnen würde, nicht nur um die Eorschung über Hegel zu intensivieren und zu einem Höhepunkt zu bringen, sondern um diese vielmehr erst zu beginnen. Nun aber hat man sich diese sehr unbefriedigende Forschungssituation zu Hegel (und dem Idealismus) auf spanischem Boden zu vergegenwärtigen, um den ganzen Wert dieses Buches zu verstehen, dessen Verdienst es gerade ist, mit vielen Vorurteilen und Mängeln der gewöhnlichen Präsentation Hegels in Spanien zu brechen. Das hier zu besprechende Buch setzt sich aus einer Reihe von klassischen Artikeln über die Philosophie des Rechts von Hegel zusammen; sowohl die Beiträge als auch ihre Autoren sind ja zur Genüge bekannt, so daß es nicht angebracht ist.
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hier über die Bedeutung oder Exaktheit der Artikel zu diskutieren; was man aber bewerten sollte, ist der günstige Zeitpunkt der Publikation sowie die Gliederung des Bandes, wie auch die Rolle des einzigen Originalbeitrages, nämlich die Einführung des Herausgebers. Was den ersten Punkt betrifft (das Erscheinungsdatum), so haben wir gerade auf die dringende Notwendigkeif hingewiesen, die in Spanien für diese Art von Arbeiten existiert, Arbeiten, die die besten Forschungsarbeiten zu Hegel außerhalb Spaniens sammeln und welche dabei helfen, die Lücken in bezug auf die Philosophie des Rechts zu schließen. Dieser Band entsfand im Hegelarchiv in Bochum, wo der Herausgeber die Gelegenheit hatte, die nötige Bibliographie zu erstellen. Es ist ein typisches Beispiel für die Arf von Arbeiten in Deutschland, die im Titel „Materialien zu .. ." führen. Nun wird das, was in Deutschland als eine bescheidene Materialsammlung gilt, durch das zuvor Gesagte in Spanien im Vergleich zu eigenen Überlegungen zu einem bestimmten Thema mit Anspruch auf Originalität als eine verdienstvollere und lobenswertere Aufgabe betrachfet. Es war nichf Absicht des Herausgebers, aus den Einzelbeiträgen eine neue Darstellung der Philosophie des Rechts geben zu wollen; er präsentiert uns vielmehr die Artikel, wie sie sind und wie sie von Forschern und Studenten gelesen werden sollten, ln diesem Sinn wird mit der Einleitung von über 50 Seiten kein zusätzlicher Beitrag zum Band beabsichtigt, sondern eine solide Präsentation desselben, eine Rechtfertigung seiner Strukturierung und seiner Zielsetzung. In der Tat strukturiert der Autor seine Einleitung in höchst pädagogischer Weise hinsichtlich der folgenden Punkte: a) Kontextualisierung der Philosophie des Rechts in das Gesamtwerk Hegels b) Entwicklung der Idee der Freiheit c) Geschichte seiner Interpretation d) Begründung von Arbeiten, die damit in Zusammenhang stehen e) Angaben über die historische Situation und die Wege der aktuellen Forschung. Eine richtige Entscheidung des Autors war es auch, die Reproduktion einer langweiligen allgemeinen Bibliographie zu vermeiden und statt dessen durch einige konstruktive Fußnoten (insgesamt 174) eine Bibliographie (Quellen, Bücher und Artikel) zu erstellen in dem Maße, wie sie im Verlauf der Einleifung notwendig wird. Von den fünf Abschnitten, aus denen die Einleitung besteht, möchten wir insbesondere den ersten und fünften Punkt hervorheben, ersteren wegen seiner Nützlichkeit für Studenten, letzteren aufgrund der kondensierten und reichhaltigen Darstellung der Forschungsgeschichte zu Hegel, welche dazu beiträgt, die verschiedenen Etappen der Kritik in schematischer Weise zu bestimmen, indem auf die Gründe für die Hegelianische Renaissance von den 50er Jahren an hingewiesen und auf den aktuellen Forschungsstand Nachdruck gelegt wird. Im allgemeinen erscheint uns diese Abhandlung als eine ausgezeichnete Arbeit: sie setzt sich sehr intensiv mit den genetischen Fragestellungen zum Verständnis der Philosophie des Rechts auseinander, was uns zeigt, daß dieses Werk nicht als ein isoliertes Produkt oder als Markstein des Hegelschen Systems des
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Jahres 1821 zu verstehen ist, sondern als Kulminationspunkt in Form eines Buches. Dieser resultiert aus einem langen Werdens- und Reifeprozeß, welcher kleinere und unveröffentlichte Schriften seit dem letzten Jahrhundert berücksichtigt; diese Fragestellung enthüllt außerdem, daß die verschiedenen Themen des Systems von Anfang an miteinander verwoben sind und sie auch so verstanden werden sollen, ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen Vorstellung, die die veröffentlichten Arbeiten als ausschließliche und isolierte Blöcke betrachtet. Im Widerspruch dazu vergißt GABRIEL AMENGUAL bei der Betrachtung der Philosophie des Rechts innerhalb des Hegelschen Gesamtwerks plötzlich die weniger bedeutenden und unveröffentlichten Schriften, indem er nur die vier publizierten Werke berücksichtigt und dank dieses „Vergessens" und durch einen exzessiv reduzierenden Prozeß uns zur Schlußfolgerung führt, daß der einzige geschriebene Teil des gesamten Systems — abgesehen von dem, was man sein Schema (die Enzyklopädie), seine Einleitung (die Phänomenologie) und seinen ersten Teü, der der „reinen Wissenschaft" (der Logik) gewidmet ist, nennen könnte — derjenige war, der der Philosophie des Rechts zugewiesen wurde, was seine enorme Bedeutung belegt. Der vorliegende Sammelband enthält folgende Artikel (in Klammern die Originaltitel der ins Spanische übersetzten Texte): — — —
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La estructura de la ,Filosofia del Derecho' de Hegel [Die Struktur der Hegelschen Rechtsphilosophie] ADRIAAN PEPERZAK: LOS fundamentos de la e'tica segun Hegel [The foundations of ethics according to Hegel] JOACHIM RITTER: Persona y propiedad. Un comentario de los pärrafos 34—81 de los ,Principios de la Filosofia del Derecho' de Hegel [Person und Eigentum. Zu Hegels ,Grundlinien der Philosophie des Rechts' §§ 34—81] LUDWIG SIEP: iQue significa: „Superaciön de la moralidad en eticidad" en la ,Filosofia del Derecho' de Hegel? [Was heißt: „Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit" in Hegels Rechtsphilosophie?] MANFRED RIEDEL: El concepto de la „sociedad civil" en Hegel y el problema de su origen histörico [Hegels „Bürgerliche Gesellschaft" und das Problem ihres geschichtlichen Ursprungs] GIULIANO MARINI: Estructura y significados de la sociedad civil hegeliana [Struttura e significati della societä civile hegeliana] ZBIGNIEW A. PELCZYNSKI: La concepciön hegeliana del Estado [The Hegelian concept of state] BERNHARD BOURGEOIS: El principe hegeliano [Le prince hegelien] CLAUDIO GESA: Consideraciones sobre la teoria hegeliana de la guerra [Considerazioni suUa teoria hegeliana della guerra] EMIL ANGEHRN: iRazön en la hisioria? Sobre el problema de la Filosofia de la Historia en Hegel [Vernunft in der Geschichte? Zum Problem der Hegelschen Geschichtsphilosophie] NORBERTO BOBBIO: Hegel y el iusnaturalismo [Hegel und die Naturrechtslehre] KARL-HEINZ ILTING:
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Es läßt sich schnell feststellen, daß der Herausgeber es sich zum Ziel gesetzt hat, praktisch alle wichtigen Themen der Philosophie des Rechts abzuhandeln. Außerdem wurden die verschiedenen Arbeiten nach einem Kriterium ausgewählt, das der Herausgeber selbst formuliert hat und das er unseres Erachtens vollständig erfüllt: erklärende und interpretatorische Arbeiten, wobei er zusammenfassende sowie zu technische und punktuelle Darstellungen ausklammert. In der Tat handelt es sich immer um wichtige und allgemeine Themen, die praktisch wörtlich der Gliederung von Hegels Werk Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrechts und Staatswissenschaft im Grundrisse von 1821 folgt, was sich der Autor ja auch zum Ziel gesetzt hat. Das wichtigste an dieser Auswahl ist zweifellos, daß die Vorstellung, die man durch die Lektüre des Bandes gewinnt, von jedweder Vereinfachung — hier ist an das Verständnis von Hegel durch extreme Urteile und Vorurteile zu denken — weit entfernt ist und uns dem zentralen Punkt näherbringt, welcher sich zunächst ganz einfach wie folgt formulieren läßf: die Philosophie des Rechts kann nicht — oder zumindest sollte nicht — ideologisch vereinnahmt, sondern ausschließlich in philosophischer Hinsicht interpretiert werden, was natürlich ein aufmerksames und reflektiertes Studium voraussetzt. Auf diese Weise wird Hegel auf eine Stufe mit PLATON, ARISTOTELES und ROUSSEAU gestellt; keinesfalls darf er zu einer Legitimierung eines unvergänglichen preußischen Staates herangezogen werden, wodurch diejenigen, die Hegel nicht wirklich kennenlernen wollen, den Wert seiner politischen Philosophie in Frage stellen. Noch weniger angebracht ist es, Hegel neben HITLER oder STALIN, also neben die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts zu plazieren (genauso wenig wie neben den Liberalismus). Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, daß dieser Sammelband viele gute Arbeiten enthält und somit einen Glücksfall für Studenten und an Hegel Interessierte darstellt und darüber hinaus als idealer Ausgangspunkt für weitere Studien gelten kann. Abschließend sollten noch einige Kritikpunkte angesprochen werden, auch wenn sie eher punktueller Natur sind. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß mit Ausnahme von zwei Artikeln der jeweilige Übersetzer nicht angegeben wird, was die Annahme zuläßt, daß der Herausgeber selbst als Übersetzer der restlichen Aufsätze tätig war (er selbst verliert darüber allerdings kein Wort). Aufgrund des hohen Stellenwerts der Übersetzungen wäre es schon wünschenswert gewesen, diesen Punkt klarzustellen. An zweiter Stelle ist anzuführen, daß der Herausgeber sich nach dem Kriterium gerichtet hat, Arbeiten der letzten 25 Jahre aufzunehmen, wobei der 1961 erschienene Aufsatz von RITTER der älteste ist. Wohlgemerkt, dieses Kriterium wurde vom Herausgeber 1986, dem Jahr der Fertigstellung des einleitenden Kapitels, formuliert. Dem verspäteten Erscheinen des Sammelbandes dürften wohl Probleme zugrundeliegen, die nichts mit dem Herausgeber zu tun haben, die aber den Aktualitätsanspruch des Bandes ein wenig schmälern. Das ist jedoch nicht das schwerwiegendste Problem: weit bedeutender erscheint uns, daß der Sammelband zwar in einer guten, aber kaum bekannten Reihe des „Centro de Estudios Constitu-
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cionales" veröffentlicht wurde, wodurch er zu einem praktisch unauffindbaren Buch selbst in spezialisierten Buchläden wird. Das Erscheinen in einem bekannteren Verlag wäre für dieses Buch sicherlich angebrachter gewesen. Schließlich und endlich möchten wir dem Herausgeber des Sammelbandes eine direkte Frage stellen, auch wenn sie vielleicht niemals beantwortet wird: War es nicht möglich, auch Originalbeiträge von spanischen und lateinamerikanischen Autoren mitaufzunehmen? Arturo Leyte CoeUo (Vigo)
Amelia Valcärcel: Hegel y la Hica. Sobre la superaciön de la ,mera moral'. Prölogo de Javier Muguerza. Barcelona: Anthropos 1988. 502 S. Das Thema, das hier behandelt wird, ist ein fundamentales der Ethik und zugleich bezeichnend für Hegels Fragestellung (20), nämlich für die Beziehung von Subjektivität und Objektivität, von Geschichtlichkeit und Unbedingtheitsanspruch der Ethik. Um dieses Grundthema der Ethik zu behandeln, das paradigmatisch von Hegel thematisiert werde, wählt die Verfasserin überraschenderweise eine ,biographische' Methode. Dementsprechend interpretiert sie die Entwicklung des Hegelschen Denkens im Licht der persönlichen Entwicklung des Philosophen, wobei sie voraussetzt, daß man auf diese Weise Kontext und Struktur gewinnen könne, von denen her die unterschiedlichen ethischen Formulierungen ihre Bedeutung erhalten sowie auch ihre kritische Erklärung finden. (21) Absicht dieser Interpretation ist es, „einen anderen Hegel" darzustellen, freilich soll dies letztlich „eine Version (Hegels) unter anderen" bleiben, allerdings eine solche, „die sich auf eigene Gründe gründet, nämlich auf diejenigen, die in der Moralphilosophie besonders relevant sind". (25) Eine gewisse Beliebigkeit drückt sich in der Auffassung VALCäRCELS aus, daß „die verschiedenen Interpretationen Hegels verschieden sind, weil jeder die Lektüre betreibt, die am besten zu der Begründung seines jeweiligen Entwurfes paßt". (24) Gleichzeitig will VALcÄREL nicht auf den Anspruch verzichten, sich mit anderen Hegel-lnterpretationen auseinandergesetzt zu haben, so daß ihre Interpretation als „ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit anderen Meinungen" ausgegeben wird. (24 f) Tatsächlich ist aber eine solche Auseinandersetzung im Buch selber nicht zu finden; vielmehr gibt es von Anfang an eine klare Stellungnahme für POPPERS Hegel-Deutung (28), gerade so, als ob POPPER ein bedeutender Hegel-Kenner sei oder die Hermeneutik vorbildlich praktiziere. Nicht zuletzt aus diesem Grund scheint die intendierte ,Andersheit' des Hegel-Büdes nichts anderes zu bieten als nochmals das bereits sattsam Bekannte.
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Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste, „Stuttgart, Frankfurt, Jena", betitelte Teil behandelt die Schriften aus Tübingen, Bern, Frankfurt und Jena bis zum System der Sittlichkeit (1802—1803). In diesem Teil wird also eine weite und zugleich komplexe Periode in Hegels Entwicklung zusammengefaßt; allerdings unterscheidet die Verfasserin immerhin die Perioden Tübingen, Bern und Frankfurt einerseits und Jena andererseits. Dabei gilt die erste Periode vor allem als bestimmt durch die Thematik der Beziehung von Religion (besonders das Christentum) und Moral, durch Hegels KANTianismus und seine einsetzende KANT-Krihk. Möglicherweise wird nun wegen des bereits erwähnten ,biographischen Ansatzes' Hegels Religionskritik allein als , Ablehnung' (miß-)verstanden, und so wird die eigene Interpretation in einer vermeinten persönlichen Einstellung Hegels begründet (vgl. 60); andererseits wird auf diese Weise weder der beginnende KANT-Krihk noch der Einfluß SPINOZAS deutlich. Dagegen wird mit großer Aufmerksamkeit Hegels sogenannte „Bekehrung zum Realen" („conversiön a lo real", 68) als unzweideutiges Zeichen seines progressiven Moralverlustes betrachtet. Die „Bekehrung zum Realen" oder der Übergang vom Sollen zum Sein gilt eben als der entscheidende Entwicklungsschritt der Frankfurter Zeit, mit dem Hegel sich vom KANTianismus trennt und damit den Boden der Moral verläßt. Diese Einstellung verfeshgt sich für die Verfasserin insbesondere im System der Sittlichkeit. Diese Schrift wird von VALCäRCEL als eine der prägnantesten Ausformulierungen der Hegelschen Moralphilosophie eingeschätzt, die dementsprechend neben die Phänomenologie des Geistes und die Grundlinien der Philosophie des Rechts gerückt wird (106 f), als ob in ihr bereits alles entschieden sei. Das System der Sittlichkeit bezeichnet demgemäß „den Beginn des Hegelschen Verfalls in bloße Ideologie, Etahsmus und das zunehmende Mißverständnis von Subjekhvität und Ereiheit". (111) Gemäß des Spannungsfeldes von Sein und Sollen hängt von einem grundlegenden Sollen für die Verfasserin die Möglichkeit einer Ethik ab, die sie demzufolge bei Hegel vermißt. Nur einmal läßt sie anküngen, daß „Hegel den Terminus Ethik in einem spinozishschen Sinne gebraucht" (119); sie fragt sich jedoch nie, wie diese (andere) Ethik zu verstehen sei. Der zweite Teil ist unter dem Titel „Phänomenologie; Die Versöhnung" der Phänomenologie gewidmet. Aus der Untersuchung ergibt sich für VALCäRCEL, daß in der Phänomenologie „die moralische Weltanschauung" endgültig verabschiedet werde. (150, 156) Dies Werk stelle einen „Mischmasch" („amasijo", 147) dar; darum entscheidet sich VARCARCEL das Thema der Moral zu behandeln, ohne auf dessen systematischen Ort zu achten, denn für sie führt „die eigene Systematik Hegels zu verfolgen, zu armseligen Ergebnissen". (147, vgl. 177, 191, 250 f) Im dritten Teil mit dem Titel „Der Prozeß gegen die bloße Moral und die friedliche Welt" wird Hegels Entwicklung von Bamberg bis Berlin untersucht. Hegels Nürnberger G)rmnasialtätigkeit wird nur erwähnt, die Texte der „Propädeutik" werden jedoch nicht untersucht. Dagegen schätzt die Verfasserin die Wissenschaft der Logik hoch ein, da sie „Licht auf die bestimmte Art werfen kann, wie seine moralischen Ideen sich profilieren". (265) Einige Seiten (282—286) sind der Sol-
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lens-Problematik in der WdL gewidmet, freilich wird daraus nicht deutlich, daß das Sollen eine Dimension der Wirklichkeit darstellt, der Bezug zur „Rechtsphilosophie" wird nicht hergestellt, sondern nur der Trend zur Annahme des Vorhandenen und zur Ausschließung des Sollens und des KANXianismus in der WdL und der Enzyklopädie bestätigt. Die letzten drei Kapitel behandeln die Grundlinien der Philosophie des Rechts, eines die Einleitung und den ersten Teil, die beiden anderen die folgenden Teile. Bei der Untersuchung der Einleitung hebt VALCäRCEL besonders die Schwierigkeit hervor, die zwei zentralen Begriffe zu verstehen, nämlich 1. den Begriff des freien Willens (angeblich „einer der abstrusesten Teile des Werkes", der deshalb kaum interpretiert worden sei; 315) und 2. den Begriff des Rechts, der als widersprüchlich erscheine, da er einerseits als „positiv" aufgefaßt werde — d. h. nach VALCäRCEL in demselben Sinne wie „Positivität" in den „Jugendschriften" als „Zwang („imposiciön") und Positivität" (306) bei Hegel zu interpretieren sei — und andererseits als Dasein der Freiheit (318). Am Morahtätskapitel betont die Autorin, daß es bloß „sekundär" und „anhängselhaft" sei (346), denn es bildet keinen spezifischen Teil des Systems. Moral hat für Hegel demnach nur noch den Sinn, Annahme des Rechtes und des Staates zu sein. (349) Schließlich wird in dem der Sittlichkeit gewidmeten Kapitel übersichtsartig dem Hegelschen Text gefolgt und dabei dessen Etatismus unterstrichen. Am Ende wird als Fazit dasselbe behauptet, was bereits anfangs als LeifbUd galt: „Sollten wir eine Position gegenüber der ,Rechtsphilosophie' zusammenfassen, so müßten wir uns an POPPER, nicht an AVINERI halten". (428) Die gesamte Interpretation scheint mit dem Rücken zu Hegel geschrieben worden zu sein, so als ob man sich von ihm wie von einer Wüste oder einem Trümmerfeld abgekehrt habe, da man dort ohnehin nur vergeblich nach Leben oder Wahrheit suchen würde. Diese scheinen dagegen in dem Bereich als blühend angenommen zu werden, von dem die Untersuchung ausgeht. Diese Sicht auf Hegel ist daher von weit hergeholt, denn es scheint sich der Verfasserin zufolge nicht mehr zu lohnen, auf Hegels Lösung einer Frage einzugehen, deren Auflösung sie für eine ausgemachte Sache hält. Darum scheint es zu genügen, einige Stich Worte Hegels im Sinne später etablierter und präjudizierter Schablonen zu benennen und zu referieren. Der Mangel an diesem Buch isf nicht die Ansammlung von Kritik, sondern die Art der Fragestellung selbst, nämlich ob man Hegel — wie irgendeinem Klassiker — entweder nur zustimmen oder ihn bloß ablehnen könnte. In der Tat fragt sich die Verfasserin einmal, wer heute die Grundlinien unterschreiben würde oder könne. Die Sinnlosigkeit dieser Frage ist augenscheinlich, wenn man sie dahingehend ausdehnt, wer heute den Leviathan oder den Contract Social, die Politeia oder die Politik zu unterschreiben wagte. Dennoch hören diese Werke deswegen nicht auf, als Klassiker zu gelten und als solche verstehens- und untersuchungswürdig zu bleiben. Wenn man den Akzent eher auf das Begreifen (oder, um mit Hegel zu sprechen, auf die ,Anstrengung des Begriffs') gelegt hätte, wäre vielleicht über das Aufweisen von Entgegensetzungen auch mancher Zusammenhang deutlich
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geworden, so etwa mit KANT und SPINOZA. Über das Aufdecken von gemeinsamen Problemstellungen der drei Denker hätte auch diese Untersuchung selbst einen Beitrag der ethischen Problematik leisten können. Allerdings ist die Bemühung zu bewundern, ein solches an sich so wichtiges Thema anhand eines Autors wie Hegel (sei es ,biographisch', entwicklungsgeschichtlich oder systematisch) zu behandeln, zumal wenn dieses Thema bei dem Autor selbst eine heikle Frage ausmacht. Es ist zugestandenermaßen eine ungeheuer schwierige Aufgabe. Gabriel Amengual (Palma de Mallorca)
Kami Bai: Zwischen Ethik und Geschichtsphilosophie. Aufsätze über Kant,
Schelling und Hegel. Wroclaw 1989. 121 S. Dieser Band des polnischen Forschers KAROL BAL versammelt die Erträge aus einem Jahrzehnt Forschungsarbeit zum deutschen Idealismus: SCHELLING, KANT^ MENDELSSOHN, vor allem aber steht Hegel im Mittelpunkt. Hier sollen vorrangig die Beiträge zur Hegel-Forschung vorgestellt werden. Die chronologische Anordnung dieser Studien führt vom jungen bis zum späten Berliner Hegel, der zeitlichen Breite entspricht die thematische Weite. Von den religionsphilosophischen Fragen der Aufklärung erstreckt sich das Untersuchungsgebiet bis zur Frage nach der Periodisierung der Weltgeschichte in der Hegelschen Geschichtsphilosophie. In die achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts fällt die Aufspaltung der Aufklärung in eine Reihe von Strömungen, deren Vertreter im wesentlichen zwei Hauptströmungen zugerechnet werden können: entweder sind sie Vertreter eines flachen Rationalismus (NICOLAI, MENDELSSOHN) oder aber sie sind mehr oder weniger Anhänger der sogenannten Gefühlsphilosophie (BREITINGER, GELEERT). Die unterschiedliche Bestimmung dessen, was Aufklärung leisten soll und in welchem Verhältnis sie zur ReUgion steht, verdeutlicht BAL am KANiischen und MENDELSSOHNschen Aufklärungsbegriff. Für KANT ist die Religion eher ein hinderlicher Faktor, da sie die Freiheit des Denkens beschränkt. MENDELSSOHN stellt Sittlichkeit und Religiosität gleich, er bringt damit die Moral in Abhängigkeit von der Religion und warnt vor einem Mißbrauch der Aufklärung, die zu einer Zerstörung beider führen könnte. Im Kontext dieser Debatte zeigt sich KANTS Schrift Beantwortung der Frage: WöS ist Aufklärung? als ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zum Historismus; KANT präzisiert hier die Idee einer historischen Entwicklung der Menschheit. 1781 beginnt Hegel „ein systematisches Studium des Begriffs Aufklärung", das ihn während der Tübinger und Berner Zeif zu einer differenzierten Sichtweise führt. Als Verdienst der Aufklärung nennt Hegel die Bekämpfung von Aberglau-
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ben und Vorurteilen und die Enthüllung der „Positivität der christlichen Religion". Mängel sind ihm die Überschätzung des Verstandes, die Unterschätzung der emotionalen Seite des Menschen und die ahistorische Sicht von Religion und menschlicher Natur. Für den jungen Hegel steht das Ideal einer vollkommenen Gesellschaft im Vordergrund, die religiöse Problematik ist von nur sekundärer Bedeutung. „Er unterliegt hier dem Einfluß der dominierenden religionsschaffenden Tendenz seiner Zeit und überlegt ernsthaft, ob er nicht eine neue Religion schaffen soU, eine Religion der Vernunft und des Herzens" (16). Eine historische Perspektive auf die Probleme der Zeit ist diesem Ansatz verstellt. Der nächste Beitrag des Bandes führt zum Berliner Hegel — den Grundlinien der Philosophie des Rechts und dem Begriff des „Gewissens" als einer zentralen Kategorie der Hegelschen Ethik. Zwischen zwei Hauptformen des „Gewissens" ist zu unterscheiden: dem subjektiven oder individuellen Gewissen und dem objektiven oder „vergesellschafteten Gewissen — ihrer Unterscheidung entspricht die Unterscheidung zwischen Moralität als individueller Moral und Sitthchkeit als „gesellschaftlicher Moral". BAL arbeitet die Differenzen zwischen beiden Prinzipien heraus: „die zunächst positive Bestimmung des Guten — als das Sollen im Verhältnis zum Individuum rekurriert es auf das Gewissen als der unabdingbaren Voraussetzung wahrhafter Freiheit — geht in eine negative, destruktive Kategorie über: es wird zum Zerstörer der „unvernünftigen Gesellschaft". Die innere Antinomie des Prinzips Gewissen (das Gute ist nur durch das Gewissen bestimmt) führt in die Willkür. Erst Gesetze als rationale Bestimmungen beenden diesen Zustand. Eine höhere Gestalt des Gewissens löst das beschränkt individuelle ab. Das „wahre Gewissen" ist ein integraler Teil der Sittlichkeit, dem gesellschaftlichen Ideal. Es geht Hegel, so BAL, um die „ideale ethische Gesellschaft" (50), Gewissen, Glück und Pflicht sind die Kategorien dieser gesellschaftlichen Moral. Die Gesinnung wird zum Kern jenes Prozesses, der das individuelle Gewissen zum „wahren Gewissen" wandelt. „Das Fehlen oder die Anwesenheit des Prinzips der , Gesinnung' im moralrechtlichen System der konkreten historischen Verfassung wird für Hegel zum Kriterium der Beurteilung dieser Verfassung." (54) Nach dieser internen Analyse zu einem Kernbegriff der Hegelschen Rechtsphilosophie schreiten die beiden folgenden Studien den Bereich der Hegelschen Rechts- und Gesellschaftslehre weiter aus. Es folgen zwei Studien über konkrete historische Analysen Hegels: Hegel und die Bürgerliche Gesellschaß des Anden Regime und Einige Aspekte der Hegelschen Auffassung der Gegenwart. Während FICHTE und andere Zeitgenossen den Grund für Atomismus und Partikularismus in der „unverantwortlichen Demagogie" der Aufklärer suchen — sind für Hegel „die Denker der Aufklärung Stifter individualistischer zwischenmenschlicher Verhältnisse"; ihre Bemühungen sind für Hegel eine Reaktion auf die utilitaristischen, atomistischen und partikularischen Bestrebungen der bürgerlichen Gesellschaft. Damit bemerkt Hegel, so BAL, „die objektiven Gründe der gesellschaftlichen Konflikte".
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Die gesellschaftliche weitet sich zu einer geschichtsphilosophischen Perspektive, wenn BAL die Frage zu klären sucht, ob es bei Hegel die Reform oder die Revolution ist, die die Entwicklung des Geistes in angemessener Form vorantreibt. BAL insistiert gegenüber einer langsam quantitativen Umstellung im Stile eines Reformismus auf die Hegelsche Dialektik. Die Schlußpartie der Hegelschen Vorlesung über die Philosophie der Geschichte; „Denn es ist ein falsches Prinzip, daß die Fesseln des Rechts und der Freiheit ohne die Befreiung des Gewissens abgestreift werden, daß eine Revolution ohne Reformation sein könne", verlangt nach einer Erläuterung des Reformbegriffs sowie einer Klärung der Hegelschen Einschätzung der Reformation. Während SOKRATES das Prinzip des subjektiven Gewissens einzeln repräsentiert, erreicht die Reformation eine „Art Gesamtbewußtsein" (78). Die Reformation und ihre Fortsetzung, die Aufklärung sind „historisch-gesellschaftliche Kategorien im System Hegels, die als Epochen die Befestigung der Überzeugung sind, daß Vernunft und Freiheit zum Recht werden soll" (81). Reformation und Revolution sind für Hegel die einzigen „historiogenen Kräfte", die über den Fortschritt der Freiheit entscheiden. In der Frage, was „besser" oder „höher" sei, Reformation oder Revolution bleibt Hegel ambivalent — überhaupt aber ist diese Frage sekundär gegenüber der Tatsache der Entwicklung selbst. Eine Analyse der Kriterien der Hegelschen Periodisierung der Weltgeschichte beschließt diese Hegel-Studien. Gestützt auf den historischen „Ereignis-Aspekt" ergeben sich „chronologische Systeme", die auf die folgenden Merkmale gestützt sind: die Staatsform, das entwickelte philosophische Prinzip, die geographische Lokalisierung und den „Begriff des organischen Wachstums" (LASSON). Die Inkohärenz der aus diesen Kriterien abgeleiteten Geschichtseinteilung wird durch die Chronologie Altertum, Mittelalter und Gegenwart verwischt. Diese Dreiteilung dominiert die übrigen Klassifikationen eindeutig. Indem Hegel auf die Klassifikation nach Staatsorganismen verzichtet, tritt die Analyse des Charakters und der Art der gesellschaftlichen Bindungen in den Vordergrund. „Hegel interessiert vor allem die innere Organisation der Gesellschaft und nicht nur die äußere Staatsordnung" — dies gilt bereits für den Berner Hegel und bleibt auch für die Berliner Jahre gültig. BAL verdeutlicht, wie die Wahl einer bestimmten geschichtsphilosophischen Variante zugleich ein bestimmtes Verhältnis zur aktuellen Wirklichkeit festlegt. Hegels Auffassung der gesellschaftlichen Wirklichkeit unterlag einem Wandel; der frühen Negation und der späten Aussöhnung mit der Wirklichkeit entsprechen zwei Varianten der Geschichtsphilosophie, die wiederum mit zwei Schemen der Weltgeschichte gekoppelt sind. „Ein gemeinsames Merkmal beider ist das Streben nach der Entdeckung eines solchen Modells der Gesellschaftsorganisation, in dem das von transzendenten Kräften befreite Individuum nicht wieder in die Netze neuer Abhängigkeit verstrickt werden kann." (98) Im weitgespannten Problemfeld der hier aufgeworfenen Fragen gelingt es dem Interpreten KAROL BAL immer wieder in anschaulicher Weise, die Aktualität der Hegelschen Bemühungen herauszustellen. Elisabeth Weisser-Lohmann (Bochum)
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Hegels Ästhetik zwischen System und Emanzipation William Desmond: Art and the Absolute. A Study of Hegel's Aesthetics.
Albany: State University of New York Press 1986. XX, 222 S. M. Isabel Ramirez Luque: Arte y belleza en la estetica de Hegel. Sevilla: Servicio de Publicaciones de la Universidad de Sevilla 1988. 370 S. Gerard Bras: Hegel et hart. Paris: Presses Universitaires de France 1989. 126 S. John McCumber: Poetic Interaction. Language, Freedom, Reason. Chicago and London: The University of Chicago Press 1989. 489 S.
1. Immer wieder erweist sich die Komplexität und die Produktivität von Hegels Ästhetik anhand ihrer Fähigkeit, verschiedenste Interpretationen hervorzurufen, die weit entfernt voneinander liegenden Problembereichen entstammen. So wird das Interesse des Rezipienten auch im Falle dieser kürzlich erschienenen Bände vor allem durch die Unterschiedlichkeit der Ausgangsbasis geweckt, von welcher aus der jeweilige Verfasser das Werk Hegels interpretiert. Die Möglichkeit, bei den Vorlesungen über die Ästhetik einmal der Vielfältigkeit der historischen Kenntnisse der Künste, der Fruchtbarkeit der empirischen Untersuchungen und das andere Mal dagegen dem im engeren Sinne philosophischen Kern und den systematischen Zusammenhängen den Vorzug zu geben, liegt sicher in der Natur der Vorlesungen begründet. Auf diesen letztgenannten Problemgehalt will sich die Studie von W. DESMOND, Art and the Absolute, konzentrieren; für ihn liegt die entscheidende Frage der gesamten Hegelschen Philosophie der Kunst in der Stellung, die die Kunst innerhalb des Systems einnimmt: einer Frage, der man — wie DESMOND meint — jedoch nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Interpretationen der Hegelschen Ästhetik tendieren nach Ansicht des Autors dazu, die Tatsache zu mißachten, daß Hegel in den Vorlesungen wie auch in der Enzyklopädie auf der Zugehörigkeit der Kunst zum Absoluten Geist — zusammen mit der Religion und der Philosophie — besteht, oder sie zumindest nicht entsprechend hervorzuheben. Auf diese Weise wird letztlich das stereotype Bild Hegels als Befürworter der Unterordnung der Kunst unter die Philosophie und als Theoretiker der Auflösung der Kunst in der modernen Welt aufrechterhalten. Statt dessen tritt die ständig wiederholte Anerkennung der Absolutheit der Kunst zu der angenommenen Begrenztheit und Minderwertigkeit der Kunst und zu der These vom Ende der Kunst in starken Widerspruch: gerade diese Spannung bildet aber einen der Kernpunkte oder nach Ansicht DESMONDS sogar „das zentrale Problem der Ästhetik". Art and the Absolute will nicht bestreiten, daß viele Passagen im Hegelschen Werk zugunsten der Unterordnung der Kunst unter die Philosophie interpretiert werden können, wie ebenso auch viele Aussagen zu bestätigen scheinen, daß Hegel tatsächlich an eine Auflösung der Funktion der Kunst in der zeitgenössischen Welt glaubte. Hegel besteht stets darauf — und daran er-
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innert DESMOND —, daß die Kunst sich durch das Mittel der Sinnlichkeit ausdrücke; die Sinnlichkeit kann aber den unendhchen Inhalten des Geistes nicht angemessen sein. Und doch wird mit der Behauptung, daß die Kunst am absoluten Geist teilhat, zugegeben, daß sie gleichermaßen wie die Religion und die Philosophie imstande ist, die Unendlichkeit zu vermitteln; damit wird anerkannt, daß die Ganzheit, die durch das Kunstwerk gebildet wird, mehr ist als eine geschlossene Totalität; es bedeutet vor allem, daß die Philosophie selbst nicht als über der Kunst stehend und abgegrenzt erachtet werden kann, sondern ihr gegenüber eine Art von Offenheit zeigen sollte. Die Hegelschen Thesen sind nach Ansicht DESMONDS gerade deshalb so einseitig interpretiert worden, weil die Hegelsche Verbindung zwischen Religion und Philosophie zu wenig beachtet worden ist; nun stellt aber die Durchdringung beider dem Verfasser zufolge keine auf die griechische oder die antike Welt im allgemeinen begrenzte Erscheinung dar, sondern kann in gewissem Maße ebenso in der christlichen Religion und der unendlichen Subjektivität, die die Romantik und die Modernität kennzeichnet, vorgefunden werden. Zweifellos hat DESMOND eine der Hauptschwierigkeiten der Hegelschen Ästhetik klar herausgearbeitet: in den ersten drei Kapiteln seines Buches liefert er uns mehrere wertvolle Hinweise für eine Erörterung einiger der umstrittensten und schwierigsten Themen der Vorlesungen. Dennoch hat man den Eindruck, daß die Analyse in Art and the Absolute nicht die nötige Tiefe erreicht, vor allem weU der Autor beim EormuHeren der These von der Unterordnung der Kunst und der Beschränktheit der Sinnlichkeit die Idee von der Absolutheit der Kunst als Tatsache begreift, ohne sie je zu problematisieren. So entgeht ihm, daß auch die These von der Zugehörigkeit der Kunst zum absoluten Geist einer eingehenden Prüfung unterzogen werden müßte, denn auch sie, als definitive Wahrheit verstanden, wäre in Wirklichkeit eine problematische Schlußfolgerung. Es entsteht nicht nur eine Reihe von Schwierigkeiten durch die Teilung des absoluten Geistes in eine Abfolge von: Anschauung, Vorstellung, Denken (oder in die Unterteilung, die der Subjektive Geist vornimmt), sobald diese auf den Absoluten Geist bezogen wird, sondern im Text der Enzyklopädie tritt mehrmals die ganze Eragwürdigkeit der Zugehörigkeit der Kunst zum Absoluten Geist zutage; so heißt es im § 557: „Der absolute Geist kann nicht in solcher Einzelheit des Gestaltens expliziert werden; der Geist der schönen Kunst ist darum ein beschränkter Volksgeist". Und noch klarer wird im § 557 gesagt: die sinnliche Äußerlichkeit der Kunst „enthält nicht die geistige Einheit, in welcher das Natürliche nur als Ideelles, Aufgehobenes gesetzt und der geistige Inhalt nur in Beziehung auf sich selbst wäre; es ist nicht der Absolute Geist, welcher in dies Bewußtsein eintritt". Es wäre DESMOND in seiner Studie wahrscheinlich besser gelungen, die ganze Komplexität des Problems zu umreißen, wenn er die Untersuchung der Verbindung von Kunst, Religion, Philosophie auch auf andere Texte Hegels bezogen hätte, anstatt sie fast ausschließlich anhand der Vorlesungen auszuarbeiten: die Zugehörigkeit der Kunst zum absoluten Geist wird eigentlich schon an anderer Stelle aufgezeigt und hier nur wieder aufgenommen und deshalb niemals wirklich in Frage gestellt.
