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German Pages [417] Year 2012
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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403402 — ISBN E-Book: 9783647403403
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Kirsten Nazarkiewicz/Gesa Krämer
Handbuch Interkulturelles Coaching Konzepte, Methoden, Kompetenzen kulturreflexiver Begleitung Mit 39 Abbildungen und 24 Tabellen
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40340-2 ISBN 978-3-647-40340-3 (E-Book) Umschlagabbildung: AT/DS, consilia cct © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen
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Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Coaching kulturell – interkulturell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Häufige Zielgruppen: Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Coaching in verschiedenen Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Kultur(en) im Coaching: Ergebnisse einer Umfrage . . . . . . . . . . . . 2.4 Was ist Coaching (nicht)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 »Interkulturelles Coaching«: Definitionen und Ansätze . . . . . . . . . 2.6 Formate kulturreflexiver Coachings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Coaching als interkulturelles Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Coaching im multikulturellen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Transkulturelles Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Zusammenfassung: Übersicht über Varianten kulturreflexiver Coachings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 19 30 41 52 60 66 69 71 73
3 Kompetenzfelder für kulturreflexiv arbeitende Coachs . . . . . . . . . . . . 3.1 Metakonzepte für die kulturreflexive Coachinghaltung . . . . . . . . . 3.1.1 Kulturen in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Kommunikation als »creating culture together« . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Von der Identität zu den Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Der Körper als kulturelle Konstruktion und universelle Basis . . . . 3.2 Methodische Kompetenzen für die Durchführung kulturreflexiver Coachings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Methoden zum interkulturellen Lernen im Coaching . . . . . . . . . . 3.2.2 Reflexionshilfen für das Coaching im multikulturellen Kontext . . 3.2.3 Entwicklungsmodelle im transkulturellen Coaching . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Methoden – culturally revised . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Interkulturelle Profile und Assessments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Körperorientierte Methoden im kulturreflexiven Coaching . . . . . 3.5 Designs und Leitfäden für Interkulturelles Coaching . . . . . . . . . . . 3.6 Zusammenfassung: Kulturreflexive Kompetenzen für Coachs . . .
83 86 86 94 106 114 125 127 141 152 186 196 212 244 269
4 Kulturreflexive Vorgehensweisen im Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Aufträge und Ziele kulturreflexiv klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Hypothesen haben, bilden und verwerfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Beziehungen kultursensibel gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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INHALT
4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Die Bedeutung von Sprache im kulturreflexiven Coaching . . . . . . Dimensionen der Prozesssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den Körper als Unterstützung nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Coaching im virtuellen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die kulturreflexive Coachingpraxis . . . . . . . . .
324 342 363 377 388
5 Schluss: Interkulturalität und Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
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Einleitung
Alles begann mit einem Erstaunen. »Sie sind doch spezialisiert auf Interkulturelles Coaching …« – dieser Satz, der bei den Anfragen für Coaching und andere Formen kulturreflexiver Unterstützung häufig auftauchte, ließ uns irgendwann stutzen. Wir begannen uns zu fragen, was Interkulturelles Coaching eigentlich ist. Zwar entwickeln wir seit vielen Jahren gemeinsam mit den organisatorischen und individuellen Auftraggebern Kulturkompetenz und begleiten Menschen in der globalisierten Welt in ihrer persönlichen Entwicklung, aber »Spezialist für Interkulturelles Coaching«, was sollte das sein? Man macht schließlich auch Coaching mit Führungskräften oder im Konfliktfall und würde dafür nicht gleich ein neues Format (»Konflikt-Coaching«) beanspruchen. Diese Bindestrichzusätze verweisen in der Regel auf Schwerpunkte oder auf besondere Erfahrungen und Expertisen, ohne dass es ein besonderes Coaching ist. Die Frage, was das »Interkulturelle« am Coaching sein könnte, ließ uns seitdem nicht mehr los. Zunächst überlegten wir provokativ, ob es »Interkulturelles Coaching« überhaupt gibt (Nazarkiewicz u. Krämer, 2009), und kamen zu dem Schluss, dass es tatsächlich einen Unterschied macht, ob man Coaching kultursensitiv durchführt oder nicht. Wir beschrieben verschiedene Herangehensweisen und welche Auswirkungen diese auf Arbeitsalltag und notwendige Ausbildungen von Coachs haben. Diese Überlegungen setzen wir im vorliegenden Buch fort. Die aktuelle Literatur zum Interkulturellen Coaching lässt sich auf zwei Polen abtragen: Entweder übertragen die Autoren ihren systemischen Ansatz auf das interkulturelle Feld, reflektieren Zielgruppen und legen umfängliche Befragungskataloge vor (z. B. Rezapour u. Zapp, 2011; Abdul-Hussain u. Baig, 2009b) oder sie reflektieren induktiv ihre Erfahrungen, geben kulturspezifische Ratschläge, kondensieren die Differenzen auf wenige Aspekte und geben Empfehlungen (z. B. Esser, 2010). Diese Alternativen erscheinen uns für die tägliche Coachingpraxis ergänzungsbedürftig. In der weitergehenden Beschäftigung mit dem Thema sind uns folgende Aspekte und Lücken aufgefallen, die wir mit diesem Handbuch schließen wollen. 1. Unklare Begriffsbestimmung: »Interkulturelles Coaching« ist inzwischen zum Terminus technicus geworden, allerdings sind weder Begriff noch Arbeitsform hinreichend systematisch definiert und in ihren Anforderungen beschrieben worden. 2. Unterschätzte Reichweite: Coachings, in denen Kultur(en) und Zugehörigkeiten zu Wertegemeinschaften relevant sind, erscheinen (noch) als Spezialisierung im Rahmen professioneller berufs- und lebensbegleitender
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EINLEITUNG
Unterstützung. In einer Welt, in der gemeinsame Normen und Werte immer weniger vorausgesetzt werden, sind die mit Interkulturellem Coaching verbundenen Fragestellungen, Probleme, Lösungen und Kompetenzen jedoch für jegliche Coachingtätigkeit bedenkenswert. 3. Notwendige Konsequenzen: Die erforderlichen Konzepte, Methoden und Kompetenzen für professionelles Interkulturelles Coaching in einer globalisierten Welt sind noch wenig beschrieben worden. Wie zeigt sich eine kultursensible Grundhaltung? Welche speziellen Wissensbestände sind erforderlich und wie sehen transkulturelle Interventionskompetenzen aus? In diesem Buch beschreiben wir daher theoretisch begründet unsere praktisch umsetzbaren Vorgehensweisen. Wir möchten unsere Erfahrungen teilen und zur Diskussion stellen sowie einen Beitrag zur Professionalisierung, Präzisierung und Anpassung der Coachingtätigkeit an die globalisierte Lebens- und Arbeitswelt leisten.
Warum boomt (Interkulturelles) Coaching? Nicht nur hierzulande, auch weltweit kann man seit Jahren von einem Coachingboom sprechen. Coaching entwickelt sich weiterhin zu einem der nachgefragtesten Instrumente der Personalentwicklung. Nach einer repräsentativen Umfrage von 2010 belegt Coaching inzwischen den ersten Platz unter den Trainingsmethoden, 2008 war es noch Platz 5 (Martens, 2010, zit. nach Deutscher Bundesverband Coaching e.V., 2011). Weltweit sind aktuell circa 50.000 Personen als Coachs tätig (International Coach Federation, 2012). Laut dem Bresser Coaching Survey (Bresser, 2009) kommt deutschlandweit ein Coach auf 16.500 Einwohner. Insgesamt 5.000 Coachs helfen den Deutschen bei der Gestaltung ihrer Lebensläufe und Karrieren – vom Bildungs-Coaching über Partner- und Sexual-Coaching bis hin zum Psychosozialen Coaching. Seit Herbst 2011 hat es Coaching auch in das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen geschafft. Sabine Asgodom zeigt in einer dreißigminütigen Sendung auf Bayern 3, dass Coaching nicht (allein) aus Ratschlägen besteht, und demonstriert Coachinginterventionen an verschiedenen von Zuschauern eingebrachten Fällen. Auch wenn das Herz der Entwicklungsarbeit im Coaching, Lösungen im Eigentempo des Coachingpartners zu entwickeln, in der Demoversion im Medienbetrieb zum Hauruck-Methodenzauber reduziert wird, wird dadurch die Massenverbreitung von Coaching, aber auch ein Bedarf an Orientierung deutlich. Diesen Orientierungsbedarf halten wir für keinen Zufall. Wir sehen Coaching als die Antwort auf eine dynamische, sich schnell ändernde, komplexe und dadurch unübersichtlich gewordene Berufswelt, in der es zur individuellen Orientierung und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit der prozesshaften Einzelbegleitung bedarf.
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EINLEITUNG
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Folgende Thesen bilden unsere Diskussionsbasis: Coaching ist eine Form von Personal-, Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsarbeit, wie sie in der globalisierten Welt immer notwendiger wird. Begriff und Aktivitäten des Interkulturellen Coachings verweisen auf die kommenden Herausforderungen im Coaching allgemein. Die für das sogenannte »Interkulturelle Coaching« notwendigen kulturreflexiven Kompetenzen werden professionell arbeitende Coachs zunehmend in allen Bereichen benötigen. Kulturreflexivität und -sensibilität sind ein ubiquitäres Erfordernis geworden, jedes Coaching macht eine kulturreflexive Analyse und transkulturelles Handeln erforderlich. Polyzentrisches Denken und Vorgehen (Denken in Zuständen und Prozessen) wird zur Grundhaltung. Interkulturelles Coaching stellt insofern kein spezifisches Format der Einzelberatung dar, da jedes Coaching interkulturell, multikulturell oder transkulturell, kurz: kulturreflexiv betrachtet werden sollte. Wir Coachs müssen unsere Vorannahmen reflektieren, benötigen zusätzliche Kompetenzen und müssen transformativ lernen. Die Rollen im Coaching werden flexibler und beide Coachingpartner sind Lernende. Die Coachingstandards und -dogmen sind auf der Basis der praktischen interkulturellen Erfahrungen im Coaching zu hinterfragen und zu erweitern.
Unsere Coachingdefinition Coaching ist die Antwort auf eine dynamische, sich schnell ändernde, komplexe und dadurch unübersichtlich gewordene globalisierte Arbeits- und Lebenswelt, in der es zur individuellen Orientierung der prozesshaften Einzelbegleitung bedarf. Coaching ist eine zielorientierte, systematische und zeitlich begrenzte Unterstützung eines Entwicklungs- und Veränderungsprozesses im Rahmen beruflicher oder privater Neuorientierung in Gesellschaften, die zunehmend transkulturell verfasst sind. Übergeordnetes Ziel ist die methodisch geförderte Verbesserung oder Wiederherstellung von professioneller Leistungsfähigkeit und privater Zufriedenheit des Coachingpartners mit dem Gefühl der autonomen Handlungssteuerung und des individuellen Wohlbefindens.
Begrifflichkeiten In der Geschäftswelt hat sich der Terminus »Interkulturelles Coaching« durchgesetzt, im Non-Profit-Bereich, in Medizin, Pflege und sozialpädagogischer Arbeit der Begriff »transkulturell«. Beide Bezeichnungen referieren dementsprechend auf – verschiedene – wissenschaftliche Diskurse und Theorien. Da wir die in Deutschland übliche Trennung der Bereiche nicht für sinnvoll halten
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EINLEITUNG
und beschreiben wollen, wie Coaching im Bewusstsein von kulturellen Einflüssen gestaltet werden kann, haben wir uns für den übergreifenden Begriff »kulturreflexiv« entschieden. Es finden sich in der Literatur auch die Begriffe Kultursensibilität oder Kultursensitivität, welche den emotionalen Aspekt der Achtsamkeit hervorheben. Kulturreflexivität hingegen betont die Bewusstheit in der professionellen Haltung und schließt für uns das rücksichtsvolle Vorgehen, also Sensibilität und Sensitivität, mit ein. Kulturreflexives Arbeiten umfasst im Anschluss an unsere Überlegungen drei Herangehensweisen, die wir in → Kapitel 2.6 genauer ausdifferenzieren: 1. die Vorstellung der »interkulturellen« Bewältigung von Missverständnissen und Irritationen, die beim Aufeinandertreffen von Vertretern verschiedener Kulturkreise entstehen können; 2. die Reflexion einer »multikulturellen« Umgebung und mannigfaltiger Einflüsse unterschiedlichster Kollektive und Dimensionen; 3. das Erfordernis eines »transkulturellen« Vorgehens, das beide vorherigen Punkte berücksichtigt und erweitert. Transkulturelles Arbeiten reflektiert Machtverhältnisse, ihren Einfluss auf die Identitätsentwicklung und soziale Positionierung der Individuen sowie die Notwendigkeit für die Coachingpartner ihre Persönlichkeit(sentwicklung) als Kohäsionsleistung immer wieder neu und interaktiv hervorzubringen. Auch für die »Kunden« im Coaching gibt es verschiedene Bezeichnungen. Sie werden gern Coachees oder Coachingnehmer genannt, bei Beratungen bezeichnet man sie als Klienten und in der Therapie ist der Begriff Patienten verbreitet. Wir bevorzugen den Begriff Coachingpartner, den wir für alle Beteiligten im Coaching verwenden und der semantisch die gewünschte Augenhöhe transportiert, die im Coaching gewollt und dem Format inhärent ist. Sind beide gemeint, sprechen wir also von Coachingpartnern, denn für uns sind beide Partner im Coaching mit unterschiedlichen Kompetenzen und Aufgaben. Zur eindeutigen Identifizierung der Akteure unterscheiden wir im Buch allerdings zwischen dem prozesskompetenten »Coach« und seinem »Coachingpartner«. Wenn also im Handbuch vom Coachingpartner in der Einzahl die Rede ist, so ist der Coachingnehmer, Coachee oder Klient gemeint; zur Abwechslung variieren wir die Begriffe. Wenn vom Kunden die Rede ist, so ist damit das Unternehmen oder der organisatorische Auftraggeber bezeichnet. An einigen Stellen wird im Text Bezug auf das therapeutische Setting genommen. Der Grund liegt darin, dass die kulturreflexive therapeutische und psychiatrische Forschung und Literatur weiter fortgeschritten ist als diesbezügliche Forschungs- und Reflexionsansätze im Bereich des Coaching und dass man hier Anregungen finden kann. An diesen Stellen orientieren wir uns im Sprachgebrauch an den jeweils referierten oder zitierten Autoren und sprechen von »Therapeuten« und »Patienten«. So kann die Inspiration aus diesem Diskurs
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aufgenommen werden, ohne dass der Unterschied zwischen Therapie und Coaching verwischt wird. Eine Übertragung ist dann jeweils nicht unkommentiert erfolgt und kann auf ihre Sinnhaftigkeit hin reflektiert werden. Die Reflexion der Begrifflichkeiten ist bedeutsam. Unsere Herangehensweise ist bei dieser Thematik notwendig methodologisch, weil man unseres Erachtens die Voraussetzungen der Begriffe, Methoden, Theorien und Ansätze immer mit bedenken muss, um kulturreflexive Vorgehensweisen zu beschreiben oder zu ermitteln. Wir berücksichtigen kulturelle Vorannahmen und problematisieren sie zugleich. Insofern gibt es im Interkulturellen Coaching kein »richtiges« oder »falsches«, sondern eher ein »hilfreiches« bzw. »weniger hilfreiches« Vorgehen im Bezug auf das vereinbarte und für alle Parteien vertretbare Ziel. Wohl aber gibt es den Unterschied zwischen einer naiven intuitiven Coachingpraxis ohne systematische Berücksichtigung von gruppengebundenen Identitätseinflüssen und Kultur(en) und einer bewussten Entwicklungsbegleitung und -förderung von Personen, welche die zahlreichen kollektiven Verwobenheiten, Unsicherheiten, Erwartungsanforderungen und Entwürfe heutiger Biografien grundsätzlich mit reflektiert. Hierfür wollen wir einen Beitrag leisten. Dabei gehen wir von einem dynamischen, interaktiven und kommunikationsgebundenen Kulturbegriff aus, der sehr weit gefasst ist und alle identitäts- und handlungsrelevanten Wertegemeinschaften umfasst, denen man sich verbunden fühlen kann (siehe dazu vor allem → Kapitel 3.1.1 zum Thema Kulturen in Bewegung).
Zielgruppen Das Buch richtet sich an Menschen, die andere Menschen begleiten. Wir sprechen also Kollegen an, die bereits in unterschiedlichen Zusammenhängen coachen, beraten, begleiten, behandeln oder therapieren. Auch wenn diese Begleitungsformen voneinander abgegrenzt werden sollten (vgl. dazu → Kapitel 2.4, in dem es um die Frage geht: »Was ist Coaching (nicht)?«), gibt es doch Überschneidungen. Die Diskussion in den einzelnen Fachgebieten ist so inspirierend, dass wir sie – soweit wir vermochten – aufgegriffen haben. Es handelt sich nicht um ein reines Einführungsbuch in die Tätigkeit des Coachings. Einige Grundwissensbestände der Profession und des idealtypischen Vorgehens setzen wir voraus. Da wir ein bereits etabliertes Grundverständnis zugrunde legen, kann man das Buch aber auch als Grundlagenwerk lesen, denn wir reflektieren in unserer Herangehensweise alle Bedingungen und Stationen im Coaching, weshalb die Publikation auch für Anfänger gut lesbar und hilfreich ist. Die Anstrengung der Kulturreflexivität zieht sich quer durch die gesamte professionelle Coachingtätigkeit. Metakonzepte und Vorgehensweisen haben wir als Curriculum in einer transkulturellen Coachingfortbildung geprüft. Unsere theoretischen, methodischen und erfahrungsgestützten Überlegungen können hilfreich sein für externe und unternehmensinterne Coachs, Bera-
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ter, Begleiter und Trainer im Profit- und Non-Profit-Bereich sowie für Personalentwickler in international arbeitenden Unternehmen und in Organisationen mit interkultureller Mitarbeiterschaft. Darüber hinaus dürften Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Therapeuten und alle beratenden Berufsgruppen davon profitieren, deren Kunden und Klienten einen Migrationshintergrund haben. Studierende in den Fächern Psychologie, Soziologie, Betriebswirtschaftslehre, Sozial-, Erziehungs-, Kulturwissenschaften, Interkulturelle Kommunikation, Soziale Arbeit, Sozialpädagogik etc., insbesondere mit interkulturellem Themenschwerpunkt, erhalten einen Einblick in die Herausforderungen ihrer zukünftigen Praxis.
Buchübersicht In Ermangelung einer systematischen Erforschung und theoretischen Konzeptionalisierung ist man auf die gebündelten Erfahrungen von publizierenden Kollegen angewiesen, mit deren Empfehlungen wir in → Kapitel 2 (Coaching kulturell – interkulturell) beginnen. Wir nähern uns der Materie, indem wir zunächst Bezug auf vorliegende Monografien anderer Autoren nehmen. Dabei wird erkennbar, dass die Besonderheit des Interkulturellen Coachings in typischen Zielgruppen wie Migranten, Expatriates, ausländischen Studierenden etc. gesehen wird, welche jeweils durch spezifische Herausforderungen und Problemlagen gekennzeichnet sind (→ 2.1). Die Basisliteratur dieses Kapitels stellt zugleich eine Einführung in die Thematik dar. Danach werfen wir einen Blick über den Tellerrand und tragen Antworten auf die Frage zusammen, ob und wie sich die Tätigkeit des Coachings verändert, wenn man sie in verschiedenen Kulturen praktiziert (→ 2.2). Zusätzlich haben wir praktizierende Coachs weltweit befragt, welche kulturellen Wirkfaktoren sie im Coaching berücksichtigen (→ 2.3). Daran schließt sich eine Rollen- und Begriffsklärung an (→ 2.4), denn bevor wir Interkulturelles Coaching näher spezifizieren, muss abgegrenzt werden, was Coaching (nicht) ist. Wissenschaftlich publizierende Autoren, die überwiegend ebenfalls als Coachs arbeiten, haben bereits Definitionen von Interkulturellem Coaching vorgelegt. Diese fassen wir in → Kapitel 2.5 zusammen. Auf den bis dahin referierten Vorarbeiten baut unsere idealtypische Unterscheidung von drei grundlegenden Perspektiven auf (→ 2.6). Coaching als interkulturelles Lernen (→ 2.6.1), Coaching im multikulturellen Kontext (→ 2.6.2) und Transkulturelles Coaching (→ 2.6.3) lassen sich anhand verschiedener Vorverständnisse, Herangehensweisen und Kulturbegriffe differenzieren. In der zusammenfassenden Übersicht (→ 2.7) stellen wir die drei Perspektiven noch einmal tabellarisch im Hinblick auf den Kultur- und den Identitätsbegriff, die erforderlichen Kompetenzen und weitere Besonderheiten zusammen. In → Kapitel 3 (Kompetenzfelder für kulturreflexiv arbeitende Coachs) widmen wir uns den erforderlichen Grundbegrifflichkeiten, Wissensbeständen und Methoden, die für die kulturreflexive Begleitung und Beratung nötig
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sind. Dazu legen wir unsere Metakonzepte zu den im Coaching relevanten Themen Kultur, Kommunikation, Identität und Körper vor (→ 3.1). Wir skizzieren einen dynamischen und hybriden Kulturbegriff, welcher der Komplexität des Themas angemessen ist (→ 3.1.1). Da wir davon ausgehen, dass Kulturen kommunikativ produziert und reproduziert werden, sind Kommunikationsmodelle erforderlich, die interkulturelle Kompetenzerweiterung und Kulturreflexivität sowie interkulturelle Kompetenzentwicklung abbilden können (→ 3.1.2). Coaching, auch Gruppencoaching, bezieht sich auf die zielgerichtete Entwicklung Einzelner, wofür man als Coach ein kulturreflexives Menschenbild und eine zeitgemäße Identitätsvorstellung benötigt (→ 3.1.3). Ohne den Körper ist kulturreflexives Coaching nicht möglich, so argumentieren wir schließlich in → Kapitel 3.1.4. Er ist kulturell geprägt, zugleich aber auch die universelle Basis, die man im Coaching nutzen kann. An die theoretischen Grundbegriffe schließen wir einen Überblick über die erweiterten methodischen Kompetenzen an, die für das kulturreflexive Coaching unseres Erachtens benötigt werden (→ 3.2). In Anlehnung an die Systematik der drei Perspektiven stellen wir exemplarisch verschiedene Methodenkomplexe vor. Wir beginnen mit Inhalten und Tools, die dem interkulturellen Lernen im Coaching dienen (→ 3.2.1), geben Beispiele für Reflexionshilfen für das Coaching im multikulturellen Kontext (→ 3.2.2) und stellen Persönlichkeitskonzepte und Entwicklungsmodelle für das transkulturelle Coaching vor (→ 3.2.3). Danach werfen wir einen kulturreflexiven Blick auf die Anwendung von klassischen Coachingmethoden und gehen anhand von Fallbeispielen der Frage nach, was beim kulturreflexiven Einsatz von Coachingmethoden allgemein zu beachten ist (→ 3.2.4). Häufig werden im Coaching Tests oder Profile eingesetzt und auch für das Interkulturelle Coaching gibt es spezielle Assessments, die wir selektiv referieren und kommentieren (→ 3.3). Gerade im kulturreflexiven Coaching bildet der Körper eine hilfreiche Basis für die Arbeit. Daher benennen wir eine Reihe von körperorientierten Methoden, mit denen wir Erfahrungen haben und die wir für die Thematik geeignet finden (→ 3.4). Wir runden das Methodenkapitel mit Leitfäden und Designs ab, die speziell für Coachings mit interkulturellem Bezug entwickelt worden sind (→ 3.5). Alle Instrumente werden im Methodenkapitel wertschätzend, aber auch kritisch gewürdigt. In der Zusammenfassung präsentieren wir schließlich ein Schaubild, das die erweiterten Kompetenzen von interkulturell arbeitenden Coachs umreißt (→ 3.6). Es zeigt, dass spezifische Methoden und Wissensbestände, aber auch Kulturreflexivität als Metakompetenz für das kultursensible Coaching erforderlich sind. → Kapitel 4 (Kulturreflexive Vorgehensweisen im Coaching) orientiert sich an den Hauptaufgaben und -tätigkeiten im Coaching und reflektiert diese auf unserer Erfahrungsbasis hinsichtlich kultureller Implikationen. Es wird dabei deutlich, dass einige Coachingdogmen zu überdenken und erweitern sind.
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EINLEITUNG
Die Auftrags- und Zielklärung, das Herzstück des Coachings, kann im kulturreflexiven Coaching sehr komplex werden und muss bisweilen unorthodox, also mit Empfehlungen, erfolgen (→ 4.1). Im Unterschied zum lösungsorientierten Coaching, das möglichst hypothesenarm vorgeht, benötigt kulturreflexives Coaching Hypothesen, wobei alle im- und expliziten Vorannahmen allerdings radikal zu prüfen sind (→ 4.2). Die kultursensible Beziehungsgestaltung im Coaching erfordert neben der Rollenflexibilität, die jedes Coaching benötigt, die Berücksichtigung von Fremdheitsprojektionen, die Reflexion von Erwartungen und Zuschreibungen und eine emotionale Feinabstimmung. Vor allem aber ist erforderlich, dass man sich als Coach in die Beziehung einbringt (→ 4.3). Entgegen den üblichen Erwartungen kommen Sprache(n) und Sprechen im kulturreflexiven Coaching eine besondere Bedeutung zu. Zu berücksichtigen sind Phänomene der interkulturellen Kommunikation, des CodeSwitching und Besonderheiten der Arbeit in einer Lingua franca (→ 4.4). Coachingprozess und Coachinggespräch haben eine Dramaturgie, die eher fraktal als in Phasen verläuft, wir erläutern zentrale Dimensionen des Prozessund Zeitmanagements (→ 4.5). Den Körper kann man zur Unterstützung der Coachingarbeit nutzen, daher differenzieren wir vier Interventionsebenen zur Einbeziehung des Körpers in die kulturreflexive Coachingarbeit (→ 4.6). Überlegungen zu den Herausforderungen des Arbeitens im virtuellen Raum, welches im Interkulturellen Coaching Alltag ist, runden das Kapitel ab. Blended Coaching ist kulturübergreifend inzwischen der Standard geworden – wobei es einiges zu beachten gibt (→ 4.7). Die Zusammenfassung der kulturreflexiven Coachingpraxis kondensiert noch einmal die erarbeiteten Erweiterungen zu den ausgewählten Standards im Coaching auf der Basis der zusammengetragenen Erfahrungen (→ 4.8). Im → Schlusskapitel reflektieren wir die Ausgangsfrage und das Ergebnis der Überlegungen im Buch vor dem Hintergrund der Professionalisierung im Coaching und laden zur Diskussion auf unserem Blog ein: coachingblog.consiliacct.com. Der Handbuchcharakter dieser Monografie drückt sich darin aus, dass wir versucht haben, den Bogen von den Theorien über die Konzepte bis zu den Methoden und zur Praxis zu spannen. Zudem berücksichtigen wir eine Reihe von einführender Lektüre in Verbindung mit unseren Erfahrungen und Konzepten. Die anonymisierten und zum Schutz der Personen und Organisationen veränderten Fallbeispiele erläutern den Grundgedanken des jeweiligen Kapitels an Praxisbeispielen. Um die soziokulturelle Varietät und die transkulturellen Verflechtungen an überraschenden Momenten im Coaching aufzuzeigen, haben wir jeweils ein illustrierendes, wenngleich den Leseerwartungen vielleicht nicht unmittelbar naheliegendes Beispiel gewählt. Im Text integriert findet man neben den Belegen der referierten Literatur hilfreiche zusätzliche Hinweise zur thematischen Vertiefung, denn wir haben für die leichtere Les-
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EINLEITUNG
barkeit auf Fußnoten verzichtet. Kurz kommentierte ein- und weiterführende Leseempfehlungen, Fazits sowie Tools runden die Abschnitte ab. Die Kapitel sind in sich verständlich und abgeschlossen, bauen allerdings im Gedankengang aufeinander auf, und wenn möglich haben wir Querverweise gemacht. Manche mögen sich wundern, warum wir nicht – wie üblich – definitorisch beginnen, zunächst unseren transkulturellen Coachingbegriff darlegen und diesen von anderen Formaten abgrenzen. Wir haben uns stattdessen für einen hermeneutischen Zirkel entschieden und beginnen mit dem alltagsweltlichen Kulturverständnis, das sich auch in der wissenschaftlichen sowie der Ratgeberliteratur abbildet. Die Personen werden auf der Basis ihrer Nationalität oder Muttersprache mit einem Kulturkreis identifiziert. Der Kulturbegriff deckt sich mit den Landesgrenzen einer Nationalität. Da es uns um kulturreflexives Coaching geht, beginnt die Reflexion also mit dem uns allen vertrauten und im Alltag verwendeten Kulturbegriff, den wir daraufhin ausdifferenzieren und immer weiter hinterfragen, bis wir am Ende zu einem um eine transformative Reflexion erweiterten Coachingverständnis gelangen. Kulturreflexivität zieht sich durch die vorgefundenen Erfahrungen (→ Kapitel 2), die wichtigsten Begriffe und Methoden (→ Kapitel 3) sowie das typische Vorgehen in einem Coachingprozess (→ Kapitel 4).
Dank und persönliche Anmerkung Die Entstehung einer Monografie wird immer gestützt von hilfreichen Begleitern. Wir möchten zunächst unseren Kunden und Coachingpartnern danken, die uns die unterschiedlichsten Coachings anvertraut und damit unsere Erfahrungen und Reflexionen ermöglicht haben. Die Namen der Personen in den Fallbeispielen sind selbstverständlich ausgedacht, aber der Region oder Generation nachempfunden. Auch Branchen, Positionen etc. wurden zum Schutz von Auftraggebern und Klienten verändert. Mögliche Übereinstimmungen der Beispiele mit Personen dieses Namens sind rein zufällig. Die Coachingfälle basieren auf mehreren eigenen und real erlebten Prozessen von mindestens einer von uns – daher wechselt auch Erzählperspektive in den Fallbeispielen ins »Ich«. Manchmal sprechen wir auch davon, was »der Coach« unternommen hat, auch hierbei handelt es sich um eigene Falleispiele. Die Fälle wurden zum Schutz der Personen abgewandelt oder aus mehreren ähnlichen Fällen idealtypisch zusammengefasst, sodass auch hier höchste Anonymität gewährleistet ist. Gelungen wäre uns die Abstraktion, wenn niemand sich unmittelbar wiedererkennt, aber manche Leser etwas Vertrautes entdecken. Vielen Kolleginnen und Kollegen sowie den Teilnehmern unserer Ausbildungen sind wir für Anstöße in fachlichen Diskussionen, kluge Fragen und Rückmeldungen zum Manuskript dankbar. Insbesondere den belesenen Praktikerinnen und Coachs Jasmin Messerschmidt und Silke Thompson gilt unser Dank für die kollegiale Prüfung der Aussagen. Auch den publizierenden Kol-
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EINLEITUNG
legen möchten wir unseren Dank aussprechen, weil sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen veröffentlichen und damit mit uns allen teilen. Gern nahmen wir auf sie Bezug. Wir haben uns dabei bemüht, alle Quellen sorgfältig zu belegen. Sollten wir unabsichtlich Gedanken referieren, die unbemerkt zu unseren eigenen geworden sind, so bitten wir um Nachsicht. Wir haben versucht, die aktuelle Literatur zum Thema disziplinübergreifend zu rezipieren, und bitten um Hinweise, wenn wir hilfreiche Gedanken nicht aufgeführt oder hinreichend berücksichtigt haben. Einen großen Dank möchten wir unsere Lektoren Günter Presting und Sandra Englisch vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht aussprechen. Sie haben uns stets wertschätzend und mit viel Geduld betreut, Termine gesetzt, wo es nötig war, und verschoben, wenn es möglich war. Den besonderen Umständen, unter denen dieses Buch entstanden ist, haben sie nachsichtig Rechnung getragen und mit hoher Flexibilität auf Verzüge, Veränderungen und Erhöhungen des Textvolumens, reagiert. Unserem Mitarbeiter Holger Finke danken wir von Herzen für das akribische Prüfen der Argumentationen, Gedankengänge und Inhalte sowie für sein präzises sprachliches Gefühl. Aleksandra Grzempa möchten wir für die kritische Lektüre aus polnischer Perspektive und die Unterstützung beim Literaturverzeichnis danken. Beide haben außerdem mit viel Einsatz bei der Erstellung der Abbildungen mitgewirkt. Gerhard Krämer und Detlef Dolscius haben das Manuskript mit unbestechlichem Blick Korrektur gelesen und Detlef Dolscius hat außerdem in einer begleitenden Cartoonserie zum Thema Coaching für den notwendigen Humor gesorgt. Zum Schluss möchten wir noch eine persönliche und ganz private Anmerkung anfügen. »Life is what happens to you while you’re busy making other plans« ist ein geflügeltes Wort von John Lennon geworden und dessen Wahrheit haben wir im Verlauf der Manuskriptentwicklung intensiv neu erfahren dürfen. Während der Entstehung dieses Buches haben wir aus zwei Firmen eine gemacht, zwei bedeutsame Menschen in unserem Leben beerdigen müssen, eine Angehörige mit Alzheimer gepflegt, eine elterliche Wohnung aufgelöst und manche Krankheit durchgestanden sowie Nachwuchs bekommen: Leo Gabriel Krämer. Geplant war nur das Buch. Das Leben machte erforderlich, dass sich die Gewichtungen verlagert haben, und wir mussten hinsichtlich unseres Qualitätsanspruchs Abstriche machen sowie die Zusammenarbeit neu aufteilen – deshalb steht auch diejenige mit dem größeren Anteil als Autorin an erster Stelle.
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Coaching kulturell – interkulturell
Wann ist oder wird Coaching interkulturell? Selbst ohne adjektivischen Zusatz haben der Begriff »Coaching« und die mit dem Coaching verbundenen Tätigkeiten bereits einen schillernden Charakter und werfen die Frage nach der Abgrenzung zu ähnlichen Tätigkeitsfeldern auf. Was unterscheidet Coaching von Supervision, Einzeltraining, Beratung, Mentoring oder Therapie? Die Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den beratenden Begleitungs- und Unterstützungsformen sind immer wieder in der Debatte. Benötigt man überhaupt den Begriff »Interkulturelles Coaching«? Angenommen, es ginge beim Coaching um eine Auslandsvorbereitung, was wäre daran interkulturell? Müsste man dann streng genommen nicht auch von »Gesundheitscoaching« sprechen, wenn es im Coaching um die eigene Work-Life-Balance, regelmäßigen Sport, Burnout-Prophylaxe oder ähnliche Themen geht? Die hohe »semantische Elastizität« des Coachingbegriffs (Kühl, 2008, S. 13) macht erforderlich, das eigene Begriffs- und damit Berufsverständnis darzulegen. Hierzu wollen wir im Folgenden einen Beitrag leisten. Die begriffliche Unterscheidung zwischen Coaching und anderen professionalisierten Hilfestellungen wie Beratung, Einzeltraining, Supervision oder Therapie gab es schon, bevor diese Unterstützungsformen kulturreflexiv betrachtet wurden. Für alle diese Formate existieren jeweils eigene Definitionen, Rollen- und Haltungsbeschreibungen, idealtypische Vorgehensweisen und Prozessgestaltungsphasen, Aussagen zur professionellen Beziehungsgestaltung, zu Methoden und Interventionen. Zwar gibt es innerhalb der genannten Tätigkeitsfelder eine gewisse Variationsbreite unterschiedlicher Ansätze und Praktiken, denn die Wissensbestände entstammen jeweils verschiedenen Schulen und Traditionen; umgekehrt findet man zwischen diesen Unterstützungsformaten auch einige Gemeinsamkeiten und Überschneidungen. Dennoch lassen sie sich idealtypisch beschreiben und voneinander abgrenzen. Auch für das Coaching gilt die gerade angesprochene innere Differenzierung in verschiedene Ansätze, die sich nach Menschenbild, Coachingdefinition, Methoden etc. unterscheiden lassen (Rauen, 2001, S. 139 ff.). Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunkte bildet sich im Zuge der Qualifizierung, Qualitätssicherung, Zertifizierung und Akkreditierung ein Kanon heraus bezüglich der Frage, was im Bezug auf Coaching und die anderen Beratungsleistungen als seriös und professionell angesehen wird. Dieser Kanon wird erst in jüngster Zeit auf das Thema Kultur hin ergänzt. Die Mehrzahl der dazu vorliegenden Veröffentlichungen geht davon aus, dass die kulturrelevanten Aussagen auch für angrenzende Unterstützungsleistun-
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gen wie Beratung oder Supervision aussagekräftig sind. Die ersten vorliegenden Empfehlungen im deutschsprachigen Raum sind nicht auf Coaching spezialisiert, sondern hinsichtlich verschiedener Zielgruppen formuliert. Wir beginnen daher in → Kapitel 2.1 mit einem zielgruppenorientierten Überblick, der zugleich eine gute Einführung in die herausfordernde Thematik darstellt. Dabei zeigt sich auch: Wenn von Interkulturellem Coaching die Rede ist, so wird damit meist der Kontakt mit Personen aus anderen Landeskulturen assoziiert. Die Vorstellung »andere Länder, andere Sitten« wird vor allem durch die personelle Konstellation relevant, wenn also der Coachingpartner eine andere Muttersprache als der Coach hat und in einem anderen kulturellen Wertesystem sozialisiert ist. Die zweite Perspektive, aus der wir die Thematik einführend betrachten wollen, fokussiert auf den kulturellen Aspekt. Wir gehen davon aus, dass Kultur(en) einflussreiche und handlungsleitende Konzepte darstellen. In → Kapitel 3.1.1 legen wir den Kulturbegriff dar, den wir verwenden und für hilfreich erachten. Bis dahin orientieren wir uns an der alltagsweltlich üblichen Gleichsetzung von Kulturen mit Landes- und Sprachkulturen. Da liegt es nahe zu fragen, ob und wie sich Coaching verändert, wenn man es in einer anderen Kultur durchführt oder wenn Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen im Coaching aufeinandertreffen. → Kapitel 2.2 referiert aus bestehenden Untersuchungen und Publikationen, in → Kapitel 2.3 schildern wir die Ergebnisse einer eigenen Umfrage unter praktizierenden Coachs. Wir haben Kollegen weltweit befragt, um herauszufinden, wann und wie für sie Kultur im Coaching relevant wird, und haben dazu verschiedene Positionen gefunden. Der kulturvergleichende Blick auf die Coachingtätigkeit zeigt, dass es an einer Systematik mangelt. Doch bevor man untersuchen kann, wann Coaching interkulturell wird, stellt sich zunächst einmal die Frage, was Coaching von anderen Unterstützungsleistungen unterscheidet. Begriff und Bezeichnung der Tätigkeit Coaching sind nicht geschützt und so gibt es keine anerkannte Definition oder stringente Berufsbezeichnung wie etwa im Fall der Ausübung von Psychotherapie. Selbst in einigen Coachingdefinitionen von bekannten Ausbildungscoachs stehen verschiedene Bezeichnungen nebeneinander, als erklärten sie sich wechselseitig. So beschreibt Astrid Schreyögg Coaching »als professionelle Managementberatung« (Schreyögg, 2003a, S. 11) und führt weiter aus: »In diesem Sinne kann Coaching als Therapie gegen berufliches Leid und als Maßnahme zur Förderung eines ausgefüllten beruflichen Daseins bezeichnet werden. Dabei zielt es idealerweise auf eine maximale Selbstgestaltung im Beruf« (Schreyögg, 2003a, S. 51, Hervorhebungen: die Autorinnen). Diese Definition hinterlässt einige Ratlosigkeit. Erst recht unklar ist der Begriff »Interkulturelles Coaching«. Was ist das »Interkulturelle« am Coaching: der Inhalt, die Zusammensetzung der Beteiligten, die Form? Die vergleichsweise neue Dienstleistung des Coachings muss sich in Abgrenzung zur Supervision, Beratung, aber auch zur Therapie behaupten. In → Kapitel 2.4 grenzen wir
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Coaching zuerst als genuin eigene Tätigkeit von verwandten Formaten ab und legen auch unsere eigene Definition von Coaching vor. Eine präzise Coachingdefinition ist der Ausgangspunkt, um zu schauen, welche Ansätze für Interkulturelles Coaching bislang vorliegen. → Kapitel 2.5 gibt eine Übersicht über die Aussagen der wichtigsten Autoren, die alle zugleich auch vom Fach sind und eigene Coachingpraxis haben. Deren Schwerpunkte sind erwartungsgemäß unterschiedlich und es fehlt unserer Ansicht nach ein Orientierung stiftendes Metakonzept zum Interkulturellen Coaching. In → Kapitel 2.6 schlagen wir dazu eine Hilfestellung vor, die sich am zugrunde liegenden Kulturbegriff orientiert und den Praktikern größtmöglichen Spielraum bietet. Dass wir argumentieren, dass jedes Coaching heute interkulturell geprüft werden muss, macht die Vorgehensweise nicht beliebig. Wir finden, es gibt nicht nur eine Art von Interkulturellem Coaching, sondern die vorgeschlagenen Perspektiven fokussieren unterschiedliche Anforderungen an das Coaching. Mit Hilfe dieser Einteilung kann man jeweils gut begründet angeben, wann Coaching interkulturelles Lernen darstellt und welche Kompetenzen der Coach benötigt (→ 2.6.1), wie Kultur bei Coaching im multikulturellen Kontext berücksichtigt wird (→ 2.6.2) und worin der Vorteil liegt, stets erst einmal von einer transkulturellen Perspektive auszugehen (→ 2.6.3), um dann zu überlegen, was im Coaching konkret benötigt wird. → Kapitel 2.7 gibt abschließend eine zusammenfassende Übersicht über diese Orientierungshilfe.
2.1 Häufige Zielgruppen: Eine Einführung Bei Interkulturellem Coaching denkt man zunächst an die psychosoziale und beraterische Unterstützung von Menschen, die ihren muttersprachlichen Kulturraum verlassen haben. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die wenigen Monografien, die es im deutschsprachigen Raum bislang zur kulturreflexiven Beratung gibt, zielgruppenspezifisch ausgerichtet sind. Im Blick sind auslandsentsandte Mitarbeiter (Expatriates), Migranten und unter ihnen besonders Menschen muslimischen Glaubens sowie ausländische Studierende. Je nach Lebenssituation und Ressourcen haben diese Zielgruppen spezifische Problemlagen, wodurch die betreffenden Monografien zugleich eine Einführung in die Dimensionen der Kulturreflexivität sowie das Thema Diversity im Coaching darstellen. Die Autoren haben aus vielen Jahren Praxis Erkenntnisse gesammelt und geben Hinweise, worauf ihrer Erfahrung nach bei Coaching, Beratung und Supervision im Hinblick auf interkulturelle Besonderheiten geachtet werden sollte. Die folgende Übersicht skizziert diese Herangehensweise und gibt einen Einblick in zielgruppenspezifische Wissensbestände.
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Expatriates/Impatriates Zur Vorbereitung, Unterstützung und Begleitung einer Auslandsentsendung nehmen Fach- und Führungskräfte häufig Interkulturelles Coaching in Anspruch. Neben den kulturellen Besonderheiten in der Lebens- und Geschäftswelt, auf die sie sich vorbereiten oder mit denen sie umgehen müssen, gibt es eine Reihe von typischen Schwierigkeiten, die diese Zielgruppe kennzeichnet. Zu den größten Herausforderungen zählen das Erlernen der lokalen Sprache, die Suche nach einer Unterkunft, die Regelung der Finanzen, die Auslandskrankenversicherung sowie Freunde und eine Schule für die Kinder zu finden (vgl. dazu »HSBC Expat Explorer Survey«, HSBC International Limited, 2008, http://www.expatexplorer.hsbc. com/files/pdfs/overall-reports/2008/offspring.pdf, Zugriff am 20.02.2012). Einen ausführlichen, auf der Basis von Interviews gewonnenen Überblick über die typischen Problemfelder im Rahmen von Auslandseinsätzen gibt Sobanski (2001). Je nach Situation, Alter, Karrierestufe, Rolle und Motiv des Auslandreisenden entstehen unterschiedliche Problemlagen und Anliegen im Coaching. Krämer und Nazarkiewicz (2008) unterscheiden erstens Angestellte, die mit einem Arbeitsvertrag ihres Arbeitgebers ins Ausland gehen, zweitens Angehörige, die als mitreisende Partner den Expat begleiten (Partner, Kinder), drittens Arbeitssuchende, die ohne Vertrag auf Jobsuche ins Ausland gehen, viertens binationale Paare, die ihr Aufenthaltsland ändern. Die erste Gruppe der Angestellten erhalten Unterstützungsleistungen ihres Arbeitgebers für sich und die Familie, allerdings variiert hier der Umfang. Schwierigkeiten entstehen aus folgenden Gründen: »Von den meisten Entsandten werden Höchstleistungen erwartet: Sie sollen sich schnell einleben, direkt Veränderungen einleiten und Ergebnisse erzielen« (Krämer u. Nazarkiewicz, 2008, S. 37). Dafür werden sie in der Praxis immer noch nicht hinreichend vorbereitet. Zudem werden die Angehörigen oft zu wenig einbezogen. Mit der Zufriedenheit der Partner jedoch – das belegen Studien und Erfahrungen seit Jahren – steht und fällt die Auslandsmission. Für die zweite Gruppe, die der mitausreisenden (Ehe-)Partner, stellt sich die Frage, wie es für sie im Ausland beruflich und persönlich weitergeht. Der Erfolg einer Entsendung hängt in hohem Maße davon ab, ob auch die mitgehenden Partner sich wohl fühlen. Wenn die Partnerin oder der Partner nicht arbeitet, besteht die Gefahr, dass sich eine Erfahrungskluft zwischen ihnen bildet. Unzufriedenheit, Spannungen und Konflikte können entstehen und die Partnerschaft, die Familie oder die gesamte Entsendung in Frage stellen. Viele Partner erleben sich als beruflich ausgebremst in einer fremden Umgebung ohne soziales Netz und fühlen sich isoliert. Paare, die außerdem den Auslandsaufenthalt als »Elternzeit« nutzen möchten, sind mit unterschiedlichen Sichtweisen von Krankheit und Gesundheit, Gesundheits- und Unterstützungssystemen und Rollenanforderungen konfrontiert. Die dritte Gruppe, die der Arbeitssuchenden, die ohne eine bereits in Deutschland vermittelte Arbeit ins Ausland gehen oder die durch ihre Arbeit
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bisher keinen Bezug ins Ausland hatten, sind vor allem administrativen Herausforderungen ausgesetzt. Bewerbungsformalitäten, Gesetze zur Arbeitsaufnahme oder Existenzgründung, Akquisearten und Kundenbindung werden in jedem Land unterschiedlich gehandhabt. Daneben müssen auch noch andere Themen, die bei jedem Kulturwechsel aufkommen, individuell aufgegriffen werden: fehlendes soziales Netzwerk, Anpassung an neue Kommunikationsformen und Umgang mit den eigenen Einsamkeitsgefühlen. Aktuell gibt es eine neue Variante dieser Gruppe, qualifizierte Hochschulabsolventen aus dem europäischen Ausland und junge Berufstätige, die aufgrund der Arbeitsmarktsituation in ihren Heimatländern auf den deutschen Arbeitsmarkt kommen. Auf diese neue Zielgruppe sind viele Organisationen wenig vorbereitet. Herausforderungen liegen hier in der Akzeptanz der bestehenden Belegschaft, in der Überwindung kultureller und sprachlicher Hürden sowie im Fehlen von Unterstützungsangeboten durch die Verwaltung. Zur vierten Gruppe zählen binationale Paare, die neben Ausgrenzungserfahrungen mit folgenden zusätzlichen Problemen beschäftigt sind: unterschiedliche Beziehungs- und Wertevorstellungen, Erziehung der gemeinsamen Kinder, Vorstellungen in Bezug auf Arbeitsteilung von Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit, die Beziehungen zur Verwandtschaft und die Verantwortung für fern lebende Familienmitglieder, außerdem die Beziehungen zu Kollegen, Landsleuten, Freunden und Freundinnen und Ähnliches. Mehr als bei deutsch-deutschen Paaren spielt hier die Außenwahrnehmung eine wichtige Rolle. Die Konfrontation mit völlig fremden Denk- und Erklärungsmustern kann zudem im höchsten Maße (ver)störend wirken. Dabei ist der Aufbau einer eigenen Paarkultur ein anzustrebendes Ziel. Das Thema Kulturschock betrifft alle erwähnten Gruppen gleichermaßen. Dieser normale Einlassungsprozess kann sich sowohl durch Gefühle von Hilflosigkeit und Zurückweisung als auch durch starkes Heimweh und körperliche Stressreaktionen bemerkbar machen. Werden die Spannungsfelder eines Kulturschocks nicht erkannt und bewältigt, können nach einigen Monaten physische Schwächung, Hoffnungslosigkeit und Pessimismus auftreten. Die Folgen können sein: abwertende Äußerungen gegenüber dem Gastland und seinen Einwohnern, Rückzug in Gemeinschaften von Menschen der eigenen Herkunftskultur oder die Verschiebung der eigenen Probleme auf die Anpassung an die Umwelt. Auch die Rückkehr, das Stiefkind des Expatzyklus, bringt Hürden mit sich: mangelnde Vorbereitung auf die Erwartungsbrüche bei der Heimkehr, mehrfache Umstellung am Arbeitsplatz, Verlust oder Fehlen einer adäquaten Position sind häufige Problemlagen im Coaching. Insgesamt werden die wertvollen Auslandserfahrungen zu wenig abgefragt oder genutzt und die Reintegration wird nicht systematisch unterstützt. Insbesondere für Frauen im Beruf fehlen Rollenmodelle, an denen sie sich orientieren können. Hinzu kommen die erforderli-
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che Neuorientierung und Identitätsfindung der Kinder, Erfahrungsdifferenzen zu den Daheimgebliebenen und der ganz persönliche Rückkehrschock.
Migranten Unter Migranten versteht man üblicherweise Menschen, die – mehr oder weniger freiwillig – aus ihrem muttersprachlichen Kulturraum in einen anderen gewandert sind, um dort zu arbeiten und zu leben. Diese Kategorie beschreibt eine sehr heterogene Gruppe. Sie umfasst Flüchtlinge ebenso wie Arbeitsmigranten aus unterschiedlichen Bildungsschichten und wirtschaftlichen Lagen, wobei die meisten unter schlechteren sozialen Bedingungen leben als die Mehrheitsbevölkerung des Einwanderungslandes. Das Gros der Migranten stellt nicht das klassische Klientel der Coachingkunden, dennoch ist die Kenntnis der sozialen Belastungen dieser Gruppe für Coachs von Bedeutung, weil sie auf die Grenzen kultureller Integration verweisen und damit zielgruppenübergreifend zu einem kulturreflexiven Wissensbestand gehören. Darüber hinaus ist dieses Hintergrundwissen auch für die Nachfolgegenerationen bedeutsam, die – gut ausgebildet und finanziell besser ausgestattet – schon eher einen Coach in Anspruch nehmen. Nach dem Mikrozensus 2009 wird die Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund, wie die ausländerrechtliche Bezeichnung der Angehörigen der ersten bis dritten Generation inzwischen lautet, mit 16 Millionen und damit knapp 20 % der bundesrepublikanischen Bevölkerung angegeben (Statistisches Bundesamt, 2010, S. 7). Fallbeispiel: Alem Kovac Alem ist 28 Jahre alt und Sozialpädagoge. Seine Kindheit hat er im ehemaligen Jugoslawien verbracht. Er ist mit seinen Eltern während des Bürgerkriegs 1992 nach Deutschland gekommen. An den Coach wendet er sich, weil er Schwierigkeiten hat, sich zu seiner Doktorarbeit zu motivieren, er vermutet Zeitmanagementprobleme. Psychologie ist bereits sein zweites Studium, das er mit Begeisterung und sehr guten Noten studiert und abgeschlossen hat. Im Coaching stellt sich heraus, dass die Prokrastination (Aufschiebeverhalten) ihre Ursache in der Migrationsgeschichte hat. Er hat das Gefühl, dass auf ihm als ältestem Sohn die unausgesprochenen elterlichen Erwartungen lasten, es in Deutschland »zu etwas zu bringen«. Der Doktortitel ist solch ein Statussymbol. Dieser Leistungsdruck ist sicherlich auch Erstgeborenen in anderen Familien nicht fremd, aber Alem spürt, dass selbst die beste aller Promotionen nicht das aufwiegen kann, was seine Eltern durch die Migration aufgegeben haben, und blockiert sich in diesem Kurzschluss selbst. Folgende Differenzierungen im Coaching helfen ihm: Die Entscheidung der Eltern, nach Deutschland zu gehen, ist unabhängig von der Chance, die er dadurch erhalten und genutzt hat. Sein Interesse an Menschen und Psychologie basiert auf der eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrung und führt nicht automatisch zu einem sehr hohen Leistungsmaßstab. Seine Motivation und sein eigener
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Leistungsmaßstab unterscheiden sich von denen seiner Eltern. Er ist auch ohne Promotion bereits sehr erfolgreich in Deutschland. Alem weiß und fühlt durch die Arbeit im Coaching, seine Doktorarbeit kann und wird den Eltern den Verlust der Heimat nicht aufwiegen können. In dem Verzicht, mit einer Karriere in Deutschland etwas wiedergutmachen zu wollen, löst er sich von seiner Blockade. Die Entkopplung der verschiedenen Ursachen der Aspekte hilft ihm, den unerreichbaren Maßstab der Wiedergutmachung zugunsten einer realistischen Selbstwirksamkeitserwartung abzulegen und die Doktorarbeit abzuschließen.
Vielen Migranten gemeinsam sind Erfahrungen wie soziale Unterprivilegierung, rechtliche und gesetzliche Einschränkungen, Diskriminierung und Rassismus, Sprachbarrieren sowie kulturelle Fremdheit (Hegemann u. Oesterreich, 2009, S. 40 ff.). Interkulturelles Coaching im Einwanderungsland Deutschland macht Kenntnisse über die sozioökonomischen und politischen Besonderheiten der Wanderungsmotive, Migrationsursachen und migrationsbedingten Problemlagen erforderlich. Die Literatur dazu füllt Bibliotheken und kann hier nicht aufgeführt werden. Eine kleine und sozialkritische Darstellung gibt Terkessidis (2000), einen tieferen historischen Einblick verschafft Bade (1992). Das „Kleine Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland (Schmalz-Jacobsen u. Hansen, 1997) beschreibt soziohistorische Hintergründe und Motive in Kurzform. Das Buch ist seit seinem Erscheinungsjahr nicht mehr neu aufgelegt worden, was die Aktualität der Zahlen beeinträchtigt, nicht aber die Hintergrundinformationen. Aktuelle Darstellungen findet man im Internet zum Beispiel zum Stichwort Migrationsbarometer (vgl. exemplarisch Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, 2011). Einwanderer unterliegen darüber hinaus meist Anforderungen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Ausländergesetzgebung, mit denen man vertraut sein sollte. Einen Überblick über die verschiedenen Gruppen (EU-Bürger, Drittstaatenangehörige, Spätaussiedler, Arbeitsmigranten, Flüchtlinge usw.) geben Brucks (2001) und Huber (2001). Die genannten und andere Machtungleichgewichte führen zu kollektiven Benachteilungserfahrungen, zu denen harte und auch weichere Faktoren wie Vorurteile und Abwertungen gehören. Diskriminierung und Rassismus werden heutzutage weniger im Bereich der absichtsvoll vollzogenen individuellen Handlungen verortet als strukturell. Den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft fallen die oft subtilen institutionellen Mechanismen und strukturellen Ausgrenzungen kaum auf. Betroffene spüren den Achtungsentzug unmittelbar. Sprachbarrieren erschweren allen Beteiligten den Beratungszugang und den Verständigungsprozess. Die gefühlte kulturelle Nähe oder Fremdheit schließlich ist unter anderem abhängig von der Gemeinsamkeit oder Differenz der Wertesysteme, auf deren Grundlage eine gemeinsame Wertebasis vereinbart werden muss. Kulturdifferenzen werden – wenn überhaupt – als letzte unter den typi-
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schen Belastungen genannt, um rechtliche, ökonomische und sozial bedingte Einschränkungen nicht zu kulturalisieren. So konzeptionalisiert zum Beispiel Auernheimer (2008) interkulturelle Kommunikation vierdimensional: Die Differenz der Kulturmuster ist die vierte und letzte Dimension von Faktoren, welche die Erwartungen von Interaktionspartnern irritieren können, davor liegen Erwartungserwartungen bezüglich Machtasymmetrien, Kollektiverfahrungen oder Fremdbildern. Erst in jüngster Zeit werden religions- und weltbildbasierte Differenzen aufgegriffen. Politisch korrekt publizieren in diesem Fall Experten, die selbst einen Migrationshintergrund haben. Zu erwähnen wäre hier das Buch zum kultursensiblen Umgang mit Muslimen in der Psychotherapie von Rezapour und Zapp (2011), welche auf kulturdifferente Besonderheiten sowie Konfliktfelder in der therapeutischen Arbeit mit Muslimen eingehen. Laabdallaoui und Rüschoff (2005) haben einen umfassenden Ratgeber verfasst, der sich an Muslime selbst, an ihre Berater sowie an Therapeuten richtet. Er beleuchtet häufige Konfliktbedingungen wie zum Beispiel Migrationsformen oder bireligiöse Ehen ebenso wie Abhängigkeitserkrankungen oder rechtliche Betreuungsaspekte. Die Autoren geben Hinweise, wie sie methodisch vorgehen und worauf zu achten sei. Kontrakt, Verständigung und Bedeutungsstiftung, Vorgehensweisen und Methoden werden bei Hegemann und Oesterreich (2009) dem systemischen Ansatz entlehnt und auf die Zielgruppe der Migranten übertragen. Konsequent in diesem Denken setzen sie Nichtwissen konstruktiv ein und liefern Listen von vorformulierten Leitfragen aus dem systemischen Spektrum, zum Beispiel »Wer gehört zum unterstützenden System aus dem eigenen kulturellen Verbund?« oder »Welche Unterschiede gibt es in den Erklärungsmodellen: Wer erklärt das Problem eher pädagogisch, medizinisch, magisch, biologisch, traumatisch, religiös etc.?« (Hegemann u. Oesterreich, 2009, S. 66). Die Fragen sollen helfen, die »innere Landkarte« der Klienten zu ermitteln. Dabei sei auf wertschätzende neutrale Formulierungen zu achten wie »arrangierte Ehe« statt Zwangsheirat. Als Methoden werden Hypothesenbildung, zirkuläres Fragen, das Genogramm, Visualisierungen und Symbolisierungen sowie die grundsätzliche Lösungsorientierung vorgeschlagen und damit aus Sicht der Autoren die für diese Zielgruppe hilfreichen Elemente des systemischen Vorgehens ausgewählt. Darüber hinaus werden Hinweise gegeben, wie mit einer Dolmetschersituation umzugehen ist, um die Verständigung zu gewährleisten. Als besondere Gruppe unter den zu beratenden Menschen mit Migrationshintergrund gelten Muslime, zu denen eigene Monografien vorliegen (vgl. z. B. Laabdallaoui u. Rüschoff, 2005, oder Rezapour u. Zapp, 2011). Bei Menschen muslimischen Glaubens werden als beratungsrelevante Differenzen die kollektivistische Persönlichkeitsstruktur, die patrilinear organisierten Geschlechterverhältnisse, der religiös fundierte moralische Kontext der Sexualität, Sozialisierung und strengere Erziehung in der Großfamilie sowie das spiritualisierte
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Körper- und Gesundheitsverständnis als notwendiges Hintergrundwissen benannt (Rezapour u. Zapp, 2011). Zur kollektivistischen Persönlichkeitsstruktur beispielsweise gehören Familienorientierung, Gehorsam und ein interdependentes Selbstverständnis. Dadurch verhält sich die Person eher an Normen und Kontext orientiert, also eher von Pflichtbewusstsein als von Gerechtigkeitsoder Menschenrechtsvorstellungen geleitet. Extern verankerte Effekte wie Mitleid, Scham und Stolz sind bedeutsamer als individuelle Emotionen (Rezapour u. Zapp, 2011, S. 30 f.). Im Hinblick auf ein kultursensibles Vorgehen heben die Autoren Besonderheiten der interkulturellen Kommunikation hervor: Hotspots, Hottopics und Hotwords (Rezapour u. Zapp, 2011, S. 70 ff.). Unter Hotspots im westlichmuslimischen Kulturvergleich verstehen sie die Expressivität, Indirektheit und Beziehungsorientierung muslimischer Gesellschaften. Die unterschiedlichen Stile führen dazu, dass die analytische und sachlich-direkte Herangehensweise westlicher Berater auf die Vorgehensweisen indirekter Stilelemente wie Paraphrasierungen und Diffusität bei der Beschreibung trifft, was die Verständigung erschwert. Heikle Themen (»hot topics«) können Familienstand, Kinder außerhalb der Ehe, Kinderlosigkeit und andere, dem Moralkodex nicht entsprechende Umstände sein. Sie sind zusätzlich durch Konnotationen belastet (»Hotwords«), welche das Aussprechen und Thematisieren erschweren oder mit Missverständnissen einhergehen. So etwa ist der »Leberschmerz« im Türkischen kein Zeichen eines Ärgers, der endlich einmal ausgesprochen werden muss, sondern hat die Bedeutung eines großen seelischen Schmerzes, der mit Kränkung oder Verlust verbunden ist (Rezapour u. Zapp, 2011, S. 72 ff.). Methodisch verweisen die Autoren darauf, dass die Arbeit mit Symbolen, Geschichten, Bildern, Metaphern und der Mythologie den muslimischen Deutungsgewohnheiten entgegen kommt und eine Brücke bilden kann. Außerdem sei der Koran als Ratgeber nutzbar. Die vorliegenden Publikationen sind geeignet, um zu sensibilisieren und sich Hintergründe und Empfehlungen zu holen. Wichtig ist unseres Erachtens jedoch, das Bild der scheinbar homogenen Gruppe »der Migranten« aufzubrechen und ihre Vielfalt zu betrachten. Eine Möglichkeit sind die Milieustudien des Sinus-Instituts (2008, Abbildung 1). Die Milieuforscher sehen die Migrantenpopulation zu stark auf ein verbreitetes Negativ- oder Defizit-Klischee reduziert. Die Ressourcen und Differenzierungen werden viel zu wenig betrachtet. Die Milieustudie, die es auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft gibt, kann das breite lebensweltliche Spektrum wissenschaftlich gestützt beschreiben und auch Aspekte sowie Ähnlichkeiten zur Mehrheitsgesellschaft in den Blick rücken, die für Coaching und Beratung wichtig sind. Mit 23 % sind die Migrantenmilieus (A3 und AB3), die vormodernen, ethnischen oder traditionellen Werten anhängen, in der Minderheit. Allerdings gibt es mit weiteren 23 % prekäre Migrantenmilieus, also Entwurzelte
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Abbildung 1: Migrantenmilieus in Deutschland (Sinus Sociovision, 2008, S. 6)
(B3), und das hedonistisch-subkulturelle und unangepasste Milieu mit defizitärem Identitätsgefühl (BC3). Die Mehrheit allerdings ist bürgerlich adaptiert oder statusorientiert (B23 und AB12), intellektuell und kosmopolitisch (B12) sowie leistungsorientiert und strebt nach beruflichem Erfolg und intensivem Leben (BC2). Zusammen machen diese in der Gesellschaft angekommenen Milieus über 50 % aus.
Ausländische Studierende Die Internationalisierung der Hochschulbildung hat zu einer Erhöhung der Anzahl international mobiler Studierender auf 3,3 Millionen geführt. Die jüngste Zahl aus dem Jahre 2008 stammt aus dem Ergebnis der 19. Sozialerhebung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Isserstedt, Middendorff, Kandulla, Borchert u. Leszczensky, 2009). Es steigen sowohl die Zahlen deutscher Studierender im Ausland (Exportquote 4,2 %) als auch die ausländischer Studierender in Deutschland. Knapp 10 % der rund zwei Millionen eingeschriebenen Studenten waren 2008 Bildungsausländer (Esser, 2010, S. 11). Trotz unterschiedlicher Motive und abgesehen davon, dass die ausländischen Studierenden für einen Studienplatz in Deutschland deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen, gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten in den Problemlagen zwischen Bildungsausländern und Migranten. Auch die Bildungsausländer erleben rechtliche und soziale Hürden bei Behörden, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Schwierigkeiten bei Kontaktaufnahme, sozialer Beziehungsgestaltung und Integration in Deutschland, weswegen sie je nach finanzieller Situation Beratung oder Coaching in Anspruch nehmen. Esser (2010)
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beschreibt ihre typischen Anliegen. Im leistungsorientierten Hochschulalltag kämpfen sie mit spezifischen Herausforderungen. Von Seiten ihrer Familie werden nicht nur bezüglich der Studienleistungen hohe Erwartungen an sie gestellt, je nach Alter oder Position kommen kulturelle Ansprüche hinsichtlich der Frequenz des Heimatbesuches, einer Familiengründung, des Verhaltens bei Krankheiten oder hinsichtlich der Ausrichtung traditioneller Trauerfeierlichkeiten bei einem Todesfall in der Familie hinzu. Viele durchlaufen die Phasen eines Kulturschocks und einer Identitätskrise, haben Heimweh und Sehnsucht nach der Familie oder Freunden. Hinzu kommen Orientierungsschwierigkeiten im Studiensystem, sprachliche Hürden, andere Gewohnheiten bei Lehr- und Lernstilen sowie Unterschiede hinsichtlich der üblichen Umgangsweisen zwischen Kommilitonen und Lehrenden. Eine kultursensitive Beratung ausländischer Studierender bedeutet nach Esser, mit mehr Herzlichkeit, Zeit und Einfühlungsvermögen zu arbeiten als in intrakulturellen Settings (Esser, 2010, S. 76 f.). Durch die unterschiedlichen Lebensgeschichten und -erfahrungen zwischen Berater und Ratsuchenden sind beide auf ihre Prägungen, Einstellungen und Erwartungen an Fremdheit zurückgeworfen. Dies betrifft insbesondere auch die Beratungsbeziehung selbst. Respekt, Zurückhaltung und Unterwerfung können dem Berater aufgrund unterschiedlicher Hierarchieverständnisse entgegengebracht werden und die Verständigung erschweren, weil beispielsweise keine direkten Fragen gestellt werden. Esser verweist darauf, dass Gefühle implizit oder gar nicht geäußert werden und es methodischer Brücken bedarf wie zum Beispiel der Schilderung ähnlicher Inhalte aus eigener Erfahrung oder aus der Literatur (Esser, 2010, S. 93 ff.). Insbesondere die Sozialkompetenz und Selbstreflexivität des Beraters sowie der kompetente ressourcenorientierte Umgang mit typischen Empfindsamkeiten der Angehörigen von Minderheitskulturen ist ihm wichtig.
Alle?: Diversitykompetentes Coaching Wenn man beim Beschreiben von Zielgruppen nach typischen kulturreflexiv zu beachtenden Problemlagen Ausschau hält, gelangt man schließlich zum »diversitykompetenten Coaching« (Abdul-Hussain u. Baig, 2009a, S. 54). Diversity bedeutet soziale Vielfalt und der dieser Bezeichnung verpflichtete Ansatz bemüht sich um die Wertschätzung von (ausgewählten) Unterschieden. Eine gute Einführung in den Diversityansatz geben Stuber (2004) und mit interkulturellem Schwerpunkt Blom und Meier (2002). Unter dem Stichwort Diversity kommen Antidiskriminierung und Human Resource Management als Potenzialentfaltung zusammen. Die klassischen Kategorien, neben den bereits bei anderen Zielgruppen erwähnten wie Ethnie und Religion sind Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung und besondere physische Fähigkeiten. Coachs, die sich zum Beispiel auf die Zielgruppe Frauen spezialisiert haben, wissen um deren besonderen Anliegen: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, vor allem
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von Karriere und Kindern, Selbstpräsentation und Rhetorik im Beruf sowie die Herausforderungen von Frauen in Führungspositionen. Ebenso ließen sich für die anderen Diversitykategorien typische Problemlagen formulieren, die sich jedoch nicht ohne Weiteres unter den Terminus »Interkulturelles Coaching« fassen lassen, weil weder Frauen noch Behinderte eine eigene »Kultur« bilden (vgl. dazu den Kulturbegriff in → Kapitel 3.1.1). Relevant für das Buch sind jedoch das mehrperspektivische Denken, die reflexive Herangehensweise und die Aufmerksamkeit für Verständigungs- und Inklusionsprozesse. Den Unterschieden sind die mit den jeweiligen Kategorien verbundenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie (abwertende) Bilder, Stereotypen und Exklusion gemeinsam, was sich auch methodisch niederschlägt. Die damit verbundenen Bewertungen zu dekonstruieren und Diversität als Ressource zu erschließen sowie die Integration der Betroffenen zu unterstützen, ist Ziel der systemischen diversitybewussten Beratung. Dazu gehören methodisch nach Baig (2009) sowie Eybl und Kaltenecker (2009): – die bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Bildern; – das Sichtbarmachen von Andersartigkeit; – eine hohe Sensibilität für Diskriminierungserfahrungen; – die Fähigkeit, eigene Unsicherheit auszuhalten und den Fokus auf sich selbst zu richten; – ein systemtheoretisches Verständnis von Komplexität und systemischen Fragen; – der systemische Einsatz von Methoden und Interventionen wie Aufstellungsarbeit und erlebnisorientierte Interventionen; – eine mehrperspektivische und multitheoretische Herangehensweise. Die Autoren stellen zur Unterstützung der Beraterkompetenz methodisch ein Reflexionstool in Form eines ausführlichen Fragekatalogs zur Unterstützung der Mehrperspektivität zur Verfügung. Hiermit weitet sich der Blick auf die Reflexion von Vielfalt auch über die klassischen Diversitykategorien hinaus.