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2. Nach Ansicht der Autorin von Arte y belleza en la estetica de Hegel, M. ISABEL RAMIREZ LUQUE, ist eine neue Konfrontation mit Hegels Ästhetik immer wieder erforderlich wegen ihrer spezifisch historischen Stellung innerhalb der Geschichte dieser philosophischen Disziplin. Die Herausbildung der Ästhetik als spezifische philosophische Wissenschaft, als besonderes Forschungsgebiet mit begrenztem, exklusivem Objekt, beginnt nämlich nach LUQUE mit den Vorlesungen über die Ästhetik, auch wenn es sich hier um die Krönung und den Äbschluß eines weit zurückreichenden historischen Prozesses handelt. Von einem rein theoretischen Standpunkt aus liege der Verdienst von Hegels Ästhetik darin, daß durch sie und nur in ihr die Ästhetik zu einer Einheit würde, indem sie eine bisher überall verstreute Problematik in ein System bringe; „der Vorschlag Hegels besteht darin, aus der Ästhetik eine Philosophie der Kunst zu machen und auf diese Weise mit der in den ästhetischen Studien traditionell befolgten Orientierung zu brechen". Nach Meinung LUQUES ändert sich mit Hegel das epistemologische Objekt völlig: „Der Objektwechsel, den Hegel mit seiner Ästhetik vorschlägt (d. h.: die Kunst und nur die Kunst in ihren konkreten, geschichtlichen Entwicklungen) setzt eine radikale Wandlung voraus, aufgrund deren die Ästhetik als systematische philosophische Wissenschaft heraustritt". Zu dieser theoretisch zentralen Stelle muß man zurückgehen, um die Gründe für den großen Einfluß der Hegelschen Ästhetik begreifen zu können; denn hier haben alle interessanteren Entwicklungen der Ästhetik des 20. Jahrhunderts ihren Ursprung. Diese programmatischen Hinweise lassen uns leicht erkennen, wie LUQUE bei ihren Forschungen vorgegangen ist. Das Thema wird vor allem systematisch abgehandelt, ohne die genetischen Fragen zu beachten, aber auch ohne den speziellen Problemen, die sich aus der textlichen Zusammenstellung der Vorlesungen ergeben, Äufmerksamkeit zu schenken; die Änmerkungen beziehen sich fast ausschließlich auf die Äusgabe von HOTHO und berühren höchstens am Rande andere Werke Hegels; und schließlich konzentriert sich der Band auf die Einleitung und den ersten Teil (die Idee des Kunstschönen oder das Ideal), während das Problem der historischen Entwicklung der Künste und das der einzelnen Künste zweitrangig bleiben. Ihre Hauptaufmerksamkeit richtet LUQUE auf das Thema, dessen Abhandlung den gesamten zentralen Teil ihres Buches einnimmt (79—182), nämlich die Beziehung von Naturschönem und Kunstschönem, da das epistemologische Objekt der Ästhetik durch einen Eingriff entsteht, der die Überlegenheit der künstlichen Schönheit über die natürliche Schönheit rechtfertigt. Nur durch das Äusklammern des Problems der Naturschönheit, das noch für die gesamte Ästhetik des 18. Jahrhunderts bis hin zu KANT von großer Bedeutung war, gelingt es nach Meinung der Autorin den Vorlesungen Hegels, die Ästhetik als spezifisch philosophisches Wissenschaftsgebiet zu begründen („eine der großen Eroberungen Hegels besteht darin, sich von einer Reihe vorausgehender Änschauungen befreit zu haben, die es als obligatorisch erachteten, die Frage der Naturschönheit zu behandeln"). Man kann jedoch nicht behaupten, daß die Vorlesungen sich darauf beschränken, die Frage der Naturschönheit beiseite zu stellen, weil sie sich im Gegenteil bemühen, eine Entwicklung nachzuvollziehen, die zur Äufhebung der Natur Schönheit
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in der vollendeteren Kunstschönheit sowie zur Begründung der Ästhetik als Philosophie des Geistes führt. Nach LUQUE wird diese Entwicklung durch die Festsetzung der spezifischen Merkmale der Kunst dem reinen Naturschönen gegenüber vollzogen. Hegel erscheint die natürliche Welt vor allem als eine Welt der Notwendigkeit, in deren Endlichkeit und Beschränktheit der Geist „den unmittelbaren Anblick und Genuß seiner wahren Freiheit nicht wiederzufinden vermag", weshalb der Übergang zur Kunst als eine Befreiung von der Unzulänglichkeit der Natur erscheint; an zweiter Stelle kritisiert Hegel die traditionelle Auffassung der Kunst als Nachahmung der Natur, da sie über den eigentlichen Zweck der Kunst keine Rechenschaft ablegen könne; und schließlich befestigt die Kunst zur Dauer, was in der Natur vergänglich und schwindend ist. Es wird festgesetzt, daß nur der Geist der Boden ist, auf dem die Schönheit gedeihen kann; und nun konzentriert sich die Studie LUQUES auf die Formel, die gemeinhin Hegels ,Definition' des Schönen enthält, verstanden als „sinnliches Erscheinen der Idee"; ihrer Veranschaulichung ist der letzte Teil des Buches gewidmet. Der Leser findet hier nicht mehr sehr viel Neues; man muß aber sagen, daß selbst der interessanteste Teil der Studie, die Analyse der von Hegel hergestellten Beziehung zwischen Natur- und Kunstschönheit, in mehrfacher Hinsicht zu Kritik Anlaß bietet. Zu diesem Thema stellt die Bearbeitung der Nachschriften Hegels von H. G. HOTHO keine ausreichende dokumentarische Basis dar, und sie ist wahrscheinlich auch kaum geeignet, Hegels ursprüngliche Position an ihr deuthch zu machen. Das zeigt sich in HOTHOS Text an mehreren Stellen, beispielsweise in dem sich offenbarenden Widerspruch zwischen der entschiedenen Aussage am Anfang der Einleitung (derzufolge durch den Ausdruck „Philosophie der schönen Kunst" das Naturschöne der Ästhetik ausgeschlossen wird) und dem Vorhandensein eines ausführlichen eigenständigen Kapitels über das Naturschöne. Tatsächlich erscheinen die anderen Nachschriften von Hegels Vorlesungen viel entschiedener als der Text HOTHOS das Naturschöne als Grundbegriff der Ästhetik abzulehnen; darüber hinaus darf man auch nicht außer acht lassen, daß ein Großteil des Materials, das HOTHO in sein Kapitel über das Naturschöne hat einfließen lassen, in den Nachschriften im Zusammenhang mit den spezifischen Problemen des Kunstschönen verarbeitet wird. Daß nun die Ausschließung des Naturschönen oder seine Unterordnung unter das Kunstschöne eine Neuheit oder das historische Verdienst Hegels darstellen soll, diese Auffassung ist schwer aufrechtzuerhalten. Die Orientierung, die der Kunst den Vorzug gibt, das Höherbewerten des Kunstschönen gegenüber dem Naturschönen, der Perspektivenwechsel verglichen mit gewissen Diskussionen des 18. Jahrhunderts können nicht als die Ergebnisse angesehen werden, zu denen als erstes die Vorlesungen Hegels gelangen: sie bilden nur den Schlußpunkt einer Diskussion, die die Romantik und die gesamte nachkantische Ästhetik bewegt hat, angefangen von SCHELLING (der nicht per Zufall eine Philosophie der Kunst und eine Kritik des traditionellen Begriffs der Nachahmung verfaßt hat) über SOLGER, der entschieden Ästhetik und Kunstlehre gleichsetzt, bis hin zu SCHLEIERMACHER, der schon in seinem Ästhetikseminar von 1819 aus seinem Interessengebiet das Problem des Naturschönen aus-
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schloß. Ob nun diese vielschichtige Bewegung, die zur Verdrängung des Problems der Naturschönheit führt, so gelesen werden kann, als erobere sich die Ästhetik ihr mutmaßlich eindeutiges „Objekt" oder ihren „Referenten", nämlich „Kunst" oder „Schöne Künste", bleibt jedoch recht fragwürdig: das Risiko wäre groß, auf diese Weise in eine epistemologisch gesehen ziemlich naive Position zu geraten, der zufolge eine Disziplin durch ein vorgegebenes „Objekt" bestimmt wird, das ein für alle Mal festgelegt ist — eine wenig haltbare Vorstellung, wenn es sich bei dem fraglichen Objekt um die Kunst handelt, nämlich um etwas schwer Umschreibbares, was sich unmöglich außerhalb einer „theoretischen" Grundlage bestimmen läßt. Die kurze Abhandlung von GSRARD BRAS Hegel et l'art ist ausdrücklich an ein breitgestreutes Publikum gerichtet. Sie will eine Einführung in die Ästhetik geben und macht anhand einiger ausgewählter Themen deutlich, wieviel von ihr noch mit den heutigen Fragestellungen der Kunststudien verknüpft werden kann. Wie es bei einer Texteinführung üblich ist, findet der Leser am Ende des Bändchens ein Schema der verschiedenen Momente, die sich in der Entwicklung der Kunstformen abzeichnen und eine kleine Anthologie von Texten, die den Vorlesungen über die Ästhetik entnommen sind. BRAS möchte vor allem die doppelte Natur des Hegelschen Werkes aufzeigen, das zum einen rein philosophisch sein will, zum anderen aber ein reichhaltiges Material an konkreten geschichtlichen Untersuchungen bietet, dessen Zweck darin besteht, die Kunst in ihrer realen Entwicklung darzustellen. Der Verfasser ist davon überzeugt, daß gerade in dieser Duplizität die Besonderheit der Ästhetik und der Grund ihrer Fruchtbarkeit hegt; er sieht aber zugleich die damit verbundene Interpretationsschwierigkeit, nämhch die Gefahr, immer einen der beiden Aspekte besonders hervorzuheben, so daß die Vorlesungen entweder auf eine rein empirische Untersuchung oder auf eine abstrakfe metaphysische Spekulation reduziert würden. Aber obwohl es BRAS' ausdrückliche Absicht ist, deutlich zu machen, daß die Vorlesungen über die Ästhetik „eigentlich ein philosophisches Werk sind . . . und nur aufgrund ihrer Fähigkeit interessieren, aus der Kunst ein Problem zu machen", und er auch in zwei kurzen Kapiteln einmal die Beziehung zwischen dem Hegelschen Werk und der vorausgehenden ästhetischen Tradition diskutiert (L’estetique en question, 11—22) und einmal L'Idee et le beau (47—54) zum Gegenstand macht, so schenkt er doch zweifellos lefzfhch den Fragen der konkreten historischen Forschung und denen einer direkten Auseinandersetzung mit den Kunstwerken größere Beachtung, d. h. jenem Aspekt der Ästhetik Hegels, den er selbst den „empirischen" nennen würde. Nach Ansicht von BRAS kann Hegels Auffassung des Schönen und der Kunsf nur zu einer als „philosophische Geschichte der Kunst" verstandenen Ästhetik führen. Die Etappen dieser Geschichte der Philosophie durchläuft BRAS in den beiden wichtigsten Kapiteln seiner Studie. Das erste Kapitel ist der Analyse der niederländischen Malerei gewidmet; sie veranschaulicht beispielhaft die Fähigkeit der Ästhetik, die Beziehungen zwischen einem Volk, einem historischen Augenblick und einer künstlerischen Form zu erfassen; das zweite Kapitel durch3.
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lä.uft die großen Abschnitte der geschichtlichen Entwicklung der Kunst in den drei Kunstformen: der symbolischen, der klassischen und der romantischen Form anhand des bevorzugten Beispiels eines Gebäudes, das sozusagen die Merkmale der jeweiligen Form in sich vereint, nämlich die Pyramide, der griechische Tempel und die gotische Kathedrale. Die Abhandlung BRAS' schließt mit einer kurzen Diskussion zum Problem der Auflösung der Kunst: sie scheint zwar eine unvermeidliche Konsequenz zu sein, wenn die Kunst als sinnlicher Ausdruck des Unendlichen verstanden wird, darf aber nicht mit einer historischen Voraussage verwechselt werden: was sich auflöst, ist nur die Kunst, deren Wahrheit die Religion ist; die Hegelsche Ästhetik bietet jedoch nach Meinung des Verfassers viele Ansatzpunkte zum Verständnis der zeitgenössischen Kunst, was gerade durch Flegels Sinn für eine gänzlich profane und alltäghche Kunst wie die holländische des 17. Jahrhunderts bewiesen wird. 4. Bei JOHN MCCUMBERS Studie Poetic Interaction handelt es sich nicht um einen Text zu Hegels Ästhetik und auch nicht um eine Abhandlung, die hauptsächlich die Interpretation Hegelscher Texte zum Gegenstand hat. Es handelt sich vielmehr um einen weitläufigen Überblick über die Geschichte der westlichen Philosophie, die sich an dem Begriff der Freiheit orientiert, wobei gezeigt werden soll, welche Rolle die Auffassungen von Sprache beim Festsetzen der Freiheit innehaben; nach Ansicht MCCUMBERS hat die Sprache mindestens ebensoviel mit Freiheit wie mit Wahrheit zu tun. Die Untersuchung in Poetic Interaction nimmt die Ergebnisse von HABERMAS in dessen Theorie des kommunikativen Handelns zum Ausgangspunkt und möchte veranschaulichen, wie viel davon in Wirklichkeit schon in einer Tradition, die bis auf PLATO zurückreicht, vorhanden war. Bei den untersuchten Philosophen handelt es sich um FAATO, ARISTOTELES, KANT, Hegel, HEIDEGGER und natürlich HABERMAS. Bei Hegel wird auf die Phänomenologie des Geistes und die Vorlesungen über die Ästhetik Bezug genommen. Die Auswahl der Ästhetik sieht der Verfasser selbst als eine recht willkürliche und paradoxe Entscheidung an: der Frage der Freiheit müsse nicht in Hegels Texten zur praktischen Philosophie, z. B. in der Philosophie des Rechts, nachgegangen werden, sondern in denen, die sich mit der Kunst beschäftigen, denn dort trete eine alternative Freiheitsauffassung zutage, die in gewissem Sinn der von Hegel in seiner politischen Philosophie entwickelten entgegengesetzt sei. Die Untersuchung einiger Abschnitte aus der Phänomenologie erhält folglich einen vorwiegend propädeutischen Wert, denn MCCUMBER zufolge ist eine politische Lektüre der Ästhetik gerade dann möglich, wenn man die Verbindung mit der sozialen Lebensauffassung hervorhebt, die in dem Werk von 1807 entwickelt wurde. Nach Meinung des Verfassers wird das Interesse an den Problemen der Beziehungen zwischen Individuen und an den Fragen der sozialen Struktur besonders im Abschnitt über das Selbstbewußtsein deutlich, auf den Seiten von Teil BB (Der Geist), die von der Bildung und der Aufklärung handeln und schließlich in dem Teil über die Kunstreligion. Die Beziehung dieser drei Teile der Phänomenologie zueinander wird als Durchgang durch drei Phasen der sozialen Interaktion interpretiert, die in den Hegelschen
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Begriffen Anerkennung, Entäußerung und schließlich Versöhnung zusammengefaßt werden können. Das Erreichen dieses letzten Begriffs im Abschnitt über die Kunstreligion zeige, daß Hegel in der Phänomenologie ausschließUch die Fähigkeit der Kunst herausstreiche, die Mitglieder einer gegebenen Kultur zu vereinen, eine Bindung unter ihnen herzustellen und auf diese Weise die Konflikte zu überwinden, in die sie miteinander geraten seien und die so lebendig in den beiden anderen besprochenen Teilen der Phänomenologie beschrieben würden. Die Ästhetik — und dies ist die Schlußfolgerung MCCUMBERS — entwickelt ihren eigenen Begriff der Versöhnung in Übereinstimmung mit der Phänomenologie: „Er ist nicht nur vereinbar mit dem vorausgehenden Text, sondern er vervollständigt ihn" (66). So wie sie in den Vorlesungen der Berliner Periode beschrieben wird, besitzt die ästhetische Erfahrung einen emanzipativen Charakter, der sie sowohl von der theoretischen Erkenntnis als auch der praktischen Tätigkeit dadurch unterscheidet, daß er sie zur Grundlage für eine mögliche Befreiung des Individuums macht. Das Subjekt ist in der ästhetischen Erfahrung mit sich selbst versöhnt durch das Gespräch mit dem Kunstwerk. Erst durch die ästhetische Erfahrung wird das Individuum zu einem Ganzen. Die Freiheit und die Verwirklichung, die das Subjekt durch die Begegnung mit der Kunst erfährt, geben ihm eine viel größere und befriedigendere Vorstellung von der Freiheit, als er sie jemals z. B. im politischen Leben erhalten könnte, jedenfalls so, wie es Hegel verstand. Die Vorlesungen über die Ästhetik haben also nach MCCUMBER eine stark utopische, befreiende Komponente und entwickeln eine regelrechte Kritik an Hegels Staatsauffassung in der Philosophie des Rechts. Die Kunst zeige, wieviel Unannehmbares in der modernen Staatsform vorhanden sei und wieviel Unterdrückendes sie zwangsläufig enthalte: sie kritisiere die Gesellschaftssituation auf eine globale, radikale Weise. Die Textverweise, mit denen in Poetic Interaction diese ,pohtische' Interpretation begründet wird, sind spärlich und vollkommen systemlos. Eigentlich hat man den Eindruck, daß diese Seiten nicht so sehr auf die Vorlesungen Hegels als auf die Ästhetik von BLOCH oder ADORNO gemünzt sind. MCCUMBERS Idee von einem utopischen Wert der ästhetischen Erfahrung stützt sich nirgends auf ausdrückliche Stellungnahmen Hegels zu dieser Frage, sondern beruht auf einer Kunstauffassung, die uns zwar recht familiär erscheinen kann, aber von der Position des reifen Hegel ziemlich weit entfernt ist. Im Leben Hegels hat es zwar eine Zeit gegeben, in der man es rechtfertigen konnte, von utopischer Kunstvision zu sprechen; es handelt sich hierbei jedoch um eine Periode aus seiner Jugend, deren Echo in den Vorlesungen nicht mehr herauszuhören ist. Der Verfasser der Poetic Interaction scheint jedoch von dieser ersten Entwicklungsphase Hegels nichts zu wissen, und wenn er — um anhand des Textes seine Interpretation zu untermauern — auf den programmatischen Wert verweist, den die Erfahrung des Schönen bei den Griechen für Hegel besaß, scheint es ihm völlig zu entgehen, daß diese utopische Projektion des Griechentums zwar für die Berner oder Frankfurter Schriften Gültigkeit besitzen mag, nicht jedoch für die Werke aus der Berliner Zeit. Paolo D'Angelo (Roma)
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Vollbrecht, Peter: Das Diskursive und das Poetische. Über den Unterschied philosophischer und poetischer Sprache am Beispiel von Hegel und Celan. Würzburg: Königshausen & Neumann 1989. 323 S. (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft. 37.) Lorenz, Otto: Schweigen in der Dichtung: Hölderlin — Rilke — Celan. Studien zur Poetik deiktisch-elliptischer Schreibweisen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989. 284 S. (Palaestra. 284). Die Wechselbeziehungen zwischen Dichtung und Philosophie sind ein wichtiges, zunehmend an Bedeutung gewinnendes Thema, ln diesem Zusammenhang hat in der jüngsten Vergangenheit auch das Verhältnis des Dichters PAUL CELAN zur Philosophie eine herausragende Rolle gespielt, und dies in einer doppelten Weise. Einmal ging es um die Frage, welche Philosophen und philosophische Theorien CELAN für seine Dichtung und besonders für seine Dichtungstheorie, insbesondere für seine grundlegende Rede Der Meridian, verarbeitet hat. Von besonderer Bedeutung war und ist hier die Begegnung CELANS mit HEIDEGGER. Zum anderen wurde die Frage akut, warum so viele Philosophen — besonders der phänomenologischen Schule — sich der Lyrik CELANS mit ausgedehnten Interpretationen zugewandt haben, etwa LEVINAS, GADAMER und DERRIDA. Die Philosophie besonders des 20. Jahrhunderts, und das betrifft nicht nur CELAN, hat sich stets dann bevorzugt der bildenden Kunst oder eben der Dichtung zugewandt, wenn sie, denkerisch oder sprachUch, an Grenzen gestoßen war — Grenzen, die somit zugleich die Begrenztheit von bestimmten Diskursen indizieren. „Eine grundlegende Infragestellung kommt dem Diskursiven von Seiten der Dichtung zu", benennt PETER VOLLBRECHT in seiner bei H. F. FULDA und G. BUHR in Heidelberg entstandenen Dissertation etwas umständlich dieses Problem. Um den Ursachen dieser Infragestellung näher zu kommen, sucht VOLLBRECHT — ohne sich auch nur im mindesten um die neueren Ansätze zu einer Diskurstheorie (etwa die von JüRGEN LINK) ZU kümmern — nach den Unterschieden zwischen poetischer und diskursiver Sprache. Ist dieses Programm an sich noch ganz einsichtig, so wird zu seiner Einlösung ein Weg beschritten, der kaum überzeugend ist. Um poetische und phüosophische Sprache miteinander zu vergleichen, wählt er nämlich als Antipoden Hegel und CELAN, mit der etwas dürftigen Begründung, die „Pointe eines Vergleichs poetischer und diskursiver Sprache [liege] nun darin, daß Hegels Wissenschaß der Logik als eine fundamentale Diskurstheorie, in der das Denken sich selber denkt, verstanden werden" könne. Die erste Hälfte seiner Arbeit beschäftigt sich denn auch ausschließlich mit Hegel; es geht um die „Diskursivität dialektischer Theorie", d. h. um das alte, vor allem von LIEBRUCKS aufgeworfene Problem der Bewegung des Begriffs in der Wissenschaß der Logik als Sprachbewegung. Im zweiten Teil der Arbeit geht es ihm dann um die Abgrenzung von „poetischer und philosophischer Fundamentabreflexion" am Beispiel der Meridian-Rede. Es geht um das Problem, wie sich das Sprechen des lyrischen Ich konstituiert, und wie CELAN das kommunikative Moment in der Dichtung begründet.
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Dabei steht CELANS dunkler Gedanke der „zweierlei Fremde" im Mittelpunkt. Diesem Gedanken sucht VOLLBRECHT mit der Hegelschen Denkfigur von setzender und voraussetzender Reflexion beizukommen. Nach dem Durchgang durch VOLLBRECHTS verschlungene Argumentationen erschließt sich einem unvoreingenommenen Leser aber die Meridian-Rede nicht deutlicher, im Gegenteil; deutlich wird nur, daß es in die Irre führt, CELAN Hegelschen Kategorien zu unterwerfen. Das eigentliche Interesse, das CELAN an Hegel gehabt hat und das ihn 1960 in Bonn hat das Hegel-Archiv besuchen lassen, bleibt dabei völlig verdeckt. CELAN hat die Hegelschen Vorlesungen zur Ästhetik in der Ausgabe von LUKäCS und insbesondere dessen Vorwort gelesen; aufgrund dieser Lektüre sah er in Hegel einen sozusagen klassischen Vertreter eines sozialen Realismus, der in gewisser Weise mitschuldig sei am „Weg der Kunst... zu Medusenhaupt und Automat", wie CELAN ihn in Der Meridian angedeutet hat. Wie ambivalent das Verhältnis CELANS ZU LUKäCS und zu Hegel zeitlebens geblieben ist, zeigt sich auch daran, daß CELAN erwog, im Juli 1969 an der Vüligster Tagung über das Systemprogramm teilzunehmen. CELANS Interesse am Systemprogramm rührte vor allem daher, daß von Hegel, mindestens vom jungen Hegel, eine direkte Linie zu dem von ihm verehrten HöLDERLIN führt. Dieser Linie von HöLDERLIN — über RILKE — zu CELAN folgt OTTO LORENZ in seiner Göttinger Dissertation (bei H. TURK) von 1983. LORENZ geht es um ein „angemessenes Verständnis der Bedeutsamkeit des Schweigens in Dichtungen". Er erkundet „zunächst den Verstehenshorizont, die poetologisch-hermeneutische Disposition eines für das Werk HöLDERLINS, RILKES und CELANS jeweils repräsentativen Gedichts und enthüll[t] dann - in einem zweiten Schritt — anhand von exemplarischen Interpretationen dieser Gedichte — die Motive, Gestaltungsweisen und kommunikativen Effekte des dichterisch bedeutsam gemachten Schweigens". Die drei Beispiele, an denen LORENZ versucht, „das Phänomen des Schweigens in Dichtungen typologisch zu erfassen", sind HöLDERLINS Friedensfeier, RILKES Achte Duineser Elegie und schließlich CELANS Engführung. Dabei versucht er, CELANS Gedicht von seinen „intertextuellen Anspielungen" her aufzuschließen; konnotiert sei etwa ein Fümskript von JEAN CAYROL oder Redensarten von Bibelstellen oder vorsokratische Lehren. All diese Anspielungen brächten, so seine These, „eine für das Verständnis des Gedichts aufschlußreiche Information". Ob diese Information aber wirklich für die Interpretation des Gedichtes ergiebig ist, wird zu bezweifeln sein, wenn LORENZ nachzuweisen sucht, daß neben den intertextuellen Bezügen zum Werk JEAN PAULS vor allem die zu NIETZSCHES Also sprach Zarathustra eine konstitutive RoUe spielen. Die einzig überzeugende Parallele nämlich (auf die im übrigen früher schon OTTO PöGGELER hingewiesen hat) vom „Rad, langsam, roUt aus sich selber" (im Kapitel „Von den drei Verwandlungen" spricht NIETZSCHE von den Verwandlungen des Geistes zum Kamel, des Kamels zum Löwen und des Löwen schließlich zum Kind, das „Unschuld ist. . . und Vergessen, . . . ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad . . .") könnte ebensogut der — durch RUDOLF OTTO oder QUINTS Einleitung zu seiner MEISTER EcKEHART-Ausgabe vermittelten — westlichen oder der östlichen Mystik (Motiv
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des Lebensrades) entnommen sein; ob CELAN primär an NIETZSCHE gedacht hat, ist unklar. — Weit davon entfernt, endgültige Antworten geben zu können, machen beide Bücher am Beispiel PAUL CELANS doch deutlich, daß mit dem Problemzusammenhang von Dichtung und Philosophie eine der zentralsten Fragestellung gegenwärtigen philosophischen Nachdenkens bezeichnet ist. Christoph Jamme (Bochum)
Friedhelm Nicolin: Von Stuttgart nach Berlin. Die Lebensstationen Hegels. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1991. 100 S.
(Marbacher Magazin. 56.) ISBN 3-928882-31-7. Dieser reich illustrierte Band bietet, wie der Titel verspricht, eine von der Biographie ausgehende Würdigung des Philosophen. Er ist daher in der Konzeption den bekannten Darstellungen von WIEDMANN und GULYGA vergleichbar, überragt diese aber durch größere Präzision und wissenschaftliche Eigenständigkeit. Trotz dieser Vorzüge richtet sich der Band, der aus Anlaß der Eröffnung einer Gedenkstätte in Hegels Geburtshaus erschien, nicht nur an Fachleute, sondern bleibt durchaus allgemeinverständlich. Da das Buch darüber hinaus nicht nur manch seltene, sondern auch einige ganz neue Bilddokumente zugänglich macht, verdient es weite Beachtung. Der Abschnitt über Hegels Stuttgarter Jugendjahre betont den durchgängigen Besuch des Gymnasiums in der Residenzstadt im Kontrast zu dem üblicheren Weg ins Tübinger Stift, dem z. B. HöLDERLIN folgte, dem Weg über die sogenannten ,niederen Seminarien' mit ihrer klösterlichen Atmosphäre. Der Zugang zu Hegels Studienjahren in Tübingen wird nicht nur über eine Beschreibung des Curriculums der angehenden Theologen und eine Charakterisierung der damaligen Professoren, sondern auch über eine Analyse der Lebensbedingungen im Stift gewonnen. Im Kontext der Freundschaften (neben HöLDERLIN und SCHELLING insbesondere mit STäUDLIN) und der studentischen Geselligkeit, die Hegel genoß, wird der tiefe Eindruck dargestellt, den die Französische Revolution auf Hegel und seine Kommilitonen machte. Besondere Aufmerksamkeit wird Hegels damaliger Lektüre und deren Einfluß auf seine zeitgenössischen Aufzeichnungen geschenkt: so begegnet uns LESSING in Hegels Aufsatz Über einige Vortheile, welche uns die Lektüre der alten klassischen Griechischen und Römischen Schriftsteller gewährt und KANT im sogenannten ,Tübinger Fragment'. Hegels Berner Jahre geben zunächst die Gelegenheit, die Existenzform des Hofmeisters, mit ihren Chancen und Risiken, ins Gedächtnis zu rufen. Der Briefwechsel mit SCHELLING wird dann in seinem Quellenwert für Hegels derzeitige Interessen und Aktivitäten herangezogen. Die darin enthaltenen, scharfen Formulierungen über die Verflechtung der Religion mit politischer Despotie werden hervorgehoben, wie es überhaupt
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als besonderes Verdienst dieses Abschnitts gelten darf, daß die Kontinuität von Hegels politischen Interessen deutlich wird: „auch in Bern war [Hegel] bemüht, sich in persönlichen Begegnungen und durch Lektüre aktueller Zeitschriften den Kontakt zur Sache der Französischen Revolution zu erhalten" (28). Die Alpenwanderung mit Hegels Faszination für den Wasserfall des Reichenbaches bildet den Ausklang des Abschnitts über die Schweiz. Die Schilderung der Frankfurter Jahre Hegels unterstreicht die Bedeutung HöLDERLINS: mit diesem Freund und dessen Kreis „fand Hegel wieder ein persönlich, pohtisch und philosophisch anregendes Gespräch" (30). Wie wichtig die politischen Themen für Hegel damals waren, wird dadurch unterstrichen, daß ihnen ein eigener Abschnitt „Zwei politische Streitschriften" gewidmet wird (32—34). Auf den besonderen Reiz von Hegels „Arbeiten in der Stille" jener Jahre wird hingewiesen, aber auch Hegels Studium der Nationalökonomie findet Erwähnung — durch diese Mehrgleisigkeit der Deutungsansätze werden die Einseitigkeiten von DILTHEY und LUKäCS aufgehoben. Konnfe Hegel in Frankfurt die Freundschaft mit HöLDERLIN erneuern, so bedeutete der Übergang an das geistige Zentrum der Universität Jena eine intensive Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit SCHELLING. Hegel sammelte erste Erfahrungen als Hochschullehrer, arbeitete Die Phänomenologie des Geistes aus, erlebte aber auch das geschichtliche Handeln eines „außerordenthchen Mannes", NAPOLEON, und wurde Vater eines unehelichen Sohnes. Mit der Tätigkeit eines Redakteurs der Bamberger Zeitung, die Hegel nun antrat, folgte er einer äußerUchen Notwendigkeit, sein bescheidenes Erbe war aufgezehrt, die Universität Jena lag infolge der Kriegswirren darnieder, aber auch einem sachlichen Interesse, denn er hatte „immer einen Hang zur Politik", wie er an KNEBEL schreibt. Gerade dem politischen Hang, dem er mit der Übernahme des Redakteurpostens zu folgen trachtete, war diese Position unter den damaligen Zensur- und Redaktionsbedingungen aber nicht angemessen, so daß Hegel bald über die „Zeitungs-Galeere" klagte. Dankbar war er unter diesen Umständen für die erneute Hilfe seines Freundes NIETHAMMER, der ihn zum Direktor des Nürnberger Gymnasiums machen konnte. Hegels Aufenthalt in der alten Reichsstadt wurde von dem famihären Glück durchstrahlt, das ihm hier zuteil wurde: er lernte seine Frau MARIE VON TüCHER kennen. Sein beruflicher Alltag als Schuldirektor wurde indessen bald zu einem weiteren „Katzenjammer". Die prosaischen und profanen Pflichten, denen Hegel obliegen mußte, ließen ihn wieder seufzen. Er mußte z. B. um Abtritte für die Schüler kämpfen und schrieb verbittert: „Es ist ein neuer Teil des öffenthchen Unterrichts, dessen Wesentlichkeit ich habe kennen lernen, nämlich der Hinterteil desselben." Trotz dieser Hindernisse setzte Hegel mit der ihm eigenen Energie seine philosophische Arbeit fort und schrieb in Nürnberg seine Logik. Mit dem Ruf nach Heidelberg öffnete sich Hegel wieder die ihm eigentlich zugehörige Welt, die Universität. Der neue Anlauf, den Hegel als Hochschullehrer in Heidelberg nahm, führte ihn rasch über die badischen Grenzen hinaus, bis zum „Mittelpunkt" Berlin. Doch waren die Jahre in Heidelberg glücklich, reich an freundschaftlichen Begegnungen (DAUB, CREUZER, THIBAUT, JEAN PAUL), reich auch
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an Kunst-, Musik- und Naturerlebnissen, und schließlich produktiv in philosophischer und publizistischer Hinsicht. Berlin sieht Hegel auf dem Gipfel seines Ruhmes und, in den großen Vorlesungen, die er dort hält, auch auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Daneben genießt der Philosoph das aufblühende kulturelle Leben der Stadt. Mit dem Schülerkreis, den sich Hegel in Berlin aufbaut, gewinnt er aber auch selbst kulturpolitischen Einfluß. Die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, die einen alten Wunsch Hegels erfüllten und durch die Tatkraft seines Lieblingsschülers GANS verwirklicht wurden, boten der Hegelschen Schule ein wichtiges kulturpolitisches Sprachrohr. Am Ende dieser gelungenen Darstellung der Laufbahn Hegels steht ein Zitat aus der Nachschrift, die DAVID FRIEDRICH STRAUSS von Hegels letzter Vorlesung angefertigt hat. Darin wird in den Losungsworten „Vernunft und Freiheit" nochmals der inhaltliche Leitfaden explizit, der in dem vorliegenden Band die chronologisch-biographische Entwicklungslinie ergänzt. Neben der sich in Hegels Werk systematisch ausgestaltenden Vernunft verdeutlicht NICOLINS Darstellung durch die vielfältigen Hinweise auf Hegels politisches Interesse und Engagement auch das zweite Grundmotiv Hegels, die Freiheit. Aus den 64 z. T. farbigen Bilddokumenten, die den Band abrunden und deren Auswahl schon pauschal gelobt wurde, verdienen einige Stücke noch besondere Erwähnung. Das Porträt von Hegels Urgroßvater, Pfarrer JOHANN GEORG HEGEL, und das schöne Aquarell des Landgutes der Familie STEIGER VON TSCHUGG, auf dem Hegel als Berner Hauslehrer den Sommer verbrachte, waren noch unveröffentlicht. Auch die Faksimüierung einer Jenaer Hörerliste (Collegium privatum über die Logik, SS 1805) und eines Gedichtes, das Hegel für seine Braut verfaßte, ist eine dankenswerte Idee. Ganzseitig farbig reproduziert ist u. a. das SCHLESINGERsche AltersbUd des Philosophen, das man nun mit der von E. BORN gemalten Kopie, die der Katalog Hegel in Berlin (hrsg. von O. Pöggeler, 1981) abbUdet, vergleichen kann. Norbert Waszek (z. Zt. Gieres)
Michael S. Roth: Knowing and History. Appropriations of Hegel in Twentieth-Century France. Ithaca and London: Cornell University Press 1988. 264 S. Eine Geschichte der Hegel-Rezeption erfordert immer und notwendig auch den Versuch, den kulturellen Boden einer solchen Rezeption zu rekonstruieren, um die bestimmten philosophischen Themen, die man bei Hegel findet und auswählt, in diesem Rahmen zurückzustellen. Es handelt sich also darum, diese zwei Untersuchungsrichtungen miteinander zu verbinden, so daß die Betrachtung einer unter bestimmten kulturellen und historischen Bedingungen veranlaß-
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ten Hegel-Rezeption etwas anderes als eine bloße Geschichte der Hegel-Interpretation werden kann: durch einen solchen Ansatz thematisiert man mit dem Interpreten zugleich dessen ,Objekt', wobei man nicht nur die historischen Grundlagen einer besonderen Hegel-Interpretation aufsucht, sondern ebenso am Beispiel Hegels eine bestimmte Idee der Philosophie — ihrer Forderungen und Ansprüche — und des Philosophierens selbst aufklärt. Diesen Voraussetzungen zufolge stellt das Buch von ROTH einen Versuch dar, die Art und Weise nachzuzeichnen, wie die Hegelsche Philosophie in Frankreich seit den 30er Jahren dieses Jahrhunderts durch verschiedene Phasen hindurch (1940, 1950) gelesen, interpretiert, insbesondere aber in den Dienst genommen wurde, um bestimmte philosophische und politische Ziele zu erreichen. Die leitende Idee dieser Arbeit ROTHS liefert eine sachliche Verknüpfung von Problemen, die sich auf die Themen von „philosophischem Erkennen" einerseits und von „Geschichte" andererseits zurückführen lassen, wie für die französische Hegel-Rezeption im ganzen bei JEAN WAHL und ALEXANDRE KOYR£ (Einleitung), JEAN HYPPOLITE (1. Teil), ALEXANDRE KOJ6VE (2. Teil) und ERIC WEIL (3. Teil) gezeigt wird. Wenn aber der Schlüssel zur Aneignung der Hegelschen Philosophie in der französischen Nachkriegszeit in den verschiedenen Verhältnissen zu finden ist, die die Philosophie mit der Geschichte verbinden können, dann liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung in dem Nachweis, welche Wirkungen eine solche thematische Annäherung an Hegel bei den französischen Interpreten für die Idee der Philosophie hat. Hegel und die von ihm etablierte Verbindung zwischen philosophischer Gewißheit und geschichtlicher Wirklichkeit wird so zum methodisch-strategischen Ansatzpunkt, um eine ganz bestimmte politische Stellungnahme gegenüber der Gegenwart zu rechtfertigen. Hegel bringt daher unmittelbar seine französischen Anhänger vor das Problem der Beurteilung politischer Aktualitäten und der politischen Verantwortlichkeit der Philosophie. Sofern allerdings die Hegel-Rezeption bei diesen Autoren von einem solchen Problemrahmen beeinflußt wird, muß man erkennen, daß es sich weder um eine reine Interpretation noch um eine bloße Aktualisierung, sondern um eine faktische Ausnützung seiner Philosophie handelt. Demgemäß muß auch ihre Rekonstruktion verfahren (XII f). Die zweite methodische Folge eines so formulierten Untersuchungsansatzes ist, daß für jeden betrachteten Autor — insbesondere aber für JEAN HYPPOLITE, ALEXANDRE KojfiVE, ERIC WEIL — immer eine Art intellektueller Lebensbahn vorgezeichnet wird, die mit einer wesentlichen Zustimmung zu Hegel und mit einem gewissen Vertrauen an der Wirkungsmöglichkeit der Philosophie in der Realität anfängt, aber durch eine die Themen der Hegelschen Philosophieund Geschichtsauffassung mit der historischen Aktualität verknüpfenden Entwicklung damit endet, daß man Hegelsche Gedanken aufgibt und daß das theoretische Erkennen von der Wirklichkeit und der Geschichte zurücktritt. Somit wird die Philosophie über — allerdings auch gegen — die Geschichte gestellt bzw. ausgespielt. Dies führt schließlich dazu, daß Hegel, der die Verbindung von Philosophie und Geschichte symbolisiert (190 f), durch einen anderen Denker ersetzt wird (NIETZSCHE, HEIDEGGER, einen durch HEIDEGGER vermittelten NIETZSCHE): gera-
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de damit fängt der französische ,poststructuralism' und ,postmodernism' an (Kap. 9: GILLES DELEUZE, MICHEL FOUCAULT). Den philosophischen Weg, der FIYPPOLITE von einer ersten Anhängerschaft an Hegel von dem deutschen Philosophen entfernt hat, bezeichnet ROTH als den Weg „from humanism to Being" (20) — d. i. von Hegel zu HEIDEGGER; von einem „heroic Hegelianism" zu einem „hopeful HEiDEGGERianism" (29). Was diese Wende verursacht hat, ist eine gewandelte Auffassung der geschichtlichen Entwicklung (progress) und der von ihr übriggelassenen Möglichkeit der Transzendenz. Was entsprechend die intellektuelle Lebensbahn KOJ6VES angeht, sieht ROTH in dessen Philosophie den Weg von einem Humanismus und Anthropozentrismus, die den Hegel der Phänomenologie des Geistes MARX annähern, zu einem „discursive sohpsism" (85), zu einer ironischen Einstellung zur Geschichte, die gerade in der These vom Ende der Geschichte begründet ist (125 ff). Der letzte betrachtete Denker, ERIC WEIL, kennt in seiner philosophischen Entwicklung eine Wandlung, die ihm von Hegel zurück zu seinem anfänglichen Neukantianismus führt. Auch in diesem Fall ist die Art und Weise, wie der Philosoph seine Stellung und Aufgabe in der geschichtlichen Realität versteht, der Schlüssel, um diese Wandlung zu analysieren und zu beurteilen. Der innere ,shift' in der Philosophie WEILS kann ebenso in der Perspektive gelesen werden, die von einer , politischen' zu einer , moralischen' — und daher KANT-näheren — Betrachtung der Geschichte übergeht (150, 180 ff). Die Grundlage all dieser philosophischen Wandlungen zeigt sich immer als gedoppelt: einerseits verliert man zwischen den 30er und 60er Jahren von einem historischen und kulturellen Standpunkt her allmählich das Vertrauen, die Vernunft habe die Macht, in die Wirklichkeit einzugreifen und sie politisch nach einer progressiven Entwicklung hin einzurichten; gibt man demzufolge die Idee eines praktischen Engagements der Philosophie auf, dann bleibt dem Philosophen entweder die Suche nach einer Transzendenz (HYPPOLITE oder ein ironisches, aber im Grunde genommen pessimistisches Zurückhalten der Realität gegenüber (KojfiVE) oder lediglich eine moralische Einstellung zur Wirklichkeit und das damit verbundene Aufgeben einer transzendentalen Suche nach den Möglichkeitsbedingungen der Geschichte (WEIL). Andererseits bedeutet, philosophisch-inhaltlich betrachtet, diese Wandlung der Idee der Philosophie eine Verschiebung, die „from a concern with questions of significance to a concern with questions of use and function: from ,what does my (our) history mean' to ,how is the past (and language) put together'" führt, (vgl. 29 mit Bezug auf HYPPOLITE; 85 mit Bezug auf KOJ6VE; 182 f mit Bezug auf WEIL.) Dies wiederum hat zur Konsequenz, daß man nicht mehr fähig ist, die theoretische Erklärung und Erkenntnis der Geschichte mit der Frage nach ihrer Sinngebung zu verknüpfen, bzw. man vermag nicht mehr, den philosophischen Gedanken mit politischen Urteilen in Verbindung zu bringen (191 ff). Angehca Nuzzo (Pisa)
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The Philosophy of T. H. Green. Ed. by Andrew Vincent. Aldershot; Gower 1986. VIII, 156 S. (Avebury Series in Philosophy.)* The last few years have seen a revival of interest in the British HegeUan THOMAS HILL GREEN (1836—1882). MELVIN RICHTER, one of the pioneers of this revival, started his studyi by pointing at the contrast between the historical significance and the modern lack of appreciation of GREEN'S phüosophical achievements: „Between 1880 and 1914, few, if any, other philosophers exerted a greater influence upon British thought and public poUcy than did T. H. GREEN. BRYCE and ASQUITH have testified that GREEN'S Liberal Version of IdeaÜsm superseded Utihtarianism as the most prominent phüosophical school in the universities. . .. And yet. .. much of his work now seems to be what G. K. CHESTERTON called the Crystal Palace, ,the temple of a forgotten faifh'."^ recent years, this Situation has changed considerably. ln 1984, when RICHARD BELLAMY reviewed three studies of GREEN, he even entitled his survey „A Green Revolution"^. The welcome and important collection here under consideration provides further evidence that GREEN scholarship is vivid and on the move. This collection is the outcome of the 1982 Conference held at GREEN'S old Oxford coUege, BaUiol, to commemorate the centenary of his death. ANDREW W. VINCENT, then the efficient Organizer of the Conference, has now completed his efforts by editing the majority of the papers for the present volume. VINCENT also opens the collection with a useful general survey of GREEN'S wide Interests and preoccupations (1—20). This introduction is important as it chaUenges the conventional image according to which GREEN'S phüosophical enterprise was exclusively restricted to poütical phüosophy. VINCENT succeeds in widening this perspective and he provides, at the same time, a survey of previous Green scholarship in which he locates the essays of his collection. The foUowing discussion of these essays is necessarüy selective and wül emphasize the areas in which GREEN'S and HegeTs phüosophies touch. In his magisterial essay on Green's criticism of Hunte (21—35), the late Professor WALSH reminds us, in the first place, of the curious, even Ironie fact that it was GREEN who pioneered and indeed contributed significantly to the HUME scholarship we know today (27 f). For the extensive ,introductions' (if one accepts that denomination for commentaries that run to a total of about 370 pp.) that GREEN wrote to the three books of his 1874 edition^ of HUME'S Treatise are, according to WALSH (27), the first distinctly ,modern' study of HUME to be This review goes back to my Fritz-Thyssen-Fellowship at the Hegel-Archiv (Bochum) 1987/88. I should Uke to thank the Thyssen Foundation for its Support. ^ Melvin Richter: The Politics of Conscience. T. H. Green and His Age. London 1964. In 1983, the University Press of America provided a welcome reprint of this important study. 2 Richter (1964/1983). 13 f. 3 Richard Bellamy: „A Green Revolution". In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. No. 10 (1984), 34-39. ^ The famous two-volume edition he prepared together with T. H. Grose.
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published in English. What this means is that modern empiricism's principal source of inspiration was re-discovered and its significance vindicated by our Idealist. WALSH himself concludes that GREEN was better at detecting weaknesses than at finding points of strength (35). But what he had noted earlier (27) is perhaps more important and indeed striking: even in his criticisms, the fairness of GREEN'S discussion of HUME cannot be doubted. Another important conclusion that could be drawn from WALSH'S lucid analysis is that the methodological achievements of GREEN as a historian of phUosophy are closely related to his Hegelian heritage. WALSH could not bring himself to state this result expUcitly, but his implicit admissions of it can be found in various places (cp.: 22, 28, 32). After having discussed GREEN'S methodology, WALSH speUs out and questions all the major aspects that GREEN found objectionable in HUME, e. g.: his doctrine of ideas as derived from sense-impressions; his mechanistic conception of the way the underStanding works; his account of moral Obligation; etc. Another noteworthy feature of WALSH'S article is that he draws our attention to GREEN'S essay Populär Philosophy in its Relation to Life (1868): it contains three motives that formed the background to GREEN'S later criticism of HUME: his reverence for the contemplative poets (esp. WORDSWORTH), his indebtedness to evangelical religion with its strong sense of sin; his commitment, against the individualistic approach, to the premise of ,man as ciHzen'. B. M. G. REARDON'S essay on Green as a theologian (36—47) throws further üght on the significance of GREEN'S evangelical background. GREEN'S upbringing in a Yorkshire parsonage, REARDON explains, was steeped in Evangelical Christianity. This background continued, by its spirit (as well as by its pulpit tone and manner), if not by its dogmatic content, to exert a strong influence on GREEN'S future career and even on his philosophical undertakings. According to REARDON, HegeTs influence came to play a crucial role in the development of GREENS theology, but remained counterbalanced by this evangelical undercurrent. In his essay T. H. Green and the religion of citizenship (48—61), VINCENT begins by returning to the criticism, as developed in his introduction, of the tendency to study GREEN'S political and moral philosophy in isolation from the rest of his phUosophy. Here, he States his case with the help of an example. He shows that one of the central notions of GREEN S political phUosophy, citizenship, cannot really be grasped without its theological presuppositions. VINCENT elucidates GREEN'S concept of,Christian citizenship' by a stimulating reading of his historical and theological writings. He demonstrates that GREEN'S thought bears more than a passing resemblance to the Hegelian doctrine of the ,cunning of reason', to HegeTs views on the relation of religion and state in general and to his attitude to Catholicism in particular. In this context, the impact of F. C. BAUR'S biblical criticism on GREEN is beautifully clarified (53 f). As the remaining four papers do not bear directly upon GREEN'S relation to Hegel, it may be permitted to summarize them under two headings. (a) The articles by A. J. M. MILNE and PETER NICHOLSON focus on GREEN’S concept of the ,common good'. MILNE distinguishes a ,dominant' from a ,recessive' ethical
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theory in GREEN'S thought. His reformulation of GREEN'S account of the ,common good', in line with the so-called ,recessive' theory, entaUs a form of Welfare State that ,does not presuppose the metaphysical morality of the true good' (74). NICHOLSON reconstructs GREEN'S activities on behalf of the temperance movement (77—82). (GREEN'S teetotalism is of course, if the remark be permitted, at odds with the orthodox Hegelian doctrine and practice!) The more important question which NICHOLSON raises at the end of his thoroughly documented reconstruction is; how can a strict liquor legislation be justified? GREEN'S answer, as presented by NICHOLSON, implies a conception of the ,common good' that is universal. The state, contrary to MILNE'S conception, does not mediate between individuals, but coerces everybody to sobriety. (b) The final papers by REX MARTIN and PAUL HARRIS focus on the theme of rights and obligations. MARTIN presents a very up-to-date GREEN, with a strong emphasis on the requirement of social recognition and socialized cotistht. For MARTIN, GREEN'S account of,right' is a consequence (,a natural outgrowth*, 105) of the natural right theories (HOBBES, SPINOZA, and LOCKE in particular) he was criticising. HARRIS discusses GREEN'S arguments on the impossibility of having rights against the state. What seems to emerge from his analysis is a tension between two goals that GREEN pursued: his interest in poUtical stabUity and his desire for moral perfection of the individual. According to HARRIS, however, GREEN points to a way of reconciling the Claims of the individual and the Claims of Society, and it is in this notion of the acknowledgement of Claims that he has most to offer with respect to poHtical Obligation (141). The Collection is rounded up by a very useful bibliography (143—150) and an index of names and subjects. What Struck me most from my Continental perspective on GREEN is that there are so many parallels between his philosophy and the development of Hegel's School in Germany. All the issues at stäke in the debates of HegeTs German disciples seem to make another appearance in GREEN'S thought. Religion and politics were the problematic areas that split HegeTs School, both topics loom largely in Green's philosophy. With regard to the religious disputes, GREEN is even directly inspired by German sources (F. C. BAUR). Die soziale Frage forced HegeTs foremost German followers to search for new Solutions, GREEN is profoundly worried by the poverty of industrial England. The professionalisation of the history of philosophy, which remained a lasting achievement of HegeTs School in Germany, was crucially linked, as far as Britain is concerned, with the Work of GREEN (and his fellow-Idealists: CAIRD, JOWETT, WALLACE, a. o.).® The possibiUty to follow up such parallels is one of the many reasons for which ViNCENT's initiative to study GREEN in greater detail is to be welcomed. Norbert Waszek (Paris)
5 There existed an older Scottish professionalisation of philosophy (e. g. Dugald Stewart) that cannot be discussed here.
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Frühe Schriften und Entwürfe. 1787—1800. Bearbeitet und kommentiert von Inge Geliert. Berlin: Akademie-Verlag 1991. 767 S. (Philosophiehistorische Texte.) Diese Sammlung von Texten des jungen Hegel trägt Zeichen der Übergangsperiode an sich, in der sie entstanden ist: Die editorische Nachbemerkung (686—688) ist unterzeichnet ,,[Ost-]Berlin, im Dezember 1987", — erschienen ist der Band 1991 in BerÜn/BRD. Der Akademie-Verlag hatte in früheren Jahren im Rahmen seiner Reihe mit philosophiehistorischen Texten diverse Hegel-Editionen der Philosophischen Bibliothek des Meiner-Verlags (z. B. die Neuausgabe der Enzyklopädie von NICOLIN/PöGGELER und die Briefe von und an Hegel von HOFFMEISTER/NICOLIN) in Lizenzausgaben für die DDR übernommen. Dagegen basiert der vorliegende Band auf einer eigenen Konzeption und editorischen Bearbeitung. Der TexthersteUung liegen die Erstdrucke und Editionen seit K. ROSENKRANZ zugrunde, insbesondere natürlich die Publikationen von NOHL (Hegels theologische Jugendschrißen) und HOFFMEISTER (Dokumente zu Hegels Entwicklung). Die Herausgeberin weist darauf hin (687), daß „die Erkenntnisse der Forschung" der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum, die laufend vor allem in den Hegel-Studien dokumentiert sind, Berücksichtigung gefunden haben. Hier muß man anmerken, daß der Sammelband auch in editorischer Hinsicht einen Übergang darstellt. Zwei Jahre vor seinem Erscheinen, 1989, kam als Band 1 der historisch-kritischen Hegel-Gesamtausgabe der erste Teil der Frühen Schrißen heraus. Mit den Stuttgarter, Tübinger und Berner Arbeiten Hegels enthält er dem Umfang nach 60 Prozent des Textes, den INGE GELEERT präsentiert. Daß die kritische Edition von ihr nicht im letzten Augenblick noch bei der Textgestaltung zu Rate gezogen wurde, versteht sich ohne weiteres. Daß sie jedoch keinerlei Erwähnung findet, nicht einmal im abschließenden Literaturverzeichnis, konserviert ein Informationsdefizit. Es hätte zudem die Chance bestanden, im Nachwort anhand der kritischen Ausgabe die Textform zu beschreiben, die den fragmentarischen und oft nur vorläufigen Niederschriften des jungen Hegel eignet und die wieder sichtbar wird, wenn die Edition sich von dem fixierenden Konzept der NoHLschen Erstveröffentlichung befreit. Dies hätte zu einer angemesseneren Charakterisierung der Gesamtheit dieser Manuskripte beitragen können, als sie von NOHL her möglich ist. Da die Herausgeberin in den Ausführungen ihres Nachworts (vgl. 677) ganz in die Nähe des hier angesprochenen Problems gelangt, läßt sich vermuten, daß während der langen Drucklegungszeit des offenbar schon 1987 fertigen Bandes keine Veränderungen oder Erweiterungen mehr erfolgen konnten. Wenden wir uns nun zunächst den Inhalten zu. Aus den Stuttgarter Jugendjahren Hegels hat die Herausgeberin verständlicherweise das vom Gymnasiasten geführte Tagebuch nicht aufgenommen; sie bringt aber zwei der durch ROSENKRANZ überlieferten Schulaufsätze bzw. -deklamationen. Neben diesen Schülerarbeiten steht die Betrachtung Über Lessings Briefwechsel mit seiner Frau, — ein
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Text, dessen Zugehörigkeit zu Hegels frühen Schriften (ohne die Möglichkeit einer genauen chronologischen Bestimmung) seinerzeit von OTTO PöGGELER erkannt wurde. Dem folgen die größeren Gruppen der „Fragmente über Volksreligion und Christentum", des „Leben Jesu" und der „Fragmente über die Positivität der christlichen Religion", wobei die Überschriften nicht reflexionslos nach NOHLS Vorgang gesetzt, sondern als Herausgeberzutat kenntlich gemacht werden. Es fehlen zuvor die vier Predigtkonzepte. Auch das ist für eine Studienausgabe einsichtig, obwohl die Predigten stärker als bisher im Zusammenhang mit Hegels denkerischer Entwicklung gesehen werden müßten — eine bloße Etikettierung als Pflichtaufgaben der theologischen Ausbildung erfaßt ihren Gehalt keinesfalls zureichend. Weggelassen ist auch das Manuskript Hegels zur Psychologie und Transzendentalphilosophie, das an eine in Tübingen gehörte Vorlesung FLATTS anschließt. Die Schweizer Periode wird beendet mit den Aufzeichnungen über eine Alpenwanderung im Sommer 1796. Den Übergang zu den Frankfurter Schriften bUden die „Fragmente historischer Studien", die wegen des Fehlens der Manuskripte im ganzen wie im einzelnen nicht näher datierbar sind. Definitiv nach Frankfurt gehören die hier aus NOHLS Anhang zu einer Gruppe zusammengefaßten vier „Fragmente über Moralität, Liebe, Religion". Dann folgen, in einem Wechsel zur politischen Thematik, die von Hegel verfaßten Erläuterungen aus seiner anonym veröffentlichten Übersetzung der Briefe über das vormalige staatsrechtliche Verhältnip des Waadtlandes zur Stadt Bern und die erhaltengebliebenen Abschnitte der Flugschrift über die württembergische Magistratsverfassung (beide 1798). Die Hauptstücke der Frankfurter Periode werden in folgender Weise dargeboten: als erstes das sog. „Grundkonzept zum Geist des Christentums", dann sieben durchnumerierte „Fragmente zum Geist des Christentums und seinem Schicksal"; den Abschluß bilden das „Systemfragment von 1800" — richtiger wäre es hier, im Plural von zwei Fragmenten zu sprechen, — und die im gleichen Jahre entstandene Neufassung der Einleitung zu dem Berner Text über die Positivität der Religion. Ein doppelter Anhang bringt zuerst das sog. „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" und den gesamten noch erhaltenen Briefwechsel, den Hegel von Bern aus mit HöLDERLIN und mit SCHELLING geführt hat. Ob die Bearbeiterin des Bandes das Systemprogramm in den Anhang verwiesen hat, um es in die unmittelbare Nachbarschaft der Freundeskoixespondenz zu rücken, teilt sie nicht mit. Zu der vielerörterten Frage der Autorschaft nimmt sie nicht explizit Stellung; sie markiert aber die Positionen des Zuschreibungsstreits (vgl. 683 und 732 f). Anhang 11 enthält ein Nachwort der Herausgeberin, dann die vollständig und wörtlich abgedruckte Tabelle zur „Chronologie der Jugendschriften Hegels" von GISELA SCHüLER, einen 50 Seiten starken Anmerkungsteil, eine „Auswahlbibliographie" sowie ein Namenregister. Wünschenswert wäre eine genaue Liste der nicht aufgenommenen Stücke des Gesamtbestands gewesen. Die Textpräsentation ebenso wie die Auswahl und Detailgestaltung der umfcmgreichen Beigaben lassen die Tendenz zu heraüsgeberischer Sorgfalt erkennen. INGE GELLERT gebührt gewiß das Verdienst, materialiter eine handliche Zu-
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sammenstellung „der wichtigsten frühen Hegel-Texte" (686) vorgelegt zu haben. Indessen müssen bei unserer Beurteilung des Bandes an dieser Stelle einige kritische Anmerkungen den Vorrang haben. Zum Verfahren der Textgestaltung sagt GELLERT, sie habe die Orthographie unter Wahrung des Lautstandes vorsichtig modernisiert; „die eigenwillige Interpunktion Hegels blieb dagegen unangetastet und folgt strikt den jeweiligen Textvorlagen unserer Edition" (687). Da eben diese Vorlagen aber nicht die Hegelschen Manuskripte, sondern ihrerseits Editionen sind, in denen schon modernisiert oder normalisiert wurde, vermag die Herausgeberin faktisch weder für die Wahrung des bei Hegel selbst gegebenen Lautstandes noch für die Originaltreue der Interpunktion einzustehen. Von grundsätzlicherer Bedeutung ist die Anordnung der Texte. NOHL hatte thematische Einheiten geschaffen und diesen die größeren Manuskripte bzw. Manuskriptgruppen zugeordnet, auch wenn sie teilweise nur fragmentarisch erhalten, in sich lückenhaft und/oder von Hegel nicht miteinander verbunden sind. Von diesen eigenthchen „Texten" hob er in einem „Anhang" Vorarbeiten ab; sie reichen von Exzerpten und Notizblättern bis zu kleineren darstellerischen Entwürfen. Manchmal hat NOHL mehrere dieser Materialien unter einer Nummer zusammengefügt. Den ganzen Anhang numeriert er durchlaufend, ohne die bezifferten Abschnitte den einzelnen Hauptstücken zuzuordnen. Die historisch-kritische Ausgabe vermeidet eine solche Unterscheidung von Haupt- und Nebentexten, verzichtet auch auf inhaltliche Titel und Gruppierungen, geht zurück auf die kleinsten Manuskripteinheiten, benennt die Stücke nach ihren Anfangsworten und ordnet sie nach der ermittelbaren Entstehungsfolge. Diese Prinzipien sind schon in der von GISELA SCHüLER erarbeiteten Chronologie vorausgesetzt. An ihr hat sich GELLERT orientiert, jedoch nicht konsequent. Sie hält gleichzeitig an NoHLschen Vorgaben fest und schafft so ein editorisches Mixtum, das nicht befriedigen kann. Wir exemplifizieren dies an den neun von ihr zusammengestellten „Fragmenten über Volksreligion und Christentum". Auf NOHLS ersten Hauptabschnitt, das sog. Tübinger Fragment (= Schüler Nr 32), läßt GELLERT als „Fragment 2" den Text folgen, den NOHL als Nr 1 im Anhang bringt. Abgesehen davon, daß bei dieser Reihenfolge die chronologischen Mitteilungen von SCHüLER (vgl. dort Nr 29—31) im Ergebnis umgekehrt werden, trifft die undifferenzierte Bezeichnung „Fragment" nicht zu; es handelt sich nämüch um drei verschiedene Stücke, deren jedes zudem aus unzusammenhängenden Notizen besteht. Ähnliches gilt für „Fragment 3", das NOHLS Anhang 2 umfaßt. Im weiteren Verlauf wird der Hauptabschnitt 4, den NOHL (vgl. dort S. 48) als Ensemble von Schema, erstem Entwurf und reiferer Fassung versteht, auf zwei Fragmente (6 und 7) aufgeteilt: Fragment 6 verbindet das — hier nicht so bezeichnete — „Schema" (= SCHüLER Nr 42) mit dem „Ersten Entwurf" (= Nr 44), während Fragment 7 die „reifere Fassung" aus Abschnitt 4 (= SCHüLER Nr 46) bringt, ihr aber den Text Jetzt braucht die Menge (d. i. NOHLS kurzer Abschnitt 5 = SCHüLER Nr 45) voranstellt. Dieser Versuch, die chronologische Tabelle von SCHüLER zu berücksichtigen, ohne deren Textaufteilung mitzumachen, führt dazu, daß
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die innerhalb von Fragment 7 nach wenigen Seiten unvermittelt auftauchende Überschrift „[Zweite Fassung]" gar keinen verständlichen Bezug hat. Inhaltlich wohl eher als Verlegenheitsmaßnahme (der allerdings die Hegel-Ausgabe von MOLDENHAUER/MICHEL schon im gleichen Sinne vorgearbeitet hat: vgl. dort Bd 1. 101) ist es zu bewerten, wenn als Fragment 8 dieser Gruppe der kleine systematisierende Text Die transzendente Idee von Gott (= NOHL Anhang 3, SCHüLER Nr 47) angeschlossen wird, in dem Hegel sich auf Gedanken FICHTES, REINHOLDS und ScHELLiNGS bezieht. Als Fragment 9 folgt, ebenfalls nicht zwingend, Nr 4 aus NOHLS Anhang (= SCHüLER Nr 48). Der dabei abgedruckte Anfangswortlaut dieses Notizenblatts: „Urkunde der Geschichte bei Lk" beruht übrigens auf einem Lesefehler des Erstherausgebers. Richtig muß es heißen: „Unkunde ..."; es handelt sich um einen aus dem Neuen theologischen Journal exzerpierten Hinweis auf die Unkunde in der Geschichte, die der Evangelist Lukas an den Tag gelegt hat. Dies hätte die Herausgeberin bemerken müssen, da G. SCHüLER in ihrer Chronologie-Tabelle den Fehler bereits korrigierte. Die weiteren Textgruppen sollen hier nicht im einzelnen analysiert werden. Ein Wort aber noch zu „Der Geist des Christentums und sein Schicksal". GELLERT teilt dazu mit: „Wir folgen NOHL jeweils in der Wahl der Zweitfassung und ergänzen bei größeren Textabweichungen." Der Leser möchte annehmen, hier werde über NOHL hinausgegangen. Tatsächlich ist aber gemeint, daß man genau den NOHLschen Text findet, d. h. den Wortlaut der zweiten Fassung, wie NOHL ihn liest, mit den im Original gestrichenen Partien der Erstfassung, die er auswahlweise in Fußnoten mitteilt. Sehr irritierend darum der (wohl auf einem eigenen Mißverständnis der Herausgeberin beruhende) editorische Hinweis, der sich in den Anmerkungen zu S. 491 ff findet: der Abschnitt Der Positivität der Juden . . . (= NOHL 277—301) sei ein „Teil aus der Erstfassung". Das Nachwort (673—685) gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste erinnert an Editionsgeschichtliches, wobei eine mit Recht kritische, aber zugleich doch den Sachverhalt verkürzende Darstellung der Freundesvereinsausgabe gegeben wird, die leider auch handfeste Fehler enthält: so z. B. die unzutreffende Nennung von KARL ROSENKRANZ als Editor der in die Werke eingegliederten Enzyklopädie oder die falsch angegebenen Erscheinungsjahre der drei Logifc-Bände. Richtig festgehalten werden die lange Vernachlässigung der entwicklungsgeschichtlich bedeutsamen Texte Hegels und die Tatsache, daß die endlich erfolgte Edition der frühen Manuskripte durch NOHL eine zu einseitige inhaltliche Vorstellung der Hegelschen Jugendarbeiten vermittelte. Der zweite Abschnitt bietet eine biographisch akzentuierte Skizze der schriftstellerischen Intentionen des jungen Hegel. Auch hier sind sachliche Versehen und Schwächen anzutreffen. Bei der Kennzeichnung der Lehrsituation in Tübingen wird u. a. JOHANN FRIEDRICH FLATT genannt, aber nur mit seiner theologischen Professur ab 1792, während seine vorangegangene Lehrtätigkeit in der philosophischen Fakultät, wo gerade Hegel ihn vor dem Magisterexamen hörte, übersprungen ist. HEINRICH EBERHARD GOTTLOB PAULUS lehrte nach GELLERTS Darstellung ab 1779 im Stift; de facto war dies das Jahr, in dem PAULUS als 18jähriger dort sein Studium aufnahm. Im weiteren wird betont, der einzige
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Text, den Hegel vor 1800 für den Druck vorgesehen habe, sei die CARTsche Streitschrift gewiesen, während die Herausgeberin innerhalb der „Anmerkungen" (vgl. 724) selber darauf verweist, daß Hegel auch sein polemisches Manuskript über die württembergischen Magistratswahlen drucken lassen wollte. Die Anmerkungen enthalten editorische Hinweise zu Druckvorlagen und Manuskriptbefunden (soweit diese den Angaben früherer Herausgeber zu entnehmen sind), Nachweise zu der von Hegel benutzten Literatur, Erläuterungen historisch-biographischer Gegebenheiten, schließlich Übersetzungen lateinischer und griechischer Ausdrücke und Zitate. Obwohl nicht in gleichmäßiger Strenge für den ganzen Band durchgeführt, sind die Anmerkungen hilfreich. Bei den lateinischen Termini der Theologie freilich bleibt der dogmatische Kontext so gut wie unberücksichtigt, was öfters auch unzureichende Übersetzungen nach sich zieht. Sorgsam gearbeitet ist die Bibliographie. Daß die einschlägige Literatur nicht über 1985 hinaus verzeichnet ist, weist noch einmal auf die besondere Situation, in der dieser Band entstand. Friedhelm NicoUn (Düsseldorf)
KURZREFERATE UND SELBSTANZEIGEN
Carla Cordua: El mundo etico. Ensayos sobre la esfera del hombre en la filosofia de Hegel. Sat Cugat del Valles; Anthropos 1989. 249 S. Der vorliegende Band über die ethische Welt mit dem Untertitel,Essays über die Sphäre des Menschlichen in der Philosophie Hegels' vereinigt 7 Aufsätze der chilenischen Philosophie CARLA CORDUA, von denen jedoch nicht angegeben wird, welche eigens für diesen Band verfaßt wurden. Thematisch behandelt CORDUA den Begriff der ethischen Welt, das Prinzip des Willens, die Idee der Modernität sowie abschließend die Bürgerrechte als Verwirklichung der Freiheit. Wie man bereits aus dieser Auflistung der Themen ersehen kann, fehlt dem Band eine übergreifende Einheit, die CORDUA allerdings dadurch gewährleistet sehen will, daß sie die ,praktische Philosophie' Hegels zum Leitfaden nimmt. Dagegen muß man einwenden, daß dieser Anspruch zu allgemein ist, da nur auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts eingegangen wird, ohne aUe dort angesprochenen Probleme zu berücksichtigen. Obwohl CORDUA mit Hegel im Prinzip des rationalen Willens die Konstitutionsbedingung menschlicher Realität sieht, verzichtet sie darauf, die Theorie des objektiven Geistes in ihrer Ganzheit zu erklären oder die Hegelsche Staatstheorie darzulegen. Vielmehr konzentriert sie sich auf das, was sie unfer ethischer Welt versteht, und die nichts anderes als die Sphäre des Menschen bedeutet. Wenn man sich aber bei diesem umfassenden Gegenstandsbereich mit Hegel auseinandersetzt, dann kann man sich nicht auf einen Systemteil beschränken, sondern es wäre notwendig, die ethische Welt auch in anderen Systemteilen wie z.B. der GescWchte der Philosophie, den Vorlesungen über Ästhetik oder in der Philosophie der Religion aufzusuchen. Es ist also schließlich diese zwischen dem Systemteil und der Totalität des Menschlichen bestehende Spannung, die dem Buch von CORDUA zugrundeliegt. Hätte sie Hegels gesamtes Werk, also ebenfalls die ,JugendsGhriften' und die Phänomenologie des Geistes, in Betracht gezogen, wäre sie auf den eigentlichen Kernpunkt der ethischen Welt bei Hegel gestoßen, der durch die philosophische Beziehung von Subjektivität und menschlicher Realität charakterisiert ist. Ehese Kritik soll jedoch den Wert eines Buches nicht schmälern, das sein Ziel doch dahingehend erfüllt, daß seine Einheit eher durch die Absicht als durch den
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LITERARURBERICHTE UND BCRITIK
Inhalt gegeben ist. Diese Absicht liegt darin, die Dimension des ,Menschlichen', die Hegel an unterschiedlichsten Orten seines Werkes behandelt, zu isolieren und ihr eine neue Aktualität zu geben. Obwohl sich CORDUA nicht in diesem Sinn äußert, vermitteln alle ihre Aufsätze den Eindruck, daß die praktische Philosophie Hegels eine ausschließlich philosophische Bedeutung hat, was bei ihr entsprechend der gegenwärtigen Restriktion des Begriffs des Politischen so viel wie ,nicht-politisch' heißt. Demgemäß versucht sie, in der Auseinandersetzung mit Hegel das Überdauernde zu aktualisieren, das bereits ARISTOTELES als Politik bezeichnete — jenen Bereich, der obligatorisch frei von konkreten politischen Etikettierungen bleiben muß, aber gerade dadurch in authentischer Weise für eine menschliche Welt gültig ist. Insbesondere diese Eigenschaft bewirkt eine ungewohnte Lebendigkeit der Aufsätze, die im einzelnen durchaus überzeugen. Über die bloße, sich an den Interpreten wendende Deutung Hegels hinaus stecken sie voller Reflexionen auf die Vergangenheit, die aber stets das Interesse an der Gegenwart wachhalten. Arturo Leyte Coello (Vigo)
Rolf
Hosfeld:
Georg
Wilhelm
Friedrich
Hegel. Berlin:
Stapp
1988.
165 S. (Preußische Köpfe. Bd 22.) gibt anhand des Leitgedankens, daß der Ausgangspunkt der gesamten Philosophie Hegels die Französische Revolution ist (vgl. 25), eine erste Einführung in Leben und Werk Hegels. Die Darstellung sowohl der Rechts- und Geschichtsphilosophie als auch der Phänomenologie des Geistes wird von dieser Position aus unternommen. Als zentrale Frage der Hegelschen Staatsphilosophie kennzeichnet HOSFELD die nach der Möglichkeit einer beständigen Rechtsform für die durch die Französische Revolution ausgelösten Freiheitsimpulse. Der kurze Abriß zur Phänomenologie des Geistes orientiert sich an KOJ6VES Deutung. Im Vordergrund steht die geschichtliche Entwicklung der menschlichen Bewußtseinsformen und das Herr-Knecht-Verhältnis. Als Argument für Hegels Liberalität wird außerdem in dem anekdotenreichen Buch auf dessen Unterstützung von Opfern der Demagogenverfolgung hingewiesen. Des weiteren geht HOSFELD ausführlich auf Hegels Bekanntschaften ein; unter der Fülle der geschilderten Begegnungen drohen allerdings für Hegels Philosophie wichtige Einflüsse, wie der SCHELLINGS in Jena, zu verschwinden. HosFELDS Anspruch, in seinem Buch Hegel nicht kommentieren zu wollen, widersprechen die Darstellungen der Werke Hegels, die je an einer philosophischen Position orientiert sind und dadurch eben diese Position auch einnehmen. Auch tauchen die Probleme, die heute noch mit Hegel bestehen, in dem Buch nicht auf, durch den Bezug auf HOSFELDS Leitgedanken scheinen alle Probleme gelöst. HOSFELD
Kurzreferate und Selbstanzeigen
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Das Buch enthält keine Quellennachweise, was seine Eignung als erste Einleitung schmälert, es verfügt allerdings über ein kurzes Literaturverzeichnis. Stefan Kyora (Dortmund)
Hong-Bin Lim: Absoluter Unterschied und Begriff in der Philosophie Hegels. Frankfurt a. M., Bern, New York, Paris: Peter Lang 1989. 255 S.
Der Begriff des „absoluten Unterschieds" güt als Schlüsselgedanke für eine Rekonstruktion des theoretischen Gangs der Hegelschen Philosophie in den Hauptwerken — der Phänomenologie des Geistes (Erster Teü) und der Wissenschaß der Logik (Zweiter Teil) —, denn für den Autor liegt diese Form des Unterschieds der Genese des „spekulativen Begriffs" zugrunde. Während in der Phänomenologie der „absolute Unterschied" als ein immanentes Moment der Bewußtseinsstruktur erscheint, ist er in der Logik eines der wichtigsten Mittel, das Hegel benutzt, um den logischen Bestimmungen die sprachliche Form der wissenschaftlichen Darstellung zu geben. Angelica Nuzzo (Pisa)
fose Porfirio Miranda: Hegel tenta razon. El mito de la ciencia empfrica.
Iztapalapa/Mexico: Universidad Autönoma Metropolitana 1989. 348 S. Im Unterschied zu der Auffassung, derzufolge man den Begriff der Wissenschaft induktiv gewinnen kann, geht MIRANDA davon aus, daß er a priori vorauszusetzen ist. Daher betont Hegel zurecht die Apriorität eines Begriffs der Wissenschaften, der nur durch die Philosophie erzeugt und gerechtfertigt werden kann. Aus diesem Grund muß auch die Philosophie, die Wissenschaften definiert, selbst wissenschaftlich sein. In einem zweiten Teil behandelt MIRANDA dann Hegels Kritik an der Physik, bei der sich Hegel nicht nur gegen NEWTON, sondern auch gegen die physikalischen Begriffe des gesunden Menschenverstandes wendet, die auch noch der heuhgen Physik zugrundeliegen. Damit erweist sich aber die Physik als ungeeignet, Wirklichkeit zu verstehen. J. P. M.