Fazit: Der Zielgruppenansatz hebt sich am Ende selbst auf Die Coachingpartner für interkulturelle Coachings werden oft unter die einzige Kategorie »Kultur« subsumiert: Sie haben eine andere Muttersprache oder haben ihren Kulturraum verlassen. Die Literatur dazu gibt allerdings Hilfestellungen, die zielgruppengerecht aufbereitet sind, darunter unter anderem im Bezug auf Expats und Inpats, Migranten, Muslime oder ausländische Studierende. Damit wird man der Tatsache gerecht, dass jede dieser Guppen spezifische Problemlagen und Anliegen hat. Die Auseinandersetzung mit den zielgruppenspezifischen Besonderheiten in Beratung und Coaching zeigt zum einen den aktuellen Wissensstand, spiegelt zum anderen aber auch die Notwendigkeit, das eigene Vorgehen interkulturell zu reflektieren. Gerade eine so junge Disziplin wie das
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Coaching strebt zunächst einmal nach Struktur und Konzepten, welche auch Ausdruck der Professionalisierung sind. Sie zugleich wieder auf Besonderheiten zu befragen, führt in die kulturreflexive Coachingkompetenz. Die vorliegenden Monografien zeigen, wie wichtig es ist, sowohl die »hard facts« wie ausländerrechtliche und soziostrukturelle Gegebenheiten zu kennen oder Wissensbestände zum Islam, zu Disability Studies oder zum Diversity Management zu haben als auch für die Soft Skills sensibilisiert zu werden und Kontexte, Vorgehensweisen und Methoden zu überdenken. Bei der Lektüre wird aber auch deutlich, dass es offensichtlich eine Herausforderung ist, Kulturreflexivität zu etablieren. Die Auswahl der zielgruppenspezifischen Besonderheiten weist zwar einige Gemeinsamkeiten, aber noch keine Systematik auf. Die Herangehensweise der Ratgeber variiert zwischen normativ aufgeladenen Empfehlungen und Leitfäden mit Fragen oder Impulsen für die Berater, worauf zu achten sei. Die jeweils ausgewählten und für die Zielgruppen als geeignet erachteten Kompetenzmodelle, Vorgehensweisen und Methoden sind bekannt und werden mehr oder weniger modifiziert übertragen. Die Zielgruppenbestimmung wird am Ende immer breiter, und nimmt man Diversitykategorien hinzu, wird letztlich das Coaching jeder potenziellen Zielgruppe zum Interkulturellen Coaching. Es bleibt die Frage, welche Aspekte systematisch zu bedenken sind, wenn man interkulturell aufgeklärte Maßnahmen durchführen möchte.
Leseempfehlungen Abdul-Hussain, S., Baig, S. (Hrsg.) (2009). Diversity in Supervision, Coaching und Beratung. Wien: Facultas. Diversity aus systemischer Sicht im Hinblick auf reflexive Coaching-, Supervisions- und Beratungskompetenzen beschreiben die österreichischen Autoren und freiberuflichen Berater, Supervisoren und Organisationsentwickler. In mehreren Aufsätzen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten sie die Bedeutung dieser sozialen Differenzen für die professionellen Begleiter. In einem diversitysensiblen Reflexionstool bündeln sie ihre mehrperspektivische Herangehensweise zu einem Fragekatalog. Esser, B. (2010). Kultursensitive Beratung und Dialog. Arbeit und Begegnung mit ausländischen Studentinnen und Studenten. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Das Buch konzentriert sich auf die Situation und Wirklichkeitskonstruktion der Bildungsausländer in Deutschland. Der Autor ist Sozialpädagoge und Referent für Interkulturelles und Interreligiöses an der Katholischen Hochschulgemeinde in Köln und fasst seine zwanzigjährige Erfahrung in der Beratung von ausländischen Studierenden zusammen. Neben Hinweisen zum kultursensitiven Beratungsgespräch und den erforderlichen Kompetenzen des Beraters benennt der Autor auch Lern- und Dialogräume für die Begegnung mit dem Fremden. Hegemann, T., Oesterreich, C. (2009). Einführung in die interkulturelle systemische Beratung und Therapie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.
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Das Buch fasst die langjährige Erfahrung der Autoren in der lösungsorientierten Arbeit mit Migranten zusammen. Beide arbeiten als Psychiater, Therapeuten und systemische Berater mit Schwerpunkt transkulturelle Psychiatrie. Die Einführung gibt einen Überblick über Kontexte, Praxis und Methoden interkultureller Beratung und Therapie und schließt mit Empfehlungen zur Gestaltung kultursensibler Dienste. Krämer, G., Nazarkiewicz, K. (2008). Arbeiten im Ausland – und die Familie geht mit. Gut vorbereitet ankommen und zurückkehren. Bielefeld: Bertelsmann. Der Ratgeber richtet sich an auswanderungswillige und entsendungsbereite Menschen und Mitarbeiter sowie an ihre Begleiter und Berater. Die Autorinnen haben selbst in anderen Kulturen gelebt und gearbeitet sowie langjährige Erfahrungen als Coachs für global arbeitende Fach- und Führungskräfte mit Schwerpunkt Karrierecoaching für Expats und ihre Partner. Beginnend mit den Ausreisemotiven über die Vorbereitung über steuerliche und rechtliche Fragen bis hin zur kulturellen (Re-)Integration werden typische Fragen aufgegriffen und beantwortet und Empfehlungen gegeben. Rezapour, H., Zapp, M. (2011). Muslime in der Psychotherapie. Ein kultursensibler Ratgeber. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Der Verhaltenstherapeut Rezapour und der Sozialwissenschaftler Zapp nehmen in ihrem Ratgeber die muslimische Sozialstruktur sowie die sozio- und psychokulturelle Dimension des Islam in den Blick. Sie formulieren Bausteine für eine kultursensible Therapie und prüfen auch verschiedene Therapieschulen und -formate auf ihre interkulturelle Sensibilität.
2.2 Coaching in verschiedenen Kulturen Das aus den USA stammende Coachingkonzept hat einen globalen Siegeszug angetreten, bei dem kulturelle Differenzen zunächst außer Acht geblieben sind. In China gibt es beispielsweise ausschließlich amerikanische Anbieter für Coach-Ausbildungen, die unter anderem von Singapur aus agieren. Viele Coachs haben ihre Ausbildungen direkt in den USA absolviert oder im jeweiligen Heimatland an einem Institut, welches in der International Coach Federation (ICF) organisiert ist. Der 1995 in den USA gegründete Verband ist heute die größte internationale Nonprofit-Organisation für professionelle Coachs, er hat 16.000 Mitglieder in über 90 Ländern und erarbeitete gemeinsame Standards und Kompetenzanforderungen. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, ob sich Coaching kulturell unterscheidet, stößt man leider auf eine noch schmale Erkenntnisbasis. Der Coachingmarkt ist bekanntlich heterogen und uneinheitlich. Coaching ist als Konzept, professionelle Tätigkeit und Dienstleistung weltweit noch nicht gleichermaßen bekannt und verbreitet, und bislang liegen noch keine systematischen Untersuchungen vor, die konkrete stilistische Unterschiede ermittelt haben. Zur Zeit kann man wenig Konkretes sagen, weder wird überall amerikanisch gecoacht noch gibt es benennbare kulturspezifische Varianten: »Gene-
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rally speaking, there is no dominant picture of coaching yet and diversity prevails. There is not the African, Asian, Australasian, European, North American or South American approach. But you need to look into each continent to find out more« (Bresser, 2009, S. 6). Im nicht unumstrittenen Bresser Global Coaching Survey (2009) fragten die Forscher unter anderem nach lokalen Charakteristiken des Coachings und ob ein eher nichtdirektiver oder ein beratender Stil vorherrschend sei. Je nach Kulturraum werden einige Unterschiede in den Erwartungen und hinsichtlich der Coachinginterventionen formuliert: »[…] depending on the country, you may observe very different originalities and preferences in the way coaching is provided. […] [D]iversity is definitely a key part of the nature of coaching in Europe« (Tulpa u. Bresser, 2009, S. 21). Bresser kommt zu dem Schluss: »Coaching ist universell anwendbar, aber immer kulturspezifisch in der Anwendung« (Bresser, 2011, S. 197). Weitere Hinweise auf die unterschiedlichen Anwendungen findet man in den raren kulturspezifischen oder -vergleichenden Texten, in denen (inter)kulturelle Coachingerfahrungen zusammengefasst werden. Als einzige Monografie erschienen bisher der Sammelband von Passmore (2009) und der Supervision und Coaching interkulturell reflektierende Band von Goeschel und Ehmer (2009). Nancy Grösch (2009) vergleicht zwischen Europa, China und den USA hinsichtlich der Einführung von Coaching bei einem globalen Unternehmen. Kulturspezifische Empfehlungen gibt Peter Dreyer zu Coaching in Japan (2007). Die Aussagen haben eine unterschiedliche Reichweite. Manchmal lässt sich nur etwas zum Coachingverständnis auf dem lokalen Markt sagen, andere Autoren stellen kulturelle Unterschiede in den Erwartungshaltungen an den Coach und seine Vorgehensweise fest oder beschreiben die Differenzen in den Managementstilen oder Unternehmenskulturen. Die Autoren heben beispielsweise hervor, dass Coaching in Russland und Schweden beziehungsorientierter und emotionsbasierter sein kann, dass man in Irland, Italien und der Türkei mehr Vorbehalte gegen Telefoncoaching hat oder dass man in Portugal und Norwegen als Coach gute Kenntnisse der Werte und der nationalen Kultur haben sollte. Einige Beispiele werden im Folgenden kurz skizziert.
Kulturelle Differenzen im Coachingverständnis Aufgrund von Russlands Größe ist Coaching in den verschiedenen Regionen des Landes unterschiedlich stark verbreitet und es existieren verschiedene Auffassungen, was Coaching ist. Immer wieder wurde Coaching mit Beratung oder Psychotherapie verwechselt und daher vermieden bzw. mit unterschiedlichen Erwartungen an das Ergebnis belegt. Bis Ende der 1990er Jahre wusste niemand so recht, was Coaching eigentlich ist. Vielfach wird Coaching als »Einzeltraining« aufgefasst, in dem typische Managementkompetenzen wie Zeitmanagement, Projektmanagement oder Führung geübt werden. Langsam weicht
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diese Auffassung einer systemischen Sichtweise und die persönliche Entwicklung des Coachees rückt in den Vordergrund. Den Kontext bedenkend sollten sich Coachs nach Ansicht von Choukhno (2009) mit der russischen (Kriegs-) Geschichte auseinandersetzen, welche die Psyche der Manager nach wie vor stark beeinflusst. Ebenso wie die wechselhafte Geschichte Russlands sind auch Familienbindungen im Management bedeutsam. Im Business scheinen Ergebnisse nicht so wichtig zu sein, wie der Weg dahin. Schon in der Geschichte war der Weg der Vorbilder durch klimatische und politisch unwägbare Verhältnisse meist beschwerlich und Selbstaufopferung wird als hoher Wert geschätzt. Bedingt durch die Geschichte Russlands, in der es um Territoriumserweiterung, politische Einflussmöglichkeiten auf das Individuum und Systemerhaltung ging, könnte das Thema Macht im Coaching häufiger vorkommen. Kurz: Der Einfluss von kollektiven Traditionen sollte nicht unterschätzt werden und der Familienzusammenhalt hat deswegen sicherlich auch mehr Priorität als in anderen Kulturen. Die Anpassung von Coachingkonzepten an die lokalen Gegebenheiten und die russische Psyche stehen nach Choukhno (2009) allerdings noch aus. Beschreibungen wie diese können dem Coach helfen, Hypothesen aufzustellen, die er ohne das kulturspezifische Wissen möglicherweise nicht hätte formulieren können. Präferenzen für spezifische Vorgehensweisen, Formen der Entscheidungsfindung und auch der kollektive, durch die Geschichte erlernte und erfahrene Umgang mit Macht werden sicherlich den Führungsstil beeinflussen. Dass russische Coachs eher an eine »richtige« Vorgehensweise denken und daher eher beratend und wissensvermittelnd tätig sind, wie der Autor bemängelt, überrascht aus historischer Perspektive nicht. Jedoch sei hier wie stets vor Verallgemeinerungen gewarnt: Die Beschreibungen können zu einer selektiven Wahrnehmung aufgrund vorschneller Vorannahmen führen. Indien hat eine eigene Tradition in Entwicklungsunterstützung, maßgeblich geprägt durch Gurus und Führer verschiedener Schulen. Aus diesem Grund hat Coaching, insbesondere »Life-Coaching«, eine reiche Basis und beinhaltet traditionell Yoga, Mediation und die spirituelle Auseinandersetzung mit dem Leben. Inzwischen ist es in Universitäten üblich, zu Tutoren zu gehen, wenn man als Student Rat braucht – es ist geradezu »in«, viele oder bekannte Tutoren zu haben. Wer sie sich leisten kann, ist bei seinen Kommilitonen höher angesehen. Ganz ähnlich ist auch das Image des Coachings im beruflichen Kontext. Die Art und Weise, wie gecoacht wird, ist dennoch eine andere als im Westen. Aufgrund des historischen Hintergrunds wird der Coach eher als Ratgeber und Führer denn als Begleiter gesehen. Da Kinder tendenziell eher dazu erzogen werden, den Älteren und Eltern zu gehorchen und keine Fragen zu stellen, werden zum Beispiel Fragen des Coachees im Coaching eher als ungewöhnlich betrachtet (Sood, 2009). Doch es gibt auch andere Stimmen. Zum Teil wird Coaching als »Bestrafung« angesehen, da man sich entwickeln »muss« und es ein Zeichen für eine schlechte Leistung sein kann. Aufgrund des rapiden wirt-
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schaftlichen Wachstums der indischen Wirtschaft wird Coaching daher auch als verkürzte, individuelle Lernform genutzt und ist ergebnisorientiert ausschließlich auf die berufliche Performance ausgerichtet. Private Themen spielen in diesen Coachingformen kaum eine Rolle, sondern werden eher um die Coachingsitzungen herum angesprochen. Es müsste also zunächst geklärt werden, was ein indischer Coachingpartner unter Coaching versteht. Auch dürfte es eine Herausforderung sein, Rollenklarheit und -transparenz aufrechtzuerhalten. In China werden nach Ng (2009) eine Reihe von kulturellen Konzepten aktiv genutzt, die den Coachingprozess und damit die Beteiligten maßgeblich beeinflussen. Der ubiquitär einflussreiche Konfuzianismus und seine traditionellen Werte machen erforderlich, dass persönliche Veränderung nicht dem Einzelnen, sondern der Gruppe, der Familie oder Gesellschaft dienen soll. Die Basiseinheit der sozialen Morphologie ist die Familie. Sie ist Ort des Vertrauens, der Abhängigkeiten und wechselseitigen Unterstützung. Die konfuzianische Ethik der hierarchisch organisierten fünf Grundbeziehungen sowie Geschlecht, Alter und Beruf bestimmen den Status des Menschen in der Gesellschaft. Die fünf Grundbeziehungen (»Wu lun«) stellen unterschiedliche Hierarchiestufen dar und definieren die komplementären Aufgaben und Verantwortlichkeiten von erstens Herrscher und Untergebenem (der »König« oder »Herrscher« kann heute der Gast oder Kunde sein), zweitens Vater und Sohn, drittens Mann und Frau, viertens älterem und jüngerem Bruder sowie fünftens von älterem und jüngerem Freund. Ebenso wirken weitere Werte wie Personenorientierung, Bürokratie, Harmonie, das damit verbundene Gesichtskonzept sowie der indirekte Kommunikationsstil. Allein das Gesichtskonzept ist anders organisiert als beispielsweise in Deutschland, was einen hohen Einfluss auf die Kommunikation hat. Während man in Deutschland für das eigene Gesicht verantwortlich ist und zum Beispiel dankbar sein kann, wenn man auf einen Fehler hingewiesen wird, statt sich weiterhin eine Blöße zu geben, ist das chinesische Gesichtskonzept so organisiert, dass man für das Gesicht des anderen mit verantwortlich ist. In dieser eher an der Vermeidung von Scham orientierten Kultur wird die Hervorhebung von Fehlern durch »konstruktive Kritik« verletzend erlebt, was dazu führen kann, dass geschwiegen wird. Der Wert der interpersonalen Harmonie und Solidarität in Familie und Gesellschaft verhindert nach Ng tendenziell einen Fokus auf die individuelle Entwicklung und damit den im Westen vorherrschenden Wettbewerb der Kompetenzen, zum Beispiel innerhalb einer Abteilung. Hinsichtlich des bevorzugten Führungsstils beeinflusst der historisch-politische Umgang mit Hierarchien nach wie vor die Manager. Er ist eher distanziert als auf Augenhöhe, mehr formell als informell und dem Manager wird seltener Kritik direkt zugetragen. Es gibt allerdings auch Gemeinsamkeiten zwischen der traditionellen konfuzianischen Ethik und den Werten, die im Coaching praktiziert werden. Um das Coaching kulturell zu adaptieren, schlägt
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Ng daher vor, das aus den USA kommende Coachingkonzept mit chinesischen Sprichworten zu untermauern wie zum Beispiel »Everyone makes Emperors Yao and Shun« (Ng, 2009, S. 103). Die Bedeutung dieser Weisheit ist, dass jeder die Fähigkeit zum Erfolg in sich trägt, was die Ressourcenorientierung und Potenzialentfaltung im Coaching unterstützt. Der Autorin geht es darum, Brücken zu schlagen und die Gemeinsamkeiten der Konzepte zu betonen, um Coaching in der globalisierten Wirtschaftswelt zu fördern. Für den in China praktizierenden Coach ist es ratsam – wie bei allen anderen Kulturen auch – sich mit den historischen und philosophischen Hintergründen des Kulturkreises auseinanderzusetzen. Coaching bedeutet übersetzt ins Chinesische Lehren und Training, so wundert es nicht, dass sich beispielweise die Erwartungen hinsichtlich des Formats unterscheiden. Wenn Erfahrene weniger erfahrene oder unerfahrene Personen unterstützen, wird das im Westen eher Mentoring genannt und gilt in China als Coaching. Mit Hilfe der Transaktionsanalyse, von Orientierungsdimensionen und Werten können westliche Coachs die Bedürfnisse chinesischer Coachees verstehen lernen (Law, Laulusa u. Cheng, 2010). Diese Konzepte sind kognitiv und emotional nicht immer leicht nachzuvollziehen, insbesondere, wenn man mit einem individuell ausgerichteten Menschenbild aufgewachsen ist. Es gilt, ein Gespür für Netzwerke und Abhängigkeiten in den Beziehungsgeflechten und die Einordnung in bestehende Strukturen zu entwickeln. Umgekehrt berichten chinesische Coachingpartner in Deutschland immer wieder von aus ihrer Sicht fehlendem vernetzten Denken und mangelndem Fokus auf die Beziehung untereinander. Aber auch hier wird vor stereotypem Denken gewarnt. Einer in China aufgewachsenen Managerin, welche die Führung von fünfzig deutschen Technikern eines deutschen Unternehmens übernahm, fiel es zum Beispiel auffallend leicht, sich auf die auf individuelle Leistungserbringung ausgerichteten Mitarbeiter einzustellen. Hintergrund ist, dass ihre Eltern als im Untergrund arbeitende Regimekritiker sie mit westlichen Werten aufgezogen hatten. Im deutschen Unternehmensumfeld verzweifeln ließ die Managerin allerdings ihr Fokus auf der nonverbalen Kommunikation, um sich Bedeutungen zu erschließen. Sie musste mühsam lernen, Aussagen wörtlich zu nehmen und nicht nach weiteren möglichen Bedeutungen zu suchen. Dieses Beispiel belegt, dass allein der historisch-politische Hintergrund eines Landes nicht ausreicht, um sich Verhaltensweisen des Gegenübers erschließen zu können. In China wie in vielen anderen Kulturen auch kann man nicht direkt von historischen Umständen auf kulturelle Werte schließen, sondern muss sich im Spannungsfeld der Wertegemeinschaften orientieren. In Japan haben Gruppenbildung, Abwesenheit von elitären Bildungs- und Erziehungszielen, eine homogene Gesellschaft sowie die technologische und wirtschaftliche Entwicklung die Gesellschaft kulturell beeinflusst (Tanaka, 2009). Folgende Faktoren haben einen direkten Einfluss auf die Art und Weise des Coachings:
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1. Jeder kann sich selbst entwickeln, wenn es zum Wohle der Gruppe beiträgt. 2. Die Regeln und Kommunikationsformen sind implizit und nicht direkt erkennbar. 3. Die Organisationsstruktur in japanischen Firmen ist flexibel. Auch wenn die Hierarchien klar festgelegt sind, hat jeder Mitarbeiter dennoch die Möglichkeit, seinen Aufgabenspielraum zu erweitern. Man glaubt, dass junge Absolventen innovativ sind und die bestehenden Werte schnell lernen, dann lange bei der Firma bleiben, um aufzusteigen. Fähigkeiten, Betriebszugehörigkeit und Seniorität sind die zentralen Messgrößen für Karriere und Bezahlung. Berufs- und Unternehmenswechsler erwartet – so die Autoren – oft eine verächtliche Ablehnung. Man nimmt an, dass Menschen, die lange in einer anderen Firma gearbeitet haben und in einer fremden Gruppe sozialisiert worden sind, die Harmonie des neuen Betriebs stören könnten. Durch den Vorrang des Werts »Gruppenharmonie« ist die Verantwortung für das individuelle Tun weniger ausgeprägt und die Solidarität untereinander vorrangig. Innerhalb der eigenen Gruppe ist jeder für jeden mit verantwortlich. Diese Werte haben Einfluss auf die Ziele und Managementfähigkeiten, die beim Coaching realisiert werden müssen. Zu ihnen gehört zum Beispiel die Nutzung von Netzwerken und das Verhandeln-Können hinter den Kulissen. Die Spielregeln der Gesprächsführung unterscheiden sich deutlich. Vom ungefragt gereichten Getränk über den anfänglichen Small Talk bis hin zur langsamen Entwicklung der Thematik sind etliche Besonderheiten zu beachten. Das Ziel wird nicht konkret formuliert und es werden auch keine direkten Fragen gestellt. Statements sind als Angebote zu verstehen, bei denen man prüfen muss, ob der Gesprächspartner zustimmt. Weder werden Begründungen erfragt noch Entscheidungen gefordert. Stattdessen werden Situationen geschaffen und es wird Raum gegeben, Emotionen und Meinungen zu äußern oder Themen unverfänglich anzusprechen (Dreyer, 2007). Strategisches indirektes Handeln im Sinne gemeinsamer Ziele ist möglicherweise für einen Coach, der eine US-amerikanische Coachingausbildung genossen hat, eine Herausforderung, ist doch das Herausarbeiten des individuellen Ziels im Coaching eine Grundvoraussetzung für ihn. Systemisches Denken scheint hier eine wichtige Voraussetzung, um dem japanischen Coachingpartner in seiner Welt zu begegnen. Konkret kann das bedeuten, dass Coachs ungenauere oder andere Zielvereinbarungskonstruktionen als Arbeitsgrundlage akzeptieren müssen, zum Beispiel eher kollektive Ziele, welche das Wohlergehen der Gruppe favorisieren, und weniger individuelle Ziele des Coachingpartners. Eine Übersicht über die Besonderheiten in Asien geben die indischen Wissenschaftler und Coachs Lina und Ajay Nangalia (2010), indem sie systematisch Status, Rollenerwartungen und Beziehungsaufbau mit asiatischen Klienten beschreiben. Der Coach wird als Mentor gesehen, der Orientierung und Rat
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bietet, seine Erfahrungen teilt sowie Lösungen vorschlägt, kurz: die Richtung vorgibt. Diesen Status gilt es anzunehmen, um erfolgreich zu coachen. Partnerschaftliches Arbeiten, Kommunikation auf Augenhöhe oder Interventionen wie Feedback sollten nach Meinung der Autoren auch sprachlich vorsichtig gehandhabt werden. Coaching in Australasien ist denselben Abgrenzungsproblemen unterworfen wie in anderen Ländern (Anagnos, 2009). Während Psychotherapie und die meisten Beratungen im Gesundheitssystem vom Staat reguliert werden, gilt das für den Coachingbereich (noch) nicht. Die Coachingverbände kümmern sich um ethische Richtlinien und Zertifizierungen, und Coaching im privaten Bereich scheint sich weniger stark an Qualitätsrichtlinien zu orientieren als Coaching in Unternehmen. Gerade weil die Ausübung von Coaching an keiner staatlichen Vorgabe ausgerichtet ist, fehlt ein gemeinsamer Bezugsrahmen in Form eines theoretischen Modells und einer dazu passenden Leitlinie zur Umsetzung. Wegen fehlender Literatur zum Thema hat Coaching sich durch angrenzende Disziplinen inspirieren lassen. Die Gefahr, dass Coaching statt Therapie genutzt wird, ist groß. Dennoch wird die Anwendung von Coaching im staatlichen Gesundheitssektor in Australien immer mehr in Erwägung gezogen, gerade bei und für Menschen, die durch eine Verhaltensänderung (z. B. Diät) zum Beispiel ihr Herzinfarktrisiko senken könnten. Die Autorin schließt an die interkulturelle Reflexion mit einer interessanten These an: »It is possible that the success of coaching in diverse cultures may result from embracing nondirectiveness and loosened grasp on the theories and models of goal setting that often dictate a coach’s approach« (Anagnos, 2009, S. 64). Rollen- und Zielklarheit sind gleich wichtig, was aber auch auf Grenzen dieser Unterstützungsform hinweist. Die Autorinnen betonen die Differenzen zwischen kollektivistischen und individualistischen Gesellschaften in Australasien: »An alternative proposition is that coaching may not be appropriate in some cultures and mentoring might offer a more effective intervention.« Speziell bei den indigenen Bewohnern in Australien sind andere Lern- und Vermittlungsformen vertraut. Bei den Aborigines genießen Ältere zum Beispiel größeres Vertrauen. Ausgehend von den Gewohnheiten der australischen Aborigines könnte es in Australien im Coaching schwer werden, Probleme direkt an- und auszusprechen. Ein vertrauter Beratungsprozess in diesen Kulturen ist eher direktiv als demokratisch, der Berater spricht, der Ratsuchende hört zu. Manchmal äußern sich die Klienten nicht einmal selbst über das Problem, sondern dies übernimmt das ebenso anwesende Familienoberhaupt. In diesem Fall sollte sich der Coach darauf einstellen, dass Ergebnisse des Coachings nicht nur vom Coachee allein abhängen, sondern auch von seinem Umfeld. Daher muss das Umfeld – wie in anderen kollektivistischen Kulturen – mit einbezogen werden. Latinos zu coachen, selbst wenn sie außerhalb ihrer muttersprachlichen Kultur, zum Beispiel in den USA, leben, bedeutet für Baez (2006), den kulturel-
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len Hintergrund im Coaching zu berücksichtigen. Sie hebt folgende Aspekte hervor: Beziehungs- und Familienorientierung, andere geschlechtsspezifische Sozialisation, die auch im Business zum Ausdruck kommt, und die Bedeutung der Religion zum Beispiel auch für Entscheidungen in der Arbeitswelt. Zu beachten sind auch eine andere Zeitorientierung und Besonderheiten in der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Trotz hoher Verantwortungsübernahme sind nach Baez Latinos konservativ hinsichtlich Risiken und mögen keine Konfrontationen. Erfahrungen mit Coachings aus Brasilien zeigen, dass weitere kulturelle Vorannahmen antizipiert werden müssen. Manager bevorzugen kurzfristigen Erfolg und Kritik wird nicht gern offen angenommen. Sie ist auch unerwünscht, weil eventuelle Misserfolge des Managements aufgedeckt werden könnten. Fehler sind jedoch aus Sicht des Managements nicht auf die eigenen Führungsqualitäten zurückzuführen, sondern eher auf die Teamperformance. Umgekehrt werden positive Rückmeldungen gern den eigenen Leistungen zugeschrieben. Dieser Führungsstil hat seinen Ursprung in der monarchischen Tradition des Landes (Celestino u. Faro, 2009). Für einen Coach könnte es dann bedeuten, dass die im Coaching nicht unübliche Offenlegung persönlicher Entwicklungsfelder als Kritik verstanden wird und daher auch die Beziehung zwischen Coach und Coachingpartner schwächen könnte. »Neutrale« Assessments oder Profilbildungen zur Selbstreflexion könnten hier hilfreich sein. Die Autoren empfehlen, strukturiert und mit Tools vorzugehen. So kann dem Coachingpartner im geschützten Zweiersetting seine eigene Verhaltensweise bewusst gemacht werden. Im Coaching kann dann an der kommunikativen Umsetzung im Rahmen des eigenen Führungsstils gearbeitet werden. Fallbeispiel: Inès Fourrier Eine Coachkollegin berichtet: »Also mir ist aufgefallen, dass es bei den Franzosen eine stärkere Beratungserwartung im Coaching gibt. Ich kann mich mehrerer Fälle erinnern, bei denen auf meine typisch systemischen und offenen Fragen Irritationen erfolgten und Rückfragen kamen wie zum Beispiel ›Ich dachte, Sie sagen mir das?‹ Eingefordert wurden eher konkrete Vorschläge und auch eine Art Mentoring. Ich mache es mal am Beispiel von Inès fest, die in Frankreich als Lehrerin gearbeitet und ihren Mann auf einer Entsendung nach Deutschland begleitet hat. Sie sprach kein Deutsch und das Coachingziel war, eine berufliche Perspektive für sie zu entwickeln – auch über die Entsendungszeit hinaus. Sie bat mich direkt um Vorschläge, was sie in der Erwachsenenbildung in Deutschland machen könne oder wo sie in Sprachschulen arbeiten könne. Auf Fragen nach ihren Zielen, Vorstellungen und Wünschen reagierte sie erstaunt und erwartete Empfehlungen und eine Liste mit Möglichkeiten von mir. Mit einer Erläuterung des Coachingvorgehens und Reframingfragen gelang es aber, sie zur Innenschau zu bewegen. Hilfreich war die Frage danach, was sie wohl machen würde, wenn sie für drei Jahre mit Rückkehrgarantie beurlaubt würde und ihr alle Optionen offen stünden.
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Erstmals fragte sie sich, was sie eigentlich selbst will, und stellte fest, dass sie langfristig gar nicht mit Erwachsenen arbeiten möchte, sondern lieber mit Jugendlichen oder Kindern. Sie hat dann für Jugendliche mit Französisch als zweiter oder dritter Fremdsprache ein Gruppenangebot entwickelt, das über Kommunikation und Themennachmittage zu jugendrelevanten Themen den Zugang zur Fremdsprache erleichtert. Zusätzlich hat sie Schulen bei Austauschprogrammen beratend unterstützt.« Gelernt hat der Coach daraus, dass die Hebammentechnik beim Coaching in einer hierarchieorientierten Kultur wie Frankreich zunächst einmal auf Widerstand stößt und erläutert werden muss. Dann aber lassen sich die Klienten gern auf diese Vorgehensweise ein.
Erfahrungen mit Coaching in der arabischen Welt haben die Autoren Palmer und Arnold (2009) vornehmlich in internationalen Konzernen gesammelt, die westlicher Herkunft sind. Dort lassen sich hauptsächlich Männer von männlichen Coachs mit überwiegend arabischer Herkunft beraten. Kollektivistische Strukturen gepaart mit einem autoritären Führungsstil, beeinflusst von meist islamischen Wertehaltungen, ist das, was zusammengefasst als professionelles Führen beschrieben werden kann. Die arabisch geprägte Gesellschaft beruht auf persönlichen Beziehungen, was im historischen Hintergrund der Beduinenvölker wurzelt. Gastgeber sein und adäquates Verhalten in der Gesellschaft bilden einen zentralen Wert, daher wird im Coachingprozess der Anfangsphase hohe Bedeutung beigemessen, in der der Kontakt und das Vertrauen aufgebaut werden. Doch es wäre vorschnell, von geschlossenen Kulturräumen auszugehen. Zur arabischen Welt gehören 22 Nationen mit circa 300 Millionen Einwohnern mit höchst unterschiedlichen Lebensstandards. Viele arabische Manager sind in dem Dilemma, einerseits westliche Leistungsbewertungen durchsetzen zu müssen und andererseits jeden Mitarbeiter in der Gruppe gesichtswahrend zu behandeln. Die Autoren gehen darauf ein, mit welchen Mitteln aus der arabischen Kultur man zum Beispiel Feedback geben und motivieren kann. Dazu gehören Zitate aus dem Koran, die Wahrung des Status oder die Ambition, »gut dastehen zu wollen«. Wichtig sei zu identifizieren, auf welche Personen der Coachingpartner »hört«, wem er glaubt und sich anvertraut. Es interessiert die Coachees, wie sie von anderen wahrgenommen werden, und sie richten ihre Veränderungsprozesse danach aus (Palmer u. Arnold, 2009). Karboul (2011) geht unter anderem auf die Folgen der politischen Konfliktlinien zwischen dem Westen und der arabischen Welt sowie die unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse ein und zieht Konsequenzen für die Coachingbeziehung. Der westliche Coach kann mit einem Bonus starten, aber auch als Vertreter des »westlichen Imperialismus« gesehen werden (Karboul, 2011, S. 38). Die Geschichte der Apartheid in Südafrika macht das Thema Rassismus virulent, weshalb die Autoren vorschlagen, vom Konzept sozialer Identitäten
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(Tajfel, 1982) auszugehen (O’Flaherty u. Everson, 2009). Dieser Ansatz ermöglicht einen größeren Deutungs- und Handlungsraum, weil jeder Mensch sich zu verschiedenen sozialen Gruppen zugehörig fühlt und mehrere Identitäten annehmen kann. Die Identifikation mit unterschiedlichen sozialen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft führt im Coaching eher zu einer Integration als zu Differenz und der Coach kann die Identitätsperspektive des Coachees verfolgen. »From a coaching perspective, it’s important for the coach to begin understanding what the perceived or desired group identity of their coachee is and how this impacts on the choices they make and the places that they may get stuck in or diverted by« (O’Flaherty u. Everson, 2009, S. 80). Für multikulturelle Settings bevorzugen die Autorinnen das Integrale Coaching. Die Bezeichnung »integral« beschreibt üblicherweise eine holistische Weltanschauung, bei der verschiedene Weltsichten (westliche und östliche), Theorien und Ansätze wissenschaftlicher und transzendenter Dimensionen (spirituelle und mystische) integriert werden. Der bekannteste Vertreter, auf den sich auch verschiedene Coachingansätze berufen, ist Ken Wilber. Das Vorgehen berücksichtigt, statt auf Wahrheiten zu pochen, die zugrunde liegenden Annahmen und Perspektivenvielfalt (siehe dazu näher die → Kapitel 2.6 zu Formaten kulturreflexiver Coachings und 3.4 zu körperorientierten Methoden im kulturreflexiven Coaching). Nordamerika (USA/Kanada), die Ursprungsregion des Coaching, ist nach der aktuellsten Studie der ICF (International Coach Federation, 2012) erst in den letzten Jahren als Markt knapp von Westeuropa überholt worden (hinsichtlich Anzahl der Coachs und jährlichen Einahmen). In den USA ist der Coach ein Statussymbol (Wangerin, 2009, S. 2). Entsprechend reif ist der Coachingmarkt, er reguliert und professionalisiert sich seit längerem. Zertifizierungen durch etablierte Coachingverbände werden immer wichtiger, zum Beispiel um Zugang zu unternehmensspezifischen Coachpools zu erlangen. Übliche Vorgehensweisen im Coaching sind Beobachtung, Assessements und der Dialog über die zu ändernden Verhaltensweisen. Assessments werden meist mit Persönlichkeitstests durchgeführt. Die Angaben zur Anzahl der Coachinggespräche ebenso wie zu Themen, Zielgruppe und Prozessdauer sind vielfältig – zwei große Richtungen lassen sich dennoch identifizieren: Life bzw. persönliches Coaching und Coaching im organisationellen Rahmen. Auch das Thema Multikulturalität wird aufgegriffen, wenngleich es noch keine systematischen Programme dazu gibt (Becker-Hill, 2009, S. 49). Unter multikulturellem Coaching werden die Begleitung von Teams und Managern im multikulturellen Kontext, die Begleitung von Expatriates sowie Diversity Coaching verstanden. Da Coaching sich von vielen Disziplinen inspirieren lässt und Menschen mit den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen Coachs werden, ist Coaching ideal für interkulturelle und multikulturelle Situationen. Wir schließen uns der Ansicht von Bush an, dass demografische Trends und die Globalisierung Interkulturelles
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Coaching immer wichtiger machen: »Perhaps the rise of multicultural coaching can show the way, not only for individuals and organizations, but for the field of coaching as well« (Bush, 2009, S. 55).
Fazit: Das erforderliche Wissensspektrum erscheint unüberschaubar groß Die Coachingdebatte ist international – auch im größten Markt des Ursprungslandes USA – nicht weiter fortgeschritten als in Europa (Schreyögg, 2008, S. 92), Begrifflichkeiten, Zuordnungen, Konzepte – überall gibt es Forschungs- und Systematisierungsbedarf. Der Ausflug in das Verständnis und in die Praxis von Coaching in anderen Ländern macht deutlich, dass man es im interkulturellen Bereich mit einer hohen Diversität, Varietät und Spezifität zu tun hat. Schon diese wenigen Auszüge dürften zeigen, dass Coachs über ein enormes länderspezifisches Wissensspektrum verfügen müssen, um kulturübergreifend professionell tätig zu sein. Geschichte, soziohistorischer und ökonomischer Hintergrund, die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung, traditionelle und neue Werte, Unternehmenskulturen, Karrierevorstellungen, Kommunikationsdifferenzen, ebenso wie Image, Akzeptanz und Formate des Coachings auf dem Markt sind bedeutsam und verschieden – die Liste ist schier endlos. Andererseits wird auch deutlich, dass die Formate längst hybrid, die Settings uneindeutig sind. Was erwartet ein arabischer Manager, der in einer internationalen Firma ein multikulturelles Team führt, von einem deutschen Coach? Und sollte sich der deutsche nichtmuslimische Coach zutrauen, mit dem Koran zu arbeiten, oder mit Zitaten von Konfuzius? Ist die Berücksichtigung kultureller Unterschiede im Coaching einerseits ein Fortschritt gegenüber einem zunächst als universell und unreflektiert angenommenen US-Konzept, so ist andererseits zu fragen, wie die Wissensbestände, Kenntnisse und Kompetenzen von interkulturell arbeitenden Coachs aussehen sollten. Was benötigen interkulturell tätige Coachs in ihrer Praxis?
Leseempfehlungen Bresser, F. (2011). Tendenzen in der Coaching-Praxis und -Forschung. In R. Wegener, A. Fritze, M. Loebbert (Hrsg.), Coaching entwickeln: »Forschung und Praxis im Dialog« (S. 189–199). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Der Autor ist Coach und Berater und hat in den vergangenen Jahren einige kulturübergreifende Studien durchgeführt, zum Beispiel die European Coaching Survey oder die Global Coaching Survey 2008/2009. Abstract und ausführliche Studie können kostenfrei heruntergeladen werden unter: www.frank-bresser.com/forschungsprojekte.html. Passmore, J. (2009). Diversity in Coaching. London u. a.: Kogan Page. Der englischsprachige Band behandelt mit sowohl kulturellem als auch diversityorientiertem Fokus das Thema »Diversity in Coaching«. Die Autoren gehören der britischen »Association for Coaching« an und sind alle praktizierende Coachs. Der Sammelband
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enthält zahlreiche Beschreibungen und Fallbeispiele aus der Coachingpraxis und skizziert die Coachingentwicklung in verschiedenen Ländern von Südafrika bis Japan. Darüber hinaus widmen sich einige Beiträge thematischen Aspekten von Diversity wie Ethnizität, Alter und Geschlecht, etwa mit Blick auf Kulturunterschiede beim Coaching mit Black American Coachees oder »Alpha-Männern«.
2.3 Kultur(en) im Coaching: Ergebnisse einer Umfrage Nimmt man die beiden Perspektiven aus den letzten Kapiteln zusammen, so ist für einen interkulturell arbeitenden Coach bedeutsam, die Einflussfaktoren für die Zielgruppen ebenso zu berücksichtigen wie den lokalen Kontext. Im Anschluss an die Überlegungen zur kulturellen Diversität im Coaching hat uns interessiert, wie Coachs, die lokal und interkulturell coachen, mit Kultur im Coaching praktisch umgehen. Also haben wir selbst weltweit über 30 Coachs befragt, die in verschiedenen Kulturen coachen. Wann spielen Kulturen eine Rolle? Woran erkennt man es? Worauf ist zu achten, wenn man Kulturen als Deutungsfolie einsetzt? Und was nützt dies den Kunden bzw. Coachingpartnern? Daher haben wir professionelle Coachs in verschiedenen Ländern auf ihre Coachingerfahrung angesprochen und in einer qualitativen Befragung interessante Aussagen gesammelt, mit dem Ziel, einen Beitrag zur Reflexion zu leisten. Was genau tun wir als sogenannte interkulturelle Coachs? Da der Begriff einerseits nicht klar definiert ist und je nach Perspektive und Ziel unterschiedlich ausgelegt wird, es andererseits aber schon reichhaltige Erfahrungen gibt, wollten wir wissen, was Praktiker darunter verstehen, wenn sie über »Interkulturelles Coaching« reden. Die Kollegen, mit denen wir gesprochen oder korrespondiert haben, erfüllen selbst Diversitykriterien. Es sind Männer und Frauen, ältere und jüngere, erfahrene oder unerfahrene Coachs mit verschiedenen Muttersprachen, die in unterschiedlichen Kulturräumen arbeiten. Sie sind weitgereist oder immer am selben Ort geblieben und sie haben die unterschiedlichsten fachlichen und beruflichen Hintergründe. Wir haben die Interviews geführt, ohne eine Definition von Coaching oder Kultur vorzugeben, und haben zunächst einmal gewartet, ob und wo die Befragten von sich aus das Thema einführten. Der Interviewleitfaden enthielt zum einen allgemeine Fragen zu Coachinganlässen, Zielgruppen, Coachingverlauf, Methoden und Interventionen und den erforderlichen Kompetenzen der Coachs. Zum anderen beinhaltete die Befragung auch kulturreflexive Fragestellungen wie die Rolle der Sprache im Falle von Interkulturellen Coachings oder das Coachingverständnis in derjenigen Kultur, in welcher der Coach tätig ist. Bei der Auswahl der Interviewpartner kam es uns darauf an, alle Kontinente abzudecken und innerhalb der Kon-
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tinente Verzerrungen zu vermeiden, also beispielsweise in den USA sowohl die West- als auch die Ostküste zu berücksichtigen. Um die Professionalität der ausgewählten Coachs zu gewährleisten, haben wir Repräsentanten eines Berufsverbandes ausgewählt, die Chapterhosts der International Coach Federation (ICF). Die regionalen Gastgeber (Chapterhosts) organisieren und leiten die jeweils gebietsspezifischen monatlichen Treffen, die der Weiterbildung und dem Erfahrungsaustausch dienen. Damit haben wir zusätzlich gewährleistet, dass diese Personen gewohnt sind, eine professionelle Selbstreflexion durchzuführen. Die Umfrage ist weder repräsentativ noch umfangreich noch genügt sie wissenschaftlichen Kriterien. Aber sie gibt einen Eindruck von der Herangehensweise professioneller Coachs, wie wir sie auch in den Diskussionen und Veranstaltungen finden. Und sie führt zu interessanten Erkenntnissen.
Fragen an praktizierende Coachs Die folgenden Fragen haben wir den Coachs weltweit gestellt. Arbeiten Sie bereits als Coach? Dann schlagen wir vor, dass Sie die Fragen zunächst einmal für sich persönlich beantworten, bevor Sie die Auszüge aus den Ergebnissen lesen. 1. Wie wird Coaching in Ihrer Kultur definiert/verstanden/genutzt? (eigene Einschätzung) 2. Welche Zielgruppe sprechen Sie an und warum? 3. Welche Klienten kommen zu Ihnen? (Nachfrage, falls interkulturelle Arbeit angesprochen wird: Wieso kommen die »anderskulturellen« Klienten zu Ihnen?) 4. Was sind die »typischen« Erwartungen an Sie als Coach (Rollen, welche Art von Unterstützung) von Seiten der Klienten? Welche Erwartungen haben sie an Sie als Coach? 5. Wie lange dauert ein »klassisches« Coaching? (Zeit/Zeitraum) 6. Welche Anlässe/Themen werden bearbeitet? 7. Wie ist der »klassische« Ablauf? (welche Coachingphasen, wie Zielklärung, wie Analyse/Diagnose) 8. Wie würden Sie Ihre Leistung als Coach beschreiben? (Interventionen, professionelle Aktivitäten etc.) 9. Welche Kompetenzen braucht Ihrer Ansicht nach ein Coach? 10. Im Fall von Interkulturellen Coachings: Inwieweit ist das Thema Sprache eine Herausforderung?
Auszüge aus den Ergebnissen Die Befragung wurde auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch und mit wenigen schriftlichen Ausnahmen mündlich, in Form von Gesprächen durchgeführt und protokolliert. Es handelt sich bei den Zitaten daher um wörtliche und sinngemäße Wiedergaben aus den Protokollen in der Interviewsprache, die
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überwiegend Englisch war, mögliche sprachliche Fehler haben wir nicht korrigiert. Es stellte sich bei den Interviews insgesamt als schwierig heraus, die Einflussfaktoren von Kultur zu benennen, wenn sie nicht selbst thematisiert wird. Als Problem erscheint »Kultur« den Coachs jedenfalls nicht: »Zu Beginn steht meist ein berufliches Problem, Kultur kommt selten vor, auch wenn ich selber den Kulturbegriff weiter wähle, so wie Milieu, Region, Geschlecht, also eher Diversität« (französischsprachiger Coach in Luxemburg). Kultur erscheint nicht nur als unproblematisch, kulturelle Differenzen werden sogar genutzt: »Für mich als Deutsche, die mit spanischen oder katalanischen Coachees arbeitet, ist einer der größten Vorteile, dass ich eben keine Spanierin bin. Ich bin, egal wie gut integriert, eine ›Fremde‹. Das erlaubt es mir, Dinge zu fragen und in Frage zu stellen, die eine Spanierin nicht in Frage stellen könnte, ohne aufdringlich oder ›übergriffig‹ zu sein. Die Kommunikationsgrenzen sind in Spanien viel enger gefasst. Man hat zwar das Gefühl, sie reden den ganzen Tag, aber das eigene Innere, das vertraut man hier nur wenigen Menschen an. Als ausländischer Coach ›darf‹ ich daher fragen, was jemand aus der eigenen Kultur nicht fragen kann« (deutschsprachiger Coach in Barcelona). Interessanterweise ist auch der offensichtlichste kulturelle Einfluss – die Sprache und damit das gemeinsame Medium im Coaching – für die meisten der befragten Coachs überraschend unproblematisch. »I don’t think language difficulties is a challenge although they are just a small inconvenience. The communication is between hearts and energies and it doesn’t just depend on words and expressions« (chinesischer Coach in China). »Coaching in English seems to me more powerful than in Polish. Even if you’re not very fluent in English, then you can focus on the most important thing: emotions« (polnischer Coach in Polen). »Coaching in a foreign language means slowing down the process, sometimes it helps as you then work with a ›beginners mind‹« (deutscher Coach in Luxemburg). »The process is slower if both do not speak in their mother tongue. You have to ask more questions and it’s somewhat harder to create a common way of
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understanding. And as I’m not feeling very secure in another language it’s hard to stand for me as a coach« (US-amerikanischer Coach in den USA). Coaching in einer fremden Sprache scheint den Fokus zu verändern: von Wortdeutungen und kognitivem Verständnis hin zu Emotionen und körperlichen Empfindungen. Gleichzeitig erhöht sich bei einigen Coachs dadurch die Unsicherheit, weil Bedeutungen hinterfragt werden müssen und der Prozess verlangsamt wird. Interessanterweise empfinden viele Kollegen die sprachlichen Herausforderungen insgesamt eher als förderlich für den Coachingprozess. Sie akzeptieren (Sprach-)Differenzen und greifen auf das zurück, was sonst noch oder darüber hinaus da ist: körperliche Universalien, Emotionen und die Suche nach den Gemeinsamkeiten durch Differenzen hindurch. Kultur erscheint mit wenigen Ausnahmen auch als relevante Größe, wenn die interviewten Coachs die Motivation ihrer Klienten bei der Wahl des Coachs beschreiben. Fast alle Befragten beziehen sich auf eine alltagsweltliche Vorstellung von Kultur als Landeskultur. Sie identifizieren die Unterschiede mit nationalstaatlichen Grenzen und erleben die Menschen als Träger von Kultur mit spezifischen Werten und Prägungen. »… because they know that I’ve lived in other cultures. They suppose that with my experience I could easier relate to their experiences« (französischer Coach in Japan). »… because of my background [banking], perhaps sometimes simply of being British, mainly because of my attitude and method as a coach« (britischer Coach in Luxemburg). »… because they expect that I’ve a better understanding of their heritage [European immigrants]« (niederländischer Coach in Kanada). »… because expat spouses tend to relate better to me as a female coach« (französischer Coach in Deutschland). »… all my clients have to deal with Germans or are from Germany, they want a German coach because they then know better what they get« (deutscher Coach in der Türkei). »… because I’m white, I suppose« (deutscher Coach in Südafrika). »Nationality is not such a big issue – the biggest issue is job and performance and the reference the Coachs have« (Coach aus Hong Kong in China).
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Coaching als managementorientiertes Personalentwicklungsinstrument wird von Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Prägungen als Möglichkeit der persönlichen und beruflichen Entwicklung genutzt. In der Beschreibung der Erwartungen der Coachingpartner an die Coachs und ihre Unterstützungsformen werden Unterschiede deutlich, bei denen man sich fragen kann, welche kulturellen Hintergründe sie haben könnten: »My boss says, I’ve a bad performance – this is mostly in India the reason to go to a coach« (deutschsprachiger Coach in Indien). »Techniques to improve their performance at work« (argentinischer Coach in Argentinien). »Knowledge transfer due to an appraisal interview, not from their initiative« (deutscher Coach in China). »They want to be teached: ›tell me what to do‹« (chinesischer Coach in China). »Need of direction,›handholding the client‹, guidelines, they aren’t used to find the solutions themselves« (indischer Coach in Indien). »Assist in personal development« (US-amerikanischer Coach in den USA). »Gain self confidence and develop their own (leadership) personality« (französischer Coach in Deutschland). »Think and reflect, this is luxury for them and what they expect« (polnischer Coach in Polen). »Many use the word coaching and expect a consultant, trainer or even a mentor. Most of the Chinese nationals that I have come across say things like that« (singapurischer Coach in China). Da die Gründe für die Suche nach Unterstützung eng an Problemlösungen, die Verbesserung von Situationen und subjektiven Zuständen gekoppelt sind, sind kulturelle Erwartungen hinsichtlich der Rolle des Coachs, des Beziehungsaufbaus und der Methodenwahl wahrscheinlich. Matsumoto und Juang (2008) meinen dazu: »Es ist in einigen Nationalkulturen üblich, Familien oder systemexterne Personen um Rat zu fragen oder um die Analyse eines Problems zu erhalten. Dies widerspricht beispielsweise einem gängigen Verständnis von Coaching als neutraler Begleitung und schließt eine beraterische Form und die
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zugeschriebene Rolle des Experten mit ein. So gibt es in der kulturvergleichenden Psychologie Studien, die zum Beispiel schildern, dass chinesische Psychotherapie-Klienten sich erst in einem sehr späten Stadium von subjektiv empfundener Krise externe Hilfe suchen und dann einen direktiven Rat und eine lösungsorientierte Methode statt Introspektion suchen« (Matsumoto u. Juang, 2008, S. 320, Übers. d. Autorinnen). Weitere Hinweise zur Rolle des Coachs und unterschiedlichen Erwartungen der Coachingpartner findet man bei Passmore (2009) und im asienweiten Vergleich der Rolle des Coachs bei Nangalia und Nangalia (2010, S. 51 ff.). Andererseits haben alle Befragten eine Coach-Ausbildung, deren Inhalte den Richtlinien der International Coach Federation entsprechen bzw. als gleichwertig anerkannt sind. Daher sind die Erwartungen und Vorgehensweisen zwar individuell, jedoch auch maßgeblich durch eine amerikanische Sichtweise hinsichtlich des Formats »Coaching« beeinflusst. Aufschlussreich im Zusammenhang mit der Fragestellung nach dem Einfluss von Kultur hinsichtlich individuell zugeschnittener Interventionen sind die Bezugnahmen auf zeitliche Horizonte, Rhythmen und die Dauer der Coachings. Hier könnte man kulturelle Vorstellungen von Effizienz, kulturell geprägte Erwartungen an Form und Phasen der Veränderungsbegleitung vermuten. Typische Phasen und Interventionen werden wie folgt beschrieben: »Get to know each other, diagnostics (by tools), then giving expertise (like a consulting) and interventions (like training)« (indischer Coach in Indien). »In Spain I’ve the impression, you need more time to clarify the goals, the process is less structured as I was used to it in Germany« (deutscher Coach in Spanien). »People from South Africa give you ›a credit‹, whereas for coachees from other European cultures I have to prove my competences. So I need more time to relate close to them than to the South Africans« (niederländischer Coach in Südafrika). »The Germans tend to step directly into the material, they do not need any ›warming up period‹« (indischer Coach in Indien). Mit Blick auf die Gestaltung des Prozesses, hinsichtlich der Wahl ihrer Interventionen etc. waren die Antworten der Coachs so heterogen wie erwartet. Manche können kulturelle Besonderheiten in der Erwartungshaltung feststellen, andere erklären direkt, dass sie ihre Coachingform für alle Klienten gleichermaßen verwenden. Die Antworten machen deutlich, dass Coachs im Vergleich ihrer kulturspezifischen Erfahrungen Differenzen beschreiben können, die sie
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landeskulturell zuordnen. So werden die in der Coachingausbildung gelernten (meist amerikanischen) Standards offensichtlich landeskulturell und individuell abgewandelt. Diese Anpassungen an beispielsweise den Rhythmus der Coachingpartner wurden zum Teil dadurch erklärt, dass einzelne Coachs einen ganz eigenen Stil entwickelt haben, den sie sich gegebenenfalls sogar patentieren ließen und der aus ihrer persönlichen Erfahrung und beruflichen Hintergründen entstanden ist. So kombiniert zum Beispiel ein argentinischer Kollege sein Wissen in japanischer Kampfkunst mit dem systemischen Beratungsansatz und findet damit einen Weg, seine hauptsächlich argentinischen Coachingpartner in deren Entwicklung zu unterstützen. Auch zu der Form des im Coaching üblichen Feedbacks gibt es landeskulturell spezifische Unterschiede. So war zu ermitteln, dass in den USA Feedbacks zum Verhalten der Coachingpartner tendenziell vom Coach selbst kommen und in Indien meistens ein AssessmentTool genutzt wird, um eine »neutrale« Rückmeldung zu haben. Als Konsequenz daraus wird dann in Indien vielfach an dem »gap« zwischen wahrgenommener Performance und Ziel im Coaching gearbeitet. Folgende Antworten auf die Frage: »Do you use different interventions depending on the cultural background of your clients?« beschreiben diesen individuellen Zuschnitt des Formats Coaching noch genauer: »It’s easier to work experience-based, because the solution is found by the Coachs themselves and lies in their body« (irischer Coach in Irland). »The mix is always different and depends on the individual issues: systemic coaching methods, transactional analysis, DISC personality model, diverse leadership competence tools, practical exercises, elements coming from dancing and stage, body language, metaphors and painting« (französischer Coach in Deutschland). »I try to get to the bottom of the metaphors which my clients use« (argentinischer Coach in Argentinien). Die jeweilige Identifikation mit bestimmten Kulturen beeinflusst bekanntlich unser Denken, unsere Wahrnehmungs- und Merkfähigkeit, die Kompetenz zu kategorisieren und letztlich dadurch auch die Problemlösungsmethodik. So kommt es, dass das Strukturieren von Bezügen, Darlegen von Abhängigkeiten oder Systematisieren von Beziehungen für den einen Coachingpartner einen adäquaten Lösungsweg darstellt, während für den anderen die Arbeit mit Metaphern eine sinnvollere Alternative wäre. Die in den individuell entwickelten Vorgehensweisen eingelassenen Normen und Prämissen sowie die damit verbundenen Kulturbegriffe werden allerdings zum Teil nicht weiter hinterfragt:
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»The coachees have to develop self-reliance and that’s why giving answers is not the right method« (US-amerikanischer Coach in den USA). »As there’s no real distance between cultures you do not need a special competence, only the ›normal coach competencies‹« (US-amerikanischer Coach in den USA). »A coach who has the ability to really listen and is able to step outside his own culture, not to make assumptions« (irischer Coach in Irland). »We’re all humans, culture is on top and provokes little differences of communication and in your style of thinking. It’s easier to rely on the similarities and always concentrate on the ›glocal‹ (mixture of knowing about culture but referring to the local knowledge)« (australischer Coach in Japan). »There’s no difference between cultures, personality counts first« (französischer Coach in Frankreich). »The differences between national cultures seem to me more important than those between professional cultures, but both influence the way you communicate together« (französischer Coach in Frankreich). Wie hier exemplarisch an Zitaten illustriert, wurde bei der Befragung deutlich, dass die Coachs sehr unterschiedliche Kulturbegriffe haben. Kultur wird auch nicht immer mitreflektiert und alle gehen selbstverständlich von vorausgesetzten Werten aus. Ob Autarkie – wie der amerikanische Coach unterstellt – immer und überall das Entwicklungsziel im Coaching ist, ist fraglich. Ob alle Coachs, wie der irische Coach annimmt, sich außerhalb der eigenen Kultur stellen können, auch. Dementsprechend variieren die Kompetenzanforderungen für Coachs, die die befragten Kollegen wie folgt beschreiben: »Your own experience with culture shock and changing cultural frames, self awareness, supervision, personal maturity« (deutscher Coach in Deutschland). »Relationship-building and good reference cannot be separated, your nationality is not so important but of course your professional experience counts. In China this is the main question: does the coach have good references?« (chinesischer Coach in China). »Having the flexibility to change between process and relation, counselor and coach, pacing and confronting, empathy and feedback …« (deutscher Coach in Luxemburg).
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»I believe that the culture you create together in that unique session will be helpful for the client’s process, and with this confidence I draw on the unlimited resource to enrich the space which is there …« (argentinischer Coach in Argentinien). Hinsichtlich der (kulturspezifischen) Kompetenzanforderungen an die Coachs gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen haben das Individuum und insbesondere eine universalistische Form davon im Blick – »alle sind gleich«, »Kultur spielt keine Rolle« und »wir haben alle die gleichen Grundbedürfnisse« – und sie schließen daraus, dass bei Kulturunterschieden keine besonderen Kompetenzen notwendig sind. Andere wissen genau, dass eine »Kompetenz« eines Coachs darin bestehen muss, gute Referenzen vorweisen zu können. Wieder andere leiten aus den landeskulturellen Unterschieden besondere Anforderungen an den Coach ab im Hinblick auf das Wechseln von Kommunikationsstilen sowie die eigene Rollenflexibilität und Methodenvielfalt. Fallbeispiel: Marius Kurz Marius, 45 Jahre alt und in Deutschland geboren, ist Pfarrer. Seit circa drei Jahren hat er im Wallis eine katholische Gemeinde übernommen. Das Coaching beginnt er einige Wochen, nachdem ihm von seinem Vorgesetzten nahegelegt wurde, seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Die Gründe dafür erscheinen – bei der Auftragsklärung – vielschichtig: In das kleine Dorf kam er, so wie er schildert, »als Fremder«, nachdem der dortige Pfarrer, der seit zwanzig Jahren der Gemeinde vorstand, verstorben war. Anfangs hatte er Verständigungsschwierigkeiten, da er den dortigen Dialekt weder verstand noch sprechen konnte. Im Laufe der Zeit integrierte er sich laut eigenen Aussagen sehr gut. Der Gemeindevorstand akzeptierte ihn und sie arbeiteten gut zusammen. Seit einigen Monaten jedoch fühlt er sich von einigen Gemeindemitgliedern ausgegrenzt. Das geht soweit, dass ihm offensichtlich Informationen vorenthalten werden und er seine Tätigkeit, auch nach außen, mit anderen Gemeinden, kaum mehr ausführen kann. Dies bezeichnet er selbst als »Mobbing«. Er sucht das Gespräch mit den Gemeindemitgliedern, seinem Vorgesetzten und vertraut sich Freunden an – was zu keiner Lösung führt. Im Coaching geht es im darum, herauszufinden, wie er erstens weiter mit der Situation umgehen und sich selbst stärken kann und welche beruflichen Perspektiven für ihn zweitens noch möglich sind. Als Analyse werden Hypothesen aufgestellt, wie es zu der aktuellen Situation kommen konnte. Dabei werden individuelle Verhaltensmuster sichtbar, die er auch aus seinen vorherigen Aufgabengebieten und dem Studium kennt. Der Versuch einer regional-, national-, sprach- oder religionskulturellen Deutung bringt den persönlichen Lösungsprozess aber kaum weiter – zu groß ist die Gefahr, einer Realitätsverzerrung aufzusitzen und Fremdbilder durch Zuschreibung zu entwickeln. Und dennoch: Auch diese Perspektiven
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mit einzubeziehen, hilft ihm beim Bewältigungsprozess. Die Differenzen sind vielleicht für den Coachingpartner selbst wenig bedeutsam, spielen für sein Umfeld jedoch möglicherweise eine Rolle. Sie helfen ihm als Erkenntnisbasis für die Entwicklung eigener Lösungsmöglichkeiten und alternativer Verhaltensweisen.
Fazit: Die impliziten Hypothesen in der Praxis Zusammengefasst lässt sich feststellen: Die meisten der befragten Coachs nutzen Kultur als Erklärungsmodell, wenn die Coachingpartner verschiedene Sprachen sprechen oder unterschiedliche Nationalitäten haben. Teilweise werden auch Diversitykriterien herangezogen, um Identitätsbezüge herzustellen, die den Coachingpartnern helfen, ihre Situation zu verstehen und (Verhaltens-) Änderungen zu entwickeln. Hier arbeiten die Kollegen mit kulturellen und individuellen Bezügen gleichzeitig. Sie machen aufmerksam auf die Mehrfachverortung der Individuen in zahlreichen Kulturen. Die Befragung verdeutlicht, dass Coaching als »interkulturell« eingestuft wird, wenn der Coachingpartner offensichtlich nicht aus dem Land kommt, in dem das Coaching stattfindet. Kultur wird dann als Deutungsressource hinzugezogen, vornehmlich in den Settings, in denen Kultur bereits im Auftrag explizit enthalten ist, wie zum Beispiel, wenn ein Expatriate in der Türkei einen deutschen Coach aufsucht, um seinen problematischen Umgang mit seinen türkischen Kollegen thematisieren zu können. Dann wird von rein individuellen Erklärungen Abstand genommen und kulturelle Deutungen unterstützen das Verständnis für die Situation und das eigene Verhalten. Wie auch Blüml in ihrer Diplomarbeit auf der Basis von Experteninterviews bei Coachs, die alle Interkulturelles Coaching anbieten, herausarbeitet, kommen viele Faktoren als mögliche Konstituenten eines Interkulturellen Coachings in Betracht: die Anlässe und zu bearbeitenden Themen aus der interkulturellen Arbeits- und Lebenswelt der Coachingpartner, Prozess und Beziehungen zwischen den Coachingpartnern und gegebenenfalls die Arbeit in einer Fremdsprache (Blüml, 2005, S. 119 ff.). Durch die Befragung ist auch deutlich geworden, dass die Coachs, die kulturspezifisch oder interkulturell coachen, ein theoretisches Konzept zum Thema »Interkulturelles Coaching« benötigen. Anderenfalls gehen wir mit einer alltagsweltlichen Vorstellung von Kultur an die Arbeit, die überwiegend essenzialistisch ist und auf Nationalstaatlichkeit referiert. Die Leserinnen und Leser mögen sich hier einmal selbst überprüfen: Welche Assoziationskette ruft der Begriff Kultur(en) auf? Die meisten von uns denken unwillkürlich an »andere Länder, andere Sitten«, Fremdsprachen, exotisches Essen, andere Nationen, mithin haben wir einen ethnisch-nationalen Alltagsbegriff von Kultur. Dieser ist im Coaching nur begrenzt hilfreich. Diese alltagsweltliche enge Verknüpfung von Kultur mit Landeskultur und Nationalität stellt, nebenbei bemerkt, auch das Problem der Studien und Befragungen über den Einfluss von Kultur im Coaching dar. Wenn der Kulturbegriff
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nicht weiter erläutert oder präzise definiert wird, setzt sich der Begriff erster Ordnung als Vorstellung durch. Die Realität jedoch benötigt variableres Handeln. Die Antworten der Kollegen führten uns zu der folgenden Einteilung für die impliziten Konzepte der Coachs weltweit: Erste Hypothese: Kulturunterschiede sind im Coaching zu bemerken und zu beachten. »There are cultural differences. The French clients seem to me more theoretical driven, German more keen on referrals, Spanish just trust« (britischer Coach in Großbritannien). Die Befragten, die in dieser Richtung geantwortet haben, sind der Meinung, dass es Unterschiede gibt, die kulturell zugeordnet werden können und die man im Coaching berücksichtigen muss. Dabei gehen sie überwiegend von landeskulturellen Entitäten aus. Nach dieser Hypothese und Wahrnehmung unterscheiden sich dann auch die Erwartungen an den Coach, der Aufbau und die Länge der einzelnen Coachingphasen und der Umgang mit den Sprachen. Zweite Hypothese: Wir sind alle Menschen, das ist unsere universelle Basis. »Es gibt keine interkulturellen Probleme – letztlich beruhen alle Probleme auf den Themen persönliche Beziehung und Kommunikationssituation. Meist dient ›Kultur‹ als Ausrede, um sich persönlich nicht mit den Dingen zu beschäftigen und sich davon zu distanzieren« (französischer Coach in Frankreich). Eher universalistisch argumentierende Coachs gehen davon aus, dass Kultur als eigenständige Dimension verzichtbar ist. Sie nehmen entweder an, Coaching ist ein aus der westlichen bzw. US-amerikanischen Wirtschaftswelt stammendes Konzept, das sich – mit leichten Differenzen – auch in anderen Kulturen durchsetzen wird. Oder sie stellen unmittelbar die Persönlichkeit des Coachingpartners in den Vordergrund und heben auf den allgemein menschlichen oder individuell persönlichen Anteil ab, der nicht in Kultur aufgeht. Eine Überlegung, welche die dritte Hypothese werden könnte, deutet sich nur an: »Wie in jedem Coaching ist es nicht so interessant, was gesagt wird, sondern vielmehr, was nicht gesagt wird. Um das zu verstehen, muss ich allerdings viel Feldkompetenz und Kulturkompetenz haben, um das nicht Gesagte richtig einordnen zu können« (deutscher Coach in Spanien).
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Das hier angesprochene Feldwissen ist keine revolutionäre Erkenntnis, ist es bei Coachs doch eine bekannte bedeutsame Kompetenz. Interessant ist die Ausweitung auf Kulturkompetenz, und man kann diese Aussage als dritte Hypothese generalisieren, der wir uns anschließen möchten mit der Verallgemeinerung, dass alle Coachs reflexive Kulturkompetenz brauchen:
Unsere These Nach unserer Auffassung ist Kulturreflexivität im Coaching in einer globalisierten Arbeitswelt ein ubiquitäres Erfordernis geworden, sodass alle Coachs Kompetenzen benötigen, welche die Kulturthematik systematisch berücksichtigen. Kulturreflexive Analyse und transkulturelles Handeln sind daher immer erforderlich und nicht nur, wenn man mit sogenannten »anderen Kulturen« zu tun hat.
Leseempfehlungen Lowman, R. L. (Hrsg.) (2007). Consulting Psychology Journal: Practice and Research, 59 (4). Einen Blick über den (deutschsprachigen) Tellerrand bietet das Sonderheft zum Thema »Coaching and consulting in multicultural contexts«. Die Autoren berichten über ihre unterschiedlichen Beratungs- und Coachingerfahrungen von Afrika bis Asien, die sie auch theoretisch reflektieren. Besonders hervorzuheben ist der Aufsatz von Peterson. Peterson, D. (2007). Executive Coaching in a cross-cultural context. Consulting Psychology Journal: Practice and Research, 59 (4), 261–271. Der kleine Aufsatz enthält einen inspirierenden Mix aus Beispielen, selbstkritisch beleuchteten Erfahrungen, daraus gewonnen Hypothesen und Empfehlungen, mit denen man sich als interkultureller Coach auseinandersetzen kann. Der Amerikaner und promovierte Organisationspsychologe Peterson stellt unter anderem Hypothesen auf, wie zum Beispiel, dass Kultur nicht viel über das Individuum aussagt oder dass Führungskräfte sich zunehmend ähneln. Zugleich verweist er auf kulturelle Differenzen im Coachingprozess im Hinblick auf den Lern- und Entwicklungsprozess oder die Motivationsstruktur der Coachingpartner.