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LITERARURBERICHTE UND KRITIK
Philip Moran: He^el and the fundamental Problems of phüosophy. Amsterdam:
Grüner 1988. 184 S. Ausgehend von einer marxistischen Hegel-Deutung will MORAN in seinem Buch Dialektik als universale Denkmethode verdeutlichen und an Beispielen, die von philosophischen Grundproblemen bis zu amerikanischen Gerichtsurteilen aus jüngster Zeit reichen, veranschaulichen. Zu Beginn kritisiert MORAN Hegels Idealismus, er trennt Hegels dialektische Methode, die er als die eigentliche Leistung Hegels kennzeichnet, von dessen idealistischer Philosophie. Diese Methode versucht er vor einem marxistischen Hintergrund, der für ihn durch die Schriften von MARX, ENGELS, LENIN und PLECHANOV bestimmt wird, materialistisch umzudeuten. Dialektische Widersprüche, für die er drei Arten angibt, Gegensätze zu vereinigen, verletzen nach seiner Auffassung nicht die Gesetze der formalen Logik. Nach dieser theoretischen Klärung wird dialektisches Denken an den Gegensätzen von Freiheit und Notwendigkeit sowie ökonomischer und politischer Sphäre exemplifiziert, dabei schließt sich MORAN ENGELS' Sicht an. Er kritisiert KANTS kategorischen Imperativ als ein moralisches Ideal, das nur beschreibt, was Wareneigentümer im freien Warenaustausch tun. Wie MARX sieht auch Hegel den Gegensatz von citoyen und bourgeois, Hegel scheitert aber daran, daß er diese Extreme für vermittelbar hält, weil er nicht sieht, daß antagonistische Klasseninteressen Staat und Recht beherrschen, ln der Bewertung der Mittel bürgerlicher Demokratie, der Gewaltenteilung und dem Veto für bestimmte gesellschaftliche Gruppen trennt sich MORAN folgerichtig völlig von Hegels Auffassung. Der Band wird abgeschlossen durch eine repräsentative Auswahl von Schriften MITCHELL FRANKLINS, eines marxistischen Rechtsphilosophen, an dessen Hegel-Rezeption MORAN sich anschließt. MORAN reproduziert ein weiteres Mal gängige marxistische Klischees zur Philosophie Hegels. Hegel wird dabei zum bloßen Vorwand, um die Überlegenheit der marxistischen Philosophie zu beweisen. Die Verbindung der aktuellen politischen Beispiele zu Hegels Denken bleibt daher im Unklaren. Stefan Kyora (Dortmund)
Etemitä e „Darstellung" speculativa nel pensiero di Hegel. (Prefazione di R. Bodei.) Milano: Franco Angeli 1989. 192 S. Gaetano Rametta: II concetto del tempo.
Der Zusammenhang zwischen „Darstellung" und „Vorstellung" ist in der Philosophie Hegels eine notwendige Folge seiner Theorie der Wahrheit als Ganzes und als Bestimmungsproze/?. Die Verbindung von Wahrheit und Prozeß bringt aber das Problem der Zeit in den Vordergrund, während die Idee ihrer (subjekti-
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ven) Vorstellung und spekulativen Darstellung nach zur Analyse der Hegelschen Auffassung der Sprache und der verschiedenen Formen, in welchen die Wahrheit sich ausdrücken läßt, überleitet. Diese komplexe Problematik wird hier innerhalb einer Zeitspanne verfolgt, die von der Jenaer Realphilosophie (1803—1804) bis zur Einleitung zur Wissenschaft der Logik (2. Aufl. 1831) reicht. Angeüca Nuzzo (Pisa)
Karl Marx: Kritiek op Hegels Rechtsßlosofie [Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie]. G. W. F. Hegel: Filosoße van de Staat [Philosophie des Staa-
tes]. Übersetzung und Einleitung von Herman van Erp und Frans van Peperstraten. Tilburg: Tilburg University Press 1987. XLl, 183 S. Nach einer Einleitung folgen eine gute Übersetzung der MARXschen Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie und der §§ 257—329 der Hegelschen Grundlinien, in diesem Fall leider ohne die auch für MARX wichtigen Zusätze. In der Einleitung wird eine ausgewogene Darstellung des Verhältnisses der Hegelschen Rechtsphilosophie zur MARXschen Kritik gegeben. MARX scheitert in seiner Absicht als immanenter Kritiker, da er Hegels Unterschied von bürgerlicher Gesellschaft und Staat nicht als Unterschied, sondern als reale Scheidung deutet. Damit ist ein Begriff der Eigenständigkeit der politischen Aktivität als solcher, da sie nur das ,himmlische' Wesen der realen, wirtschaftlichen Erscheinung wäre, für MARX unmöglich. Lu De Vos (Löwen)
Giuliano Marini: Storicitä del diritto e dignitä dell'uomo. Napoli: Morano
1987. 497 S. Der zweigeteilte Band sammelt Aufsätze, die MARINI in den Jahren 1970—1986 geschrieben hat. Der erste Teil enthält Studien über Autoren und Problemfelder der sog. „historischen Rechtsschule": methodologischer Leitfaden ist hier der Zusammenhang zwischen der philosophischen Theoretisierung der Probleme des Rechts und der Lösung, die die Juristen gefunden haben (vgl. Kap. 2. Über Recht und Sprache in der romantischen Jurisprudenz). — Die Auseinandersetzung mit der historischen Realität bleibt in beiden Fällen immer maßgebend (vgl. Kap. 3. Über das Problem der Kodifikation in Deutschland). Hegels Rechtsphilosophie und seine Polemik gegen die historische Rechtsschule (und gegen SAVIGNY insbesondere — vgl. Kap. 4—6) machen einen der Schwerpunkte dieses Teils des Bandes aus. MARINI geht diesem Zusammenhang mit einem bestimmten Ziel nach: die Ge-
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LITERARURBERICHTE UND KRTHK
schichtlichkeit des Rechts und der verschiedenen Formen der menschlichen Gemeinschaft darzustellen. Diese These wird weiter im zweiten Teil überprüft, wo MARINI sie am Beispiel der italienischen philosophischen Tradition und des Historismus — in memoriam von PIETRO PIOVANI — entfaltet (vgl. z. B. Kap. 2. Über G. Fassö; Kap. 3. Über G. Capograssi; Kap. 5. Über P. Piovani). Angelica Nuzzo (Pisa)
Spowiedz Rewolucjonisty [Die Beichte des Revolutionärs]. — In: Res Publica. Warschau. Jg. 1987, Heft 2 — 1990, Heft 12. TISCHNER, JöZEF:
Vom Februar 1987 bis zum Dezember 1990 sind in „Res PubUca" 25 Kommentare TISCHNERS ZU Hegels Phänomenologie des Geistes erschienen. Diese Lektüre H. s, die ihren Ausgang in der Zeit des Kriegszustandes in Polen nimmt, ist mit der Frage nach der Verantwortung für die Geschichte und nach dem Sinn der Geschichte verbunden. Man kann, wie TISCHNER meint, die Antworten auf diese Fragen in H. s Phänomenologie des Geistes finden. TISCHNER geht es um die besondere Rolle der InteUektueUen während der unruhigen Zeit der Revolution. Diese Rolle besteht darin, daß sie das Geschehene in Begriffen ausdrücken sollen, da nur so der Ort des Menschen in der Geschichte bestimmt und verstanden werden kann. Daher stellt TISCHNER bei der Interpretation des ersten Bandes der Phänomenologie die gemeinsamen Topoi heraus, die besondere geschichtliche Situationen in allgemeinen Kategorien begreiflich machen. Der zweite Band von H. s Werk drängt TISCHNER aber die andere Methode der Interpretation, die Methode der geschichtlichen Parallele auf: Er zieht die Parallele zwischen dem Untergang des römischen und des sowjetischen Imperiums. H. eröffnet nach TISCHNER mit seiner „großen tragischen Philosophie des Guten" in der Phänomenologie eine neue Perspektive für die Gegenwart, welche in einer radikalen Ethik besteht. Barbara Markiewicz (Warszawa)
Bolz, Norbert: Eine kurze Geschichte des Scheins. München: Fink 1991. 138 S. Das Reale, so lautet eine der postmodemen Leitthesen, liege in der Agonie, die Simulation habe inzwischen dessen Nachfolge angetreten und mache das Handeln unbestimmt. BAUDRILLARD, einer der Wortführer dieser Bewegung, hat diese Entwicklung mit nicht eben schlechten Argumenten an den Computerbildern des Golf-Krieges zu exemplifizieren gesucht. BOLZ nun liefert für diese These, daß
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„unser Wirklichkeitsbegriff" sich wandele und durch die „Realität der neuen Medien und Computer" die „Medienästhetik" zur neuen „Leitwissenschaft" werde (Vorwort, 7), in diesem Büchlein die historische Unterfütterung. Er beabsichtigt eine Übersicht über die philosophische Debatte um das Verhältnis zwischen Schein und Sein, wobei er bei PARMENIDES beginnt und bei MANDELBROT endet. Innerhalb dieser Übersicht taucht auch Hegel auf, der an KANT die Einsicht in die „Objektivität des Scheins" gerühmt hat. In der Wissenschafl der Logik habe Hegel, so die (nicht neue) These von BOLZ, den Schein definiert als ein „Sein, das unmittelbar an ihm selbst ein Nichtsein ist" (48). Man müsse bei Hegel also stets beides zusammendenken: „Schein ist nichtig und hat doch realen Bestand ..." Dies wendet BOLZ dann in einem letzten Schritt seiner Kurz-Analyse auf die Theorie vom Scheinen des Absoluten in den Vorlesungen über die Ästhetik an. C. J.
BIBLIOGRAPHIE
ABHANDLUNGEN ZUR HEGEL-FORSCHUNG 1989 Zusammenstellung und Redaktion: Dietmar Köhler (Bochum) unter Mitarbeit von Wilfried Korngiebel
In dieser laufend fortgesetzten Berichterstattung wird versucht, das nicht selbständig erschienene Schrifttum über Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, Sammelbänden usw. möglichst breit zu erfassen und im einzelnen durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Die Anordnung geschieht alphabetisch nach den Namen der Autoren. Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen sind in einem Anhang gesondert zusammengestellt. Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis zum Redaktionsschluß fertiggestellt werden. Sie werden ün nächsten Band nachgeholt. Für diesen Band haben Berichte verfaßt: Edgardo Albizu (Lima), Georgia Apostolopoulou (loannina), GabrieUa Baptist (Roma), SUvina Barese (Rosario), Paolo Becchi (Genova), Claudia Becker (Paderborn), Katharina Comoth (Köln), Felix Duque (Madrid), Istvän Feher (Budapest), Pierre Garniron (Paris), Jeong-Im Kwon (Seoul), Eric von der Luft (New York), Barbara Markiewicz (Warszawa), Mariano de la Maza (Santiago de Chile), Friedhelm Nicolin (Bonn), Mauii Noro (Helsinki), Swiatoslaw Florian Nowicki (Warszawa), Angelica Nuzzo (Firenze), Breno Onetto (Santiago de Chile), Gonzalo Portales (Valparaiso), Lu de Vos (Leuven), Norbert Waszek (Erlangen, Paris), Shen Zhang (Beijing) sowie Wolfgang Bonsiepen, Hans-Jürgen GawoU, Friedrich Hogemann, Christoph Jamme, Dietmar Köhler, Wilfried Komgiebel, Hans-Christian Lucas, Helmut Schneider und Elisabeth Weisser-Lohmann vom Hegel-Archiv (Bochum). Die über Hegel arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. AUen, die solche Hilfe bisher schon leisteten, sei besonders gedankt. Abkürzungen: H. = Hegel Verf. (auch in enghschen Referaten) = Verfasser, Verfasserin
Hegel i argument ontologiczny (Hegel und das ontologische Argument). — In: Studia Filozoficzne. N. 279. Warszawa 1989. 25-37.
ALEKSANDROWICS, DARIUS:
Verf. betrachtet den sog. ontologischen Beweis vom Dasein Gottes, von Anselmus begründet, in seiner H.schen Fassung. H. habe eine Reinterpretation dieses Beweises geleistet. Für H. sei die Identität des Begriffs und des Seins, die die Natur Gottes ist, interessanter als der Übergang vom Begriff Gottes zum Dasein Gottes. Verf. untersucht diese Reinterpreta-
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BiBLIOGRAPfflE
tion, um die Bedeutung des Gottesbegriffs bei H. darzustellen. Gott als absolutes „Über-Subjekt" sei bei H. die Möglichkeit der Objektivität und Wahrheit des Erkennens.
Methode — Geschichte — Sittlichkeit. Ferdinand Tönnies als Ausleger Hegels. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 308-314. ALWAST, JENDRIS:
In einem Aufsatz von 1894 untersuchte Tönnies die Frage nach der Stellung des objektiven Geistes und der Geschichte in H.s System. Tönnies setzte bei H.s Rechtsphilosophie an, in der er H.s neues, nicht auf Vertrag beruhendes Naturrecht hervorhob. Tönnies bestreitet, daß die Philosophie H.s ein Verhältnis zur Weltgeschichte habe. H. sei in wesentlicher Unklarheit über die wirklichen Prozesse des sozialen Lebens geblieben. In einem späten Aufsatz von 1931 schließt sich Tönnies an H.s „gemeinschaftliches Naturrecht" mit seiner Verschmelzung von Moral und Recht an.
Kunst und Schein. Ideengeschichtliche Überlegungen im Ausgang von Hegel. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 125—157.
ANGEHRN, EMIL:
Negativität und Widerspruch in Hegels Ökonomie. Voraussetzungen der Hegelschen Kritik der politischen Ökonomie in der Auseinandersetzung mit Fichte. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 315-328. ARNDT,
ANDREAS:
Verf. geht davon aus, „daß die Behandlung der Ökonomie von seiten der Realphilosophie auf einen Nerv, vielleicht sogar den Nerv der H.sehen Systemkonzeption weist". Er thematisiert hauptsächlich den Naturrechts-Aufsatz und das System der Sittlichkeit, um zunächst die systematischen Gründe zu entwickeln, aus denen H.s Auseinandersetzung mit Fichte zu seiner „Rezeption der Ökonomie" führe. Dann wird gezeigt, warum H. aus systematischen Gründen die politische Ökonomie von A. Smith in sein System integriert, um schließlich im Blick auf Marx die „Eigenart und Grenze der H. sehen Auffassung der Ökonomie am Problem des Widerspruchs" zu verdeutlichen. Den Leitfaden der Darstellung bietet die Entwicklung von H.s Auffassung der Negativität und des Widerspruchs.
La question de la fin de Tart et la poeticite du monde. — In: Synthesis Philosophica. Internationale Ausgabe der Zeitschrift Filozofska Istrazivanja. Zagreb. 4 (1989), 745 — 752. AXELOS, KOSTAS:
Die Frage nach dem Ende der Kunst haben schon Kant, H. und Marx gestellt, während Heidegger auf diese Frage erneut zurückkommt. Der Autor dieses Artikels erweitert und vertieft diese Frage: er untersucht die Beziehungen zwischen Kunst und Technik und erforscht ihre gemeinsame Mitte, techne. Er bedenkt das Ende der großen Dichtung und erschaut, wie und warum aus der Dichtung eine Form der Literatur entstanden ist. Weiter als Dichtung, als menschhehes Werk verstanden, fordert er von uns — in Wort, Denken und Erfahrung — eine Öffnung zum Poetischen hin, und dieses wird uns durch die Welt gegeben. Die Welt ist in ihrem Spiel eine Quelle des Poetischen, das sich auf das Spiel des Menschen beruft.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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S.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. [Griechisch.] — In: Thematike-Alphabetike Ekpaideutike Hellenike Enkyklopaideia. Pankosmio Biographiko Lexiko. Bd 9B. Athen 1989. 426—428. BALLIANOS, PERIKLES
Nach Darstellung der Biographie H.s werden die Grundprobleme seiner Philosophie durch Heranziehung der Hauptwerke dargestellt. Am Ende wird auf die Grenze der Philosophie H.s hingewiesen: H. erkläre am Ende der Geschichte sich selbst zum Propheten der absoluten Wahrheit. Diese chiliastische Mentalität sei nicht weit vom Dogmatismus, der glaube, alle Probleme gelöst zu haben, und den kritischen und rebellischen Instinkt der Dialektik verdecke.
Dialektik der Sittlichkeit. — In: Philosophisches Jahrbuch. Ereiburg, München. 96 (1989), 314—327. BARISIG, PAVO:
Das H.sche Konzept der Dialekbk hebt sich deutlich von Kants Ansatz ab und muß sich so die Frage gefallen lassen, auf welche Weise praktische Philosophie und Dialektik in H.s philosophischem System der Sittlichkeit miteinander in Beziehung treten. Verf. gelangt zu der Einschätzung, daß H.s anderer Zugriff eine Kants Paradigma übertreffende Sittlichkeitsdialektik realisiere: „Die Dialektik der Sittlichkeit ist eigentlich die Rekonstruktion der Konkretheit in der Lebenspraxis. In ihr wird vermittels des Begriffs die substantielle Gesamtheit des geschichtlich-praktischen Universums in Form sittlicher Verhältnisse erschlossen."
Hegel e il principe [Hegel und der Eürstj. — In: Annali della Facoltä di Giurisprudenza di Genova. 22 (1988/89), 231—269.
BECCHI, PAOLO:
Unter den Themen der Forschung über H.s Rechtsphilosophie hat das der fürstlichen Gewalt eine besondere Rolle gespielt. Einige Unterschiede hinsichtlich dieses Punkts zwischen dem veröffentlichten Text und den Vorlesungen haben K.-H. Ilting Mitte der Siebziger Jahre zur Herausgabe der Vorlesungen veranlaßt. Iltings Hypothesen zu diesen Unterschieden wurden mit der Veröffentlichung der ersten (1817/18) und der dritten Vorlesung (1819/20) weitgehend bestätigt. Der Beitrag beschäftigt sich besonders mit der ersten Vorlesung, bietet aber auch eine Übersicht über die anderen Vorlesungen und eine Zusammenfassung des im Texf der Grundlinien vertretenen Standpunktes. Abschließend setzt sich Verf. mit den Auslegungen von Bourgeois, Gesa und Yack kritisch auseinander.
Die Rede vom „Geld des Geistes". — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 13—29.
BEYER, WILHELM RAIMUND:
Verf. analysiert zunächst die semantischen Implikationen in der Metapher vom „Geld des Geistes" (Marx), um sich dann kritisch-polemisierend mit den gegenwärtigen Strömungen der Philosophie wie z. B. der Phänomenologie der Lebens weit oder der Kommunikationstheorie von Habermas auseinanderzusetzen. Hierbei bleibt für ihn die H.sche Forderung nach einer inhalflichen Logik der Begriffe leitend.
Hegels erstem Begriff des Geisfes (1803/04): Herdersche Einflüsse oder Aristotelisches Erbe? — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 27-54. BIENENSTOCK, MYRIAM:
ZU
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BIBLIOGRAPHIE
The Logic of Political Life: Hegel's Conception of Political Philosophy. — ln: Knowledge and Politics. Case Studies in the Relationship Between Epistemology and Political Philosophy. Ed. by M. Dascal and O. Gruengard. Boulder, San Francisco, London 1989. 145-170. BIENENSTOCK, MYRIAM:
The article clarifies the relationship between Hegel's Overall conception of philosophy and his political thought. After an examination of one central feature of Hegel's enterprise; the transformation of „representations" (,Vorstellungen') into „thoughts" (,Gedanken'), of „thoughts" into a „concept" (,Begriff'), the author Claims that Hegel's political philosophy itself shares this Overall purpose of his System: it consists in a kind of conceptual clarification. Thus, aU attempts to comprehend Hegel's political thought in isolation from his philosophical enterprise go ultimately astray.
Wat heet vooruitgang? Leuven, Amersfoort 1989. 67—93: Neemt de geschiedenis in haar vooruitgang de mensen mee? [Nimmt die Geschichte in ihrem Fortgang die Menschen mit?] BOEY, KOEN:
In diesem Kapitel referiert Boey H.s Geschichtsauffassung von der Entwicklung des Geistes in der Phänomenologie aus und zeigt, wie der Geist Fortgang der Freiheit sei. Gegen diese Auffassung moniert Glucksmann, daß solche Vernünftigkeit nur imperialistisch sei, da das Recht sich nur durch Gewalt und Verbrauch von Menschen verwirkliche.
Zur Staatsauffassung des Berner Hegel. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 181-190.
BONDELI,
MARTIN:
Wo liegen die Wurzeln von H.s Sicht der Rolle des Staates, wie sie die Kritik des Christentums und der Entwurf einer neuen Volksreligion entwickeln? Die dort konzipierte Staatsauffassung ist nicht nur vom Kantisch/Fichteschen „moralischen" Staat und dessen Abgrenzung vom Maschinenstaat, sondern auch von den „historisch-politischen Auseinandersetzungen mit dem Bernischen Staat des ausgehenden ancien regime" geprägt. Diese Auseinandersetzung ist konstitutiv für die Berner Staatsauffassung. Die Übersetzung der politischen Streitschrift des waadtländischen Anwalts Gart und die Auseinandersetzung mit der „Finanzverfassung" sind für H. hier entscheidend. Der entscheidende Leitgedanke, unter dem H. den Bernischen Staat behandelt, ist der „Gedankenstaat". Am Berner Staat erkennt H. exemplarisch einige Spezifika der modernen Staaten und kritisiert diese aus der Perspektive seines republikanischen Ideals. Mit dieser Kritik einhergehend entwickelt H. „eine Art Stufenbau eines moralischen Staates", die eine Rohfassung der späteren Erarbeitung des Verhältnisses von Staat und bürgerlicher Gesellschaft ist.
Der Zusammenhang von Naturevolution und geschichtlicher Entwicklung in Hegels Berliner System. - In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 293—322.
BONSIEPEN, WOLFGANG:
Verf. untersucht das Verhältnis von H.s Natur- und Geschichtsphilosophie auf dem Hintergrund seiner Rezeption der Aristotelischen Kontinuumtheorie. H.s Argumentationsgang sowohl in der Natur- als auch in der Geistesphilosophie entspricht weitgehend der heute vergessenen, aber im 18. Jahrhundert noch lebendigen Minima-naturalia-Theorie, die sich
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bei Aristoteles im Rahmen seiner Kontinuumtheorie anbahnt und dann im Mittelalter ausgearbeitet wird. H. richtet sich im Sinne einer solchen Theorie gegen die atomistische Naturund Geschichtsauffassung. Die von H. betonte Entgegensetzung von Geist und Natur, Geistes- und Naturphilosophie sieht Verf. durch seine Beobachtung, daß sich H. in beiden Teilen seiner Philosophie einer ähnlichen Argumentationsform bedient, relativiert.
Hegel et la deraison dans l'histoire. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 57—79. BOURGEOIS, BERNARD:
Nach H. hat Luther in der Innerlichkeit des Subjekts das christliche Prinzip der konkreten Freiheit realisiert, indem er die subjektive Freiheit und die objektive Wahrheit und dadurch Religion und Staat versöhnte. Im protestantischen Staat sind aber Subjektivität und Objektivität wieder auseinandergetreten. Allein die spekulative Philosophie vermag die Einheit von ethisch-politischem und religiösem Leben herzustellen, den Widerspruch zwischen Vernunft und Unvernunft aufzulösen.
einer Neubewertung der Hegelschen Ästhetik. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß. Die griechischen Texte der Teilnehmer aus Griechenland. [Griechisch.]. Athen 1989. 66—74. BOZONES, GEORGIOS: ZU
Zuerst französisch erschienen in: Chronika Aisthetikes. Athen. 21/22 (1982—1983), 85—89. Vgl. dazu Hegel-Studien. 21 (1986), 292.
La volonte en Dieu. Thomas d'Aquin et Hegel. — In: Revue Philosophique de Louvain. Louvain-la-Neuve. 87 (1989), 391—426. BRITO, EMILIO:
Die Untersuchung vergleicht die thomasische Lehre des Willens in Gott mit H.s Theorie des Wollens der Idee und der Freiheit des Geistes. Die H.sche Idee, der im Unterschied zum thomasischen Gott jede wirklich ekstatische wollensmäßige Tendenz ermangelt, artikuliert nur das assimilatorische Moment der Selbsterkenntnis des absoluten Geistes. Dagegen zeigt Thomas nicht hinreichend das Band zwischen dem göttlichen liberum arbitrium, das H. zu Unrecht leugnet, und der notwendigen Rationalität der göttlichen Freiheit, die H. zutiefst erfaßt hat. Daher bemüht sich Verf., die Absolutheit der Freiheit in der Versöhnung der thomasischen Projektion der possibiha mit der H.sehen Introjektion der Notwendigkeit zu entziffern.
Die Entäußerung und die Erinnerung der Objektivität. Zum Subjektivitäts- und Entwicklungsbegriff bei Hegel. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 260—270. BROCKMEIER, JENS:
Die „Kritik an subjektphilosophischen und identitätstheoretischen Teleologiemodellen" im neo- und poststrukturalistischen Diskurs erweckt den Eindruck, „als seien nun ein für allemal die Gedankenkonstruktionen wie phantastische Kartenhäuser zusammengefallen, in denen sich, sei es geschichtsphilosophisch, erkenntnistheoretisch oder moralphilosophisch, die Vorstellung der zielgerichteten Selbstentwicklung eines autonomen Subjekts in philosophische Gebäude wie in ideologische Kulissen umzusetzen suchte". Sieht man in H. „die absolute Systemvollendung dieses Denktyps" und kritisiert man ihn als „Systematiker der te-
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BIBLIOGRAPHIE
leologischen Denkform", so gerät man in Gefahr, „die operative Reichweite seiner Denkmittel zu unterschätzen", die H. gerade „aus der Opposition zum Kritizismus wie zur ganzen Tradition des bewußtseinsphilosophischen Subjektivismus und des für H, allein endlichen Denkens einer bloß formellen Verstandes-Vernunft heraus" entwickelt hat.
De Vrouw hart en hoofd van het huis. Levinas' visie op de vrouw als huis: Ambiguiteit als bron van subjectkritiek en aanleiding voor een vergelijking met Hegels presentatie van de vrouw in de Phänomenologie des Geistes [Die Frau: Herz und Haupt des Hauses. Levinas' Deutung der Frau als Haus: Doppeldeutigkeit als Quelle der Subjektkritik und Anlaß einer Vergleichung mit Hegels Darstellung der Frau in der Ph. d.G.]. — ln: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 51 (1989), 444-485. BRUGGEMANN-KRUIJFF, ARIE:
Wo Levinas der Frau eine Schlüsselstelle in der Subjekt-Genese zuerkennt, ist die Frau bei H. nur Dienerin der Selbstentfaltung des männlichen Selbstbewußtseins.
Hegel und die Französische Revolution. — ln: Synthesis Philosophica. Internationale Ausgabe der Zeitschrift Filozofska Istrazivanja. Zagreb. 4 (1989), 377—389. BRUNKHORST, HAUKE:
Die Grundidee von H.s politischer Philosophie betrachtet Verf. als doppelte Realisierung des modernen Prinzips der Einzelnheit. Während sich dieses Prinzip der Subjektivität in der bürgerlichen Gesellschaft als Atomismus des Privateigentums reaUsiert, realisiert es sich im modernen Staat als „allgemeines Leben" in einer „Vereinigung als solcher". Es ist die mit der Französischen Revolution durchgesetzte Einsicht, daß der moderne Staat das allgemeine Leben durch eine radikale Aufhebung des Privateigentums am Staat verwirklichen muß. Auch dieses Moüv zieht sich wie ein roter Faden durch H.s ganzes Werk.
Rousseau, Hegel und die Dialektik der Aufklärung. — ln: Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. v. J. Schmidt. Darmstadt 1989. 404—420. BUBNER, RüDIGER:
Rousseau sah bereits die Dialektik der Aufklärung, die zwar einen Fortschritt darstellt, aber zugleich die Möghchkeit zu einem naturgemäßen Leben verliert. H. löst diesen Konflikt, indem er Aufklärung als einen weiterführenden Weg versteht, nicht aber als Ziel. Die Vernunft heilt die Entzweiung des Verstandes. Besonders in der Phänomenologie des Geistes weist Hegel als Antwort an Rousseau der Aufklärung ihren relativen Platz an. Verf. sieht in H.s Analyse des Problems einen bis heute gültigen Lösungsansatz.
Das Recht der Logik. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 69-78. BULTHAUP, PETER:
Wenn auch die Logik mit ihren ersten Axiomen nicht durch apodiktische Beweise begründbar ist, muß sie doch nicht der immanenten Rechtfertigung entbehren. Vernünftiges, logisches Denken setzt einen Gegenstandsbezug voraus, von dem her sie auch begründbar ist. Die von ihrem Gegenstandsbezug ausgehende immanente Rechtfertigung der Logik er-
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zwingt dann den Übergang von der formalen zur transzendentalen Logik. Unter diesem Gesichtspunkt nähert sich Verf. der H.sehen Logik, die den Gegenstandsbezug der Logik explizit thematisiert. Verf. kommt u. a. zu dem Ergebnis, daß die als Dialektik ausgeführte transzendentale Logik inkompatibel mit der Apologie der Herrschaft ist, „weil die logischen Bestimmungen prätendieren, ihre Voraussetzungen selbst zu setzen, nicht nur gegebene sich zu subsumieren".
G.; SANTORO, L.: Hegel, Croce, Gentile; On the Idea of the „Ethical State". — In: Philosophical Studies. Dublin. 32 (1988—90), 113-125. CASALE,
Gentiles „ethischer Staat" stimmt mit H.s Auffassung des Staates als „objektiver Geist" insofern überein, als die Ziele des einzelnen Bürgers vollständig in den allgemeinen Interessen der Gesellschaft aufgehen. Croces Kritik basiert auf drei Hauptpunkten; 1) der Kritik an der H.schen Dialektik, 2) der Unterscheidung zwischen stato und cultura (Volksgeist), 3) der Unzufriedenheit mit dem Faschismus. Die Auseinandersetzung zwischen Croce und Gentile veranschaulicht in komplexer Weise die differenzierte Auseinandersetzung beider mit der H.schen Theorie des Staates.
L'ereditä greca neli'antropologia hegeliana [Das griechische Erbe in H.s Anthropologie]. — In: Verifiche. Trento. 18 (1989), 239 - 281. CHIEREGHIN,
FRANCO:
Von den Jenaer Systementwürfen bis zum Berliner System ist in H.s Auffassung von der Seele der Einfluß des griechischen Denkens und besonders von Aristoteles' De anima und Parva naturalia nicht nur in der Argumentationsweise (z. B. in der Definition der Seele als natürlichen Geistes, in der Heranziehung des griechischen ,nous'), sondern auch in den benutzten Beispielen klar erkennbar. Aber die Differenzen sind genauso wesentlich, etwa H.s Unterscheidung zwischen tierischer und menschlicher Seele, zwischen Gefühl oder Empfindung innerhalb der Naturphilosophie und Verleiblichung des Geistes innerhalb der Anthropologie. Insbesondere H.s systematischer Versuch, dirrch die Entzweiungen und Zerrissenheiten des Bewußtseins (Phänomenologie) die Vermittlung zwischen Seele und Geist innerhalb seiner Philosophie des subjektiven Geistes zu garantieren, ist dem antiken Denken fremd.
I fondamenti logico-metafisid della distinzione tra stato dei liberi e societä del lavoro nei primi scritti jenes! di Hegel [Die logisch-metaphysischen Grundlagen der Unterscheidung zwischen Staat der Freien und Gesellschaft der Arbeit in Hegels ersten Jenaer Schriften]. - In: Verifiche. Trento. 18 (1989), 421-442. CHIEREGHIN, FRANCO:
Verf. thematisiert die Begriffe relative und absolute Sittlichkeit, wie sie im Naturrechtaufsatz und im System der Sittlichkeit Vorkommen, und stellt sie in Zusammenhang mit der parallelen Unterscheidung zwischen Logik und Metaphysik, in der sich H.s erstes Jenaer System artikuliert, wobei einerseits die Welt der Endlichkeit und andererseits die Einheit des Ganzen zum Ausdruck kommt. Ist die Welt der relativen Sittlichkeit diejenige der konkreten und unüberbrückbaren Differenzen der Bedürfnisse, der Beziehungen und Verhältnisse unter Einzelnen sowie der formellen Gleichheit des Verstandes, so herrscht in der Welt der absoluten
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BIBLIOGRAPHIE
Sittlichkeit die Freiheit, und der Einzelne lebt für das Ganze innerhalb einer organischen Allgemeinheit. In dieser Parallelität zwischen logisch-metaphysischer und realphilosophischer Reflexion sieht Verf. sowohl eine platonisch geprägte Dichotomie, als auch eine aristotelisch inspirierte einheitliche Instanz, die die späteren Entwicklungen bedingen wird.
Freiheit und Notwendigkeit als normative Prinzipien des Geistes. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 104-119. CHRONES, NIKOLAOS;
H. kann die Einheit von Notwendigkeit und Freiheit als eine dialektische Synthesis darstellen, deren Bedingung der Geist selbst ist. Die Selbständigkeit der Notwendigkeit wird entkräftet und der Beitrag der letzteren zur Verwirklichung der Freiheit als der höchsten Bestimmung des Geistes wird so geklärt, daß die Freiheit und die Notwendigkeit einerseits zu Ausdrücken der Gesetzlichkeit des Geistes und andererseits zu normativen Prinzipien des Fortgangs des Geistes gemacht werden. H.s Lösung ist keine willkürliche Konstruktion, sondern eine begründete Auffassung, zu der H. durch die dialektische Bearbeitung von Positionen anderer Philosophen gelangte.
CoMOTH, KATHARINA: Analogie und Reflexion bei G. W. F. Hegel und
Thomas von Aquin. — In: Actualitas omnium actuum. Festschrift für Heinrich Beck zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. E. Schädel. Frankfurt a. M. [etc.] 1989. 121-127. Verf. beginnt mit Auslegung imd Darstellung der Platonischen analogia als ,und', die des näheren begründete Konstruktion von Triangeln ist. Ciceros Übersetzung des Timaios hat ,die Verbindung' als klassische Formel (und Gestaltung) an das lateinische MA weitergegeben: analogia idest proportio. Die Hegelsche Analogie von der Identität der Identität und Nichtidentität wird mit Thomas (trinitarisch) geführt, in dessen Summa theologiae Hegel im Selbstzitat „gründliche metaphysische (spekulative) Gedanken über den ganzen Umfang der Theologie und Philosophie" fand: aequaütas (aequale dicitur aequali aequale) et simiUtudo. Analogie und Reflexion bei Hegel und Thomas werden ver-glichen in systematischer Aus-einandersetzung (um Vor(-)steUung und Adaequat-sein).
CoRDUA, CARLA: Estudio Critico. Lögica y Teorfa Politica en Hegel [Kriti-
sche Studie. Logik und politische Theorie bei H.]. — In: Diälogos. Rio Piedras/Puerto Rico. 24 (1989), N. 54, 225—244. Verf. unternimmt eine kritische Revision der in den achtziger Jahren erschienenen Arbeiten zu H.s Rechtsphilosophie. Ihrer Ansicht nach beschäftigen sich diese Arbeiten generell mit der Logik der verschiedenen Disziplinen des H.sehen Systems, indem durchgängig die Beziehungen zwischen den Gebieten aus verschiedenen Blickwinkeln thematisiert werden. Unter dieser Prämisse wird die Logik der H. sehen Rechtsphilosophie anhand einer Reihe von Arbeiten diskutiert, die z. T. einer sehr deutlichen Kritik unterzogen werden.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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Hegel's critique of modern Natural Law. — In: Hegel on the ethical life, religion, and philosophy. 1793—1807. Ed. by A. Wylleman. Leuven, Dordrecht 1989. 81—117. CRUYSBERGHS, PAUL:
H.s Naturrechts-Aufsatz ist dem Programm des Journals ßr Philosophie verpflichtet; dessen kritisches Anliegen setzt einen wahren Begriff von Philosophie allerdings bereits voraus. Das Erkennen des Absoluten ist der Gegenstand der Phüosophie. Verf. zeigt, wie diese Idee des Absoluten sowohl H.s Kritik am Empirismus und Formalismus des Naturrechts bestimmt als auch seine eigene Konzeption. Die Systemkonzeption des Naturrechts-Aufsatzes bildet eine Zwischenposition zwischen der Differenz-Schrift und den späteren Entwürfen der Jenaer Zeit. Die Systemfrage ist aber nicht H.s vorrangiges Interesse, sondern das zentrale Anliegen ist die Bestimmung der Bedeutung des Naturrechts für die praktische Philosophie. Innerhalb der Naturrechtstheorien ist es vor allem deren Bezug auf einen Inhalt und dessen rationale Erfassung, der H. am Naturrecht interessiert und den er für die eigene Konzeption fruchtbar macht.
Ziek aan affectiviteit. Hegel over somnambulisme en krankzinnigheid [Der Affektivität krank. Hegel über Somnambulismus und Verrücktheit]. — In: Algemeen Nederlands Tijdschrift voor Wijsbegeerte. Assen. 81 (1989), 188-201. CRUYSBERGHS, PAUL:
Die Krankheiten der Seele, nicht des Geistes, wie Somnambuhsmus und Verrücktheit weisen auch für H. hin auf die irreduzible Bedeutung des ,Unbewußten'. Denn sie zeigen das Gefühlsleben in dessen Reinheit. Dieses Gefühlsleben muß aber für H. in ein bewußtes Leben integriert werden. Deswegen sind die genannten Krankheiten Krankheiten, weil sie nicht als Moment integriert sind, sondern sich des Bewußtseins bemächtigen.
B.: Hegel's Philosophy on God in the Light of Kierkegaard's Criticism (Commentary by R. Perkins). — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 93-111. CuLLEN,
Aus Cullens Analyse des Gott-Mensch-Verhältnisses in H.s Religionsphilosophie im Vergleich zur Kritik Kierkegaards folgt, daß dieser H.s Begriff der „Aufhebung" und der „Vermittlung" wesentlich mißverstanden hat: H.s Auffassung dieses Verhältnisses sei sowohl „existentialistisch" als auch „spekulativ". Gegen die dieser Kritik zugrundeliegende existentiahstische Vereinfachung wird hervorgehoben, daß H. seine systematische Philosophie als Antwort auf die historische „Entzweiimg" auf der Ebene der geschichthchen Existenz entwickelt hat.
„Fenomenologia della metafisica" e „panteismo mistico". Note in margine aUa Jugendgeschichte Hegels di W. Dilthey [„Phänomenologie der Metaphysik" und „metaphysischer Pantheismus". Randbemerkungen zu W. Diltheys Jugendgeschichte Hegels], — In: Archivio di storia della cultura. Napoli. 2 (1989), 199—211. D'ANTUONO,
EMILIA:
DUtheys Lektüre von H.s Jugendschriften erkennt in H.s .Phänomenologie der Metaphysik' und .mystischem Pantheismus' die Leitfäden einer theoretischen Überlegung, in der
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BIBLIOGRAPHIE
hauptsächlich Konstitutionsprozesse der historischen Vernunft herausgehoben werden. Die Kritik an der Ontologie und an der traditionellen Logik wird durch die Auseinandersetzung mit geschichtlichen Objektivierungen (Judentum, Griechentum, Christentum) geführt, die als geschichtlich vermittelte Metaphysiken und als verschiedene Weisen des Wissens vom Sein verstanden werden. Dabei sind leitend die Orientierung an Griechenland, die Auffassung des tragischen Begriffes des Schicksals als blinder Notwendigkeit, die zum Bewußtsein gebracht werden soll, sowie die Idee des Seins als Leben.
A.: The conjunction of property and freedom in HegeTs Phüosophy of Right. — In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim a. Gl. 43 (1989), 111-123. DAVIS, RICHARD
Auf der Textgrundlage der Grundlinien der Philosophie des Rechts und einiger Vorlesungsnachschriften untersucht Verf., inwiefern H.s Konzeption der Freiheit eine graduelle Bereicherung des Geistes bedeutet. Daraus ergibt sich, daß für H. Freiheit eine Geschichte haben müsse bzw. ihr ein Entwicklungsprozeß eigen sei. In der Folge erweist sich, daß Eigentum die stufenweise Verwirklichung der Freiheit bzw. des Rechts vermittelt.
Can phüosophy laugh at itself? On Hegel and Aristophanes. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 20 (1988/1989), N. 2, 131-149. DESMOND, WILLIAM:
An Investigation of the depth of H.'s appreciation of Aristophanes in particular and comedy in general, showing how H. offen used sarcastic, morbid, and sometimes vulgär humor to iUustrate phüosophical points — and indeed, to philosophize. Verf. mentions not only H.'s well known demolitions of Schelling, phrenology, Robespierre, etc. in PhG, but also some examples from H.'s letters, e. g., his descriptions of difficulties he encountered with the boys' toilet facUities when he was a Gymnasiumrektor. H. was an earthy, uninhibited feUow, always ready to debunk any form of self-importance. The main point is that H. did not consider phüosophy a solemn enterprise, but rather an opportunity to poke fun at thought, at ourselves, and at hfe and the world in general. H. joins Aristophanes in ridiculing Socrates.
Platon und Hegel. [Griechisch.] — In: Hegel: Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 25—39.
DESPOTOPOULOS, KONSTANTINOS:
Zuerst erschienen in: Nea Hestia. Athen. 112 (1982), 1005—1010. Vgl. dazu: Hegel-Studien. 19 (1984), 407-408.
The significance of manifest religion in the Phenomenology. — In: Hegel on the ethical life, religion, and phüosophy. 1793—1807. Ed. by A. Wylleman. Leuven, Dordrecht 1989. 195 —229.
DEVOS, ROB:
Verf. behandelt (1.) die Darstellung der Religion in der Phänomenologie, um (2.) entwickeln zu können, inwiefern die Religion, insbesondere das Christentum, den wahren Inhalt des Begriffs darstelle, aber (3.) notwendig im absoluten Wissen aufgehoben werde. (A. Von der Defizienz der religiösen Versöhnung, B. Von der Vorstellung zum Begriff, C. Das Ende der
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Religion.) Schließlich wird untersucht, ob H. der Religion eine notwendige Funktion in der Genese und Konstitution des absoluten Wissens zubemißt.
Hegel et Hölderlin. Le sens d'un rencontre. — In: Cultural Hermeneutics of Modern Art. Essays in Honor of Jan Aler. Ed. by H. Dethier, E. Willems. Amsterdam, Atlanta/Ga. 1989. 223—231. D'HONDT, JACQUES:
Verf. geht es um den Bund, den Schelling, Hölderlin und H. im Tübinger Stift schlossen und der unter Losungen wie „Reich Gottes" stand. Dabei diskutiert Verf. die schon damals vehement erhobene Klage über die „misere aUemande".
Les le^ons hegeliennes de l'histoire. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 17—32. D'HONDT, JACQUES:
ln einem der bekanntesten Texte der Rechtsphilosophie sagt H., die Philosophie komme immer zu spät, wenn sie die Welt belehren wolle, wie sie sein müsse. Dennoch schließt H. nicht jede Belehrung durch die Geschichte aus: sie mahnt die Herrschenden, die Reformen zu vollziehen, die an der Zeit sind; versuchten sie, sich gegen die notwendigen Veränderungen zu stemmen, so vollzögen sich diese ohne sie und gegen sie.
Hegel versus New Orthodoxy (Commentary by D. Cornell). — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 219—241. DIEN WINFIELD, RICHARD:
Indem die Epistemologie-Kritik der Phänomenologie des Geistes als Etablierung einer „naturalized epistemology" gelesen und somit „dekonstruiert" wird, soU sie der „New Orthodoxy" als Begründung von drei Zentralthesen dienen: 1) Erkenntnis mit Letztbegründungsanspruch kann sich nie selbst rechtfertigen; 2) Erkenntnis ist immer an die historische Praxis gebunden; 3) alle Erkenntrüs hat Letztbegründungsanspruch, ihr historischer Charakter ist aber Voraussetzung ihres Geltungsanspruchs. H.s Phänomenologie stützt zwar die Thesen 1 und 2, nicht aber die für die „nafuralized epistemology" zentrale These 3.
The woman in white: On the reception of HegeTs Antigone. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 21 (1989/1990), N. 1, 65-89. DONOUGHO, MARTIN:
In terms of H.'s whole theory of tragedy, Verf. re-evaluates H.'s Interpretation and use of Sophocles' drama and also answers many of H.'s critics, from Goethe down to our own contemporaries. In general, H. holds the Antigone to be an aesthetic model of the natural relationship between the divine and the human elements of ethical selfconsciousness. This means that H. is interested in Antigone and Creon, not as psychological types, but as respective paradigms of efhical conflict, and thus as two unique personaüties which manifest this conflict in quasi-history. In other words, H. treats the plot as if it were history, and uses the tragedy to expoimd upon what he sees as an aspect of the logic of history. Accordingly, Verf. defends H.'s „unscholarly", Procrustean, and un-Sophoclean employment of the drama, and chides those who attack H. for being untrue to the letter and spirit of Sophocles.
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BIBLIOGRAPHIE
Dialektik und Geschichtsmetaphysik in Hegels Konzeption philosophiegeschichtlicher Entwicklung. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 127—145. DüSING, KLAUS:
„H. stellt im Rahmen seiner spekulativ-idealisttschen Philosophie als erster eine philosophisch grundlegende Theorie der Philosophiegeschichtsschreibung auf und sucht, ihr in concreto in der Durchführung gerecht zu werden. So muß jede gegenwärtige Bemühung um einen philosophischen Sinn der Philosophiegeschichtsschreibung an Hegels Theorie anknüpfen und sich mit ihr auseinandersetzen." Dies genau unternimmt der Aufsatz, indem er in einem ersten Schritt die logisch-dialektische Ordnung, die H.s Abfolge philosophischer Theorien zugrundeliegt, herauszupräparieren sucht. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, wie H. diese Theorie der Philosophiegeschichte in seine „universalistische Geschichtsmetaphysik" einordnet.
K.: Hegel's Revenche on Russell: The ,Is' of Identity versus the ,Is' of Predication (Commentary by N. Findlay). — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 111-135. DULCKEIT,
Das Problem der „informativeness of Statements of identity", das sowohl für Frege und Russell als auch für Kripke so bedeutsam war, macht die Basis für H.s These der „Identität im Unterschied" aus, die von Russell stark kritisiert wurde, indem er H. die Verwechselung des „ist" der Kopula mit dem „ist" der Identität vorwarf. Verf. zeigt nicht nur, daß H. diesen trivialen Fehler nicht begeht, sondern auch, daß die Idee der „Identität im Unterschied" eine hinsichtlich der „informativeness" der Identitätsaussagen fruchtbarere Theorie als die Russellsche „Theory of Descriptions" begründen kann.
A.: Marx's Idealist Critique of Hegel's Theory of Society and Politics. — In: The Review of Politics. Notre Dame, Indiana. 51 (1989), 218-239. DUQUETTE, DAVID
Verf. analysierf die unterschiedlichen Auffassungen, die H. und Marx von der Funktion des Staates haben. Dabei zeigt sich, daß Marxens frühe Kritik am Staat sich vor allem gegen die materiellen Voraussetzungen wendet, die H. seinem Konzept der bürgerlichen Gesellschaft unterlegt. Mit H. teilt er jedoch die Idee einer universalen Freiheit, die sich erst im Staat verwirklicht.
System und Zeichen. Zum Verhältnis von Sittlichkeit und Ausdruck. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 396—400. EHRHARDT, JOHANNES:
Verf. untersucht die Organisierung der sittlichen Sphäre durch vermittelnde bzw. totaüsierende Systeme von Zeichen in ihrer Darstellung bei H. Diese Rekonstruktion verknüpft sich in medienkritischer Perspektive mit Feststellungen einer gegenwärtigen zeichentechnologischen Überlagerung und Veränderung der gesellschaftlichen Realität. „So wird durch die Produktion der Phantasie ein System von Sittlichkeit organisiert, dessen Substantialität im Bild und dessen Wesen in der Fetischisierung besteht."
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Vers une revolution du langage: Hegel/Heidegger, sensibilite — langage — Science. — In: Philosophie. Toulouse. 15 (1989), 53-69. FERRARI, OWARD:
Für Heidegger ist die Interpretation der Sinnlichkeit im ersten Kapitel von H.s Phänomenologie des Geistes „ohne Beispiel in der Philosophiegeschichte". Die Dialektik der sinnlichen Gewißheit ermöglicht es, die essentielle Bedeutung der Sprache innerhalb der H.sehen Philosophie zu verstehen. Gerade im ersten Kapitel der Phänomenologie kündigt sich die revolutionäre Verwandlung der Sprache, welche in der Wissenschaß der Logik dargestellt wird, an: die Verwirklichung des Logischen ist die Philosophie der Sprache und als solche zugleich die Wissenschaft.
Die doppelte Haushaltung. Religionsphilosophie im Anschluß an Hegel. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 107—123.
FIGAL, GüNTER:
C.: Hegel, Derrida and Bataille's Laugher. (Commentary by J. Butler). — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 163—179. FLAY, JOSEPH
Eine präzise Analyse des H.sehen Begriffs der „Aufhebung" erlaubt dem Verf., Derridas und BataiUes Hegelkritik zusammenzubringen, sie aber doch zu relativieren: Selbst wenn H.s Dialektik im „Emst der absoluten Negativität" an den Begriff der „Aufhebung" gebunden bleibt, ist seine dialektische Phüosophie dennoch nicht allein auf diesen Begriff reduzierbar.
C.: Essence and time in Hegel. — In: The Owl of Minerva. VUlanova, Pa. 20 (1988/1989), N. 2, 183-192. FLAY, JOSEPH
Verf. weighs eternahst vs. historicist interpretations of H.'s theory of time and finds both lacking. The former fails because it takes account of the essential overarching structure of existents but not of their movemenf in firne. The latter fails because it does not notice the fixed nature of the ongoing process of determination as „reciprocal structuring" by and among actual existents. Both kinds of interpretations try to show that H. contradicts himself, but both remain onesided, taking parts of H.'s pronouncements out of their proper context. H.'s own theory in its complete Version is not contradictory, but deliberately paradoxical, neither the eternalism suggested by his theory of essence nor the historicism suggested by his theory of time, but a Creative tension underlying his philosophy of spirit as the „etemally temporal", that is, as something whose infinitude does not lie outside of finitude.
Schelling's Critique of Hegel and the Beginnings of Marxian Dialectics. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 19 (1989), 251-268. FRANK, MANFRED:
Im Ausgang von Schelling, der grundsätzlich davon überzeugt war, daß man das Sein nicht durch sich entfaltende Beziehungen deduzieren kann, werden dessen Hauptargumente gegen H. rekonstruiert. Zum einen basiert die Wissenschaß der Logik für Schelling auf einer Zirkelargumentation, die im dialektischen Prozeß der Selbsterkenntnis der absoluten Idee diese immer schon voraussetzen muß. Nach Schelling resultiert zum anderen dieser Zirkel aus einer unzureichenden Theorie des Selbst, die bei H. niemals einen Realgrund erreicht.
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BIBLIOGRAPHIE
sondern vermittels der Negation bloß auf den synthetischen Begriff des Seins führt. Diese Kritik an der immanenten Legitimation eines teleologisch verstandenen, idealen Prozesses übte einen starken Einfluß auf die Berliner Junghegelianer aus, der unter anderem durch einen philologischen Vergleich zwischen ScheUings Vorlesungen mit den ökonomisch-philosophischen Manuskripten von Marx dokumentiert wird.
Drzewo wiedzy i drzewo zycia. Filozofia zbawienia Franza Rosenzweiga w polemice z idealiszmem G. W. F. FJegla [Der Baum des Wissens und der Baum des Lebens. Franz Rosenzweigs Philosophie der Erlösung als eine Polemik gegen Hegels Idealismus]. — In: Archiwum Historii Filozofii i Mysli Spolecznej. Wroclaw [etc.]. 33 (1989), 192-225. GADACZ, TADEUSZ
SP.:
Nach Rosenzweigs Meinung ist die „Philosophie der Erlösung" radikale Kritik an der H. sehen Philosophie, die für ihn den höchsten Punkt der westeuropäischen Bildung darstellt. Rosenzweig beruft sich auf eine andere Tradition und eine andere Gestalt der Erfahrung als die europäische Philosophie. Der Autor zeigt in seiner ausführlichen Analyse der „Philosophie der Erlösung", daß es nicht so sehr um die Ablehnung des Idealismus als solchen, sondern nur um die Kritik an seiner Beschränktheit geht.
Hegels Geschichte der Philosophie der Moderne. Eine Untersuchung auf der Grundlage verschiedener Berliner Nachschriften. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 227—258. GARNIRON, PIERRE:
Aus der Betrachtung verschiedener Vorlesungstexte ergeben sich für Verf. als Grundzüge der H. sehen Gesamtperspektive auf die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie „Stabilität oder wesentliche Komplementarität der philosophiegeschichtlichen Inhalte und Variationen in ihrer Organisahon . . . Die Variationen in der Organisation sind in den verschiedenen Periodisierungsversuchen der neuzeitlichen Philosophie besonders sichtbar, ohne daß jedoch diese Variationen eigentlich die Gesamtbewegung dieser Philosophie betreffen."
The end of the history of religions „grasped in thought". — ln: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 55—77. GERAETS,
THEODORE:
D.: Der Begriff des Widerspruchs bei Hegel. [Griechisch.] — In: Epistemonike Skepse. Heft 43. Athen 1989, 13—20. GIOVA,
H. kommt zur Entwicklung des Begriffs des Widerspruchs einerseits durch die kritische Bewertung der Tradition der Dialektik und andererseits durch die Unterscheidung der dialektischen von den nichtdialektischen Kategorien. Beim Widerspruch liegt eine vom Inneren her notwendige Bewegung vor, die Negation der einen Seite ist zugleich notwendige Bedingung der Existenz der anderen Seite, so daß ein notwendiges Verhältnis (Einheit) und dauerhafter Kampf der gegensätzlichen Seiten bestehen. Diese dialektische Kategorie ist eigentlich die Grundessenz der Philosophie H.s, sie ist jedoch auch auf die Philosophie H.s selbst anzuwenden, wie Marx und Lenin gezeigt haben.
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Hegels Geschichtsphilosophie und der Vergleich mit anderen Geschichtskonzeptionen. — ln: Dodone. loannina. 18 (1989), T. 3, 69 — 86; 87 griech. Zusammenfassung. GLOY, KAREN:
H. versteht die Geschichte als einen Fortschritt irri Bewußtsein der Freiheit des Geistes. Zwar gibt er an, die Vermittlung der Freiheit in ihrer Allgemeinheit sei in der Neuzeit noch offen, er sieht sie jedoch in der konstitutionellen Monarchie Preußens als geleistet. So setzt er dem biomorphen Modell der geschichtlichen Dekadenz, das antimodern ist, ein prämodernistisches, aber ebenfalls biomorphes Modell des uneingeschränkten Fortschrittsglaubens entgegen. Dies Modell ist zu verwerfen, weil die Geschichtsereignisse nicht eindeutig zu interpretieren sind. Nach der Meinung der Verfasserin genügt H.s eindeutiges Rationalitätsmodell den Prinzipien postmodemen Denkens und der Vielfalt der Lebensgestaltungen nicht.
Ethical life and family in the Phenomenology of spirit. — In: Hegel on the ethical life, religion, and philosophy. 1793—1807. Ed. by A.WyUeman. Leuven, Dordrecht 1989. 163—194. GOOSSENS, WILFRIED:
Wie ist das „sittliche Leben" in die Struktur der Phänomenologie integriert? Verf. rekonstruiert zunächst (I) das Anliegen der Phänomenologie, die wissenschaftlichen Begriffe der Erfahmngen des Bewußtseins darzutun, und zeigt, wie das Anliegen H. s zu der Unterscheidung des Geistes zwischen dem An-und-für-sich-sein des Bewußtseins führt. In unmittelbarer Weise verwirklicht sich diese Stmktur im Leben der Familie und in der griechischen Polis. Die Strakturen der verschiedenen Erscheinungsformen des Sittlichen werden anschaulich: die Familie (III) sowie die sittliche Bedeutung der Beziehung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern (FV) — die Liebe zwischen Mann und Frau, die Achtung zwischen Eltern und Kindern, die gegenseitige Anerkennung von Schwester und Bmder. Die Beziehung selbst ist der „mittlere Begriff", der eine wahre Allgemeinheit erst hervorbringt. Die Familienbeziehungen sind es, die das bloße Fürsichsein des einzelnen Individuums aufbrechen. So zeigt sich die Familie als die Einheit einer doppelten Bewegung: „an extemal movement in which new single individuals . . . come into existence . . . and an internal movement of internaUzation . . . the awakening seif consciousness of the ,P".
Öffentlichkeit: Rationalisiert sie gesellschaftliches Handeln zur Sittlichkeit? — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 30—35.
HALLER, MICHAEL:
Ausgehend vom gegenwärtigen Struktur- und Funktionswandel der Öffentlichkeit diskutiert Verf. deren Verkürzung auf öffentliche Stände-Verhandlungen und Abwertung zugunsten der Sphäre des Rechts als „Wirklichkeit der sittlichen Idee" bei H. In einer implizit an Habermas orientierten Interpretation wird die staatliche Verrechtlichung von Freiheit und der Gedanke einer den vereinzelten Freiheitswillen zum Allgemeinen hin übersteigenden Konsensusfähigkeit der Bürger in H.s Rechtsphilosophie festgehalten, zugleich aber H.s Freiheitsargument problematisiert und in Hinblick auf eine Theorie der Gerechtigkeit zu korrigieren gesucht.
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BIBLIOGRAPHIE
Das älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus. Übersetzt von Giorgos Stamates. [Griechisch.] — In: Teuche Politikes Oikonomias. Athen. Frühling 1989, Heft 4, 91—96. HEGEL, GEORG WILHELM FRIEDRICH:
Nach einer kurzen Einführung über H. als Verfasser des Textes folgen der deutsche Text und die griechische Version mit Anmerkungen des Übersetzers.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. - In: Metzler Philosophen Lexikon. Hrsg. v. Bernd Lutz. Stuttgart 1989. 316—326. HELFERICH, CHRISTOPH:
Kurze Biographie nach der chronologischen Abfolge der Lebensstationen Hegels mit Charakterisierung der philosophischen Entwicklung, der Hauptwerke und der Wirkungsgeschichte.
Hegel in Italien: Ausgewählte Monographien und Sammelbände aus den achtziger Jahren. — In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. 14 (1989), 87—103. HOFFMANN, THOMAS SöREN:
Ausführliches Referat von acht italienischen Hegelbüchern (Chiereghin, Lugarini, RacinaroA^itiello, Nicolaci, Verra, Moretto), das jedoch rucht nur Inhaltsangaben bietet, sondern auch kritisch gewichtet und bewertet.
HegeTs Critique of Kantian Morality. — In: History of Philosophy Quarterly. Bowling Green, Ohio. 6 (1989), 207—232.
HOY, DAVID COUZENS:
Verf. diskutiert H.s Kritik an Kants Morahtätskonzeption, insbesondere am Kategorischen Imperativ vor dem Hintergrund des Verhältnisses von individueller und gesellschaftlicher Moralität. Wird auf der einen Seite die Kantische Dichotomie von Moralität und Legalität in H.s Begriff der Sittlichkeit „aufgehoben", so bewahrt auf der anderen Seite die Berücksichtigung der konkreten gesellschaftlichen, politischen und historischen Bedingungen, unter denen der Handelnde steht, vor der allzu optimistischen aufklärerischen Vorstellung eines notwendigen Fortschritts der Vernunft zum moralisch Guten.
Neuerscheinungen zu Hegels Naturphilosophie. — In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. Stuttgart-Bad Cannstatt. 14 (1989), N. 2, 73-85. IHMIG, KARL-NORBERT:
Verf. behandelt in seiner Sammelrezension folgende Neuerscheinungen: R.-P. Horstmann, M. J. Petry (Hrsg.): Hegels Philosophie der Natur (1986); M. J. Petry (Hrsg.): Hegel und die Naturwissenschaften (1987); B. Falkenburg: Die Form der Materie (1987); Hegel: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Hrsg, von W. Neuser (1986). — Ihmig kommt es vor allem darauf an, die Originalität der H.sehen Newton-Kritik darzutun. Vor aller Kritik an der Position H.s müsse man sich zunächst gründlich dessen Argumentationszielen vergewissern.
Dialectica de la Revolueiön. Hegel, Schelling y Hölderlin ante la Revolueiön Francesa [Dialektik der Revolution. Hegel,
INNERARITY, DANIEL:
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Schelling und Hölderlin vor der Französischen Revolution]. — In: Anuario FUosöfico. Pamplona. 22 (1989), N. 1, 35—54. Verf. versucht die Bedeutung der Französischen Revolution bei drei der wichtigsten Philosophen des deutschen Idealismus zu erklären, d. h. ihre Aneignung der Idee der Revolution nachzuvollziehen, und zwar nicht allein in bezug auf politische Freiheit. Indem die subjektive Befreiung des Menschen als der wesentliche Grund einer neuen Epoche herausgearbeitet wird, kann Verf. ausführlich die dreifache Bedeutung dieser Revolution für die Tübinger Stiftler darstellen: Revolution als ein Übergang von der Natur zur Freiheit, als politische Rückforderung einer menschlichen Freiheit gegenüber einem bloßen Gesetzesgehorsam sowie als Verwirklichung des Gottesreiches.
JoNKERS, PETER: Hegel's idea of philosophy and his critique of the re-
flective philosophy of subjectivity. — In: Hegel on the ethical life, religion and philosophy. Ed. by A. Wylleman. Leuven, Dordrecht 1989. 47-80. Nach der Subjektivierung des Wissens braucht die Philosophie die Idee des Absoluten, damit sie die Reflexion mit einer transzendentalen Intuition verbinden kann.
JoNKERS, PETER: Maakt arbeid vrij? [Macht Arbeit frei?] — In: Rechtsphilo-
sophie en Rechtstheorie. Alphen a. d. Rijn. 18 (1989), 9—14. Nach H.s Rechtsphilosophie bedeutet die Arbeit für den Pöbel nicht die Verwirklichung der Freiheit, sondern die Negation der gesellschaftlichen Freiheit schlechthin.
J.: Hegel's Political Theory and Philosophy of History. — In: Clio. Kenosha, Wisc. 17 (1989), 345 -368.
KAIN, PHILIP
Anhand der Auseinandersetzung mit Rousseau und Kant zeigt Verf., wie sich H.s politische Philosophie im Begriff des Geistes vollendet. Von Kants Geschichtsphilosophie übernimmt H. die Vorstellung, daß einander widerstreitende Interessen einen Fortschritt der Moralität bewirken. Allerdings darf man die Moralität nicht abstrakt bestimmen, sondern sie muß in Sitten und Gebräuche eingebettet sein, worauf Rousseau hingewiesen hat. Damit eine solche konkrete Sittlichkeit nicht korrumpiert wird, ist es für H. notwendig, daß das Selbstbewußtsein im modernen Staat sein eigenes Wesen erkennt. Erst dann erreicht das Selbstbewußtsein die Stufe des Geistes, der die Einheit und Totalität der Dinge umfaßt.
Der Staat als Denken des Selbstbewußtseins. Eine Beteiligungsform der Personen am Staat in Hegels „Philosophie des Rechts". [Japanisch.] — In: Rinrigaku-nenpou. Tokio. 38 (1989), 73—89. KAMIYAMA, NOBUHIRO:
Wenn der substantielle WUle des H.sehen Staates, welcher durch Personen als Subjekte realisiert werden soll, doch so charakterisiert wird, als ob jener über das Erkennen und den Willen der Einzelnen hinausginge, so liegt dies daran, daß H. der durch willkürlichen Inhalt verursachten Zerstörung des Sittlichen aus dem Weg gehen und den über die sittliche Substanz denkenden Personen die subjektive Aktivität zukommen lassen will. Das denkende Selbstbewußtsein bringt die Unterschiede der Substanz in Existenz nur dann hervor, wenn es sich dem Begriff der Sache gemäß betätigt. Die Verschiedenheit der staatlichen Konstitution hängt von seinem Bildungsgrad ab; die Positivität wird jedoch aufgehoben, wenn diese
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BIBLIOGRAPHIE
ihm nicht mehr entspricht. In der bürgerlichen Gesellschaft besteht die Allgemeinheit als Macht nicht ohne Besonderheit des Einzelnen für sich, und die Anerkennung der Persönlichkeit hat nicht unmittelbar ihre Realität. Das Recht und Wohl hat als allgemeiner Wille nur insofern seine Wirklichkeit und Gültigkeit, als der Staat den Schein von Recht und Wohl, das das Verhältnis der Einzelnen hat, vernichtet.
Geschichte des Europäischen Geistes. 5. Teil: Von Puschkin bis Karl Marx. Bd 11. [Griechisch.] Athen 1989. 161-226: Kapitel 246: Hegel. KANELLOPOULOS,
PANAGIOTES:
Das Kapitel 246 behandelt ausführlich H.s Leben und Werk. Besondere Bedeutung wird den theologischen und den politischen Interessen H.s sowie der Entstehung seiner Werke beigemessen. Danach werden die Grundprobleme der Hauptwerke mit Blick auf die Forschung sowie H.s Wirkung in Deutschland dargestellt. Das Kapitel wird durch einen Vergleich zwischen H. und Platon abgeschlossen. Verf. anerkennt H.s Leistung und Grenze: Trotz aller Begründungsversuche habe H. die Erkenntnis des Absoluten nicht erreicht. H.s dialektische Konstruktionen vor allem in der Enzyklopädie seien zwar paradox für uns, dadurch aber habe uns H. seine bereichernden Einsichten mitgeteilt. Ein Mangel H.s sei seine Unkenntnis der byzantinischen Geschichte, die zur Unterschätzung der byzantinischen Kultur in seiner Geschichtsphilosophie geführt habe. Am Ende sei H.s Dialektik als Methode des Syllogismus zwar sehr wichtig, sein absoluter Philosophiebegriff könne jedoch nicht akzeptiert werden.
Das Tragische als Geschichte bei Hegel. [Griechisch.] — ln: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 75—92. KELESSIDOU-GALANOS,
ANNA:
Zuerst französisch erschienen in: Philosophia. Athen. 12 (1982), 305-317. Vgl. dazu: Hegel-Studien. 20 (1985), 397-398.
La disposition politique. Ses connexions sociales et morales. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 109—115. KERVEGAN, JEAN-FRANGOIS:
Nach H. ist für die Partikularität des gesellschaftlichen Seins die Vermittlung zwischen der (objektiven) Verfassung des Staates und der (subjektiven) Befähigung des Bürgers zur Politik konstitutiv. Zur Bildung eines politischen Ethos gehören also gleichermaßen staatsbürgerliche Gesinnung und freiheitliche Institutionen.
Gödel, Escher, Hegel. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 338 - 354. KESSELRING, THOMAS:
Ausgehend vom Begriff der „Negation der Negation" wird die Struktur von Antinomien erörtert und die Modernität H.s diskutiert, welcher allerdings mit aus heutiger Sicht unzulänglichen begrifflichen Mitfein habe arbeiten müssen. Die Kombinierbarkeit der H.schen Dialektik mit der ,ComputerbibeT Gödel, Escher, Bach (1985) von D. R. Hofstadter sowie mit psychologischen und intelligenztheoretischen Studien von G. Bateson soll exemplarisch H.s Aktualität demonstrieren.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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Das Verhältnis von Macht und Gewalt im Denken Hegels. — ln: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 199—211. KIMMERLE, HEINZ:
Anhand eines entwicklungsgeschichtlichen Überblicks, der von den Jugendschriften über die Jenaer Texte bis zur ausgebildeten Rechtsphilosophie reicht, wird das konstitutive Prinzip des politischen Denkens H.s herausgearbeitet. Es besteht darin, daß Leben sich durch Macht erhält, die in gesellschaftlich-politischen Verhältnissen unvermeidbar als Gewalt auftritt. Gleichzeitig untersucht H. aber auch die Bedingungen der Regulierbarkeit von Gewalt, was nach übergeordneten Maßstäben der Gesellschaft zu geschehen hat.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770—1831). — In: Klassiker der Naturphilosophie. Hrsg, von G. Böhme. München 1989. 263-278. KIMMERLE,
HEINZ:
Die Zeit ist vorbei, in der H.s Naturphilosophie als wissenschaftsferne Spekulation abgetan wurde. Zu bestimmten Erkenntnissen der neuesten Naturwissenschaft, die in der Natur ein „durchgängiges Entwicklungsprinzip" aufzeigen, ist vielmehr eine besondere Affinität entstanden. Die Naturphilosophie H.s wird hier im Zusammenhang der gesamten Entwicklungsgeschichte seines Denkens dargestellt. Dabei wird auch der Naturbegriff in der Logik und in der Geistesphilosophie mit herangezogen. Für die Jahre 1801—1802 wird sogar ein naturphilosophischer Schwerpunkt des Systems angenommen. Die bekannte Systematik des zweiten Teils des Systems, die in der Gliederung: Mechanik, Physik, Organik zum Ausdruck kommt, ist nach der Vorlesung von 1819/20 zu ergänzen vom praktischen Verhältnis des Menschen zur Natur aus und durch die Vereinigung des theoretischen und praktischen Verhältnisses. Abschließend wird die Wirkung der H.sehen Naturphilosophie skizziert, die dadurch beeinflußt war, daß er die Beziehung der empirischen und spekulativen Naturwissenschaft zueinander zu ausschließlich von der letzteren her bestimmt hat.
Kiss, ENDRE: Ein Versuch, Hegels letzte Arbeit zu verstehen. — In: Archiv für Geschichte der Philosophie. Berlin. 71 (1989), H. 3, 23—38. Die bisherige Literatur stimmt weitgehend darin überein, daß H.s Reform-Bill-Arbeit von 1831 im buchstäblichen Sinn des Textes zu deuten ist und demgemäß H.s offene Apologie der preußischen Monarchie enthält. Rudolf Haym erblickt in H.s Konzeption einen auf der Hand liegenden Beweis seines persönlichen Opportunismus; Kuno Fischer bringt dieselbe Einstellung mit geschichtsphilosophischen Einsichten des Philosophen in Verbindung; Herbert Marcuse sieht in ihr ein Moment der Versöhnung des Philosophen mit der Wirklichkeit, Jürgen Habermas eine Diskrepanz zwischen philosophischer Einsicht und praktischem Handeln; für Schlomo Avineri erscheint in der Reform-Bill-Arbeit ein Bündel politologischer Einsichten. Demgegenüber vertritt Verf. die Auffassung, daß die Reform-Bill-Studie eine gelungene Tarnschrift ist. Für diese These sprechen eine Anzahl indirekter Belege im Text der Arbeit selbst, auch ließ sich die Mehrzahl der Argumente, auf die sich die Apologetik-These stützt, widerlegen.
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BIBLIOGRAPHIE
L.: The Use and Abuse of Hegel by Nietzsche and Marx. — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 1—35. KLINE,
GEORGE
Im Zuge einer Kritik an der von Nietzsche und Marx gegen H. etablierten Ontologie und Axiologie der Zeit wird H.s gegenwartsorientierte Philosophie der Geschichte als das geeignetste Mittel dargesteUt, um der „instrumental cruelty" Nietzsches und dem aus Marx' „Diktatur des Proletariats" entspringenden „transitional totalitarism" zu entgehen.
Ein unbekannter Brief Hegels an Friedrich Ludwig Göritz. Mitgeteilt und erläutert. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 9-13. KORTLäNDER, BERND:
Der Mensch bei Hegel und bei Bloch. - In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 279 -283. KOSIAN, JöSEF:
Verf. konstatiert ein gegenwärtiges Verschwinden der Fähigkeit zur Hoffnung und eine Abwertung handlungsregulativen utopischen Denkens. Im Rekurs auf H. s Diktum, daß die Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt hätten, wird H. s dennoch optimistische Haltung pointiert: „In der Reflexion der Vernunft findet dann der Mensch sein Instrument des PhUosophierens." Die Phänomenologie als Darstellung der Erscheinungsgeschichte des werdenden Geistes treibe das Selbst zuletzt in die Entäußerung von allen seinen Entfremdungen, damit den Menschen und seine Weltbildung meinend. E. Blochs Aufnahme des H. sehen Erbes ist verknüpft mit der Zurückweisung des Theorems vom Ende der Geschichte. Teilnehmend an der Tendenz-Latenz des Weltprozesses erscheint der Mensch als unfertiges Wesen. Das Utopische wird vom Anthropologischen her gefaßt: den Mangel überholender „Hunger" und gegenwartsüberschreitendes antizipierendes Bewußtsein richten die Arbeit des Menschen auf die Zukunft aus. Verf. zeigt Blochs Intention auf, mit und gegen H. dessen Dialektik offen zu halten.
Die Geburt des Sozialstaats aus dem Geist des Deutschen Idealismus. Weinheim 1989. 53—69: Von Kant über Hegel zu Stein. KOSLOWSKI, STEFAN:
In Abgrenzung von Kants Vermittlung von subjektiver Freiheit und objektiver Ordnung und H. s „System-theoretischer Rechtsphänomenologie" veranschaulicht Verf. die „persönliche Staatstheorie Lorenz von Steins". H. s Kritik an Kants „bloß formaler" Definition legitimen Rechts bemängelt die fehlende Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft. Die Phänomenologie stellt die BUdungsgeschichte des Bewußtseins zur Wissenschaft dar, während die Rechtsphilosophie die Aufgabe übernimmt, systematisch die objektive Gestaltung des Ineinandergreifens von Individuum, Gemeinschaft und Recht unter dem Prinzip der sich verwirklichenden Freiheit zu bedenken. H. s Verfahren, die Vernunft „als ein individuelles Vermögen zu bestimmen" und „in ihr die Substanz und den Prozeß des sich selbst begreifenden Absoluten zu erkennen, zwingt ihn dazu, in allem Daseienden eine Erscheinung der Vernunft zu erkennen" — ein Verfahren, das notwendig mit der Freiheit des einzelnen Subjekts kollidiert. Verf. zeigt, wie L. v. Steins Wirtschafts- und Sozialphilosophie sich deutlich von der H. sehen Position abgrenzt; Steins „anthropozentrische Leitbilder" begründen die hohe Aktualität dieses Philosophen für die Gegenwart.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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Philosophische Weltgeschichte in der Sicht Hegels. [Griechisch.] — ln: Hegel. Dialektik und Geschichte. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 93—103. KOUMAKES, GEORGIOS:
H. unterscheidet die philosophische von der ursprünglichen und von der reflektierenden Geschichte, weil ihr geistiges Prinzip die Allgemeinheit und die Totalität der Kriterien hervorbringt und sie zur Weltgeschichte macht. Der dialektische Zusammenhang von Geist, Vernunft und Freiheit objektiviert sich im Staat, der dadurch sich als die nähere Bestimmung des Gegenstands der Weltgeschichte erweist. H. s Auffassung läßt einige wichtige Fragen offen, wie z. B. diejenige nach der Beurteilung von Personen und Nationen auch nach ihren Unterlassungen oder diejenige nach der Konstitution der Einheit der Weltgeschichte.