2.4 Was ist Coaching (nicht)? Im letzen Vierteljahrhundert hat sich Coaching in Deutschland als Dienstleistung weitreichend professionell etabliert. Zahlreiche Publikationen und Ansätze und die damit verbundenen Diskussionen haben zu einem präziseren Selbstverständnis geführt und die Erforschung des neuen Beratungsformats hat ebenfalls begonnen (vgl. dazu Wegener, Fritze u. Loebbert, 2011). Schaut man sich verschiedene Definitionen zum Tätigkeitsfeld Coaching an, so fällt auf, dass wiederkehrende Elemente genannt werden:
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– »Coaching ist Beratung von Führungskräften, Experten, Mitarbeitern bei der Erreichung von Zielen im beruflichen Bereich« (König u. Volmer, 2002, S. 11). – »Coaching ist eine Maßnahme der Personalentwicklung und Personalförderung zur Unterstützung und Weiterbildung von Führungskräften in Organisationen. Es dient primär der Förderung bzw. Wiederherstellung beruflichen Handelns in Bezug auf Führungsfähigkeit und Leistungsoptimierung« (König, 2002, S. 393). – »Coaching ist eine Beratung für Einzelpersonen oder Teams, bei der Menschen in ihrer beruflichen, privaten und persönlichen Lebenswelt im Mittelpunkt stehen. Im Coaching werden Potenziale des Ratsuchenden gefördert, damit er die vorhandenen Probleme und Aufgaben auf gesunde und stimmige Art lösen kann« (Müller, 2003, S. 7). – »Coaching ist eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Zusammenarbeit eines Prozessberaters mit einem Klienten. Coaching bedeutet, dem Klienten in seiner Arbeitswelt (wieder) einen »ökologischen« Zugang zu seinen Ressourcen und Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Der Klient soll durch die gemeinsame Arbeit an Klarheit, Handlungs- und Bewältigungskompetenz gewinnen. Coaching ist eine handlungsorientierte Interaktion« (Migge, 2007, S. 22). – »Coaching ist ein interaktiver, personenzentrierter Beratungs- und Betreuungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann. […] Coaching richtet sich an eine bestimmte Person [Gruppencoaching: für eine genau definierte Gruppe von Personen] mit Führungsverantwortung und/ oder Managementaufgaben« (Rauen, o. J., http://www.coaching-report.de/ index.php?id=359, Zugriff am 02. 01. 2012). Aus den verschiedenen Erläuterungen lassen sich einige Kernelemente extrahieren. Die meisten Definitionen beschreiben Coaching anhand der folgenden Merkmale: – Coaching ist gekennzeichnet durch eine freiwillige und vertrauliche Beziehung auf Augenhöhe. – Der Prozess verfolgt in der Zusammenarbeit gemeinsam vereinbarte und klar definierte Ziele. – Die Tätigkeit des Coachs basiert auf prozessorientiert eingesetzten Methoden, welche an die individuelle Entwicklung des Coachingpartners angepasst sind und hinsichtlich der Ziele effektiv und effizient sind. – Der Coach unterstützt den Partner beim Generieren eigener Lösungen. – Gearbeitet wird mit transparenten Interventionen und auf der Basis klarer Spielregeln und Rollendefinitionen. – Coaching konzentriert sich im Arbeitskontext auf die Herausforderungen in der Berufsrolle, die persönliche Leistungsverbesserung, Motivationserhöhung oder die Steigerung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen.
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– Ein Coaching wird oft, aber nicht ausschließlich, von Führungskräften in Anspruch genommen. – Die Begleitung ist ganzheitlich orientiert und richtet sich an die Gesamtpersönlichkeit in all ihren Lebenssphären und bezieht daher die gesamte Lebenssituation mit ein. – Coaching erfolgt prozesshaft und findet in mehreren Sitzungen statt. – Es ist grundsätzlich zeitlich begrenzt. – Vorgehen und Inhalte richten sich im Rahmen eines Prozesses nach den individuellen Bedürfnissen des Coachingpartners. – Die Maßnahme unterstützt die Erweiterung oder Flexibilisierung von Verhalten, Selbstmanagementfähigkeiten oder Einstellungen. – Coaching macht den Coachingpartner unabhängiger, nicht zuletzt vom Coach selbst. Der Begriff selbst wurde vom Transportwesen (der Kutscher) als physische und psychische Motivation und Begleitung zunächst in den Leistungssport und seit den 1970er Jahren ins Management übertragen. Klassischerweise richtet sich Coaching an Personen mit globalisierten Führungs- und Managementaufgaben. Doch auch für operative Fachkräfte sind Trainings und andere standardisierte Personalentwicklungsmaßnahmen nicht mehr hinreichend, das Tätigkeitsfeld von Coachs weitet sich – auch über die Arbeitssphäre hinaus – aus. Zunehmend wird bei privaten Problemen und Konflikten Personal Coaching in Anspruch genommen und in Österreich kann man sich beispielsweise zum »Lebens- und Sozialberater« nach der Lebens- und Sozialberatungs-Verordnung (siehe hierzu www.lebensberater.at) staatlich zertifizieren lassen. Durchgeführt wird Coaching von Personen mit psychologischen, organisatorischen oder betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen, die idealerweise praktische Erfahrungen in den Anliegen oder Berufsfeldern des Coachingpartners haben. Wozu aber bedarf es einer neuen Tätigkeitsbezeichnung? Würden die vorhandenen Begriffe Einzeltraining, Beratung, Supervision etc. nicht genügen? Die Debatten um Begriffsbestimmungen, Definitionen und Berufsfelder werden sowohl theoretisch als auch national und politisch geführt und können hier nicht abgebildet werden. Einen Überblick über Gemeinsamkeiten und Differenzen geben zum Beispiel Rauen (2003), Schmidt-Lellek (2003) und Schreyögg (2003b). Im Zusammenhang mit der interkulturellen Fragestellung und einem steigenden Bewusstsein für Diversität in allen Bereichen werden Coaching, Beratung und Supervision usw. ohnehin in einem Atemzug genannt. Wir plädieren für beides, nämlich die Praxis von Gemeinsamkeiten der verschiedenen Begleitungsformen ebenso im Blick zu haben wie deren Besonderheiten. Und dazu gehören auch die Besonderheiten des Coachings, die wir im Folgenden abgrenzen möchten. Diese werden schließlich in → Kapitel 2.6 (Formate kulturreflexiver Coachings) zu einer genaueren Bestimmung von Interkulturellem
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Coaching führen. Die definitorischen Aussagen sind aus einer deutschen Perspektive geschrieben, beanspruchen allerdings, die Besonderheit des neuen Formats so zu definieren, dass das Format auch international einen Gewinn darstellt.
Coaching ist egalitärer als Beratung Vergleicht man Herkunft, Fokus und Beziehungskonstellation der verschiedenen Unterstützungsvarianten, so lassen sich charakteristische Schwerpunkte herausarbeiten. Die häufig mit »Beratung« übersetzte Tätigkeit des Coachs und auch andere Begriffe führen jedoch in die Irre. Versucht man das genuin Eigene im Coaching herauszuarbeiten, so kann man es von Beratung insofern abgrenzen, als in der Beratungsbeziehung durch den Wissensvorsprung des Experten typischerweise eine Asymmetrie vorgegeben ist. Der Berater ist vom Fach oder selbst Experte und nimmt dem Klienten durch die sachorientierte und fachliche Unterweisung und seinen Expertenrat teilweise die Verantwortung ab. Im Coaching dagegen wird der Coachingpartner als »Experte« seines Anliegens verstanden, der mit Hilfe des Coachs eigene Antworten finden wird, während dieser ihn mit geeigneten Methoden und in Kenntnis der Problemlage des Coachingpartners unterstützt, Lösungen zu entwickeln und das vereinbarte Ziel zu erreichen. In verschiedenen Kulturen wird im Hinblick auf die Erwartungsstruktur des Coachingpartners die Berater- und Mentorenfunktion des Coachs betont (vgl. die Ergebnisse unserer Umfrage zu Kultur(en) im Coaching in → Kapitel 2.3). Der Coach kann durchaus an diese idealtypische Vorstellung anschließen und punktuell die Rolle als Berater einnehmen. Verschiedene Methoden ermöglichen es, dabei Augenhöhe herzustellen.
Coachs sind unabhängiger als Mentoren Coaching und Karriere hängen häufig zusammen, und auch Mentoring dient dem beruflichen Werdegang und Aufstieg. Insofern können Coachs auch die Rolle von Mentoren einnehmen. Aufgabe im Mentoring ist zum Beispiel die Vermittlung von organisationsspezifischen Erfahrungen, Kontakten, Riten oder Normen im Hinblick auf eine erfolgreiche Berufslaufbahn innerhalb einer bestimmten Organisation. Mentoren haben viel mit Beratern gemeinsam und gehen dafür ein dauerhaftes Patenschaftsverhältnis mit dem Mentee ein, um diesem Orientierung in einem für ihn neuen System zu bieten und ihn dort längerfristig zu binden. Mentoring ist im Unterschied zu Coaching jedoch im wesentlichen Wissenstransfer innerhalb von Organisationen. Üblicherweise ist der Mentor eine erfahrene Führungskraft und der Mentee ein junger Mitarbeiter. In der multikulturellen Arbeitswelt kann man aber auch neue Formate entdecken, die diese Rollenkonstellation überwinden: Diversity Mentoring und Reverse-Mentoring. Diversity Mentoring trägt der Erkenntnis des Konstruktivisimus Rechnung, dass Vielfalt nicht »existiert«, sondern hergestellt wird, und
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widmet sich der Förderung von Vielfalt (Wingels, 2007). Diversity Mentoring ist eines der Instrumente, welche die vielfältigen Wirklichkeiten zulassen, als Kompetenz erkennen und integrieren. Beide, Mentor und Mentee, werden sich dabei ihrer Wahrnehmungs- und Kommunikationsgewohnheiten bewusst und nutzen die verschiedenen Fähigkeiten als Ressource. Die als Reverse-Mentoring bezeichnete Variante hat – ohne den theoretischen Überbau – einen ähnlichen Ansatz. Die US-amerikanische PR- und Kommunikationsagentur Burson-Marsteller (BM) kreuzt die Hierarchien, ein junger Mitarbeiter schlüpft in die Rolle des Mentors und begleitet einen erfahrenen Mitarbeiter im Rahmen seiner Kompetenzentwicklung. Die Augenhöhe kann also auch im Mentoring hergestellt werden, wenn man das wünscht, aber die Unabhängigkeit, Interesselosigkeit und Allparteilichkeit des Coachs basiert auf seiner Nichtzugehörigkeit zum System.
Coaching ist mehr als Einzeltraining Ebenso häufig wie als Beratung wird Coaching als Einzeltraining missverstanden. Sicherlich mag im Zuge von diversifizierter Personalentwicklung, insbesondere für Führungskräfte und auf höherer Managementebene, eine individuell zugeschnittene Weiterbildungsform zunehmend notwendig und verbreitet sein. Auch der Aufbau- und Prozesscharakter ist – so mehrere Termine veranschlagt werden – in diesem Einzeltraining wiederzufinden. Doch selbst wenn im Coaching Trainingselemente enthalten sind und beiden Worten die Herkunft aus dem Sport gemeinsam ist, trifft auch Training nicht den Kern der Coachingtätigkeit. Training dient dem gewünschten Auf- und Ausbau von Kenntnissen und Verhaltensweisen und orientiert sich entweder an »idealen« Ablaufmustern oder äußerlich gesetzten Zielen. Das Verhältnis ist asymmetrisch, denn der Trainer verfügt dabei über spezifische Fähigkeiten (»macht vor«) und leitet die zu Trainierenden entsprechend an (»machen nach«). Der Trainer »zieht« und »treibt zur Leistung an«, ein Coach begleitet die Entwicklung des Coachingpartners in dessen individuellem Tempo und gemäß dessen gesetzten Zielen. Im Vergleich zu anderen Formaten wird Interkulturelles Coaching am häufigsten in Form von Einzeltrainings und im Zuge der Auslandsvorbereitungen angefragt (vgl. dazu → Kapitel 2.6.1, Coaching als interkulturelles Lernen). In den üblichen Ein- oder maximal Zweitagesmaßnahmen werden die für eine Entwicklung notwendigen Kriterien für einen Coachingprozess über mehrere Etappen jedoch nicht erfüllt.
Coaching ist zielorientierter als Supervision Obwohl die Reflexion beruflicher Situationen einen wesentlichen Anteil im Coaching hat, ist der Begriff Supervision ebenfalls nicht hinreichend, um die Tätigkeit des Coachings abzudecken. Die ursprünglich aus dem NonprofitBereich stammende, zunächst vor allem von Sozialarbeitern, -pädagogen und Therapeuten praktizierte Supervision unterstützt die Selbstreflexionsfähigkeit
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von Einzelnen, Teams oder Institutionen. Das etablierte Format erscheint dem Coaching sehr ähnlich, aber die häufig stark gemachte Verwandtschaft oder gar Identität zwischen Coaching und Supervision hat eher professionsstrategische Gründe. Neben der traditionellen Feldspezifik von Supervision sind es mindestens zwei weitere Aspekte, die vom Coaching abweichen. Es geht in der Supervision erstens qua Begriff und Definition vorrangig um die Reflexion der Psychodynamik von professionellen Beziehungen, insbesondere im Zusammenhang mit Fallarbeit, und zweitens um eine längerfristige Prozessbegleitung. Darüber hinaus ist Supervision weniger leistungs-, phasen- und zielorientiert. Interkulturalität wird in der Supervision schon allein deswegen thematisiert, weil in der Einwanderungsgesellschaft sowohl bei den Klienten als auch in den Teams zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sind (vgl. dazu → Kapitel 2.1, das sich mit häufigen Zielgruppen befasst).
Coaching ist trotz gemeinsamer Methoden keine Therapie Die Abgrenzungsthematik, die am häufigsten auftaucht, ist die Frage, was Coaching von Psychotherapie unterscheidet. Coaching hat Wurzeln im Sport, in Supervision, Mentoring und Psychotherapie. Ein nicht unerheblicher Teil der Coachingmethoden kommt aus dem Methodenrepertoire der Psychotherapie, umgekehrt hat auch die Therapie inzwischen Elemente des ziel- und lösungsorientierten Coachings übernommen. Gemeinsam sind beiden Unterstützungsformen der Einsatz reflektierender Verfahren und das Angebot von Erklärungsmodellen, die Rolle des Begleiters als Spezialist für den Prozess (nicht für die Inhalte), ähnliche Zielsetzungen wie zum Beispiel die Aktivierung von Hoffnung, die Konfrontation mit Problemen und die gemeinsame Suche nach Lösungen. Eine grundlegende Gemeinsamkeit besteht auch in der Arbeitsbeziehung als Wirkfaktor, die von Augenhöhe und Vertrauen bestimmt ist. Die Mehrzahl der Coachingmethoden hat ihren Ursprung in den verschiedenen psychologischen Schulen, insbesondere in der humanistischen Psychologie, daher kann bei beiden Konzepten die Haltung des Begleiters, mit Rogers gesprochen, als bedingungsfrei wertschätzend, empathisch und kongruent beschrieben werden. Die Anwendung reflektierender Verfahren und die Beschäftigung mit dem Erleben des Klienten können nur auf der Basis dieser Grundlagen wirksam werden. Das Ziel bei beiden Formen ist im Allgemeinen eine Erhöhung der Kompetenz zur Bewältigung der Selbststeuerung, im Sinne von Rogers’ idealtypischem Konzept der»fully functioning person« (Rogers, 1977). Hierin liegt auf der anderen Seite aber auch der prägnanteste Unterschied von Coaching zu den psychologischen Verfahren zur Behandlung von Leidenszuständen und Verhaltensstörungen, die Psychotherapie genannt werden. Diese Heilkunst wendet sich an abhängige oder in ihrer autonomen Handlungs- und Selbstmanagementfähigkeit erheblich eingeschränkte Menschen mit psychischen Problemen, die auf der Basis einer Theorie des pathologischen Verhaltens
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mit nachvollziehbaren Techniken behandelt werden. Im Zentrum von Therapien steht in der Regel die problemfokussierte Analyse und Bearbeitung tiefgehender privater und persönlicher Schwierigkeiten unter Berücksichtigung der individuellen Lebensgeschichte. Anders als eine Therapie ist Coaching auf das Erreichen konkreter Ergebnisse mit Hilfe zielgerichteter Maßnahmen ausgerichtet, während in Therapien über einen oft längeren Zeitraum emotionale Probleme thematisiert und die Kosten häufig von Versicherungsträgern übernommen werden. Wenn man die Sicht der Kunden einnimmt, sind die Begrifflichkeiten variabel und vor allem für das persönliche Selbstbild im Rahmen gesellschaftlich festgelegter Bedeutungen wichtig. Der Gedanke kann zum Beispiel sein, »ich bin dann richtig krank, wenn ich in die Therapie muss«. Daher ist wohl der gefühlte Schweregrad der Beeinträchtigung entscheidend dafür, welcher Form der Begleitung ein Coachingpartner Vertrauen schenkt. Je schwerer die psychosoziale Beeinträchtigung und je größer die Veränderungen sind, die notwendig erscheinen, desto eher empfindet der Klient die Unterstützung als Therapie. Im Zusammenhang mit interkulturellen Fragestellungen ist das Bewusstsein um die Spezifika von Coaching und Therapie insofern bedeutsam, als zum einen die psychotherapeutische Diskussion hinsichtlich transkultureller Fragestellungen in der transkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie um einiges fortgeschrittener ist als die diesbezügliche Diskussion im Coaching und man hier Hilfestellungen finden kann. Zum anderen enthält die Abgrenzung zwischen Coaching und Therapie selbst implizite kulturelle Werte. Es versteht sich von selbst, dass verschiebbar ist, was im jeweiligen gesellschaftlich gesetzten und kulturellen Rahmen als »krank« gilt. Zur Kulturgebundenheit und Variabilität der Grenze zwischen »krank« und »gesund« äußern sich humorvoll und profund die beiden Mediziner Lütz (2009) und Migge (2007). Die beiden Ärzte wissen, wovon sie reden, und haben einen überraschend weiten Gesundheitsbegriff. Mithin müssen interkulturell arbeitende Coachs selbstreflexiv Befindlichkeiten einschätzen können. Ist jemand »krank« oder zeigt er die typischen Phänomene eines Kulturschocks? Haben wir es mit einer bestimmten Form von Emotionsmanagement und kulturellen Display Rules zu tun oder sind die Verhaltensanzeichen Hinweise auf eine Depression? Die Beziehungsangebote und Gefühle des Coachingpartners müssen eingeschätzt werden können.
Fazit: Coaching ist – trotz fließender Übergänge – abgrenzbar Über die genannten Tätigkeiten hinaus werden noch weitere Rollen im Zusammenhang mit Coaching genannt wie Dozent, Betreuer, Forscher, pastoraler oder philosophischer Lebensberater, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen. Die Übergänge zwischen Coaching und benachbarten Hilfeleistungen sind fließend. Es sind im Allgemeinen die Experten des jeweiligen Fachgebietes, welche diese Unterscheidung forcieren, und es hat unter anderem professionspolitische Gründe, eine klare Abgrenzung zu fordern. Kunden fragen Coachings an, wenn
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Beratungen, Einzeltrainings oder tatsächlich Coachings benötigt werden – und umgekehrt (s. dazu → Kapitel 2.6 zu den Formaten kulturreflexiver Coachings). Entscheidend ist, dass man weiß, was man tut, und empfehlen kann, was am besten für den Kunden ist. Als Coach muss man sich einerseits der Rollenvielfalt bewusst sein und diese gezielt nutzen und reflektieren können. Andererseits gilt es, das Spezifikum des Coachings im Blick zu behalten. Über die Rollenvielfalt hinaus hat sich eine dem Coaching eigene Grundhaltung und Vorgehensweise etabliert, die sich definieren und praktizieren lässt. Unsere Coachingdefinition lautet: Coaching ist die Antwort auf eine dynamische, sich schnell ändernde, komplexe und dadurch unübersichtlich gewordene globalisierte Arbeits- und Lebenswelt, in der es zur individuellen Orientierung der prozesshaften Einzelbegleitung bedarf. Coaching ist eine zielorientierte, systematische und zeitlich begrenzte Unterstützung eines Entwicklungs- und Veränderungsprozesses im Rahmen beruflicher oder privater Neuorientierung in Gesellschaften, die zunehmend transkulturell verfasst sind. Übergeordnetes Ziel ist die methodisch geförderte Verbesserung oder Wiederherstellung von professioneller Leistungsfähigkeit und privater Zufriedenheit des Coachingpartners, mit dem Gefühl der autonomen Handlungssteuerung und in Form individuellen Wohlbefindens. Diese Formulierung stellt unsere Arbeitsgrundlage dar, und jeder Coach möge seine eigenen Schwerpunkte setzen, solange das eigene Arbeitsverständnis konkrete Aussagen macht zur Präzisierung von Rollen- und Beziehungskonstellation, Grundhaltung, Vorgehensweise und Zielen. Die Besonderheit dieser Definition dürfte sein, dass sie die Notwendigkeit der Reflexion von Hybridität und Transkulturalität von Identitäten und Umständen nicht als Sonderfall, sondern als Regel für alle Coachings definiert.
Leseempfehlungen Migge, B. (2007). Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim u. Basel: Beltz. Der Mediziner und Coach Migge legt im 600 Seiten starken Werk eine umfassende Einführung in Theorie und Praxis des Coachings vor. Das trotz seiner fachlichen Dichte sehr gut lesbare Buch ist voller leichter Erklärungsmodelle, Methoden, Fallbeispiele und Übungen und deckt ein breites Themenspektrum mit Themen wie Persönlichkeit und Krisen, Paare und Familien, Gesundheit, Karriere und Team bis zu Glauben und Konflikte ab. Radatz, S. (2008). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Wien: Verlag Systemisches Management. Der Band führt in die Haltung des systemisch-konstruktivistischen Coachings ein und grenzt sie deutlich zum Beispiel gegen Beratung ab. Der Band enthält neben den theoretischen Grundlagen auch eine reichhaltige Methodensammlung. Die Autorin leitet das Institut für Relationale Beratung und Weiterbildung in Wien und ist Herausgeberin der Zeitschrift »Lernende Organisation« (LO).
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COACHING KULTURELL INTERKULTURELL
2.5 »Interkulturelles Coaching«: Definitionen und Ansätze Wann wird Coaching zu »Interkulturellem Coaching«? Die Coachingdefinitionen und die Abgrenzung von benachbarten Dienstleistungen in → Kapitel 2.4 haben gezeigt, dass verschiedene Schulen, Methoden und Interventionsverfahren zum Beispiel aus der Humanistischen Psychologie, der Pädagogik, der Gruppendynamik, der Kulturanthropologie, der Betriebswirtschaft und der Managementtheorie in die Tätigkeit des Coachings Eingang gefunden haben. Erst seit den späten 1990er Jahren wird das »Interkulturelle« am Coaching praktisch und im Nachgang auch theoretisch und wissenschaftlich aufgegriffen. Was genau ist darunter zu verstehen? Wir wollen in den nächsten Schritten betrachten, ob und inwiefern Interkulturelles Coaching bislang theoretisch und praktisch gefasst wird und welche anschlussfähigen Ansätze hierzu vorliegen. Wir beschränken uns hier auf die Begrifflichkeiten und Theorien, während die Vorgehensweisen und -vorschläge der Autoren im Methodenteil (→ Kapitel 3.2) berücksichtigt werden. Nicht nur im deutschsprachigen Raum gibt es eine noch sehr überschaubare Literaturbasis zum Thema, allerdings mit einem uneinheitlichen Gebrauch der Begriffe. Die folgende Synopse gibt eine Übersicht über die Ansätze in zeitlicher Reihenfolge.
Interkulturelles Coaching bei Konfliktmoderation und -mediation Für den Germanisten und Jenaer Professor für interkulturelle Wirtschaftskommunikation Jürgen Bolten (2001a, 2005) dient Interkulturelles Coaching dazu, latente Missverständnisse und Synergien zu finden. Interkulturelles Coaching ist für ihn eine ergänzende »On-the-job-Maßnahme«, welche wie Training, Mediation und Consulting die interkulturelle Kompetenz fördert. Die Unterschiede zum Training sind für ihn die prozesshafte Dynamik, die stärkere Zielgruppenorientierung und die geringere Standardisierbarkeit, denen sich der Coach stellen muss. Der Coach sollte nach Bolten eigene interkulturelle Kompetenz besitzen, sachorientiert und neutral arbeiten und Optimierungswege in den interkulturellen Handlungskontexten öffnen, aber nicht vorgeben. Die Betonung der Funktion des Coachs als Moderator basiert darauf, dass Bolten internationale Teams und deren Konfliktpotenziale vor Augen hat. Die Ziele für Coachings sind für ihn sogar vorgegeben. Es geht darum, das eigene kulturspezifische Handeln bewusst zu machen, zu thematisieren sowie Synergiepotenziale als Zielvorgaben zu formulieren (Bolten, 2001a). Coachings dieser Art sind für ihn kein Ersatz zu Trainings oder Consultings, sondern notwendige Ergänzungen und Fortentwicklungen. Der Coach dient als Fachexperte und »Metakommunikator«, um latente Missverständnisse zu ermitteln und mit dem Team interkulturelle Handlungskompetenz zu entwickeln.
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INTERKULTURELLES COACHING: DEFINITIONEN UND ANSÄTZE
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Interkulturelles Coaching als Störungsbewältigung Die Psychologen und Berater Ute und Ulrich Clement (2000) verstehen unter Interkulturellem Coaching eine Unterstützung von Führungskräften, um kommunikative Probleme im interkulturellen Management zu lösen. Den systemisch geprägten Autoren begegnet die Dimension Kultur in Form von »Störungen« bei der internationalen Zusammenarbeit, in der Kultur den Hintergrund der geschäftlichen Abläufe bildet und erst thematisiert wird, wenn Irritationen auftreten. Coaching ist für sie »arbeitsbezogene Selbstreflexion«. Und Interkulturelles Coaching betrachtet die dabei auftretenden Störungen mit kulturellem Hintergrund, die – in Anlehnung an Devereux – als »bedeutsame Informationen« gesehen werden. Diese zu nutzen, statt sie zu unterdrücken, bedeutet Arbeit mit der Kulturdifferenz. In einer aktuellen Monografie bündelt Ute Clement ihre Erfahrungen als Organisationsberaterin, Supervisorin und Coach aus Veränderungsprozessen in internationalen Unternehmen. Hinsichtlich der Wissensbestände greift Clement auf kulturvergleichende Dimensionen zurück, die für sie Metamodelle zur Mustererkennung darstellen. Clement (2011) verwendet einen erweiterten Kulturbegriff, der nicht nur Landeskulturen, sondern auch Organisationskulturen und andere Leitdifferenzen berücksichtigt. Das Buch mündet in einen Leitfaden mit sieben Prinzipien für eine kulturübergreifende Beratung. Eine Erläuterung der Methoden ist in → Kapitel 3.2.3 zu finden. Durch Innehalten, die Hinterfragung von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und Perspektivenvervielfältigung wird als Ziel die Suche nach der »Passung« der Interaktionserwartungen verfolgt. Der Coachee lernt, sein Verhalten so zu steuern, dass Lösungen im Arbeitskontext entstehen können.
Interkulturelles Coaching bei interkultureller Kommunikation In seinem Handbuchartikel definiert der Kulturwirt und Passauer Lehrstuhlinhaber für Interkulturelle Kommunikation Christoph Barmeyer mit Co-Autorin und Coach Ulrike Haupt: »Es herrscht im allgemeinen Einigkeit darüber, dass ›Interkulturelles Coaching‹ eine Kombination aus klassischem Coaching und Interkulturalität darstellt« (Barmeyer u. Haupt, 2007b, S. 786). Die Entscheidung, ob ein Coaching interkulturell ist, basiert nach Barmeyer und Haupt auf den Beziehungskonstellationen. Dazu gehört die Beziehung zwischen den Coachingpartnern selbst und den Interaktionspartnern des Coachee. Ist dessen Kontext eine interkulturelle Situation, wird nach Ansicht der Autoren das Coaching interkulturell, da im Coaching Kompetenzen oder Lösungen dafür entwickelt werden (Barmeyer, 2003, S. 18 f.). Der Coachinganlass ist dann meistens eine erwünschte Fachberatung inhaltlicher Art zu einer bestimmten Kultur. Daher wird nach Barmeyer und Haupt auch die Frage zentral, ob ein Coach besser aus der Kultur des Coachees, aus der Kultur, mit der dieser sich auseinandersetzt, oder aus einer anderen bzw. neutralen Kultur stammen sollte. Je nach Ziel sei ein neutraler Coach zur Mediation, ein Coach aus demselben Kulturkreis zu
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COACHING KULTURELL INTERKULTURELL
einem leichteren Beziehungsaufbau und einer aus dem »anderen« Kulturkreis eher als Experte nutzbar. Eine weitere zentrale Frage besteht für die Autoren darin, ob es sich um »Inhaltscoaching« oder »Prozesscoaching« handelt. Im ersten Fall sei die Stoßrichtung eher kognitiv und der Coach ein Fachexperte, der Wissen und Kenntnisse vermitteln kann. Im zweiten Fall habe Interkulturelles Coaching das Ziel, die Selbstreflexion des Coachees im Bezug auf das anderskulturelle System zu fördern. Interkulturelles Coaching kombiniere also Coachinginstrumente mit Theorien und Konzepten aus der interkulturellen Kommunikations- und Managementforschung.
Interkulturelles Coaching als körperorientierte Persönlichkeitsentwicklung Einen körperorientierten Ansatz legt die Psychologin und Human-ResourceManagementberaterin Eva-Ulrike Kinast (2003) zugrunde. Sie definiert Interkulturelles Coaching als »neue und umfassende interkulturelle Personalentwicklungsmaßnahme für international tätige Fach- und Führungskräfte, die als Ergänzung zum interkulturellen Training eingesetzt werden sollte und eine Vielzahl von Methoden und Modellen, vor allem aus der Psychologie und der interkulturellen Forschung integriert« (Kinast, 2003, S. 22). Dabei greift Kinast auf das Kulturstandardkonzept von Alexander Thomas zurück: »Mittels Interkulturellen Coachings wird das Bewusstsein des Gecoachten wesentlich erweitert. Der zwanghafte Kreislauf von Gedanken an fremdkulturelle kritische Beziehungspersonen wird durchbrochen. […] Die Erweiterung des Bewusstseins ist die Basis, um aufnahmebereit für Wissen über fremde zentrale Kulturstandards zu sein oder kulturadäquates Verhalten in Rollenspielen zu lernen« (Kinast, 2003, S. 25). Bei den Methoden kommt der Körperarbeit eine zentrale Rolle zu, denn Kinast schließt an den ganzheitlichen Ansatz ihres Kooperationspartners, des ehemaligen Wirtschaftsprüfers und Körpertherapeuten Vermeulen an. Der Körper wird als eine Art kulturelle »Festplatte« verstanden, auf der vorbewusst alle kulturellen Grunderfahrungen gespeichert sind. Anlässe für Coachings im Allgemeinen und interkulturelle Coachings im Speziellen sind sogenannte »kritische Beziehungssituationen«. Sie machen sich durch ein Gedankenkarussell und innere Dialoge bemerkbar. Vermeulen und Kinast halten die Coachingansätze für verkürzt, welche hier nur kognitiv Abhilfe schaffen wollen. Effektiver und vielversprechender ist für sie der Wechsel bzw. der Einbezug sensorischer, emotionaler und kinetischer Ebenen. Köperorientierte interkulturelle Coachings unterbrechen die automatisierten Verknüpfungen von Wahrnehmen, Denken, Interpretieren, Fühlen und Verhalten. Ziel ist die Begleitung der Klienten auf der Erwachsenen-Ebene, bei der der Coach den Klienten unterstützt, in fremdkulturellen Situationen Informationen zu explorieren und eigene Lösungen zu entwerfen.
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INTERKULTURELLES COACHING: DEFINITIONEN UND ANSÄTZE
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Interkulturelles Coaching als vernetzte Lernerfahrung Ein eigenes Modell für Interkulturelles Coaching hat auf der Basis ihrer Fallbegleitungen in der Entwicklungshilfe Margret Steixner entwickelt (2007, 2009). Den Unterschied zum Training sieht Steixner darin, dass Training Wissen vermittelt, während Coaching die Umsetzung interkultureller Kompetenz begleitet. Optimal wäre, die Maßnahmen ergänzten sich. Nach Definition der Autorin zeichnet sich Interkulturelles Coaching »durch lösungs- und zielorientiertes Arbeiten aus und funktioniert somit im Spannungsbereich zwischen identifizierten Entwicklungszielen und konkreter Umsetzung. […] Im Interkulturellen Coaching arbeiten Coach und Klient an Entwicklungszielen, die in engem Zusammenhang mit bspw. den Herausforderungen der Zusammenarbeit in einem interkulturellen Team im Zuge einer Auslandsentsendung oder eines virtuellen Teams entstehen« (Steixner, 2009, S. 88). Vom herkömmlichen Coaching unterscheidet sich das Interkulturelle Coaching nach Steixner nur durch den Kontext, in dem es steht. Sie legt allerdings Wert darauf, damit kein Einzeltraining zu assoziieren. Interkulturelles Coaching trägt dazu bei, Wissen zu verankern, vernetzte Lernerfahrungen zu ermöglichen, eine höhere Erfahrungstiefe zu erreichen. Im Coaching wird der interkulturelle Reflexions- und Lernprozess antizipiert und systematisiert, wobei kulturelle und persönliche Anteile der Beteiligten stets aufeinander bezogen werden, um Kulturalisierungen zu entgehen.
Interkulturelles Coaching als Synergieerzeugung Philippe Rosinski (2003, 2010) hat inzwischen zwei Monografien geschrieben, in denen er Kultur und Coaching konsequent aufeinander bezieht. Der Elektroingenieur und ehemalige Softwarespezialist arbeitet mittlerweile seit vielen Jahren als selbständiger professioneller Coach und Berater. »Coaching across cultures« ist für ihn kein neuer Coachingansatz, sondern eine besonders kreative Form von Coaching: »Coaching across cultures should not be viewed as a new coaching speciality. It is rather a ›paradigm shift‹, an enlargement of coaching as most people have practiced it today« (Rosinski, 2003, S. xix). Kultur umfasst für ihn nicht nur Landeskultur, sondern zum Beispiel auch Organisations- oder Berufskultur, daher will er die »kulturelle Dimension« in das Coaching integrieren. Anhand von sieben bipolar definierten Kategorienpaaren beispielsweise zum Machtbegriff, zu Zeitmanagement, Denkstilen und anderen Kulturdimensionen können Profile von Personen oder auch Teams und Organisationen erstellt werden. Ziel ist der vorteilhafte Einsatz von Diversity, was er »to leverage differences« nennt. Differenzen sollen daher vom Coach proaktiv gesucht werden. Rosinski nennt das das Aufspüren von »Juwelen«, um sie synergetisch zu nutzen. Im jüngst erschienen Nachfolgebuch spricht er von »Global Coaching« (Rosinski, 2010) als multiperspektivischem Ansatz. Hier ist die Einbeziehung von Kultur nur eine von vielen Perspektiven im Coaching. Neben der
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COACHING KULTURELL INTERKULTURELL
kulturellen soll der Coach eine spirituelle, politische, psychologische, manageriale und physische Perspektive einnehmen. Ziel von Rosinskis Coachingansatz ist es, Coaching in der Varietät, Perspektivenvielfalt, Nachhaltigkeit und Ganzheitlichkeit zu praktizieren, wie es die aktuelle globalisierte Arbeitswelt erforderlich macht. Hierbei bedient er sich beispielsweise unterschiedlicher politischer Modelle, nutzt Best Practices aus den Ernährungswissenschaften und der Philosophie, die dem Coach helfen sollen, seinen Coachee in den unterschiedlichsten Anliegen möglichst vielfältig unterstützen zu können.
Integrales Coaching Kein Coaching oder jedes Coaching ist »cross cultural«, meint der australische Business-Coach Abbott (2010) und warnt die Coachs vor einer Kulturalisierung im Coaching. Er geht ebenfalls von einer globalisierten Geschäftswelt aus, bei der kulturelle Differenzen, internationale Projekte, Restrukturierungen, multikulturelle Identitäten an der Tagesordnung sind und eine interkulturelle Perspektive im Coaching daher notwendig ist. Paradoxerweise sollte man nach seiner Ansicht die Variable Kultur weder immer annehmen noch außer Acht lassen: »1. It is sometimes necessary and possible do deal explicitly and primarily with culture as a variable and influence in coaching […] 2. Doing cross cultural coaching is theoretically dubious and can be highly perilous« (Abbott, 2010, S. 327). Beide Sätze sind wahr, und nach Abbott lassen sich Fehler nur dann vermeiden, wenn man dieses Paradox beachtet. Zu Fehlern kommt es, wenn kulturelle Faktoren angenommen werden, wo andere Aspekte viel relevanter wären. Zugleich hebt er den Konstruktionscharakter multipler Realitäten hervor, denen kein Coaching von der Stange angemessen begegnen könne. Die kulturelle Perspektive ist für ihn am besten im integralen Ansatz von Ken Wilber (2001) berücksichtigt, bei dem Kultur einen von vier Quadranten darstellt, und zwar den internalisierten kollektiven Aspekt. Die anderen drei Quadranten betreffen die individuellen Gefühle und Gedanken, das individuelle Verhalten und die äußerlichen Strukturen des Systems. Darüber hinaus arbeitet Abbott mit den bekannten Kulturdimensionen sowie weiteren dichotom organisierten Konzepten. Sein Ziel ist, statt den dichotomen Beschreibungen, wie sie in den meisten Theorien vorliegen, eine Coachingsprache einzuführen, welche es möglich macht, kulturgestützte Aspekte zu benennen und eigene Verhaltensweisen so anzureichern, dass jenseits kultureller Zuschreibungen neue stilistische Elemente erarbeitet und umgesetzt werden können: »With the assistance of paradox theory, the leveraging of differences through coaching can reframe cultural dimension from dichotomies into orientations that can be held together and synthesized to develop approaches that are of most benefit to the client in specific contexts« (Abbott, 2010, S. 333). Für Armstrong (2009) bedeutet integrales Coaching, sich nicht ausschließlich auf die Reflektion der eigenen inneren Haltung und Verhaltensverände-
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INTERKULTURELLES COACHING: DEFINITIONEN UND ANSÄTZE
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rung zu konzentrieren, sondern sich auch um die Außensicht und die Einnahme anderer Perspektiven (»walking in another man’s shoes«) zu bemühen. »Executive coaching for global management must involve tools skills that enable the development of outsight« (Armstrong, 2009, S. 35). Das integrale Coaching arbeitet mit einem narrativen Kulturbegriff: Kultur besteht in geteilter Bedeutung und einem gemeinsamen Sinnhorizont, der mit Geschichte(n), Symbolen, Mythen, Helden und in Form von Ritualen weitergegeben wird. Kultur ist so »the invisible shaper of relationships« (S. 37). Folglich wird der Mensch als Kulturgestalter und als derjenige gesehen, der von Kulturen beeinflusst wird. Neben der Konstruktion seiner eigenen Weltsicht und den persönlichen Handlungen werden zugleich der soziale Kontext, die Beziehungen und das System mit in Betracht gezogen. Daher wird darauf geschaut, wie der Coachee seine Sicht der Welt herstellt, wie er darüber spricht und andere darüber sprechen. Kultur muss aus Sicht der Autorin in jedem Coaching berücksichtigt werden, da die Koexistenz von formalen Strukturen und informalen Netzwerken in Organisationen verschiedene Kulturen ausbildet und jeder, der in oder mit der Organisation zu tun hat, individuelle Umgangsweisen mit dieser Varietät benötigt.
Fazit: Es fehlt eine Systematik für die verschiedenen Ansätze Schaut man sich Ausgangsdisziplinen und Erfahrungsschatz der Autoren an, so sind ihre Definitionen für Interkulturelles Coaching, ihr Verständnis der Coachinganlässe und die Wissensbestände, auf die sie sich beziehen, durch ihren je eigenen Weg zwischen Theorie und Praxis gewonnen. Selbst nach der Rezeption ist nicht wirklich klarer, was Interkulturelles Coaching sein könnte. Auch Karboul (2009) schreibt, dass man zwar verschiedene Antworten erhält, aber kein relevantes Konzept finden kann. Wenn von Coaching im interkulturellen Kontext die Rede ist, so kann das bedeuten: Der Coachingpartner arbeitet für eine internationale Organisation, führt oder arbeitet mit Mitarbeitern aus verschiedenen Kulturen, das Coaching findet in einer Fremdsprache für den Coachee statt, der Inhalt ist interkultureller Natur oder es geht um eine Auslandsentsendung (Karboul, 2009, S. 306). Allen Ansätzen und Bestimmungsversuchen, die zum Interkulturellen Coaching vorliegen, ist gemeinsam, dass sie Interkulturalität als Inhalt, Kontext oder Beteiligtenkonstellation voraussetzen. Das professionelle Risiko besteht darin, dass diejenige Reflexion und Vorgehensweise übersehen wird oder verloren geht, die Kultur zum möglichen, wenngleich nicht immer zentralen Einflussfaktor macht. Wie ist dem Dilemma zu begegnen, dass Kultur einerseits systematisch berücksichtigt werden soll, ohne dass man ständig eine kulturalisierende Brille auf hat? Im Folgenden wollen wir anhand von Anfragen und typischen Anliegen von Kunden und Klienten darstellen, welche Überlegungen und Vorgehensweisen uns dafür sinnvoll erscheinen.
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Leseempfehlungen Organisationsberatung Supervision Coaching (OSC) (2009), 16 (3). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Das Sonderheft zum Thema »Interkulturelles Coaching« gibt einen Einblick in die verschiedenen Perspektiven und Praxisfelder dessen, was als Interkulturelles Coaching verstanden wird. Aspekte der theoretischen Diskussion, Praxisberichte und Fallbeispiele zeigen die Breite des Handlungsfeldes und liefern Konzepte und Modelle für die Bewältigung dieser Komplexität. SIETAR (Hrsg.) (2003). SIETAR Journal, 9 (1), Coaching im interkulturellen Kontext. Die Kurzbeiträge namhafter Autoren der deutschen Coachingszene in der Zeitschrift des Berufsverbands »Society for Intercultural Education, Training and Research (SIETAR)« geben einen Kurzüberblick über die verschiedenen Ansätze und Begrifflichkeiten im Interkulturellen Coaching (mit Beiträgen von Rauen, Barmeyer, Clement und Clement, Kinast, Schreyögg).
2.6 Formate kulturreflexiver Coachings Wenn sich ein zusammengesetzter Begriff wie »Interkulturelles Coaching« in Publikationen, konkreten Coachinganfragen und Dienstleistungsangeboten durchsetzt, so wird deutlich, dass es einen Bedarf in der Praxis gibt, der offenbar nach einer speziellen Dienstleistung verlangt. Bevor wir verschiedene Ansätze und Vorgehensweisen ausdifferenzieren, möchten wir zunächst eine Reihe von typischen Coachingfällen auflisten. Manche werden direkt als »Interkulturelles Coaching« angefragt, andere nicht. In den darauf folgenden Abschnitten wollen wir die damit verbundene Varietät so aufbereiten, dass die vielfältigen Formen und Ansätze übersichtlich und strukturiert anhand von Grundhaltungen im Coaching erfasst werden können. Dazu arbeiten wir anhand der vorgestellten typischen, häufigen und konkreten Coachinganliegen die zugrunde liegenden Erwartungshaltungen und Zielvorstellungen der Kunden heraus, erläutern anhand der Problemstellung das damit verbundene Verständnis von Interkulturellem Coaching und erschließen die dahinter liegenden Vorstellungen von Kultur und Interkulturellem Coaching. Wir schlagen abschließend vor, alle Fälle aus drei idealtypisch beschreibbaren Perspektiven zu betrachten, um ein Begriffsverständnis für Interkulturelles Coaching zu entwickeln. Wir unterscheiden dafür zwischen Coaching als interkulturellem Lernen (→2.6.1), Coaching im multikulturellen Kontext (→2.6.2) und transkulturellem Coaching (→2.6.3). Die folgenden Beispiele stammen aus unserer alltäglichen Praxis. Zur Wahrung der Anonymität wurden mehrere Fälle zu einer idealtypischen Anfrage »verschmolzen« und dadurch verfremdet. Die Anfragen werden hier kurz skizziert, denn mehr Informationen liegen beim Erstgespräch häufig ohnehin nicht
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vor. Selbst wenn Gelegenheit besteht, mit dem Coachingpartner selbst direkt zu sprechen, erhellt sich die Lage nicht zwangsläufig. Manchmal wird der Coach gebeten, einen Vorschlag zur Vorgehensweise vorzulegen, also in der Einteilung von Barmeyer (→ Kapitel 2.5, »Interkulturelles Coaching«: Definitionen und Ansätze) Aspekte des Inhaltscoachings mit Prozesselementen und Methoden vorzuschlagen, manchmal nicht. In jedem Fall braucht der professionell und interkulturell arbeitende Coach ein Vorverständnis davon, wie mit der Anfrage umgegangen werden könnte. Die sich anschließende Einteilung soll dazu als Hilfestellung dienen. Fall 1: Entsendung einer Führungskraft nach New York Eine junge deutsche Führungskraft hat die Gelegenheit, für zwei Jahre nach New York zu gehen, um dort eine Spezialabteilung für die Firma aufzubauen. Der betreffende Mitarbeiter will seine Frau mitnehmen und erhält zur Begleitung und Vorbereitung auf den Umzug und die Kultur vom Unternehmen ein Stundenkontingent »Interkulturelles Coaching«. Fall 2: Deutsch-indische Zusammenarbeit Der Leiter der Controllingabteilung eines deutschen Unternehmens arbeitet seit einiger Zeit virtuell mit dem Leiter der nach Indien outgesourcten Buchhaltung zusammen. Seine Englischkenntnisse sind ausreichend, in Indien war er bisher noch nie. Die Zusammenarbeit gestaltet sich schwieriger als erwartet, eine Reise nach Indien ist nicht geplant. Angefragt wird »Interkulturelles Coaching« zur Unterstützung der deutsch-indischen Zusammenarbeit. Fall 3: IT-Projekt mit weltweit verteilten Teams Ein Seniorprojektleiter soll weltweit ein neues IT-System einführen. Er arbeitet mit Kollegen und deren Mitarbeiterteams bei Kunden an verschiedenen Standorten, unter anderem Chicago, Barcelona, Delhi und Singapur. Die Implementierung läuft sehr unterschiedlich, an einigen Standorten gibt es manifeste Widerstände und Umsetzungsprobleme. Zur Unterstützung seiner Leitungs- und Projektmanagementfunktion kann er »Interkulturelles Coaching« in Anspruch nehmen. Fall 4: Migrantenkinder in der Kindertagesstätte Die Leiterin einer Kindertagesstätte hat in ihrer Einrichtung 50 % Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund aus unterschiedlichen Kulturen. Auch in ihrem vierköpfigen Team arbeitet eine Migrantin, die mit neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist. Die Teamleiterin berichtet von Konflikten mit den Eltern, innerhalb der Elternschaft sowie im Team. Im angefragten Coaching soll es vor allem um die interkulturellen Unterschiede in den Erziehungsvorstellungen und um den Umgang mit Konflikten gehen.
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Fall 5: Südkoreanischer Impat in Deutschland Ein 35-jähriger Mitarbeiter einer Bank, vor wenigen Jahren aus Südkorea nach Deutschland gekommen, möchte zur beruflichen Weiterentwicklung im Hinblick auf eine Führungsposition ein Coaching. Er überlegt außerdem, ob er – sollte sich keine Führungsposition in der deutschen Filiale ergeben – nach Südkorea zurückkehren will. Der Coach ist ein Deutscher, im Coaching sprechen beide Englisch. Fall 6: Firmeninterne Zusammenarbeit mit internationalen Führungskräften Ein Vertriebsmitarbeiter aus Hamburg arbeitet seit einigen Monaten in einer Firma im Süden Deutschlands, die ihren Hauptsitz in Japan hat. Er hat Probleme mit seinen Führungskräften (Engländer, Japaner und Amerikaner) und will im Coaching für sich klären, ob er die Firma wechseln muss, um seine Arbeitszufriedenheit wiederherzustellen.
Wie wir bereits gesehen haben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Coachinganliegen im internationalen Kontext zu erfassen. Manche orientieren sich an der Zielgruppe (vgl. → Kapitel 2.1), dann wären Fach- und Führungskräfte mit internationalen Bezügen und Aufgaben, Mitarbeiter von globalen Unternehmen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Personen, die mit Letzteren zu tun haben, mit ihren zu erwartenden Problemfeldern das Metamodell. Man könnte sich auch an Kulturen ausrichten (→ Kapitel 2.3, Kultur(en) im Coaching: Ergebnisse einer Umfrage) und nach deren Einflussfaktoren auf der Inhalts- und Prozessebene fahnden. Außerdem stellt sich die Frage, ob Coaching überhaupt das geeignete Format ist oder ob vielleicht Beratung, Einzeltraining oder Teammaßnahmen geeigneter wären (vgl. → Kapitel 2.4 zur Frage »Was ist Coaching (nicht)?«). Wie könnte man also an diese Fälle herangehen? – Welche Erwartungen werden jeweils implizit an den Dienstleister und Coach gestellt? – Welche Überlegungen sind vor, während des Prozesses und im Coaching selbst anzustellen? – Welche Kompetenzen benötigt man, um dem Anliegen professionell zu begegnen. – Welche Interventionen sind dem Coachingpartner und dem Kontext angemessen? – Wie kann das Thema Kultur berücksichtigt werden, ohne dass es dominiert? Das sind nur einige der Fragestellungen, mit denen man sich beim kulturreflexiven Coaching auseinandersetzen muss. Uns geht es dabei weniger um das Etikett und eine »korrekte Bezeichnung«, die Kunden mögen gern bei ihrem Vorverständnis bleiben. Für uns professionell arbeitende Coachs ist aber wichtig, dass wir wissen, was wir tun und eine benennbare eigene Orientierung haben. Die folgende Einteilung ist in diesem Sinne als Metakonzept zu verstehen, wel-
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ches die bestehenden theoretischen Ansätze der Autoren, die vorliegenden Einteilungen und praktischen Erfahrungen etwas (anders) strukturiert. Der Vorteil ist, dass man dadurch leichter Anforderungen an Inhalte, Prozess und Kompetenzen ordnen kann, um der Anfrage angemessen zu begegnen.
2.6.1 Coaching als interkulturelles Lernen Wenn der Coachingpartner zukünftig in einer anderen Sprachkultur arbeiten wird, so ist es bei den Unternehmen zwar immer noch nicht selbstverständlich, aber naheliegend, ein Coaching mit (inter)kulturellem Schwerpunkt ins Auge zu fassen, wie im Fall der deutschen Führungskraft, die in die USA versetzt wird, oder des Controllers, der mit Indern zusammenarbeitet (Fallbeispiele 1 und 2). Diese Perspektive nennen wir »Coaching als interkulturelles Lernen«. Der Fokus der Differenzerfassung liegt auf den verschiedenen Wissensbeständen zu den jeweiligen Kulturkreisen. Die Entsendungsvorbereitung von Mitarbeitern, aber auch die Arbeit im multikulturellen Team gehören hier als Beispiele zu den Klassikern der Dienstleistungen, die als Interkulturelles Coaching bezeichnet werden. Die typischen Zielvorstellungen und Themen liegen für die Unternehmen und Coachingpartner nicht weit auseinander. Beide haben ein Interesse daran, dass die Verlagerung des Lebensmittelpunktes für die ganze Familie und die »Anpassung« an eine fremdkulturelle Umgebung gelingt. Dazu gehören zum einen die gute Integration der Familie, zum anderen Erfolg und Zielerreichung des Mitarbeiters im Beruf. »Ziel des Interkulturellen Coachings ist es, den Coachee interkulturell handlungsfähig zu machen, um zukünftige internationale Arbeitssituationen erfolgreicher und konfliktfreier zu meistern. Im Mittelpunkt steht daher die Entwicklung interkultureller Kompetenzen, die Grundlagen zu effizientem, erfolgreichem Verhalten in fremdkulturellen Situationen darstellen« (Barmeyer, 2003, S. 19). Die Begleitung der individuellen Karrierewege sowohl der Führungskraft als auch der jeweiligen Ehepartner im Rahmen der »Dual-career«Planung kann als Zielvorstellung im Coaching hinzukommen. In dieselbe Kategorie fällt auch der Fall des Controllers, dessen Strukturen der Zusammenarbeit sich internationalisiert und virtualisiert haben (Fallbeispiel 2). Hinter fehlenden Datensätzen, verspäteten E-Mails und anderen Irritationen werden von den Auftraggebern kulturelle Gründe vermutet, die mit Hilfe des Coachs aufgeklärt werden sollen. Bei diesen Anfragen erlebt man immer wieder, dass der »interkulturelle Coach« als Experte, Berater oder als Einzeltrainer adressiert wird und dass bereits inhaltliche Vorschläge zu Themen erwartet werden, die im betreffenden Coaching eine Rolle spielen sollen. Der Coachingprozess ist hinsichtlich der Ziele und Themen stärker vorstrukturiert als üblich. Entsprechend werden auch Maßnahmen als Coaching bezeichnet, die beispielsweise eintägig durchgeführt werden und den im Coaching üblichen Prozesscharakter vermissen lassen.
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In dem Moment, in dem das Interkulturelle Coaching darauf abzielen soll, interkulturelle oder kulturspezifische Kompetenz zu entwickeln, dient es einem vorgegebenen inhaltlichen Ziel und nähert sich Trainings- und Beratungsaufträgen. In diesem Sinne begreifen manche Definitionen Interkulturelles Coaching als eine exklusive Personalentwicklungsmaßnahme (Ostermann, 2001; Barmeyer, 2003; Kinast, 2003) und Form interkulturellen Lernens mit dem Effekt, dass bestimmte Ziele, Inhalte und Interventionen – wie bei einem Training – bereits vorgegeben sind oder sehr nahe gelegt werden: »Coaching kann helfen, kulturell bedingte Irritationen und Störungen (Critical Incidents) konstruktiv zu thematisieren und durch prozessual begleitende Anstöße den Coachee zur Selbstreflexion und zum Finden von Lösungsstrategien anzuregen« (Barmeyer, 2003, S. 21). Bisweilen hilft diese Perspektive auch, mögliche Erwartungsbrüche im Coachingsetting zwischen Coachingpartnern mit verschiedenen Muttersprachen selbst zu klären. Bei dieser Begrifflichkeit ist es unerheblich, ob das Coaching im Rahmen einer Entsendung durchgeführt wird oder zur Begleitung einer Arbeitssituation dient, entscheidend ist die Vorstellung, dass Vertreter oder Mitglieder von als mehr oder weniger geschlossen imaginierten Kulturgemeinschaften aufeinandertreffen. Es geht dann im Coaching darum, für die spezifischen Kulturunterschiede zu sensibilisieren, allgemein oder kulturspezifisch über verschiedene Arbeitsstile aufzuklären, Wissenswertes über die beteiligten Kulturen zu vermitteln und mit den Coachingpartnern Selbstmanagement- und Handlungsstrategien zu entwickeln, welche die kulturelle »Überschneidungssituation« erfolgreich zu meistern helfen. Mit einem hohen Trainings- und Beratungsanteil macht im Wesentlichen das Einzelsetting die Maßnahme zum prozessorientierten Interkulturellen Coaching (vgl. auch Schroll-Machl, 2006, S. 20).
Definition Wir definieren Coaching als »interkulturelles Lernen«, wenn Kulturen als distinkte Entitäten gedacht werden und Coaching zur Vorbereitung oder Begleitung einer Zusammenarbeit oder hinsichtlich der Integration in eine spezifische Kultur im engeren Sinne eingesetzt wird.
Kultur- und Kompetenzbegriff In solchen themenbezogenen Maßnahmen wird Kultur als Wirkfaktor vorausgesetzt. Die zugrunde liegende Kulturvorstellung kann als traditionell bezeichnet und bis auf das Kugelmodell von Herder zurückgeführt werden. Kultur wird als ein homogenes System gefasst, das heißt als eine in sich geschlossene und nach außen klar abgrenzbare Lebensweise bzw. als eine mit nationalstaatlichen Grenzen deckungsgleiche Totalität. Diese Auffassung betont den essenzialistischen und statischen Kern von Kultur und fokussiert die Kohärenz zwischen Wohngebiet, Wirtschaft und geteilten Normen und Werten in Abgrenzung zu
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anderen »Kulturcontainern«, deren Mitglieder als »Träger« von Kultur mit entsprechenden Prägungen aufgefasst werden. Nach diesem Kulturkonzept tauchen die Coachingpartner in eine für sie fremde Kultur ein, und es entsteht eine interkulturelle »Überschneidungssituation« mit entsprechenden Anpassungserfordernissen. Auch in der Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Sprachgemeinschaften dominiert diese Vorstellung. Ziel im Coaching ist eine interkulturelle Handlungskompetenz, die verstanden wird als Fähigkeit, »auch ein fremdkulturelles Orientierungssystem effektiv zur Handlungssteuerung in kulturellen Überschneidungssituationen einzusetzen« im Hinblick auf eine »konstruktive Anpassung an fremdkulturelle Umwelten, sachgerechtes Entscheiden und effektives Handeln im Umgang mit fremdkulturell geprägten Interaktionspartnern« (Thomas, 1988, S. 150). In diesen Fällen benötigt der Coach Wissen zu bestimmten Kulturkreisen oder in Form verschiedener Kulturerfassungskonzepte, wie sie auch im interkulturellen Training erforderlich sind. Ferner benötigt er eine entsprechende Didaktik, um die Interventionen im Coaching hinsichtlich eines interkulturellen Lernens zu setzen. Coaching wird dadurch zum Interkulturellen Coaching, dass der Coachee eine erhöhte Sensibilisierung im Hinblick auf Kultur erhält und erweiterte Deutungskompetenzen für die Interpretation von Verhalten gewinnt.
2.6.2 Coaching im multikulturellen Kontext Sobald Kultur als einer unter vielen wirkenden Faktoren betrachtet, der Einfluss mehrerer Kulturen angenommen und nach Reibungsminderungen oder Synergien gesucht wird, verändern sich Zielannahmen und Themen im Interkulturellen Coaching. In Anliegen, wie sie in den Fallbeispielen 3 und 4 beschrieben werden, geht es folglich ganz praktisch um die Lösung kommunikativer und interaktiver Probleme. Die zweite Perspektive nennen wir daher »Coaching im multikulturellen Kontext«, der Fokus der Differenzerfassung liegt auf der Reflexion und der eigenen Haltung im Hinblick auf Erwartungsbrüche. Wenn die Implementierung eines IT-Projekts weltweit auf unterschiedliche Hürden stößt oder wenn in einer Kita Konflikte im Team und mit den Eltern existieren, können, aber müssen nicht zwangsläufig – so die Vorannahme – neben vielen anderen Faktoren kulturell unterschiedliche Kollektivund Sozialisationserfahrungen, Vorgehensweisen und Stile bedeutsam sein. Diese zu kennen, zu reflektieren, zu antizipieren und besprechen zu können, gehört zu den typischen Themen im Coaching. Die Kenntnis eigener sowie davon abweichender kulturgebundener Muster des Problemlösens, Kommunizierens und Entscheidens erhöht die Reflexionsfähigkeit des Coachingpartners. Das Bewusstsein von Machtasymmetrien und Gruppendynamiken, Stereotypisierungsprozessen und Anerkennungspraktiken kann das Handlungsrepertoire erweitern. Man geht davon aus, dass Interkulturelles Coaching hilft, »Störungen und Fragen zu bearbeiten, die im interkulturellen Kontext entstehen, damit sie
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nicht als Defizit, sondern als wichtige Informationsquelle für besseres Verständnis betrachtet werden« (Kalt, 2006, S. 243). Ziel ist weniger, Wissen über spezifische Kulturkreise zu erlangen, als das eigene kulturspezifische Handeln bewusst zu machen und das Handlungsrepertoire zu erweitern (Bolten, 2001a). Gefördert werden soll demnach eine interkulturelle Kompetenz »als Fähigkeit, Missverständnissen aufgrund kulturbedingter Irritationen vorzubeugen und interkulturelle Arbeitssituationen und -beziehungen konfliktfreier zu meistern« (Kalt, 2006, S. 248). Die hier genannten Charakterisierungen stellen die arbeitsbezogene Selbstreflexion im Interkulturellen Coaching in den Mittelpunkt und nehmen das internationale Umfeld oder die multikulturelle Gesellschaft im Coaching als Kontext in den Blick. Die kulturell unterschiedlichen Verhaltensweisen erzeugen neben den üblichen Herausforderungen des Arbeitsalltags »zusätzliche« Irritationen in der Erwartungsabstimmung und bilden eine »Information« über verschiedene Sichtweisen. Über Selbstreflexion, affektive Umorganisation und Erweiterung des Verhaltensrepertoires sind sie zu bewältigen. Im Unterschied zur ersten Beschreibung von Interkulturellem Coaching werden sowohl im internationalen Management als auch in den Begegnungskontexten der Einwanderungsgesellschaft kulturorientierte Interpretationsund Deutungsangebote mit Vorsicht betrachtet und die Förderung einer offenen Haltung wird bevorzugt. Mit Blick auf die Thematik der »Einwanderungsgesellschaft« wird dadurch auch hegemonialen Deutungsansprüchen und Machtasymmetrien entgegengewirkt. Es geht vielmehr darum, »kongruent und klar zu kommunizieren, sich wertschätzend allparteilich zu verhalten und nicht vorschnell zu verstehen, sondern vielmehr von einer Haltung der Neugier und des Bemühens um Verstehen auszugehen. Respektvoll den Ratsuchenden gegenüber, dabei gleichzeitig ›respektlos‹ gegenüber den von Menschen hervorgebrachten Beschreibungen und Erklärungen zu sein« (von Schlippe, El Hachimi u. Jürgens, 2004, S. 94).
Definition Von »Coaching im inter- und multikulturellen Kontext« sprechen wir, wenn es um die selbstkritische Erschließung von Vorannahmen und allgemeine Erweiterung von Deutungs- und Handlungskompetenzen des Coachingpartners in einem multikulturellen Umfeld geht.
Kultur- und Kompetenzbegriff Wenn man mit dieser Brille auf Interkulturelles Coaching schaut, gehört Kultur zu den zunächst unreflektierten, im Hintergrund wirkenden machtvollen Erwartungsbedingungen. Entsprechend verändert sich der Fokus des Kompetenzbegriffs, wofür wir beispielhaft Clement und Clement (2003) zitieren wollen: »Interkulturelles Coaching orientiert sich am Ideal einer interkulturellen
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Kompetenz. Darunter verstehen wir sowohl eine Haltung als auch ein substantielles Wissen. Als Haltung meint interkulturelle Kompetenz das Bewusstsein, dass die eigene Kultur nur eine von vielen ist, dass in jeder Kultur eigene Vorstellungen davon existieren, was ›real‹ ist, was Menschen unausgesprochen voneinander erwarten können, wie man Probleme löst und wie Entscheidungen getroffen werden. Dieses Bewusstsein ist noch kein Wissen um die Unterschiede. Aber es ist eine wesentliche Voraussetzung für die Neugier am Fremden, eine Entdeckerhaltung, ohne die jedes Wissen steril bliebe« (Clement u. Clement, 2003, S. 15). Die Autoren und Praktiker, welche mit diesen Kompetenzbegriffen im Interkulturellen Coaching arbeiten, stützen sich im Wesentlichen auf einen anthropologischen, symbolisch-interaktionistischen oder ethnopsychoanalytischen Kulturbegriff. Kultur wird hier begriffen als emergentes System von Lösungen, Symbolen oder Formen, das Gemeinschaften im Unterschied zu anderen Gemeinschaften als gegeben voraussetzt. Im Zentrum steht die Selbstreflexion: »Das Verhalten und das Erleben von Menschen wird oft weniger davon bestimmt, was sie wollen, was sie denken oder was sie möchten, sondern viel öfter davon, was sie vermuten, was andere von ihnen wünschen« (von Schlippe, El Hachimi u. Jürgens, 2004, S. 84). Daher treten in dieser Betrachtungsweise »Störungen« auf, wenn Vertreter verschiedener Gemeinschaften miteinander interagieren, da sie von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen. Da es schwierig ist, alle impliziten Vorannahmen und Voraussetzungen zu (er)kennen oder zu klären, ist erklärtes Ziel beim Coaching im interkulturellen Kontext, sich der eigenen Präsuppositionen bewusst und auf typische Irritationen gefasst zu sein, um Lösungen zu finden bzw. zu generieren.
2.6.3 Transkulturelles Coaching Die dritte Perspektive nennen wir »transkulturelles Coaching«. Was den systemisch denkenden Kollegen als »Störung« und Ausnahme gilt (→ Kapitel 2.6.2, Coaching im multikulturellen Kontext), ist aus transkultureller Perspektive die Regel. Kulturelle Differenz und Diskontinuität sind systematisch erwartbar und Kennzeichen aktueller Gesellschaften. Wenn sich ein südkoreanischer und ein deutscher Muttersprachler im Coaching gegenübersitzen und in einer Lingua franca gecoacht wird (Fallbeispiel 5), wenn verschiedene Organisations-, Berufs- und Sprachkulturen involviert sind oder ein Coachingpartner in einem großen Unternehmen mit seinen Kollegen und Vorgesetzten Schwierigkeiten hat (Fallbeispiel 6), so kann Kultur im Coaching permanent wirksam und bedeutsam sein oder auch gar keine Rolle spielen. Es kommt darauf an, ob und wenn ja, wie und welche kulturellen Wertesysteme und subkulturellen Differenzen relevant werden. Der Fokus der transkulturellen Coachingperspektive liegt auf der kohäsiven Kraft der Differenz; das heißt, dass bekannte und tolerable
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Differenzen von unbekannten oder als dysfunktional erlebten unterschieden werden können. In beiden Anliegen spielen nicht nur ethnische, sondern auch berufsspezifische und andere gruppenbezogene Kulturen eine Rolle, und kulturelle Differenzen werden nicht erst mit dem Aufeinandertreffen von Personen mit verschiedenen Muttersprachen relevant. Verschiedene kulturelle Orientierungen können, müssen aber nicht notwendig im Coaching bedeutsam werden und sollten stets mitreflektiert werden. Wie »koreanisch« verhält sich ein »Koreaner«, der in England studiert hat, in Deutschland arbeitet und mit Franzosen weltweite Projekte macht? Wir sind, mit Welsch (1999) gesprochen, alle bereits kulturelle Hybride. Dessen eingedenk gilt diese ethnorelative Perspektive ebenso für den Vertriebler, der mit seiner neuen Stelle unzufrieden ist. Angenommene Differenzen von hier benannten Kultur(en) können, müssen aber keine Rolle spielen – das ist im Coaching nicht vorauszusetzen, sondern bliebe fortlaufend zu prüfen. Das Anliegen des Südkoreaners ist ebenso typisch für ein berufliches Coaching wie das des Vertriebsmitarbeiters, sodass hier per se noch nicht von einem Interkulturellen Coaching auszugehen ist. Einzig die unterschiedliche Sozialisationserfahrung und Muttersprache der Beteiligten macht das Coaching möglicherweise zu einem interkulturellen Setting, das es mit zu reflektieren gilt. In beiden Beispielfällen ist der gesamte Verlauf des Coachings von der stets mitlaufenden Frage geprägt, ob – und wenn ja wo – als problematisch erlebte Differenzerfahrungen im Coaching eine Rolle spielen könnten. In beiden Fällen wurde das Coaching übrigens nicht als »Interkulturelles Coaching« angefragt, und doch können sie unter Umständen entsprechende Kompetenzen des Coachs erforderlich machen. Da hier der Konstruktionscharakter von Kultur einerseits und die Interdependenz vieler Kulturen »in« einem und um ein Individuum herum mit Fokus auf dessen Identität zu berücksichtigen sind, definieren wir diese Aufgabe als transkulturelles Coaching. Weder kann in diesen Fällen von distinkten »Herkunftskulturen« noch von der Unerheblichkeit kultureller Gemeinschaften ausgegangen werden. »Transkulturalität bedeutet […] die Entstehung eines neuen Typs von Unterschieden« (Welsch, 2011, S. 155), das heißt, die Komplexität und innere Differenzierung moderner Kulturen zu berücksichtigen, was wiederum bedeutet, Interdependenz, Verflechtungen und Überschneidungen zwischen verschiedenen Lebensformen zu denken. Coaching transkulturell aufzufassen, aufgrund der Beteiligung oder Bedeutung unterschiedlicher Kulturen innerhalb des Coachings ebenso wie »innerhalb« der Coachingbeteiligten, macht Coaching (wieder) zu dem, was es ohnehin ist: zur Identitätsarbeit. Sie erhält jetzt indes eine kulturreflexive Komponente: »Transculturality is gaining ground moreover not only on the macrocultural level, but also on the individual’s micro-level. For most of us, multiple cultural connexions are decisive in terms of our cultural formation. We are cultural
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hybrids. […] Wherever an individual is cast by differing cultural interests, the linking of such transcultural components with one another becomes a specific task in identity-forming. Work on one’s identity is becoming more and more work on the integration of components of differing cultural origin. And only the ability to transculturally cross over will guarantee us identity and competence in the long run« (Welsch, 1999, S. 195 f.). Der Schwerpunkt im transkulturellen Coaching liegt nicht auf dem Erfassen von wie auch immer konstruierten kulturellen »Einheiten« und dem Training von Wissen und Fähigkeiten für diese Entitäten, sondern auf Kräfteverhältnissen, Interessen und dem Schaffen von Synergien. Tabelle 1: Differenz interkulturell – transkulturell (Treichel, 2011a, S. 396)
interkulturell
transkulturell
Begriffe
Fokus
Begriffe
Fokus
Einheiten
Strukturen
Systeme
Kräfte
Funktionen
Effizienz
Menschen
Interessen
Differenzen
Transaktion
Ressourcen
Transformation
Training
Wissen
Entwicklung
Potenziale
Techniken
Skills
Persönlichkeit
Kompetenzen
Sensibilität
Ich/Fremde
Authentizität
Diversity
Kooperation
Austausch
Konstruktion
Synergie
Die plurikulturelle Sichtweise verändert die Begriffe und den Fokus, wie die Gegenüberstellung von Treichel in Tabelle 1 zeigt. Ziele sind unter anderem die Nutzung von Potenzialen, die Entwicklung von Persönlichkeit und Kompetenzen aller Beteiligten. Das Coaching wird zur gemeinsamen Exploration im Hinblick auf das Anliegen und die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten. Wo sind in den Fallbeispielen kategoriale oder kulturelle Wirkfaktoren relevant? Kommt der Vertriebsmitarbeiter grundsätzlich mit bestimmten Autoritäten nicht zurecht, liegt es an der (japanischen) Führungskultur, dem (amerikanischen) Chef oder noch an etwas ganz anderem, dass er unzufrieden ist? Liegt es vielleicht daran, dass er eine schwarze Hautfarbe hat oder 150 Kilo auf die Waage bringt, was ihn von bestimmten Outdooraktivitäten im Team ausgeschlossen hat? Diese verschiedenen kulturellen und kategorialen Orientierungsrahmen sind nicht nur für das Verhalten außerhalb der Coachingsphäre, sondern auch für das Coaching selbst stets mit zu bedenken, wenn Diversität für alle Beteiligten gedacht wird. Nun stehen auch das Coachingsetting und die Beteiligten im Fokus der Kulturreflexivität.