Heglowska koncepcja religii ludowej jako proba syntezy filozoficznej [Hegels Konzeption der Volksreligion als Versuch der philosophischen Synthesis]. — In: Studia FUozoficzne. N. 288. Warszawa 1989. 27-44. KRAKOWSKI, JERZY:
H. s frühe Konzeption einer Volksreligion wird im Kontext der Kantischen Moralphilosophie analysiert. Obgleich Verf. diese frühe Konzeption als naiv und nüßlungen bezeichnet, dient sie ihm als Beispiel einer philosophischen Synthese, die charakteristisch für die gesamte Philosophie H. s ist: Die Volksreligion war für H. eine Möglichkeit, die Synthese widersprüchlicher Positionen in der Kultur seiner Zeit durchzuführen. Obwohl H. später die Religion als Medium der Synthese durch die Philosophie ersetzt hat, ist die philosophische Methode gleich geblieben.
De la raison comme histoire. Une confrontation avec Hegel. — In: Archives de Philosophie. Paris. 52 (1989), 399—408. LABARRIFRE, PIERRE-JEAN:
Verf. stellt den Entwicklungsgang der H. rezeption im Philosophieren Herbert Marcuses dar, der von einer Analyse der ontologischen Begründung der H. sehen Theorie der Geschichtlichkeit zur Kritik an der „Unidimensionalität" der Dialektik Hegels führt. Die von Marcuse propagierte neue Wirkungsform der Negativität kann jedoch als einfache „BidimensionaUtät" von der dialektischen Logik nicht akzeptiert werden, da mit ihr der Übergang von der Ontologie zur Geschichtlichkeit sowie die Entfaltung der Vernunft in ihrem geschichtlichen Rahmen nicht zu erfassen sind.
De la phenomenologie de l'Esprit ä la montee du Carmel. — In: Revue Thomiste. Toulouse. 89 (1989), N. 1, 5—39. LACOSTE, JEAN-YVES:
Verf. faßt den dialektischen Prozeß in H. s Phänomenologie des Geistes in seinen verschiedenen Stufen als eine Art „eschatologie philosophique" auf und versucht diese mit den eschatologischen Vorstellungen der christlichen Dogmatik zu paraUeüsieren.
P.: Schellings Philosophie des ewigen Anfangs. Die Natur als Quelle der Geschichte. Würzburg 1989. 10—27: Die unterschiedlichen Ausgangspositionen von Schelling und Hegel. LAWRENCE, JOSEPH
Die Monographie zu Schelling geht eiirführend auf die unterschiedlichen Ausgangspositionen von Scheüing und H. ein. Es ist die Frage nach dem Ursprung des Seins, die H. und
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BIBLIOGRAPHIE
Schelling trennt. Für H., und hier herrscht Übereinstimmung mit Schelling, ist der Anfang der Wissenschaft nicht das unmittelbare Selbstbewußtsein des Ich. Für beide ist nicht der cartesische Ansatz, sondern der ontologische Gesichtspunkt entscheidend. Dennoch behauptet Schelling in seiner BCritik an H., dieser sei der bloß subjektivistischen Vernunft anheimgefallen: der Begriff gerate nur als der Begriff eines denkenden Subjekts in Bewegung. Das Sein gilt für H. als eine Abstraktion von Seiendem, während Schelling den Anfang nicht als die leere Abstraktion des Seienden faßt, „sondern als . . . das ,Urständliche', mit dem eben nichts gesetzt ist als Subjekt."
Hegel entre Lumieres et romantisme. — In: Cahiers de Philosophie Politique et Juridique. Caen. 16 (1989), 143—157. LEGROS, ROBERT:
Die Arbeiten des jungen H. sind weder einseitig durch die Aufklärung noch durch die Romantik geprägt, sondern merkwürdigerweise durch beide Strömungen, bejahen also gleichermaßen das Prinzip der Subjektivität im Sinne eines Individualismus und das der Substantialität im Sinne einer gewachsenen Herkunft, ohne daß H. die Frage nach ihrer Vereinbarkeit stellt. Sein Konzept der Versöhnung ist nicht durch die griechische Politeia angeregt, sondern durch die Romantik.
J.: The Intuition of the absolute concept in the absolute ethical life: HegeTs System of ethical life. — In: Hegel on the ethical life, religion, and philosophy. 1793—1807. Ed. by A. Wylleman. Leuven, Dordrecht 1989. 119-161. LEIJEN, ARIE
Verf. behandelt, nach einer Einführung in Text und Kontext von H. s Jenaer System der Sittlichkeit, „the absolute ethical life in relation . . . characterized by the position of the singularity". Dann gibt es einen Abschnitt über „the negative or freedom or crime", ehe dann abschließend das absolute sittliche Leben in seiner Doppelheit analysiert wird: als „fulfillment of Intelligence" und als „identity of Intuition and concept: the people and its pohtical Organization".
Kontinuität, Einheit und das Neue. Überlegungen zu Hegel und Thomas S. Kuhn. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 259—292.
LUCAS, HANS-CHRISTIAN:
Vgl. die Besprechung in diesem Band, 258.
Eine aufzuhebende Einbahnstraße. Bemerkungen zu den philosophischen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien. — In: Hispanorama. Nürnberg. 51 (März 1989), 118—125. LUCAS, HANS-CHRISTIAN:
Verf. gibt zunächst einen Überblick über das gegenwärtige philosophische Panorama in Spanien, um dann an den Beispielen Krauses (sowie des Krausismo) und H. s einen Eindruck von der Rezeption und Resonanz deutscher Philosophie in Spanien zu bieten. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Möglichkeiten einer direkten deutsch-spanischen Zusammenarbeit.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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D.: Hegel's conception of absolute knowing. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 21 (1989/1990), N. 1, 5—19. LUDWIG, WALTER
Verf. argues that the final stage of absolute knowing, as described in PhG, preserves as distinct entities aU prior moments, especially the subject and its object. Against those interpreters who have claimed that at this final stage the identity of the knower with the known in spirit's fully self-conscious self-knowledge entails the collapse of knowing subject and known object into each other, Verf. contends that dialectic does not and can not abolish the essential incommensurability of such opposites, although it relates them to each other in new and productive ways. In other words, with regard to H.'s conception of ultimate „unity in difference", while other commentators stress the aspect of unity, Verf. stresses the aspect of difference.
The Cartesian circle: Hegelian logic to the rescue. — In: The Heythrop Journal. Oxford. 30 (1989), 403—418. LUFT, ERIC V.D.:
Verf. uses Kenley Dove's Interpretation of H.'s logic to analyse the 3rd Meditation in a way which will acquit Descartes of the Charge of circular reasoning in his argument for the existence of God. Three separate types of logic pervade H.'s System, according to Dove; (1) the logic of contrast, (2) the logic of determinacy, (3) the logic of individuality. Since these logics can be detected in any H. ian triad or ennead, by reformulating Descartes' argument in triadic language we can identify instances of contrasting, determining, and individualizing in Order to understand the structure and meaning of the bare content of the argument. If H. is correct about the scope of his logic, then it can be applied to anything at all, even pre-H. ian or un-H. ian philosophy. Descartes' argument is not circular because it is not linear, i. e., it does not draw any inferences. Rather, the 2nd and 3rd Meditations progressively articulate to a more and more determinate degree the content of the atomic, pre-reflective awareness of thinking existence, and this process of articulation develops the complementary concepts of the seif and God.
An early interpretation of HegeTs Phenomenology of Spirit. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 183—194. LUFT, ERIC V.D.:
Hegel and Judaism: a reassessment. — In: Clio. Kenosha, Wisc. 18 (1989), 361-378. LUFT, ERIC V.D.:
Verf. argues on the basis of evidence in the Jaeschke-Hodgson editions of H.'s Religionsphilosophie that H. was not the confirmed anti-Semite that some scholars, e. g., Stepelevich, have claimed he was. Rather, H. severely misunderstood and underestimated Judaism, and based his opinions of it on a very narrow selection of texts and traditions, ignoring especially the Works of the Hebrew prophets. H.'s knowledge of Judaism never became adequate, but gradually improved during the 1820s, so that consequently his attitude toward it improved as weU.
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BIBLIOGRAPHIE
The unfolding of Hegel's Berlin Philosophy of Religion, 1821—1831. — In: International Journal for Philosophy of Religion. Dordrecht [u. a.]. 25 (1989), 53-64. LUFT, ERIC VON DER:
Diese Rezension der neueren Edition von H. s Vorlesungen über die Philosophie der Religion sucht die durch die neue Quellenlage eröffneten Möglichkeiten einer revidierten Beurteilung der H. sehen Religionsphilosophie wahrzunehmen. Es handelt sich um die von W. Jaeschke 1983—1985 in 4 Bänden besorgte Edition, in der neben der Präsentation des H. sehen Manuskripts von 1821 die Vorlesungen der Jahrgänge 1824, 1827 und 1831 rekonstruiert werden. Verf. geht die neuen Quellen unter drei Gesichtspunkten durch: H. s Beurteilung des Judentums, H. s Beurteilung des ontologischen Gottesbeweises und H. s Verhältnis zu Schleiermacher. Verf. hebt hervor, daß die neue Edition uns erstmals in die Lage versetzt, H. s komplizierte Rezeption der Schleiermacherschen Theologie zu verfolgen.
W.: HegeTs Critique of Marx: The Fetishism of Dialectics. — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989, 72—93. MAKER,
Da die Philosophie Marx' sich als Aufhebung der H. sehen darstellt, muß ihre Wahrheit an der Richtigkeit der H.-Kritik geprüft werden. Mittels der Darstellung dieser Kritik zeigt Verf. die Auffassungen beider Philosophen bezüglich Natur und Grenzen der Leistungsfähigkeit der systematisch-dialektischen Philosophie als solcher sowie hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Theorie und Wirklichkeit einerseits und der Aufgabe der Philosophie andererseits. Marx habe in seiner Umformung der H. sehen Dialektik diese völlig verfälscht und sogar „mystifiziert", indem er die Grenzen, die H. der Theorie gegenüber der Realität setzte, überschritt.
La recezione della Critica del giudizio nella logica hegeliana: finalitä esterna e interna [Die Aufnahme der Kritik der Urteilskraft in H.s Logik: äußere und innere Zweckmäßigkeit]. — In: Verifiche. Trento. 18 (1989), 443-458. MENEGONI, FRANCESCA:
Wenn schon beim Jenaer H. die kritische Aufnahme von Kants Kritik der Urteilskraft im Zusammenhang der Problematik einer auf die Urteilskraft (die Einbildungskraft, den anschauenden Verstand) zu fundierenden Einheit der Vernunft stattfindet, bildet in der Wissenschaft der Logik und in der Enzyklopädie das Kapitel über die Teleologie den Kernpunkt der Auseinandersetzung. Dort wird Kants Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Zweckmäßigkeit auch unter Bezugnahme auf Aristoteles' ,entelecheia' innerhalb der argumentativen Steigerung zur Idee des Lebens erläutert. Besonders Kants Deutung der inneren Zweckmäßigkeit, die sowohl dem Naturleben als auch der ethischen Dimension zugesprochen ist, wird von H. in zweifacher Weise interpretiert, einerseits als spekulativer Begriff, andererseits aber auch als noch der Endlichkeit verhaftetes Prinzip.
Der idealistische Naturbegriff. - In: Vom Wandel des neuzeitlichen Naturbegriffs. Hrsg, von H.-D. Weber. Konstanz 1989. (Konstanzer Bibliothek. Bd 13.) 159—175.
MITTELSTRASS, JüRGEN:
Im Bewußtsein, daß eine Darstellung des Naturbegriffs des deutschen Idealismus (Kants, Fichtes, Hegels, Schellings) in allen seinen philosophischen und begriffsgeschichtlichen
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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Aspekten eine schier unlösbare Aufgabe bedeutet, beschränkt sich Verf. auf eine Kurzcharakterisierung der verschiedenen Naturbegriffe. Besondere Beachtung widmet er dem Naturbegriff Kants, der in drei verschiedenen systematischen Zusammenhängen auftritt (in der theoretischen und praktischen Philosophie sowie in der Theorie der Urteilskraft). H.s Naturphilosophie wird als Reaktion auf Fichtes Verabsolutierung des Ich gesehen. H. restituiert den Aristotelischen Naturbegriff, d. h. die Vorstellung einer handelnden, subjekthaften Natur, wobei er allerdings in einer Aristoteles fremden Weise die Natur als Geist in seinem Anderssein interpretiert. Trotz seiner Defizienzen ist der idealistische Naturbegriff wirklicher, als es manchmal scheint. Die idealistische Philosophie wirft mit Recht die Frage auf, ob die Natur vernunftfähig sei. Insofern bleibt der idealistische Naturbegriff ein wesentliches Element der Philosophiegeschichte.
Geschichtlichkeit und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 40-65. MOUTSOPOULOS, EVANGELOS:
Für H. ist die Zeitlichkeit der Rahmen der Geschichte, wie der Zusammenhang von Werden, Vernunft und Schöpfung zeigt. Auf der Ebene des Werdens wird die Dauer, die der Vertiefung des Seins in sich immanent ist, zur konkreten Zeit. Auf der Ebene der Entfaltung der schöpferischen Vernunft wird die Zeithchkeit zum Stützpunkt der Geschichtlichkeit, welche eigentlich die Konkretisierung des Bewußtseins ist. Auf der Ebene vor allem der musikalischen Schöpfung ersetzt sie eine unbestimmte Dauer und konkretisiert einen Teil von ihr durch die Rekonstruktion seines Aspekts; damit vollzieht sich eine Darstellung dieses Verhältnisses. Aus H.s Auffassung ergibt sich, daß die Zeitlichkeit die immanente Ergänzung der Geschichtlichkeit ist und ihr den Charakter der zu erlebenden äußerst eminenten Wirklichkeit verleiht.
Die katalysatorische Gegenwart des Hegelianismus. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 147—149.
MOUTSOPOULOS, EVANGELOS:
Zuerst erschienen in: Nea Hestia. Athen. 111 (1982), 588—589. Vgl. dazu: Hegel-Studien. 19 (1984), 431.
A.: Hegel and Marx on the Individual. — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 56—72. MULHOLLAND, LESLIE
Aus der Auseinandersetzung mit der „mutual benefit"-Theorie der Gerechtigkeit folgt bei H. wie bei Marx eine These über die historische Unverträglichkeit des klassischen Ideals der Gerechtigkeit mit dem „possessive individuaUsm" des aufkeimenden Kapitahsmus. Während aber H. behauptet, daß dieses Ideal in die ökonomische Ordnung integriert werden kann, versucht Marx gerade das Gegenteil zu beweisen. Indem er die praktischen Folgen des Kapitalismus beschreibt, trifft er den Schwachpunkt der H.sehen Auffassung des sozialen Individuums: Bei H. ist Freiheit im Staat ebenso unmöglich wie eine soziale Lösung des Problems der konkreten Freiheit überhaupt.
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BIBLIOGRAPHIE
„Intersubjektivität" — Ein Ausweg aus dem „starken Institutionalismus" der Hegelschen „Sittlichkeit"? (Anmerkungen zu J. Habermas) — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 36—42. NAGL, LUDWIG:
Verf. will „die Habermassche Kritik am rechtsphilosophischen Konzept der ,Sittlichkeit' zunächst skizzieren und sodann seinen Vorschlag zu einem ,intersubjektivitätstheoretischen' Ausweg aus H.s .starkem InstitutionaUsmus' in zweierlei Hinsicht kritisch befragen: a) bezüglich der Leistungskraft jener Kant-Transformation, die die Diskurstheorie, den kategorischen Imperativ betreffend, vorschlägt und b) bezüglich der Tragfähigkeit der Habermasschen Idee einer ,intersubjektiven Autonomie', die er im Rahmen seiner Analyse des H.schen Vorwurfs an Kant, dessen Ethik terminiere in einem ohnmächtigen ,SoUen', vorstellt."
Newtonianismus am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland am Beispiel Benjamin Martin. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 195 -203. NEUSER, WOLFGANG:
„Kukupeter und die Pfaffen seiner Zeit". Ein Quellenhinweis zu Hegels frühen Manuskripten. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 21-26. NICOLIN, FRIEDHELM:
Hegel: Voraussetzungen der Weltgeschichte. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 120—130. NOUTSOS,
PANAGIOTES:
Zuerst erschienen in: Phüosophia. Athen. 12 (1982), 318— 325. Vgl. dazu: Hegel-Studien. 20 (1985), 399.
Politische Institutionen und Ethik in Hegels Rechtsphilosophie. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 238—241. PANASIUK, RYSZARD:
Im § 33 seiner Rechtsphilosophie unterscheidet H. deutlich zwischen den Begriffen Moralität und Sittlichkeit, bemüht sich aber, die Trennung der beiden Gebiete zu überwinden. Verf. fragt nach den Konsequenzen dieser Bemühungen für die Auffassung der politischen Institutionen und ihr Verhältnis zum Subjekt. H. begrenzt die Rolle des Individuums insofern, als er in Frage stellt, daß durch Übereinkunft eine politische Gemeinschaft zu bilden sei. In den partikulären Interessen des Subjekts können nur gesellschaftliche Organisationen in Form der bürgerlichen Gesellschaft gründen. Die Entwicklung des Geistes zur Freiheit kollidiert in der modernen Zeit mit der politischen Sphäre, dem Staat. H. ordnet die sittliche Welt dem Individuum über, insofern es jenseifs der Sphäre der Politik situiert wird — eine historische Situation, in der H.s politische Philosophie die Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Institutionen zuläßt (§ 138), kann in der Ordnung, die die Grundlinien skizzieren, gar nicht entstehen.
Spoleczenstwo obywatelskie i prawa polityczne jednostki w heglowskim modelu panstwa [Bürgerliche Gesellschaft und die PANASIUK, RYSZARD:
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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politischen Rechte des Individuums im Hegelschen Modell des Staates]. — In: Studia Filozoficzne. N. 283. Warszawa 1989, 35—46. Verf. stellt die H.sche Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft in bezug auf den Staat dar. Er betont, daß bei H. die bürgerliche Gesellschaft kein politisches, sondern ein Gebiet der privaten egoistischen Interessen ist. Nur der Staat ist für H. eine sittliche Totalität, in die auch dieses private Gebiet integriert wird.
Die Aktualität Hegels. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.] Athen 1989. 143-146. PANOU, STAUROS:
H. ist aktuell nicht nur, weil seine Philosophie die Quelle vieler philosophischen Strömungen ist, sondern vor allem weil sein antinomisches Denken viele Interpretationen zuläßt und sich dadurch als unerschöpflich erweist.
Logik des Werdens. [Griechisch.] — In: Hegel. Geschichte und Dialektik. XIV. Internationaler Hegel-Kongreß . . . [Griechisch.]. Athen 1989. 131-142. PANOU,
STAUROS:
Wenn H. das Werden als Einheit von Sein und Nichts bestimmt, dann meint er, daß die Aufhebung der logischen Urnegation die dauerhafte Wiederholung einer zweifachen Möglichkeit ist, die einerseits vorgeschichtlich ist und andererseits sich als letzte Geschichtserfüllung erweist. Denn in der Geschichte wird die Freiheit des Geistes als seine Autarkie verwirklicht, als Aufhebung der Differenz von Identität und Nicht-Identität, die als ihr Ergebnis die gewordene Einheit von Geist und Natur auf der Ebene des Begriffs hat. Gerade diesem Schließ und Ziel der Geschichte als Abschluß und letzter Sinngebung ist das Werden als offene Geschichthehkeit der Bewegung entgegenzuhalten.
G. H. R.: Hegel, Marx, and the Cunning of Reason. — In: Philosophy. Cambridge, Mass. 64 (1989), N. 249, 287—302. PARKINSON,
Verf. vertritt die These, daß H.s Auffassung von der List der Vernunft, die sich durch die selbstsüchtigen Handlungen der Individuen verwirklicht, ein korrespondierendes Konzept in Marxens Geschichtsphilosophie besitzt. Eine strukturelle Affinität zeigt sich in der Rolle der Bourgeoisie, die kraft des von ihr hervorgebrachten Anstiegs der Produktivkräfte die geschichtliche Entwicklung überhaupt gefördert hat. Darüber hinaus manifestiert sich die List der Vernunft als das kapitahstische System selbst, das wegen der wachsenden Verelendung und Ausbeutung ein vereinigtes Proletariat erzeugt, um eine rationale Gesellschaftsordnung zu etablieren.
Internationaal recht volgens Hegel [Völkerrecht nach Hegel]. — In: Begrensde vrijheid. Hrsg, von L. Heyde [u. a.]. Zwolle 1989. 52-69. PEPERZAK, ADRIAN:
Obwohl die Sittlichkeit die Vollendung des subjektiven und objektiven Geistes scheint, bleibt sie als besonderer Staat beschränkt. Daher schließen die Staaten einander als selbständige aus. Aus H.s Logik wäre zu schließen, daß die gesellte Ordnung sich in einer wirklichen Ordnung des allgemeinen Geistes aufhebt. Inkonsequenterweise aber gibt H. eine blo-
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BIBLIOGRAPHIE
ße Deskription des damaligen Zustandes des Völkerrechts. Also gibt es in H.s Rechtsphilosophie keine begründete, höchste praktische Synthese.
Einige Fragen zum Thema ,Hegel und Heidegger'. — In: Heideggers These vom Ende der Philosophie. Verhandlungen des Leidener Heidegger-Symposiums 1984. Hrsg, von M. F. Fresco und H. W. Peter Vijgeboom. Bonn 1989. 49 — 74. PEPERZAK, ADRIAAN:
Indem sich Verf. vor allem auf den Aufsatz ,Die onto-theologische Verfassung der Metaphysik' konzentriert, versucht er Perspektiven zu entwickeln, die Heideggers Verständnis von H. aufhellen. Obwohl H.s teleologische Auffassung der Geschichte von Heidegger abgelehnt wird, hält er an der Idee fest, daß die Geschichte der Philosophie ein Ganzes bildet, das einem Selbigen Ausdruck verleiht. Entsprechend dieser Geschichtsdeutung versteht Heidegger die Metaphysik H.s als eine Logik des Grundes im Sinne einer vorstehenden Subjektivität, wodurch H. aUerdings zu sehr in die Nähe Leibnizens gerückt wird. So läuft Heidegger Gefahr, die Metaphysik bei H. auf die Darstellung eines abstrakten Denkens zu reduzieren, während sie sich in einer Philosophie des absoluten Geistes voUendet.
Geschichte, Philosophie und Logik bei Hegel. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Chr. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 101—126. PöGGELER,
OTTO:
Verf. analysiert die verschiedenen Stadien der H. sehen Geschichtsphilosophie, um daran die Funktion des strukturehen Zusammenhangs von Geschichte und Logik für die Philosophie H.s zu verdeutlichen. Die insbesondere in der Phänomenologie des Geistes durchgeführte Parallehsierung von logischen Strukturen und geschichtlichen Prozessen ist nur von einer totalitären Gesamtkonzeption her denkbar, deren Scheitern in H.s Berliner Jahren offenkundig wird. Gegenüber der begrifflichen Totalität weist der Begriff der „Spur" in seinen unterschiedlichen Ausprägungen bei Ricoeur, Levinas und Heidegger auf eine nicht einholbare Pluralität hin.
S.: The logical structure of Sittlichkeit: A reading of Hegel's Philosophy of Right. — In: Idealistic studies. Worcester, Mass. 19 (1989), 62-76. RICHARDSON, HENRY
Verf. überprüft die logische Struktur des Abschnitts „Sittlichkeit" in der H. sehen Rechtsphilosophie, um ein umfassendes Verständnis dieses Kapitels zu gewinnen. Dabei sind nicht H.s ausdrückliche Verweise auf die Logik in den Grundlinien selbst leitend, vielmehr wird eine „ganzheitliche" Annäherung gesucht. Verf. unterscheidet zwischen drei Weisen, wie die Stufen der Logik mit denen der Rechtsphilosophie korreliert werden können. Hypothese 1 stellt das „absolute Recht" mit dem „Mechanismus", „Moralität" mit dem „Chemismus" und „Sittlichkeit" mit der „Teleologie" auf eine Stufe. Diese Hypothese vermag nicht zu klären, so der Verf. im Anschluß an D. Henrich, weshalb der Staat „absoluten Mechanismus" ausdrückt und wie der Wille Form des Begriffs sein kann. Wenn Hypothese 11 diese Mängel beseitigt, indem sie den drei Teilen der Rechtsphilosophie die Stufen Urteil, Schluß und Mechanismus zuordnet, so geht die topologische Stimmigkeit der ersten Hypothese verloren. Die dritte Hypothese will die Vorteile beider Thesen nutzbar machen, ohne ihre offensichtlichen Nachteile zu übernehmen: die Schlußlehre bildet den Leitfaden: das „abstrak-
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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te Recht" entspricht dem „Schluß des Daseins", die „Moralität" dem „Schluß der Reflektion" und die „Sittlichkeit" dem „Schluß der Notwendigkeit". Mithilfe dieser Hypothese klärt sich für den Verf. auch die Frage, weshalb H, zu der Überzeugung gelangen konnte, daß der Begriff der Sittlichkeit mehr ist als eine romantische Hoffnung: Seit es Recht gibt, hat das Urteil alle drei Momente des freien Willens unabhängig entwickelt, die Sittlichkeit vereinigt alle drei Momente in sich.
Dialektik im Sinn der Betrachtung der Denkbestimmungen an und für sich. Zu Michael Wolffs Rekonstruktion der Kategorie ,Widerspruch' in Hegels „Wissenschaft der Logik". — In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. Stuttgart-Bad Cannstatt. 14 (1989), H. 2, 37—44. RICHLI, URS:
Wolff führt das an sich Negative als kategoriale Bestimmung eines Prädikats ein, das nicht durch die Exklusion des an sich Positiven als Negatives bestimmt ist. So verfehlt er die Pointe, daß die Bestimmungen sich durch ihre wechselseitige Exklusion als das konstituieren, was sie an sich und deshalb auch für sich sind.
Erster und anderer Anfang. Hegels Bestimmung des Ursprungs und Grundes der griechischen Philosophie. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 173—197. RIEDEL, MANFRED:
Vgl. die Besprechung in diesem Band, 257.
Hegel and the unity of Science program. — In: History of PhUosophy Quarterly. Bowling Green, Ohio. 6 (1989), 331—346. ROCKMORE, TOM:
Verf. vergleicht H.s Position der „Einheit der Wissenschaften" mit dem gleichgerichteten Programm des „Wiener Kreises". H.s Philosophie der Wissenschaften findet sich vor allem in seiner Naturphilosophie und Psychologie dargestellt im Zusammenhang mit der Philosophie als Wissenschaft. H.s Konzeption, die zwar in Analogie zur Position des „Wiener Kreises" gesetzt werden kann, unterscheidet sich dennoch in mehreren Punkten davon. Abgesehen von der Ablehnung der Metaphysik durch die Positivisten reduziert H. nicht wie Carnap alle Wissenschaften auf Physik. Carnaps Einheit der Sprache der Wissenschaft findet bei H. kaum eine Entsprechung. H. versteht zudem die Einheit der wissenschaftlichen Gesetze anders als Carnap nicht von der Reduktion auf physikalische Gesetze her. Während Camap die Wissenschaften als unabhängig von der Philosophie betrachtet, unterwirft H. die Wissenschaften der Philosophie.
Hegel'S Circular Epistemology as Antifoundationalism. — In: History of Philosophy Quarterly. Bowling Green, Ohio. 6 (1989), 101-113. ROCKMORE,
TOM:
H.s Erkenntnistheorie wird zunächst im Hinblick auf ihre Beziehung zur kritischen Philosophie Kants behandelt, die es systematisch zu reformuHeren gilt. Schon seit der Differenz-Schrift übernimmt H. die Abkehr Fichtes von einer linearen Letztbegründung, deren Anspruch sich aus unbezweifelbaren Prinzipien herleitet. An diese Überlegung anknüpfend entwickelt die Enzyklopädie ausführlich eine zirkuläre oder antifundamentalistische Erkennt-
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BIBLIOGRAPHIE
nistheorie, die als fortschreitende Ausarbeitung und Anwendung des Wissens zugleich den theoretisch gesetzten Anfang rechtfertigt.
Husserl's Critique of Hegel. (Commentary by David A. Duquette). — In: Hegel and bis Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 203-219. ROCKMORE, TOM:
Husserls Haupteinwand gegen H. besteht darin, daß es seiner Philosophie an einer Vernunftkritik mangele und diese infolgedessen nicht imstande sei, das Erkenntnisproblem zu lösen. Diese obgleich pauschale und inhaltlich problematische Kritik trifft doch die H.sche Philosophie, insofern mit ihr die Beziehungen zur Geschichte der Philosophie ins Spiel gebracht werden können; Das Problem der Wissenschaftlichkeit der Philosophie zwingt zu einer Revision der Beziehungen H.s zur Romantik einerseits und zum Naturalismus bzw. Positivismus und Historismus andererseits.
Modernity and reason: Habermas and Hegel. — In: Man and World. Dordrecht. 22 (1989), 233-246. ROCKMORE, TOM:
Verf. setzt sich kritisch mit Habermas' Theorie der Moderne auseinander, gegen die zwei Einwände vorgebracht werden. So läßt sich die Geschichte der nachkantischen Philosophie einerseits nicht allein unter der Perspektive einer Auseinandersetzung mit H. begreifen, der zudem nicht der erste Philosoph war, für den die Moderne theoretisch ein Problem darstellte. Andererseits verwechselt Habermas den neuzeitlichen Aufstieg der Vernunft mit der Diskussion darum, was Modernität überhaupt bedeutet. Aus diesen beiden Kritikpunkten resultiert ein depotenzierter Begriff von Philosophie, die sich lediglich auf die Theoriebildung der Sozialwissenschaften beschränkt, deren direkte Beziehung zur Wirklichkeit ein adäquates Verständnis des modernen Zeitalters ermöglicht.
La modernite et la raison. Habermas et Hegel. — In: Archives de Philosophie. Paris. 52 (1989). 177—190. ROCKMORE, TOM:
Französische Übersetzung des vorigen Aufsatzes.
Le probleme du commencement dans la philosophie de Hegel. — In: Canadian Journal of Philosophy. Edmonton. 19 (1989), 551-574. ROSEN, MENAHEM:
Verf. untersucht das Problem des „absoluten Anfangs" in der H.sehen Philosophie, der weder in einer rein sinnhehen Substantialität noch in einer unmittelbaren Eingebung der Vernunft zu finden sei, sondern in einer zirkulären, sich selbst durch die wechselseitige Vermittlung begründenden Bewegung. Unter diesem Aspekt kommt auch der Logik bzw. der Enzyklopädie kein Primat vor der Phänomenologie zu, sondern alle Systemteile sind als Phasen dieser zirkulären Bewegung aufzufassen.
Self-knowledge of the world. — In: Schopenhauer Jahrbuch. Frankfurt a. M. 70 (1989), 66— 74.
ROTENSTREICH, NATHAN:
Verf. stellt die kontroversen Auffassungen H.s und Schopenhauers insbesondere hinsichtlich der Korrespondenz von philosophischem Wissen und Bewußtsein auf der einen und der
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
335
Welt auf der anderen Seite heraus, um daran die grundsätzlich gegensätzlichen philosophischen Systeme beider Philosophen zu verdeutlichen.
Sein als Genesis von Bedeutung. Ein Versuch über die Entwicklung des Anfangs in Hegels „Wissenschaft der Logik". — In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim a. Gl. 43 (1989), 58-80. RöMPP, GEORG:
Verf. stellt zum Anfang von H.s Wissenschaft der Logik die These auf, „daß H. beansprucht, mit Hüfe des bloßen Begriffes der Philosophie einen Anfang in der Philosophie machen zu können in der Rekonstruktion einer Situation, die sich als sprachanfangend verstehen läßt". Er sucht dann Gründe anzuführen, warum der Anfang mit dem Ausdruck ,Sein' gemacht werden müsse, um dann mit Bezug auf seine These zu erläutern, wie die Entwicklung von ,Sein' und ,Nichts' züm ,Werden' zu verstehen sei. Von diesem Ansatz her werden abschließend Linien auf das Gesamtprojekt der WdL ausgezogen.
Jacob! und Hegel. Zum Darstellungs- und Mitteilungsproblem einer Philosophie des Absoluten. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 159-182. RüHLE, VOLKER:
Hegel im Landexamen. Eine Ergänzung. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 15—20. SCHäFER, VOLKER:
ScHiRMACHER, WoLFGANG: Moralität nach Maß? Hegel und das Problem
der Sozialtechnologie. — 447-454.
In: Hegel-Jahrbuch 1988.
Bochum
1989.
Im Ausgang von H.s Begriff einer sittlichen Substanz, die die bürgerliche Gesellschaft und den Staat in den Prozeß der Weltgeschichte als Weltgericht aufhebt, wird ein Erfahrungsbericht über amerikanische Sozialtechnologien gegeben. Dabei stimmt Verf. mit H. darin überein, daß Sozialtechnologien prinzipiell nicht zu verwerfen sind, sondern eine sinnvolle Aktivität bilden, die ihren Maßstab an einer konkret gewordenen Vernunft besitzt.
Philosophie der Sittlichkeit als Einheit von Ethik und Gesellschaftstheorie. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 79 -90. SCHMIED-KOWARZIK, WOLFDIETRICH:
Nach einer Darstellung von Schleiermachers System der Sittlichkeit, das sich in die Sphären des Rechts, der Sprache und des Wissens, der Gesellschaft sowie schließlich des subjektiven Ausdrucks gliedert, wird es mit der Philosophie des Geistes bei H. konfrontiert. Während für Schleiermacher die Sittenlehre eine Aufklärungsfunktion zum Zweck der Selbstorientierung über die Praxis besitzt, zeichnet die H.sche Dialektik den begrifflichen Konstitutionsprozeß der Wirklichkeit durch alle ihre Gestaltungen hindurch nach. Damit gibt H.s Philosophie der Sittlichkeit, die in dem Zu-sich-selber-kommen des Weltgeistes kulminiert, allerdings den Begriff einer über die Gegenwart hinausdrängenden Geschichte auf. Erst Marx geht dann von H.s Praxisanalyse der sittlichen Gegenwart wieder zu dem Verständnis
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BIBLIOGRAPHIE
einer dem Menschen aufgegebenen Sittlichkeit über, die Schleiermacher bereits vorgezeichnet hatte.
Hegel über die Französische Revolution und die bürgerliche Gesellschaft. Übersetzt von Giorgos Stamates. [Griechisch.] — In: Teuche Politikes Oikonomias. Athen. Frühling 1989, Heft 4, 77—89. SCHMIDT, ALFRED;
H.s Auffassung von der Französischen Revolution und der bürgerlichen Gesellschaft wandelt sich während der Entwicklung des Systems. Während der junge H. seine Philosophie im Kontakt zu der geschichtlichen Wirklichkeit entwickelt, kommt der späte H. zu der ontologischen Abstraktion des Logischen. So wird die Begeisterung des jungen H. für die Französische Revolution durch seine spätere konservative Botschaft gelöscht. H. hat zwar eingesehen, daß die bürgerliche Gesellschaft über sich hinauswächst, aber aus Angst vor den Konsequenzen des eigenen Denkens hat er den absoluten Staat bejaht.
Kausalität oder Substantialität? Zu Hegels Ontologie der Geschichte. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 147-171. SCHMIDT, GERHART:
Verf. behandelt zunächst „Kant und die Möglichkeit, Geschichte zu erkennen", dann kontrastiert er damit H.s Geschichtsmetaphysik. Am Schluß folgt ein Bück auf H.s Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte als „Ontologie der Geschichte".
The Idea of Colonialism in Hegel's Philosophy of Right. — In: International Philosophical Quarterly. New York, Namur. 29 (1989), N. 3, 301-318. SEREQUEBERHAN, TSENAY:
Verf. dokumentiert die These, H. erreiche sein argumentatives Ziel, die Widersprüche der .bürgerlichen Gesellschaft' im .Staat' aufzulösen nicht, sondern sehe sich gezwungen, die Widersprüche durch kolonialistische Vorschläge zu verdecken, durch eine hermeneutisch angelegte Untersuchung der entsprechenden Teile der Philosophie des Rechts. Er orientiert sich an der Leitfrage, ob H.s Text in irgendeiner Weise die kolonialistische Expansion als wesentlich für die Konstitution der europäischen Moderne verbürge. Als Resultat ergibt sich, daß für H. „die Entfaltung der Weltgeschichte als der Manifestation der Idee basal die Beherrschung der Welt durch Europa" erfordert. Somit werden die koloniahstischen Ereignisse, welche die europäische Geschichte kennzeichnen, durch H. metaphysisch artikuliert und sittlich gerechtfertigt.
H. : The infinite circle: From Cusanus and the Tao to Hegel and Hesse. — In: The Owl of Minerva. VUlanova, Pa. 20 (1988/1989), N. 2, 165-182. SHAFER, INGRID
Verf. sees the coincidentia oppositorum tradition of both East and West as plapng an important role in both H.'s philosophical System and Hesse's Glasperlenspiel. She shows affinities between H. and Hesse, but Claims that H. did not influence Hesse very much. Rather, both share the same roots in Chinese, Pythagorean, Neo-Platonic, and Christian mystic thought.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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Hegel's logic a speculative tropology? — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 21 (1989/1990), N. 1, 21-40. SILLS, CHIP: IS
Following Hayden White's theory of the four „master tropes" (metaphor, metonjmiy, synecdoche, and irony), Verf. finds instances of each embedded in the structure of H.'s logic. For example, H.'s analysis of the attitudes of thought to objectivity embodies the first three, the naive tropes: immediate realism as metaphor, the representational trope of identity or simUarity; empiricism as metonymy, the reductionist or mechanistic trope of contiguity or objective commensurability; and intuition as synecdoche, the integrative trope of organism, unity, and subjectivify. As another example from another aspect of the logic; judgments of existence correspond to metaphor, judgments of reflection to metonymy, judgments of necessity to synecdoche, and judgments of the concept to the fourth trope, irony, the self-conscious contextualist trope of negation. If we interpret tropes only according to finite categories of the understanding, then they do not apply to H.; but if we see them as indicative of speculative categories, then they do.