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Wie sind die wechselseitigen Rollenerwartungen? Was sind die Bestimmungsfaktoren für die Identität des Coachs gegenüber dem Coachingpartner (durchtrainiert, christlich, weiß, heterosexuell)? Erwartet der Coachingpartner einen Mentor, eine Beraterin, einen Prozessbegleiter oder ein bisschen von allem? Zeitliche Aspekte können bedeutsam sein: Was erwartet der Coachingpartner, dreißig Minuten, fünf Minuten oder gar keinen einleitenden Small Talk? Was sind die inhaltlichen Erwartungen und wie wird Empathie hergestellt? Welche verbalen und nonverbalen Faktoren sind zu bedenken? In welchem Abstand sitzt man, und in welcher Lautstärke spricht man, um eine Beziehung herzustellen? Wann sind welche Interventionen hilfreich, welche Vorannahmen hat der Coach über sein Gegenüber usw.
Kultur- und Kompetenzbegriff Kultur permanent als immanente Dimension im Coaching mit zu reflektieren, erfordert einen Kulturbegriff, wie er in den sozialkonstruktivistischen, diversityorientierten oder ideologiekritisch geprägten Theorien eingelassen ist. Dieser Kulturbegriff reflektiert auf unterschiedlichste Verflechtungen bei der Sinnbildung einschließlich ihrer kombinierten kulturell verfestigten Formen, die zugleich problematisiert werden: »Cultures today are in general characterized by hybridization. For every culture, all other cultures have tendencially come to be inner-content or satellites. This applies on the levels of population, merchandise and information. Worldwide, in most countries, live members of all other countries of this planet; and more and more, the same articles – as exotic as they may once have been – are becoming available the world over; finally the global networking of communications technology makes all kinds of information identically available from every point in space. Henceforward there is no longer anything absolutely foreign. Everything is within reach. Accordingly, there is no longer anything exclusively ›own‹ either« (Welsch, 1999, S. 195). Der auf Hybriditätskonzepte zurückgehende Kulturbegriff »wendet sich entschieden gegen die Vorstellung einer autochthonen und homogenen nationalen Kultur« (Bronfen u. Marius, 1997, S. 17). Kultur ist ein Ort des Widerstreits und der Aushandlung. Das hybride Kulturverständnis geht auch davon aus, dass Kultur ständig innerhalb von Diskursen konstruiert wird und die Kommunikationspartner sich über ihre Wirklichkeitsinterpretationen kulturell begründete Positionen zuschreiben. Dabei greifen sie auf unproblematische oder problematische Differenzen zurück. Für einige der Autoren sind die konstruierten Differenzen nicht alle gleichwertig, sondern können verfestigte soziale Ungleichheiten enthalten. Der Intersektionalitätsansatz fokussiert aus dieser herrschaftskritischen Perspektive die mehrdimensionale Überschneidung verschiedener verwobener Kategorien und deren Wechselwirkung. Ob der Coachingpartner aus einer gutsituierten Familie stammt und gute Bildungsressourcen hatte (Klasse), eine weiße oder schwarze Hautfarbe hat (Rasse), männlich
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FORMATE KULTURREFLEXIVER COACHINGS
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oder weiblich ist (Geschlecht), fit und durchtrainiert oder krank ist oder nach üblichen Normen unvorteilhaft aussieht (Körper), ist keineswegs dasselbe und zeigt die Wertigkeitshierarchien und Zugangschancen unmittelbar. Intersektionalität ist die Analyse der Differenzen als Ungleichheitsdimensionen mit mindestens vier maßgeblichen Strukturkategorien: Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper (vgl. dazu ausführlich Winker u. Degele, 2009). Diese Überlegungen dürften unter anderem, aber nicht nur bei Coachings im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit eine erhöhte Rolle spielen. Für beide Coachingpartner ist dann die Aufgabe, die jeweiligen Bezugssysteme und -kategorien innerhalb und außerhalb des Coachings zu hinterfragen sowie die Vorannahmen in den kategorialen Bezügen, die performativ umgesetzt werden, mit zu reflektieren und gegebenenfalls zu dekonstruieren: »Kulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, den Wandlungsprozess eines Systems zu gestalten und einen Raum zu schaffen, in dem transformatives Lernen möglich wird. Statt Ursache-Wirkung wahrzunehmen, sieht der kulturell kompetente Mensch überall Informationen und Bedeutung. Er ruht sich nicht auf Bipolaritäten aus, sondern sucht das gemeinsame Dritte, was die Bipolarität erst erzeugt. Kulturelle Kompetenz konzentriert sich weniger auf den Vordergrund als auf den Hintergrund, vor dem der Vordergrund erst einer wird. Während interkulturelle Kompetenz mit den verschiedenen Landkarten der Welt vertraut ist, versucht kulturelle Kompetenz sich mit dem Geist vertraut zu machen, der die Landkarte gezeichnet hat. Kulturelle Kompetenz glaubt daran, dass das Leben uns Herausforderungen serviert, die wir brauchen, um an ihnen zu wachsen, einzeln und gemeinsam« (Schlehuber u. Molzahn, 2007, S. 391). Das inspirierende Buch von Schlehuber und Molzahn betrachtet die sogenannten »weichen« Faktoren wie Kultur als die eigentlich harten. Ebenso wenig wie es nach diesem Verständnis klare Grenzen »zwischen« Kulturen gibt, kann von einer integrierten, homogenen globalen Einheitskultur ausgegangen werden, bei der der Wirkfaktor Kultur obsolet würde. Erforderlich für alle Beteiligten wird daher ein ganz bestimmtes Kompetenzbündel, bei dem die eigenen Vorannahmen überwunden sind und neue Konstrukte (z. B. neue Rituale) und Identitätsanteile generiert, also quasi »erfunden« werden müssen. Dieser Aushandlungsprozess ist selbstkritisch (Was ist für mich unhinterfragbar?), umfassend (betrifft beide Coachingpartner) und politisch bzw. ethisch reflektiert (In welcher Welt wollen wir leben?).
Definition »Transkulturelles Coaching« liegt in der globalisierten Welt grundsätzlich bei jedem Coaching vor, da heutzutage von mannigfaltigen kulturellen Einflüssen und Differenzerfahrungen ausgegangen werden muss. Verschiedene soziale Identitätsbestimmungen sind zu berücksichtigen, wobei von einer Ungleichwertigkeit bei einigen der verwendeten Kategorien auszugehen ist. Die Indivi-
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COACHING KULTURELL INTERKULTURELL
duen sind kulturelle Hybride und in sich divers, Identitäts- und Entwicklungsziele im Coaching ebenso wie die Beteiligtenkonstellation und der Prozess selbst müssen ständig kulturell und kategorial kritisch reflektiert werden. Coaching ist transformatives Lernen für beide Coachingpartner.
2.7 Zusammenfassung: Übersicht über Varianten kulturreflexiver Coachings Die Einteilung in verschiedene Perspektiven hat gezeigt, dass es letztlich abhängig ist vom eigenen Metakonzept, was als Interkulturelles Coaching verstanden wird und welche Haltung, Vorgehensweise und Methodik daraus folgt. Bedeutsam sind der zugrunde liegende Kultur- und Identitätsbegriff, die daraus resultierende Perspektive auf Kultur sowie die daraufhin erforderlichen Kompetenzen für den Coach. Die drei Ansätze, die wir idealtypisch gruppiert und formuliert haben, dienen der Differenzierung und Erweiterung des häufig kulturalistisch verkürzt missverstandenen Interkulturellen Coachings und setzen dafür unterschiedliche Foki. Die Übersichtstabelle (Tabelle 2) zeigt die drei Herangehensweisen und schlüsselt sie nach Kategorien auf wie Kultur- und Identitätsbegriff, Kompetenzen des Coachs und mehr. Coaching als interkulturelles Lernen ist dem alltagsweltlichen Verständnis von Interkulturellem Coaching am nächsten. Kulturen gelten hier als kollektive Lebensweisen, die man beschreiben und erklären kann. Sie werden oft mit Landesgrenzen, Nationalstaaten oder Ethnien identifiziert, über die man Auskunft wünscht. Die Arbeit mit dem Coachee zielt auf dessen interkulturelle Kompetenzerweiterung, daher verhält sich der Coach meist deutend und benötigt entsprechende Wissensbestände und pädagogische Kompetenzen. Der damit verbundene Identitätsbegriff geht davon aus, dass man homogenen Kollektiven angehört, und ist bisweilen ethnisch. Die zweite Perspektive »Coaching im multikulturellen Kontext« kann man als systemisch und differenzorientiert beschreiben. Kulturen definieren sich aus dieser Perspektive über Muster oder Spielregeln, wirken über Sinnattraktoren (gut–böse, wahr–falsch). Identität erscheint als psychisches System im Kontext einer Vielzahl von Bezugssystemen. Sollte der Coachingpartner eine Störung der Erwartungshaltung erleben, können Wechselwirkungen rekonstruiert und – notfalls auch ohne die Kenntnis kulturspezifischer Wissensbestände oder kultureller Leitdifferenzen, also mit konstruktivem Nichtwissen – mit ihm gemeinsam Lösungen erarbeitet werden. Diese Lösungen unterstützen ihn bei der Bewältigung der Erwartungsbrüche im Lebens- und Arbeitsalltag. Der Kulturbegriff der transkulturellen Herangehensweise basiert auf Kohäsion, das heißt Kultur wird nicht als homogene Einheit gedacht, sondern bedeutet das Maß an Differenz, das wir innerhalb einer Gemeinschaft noch bereit
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ÜBERSICHT ÜBER VARIANTEN KULTURREFLEXIVER COACHINGS
Tabelle 2: Übersicht über kulturreflexive Ansätze im Coaching
Konzepte für kulturreflexive Coachingvarianten
Coaching als interkulturelles Lernen
Coaching im multikulturellen Kontext
Transkulturelles Coaching
Kulturbegriff
essenzialistisch:
systemisch:
kohäsiv:
Lebensweisen, »Länder«, Nationalstaaten, Ethnien
Spielregeln, nicht antizipierte Erwartungen, Sinnattraktoren, Muster
Zusammenhalt durch Verständnis der Differenzen, Teilhabe an mehreren Lebenswelten, Diversity, Intersektionalität, Diaspora
Identitätsbegriff
kollektiv/ ethnisch
psychische Systeme im Kontext einer Vielzahl von Bezugssystemen
hybride Identitäten, symbolische Repräsentationen
Kultur im Coaching erscheint als …
interkulturelles Lernen für den Coachee
Teilsystem, »Störung« in der Erwartungshaltung
transformatives Lernen für beide Coachingpartner
Kompetenzen und Stärken der Herangehensweise
deutend:
offen:
Deutungswissen und Didaktik, Vermittlung hilfreicher Wissensbestände
Reflexion und Konstruktion von Wechselwirkungen, Vervielfältigung von Möglichkeiten und Strategien
dekonstruierend und generierend: Dekonstruktion und Herstellen von (neuen) Gemeinsamkeiten, Lösungen, Kontakt- und Identitätsformen
sind zu akzeptieren. Der Fokus liegt also weniger auf äußeren, denn auf inneren Differenzen, da Menschen an mehreren Lebenswelten teilhaben. Je nach theoretischem Ansatz werden verschiedene kritische oder erschließende Begriffe als Differenzformulierungen genutzt. Der Diversity-Ansatz berücksichtigt die Kategorien Geschlecht, Alter, körperliche Verfassung, Ethnie, sexuelle Orientierung und Religion. Das Konzept der diasporischen Gemeinschaften (Zerstreuung, Vertreibung) verweist sowohl auf Erfahrungen der Diskriminierung als auch auf eine netzwerkorientierte Subkultur. Intersektionalität beschreibt mehrdimensionale Überschneidungen verschiedener verwobener Kategorien, insbesondere der Ungleichheitsdimensionen Geschlecht, Klasse, Rasse und Körper, sowie deren Wechselwirkungen. Es wird davon ausgegangen, dass wir
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COACHING KULTURELL INTERKULTURELL
alle hybride Identitätskonstruktionen haben, in denen unter Umständen bereits soziale Bewertungsmuster und Ungleichheiten enthalten sind, die zu dekonstruieren sind. Die Dekonstruktion ist ein interpretierendes Analyseverfahren, das Sinnkonstruktion und -destruktion zugleich erfasst und dabei insbesondere Ausgrenzungen im Blick hat. Deren Wirkmächtigkeit und Reproduktion zu erkennen sowie Gestaltungsräume erschließen zu können, ist eine Grundkompetenz im transkulturellen Coaching – auch für das Setting selbst. Beide Coachingpartner reflektieren und lernen transformativ. Ziele sind die Überwindung von Asymmetrien und eine gemeinsam verantwortete Lösung. Jeder Perspektive können schwerpunktartig Coachingmethoden und weitere Aspekte zugeordnet werden. Die Methodik beim interkulturellen Lernen umfasst alle Inhalte und Didaktiken, welche unterstützen, sich einen Kulturkreis oder Kulturen anzueignen (→ Kapitel 3.2.1 zu den Methoden zum interkulturellen Lernen im Coaching). Der Perspektive des Coachings im multikulturellen Kontext werden Methoden zugeordnet, die der Reflexion der eigenen Werte, Beziehungen und allgemeinen Verhaltenspräferenzen dienen. Ziel ist eine variantenreiche Kompetenzentwicklung mit einem breiten Haltungs- und Rollenrepertoire, das an viele Kontexte und Kulturen »andocken« kann (→ Kapitel 3.2.2, Reflexionshilfen für das Coaching im multikulturellen Kontext). Im transkulturellen Coaching ist es für den Coach erforderlich, alle Vorannahmen über das Selbst und seine Entwicklung kulturell zu reflektieren. Die Tools unterstützen die Gesamtpersönlichkeit in ihrer komplexen Aufgabe, sich zu »beheimaten« (vgl. dazu → Kapitel 3.2.3). Die Methoden werden wir in → Kapitel 3.2 näher beschreiben und die Tabelle in → Kapitel 3.2.3 (Entwicklungsmodelle im transkulturellen Coaching) daraufhin erweitern. Entgegen der Reihenfolge der Darstellung sollte die Nutzung dieser Perspektiven als Metakonzept in der Praxis unserer Ansicht nach allerdings in umgekehrter Reihenfolge geschehen. Bei kulturreflexivem Coaching ist zunächst von der höheren Varietät auszugehen, also von einem dynamischen Kulturverständnis, das Hybridität, Diversität und Intersektionalität mitdenkt. Nach Prüfung der höheren Komplexitätsstufen können gegebenenfalls Herangehensweise, Haltung und Vorgehen zu Coaching im multikulturellen Kontext variiert oder auf interkulturelles Lernen reduziert werden. Die vollzogene Zuordnung der genannten Coachingfälle lässt sich daraufhin kritisch hinterfragen. Den Fall des mit Indern virtuell zusammenarbeitenden Controllers (Fallbeispiel 2) kann man auch aus der Perspektive »Coaching im multikulturellen Kontext« angehen und, statt Wissen über Kulturunterschiede zu thematisieren, die Reflexions- und Lösungskompetenz des Coachingpartners stärken. Der Fall des Hamburger Vertriebsmitarbeiters (Fallbeispiel 6) kann darauf hinauslaufen, die kulturellen Erwartungen einer zutiefst japanisch geprägten Organisations- oder mehrkulturellen Führungskultur aus Expertensicht zu beschreiben und den Coachingpartner hinsichtlich seines Verhaltens zu
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ÜBERSICHT ÜBER VARIANTEN KULTURREFLEXIVER COACHINGS
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beraten, und natürlich könnte man auch bei einer Anfrage zur Entsendungsvorbereitung strikt transkulturell vorgehen. Bei dem einen oder anderen Fall dürfte indes ein weniger naheliegendes Vorgehen bei Auftraggeber und Coachingpartner auf Irritationen oder Widerstand stoßen, denn in allen hier beschriebenen Fällen, so versuchten wir zu argumentieren, haben die Beteiligten selbst jeweils bestimmte Vorstellungen und Erwartungen an das Coaching. Es ist eine Frage des eigenen Kultur- und Interventionsverständnisses und der ausgehandelten Vorgehensweise, wie man im Einzelfall vorgehen mag. Es geht uns nicht darum, eine der Herangehensweisen zu favorisieren und andere zu kritisieren. Auch wollen wir nicht strikt kategorisieren, sondern zunächst einmal verschiedene idealtypisch unterscheidbare Dimensionen der Coachingtätigkeiten kulturreflexiv beleuchten. Eines dürfte im Zuge dessen deutlich geworden sein: Was immer das »Interkulturelle« am und im Coaching ist, die Arbeits- und Lebenswelten beider Coachingpartner enthalten überall, und künftig in zunehmendem Maße, kulturrelevante Implikationen, da die moralischen Welten uneindeutiger werden und sich immer mehr aus- und binnendifferenzieren. Wer einen gemeinsamen Wertekosmos hat bzw. konstruieren kann und wo jeweils die kulturell relevante Grenze liegt, ist längst fragwürdig geworden. Ist der Erwartungsbruch eher zwischen »den« deutschen und »den« ungarischen oder indischen Kollegen zu erwarten, mit denen das virtuelle Team von Deutschland aus zusammenarbeitet, oder zwischen den beteiligten IT-Kollegen mit verschiedenen Muttersprachen einerseits und den Key-Account-Managern andererseits, mit denen sie zurechtkommen müssen, und welche Rolle spielen diese Kategorien überhaupt? Um Coaching in einer kommunikativ eng vernetzten Wirtschaftswelt durchzuführen und Coachingpartner kompetent zu begleiten, ist nach unserem Verständnis folglich ein Paradigmenwechsel im Coaching nötig, bei dem stets kulturrelevante Erwartungshorizonte im Blick gehalten werden müssen. Hier gerät die Coachingtätigkeit an sich in den Fokus, denn sie selbst enthält Vorstellungen, Vorgehensweisen, Methoden und Haltungen, die zutiefst in kulturellen Werten verankert sind. Diese zusätzlich hinterfragen zu können, gehört zur Kernkompetenz eines in der globalisierten Arbeitswelt tätigen Coachs. Basis hierfür sind unter anderem alle hier ausdifferenzierten Perspektiven auf das Interkulturelle Coaching. Da für einen kulturreflexiv kompetenten Coach demnach alle Perspektiven gleichermaßen bedeutsam sind und sich in der Praxis nicht eindeutig trennen lassen, sprechen wir zukünftig statt von Interkulturellem Coaching generell lieber von kulturreflexivem Coaching. Damit meinen wir die Fähigkeit des Coachs, Kultur im Allgemeinen und verschiedene Kulturen im Besonderen (Sprachkulturen, Subkulturen, Organisationskulturen, Abteilungskulturen etc.) ebenso wie Teilidentitäten (z. B. Geschlecht, Glaubenszugehörigkeit, urbaner Mensch, privater Zauberkünstler) permanent als Deutungsressource bei der eigenen Coachingarbeit hinterfragen zu können.
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Was folgt, wenn die Coachingtätigkeit als solche kulturreflexiv betrachtet werden muss? Die Erschließung und Entwicklung von interkultureller Kompetenz gilt dann nicht nur für den Coachingpartner, sondern insbesondere auch für den Coach: »Es gilt für Kultur, was für alle Beobachtungsoperationen gilt: Sie hat einen blinden Fleck. Sie sieht nicht, dass sie nicht sieht, was sie nicht sieht. Im Unterschied zu allen anderen Beobachtungsoperationen arbeitet sie jedoch laufend an der Entdeckung ihrer jeweiligen blinden Flecke« (Baecker, 2003, S. 109). Erst mit der Reflexion dieser sozialen und kulturspezifischen Erwartungsstrukturen sind die Coachingpartner in der Lage, ihre Konstrukte zu dechiffrieren und Phasen, Methoden und Interventionen kulturbezogen zu variieren. Dabei liegt die Herausforderung ganz beim Coach. Stimmt die These der ubiquitär notwendigen Kulturreflexivität im Coaching, so hat dies weitreichende Konsequenzen: Der Coach braucht eine Ausbildung und theoretisches Grundwissen, welche die Kulturthematik systematisch berücksichtigen, eine Haltung, welche die eigenen Bilder, Vorerfahrungen und Erstarrungen dekonstruieren kann, ein Methodenrepertoire, welches transformatives Lernen und transkulturelle Lösungen generiert, sowie eine Prozessreflexivität, welche das Setting von der Auftragsklärung bis zur Zielerreichung auf kulturelle Verfestigungen, Gemeinsamkeiten und Differenzen überprüft und zum Beispiel mit Code-Switches und anderen Mitteln transkulturelle Begegnungsräume aufzubauen hilft. Sind wir professionell arbeitenden Coachs und Coachingausbilder darauf vorbereitet?
Statt Leseempfehlungen: Eine Reflexionshilfe für Coachs – – – – – – – – – – – –
Welchen Kulturbegriff habe ich? (Welchen Begriff hat mein Auftraggeber?) Mit welchen Erfassungsmodellen für Kultur oder Kollektive arbeite ich? Welche Kompetenzen halte ich für mich und meine Coachingpartner für erforderlich? Was ist für mich vertraut oder fremd? Wie gehe ich mit eigenen Irritationen um? Wie unterscheide ich Gemeinsamkeiten und Differenzen? Welche Muster oder Stile praktiziere ich und wie variiere ich sie? Was verstehe ich unter Weiterentwicklung und Erweiterung des Handlungsspektrums? Welches Verständnis von Kommunikation, Interaktion und Identität(en) habe ich? Welche Teilidentitäten zeichnen mich (im Verhältnis zu meinem Coachingpartner) aus? Wie werden die sozialen Identitäten in dem Umfeld, in dem ich mich bewege, bewertet? Wie berücksichtige ich weitere kollektive Wirkfaktoren? Wo könnte Kultur (k)eine Rolle spielen?
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Kompetenzfelder für kulturreflexiv arbeitende Coachs
Bei den bisher entwickelten Ansätzen zum Interkulturellen Coaching wird interessanterweise die Frage der interkulturellen Kompetenz nur für die Coachees gestellt. Beschrieben wird, was diese lernen, verändern oder entwickeln müssen (vgl. z. B. Steixner, 2009, S. 96). Wir wollen hier zunächst einmal den Blick auf den Coach selbst lenken. Aufgrund seiner Biografie greift jeder Coach auf eine andere Wissens- und Erfahrungsbasis zurück und geht notwendig eklektisch vor. Die existierenden Handbücher definieren unterschiedliche Kompetenzspektren und Themengebiete, die wir hier nicht diskutieren wollen. Entscheidend für unser Anliegen ist, wie die Wissensbestände vernetzt und interkulturell reflektiert werden. Wir gehen davon aus, dass es nicht nur ein bestimmter Wissensbestand ist, der im Interkulturellen Coaching gebraucht wird, sondern dass es insbesondere auf eine gegenstandsangemessene Nutzung und Verknüpfung der Voraussetzungen, theoretischen Konzepte, Methoden und Herangehensweisen ankommt. Kulturreflexives Coaching bedarf der Revision von Bedeutungsstrukturen – bei beiden Coachingpartnern. Ein Coach, der kulturreflexiv arbeitet, ohne durch eine kulturalisierende Brille zu schauen, braucht vor allem eins: ein Querschnittsverständnis von Kultur. Dementsprechend gründet kulturreflexives Coaching nicht auf einem zusätzlichen Wissensbestand, den man addieren könnte, sondern auf einem transformativen Lernprozess, der alle Bereiche vorhandener Coachingkompetenzen durchzieht. Grundbegriffe und Metakonzepte, Haltung und Vorgehensweisen sowie der Einsatz von Methoden und Interventionen sind betroffen: »Transformative learning involves experiencing a deep, structural shift in the basic premises of thought, feelings, and actions. It is a shift of consciousness that dramatically and irreversibly alters our way of being in the world. Such a shift involves our understanding of ourselves and our self-locations; our relationships with other humans and with the natural world; our understanding of relations of power in interlocking structures of class, race and gender; our body awareness, our visions of alternative approaches to living; and our sense of possibilities for social justice and peace and personal joy« (O’Sullivan, Morrell u. O’Connor, 2002, S. 8). Diesen Vorgang differenziert theoretisch beschrieben zu haben, ist der Beitrag der transformativen Theorie der Erwachsenenbildung (Mezirow, 1997). Bei Erwachsenen heißt Lernen, dass eine früher erfahrene Bedeutung und Anleitung, wie über etwas zu denken oder zu fühlen sei (formatives Lernen in der Kindheit), erweitert oder gar revidiert wird. Generell lernt man im Rahmen der individuellen Entwicklungsgeschichte – und beim ersten Kontakt mit einem bis
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dahin noch gänzlich unbekannten Wissens- und Erfahrungsgebiet – zunächst durch Bedeutungsschemata und die Hinzunahme neuer Bedeutungsschemata. In diesem Sinne bedeutet Lernen, Fakten innerhalb des als gegeben angesehenen Bezugsrahmens hinzuzunehmen. Ein Beispiel wäre eine fremdkulturelle Etikettenregel, etwa die geläufige nordamerikanische Grußformel »How are you«. Man kann das Wissen erwerben, dass der Gesprächspartner als Antwort keine wahrheitsgemäße Aussage über die eigene Befindlichkeit erwartet. Diese Formel gehört vielmehr zum Ritual der Begrüßung, und sie ist einer Grußformel wie dem deutschen »Guten Tag« gleichzusetzen. Hier lernt man also, eine Erfahrung in einen neuen Zusammenhang zu stellen, diese korrekt zu interpretieren bzw. eine spezifische Erwartungshaltung einzunehmen – so, wie man eine Vokabel lernt. Beim Erlernen neuer Bedeutungsschemata wird das persönliche Repertoire an bekannten und anwendbaren Bedeutungsperspektiven erweitert, die vorherrschende Perspektive jedoch bestätigt und verstärkt. Man lernt dann zum Beispiel, dass man die übliche Entgegnung auf ein »How are you« unter Bekannten oder Freunden durchaus leicht abwandeln, wahrheitsgemäße Andeutungen machen und stets fließend in einen kleinen Smalltalk übergehen kann – so, wie man den Assoziationshof und das Bedeutungsfeld einer Vokabel ermessen kann. Die gewohnte Bedeutungsperspektive, also der lebensgeschichtlich im Rahmen des formativen Lernens erworbene perzeptuelle und konzeptuelle Code, kann dabei durchaus erhalten bleiben. All dieses Wissen muss deutsche Muttersprachler tendenziell nicht davon abhalten, Gruß und Smalltalk »oberflächlich« oder »überflüssig« zu finden. Eine diesbezügliche Uminterpretation geschieht erst, wenn die Voraussetzungen der Erwartungshaltung mit reflektiert und gefühlt werden. Transformatives Lernen bedeutet, die Voraussetzungen der Voraussetzungen mit zu bedenken. Das Ausmaß der Transformation von Bedeutungsschemata ist abhängig von der Art der Reflexion. Diesbezüglich hat Mezirow (1997) drei Reflexionsformen unterschieden: 1. Gehaltsreflexion: Reflexion des Inhalts eines Problems: Worin besteht bzw. wodurch entsteht das Problem? Nehmen wir als Beispiel den alltagsweltlichen Kulturbegriff, der hauptsächlich mit Kategorien wie Nationen, Inland/ Ausland verbunden ist. Die Gehaltsreflexion bestände darin, zu erkennen, dass diese Gleichsetzung zu kurz greift und mit Kultur noch andere Aspekte gemeint sind, dass also diese zu enge Begriffsdefinition unsere Wahrnehmung des Problems interkultureller Verständigung und Interaktion einschränkt. 2. Prozessreflexion: Wie lässt sich das Problem (anders) lösen? Hier geht es um die Reflexion der Verfahren und Strategien der Problemlösung, einschließlich der Methoden und einzelnen Lösungsschritte. Im genannten Beispiel bedeutet dies, Kultur als auf Werten basierende, interaktiv hergestellte gemeinsame Orientierung zu betrachten und zum Beispiel auf Organisationskultur auszuweiten.
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3. Prämissenreflexion: Von welchen Voraussetzungen gehe ich (bisher) bei der Suche nach einer Problemlösung aus? Es gilt also, die eigenen zugrunde gelegten Vorannahmen des Problemlösungsverfahrens zu bedenken. Erst dadurch »durchschauen wir die von Gewohnheit bestimmte Art, mit der wir die im alltäglichen Leben gemachten Erfahrungen interpretiert haben, um zu einer rationalen Neubewertung des impliziten Gültigkeitsanspruchs zu gelangen, der von einem früher nicht in Frage gestellten Bedeutungsschema […] erhoben wurde« (Mezirow, 1997, S. 85). Demnach lernen wir dann transformatorisch, wenn wir alle drei Reflexionsschritte durchlaufen, also auch die Bedingungen unserer Interpretationen reflektieren. Im genannten Beispiel bedeutet dies unter anderem, das essenzialistische Verständnis von Kultur aufzugeben, die Konsequenzen des neuen, erweiterten Kulturverständnisses für alle davon betroffenen Themen wie Kommunikation, Methoden und Prozesse zu berücksichtigen und dabei auch die Voraussetzungen des eigenen (Problemlösungs-)Denkens im Blick zu haben. Diese Aspekte der Transformation wollen wir in → Kapitel 3.1 aufgreifen und hinsichtlich ihrer Bedeutung für kulturreflexives Coaching und der darin involvierten Kompetenzen des Coachs untersuchen. Wir orientieren uns dabei an zentralen Orientierungskategorien und Metakonzepten für die Coachingtätigkeit. Thematisiert werden die Begriffe Kultur (→ 3.1.1), Kommunikation (→ 3.1.2), Identität (→ 3.1.3) und Körper (→ 3.1.4). Wir erläutern jeweils, warum das dargelegte Grundverständnis für Interkulturelles Coaching wichtig ist, welche Konzepte gängig sind und wovon wir empfehlen auszugehen. → Kapitel 3.2 widmet sich einigen zentralen Wissensbeständen und vor allem Methoden für das kulturreflexive Coaching und stellt etablierte Modelle sowie neu entwickelte Reflexionshilfen auf der Basis der selbst entwickelten Systematik vor. Entsprechend untersuchen wir, welche Methoden dem interkulturellen Lernen dienen (→ 3.2.1), wie das Arbeiten im multikulturellen Kontext unterstützt werden kann (→ 3.2.2) und wie zum Beispiel eine transkulturelle Identitätsarbeit im Coaching aussehen kann (→ 3.2.3). Abgerundet wird diese Methodenübersicht mit einigen Überlegungen, wie Coachingmethoden kulturreflexiv eingesetzt werden können (→ 3.2.4). In vielen Coachings kommen Kompetenzassessments oder Persönlichkeitsprofile zum Einsatz. Welche davon für den interkulturellen Kontext eingesetzt werden oder geeignet sind und was bei ihrer Verwendung zu bedenken ist, behandelt → Kapitel 3.3. → Kapitel 3.4 skizziert eine Auswahl von körperorientierte Ansätze und Methoden, die bei kulturreflexiven Coachings die Ziele des Coachingpartners unterstützen können. Schließlich widmen wir uns in → Kapitel 3.5 bereits veröffentlichten Leitfäden und Methoden, wie sie die in → Kapitel 2.5 beschriebenen Ansätze für Interkulturelles Coaching vorschlagen, und stellen diese kurz dar. Wir beenden die methodischen Überlegungen zur Querschnittsaufgabe des kulturreflexiven Coachings
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mit einem Metablick auf die erforderlichen Coachingkompetenzen. Ein mögliches Kompetenzspektrum wird in der Zusammenfassung (→ 3.6) illustriert.
3.1 Metakonzepte für die kulturreflexive Coachinghaltung Um ein kulturreflexives Coaching durchführen zu können – oder genauer: um jedes Coaching, wie heutzutage prinzipiell erforderlich, kulturreflexiv durchzuführen – benötigen Coachs klare Grundbegrifflichkeiten, an denen das professionelle Tun ausgerichtet ist. → Kapitel 2.6 zu den Formaten kulturreflexiver Coachings hat gezeigt, wie bedeutsam das Wissen ist, mit welcher Haltung man arbeitet, um eine sinnvolle und passende Vorgehensweise im Coaching zu wählen. Dabei ist wesentlich, coachingrelevante Basiskonzepte und dem Stand der Debatte angemessene Begrifflichkeiten zu wählen sowie diese auf Kulturreflexivität zu prüfen. Es ist diese Klarheit, die es ermöglicht, die Haltung variieren zu können, der Komplexität zu entsprechen und zugleich pragmatisch vorgehen zu können. Vereinfachen kann man später immer, doch zunächst gilt es, von der höheren Komplexität – hier einem transkulturellen Kulturverständnis – auszugehen.
3.1.1 Kulturen in Bewegung Dass ein interkulturell arbeitender Coach nicht ohne Kulturbegriff auskommt, versteht sich von selbst. Das Kulturkonzept ist quasi die Brille, durch die kulturelle Einflussgrößen wahrgenommen, erfasst und thematisiert werden können. »Was verstehen Sie unter Kultur?« ist daher eine Frage, die man spontan beantworten können sollte. Wir gehen von einem bedeutungsorientierten, handlungstheoretisch fundierten, dialogisch konstruierten und sprachpragmatischen Verständnis von Kultur als Sinnsystem aus. Mit Straub definieren wir Kultur als symbolisch vermittelte Lebensformen, als »Zeichen-, Wissens- und Orientierungssystem, […] das die Praxis, mithin das Handeln (Denken, Fühlen, Wollen und Wünschen) aller daran teilhabenden Personen strukturiert und ordnet, ermöglicht und begrenzt« (Straub, 2007, S. 15). Die wesentlichen Kennzeichen dieses Kulturverständnisses sind: 1. Kulturen sind gemeinsame Bezugssysteme, verbindende Weltdeutungen und Erfahrungshorizonte wie etwa die zeitliche Strukturierung der Erfahrung durch die Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, das heißt diejenigen, die auf sie referieren, beziehen sich auf eine geteilte »Wirklichkeit« mit kollektivem Gedächtnis. 2. Kulturen müssen deterritorialisiert und deethnisiert gedacht werden, das heißt, sie sind weder an geografische Orte noch an klar umrissene »Völker« gebunden, sondern sie entstehen und sichern ihr Fortbestehen über wieder-
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METAKONZEPTE FÜR DIE KULTURREFLEXIVE COACHINGHALTUNG
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kehrende Beziehungen, Bedeutungen und antizipierte Referenzhorizonte. Der Begriff der Deterritorialisierung geht auf Nestor Garcia Canclini zurück. Deterritorialisierung bedeutet, dass Kultur immer weniger mit einer geografischen Beziehung und immer mehr mit kommunikativen Verbindungen insbesondere durch die neuen Medien assoziiert wird (Hepp, 2009, S. 168). 3. Kultur ist ein fluides Geschehen, dynamisch, sie bewegt und verändert sich im Spannungsfeld von Machtverhältnissen und sozialen Verhältnissen. Kulturen sind Ergebnis und Medium eines kommunikativen und interaktiven Aushandlungsprozesses und daher stets im Wandel. 4. Kulturen weisen allerdings strukturelle Verfestigungen auf verschiedenen Ebenen auf (ideell, sozial, sprachlich, psychisch, kognitiv) und bieten dadurch eine gewisse Erwartungssicherheit im Umgang miteinander. Solche Verfestigungen sind zum Beispiel soziale Institutionen, Interaktionskonventionen oder auch subjektive Dispositionen. 5. Kulturen werden durch persönliche Involvierung und praktizierte Lebensgewohnheiten erworben, also durch Mittun, Einüben, Sozialisation oder Enkulturation. 6. Kultur schlägt sich habituell nieder, das heißt, die Deutungssysteme manifestieren sich auch leiblich, werden verkörpert oder sind an Auftreten und Verhaltensvorlieben erkennbar. 7. Kulturen bestehen in einem impliziten Wissen der Praxis, das dem reflexiven Bewusstsein nicht unmittelbar zugänglich ist. Mit anderen Worten, wir können uns kulturangemessen bewegen und verhalten, aber wir könnten nicht notwendig die im Hintergrund waltende Logik oder die zugrunde gelegten Konzepte benennen. 8. Kulturen lassen sich nur eingeschränkt beschreiben, da sie in sich heterogen, divergent bis widersprüchlich sind. Sie bestehen aus einem Vorrat an Deutungsangeboten, dessen Zusammenhang allerdings einzigartig ist. Dieser Zusammenhang hat unscharfe Ränder und poröse Grenzen. 9. Kulturen sind relational: Es handelt sich um perspektivische Interpretationskonstrukte, also Auslegungen, die neben anderen, teilweise konkurrierenden stehen können und häufig erst dadurch bewusst werden. 10. Der Mensch der Moderne hat Teil an verschiedenen kulturellen Systemen und seine Identität basiert auf kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten (vgl. dazu näher → Kapitel 3.1.3, Von der Identität zu den Identitäten). Trotz der prinzipiellen Offenheit, Elastizität und Unbestimmbarkeit von Kultur ist es das berechtigte Bestreben von Kulturerfassungskonzepten, dem Phänomen vermittels kulturunabhängiger Kategorien, Ebenen, Dimensionen, Schichten oder Ähnlichem auf die Spur zu kommen. Sie dienen als Erfassungsraster und Beschreibungssystematik, um tendenziell verfestigte Merkmale benennen zu können. In der interkulturellen Kompetenzvermittlung gängige Modelle
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illustrieren die Kulturkonzepte in Form plastischer Bilder. Am weitesten verbreitet sind die Metaphern zweier Organisationskulturspezialisten: das Modell des »Kultur-Eisbergs«, das auf den Organisationspsychologen Edgar Schein (1995) zurückgeführt werden kann, und die »Kulturzwiebel« des Kulturanthropologen Geert Hofstede (1997). Das Eisbergmodell basiert auf den von Schein definierten drei Ebenen von Kultur. Schein unterscheidet 1. sichtbare Verhaltensweisen und Artefakte, 2. Gefühle und kollektive Werte und 3. selbstverständliche Grundannahmen wie die Beziehung zur Natur oder Zeitorientierungen. Beim Eisberg wird mit einer zweiwertigen Logik von »oben, sichtbar und bewusst« und »unten, unsichtbar und unbewusst« gearbeitet. Zu »oben« gehören Architektur, Bekleidungsvorschriften und Dokumente ebenso wie Jargon, Rituale, Geschichten und Mythen. Intersubjektiv überprüfbare »Werte«, wie zum Beispiel Leistung, oder gar niedergeschriebene Grundsätze bilden die nächste Ebene, deren Elemente zwischen implizit steuernd und bewusst verhandelbar oszillieren. »Grundannahmen« wie Menschenbild, Vorstellungen von Raum und Zeit, Alltagstheorien über die Beziehungen zur Umwelt und das Wesen menschlicher Beziehungen schließlich befinden sich am weitesten unter der Wasseroberfläche, da sie als selbstverständlich vorausgesetzt werden und im Verborgenen bleiben. Das Zwiebelmodell von Hofstede differenziert Kultur nach vier Schichten: erstens Symbole als die äußerste Schicht, wozu nach Hofstede Sprache ebenso zählt wie Haarfrisuren oder Flaggen; zweitens Identifikationsfiguren und Idole, die Hofstede »Helden« nennt und welche Eigenschaften verkörpern, die in einer Kultur hoch angesehen sind; die dritte Schicht beschreibt Rituale wie Begrüßungsformen oder Smalltalk, und im innersten Kern befinden sich schließlich viertens abstrakte Ideale wie Werte. Die inneren Schichten sind nach Hofstede nicht nur weniger gut wahrnehmbar, sie sind auch schwerer zu verändern als die äußeren »Schalen«. Der hilfreiche Sinn von bildhaften Kulturmodellen ist, Aufmerksamkeitsfoki zu legen und implizite kulturelle Hintergrundannahmen erschließbar zu machen. Wie ertragreich eine Beschreibungssprache ist, lässt sich indes am von ihr verwendeten Bild ermessen. Sowohl Eisberg als auch Zwiebel lassen Kulturen als homogene, abgeschlossene Einheiten erscheinen. Es mag Situationen und Anlässe geben, auf diese Modelle zurückzugreifen, doch allein die Metaphorik erschwert es, hybride Mischungen, vielfältige Zuordnungen und flexible Referenzen zu denken und zu erfassen. Zudem konnten die Modelle ihre Herkunft aus der Organisationskulturforschung nie ganz abschütteln, und ihre Übertragung auf die Mischkulturen eines Gebietes oder gar auf Nationen ist kritisch zu betrachten.
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Inzwischen gibt es verschiedene Versuche, Kulturbegriffe anders zu bebildern. Besonders geeignet, um den dynamischen Kulturbegriff abzubilden, erscheint uns die Metapher des Rucksacks (Abbildung 2). Sie ermöglicht, verschiedene Arten von Rucksäcken und individuell gepackte Inhalte zu denken und sich die Menschen als Akteure vorzustellen, welche sich der Elemente aus ihrem Rucksack bedienen. Dass Menschen oft als »Träger« von Kulturen bezeichnet werden, gewinnt mit dieser Metapher plötzlich eine neue Note.
Abbildung 2: lllustration eines dynamischen Kulturbegriffs1
Man kann sich nun fragen, wo das Kulturmodell geblieben ist, wenn jeder seinen individuell gepackten Rucksack hat, in verschiedenen Kollektiven eingebunden und mehrfach verortet ist. Es besteht kurz gesagt im Rucksack selbst. Dieser steht für das Verbindende, für das, was hinsichtlich der Kombinationsformen als »normal« angesehen wird. Der zugrundeliegende Kerngedanke ist, dass Kulturen auf Differenz und Vielfalt und nicht auf Einheit aufbauen und 1
Es handelt sich um das Titelblatt eines Lernlogbuchs, das für eine Reihe von Führungskräftetrainings für Kunden erstellt wurde. Die Abbildung zeigen wir hier mit freundlicher Genehmigung von A. Dingler.
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dass sie einen Vorrat divergierender Angebote und individuelle Spielräume ermöglichen (Hansen, 2000; Rathje, 2006). Ihre Wirkungsmacht liegt in der Kohäsion. Es ist mitnichten willkürlich, welche Kombinationen als möglich und normal angesehen werden. Ein Beispiel: Ein Klient in Indien ist erfolgreicher Unternehmer in Zukunftsindustrien und besitzt unter anderem ein Smart-Card-Unternehmen. Zugleich ist er Schauspieler und Filmemacher. Er ist Mitgründer des Theaters, an dem er auch selbst spielt, und schreibt außerdem Gedichte. Dies als Selbstverwirklichung einer finanziell abgesicherten Person zu beschreiben, greift zu kurz. Aus deutscher Sicht handelt es sich um eine ungewöhnliche Kombination von Berufen, was man an der Umkehrprobe sehen kann. Man stelle sich einen anerkannten Topmanager vor, der abends den Hamlet gibt oder als Zauberer unterwegs ist. Dieser müsste entweder genial (und damit eine Ausnahme) sein, oder eine der Sphären wäre als »Hobby« deklariert. In jedem Fall würden die verschiedenen Tätigkeiten im Bezug auf sein Image aufeinander abfärben. Diese spezifische Kombination von gleichermaßen anerkannten beruflichen Aktivitäten ist in der deutschsprachigen Welt daher ganz sicher keine Normalität – in dem ohnehin heterogenen indischen Kulturpatchwork dagegen schon. Kultur als kohäsive Zusammenhangskraft und als Kitt zu betrachten bedeutet, dass Differenzen innerhalb einer Kultur vorausgesetzt werden und einen gewissen Rahmen nicht sprengen. Das bisher verbreitete Kohärenzverständnis von Kultur ging hingegen davon aus, dass Kultur durch Anpassung und Integration wie eine Schablone wirkt und individuelle Differenzen integriert bzw. zur Anpassung drängt. Stefanie Rathje (2006) illustriert die verschiedenen Ansätze wie in Abbildung 3 dargestellt. Gemäß dem kohäsionsorientierten Kulturkonzept ist das Wesen von Kultur nicht Homogenität, sondern Heterogenität, wobei die erfahrbaren Differenzen allerdings im Rahmen von Normalitätserwartungen bekannt sind. Fremd ist uns der andere in dem Maße, wie das Differenzspektrum unbekannt ist oder die Kombinationen den Rahmen des Üblichen verlassen. Wenn Kultur als kohäsives Konstrukt gefasst wird, dann unterscheiden sich intra- und interkulturelle Kommunikation nicht grundsätzlich, sondern nur graduell. Dass Fremdheit nicht allein auf unterschiedliche National- oder Sprachkulturen zurückzuführen ist, zeigt das folgende Fallbeispiel. Fallbeispiel: Marion Tauber »Ich fühle mich wie im falschen Film« – Marion Tauber, eine attraktive Mitvierzigerin, saß in dieser Coachingsitzung zusammengesunken im Sessel. Bedrückt erzählte sie, dass die Hoffnungen, die sie in den neuen Job gesetzt hatte, sich nicht erfüllt hatten. Vom beruflichen Hintergrund her Hotelfachfrau und Betriebswirtin, war Marion Tauber in der Personalentwicklung eines großen IT-Unternehmens tätig gewesen, bevor sie als Direktorin in einer gemeinnützigen Akademie gearbei-
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Abbildung 3: Differenz zwischen kohärenz- und kohäsionsorientiertem Verständnis von Interkulturalität (Rathje, 2006, S. 16)
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tet hatte. Sie wollte ihrem Leben noch einmal eine Wende geben und hatte sich erfolgreich in einer Eventagentur beworben. Hier wollte sie ihre organisatorischen Fähigkeiten besser einsetzen. Doch jetzt ist sie verzweifelt. Ihre Chefin, auf die sie zuerst große Stücke gehalten hatte, kritisiere sie immer häufiger, zum Teil nur mit Blicken, und ihre deutlich jüngeren Kolleginnen und Kollegen würden sie aufziehen und ausgrenzen. Insbesondere die ihr zugeordnete Projektleiterin auf gleicher Ebene und »mit Girlie-Gehabe« verhalte sich ihr gegenüber arrogant. Frau Tauber schilderte resigniert ihre vergeblichen Versuche, Kontakte zu ihren meist weiblichen Kollegen zu knüpfen, und betonte, dass die etwas herbe Alltagssprache im Betrieb ihr nicht liege. Sie zögerte und nahm dann doch das Wort »Mobbing« in den Mund. »Die sind einfach alle so viel jünger und wir haben so gut wie nichts gemeinsam«, vermutete Frau Tauber als weitere Ursache für ihre Schwierigkeiten im neuen Berufsumfeld. Das war eine wichtige Spur: das Gefühl der Nichtzugehörigkeit und der Einsamkeit, der Zeitraum (etwa drei Monate nach dem Wechsel), der Eindruck, den Maßstäben nicht zu genügen (Deutung der Blicke der Chefin) und mit den eigenen Strategien nicht anzukommen, die extreme Hoffnungslosigkeit gepaart mit Resignationsgefühlen – und das bei einer Managerin, die zuvor eine ganze Akademie im Griff hatte … Frau Tauber zeigte – so die Vermutung – alle Anzeichen eines Kulturschocks, ausgelöst durch die Spielregeln einer völlig anderen Branche, Altersstruktur und Projektkultur. Als ihr diese Deutung als Hypothese angeboten wurde, merkte sie auf und bestätigte: »Da könnte etwas dran sein.« Die ihr angebotenen anderen Lesarten des von ihr geschilderten Verhaltens der Kollegen fand sie äußerst zutreffend. Daraufhin arbeiteten wir an ihren (enttäuschten) Erwartungen, (mutmaßlich projektiven Fehl-)Interpretationen, extrapolierten die Stärken, die sie in diese Kultur einbringen könnte, und erweiterten ihre Strategien für die Kontaktpflege mit den Kollegen.
Die Coachingpartnerin im Fallbeispiel machte eine Fremdheitserfahrung, die sie nicht als kulturell identifizierte, sondern zunächst personalisierte. Derlei Interpretationen sind keine Ausnahme im Coaching. Doch selbst wenn man die sozialpsychologischen Korrespondenzverzerrungen berücksichtigt, wie den fundamentalen Attributionsfehler (Überschätzung von Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften: »arrogant«) und den ultimativen Attributionsfehler (Erklärung des Verhaltens damit, dass der Handelnde Mitglied einer sozialen Gruppe ist: »viel jünger«), bleiben noch viele unerklärte Momente in ihrem Erleben. Sie lösen sich erst auf, wenn die Differenzerfahrung als das benannt wird, was sie vermutlich ist: die Erfahrung einer anderen Normalität in diesem Lebensstil und seiner spezifischen Subkultur. Was zur Lösung des Problems dieser Klientin zu tun ist – zunächst im Coaching und dann von der Klientin in ihrem beruflichen Umfeld –, verweist auf
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Rathjes Definition von »interkultureller Kompetenz«, die sich vom kohäsionsorientierten Kulturkonzept ableitet. Interkulturelle Kompetenz kann demnach »als die Fähigkeit betrachtet werden, die in interkultureller Interaktion zunächst fehlende Normalität zu stiften und damit Kohäsion zu erzeugen. Nach dieser Vorstellung führt interkulturelle Kompetenz dazu, dass aus unbekannten Differenzen bekannte werden« (Rathje, 2006, S. 17). Vice versa ist der Fall eines IT-Managers kritisch zu prüfen, der die seiner Ansicht nach »interkulturellen Schwierigkeiten« am Arbeitsplatz beschreibt. Die koreanische Firma, für die er arbeitet, hat nach seiner Auffassung undurchsichtige Schattenmanager, sein spanischer Chef sei unberechenbar und dessen US-amerikanischer Vorgesetzter glänze durch Abwesenheit. Im Coaching stellte sich jedoch heraus, dass die kulturellen Einflussfaktoren im Rahmen seines Anliegens keinerlei Rolle spielten. Hintergrund seiner Probleme war vielmehr ein allgemeines Problem mit Autoritäten aller Art, die möglicherweise unterschiedlichen kulturellen Führungsstile waren demgegenüber ein nachgeordnetes Thema. Das Medium, in dem eine Transformation von Deutungs- und Handlungsmustern bewirkt wird, ist die Kommunikation. Sie kommt daher als ein weiterer Grundbegriff für kulturreflexives Coaching in den Blick. Leseempfehlungen Bronfen, E., Marius, B. (1997). Hybride Kulturen. Einleitung zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. In E. Bronfen, B. Marius, B., Th. Steffen (Hrsg.), Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte (S. 1–30). Tübingen: Stauffenburg. Der von Elisabeth Bronfen, Professorin für Englische und Amerikanische Literatur, und ihrem Assistenten verfasste Einleitungsaufsatz gibt einen Überblick über das dekonstruierende, hybride Kulturverständnis und die kultur- und machtkritischen Begriffe der Postcolonial Studies. Dieser Blick hilft, der Naivität zu entgehen, ausschließlich von »Kulturdifferenzen« auszugehen und zu sprechen. Straub, J. (2007). Kultur. In J. Straub, A. Weidemann (Hrsg.), Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz: Grundbegriffe – Theorien – Anwendungsfelder (S. 7–24). Stuttgart: Metzler. Der wissenschaftliche Handbuchartikel führt nach einer begriffsgeschichtlichen Einleitung den Kulturbegriff handlungstheoretisch ein und macht ihn für viele Disziplinen anschlussfähig. Jürgen Straub, Professor für Interkulturelle Kommunikation an der TU Chemnitz, geht davon aus, dass Kulturen eher variantenreich als homogen sind und kulturelle Zugehörigkeiten plural gedacht werden müssen. Welsch, W. (1999). Transculturality – the puzzling form of cultures today. In M. Featherstone, S. Lash (Hrsg.), Spaces of culture: city, nation, world (S. 194–213). London: Sage. Der Jenaer Professor für Theoretische Philosophie definiert in diesem höchst anschaulichen, programmatischen kleinen Text, warum ein neuer Kulturbegriff nötig ist, um die Verfasstheit aktueller Gesellschaften zu beschreiben. Im Unterschied zu Vorstellun-
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gen, die mit den Begriffen »interkulturell« oder »multikulturell« verbunden sind, meint »transkulturell« einen pragmatischen Kulturbegriff, der den »Modus der Vielheit« in den Kulturbegriff selbst legt und nicht »zwischen« gedachte Einheiten.
3.1.2 Kommunikation als »creating culture together« Kultur als soziale Praxis und Resultat alltäglicher Interaktionsprozesse zu fassen, hat weitreichende Konsequenzen für das damit verbundene Kommunikationskonzept. Ausgehend von der Annahme, dass kein kognitiver Konsens gegeben ist und aus dem Kollektiv auch keine absolut verbindlichen Verhaltensregeln in Form von Kulturstandards folgen, darf man sich die sinnhafte soziale Ordnung nicht als gegebenen Fundus verschiedener Objekte vorstellen, sondern als etwas, das von den Handelnden fortwährend neu zu konstruieren ist. Bedeutungen werden demnach in ihrer situativen Ausführung interaktiv erzeugt. Geertz (1987, S. 9) fand dafür die einflussreiche Metapher des »selbstgesponnenen Bedeutungsgewebes«. Diese Grundannahme ist eine Herausforderung für die klassischen Kommunikationsmodelle, denn sie besagt, dass in der Kommunikation keine »Nachrichten« oder »Zeichen« ausgetauscht werden, in denen der Sinn zu suchen wäre, sondern dass man sich den Prozess der Kommunikation selbst als Sinnproduktion vorstellen muss. Dieser Zusammenhang von Kultur und Kommunikation sowie das dafür erforderliche Konzept von Kommunikation sollen nun anhand einiger Kernaussagen mit Beispielen erläutert werden. 1. Kommunikation bzw. Verstehen und Verständigung sind möglich, weil wir die Welt sinnhaft ordnen und in kommunikativen Verfahren systematisch strukturieren. Es war das Verdienst Harold Garfinkels (1967), gezeigt zu haben, dass soziale Tatsachen und damit auch kulturelle Wertesysteme, die uns als vorgegeben erscheinen, im kommunikativen Handlungsvollzug der Mitglieder einer Gesellschaft mittels Ethno-Methoden erst erzeugt werden. Unter Ethno-Methoden versteht Garfinkel ein Reservoir an kollektiven, von den Mitgliedern der Kommunikationsgemeinschaft praktizierten und teilweise bewussten Mustern. Ein einfaches Beispiel für eine solche Interaktionsregel findet sich in der alltäglichen Aktivität des Grüßens: Einem Gruß folgt ein Gegengruß. Doch nicht immer sind die kommunikativen Praktiken von so hoher Erwartbarkeit wie beim Grüßen, wo das Ausbleiben des Gegengrußes erklärungsbedürftig wäre. Es gibt auch schwächere, nur relativ erwartbare Gleichförmigkeiten, indem etwa auf eine Frage üblicherweise eine Antwort zu folgen hat. Man sieht an diesem Beispiel, dass das, was uns sinnhaft erscheint und Beziehung stiftet, weder in der Frage noch in der Antwort allein liegt, sondern im erwartbaren Aufeinanderfolgen dieser Sprechhandlungen.
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Das genau ist mit sozialer Regelhaftigkeit in der Kommunikation gemeint. Ähnlich der musikalischen Harmonielehre, bei der auf der Basis fester Regeln unendliche Variationen von Musikstücken komponiert werden können, die jeweils bestimmten Formen (Sonate, Symphonie, Fuge) folgen, weisen auch unsere Gespräche eine methodisch erzeugte Ordnung auf. Realität und Sinn sind diesem Ansatz zufolge nicht etwas ein für allemal Gegebenes, sondern beides wird erst im Vollzug des Handelns immer wieder als für uns sinnvolle Wirklichkeit »neu« hergestellt, ebenso wie sich die musikalische Form der Fuge erst in einem komponierten Stück ausdrückt. Und, um im Vergleich zu bleiben, diejenigen, welche die Fuge erzeugen, müssen die Form der Fuge nicht bewusst kennen. Es ist für sie implizites Praxiswissen, so wie Sprecher einer Muttersprache grammatisch korrekt sprechen können, ohne notwendig die zugrundeliegenden Grammatikregeln benennen zu können. Die methodische Geordnetheit durch Regeln und kreative interaktive Vielfalt beim Sprechen schließen sich nicht aus, sie bedingen einander. 2. Wir greifen beim Sprechen auf ein gemeinsames Repertoire von Regelmäßigkeiten der Kommunikationsgemeinschaft zurück. Bei den Verfahren der kommunikativen Konstruktion von Bedeutungen handelt es sich nicht um feste Zeichen oder definierte Symbole, sondern um interaktive Verfahren, mit der sich Sprechende aufeinander beziehen und daher verständigen können. Nehmen wir folgendes Beispiel aus dem Coachingalltag: Wenn ein Klient die Sitzung beginnt mit »Sie können sich nicht vorstellen, was mir diese Woche passiert ist …«, weiß man als Coach, der mit einer solchen Einleitung als kommunikativer Konvention vertraut ist, dass a) eine Geschichte folgen wird, b) diese mutmaßlich einen Erwartungsbruch beinhaltet, c) das Erlebnis für den Klienten mit einer Reihe von stärkeren Gefühlen verbunden ist, d) man als Coach eingeladen wurde, sich in die Position des anderen zu versetzen und e) der Klient nun eine Weile am Stück sprechen wird, um zu erzählen, was geschehen ist, usw. Diese Sinnbezüge sind unabhängig von der subjektiven Intention des Klienten. Jeder, der diese konventionalisierte Einleitung zu einer Geschichte verwendet, sichert sich das Rederecht, die gespannte Aufmerksamkeit und empathische Verbundenheit seines Gesprächspartners, oder versucht es zumindest. So unterschiedlich die Lebenswelten und Deutungsmuster der Sprechenden auch sein mögen, solange sie auf diesen gemeinsamen »kommunikativen Haushalt«
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(Luckmann, 1986) zurückgreifen und ihre Rede anderen im Vollzug verständlich machen, werden die Fremdheits- und Differenzerfahrungen minimiert und kann Kommunikation gelingen. 3. Die Verfahren der Verständnissicherung in der Kommunikation sind kulturspezifisch unterscheidbar. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, setzen sie dabei sowohl in der Rolle des Sprechers als auch in der des Zuhörers verschiedene kommunikative Verfahren ein, um wechselseitiges Verstehen zu sichern. Diese Verfahren sind an das kollektive Gedächtnis und die alltägliche Praxis einer Sprechgemeinschaft, also an Kultur(en) gebunden und darin aufgehoben. Bewusst nehmen wir im Folgenden ein quasi inhaltsfreies Beispiel. Man kann die Kulturspezifik der sozialen Geordnetheit im Gespräch unter anderem am Beispiel von Rückmeldesignalen wie »hm, hm« oder »ja« sehen, die beim Zuhören produziert werden. Sie werden keineswegs individuell oder zufällig geäußert. Wann wir wem gegenüber wie viele Zuhörersignale geben und welche Form diese Zuhörersignale annehmen, folgt beschreibbaren Regeln. Hier geht es speziell um Timing und Platzierung in der Sprechsequenz, in der die Bedeutung entsteht. In der deutschen und englischen Sprache signalisieren wir beispielsweise bei der Einführung eines neuen Themas als Zuhörer durch Hörersignale an den Äußerungs-Rändern des Sprecherbeitrags, also zum Beispiel zu Beginn und am Ende des Themas, dass wir das Thema erkannt haben, ihm folgen können und keine weiteren Informationen benötigen. Ein Zustimmungssignal auf eine Mitteilung wie »Ich habe Patrick den Bericht gegeben« bedeutet in diesen Sprachgemeinschaften in der Regel, dass mein Gesprächspartner weiß, wer Patrick ist, und auch darüber im Bilde ist, um welchen Bericht es sich handelt. Bleibt das Zuhörersignal aus, so werde ich höchstwahrscheinlich aufmerken und annehmen, dass dem Gegenüber zum Beispiel Informationen fehlen oder er aus anderen Gründen nicht folgen kann. Fehlt also ein Zuhörersignal an einer Stelle, an der eigentlich eines zu erwarten wäre, so ist das für die Sprechenden ein bemerkenswertes Indiz. Vermutlich wäre in diesem Falle der Sprecher geneigt nachzufragen (»Weißt du, welchen Bericht ich meine?) oder zu erläutern (»Weißt du, Patrick ist der, mit dem ich …«). In der japanischen Sprache hingegen demonstrieren Zuhörersignale, die dort viel zahlreicher sind und nicht nur an den »Äußerungsrändern« produziert werden, etwas völlig anderes. Sie geben japanischen Sprechenden keinen Aufschluss darüber, inwieweit die thematische Entwicklung wahrgenommen und verstanden worden ist und ob ihr zugestimmt wird. Vielmehr stehen sie einzig für Kooperativität und harmonische Beziehungsgestaltung (Yamada, 1992). Da diese Praktiken und Konventionen der japanischen Kommunikationsgemeinschaft auch teilweise in die Fremdsprache übernommen werden, ist dieser interkulturelle Unterschied eine
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typische Quelle von interkulturellen Missverständnissen – unabhängig von der Sprache, in der das Gespräch stattfindet. 4. Die Verbindung zum kulturellen Referenzhorizont entsteht über Kontextverweise, mit denen wir Bezug auf die Interpretationsressourcen und das gemeinsame Wissensreservoir nehmen. Wenn wir also intra- oder interkulturell miteinander sprechen, nutzen wir in die alltägliche Sprachpraxis eingelassene Interpretationsressourcen wie die bereits beschriebenen, um das wechselseitige Verstehen zu ermöglichen. Zur Deutung der Kommunikationsintentionen unserer Gesprächspartner müssen wir teilweise auf subtile sprachliche und sprachbegleitende Phänomene als Interpretationsressource zurückgreifen, für die Gumperz (1982) den Begriff »Kontextualisierungskonventionen« prägte. Der vor allem in der interkulturellen Kommunikation prominente Ansatz bezeichnet damit konventionalisierte Mikroverfahren wie Sprechrhythmus und Intonation, welche den Kommunikationsbeteiligten Hinweise darauf geben, wie die Äußerung zu interpretieren ist. So macht ein Ansteigen der Intonationskurve am Ende eines Satzes diesen für deutsche Sprecher beispielsweise zur Frage, drückt Höflichkeit oder Unsicherheit aus. Ein am Satzende sinkender Tonfall, wie er für Sprecher mit asiatischpakistanischem Englisch typisch ist, wird daher von Europäern häufig als grob und unhöflich wahrgenommen, da keine geteilte Interpretationsressource verfügbar ist. Es ist vor allem das »Beiwerk«, die Art und Platzierung von Bedeutungselementen in der Sequenz, die unscheinbaren, den Text paraverbal begleitenden »Signale« in der Kommunikation, die uns Sinnverweise geben, wie wir eine Äußerung zu verstehen haben. In der Kommunikation berücksichtigen wir die Situation und den Kontext der Interaktion, antizipieren das Vorwissen, den Erwartungs- und Erfahrungshorizont unserer Gesprächspartner und konstruieren daran orientiert unsere Äußerungen. Der Prozess- und Verkettungsgedanke bei der Vollzugswirklichkeit von Kultur beinhaltet einen weiteren wichtigen Aspekt, den Äußerungszuschnitt. Wir orientieren uns bei der Gestaltung unserer Äußerungen am spezifischen Gegenüber, indem wir dessen Erwartungshorizont antizipieren. So ist beispielsweise an der Formulierung »das hast du aber fein gemacht« unmittelbar erkennbar, dass mutmaßlich eine erwachsene Person zu einem (kleinen) Kind spricht. Hier ist der Äußerungszuschnitt vor allem aus der Wortwahl ersichtlich. Die Leser mögen sich prüfen, welche Intonationskurve sie beim Lesen »hören«, vermutlich spiegelt diese Intonation die im vorigen Absatz bereits angesprochenen Kontextualisierungskonventionen wieder, anhand derer die Äußerung zum Beispiel als emphatisches Lob gegenüber einem Kind erkennbar wird. Man kann an Videoaufzeichnungen von Gesprächen prägnant sehen, wie sich eine Äußerung – sogar innerhalb eines einzigen Satzes – im Zuschnitt verän-
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dert, ja die Geschichte geradezu neu konstruiert wird, wenn sich die Beteiligtenstruktur ändert. Eine von Goodwin (1979) analysierte Gesprächssequenz liefert hierfür ein Beispiel: Ein Mann teilt während eines Abendessens den eingeladenen Freunden mit, dass er aufgehört habe zu rauchen. Während der Produktion des Satzes verliert er jedoch den Blickkontakt zu den Freunden (für die diese Mitteilung neu ist), wohingegen seine Frau (die bereits von der Aufgabe des Rauchens weiß) ihn weiter anschaut. Dies führt dazu, dass der Mann seine Äußerung noch während des Sprechens gewissermaßen »umstrickt« und an das geänderte Publikum anpasst: Er beginnt mit »Ich habe aufgehört zu rauchen« (dieser Äußerungsteil gilt den Freunden), und ergänzt dann, nachdem er die Freunde als Rezipienten verloren hat, »seit einer Woche jetzt« (diesen Äußerungsteil spricht er zu seiner Frau). Damit erweitert er die seiner Frau schon bekannte Information um eine zeitliche Präzisierung, die ihr gegenüber berichtenswert ist. Mit ihren Äußerungen adressieren die Sprechenden also stets spezifische Rollen und unterstellen Identitäten (vgl. dazu → Kapitel 3.1.3, Von der Identität zu den Identitäten). Kulturen als sinnhafte soziale Bedeutungsnetze sind demzufolge keine kognitive Software (vgl. dazu z. B. Hofstedes Kulturbegriff als mentales Programm, 1997, S. 2 ff.), sondern sie bestehen in einer kommunikativen Praxis und sind Resultat alltäglicher Interpretationsprozesse. Die fünf genannten Aspekte – erstens eine systematische soziale Geordnetheit, zweitens ein gemeinsames, an die Praxis eines Sprachkollektivs gebundenes und daher drittens kulturspezifisches konventionalisiertes Repertoire, viertens der Kontextbezug und fünftens der Äußerungszuschnitt – müssen in einem Kommunikationsmodell zusammengefasst abgebildet werden, um dem zugrunde gelegten transkulturellen Kulturbegriff gerecht zu werden. Die herkömmlichen Kommunikationskonzepte klassischen Zuschnitts helfen bei diesem Anspruch wenig weiter. Das prominenteste dieser Konzepte ist das auf die beiden Mathematiker Shannon und Weaver (1949) zurückgehende Sender-Empfänger-Modell (zit. nach Krallmann u. Ziemann, 2001, S. 21 ff.). Es besteht aus folgender Kette von Elementen: Ein Sender verschlüsselt eine Nachricht und sendet Signale auf einem Kanal zu einem Empfänger, der diese entschlüsselt. Ziel der Überlegungen war ursprünglich, ein technisches Problem zu lösen und die Durchlaufmenge von Informationen bei begrenzter Kanalkapazität beim Telegrafieren zu erhöhen. Bei der Übertragung auf menschliche Kommunikation offenbaren sich die Schwächen dieser Kommunikationsmetapher. Weder verläuft Kommunikation nur in eine Richtung noch hat eine »Nachricht« an und für sich eine Bedeutung. Weder sind die Situation und die Beziehung der Kommunikationspartner berücksichtigt noch gibt es Aussagen darüber, wie unterschiedlich Sinn und Bedeutung konstruiert werden können. Kommunikation erscheint als kontextfrei möglich, und Verstehen bedeutet für das nachrichtentheoretische Modell »Decodieren«. Tatsächlich ist
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es jedoch in hohem Maße performanz- und kontextabhängig, ob beispielsweise die Äußerung »Flasche« ein Schimpfwort darstellt, eine Bierflasche beschreibt oder während einer Operation eine Infusion anfordert. Trotz der bekannten Schwächen hält sich die Telegraphen-Metapher hartnäckig in Literatur, Weiterbildungen und Praxis. Auch Schulz von Thuns (Kumbier u. Schulz von Thun, 2006) auf interkulturelle Kommunikation übertragenes Erfolgsmodell der »Vier Seiten einer Nachricht« basiert auf dem Sender-Empfänger-Modell und wird in Methodenbüchern zur interkulturellen Kompetenzentwicklung immer wieder aufgegriffen (vgl. z. B. Kumbruck u. Derboven, 2005, S. 67 ff.). Die »Nachricht« wird intra- wie interkulturell in vier Bedeutungsdimensionen unterteilt: die Sachebene, die Selbstoffenbarung, den Beziehungsaspekt und die Intention. Diesem Modell zufolge lassen sich interkulturelle Missverständnisse dadurch erklären, dass Äußerungen schlichtweg falsch »entschlüsselt« bzw. auf die falsche Bedeutungsdimension bezogen werden. So wird etwa die Frage eines japanischen Mitarbeiters: »Sollen wir folgendermaßen vorgehen?«, aus der japanischen Perspektive des Sprechers als Beziehungsaussage getroffen, etwa in dem Sinne: »Ich arbeite gern mit Ihnen zusammen, ich respektiere Sie.« Auf der Seite seiner deutschen Kollegen kann sie dagegen verstanden werden als Selbstaussage in dem Sinne, dass sich der Sprecher unsicher fühlt oder nicht weiß, was zu tun ist (Rez, Kraemer u. Kobayashi-Weinsziehr, 2006, S. 55). Entscheidend für die Interpretation solcher Äußerungen sind der Tonfall, die Personenkonstellation, die Situation und die Dekodierungsregel. Die interkulturelle Komponente der Fehldeutung macht sich dann etwa an kulturell unterschiedlichen Gewichtungen der vier Bedeutungsdimensionen fest: Werden Aussagen tendenziell eher mit Bezug auf den anderen bzw. die gemeinsame Beziehung gemacht (japanische Erwartungshaltung) oder steht der Ausdruck eigener Haltungen, Eindrücke, Befindlichkeiten etc. im Vordergrund (deutsche Erwartungshaltung)? So verführerisch einfach – gerade für die interkulturelle Kommunikation – Schulz von Thuns Sender-Empfänger-Modell erscheint, in der Komplexität der interkulturellen Praxis kommt es schnell an seine Grenzen. Selbst einfache Worte wie »amigo«, »friend«, »Freund« sind eben keine Vokabeln mit fester Bedeutung, sondern Handlungskonzepte, in denen subtil verschränkte Erwartungen stecken. Zusätzlich verweisen Kontextualisierungshinweise auf weitere Interpretationsmöglichkeiten. Interkulturelle Kommunikation als reines Problem sprachlicher Dekodierung abzubilden, greift dementsprechend zu kurz.