La „fierte" de l'Esprit. - In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 81—100. SOUCHE-DAGUES, DENKE:
Indem der Geist in seiner Äußerlichkeit sich selbst erkennt, kommt er zum Genuß seiner selbst, Das Wissen seiner Einheit ist die Philosophie. In diesem Zusammenhang wird H.s Rede vom Stolz des Geistes verständlich.
Hegelian Critique of Reflection. — In: Hegel and his Critics. Phüosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 179-191. STERN, DAVID S.: A
Verf. kritisiert E. Tugendhats H. kritik in zwei Hauptpunkten: 1) Tugendhat interpretiert die Struktur des Selbstbewußtseins nach dem Bewußtseinsmodell, welche Interpretation bereits durch die Phänomenologie-These, daß das Selbstbewußtsein „die Wahrheit" des Bewußtseins sei, als widerlegt anzusehen ist. 2) Tugendhat behauptet, das Selbstbewußtsein dürfe nicht nach dem Subjekt-Objekt-Modell dargestellt werden, doch gerade diese „Reflexionsleistung" kritisiert H. selbst im § 424 der Enzyklopädie.
On the relation between rational autonomy and ethical Community: Hegel's critique of Kantian morality. — In: Praxis International. Oxford. 9 (1989), N. 3, 234-248. STERN, PAUL:
Ausgehend von der gegenwärtigen Kontroverse zwischen einer formal-rationalistischen und historisch-hermeneutischen Begründung der Moral analysiert Verf. H.s Theorie der Sittlichkeit als Alternative zur praktischen Philosophie Kants. Obwohl H. den Kantischen Formalismus ablehnt, gibt er doch den Anspruch nicht auf, daß die Ethik in der rationalen Autonomie fundiert ist. Wenn H. allerdings den Begriff der Freiheit metaphysisch durch die Idee legitimiert, löst er die Autonomie vom praktischen Urteil und der individuellen Wahlmöglichkeit des Subjektes ab. Damit mißversteht H. seine Kritik am Formalismus, die ihn ebenso zum Konzept einer prozessualen Rationalität hätte führen können.
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BIBLIOGRAPHIE
SüNKEL, WOLFGANG: Hegel und der Krieg. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bo-
chum 1989. 242-250. Sittliches Universum ist für H. der Staat nur hinsichtlich seiner Binnenverhältnisse — untereinander stehen die Staaten im Verhältnis des Zufalls und der Willkür. Für H. ist jeder einzelne Krieg zwar zufällig, der Krieg selbst aber eine Notwendigkeit. Diese Konsequenzen können heute nicht akzeptiert werden — die „Destruktion" der H.sehen Philosophie ist notwendig: „H.s Souveränitätsbegriff verbietet die Vorstellung einer überstaatlichen Sittlichkeit — H.s Monarchiekonzeption basiert auf einem Gottesgnadentum, das zu einem Begriffsgnadentum stilisiert wird, Souveränität verdankt sich einer metaphysischen Urregion". „Es war . . . die schlichte monarchistische Parteinahme der Person H., die den Philosophen daran gehindert hat, die Vorstellung einer überstaatlichen Sittlichkeit ins Auge zu fassen."
Metafora e concetto. Sulla metaforica dello specchio in Schelling e nel giovane Hegel [Metapher und Begriff. Über die Metaphorik des Spiegels bei Schelling und beim jungen Hegel]. — In: Filosofia. Torino. 40 (1989), 175-201. TAGLIAPIETRA, ANDREA:
Aufgrund zeitgenössischer Metapherntheorien und mit Bezug auf den philosophischen Gebrauch der Spiegelmetapher in der philosophischen Begriffsbildung untersucht Verf. H.s Gebrauch von Spekulation und Reflexion in ihren terminologischen Schwankungen, auch hinsichtlich des Einflusses von Schelling. Wenn in den Jugendschriften die Spiegelmetapher auf die Entzweiung in der Religion und in der Liebe hinweist, deutet die Reflexion in der Jenaer Periode auf die Denkweise des Verstandes und zeigt die Trennung zwischen Subjekt und Objekt an. Auch wenn die spätere positive Aufnahme des Begriffs „Spekulation" die räumliche Struktur der Metapher annulliert, ist eine Metaphorik des Raumes aus dem ganzen System nicht wegzudenken.
Phänomenologie der Praxis im Dialog zwischen Japan und dem Westen. Würzburg 1989. 263—279: Der Begriff des Tuns bei Hegel — Phänomenologische und dialektische Wesenslehre der Praxis. TAKAYAMA, MAMORU:
H. s Lehre vom Tun, wie sie in der Phänomenologie des Geistes in dem Abschnitt „Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist" entwickelt wird, interpretiert Verf. vor dem Hintergrund der Darstellung der Wesenslehre (Abschnitt 1) und der H. sehen Dialektik (Abschnitt 2). Das Wesen des Tuns und auch des Tuenden ist „nicht das Resultat seines Tuns, sondern sein Tun selbst".
Necessarium est idem simul esse et non esse. Zu Hegels Revision der Grundlagen von Logik und Metaphysik. — In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-Ch. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 199—226.
TUSCHLING, BURKHARD:
Wie das Wirkliche vernünftig sein könne, wie Natur und Geschichte als Entwicklung ein und desselben Prinzips der Vernunft gedeutet werden können usw., dies alles ist längst vor H. in der Philosophie diskutiert worden. Wie diese Identität in der Nichtidentität und absoluten Differenz des Göttlichen und Menschlichen in einer uniformen und konsistenten ontologischen Logik begründet werden könne, ist aber erst von H. thematisiert worden. H.s Re-
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Vision der vormaligen Metaphysik und Logik betrifft insbesondere den Satz vom Widerspruch. H. geht davon aus, „daß alles was überhaupt ist, als das, was es ist, nur begriffen werden kann, wenn der Satz vom Widerspruch negiert und Bestimmtheit als Vereinigung von Sein und Nichtsein begriffen wird". (200) Verf. erläutert seine These, indem er zunächst auf H.s 'Wissenschaft der Logik eingeht, dann auf Kant und Leibniz. Nach Erörterung der Anfangskategorien der Wissenschaß der Logik (Sein, Nichtsein, Werden, Dasein, Etwas und Anderes) kommt Verf. zu dem Ergebnis, daß im Verständnis von ,Etwas' und ,Bestimmtheit' die Voraussetzung der absoluten Entgegensetzung von Sein und Nichtsein, d. h. der Satz des Widerspruchs negiert ist.
De theodicee in de filosofie van Hegel [Die Theodizee in Hegels Philosophie], — In: Wijsgerig Perspectief op Maatschappij en Wetenschap. Amsterdam. 30 (1989/90), 61—66. VAATE, HENK BIJ DE:
Hegels ganze Philosophie ist Theodizee. Sie begreift die Notwendigkeit des Übels und die Güte der Wirklichkeit von der Logik des Endlichen und Unendlichen aus. In deren Vergehen geschehen der beschränkten Natur der endlichen Dinge, Individuen und Staaten, Recht und Gerechtigkeit. Dem Unendlichen geschieht in der Geschichte dadurch Recht, daß es sich als das Absolute und Unvergängliche erweist.
G.: Hegel and the Problem of Difference: A Critique of Dialectical Reflection. (Commentary by Ardis B. Collins). — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 35—56.
VAUGHT, CARL
Während H. (Beispiel ist die Phänomenologie) alle nicht-dialektischen Unterschiede in der absoluten Bewegung der Dialektik zum Verschwinden bringt, schlägt Verf. vor, diese Unterschiede nicht-dialektisch aufzufassen, was durch den nicht-dialektischen Begriff der „Analogie" erst möglich wird.
Dionysios Solomos. Romantische Dichtung und Poetik. Die deutschen Quellen. [Griechisch.]. Athen 1989. 204—217, 422 -424: Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). [Griechisch.] VELOUDIS, GIORGOS:
Verf. untersucht den Einfluß H.s auf die poetologischen Reflexionen des griechischen Naüonaldichters Dionysios Solomos. Wie vor allem die bekanntgewordenen „Autographen" von Solomos zeigen, hatte Solomos tatsächlich die (unedierten) italienischen Übersetzungen der H.sehen Werke, die sein Freund N. Lountzes für ihn angefertigt hatte, gründheh studiert. Durch Vergleich der Texte zeigt Verf., daß Solomos eine hegeUanisierende Auffassung herausgebildet hatte, die die Einheit von Dichtung, Welt und Philosophie gewährleisten sollte.
Fatherhood and Subjectivity. — In: Philosophy and Theology. Milwaukee, Wisc. 3 (1989), 253—262.
VER HECKE, WILFRIED:
This essay offers a philosophical analysis of the role of the father-figure in the family. Verf. argues that a Cartesian approach to this question is useless; and that Hegel, while he offers the beginning of an adequate analysis, falls short of the Jultiple function model which an adequate analysis requires.
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BIBLIOGRAPHIE
Idee nel sistema hegeliano [Idee in Hegels System]. — In: Idea. VI Colloquio internazionale. Roma, 5—7 gennaio 1989. Atti a cura di M. Fattori e M. L. Bianchi. Roma 1989. 393—410.
VERRA, VALERIO:
Verf. untersucht H.s theoretische Behandlung und begriffliche Spezifizierung der „Idee" innerhalb der Wissenschaft der Logik und des logischen Teils der Enzyklopädie. Der weitere Gebrauch des Begriffs „Idee" in der Realphilosophie wird dann eingehend erläutert mit besonderer Berücksichtigung ihrer Thematisierung in verschiedenen Kontexten der Geistesphilosophie und auch in bezug auf die Vorlesungen.
L'idee de religion revelee chez Hegel et Schelling. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 97—105. VIEILLARD-BARON, JEAN-LOUIS:
The Interpretation of Aristotelian Justice by Hegel and Schelling. — In: On Justice. Ed. by Greek Philosophical Society. Athens 1989. 450—453. VIEILLARD-BARON, JEAN LOUIS:
H. steht Aristoteles nahe, weil er die konkreten Formen des sittlichen Lebens als Moral, Sittlichkeit und Staat analysiert; aber er ist mehr platonisch, wenn er die aristotelische Interpretation der Gerechtigkeit als Gleichheit verwirft und die Ständehierarchie bevorzugt. H.s und ScheUings Interpretationen der aristotelischen Gerechtigkeitsauffassung haben — trotz ihrer Unterschiede — als gemeinsame Voraussetzung die hohe Schätzung des kontemplativen Lebens. Darin stimmen beide mit Aristoteles überein.
Vos, Lu DE: Absolute knowing m the Phenomenology. — In: Hegel on the ethical life, religion and philosophy. 1793—1807. Ed. by A. Wylleman. Leuven, Dordrecht 1989. 231—270. Der Aufsatz gibt zuerst eine neue Gliederung des absoluten Wissens; dann untersucht er den spekulativen Status dieses Wissens und dessen Verhältnis zur spekulativen Philosophie. Die Phänomenologie des Geistes ist zwar eine Einleitung zur Spekulation, aber keine Ableitung des Spekulierens.
Vos, Lu DE: Hegels Natuurfilosofie (Hegels Naturphilosophie). — In: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 51 (1989), 298—309. Überblick über die neuere Literatur zur H. sehen Philosophie der Natur, wobei die logischen und metaphysischen Probleme herausgestellt werden.
Vos, Lu DE: Hegels Filosofie der Religie (Hegels Religionsphilosophie.) — In: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 51 (1989), 517—527. Kritische Rezension der Gesammelten Werke Band 17 und von W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Hauptfrage bleibt, ob das Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie so gestellt werden kann, daß die theologische Dimension der (ausgearbeiteten) Logik noch immer, wie in den Jenaer Entwürfen, in eine andere Disziplin eingeordnet und von dort aus erörtert werden muß.
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Moralität und Sittlichkeit: Zu Adornos Hegelkritik. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 300—307. VRIES, HENT DE:
Verf. versucht zu klären, „warum H.s objektiver Idealismus nach Adorno nur Aktualität hat gegen ein Anderes, nicht an sich" — H.s Lehre vom absoluten Geist ist für Adorno nur ein „heilsames Korrektiv gegenüber der Resignation des modernen Bewußtseins", aber auch nicht mehr — denn keine der Versöhnungen des absoluten Idealismus war stichhaltig — so die Negative Dialektik. Adornos Parteinahme für das Besondere könnte eher als ein Antihegehanismus bezeichnet werden — fäUt Adorno mit seiner Kritik an H. rucht in eine neue Sollensphilosophie zurück? Abschnitt 2 (Zur Kritik des geschichtsphilosophischen Primats des Allgemeinen oder der Totalitäts- und Identitätsphilosophie) erörtert diese Frage und charakterisiert Adornos Phüosophie als eine „neue Gestalt des unglücklichen Bewußtseins".
G. W. F. Hegelin ja K. G. Ehrströmin rangaistusteorian ykseydestä eroavuudessaan [Von der Einheit und Differenz der Straftheorie Hegels und K. G. Ehrströms]. — In: Rikosoikeudellisia kirjoitelmia VI. Suomalaisen Lakimiesyhdistyksen Julkaisuja A-sarja N. 185. Vammala 1989. 493-522. WAHLBERG, MARKUS:
Verf. erörtert einheitliche und differente Aspekte der Straftheorie H.s und K. G. Ehrströms, des finnischen Strafrechtslehrers, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentlich auf die Gestaltung und Abfassung des finnischen Strafgesetzes (1889) wirkte. Ehrström war in methodischer und systematischer Hinsicht der vollblütigste strafrechthche Hegelianer Finnlands, und der größte Unterschied in Beziehung auf die Anschauungen H.s besteht darin, daß Ehrström das Besserungsprinzip, das in H.s Straftheorie seine Stelle zunächst nur in Rücksicht auf die Modalität der Strafe hat, „zum Grundprinzip der Veranstaltung der Gefängnisstrafe" dialektisch entwickelte, aber so, daß er im Gegensatz zur späteren relativistischen Besserungsideologie als Hegelianer auch die objektive Betrachtung der Gerechtigkeit besonders in der Strafzumessung betonte.
The concept of revelation and Hegel's histoiical realism. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 79 —96. WALKER, JOHN:
Hegel on war: another look. — In: History of Political Thought. Exeter. 10 (1989), N. 1, 113-124. WALT, STEVEN:
Using PhR, § 324 as the central text, Verf. weighs three mutually exclusive interpretations of H.'s theory of war, namely, that all war is good in itself, that some defensive wars are good in themselves, and that the philosophical significance of war in general is to be considered apart from H.'s condemnation of particular wars. Verf. concludes that the true interpretation lies somewhere anüdst these three, that war for H. is necessary, not on strictly logical or even dialectical grounds, but rather because of the ethical relation between the Citizen and the state and because of the political relations among States. Such necessity is seen therefore as merely phenomenological, and not at all normative, insofar as philosophy, being for H. primarily descriptive, is not qualified to pass universal judgment upon the either the value or the morality of either war in general or particular future wars, but only upon the phenomena attendant upon and consequent to particular past wars. Nevertheless, Verf. argues that H. öfters philosophical justification for war in general, but not for particu-
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BIBLIOGRAPHIE
lar wars, and indeed, that H. is disgusted more often than not by particular wars and their effects upon both nations and individuals. Thus H.'s view remains problematic, for it seems to say that war in general is healthy toward the ethical life of the state, but at the same time that particular wars are usually detrimental to the ethical health of particular States and citizens.
Der überzeitliche Grund der Natur. Kants Zeit-Antinomie in Hegelscher Perspektive. — In: Prima philosophia. Cuxhaven. 2 (1989), 381-390.
WANDSCHNEIDER,
DIETER;
H. kommt in seiner Auseinandersetzung mit den kosmologischen Antinomien Kants zu dem Schluß, daß die Frage nach dem Alter der Natur überhaupt sinnlos sei, da der Seinsgrund der Natur im Überzeitlichen hege. Kant arbeitet diesem Gedanken insofern vor, als für ihn die Welt in ihrer Totalität kein empirischer Tatbestand sein kann. Für H. hat der Grund der Natur, das Ideelle, überzeithchen Status; sein Verhältnis zum zeitlichen Natursein kann nicht mehr zeithch gefaßt werden.
Eduard Gans und die Armut. Von Hegel und Saint-Simon zu frühgewerkschaftlichen Forderungen. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 355-363. WASZEK, NORBERT:
Verf. gibt eine entwicklungsgeschichthche Erörterung, wie sich Gans mit dem Problem der Armut auseinandersetzt, das H. in seiner Rechtsphilosophie eindringüch thematisiert hat. Während sich Gans bis 1830 eng an die Ausführungen H.s zur Armut anschließt, wird sein Vertrauen in diese Lösungen durch eigene Beobachtungen des frühindustriellen Englands und durch die Aufnahme der Saint-Simonistischen Gesellschaftsanalyse erschüttert. Gegenüber dem H. sehen Mittelweg der Korporationen schweben Gans Gewerkschaften vor, die sowohl die materiellen Lebensbedingungen verbessern und die Armen zu einem organischen Teil der „Sittlichkeit des Staates" erheben sollen.
La reception du saint-simonisme dans l'ecole hegelienne: l'exemple d'Eduard Gans. — In: Archives de Philosophie. Paris. 52 (1989), 581-587. WASZEK, NORBERT:
Verf. analysiert die Saint-Simon-Rezeption der H. sehen Schule am Beispiel von Eduard Gans. Im Rahmen seiner autobiographischen Rückblicke auf Personen und Zustände (1836) diskutiert Gans die Lehren der Saint-Simonisten ausführlich. Nach einer Identifikation der Quellen von Gans' Rezeption wird gezeigt, wie Gans den Saint-Simonistischen Begriff der „association" (,VergeseUschaftung') von seinen kollektivistischen Obertönen befreit und mit H.s Lehre der ,Korporation' verknüpft.
1789, 1830 und kein Ende. Hegel und die Französische Revolution. — In: Französische Revolution und Pädagogik der Moderne. Hrsg, von U. Herrmann und J. Oelkers. Weinheim, Basel 1989. (Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 24.) 347—359.
WASZEK, NORBERT:
Nach einem Bericht über die Forschungsgeschichte zum Thema; „Joachim Ritter revisited", behandelt der Aufsatz in zwei Schritten: (1) Die Französische Revolution im Spiegel
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1989
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der Entwicklung Hegels; (2) Gang und Bedeutung der Revolution in Hegels reifem System.
Weltgeschichte und Zeitgeschehen. Hegels Lektüre des „Globe". — ln: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg, von H.-C. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 33-56. WASZEK, NORBERT:
Welche Bedeutung besaß die französische Zeitschrift Globe als Quelle H.s? Verf. eruiert die Geschichte und den Charakter dieser Zeitschrift für Literatur, Politik und Philosophie. Sodann geht er der Frage nach, wie „H. die tagespolitischen Informationen, die die Zeitschrift bot, und die Beurteilung, die sich daran anschloß, in seine Geschichtsphilosophie überleitet". Die Julirevolution steht hier im Zentrum; deren Notwendigkeit wird von H. zunächst anerkannt. Auch die differenzierte ReUgionskritik des Globe entspricht der Position H.s. Erst der Ausgang der Revolution, die nicht gelungene Versöhnung — das katholische Prinzip verhindert die vollständige Befriedigung ebenso wie der Liberalismus — bestärken H. in der seit 1827 (§ 352 der Enzyklopädie) bestehenden Ansicht, daß das „katholische Prinzip" ein bleibendes Hindernis auf dem Weg zu staatlicher Freiheit ist. — Bis zu seinem Tode war H. bemüht, sich die tagespolitischen Ereignisse anzueignen; er blieb bereit, „seine Darstellung der Geschichte zu revidieren, wenn die aktuellen Ereignisse ihm eine solche Veränderung notwendig erscheinen ließen".
Zwischen Hegel und Marx. Eine Würdigung Eduard Gans' anläßlich der 150. Wiederkehr seines Todestages (5. Mai 1839). — In: Dialektik 17. Der Philosoph und das Volk. 200 Jahre Pranzösische Revolution. Köln 1989. 162—176. WASZEK, NORBERT:
Nach einer Skizze der Biographie Gans' zeigt Verf., wie die Aufnahme Hegelscher Theoreme Gans „sehr bald zu folgenreichen eigenständigen Ansätzen führte". Die „soziale Frage" und die „Verfassungsdebatte" werden als Beispiele herangezogen, um Gans' Auseinandersetzung mit H. zu veranschaulichen. Der Einfluß der Saint-Simonistischen Schule, der direkte Einblick in die industriellen Verhältnisse Englands führt ab 1830 zu einer Radikalisierung der Gansschen Position. Abschließend geht Verf. der Frage nach dem Einfluß Gans' auf Marx nach.
Georg Lukäcs und die Heidelberger Hegelrenaissance. — In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 204—214.
WEISSER, ELISABETH:
R.: HegeTs Attitüde toward Jacobi in the „Third Attitüde of Thought toward Objectivity". — In: The Southern Journal of Philosophy. Memphis. 27 (1989), 135—156. WESTPHAL, KENNETH
Verf. thematisiert hauptsächhch H.s Kritik an Jacobis Konzeption des „unmittelbaren Wissens" innerhalb der Enzyklopädie (1827/30), zieht jedoch auch H.s Jacobi-Rezension heran, um zu zeigen, daß für H. Jacobi mit Kant das Verdienst zukomme, „der vormaligen Metaphysik" hinsichtlich „ihrer Weise der Erkenntnis ein Ende gemacht und damit die Notwendigkeit einer völlig neuen Ansicht des Logischen begründet zu haben", Jacobi gehe zwar für H. über den kantischen Glauben an Gotf zu einem Wissen von Gotf forf, hinsichtlich der
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BIBLIOGRAPHIE
epistemologischen Analyse dieses Wissens stimme H. jedoch nicht mit Jacobi überein. Wenn Jacobi sich mit einem ,salto mortale' vor der in der Rationalität begründeten Gefahr des Nihilismus rette, könne H. ihm gerade in dieser Hinsicht nicht zustimmen, sondern er erweise das unmittelbare Wissen als ein wesentlich Vermitteltes.
Hegel, Hinduism, and Freedom. — In: The Owl of Minerva. VUlanova, Pa. 20 (1988/1989) N. 2, 193-204. WESTPHAL, MEROLD:
Verf. argues that H.'s prejudice against Hinduism was manifest in VPR and had political motives. If H. had evaluated Christianity by the same criteria he applied to Hinduism, he would have found elements of unfreedom in Christianity; hkewise, if he had evaluated Hinduism by the same criteria he applied to Christianity, he would not so easily have been able to dismiss Hinduism as a rehgion of unfreedom. Part of H.'s problem with Hinduism stems from his attempt to understand its freedom solely as negative freedom, i. e., the freedom which merely escapes restrictions and which is comprehended in the equation: universality = indeterminacy.
R.: Hegel and Heidegger (Commentary by E. V. d. Luft). — In: Hegel and his Critics. Philosophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 135—163. WILLIAMS,
ROBERT
Gegen Heideggers Interpretation, H.s Begriff des „Geistes" bleibe ganz innerhalb der Cartesianischen Tradition, behauptet Verf., daß dieser Begriff den der Subjektivität in die Intersubjektivität überführe und damit zugleich den transzendentalen Charakter der Subjektivität in die Geschichte hineinbringe. Daran anknüpfend kritisiert Verf. 1) Heideggers Interpretation der H.sehen „Phänomenologie": Sie sei keine Phänomenologie im Husserlschen Sinn; 2) seinen Einwand, H. habe die „ontologische Differenz" zur logischen Kategorie der „Differenz" reduziert; 3) den Wahrheitsbegriff Heideggers.
Moral des Subjekts — Rationalität des Systems. — In: Hegel-Jahrbuch 1988. Bochum 1989. 60—68.
WINKLER, MICHAEL:
Verf. behandelt das Problem des Verhältnisses von Sittlichkeit und moralischem Subjekt in der H.schen Rechtsphilosophie.
„Driven forth to Science". — In: Hegel on the ethical life, religion, and phüosophy. 1793—1807. Ed. by A. Wylleman. Leuven, Dordrecht 1989. 1—45. WYLLEMAN, ANDRE:
In einem Brief an Schelling vom 2. 11. 1800 erklärt H., er sei in seiner wissenschaftlichen Bildung, die von untergeordneten Bedürfnissen des Menschen anfing, zur Wissenschaft vorangetrieben worden. Verf. übernimmt diesen Satz als Leitfaden für seine Arbeit, in der er die Entwicklung des jungen H. bis zur Übersiedlung nach Jena im Jahre 1800 eingehend nachzeichnet.
HegeTs Logic a Logic? Analytical Criticism of Hegel's Logic in Recent German Philosophy. — In: Hegel and his Critics. PhiloZIMMEREI,
W.: IS
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1986—1988
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sophy in the Aftermath of Hegel. Ed. by W. Desmond. New York 1989. 191-203. Kritische Darstellung der H.-Interpretationen von D. Henrich und M. Theunissen, ausgehend von der Frage: Was ist eigentlich mit dem Ausdruck „Logik" gemeint, wenn man von „Hegels Logik" spricht? Während für Henrich die Negation und für Theünissen die Lehre vom Urteil der Schlüsselbegriff der H.sehen Logik ist, versucht Zimmerli zu zeigen, daß H.s Auffassung der „conclusive inference" diese Zentralrolle zukommt.
Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen (1986—1988)
Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit als Kritik an einer Abbildtheorie der Erkenntnis. — In: L. Fleischacker (Hrsg.): Reflexiviteit en Metafysica. Delft 1987. 128—138. BAUMEISTER, THOMAS:
Verf. entwickelt H.s Kritik der sinnlichen Gewißheit als Beispiel der Kritik an einer Abbildoder Korrespondenztheorie der Erkenntnis, in dem die Pointe die Einführung des Begriffs der Allgemeinheit als vermittelter Einfachheit ist.
Le droit international chez Kant et Hegel. — In: Archives des Philosophie du Droit. Paris. 32 (1987), 85—99.
BESNIER, JEAN-MICHEL:
Das internationale Recht steht bei Kant und H. in engem Zusammenhang mit dem Problem des Krieges — mit allen paradoxen Möglichkeiten und Folgen. Verf. überprüft die Thesen der Kantischen Schrift Zum ewigen Frieden und diejenigen der H. sehen Grundlinien und veranschaulicht die H.sche Kritik an Kants Konzeption eines ewigen Friedens — für Hegel ist der Krieg unter den Völkern als selbständiger Individuen letztlich unvermeidbar. Anhand der Bedingungen der jeweiligen Position wird auch die logische Struktur der Argumentation veranschaulicht.
Idealismo cristiano (Agostino) e dialettizzazione del cristianesimo (Hegel) [Christlicher Idealismus (Augustinus) und Dialektisierung des Christentums (Hegel)]. — In: Cristo nel pensiero contemporano. A cura di Gino Ciolini. Palermo 1988. 31—42. BIASUTH, FRANCO:
Das Christentum tritt als „Bruchphase" in der westlichen Kulturgeschichte zwischen Idealismus und Dialektik, die die „kontinuierliche" Entwicklung der abendländischen philosophischen Tradition geprägt haben. Augustinus und H. sind exemplarische Referenzpunkte der Analyse grundlegender Zusammenhänge zwischen philosophisch-rationalistischer und christlicher Tradition. Wenn der christliche „Augustinische Idealismus" in Auseinandersetzung mit der platonischen Tradition die Grenzen menschlicher Vernunft (Philosophie) bei der Erkenntnis der absoluten Wahrheit und die Notwendigkeit des Glaubens (Religion) aufgezeigt hat, dann kehrte die H.sche „Dialektisierung des Christentums" diese Perspektive um: Die christliche Religion, zu einer Phase der Weltgeschichte geworden, weiß die durch sie selbst verwirklichte Wahrheit (das Selbstbewußtsein als absolutes Wesen) nur unmittelbar in der Anschauung; für ihre begriffliche Selbsterkenntnis im Denken bleibt sie aber auf die Philosophie angewiesen.
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BIBLIOGRAPHIE
Mythe en gemeenschap. Bataille en de jonge Hegel [Mythos und Gemeinschaft. Bataille und der junge Hegel], — In: F. Geraedts und L. de Jong (Hrsg.): Ergo Cogito I. Groningen 1988. 16—29. BOLLE, ERIC;
Der späte H. ist für Bataille der Philosoph der Arbeit und der Sparsamkeit. Dagegen hat Bataille vom jungen H, folgendes übernommen: die erotische Gliederung der ontologischen Differenz und das Verlangen einer neuen Mythologie und einer neuen sinnlichen Religion.
Dieu est-il simple? Thomas d'Aquin et Hegel. — In: Nouvelle Revue Theologique. Tornai, Namur. 110 (1988), 514—536. BRITO, EMILIO:
ln S. Th., 1, q. 3, über die Simplizität Gottes hebt Thomas zu Recht die ursprüngliche Vollkommenheit des subsistierenden Seins hervor; hierdurch deutet er an, daß der Unterschied keine dialektische Spannung in Gott einführen kann. H. zeigt besser, daß das Absolute, wenn es die lebendige Substanz und nicht das unartikulierte Eine sein wül, reflexiv sein muß. Eine konkretere Theologie müßte das gegenseitige Hervortreten der eingeborenen Positivität des subsistierenden Seins und des differenzierten Zusammenhangs des absoluten Geistes denken.
CoMOTH, KATHARINA: Das Menschenrecht auf Reflexion ,im Gange des
Denkens' bei Hegel. — In: Comoth: Mediaevalia Moderna im Gange des Denkens von Augustinus bis Hegel. Heidelberg 1988. 53—60. In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie benutzt Hegel das revolutionäre Wort „Menschenrecht" und verbindet es „im Gange des Denkens" mit der Auslegung des Absoluten als Recht denkender Menschen auf Reflexion. Der Beitrag (zum Stuttgarter Hegel-Kongreß von 1987) geht aus vom „relativen Absoluten", das seine Herkunft an sich hat, „das Absolut-Absolute“ oder „das Absolute selbst" als „Verhältnis des Geistes" oder als „Willensidee", welche Grundbestimmung der „absoluten Negation" ist als Widerspruch oder „bestimmte Negation" und als solche Ursache der Reflexion, die ab-solutes will; „Objekt- und Subjektsein" oder Gleichheit in Verschiedenheit. Sie weiß das Recht als Idee (der proportio).
CoTTiER, GEORGES: Hegel et l'histoire de la philosophie. — In: Cahiers In-
ternationaux de Symbolisme. N. 56—58. Mons 1987. 67—84. Nach H. gewinnt die Geschichte der Philosophie nur für denjenigen Sinn, der schon Philosoph ist. Dabei hängt die Konzeption, die man von der Geschichte der Philosophie hat, von der philosophischen Position ab, die man einnimmt. — H.s Konzeption der Geschichte der Philosophie ist in vielfacher Hinsicht frag-würdig. Räumt H. der Kontingenz der diskutierenden Subjekte den gebührenden Rang ein? Läßt die Eine göttliche Vernunft in H.s System den Philosophen nicht zum Propheten werden? Ist die Vermittlung von Chronos und Logos überhaupt möglich? Und warum ist das neueste System jeweils das fortgeschrittenste? — Offensichtlich kann Geschichte der Philosophie wegen der Pluralität der philosophierenden Subjekte nicht als notwendiger und systematischer Prozeß konzipiert werden.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1986—1988
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Presencia de Hegel en Colombia. [Die Präsenz Hegels in Kolumbien], — In: Anälisis, N. 45. Bogota 1987. 134—148. DIAZ, JORGE AURELIO:
Eine kommentierende Aufstellung der wenigen nach seiner Ansicht noch beachtenswerten inländischen Veröffentlichungen über H. vorausschickend, berichtet Verf. über die bisherige Rezeption der Philosophie H.s in Kolumbien. Neben der Phänomenologie des Geistes bilden Themen der Jugendschriften H.s sowie die dialektische Methode, aus marxistischer Perspektive abgehandelt, die Schwerpuirkte des dortigen, nur akademischen Interesses an H.
N.: Kierkegaard'S Hegelian response to Hamann. — In: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie. Berlin, New York. 30 (1988), 315—326. DUNNING, STEPHEN
Obwohl Kierkegaard oft als hartnäckiger Kritiker H.s und Schüler Hamanns gekennzeichnet wird, zeigt doch eine sorgfältige Untersuchung jener Passagen, in denen Kierkegaard Hamann kommentiert, daß er in einer bedeutsamen Weise so etwas wie ein „hegelianischer" Kritiker Hamanns ist. Anders als H. bewundert Kierkegaard Hamann wegen der Intensität seines Glaubens und der Individualität seines Denkens und seines Stils. Doch ist sein Umgang mit philosophischer Sprache weniger metakritisch als der Hamanns — sosehr er H.s Bemühen, religiöse Vorstellungen in den spekulativen Begriff zu transformieren, ausdrücklich entgegensteht.
Dilthey e Hegel [Dilthey und Hegel]. — In: Rivista internazionale di filosofia del diritto. Milano. 64 (1987), 96—100. FERRI, ENRICO:
Bericht über eine ,Dilthey und H.' gewidmete Tagung, die anläßlich der italienischen Ausgabe der Jugendgeschichte Hegels in Rom stattgefunden hat. Dabei werden die Gründe der späten Rezeption von DUtheys H.-Buch dargestellt sowie die Motive des heute wieder erwachten Interesses an der Jugendgeschichte hervorgehoben.
HegeTs theorie van de oorlog in het licht van de kernbewapening [Hegels Theorie des Krieges im Licht der atomaren Rüstung]. — In: Werken met Wijsbegeerte: een cultuurprobleem. Hrsg, von G. Huussen und H. Woldring. Delft 1986. 269—278. FLEISCHHACKER, LOUK:
In der jetzigen Situation verkehrt H.s Behauptung der Geltung des Krieges als Zeichen der menschlichen Autonomie im Rahmen der Naturbeherrschung in ihr Gegenteil, in die Drohung der endgültigen Vernichtung des Geistes selbst.
Pahstwo a Religia w filozofii G. W. F. Hegla [Der Staat und die Religion in der Philosophie Hegels]. — In: Analecta Cracoviensa. Krakau 20 (1988), 3-14. GADACZ, TADEUSZ:
Verf. untersucht H.s Konzeption einer Synthese von individueller Freiheit und objektiver Vernunft in der Idee des absoluten Staates. Die Rede von einem „Königreich Gottes" ist jedoch problematisch, da sie die politische Sphäre mit der religiösen vermischt und so den Boden auch für totalitäre politische Bestrebungen bereitet.
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BIBLIOGRAPHIE
GiACCHfi, VLADIMIRO: Intersoggettivitä senza ontologia? A proposito di un
recente Kbro su Hegel [Intersubjektivität ohne Ontologie? A propos eines neueren Hegel-Buches]. — In: Giornale critico della fUosofia italiana. Firenze. 67 (69) (1988), 422-430. Verf. bespricht Hösles H.-Buch mit besonderer Berücksichtigung seiner Interpretation von H.s Logik anhand der Intersubjektivitätsproblematik, wobei Verdienste und Grenzen von Hösles H.-Lektüre hervorgehoben werden. Besonders Hösles Einwände gegenüber H.s Theorie der Teleologie und der Objektivität innerhalb der subjektiven Logik scheinen dem Verf. unangemessen, auch die Unterschätzung von H.s ontologischen Intentionen zugunsten eines eher ,transzendentalen' Blickpunktes bilden eine Schwachstelle von Hösles H.-Deutung.
Rilievi sulla Fenomenologia dello spirito di Hegel. — In: Virtualitä e attualitä della filosofia cristiana. A cura di Battista Mondin. Roma 1988. (Studia urbaniana. 32.) 305—329. GIANNINI, GIORGIO:
Verf. sieht in der dialektischen Beziehung vom Allgemeinen zum Einzelnen, die in der Phänomenologie des Geistes entwickelt ist, eine spezifisch theologische ,Inbezugsetzung' von göttlicher Unendlichkeit und endlicher Dinglichkeit.
GrvoNE, SERGIO: Aut Hegel aut Kierkegaard. — In: Cristo nel pensiero
contemporano. Palermo 1988. (Convegno di Santo Spirito. 4.) 43—51. Verf. untersucht das Verhältnis zwischen H. und Kierkegaard mit Rücksicht auf die jeweilige Ästhetikauffassung.
Guo, JIANGUANG: Über Methode und Bedeutung der Hegelschen Ästhetik. [Chinesisch]. — In: Presse des pädagogischen Instituts Changsha. Hunan 1988. N. 1, 52-59. H. s Ästhetik als Philosophie der Kunst soll das Wesen der Kunst bestimmen und zugleich die Einheit von Sinnlichkeit und Begriff erweisen und damit den Kantischen Formalismus sowie dessen Subjektivitätsphilosophie überwinden. Die Einführung des Begriffs der „Praxis" in die Ästhetik ist zudem für die marxistische Ästhetik von großer Bedeutung.
Hegels Enzyklopädie-Konzept: Die philosophische Konstruktion der Einheit der Wissenschaften. — In: Dialektik 16: Enzyklopädie und Emanzipation. Das Ganze wissen. Köln 1988. 24—39. HOLZ, HANS HEINZ:
Verf. vergleicht H.s Grundkonzeption einer Enzyklopädie mit der der „ersten Philosophie" bei Aristoteles, um hervorzuheben, daß H. entsprechend diesem Anspruch auf der Grundlage der Logik = Ontologie = ,erste Philosophie' das System der Welt als Natur- und Geisteswelt entwickele. Für H. habe die Enzyklopädie die Aufgabe, den Gesamtzusammenhang der Realität (d. h. die Ergebnisse der Einzelwissenschaften) begründend darzustellen. Als Vorläufer einer solchen Konzeption können nicht die französischen , Enzyklopädisten', wohl aber Lullus und Leibniz gelten. H.s ausgearbeitete Theorie stellt die Totalität in ihrem zeitlich prozessualen Charakter dar.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1986—1988
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Atomism and ethical life: on Hegel's critique of the French revolution. — In: Philosophy and Social Criticism. Chesnut HiU. 14 (1988), 359-368. HONNETH, AXEL:
Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht das System der Sittlichkeit und das in ihm formulierte Problem von Institution und Anerkennung. Dann wird gefragt, wie H. von dieser ethischen Position ausgehend die Französische Revolution begreifen kann, ehe am Schluß H. der Vorwurf gemacht wird, er finde noch nicht zu einer wahren Theorie der Intersubjektivität: „In this substantialist model of ethical Ufe, which is the theoretical successor in Hegel's thought to the conception based on a theory of intersubjectivity, processes of reciprocal recognition between subjects have lost any constitutive function they once had."
JiANG, PiEzi: Hegels Auffassung zur Basis der Entgegensetzung in den
drei Stufen der Begriffsbewegung. [Chinesisch.] — In: Deutsche Philosophie. Beijing. 1988, N. 5, 134-142. Der Begriff bekommt bei H. eine ontologische sowie eine erkenntnistheoretische Bedeutung. Die Bewegung des Begriffs teüt sich in drei Stufen: das „Sein" betrifft die Unmittelbarkeit des Erkennens, das „Wesen" die Mittelbarkeit, der „Begriff" die Einheit von Subjekt und Objekt. Dabei werden die Entgegensetzung, Bewegung und Entwicklung des Begriffs eingehend analysiert.
JiANG, YONGFU: Das Hegel-Archiv und die historisch-kritische Gesamt-
ausgabe. [Chinesisch.] — In: Deutsche Philosophie. Beijing. 1988, N. 3, 198-214. Berichtet werden Entstehung und Aufgaben des Hegel-Archivs in Bochum sowie Vorund Nachteile aller bisherigen Hegel-Ausgaben dargelegt. Abschließend werden die Hegel-Studien und die heutige H.-Forschung kurz vorgesteUt.
Die Philosophie Hegels (Fragment). [Griechisch.] - In: Philosophia. Athen. 17-18 (1987-1988), 13-39; S. 40 französische Zusammenfassung. KANELLOPOULOS, PANAYOTIS:
Der Aufsatz ist ein Teil des 246. Kapitels aus des Verfassers Geschichte des europäischen Geistes. Vgl. dazu oben 322.
J. M.: Van revolusie na versoening: Die emansipasiemotief in Hegel se jeugwerk (1793—1801) [Von der Revolution zur Versöhnung: Die Idee der Emanzipation in Hegels frühen Schriften; Afrikaans]. — In: South African Journal of Philosophy. Pretoria. 7 (1988), N. 4, 195—212. KIRSTEN,
Ausgehend von H.s Bedeutung für den philosophischen Diskurs der Moderne wird die Idee der Emanzipation anhand der gesellschaftlich-religiösen Dimension des Begriffs der Freiheit herausgearbeitet und H.s theoretische Entwicklung in ihrer Distinktion zu Kant und zur Aufklärung dargestellt. Verf. sieht in H.s frühen Schriften ein kohärentes Projekt, das nicht nur durch solche Abgrenzungen, sondern auch durch kontinuierliche Entfaltung einer politisch-theologischen Struktur gekennzeichnet sei. Die einzelnen Schriften seien zudem durch historische Zusammenhänge deutlich aufeinander bezogen. H.s Beitrag zur Moderne
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BIBLIOGRAPHIE
sei aber begrenzt durch seine BCritik der subjektzentrierten Vernunft, die ihrerseits innerhalb einer Philosophie des Subjekts eingeschlossen bleibe.
Strafbegründung im konkreten Rechtsverhältnis. Die Aufhebung der abstrakten Straftheorie am Leitfaden der Hegelschen Rechtsphilosophie. — In: Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag. Hrsg, von W. Küper. Berlin, New York 1987. 11—37. KöHLER, MICHAEL:
„Die Strafrechtspraxis ist für die mächtige Zeittendenz der Herabsetzung des Subjekts zum Zweckobjekt für andere besonders anfällig, provoziert doch die in der tätigen Verkehrung des Rechtsrichtigen aktualisierte Schwäche des endlichen Vernunftwesens Mensch die Selbstüberhebung der anderen in ausgezeichneter Weise." Von dieser grundlegenden Diagnose ausgehend wählt Verf. H.s Rechts- und Rechtsstraftheorie kritisch als Leitfaden, um den Mängeln in der Praxis des Strafrechts und Strafvollzugs entgegentreten zu können, die er auf eine Begründungsoffenheit der (strafrechts-)theoretischen Reflexion bezogen sieht.
Weber and Hegel. — In: Dialectics and Humanism. Warszawa. 14 (1987), N. 2, 84—100. KOZYR-KOWALSKI, STANISLAW:
Der Einfluß der H.sehen Philosophie der Geschichte auf Webers Theorie und Methode ist unübersehbar in Webers Arbeiten zur Religionssoziologie. Wie sehr Webers Soziologie durch den Hegelianismus geprägt ist, zeigt Verf. anhand eines Vergleichs der H.sehen Geistkonzeption mit Webers Rationalismus-These sowie der Beurteilung des Protestantismus und seiner Bedeutung für den Geist des Kapitalismus.
Die Entstehung der Dialektik bei Lao Zhi und Hegel. [Chinesisch.] — In: Presse des politischen Instituts Nanjing. Nanjing. 1988, N. 4, 32-34. LAI, JUN:
Lao Zhi (um 500 v. Chr.) führte als erster Philosoph die Kategorie der Negation in der chinesischen Philosophie ein. Seitdem kennt man in China den dialektischen Grundsatz: „Entgegensetzung und Vereinigung". Im Westen machte H. den Begriff „Entgegensetzung" zum Kernpunkt seiner Philosophie. Diese Gemeinsamkeit zwischen dem chinesischen und dem deutschen Philosophen zeigt ein allgemeines Gesetz menschlicher Erkenntnis.
Filozoficke vychodiskä a svetonäzorove dosledky Marxovej doktorskej dizertäcie [Die philosophischen Punkte der Loslösung und ihre Konsequenzen für die Weitsicht in Marx' Doktor-Dissertation]. — In: Filozoficky Casopis. Praha. 36 (1988), 641—653. LESKO, VLADIMIR:
Vor dem Hintergrund von Kants, Fichtes und besonders H.s Philosophie sowie der junghegelianischen Strömung arbeitet Verf. die Besonderheit der Marxschen Position heraus, die einen Neuanfang und eine philosophische Revolution in der Geschichte des Denkens darstelle. Die Distinktion des Marxschen Ansatzes in der Doktorarbeit ergebe sich durch den „prometheischen Atheismus". Bei dieser Weitsicht sei weniger die „Gottlosigkeit" als vielmehr die „antitheologische Tendenz" zu betonen, die als Beginn einer ideologietheoretischen Perspektive gewertet werden könne.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1986—1988
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Li, CHEN: Hegels Geschichtsphilosophie und die materialistische Weltanschauung. Eine Überlegung über die Quelle der materialistischen Weltanschauung. [Chinesisch.] — ln: Hebei Xuekan. Sijiachuang. 1988, N. 2, 12-17. Verf. versucht, H.s Beitrag zur Geschichtsphilosophie herauszustellen, da diese als Quelle der marxistischen Philosophie in der Forschung oft vernachlässigt wurde. H. hat vor allem den Prozeß sowie die Gesetzmäßigkeit der Geschichte historisch-dialektisch analysiert, das geschichtliche Leben von den ökonomischen Verhältnissen her aufgeklärt und die Beziehung zwischen der geschichtlichen Notwendigkeit und der menschlichen Freiheit aufgezeigt.
Li, WEIMIN: Hegels Aufnahme und Fortsetzung der logischen und kategorischen Dialektik Kants. [Chinesisch.] — In: Presse der Guanxi Universität. Nanning. 1988, N. 3, 1—5. Ausgehend von den Perspektiven Lenins in den Notizen zu Hegels Logik untersucht Verf, H.s Übernahme und Fortsetzung der Kantischen Philosophie. H. entdeckt die Beziehungen, Bewegungen sowie Entwicklungen der Kategorien und macht sie zu einem allgemeinen, dialektisch bewegenden Gesetz. H. erkennt die Bedeutung der dialektischen Beziehung zwischen Kategorien und ermöglicht somit die Anerkennung einer inneren Identität zwischen der dialektischen Logik und Dialektik.
Nachdenken über eine philosophische These bei Hegel. [Chinesisch.] — In: Presse der pädagogischen Hochschule Liaoning. Daling. 1988, N. 6, 7-10. LONG, FENGIU:
H.s These über das Wirkliche und Vernünftige in der Rechtsphilosophie wird unter der Perspektive Engels' und Lenins untersucht.
ActuaUty in HegeTs Logic. — In: Graduate Faculty Philosophy Journal. New York. 13 (1988), 115—124. LONGUENESSE, BEATRICE:
Die Bedeutung von H.s sogenanntem Rationalismus tritt nirgends klarer in Erscheinung als im dritten Abschnitt der Lehre vom Wesen in der Wissenschaß der Logik, der über die Wirklichkeit handelt. Verf. wählt nicht wie üblich Spinoza, sondern Kant als philosophischen Widerpart der H.schen Argumentation. Sie vertritt die These, daß sich H. im genannten Text Kants koperrukanische Revolution aneignet und dabei — paradoxerweise — zugleich eine neue Metaphysik entstehen läßt. Diese Metaphysik darf weder als bloße Hermeneutik noch als dogmatische Metaphysik gedeutet werden; es handelt sich vielmehr um eine radikale, originelle ontologische Orientierung. Damit wird ein neues Verständnis der berühmt-berüchtigten Rede von der Vernünftigkeit des Wirklichen möglich.
Recht der Vernunft versus privates Recht. Vorläufige Überlegungen zur Vorgeschichte von Hegels „Grundlinien der LUCAS, HANS-CHRISTIAN:
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BIBLIOGRAPHIE
Philosophie des Rechts". — In: Hegel-Jahrbuch 1984/85. Bochum 1988. 81-96. Verf. untersucht textkritisch das Verhältnis der von 1817 an bekannten Vorlesungsnachschriften zur Rechtsphilosophie zu den Grundlinien, um zu unterstreichen, daß trotz vieler interessanter Zusatzinformationen aus den Nachschriften die Grundlinien der entscheidende Text zu H.s Staats- und Rechtsverständnis bleiben. Inhaltlich wird die Entwicklung von H.s kritischer Thematisierung von Privilegien in Gesellschaft und Staat und dessen Kritik an der Herabstufung von staatsrechtlichen Positionen zu Privatrecht behandelt. Mit sich abschwächendem Reformeifer vertrete H. die Durchsetzung von auf Vernunft begründetem Recht gegen solche Privilegien als den (berechtigten und metaphysisch zu begründenden) Grundzug seiner Zeit.
Zwischen Antigone und Christiane. Die Rolle der Schwester in Hegels Biographie und Philosophie und in Derridas „Glas". - In: Hegel-Jahrbuch 1984/85. Bochum 1988. 409-442. LUCAS, HANS-CHRISTIAN:
Verf. konfrontiert H.s philosophische Behandlung der Rolle der Frau, die H. seit der Jenaer Zeit in der RoUe der Schwester eines Bruders kulminieren sieht, mit der biographisch überprüfbaren Einstellung H.s zu seiner Schwester Christiane. Paradigmatisch für die eher egalitäre Rolleneinschätzung der Frau in der Frankfurter Zeit ist H.s Darstellung der (shakespearschen) JuUa; die spätere Hervorhebung der Gestalt der Antigone dagegen steht eher für ein Zurückdrängen der Frau auf den häuslichen Bereich (Penaten). Die Hochschätzung der Frau in der Rolle der Schwester eines Bruders (eben nicht einer Schwester) kommt in H.s persönlichem Verhältnis zu Christiane keineswegs zum Ausdruck. Den Abschluß bildet eine Auseinandersetzung mit Derridas Dekonstruktion H.s in Glas im Bück auf die Frau als ,Rand' und ,Grenze' des Phallogozentrismus und auf Derridas ,Konzept' der differance (mit a).
Geschichtsphilosophie: von Hegel zu Kroner. [Chinesisch.] — In: Monatsschrift der Geschichte. Zhengzhou. 1988, N. 5, 113-118.
MA,
XIAOYAN:
Verf. betrachtet die Entwicklung der Geschichtsphilosophie von Vico und H. bis zu Croce. Während Vico die Geschichte als einen Kreislauf von Epochen kulturellen Wachstums und kulturellen Verfalls ansieht, gehört diese bei H. als angewandte Logik zum System selbst; Geschichte ist der Fortschritt der Vernunft. Croce macht schließlich auf das Problem der Methodologie der Geschichtsphilosophie aufmerksam und rückt die individuellen historischen Ereignisse in den Mittelpunkt.
Systemform und Rationalität. — In: Wiener Jahrbuch für Philosophie. Wien. 20 (1988), 15—33. MARX, WOLFGANG:
Verf. prüft die Frage, ob philosophische Systeme heute noch vertretbar sind, an H.s System und seinem Anspruch auf vollständige Erkenntnis des Absoluten. Zu diesem Zweck werden von H.s Phänomenologie des Geistes die beiden Kapitel „Kraft und Verstand" sowie „Das absolute Wissen" analysiert, da sich hier am besten H.s These greifen läßt, die weltliche Wirklichkeit sei identisch mit dem sich entfaltenden Selbstbewußtsein. Mit ungewöhnlicher Schärfe wird H.s Versuch völlig abgelehnt. Es handle sich um unbewiesene Behauptun-
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1986—1988
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gen, häufiges Fehlen von Argumenten, Systemzwänge, Äquivokationen. „Rationalität, die überall auf konkreten Argumenten aufbaut und die Grenzen ihrer Entfaltungsmöglichkeiten selbstkritisch eingesehen und gelassen anerkannt hat, wird die H.sche Systematik als vergangene Form des Philosophierens klaglos verabschieden müssen: Sie war zu schön, um wahr zu sein."
Exigence absolue et conditions necessaires. — In: Filosofia Oggi. Genova. 11 (1988), N. 3, 355-372. MOREAU, JOSEPH:
Bei seinem Versuch, über den Spinozismus hinauszugelangen, habe Hegel vergeblich den Kritizismus der Eleatischen Schule angewandt, den Platon im Sophistes darlegte; doch die Konsequenz hieraus sei die Wiedereinsetzung der Funktion des „Nicht-Seins" in eine Spielart von transzendentalem Idealismus. Um aber eine finalistische Ontologie zu konstruieren, wäre es notwendig gewesen, diese Dialoge von jeglichen dualistischen Ausdrucksweisen loszulösen. Hinzu komme, daß H. nur im Ausnahmefall, mittels der Platonischen Metapher der „Erinnerung", den Versuch unternehme, die Einheit der Welt und ihres Modells zu begreifen, indem er hierbei die Transzendenz der Idee zurückweise.
Georg Lukäcs as an investigator of Hegel's Phüosophy. — In: Dialectics and Humanism. Warszawa. 14 (1987), N. 4, 57- 73. OiZERMAN, TEODOR ILTC:
Der Versuch, philosophische Probleme vom Standpunkt eines sog. immanenten Ansatzes zu lösen, führt nach Lukäcs zwangsläufig zur Loslösung des Denkens von den entscheidenden Wurzeln; den historischen und sozialen Bedingtheiten alles Philosophierens. Verf. weist auf die — allerdings rein immanenten — Anstöße hin, die Lukäcs' Position in seiner Auseinandersetzung mit dem jungen H. bestimmten: Marx' Ökonomisch-philosophische Manuskripte und Lenins Philosophisches Notizbuch. Gegen die Deutung von Dilthey und Häring zeigt Lukäcs die wahren Wurzeln der Philosophie des jungen H.: die englische Ökonomie und die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution.
Conhedmento e historiddade. — In: Sintese. Sao Paulo. 15 (1987), N. 4, 33-58. OLIVEIRA, MANFREDO ARAüJO DE:
Verf. sucht nach einer Erkenntnistheorie, die den „einseitigen", weil auf die unmittelbare Entgegensetzung von Subjekt und Objekt fixierten, ahistorischen Standpunkt der Transzendentalphilosophie (Kant, Fichte, Neu-Kantismus) überwindet und der fundamental geschichtlichen Genese der menschlichen Erkenntnis gerecht wird.
Mit H.s Wissenschaft der Logik, aber auch im Rückgriff auf die Enzyklopädie entwickelt Verf. eine Kritik des unmittelbaren Wissens, um Zirkelstruktur und Prozeßcharakter der Erkenntnis aufzuzeigen. Schließlich wird die geschichtliche Verfassung der Erkenntnis mit Blick auf die Dialektik von Subjekt und Objekt begründet. O cielesnej podstawie ludzkiego istnienia w uj§ciu Hegla [Über die leibliche Grundlage des menschlichen Daseins bei HePANASIUK, RYSZARD:
354
BIBLIOGRAPHIE
gel]. — In: Archiwum Historii Filozofii i Mysli Spolecznej. Wroclaw [etc.]. 32 (1987), 73 -91. Leiblichkeit und Geist bUden im Menschen nach H. insofern eine Einheit, als sich der Geist stets des Leibes als seines Werkzeugs bedient. Der Leiblichkeit ist zu verdanken, daß die menschliche Tätigkeit als Arbeit möglich ist, ebenso wie die Bildung eines Systems von Zeichen als einer vergegenständlichten gesellschaftlichen Ordnung. Nur als leibliches Wesen kann der Mensch die Kultur hervorbringen und die Fortdauer der historischen Übermittlung sichern, deren höchste Form geistige Inhalte bilden. In diesen zeigt sich nach H. das sich verwirklichende Selbstbewußtsein des Absoluten.
Deducciön, dialectica y dialögo (Ableitung, Dialektik und Dialog). - In: Ideas y Valores. N. 74/75. Bogota 1987. 61—79. PAPACCHINI, ANGELD;
Verf. versucht anhand einer Auslegung der H.sehen Philosophie eine neue Bewertung der Dialektik für die Gebiefe von Wissenschaft und Philosophie zu präsentieren. Mittels historisch-systematischer Durchsicht der Auseinandersetzung H.s mit Kant stellt er die Entwicklung der Dialektik aus der Ableitung der Kategorien dar. In diesem Kontext werden schließlich zwei Dialektik-Modelle - beim späten Plato und in der Phänomenologie — herausgearbeitet.
Hegel et l'empirisme dans l'ecrit sur le droit naturel de 1802—03. — In: Archives de Philosophie. Paris. 51 (1988), 613—626.
PiNSON, JEAN-CLAUDE:
H.s Naturrechts-Aufsatz enthält im ersten Teil eine kritische Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Empirismus. Diese Auseinandersetzung ist insofern differenziert, als H. Zugeständnisse macht an die allumfassende Intention des „reinen" Empirismus des Seins und auch hinsichtlich der sich mit ihm eröffnenden Möglichkeit, das Absolute zu vervollständigen. H. zeigt so, was wahrhaft spekulativ ist. Verf. rekonstruiert zunächst die Argumente, die H. dazu führen, den „alten Empirismus" zu loben. Der Philosoph, auf den sich H. implizit bezieht, wird in einem zweiten Schritt identifiziert; Es ist Aristoteles, wie der Text des Naturrecht-Aufsatzes und H.s gesamte Einschätzung der spekulativen Dimension des Aristotelischen Denkens zeigt.
On the Need for Multidimensional Dialectics. — In: Dialectics and Humanism. Warszawa. 14 (1987), N. 2, 109—122. PLUZANSKI, TADEUSZ:
Auf der Grundlage von Lukäcs und Althusser geht es in diesem Aufsatz darum, die H.sche Dialektik im Sinn einer Ontologie des sozialen Seins zu revidieren. So wird die Vorstellung eines linearen Prozesses bei H. durch eine gleichsam pluralistische Dialektik ersetzt, die nicht nur die gesellschaftliche Wirklichkeit durch eine triadisch strukturierte Vielheit von Thesen, Antithesen und Synthesen erschließt, sondern auch H.s Syllogismus einer eindeutigen Notwendigkeit in einen Syllogismus der Wahrscheinlichkeit verwandelt, der den unendlich variablen Elementen und ihren Beziehungen untereinander Rechnung trägt. Auf diese Weise wird das H.sche Schema einer kontinuierlichen Entwicklung um die Betrachtung derjenigen Faktoren erweitert, die sie behindern oder verzögern.
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Hegel on war and peace. — In: Conceptions de la paix dans l'histoire de la Philosophie. Ed. par Venant Couchy. Montreal 1987. 127-140. SCHMITZ, KENNETH:
In seiner Übersicht über H.s Auffassung von Krieg und Frieden stellt Verf. die Beziehung zwischen Staat und Einzelnem in den Mittelpunkt. Diese Beziehung ist subsumiert unter das grundsätzlichere Modeü von Allgemeinem und Partikularem. Die Bestimmung des Staates als Verkörperung der Universalität ist der Endpunkt einer Entwicklung H.s, die zunächst in der Enzyklopädie ihren Ausgang nahm, wenn dort der Staat eine spezifische Universalität repräsentiert, die in den Rechten und Pflichten des Individuums existiert.
Hegels Frankfurter Zeit. [Chinesisch.] — In: Jianghai Xuekan. Nanjing. 1988, N. 5, 107-112. SHONG, ZHULIANG:
Verf. untersucht H.s Text Geist des Christentums sowie das sogenannte Systemfragment. Darin übt H. vor allem Kritik an Kants Ethik und nähert sich dem Christentum, wobei H.s Beschäftigung mit den Begriffen „Liebe", „Leben" und „Reflexion" seine zukünftige Philosophie vorbereitet.
SoBOTKA, MILAN: Hegelova kritika Kantovy morälni filozofie a jeho pfeko-
nänl morality (Hegels Kritik der Kantischen Moralphilosophie und seine Überwindung der Moralität; tschechisch). — In: Filozoficky Üasopis. Praha. (1988), 129-147. Um H.s Kritik der Kantschen Moralphilosophie in der Phänomenologie und in der Rechtsphilosophie reformulieren zu können, wird zunächst auf die Nicht-Kongruenz der Fassungen des Begriffs „Postulat" bei Kant und bei H. hingewiesen. H.s Begriff des „Postulats" sei auf die Kritik der Vereinheitlichung von Moralität und Glückseligkeit in Kants Denken bezogen. Die Unmöglichkeit der Ableitung einer besonderen Pflicht aus dem allgemeinen Sittengesetz habe eine Abwendung von Kant hin zu den Positionen Fichtes, der Romantik und schließlich H.s hervorgebracht. H.s Leistung bestehe in der Überwindung der „Moralität" durch die Konzeption einer „moralischen Ordnung" bzw. von „Sittlichkeit", d. h. durch ein System sozialer Beziehungen, die durch gegenseitige AnerkennungAViedererkennung strukturiert seien.
Zur Entstehung des Hegelschen Systems. [Chinesisch.] — In: Philosophie-Studien. Beijing. 1988, N. 7, 17—24. SONG,
ZHULIAN:
Mit besonderer Rücksicht auf die neueren Forschungen zu den Jenaer Systementwürfen wird die Entstehung des H. sehen Systems untersucht. Im Fragment Liebe finden sich bereits die Kemgedanken des zukünftigen Systems, doch erst die Jenaer Entwürfe zeigen H.s Bemühung um das zukünftige System, das einen subjektivistisch-metaphysischen Charakter trägt. Dieses System divergiert jedoch noch deutlich von dem in der Phänomenologie.
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BIBLIOGRAPHIE
W. G.: The Problem of Democracy in HegeTs Philosophy of Law. — In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Stuttgart. 74 (1988), 33-41. STRATTON,
Verf. versucht in Absetzung von ,linken', .mittleren' und .rechten' Rezeptionen der politischen Theorie H.s das Demokratieproblem zu rekonstruieren. Er sieht die Zurückweisung von Modellen des ausgeweiteten Wahlrechts und das Insistieren auf korporatistische Repräsentationssysteme beim reifen H. auch durch Furcht vor der Bourgeois-Gesellschaft gespeist und setzt diese Haltung kontrastierend zu H.s jugendlicher Idealisierung der antiken griechischen Sittlichkeit in Beziehung, Ein Bindeglied ergebe sich durch die kontinuierlich geforderte „Einheit" der Gesellschaft, die beim späten H. durch den Monarchen verkörpert werde. Obwohl kein Denker der Demokratie, habe H. doch Schwachstellen des modernen Staatswesens vorausgesehen.
Hegels Auffassung über die Freiheit. [Chinesisch.] — In: Xueshu Yuekan. Shanghai, 1988, N. 2, 35—41. SUN, YUECHAI: ZU
Seit der Renaissance steht das Problem der Freiheit im Mittelpunkt der westlichen Philosophie. Dazu hat H. Wesentliches beigetragen, indem er die Beziehung von Freiheit und Notwendigkeit dialektisch erläutert und den Fortschritt der Freiheit als Geschichte der Menschheit im Ganzen dargestellt sowie eine monistische Theorie der Freiheit entwickelt hat.
Mistica cristiana e filosofia dopo Hegel [Christliche Mystik und Philosophie nach Hegel]. — In: Cristo nel pensiero contemporano. Palermo 1988. 53—66.
VANNINI, MARCO:
Verf. überprüft die Rechtfertigung von H.s Anspruch, die abendländische Philosophie — als Suche nach dem Absoluten — vollendet zu haben, insbesondere was den Grundgehalt einer christlichen Philosophie — die Lehre der Inkarnation — betrifft, und unter Berücksichtigung der Bedeutung von H.s spekulativ-philosophischem Verständnis des Christentums für die Fortentwicklung einer christlichen Theologie.
Contraddizione come metodo e come criterio tra Kant e Hegel. Le conseguenze teoriche di un 'argomentazione dello scritto sulla Differenza di Hegel (GW, IV, 23—7) [Widerspruch als Methode und als Kriterium zwischen Kant und Hegel. Die theoretischen Folgen einer Argumentation aus Hegels Differenzschrift]. — In: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa. Classe di Lettere e Filosofia. Pisa. 17 (1987), 465-502. VARNIER, GIUSEPPE:
Verf. analysiert H.s Argumentation über den Wert des Widerspruchs als Wahrheitskriterium und als Zeichen der Möglichkeit eines spekulativen Denkens in der Differenzschrift und in weiteren Jenaer Texten. Das Problem einer Definition der Wahrheit und der dann unvermeidlichen Antinomie zwingt, die logisch fundierte metaphysische Konzeption zugunsten einer metaphysischen .Verwirklichung' der Wahrheit als des aufgelösten Widerspruchs zu überwinden, wobei die Antinomie zur Methode wird. Bei der ,Dekonstruktion' der philosophischen Tradition wird der Widerspruch nicht nur als bloß negatives Kriterium der Wahrheit, sondern als Methode und als positives Wissen gedeutet. Anschließend analysiert Verf.
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die Folgen einer solchen theoretischen Auffassung bis zur Ausgestaltung des Systems sowie innerhalb der Wissenschaft der Logik.
Hegel se teodisee — 'n filosofie van gelatenheid [Hegels Theodizee — eine Philosophie der Gelassenheit]. — ln: South African Journal of Phüosophy. Pretoria. 6 (1987), N. 2, 58—67. WALT, JOHAN VAN DER:
H.s Theodizee ist eine Vorbereitung der Heideggerschen Philosophie der Gelassenheit, da sie keine Negation der menschlichen Endlichkeit beinhaltet.
Das bürgerliche Kunstideal. Hegels Konstruktion der Antike und Kritik der Moderne. — ln: Zeitschrift für deutsche Philologie. Tübingen. 107 (1988), Sonder-H., 101 — 116. WAGNER, FRANK DIETRICH:
Das Bild der Antike in H.s Kunstphilosophie hält einer realhistorischen Überprüfung nicht stand. Nach Verf.s Untersuchungen hat es weniger einen empirischen als vielmehr einen utopischen und kritischen Gehalt. Es ist ein Konstrukt der bürgerlichen Gesellschaft und schlägt in eine Kritik derselben um. Diese innere Dialektik führt zu charakteristischen Widersprüchen, die logisch oder historisch nicht aufhebbar erscheinen.
Eine Analyse zur Verwendung des Begriffs „Widerspruch" bei Hegel. [Chinesisch.] — In: Zhengzhou Xuekan. Zhengzhou. 1988, N. 5, 41-44.
WANG, JUNFANG:
Verf. bringt neue Thesen zu H.s Begriff vom Widerspruch: bei H. hat der Widerspruch eine logische und eine reale Bedeutung. Letzterem mangelt es jedoch an einem wissenschaftlichen, mathematischen und quanhtativen Beweis. Auch H.s Begriff der Unendlichkeit kann das Problem der Unendlichkeit des Universums nicht lösen, ebensowenig wie die moderne Wissenschaft.
Die Identität von System und Methode bei Hegel. [Chinesisch.] — In: Sixiang Zhanxian. Kunmin. 1988, N. 3, 22—25. WANG, ZHANJUN:
Verf. diskuhert die Frage nach der Identität von System und Methode in der Philosophie H.s und kommt zu dem Ergebnis, daß die Triplizität von Position, Negation und Negation der Negation sowohl der dialektischen Methode als auch dem System im Ganzen entspricht.
R.: HegeTs solution of the dilemma of the criterion. — In: History of Philosophy Quarterly. Bowling Green, Ohio. 5 (1988), 173-188. WESTPHAL,
KENNETH
Verf. untersucht das methodologische Problem des Kriteriums (der Wahrheit) bzw. der Einsicht in das, was ist, als zentrale Frage der ,Einleitung' in die Phänomenologie. Zunächst wird das „Dilemma des Kriteriums" am Leitfaden von H.s Auseinandersetzung mit Sextus Empiricus behandelt, als erster Schritt der H. sehen Lösung wird dann die Konzeption der „Gestalten des Bewußtseins" diskutiert. Weiter wird das Konzept von Wissen als Relation zwischen Wissendem und Gewußtem als H.s Lösungsansatz dargestellt. Schließlich stellt Verf. das Problem der Vollständigkeit zur Diskussion.
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BIBLIOGRAPHIE
Hegel über Natur und Inter Subjektivität. Festschrift zum 200. Jahr der „Kritik der praktischen Vernunft". [Chinesisch.] — In: Presse des Doktoranden-Instituts der Akademie für Sozialwissenschaften Chinas. Beijing. 1988, N. 6, 28—39. XuE,
HUA:
Im Mittelpunkt steht das Problem der Transformation von der Subjektivität zur Intersubjektivität, die eine Basis der praktischen Philosophie H.s bildet. Verf. versucht, die Intersubjektivität ontologisch bzw. naturphilosophisch zu rechtfertigen und davon ausgehend den deutschen Idealismus neu zu erklären. Außerdem analysiert Verf. von dem Prinzip der Intersubjektivität aus die Debatte um das Verhältnis von Ethik und Natur in der chinesischen Philosophie.
Die Subjektivität in Hegels Logik. [Chinesisch.] — In: Philosophie-Studien. Beijing. 1988, N. 7, 24—33. YANG, ZHUTAO:
Untersucht wird die Entwicklung des Begriffs der „Subjektivität" in H.s Logik. Der Subjektivitätsbegriff kommt zunächst als eine formale Subjektivität vor, diese entwickelt sich aber aus ihrer eigenen dialektischen Bewegung zu einer Objektivität und ist abschheßend zur Idee erhoben, die eine Einheit von Subjekt und Objekt erreicht.
Eine Untersuchung zum inneren Widerspruch in der Philosophie Hegels. [Chinesisch.] — In: Presse der pädagogischen Hochschule Huadong. Shandong. 1988, N. 2, 46—50. Yi,
YUN:
Verf. versucht, den Gegensatz sowie die Relation zwischen H.s idealistischem System und seiner methodischen Dialektik als einen inneren Widerspruch in der Philosophie H. s herauszustellen.
Von Hegels geschichtlicher Dialektik zu Marx' geschichtlicher Dialektik. [Chinesisch.] — In: Jianghan Luntan. Wuhan. 1988, N. 2, 42-45. YIANG, GEN:
Die historische Dialektik H.s ist charakterisiert durch seine Auffassungen über die Vernunft der Geschichte, die Freiheit der Menschen und die Arbeit, während Marx' historische Dialektik durch den praktischen Materialismus, die ökonomische Notwendigkeit und die geschichtliche Ganzheit geprägt ist. Die Dialektik der Arbeit zeigt Marx einen Ausweg von der Spekulation zum Erkennen der Wirklichkeit und ermöglicht ihm somit die Überwindung H.s.
Eine Untersuchung zu der Kategorie der „Vermittlung" in der Phüosophie Hegels. [Chinesisch.] — In: Presse des pädagogischen Instituts Jilin. Jilin. 1988, N. 2, 36—39. Yu,
XIANGFENG:
Der Begriff „Vermittlung" beruht auf H.s Auffassung vom Gegensatz. Alle Verhältnisse des Gegensatzes durchlaufen die Vermittlung, bUden aber andererseits deren Basis und BewegungsqueUe. Erst durch die zwei Arten der Vermittlung, Selbstvermittlung und mittelbare Vermittlung, ist der Übergang vom Unmittelbaren zum Mittelbaren möglich.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1986—1988
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Die Forschung über den jungen Hegel in der Bundesrepublik Deutschland. [Chinesisch.] — In: Deutsche Philosophie. Beijing, 1988, N. 3, 215-224. ZHANG, SHEN:
Zuerst wird die Herkunft des Ausdrucks „Jugendschriften Hegels" erklärt und dieser zeitlich eingegrenzt, dann ein Überblick über die Editionsgeschichte der Frühschriften H.s gegeben und schließlich ihre Rezeptionsgeschichte sowie der heutige Forschungsstand dazu vorgestellt.
Hegels Auffassung über die Reflexion und die Beziehung zwischen der Entgegensetzung und Vereinigung. [Chinesisch.] — In: Deutsche Philosophie. Beijing. 1988, N. 5, 116—133. ZHANG, SIYING:
Verf. untersucht H.s Auffassung über die Reflexion sowie über die Entgegensetzung und Vereinigung, um deren Aufhellung sich die ganze H.sche Philosophie bemühen sollte. Das Begriffsparadox „Entgegensetzung-Vereinigung" ist in der Tat ein geistiges Subjekt und bedeutet einen fortlaufenden Prozeß.
Ein Vergleich zur Auffassung über die böse Natur der Menschen bei Hegel und Xunzhi. [Chinesisch.] — In: Presse des pädagogischen Instituts Anqing. Anhui. 1988, N. 4, 18—24. ZHAO, CHANGGUO:
Verf. ist der Auffassung, daß Xunzhi (ca. 325 v. Chr.) und H. sich übereinstimmend für eine Option für die Diktatur entschieden hätten, da beide pessimistisch gegenüber der menschlichen Natur gewesen seien und insofern ihre Auffassung vom bösen Menschen zur theoretischen Basis ihrer politischen Stellungnahme gemacht hätten.
Hegels Auffassung über die Freiheit. [Chinesisch.] — In: Xuechujie. Hefei. 1988, N. 6, 16—22. ZHOU, CHEZI: ZU
Verf. unterstreicht die Bedeutung der Auffassung H.s über die Freiheit und analysiert ihre Hauptinhalte: Die Freiheit ist die Wahrheit der Notwendigkeit; die Freiheit ist die Natur der Menschen; die Freiheit ist der Zweck der Geschichte; die Weltgeschichte ist die Entwicklung des Freiheitsbewußtseins.
Der Formalismus in der dialektischen Logik Hegels. [Chinesisch.] — In: Philosophie-Studien. Beijing. 1988, N. 3, 47—51. ZHOU, LIQIAN:
Verf. stellt in H.s dialektischer Logik sowohl einen umfassenderen als auch einen engeren Sinn fest. Der erstere betrifft das gesamte System, der letztere nur den Systemteil „Subjektivität" in der Logik, welcher Begriffe, Urteile und Schlüsse der traditionellen Logik erkenntnistheoretisch und dialektisch untersucht. Mittels eines Schemas veranschaulicht Verf. den Übergang von Begriffen zu Schlüssen.
Die Entwicklung der Auffassung zu Arbeit und Kunst bei Kant, Hegel und Marx. [Chinesisch.] — In: Jianxi Shehui Kexue. Nanchang. 1988, N. 3, 108-118. ZHU, JIANXIN:
Während Kant die Kunst der Arbeit gegenüberstellt, führt H. den Begriff der „Praxis" in die Ästhetik ein und versteht die Kunstschöpfung als einen praktischen, der Arbeit analo-
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BIBLIOGRAPHIE
gen Prozeß. Auch Marx greift, obgleich er von der wirtschaftlich-materialistischen Arbeit ausgeht und das gesellschaftliche Leben durch den Entfremdungsprozeß zu erklären versucht, für die Aufhellung des Verhältnisses von materialistischer Produktion und Kunst auf die inneren Regeln derselben zurück.
Hegels Auffassung über die konkrete Wahrheit und das verständliche Denken. [Chinesisch.] — ln: Presse des politischen Instituts Nanjing. Nanjing. 1988, N. 3, 12—17. ZHU, LIANG:
Verf. zeigt zuerst Unterschied in H.s Auffassungen über das Abstrakte und Konkrete und erwähnt dann vier Bedeutungen der konkreten Wahrheit bei H., die insgesamt eine systematische Ganzheit darstellen. Abschließend erörtert Verf. die Funktion des Verstandes bei H., der eine wichtige Rolle beim Erfassen der konkreten Wahrheiten spielt.
INTERNATIONALE HEGEL-VEREINIGUNG Internationaler Kongeß vom 10.-13. Juni 1993 in der Stuttgarter Liederhalle VERNUNFTBEGRIFFE IN DER MODERNE
Auskünfte über das genaue Programm, Anmeldung und Gebühren erteilt ab Anfang 1993: Internationale Hegel-Vereinigung Philosophisches Seminar Marsiliusplatz 1 D-6900 Heidelberg