Kommunikation als Verständigungszirkel Die klassischen Kommunikationsmodelle mit ihrer Sender-Empfänger-Metapher erweisen sich also in der Coachingpraxis als wenig hilfreich. Für einen im interkulturellen Kontext arbeitenden Coach ist jedoch ein Kommunikationskonzept unerlässlich. Es gilt, den eigenen Kommunikationsprozess zu reflek-
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tieren, unter Umständen müssen Aspekte der sogenannten »interkulturellen Kommunikation« im Coaching thematisiert werden oder es ist erforderlich, Erwartungsbrüche aller Art präzise im Dialog rekonstruieren zu können. Für den Coach ist wichtig, einerseits Klarheit über das eigene Kommunikationsverständnis und dessen Implikationen für Coachingprozesse zu haben und andererseits ein Modell skizzieren zu können, das auch dem Coachingpartner helfen kann, sich Situationen zu erschließen. Ein in seinem Wirklichkeitsbezug hinreichend variables, zugleich aber in seiner Darstellung einfaches und anschlussfähiges Modell postuliert als Kernelement jedes Kommunikationsprozesses einen sogenannten »Zirkel wechselseitig abgestimmter Erwartungen«. Anhand dieses Modells wird es möglich, die genannten Charakteristika von Kultur als kommunikative Vollzugswirklichkeit zu beschreiben und zu entschlüsseln (Abbildung 4).
Abbildung 4: Erwartungszirkel (modifiziert nach Johann, Michely u. Springer, 1998, S. 120; Orig.: Eikmann, 1979)
Dieses Kommunikationsmodell zeigt etwas schematisiert, wie wir uns verständigen, basierend auf der Grundannahme, dass wir den Zirkel abgestimmter Erwartungen in jeglicher kommunikativen Handlung durchlaufen. Nehmen wir als Beispiel, dass man einem Kollegen zuwinkt, den man auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdeckt hat, und dieser winkt zurück. In diesem
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unkomplizierten Fall nehme ich eine Person wahr, die ich als mir bekannten Kollegen interpretiere, verspüre ein Gefühl der Freude und winke ihr zu (oberer Teil des Kreislaufs). Diese Person nimmt mich und mein Winken ebenfalls wahr und interpretiert: »Das ist XY« – alltagssprachlich würden wir beide Dimensionen zusammenziehen und sagen, sie »erkennt« mich. Das Ereignis ruft auch in der anderen Person Gefühle hervor, von denen sie Teile nach außen signalisiert, beispielsweise indem sie lächelt und zurückwinkt. Am Beispiel dieser kurzen nonverbalen Kommunikation kann man soziale Geregeltheit noch einmal durchspielen. Beim Winken kann man folgende Probe aufs Exempel machen und einem völlig unbekannten Fußgänger zum Beispiel an einer Ampel aus dem Auto heraus freudestrahlend zuwinken. Die Person schaut, stutzt, denn sie kennt einen ja nicht, während sich der Handlungsdruck erhöht. In der Regel wird die Person zurückwinken und damit der sozialen Erwartung »ein Gruß wird erwidert« folgen. Erkennungswinken ist ein sozial verbindlicher Prozess, eine »Kommunikationskette«. Wir orientieren uns im sozialen Handeln daran, auch wenn die einzelnen Glieder nicht nahtlos ineinander aufgehen. Der unbekannte Fußgänger winkt, obwohl er einen nicht kennt und vermutlich gemischte Gefühle hat. Doch die sozialen Kosten des fehlenden Gegengrußes werden die meisten scheuen. Wir halten an der sozial abgestimmten Erwartungsstruktur fest: Wenn mir jemand winkt (und ich die Form des Winkens erkenne), werde ich ihn vermutlich kennen und es gehört sich, zurückzuwinken. Auch die Aspekte Kontextualisierung und Äußerungszuschnitt sind erkennbar: Winken kann je nachdem unterschiedliche Gestaltung haben. Wir sind mühelos in der Lage, das Winken des Papstes oder der Queen von einem Kinderwinken, das die Mutter verabschiedet, zu unterscheiden. Solange wir die Gesten im gemeinsamen Deutungsreservoir kontextualisieren können, sind sie für uns interpretierbar. Das Kommunikationsmodell des Erwartungszirkels bietet in zweierlei Hinsicht interessante Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit (inter)kulturellen Dimensionen des Coaching. Zum einen kann es als analytisches Instrument für die Förderung kulturreflexiver Kompetenzen eingesetzt werden. Zum anderen lässt sich auf der Basis dieses Modells verständlich machen, wie im Prozess des Miteinander-Kommunizierens Fremdheit und Differenz reduziert werden und Kultur als ein die Interagierenden verbindendes (Be-)Deutungsgewebe hervorgebracht wird.
Förderung der sogenannten interkulturellen Kompetenz Kehren wir nochmals zurück zum Beispiel der beiden Kollegen, die sich auf der Straße gegenseitig zuwinken. Anhand des vorgestellten Kommunikationsmodells lässt sich der in dieser Szene ablaufende Kommunikationsfluss in verschiedene Elemente zerlegen: Erwartungen, Wahrnehmungen, Interpretationen, Gefühle und schließlich das beobachtbare Verhalten der beteiligten
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Akteure. Trennen wir das wahrgenommene Verhalten zunächst von seiner (Be-) Deutung, so dürfen wir genau genommen hier nicht von »Winken« sprechen, denn was wir tatsächlich »sehen«, ist, dass jemand seinen Arm hebt und ihn mit geöffneter Hand von links nach rechts schwenkt – ein Bewegungsablauf, den man als Winken interpretieren könnte. Im nächsten Schritt wäre die Geste des Winkens nun auf ihre kontext- und damit kulturspezifischen Ausdrucksformen und Interpretationen abzuklopfen, denn nicht überall wird gleich gewunken bzw. eine bestimmte Form des Winkens gleich interpretiert. Das Bild des Erwartungszirkels ermöglicht es also, Beobachtungen zunächst ohne soziale Interpretationskonventionen zu erfassen und dann anhand von Wissensbeständen diverser kultureller Gemeinschaften verschiedene mögliche Interpretationen heranzuziehen. Wenn wir die kulturspezifischen Konventionen kennen, die Arten, wie in Japan oder Ägypten gewunken wird, können wir diese Bedeutung der Handlung auch »erkennen« und deuten; wenn wir hingegen diese Konventionen nicht kennen, sehen wir nur eine Bewegung, deren soziale Bedeutung sich uns nicht erschließt. Vom kognitiven Verstehen lässt sich wiederum die emotionale Reaktion trennen: Möglicherweise kennen und erkennen wir zwar die Geste (oder erhalten eine Information zu ihrer Bedeutung), erleben sie gefühlsmäßig aber als »abwertend«, weil sie (für uns) Kontextualisierungshinweise enthält, die bestimmte Gefühle nahe legen (etwa die Interpretation als herablassendes Winken). Als letztes Element des Kommunikationsflusses können wir schließlich die Handlungsreaktion in den Blick nehmen, das heißt die Frage, welche Optionen es für Verhalten oder Handeln, also die Reaktion auf das wahrgenommene Verhalten und Handeln des anderen gibt. Bereits dieses einfache Beispiel macht deutlich, wie sich mit Hilfe dieses Kommunikationskonzepts das Verständnis für die besonderen Herausforderungen der interkulturellen Kompetenz fördern lässt, indem die soziale Erwartungsspirale zerlegt wird. Allerdings vernachlässigt die Zirkel-Metapher den Entwicklungsaspekt: Gespräche bzw. Interaktionen – und die darin prozessierten sozialen Erwartungen der Beteiligten – drehen sich nicht im Kreis, sondern sie bewegen sich weiter, machen im dialogischen Verständigungsprozess, im Wechselspiel von Deutungsangeboten, Interpretationshilfen, Reformulierungen, Ergänzungen und Präzisierungen, Bestätigungen und Korrekturen, Reparaturen von Fehl- und Missverständnissen usw. eine Entwicklung durch. Im Verlauf eines Gesprächs verändert jede Äußerung (bzw. jede Wahrnehmung, Interpretation, jedes Gefühl und jede Reaktion) den Kontext und den Erwartungshorizont der Beteiligten. Das gilt in besonderem Maße für interkulturelle Kommunikationssituationen, in denen die Interagierenden wenig voneinander wissen und die Erwartungen unsicher sind. Den gerade auch für interkulturelle Kommunikation besonders bedeutsamen Entwicklungsaspekt können wir mit erfassen, indem wir das Modell des Erwartungszirkels zur Verständigungsspirale erweitern.
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Kommunikation als Verständigungsspirale: Das Gestalten einer gemeinsamen Kultur Nach dem hier zugrunde gelegten Kommunikationsverständnis sind Bedeutungen weder als starre Zuordnungen und Normen in Zeichensystemen festgelegt noch handelt es sich dabei um mentale Zustände von Personen, die auf das individuelle Bewusstsein beschränkt sind; vielmehr werden Sinn und Bedeutungen in einer Gesellschaft (bzw. einer Kultur, Gemeinschaft, Gruppe etc.) von sich miteinander verständigenden Akteuren immer wieder aufs Neue interaktiv und gemeinsam hervorgebracht. Auch wenn das Bild der Spirale (Abbildung 5) und die Annahme, dass kommunikatives Handeln und Erwartungen maßgeblich durch den Faktor der sozialen Erwünschtheit geprägt sind, eine lückenlose Kommunikationskette suggerieren, können die Beteiligten den Prozess an jedem der vier Kettenglieder – Wahrnehmen, Interpretieren, Gefühle und Reaktionen – anhalten und neue Deutungselemente einführen bzw. einfordern. Kultur bewusst (!) gemeinsam zu gestalten bedeutet, dass sich die Wahrnehmungsfähigkeit erhöht, die Deutungskompetenz wächst, das Gefühlsleben sich ausdifferenziert und dass das Handlungsrepertoire erweitert wird. Dies ist möglich, weil die eigene Wahrnehmung reflektiert wird, mögliche Interpretationen gesucht und im Gespräch überprüft werden, weil Emotionen umorganisiert werden können und das Handlungsspektrum variiert werden kann. Die Erweiterung des Zirkels illustriert, wie sich der Handlungsraum verändert, wenn gelernt wird und eine Reflexion der Voraussetzungen von Kommunikation stattfindet.
Abbildung 5: Interkulturelle Verständigungsspirale (eigene Darstellung)
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Dieser Erweiterungsvorgang lässt sich am Beispiel einer Paarkommunikation illustrieren. Paare haben häufig »Codewörter«, die nur sie verstehen, da diese auf geteilte Erfahrungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit, das heißt auf ihre gemeinsame Geschichte Bezug nehmen. Beim Nennen des Wortes erinnern sie sich an die betreffende Situation und die damit assoziierten Gefühle, sie zitieren diese Erfahrung implizit mit. Wenn man nun als Außenstehender diese gleichsam private Bedeutungsdimension des Wortes nicht kennt, sind bestimmte Reaktionen der »Eingeweihten«, etwa ihr Lachen bei der Erinnerung an die lustige Entstehungssituation dieser besonderen Bedeutung, kaum zu dechiffrieren. Ist man auf diese Weise von bestimmten Bedeutungsebenen der Interaktion ausgeschlossen, kann dies durchaus zu Irritation bis hin zu aggressiven Reaktionen führen. Vielleicht gibt es sogar ein Missverständnis, etwa in Form einer Projektion: »Sie machen sich über mich lustig.« Wird man schließlich eingeweiht, so hatte man zwar nach wie vor nicht an der Entstehungssituation teil, kann aber den gemeinsamen Code verwenden, Anspielungen machen und versteht die darin enthaltenen Emotionen. Wird dieses Phänomen der Verwendung exklusiver Bedeutungsassoziationen zwischen »Insidern« reflektiert, kann man sich beispielsweise überlegen, welche Wirkungen, Vorteile und Kosten sie hat, ob und wie sie andere ausschließt usw. Umgekehrt deutet sich in diesem Beispiel an, wie das bewusste Kreieren und unbewusste Ermöglichen einer gemeinsamen Kultur zwischen den Interagierenden ein Zugehörigkeitsgefühl stiftet und aus Fremden Vertraute macht, indem durch geteilte Bedeutungskonstruktionen Gemeinsamkeiten geschaffen werden. Fallbeispiel: Mikael Lewandowski Mein Coachingpartner und ich lachten, weil wir eine Gemeinsamkeit gefunden hatten. Herr Lewandowski gehört wie ich (Kirsten Nazarkiewicz) zur dritten Generation von Migranten in Deutschland und spricht ebenfalls kein Wort Polnisch. Er hat seinen drei Kindern allerdings polnische Vornamen gegeben, um an die Familientradition anzuschließen. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist ein wichtiger Aspekt in jedem Kontakt, vor allem aber, wenn Differenzen zu integrieren sind. Der Leiter der Controlling-Abteilung einer internationalen Holdinggesellschaft war Anfang dreißig und deutscher Muttersprachler, aber wir sprachen Englisch miteinander. Er wollte im Coaching seine Sprachkompetenzen auffrischen, das einjährige Auslandsstudium in den USA lag über zehn Jahre zurück und sein Englisch war entsprechend eingerostet. Da er zunehmend Präsentationen auf Englisch vorbereiten musste sowie häufig im nicht deutschsprachigen Ausland verhandelte und ohnehin seine interkulturelle Kompetenz zu erweitern beabsichtigte, wollte er seinen Führungsalltag im Coaching auf Englisch reflektieren. Meinem Hinweis, dass ich weder englische Muttersprachlerin noch Sprachtrainerin sei, begegnete er mit dem Argument, ich sei vertraut mit der höchst speziellen Firmenkultur der Holding, dem Ausbau von interkulturellen Kompetenzen, dem Aufbau von virtuel-
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len Teams und ich sei ihm zudem in der englischen Sprachkompetenz hinreichend voraus. Ebenso wie er stellte ich mich daraufhin der Herausforderung, das brachte uns auf Augenhöhe. Fortan war vieles Verhandlungssache: Welche Sprache ist dem Gegenstand angemessen (denn natürlich wechselten wir in einzelnen Sitzungen oder bei Dialoginszenierungen ins Deutsche), auf welche Führungsidentität(en) beruft sich der Coachingpartner? Was assoziieren wir mit bestimmten Begriffen und welche nehmen wir überhaupt? Schon in der ersten Sitzung schlugen wir gemeinsam Vokabeln im Übersetzungscomputer nach. Da wir für seinen bevorzugten Führungsstil keinen passenden Ausdruck finden konnten, definierten wir diesen einfach selbst, und fortan wussten (nur) wir beide, was gemeint war, wenn wir diesen Ausdruck verwendeten.
In diesem Fallbeispiel entscheiden sich die Coachingpartner dafür, in einen tendenziell fremden Sinnhorizont hinüberzuwechseln, indem sie das Coaching nicht in ihrer gemeinsamen Muttersprache, sondern in Englisch als Lingua franca durchführen. Da Englisch für beide eine erlernte Fremdsprache ist, können viele Kontextualisierungshinweise nicht unmittelbar assoziiert werden und manche Deutungsoptionen bleiben auf der Strecke. Dies ist besonders dann erfahrbar, wenn man wieder in die Muttersprache wechselt, in der ganz andere Assoziationsketten aufscheinen und sich umfänglichere Deutungsdimensionen erschließen. Doch die scheinbare »Armut« hat auch ihren Vorteil: Beide Gesprächspartner begeben sich auf die Suche nach anderen und neuen Verständigungsmöglichkeiten und erschaffen sich eigene gemeinsame Symbole und Bezüge. Leseempfehlungen Hausendorf, H. (2007). Gesprächs-/Konversationsanalyse. In J. Straub, A. Weidemann (Hrsg.) (2007), Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz: Grundbegriffe – Theorien – Anwendungsfelder (S. 403–415). Stuttgart: Metzler. Der kleine methodische Aufsatz führt mit Beispielen aus Alltagsgesprächen in den Gedanken ein, dass Kultur und Zugehörigkeiten in der Kommunikation hervorgebracht werden. Er geht dabei speziell auf interkulturelle Kommunikation, die Wahrnehmung und Kommunikation von Zugehörigkeiten und kulturelle Differenzen ein. Nothdurft, W. (2007). Kommunikation. In J. Straub, A. Weidemann (Hrsg.) (2007), Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz: Grundbegriffe – Theorien – Anwendungsfelder (S. 23–35). Stuttgart: Metzler. Der Autor unternimmt in diesem metatheoretischen Aufsatz einen Streifzug durch verschiedene Bilder und Metaphern für Kommunikation und nimmt dabei das Thema auch aus asiatischer Perspektive in den Blick. Er plädiert für einen erweiterten Kommunikationsbegriff, der die Beteiligungsweisen und die Identitätskonstitution der Kommunika-
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tionspartner berücksichtigt. Er kommt zu dem Schluss, dass die »Phrase« interkulturelle Kommunikation ungerechtfertigt ist, da sie suggeriert, dass man es mit einem Sonderfall von Kommunikation zu tun habe, was nicht der Fall ist.
3.1.3 Von der Identität zu den Identitäten Im Coaching ist der Blick auf die Einzelperson gerichtet, ihre individuelle Biografie, ihre persönlichen Wertevorstellungen, Arbeitsweisen, Vorlieben und Lebensvorstellungen. Daher benötigen Coachs mindestens ein explizites, reflektiertes Menschenbild, besser noch eine ausgearbeitete Konzeption der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung in der globalisierten Arbeitswelt, einschließlich der darin einbegriffenen theoretischen Grundlagen. Hierzu gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Referenztheorien, unter anderem den individualpsychologischen, systemtheoretischen, psychoanalytischen, transaktionsanalytischen und humanistischen Ansatz. Diese Theorien werden weltweit eingesetzt, und im Gegenzug werden sie auch zunehmend interkulturell reflektiert. Aus der Perspektive des kulturreflexiven Coachings stellt sich hier insbesondere die Frage, wie man die »soziale Seite« der Person erfasst, welche in fast allen Konzepten analytisch von der »personalen Seite« getrennt wird. Das, was sich allen lebensgeschichtlichen Entwicklungen und Umbrüchen zum Trotz dauerhaft als Besonderheit und als gleichbleibendes »Wesen« des Individuums beschreiben lässt, nennt man üblicherweise Identität. Jene Dimensionen der Persönlichkeit, die sich als soziale Seite der Identität beschreiben lassen, werden im Coaching häufig zum Thema: An diese soziale Seite der Identität richten sich bestimmte Schlüsselanforderungen der Arbeitswelt, hier sind wir abhängig von der Anerkennung der anderen, und ausgehend von einer holistischen Vorstellung unserer Persönlichkeit geraten wir daher gegebenenfalls in Konflikt mit unterschiedlichen Lebenswelten und eigenen Impulsen. Daher möchten wir an dieser Stelle Identität als Metakonzept erläutern, sodass sie praktisch wie auch theoretisch anschlussfähig wird für transkulturell arbeitende Coachs und für verschiedene Ausgangstheorien.
Alltägliche Identitätsarbeit Frühere sozialpsychologische Konzepte von Identität basieren auf der Rollentheorie und sind geprägt von der Moderne, dem Aufbrechen sozialer Zusammenhänge. Nach diesen Ansätzen bildet sich das Ich heraus, indem es sich selbst zum Objekt wird, was durch Rollenübernahmen geschieht. Im Fokus dieser Identitätskonzepte steht die Herausbildung der persönlichen Identität als einer Einheit trotz unterschiedlicher Erwartungen. Postmoderne Ansätze antizipieren dagegen stärker die Pluralisierung und Fragmentierung in der heutigen Zeit und fokussieren auf die Differenz innerhalb der Identität (Stockmeyer, 2004, S. 91). Ein den aktuellen Umbrüchen angemessener Ansatz betrachtet Identität als Prozess und Leistung. Nach Keupp et al. (2006) sind wir alle »Identitäts-
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arbeiter«. Unser Subjektgefühl ist nicht etwas, das in der Erziehung entstanden ist, und damit als dauerhaftes, unveränderlich fortbestehendes Ergebnis unserer Erziehung aufzufassen, sondern es basiert auf alltäglichen Handlungen und den permanenten Aktivitäten der Lebensgestaltung. Nicht nur Migranten, Expats oder bikulturell sozialisierte Menschen vereinigen in sich eine Vielzahl partieller, bisweilen ambivalenter, mehrschichtiger, unentscheidbarer Zugehörigkeiten. Die einheitsstiftende und individuell durchaus anspruchsvolle Aufgabe aller Menschen in modernen Gesellschaften ist es, unterschiedlichste situative Erfahrungen und Selbsterfahrungen in den verschiedenen Lebenswelten, Kulturen und Subkulturen, an denen man Teil hat, in Einklang zu bringen. Wir strukturieren die Erfahrungen zeitlich (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), inhaltlich (nach Ähnlichkeit und Differenz) und lebensweltlich (nach Rollen, Bereichen und Feldern).
Abbildung 6: Identitätskonstruktion als Identitätsarbeit (Keupp, 2003, S. 12)
Abbildung 6 illustriert, wie der Strom der Selbstthematisierungen geordnet wird. In vielfältigen Situationen (Arbeit, Freizeit und mehr) nehmen wir uns emotional, körperlich, sozial, kognitiv und produktorientiert wahr. Wir handeln und erfahren uns auf diesen verschiedenen Ebenen und teilen anderen auch mit, wie wir uns selbst erleben. Resultat ist ein dynamisches und auch spannungsreiches Feld der Identitätskonstruktion als Passungsarbeit, denn nicht immer gelingt es, die divergierenden Anforderungen und Selbstverwirklichungswünsche in
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Übereinstimmung zu bringen. Identität ist, so besehen, nicht ein Gegebenes, sondern sie beruht auf diesem stetig fortschreitenden Prozess der eigenen Lebensgestaltung. So fragt sich beispielsweise ein Manager, als er auf der Arbeit eine Irritation mit einem seiner Mitarbeiter erlebt, ob es an ihm selbst und seinen Erwartungen liegt, ob der andere ein Machtspiel spielt oder ob der betreffende Mitarbeiter, der im Gegensatz zu ihm selbst kein Ingenieur ist, einfach andere Kommunikationskonventionen hat. Abends geht er ein Bier trinken, zusammen mit der Kollegin aus der PR-Abteilung, die er – Vater von zwei Kindern und glücklich verheiratet – attraktiv findet, und er flirtet mit ihr. Auf dem Nachhauseweg nimmt er sich vor, endlich die zwanzig Kilo abzunehmen, die er zu viel auf den Rippen hat, und mehr Sport zu machen. Seinem eigenen Attraktivitätsbild, an das er durch die Begegnung erinnert wird, entspricht er schon lange nicht mehr. Die Teilidentitäten bilden sich im Zuge der Reflexion des Mosaiks situativer Selbsterfahrungen heraus und gewinnen ihre Kontur durch Bündelung. Auf diese Weise werden mehrere Facetten zu einer Teilidentität integriert: So ist der Manager im Beispiel Ingenieur, Führungskraft in einem internationalen Konzern, Ehemann, Familienvater und leicht übergewichtig. Manche Teilidentitäten sind bedeutsamer (ich bin Geschäftsführer und Vater), andere können diesen untergeordnet sein (das ist mir wichtiger als Jogger oder ein Don Juan zu sein). Neben der Bewältigung des Zusammenhalts aktueller Bezüge gilt es, Vorstellungen (»Projekte«) von sich zu integrieren. Unter Identitätsprojekten verstehen Keupp et al. (2006) individuelle Identitätsentwürfe – Erwartungen an die zukünftige Identität (Wer will ich sein?) –, die eine Person sozusagen mit sich führt. Daher liegen sie auf der Illustration unterhalb der Ebene der Teilidentitäten. Da diese Teilprojekte der Identität »Beschlusscharakter« haben, sind sie Bestandteil der Lebensbiografie – im Beispiel will der Manager eine souveräne Führungskraft sein, schlanker sein und treu bleiben. Natürlich sind vom Entwurf bis zur Realisierung einige Etappen zu durchlaufen. Hier liegt genau der Bereich, der zu den Kerntätigkeiten in der Coachingarbeit zählt. Es ist nicht zuletzt eine der Aufgaben des Coachs, diese Etappen zur Zielerreichung eines neuen Identitätsentwurfes zu unterstützen. Der Coachingpartner erlebt sich als handlungsfähig, wenn genügend Entwürfe gebildet werden können, die konkret und realisierbar sind und nicht an zu starken äußeren Einflüssen scheitern. Das Identitätsgefühl, also dass ich mich in wechselnden Spannungsfeldern als dieselbe Person erlebe, basiert auf einer generalisierten Verdichtung von eigenen Erfahrungen. Dieser verallgemeinerte Selbsterfahrungsrahmen enthält auch Selbstbewertungen (Erlebe ich mich als integer und halte ich meine Prinzipien ein, zum Beispiel Treue, gesunder Lebensstil und Normalgewicht?). Eine positive Selbstwertschätzung und Zufriedenheit ergeben sich, wenn ich mich an mein Set von Überzeugungen halte und meine Identitätsprojekte verfolge.
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Wer ich bin und sein will, ist letztlich eine narrative Konstruktion, denn die permanente Verknüpfungsarbeit zur Integration der verschiedenen Identitätsfacetten und -bereiche geschieht jenseits des Handelns durch Selbstnarration. Damit sind die interpretierenden Erzählungen gemeint, mit denen man sich selbst versteht, von sich berichtet und einen Verweisungs- und Sinnzusammenhang herstellt. In unseren Interaktionen mit anderen und mental treffen Selbstnarrationen und Selbstdeutungen auf die Fremddeutungen der Interaktionspartner und es werden Zugehörigkeiten ausgehandelt. Auf diese Weise (re)definiert sich Identität immer wieder aufs Neue als Resultat solcher Auseinandersetzungen in und mit unterschiedlichen sozialen Kontexten, welche sich zugleich auch als unterschiedliche kulturelle Kontexte auffassen lassen. So erzählt etwa der Manager im hier vorgestellten Beispiel einem Freund von seinen aktuellen Problemen und dieser kommentiert sie zum Beispiel mit »Also das will ich sehen, dass du wieder dein Normalgewicht erreichst, du bist doch eine richtige Couchpotato geworden«, oder »Gut, dass du die Finger von der Kollegin gelassen hast, eine Affäre ist doch viel zu anstrengend«, »Deinen Mitarbeiter kenn ich aus dem Sportverein, er ist einfach ein schwieriger Mensch« usw. Die Kernnarration schließlich ist gleichsam das Kondensat dieser Selbstnarrationen. Im Sinne einer Theorie über mich selbst erläutert sie, wie ich meine eigene Entwicklung erkläre und sie für andere verständlich mache. Daher muss die Kernnarration nach der jeweiligen zugrundeliegenden Kultur stimmig sein, alle relevanten Ereignisse umfassen, kausal organisiert und sinnstiftend sein. Die Vielfalt heutiger Lebensbezüge ist dabei Herausforderung und Chance zugleich. Es ist eine Kunst, alle diese Bezüge in einen Zusammenhang und insbesondere eine Kontinuität zu bringen. Bestenfalls entsteht ein Kohärenzgefühl und -erleben als Bewältigungsressource, das heißt, man erlebt Anforderungen als Herausforderungen (dem Übergewicht mit Sport zu Leibe rücken), Grenzen als flexibel und wählbar (Führungsrepertoire mit Hilfe eines Coachings erweitern, um auch »schwierige Mitarbeiter« besser zu führen), Gefühle als zugänglich und beschreibbar (angezogen von einer attraktiven Frau, aber nicht verführbar), Probleme als lösbar (mit einer Ernährungsumstellung und einem Gymnastikprogramm kann ich mein Idealgewicht wieder erreichen) und alltägliche Erfahrungen als bewältigbar (die Irritation mit dem Mitarbeiter kann aufgelöst werden). Das Kohärenzgefühl, also die Einheit der Differenzen, hat Prozesscharakter, es entsteht, wenn ich sinnhaft gestalten, verstehen und Neues hervorbringen kann und dies auch anerkannt wird. Abhängig von den individuellen Ressourcen ist das Ich mehr oder weniger eindeutig, bleibt »changierend« (Keupp et al., 2006) und schwankt zwischen verschiedenen Selbstkategorisierungen. Resultat können im ungünstigen Fall (hohe Anforderungen und Belastungen, wenig Ressourcen) wechselnde Identifikationen oder fragmentierte Selbstbilder sein, was die Personen belastet, weil sie nur schwer eine Kohärenz
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herstellen können. Im Beispielfall könnte das bedeuten: Der Manager bekommt die Situation mit dem Mitarbeiter nicht in den Griff und der Konflikt weitet sich auf das Team aus, er fängt eine Affäre an und beginnt ein Doppelleben zu führen, der Verstoß gegen seine Prinzipien belastet ihn so, dass er anstatt abzunehmen immer häufiger ein paar Gläser Rotwein zuviel trinkt, und ein Jahr später erhält er ein negatives 360 °-Feedback und schlechte Bewertungen von seinen Kollegen und Mitarbeitern. Identität wird in diesem Modell nicht als Gleichgewichtszustand oder Kreislauf verstanden, sondern als ein zwischen inneren Differenzen aufgespanntes Kräftefeld. Bestenfalls sind diese Grundspannung und die Organisation der Verschiedenheit eine Kraftquelle. Identität gilt hier als das gerade noch subjektiv erträgliche Maß an Ambiguität. Daher sind die sprachlichen Aushandlungsprozesse so wichtig, in denen Bedeutung und Verstehbarkeit des Handelns unter gegebenen oder antizipierten normativen Bedingungen verhandelt werden, denn wenn andere Personen die Selbstentwürfe nicht stützen oder bestätigen, werden diese instabil. Dies konnte man im Fallbeispiel Marion Tauber (→ Kapitel 3.1.1, Kulturen in Bewegung) beobachten, die durch den Wechsel in eine andere Organisationskultur mit deutlich jüngeren Mitarbeitern und anderen Werten einen Kulturschock erlitt. Fallbeispiel: Maya Tenheim Frau Tenheim begleitete ich als Gründungscoach auf dem Weg in die Selbständigkeit. Mehr als zwanzig Jahre war sie in verschiedenen kleinen Unternehmen und multinationalen Konzernen als – wie es früher hieß – »Sekretärin« der Geschäftsleitung oder des Vorstands angestellt. Als Selbstständige bot sie nun die Erledigung von Dienstleistungen als Interims-Assistentin an. In der Coachingbegleitung eines ihrer ersten freiberuflichen Aufträge war es ihr Ziel zu lernen, sich in der neuen Position klar abzugrenzen. Sie war als freiberufliche Assistentin für die Unterstützung des General Managers einer kleinen amerikanischen Firma in Deutschland für acht Monate unter Vertrag. In der Firma schien es – ihren Aussagen nach – sehr stark »zu menscheln«, das heißt, die Strukturen erschienen eher intransparent und wenig formal festgelegt. Durch lange Abwesenheiten des General Managers und aufgrund fehlender Kommunikation wurde ihre Aufgabenerledigung zusätzlich erschwert. Im Laufe des Coachings stellte sich heraus, dass es ihr durch die Freiberuflichkeit und die fehlenden Strukturen schwer fiel, die Grenzen zwischen privater und beruflicher Identität zu ziehen. Einerseits hatte sie als Freiberuflerin eine hohe Kundenorientierung; sie war intrinsisch motiviert und setzte sich zeitlich und inhaltlich intensiv ein. Als »Externe« hatte sie andererseits aber Probleme, jenes Maß an Loyalität einer Assistentin aufzubringen, das von ihr in einer solchen Position verlangt wurde, zudem fehlten ihr die informellen Netzwerke. Als zusätzliche Schwierigkeit kam die amerikanische Unternehmenskultur und Beziehungsgestaltung
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hinzu. Der Gebrauch des Vornamens rief in ihr einerseits ein Gefühl von Distanzlosigkeit hervor, ihr begrenztes Vertragsverhältnis führte andererseits immer wieder dazu, dass sie sich als Außenseiterin erlebte. Pläne für Festivitäten, die jenseits des Vertragszeitraums stattfanden, wurden natürlich ohne sie gemacht usw. Das Coaching half ihr, sich der Vielzahl von Identitätsfacetten bewusst zu werden und mit deren spezifischem Mischungsverhältnis umzugehen. Sie lernte für sich selbst, wie wichtig es ist, Transparenz in den Aufgaben und Kommunikationswegen herzustellen und eine passende rollen-, hierarchie- und zielgruppengerechte Kommunikation zu zeigen, ohne zum Chamäleon zu werden. Sie entwickelte eine Identitätskombination, begriff sich als Projektmanagerin, die auf begrenzte Zeit hohen Einsatz und Unterstützung leistet und zugleich konsequent – wie eine Parkuhr – Arbeitsstunden notiert und abrechnet. Sie löste sich von ihrem alten Verständnis von Arbeitszeit und Freizeit und stellte eine flexible Loyalität her. Diese Kombination passte auch gut in die amerikanische Unternehmenskultur, und schon bald sprachen alle von »marvelous Maya«. So schaffte sie es, auf eine andere und neue Art ihre Grenzen zu ziehen.
Hybride Identität Die Persönlichkeit eines Menschen wird als Produkt oder Ergebnis einer kulturspezifischen Sozialisation betrachtet. Sozialisation ist »der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten und sozialen materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei […], wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet« (Geulen u. Hurrelmann, 1980, S. 51). Im Zeitalter der scheinbar unendlich vielen Optionen und der multiplen Zugehörigkeiten wird dieser Prozess auf Dauer gestellt und die Subjekte werden zum Manager ihrer Identitätenvielfalt. Modernisierung und Enttraditionalisierung haben zum Verlust allgemeingültiger Normen geführt und die Identität diversifiziert sich. Im interkulturellen Paradigma wurde in diesem Kontext der Begriff »hybride Identität« geprägt, der einerseits das Resultat der Identitätsarbeit beschreibt und zugleich auf die besondere Leistung der Herstellung von individueller Kohärenz verweist. Der ursprünglich aus der Biologie stammende Begriff der Hybridität ist eine Metapher für »Vermischung«. Das Konzept der hybriden Identität geht von der grundsätzlich gegebenen Vermischung kultureller Lebensweisen aus. Dieser Identitätsbegriff ist geeignet, die biografische Verknüpfung unterschiedlicher Diversitykategorien als sozialen und mentalen Prozess der Integration von Teilidentitäten zu beschreiben und einen Ansatz für alle Formate kulturreflexiven Coachings zu bieten. In der Literatur findet man häufig den Terminus »Third Culture Kids« (Pollock u. van Reken, 2001), dieser ist allerdings noch einem Kulturverständnis geschuldet, das Kulturen mit Landeskulturen gleichsetzt. Die Idee der prinzipiell von jedem Individuum zu leistenden Herstellung
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von Kohärenz über die Differenzen hinweg passt zum dynamischen Kulturbegriff (→ Kapitel 3.1.1, Kulturen in Bewegung). Kultur wird deterritorialisiert gefasst, ist also nicht mehr lokal verortet. Das heißt, kulturelle Identität wird hier verstanden als Teilhabe an verschiedenen Lebensweisen, die auch in virtuellen Gemeinschaften (wie transnationalen Netzwerken) und imaginären Kollektiven (wie Nationen) begründet sein können. Die Begriffe Sozialisation und Subjekt greifen auf die älteren Identitätstheorien zurück, nach dem »linguistic turn« (Rorty, 1967) werden dagegen die sprachliche Konstruktion und die Vermittlungsformen von Identität fokussiert. Die »sprachanalytische Wende« bedeutet, dass in den Geisteswissenschaften in Forschung und Theorie die Bedeutung und Verwendung sprachlicher Konstruktionen stärker in den Blick genommen wird. Untersucht und beschrieben werden nicht mehr Gegebenheiten, sondern wie darüber gesprochen wird, also der Diskurs. Dieser schließt den Körper mit ein (siehe dazu → Kapitel 3.1.4, Der Körper als kulturelle Konstruktion und universelle Basis). In der Erzählung über das Selbst werden Erfahrungen verknüpft und Differenzen ausgehandelt. Hybridität verweist auf mehrfache Identifikationen, schillernde Selbstbilder, multiple Lebensstile und Traditionen, zwischen denen die Subjekte »navigieren« (Hein, 2006, S. 397 ff.). In ihrer Dissertation beschreibt Kerstin Hein die Praxis der »kulturellen Navigation« am Beispiel deutsch-chilenischer Erwachsener mit Migrationshintergrund. Die Autorin ist selbst in Chile geboren und im deutschchilenischen Kontext aufgewachsen. Navigation bedeutet, dass Individuen nicht »zwischen den Kulturen« verloren gehen, sondern kulturelle Differenzen aktiv bewältigen. Es geht nicht um Anpassung, Assimilation oder Integration, auch wenn dies häufig verwendete Schlagworte sind, sondern es geht darum, welche Deutungsangebote die Individuen aufgreifen. Sie konstruieren sich einen je eigenen Orientierungsrahmen unter Rückgriff auf Sinn- und Deutungsressourcen aus beiden Kulturen. In dieser multilokalen Referenzstruktur hat das Individuum eine Position und findet in der Kommunikation Bestätigung durch die von anderen zum Ausdruck gebrachte Anerkennung – oder auch nicht. Da Kulturen in sich heterogen sind, gilt das Prinzip des Navigierens zwischen verschiedenen »Welten« bzw. (sub)kulturellen Kontexten letztlich nicht nur für Personen mit bi- oder multikultureller Biografie: Hybride Identitäten als Resultat der Auseinandersetzung mit kulturellen Differenzen und verschiedenen sozialen Kontexten sind in modernen pluralisierten Lebenswelten nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.
Fazit: Dynamische Identitäten als Basiskonzept Menschen, welche die Hilfe eines Coachs in Anspruch nehmen, tun das, um neue Blickwinkel oder Verhaltensweisen zu entwickeln und sich in diesem Entwicklungsprozess professionell begleiten zu lassen. Ausgehend von einer transkulturellen Coachinghaltung ist die Vielzahl an Bezugssystemen dabei
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ein Dauerthema, und die Aufgabe, eine Einheit, also eine Identität zu bilden, stellt insofern eine besondere Herausforderung dar. Für Migranten, Expats oder ausländische Studierende erscheint dies offenkundig, doch es betrifft alle Menschen. Die Fragen lauten: Wer bin ich? Was sind meine Werte? Wer will ich sein? Wer könnte ich sein? Wie möchte ich handeln? Vieles deutet darauf hin, dass Identität heutzutage zu einem problematischen Thema geworden ist. Mehrfachzuordnungen, Selbstabgrenzungen Selbstdistanzierung (ich bin anders), Fremdabgrenzungen bzw. -ausgrenzungen, Fremddistanzierung (du gehörst nicht hierher) und die Suche nach Eindeutigkeit sind Phänomene aktueller Gesellschaften. Coachs benötigen daher ein Identitätskonzept, um die Problemlagen einschätzen zu können. Geeignet sind Ansätze, welche die Hybridität zulassen oder betonen und dabei nicht beliebig werden, sondern einen immanenten Maßstab des Wohlbefindens enthalten. In den Geschichten, welche die Coachingpartner erzählen, erfahren wir, wie sie sich erleben, woran sie tragen, welche Rückmeldungen sie erhalten, ob es Anerkennungsdefizite gibt oder wofür sie Bestätigung bekommen. Für die Coachees bedeutet es in der Regel eine große Erleichterung, wenn der Coach sie davon wegführen kann, die gefühlten Problemlagen selbstkritisch als persönliches Versagen zu verurteilen, indem er allgemeine Problemlagen benennt und Herausforderungen sowie Leistungen der Identitätsarbeit würdigt. Fremdheitserfahrungen und das Gefühl, immer die Ausnahme zu sein, sind Resultate in sich heterogener Kulturen und als Grundgefühl verbreitet. Der Coach unterstützt im Zweifelsfalle den Coachingpartner dabei, eine erweiterte Selbstwahrnehmung zu erlangen, neue Beziehungsnetzwerke aufzubauen, Kontrolle zurückzugewinnen und Verhaltensweisen zu mischen. Leseempfehlungen Keupp, H. (2006). Der Herstellungsprozess von Identität. In H. Keupp, Th. Ahbe, W.Gmür, R. Höfer, B. Mitzscherlich, W. Kraus, F. Straus (Hrsg.), Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne (S. 189–271). Reinbek: Rowohlt. Das aus einem Feldforschungsprojekt zu deutsch-deutschen Umbruchserfahrungen hervorgegangene Buch widmet sich der Identitätsarbeit und narrativen Konstruktion im Alltag. Es zeigt theoretisch und an Fallbeispielen bzw. Interviewausschnitten von jungen Erwachsenen, wie sie die multiplen Identitätseinflüsse in Zeiten von Globalisierung und Pluraisierung so zu verknüpfen suchen, dass sie handlungsfähig bleiben. Zu empfehlen ist insbesondere Kapitel 4 (S. 189–271) über die alltägliche Identitätsarbeit. Keupp, H. (2010). Identitätskonstruktionen – Interkulturelle Identität. In F. Ehlail, H. Schön, V. Strittmatter-Haubold (Hrsg.), Die Perspektive des Anderen. Kulturräume anthropologisch, philosophisch, ethnologisch und pädagogisch beleuchtet (S. 25–44). Heidelberg: Mattes.
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Das Leben mit der Differenz ist keine Ausnahme mehr, findet Keupp und setzt Multikulturalismus als eine Form der Pluralisierung in der »fluiden Gesellschaft« voraus: »In irgendeiner Hinsicht ist jeder von uns Angehöriger einer Minderheit« (S. 26). Der Aufsatz zeichnet nach, wie es gelingen kann, unterschiedliche Differenzerfahrungen für sich zu integrieren, und liefert dafür auch den theoretischen Metarahmen. Stockmeyer, A.-C. (2004). Identität und Körper in der (post)modernen Gesellschaft. Zum Stellenwert der Körper/Leib-Thematik in Identitätstheorien. Marburg: Tectum. Die Autorin gibt einen kurzen und spannenden Überblick über die prominentesten Identitätstheorien mit Bezug auf die Frage, inwiefern sie die Körper-Leib-Thematik berücksichtigen. Sie ergänzt die Identitätstheorien um den Aspekt der reflexiven und kulturkritischen Leiblichkeit, indem sie darauf hinweist, dass zur Fortentwicklung von Identitätskonzepten die Referenzschemata Kultur und Körper einbezogen werden müssen.
3.1.4 Der Körper als kulturelle Konstruktion und universelle Basis Sowohl die Psychologie als auch die Philosophie beschäftigen sich mit der Frage, wie sich die mentalen Zustände (oder der Geist, das Bewusstsein, das Psychische, die Seele) zu den physischen Zuständen (oder dem Körper, dem Gehirn, dem Materiellen, dem Leib) verhalten. Sind es zwei verschiedene Teile oder eine Gesamtheit? Sind beide als voneinander getrennte Einheiten zu sehen oder bilden sie gemeinsam ein Ganzes? Jede Antwort auf diese Frage wirft sogleich weitere Fragen auf, wie zum Beispiel: Sind wir in unserem Denken und Wollen frei? Kann der Geist auch ohne den Körper existieren? Die von der Psychologie entdeckten, auch in anderen Wissensgebieten angewendeten, praktisch genutzten Gesetzmäßigkeiten, welche unterschiedliche Aspekte der Verbindung oder Trennung von Körper und Geist bzw. Leib und Geist beschreiben, sind mit vielen Antworten aus der Philosophie kompatibel. Grundsätzlich ist allerdings zu berücksichtigen, dass alle von Menschen entwickelten Antworten und Thesen per se kulturspezifisch sind. Je nachdem, ob der Körper in einer Kultur vorwiegend als getrennt vom Geist verstanden wird oder ob beide als Einheit gesehen werden, welche Rolle körperliche Themen spielen und welches Bild sich mit dem Körper verbindet, ändert sich beispielsweise auch der Sprachgebrauch für den Ausdruck von psychischen und physischen Krankheiten. So sagt eine türkische Patientin, dass sie »den Kopf gegessen« hat. Diese Organchiffre hat in ihrem Sprachgebrauch die Bedeutung, dass man das Gefühl hat, verrückt geworden zu sein, und der Ausdruck hat nichts mit Kopfschmerzen zu tun (Gün, 2007, 198 ff.). Der Autor fokussiert interkulturelle Missverständnisse in der Therapie vor dem Hintergrund, dass bei Fehldiagnosen falsche oder gar keine Behandlungen vorgenommen werden. Analog dazu benötigt auch der Coach Aufmerksamkeit für unterschiedliche kulturell geprägte Bedeutungen, um Warnhinweise nicht zu übersehen bzw. um Unproblematisches nicht zu dramatisieren. Hier wäre das als »Krankheit« empfundene Gefühl, dessen Bewertung und ätiologische Bedeutung zu erfragen, um herauszufinden, wie mit den
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vom Coachingpartner geschilderten Problemen (im körperlichen und psychischen Bereich) umzugehen ist. Ein Handbuch Interkulturelles Coaching sollte schon deswegen den Körper einbeziehen, weil in manchen Kulturen Körper und Geist unverbunden betrachtet werden können, während in anderen Körper, Geist und Seele ausschließlich in Abhängigkeit voneinander gesehen werden. Die westliche Tendenz, Körper und Geist analytisch zu trennen und mit beiden Teilen unterschiedliche Wertigkeiten zu verbinden, wird hier um eine ganzheitliche Vorstellung ergänzt. Beispiele für solche kulturellen Denkweisen, in denen materielle und immaterielle Aspekte systematisch aufeinander bezogen werden, sind die traditionelle chinesische Medizin (TCM) und Ayurveda, die indische Lehre vom guten Leben. Das Interesse am Körper war lange Zeit vor allem der medizinischen Perspektive zu Eigen, doch es deutet sich eine Wende an. Inzwischen wird der Körper aufgrund von neuen neurobiologischen Erkenntnissen auch in der Therapie zunehmend als Ressource genutzt. Nach jahrzehntelanger Trennung und Parallelentwicklung von Psychotherapie und Neurowissenschaften entwickelt sich nun eine holistische Sichtweise des Menschen. Der Körper wird als Deutungsbzw. Diagnoseressource genutzt, und inzwischen gibt es zahlreiche Erkenntnisse darüber, wie unser Körper mit emotionalen mentalen Aktivitäten umgeht und wie ein mentaler Vorgang den gesamten Körper beeinflusst: das sinnliche Empfinden, Gefühle, Atmung, Körperhaltung, Gesten und vieles andere. In der Coachingtheorie spielt der Körper bislang noch keine große Rolle, auch wenn zahlreiche Methoden die Wahrnehmung des Körpers einbeziehen oder körperorientiert intervenieren. Im Zusammenhang mit der Hybridität von Identitäten (→ Kapitel 3.1.3) wurden bereits die kulturspezifischen Diskursstrukturen angesprochen, die sich auch in den Körper einschreiben. Vor allem die Theorie der Geschlechterverhältnisse hat aufgezeigt, dass der Körper von Beginn an kulturell konstruiert wird. »D. h., der eigene und andere Körper werden in sozialen und kulturellen Praktiken geformt und mit unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen belegt. Körpersozialisation hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung, auf kognitive und affektive Muster der Kategorisierung nach gut–schlecht, schön–hässlich, richtig–falsch, liebens- oder vernachlässigenswert, angenehm–unangenehm sowie auf Einstellungen zum eigenen und zum anderen Geschlecht« (Nestvogel, 2002, S. 198). Die Untersuchungen in Renate Nestvogels Buch »Aufwachsen in verschiedenen Kulturen. Weibliche Sozialisation und Geschlechterverhältnisse in Kindheit und Jugend« verschaffen Einblicke in die Vielfalt geschlechtsspezifischer Sozialisationsverläufe in verschiedenen Kulturen auf der Basis von autobiografischen und literarischen Texten. Der Körper ist also kein kulturloser Organismus, sondern wird als Leib akkulturiert. Auf der anderen Seite bildet der Körper als Einheit, als Orga-
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nismus, der Reize produziert und Reaktionen ausführt, die universelle Basis, die uns Menschen eint. Er stellt in diesem Sinne ein multidimensionales Medium dar, über das wir miteinander in Verbindung treten können. Schließlich ist Leben ein kreativer individueller Akt, denn die Frage, wie ein Mensch bestimmte Erlebnisse wahrnimmt, verarbeitet und darauf reagiert, beinhaltet stets auch eine subjektive Komponente. Im transkulturellen Coaching ist der Körper somit gleichermaßen kulturelle Ausgangsbasis, universelles Medium und individueller Optionsraum. Fallbeispiel: Marianne Schraub Marianne Schraub lebte zum Zeitpunkt des Coachings seit mehr als drei Jahren in Dänemark. Ihr Ziel im Coaching, das teilweise persönlich von Angesicht zu Angesicht und zum Teil am Telefon stattfand, war das Erreichen einer dauerhaften beruflichen Zufriedenheit. Zu Beginn ihrer Zeit in Kopenhagen hatten sich viele Konflikte um die Beziehung zu ihren Kollegen und die Suche nach Freundschaften gedreht. Nachdem sie eine Partnerschaft mit einem Dänen eingegangen war, schien zunächst Ruhe eingekehrt. Nach und nach wurde jedoch deutlich, dass ihr Partner an Depressionen litt und Psychopharmaka nahm. Der mangelnde Veränderungswillen sowie emotionale Ausbrüche des Partners brachten sie an ihre Grenzen. In diesem Zeitraum großer Verunsicherung hatte sich ein Gefühl von Fremde und Verlassenheit in ihr ausgebreitet. Im Coaching bat sie um Unterstützung bei der Jobsuche, ihr schien der richtige Moment für eine Veränderung gekommen zu sein. Sie sagte, dass sie sich auf der Arbeit nicht mehr wohl fühle, und in dem Land schon gar nicht; sie sehne sich nach mehr Leichtigkeit und nach einfachen, weniger komplexen Dingen – Dinge, die sie ja schließlich in einer Fremdsprache bewältigen müsse. Ein neuer Job war für sie ein Licht am Ende des Tunnels. Mir stellte sich zunächst die Frage, was die Sehnsucht nach einem neuen Job am meisten nährt, um zu verhindern, dass sie Mann, Land und Job verlässt, wenn die Lösung tatsächlich ganz woanders zu suchen wäre. Ich bildete verschiedene Hypothesen: 1. Die möglichen Symptome einer Depression, der Wechsel zwischen Apathie und Streitlust, sind ihr nicht bekannt und sie findet keinen adäquaten Umgang mit dem Verhalten ihres Partners, um sich entlasten zu können. 2. Es könnte eine Co-Abhängigkeit vorliegen. Co-Abhängige unterstützen ihre Partner bis zur eigenen Selbstaufgabe. Sie sind nicht in der Lage, die Aussichtslosigkeit ihres Verhaltens zu bewerten und sich entsprechend zu verhalten. Dies kann so weit führen, dass Co-Abhängige sich selbst nicht mehr fühlen und wahrnehmen. Nicht nur Partner und Kinder von suchtkranken Menschen können Co-Abhängigkeit entwickeln. Gefährdet sind auch Menschen mit einer familiären oder beruflichen Beziehung zu Personen mit einer emotional veränderten Persönlichkeit, zum Beispiel Menschen mit Depressionen, Psychosen, Borderline etc.
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3. Die Klientin durchlebt gerade eine eigene verspätete Kulturschockerfahrung, vielleicht ausgelöst durch die große Verunsicherung. Zwei der genannten Hypothesen führten weiter. Ich bat die Coachingpartnerin, einen anderen Denkrahmen zu verwenden, und initiierte dieses Umdenken, indem ich nachfragte: Bei den Streits sei ihr Freund ja extrem lebendig. Was wäre, wenn man den »Streit« als Ausdruck von Emotion auffassen würde? Das machte sie nachdenklich. Sie fand die Vorstellung attraktiv, es fiel ihr aber zunächst schwer, die damit verbundene Umdeutung zu vollziehen. Erst als ihr einige Ausdrücke einfielen, die sie in der dänischen Sprache amüsierten, empfand sie die dänische Art zu streiten auf einmal als angenehm. Die Kulturschockthese erschien mir zunächst weit hergeholt, doch Frau Schraub horchte auf, als ich die mögliche Sehnsucht nach Bekanntem erwähnte. Uns war aufgefallen, dass sie immer wieder von »Tunnel«, »dunklen Wolken« und »Lichtlosigkeit« sprach. Ausgehend von dieser Beobachtung wurde uns bewusst, dass die von der Coachingpartnerin als langandauernd und quälend empfundene Dunkelheit in Dänemark (sie kam aus Freiburg, der Stadt mit den meisten Sonnenstunden in Deutschland) sie sehr bedrückte. Sie bemerkte, dass sie Sehnsucht nach der gewohnten Dauer von hellen Tagesstunden hatte. Daraufhin entschloss sie sich dazu, sich abends gemeinsam mit ihrem Partner vor eine Lichtlampe zu setzen und deutsche Bücher zu lesen. Schon diese Vorstellung machte sie äußerst beschwingt und kraftvoll. Ihr wurde immer klarer, dass ihr – neben einer distanzierteren Haltung zu den wechselnden Stimmungen ihres Partners – schlichtweg Licht fehlte. Ihren ursprünglichen Plan, den Job zu wechseln, hat sie daraufhin verworfen.
Der Körper als transkulturelles Bezugs- und Beziehungssystem Was versteht man unter »Körper« konkret? Ist es der sich bewegende, der medizinische, der wissenschaftliche Körper? Oder wird der Körper als Ort und Gefäß von Lebensgeschichte begriffen? Geht es um den metaphorischen Körper, der in Sprache symbolisiert wird? Oder sprechen wir von einem Körper, der sich intersubjektiv und subjektiv auf andere Körper, Objekte und die Welt bezieht? Berühren sich die Körper, stimmen sie sich in ihrer Bewegung aufeinander ab, beeinflussen und gestalten sie sich gegenseitig? Wie beeinflusst unser Körpererleben und -bezug den Coachingansatz? Für Antworten braucht man ein Konzept, aber es gibt kein einheitliches Verständnis von Körper, sondern eher mannigfaltige Vorstellungen. »Schon der Begriff ›Körpermetapher‹ selbst beinhaltet mit dem physischen Körper und dem in Wort und Bild gefassten Körper hinreichende Vielfalt« (Klopstech, 2009, S. 25). Die Begriffe Leib und Körper werden von psychoanalytischen Schulen theoretisch getrennt betrachtet. Als Körper wird das von außen sichtbare Objekt verstanden, der Leib ist die vom Individuum im Körpergefühl wahrgenommene Form. In der praktischen Arbeit jedoch wird nicht unterschieden und beides zum Beispiel als Leibkörper
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in der Therapie genutzt, indem mit Körperempfindungen und -veränderungen gearbeitet wird. In unserer Coachingarbeit gehen wir von einer Mehrdimensionalität und Pluralität von Körpern aus, die von allen Coachingpartnern und damit auch jedem Coach mit in den Coachingprozess gebracht werden. Aus phänomenologischer Sicht gibt es drei Körper: erstens den individuellen, »the lived self«, zweitens aus dem Strukturalimus den sozialen Körper und drittens aus dem Poststrukturalismus den politischen Körper. Scheper-Hughes und Lock (1987) beschreiben die verschiedenen Körperperspektiven und ordnen sie kulturhistorisch und anthropologisch ein. Im Folgenden wollen wir daraus die für das Coaching bedeutsamen Zusammenhänge zwischen Körper und Kultur in Thesenform zusammenfassen. 1. Kultur hat Einfluss auf die hirnorganische Entwicklung. Die neuropsychologische Gedächtnisforschung bestätigt die Annahme, dass Kultur sich auf grundlegende Funktionen des menschlichen Geistes auswirkt. Demnach bilden sich die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns in der Interaktion der neuronalen Verschaltungen mit der sozialen Umwelt heraus, wofür der Kulturanthropologe Shore den Begriff des »kulturellen Hirns« prägte (Shore, 1996, zit. nach Kühnen u. Hannover, 2003, S. 221). Shore verbindet sozialkonstruktivistische und neuropsychologische Theorien und Forschungen und belegt, dass Kultur und Gehirn nicht unabhängig voneinander funktionieren können und sich wechselseitig in ihrer Entwicklung beeinflussen. Das heißt, die grundlegenden neuronalen Verbindungen sind unhintergehbar mit dem kulturellen Kontext verknüpft. 2. Kultur gestaltet den Körper. Kultur prägt von Anfang an innerlich und äußerlich die Physiognomie. Dies geschieht zum kleinsten Teil bewusst, zum Beispiel beim Abnehmen oder Sporttreiben, überwiegend hingegen unbewusst, vermittelt unter anderem durch verkapselte Gefühle, Abspaltungen oder chronische Anspannungen. Normen, welche die Menschen von ihrem Umfeld übernommen haben, oder Werte, die ihnen wichtig sind, bringen sie in der Art der Organisation ihres Körpers zum Ausdruck. Chronische Anspannungen zum Beispiel machen sich durch dauerhaft hochgezogene Schultern oder Ausformung des Nackenknochens bemerkbar. Die Hintergründe lassen sich in keinem Lexikon nachlesen, sie sind jeweils individuell zu ermitteln. In jedem Fall dient die körperliche Form dem Individuum überall auf der Welt zur Integration in die Rituale und Regeln, kurz: in die soziale Lebensform von Gruppen(kulturen). 3. Kultur ist im Körper verankert und kann gefühlt werden. Am einfachsten ist dies anhand der sozialen Distanzzonen nachzuvollziehen. Es gibt sehr unterschiedliche Wohlfühlbereiche, wenn es um den körperlichen Abstand geht. Wenn sich Japaner begrüßen, stehen sie mehr als anderthalb Meter voneinander entfernt, während sich Franzosen bei – je nach Region – zwei
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bis vier Küsschen auf die Wange bedeutend nähern kommen. Es ist leicht vorstellbar, wie unangenehm die für Frankreich typische Nähe für einen Menschen sein kann, der in Japan aufgewachsen ist, und wie befremdlich es dem Franzosen erscheinen muss, wenn der Japaner ihm nicht näher kommt. Wir sind also in jeder sozialen Situation nicht nur durch die Grenzen unseres Körpers, sondern auch durch eine bestimmte kultur-, beziehungs- und situationsabhängige Distanz vom anderen getrennt (und zugleich mit ihm verbunden) und haben ein individuelles, kulturelles und körperliches Gefühl für den Abstand, der sich in einer gegebenen Situation »gut anfühlt«. 4. Kognition und Körper sind untrennbar. »Der Körper wirkt als Kontrollparameter auf die Kognition ein und verursacht so die Bildung von kognitiven Mustern […]. Wie in den Körpern, ist Kognition auch in die weitere Umwelt eingebettet« (Tschacher, 2006, S. 31). Ohne die Arbeit am und mit dem Körper bleibt daher eine der Intelligenzebenen des Menschen unbeachtet. Entsprechend bietet die Arbeit am und mit dem Körper einer Person einen direkten Zugang zu ihrer individuellen Organisation des Denkens und ihrer Welterfahrung, zu ihrer Intelligenz im Sinne der spezifischen Organisation ihres Denkens und Wahrnehmens. 5. Die Konstruktion des Ichs findet im und über den Körper statt. Das Kernselbst ist nicht (nur) sprachlich konstitutiert, sondern es hat seine Grundlage im Wesentlichen in einem Körpergefühl. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten des Neurowissenschaftlers und Bewusstseinsforschers António Damásio (2002), der unter anderem die Beziehungen zwischen unfall- oder krankheitsbedingten Ausfällen von Hirnarealen und der Wahrnehmungsfähigkeit, dem Selbstgefühl und der Emotionalität von Menschen untersucht hat. Damásio postuliert ein emotionales Erfahrungsgedächtnis, das sich – etwa im Rahmen von (intuitiven) Entscheidungsprozessen – über sogenannte »somatische Marker« mitteilt, das heißt über positiv oder negativ gefärbte körperliche Wahrnehmungen bzw. Signale (Schwitzen, Verspannungen etc.), anhand derer sich beispielsweise emotional nicht tragbare Handlungsoptionen von vorneherein ausschließen lassen. Das Selbstkonzept fungiert laut Damásio als inneres Referenzsystem für die Bewertung eigener Erfahrungen durch solche somatischen Marker (Damásio, 2002). Anhand seiner Unterscheidung verschiedener Selbstkonzepte macht er deutlich, dass der alte Dualismus von Körper und Geist nicht haltbar ist, da Materie und Bewusstsein untrennbar miteinander verbunden sind. Auch Gerald Hüther (2005a) erläutert die neurobiologischen Argumente für den Einsatz körperorientierter Methoden. Ab der Phase, in der beim Kleinkind die Sprachentwicklung einsetzt, wird die Entwicklung seiner Identität und Persönlichkeit über die somatischen Marker hinaus zusätzlich von der Bewertung des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns durch andere
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wichtige Bezugspersonen bestimmt. Grundlage dieser sozialen und psychischen Entwicklungsprozesse ist wiederum die Beziehungsorientierung des Körpers (siehe dazu auch den folgenden Punkt 6). 6. Der Körper ist stets in Beziehung. Im Gehirn werden nicht nur kulturelle Normen als abstrahierte und generalisierte Verhaltensregeln, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen abgebildet und gespeichert. Das System der Spiegelneurone (Bauer, 2007) zeigt, dass neuronale Strukturen generell darauf ausgelegt sind, zu kommunizieren und zu interagieren, wobei einige davon sogar einzig und allein auf diese Funktion spezialisiert sind. Daher drücken sich Beziehungen nicht nur durch wechselseitige Berührungen körperlich aus, sondern sie sind, vermittelt über die damit verbundenen im Körper ablaufenden Prozesse, zur Gesunderhaltung des Menschen notwendig. Mit Beziehungen entstehen Kulturen, daher hat Coaching neben der kulturellen auch stets eine körperliche Dimension. 7. Der Körper hat ein Gedächtnis. Erfahrungen sind immer körperlich. Unser Körper merkt sich alles, was wir gelernt und erfahren haben. Darüber hinaus wissen wir heute insbesondere aus der transgenerationalen Traumaforschung, dass Erinnerungen auch generationsübergreifend im Körper gespeichert sind (vgl. z. B. Baer u. Frick-Baer, 2010; Ruppert, 2005; Uestorf, 2008). Das leibliche Gedächtnis kann man aufteilen in ein prozedurales, situatives, zwischenleibliches, inkorporatives und traumatisches Gedächtnis (Fuchs, 2006). Das prozedurale Gedächtnis speichert Bewegungsabläufe, das situative orientiert sich an Situationen und daher auch an Räumen, das zwischenleibliche speichert die unwillkürliche Kontaktaufnahme und Interaktion mit der Umwelt und damit implizites Beziehungswissen ab. Das inkorporative Gedächtnis speichert Überformungen, also die Übernahme von fremden Haltungen oder Rollen ab und wird dadurch zum »Körper für andere« und zum Träger sozialer Symbolik. Schließlich schlagen sich auch schmerzhafte Erfahrungen im Körpergedächtnis, dem traumatischen Gedächtnis nieder. Instinktiv spannen wir uns an, ziehen uns zurück und weichen aus. »Und selbst dann, wenn eine Demenzerkrankung einen Menschen seiner expliziten Erinnerungen beraubt, behält er immer noch sein leibliches Gedächtnis. Seine Lebensgeschichte bleibt gegenwärtig in vertrauten Anblicken, Gerüchen, Berührungen und Handhabungen der Dinge, auch wenn er sich über den Ursprung dieser Vertrautheit keine Rechenschaft mehr ablegen und seine Geschichte nicht mehr erzählen kann« (Fuchs, 2006, S. 58). 8. Der Körper lügt nicht. »Muskulatur und Physiologie werden von tieferen Schichten des Stammhirns organisiert als Gedanken, Theorien, Geschichten und Interpretationen« (Johanson, 2006, S. 182). Im Rahmen seines schulenübergreifenden Handbuchs geht Johanson speziell aus einer physiologischsystemischen Sicht auf Körperkonzepte und -gestalten ein. Der Körper ist
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ein multidimensionales Medium für soziale und kulturelle Prägungen, aber auch für individuelles, einzigartiges Erleben. Der unwillkürliche körperliche Emotionsausdruck ist wahrhaftig, das heißt, mit seiner Hilfe kann herausgefunden werden, wie es einem Individuum wirklich geht, was der Fall und nicht zu leugnen ist. 9. Die Leib-Körper-Trennung trennt Individuum und Kultur. Geht man davon aus, dass alles Körperliche eine relative Örtlichkeit aufweist, während alles Leibliche als räumliche Orientierung identifizierbar ist, dann konstruieren zwei miteinander interagierende Körper immer eine Kultur, während die leibliche Erfahrung immer eine innerliche also individuelle bleibt. In einer Begrüßungssituation kommen sich Körper zum Beispiel durch das Schütteln der Hände oder eine Umarmung näher. Das dadurch ausgelöste Kribbeln im Bauch, die Trockenheit im Mund sind dagegen leibliche Regungen, die an konkret lokalisierbaren Regionen des eigenen Leibes gespürt werden. Leib und Körper spielen für den Prozess der Identitätsbildung eine bedeutsame Rolle (Gugutzer, 2001). Im Sinne der somatischen Psychologie erzeugt die körperliche Form Gefühl und damit auch die Möglichkeit zur Selbstregulierung und zur Erfahrung von Identität. Kelemann (2005), einer der Hauptvertreter der somatischen Psychologie, beschreibt, wie individuelle Identität in der somatischen Realtität verkörpert wird. So, wie man sich in seiner Form erfährt, so weiß und fühlt man, wer man ist. Es gibt also kein Ich, das sich im Körper ausdrückt, sondern die Person ist dieser formbildende, sich leibhaftig manifestierende Prozess. 10. Der Körper ist globalisiert. Durch die weitgehende Individualisierung in den postmodernen Gesellschaften, vor allen Dingen in der westlichen Welt, gibt es weniger als äußere Einschränkungen bzw. Zwänge wirkende Strukturen als früher in der höfischen Gesellschaft oder in Stammeskulturen oder kollektivistisch ausgerichteten Kulturen. Da das äußere Korsett aus Traditionen und Notwendigkeiten weitestgehend entfallen ist, ist der Mensch nun darauf angewiesen, sich selbst Halt zu geben (Hüther, 2005a) und steht vor der Aufgabe, ohne zwingende Vorgaben eine eigene kognitive und körperliche Struktur zu entwickeln. Auf der anderen Seite führen neue Vorstellungen, Schönheitsideale und andere Normierungen zu angestrebten Leit- und Leibbildern. Wie Menschen in der Moderne den Körper als Schönheitsprojekt gestalten (müssen), beschreibt aus soziologischer Perspektive Posch (2009). 11. Der Körper wird von kultureller Vielfalt beeinflusst. Komplexität, Nähe oder Fremdheit können überwältigen. Wenn die eigenen Strategien zur Distanzierung oder zum Umgang mit vielen unterschiedlichen Emotionen und Energien nicht ausreichen, kann das psychosomatische Folgen haben. Die Arbeit an den eigenen (körperlichen) Grenzen hat das Ziel, den Körper als »Container« zu nutzen, um die Grenzen spürbarer zu machen. Wenn die
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eigenen Grenzen aufgrund der individuellen Erfahrungen zu starr sind, dann geht es darum, sie durchlässiger zu machen – körperlich geschmeidiger in den Muskeln und kognitiv anpassungsfähiger in Richtung Perspektivenwechsel. Wenn der Mensch ein Kohärenzgefühl entwickelt, wie Antonovsky mit seinem Konzept der Salutogenese beschreibt, dann hat er wieder Wahlmöglichkeiten und vielfältige Identifikationsmöglichkeiten. Hüther verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff »Boundary Management«, welches darauf abzielt, im eigenen (körperlichen) Selbst wieder Halt zu finden. 12. Durch den Körper können wir Stabilität erfahren. Gerade bei den durch die Globalisierung entstehenden multiplen und hybriden Identitäten, stets wechselnden Kontexten und persönlichen Bezügen ist zum Beispiel das (bioenergetische) Konzept der Erdung sinnvoll einsetzbar. Es vermittelt gefühlte und nicht nur gedachte Stabilität und zugleich ein Gefühl für das Selbst. Das Grounding-Konzept haben fast alle körperpsychotherapeutischen Schulen in ihre Praxis eingebaut, Schauspieler nehmen darauf Bezug, wenn sie sagen: »Heute bin ich schlecht geerdet« und damit einen Zustand der Schwäche und mangelnder Kraft ausdrücken. In der Wirtschaft spricht man von einem guten »Standing«, um zu sagen: »Ich kann mich selbst oder eine Sache vertreten.« Der Begriff »Erdung« hat eine wörtliche und eine übertragene Bedeutung. Wer gut geerdet ist, hat einen guten Kontakt zum Fundament der Realität. Im übertragenen Sinne bedeutet Erdung, dass das Selbst im Körper gegründet (»grounded«) ist, dass also der Mensch in seinem Körpergefühl mit dem Boden und damit der universellen Kraft verbunden ist.
Fazit: Ohne Körper geht es nicht Coaching ohne Einbeziehung des Körpers verschenkt eine wertvolle Ressource, kulturreflexives Coaching ohne Einbeziehung des Körpers ist unmöglich. Kultur sitzt »unter der Haut«. Das gilt für das Denken ebenso wie für die Gefühle, also für unsere gesamte Identität. So ist beispielsweise Ekel als eine der grundlegenden menschlichen Emotionen angeboren, doch wir lernen kulturell, wovor wir uns ekeln und damit verbunden, was inkorporiert wird und was außerhalb des Körpers bleiben sollte. Diese Verknüpfungen erfolgen so früh und sind so grundlegend, dass die betreffenden kulturell geprägten und variierenden Gefühle uns quasi »natürlich« vorkommen. Die Multidimensionalität des Körpers (universelle Basis, kulturelle Prägung und individuelle Selbstgestaltung) ist Arbeitsbasis und Chance im kulturreflexiven Coaching. Der Körper als universelle Basis manifestiert sich darin, dass der körperliche Ausdruck der sieben grundlegenden Emotionen – Freude, Überraschung, Wut, Ekel, Angst, Trauer und Verachtung – kulturübergreifend von allen Menschen gleich interpretiert wird (Abbildung 7).
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Abbildung 7: Grundlegende Emotionen (Zimbardo u. Gerrig, 2002, S. 549)
Es gibt jedoch kulturbedingte soziale Regeln dafür, wann wir diese Emotionen zeigen, wie (deutlich) wir sie zeigen und wer sie wo zeigen darf. Sogenannte Darstellungsregeln (»Display Rules«, Hochschild, 1990) bestimmen die Form des Gefühlsausdrucks. Kulturelle Normen legen dabei fest, welche Gefühlsäußerungen als sozial angemessen gelten. Beispielsweise wird in Südindien bei einer Bestattung von den Männern, selbst von den Angehörigen und Kindern, Zurückhaltung erwartet. Die Frauen hingegen können lautstark weinen oder auch schreien. Letzteres würde bei einer deutschen christlichen Bestattung als »Nervenzusammenbruch« etikettiert und pathologisiert. Individuelle Gestaltungsräume sind möglich, können aber sanktioniert werden. Neben dem Ausdruck von Emotionen sind auch das Wahrnehmen, Denken und Ableiten von Schlussfolgerungen kulturell geprägt, das heißt tief in der neuronalen Struktur verankert, und bedingen kulturspezifische Aufmerksamkeitsschwerpunkte, Lern- und Denkstile sowie unterschiedliche Schlussfolgerungspräferenzen (Nisbett, 2004). Schließlich bildet der Körper auch die Basis der individuellen Selbstregulation zwischen sozialen Erwartungen und davon abweichenden persönlichen Wünschen, und er lässt sich (nur) individuell erspüren. So kann der Körper im Coaching als Informationsquelle, als Ressource und als Medium der Veränderung genutzt werden. Handeln im interkulturellen Feld ist eine spezielle Form von Identitätsarbeit. Gespeichertes (Körper-)Wissen stellt eine Grundlage für die Arbeit mit Identitätsbezügen dar, denn Erinnerungen lösen Körperreaktionen aus, und körperliche Reaktionen können einen Zugang zu (früheren) Gefühlen vermitteln; so
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können kulturelle Prägungen zugänglich und damit bearbeitbar gemacht werden. Den Körper als haltgebendes Medium zu nutzen, stellt Nachhaltigkeit im Coaching her. Transkulturelles Coaching macht es also erforderlich, den Körper, seine Reaktionen und Signale einzubeziehen. Auch der Coach braucht dementsprechend einen Zugang zu sich selbst, das Wissen um und die Achtsamkeit für den eigenen Körper als Medium der Wahrnehmung und der Erfahrung, um das eigene Empfinden und das Mitempfinden mit dem Klienten im Coaching nutzen zu können. Die erforderliche transkulturelle Kompetenz beinhaltet auch die Fähigkeit, eigene Gefühle und Körpersensationen differenziert zu spüren sowie mit dem anderen mitzufühlen und dadurch eine Beziehung aufbauen zu können: »The intentional use of empathy is the key to developing intercultural competence. We can use empathy to apprehend experience that is inaccessible to us in our own cultural worlds. The most straightforward way to develop this kind of empathy is to reestablish connection with our bodies so that we are (a) aware of our embodied experience in our own culture and (b) able to shift body boundaries into the forms that elicit the feeling of the other culture« (Bennett u. Castiglioni, 2004, S. 260 f.). Die eigene Durchlässigkeit im Körpergefühl kann als Basis für unsere intuitive Erfassung unseres Gegenübers dienen und intuitives Handeln ermöglichen. Dabei gibt der Körper auch Halt in der Auseinandersetzung mit einer komplexen Umwelt, in der es entscheidend darauf ankommt, verlässliche Bezugspunkte und Orientierung zu finden. Leseempfehlungen Downing, G. (1994). Körper und Wort in der Psychotherapie. Leitlinien für die Praxis. München: Kösel. Das Standardwerk gibt einen Überblick über körpertherapeutische Schulen, Methoden und Phänomene, die im Beziehungsgeschehen zwischen Therapeut und Klient auftauchen können. Downing richtet sich wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig praxisnah primär an Psychotherapeuten, die keine Vorkenntnisse zum Einbezug des Körpers in den therapeutischen Prozess haben. Mangels Alternativen in der Coachingliteratur ein empfehlenswertes Werk. Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (2006). Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Bern: Huber. Das interdisziplinär zusammengesetzte Autorenteam erklärt, weshalb der Körper bei Beratungsprozessen mit einbezogen werden muss. Die Spaltung von Geist und Körper heilen, Wechselwirkungen von Gehirn und Körper verstehen, psychische Prozesse im Körper orten – diese und weitere Themen werden praktisch und theoretisch fundiert dem interessierten Berater, Coach und Psychotherapeuten näher gebracht, ergänzt durch praktische Übungen. Das Buch ist gut geeignet, um sich hilfreiches Hintergrundwissen anzueignen.
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3.2 Methodische Kompetenzen für die Durchführung kulturreflexiver Coachings Neben den üblichen Coachingaufgaben geht es im kulturreflexiven Coaching für die Geschäftswelt des internationalen Managements – analog zu den Herausforderungen des multikulturellen Zusammenlebens in der Einwanderungsgesellschaft – speziell darum, auftretende bzw. wahrgenommene Unterschiede, Irritationen und Differenzen zu bearbeiten und (neue) Lösungen zu generieren. Dafür sind im kulturreflexiven Coaching die Selbstreflexionsfähigkeit und eine Haltung zu fördern, welche kulturdominante Deutungen zwar bedenkt, aber relativiert oder sogar wieder verwirft, um neue Wege finden zu können (vgl. dazu → Kapitel 2.6 zu den Formaten kulturreflexiver Coachings). Wir gehen davon aus, dass Deutungshilfen und Modelle dem Coachingpartner sowohl im Coachingprozess als auch im Umgang mit Situationen außerhalb des Coachings helfen. Doch nicht nur der Klient, auch der Coach braucht Methoden und Konzepte, welche ihn unterstützen, die Komplexität zu reduzieren und zu deuten. Für die transkulturelle Coachingarbeit genügt unseres Erachtens die Arbeit mit konstruktivem Nichtwissen nicht. Wissensbestände sind nützlich, variantenreiche Fähigkeiten noch nützlicher. Es ist hilfreich, die im interkulturellen Bereich entwickelten Überlegungen und relevanten Methoden und Modelle zu kennen, um sie einsetzen bzw. gegebenenfalls auch wieder von ihnen absehen zu können. Im Folgenden wollen wir daher einige Deutungshilfen und Instrumente exemplarisch darlegen. Zum reflexiven und handlungsorientierten Repertoire gehören kulturspezifische und kulturübergreifende Inhalte und Übungen ebenso wie Modelle des interkulturellen Managements und der multikulturellen Teamentwicklung. Schließlich darf der kulturreflexive Blick auf die Identitäten des Coachingpartners nicht fehlen. Um die Vielfalt an bereits verfügbaren Hilfestellungen optimal für das Coaching nutzbar zu machen, gilt es, eine übersichtliche und schlüssige Form für deren Einordnung und Darstellung zu finden. Es stellt sich also die Frage, nach welchem unterstützenden Ordnungsprinzip die vorhandenen Wissensbestände, Methoden, Leitfäden und Reflexionshilfen ausgewählt und beschrieben werden können. Wir halten es für hilfreich, die Konzepte anhand der verschiedenen Perspektiven aufzuschlüsseln, die sich aus der im → Kapitel 2.6 vorgestellten Einteilung der Interkulturellen Coachingformate ergeben: 1. Aus der Perspektive des Coachings als interkulturellem Lernen sind alle Methoden zu betrachten, die helfen, Inhalte zu vermitteln und sich mindestens einen spezifischen Kulturkreis zu erschließen (→ Kapitel 3.2.1). 2. Der Perspektive des Coachings im multikulturellen Kontext ordnen wir Methoden, Konzepte und Leitfäden zu, welche helfen, die Selbstreflexion im multikulturellen Umfeld anzuregen, das Umfeld des Coachingpartners anhand von Strukturen und Modellen zu erschließen und Fähigkeiten zu entwi-
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ckeln, welche die Gestaltung von (interkulturellen) Beziehungen erleichtern (→ Kapitel 3.2.2). 3. Aus der Perspektive des transkulturellen Coachings sehen wir den Fokus auf dem Individuum, seiner (hybriden) Identität, seinen Zugehörigkeiten und seiner (lebenslangen) Entwicklung. Hier geht es darum, zur Förderung der kulturreflexiven Kompetenzen des Coachs dessen kulturell geprägte Vorstellung vom Selbst und vom Ich zu relativieren und ebenso die daran geknüpften Erwartungen an die Persönlichkeit. Das diesbezügliche Methodenreservoir beinhaltet insbesondere Hilfestellungen zur Erschließung von Entwicklungsphasen und Zugehörigkeiten (→ Kapitel 3.2.3). 4. Schließlich wollen wir nach den Implikationen für die vorhandenen und publizierten Methoden fragen, die nicht speziell mit Blick auf Interkulturelles Coaching entwickelt wurden: Wie sind diese jeweils einzusetzen, wenn man in den Kategorien des trans- und Interkulturellen Coachings denkt? Sind sie uneingeschränkt einsetzbar? Woran erkennt man, ob die Methode einen Cultural Bias hat? Und wie kann man über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes einer Methode entscheiden (→ 3.2.4)? Eine umfängliche Methodensammlung würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Die Methoden, die wir hier exemplarisch vorstellen, haben wir ausgewählt, weil sie im interkulturellen Bereich häufig zur Erschließung von Kultur(en) eingesetzt werden. Sie stellen also quasi »Basics« dar. Diese weit verbreiteten Erschließungsinstrumente ergänzen wir jeweils um eine langjährig erfolgreich eingesetzte, selbst entworfene Methode, um Mut für eigene Modelle und Vorgehensweisen zu machen. Die Methodenbeispiele sollen demonstrieren, wie kulturreflexive Zielrichtung beim Methodeneinsatz bewusst erfolgen kann. Eine »Kritische Würdigung« rundet die Darstellung von methodischen Herangehensweisen jeweils ab. Der Maßstab für die Beurteilung in der »Kritischen Würdigung« setzt sich aus verschiedenen Kriterien zusammen: 1. Betrachten wir Perspektive und Nutzen für die Kunden bzw. Coachingpartner. 2. Reflektieren wir eigene Erfahrungen und benennen den pädagogischen oder psychologischen Effekt hinsichtlich der Entwicklung transkultureller Kompetenzen. Dabei sind die erforderlichen Kompetenzen des Coachs zu benennen oder auf mögliche Risiken hinzuweisen. 3. Betrachten wir gegebenenfalls die theoretische Stringenz, die der Methode zugrunde liegt. Über die Eindeutigkeit der Zuordnung der Methoden zu den einzelnen Kategorien unserer vorgestellten Einteilung kann man vermutlich streiten. Doch es geht uns in diesem Fall weniger um Trennschärfe als darum, Interkulturelles Coaching mit Hilfe unterschiedlicher Perspektiven zu erschließen und dabei keine in diesem Sinne aufschlussreiche Perspektive zu übersehen.
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3.2.1 Methoden zum interkulturellen Lernen im Coaching Gemäß der hier vorgeschlagenen Differenzierung nach unterschiedlichen Formaten interkulturellen bzw. kulturreflexiven Coachings lässt sich Coaching dann als interkulturelles Lernen charakterisieren, wenn die Beteiligten auf der Basis eines essenzialistischen Kulturbegriffs von einer gegebenen Kulturdifferenz geschlossener Kulturräume ausgehen. Die typischen Themen in diesen Coachings sind geprägt von dem wahrgenommenen »Aufeinandertreffen« einer »eigenen« und mindestens einer anderen, als »fremd« erlebten Kultur, und mit Kultur wird in der Regel Landeskultur assoziiert. Im Coaching spielt daher die Begleitung bzw. die Vorbereitung des Coachingpartners auf die erlebten oder wahrgenommenen Unterschiede in den Alltags- und Geschäftskulturen die größte Rolle. Im Rahmen der personen- und zielorientierten Prozessarbeit kann der Coach zur Vermeidung oder Behebung von Erwartungsbrüchen und Missverständnissen entsprechende Wissensbestände vermitteln sowie zur Erweiterung des Handlungsrepertoires Übungen einsetzen. Methodisch ist das didaktische Repertoire interkultureller Trainings einsetzbar, soweit es sich in Einzel- oder Teamcoachingsettings verwenden lässt. Hierzu zählt die Arbeit mit eigenen oder aus der Literatur entnommenen typischen Situationen und Fallbeispielen, in denen es zu Missverständnissen und wechselseitigen Fehlattribuierungen kommt. Reflektiert werden können allgemeine Unterschiede der Wertesysteme und ihre Auswirkungen auf Arbeitswelt, Alltagsorganisation und das Verhalten der Menschen. Kulturallgemeines und kulturspezifisches Wissen gehören ebenso zum interkulturellen »Lernstoff« wie Kenntnisse der Besonderheiten interkultureller Kommunikation. Die hierzu verfügbaren Wissensbestände speisen sich nicht nur aus ethnologischen oder anthropologischen Untersuchungen, denn inzwischen wird in vielen Disziplinen kulturreflexiv gedacht und geforscht, sodass von einem »interkulturellen Paradigma« (Haas, 2008) gesprochen werden kann. Die Literaturgrundlage zum erforderlichen (inter)kulturellen Hintergrundwissen ist mittlerweile breit, aber auch redundant. Die Verfasser beziehen sich in der Regel auf die Kulturstandards aus der Regensburger Schule um Alexander Thomas sowie auf das Konzept der Kulturdimensionen, das auf die Untersuchungen von Hall (1976), Hofstede (1997), Trompenaars und Hampden-Turner (1997) sowie Schwartz (1994) zurückzuführen ist. Eine Übersicht über die verschiedenen Ansätze, interkulturelle und kulturspezifische Kompetenz zu vermitteln, über ihre Vorzüge und Grenzen sowie methodische Beispiele gibt Nazarkiewicz (2010b, Kapitel 2). Um im Einzelcoaching interkulturelles Lernen zu fördern, braucht der Coach nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch das für interkulturelle Trainer übliche Repertoire. Neben spezifischen Wissensbeständen rund um das Thema »interkulturelle Kompetenz« ist es erforderlich, dass der Coach die wesentlichen für den Coachingpartner relevanten Zielkulturen kennt, einschließlich der dort geltenden charakteristischen Gepflogenheiten im Management oder in den für die Coachingpartner wichtigen Lebensbereichen. Bestenfalls basieren
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die Wissensbestände auf eigenen Erfahrungen, gründlicher und vergleichender Lektüre und der Verfolgung aktueller Ereignisse in den lokalen kulturspezifischen Medien (TV- und Radiosendern, Websites etc.) sowie auf der Auswertung und Rezeption einschlägiger Forschungsarbeiten, damit die Verallgemeinerungsfähigkeit der Hypothesen und Hinweise gewährleistet ist. Anders als in interkulturellen Trainings gilt für den Coach, dass er neue Wege zur Erweiterung des interkulturellen Handlungsrepertoires nur aufzeigt, aber nicht vorgibt. Es sind daher für den Coach Kenntnisse und Erfahrungen mit einem didaktischen Methodenrepertoire erforderlich, das dem Coachingpartner die Möglichkeit zur Aneignung und Umsetzung dieser Wissensbestände eröffnet. Beim Verständnis von Coaching als interkulturellem Lernen ist die Rolle des Coachs deutlich mit inhaltlicher Expertise ausgestattet und stark trainings- und beratungsorientiert. Sylvia Schroll-Machl nennt diese Form des Interkulturellen Coachings »Beratung mit Ratschlag« (Schroll-Machl, 2006). Fallbeispiel: Norman Richtmann Eine der Human-Resource-Managerinnen eines expandierenden IT-Unternehmens ruft uns an, da eine ihrer Führungskräfte im Entwicklungsbereich seit kurzem ein Team in Indien führt. Der dreißigjährige Informatiker hat schon internationale Erfahrungen bei einem Auslandssemester in den USA gesammelt, Asien kennt er allerdings nicht. Eine Indienreise ist in Kürze geplant. Die Human-Resource-Managerin bittet um einen detaillierten Vorgehensvorschlag für ein Interkulturelles Coaching. Folgendes Angebot haben wir eingereicht: 1. Termin: Standortbestimmung und Zielklärung (1 Std.) Rahmenthemen: ◆ Bedarfsanalyse (Fragen- und Themensammlung) und Zielformulierung für das Coaching ◆ Standortbestimmung »Interkulturelle Kompetenz« (Vorerfahrungen, Erhebung des benötigten Transferwissens) ◆ »Hausaufgaben« zur Vorbereitung des nächsten Coachingtermins und der Reise nach Indien 2. Termin: Vorbereitung auf die Begegnung mit den indischen Mitarbeitern und Kollegen (3 Std.) Rahmenthemen: ◆ Selbstpräsentation, Geschäftsetikette ◆ Aspekte der indischen Geschäfts- und Arbeitskultur ◆ Bedeutsame Werteorientierungen der Mitarbeiter ◆ Hierarchie- und Führungsverständnis in Indien ◆ Der indische Führungsstil ◆ Gegebenenfalls Transferübungen
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3. Termin: Vorbereitung der Indienreise (1 Std.) Rahmenthemen: ◆ Offene Fragen ◆ Besonderheiten der interkulturellen Kommunikation mit Indern (z. B. Feedbackgestaltung) ◆ Typische Missverständnisse Während der Indienreise gibt es ein Hotline-Angebot und die Möglichkeit für telefonische Rücksprache oder Fragen über E-Mail bei Bedarf. 4. Termin: Follow-up nach der Reise (2 Std.) (innerhalb der ersten 1–2 Wochen nach der Rückkehr) Rahmenthemen: ◆ Auswertung der Erfahrungen in Indien und mit den indischen Mitarbeitern: indische Verhaltensweisen und ihre Interpretation ◆ Besprechung von »Critical Incidents« (real oder vorgegeben als Vorbereitung) ◆ Bedeutsame Aspekte der virtuellen Führung auf Distanz (Umgang mit E-Mail, Telefonaten etc.) ◆ Themen des Coachingpartners 5. Termin: Transfer (2 Std.) (in zeitlichem Abstand von etwa 4 Wochen) Rahmenthemen: ◆ Auswertung der Erfahrungen in Indien und mit den indischen Mitarbeitern ◆ Mitarbeiterbindung/Anreize schaffen, Motivieren ◆ Zielvereinbarungen treffen, Arbeitsanweisungen geben, Führen und Kontrollieren auf Distanz ◆ Kritik äußern ◆ Themen des Coachingpartners 6. Termin: Auswertung und Ausblick ◆ Next Steps ◆ Themen des Coachingpartners
Im Unterschied zu anderen Coachings erwarten die Klienten bei interkulturell ausgerichteten Anfragen die inhaltliche Expertise des Coachs und kulturkreisspezifischer Erfahrungen sowie ein entsprechendes theoretisches Hintergrundwissen. Zudem sind die Ziele häufig nur vage formuliert und nicht sehr individualisiert angepasst. Ein ausführliches inhaltliches Angebot spiegelt den verbreiteten Wunsch der Kunden im Interkulturellen Coaching wieder, wie bei einem Training im Vorfeld zu erfahren, was auf sie zukommt, oder wie sie scheinbar rätselhafte Vorgänge deuten können. Die Tiefendimensionen von
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Kultur und ihr Einfluss im (Geschäfts-)Alltag sowie die Schwierigkeit, gegebenenfalls existierende Differenzen im Handeln zu antizipieren, werden von ihnen nicht selten unterschätzt. Sobald das Coaching kulturalistisch betrachtet wird, drohen andere Aspekte aus dem Blick zu geraten, welche möglicherweise ebenfalls in die Situation hineinwirken und sie erschweren können. Dazu gehören die Herausforderung, virtuell zu führen, überhaupt die voraussetzungsreiche Aufgabe, andere – gegebenenfalls ohne Weisungsbefugnis – zu führen, also organisationale Aspekte (Teilgesellschaften, Provider), Alters- und Erfahrungsunterschiede und viele andere mehr. Mit einem hinreichend inhaltlich konkretisierten, der Terminologie der Anfrage folgenden Leitfaden wird einerseits dem Wunsch nach Struktur und inhaltlicher Aussage entsprochen, andererseits kann ein Prozess aufgesetzt werden, der Raum für Themen und Anliegen vorsieht, die im Coaching aufkommen können. Um den Risiken einer Frage vorzubeugen, »wie man mit den Indern umgehen müsse, damit alles besser funktioniere«, schlugen wir ein deutsch-indisches Coachingteam vor, und der Kunde nahm diesen Vorschlag an. Da die Zeitressourcen der Führungskraft beschränkt und die Wege zueinander weit waren, fand das Coaching mit Ausnahme der letzten Sitzung virtuell statt, was auch die Arbeitssituation des Coachingpartners spiegelte und daher im Coaching als Ressource genutzt werden konnte. Die beiden Coachs und der Coachingpartner arbeiteten in diesem Fall räumlich voneinander getrennt, indem sich alle Beteiligten jeweils telefonisch in die Coachingsessions einwählten. Diese fanden in der Regel zu dritt, aber gelegentlich auch in Zweierkonstellationen (deutschdeutsch bzw. deutsch-indisch) statt. Der Vorteil eines Tandemvorgehens liegt auf der Hand. Bei Fragen nach »richtig oder falsch« erhält der Coachingpartner entweder Rückfragen oder Rückmeldungen aus mehreren Perspektiven, sodass er Gelegenheit hat, seinen eigenen Lösungsweg zu finden. Dieses Vorgehen ist möglich, weil ein Coachingprozess, in dessen Zentrum interkulturelles Lernen steht, gegenüber einem »klassischen«, üblicherweise im Zweiersetting stattfindenden Coaching, einen anderen Spannungsbogen hat. Wichtig ist, dass mindestens einer der Coachs eine Kontinuität erzeugt. Als das Coaching begann, offenbarte die Sichtung der Organigramme eine zusätzliche organisatorische Komplexität. Die einzelnen Teammitglieder arbeiteten nicht allesamt für dieselbe Gesellschaft, sondern waren bei unterschiedlichen Providern als Software-Entwickler beschäftigt; zudem hatte der Coachingpartner abgesehen von drei Personen keine eindeutige Weisungsbefugnis für die übrigen Mitglieder seines Teams. Weitere relevante Aspekte, die zur Verunsicherung des Coachingpartners und zu seinem Entwicklungsbedarf beitrugen, waren der Umgang mit Altersunterschieden, Beziehungspflege im Allgemeinen und speziell aus der Distanz, unterschiedliche Kommunikationsstile und das Arbeiten in einer Fremdsprache. Hinzu kam, dass es seine erste Führungsaufgabe war.
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Das durchgeführte Coaching hatte dementsprechend wissensvermittelnde, trainierende, reflektierende und Lösungen generierende Phasen. Es reflektierte die Besonderheiten der virtuellen Zusammenarbeit, machte interkulturelle Kommunikation in situ erfahrbar und berücksichtigte die organisatorischen Herausforderungen ebenso wie die häufig übersehenen Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen und Kulturen. Ein bescheiden formuliertes Ziel für ein derartiges gleichwohl transkulturell angelegtes Coaching könnte darin bestehen, neben der praktischen, problemorientierten Unterstützung und Begleitung bei den schwierigen ersten Schritten im interkulturellen Team zumindest Entwicklungsanstöße zu geben. Das Fallbeispiel Norman Richtmann zeigt, dass es einige Möglichkeiten gibt, die essenzialistischen Fallstricke im Interkulturellen Coaching zu vermeiden und dennoch dem Kundenwunsch (erweitert) zu entsprechen. Zu den Faktoren und Arrangements, die dies begünstigen, gehörten in diesem Fall: der inhaltliche Leitfaden für ein Prozessdesign, die Erzeugung von Perspektivenvielfalt und interkulturellen Kommunikationssituationen durch eine bikulturelle Coachingsituation, das virtuelle Design und dadurch die Möglichkeit, interkulturelle Kommunikation und Herausforderungen des virtuellen Arbeitens im Hier und Jetzt zu thematisieren. Hilfreich war darüber hinaus auch der erweiterte Blick auf die Organisation. Da bei Coachings als interkulturellem Lernen potentiell immer auch die Gefahr besteht, zu stark in kulturellen Differenzen zu denken, ist es schließlich wichtig, darauf zu achten, dass in interkulturellen Settings und Situationen die Gemeinsamkeiten der Beteiligten nicht aus dem Blick geraten.
Cross Cultural Dialogues Die Auswahl an Methoden zur Förderung der interkulturellen Kompetenz ist im Laufe der letzten Jahre gewachsen. Auch für das Coaching kann man die inzwischen in großer Zahl vorliegenden Handbücher für interkulturelle oder kulturspezifische Trainings zu Rate ziehen, um nach passenden Übungen für das Zweiersetting zu suchen. Viele Methoden sind aus anderen Bereichen bekannt, teilweise wurden sie speziell auf den interkulturellen Rahmen zugeschnitten. Üblich sind zum Beispiel der Einsatz von Awareness-Übungen, Fallstudien und Critical Incidents, interkulturellen Kommunikationsübungen und Trainingsfilmen. Erfahrene Coachs entwickeln zum Teil ihre eigenen Methoden. Dieses Methodenarsenal ist besonders dann zweckmäßig, wenn der Coachingpartner noch keine Erfahrungen in den jeweiligen Kulturen hat und vorbereitet oder sensibilisiert werden soll. Hier ist die Vermittlung von Wissen vorrangig. Liegen bereits eigene Erfahrungen vor, kann man mit den Erlebnissen und dem »Material« des Coachingpartners arbeiten. Da kulturelles Handeln sich im Alltag in der Kommunikation und Interaktion zeigt, ist es empfehlenswert, selbst erlebte und konservierte Situationen, wie zum Beispiel Mailwechsel, heranzuziehen und diese kulturreflexiv zu analysieren. Wenn es nicht möglich ist, Kom-
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munikation oder Telefonkonferenzen aufzuzeichnen, eignen sich auch konstruierte Kommunikationsszenen, wie man sie in der Literatur finden kann, für das Aufzeigen neuer Deutungsperspektiven. Beispiele findet man bei Storti (1994, 2008), der sowohl kulturübergreifend als auch kulturspezifisch im Hinblick auf Indien Dialoge konstruiert. Diese können zur Kompetenzerweiterung verwendet werden, wenn keine persönlichen Erfahrungsbeispiele verfügbar sind. Der folgende Dialog demonstriert, wie ein indisch-englischer Muttersprachler implizite Botschaften gibt (Tabelle 3). Tabelle 3: Cross Cultural Dialogue (Storti, 2008, S. 26 f.)
Joann:
How’s everything going, Kartik?
Kartik:
Fine, fine.
Joann:
Are we still on schedule?
Kartik:
Oh yes. We’re working extra hard on this.
Joann:
Great. My people are anxious to see the new application.
Kartik:
I’m sure. When are they expecting to see it?
Joann:
By the end of the week, like we agreed.
Kartik:
I see. It turned out to be quite a big job, didn’t it?
Joann:
That’s for sure. Thanks for all your help, Kartik.
Die Methode nennt sich Cross Cultural Dialogues und besteht aus kurzen konstruierten, aber idealtypischen Dialogsequenzen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Kulturen, meist basierend auf den Kulturdimensionen. Die Dialoge sind so konstruiert, dass die Konversation natürlich klingt und die kulturell bedingte Differenz der Perspektiven den Beteiligten und Anwesenden nicht wirklich offensichtlich wird. Der Dialog gibt mehr oder weniger implizite Hinweise auf deren unterschiedliche Perspektiven und kulturelle Deutungshintergründe. Kritische Würdigung: Die Arbeit mit Dialogen oder echter Kommunikation ist beliebt, weil sie alltagsnah ist. In Anbetracht dessen, dass häufig personengebunden attribuiert wird (siehe dazu → Kapitel 3.1.2, Kommunikation als »creating culture together«), können solche Dialoge auch dazu dienen, überhaupt kulturelle Interaktions- und Kommunikationskonzepte als solche zu erkennen. Die Übung kann aber auch frustrieren, da es für die meisten Coachingpartner eine echte Herausforderung darstellt, die Äußerungen auf kulturelle Deutungskonzepte zurückzuführen. Zudem implizieren die Dialoge in ihrer vereinfachten Darstellungsform notwendig einen reduzierten Blick auf Kommunikation, indem unter anderem paraverbale Faktoren (Intonation, Sprechrhythmus etc.) und andere Aspekte der sprachgebundenen Ausdrucksformen vernachlässigt
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werden. Bei den konstruierten Dialogen ist darüber hinaus fraglich, ob man überhaupt Kulturdimensionen direkt in Kommunikation abbilden kann.
Globe Cluster Eine weitere inhaltsbezogene und auf die Verdeutlichung kultureller Unterschiede abzielende Methode ist der Vergleich eigener Vorgehensweisen mit einem wissenschaftlich erstellten typischen Landesprofil, wie es im Hinblick auf das Führungsverständnis zum Beispiel das GLOBE Leadership Cultural Cluster ermöglicht. Abbildung 8 zeigt, wie Zukunftsorientierung, Machtdistanz, Geschlechtergleichheit und weitere Ausprägungen in der Führung erwartet (»should be«) und real praktiziert (»as is«) werden, hier im Beispiel bezogen auf den arabischen Kulturkreis.
Abbildung 8: Arabic cluster’s societal culture scores (Kabasakal u. Bodur, 2002)
Hintergrund dieser Darstellungsform von Kulturdimensionen ist das »Global Leadership and Organizational Behaviour Effectiveness Research Program«, kurz die GLOBE-Studie genannt (House, Hanges, Javidan, Dorfman u. Gupta, 2004). Die Untersuchung basiert auf insgesamt neun Kulturdimensionen und ist die mit Abstand größte Kulturvergleichsstudie seit den ersten Arbeiten von Hofstede, auf denen sie kritisch aufbaut. Neben einigen der bereits aus Hofstedes Ansatz bekannten Kategorien wie Machtdistanz oder Kollektivismus beinhal-
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tet sie auch neue und auf Führung bezogene Dimensionen wie »Bestimmtheit« (Assertiveness). Diese verweisen, ebenso wie der Titel der Studie, auf deren spezifisches Thema und die damit verbundenen Fragestellungen. Gesucht werden Merkmale der Führung, die in allen Kulturen geschätzt werden, und untersucht wird unter anderem die Frage, inwieweit die Kultur einer Gesellschaft Organisationskultur und Führungsverhalten beeinflusst. Insgesamt wurden über 17.370 Fragebögen von Führungskräften aus 951 Unternehmen und 62 Kulturen ausgewertet, daneben aber auch qualitative Methoden wie Gruppen- und Einzelinterviews in die Auswertung mit einbezogen. Erfasst wurden dabei auch Teilkulturen, indem man zum Beispiel die kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der französischen Schweiz sowie zwischen West- und Ostdeutschland untersuchte oder indem man einen Ländervergleich speziell im Hinblick auf die Organisationskultur anstellte. Die GLOBE-Studie hatte zum Ziel, insgesamt fünfzehn Thesen zu überprüfen (unter anderem zur Frage, wie die kulturell geteilten Normen und Werte das Führungsverhalten beeinflussen), ferner kulturunabhängige Führungsmerkmale und -dimensionen zu identifizieren und kulturtypische, präferierte Führungskräfteprofile zu beschreiben. Dabei wurden jeweils verschiedene Länder zu einem Kulturkreis geclustert, in den Auswertungen jedoch soweit erforderlich auch wieder ausdifferenziert. Die GLOBE-Studie geht insofern über die bis dahin durchgeführten Studien hinaus, als sie auch die Differenz zwischen Ist-Zuständen und Soll-Vorstellungen untersucht. Neben vielen Einzelergebnissen zeigt sie, dass die »Landeskultur« Einfluss auf die Organisationskultur ausübt und die impliziten Führungstheorien landes- und unternehmenskulturellen Einflüssen unterliegen, so dass es sinnvoll erscheint, Landes- und Organisationskultur bei der Führung von Mitarbeitern zu berücksichtigen. Im arabischen Cluster sieht man eine hohe Ausprägung bei der Familienorientierung und der Machtdistanz. Indem die Studie die Differenz zwischen Soll und Ist erfasst, lässt sich beobachten, dass es hinsichtlich der Familienorientierung eine Kongruenz gibt in Fragen der Hierarchie. Eine Differenz dagegen gibt es zwischen dem, was gelebt wird, und dem, was als Ideal angesehen wird. Man kann solche Profile mit anderen Kulturclustern vergleichen und gemeinsam mit dem Coachingpartner überlegen, was das für ihn, seinen Kontext und sein Verhalten bedeuten könnte. Auch der kulturübergreifende Vergleich gehört zu den Themen des Coachings als interkulturellem Lernen, weil er es ermöglicht, Aussagen zu Besonderheiten von Kulturen zu machen. Eine vergleichende Vorgehensweise im Coaching setzt man dann ein, wenn Aussagen getroffen werden wie »Vertreter des Kulturkreises X meinen …«, »von Kulturkreis Z hat man im Vergleich zu A herausgefunden«, »ich als Engländerin sage …«. Dies wollen wir an einem Methodenbeispiel zum häufigen Coachingthema Führung demonstrieren.
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Landkarte der Führung Zum Thema Führung im interkulturellen Kontext kann man zwei Grundhaltungen grundsätzlich unterscheiden. Eine Möglichkeit ist, anzunehmen, dass es Fähigkeiten und Formen professionellen Managements gibt, die überall geschätzt werden und erfolgreich sind; alternativ dazu kann man jedoch auch die Ansicht vertreten, dass die Orientierung der Führungskräfte multikulturell sein und die kulturellen Wertesysteme von Menschen im Business berücksichtigen sollte. Diese Position geht davon aus, dass die Globalisierung, in welcher Form und in welchem Ausmaß auch immer, letztlich nicht zur Nivellierung der Kulturunterschiede, das heißt zur Vereinheitlichung der Kulturen führen wird (Brodbeck, 2008, S. 19). Unabhängig davon, welcher dieser Positionen man sich zuordnet, stellt die GLOBE-Studie Daten dazu zur Verfügung, was in den jeweiligen Kulturkreisen und weltweit unter effektiver Führung verstanden wird. Tendenziell weisen die Daten darauf hin, dass man kulturelle Besonderheiten berücksichtigen sollte. Die globale Landkarte der Führung (Brodbeck, 2008, S. 22, siehe Abbildung 9) zeigt die kulturellen Differenzen und verortet die verschiedenen Länder- bzw. Teilkulturen anhand der beiden Achsen Autoritätsorientierung und Veränderungs-/Teamorientierung. Mit dieser Grafik lässt sich die Frage beantworten, welche Art von Führung in welcher Kultur als effektiv betrachtet wird. Eine niedrige Ausprägung auf der
Abbildung 9: Globale Landkarte der Führung (Brodbeck, 2008, S. 22)
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Achse der Autoritätsorientierung bedeutet einen stärkeren Fokus auf der Autonomie der Mitarbeiter, dies findet man in West- und Ostdeutschland, welche auch – in Relation gesehen – niedrigere Werte bei der Veränderungs- und Teamorientiertheit aufweisen. Im Hinblick auf das konfuzianisch geprägte (Ost-) Asien, das eine stärkere Autoritätsorientierung als vorteilhaft ansieht, stellt sich im Coaching die Frage, was Autorität in der Ausgangskultur meint und was sie in den jeweiligen Kulturen bedeutet, mit denen der Coachingpartner zu tun hat. Wie wird sie gelebt? Was bedeutet dies für die eigene innere Landkarte? Welche Veränderungen in den eigenen Handlungsweisen sind notwendig, wie kann das kommunikative Repertoire erweitert werden? Analog zu den bekannten Kulturdimensionen nach Hofestede oder Trompenaars können über Kulturvergleiche und Relationen kulturtypische Ausprägungen des Verhaltens thematisiert und erarbeitet werden. Statt auf der Basis der Erfahrungen des Coachs mit verschiedenen Kulturen allgemeine Empfehlungen zu geben, ist es möglich, auf der Basis wissenschaftlich gestützter Ergebnisse wie jenen der GLOBE-Studie über Dimensionen der Führung zu sprechen. Im Falle einer Vorbereitung auf eine einzelne Kultur kann hier noch in die Tiefe gegangen werden, wie es bereits am Cluster für den arabischen Kulturkreis angedeutet wurde. Kritische Würdigung: Kulturspezifische und kulturvergleichende Wissensbestände sind insbesondere dann im Coaching seriös einzusetzen, wenn sie auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien basieren. Es ist erstaunlich, wie bereitwillig viele Coachingpartner bloß behauptetes Wissen über andere Kulturen übernehmen. Die Gefahr von Kulturalisierung, Fehldeutungen, falschen Verallgemeinerungen und ab einem gewissen Punkt auch des Lernwiderstandes ist dann hoch. Der Vorteil der Arbeit mit wissenschaftlichen Erklärungsansätzen und Untersuchungsbefunden sowie daraus abgeleiteten Modellen liegt darin, dass durch deren Form, empirisch gestützt, an Kriterien der Objektivität und Validität sowie der Pluralität der Ansätze orientiert, die Coachingpartner dazu angeregt werden, essenzialistische Deutungen zu vermeiden bzw. zu hinterfragen und eine distanziertere Haltung zu den »Informationen« über anderen Kulturen einzunehmen. Anhand dieser Forschungs- und Wissensgrundlage kann man theoretisch informiert und sensibilisiert erörtern, welche praktischen Schritte für das Coaching und die Erreichung der Coachingziele sinnvoll und effektiv sein könnten. Das häufig auf Widerstand stoßende Anpassungslernen wird vermieden. Die GLOBE-Studie versucht, die von verschiedenen Seiten an den Kulturdimensionen geäußerte Kritik zu überwinden, ist aber in ihrem komplexen Design und wissenschaftlichen Anspruch leider schwer zugänglich und nicht leicht auf die Praxis zu übertragen. Das dürfte mit dazu beitragen, dass sie als Wissensgrundlage, Informationsquelle und Tool vergleichsweise wenig eingesetzt wird. Zudem sind die Aussagen und Datenanalysen selbst auf das Thema Führung und damit auf bestimmte Zielgruppen eingegrenzt.
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Kulturstandards Eine weitere, im interkulturellen Training verbreitete Methode ist die Vermittlung von Kulturstandards. Alexander Thomas versteht darunter »alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns […], die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden« (Thomas, 1996, S. 112). Zentrale Kulturstandards verändern sich laut Thomas im Unterschied zu peripheren Kulturstandards auch unter veränderten Lebensbedingungen nur sehr langsam, denn individuelle und gruppenspezifische Abweichungen vom Verhalten wurden lange vom sozialen Umfeld sanktioniert. Ein Beispiel für einen Kulturstandard ist die »regelorientierte, internalisierte Kontrolle« der Deutschen (Schroll-Machl, 2002, S. 89 ff.). Das bedeutet, dass Regeln als verbindliche Richtlinien angesehen werden, die ungeachtet von Personen, Situationen und Beziehungen einzuhalten sind. Sie garantieren Verlässlichkeit, denn aufgrund der Internalisierung werden sie auch dann als verbindlich erachtet und gewissenhaft sowie mit Selbstdisziplin eingehalten, wenn Umstände sich verändern oder widrig werden. Deadlines werden eingehalten, »aus Prinzip« oder weil es »fair ist« den anderen gegenüber, denn als Basis der Regeln gilt der vorausgesetzte Konsens. Sich innerhalb eines sozialen Systems den Normen entsprechend zu verhalten, sichert Anerkennung in Beziehungen. So dienen die Kulturstandards als Orientierungssystem, welches in der von Alexander Thomas begründeten Regensburger Schule auf Nationen bezogen wird. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Kulturstandards beurteilt. Kulturstandards bestehen aus einer zentralen idealen Norm und einem Toleranzbereich mit noch akzeptierbaren Abweichungen. Die in empirischer Forschung der Kulturpsychologie erhobenen Standards können auf verschiedenen Abstraktionsebenen spezifiziert werden, von allgemeinen Werten bis hin zu sehr konkreten, verbindlichen Verhaltensvorschriften. Sie haben eine handlungsregulierende Funktion und werden von Mitgliedern einer Kultur nicht mehr bewusst reflektiert. Erst im Kontakt mit Personen, die anders sozialisiert sind, können die Kulturstandards und ihre Wirkungen bemerkt werden, und dies oft in Form von Störungen. Die im Zusammenhang mit den Kulturstandards am häufigsten eingesetzte Methode präsentiert als Übungen kleine Episoden, in denen es im interkulturellen Aufeinandertreffen zu typischen Interaktionsstörungen kommt, weil die Handlungen der Beteiligten von unterschiedlichen Kulturstandards geleitet werden. Ziel ist es, zu lernen, die Situationen und das Verhalten aus der Perspektive der jeweils anderen Kultur zu deuten. Im Trainings- und Coachingkontext werden diese Episoden, sogenannte Critical Incidents, und die Kulturstandards zur Selbst- und Fremdreflexion eingesetzt und geben Deutungsmöglichkeiten für Verhaltensweisen fremdkultureller Kommunikations- bzw. Geschäftspartner, die aus der Perspektive der eigenen Kultur zunächst rätselhaft und befremdlich erscheinen.
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Kritische Würdigung: Durch Praxisnähe, Greifbarkeit und die einfache Zugänglichkeit über den Buchmarkt ist das Konzept der Kulturstandards sehr erfolgreich. Die Fallbeispiele als Illustration der Kulturstandards setzen am konkreten Handlungsfeld oder sogar am branchenspezifischen Alltag von Coachingpartnern an und erzeugen durch ihre »Rätselhaftigkeit« Aufmerksamkeit und Interesse an der Auflösung. Die Grenzen dieser Methode liegen im Wesentlichen darin, dass es sich bei den Kulturstandards letztlich um vereinfachte Kategorisierungen handelt. Sie wurden durch systematische Analyse von Handlungssituationen und empirischen Befunden erarbeitet und sind Ergebnis einer Generalisierung. So vermitteln sie eine scheinbare Objektivität, haben tatsächlich jedoch aufgrund ihrer Erhebung in Form von deutenden Berichten einen eigenen »Bias«, der ihre Gültigkeit einschränkt. Die Standards wurden jeweils anhand von Vertretern zweier Kulturkreise erhoben, zum Beispiel Deutschen und Chinesen; würde man stattdessen kritische Interaktionssituationen zwischen Japanern und Chinesen auswerten, so würden womöglich ganz andere »chinesische Kulturstandards« evoziert und als relevant betrachtet werden. Zudem wird das Verhalten in einer Kultur (über)generalisiert, die Interaktion erscheint als Reifizierung kultureller Normen und damit unveränderbar. Kultur wird somit als kognitives, mentales oder psychisches Phänomen behandelt und nicht als Produkt von sich entwickelnden wechselseitigen situativen Interpretationen. Weitere Einflüsse und Differenzierungen (Subkulturen, Individuen) werden nicht berücksichtigt. Kulturstandards können, müssen aber von den Akteuren nicht befolgt werden. Entsprechend reichen sie auch als alleinige Deutungsressource nicht aus, um das Verhalten von Einzelpersonen zu erklären, die sich ja nie nur mit einer Kultur identifizieren. Das Problem der Methode besteht unter anderem darin, dass sie notwendig mit starken Vereinfachungen arbeitet. Sie suggeriert jedoch einen »lebensnahen« Charakter in den didaktisch vereinfachten Situationsbeschreibungen, mit denen die Standards illustriert werden. Die von tatsächlichen Ereignissen abgeleiteten Beispielsituationen mit Spezifizierungen von Branchen etc. scheint die Komplexität der Wirklichkeit zu erfassen, reduziert die Akteure jedoch auf Agenten, die wie Marionetten an gesellschaftlichen Normen zu hängen scheinen. Zuletzt sei hier noch der dynamische Aspekt gesellschaftlichen Wandels angeführt, der sich einer Standardisierung entzieht Wenn man diese Aspekte im Blick behält und die Critical Incidents klar als Übung – nicht als Quelle von Informationen über die »kulturelle Wirklichkeit« in den Zielländern – rahmt, dann ist das Heranziehen der Standards im Coaching dennoch sinnvoll, um den eigenen Ethnozentrismus zu überwinden und Hypothesenbildung zu üben. Als »Aha-Effekt« wird die Erkenntnis vermittelt, dass qua Perspektivenwechsel das zunächst als »komisch« bewertete Verhalten erklärt werden kann. Zudem sind Kulturstandards kognitiv lernbar, und das macht sie zu einer relativ gut kontrollierbaren Methode, die Verstehen und Verständigung fördert.
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Kulturreflexiver Blick Zum Abschluss wollen wir ein Beispiel dafür geben, dass Kulturreflexivität mit vielen Instrumenten erschlossen werden kann und der methodischen Kreativität im Coaching kaum Grenzen gesetzt sind. Beispielsweise kann man ein (nach speziellen Kriterien ausgewähltes) selbst gemachtes Foto zur Hand nehmen und fragen, was (deutsche) Betrachter auf diesem Foto wahrnehmen und wie sie es bewerten und was demgegenüber eine andere (z. B. chinesische) Betrachterin hervorheben und bedeutsam finden würde (Abbildung 10).2
Abbildung 10: Tool – Private Fotos (Foto: Thu Phong Vuong)1
Die bekannte Drogeriekette hat einen roten Schriftzug und auch die Regale sind rot. Einem Chinesen würde die Farbe vermutlich auffallen – aber nicht etwa, weil sie im Chinesischen positiv besetzt ist. Rot ist zwar die Farbe des Feuers, des Sommers und des Südens und steht für Freude, Glück und Wohlstand, aber es ist für Chinesen eher unüblich, in dieser Farbe den eigenen Namen oder Firmennamen zu schreiben. Früher wurden die zum Tode verurteilten in Rot aufgelistet, daher ist der rote Schriftzug bei einem Namen äußerst negativ besetzt. Mehr noch als die Farbe würden einem Chinesen die unbeaufsichtigten Waren vor dem Geschäft ins Auge fallen, weil man direkten Zugang zu ihnen hat. Die internalisierte Regelkontrolle der Deutschen ermöglicht, sie ohne Aufsicht vor das Geschäft zu stellen. In China würden die Regale von mindestens einer Person beaufsichtigt. 1
Wir danken unserem Kollegen Thu Phong Vuong, dass wir das Bild zur Illustration einsetzen dürfen.
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Fazit Insofern Methoden mit inhaltlichen Aussagen zu Kulturen arbeiten, um im Interkulturellen Coaching wirksam zu sein, bedienen sie nach unserer Einteilung den Aspekt des interkulturellen Lernens. Dazu gehören alle Beschreibungen hinsichtlich anderer Kollektive, von den Feldstudien der Ethnologen und Kulturanthropologen über die Bestände an Deutungswissen aus dem interkulturellen Management bis hin zu Aussagen über Kultur und interkulturelle Kompetenz, wie sie typischerweise in interkulturellen Trainings zum Einsatz kommen. Der Anspruch und Zweck dieser Methoden besteht darin, anhand von Beschreibungen und Erläuterungen sowie von Übungen die fremde(n) Kultur(en) gleichsam in den Coachingraum zu holen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu untersuchen und um das, was an der anderen Kultur rätselhaft oder befremdlich erscheint, verstehbar und nachvollziehbar zu machen. Sie eigenen sich als Vorbereitung auf Auslandsentsendungen, zur Überprüfung der wechselseitigen Übereinkunft hinsichtlich unausgesprochener Erwartungen und Normen oder deren Relativierung. Die dafür erforderlichen unumgänglichen Vereinfachungen und Typisierungen der »fremden« Kultur bedingen die Grenzen dieser auf Wissensinput basierenden Verfahren, die man in diesem Sinne auch als »interkulturelle Trockenübungen« charakterisieren könnte. Hiervon abzugrenzen sind Tools, die abgelöst von spezifischen Kulturen die Reflexionsfähigkeit und Lösungssuche in Bezug auf interkulturelle Herausforderungen trainieren, ohne dabei auf kulturspezifische Inhalte einzugehen. Diese werden im folgenden Kapitel dargestellt. Leseempfehlungen Beruflich in… (Land): Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Die Übungsbücher dieser Reihe enthalten ein Culture-Assimilator-Selbsttrainingsprogramm auf der Basis von kritischen Interaktionssituationen mit Multiple-Choice-Antworten und Erläuterungen. Sie ermöglichen das Erlernen von Kulturstandards und sind für zahlreiche Kulturkreise (die als Nationen gefasst werden) erhältlich. Fowler, S. M., Mumford, M. G. (Hrsg.) (1995). Intercultural sourcebook: cross-cultural training methods. Vol. 1 und Vol. 2. Yarmouth: Intercultural Press. Die beiden Bände gehören zu den Klassikern des interkulturellen Trainings und geben einen guten Einblick in die verschiedenen didaktischen Umsetzungen des »interkulturellen Curriculums«. Sie enthalten eine Fülle von typischen Methoden zur Förderung interkultureller Kompetenz, von denen viele auch im Einzelsetting eingesetzt werden können. Nazarkiewicz, K. (2010). Interkulturelles Lernen als Gesprächsarbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Das Buch gibt Antworten auf die Frage, wie interkulturelle Kompetenz gebildet werden
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kann. Die besondere Herausforderung in interkulturellen und antirassistischen Veranstaltungen besteht darin, den in der Sozialisation vollzogenen Prozess der Akkulturation in Frage zu stellen und kulturelle Selbstverständlichkeiten durch die Heranführung an andere Perspektiven zu relativieren. Ziel ist, den Teilnehmenden in Kurzmaßnahmen andere und differente Wertehorizonte und Identitätsideale vorzustellen und mit ihnen gemeinsam daraus Handlungsstrategien für ihr eigenes Tätigkeitsfeld abzuleiten. Kapitel 2 enthält einen methodologischen Überblick über die interkulturellen Wissensbestände und Methoden des interkulturellen Lernens.
3.2.2 Reflexionshilfen für das Coaching im multikulturellen Kontext Das Spezifische beim Coaching im multikulturellen Kontext hatten wir dahingehend definiert, dass es nicht um die Relevanz eines oder einer kleinen Anzahl überschaubarer Kulturkreise geht, sondern dass unzählige Kulturen und Stile beachtet werden müssen. Grundlage ist die Erfahrung, dass das eigene System und Vorgehen in seiner Autopoiesis »gestört« wird. Wissensvermittelnde Methoden treten bei dieser Perspektive in den Hintergrund. Im Vordergrund des Coachings im multikulturellen Kontext stehen Tools, welche helfen, die eigenen handlungsleitenden Werte zu reflektieren, die Stile im eigenen Verhalten zu entdecken, andere Verhaltensweisen anzuerkennen, sowie die Entwicklung eines breiteren Verhaltensspektrums. Es handelt sich also um Methoden, welche eine Erweiterung des Handlungsrepertoires im interkulturellen Kontext ermöglichen, ohne dass sie sich dabei auf bestimmte Kulturkreise beziehen müssen. Auch Modelle aus dem Themengebiet des Interkulturellen Managements helfen hier, den Blick zu weiten. Die im Zusammenhang mit dieser Herangehensweise am häufigsten genannten Methoden gehören dem systemischen Spektrum an. Sie reichen von zirkulärem Fragen bis zu Modellen, die helfen, relevante Unterschiede zu erschließen, von denen Kultur nur einer ist.
Wertequadrat Eine häufig auch im interkulturellen Feld eingesetzte Reflexionsmethode ist das Wertequadrat. Es geht auf die Lehren des Aristoteles zurück, wurde ursprünglich von Paul Helwig (1969) entwickelt und ist durch Friedemann Schultz von Thun (1998) bekannt geworden. Man kann damit Spannungsfelder zwischen kulturell unterschiedlichen Werten aufschlüsseln und visualisieren, welche für Individuen oder in Kulturen bedeutsam sind und im interkulturellen Kontakt zu Fehlurteilen führen können. Beispielsweise wäre ein positiver Wert der Person A Großzügigkeit und ein positiver Gegenwert von Person B Sparsamkeit. Die wechselseitigen Vorwürfe und Fehlattributionen sind dann von A zu B Geiz und von B zu A Verschwendung (Abbildung 11). Der Grund der Verzerrung liegt darin, dass wir aufgrund unserer Werte eine eingeschränkte und vor allem eine bewertete Wahrnehmung haben. Die Quadrate werden im interkulturellen Bereich meist landeskulturell »gefüllt«.
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Abbildung 11: Fehlurteile (eigene Darstellung in Anlehnung an Schulz von Thun, Ruppel u. Stratman, 2003, S. 198)
Rez et al. (2006) zum Beispiel übertragen unterschiedliche Handlungskonzepte von Deutschland und Japan in diese Struktur. So entsteht aus der Situationsorientierung als positivem Wert der Japaner (»tatemae«, also was andere erwarten) und der Ausdrucksorientierung als positivem Gegenwert der Deutschen (was ich will und fühle, im Japanischen »honne« genannt) ein wechselseitiges Missverständnis. Da Japaner sich stärker an den Erwartungen anderer ausrichten, erscheint ihnen das deutsche Ausdrucksverhalten rücksichtslos und rüde, da es die Erwartungen des anderen zunächst ignoriert. Umgekehrt erscheint den Deutschen die japanische Situationsorientierung als Überangepasstheit, Maske oder sogar Lüge (Rez et al., 2006, S. 42). Das Wertequadrat ist ebenfalls hilfreich, wenn beispielsweise in der Führungsmannschaft einer Organisation unterschiedliche Führungsstile herrschen. So berichtete etwa der Bereichsleiter einer sozialen Organisation im Coaching von seinen Problemen mit dem leistungsorientierten Kurs des neuen Geschäftsführers, den er als »Management über Druck« ablehnte. Seinem persönlichen Führungsstil entsprach eher ein partizipatives Vorgehen mit starker Mitarbeitereinbindung und Eingehen auf individuelle Kapazitäten. Erst als die Beteiligten erkannten und anerkannten, dass diese Wertedifferenz zu einer wechselseitigen Fehlwahrnehmung und Geringschätzung der Werte und des Führungsstils des jeweils anderen führte, konnte die Führungsspitze der Organisation ausdiskutieren, was die Vor- und Nachteile beider Vorgehensweisen sind und welcher Kurs mit Blick auf welches Gesamtziel sinnvoll wäre. Kritische Würdigung: Das Potenzial dieser Methode liegt vor allem darin, dass sie zum einen hilft, eigene Erwartungen zu formulieren, und zum anderen Umbewertungen ermöglicht und fördert. Darüber hinaus unterstützt sie, Hand-
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lungskonzepte von anderen in ihrer positiven Absicht zu erschließen. Sie entlastet die Coachingpartner, weil eine als individuelles Problem wahrgenommene Belastung auf eine allgemeine, von Situationen und Personen ablösbare Grundproblematik zurückgeführt werden kann. Das Tool ermöglicht dies durch eine deskriptive Kategorisierung von Werten und Haltungen und ist im Kern kulturreflexiv, da jegliche Werteunterschiede wie beispielsweise divergierende Organisationskulturen und sogar individuelle Differenzen im Fall des Bereichsleiters und des Geschäftsführers verallgemeinerbar sind. Nachteile sind der stark kognitive Fokus sowie das Denken in Gegensätzen, welches für das Modell konstitutiv, jedoch nicht für jeden Coachingpartner und Denkstil geeignet sind. Wie das Konzept des Wertequadrats kommunikativ umzusetzen ist, wie also die Identifizierung und das Bewusstmachen von divergierenden Werten, Wahrnehmungen und Bewertungen konkret realisiert werden kann, wird im Rahmen dieser Methode nicht spezifiziert, dieser Transfer muss gesondert geleistet werden.
Riemann-Thomann-Kreuz Ebenfalls auf interkulturelle Kontexte als Modell gut übertragbar ist das Riemann-Thomann-Kreuz (Abbildung 12, Originalquelle: Riemann, 1985; Thomann, Schulz von Thun u. Naumann-Bashayan, 1988). Dieses auf Ansätzen aus der Tiefenpsychologie basierende Modell erfasst vier antipodisch organisierte menschliche Grundausrichtungen, die Einfluss auf Kommunikation und Beziehungen haben: Wechsel und Dauer, Nähe und Distanz. Porschke (2006) verwendet das Modell, um die Ursachen eines Missverständnisses um eine Lieferzusage zwischen einem peruanischen Verkäufer und einem deutschen Kunden zu analysieren. Hoppe (2006) zeigt am Beispiel einer deutsch-italienischen Begegnung, wie eine deutsche Führungskraft sich bewusst machen kann, warum sie in Italien anders wahrgenommen wird als von ihrem deutschen Umfeld. Man muss hier unterscheiden zwischen Verhalten und Wahrnehmung sowie zwischen intrakulturellen Differenzen und interkulturellen Relationen. Nehmen wir an, eine Person erlebt ihr deutsches Umfeld als rigide – sie findet sich selbst spontan, während sie von den Menschen in ihrem Umfeld als chaotisch empfunden wird; in einem italienischen Umfeld würde diese Person dagegen in der Wahrnehmung möglicherweise selbst zum Stereotyp des starren Deutschen. Die Positionierung ist relativ, das heißt, man kann sich in einem Kontext, etwa in seinen Beziehungen zu den Kollegen, als flexibel wahrnehmen und im anderen Kontext als jemand, der ein Bedürfnis nach Ordnung und Struktur hat und daher ständig nach genauen Vorgaben und Regeln fragt. Der Konflikt, der im Coaching zutage tritt, resultiert daraus, dass man sich plötzlich in einer ungewohnten Rolle wiederfindet. Selbst- und Fremdzuschreibungen verändern sich und es werden bislang weniger genutzte Verhaltensweisen abgerufen. Wichtig ist, die kulturelle und die individuelle Ebene zu unterscheiden. Dann kann im Coaching herausgearbeitet werden, was sich verändert hat, aber auch, was
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Abbildung 12: Tool – Riemann-Thoman-Kreuz (nach Hoppe, 2006; Porschke, 2006)
gleich geblieben ist, was also die Unterschiede und was die Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Kontexten sind. Verschiedene Arten von Selbsteinschätzungen sind nicht nur im kulturreflexiven Coaching ein wichtiges Hilfsmittel. Hierfür liegen verschiedene, mitunter sehr komplexe und teilweise psychometrische Instrumente vor, die wir in → Kapitel 3.3 (Interkulturelle Profile und Assessments) als Formen des interkulturellen Assessments beschreiben. Unter den veröffentlichten und frei zugänglichen Coachingmethoden findet man darüber hinaus Formen der Selbstreflexion, die sich auch auf originelle Beschreibungssprachen wie die der Chakren oder der Grundelemente stützen. Als Beispiel sei hier das »Persönliche Kompetenzmuster« genannt, das Werner Vogelauer (2005, S. 160) nach einem Führungsmodell von Hendrich (2002) entwickelt hat. Es besteht aus einem Test, bei dem der Coachingpartner Eigenschaften für sich in ein Ranking bringt, die den Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde zugeordnet werden. Ziele des
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Tools sind, ein persönliches Kompetenzraster zu erarbeiten, die eigene (Werte-) Orientierung für das berufliche Handeln zu bestimmen und eine Stimmigkeit zwischen Haltung und Aussagen zu erreichen. Bei der Auswertung können die Verteilungen zwischen den Grundelementen und die Balancen besprochen werden. Das Tool ist nicht speziell für den interkulturellen Bereich entwickelt, ermöglicht aber neue Perspektiven durch die Zuordnung zu den von Hendrich definierten Kategorien, welche zwar auf den ersten Blick »esoterisch« anmuten, sich aber auf eine differenzierte theoretische Grundlage stützen. Kritische Würdigung: Das prominente Konzept ist für viele verschiedene Einzel- und Gruppensituationen nutzbar. Es eignet sich gut zur Reflexion von eigenen Bedürfnissen und Wahrnehmungen und kann wie ähnliche Selbsteinschätzungsinstrumente kulturreflexiv genutzt werden, sofern die Ausprägungen nicht auf »Typen« oder Eigenschaften bezogen werden. Letzteres führt eher zu einem statischen Verständnis und ist weniger hilfreich, eine Handlungsflexibilität zu erreichen. Neben interkulturellen Anwendungsbereichen ergeben sich beim Riemann-Thomann-Modell unter anderem auch Bezüge zum Thema »Führung«. Konkret einsetzen lässt sich das Modell beispielsweise, indem die Coachingklienten einen der dafür verfügbaren Selbsteinschätzungstests ausfüllen, um so ihre individuelle Position im Kreuz zu bestimmen; von stereotypen kulturellen Einordnungen, wie sie von den Autoren und im Beispiel angegeben werden, ist dagegen eher abzuraten. Die Personen, die sich anhand des Riemann-Thomann-Kreuzes selbst reflektieren, sind nach unserer Erfahrung in der Regel zutiefst berührt. Dies hängt zweifelsohne damit zusammen, dass die vier darin abgebildeten menschlichen Grundausrichtungen, welche auf die in Fritz Riemanns gleichnamigem Klassiker beschriebenen »Grundformen der Angst« (1985) zurückgehen, auf universal menschliche (Identitäts-)Themen verweisen. Die räumliche Dimension der Beziehungssteuerung (Nähe/Distanz) ist für klassische Coachingthemen wie interkulturelle Führung, Konfliktmanagement oder kulturelle Stilunterschiede hilfreich, die zeitliche Dimension Wechsel/Dauer unterstützt den Coachingpartner, die von Personen (Mitarbeiter, Vorgesetzte, Kunden, Geschäftspartner etc.) aus anderen Kulturen an ihn gerichteten Erwartungen einzuschätzen. Auch mit anderen Modellen vorgenommene Kategorisierungen ermöglichen einen interkulturellen Bezug, indem sie die Perspektivenvielfalt erhöhen oder Handlungsstile variieren.
Führen durch Autorität Zur Verbreiterung des Führungsrepertoires haben wir das Tool »Führung durch Autorität« (Nazarkiewicz, 2006) entwickelt, das die verschiedenen Dimensionen von Autorität erfasst und einüben hilft. Wir haben festgestellt, dass Führen allgemein, speziell aber im virtuellen und interkulturellen Kontext, die Fähigkeit erfordert, virtuos verschiedene Rollen und Haltungen einnehmen und verändern zu können. Die Präferenzen und Kräfteverhältnisse unterscheiden sich kulturell.
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Abhängig von Art und Umfang der Weisungsbefugnis lassen sich unterschiedliche Kommunikationsstrategien anwenden, um die eigenen Ziele zu erreichen. »Strategie« steht hier nicht für Überlegungen, wie man den anderen mit rhetorischen Mitteln überzeugen bzw. für sich gewinnen kann, sondern für einen spezifischen kommunikativen Weg, eine Haltung und Priorisierung, bezüglich der Frage, wie man sich mit dem anderen verständigt und Vereinbarungen trifft. Autorität meint nach unserem Verständnis die soziale Positionierung, die eine Person für sich in Anspruch nimmt bzw. die ihr zugeschrieben wird. Sie führt dazu, dass andere Menschen geneigt sind, sich in ihrem Denken und Handeln nach dieser Person zu richten. Folgende Ressourcen der Autorität sind mindestens verfügbar und können diese fördern (Abbildung 13):
Abbildung 13: Tool – Autoritätsmodell (eigene Darstellung)
Ziel des Instruments ist, den Einsatz dieser Autoritätsressourcen auf verschiedene Ziele, Personenkonstellationen und kulturelle Kontexte zuschneiden zu können. Von zentraler Bedeutung ist dabei, die vier Positionen als Ressourcen zu begreifen, die jedem als innere Haltungen zur Verfügung stehen und als Kompetenzen gleichzeitig oder abwechselnd genutzt werden können. Die Rollen sind antipodisch an zwei Achsen ausgerichtet. Auf der vertikalen Achse stehen sich die Positionen »Manager« und »Experte« gegenüber, auf der horizontalen Achse die Positionen »Chef« und »Kollege«. Aus der Managementhal-
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tung heraus ist die oberste Priorität, die Übersicht zu behalten und das Geschehen oder Beiträge der Beteiligten zu koordinieren. Im Gespräch bedeutet dies konkret, Gesprächsführung zu machen und zu moderieren, also offene Fragen zu stellen, zusammenzufassen, abzuwägen, alle zu beteiligen etc. Dem gegenüber steht der Experte, der mit Fachwissen argumentieren kann und danach strebt, andere zu überzeugen. Er ist eher auf die Sachebene fokussiert, hält die Erledigung der Aufgabe nach und hat auch inhaltliche Expertise und daher eine Meinung, die er gegebenenfalls durchsetzen will und kraft der anderen Positionen seiner Rolle als Führungskraft auch durchsetzen könnte. Der moderierende Manager muss im Extremfall keine inhaltliche Expertise haben, um zu einer Lösung zu kommen, sofern von anderer Seite fachlicher Input gegeben wird. Die Hierarchieachse liegt horizontal, auf der linken Seite ist die Position des Chefs, die bestenfalls mit Macht (Weisungsbefugnis) oder im Falle des horizontalen Führens mit Verantwortung ausgestattet ist. Die kommunikativen Akte bestehen darin, auf selbst gesetzte oder anderweitig vorgegebene Kriterien hinzuweisen und qua Rollenautorität für deren Einhaltung zu sorgen. Mögliche Kriterien sind etwa Qualität, Deadlines, gemeinsame Regeln und Vereinbarungen usw. Dem gegenüber liegt die Position des Kollegen, das heißt die durch soziale Kompetenzen gespeiste Haltung des mitmenschlichen Nachvollziehens von Positionen, Argumenten, Beweggründen, Wünschen, Klagen etc. der anderen. In der Kommunikation drückt sich diese Haltung durch Perspektivenwechsel und empathisches Sprechen aus. Die Lage der Hierarchieachse hängt davon ab, in welchem Maße die Positionen des Leiters und des Kollegen im Verhältnis zueinander jeweils genutzt werden. Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter fragt seinen Chef, ob er – obwohl es anders vereinbart war – doch noch in der Schulferienzeit eine Woche Urlaub machen könne, seine Frau sei Lehrerin. Im Folgenden sind die jeweiligen Haltungen und Sprechpositionen als idealtypische Antworten formuliert: – Manager: »Woran liegt es denn, dass du erst jetzt fragst?« – Experte: »Aber wie soll das denn gehen? Dein Know-how kann in dieser Zeit von den anderen nicht abgedeckt werden, daher können wir dich nicht entbehren. Stell dir mal vor, wenn Kunde Y …« – Kollege: »Das kann ich gut verstehen, dass ihr wenigstens eine Woche gemeinsam Urlaub machen wollt.« – Leiter, steile Hierarchie: »Kommt gar nicht in Frage, du hast dich nicht rechtzeitig gemeldet und jetzt ändere ich das nicht mehr um.« – Leiter, flache Hierarchie: »Es wäre ungerecht, wenn ich dir das jetzt gewähre, die anderen haben auch alle rechtzeitig eingereicht und ich müsste jetzt Kollegin X dafür den Urlaub verlegen.« – Projektleiter ohne Weisungsbefugnis: »Du kennst die Regeln und Vereinbarungen, die Planung ist gelaufen. Aber wenn du jemanden findest, der mit dir tauscht, soll’s mir recht sein.«
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Es gibt keine generellen Rezepte dafür, wann bzw. in welcher Reihenfolge man als Führungskraft in die verschiedenen Positionen gehen sollte, die Haltungswechsel und Kommunikationsstrategien sind nach Ziel, situativem Gespür, abhängig von den Beteiligten und den kulturellen Erwartungen zu wählen. Allerdings kann man sagen, dass Personen, die alle Ressourcen nutzen (können) und zudem noch kulturübergreifendes Wissen über verschiedene Führungsstile und -erwartungen weltweit haben, sehr effektiv kommunizieren können. Auch die Berücksichtigung kultureller Besonderheiten (interkulturelles Lernen) kann daran eingeübt werden. Beispielsweise wäre die Erwartung im südostasiatischen Kulturraum, dass die Autorität einer Führungskraft in ihren kommunikativen Handlungen vornehmlich auf der Manager- und Kollegenebene ausgeübt wird und die Kriterien, über deren Einhaltung die Führungskraft in ihrer Position als Leiter wacht, zwar spürbar sind, aber eher nur implizit angedeutet werden. Argumentative Passagen (Expertenhaltung) werden stilistisch eher vermieden. Das ist jedoch auch branchen- und hierarchieabhängig. Kurze autoritäre »Ansagen« können durchaus auch erfolgen. Selbst wenn man mit dem spezifischen Autoritätsverständnis eines Kulturkreises und den daran geknüpften Erwartungen der Gesprächspartner nicht vertraut ist, lassen sich mit einem breiten Repertoire an Sprechpositionen in Verbindung mit einem situativen Gespür gute Erfolge erzielen. Als analytisches Hilfsmittel zur Differenzierung und zum Bewusstmachen der Autoritätsressourcen und der damit verbundenen Haltungen und Sprechpositionen kann das hier vorgestellte Tool im Coaching genutzt werden, um diesbezüglich die eigenen Präferenzen zu ermitteln und an der Erweiterung des eigenen Kommunikationsrepertoires zu arbeiten. Am einfachsten gelingt dies, indem man kleine Rollenspiele durchführt. Werden sie aufgezeichnet, kann man sie anschließend anhand der Video- bzw. Audiomitschnitte auswerten. Sollte diese Möglichkeit nicht bestehen, empfiehlt es sich, das Rollenspiel immer mal wieder zu unterbrechen, um die Rollen bzw. Positionen zu reflektieren. Zunächst einmal gilt es für beide Coachingpartner, zu erkennen, aus welcher Position der Coachee spricht. Das gelingt den meisten recht schnell und sie stellen fest, dass sie Präferenzen in der Wahl ihrer Sprechpositionen haben. Die für Deutschland typischen Fachkarrieren legen es beispielsweise in vielen Unternehmenskulturen nahe, als Chef eine argumentative Haltung einzunehmen und die anderen Ressourcen zu vernachlässigen. Nach dem Erkennen der eigenen Präferenzen und Gewohnheiten besteht folglich der entscheidende nächste Schritt darin, dass der Coachee sein Haltungs- und Handlungsrepertoire erweitert, um verschiedene Strategien und Kommunikationsweisen einsetzen zu können: argumentieren und überzeugen, moderieren und das Gespräch führen, kriteriengeleitet Position beziehen und entscheiden sowie die Perspektive wechseln und Empathie zeigen. Dies kann auch mit Hilfe von Bodenankern für die vier verschiedenen Sprechpositionen geübt werden. Indem sich der Coachingpartner beim Wechseln zwischen verschiedenen Sprechpositionen jeweils
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auf den Bodenanker der Position stellt, aus der er gerade spricht, wird der bewusste Umgang mit diesen kommunikativen Führungsressourcen geschärft. Unsere Erfahrungen damit zeigen, dass es offensichtlich nicht nur persönliche Präferenzen und Prägungen, sondern auch kulturelle Unterschiede gibt in dem Sinne, dass in spezifischen Kulturen beim Führen jeweils unterschiedliche Positionen bevorzugt werden. Kritische Würdigung: Das Tool ist transkulturell einsetzbar und seine besondere Qualität liegt darin, dass Haltung und Kommunikation gleichzeitig erweitert werden können. Veränderte Haltungen führen zu direkten Stiländerungen in der Kommunikation – das leuchtet unmittelbar ein und ist in den Übungen direkt erfahrbar. Umgekehrt kann in Fällen, in denen der Coachee eine für ihn oder sie ungewohnte Haltung zunächst nicht einzunehmen vermag, das (gehörte oder ausprobierte) Verändern der Kommunikation auf der jeweiligen Position helfen, sich in diese Haltung hineinzuspüren und sie sich auf diesem Wege ein stückweit anzueignen. Das Üben der Sprechpositionen erinnert an Rollenwechsel, welche die meisten Führungskräfte bereits kennen, und sie erhalten mit diesem Modell eine Struktur an die Hand, die sie bewusster handeln lässt. Man kann damit praxis- und personennah arbeiten, wobei es für die Umsetzung im Alltag viel Übung braucht, um die Stile – manchmal sogar innerhalb eines Satzes – wechseln und mischen zu können. Letztlich ist nur der erfolgreich, der alle Ressourcen nutzen und integrieren und bei Bedarf ohne reflexhafte Abhängigkeit vom Gegenüber reagieren und zielorientiert handeln kann.
Ebenenmodell Am Beispiel transnationaler Projekte stellen die beiden Unternehmensberaterinnen Ute Clement und Bettina Nemeczek die These auf, dass sowohl der systemische Ansatz der Beratung als auch die Theorien des interkulturellen Managements beherrscht werden müssen, um der Komplexität von Projekten gerecht zu werden. Die Autorinnen betrachten Kultur als eine für die Projektarbeit relevante Ebene von Unterschieden, daher die Notwendigkeit der interkulturellen Perspektive: »Systemische Beratung in einer fremden Sprache ist nicht notwendigerweise interkulturelle systemische Beratung, es fehlt die Brille der interkulturellen Dimension« (Clement u. Nemeczek, 2000, S. 69). Andererseits bilden die Kulturunterschiede jedoch nur eine von mehreren zu berücksichtigenden Ebenen von Unterschieden, daher die Notwendigkeit der systemischen Herangehensweise. Zu einer Integration von allen im Rahmen eines Unternehmens existierenden Menschen, Systemen, Werten und Ähnlichem reicht es demnach nicht aus, lediglich über Kulturstandards oder -dimensionen nationalstaatliche Unterschiede herauszuarbeiten, und ebenso wenig genügt es, ausschließlich über Diversity-Differenzen die gerade in einem Projekt herrschende Leitdifferenz zu bestimmen. Das folgende Zwiebelmodell bildet explizit Unterschiede auf mehreren Ebenen mit den zugehörigen Interventionsstrategien ab (Abbildung 14).
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Abbildung 14: Tool – Ebenenmodell (Clement u. Nemeczek, 2000, S. 68)
Im Zentrum steht das Individuum, das sich verschiedenen Gruppen (zweite Ebene) zugehörig fühlt. Ebenso können Zugehörigkeiten auf der Ebene der Organisationseinheit (dritte Ebene) und der Berufskultur (vierte Ebene) bestehen. Besonders auf der fünften Ebene sind Schnittstellen und Identifikationsmöglichkeiten zwischen der Linienorganisation und dem Projekt sowie bei den Machtverhältnissen (sechste Ebene) bedeutsam. Erst ganz außen und damit später sind schließlich Unternehmens- und Nationalkulturen zu beachten. So ändern sich – und das ist jeweils zu beachten – nur wegen des Ortswechsels einer Abteilung nicht zwingend bestehende Kommunikations- oder Entscheidungsproblematiken innerhalb eines Projekts. In transnationalen Projekten sind Veränderungsmöglichkeiten und Aushandlungsbereitschaft auf allen Ebenen anzustreben. Besonders zu berücksichtigen sind dabei die auf allen Ebenen jeweils bestehenden Machtverhältnisse und Konflikte, bei denen Kultur nicht unbedingt eine Rolle spielen muss. Der Fokus der Interventionen durch die Coachs sollte zusätzlich auf der Vermittlung von sachrelevanten Kenntnissen in Interkulturellem Management und auf der Arbeitsfähigkeit des Projektteams und der einzelnen Mitglieder liegen. Kritische Würdigung: Die Begleitung von Fach- und Führungskräften oder Projektleitern im Coaching, insbesondere in globalen Unternehmen, bringt Coachs stets in Kontakt mit dem Gesamtsystem. Das Modell bietet – eingebettet in den wirtschaftlichen Projektkontext – pragmatische Perspektiven zur Erfassung und Behebung von Konflikten und Störungen, und es sortiert komplexe Zusammenhänge, ohne die »kulturelle Brille« zu vernachlässigen. Ursprünglich als Beratungsansatz konzipiert, kann es auch im Coaching zu
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einer multidimensionalen Betrachtung der Themen des Coachingpartners und mit diesem gemeinsam herangezogen werden. So können Möglichkeiten und Grenzen der individuellen und organisationalen Veränderung klarer gesehen und auch umgesetzt werden. Indem kein nationalstaatlicher Kulturbegriff verwendet wird, sondern gleichermaßen die Unternehmenskultur Beachtung findet, ist diese Reflexionshilfe auch für Personen aus unterschiedlichen Organisationen bzw. aus Unternehmen unterschiedlicher Größe anwendbar. Erforderlich sind jedoch vielfältige Kompetenzen des Coachs, vor allem kognitive Kompetenzen und eine hinreichende Vertrautheit mit systemischem und kulturreflexivem Denken, ferner selbst erlebtes und reflektiertes Wissen über andere Kulturen, über komplexe Systeme und Dynamiken im Change Prozess sowie im Projektmanagement. Die Auswahl praktischer Interventionen, die nach der Betrachtung der Schnittstellen, Perspektiven und eigenen Möglichkeiten im Coachingprozess anstehen, liegt dann in der Verantwortung der beiden Coachingpartner.
Fazit Für die zu leistende Differenzierung und analytische Reflexion von Rollen, Positionen, Dimensionen, Stilen, Perspektiven, Erlebensweisen, Eigenschaften usw. gehören entsprechende Tools, die intra- und interkulturell einsetzbar sind, also Unterschiede nach verschiedenen Mustern und Beschreibungssprachen erfassen helfen, in den Methodenkoffer für Coaching und Begleitung im multikulturellen Kontext. Kultur kann, muss aber nicht notwendig eine Rolle spielen für das zu bearbeitende Problem. Das bedeutet auch, dass je nach Kontext und Organisation weitere Kenntnisse und Tools zum Einsatz kommen müssen, damit der Gefahr einer Kulturalisierung von Aspekten begegnet wird, die eigentlich auf der Prozessebene, in den Machtverhältnissen oder Ähnlichem gesucht werden müssten. Die kulturreflexiven Instrumente unterstützen die Suche nach den Hintergründen von Irritationen, helfen kulturelle Einflüsse zu klären oder dienen der Erweiterung des Handlungsrepertoires. Leseempfehlungen Hill, C. W. L. (2008). International business. Competing in the global marketplace. Boston: McGraw-Hill/Irwin. Dieses Standardwerk, das nun schon in der siebten Auflage vorliegt, wird oft in Aufbaustudiengängen, zum Beispiel zum Erwerb des MBA genutzt, um einen theoretischen Überblick über Konzepte der internationalen Zusammenarbeit in der Wirtschaft zu erhalten. Anhand von Fallbeispielen und theoretischen Konzepten werden vor allen Dingen Strategien und die Implikationen für die Managerperspektive beschrieben. Bergemann, N., Sourisseaux, A. (Hrsg.) (2003). Interkulturelles Management (3., vollständig überarb. und erw. Aufl.). Berlin u. Heidelberg: Springer.
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Mittlerweile in der dritten Auflage erschienen, beschreibt dieses mehr als 500 Seiten starke Handbuch alle wesentlichen Aspekte im Themenfeld sowohl aus theoretischer Perspektive als auch anhand von praktischen Beispielen. Die Autoren der einzelnen Beiträge gehen sowohl auf den Einfluss von Landeskulturen ein als auch auf die Themen in Organisationen selbst bis hin zu den Werten und Kontexten der einzelnen Mitarbeiter. Behandelt werden unter anderem die Themen Führung, Kommunikation, Motivation und Entscheidungsfindung. Insgesamt bietet der Sammelband ein Potpourri von Forschungsergebnissen, Modellen und Methoden zum Beispiel für Personalauswahl, Teamentwicklung, Reintegration von Mitarbeitern und Managementstile.
3.2.3 Entwicklungsmodelle im transkulturellen Coaching Coachingtools, die einen transkulturellen Fokus haben, vereinen beide vorangegangen Perspektiven zu einer dritten eigenen. Die Instrumente tragen der Komplexität, Diversität und Notwendigkeit einer transformativen Herangehensweise in der Art Rechnung, dass sie es ermöglichen, kenntnisreich kulturelle Vorannahmen zu machen oder zu verwerfen und den Blick auf Ressourcen und Entwicklung offen zu halten. Am deutlichsten und tiefgründigsten kann man dieses Vorgehen an Entwicklungsmodellen zeigen. Sie zu beachten, ist ohnehin hilfreich, denn Coaching bezieht sich überwiegend auf Einzelpersonen in ihrer persönlichen Entwicklung. Es handelt sich also um Erwachsenenlernen und um »ergebnisorientierte Selbstreflexion« (Greif, 2008) – darüber besteht in der Coachingliteratur weitgehend Einigkeit. Die Coachingarbeit unterstützt die bewusste Gestaltung der Biografie und erschließt Handlungsoptionen dort, wo der Coachingpartner an (s)eine Grenze gestoßen ist. Er erlebt, an einem Punkt angekommen zu sein, wo es mit eigenen Mitteln zunächst nicht mehr weitergeht. Der Unterstützungsbedarf des Coachees kann, wie in den vorangehenden Kapiteln geschildert, darauf beruhen, dass erforderliche Kompetenzen für die Bewältigung der aktuellen Lebenssituation noch nicht erschlossen sind, und der Coach unterstützt zum Beispiel durch ein ressourcenorientiertes Vorgehen veränderte Perspektiven oder die Erweiterung des Verhaltensspektrums. Für beide Coachingpartner ist es in der Folge wichtig, 1. sich die (kulturelle) Relativität der Selbstkonzepte bewusst zu machen, 2. unterschiedliche Entwicklungsdynamiken zu kennen und 3. eine Vorstellung von den verschiedenartigen Varianten hybrider Identitäten zu gewinnen. Diese drei Aspekte sollen im Folgenden mit Beispielen und Methoden erläutert werden.
Selbstkonzepte im interkulturellen Vergleich Da Sozialisation und Akkulturation kulturspezifisch erfolgen, gibt es verschiedene Vorstellungen davon, was eine »gute« und reife Persönlichkeit ist und wie das Selbst gestaltet und sozial verankert ist. Das Wort Persönlichkeit wird
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meist als »Containerbegriff« verwendet, der die Konzepte »Mensch«, »Ich« und »Selbst« gleichsetzt und auf die Vorstellung eines »dynamischen Organismus« verweist, welcher sich im Austausch mit der Umwelt ständig verändert. Andere Begriffe sind Selbstkonzept, Selbstbild, Selbstschema oder Identität. Stillschweigend wird meist davon ausgegangen, dass man in allen Fachkulturen und überall auf der Welt dasselbe unter Begriffen wie Persönlichkeit, Bewusstsein, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Wille, Selbst oder Seele versteht. Transkulturell sind diese Vorstellungen alle zu hinterfragen. Wir verwenden im Folgenden den Begriff Selbstkonzept, unter dem wir mit Greif Folgendes verstehen: »Das individuelle Selbstkonzept einer Person umfasst die Gesamtheit aller bewussten, subjektiv wichtigen Vorstellungen, die eine Person von sich als reale oder ideale Person hat, einschließlich aller charakteristischen und subjektiv als wichtig eingeschätzten Ziele, Bedürfnisse, Merkmale und Entwicklungspotenziale sowie Normen und Regeln, an denen sie sich orientiert oder anstrebt zu orientieren« (Greif, 2008, S. 24). Diese Definition ist insofern hilfreich, als sie die kulturellen und normativen Einflüsse berücksichtigt, welche die Coachingpartner mitbringen. Die Verschiedenartigkeit der kulturell geprägten und impliziten Voraussetzungen der Selbstkonzepte ist im transkulturellen Coaching im eigenen Konzept sowie in der Methodik zu berücksichtigen. Ein Berater, Coach oder Therapeut, der in einer der westlichen Traditionen ausgebildet ist, tendiert möglicherweise dazu, aufdeckend zu arbeiten, denn in den westlichen Kulturen gilt das Selbst als autonom und frei. Andere Kulturen glauben an ein Selbstkonzept, dem zufolge das Selbst auf Wechselwirkungen zwischen der Kraft der Vorfahren und der Lebenskraft basiert – so beschreibt es de Jong (2010), der einen kritischen Blick auf die klinische Validität vermeintlich »universeller« psychopathologischer Kategorien wirft. Die Neurowissenschaften unterstützen die These, dass die Konzeptualisierung und Erfahrung des Selbst kulturspezifisch ist. Diese These lässt sich auf unterschiedliche philosophische Strömungen zurückführen, indem zum Beispiel westliche Philosophen die persönliche Identität unterstreichen, während chinesische Traditionen zur Erklärung des Selbstkonzepts auf der Verbindung zwischen dem Individuum und seinem sozialen Kontext fußen. Interessant sind hier vor allem transkulturelle Analysen, wie beispielsweise die Monografie von Sudhir Kakar (1994), der mit westlich geschulter psychoanalytischer Brille die indische Sozialisation aufschlüsselt. Vorwiegend auf persönlichen Erfahrungen beruht die von Sun Longji (1994) verfasste kritische Beschreibung der Tiefenstruktur der chinesischen Mentalität und des »ummauerten« chinesischen Ich. Sozialisation, Lebenslauf und Familienleben in Asien und »wie man Asiate wird« rekonstruiert Weggel (1994, S. 271–291). Takeo Doi (2002) beschreibt, wie das Konzept Amae die Struktur des japanischen Ichs prägt. Amae (aus dem Verb »amaeru« für »sich anlehnen«) steht für ein positiv konnotiertes Abhängigkeitsverhältnis, das auf der mütterlichen Nachsicht bei der frühkindlichen Betreuung beruht.
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Wenngleich die kulturessenzialistische Herangehensweise dieser Beschreibungen und Analysen kritisch zu hinterfragen ist, so geben sie doch einen relativierenden Einblick in die faszinierende Unterschiedlichkeit von Denken, Fühlen und Weltsicht(en). Aus kulturvergleichender Perspektive und auf der Basis von kognitionspsychologischen Konzepten, erweist sich die Dynamik der menschlichen Informationsverarbeitung als kulturell beeinflusst. Kühnen und Hannover (2003) zeigen, wie die kulturell variierenden Selbstkonstruktionen auf das menschliche Denken, Fühlen und Handeln einwirken. Für den Coach zu beachten ist also, dass jedes psychologische Modell und jeder Theorieansatz, die als Grundlage für Therapie oder Coaching herangezogen werden, implizit von Selbstkonzepten ausgehen, die durch kulturelle und gesellschaftliche Werte und Normen beeinflusst sind (Kirmayer, 2007). Die Selbstkonzepte des Westens beispielsweise zielen auf ein unabhängiges Selbst, während die des Ostens das Selbst immer in Beziehung zu anderen sehen. Diese These unterstützen Forschungen wie die von Wang und Conway (2004), die anhand einer Fragebogenuntersuchung US-amerikanische Erwachsene europäischer Abstammung mit chinesischen Erwachsenen hinsichtlich ihres autobiografischen Erinnerungsvermögens verglichen und dabei herausfanden, dass die Teilnehmer aus der ersten Gruppe hauptsächlich individuelle Gefühle, Erfahrungen und ihre eigene Rolle in Situationen erinnerten, während die Befragten aus der zweite Gruppe vorwiegend historische und soziale Ereignisse wiedergaben und dabei stärker ihre Interaktionen mit anderen Personen in den Vordergrund rückten. Hinreichend nachgewiesen ist demzufolge die Differenz zwischen den sogenannten interdependenten und independenten Selbstkonzepten. Menschen mit interdependentem Selbstkonzept tendieren dazu, Ressourcen zu teilen, Gruppenzielen und Verpflichtungen zu folgen, um eine gute und harmonische Beziehung zu erhalten. Menschen mit independentem Selbstkonzept treffen Entscheidungen eher individuell und grenzen sich von Gruppenzielen gegebenenfalls ab. Pflichtgefühl und Sozialverhalten werden durch eigene Bedürfnisse, Werte und Einstellungen bestimmt und die Zusammenarbeit wird eher dann gesucht, wenn sie nützlich erscheint, und nicht primär, um andere zu unterstützen. Weggel (1994) verwendet zur Illustration der grundlegenden Differenz zwischen östlichem und westlichem Selbstkonzept und Ich-Gefühl die einleuchtende Metapher der Maschen eines Netzes. Das Ich besteht aus Knoten und Maschen im Netz, jedoch in unterschiedlicher Gewichtung (Abbildung 15). Während man sich selbst im Westen als starken individuellen Knotenpunkt empfindet, der natürlich im Zusammenhang (Maschen) mit anderen Individuen (weitere Knotenpunkte) steht und auch von ihnen bewegt wird, liegt im Osten das Gewicht stärker auf den Maschen des Netzes, also dem Geflecht der Beziehungen. Die individuellen Knotenpunkte treten in der Bedeutung demgegenüber in den Hintergrund. Vom Ich wird hier eine größere situative Flexibilität, Anpas-
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sungsfähigkeit und Beweglichkeit erwartet und es definiert sich selbst stärker über seine Beziehungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bezeichnungspraxis von Personen in Familien. Je nach Personenkonstellation werden zum Beispiel in China oder Japan dieselben Personen unterschiedlich adressiert bzw. sie sprechen auch von sich selbst in den Relationsbezeichnungen als Tante, Schwester oder Mutter, statt »ich« zu sagen oder den Vornamen zu verwenden.
Abbildung 15: »Knoten-Ich« und »Maschen-Ich«
Dass »Westen« und »Osten« Konstrukte und unzulängliche Sammelbegriffe sind, sei hier einmal dahingestellt. Die Metapher des Netzes ist unter Umständen auch für die Beschreibung und Reflexion intrakultureller Differenzen in Bezug auf das jeweilige Gewicht des »Ich« in individuellen Selbstkonzepten hilfreich. Denn je nach Familienkultur(en) können diese zwischen stärker beziehungsorientierten oder individualistischen Selbstkonzepten variieren. Menschen mit einem »Maschen-Ich« haben es allerdings schwerer in einer kulturellen Umgebung, die auf das kraftvolle Hervortreten des Individuums Wert legt. Sowohl die frühkindliche Ich-Konstitution als auch die Weiterentwicklung der Persönlichkeit über den Lebenslauf hinweg können nach unterschiedlichen Rhythmen erfolgen und sich an unterschiedlichen Erwartungsstandards orientieren. In der modernen Arbeitsgesellschaft gilt die Kindheit mit 14 Jahren als vollendet, dann beginnt die Jugend. Der Übergang zum Erwachsenenalter wurde einst bei 21 Jahren angesetzt, inzwischen liegt er bei 18 Jahren, mit Beginn der Volljährigkeit. In einem Übergangsalter, das je nach Bildungsweg bis circa Mitte Zwanzig reicht, gilt das Verweilen im Bildungssystem zum Erlangen einer höheren Ausbildung oder das Sammeln von Berufserfahrungen als legitim. Wer mit 40 beginnt, Medizin zu studieren und Berufserfahrungen zu sammeln, ist eher außergewöhnlich oder ein »Außenseiter«. Dies bleibt übrigens auch dann so, wenn mehr und mehr Menschen in späteren Jahren neue Berufswege einschlagen. Entscheidend ist nicht die Anzahl der Personen, die sich auf eine bestimmte Weise verhalten, sondern die Stärke der geltenden Normalitätsvorstellung. In der chinesischen Tradition werden die Lebensphasen nach den Elementen geordnet, wobei diese wiederum bestimmte Erwartungen symbolisieren, welche das Umfeld an den energetischen Einsatz der betreffenden Person hat (Abbildung 16).
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Abbildung 16: Erwartungskonzepte an Lebensphasen im Vergleich (modifiziert nach Gehmacher, 1998)
In der Wachstumsphase (»Holz«) bis zum 16. Lebensjahr gilt der Mensch als formbar und weich. Es gibt also eine lange Kindheit und keine Vorstellung von einer rebellischen Phase der Pubertät. Der nächste, wiederum 16 Jahre währende Abschnitt, gilt als »Sturm- und Drangzeit« und wird dem Feuer zugeordnet. Mit der Lebensphase zwischen 32 und 48 Jahren wird das Element Erde als Symbol der Fruchtbarkeit verbunden und mit dem Abschnitt zwischen 48 und 64 Jahren (»Metall«) das Element Metall als Ausdruck von Härte und Kraft. Ab 64 Jahren, in der Phase des Wassers, kann die Kraft verfließen. Um weitergehende Interpretationen und Ableitungen anstellen zu können, ist es hilfreich, neben dieser Einteilung der Lebensphasen und Elemente auch die wichtigsten konfuzianischen Erziehungsideale und die erstrebenswerten Tugenden (wie Selbstbeherrschung, Respekt, Bescheidenheit, Fleiß, Indirektheit etc.) sowie deren Beeinflussung durch verschiedene ethisch-spirituelle Wertordnungen zu kennen. Denn je nach Zugehörigkeit zu einer Religion oder Orientierung an einem ethischen Wertsystem hat jede Person mehr oder weniger bewusste Skripte internalisiert, die definieren, welcher Schritt, welches Verhalten und welche Entwicklung zu welchem Lebenszeitpunkt als passend bzw. unpassend oder »unreif« erachtet werden. Diese Skripte unterscheiden sich meist zusätzlich nach Geschlecht. Über die in der obigen Abbildung vorgestellten Einteilungen hinaus gibt es noch eine Reihe weiterer Lebensphasen-Modelle. Einer der Pioniere, Erik Erikson (1989), unterscheidet acht Phasen der Entwicklung im Lebenszyklus. Sie stellen jeweils psychosoziale Krisen dar, deren erfolgreiche
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Bewältigung jeweils zur nächsten Stufe und zu einer höheren Reife führen. Das Modell ist psychoanalytisch westlich geprägt. Die Ansätze von Hans von Sassen (zit. nach Vogelauer, 2005, S. 70) und Ingrid Riedel (1997) rechnen jeweils in Schritten von sieben Jahren und unterscheiden zwischen drei großen Phasen (Kindheit und Jugend, Erwachsenenalter). Die erste Phase der rezeptiven Kindheit und Jugend (bis zum Alter von 21 Jahren) umfasst das leibliche Wachstum, die Orientierung an Gleichaltrigen und das Loslassen der Autoritäten. In der Phase des aktiven Erwachsenenalters von 21 bis etwa 42 Jahren steht die Entwicklung der »Verstandes-Seele« im Mittelpunkt; in dieser Lebensphase wird zunächst die Welt exploriert, dann folgt eine Unterphase der Festlegung, der Organisation und Realisierung der eigenen Lebensplanung und schließlich entwickelt sich mit der Auswertung der Erfahrungen das Bewusstsein der eigenen Grenzen. Die soziale Phase und Reife beginnt mit der Generativität und dem Entdecken von Führungspotenzialen. Darauf folgt eine Unterphase des ruhigen Reifens und Erfassens von Gesamtzusammenhängen und diese mündet in eine geistige Phase, in der man sich auf das Wesentliche beschränkt und die moralische Kraft anderer fördert. Mehr und mehr geht man gegen Ende des Lebens in eine Distanz und integriert die verschiedenen Phasen. Diese ausgewählten Beispiele illustrieren, wie sich die »Identitätsarbeiter« mit je unterschiedlichen Erwartungen ihrer Umwelt und mit den endogenen Wachstumsprozessen, die ebenfalls kulturell geprägt sein können, aktiv auseinandersetzen (müssen), um in ihrem jeweiligen Umfeld eine anerkannte Persönlichkeit zu werden. Für das Coaching wird dies insofern relevant, als die Klienten häufig Erwartungen an ihr eigenes Verhalten formulieren, die Hinweise auf ihr (ehemaliges sozialisatorisches) Umfeld geben oder auf ein bestimmtes Lebensalter bezogen werden: »Mit 35 Jahren sollte man doch wissen, was man will«, »Ich bin jetzt 45 und habe immer noch kein …«. Hier kann man die jeweiligen implizit bleibenden normativen Vorannahmen und Voraussetzungen hinterfragen, denn nur eine kulturreflexive Distanz ermöglicht, Spielräume zu erschließen. Fallbeispiel: Ok-Sun Mendel Die gelernte Krankenschwester Ok-Sun Mendel wünschte sich im Coaching Unterstützung und Stärkung, um sich entscheiden zu können, ob sie eine Führungsposition ergreifen sollte. Sie wusste nicht genau, ob sie sich die Führungsposition zutrauen kann, weil sie sich für nicht konfliktfähig genug hielt. Aus Kontroversen mit Kollegen hatte sie sich bislang, wenn möglich, herausgehalten. Das erlebte sie – abgesehen von der an sich schon anstrengenden pflegerischen Arbeit – als sehr kräftezehrend, weil sie selten etwas sagte, wenn ihr etwas nicht gefiel. Auch hielt sie ihre Deutschkenntnisse für nicht hinreichend; gerade unter Stress entfielen ihr manchmal Vokabeln oder auch grammatikalische Kenntnisse, obwohl sie schon über ein Jahrzehnt in Deutschland lebte. Sie sah sich daher für die angebo-
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tene Stelle nicht gut ausgerüstet, was sie sehr bedrückte, sodass sie an manchen Tagen morgens gar nicht aufstehen mochte. Bei der Ermittlung der Belastungsfaktoren wurde im Coaching deutlich, dass der eigentliche »Belastungsherd« in einer Spannungssituation zwischen ihr und ihrem (deutschen) Mann lag. Die beiden hatten aus der ersten Ehe des Mannes eine 13-jährige leicht geistig behinderte Stieftochter sowie gemeinsam eine eigene Tochter von drei Jahren. In diesem Fall erwiesen sich einige kulturspezifische Wissensbestände zur Identitätsbildung als bedeutsam und hilfreich. Da OkSun Mendel 1967 in Seoul geboren wurde und erst 1991 nach Deutschland kam, hat sie ihre gesamte kindliche und jugendliche Sozialisationsphase in Südkorea verbracht. Es stellte sich heraus, dass für die Coachingpartnerin im Zusammenhang mit der Geburt der eigenen leiblichen Tochter ihre konfuzianisch geprägten Erziehungsideale plötzlich hochrelevant wurden. Diese bildeten den Hintergrund für die konflikthaften Differenzen zwischen ihr und ihrem Mann. Ihr Mann war als selbständiger Unternehmensberater häufig auf Reisen und die ältere Tochter blieb in dieser Zeit bei der Mutter. Zwar fand Ok-Sun Mendel ihren Mann gegenüber der älteren Tochter auch viel zu milde, er setze ihr zu wenig Grenzen, aber dort hatte sie sich stets zurückgehalten. Bei der gemeinsamen Tochter war das anders. Die konfuzianischen Anforderungen an sie als Mutter und Ehefrau waren für sie eindeutig und unhintergehbar – aber nicht für ihren Mann. Die daraus resultierenden Konflikte führten – insbesondere im Zusammenhang mit der angebotenen Führungsposition – zu einer Überforderung und zu einer Belastungssituation, deren Hintergründe ihr nicht bewusst waren. Die Schwierigkeiten, Deutsch zu sprechen, entdeckte sie als typische Stressreaktion. Es war hilfreich für sie, dieses Konzept zu erkennen, um mit ihrem Mann zu diskutieren und gemeinsame Erziehungsideale auszuhandeln, was mittelfristig zu einer Stressreduktion führte. Die Führungsposition hat sie dann zunächst nicht ergriffen.
Natürlich kann ein Coach nicht alle kulturellen Konzepte kennen, und sicherlich lassen sich die Verhaltensweisen der Coachingpartner auch nicht in jedem Fall (nur) darauf zurückführen. Bedeutsam und herausfordernd im transkulturellen Coaching ist, die Voraussetzungen sowohl der eigenen Normalitätsannahmen als auch derjenigen der Coachingpartner zu hinterfragen und zu berücksichtigen.
Phasen von Veränderungsprozessen Persönliche Entwicklung geht immer mit der Auseinandersetzung mit innerem und äußerem Wandel einher. Daher bieten sich im transkulturellen Coaching besonders Modelle und Methoden an, welche Verläufe, Phasen, Prozesse und Veränderungen beschreiben und helfen, die zur erfolgreichen Bewältigung dieser Veränderungen notwendigen Kompetenzen zu (v)ermitteln und/oder entsprechende Strategien zu entwickeln.
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Beginnen wollen wir mit einem allgemeinen Veränderungsmodell nach Lewin (1953) sowie Kostka und Mönch (2002), welches das Erleben von Personen hinsichtlich ihrer wahrgenommenen Eigenkompetenz und Handlungskontrolle in einer Zeit der inneren Veränderung beschreibt. Die in diesem Modell unterschiedenen sieben Phasen zeigen den individuellen Umgang mit Veränderungen, wobei die einzelnen Phasen natürlich subjektiv in unterschiedlicher Intensität erlebt werden und sich über unterschiedlich lange Zeiträume erstrecken. Die beschriebene Veränderungsdynamik trifft auf die Überwindung eines Burnouts genauso zu wie auf das als persönlichen Rückschlag erlebte Durchfallen in einem Assessment (Abbildung 17).
Abbildung 17: Tool – Phasen von Veränderungsprozessen (Kostka u. Mönch, 2002, S. 11)
Ob kleiner Dämpfer oder großer Schicksalsschlag, die erste Reaktion auf eine von außen initiierte Veränderung ist der Schock oder zumindest eine Betroffenheit und Irritation. Die Gefühle sind in dieser Phase eher eingefroren. So packte ein Coachingpartner, der nach seiner Auslandsentsendung gekündigt worden war, noch mechanisch die Sachen von seinem Schreibtisch zusammen und gab seinen Ausstand. Das ist eine typische Schockreaktion, man funktioniert erst einmal weiter (1. Schock). Die emotionale Beteiligung kommt erst nach einer gewissen Zeit in Form einer Ungläubigkeit oder des Nicht-wahrhaben-Wollens.
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Der gekündigte Repat wurde nach einer Weile wütend über diese »ungerechte Behandlung«. Jahrelang hatte er sich in schwierigen Projekten in Saudi-Arabien eingesetzt, seine Partnerschaft belastet, und jetzt das, »das kann doch wohl nicht wahr sein, so kann man mit mir nicht umgehen …«. Er nahm sich einen Anwalt (2. Ablehnung). Dieser half ihm bei der Aushandlung einer guten Abfindung, und inzwischen hatte der Coachingpartner sich selbst auch eingestanden, dass er sich auf seiner ehemaligen, durch die Umorganisation weggefallenen Stelle nach sechs Jahren Auslandsentsendung vermutlich gelangweilt hätte (3. Einsicht). Die neue Realität wird in der dritten Phase der Einsicht bewusst, aber nicht notwendig akzeptiert. Obwohl der Coachingpartner relativ rasch eine neue Stelle gefunden hatte, haderte er weiter mit der Kränkung der Kündigung, und das war der Anlass, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Die äußere Veränderung – ein wirklich sehr guter neuer Job – konnte die Situation emotional für ihn nicht verändern. Im Coaching fanden wir heraus, dass der Grund dafür, dass er noch keine Lösung gefunden hatte, nicht (allein) darin lag, dass er eine Kündigung zu verkraften hatte. Es stellte sich heraus, dass er erstens schon länger geahnt hatte, dass er nach so langer Zeit im Ausland die Stelle nicht mehr würde haben können und haben wollen, und zweitens, dass er es lange geahnt, aber nichts unternommen hatte. Zwar war die Stelle aus Reorganisationsgründen weggefallen, aber sein Chef hätte sich durchaus für ihn einsetzen können, um eine Alternative in der Organisation zu finden. Doch weder er noch der Chef hatten sich darum bemüht. Wenn er ganz ehrlich zu sich war, so hatte er viel zu lange die schwierige und belastende Situation in Saudi-Arabien ausgehalten, viel zu lange die Belastungen für seine Ehe ertragen und viel zu lange gehofft, es würde nach der Rückkehr doch noch alles gut werden. Das Muster des »Aushaltens und Ertragens« war ihm durch seine biografischen Erfahrungen sehr vertraut. Im Coaching war er sehr berührt, als er spürte, was er sich und auch seiner Familie zugemutet hatte (4. Akzeptanz). Diese emotionale Akzeptanz des eigenen Anteils an der Situation ist immer der Scheitelpunkt der Kurve, jetzt ist die Person zur inneren Veränderung bereit. Der Coachingpartner im Fallbeispiel nahm sich vor, ab sofort genauer zu prüfen, welches Umfeld, welche Arbeitsstelle und welcher Lebensstil ihm gut tun würde, und stellte fest, dass er die neue Stelle wegen seines Sicherheitsdenkens etwas übereilt angenommen hatte. Sie war gut dotiert und versprach Sozialprestige, aber bei Licht betrachtet hatte er dasselbe Gefühl, nicht zu »passen«, wie zuvor. Es fiel ihm immer noch schwer, vor sich selbst und anderen gegenüber zuzugeben, dass er sich schlichtweg nicht wohlfühlte im neuen Job, der nach außen so attraktiv schien. Gemeinsam entwickelten wir Optionen dafür, wie er sich schon in der damaligen Situation mehr nach seiner Intuition und seinen Bedürfnissen richten konnte, was mal besser und mal schlechter klappte (5. Lernen). Das gab uns den Hinweis auf mögliche Zukunftsszenarien, für deren Realisierung wir zwei Strategien entwickelten (6. Erkenntnis). Mit diesen Plänen in der Tasche beendete der Coachingpartner das Coaching, denn er
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war in seinem alltäglichen Leben inzwischen dazu übergegangen, sich besser um sich und sein Wohlergehen zu kümmern (7. Integration). Auch die Partnerschaft entspannte sich, und ob er einen neuen, anderen Job in einem oder auch erst in zwei Jahren finden würde, war plötzlich nicht mehr so wichtig. Nicht, weil er wieder ausharrte, sondern weil er sich verändert hatte und im Hier und Jetzt stärker auf sich achtete. Nach erfolgreicher Integration ist die Person im Rückblick um mindestens eine Erfahrung reicher und hat ihr Verhaltensrepertoire erweitert. Die auch im Change-Management verwendete Veränderungskurve stammt ursprünglich von Kurt Lewin (1953). Er geht davon aus, dass es in jeder Organisation Kräfte gibt, die Wandel unterstützen, und solche die ihn verhindern, beide jeweils mit guten Gründen, die durchaus verständlich und nachvollziehbar sind. Im Idealfall gleichen sich diese Kräfte aus und gut begründete Veränderungen können angestoßen und umgesetzt werden. Jeder, der der Organisation angehört, ist ein wichtiger Faktor im Veränderungsprozess, und da sich nur durch individuelle Verhaltensänderung auch Organisationen verändern, müssen in solchen Prozessen neue Handlungsweisen sozusagen »eingeübt« werden, damit sich alte Strukturen nicht wieder einschleichen und die neu entwickelten untergraben. Kritische Würdigung: Die Veränderungskurve gehört zu den hilfreichsten Modellen, die es für die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung im Coaching gibt. Sie ist nahezu universell einsetzbar und hilft herauszuarbeiten, wo der Coachingpartner steht und wie er zur nächsten Etappe kommen kann. Die objektivierte Struktur gibt dem Coachee ein Gefühl von Normalität (es geht vielen so), Kontrolle (ich kann entscheiden) und Selbstmanagementfähigkeiten (was ich weiter mache werde), gerade in einer Phase, die sich scheinbar der eigenen Kontrolle und Gestaltungsfähigkeit entzieht. Erfahrungsgemäß kommen die meisten Personen ins Coaching, wenn sie sich zwischen der Etappe Einsicht (3) und Akzeptanz (4) befinden, oft haben sie eine Zeit lang »Kreise gedreht« zwischen Negation und Einsicht. Der Weg zur emotionalen Hinnahme des Unabänderlichen und zum Anerkennen eigener Anteile fällt den meisten am schwersten, zumal es nicht leicht ist, diese Zusammenhänge allein zu analysieren. Um die Veränderungskurve gut für Interventionen nutzen zu können, benötigt der Coach einen genauen Blick für das vorgebrachte und das eigentliche Thema und etwas Übung sowie eigene Erfahrung mit dem Tool. Denn erst, wenn das zugrunde liegende Identitätsthema des Veränderungsprozesses von den Coachingpartnern erkannt ist und der Coachee seine aktuelle Lage und die dorthin führenden Ereignisse emotional angenommen hat, können neue Handlungsmuster ausprobiert werden. Das Modell ist darüber hinaus hilfreich für Führungskräfte, die organisationalen Wandel anstoßen oder begleiten müssen. Im transkulturellen Coaching ist der Umgang mit identitätsrelevanten Veränderungen zentral, weswegen die Kenntnis dieses Grundmodells hilfreich ist. Einige weitere Konzepte, wie der im Folgenden beschriebene Kulturschock- und Migrationsverlauf, beschreiben ebenfalls tiefgreifende Effekte für die Identität. Für das systematisch kulturrefle-
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xive Coaching benötigen Coachs Modelle und Methoden, welche die transformative Bedeutung für die Identität erfassen und ermessen helfen.
Kulturschockkurve Manche, wenn auch nicht alle Menschen, geraten beim Wechsel des kulturellen Umfelds in einen solchen krisenhaft verlaufenden Veränderungsprozess, wie er im vorangehenden Abschnitt beschrieben wurde. Er resultiert aus der alltäglichen frustrierenden Erfahrung, dass gewohnte Strategien nicht mehr problemlos greifen und dass viele Erlebnisse, Eindrücke und äußere Signale Unsicherheit auslösen, weil sie unvertraut sind und man ihre Bedeutung nicht zweifelsfrei kennt. Dieser Anpassungsvorgang wird Kulturschock genannt und kann in verschiedenen Formen abgebildet werden. Im Folgenden möchten wir zwei Modelle vorstellen, die wiederum mit einer Verlaufskurve arbeiten und in Literatur und Praxis der kulturreflexiven Arbeit sehr verbreitet und hilfreich sind: die sogenannte Kulturschockkurve und die Migrationsbelastungskurve, welche die typischen Erfahrungen im Migrationsverlauf skizziert. Zur Vorbereitung oder Begleitung eines zeitlich begrenzten Aufenthalts in einer fremden Kultur – wenn es sich also um eine temporäre Veränderung handelt, an deren Ende in der Regel die Rückkehr ins Heimatland steht – werden als Erklärungsmodell üblicherweise die Kulturschockkurve in der Ursprungsversion von Oberg (1960) oder Weiterentwicklungen davon herangezogen. Das von Oberg entwickelte U-Modell kann zu einem W-Modell erweitert werden, um auch den Rückkehrprozess mit einzubeziehen. Gemäß dem W-Modell lässt sich das subjektive Erleben und die Bewältigung des Kulturschocks in bis zu acht Phasen unterteilen, die allerdings anders verlaufen als im bereits beschriebenen allgemeinen Modell von Veränderungsprozessen (Abbildung 18).
Abbildung 18: Tool – Phasen des Ex- und Repatriierungsschocks (modifiziert und ergänzt nach Oberg, 1960, und Gullahorn u. Gullahorn, 1962)
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Bei hoher Zufriedenheit startet der Mensch in der ersten Phase »Aufbruch und Ankommen« mit Aufregung und Begeisterung, in Vorfreude auf das Neue, in sein neues Leben in der fremden Kultur. Kulturelle Zusammenhänge werden meist noch nicht differenziert wahrgenommen, stattdessen ist man mehr oder weniger überwältigt von spannenden Eindrücken und einer positiven Erwartungsspannung, daher wird diese Phase auch oft »Honeymoon« genannt. Dieses Hochgefühl weicht jedoch der Ernüchterung und Enttäuschung, die kennzeichnend für die zweite Phase sind. Grund ist, dass die Realität tatsächlicher Differenzen, welche Anpassungsleistungen erforderlich machen, mehr und mehr in das Bewusstsein tritt. In dieser Phase werden kulturelle Unterschiede oft bagatellisiert und verallgemeinert, um das Gefühl des Kontrollverlusts zu vermeiden. Der (empfundene) Kontrollverlust tritt im eigentlichen Tief (dritte Phase) des Kulturschocks auf und kann auch mit psychosomatischen Reaktionen einhergehen. Das Tief resultiert aus der Erfahrung, dass gewohnte positive Rückmeldungen fehlen, bewährte Strategien nicht mehr greifen und ein Gefühl von Verlorenheit und Hilflosigkeit überwiegt. Analog zur Phase der Akzeptanz bei der im vorigen Abschnitt beschriebenen Veränderungskurve wird auf dem ersten Tiefpunkt des Kulturschocks gefühlt und anerkannt, dass man sich aktuell kaum zu orientieren oder zu helfen weiß. Der Verzicht auf das Bemühen, anhand der vertrauten und bekannten kulturellen Deutungen und Verhaltensmuster die Kontrolle zu behalten bzw. zurückzuerlangen, markiert die (erste) Wende; man orientiert sich bestenfalls am neuen Umfeld und entwickelt neue Strategien. In der nachfolgenden Anpassungsphase (vierte Phase) können die »Gastkultur« und die eigene Kultur »neutraler«, ohne das bisherige intensive (positive bzw. negative) emotionale Engagement wahrgenommen und nebeneinandergestellt werden, ohne Abwertungen und Projektionen, sondern im Gegenteil mit Interesse und Motivation. Man fühlt sich langsam zu Hause und ein neuer Alltag kehrt ein. Dieser neu erlangte Zustand wird meist mit Integration beschrieben. Sobald jedoch Rückkehrpläne geschmiedet und umgesetzt werden, kommt es – für die meisten Rückkehrer zum unerwarteten und daher subjektiv schlimmer bewerteten – Rückkehrschock. Die Heimkehr wird zu einer Rückkehr in eine fremde Heimat, da man sich selbst verändert hat. Diejenigen, die vor Ort geblieben sind, können oft diese Veränderungen nicht nachvollziehen oder bringen nur mäßiges Interesse für die Erfahrungen auf, die so dringend berichtet werden wollen. Sie können diese nur begrenzt nachempfinden. Daher durchläuft man während der Reintegration in der neuen alten Heimat ähnliche Phasen wie nach der Ausreise (sechste und siebte Phase). Dieser idealtypisch beschriebene Verlauf kann sich bei den einzelnen Mitgliedern einer Expat-Familie durchaus unterschiedlich gestalten, und jede Person kann eine eigene Kurve durchlaufen. Diese Kurve ist – wie erwähnt – abhängig von den individuellen Ressourcen und Erfahrungen. Ebenso müssen
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nicht notwendigerweise alle Phasen durchlaufen werden. In der Psychotherapie wird der Kulturschock im ICD-10, dem Register zur Klassifizierung psychischer und Verhaltensstörungen, als Anpassungsstörung definiert. Hierbei handelt es sich um eine emotionale Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen einschränkt. Die Belastung kann als (gewollter oder ungewollter) Entwicklungsschritt oder Krise beschrieben werden, durch die das Umfeld oder die sozialen Werte beschädigt wurden. Für die Frage, wie (gut, schnell etc.) die betroffene Person diese Belastung bewältigt, spielt der individuelle Umgang mit Veränderungen und die individuelle Resilienz eine wesentliche Rolle. Merkmale einer fehlenden Regulationsfähigkeit können depressive Reaktionen, Störungen des Sozialverhaltens oder Rückzug sein. Bei einem kürzeren Aufenthalt in der Fremde kann man in Phase »Honeymoon« oder Phase »Ernüchterung/Enttäuschung« steckenbleiben. Auch ein Verharren im Kulturschock ist möglich, wenn die kulturellen Konflikte, aus welchen Gründen auch immer, nicht aufgelöst werden können. Andererseits kann die Integration in die fremde kulturelle Umgebung auch so konfliktfrei verlaufen, dass die betreffende Person kaum (emotional belastende) Veränderungen wahrnimmt und von den interkulturellen Anpassungswehen weitgehend verschont bleibt. Kritische Würdigung: Verhalten und Denken wie auch die Vorstellungen von »Leben« und »Arbeit« sind kulturell geprägt und somit werden Menschen, die zwischen Kulturen wechseln, mit vielen Erwartungsbrüchen konfrontiert. Bei einem neuen und ungewohnten kulturellen Umfeld muss es sich nicht notwendig um eine andere Landeskultur handeln. Wie das Fallbeispiel von Marion Tauber in → Kapitel 3.1.1 (Kulturen in Bewegung) zeigt, kann das Phänomen »Kulturschock« auch beim Wechsel von Branchenkulturen auftreten. Der Coach muss sich vermutlich mit folgenden Themen beim Coachingpartner auseinandersetzen: Anstrengung in der Anpassung, Gefühle des Verlusts bezogen auf Freunde, Status, Position etc. eventuell verbunden mit dem Eindruck des Abgelehntwerdens, Rollen-, Wert- und Identitätsverwirrungen; Ängste, Missfallen und Wut gegenüber dem Fremden und Gefühle der Hilflosigkeit. Ähnlich dem zuvor beschriebenen allgemeinen Phasenmodell für Veränderungsprozesse liegt der Vorteil solcher idealtypischen Beschreibungsformen darin, dass der Coachingpartner mit ihrer Hilfe das eigene Erleben einordnen kann. Die hohe Selbstverunsicherung wird reduziert. Es entlastet die Coachingpartner, wenn sie erfahren, dass es einen idealtypischen Verlauf gibt, in dem sie sich mit ihren aktuellen Eindrücken, Gefühlen und Problemen verorten können. Man kann die Ausprägung der eigenen Kurve besprechen, suchen, in welcher Phase man sich befindet, und man kann anhand dieser Kurve auch die Situation der Partner und Kinder beleuchten. Je nach Station kann dann nach Ressourcen einer veränderten Selbststeuerung gesucht werden. Allerdings ist in zweierlei Hinsichten Vorsicht geboten. Zum einen sollte beachtet werden, dass keine
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Phänomene in den Coachingpartner hineininterpretiert werden, die es bei ihm nicht gibt. Die Verläufe können im Bezug auf das Modell »unvollständig« und individuell abweichend und verschieden sein. Verschiedene Zielgruppen haben verschiedene Verläufe. Ein Coachingmodell für globale Nomaden unterscheidet sich beispielsweise von dem eines Expats. Globale Nomaden haben spezielle Themen wie zum Beispiel Wurzellosigkeit, fehlende Supportstrukturen vor Ort, Veränderungswille etc. Daher müssen zielgruppenspezifische oder individuelle Themen und die speziellen Kompetenzen, die jeder Coachingpartner mitbringt, besonders in Betracht gezogen werden. Dafür ist wichtig, dass man die Interpretationen stets offen hält. Auch muss die Kulturschockkurve nicht in jedem Fall der Schlüssel zu den Krisen der Coachingpartner sein. Unter Umständen wird schließlich mit dem Kulturschock auch eine weitere und tiefere psychische Thematik des Coachingpartners »getriggert«, die eine psychotherapeutische Intervention notwendig macht. Der Coach braucht für die Einschätzung und Abgrenzung der Anpassungsstörung »Kulturschock« ein breites Kompetenzspektrum.
Migrationsbelastungskurve Motive, Umstände und Bedingungen einer gegebenenfalls unfreiwilligen Migration unterscheiden sich von denen einer Entsendung, und dementsprechend gibt es für die idealtypische Beschreibung des Migrationsverlaufs eine eigene Kurve. Migranten entscheiden sich meist ohne Unterstützung, Rückfahrkarte oder Sicherheitsstruktur für einen Kulturwechsel. Sie gehen vielfach aus lebenserhaltenden Gründen oder als Konsequenz von Entscheidungen anderer Personen, um Naturkatastrophen, wirtschaftlicher Not, politischer Unterdrückung oder Kriegen zu entkommen. Einige kommen aus Systemen, in denen Mobilität zum Alltag gehört, andere sind durch aktuelle oder vergangene Erlebnisse traumatisiert, einige reisen erster Klasse, andere überlebten knapp auf einem überfüllten Boot. Vielleicht haben sie im fremden Zielland Verwandte und können diese als erste Anlaufstelle nutzen, andere haben nur davon gehört, dass es woanders »besser« sei, und entschließen sich für ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder zu einer Migration. In Anlehnung an die Stressbewältigungskurven aus den Naturwissenschaften und der Psychologie unterteilt Sluzki (2001) den Migrationsprozess in folgende Phasen (Abbildung 19): 1. Die Vorbereitungsphase: Diese Phase zeichnet sich durch den Wechsel zwischen kleineren »Hochs« und »Tiefs« aus, sie ist geprägt von Euphorie, aber auch von Angst und Belastungen, die die Betroffenen bis an die Grenzen ihrer Kräfte führen können. Einige wollen »weg vom« Leid, einige »hin zu« einer guten Zukunft, und diese Haltung prägt die Vorbereitungen. Migrationsprozesse sind meist Folge von kollektiven Entscheidungen innerhalb einer Familie, und daher werden Themen wie Verantwortungen, die Ein-
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Abbildung 19: Tool – Migrationsbelastungskurve (verändert nach Sluzki, 2001)
nahme neuer Rollen, der Verbleib von Männern, Frauen und Kindern als lebensbestimmende Fragen relevant. Nicht selten werden dadurch auch ruhende, schwelende oder unbewusste innerfamiliäre Konflikte an die Oberfläche gespült, und das unter möglicherweise lebensbedrohlichen äußeren Umständen. Trauer um das, was man loslassen muss, und Verantwortungsübernahme für eine Entscheidung mit möglicherweise lebenslangen Folgen können prägende Themen sein. 2. Der Migrationsakt: Auch wenn der Migrationsakt selbst nur von kurzer Dauer ist, verarbeiten ihn die betroffenen Personen als Prozess. Vor allem, wenn die Migration ihren Ursprung in der Notwendigkeit zu fliehen hatte oder wenn Zwischenstopps in verschiedenen Ländern eingelegt werden mussten, hat der Akt des Emigrierens und Immigrierens einen langen Nachhall. Viele Flüchtlinge schweißen sich zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammen und bilden so neue Beziehungen. Je nachdem, ob die Migranten legal oder illegal, nach genauer Planung oder »Hals über Kopf«, für einige Zeit oder für immer migrieren, variieren auch Ablauf und Dauer dieses Prozesses. 3. Die Phase der Überkompensierung: Meist ergeben sich die größten Belastungen noch nicht direkt nach der Ankunft, denn zunächst steht das »Überleben« im Fokus. Ebenso wie bei Entsendungen wird verdrängt, verallgemeinert, verleugnet, um die Entscheidung zu festigen und Unsicherheiten zu vermeiden, das Bewusstsein für differenzierte Zusammenhänge ist (noch) nicht wiederhergestellt. Gerade auch, wenn die gesamte Familie migriert, konzentriert sich zunächst alles auf die Selbstorganisation in der neuen Umgebung und die Bewältigung der plötzlichen und weitreichenden Veränderungen, die sich auch auf die innerfamiliäre Dynamik auswirken: Nach
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einer Übergangszeit müssen sich neue Rollenmuster und Regeln etablieren, und Konflikte treten daher in dieser Zeit (noch) in den Hintergrund. Oft kommen die Familienmitglieder einander näher, während sich umgekehrt in Familien mit sehr engen Bindungen möglicherweise die Familienmitglieder nun stärker als gewohnt voneinander abgrenzen. Kollektive Bewältigungsstrategien können sich hier bereits abzeichnen. 4. Die Phase der Dekompensation: Viele Schwierigkeiten und Symptome treten erst in dieser Phase zu Tage, denn nun müssen alle einer neuen Realität ins Auge sehen und diese gestalten. Die Kontinuität der Familie und die Anpassung an die Umgebung stehen im Vordergrund, Gewohnheiten müssen aufgegeben werden oder werden krampfhaft erhalten, eine neue Sprache muss gelernt werden und jeder kommt damit unterschiedlich gut zu Recht. Zudem können einige Werte aus der Heimat nicht so gelebt werden wie gewohnt, manchmal sind sie in der neuen kulturellen Umgebung sogar kontraproduktiv. Gerade in Erziehungsfragen werden dieses Dilemma und die Konfrontation mit der umgebenden Wertewelt deutlich. Die Rollenaufteilung in der Familie bleibt entweder gleich oder sie ändert sich, oft zwangsweise, aufgrund unterschiedlicher Werte oder Kompetenzen der einzelnen Familienmitglieder, was zu Konflikten führen kann. Auch individualpsychologisch beschäftigen sich die Betroffenen nun mit dem Betrauern des Verlustes, gepaart mit einer Idealisierung der Vergangenheit. 5. Die Phase der generationsübergreifenden Anpassungsprozesse: Die von einer Familie durchlaufenen gelungenen oder missglückten Anpassungsprozesse werden oft erst in der Nachfolgegeneration sichtbar, die im Gastland aufwächst. Sie erlebt die in der Aufnahmegesellschaft geltenden kulturellen Werte selbstverständlicher und gerät bisweilen in einen Wertekonflikt mit den tradierten Werten in der Familie. Generationenkonflikte können auftreten, die sich meist nicht allein innerfamiliär lösen lassen. Wenn eine Anpassungsleistung in der Vergangenheit nicht möglich war, werden die Konflikte oft unbewusst interkulturell nach außen projiziert. Kritische Würdigung: Es ist gut, die spezifischen Belastungen durch eine Migration sowie die besondere Bedeutung der Familiendynamik in diesem Kontext zu kennen, denn beim Coaching von Menschen mit Migrationshintergrund kommt es immer wieder vor, dass Familienaufträge zutage treten oder die latente Konfliktlage des Coachingpartners sich als relevant für dessen Entwicklungsprozess erweist. Ebenso wie für die Kulturschockkurve gilt auch für die Migrationsbelastungskurve, dass die konkrete Realisierung des darin idealtypisch skizzierten Migrationsverlaufs und die Art und Weise, wie die Migration von den Betroffenen subjektiv erlebt und verarbeitet wird, individuell stark variieren können. Gleichwohl zeichnet sich der Migrationsverlauf durch
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bestimmte erwartbare (familiäre) Konflikt- und Bewältigungsmuster sowie typische Symptome aus. Die Migrationskurve ist ähnlich einsetzbar wie die Kulturschockkurve, betont jedoch stärker die Dynamiken, Anpassungs- und Bewältigungsprozesse innerhalb von Familien und die psychische Auseinandersetzung mit dem – meist als machtvoll empfundenen – System des Aufnahmelandes. Die Machtasymmetrie und die – möglicherweise häufig durch die Alltagserfahrungen bestätigte und weiter verfestigte – Vorannahme, dass man »als Migrant« weniger wert sei, können sich in Coaching und Beratung widerspiegeln. Für Berater und Coachs ohne Migrationshintergrund und -erfahrungen ist es eine Herausforderung, diese Asymmetrie zu überwinden. Ebenso ist es nicht ganz einfach, auf der Folie der Migrationskurve die interkulturelle Kompetenz und die Selbstkompetenz des Coachingpartners zu stärken, da das Modell an sich eher einen an Defiziten orientierten und pathologisierenden Beschreibungsduktus hat.
Persönliche Berufs- und Lebenskurven Ausgehend von bisher beschriebenen idealtypischen Verlaufskurven kann es sich als noch effektiver erweisen, eine eigene Lebens-Verlaufskurve mit dem Coachingpartner zu erstellen. Globale Nomaden unterscheiden sich beispielsweise von Expats in ihren Themen, Anliegen und Ressourcen (vgl. auch Burrus, 2010), daher sind die Methoden individuell anzupassen. Ziel aller Kurvenbetrachtungen ist, sich nicht als Spielball der Ereignisse zu begreifen, sondern die impliziten Skripte zu erfassen, die das eigene Verhalten beeinflussen und konstruktive Umgangsweisen mit äußeren und inneren Ereignissen zu erarbeiten. Vorbereitetet wird eine Blanko-Tabelle (siehe Tabelle 4), in der berufliche und gegebenenfalls auch private Schlüsselereignisse einzutragen sind. Die Tabelle ist in regelmäßige Zeiträume untergliedert, das heißt, jede Tabellenzeile repräsentiert zum Beispiel jeweils eine Woche, einen Monat oder ein Jahr. Die zeitliche Unterteilung und der betrachtete Gesamtzeitraum richten sich jeweils nach der Fragestellung und dem zeitlichen Horizont im Coaching, wobei allerdings die Zeitabstände innerhalb der Tabelle nicht gemischt werden sollten. Der Coachingpartner bewertet nun die notierten Ereignisse mit einer gefühlsmäßig vertrauten Schulnote (A, B, C …; 1 bis 6 oder 6 bis 1, wir bleiben im Beispiel im deutschen Schulnotensystem). Dann wird für jeden Zeitraum jeweils das Mittel gebildet. Wenn der Coachingpartner also für drei Ereignisse im Jahr 1998 jeweils die Schulnoten 2, 3 und 4 vergibt, dann wäre das Gesamtjahr mit 3 (befriedigend) zu bewerten. Der Blick auf bedeutsame Ereignisse hilft, sich auch an länger zurückliegende Zeiträume zu erinnern und sie ex post einzuschätzen. Man kann die Lebenskurve in einen privaten und einen beruflichen Teil aufschlüsseln, wenn die Coachingpartner diese Trennung selbst vollziehen wollen und können.
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Tabelle 4: Tool – Vorbereitung für persönliche Lebenskurve (eigene Darstellung)
Zeitraum
berufliche Schlüsselerlebnisse
Bewertung
1978
Für FIRMA X als Y gearbeitet. Viel Stress mit dem Chef gehabt, Unsicherheit
3
1979
Ein schwieriges Projekt geleitet, viel Ärger …
4
private Schlüsselerlebnisse
Umzug nach Y (anstrengend!), aber gleich neue Freunde kennengelernt 2,5 und Anschluss gefunden Konflikte in der Familie, Auf und Ab 3
Eine Verlaufskurvenbeobachtung für die berufliche und private Lebenssituation getrennt über viele Jahre hinweg könnte zum Beispiel so aussehen (Abbildung 20):
Abbildung 20: Tool – Persönliche Berufs- und Lebenskurve (echtes Fallbeispiel)
Zur Vorbereitung betrachtet der Coachingpartner seine bisherigen Lebenserfahrungen unter einer bestimmten Fragestellung, die meist mit dem Ziel des Coachings verknüpft ist, und bewertet sie in ihrer Dynamik. Wenn jemand schon sehr oft die Stelle gewechselt hat und nicht genau weiß, warum, kann nach den beruflichen Höhen und Tiefen gefragt werden. Genauso ist es mög-
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lich, nach anderen Kategorien wie Gewichtsschwankungen, Partnerschaften und anderen Bereichen zu fragen, sofern sie mit dem Ziel des Coachingpartners zu tun haben und im Kompetenzbereich des Coachs liegen. Zum Beispiel wollte ein Coachingpartner herausfinden, warum er immer so unzufrieden mit seinen Arbeitgebern und seinen im Grunde attraktiven beruflichen Positionen war. Der Mittvierziger hatte einige langjährige Verträge mit guten Firmen in seiner Branche hinter sich. Wie es sich für eine gute Karriere gehört, hat er sich nach einigen Jahren meist über die Vermittlung durch einen Headhunter in Position und Gehalt verbessert. Zur Ermittlung der Gründe seiner Unzufriedenheit bereitete er eine Verlaufskurve vor. Das Entscheidende ist neben der durch die Erstellung der Kurve ermöglichten Distanzierung und Reflexion die gemeinsame Auswertung. Man kann sich Höhen und Tiefen schildern lassen, während man gemeinsam nach Mustern sucht. Im erwähnten Fallbeispiel war es verzwickt. Die Unzufriedenheit ließ sich nicht am Umfeld, nicht an den Chefs und nicht an den Aufgaben festmachen. Vielmehr lag der Schlüssel in dem Zustandekommen der jeweils eingenommenen beruflichen Stellen. Das einzige wiederkehrende Merkmal aller erlangten Positionen fand sich in den Erzählungen zum Stellenwechsel. Dieses musterhafte Merkmal war schließlich wegweisend. Es stellte sich heraus, dass der Coachingpartner die Initiative stets den Headhuntern überlassen hatte. Das heißt, er hatte sich immer von attraktiven und wohlklingenden, Status vermittelnden Stellen ansprechen lassen, ohne zu prüfen, was die eigenen Bedürfnisse sein könnten. Er war geschmeichelt, dass man ihn fragte, hatte jedoch nicht überlegt, welche Arbeitsbedingungen, Organisationskulturmerkmale oder eigene Ziele er eventuell bevorzugen würde. Seine Kriterien blieben implizit und zeigten sich erst als Differenzerfahrung und subtile Unzufriedenheit nach einiger Zeit. Statt sich also selbst bewusst für eine Kombination und vielleicht auch einen bedarfsgerechten Kompromiss zu entscheiden, fand er sich – äußerlich anerkannt und mit Statussymbolen versehen – immer wieder in Situationen, die nicht seinen eigenen Bedürfnissen entsprachen. Zudem wurde deutlich, dass er sich dadurch, dass er von Headhuntern erwählt worden war, niemals einem Bewerbungsprozess stellen musste. Erst nach dieser Analyse wurde das darin verborgene Selbstwertthema zum zentralen Thema im Coaching. Das Bewusstsein der Problematik, das der Coachingpartner durch den analytischen Blick aus der Vogelperspektive gewonnen hatte, und die gemeinsame Arbeit halfen ihm, Mut zu fassen, selbst nach einer Stelle Ausschau zu halten, diese zu wählen und sich dem Bewerbungsprozess zu stellen. Bei der Auswertung von zwei separaten Kurven für den beruflichen und den privaten Bereich können weitere Ressourcen erschlossen und Selbstmanagementstrategien entdeckt werden. Die Kurven haben teilweise Parallelverläufe und manchmal Komplementärverläufe. Im abgebildeten Beispiel kann man einen Parallelverlauf zwischen 1979 und 1981 sehen, meistens jedoch verlaufen
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die Kurven getrennt und nahezu komplemetär, wie zum Beispiel in den Jahren 1987 bis 1990 oder 1996 bis 2000. Je nach Verlauf zeigen sich Erlebens-, Integrations- und Verarbeitungsmodi und man kann dann Ausschau nach Selbstmanagementformen halten. Die Coachingpartner erleben in der Regel schon allein die Vorbereitung und die Gesamtschau als sehr hilfreich, selbst wenn sich (noch) keine überraschenden Analysefunde offenbaren. Kritische Würdigung: Wie bei den anderen Kurven steht auch bei diesem Tool die Selbstreflexion und eine etwas distanzierte Selbstbetrachtung im Vordergrund. Zu beachten ist, dass die Arbeit primär vergangenheitsbezogen vorgeht – mit einer Ausrichtung auf Veränderungsmöglichkeiten in der aktuellen Situation. Die Reflexion fördert meist überraschende Ergebnisse zutage und schließt im Gegensatz zu rein lösungsorientierten Tools auch eine diagnostische, hypothesensuchende Perspektive ein. Gefunden werden einschränkende Muster, aber auch Ressourcen und Bewältigungsstrategien. So kann im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen entschieden werden, welche Erlebens- und Verhaltensweisen hinderlich und welche bisherigen Strategien hilfreich und übertragbar sind. Die Analyse mit diesem Instrument unterscheidet sich insofern von der Arbeit mit den anderen Verlaufskurven, da hier keine idealtypischen Verlaufsvorgaben vorliegen, sondern jede Kurve individuell erstellt und ausgewertet wird. Das Instrument ist anspruchsvoll für den Coach, es bedarf einiger Übung und Erfahrung, um die entscheidenden Deutungen zu finden und Zusammenhänge zu sehen. Zugleich ist es bei der Erstellung von zwei Kurven (Leben und Beruf) selten zufällig, wie sich die Kurvenverläufe aufeinander beziehen, die Deutungen der Parallel- oder Komplementärverläufe bringen dem Coachee zusätzliche Einsichten. Die Methode ist für analytisch interessierte und versierte Coachingpartner hilfreich, wenn sie in der Selbstdistanz grundsätzliche Fragen der Lebensführung klären möchten. Für das kulturreflexive Coaching ist die gefühlte Verfügbarkeit über die eigene hybride Identitätsgestaltung elementar. Andererseits fällt es – je nach kulturellem Hintergrund des Selbstkonzepts – manchen Personen schwer, sich als vom Umfeld getrennte Personen in ihrem Erleben und vor allem in ihrer Selbstwirksamkeit zu beschreiben. Die tabellarische Aufschlüsselung, Benotung und mathematiknahe Darstellung ist ihnen fremd und sie bevorzugen eine erzählende und auf Geschichten basierende Vorgehensweise. Die Wahl der Methoden nach stilistischen Präferenzen ist jedoch in jedem Coaching ein zu reflektierendes Thema (siehe dazu → Kapitel 3.2.4, Methoden – culturally revised).
Developmental Model of Intercultural Sensitivity (DMIS) Ein ganz anderes und sehr bekanntes Modell, das speziell im und für das interkulturelle Feld entwickelt worden ist, bezieht sich auf Lernstufen oder auch -phasen hinsichtlich der persönlichen interkulturellen Kompetenz. Das von Bennett (1986, 2001) entwickelte Developmental Model of Intercultural Sensi-
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tivity (DMIS) beschreibt speziell und idealtypisch die Formen der interkulturellen Horizonterweiterung. Es unterscheidet verschiedene Arten kultureller Differenzerfahrung und erläutert, wie die jeweilige Bewertung der Außenwelt oder anderer Personen zustande kommt. Je reichhaltiger und vielfältiger der Erfahrungsschatz und die Reflexion einer Person im Umgang mit Fremdheit ist, desto variantenreicher und differenzierter kann ihre interkulturelle Perspektive werden. Im Unterschied zu den Phasenmodellen und Verlaufskurven geht es Bennett allerdings nicht um eine zeitliche Dynamik, sondern um grundsätzliche Verarbeitungsmodi von Individuen, aber auch Organisationen. Daher sind die in diesem Modell beschriebenen Abschnitte zwischen Ethnozentrismus und Ethnorelativismus nicht notwendig alle zu durchlaufen, sie erfassen generell Formen der Auseinandersetzung mit Fremdheit, auf die man als Coach oder Trainer achten kann (Abbildung 21).
Abbildung 21: Interkulturelle Lernstufen (Bennett, 2001)
In der Stufe der Leugnung (Denial) sind zwar abstrakte Differenzen bekannt (»die Asiaten«), man wendet jedoch vor allem eigene Bewertungsschemata an. Die eigene Weltsicht wird als universal angenommen, Differenzen werden unterschätzt, belächelt, ulkig gefunden oder bestenfalls in einer Haltung des »Leben und leben lassen« ignoriert. Organisationen auf dieser Stufe kümmern sich wenig um kulturelle Differenzen, und wenn, dann nur, wenn Probleme auftauchen. Entsprechend wird Kultur vorwiegend als »Störfaktor« wahrgenommen. In der Abwehr (Defense) wird die Differenz bewusster und tritt in der eigenen Haltung als Gruppenstolz in Erscheinung. Die Welt wird in »wir« und »die anderen« eingeteilt und der natürliche Ethnozentrismus führt dazu, dass die eigene Kultur als die fortschrittlichere angesehen wird. Unternehmen auf dieser Stufe tendieren zur Überheblichkeit und zu Fehlern, zum Beispiel indem ein Produkt nicht an den lokalen Markt oder ein Prozess nicht an die lokalen Gegebenheiten angepasst wird. In der Minimierung ist – psychologisch oder organisatorisch – die Bedrohung durch die Differenz bewältigt und die Tendenz geht zum Universalismus. Daher wird auf dieser Stufe gern mit dem »gesunden Menschenverstand« argumentiert, oder mit einem abstraktem Humanismus (»das ist doch menschlich«). Das heißt, man hält bei aller Anerkennung von oberflächlichen Unterschieden an einem tiefen Glauben fest, dass alle Menschen doch gleich seien. Dadurch lassen sich Gefühle der eigenen Inkompetenz vermeiden. Bei
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dieser abstrakten Vorstellung von Gleichheit wird übersehen, dass die als vernachlässigenswert bewerteten Unterschiede meist auf Ungleichheitsverhältnisse verweisen, bei denen man selbst in der vorteilhafteren, stärkeren Position ist. Bei Organisationen manifestiert sich diese Stufe in einer Selbsteinschätzung als »tolerant«, Diskriminierungen und Konformitätsdruck werden übersehen. Ethnorelative Strategien beginnen mit der Akzeptanz (Acceptance). Auf dieser Stufe wird der Anspruch auf absolute und universelle Antworten und Maßstäbe aufgegeben und Ambiguitätstoleranz gezeigt. Diese beliebte Eigenschaft im interkulturellen Kompetenzbündel meint eine Form innerer Größe, die unvereinbare Aspekte oder Widersprüche stehen lassen kann. Die Existenz von grundlegenden Differenzen wird akzeptiert, Unterschiede machen neugierig und können sogar – in einer Art Überkompensation – allzu positiv bewertet werden. Organisationen, welche diese Stufe erreicht haben, schätzen Diversity. Allerdings werden Differenzen nur anerkannt, es werden jedoch nicht notwendig interkulturelle oder diversityorientierte Maßnahmen ergriffen. Wenn die Stufe der Anpassung (Adaption) erreicht ist, sind die Personen fähig, den Referenzrahmen zu wechseln und zunächst Informationen einzuholen, bevor sie bewerten oder urteilen. Neben dem Perspektivenwechsel, der Empathie für eine nicht geteilte Ansicht erlaubt, gelingt es den Personen, ihr Verhalten den Organisationen und ihre Abläufe den situativen Erfordernissen anzupassen. Organisationen, die sich anpassen, investieren in Interkulturelles Coaching, kulturreflexive Organisationsberatung und achten auf Respekt. Sie behandeln die multikulturelle Zusammensetzung von Teams als Ressource. Die Integration zeigt sich an einem starken und selbstbewussten Selbstkonzept, das dynamische und frei wählbare Identitäten enthält. Eine Organisation, die diese Stufe erreicht hat, ist global, das heißt, jede Policy und Aktivität wird interkulturell reflektiert und in den kulturellen Kontexten auf Stärken und Schwächen geprüft. Wenn man im Coaching dieses Raster anlegt, so kann man auf dieser Grundlage den Coachingpartner und sein Umfeld in der Entwicklung unterstützen. Es gibt Mittel und Wege, die bereits gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse zu stärken und zu vertiefen, aber auch weitere Reflexionsstufen zu erschließen und Änderungen anzustoßen. Tabelle 5 gibt einige Hinweise für Interventionen. Sie beziehen sich – wie im Coaching oft benötigt – auf die Förderung einer ethnorelativen Perspektive und Handlungsweise bei dem Klienten, nicht hinsichtlich der Organisation. In jeder Stufe ist mit einer spezifischen Lernblockade (siehe Grundhaltung) zu rechnen, der mit einer gezielten Intervention begegnet werden kann. Bennet beschreibt vor allem die problematischen Aussagen und Verhaltensweisen, in der Tabelle haben wir ergänzend dazu hilfreiche und erprobte Umgangsweisen mit den zugrunde liegenden Grundhaltungen dargelegt. Auf der Stufe der Verleugnung, auf der das eigene Weltbild unerschüttert fortzubestehen versucht, empfiehlt sich am ehesten die leichte Konfrontation.
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Tabelle 5: Interventionshilfen zur Förderung ethnorelativer Perspektiven (eigene Ableitung)
Stufe
Grundhaltung
Veränderungen werden initiiert durch
Denial
Es gibt keine bedeutsamen kulturellen Unterschiede.
Herausarbeiten oder Erläuterung von Differenzen Reflexion des kulturellen Selbstbewusstseins oder der kulturellen Spielregeln
Defense
Es gibt kulturelle Unterschiede, aber »unsere« sind besser (die anderen müssen sich anpassen).
Perspektivenwechsel Verteidigungshaltung soweit sinnvoll und möglich anerkennen Üben positiver Bewertungen (was ist das Gute »bei uns«/»bei den anderen«)
Minimization
Es gibt zwar kulturelle Unterschiede, aber diese lassen sich unter Rückgriff auf das allgemein Menschliche (= meine oder unsere Werte) bewältigen.
Benennen persönlicher Erfahrungen Illustration von Differenzen Thematisierung von zugrundeliegenden Werten und Darstellung von alternativen Präferenzen, Verhaltens- oder Vorgehensweisen
Acceptance
Es gibt grundlegende kulturelle Unterschiede und entsprechenden Handlungsbedarf.
Üben eines wertfreien Blicks für kulturelle Erscheinungsformen Implikationen der Unterschiede in ihrer Konsequenz betrachten und bearbeiten Was ist anders zu tun? Kann ich das, will ich das?
Adaption
Kulturelle Unterschiede erzeugen Veränderungs- und Handlungsbedarf und ich/wir reagiere(n) darauf, indem ich/wir uns anpasse(n).
Anwendung kulturspezifischen Wissens: Transferübungen allgemeine Erweiterung des Handlungsrepertoires, Entwicklung konkreter Verhaltensweisen oder Kommunikationsformen
Integration
Ich bediene mich eines interkulturellen und flexiblen Repertoires, um in allen Settings erfolgreich zu sein, und verhandele mit den anderen gemeinsame Werte und Vorgehensweisen.
Unterstützen, dass der Klient im Spannungsfeld von ethisch-spirituellen oder politischen Systemen und vor dem Hintergrund des eigenen Wertesystems Position im Hinblick auf gemeinsame Werte bezieht und sie aushandeln kann Generieren von neuen, kreativen, synergetischen Lösungen anregen Trial and Error auf Augenhöhe unterstützen
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Die Grundhaltung »Es gibt keine bedeutsamen kulturellen Unterschiede« stellt sich nicht so unaufgeregt dar, wie es erscheint. Die Verleugnung geht einher mit Empörung über bestimmte Verhaltensweisen, weil sie am eigenen Maßstab gemessen werden, mit Erstaunen und sich mokieren oder impliziter Abwertung. Unterstützende Interventionen können hier die Erläuterung von Differenzen und ihren Hintergründen sein (klassisches interkulturelles Lernen) oder auch die Reflexion der eigenen Wertgebundenheit mit verschiedenen Tools. In der Verteidigungshaltung (Defense) sind die Coachees zwar bereit, kulturelle Unterschiede abstrakt anzuerkennen, aber sie ziehen sich auf eine Toleranzhaltung der »Duldung« zurück. Sie geht einher mit der Forderung, die anderen müssten sich anpassen, wertschätzen können sie differente Wertevorstellungen oder Herangehensweisen nur schwer, noch weniger können sie aus der anderen Perspektive auf eine Situation oder Sache schauen. Zugleich ist ein Aufgreifen des Widerstands notwendig. Wenn der Coachee in einer Verteidigungshaltung ist, ist es wichtig, die positiven Aspekte und die zugrundeliegenden positiven Intentionen der von ihm als befremdlich erlebten Verhaltensweisen anzuerkennen. Die letzte ethnozentrische Grundhaltung ist ein abstrakter Humanismus, da hinter dem propagierten Universalismus die Verallgemeinerung eigener Wertevorstellungen steht. Die Haltung der Minimierung, also die systematische Unterschätzung der Tragweite von Differenzen, kommt oft auf leisen Sohlen daher und ist schwer (als Problem) erkennbar. Hier ist der Coach gefordert, zunächst einmal die Handlungsrelevanz und die ganz konkreten und praktischen Auswirkungen kultureller Unterschiede herauszustellen und gegebenenfalls auch für den Coachingpartner erfahrbar zu machen. Zugleich sind die Haltung des Coachingpartners und die Organisation seines Umfeldes zu unterscheiden. Die flexibelste interkulturell kompetente Haltung kann eine ethnozentrische Organisationsstruktur oder Organisationskultur nur begrenzt aufheben. Wenn in der Grundhaltung die erste ethnorelative Stufe einer grundlegenden emotionalen Akzeptanz erreicht ist, können erste Schlussfolgerungen gezogen werden, denn die praktische Folge ist die Notwendigkeit, das eigene Handlungsrepertoire zu variieren. Zwischen der Anerkennung von Differenzen und dem eigenen Schritt auf andere zu liegt bekanntlich ein nicht zu unterschätzender Hiatus. Erst wenn ein Coachee bereit ist zur »Anpassung«, wie Bennett es nennt, also willens und in der Lage, sein Verhalten zu variieren, können konkrete Schritte im eigenen Handlungsrepertoire geübt und praktiziert werden. Die integrative Grundhaltung schließlich ist die Fähigkeit, verschiedene Normen, Spielregeln und Wertesysteme als in sich stimmig gleichrangig gelten zu lassen. Ist der Klient auf dieser Stufe, so ist einem Werterelativismus vorzubeugen, indem gemeinsame Normen und Werte ausgehandelt werden oder nach der Vision für die gemeinsame Wertewelt gefragt wird. Der Coach kann den Coachee anregen, mit seinen Interaktionspartnern kreative Lösungen zu finden.
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Kritische Würdigung: Das DMSI ist hilfreich, um die richtigen Lernschritte, Interventionen oder Maßnahmen zur gegebenen Situation oder Haltung zu initiieren und den Coachingpartner gleichsam dort abzuholen, wo er gerade steht. Es ist müßig, im Coaching Transferübungen zu machen, wenn noch keine Akzeptanz der Situation und der zugrundeliegenden unterschiedlichen Wertsysteme erreicht ist. Es hilft in Teamcoachings nicht, ethische Diskussionen zu führen, wenn darin lediglich die eigene Weltsicht verteidigt wird (Defense). Umgekehrt ist es nicht nützlich, wenn Coaching als interkulturelles Lernen geordert wird, zum Beispiel um Differenz zu erläutern, wenn der Coachingpartner längst einen Blick und Verständnis dafür entwickelt hat. Dann sind eher konkrete Transferübungen hilfreicher. Es bedarf allerdings einiger Übung für den Coach, die Äußerungen des Coachingpartners spontan zu den Grundhaltungen und Stufen zuzuordnen. Andererseits kann das Modell auch im Coaching transparent gemacht werden und beide Coachingpartner reflektieren gemeinsam, wo der Coachee sowie seine Organisation stehen. So können beide Coachingpartner mit Hilfe des DMSI Entwicklungsoptionen erschließen. Zu beachten ist jedoch, dass auf den ethnozentrischen Stufen die Konfrontation mit einem solchen Modell Widerstand erzeugen kann. Als theoretisches Modell ist das DMSI verbreitet und wird häufig zitiert, umso erstaunlicher ist jedoch, dass es – zumindest nach unserem Kenntnisstand – bedauerlicherweise keine Ableitungen, Weiterbearbeitungen oder Hinweise auf den konkreten und praktischen Transfer gibt, weshalb wir dies in Ansätzen und auf der Basis unserer Erfahrungen in der Tabelle erläutert haben. Es scheint, dass es vor allem als diagnostisches Raster eingesetzt wird, Ableitungen für kommunikative oder organisatorische Interventionen sind noch ein Desiderat. Insofern ist es noch eine offene Frage, ob die Phasen notwendig aufeinander folgen müssen oder – wie behauptet wird – übersprungen werden können.
Der Umgang mit »hybriden Identitäten« Um die Coachingpartner in der narrativen Konstruktion ihres Selbst zu unterstützen – speziell auch im Hinblick auf die Hybridität von Identitäten (vgl. → Kapitel 3.1.3, Von der Identität zu den Identitäten) kann es nützlich sein, sich über existierende hybride Identitätskonstruktionen zu informieren, die teilweise auf der Basis wissenschaftlicher Forschungsarbeiten entwickelt worden sind. Je nach Disziplin oder Beschreibungssprache gibt es ganz unterschiedliche Ansätze zur Darstellung und Erklärung der individuellen Identitätskonstrukte. In der Psychologie werden mit Blick auf bikulturelle Sozialisation beispielsweise bevorzugt Typen gebildet. So interviewte Hildegard Wenzler-Cremer (2005) im Rahmen ihrer Dissertation junge Erwachsene, die als Kinder von nach Deutschland migrierten Indonesierinnen deutsch-indonesisch sozialisiert wurden. Sie vergleicht unter anderem Erziehungsstile, die Qualität der Paarbeziehung und
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den Grad der Integration der Mutter in die jeweilige »Vaterkultur«. Die Autorin unterscheidet zwischen 1. Verwurzelten, die in einer der Kulturen fest verankert sind und die zweite quasi als Beiwerk behandeln, 2. Heimatlosen, die eine distanzierte Beziehung zu beiden Kulturen haben und Bikulturalität im doppelten Sinne nicht als Ressource sehen und nutzen können, 3. Pendlern, die changierende Zugehörigkeitsgefühle haben und ohne Schwierigkeiten zwischen Kulturen wechseln, 4. Sammlern, welche sich mit verschiedenen Kulturen verbunden fühlen und sie zu einer »kreolischen« Identität kombinieren. Bikulturalität wird entweder als Bereicherung, als Belastung und Quelle von Doppeldeutigkeiten, als Fremdheit oder als Anpassungsdruck erlebt. Je nach Typus greifen die Personen auf unterschiedliche Ressourcen zurück und entwickeln verschiedene Strategien des Umgangs mit den für sie relevanten Kulturen. Man kann die Typen von Wenzler-Cremer auch zu Bennetts Phasenmodell in Beziehung setzen: Die Pendler verhalten sich adaptierend und die Sammler integrierend. Diese vier Typisierungen sind nur Beispiele für verschiedene Identitätskombinationen und Strategien. Weitere Anregungen und Subjekt-Formationen kann man bei Studien und Qualifikationsarbeiten unterschiedlicher Disziplinen finden. Der schon etwas ältere Sammelband von Wießmeier (1999) enthält eine Reihe von Forschungsarbeiten über bikulturell aufwachsende Kinder und junge Erwachsenen in Berlin, Pütz (2004) beschreibt die »strategische Transkulturalität« und changierenden Identitätsentwürfen von Unternehmern türkischer Herkunft. Gutiérrez Rodríguez (1999) dekonstruiert »Subjektivitäten« von intellektuellen Migrantinnen, Helma Lutz (2001) ermittelt in ihrer Studie Lösungsformen von Migrantenidentitäten im transgenerationalen Vergleich surinamesischer Mütter und Töchter in den Niederlanden. Die Autoren in Moosmüllers Sammelband »Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora. Die kulturelle Gestaltung von Lebens- und Arbeitswelten in der Fremde« (2002) beschreiben Identitätskonstruktionen von Menschen, die auf unterschiedliche Weise in der Diaspora (Zerstreuung) leben. Zusätzlich zur Wissensvermittlung und inneren Flexibilität des Coachs im Hinblick auf die hybriden Identitäten kann eine Übung durchgeführt werden, bei der die wesentlichen Bestandteile der eigenen Subjektivität ermittelt werden, die Identitätsmoleküle.
Identity Molecules Ein Tool, mit dem die mehrfachen Zugehörigkeiten des Ich ermittelt werden können, ist »You as a Culturally Diverse Entity« (Gardenswartz u. Rowe 1998, S. 50 f.). Ziel des Tools ist es, die verschiedenen normativen Teilidentitäten und
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Zugehörigkeitsgefühle zu erfassen und über deren Konflikte oder Integration zu sprechen (Abbildung 22).
Abbildung 22: Tool – Hybride Identität (eigene Darstellung nach einer Idee von Gardenswartz u. Rowe, 1998, S. 51)
Dieses individuelle Profil der kulturellen Teilidentitäten kann man die Coachingpartner anhand einer vorbereiteten Liste von Fragen selbst erstellen lassen oder im Gespräch Schritt für Schritt erfragen. Es ist nicht nötig, den Kulturbegriff vorzugeben, doch kann es sinnvoll sein, einige Beispiele zu geben, damit der Coachingpartner bei der Erstellung seines Profils von einem weit gefassten Kulturbegriff ausgeht und nicht nur in klassischen Landeskulturen denkt. Orientierende Fragen können sein: Was sind die wichtigsten Quellen Ihrer kulturellen Prägungen? Wo sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Geraten diese unterschiedlichen Prägungen zuweilen miteinander in Konflikt, und falls ja, unter welchen Bedingungen und in welchen Situationen? Wie sieht es diesbezüglich bei den Personen in Ihrem Umfeld aus? Mit welchen Gruppen identifizieren Sie sich am meisten? Welche Kulturen und/oder Kontexte meiden Sie? Wo fühlen Sie sich »passend«? Zu wem und/oder zu welcher Gruppe fühlen Sie sich zugehörig und was bedeutet das für Sie?
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Kritische Würdigung: Die Methode des interpersonalen Vergleichs, der Wissensvermittlung und Schilderung von hybriden Lebensformen und Identitätskonstrukten durch den Coach hilft den Coachingpartnern. Sie können erkennen, dass es verschiedene tragfähige und »richtige« Identitätsentwürfe gibt, dass sie nicht defizitär, sondern mit besonderen Ressourcen ausgestattet sind, und sie erhalten Anregungen für die eigene Identitätskonstruktion und Persönlichkeitsentwicklung. Identity Molecules ergänzen oder ersetzen diese Reflexion aus der Vergleichsperspektive. Das ebenso simple wie wirkungsvolle Tool schlüsselt die normativen und wertegebundenen Einflüsse auf die Identität(en) des Coachingpartners auf. Es wurde ursprünglich für den Einsatz in Diversity-Seminaren und in der Gruppenarbeit entwickelt – dort zeigt sich allerdings oft, dass es den Teilnehmern nicht leicht fällt, die aktuellen und entscheidenden wirksamen Orientierungen und Einflüsse spontan und allein, ohne Anleitung und Unterstützung, zu notieren. Im Coaching ist das Tool demgegenüber gut anwendbar, da die relevanten Perspektiven im Dialog zwischen Coach und Coachee erfragt und langsam erarbeitet werden können. Dies gelingt, indem der Coach auf die Kriterien und Werte achtet, die in den (berichteten) Handlungsweisen des Coachingpartners zum Ausdruck kommen bzw. umgesetzt werden. Eine Visualisierung auf einem Flipchart ermöglicht es, das Tool und seinen Zweck nicht aus dem Auge zu verlieren. Ziel ist nicht allein die analytische Trennung, sondern in einem zweiten Schritt vor allem die Verbindung, Vermischung und Versöhnung der Wertewelten. Identity Molecules dienen, wie die Veränderungskurven, der Unterstützung der Kernnarration über die eigene(n) Identität(en) und der Stärkung ihres Zusammenhalts.
Heimat herstellen – ein Leitfaden »Wo gehöre ich hin? Ich suche meinen Platz, ich weiß nicht genau, wo mein Zuhause ist.« Das ist ein häufiges Anliegen im Coaching. Auch Studien zeigen, dass Unsicherheit über die eigene(n) Zugehörigkeit(en) für viele Menschen ein Problem ist. Vielen hybriden Identitäten gemeinsam ist ein Gefühl von Heimatlosigkeit und Entwurzelung. Amelie Franke (2008a) befragte globale Nomaden und Jana Schnelle (2008) Third Culture Kids nach ihrer Vorstellung von »Heimat«. Die Antworten schwanken zwischen Vielfältigkeit und Ratlosigkeit. Die vorliegenden Theorien, Modelle und Untersuchungen beziehen sich in diesem Zusammenhang überwiegend auf einen nationalstaatlich essenzialistischen Kulturbegriff. Für einen kulturreflexiv arbeitenden Coach ist es jedoch wichtig, im Bewusstsein zu haben, dass die typischen Probleme wie Entwurzelungsgefühle, Heimatlosigkeit, Unsicherheit, Verlust des Gespürs für die eigenen Bedürfnisse und für die Erwartungen der Umwelt nicht auf interkulturelle Situationen beschränkt, sondern allgegenwärtige moderne Erfahrungen sind. Die heutzutage erforderliche Mobilität und Personalflexibilität macht ständige Wechsel notwendig, das heißt, es gehört zum Alltag, Zugehörigkeiten aufzuge-
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ben und neue Bindungen einzugehen, Vertrautes zu verlieren und sich Fremdes aneignen zu müssen. Daher taucht dieses Anliegen auch so oft im Coaching auf. In ihrem Phasenmodell für den Umgang mit der Notwendigkeit des Wechselns in der globalisierten Arbeitsgesellschaft entwickelt Edding (2005) einen Vorschlag für die methodische Begleitung dieser zunehmend erforderlichen »Beheimatungsprozesse«. Sie beruft sich dabei auf die inspirierenden Arbeiten von Mitzscherlich (1997, 2001, 2004), die Heimat als psychologisches Phänomen beschreibt. Mitzscherlich definiert Heimat als ein »Konzept, eine Art ideales Maß zur Bewertung von Umgebungen daraufhin, wie sie persönliche Bedürfnisse erfüllen« (Mitzscherlich, 2001, S. 104). Das Bedürfnis nach Stimmigkeit wird in der Regel gestillt, wenn man sich als sozial integriert erfährt (»sense of community«), die Spielregeln kennt sowie die entsprechenden Handlungsmuster gelernt hat (»sense of control«) und wenn diese Normen und Strukturen des Wahrnehmens, Denkens und Handelns für die Person in einem überindividuellen Sinnzusammenhang stehen (»sense of coherence«) (Mitzscherlich, 2004, S. 8). Auch Edding geht davon aus, dass Heimat nichts von vornherein Gesichertes, aber etwas Erreichbares ist, und sie definiert für die Herstellung von Heimat vier Phasen (Edding, 2005, S. 25 f.): 1. Im ersten Schritt geht es darum, das Geschehene zu verstehen und die damit verbundenen Gefühle bewusst zu machen und ihnen Raum zu geben. Gerade, wenn keine interkulturellen Aspekte involviert sind, sondern es »nur« um einen Job-, Arbeitgeber- oder Abteilungswechsel geht, erscheint den meisten die Verbindung mit dem Heimatkonzept zunächst verwunderlich. In dieser Phase werden die sinnlichen Erinnerungen, die gewohnte Umgebung, die Routinen und vor allem Beziehungen thematisiert, um herauszufinden, was der Person wichtig ist. 2. Wenn dies gelungen ist, stellt man sich im zweiten Schritt den dadurch hervorgerufenen Gefühlen und Bedürfnissen nach Zugehörigkeit. Sobald diese erkannt sind, kann der nächste Schritt erfolgen. 3. Der Verlust, ob freiwillig oder unfreiwillig, ruft Gefühle der Trauer, Wut, Kränkung und Ohnmacht hervor, und erst der Ausdruck und die Verarbeitung dieser Gefühle ermöglicht jene kommunikative Kompetenz und erschließt jene Ressourcen, mit deren Hilfe Strategien entwickelt werden können, um sich selbst eine Heimat zu schaffen. 4. Nach Reflexion des Verlustes und der Trauer kehrt die Handlungsenergie zurück. Nun ist gemeinsam mit dem Coachingpartner zu überlegen, auf welche Ziele sie ausgerichtet werden soll und nach welchen Kriterien diese zu wählen sind. Dabei gilt es zu definieren, was bislang Zugehörigkeit ausgemacht hat und inwieweit diese Faktoren und Bedingungen sich in der neuen Umgebung realisieren lassen. Außerdem können Beheimatungsstrategien, die der Coachingpartner in der Vergangenheit bereits erfolgreich umgesetzt hat, im neuen Umfeld angewendet werden. Schließlich können Optionen
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der eigenen Einflussnahme gesucht und Möglichkeiten entwickelt werden, sich dem Umfeld (neu) zu zeigen. Edding betont die Vielfältigkeit heutiger Optionen des Heimisch-Werdens einerseits und den ständigen Verlust von Bindungen andererseits, sodass die Aufgabe, die eigenen Bedürfnisse mit sozialen Positionierungen und anerkannten Zugehörigkeiten zu vermitteln, individuell bewältigt werden muss. Zu wissen, wer man ist, anerkannt werden, Einfluss nehmen können und sich verbunden und verantwortlich fühlen sind Herausforderungen, die auch bei Umstrukturierungen, in Change-Prozessen oder beim Umzug oder Stellenwechsel relevant werden. Zu den allgegenwärtigen dynamischen Herausforderungen moderner Gesellschaften kommen individuelle Umbrüche hinzu, für deren Bewältigung die Ambition und das Identitätsprojekt, sich eine neue Heimat zu schaffen, nicht zu hoch gegriffen sind. Die Coachingpartner sind von dieser Rahmung, so stellt auch Edding fest, oft überrascht, sind dann aber froh, dass dieses Unterstützungsmodell direkt an ihren Gefühlen und Bedürfnissen ansetzt, in denen sich ihr Problem manifestiert und die hier zugleich der Schlüssel zu dessen Verständnis und Bewältigung sind. Fallbeispiel: Anja Wenzler Anja Wenzler wollte sich aus einer gesicherten Position an der Hochschule in die Wirtschaft bewerben. Sie fragte nach einer Unterstützung bezüglich des Bewerbungsprozesses. Bevor wir uns den Unterlagen zuwendeten, machten wir (1. Schritt) eine Analyse, welche Werte und Herausforderungen sie bisher bei der Arbeit und generell motiviert und welche Tätigkeiten ihr Spaß gemacht haben. Sie fand durch reflektierende Fragen heraus, dass sie sich besonders wohlfühlt – und quasi »zu Hause« fühlt – in einem kleinen Team, welches möglichst interdisziplinär zusammengesetzt ist, aus Frauen und Männern besteht und in dem eine von ihr klar definierte »offene« Kommunikation praktiziert wird. Zu solch einem Team, welches sie sehr genau charakterisieren konnte, fühlte sie sich zugehörig (2. Schritt). Eine neue Stelle ohne solch ein Team war für sie unvorstellbar, weshalb sie bei Bewerbungen stets den letzten Schritt, das Abschicken, hinauszögerte und sich letztendlich dann doch nicht bewarb. Die Hürde der Veränderung, das Verlassen des Vertrauten, der Heimat, war offenbar das größte Hindernis. Wir erarbeiteten dann im dritten Schritt, wie sie unabhängiger von äußeren Faktoren ihre innere Sicherheit spüren konnte. Dieser Rückbezug auf die Heimat in sich selbst fiel ihr nicht leicht, da sie Schwierigkeiten hatte, spezifische Gefühle und innere Reaktionen wahrzunehmen und konkret zu verbalisieren. Als Ressource entdeckten wir, dass sie durch ihre Organisationsfähigkeit gern in Kontakt mit Menschen kam und aus dieser Lust die Motivation schöpfen konnte, um diejenigen Menschen um sich zu scharen, die ihr das Gefühl von Heimat gaben. Wir arbeiteten heraus, welche Strategien sie bisher in neuen Situationen und Umfeldern genutzt hatte,
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um sich zu Hause zu fühlen, und schlossen auf diese Weise mit dem vierten Schritt das Coaching ab. Die kulturvergleichende Betrachtung der Universitätskultur und der Wirtschaftskultur, mit der wir begonnen hatten, hatte uns in diesem Fall nicht weitergebracht, im Gegenteil: Sie polarisierte die Unterschiede, verstärkte die Unentschiedenheit noch mehr und lenkte uns auch vom eigentlichen Problem ab. Denn die unterschiedlichen kulturellen Charakteristika zwischen Wirtschaft und Wissenschaft waren gegen Ende des Coachings nicht mehr ausschlaggebend. Viel wichtiger war es, eine innere Vorstellung von einer beruflichen Heimat zu haben, sich die Umstände und inneren Voraussetzungen dafür bewusst zu machen und sich zukünftig in seinem Handeln daran zu orientieren. Kritische Würdigung: Die der Erfahrung abgeleiteten Phasen von Edding erinnern an die bereits beschriebenen Entwicklungskurven, wobei sie jedoch leider nicht auf diese Bezug nehmen. Das Besondere an Eddings Leitfaden ist die transkulturelle Verallgemeinerung des »Entwurzelungsgefühls« und die Entwicklung eines Leitfadens mit dem Ziel der »Beheimatung«. Diese Terminologie überrascht die Coachingpartner in der Regel und macht sie nachdenklich, und der Blick in die tiefere (Identitäts-)Dimension ihres Erlebens unterstützt ihre Entwicklung. Die meisten Coachees unterschätzen die emotionale Dimension ihrer Erfahrungen. Sie erwarten von sich rationales, effizientes und pragmatisches Vorgehen. Ins Coaching kommen sie, weil sie an einem bestimmten Punkt »festhängen« und nicht weiterkommen. Der Grund ist häufig eine emotionale Blockade, denn selbst wenn der Coachingpartner sich beispielsweise aus eigener Entscheidung beruflich verändert hat, gehen mit dieser selbst getroffenen Entscheidung häufig Emotionen wie Trauer, Wut und mehr verborgen einher, mit denen er sich aber noch nicht bewusst auseinandergesetzt hat. Die Bewältigung der Veränderung und des damit immer auch verbundenen Verlusts ist jedoch eine Aufgabe, mit der sich die Betroffenen aktiv auseinandersetzen müssen. Eddings Beheimatungskonzept und der daraus abgeleitete Leitfaden für die Bewältigung von persönlichen Veränderungen entlasten die Coachingpartner, indem sie wegführen von der individuellen (Selbst-)Zuschreibung, »es nicht hinzukriegen«; stattdessen werden ihre Erfahrungen als typisches, wohlbekanntes Entwicklungs- und Anpassungsproblem und ihre Gefühle als legitim und erwartbar charakterisiert. Mit der veränderten Terminologie löst sich meist auch der emotionale »Knoten«. Der Umbruch kann sinnhaft in das eigene Selbstbild integriert werden und es werden Kapazitäten für die Bewältigung der äußeren Herausforderungen frei.
Fazit Transkulturelle Methoden zu verwenden bedeutet, alles unter kulturellem Aspekt zu betrachten. Zum Fremdverstehen tritt das Verstehen des kulturellen Selbst. In diese letzte Kategorie von Methoden gruppierten wir daher diejenigen Tools, die kulturelle und individuelle Vorannahmen hinsichtlich der Identitätsentwicklungen sichtbar machen und die helfen, Kohäsion in der Kernnarration herzustel-
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len. Zugleich unterstützen die Instrumente die Reflexion jeglicher Vorannahmen über Selbstkonzepte und das eigene Handeln im jeweiligen Kontext. Wir leben nicht nur in einer Lebenswelt, sondern stets in mehreren gleichzeitig. Wenn man als Coach die unterschiedlichen Identitätskonstruktionen und Verarbeitungsformen von Fremdheits- und Veränderungserlebnissen in ihren vielfältigen Formen (Entsendung, Migration, Arbeitsplatzwechsel etc.) (er)kennt und darüber hinaus mit generischen Beschreibungs- und Erklärungsansätzen und Modellen einschließlich ihrer jeweiligen theoretischen Basis vertraut ist, kann man an den eigenen (transkulturellen) Erfahrungen anknüpfen und sie anhand dieser idealtypischen Folie zu denen der Coachingpartner in Relation setzen. »Die eigene Persönlichkeit ist eine grundlegende Ressource für eine transkulturelle Beziehungs-, Kommunikations- und Kollaborationskompetenz« (Treichel, 2011b, S. 281). Doch das Thema Identität ist nur eines der möglichen Themen, das wir transkulturell aufgegriffen und systematisch methodisch durchgearbeitet haben. Wir hätten auch das Thema Körper, Kommunikation/Diskurs oder Beziehung beispielhaft betrachten können. Entscheidend ist die metareflexive, dekonstruierende Qualität transkulturellen Vorgehens. Transkulturelles richtet den Blick bewusst hinter alle gewohnten alltäglichen Deutungsmuster von Strukturen, Prozessen und Geschichten, es hat »eine Art fraktale Tiefe« (Treichel, 2011b, S. 278). Das Jonglieren mit Wirklichkeitsmodellen und dynamischen Sinnsystemen verlangt nach Metakompetenzen, die alles Gewohnte und »Selbst-Verständliche« in Frage stellen können. Der Coach braucht Selbstreflexivität, Hintergrundwissen und Erfahrung sowie narrative Empathie, wie Domenig (2007a, S. 175 ff.) die drei zentralen transkulturellen Kompetenzen nennt. Die hier ausgewählten und vorgestellten Methoden und Wissensbestände zur Unterstützung im transkulturellen Coaching fördern hauptsächlich die individuelle Entwicklung, die Reflexion und bewusste Konstruktion der Identität und des Lebenslaufs. Zugleich verweisen sie auf die gerade für das transkulturelle Coaching bedeutsame Grundhaltung der kontinuierlichen Prämissenreflexion. Im Rückblick auf die vorgestellten Beispiele für kulturreflexive Tools im Coaching kann nun die in → Kapitel 2.7 begonnene Übersichtstabelle über die Varianten des kulturreflexiven Coachings methodisch ergänzt werden (Tabelle 6). Jede Herangehensweise hat ihre eigenen Stärken. Kompetenzen, die üblicherweise mit dem Interkulturellen Coaching assoziiert werden und die darin auch häufig zum Einsatz kommen, sind die didaktischen Kompetenzen und das Deutungswissen des auf interkulturelle Themen spezialisierten Coachs. Er vermittelt den Coachingpartnern, soweit bekannt, Wissensbestände zu relevanten Fragestellungen oder Kulturen. Im Unterschied dazu setzt das Coaching im multikulturellen Kontext auf die Reflexion und Konstruktion von Wechselwirkungen in den Bezügen und Beziehungen (Was geschähe mit der Beziehung und mit dem System, wenn ich oder mein Gegenüber Folgendes täte?). Es hat seine Stärke in der Vervielfältigung von Möglichkeiten und Lösungen. Die transkulturelle Vor-
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gehensweise dekonstruiert und reflektiert zunächst einmal so viele kulturelle Voraussetzungen und Asymmetrien wie möglich, um dann Unterstützung bei der Generierung von neuen Lösungen oder Identitätskonstruktionen zu geben. Der jeweilige Pool von Methoden hat daher unterschiedliche Stoßrichtungen. Im Coaching als interkulturellem Lernen stehen Referat und inhaltliche Darstellungen im Zentrum, also Methoden, welche Inhalte, Forschungsergebnisse und Erfahrungen vermitteln. Ein methodisches Beispiel dazu sind die KulturstanTabelle 6: Übersicht über kulturreflexives Vorgehen im Coaching II (eigene Darstellung)
Coachingansatz/ Coaching als Vorgehensweisen Interkulturelles Lernen
Coaching im multikulturellen Kontext
Transkulturelles Coaching
Kompetenzen + Stärken der Herangehensweise
Deutungswissen und Didaktik, Vermittlung hilfreicher Wissensbestände, Ratschläge, Tipps
Reflexion und Konstruktion von Wechselwirkungen, Vervielfältigung von Möglichkeiten
Dekonstruktion und Generieren von (neuen) Lösungen, Identitätsformen und Strategien
Methoden
Referat und alle Methoden, Darstellungen und Forschungsergebnisse, die Inhalte und Wissen vermitteln
Reflexionsmethoden, Modelle, Strukturen zur Ermittlung von Werten, Beziehungen und Präferenzen, komplexe Kompetenzentwicklung
Prämissenreflexion (In-Frage-Stellen und Prüfung aller Vorannahmen), Tools zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung hybrider Identitäten
Methodenbeispiel
Kulturstandards
Ebenenmodell der Identity Molecules Unterschiede
Konstruktion des anderen und Aufgabe
»Fremder«: verstehen und sich anpassen
»Anderer«: reflektieren und mehrere Umgangsweisen finden
»(Un-)Verbundener«: gemeinsam Unterschiede und Gemeinsamkeiten herstellen
Interaktionsqualität des Coachs
Einbeziehung von Inhalten: Coach als Pädagoge und Wissender
Einbeziehung des Beobachters: Coach als »Wahrnehmender«
Einbeziehung aller Handelnden: Coach als »MitGestalter«
Gefahren
Zuschreibungen
differenzorientierter Regress in binäre Codes
Trial & Error, Beliebigkeit, zu viel Goodwill
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dards als Übungen zur Deutung und Erklärung als fremdartig erlebter Verhaltensweisen. Das systemische Coaching im multikulturellen Kontext verwendet Tools zur Perspektivenreflexion und -erweiterung, versucht mit modellgeleiteten Strukturen, Beziehungen, Präferenzen und Werte zu ermitteln und unterstützt eine komplexe eigenständige Kompetenzentwicklung. Methodische Beispiele hierfür sind lösungsorientierte Fragen in Verbindung mit Ebenenmodellen oder Rubrizierungen verschiedener Art. Der transkulturelle Ansatz richtet sich auf die selbst gesteuerte Entwicklung hybrider Individuen; er erfordert einerseits eine Prämissenreflexion im Sinne eines grundsätzlichen prüfenden In-Frage-Stellens aller Vorannahmen und bietet andererseits Tools zur Beheimatung. Die ausgeführte Vorgehensweise ist nur eine Variante des transkulturellen Vorgehens. Eine andere wäre zum Beispiel die Ermittlung von Machtasymmetrien in interkulturellen Beziehungen. Wenn deutsche Servicetechniker nach Asien für den Wissenstransfer von Produktionsmaschinen reisen, so spielen neben interkulturellen Hürden auch Machtkonstellationen eine Rolle, was dekonstruiert werden kann. Die hier vorgestellten methodischen Beispiele zu dieser Herangehensweise beziehen sich auf prozesshafte Kurvenverläufe des eigenen Erlebens oder die Konstruktion und Zusammensetzung von Identitäten. Spannend ist, dass mit den Coachingperspektiven auch die Konstruktion des kommunikativen Gegenübers bzw. generell des anderen sowie die Aufgabe im Coaching variiert. Für die interkulturelle Kommunikation ist der andere ein »Fremder«, man muss verstehen und sich anpassen. Bei der multikulturellen Herangehensweise gibt es einfach nur »andere«, deren Perspektiven man – wie die eigene – reflektieren muss, um alternative Umgangsweisen zu finden. Je nach Blick auf die Differenz (unvertraut oder noch vertraut) wird der andere (und auch das eigene Selbst) im transkulturellen Coaching als Unverbundenes oder Verbundenes konstruiert und die ständige Aufgabe ist, Gemeinsamkeiten und Kohäsion herzustellen. Die Herangehensweisen verschiedener Varianten des kulturreflexiven Coachings führen jeweils zu einer unterschiedlichen Interaktionsqualität des Coachs. Beim Coaching als interkulturellem Lernen ist seine wesentliche Rolle die des Pädagogen, er erscheint als »Wissender«, der dem Coachee im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel (z. B. die Vorbereitung auf eine Entsendung) ausgewählte und didaktisch aufbereitete Inhalte vermittelt. Im systemischen Coaching im multikulturellen Kontext ist der Coach dagegen vornehmlich ein »Wahrnehmender«, indem er beständig die Perspektive des kulturreflexiven, interkulturell erfahrenen und theoretisch informierten Beobachters mitlaufen lässt. Im transkulturellen Coaching wirkt er als »Mit-Gestalter«, da nicht nur die Beobachtung, sondern bereits die vorausgegangene und gegebenenfalls institutionalisierten Handlungen thematisiert, mit betrachtet und verändert werden. Das Coaching ist transformatives Lernen für beide Coachingpartner. Schließlich hat jede der idealtypisch beschriebenen Herangehensweisen auch ihre Grenzen bzw. Gefahren. Das Interkulturelle Coaching arbeitet not-
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wendig mit Zuschreibungen, die systemische Herangehensweise kann – schon aufgrund ihrer an binären Codes und Unterschieden ausgerichteten Reflexion – in einen differenzorientierten Regress geraten. Bei transkulturellen Ansätzen kann die explorative Vorgehensweise im Extremfall dazuführen, dass im Coaching überwiegend im Modus von Versuch und Irrtum nach Erklärungen und Lösungen gesucht wird, und es besteht die Gefahr, dass sich eine gewisse Beliebigkeit einstellt. Leseempfehlungen Klare J., van Swaaij L., Maso, I., Sombeek S. (2000). Atlas der Erlebniswelten. Frankfurt a. M.: Eichborn. Ein kartografisch präzises Landschaftsbild, begleitet von einer philosophischen Einleitung, beschreibt Gefühlszustände wie Langeweile, setzt Bilder und Metaphern um (»Berge von Arbeit«) und gibt Begriffen wie Wachstum und natürlich auch Wandel eine (»geografische«) Form. Dabei werden die Namen von Orten, Flüssen, Bergen und Tälern ersetzt durch vertraute Begriffe aus dem menschlichen Denken, Handeln und Erleben. Diese Herangehensweise der Übertragung und Modellierung bietet gerade im Coaching, schier unerschöpfliche Möglichkeiten für Assoziationen, Begriffs- und Bedeutungsklärungen. Das gemeinsame Erarbeiten der »Landkarte« des Coachingpartners macht es möglich, die Dinge aus einer neuen Perspektive zu betrachten, und kann dabei helfen, die eigenen Gefühle, Erfahrungen und Einschätzungen zu ordnen und einzuordnen und einen Überblick über die aktuelle Lebenssituation und die zu bearbeitenden Problematiken zu gewinnen. Schlehuber, E., Molzahn, R. (2007). Die Heiligen Kühe und die Wölfe des Wandels. Warum wir ohne kulturelle Kompetenz nicht mit Veränderungen klar kommen. Offenbach: Gabal. Das inspirierende Buch betrachtet die sogenannten »weichen« Faktoren wie Kultur als die eigentlich harten. Die Autoren zeigen an Beispielen und über verschiedene Argumentationswege, wo wir notwendig kulturell »blind« sind und warum transformatives Lernen, eine »Methodologie der kulturellen Transformation« (S. 195) und eine »Metakultur« benötigt werden. Den Autoren gelingt es, die Spannbreite zwischen den im Führungsalltag erforderlichen Kompetenzen und der wertebezogenen Diskussion hinsichtlich einer erneuerten Menschheitsverfassung auszuloten.
3.2.4 Methoden – culturally revised Kulturreflexives Coaching besteht nicht allein aus Spezialmethoden, auch bereits vorhandene Methoden sind auf ihre kulturellen Implikationen zu prüfen. Coaching in der transkulturellen Gesellschaft bedarf einer großen Methodenvielfalt, diese bildet sich auch in den zahlreichen Coachingbüchern ab. Bestimmte Vorgehensweisen, wie systemische Fragetechniken oder Visualisierungstechniken, sind in fast jeder Monografie einschließlich jener mit interkulturellem Bezug zu finden. Je nach Theorie werden bestimmte Methoden im interkulturellen Feld favorisiert oder auch neue kreiert. Aus den vorangegangenen Über-
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legungen in → Kapitel 3.2 ist deutlich geworden, dass es für das Interkulturelle Coaching methodische Erweiterungen gibt und auch vorhandene Methoden für eine transkulturelle Herangehensweise übertragbar sind. Wir wollen in diesem Abschnitt der Frage nachgehen, was bei der Übertragung und Anpassung existierender Methoden für den transkulturellen Kontext und ihren Einsatz im kulturreflexiven Coaching grundsätzlich zu beachten ist. Konkret ergeben sich daraus folgende Fragen: – Wie ist mit dem inzwischen gewachsenen methodischen Fundus im kulturreflexiven Coaching umzugehen? Benötigt man vor allem Spezialmethoden oder ist prinzipiell – und abhängig vom jeweiligen Kontext – jede Coachingmethode gewinnbringend einsetzbar? – Muss man neue Methoden kreieren oder genügt es, vorhandene Methoden abzuwandeln und anzupassen? – Wenn man sie abwandeln muss, nach welchen Kriterien sollte dies geschehen? – Was ist darüber hinaus aus transkultureller Perspektive bedenkenswert? Exemplarisch wollen wir im Folgenden Hinweise und Erfahrungen zusammentragen und damit anregen, jede Methode und die eigene Vorgehensweise kulturell zu reflektieren.
Methoden: Hinweise und Erfahrungen Manche Methoden werden in der Literatur und von Kollegen als besonders geeignet für das kulturreflexive Arbeiten hervorgehoben. Dazu gehören auch Methodensammlungen, die auf der Grundlage spezifischer Ansätze entwickelt wurden, wie der methodische Fundus aus dem Neurolinguistischen Programmieren (Krämer u. Quappe, 2006) und vor allem Methoden aus der systemischen Beratung und Therapie (vgl. z. B. Hegemann u. Oesterreich, 2009, S. 70 ff. und Radice von Wogau, Eimmermacher u. Lanfranchi, 2004). Immer wieder genannt werden Orientierungs-, Analyse- und Visualisierungsmethoden wie das Genogramm sowie die Arbeit mit Bildern, Fotos und Symbolen. Auch die lösungsorientierte Haltung und vor allem die damit verbundenen Gesprächssowie Fragetechniken werden offensichtlich erfolgreich ins interkulturelle Feld übertragen. In den wenigen Monografien, die themenspezifisch zur interkulturellen Beratung oder zum Interkulturellen Coaching vorliegen, werden selektiv einzelne methodische Aspekte behandelt. Cockwell (2010, S. 120 ff.) beispielsweise hält in Anlehnung an Köhninger (2005) die Arbeit mit Theatermetaphern im Interkulturellen Coaching für besonders nützlich, da Theater eine in vielen Kulturen verbreitete Ausdrucksform ist. Man arbeitet mit den Kernbestandteilen Thema, Storyline, Bühne, Rollen (vom Intendant bis zu den Schauspielern), Inszenierungsstil (ein oder drei Akte), Spielablauf usw. Sind mehrere Kultu-
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ren beteiligt (hier in Landeskulturen gedacht), können verschiedene »Stücke« beschrieben werden und man reflektiert über Ankopplungsmöglichkeiten. Theater ist ganzheitlich und spricht die kognitive, reflektierende und affektive Ebene an. Zusätzlich können unüberschaubare und dynamische Situationen als gestaltbar erlebt werden. Laut Cockwell erfordert dies allerdings eine hohe methodische Kompetenz des Coachs, und er sieht Gefahren in der Aussprache von intimen Gedanken und Emotionen insbesondere im Gruppencoaching. Schriftliche Erfahrungsberichte mit dieser Methode liegen indes nicht vor. Das Arbeiten mit der Theatermetapher bedarf in jedem Fall einer hohen sprachlichen Virtuosität. Im Gegensatz dazu kommt die Arbeit mit Objekten und Symbolen ohne Sprache aus und diese werden daher gern eingesetzt, insbesondere in Verbindung mit systemisch orientierten Methoden. Die offene Haltung der Lösungsorientierung ist besonders beliebt, weil sie konsequent auf das Positive, die Zukunft und die Ressourcen beim Gesprächspartner baut und eine ermutigende Atmosphäre schafft. Sie betreibt keine Ursachenanalyse, sondern sucht nach Lösungen in der Zukunft, achtet auf Beziehungen zwischen Interaktionen und Kontexten und arbeitet mit der Haltung der anteilnehmenden Neugier. So ist zum Beispiel das Arbeiten mit Fotos, Abbildungen und Landkarten, gerade in der interkulturell ausgerichteten systemischen Arbeit mit Migranten, eine Form, innere Bilder der Klienten wiederzubeleben und gegebenenfalls traumatische Erfahrungen mit Begleitung aufzuarbeiten. Die Arbeit mit systemischen Fragen, wie beispielsweise den zirkulären Fragen, soll das eigenständige Umdeuten der Klienten und somit auch die Entwicklung neuer Realitätsbezüge und Lösungen fördern. »Sie führen hypothetisch neue Wahlmöglichkeiten ein und entwerfen ein neues Zukunftsbild« (Hegemann u. Oesterreich, 2009, S. 72). Diese Vorgehensweise setzt beim Begleiter eine bewusste, neutrale und enthaltsame Haltung voraus und erzeugt damit auch eine ermutigende Atmosphäre – so die Annahme. Doch das systemisch lösungsorientierte Vorgehen ist nicht für alle Gesprächspartner geeignet. In → Kapitel 2.3 haben wir anhand unserer Umfrageergebnisse zum Thema Kulturen im Coaching beschrieben, wie unterschiedlich die Erwartungen an einen Coach weltweit sind, und offensichtlich gibt es Coachingpartner, welche nur dann auf einen Coach reagieren, wenn dieser konkret und persönlich Stellung bezieht. Diese Erfahrung lässt sich am Fallbeispiel Ingrid Köhler aufzeigen, die im Zusammenhang mit einer Mobbingerfahrung Unterstützung durch ein Coaching suchte. Fallbeispiel: Ingrid Köhler Das Coaching hatte für Frau Köhler zunächst das Ziel, sie in einer schweren Zeit zu begleiten. Damals verklagte sie nach einer Mobbingerfahrung ihren Arbeitgeber auf Rückerlangung ihrer Stelle, was ihr am Ende auch gelang. Anfangs hatte ich in jeder der Sitzungen das Gefühl, wir seien nicht wirklich weitergekommen. Auf
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die offenen, zirkulären oder hypothetischen Fragen antwortete sie zwar, aber ich hatte nicht den Eindruck, neue Denk- und Fühlprozesse anzuregen oder sie zu unterstützen, im Gegenteil. Alles blieb in der Schwebe und mir schien, dass ihre Antworten davon geprägt waren, herauszufinden, was ich von ihr hören wollte. Auch ein Gespräch über Grundhaltung und Vorgehensweise im Coaching brachte nach meiner Wahrnehmung keine Veränderung. Wenn ich sie danach fragte, war allerdings die Antwort, dass sie sich vertrauensvoll begleitet und gut aufgehoben fühle. Tatsächlich aber konnte ich weder einen thematischen noch einen persönlichen Fortschritt wahrnehmen, konnte keine Entwicklungsschritte erkennen oder benennen. Ich formulierte mein Unbehagen und überprüfte die Zielerreichung. Da Frau Köhler keinen Vergleich hatte, wie man noch anders vorgehen könnte, schlug ich ihr vor, dass ich meine Grundhaltung und die Strategien ändern könnte. Wir vereinbarten also eine andere Vorgehensweise. Von dem Moment an bezog ich Position, formulierte – wenn gewünscht – meine Meinungen zu ihrem Verhalten, dem Kontext und seinen Beteiligten und gab nach Aufforderung Ratschläge oder stellte Gegenargumente zur Verfügung. Das war die Wende. Die Coachingpartnerin und unser Prozess bewegten sich. Sie wählte einige Ratschläge aus, verwarf andere. Sie bezog ebenfalls Position, ohne dass wir Kontroversen gehabt hätten, und entwickelte die eigenen Lösungen, auf die wir so lange vergeblich hingearbeitet hatten. Sie schärfte ihre Gedanken und Argumente an mir als vereinbartem Sparringspartner, wir kamen voran und sie wurde noch zufriedener mit dem Coaching. Meine Vermutung war zunächst, es würde am Thema und der Situation liegen, dass sie auf die systemischen Interventionen nicht wirklich reagierte. In einem Mobbingfall, während eines Rechtsstreits, ist man Partei und benötigt Verbündete – auch emotional. Das erschien mir naheliegend. Doch einige Jahre später, die Wogen von einst hatten sich längst geglättet, wandte sich die Coachingpartnerin erneut an mich, um ihr Aufgabenmanagement zu verbessern und ihr Führungsrepertoire zu erweitern. Wieder begann ich mit systemischen Fragen, wieder vergeblich. Die Hebammentechnik initiierte bei ihr einfach keinen Fortschritt. Ich änderte wieder meine Strategie und bot ihr die Präsenz, an der sie sich konstruktiv abarbeiten konnte, mit Erfolg. Vielleicht war sie als Ärztin einen diskursiven Stil gewohnt, vielleicht benötigte sie eine präsente Beziehungsperson, an der sie sich abarbeiten konnte. In jedem Fall war sie stets Frau der Lage und blieb immer auf Augenhöhe, ein Gefälle entstand daher nicht. Auch ein indischer Coachingpartner fand das lösungsorientierte Vorgehen befremdlich. »I would like your advice«, war einer der von ihm am häufigsten gebrauchten Sätze im Coaching, direkt gefolgt von »What shall I do?«. In Weiterbildungen hatte ich gelernt, bei solchen hartnäckigen Nachfragen zum Beispiel drei Optionen zu nennen, sodass der Coachingpartner zumindest wählen muss – dies trägt zu einer Coachingbeziehung auf Augenhöhe bei. Auf meine Auswahl an Optionen reagierte die indische Fachkraft jedoch stets verwirrt und ratlos und ich
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hatte den Eindruck, dass er sich im Stich gelassen fühlte. Auch in diesem Fall verließ ich das systemische Spektrum. Der Coachingpartner befolgte durchaus nicht alle Ratschläge, aber es war offensichtlich, dass der Rat ihm half, sich selbst auszurichten und eine eigene Lösung zu finden.
Ob die Reaktionen und Erwartungen der beiden beispielhaft erwähnten Coachingpartner vorwiegend auf individuellen Dispositionen beruhten oder aber landes- oder berufskulturell zu deuten sind, sei dahingestellt. Entscheidend ist, dass vom Coach im Hinblick auf den Stil seiner Vorgehensweise und Interventionen auszuloten ist, was den Coachingpartnern hilft. Wachsen sie leichter in einer Atmosphäre, die durch Enthaltsamkeit und Allparteilichkeit des Coachs geprägt ist, oder mit Hilfe persönlicher Einschätzungen, Standpunkte und einem spürbaren, präsenten Gegenüber? Im trans- und Interkulturellen Coaching stellt sich diese Frage vielleicht noch direkter als sonst. Wer mit einem transkulturellen Ansatz und im interkulturellen Bereich coacht, muss unseres Erachtens noch mehr als sonst die Tools, die er einsetzt, auf implizite kulturelle Vorannahmen und hinsichtlich der Erwartungsgewohnheiten des Coachingpartners überprüfen. Welche Methode für wen und wann? Diese Frage wird auch in jeder Therapie- und Coachingausbildung gestellt und meist mit dem Hinweis beantwortet: »Es kommt drauf an, die Hauptsache ist eine begründbare und kontextsensitive Auswahl und Anwendung der Methoden.« Aber auf was kommt es dabei an und was ist eine bewusste Anwendung? Wir gehen davon aus, dass jede Methode einen eigenen Bias hat, daher gibt es keine kontextunabhängigen Patentrezepte, sondern lediglich einige Leitfragen, die dem Coach dabei helfen können, für den aktuell vorliegenden Fall eine geeignete Methode auszuwählen. Anhand dreier Beispiele möchten wir den jeweiligen Methodeneinsatz rekonstruieren und unsere Erfahrungen selbstkritisch beleuchten. Fallbeispiel: Robert Wong Eine chinesische Führungskraft aus Hong Kong, vom Hintergrund her Finanzmanager, erhielt unterstützendes Coaching, als er im Unternehmen auf eine globale und neu geschaffene Rolle vorbereitet wurde. Die Stellenbeschreibung lag noch nicht vor und wurde dem Coachingpartner von der Geschäftsleitung quasi auf den Leib geschneidert. Da kaum Vorerfahrungen mit dieser neuen Aufgabe vorlagen, waren in Verbindung mit der neu entstandenen Position eine ganze Reihe von politischen, strategischen und operativen Herausforderungen zu bewältigen. Eines der Ziele im Coaching war, die Spannungsfelder auszuloten und insbesondere die Rollenanforderungen zu reflektieren. Als wir zu diesem Thema vordrangen, entschied ich mich für eine Methode, die ich schon mehrfach mit Führungskräften erfolgreich eingesetzt hatte. Ich schätze sie sehr, da sie es erlaubt, viele Aspekte einer komplexen Situation systematisch und trennscharf zu bearbeiten.
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Sie besteht aus einer schlichten Tabelle (Tabelle 7) mit den Rubriken »Themen«, »objektive Schwierigkeit«, »subjektive Schwierigkeit« und »Lösungsvorschläge«. Ziel des Tools ist, die Herausforderungen zu antizipieren und entsprechende Aktivitäten anzudenken, mittels derer man sich für ihre Bewältigung wappnen kann, um gut vorbereitet in diese Situationen zu gehen. Tabelle 7: Tool – Anerkennungs-Reflexions-Schleife3
Themen
objektive Schwie- subjektive rigkeit Schwierigkeit
Lösungen
Beispiel: Matrixorganisation
Abstimmung mit Länderkollegen, unterschiedliche Interessen
Mentoren und erfahrene Kollegen fragen; »Flurfunk« hören; politische Kommunikation »üben«
Orientierung an Fakten, bislang wenig Aufmerksamkeit für politische Zusammenhänge
Ich hielt die Methode für geeignet, da ich annahm, dass das für sie charakteristische strukturierte Vorgehen und die Darstellung in Tabellenform einem Coachingpartner liegen könnten, der bei seiner Tätigkeit im Finanzwesen den Umgang mit Tabellen sowie detailorientiertes analytisches Arbeiten gewohnt ist. Ich formulierte die Aufgabe und gab ein Beispiel aus der aktuellen Situation, die wir im Coaching erörtert hatten (in der Tabelle 7 ausgeführt). Wir hatten besprochen, dass die Matrixorganisation des Unternehmens für den Arbeitsbereich meines Coachingpartners eine spezifische Herausforderung mit sich brachte, indem seine Kernaufgabe, die Abstimmung mit den Länderkollegen und deren lokaler Verantwortung, für seine Rolle zugleich die Übernahme globaler Verantwortung für manche Unternehmensbereiche bedeutete; weiter hatten wir festgestellt, dass dieses Wechselspiel von globaler und lokaler Verantwortung eine grundsätzliche und gewollte Herausforderung aller Matrixorganisationen darstellt. Mit »objektiver Schwierigkeit« ist gemeint, dass jede Person an seiner Stelle in seiner Position auf bestimmte Aspekte achten müsste und vor denselben Herausforderungen stünde. »Subjektive Schwierigkeiten« zu haben bedeutet, dass man in der Auseinandersetzung mit der objektiven Situation und Herausforderung möglicherweise an individuelle Grenzen (z. B. die Scheu vor Konflikten) stoßen kann. Die darin zum Ausdruck kommende Kompetenzgrenze ist eine ganz persönliche und im Individuum begründete Einschränkung. Bei meinem Coachingpartner, so hatten wir herausgefunden, lag bislang der Fokus zu stark auf den Fakten, objektiven Argu3
Wir danken unserer Kollegin Jasmin Messerschmidt, welche die Methode entwickelt und an uns weitergegeben hat. Der Name des Tools bringt zum Ausdruck, dass es die objektiven Schwierigkeiten anerkennt und die subjektiven Bemühungen, diese zu bewältigen, würdigt und beides sowie die Lücke dazwischen reflektiert.
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menten und weniger auf Interessenskonflikten und politischen Machtkämpfen, denen er sich aber in der neuen Position stellte musste. Es fiel ihm immer wieder schwer, politische Interessen zu antizipieren. Als Lösungen erarbeiteten wir Vorgehensweisen, die es ihm ermöglichen sollten, ein Gefühl für das Kraftfeld, die Machtkämpfe und die Interessen hinter den Kulissen zu erhalten: Er würde diesbezüglich erfahrenere Kollegen seines Vertrauens fragen und von nun an – auch wenn er dies grundsätzlich langweilig fand – auch öfter mal den »Flurfunk« und die Pausengespräche mitverfolgen. Nachdem das Tool erläutert war, regte ich eine Vorarbeit für die kommende Sitzung an. Als »Hausaufgabe« vereinbarten wir, dass der Coachingpartner die kritischen Punkte (Themen/Herausforderungen), die wir schon gesammelt hatten, in die Tabelle einträgt und dann die nach seiner Einschätzung damit verbundenen objektiven Schwierigkeiten benennt (die jeder an seiner Stelle hätte). Darüber hinaus sollte er auch hinsichtlich der Frage nach den subjektiven Schwierigkeiten erste Ideen entwickeln, was erfahrungsgemäß den Coachingpartnern ohne Außenblick nicht leicht fällt, denn die subjektiven Schwierigkeiten befinden sich häufig im Bereich des eigenen blinden Flecks. Die Lösungen werden schließlich am besten gemeinsam im Coaching erarbeitet. In der nächsten Sitzung legte der Coachingpartner eine lange Tabelle vor, die er akribisch ausgefüllt hatte und in der er sogar schon die Lösungen angedacht hatte. Ich war gespannt. Als wir die Themen durchgingen, fiel mir auf, dass subjektive und objektive Schwierigkeiten nicht unterschieden waren, zumindest konnte ich die von ihm vorgenommenen analytischen Trennungen nicht nachvollziehen. Bei den subjektiven Schwierigkeiten standen Aspekte, die anderen Beteiligten schwer fallen (könnten). Teilweise zählte der Coachingpartner sich mit zur Gruppe derer, die diese Schwierigkeiten haben könnten, zum Teil auch nicht. Es gelang uns nicht zu ermitteln, was seine persönliche Begrenzung in dieser Situation ist oder sein könnte. Im Coaching konnten wir sehr wohl Schwächen und subjektive Befangenheiten ermitteln und arbeiteten auch an emotionalen Themen. Doch die Situationen betrachtete der Coachingpartner konsequent aus der Wir-Perspektive und überlegte, was »man« machen müsse. Die Trennung zwischen objektiven und subjektiven Herausforderungen hatte für ihn keinen Sinn. Ich hatte den Eindruck, dass das Tool, so wie ich es zur Unterstützung einzusetzen gewohnt war, in diesem Fall nicht angemessen war. Die Lösungen, die der Coachingpartner auf der Basis seiner eigenen Einteilung entwickelt hatte, haben ihm trotzdem geholfen, auch wenn ich sie nicht alle verstanden habe.
Man kann nun auf der Basis vorhandener kultureller Wissensbestände spekulieren, dass diese analytische Methodik am Identitätskonstrukt des Coachingpartners vorbei ging und der Coach dies nicht antizipiert hatte (siehe dazu → Kapitel 3.2.3 zu den Entwicklungsmodellen im transkulturellen Coaching). Gewisse analytische Trennungen wie die zwischen »subjektiv« und »objektiv« sind für
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manche Sozialcharaktere nicht vollziehbar. So sagte ein arabischer Muttersprachler aus Ägypten einmal, er könne nicht sagen, welches Gefühl er »habe«, er »sei« das Gefühl, und die im Ausdruck »Gefühle haben« implizierte Trennung zwischen der eigenen fühlenden Person und ihrem Gefühl falle ihm auch nach vielen Jahren in Deutschland noch unendlich schwer, weswegen meine selbstdistanzierenden Fragen für ihn eine besondere Herausforderung seien. Der Psychologe Richard Nisbett (2004) hat in seinem Buch »The geography of thought« auf der Basis von Experimenten beschrieben, wie Kultur bereits in die Grundstrukturen des Wahrnehmens, Fühlens und Denkens eingeht und die Denkprozesse formt, so dass es beinahe unmöglich ist, sich diesbezüglich von der eigenen kulturellen Prägung zu emanzipieren. Die eben beschriebene Erfahrung mit einer meiner Lieblingsmethoden im Coaching hat mir dies eindrucksvoll vor Augen geführt. Fallbeispiel: Alice Bethmann Eine Kollegin mit therapeutischer Ausbildung und langjähriger Erfahrung in der Therapie kam mit dem Ziel ins Coaching, ihr eigenes Unternehmen besser am Markt positionieren zu können als bisher. Sie erwartete sich eine Mischung aus Beratung und Coaching, einschließlich fachlichem und persönlichem Feedback. Ich wählte, wie oft bei dieser Art Anliegen, eine Kombination aus strukturiertem Prozess und inhaltlicher Wissensvermittlung. Zugleich ermöglichte ich die persönliche Arbeit an Hindernissen, Widerständen, Glaubenssätzen und Ähnlichem, um ausgehend von den konkreten Problemstellungen der Klientin die als notwendig erachteten Kompetenzen auszubilden. Nachdem wir an den eigenen Stärken und Schwächen, dem Profil und der Definition der Zielgruppe gearbeitet hatten, kamen wir zum Thema Produktentwicklung. Die Arbeit an der genauen Beschreibung von Produkten und in diesem Fall Dienstleistungen fällt vielen Coachingpartnern schwer, da sie wenig greifbar scheinen. Erfahrungsgemäß ist Metaphernarbeit hier sehr unterstützend. Indem man ein reales Produkt beschreibt, welches man anfassen, kaufen, nutzen und gebrauchen kann, und dann den Transfer zur eigenen (unsichtbaren) Dienstleistung herstellt, gelingt die Beschreibung des Produkts am besten (Tabelle 8, 9). Ich nehme immer unterschiedliche Produkte, je nach Coachingpartner, hier entschied ich mich für einen Wasserkocher, da die Coachingpartnerin gern Tee trank und ich annahm, dass sie mit diesem Produkt vertraut sein würde und es positiv besetzt sei. Tabelle 8: Metaphernarbeit für die Produktentwicklung
1. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Wasserkocher der Marke xyz. 2. Aus welchem Material besteht er? 3. Welche Form, Größe, welches Design zeichnet ihn aus?
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4. Was macht man damit? Welche Funktion erfüllt er? 5. Was nützt mir diese Funktion? 6. Wie viel kostet dieser Wasserkocher? 7. Und wo bekomme ich ihn her?
Die Metaphernarbeit mit dem Wasserkocher fiel der Coachingpartnerin offensichtlich leicht, es »sprudelte« nur so aus ihr heraus. Beim Transfer wurde sie dann erheblich langsamer. Nun ging es um die folgenden Fragen: Tabelle 9: Metaphernarbeit für die Produktentwicklung Transfer
1. Welche Qualifikationen haben Sie anzubieten (Material)? 2. In welcher Form bieten Sie diese an (Coaching, Beratung …)? 3. Welche Funktion, welches Ziel verfolgen Sie damit? (Hier kommt man dem Produkt schon sehr nahe.) 4. Welchen Nutzen hat Ihre Zielgruppe davon (welches Problem bekommt sie mit dem Kauf gelöst)? 5. Was kostet Ihre Dienstleistung? 6. Und welche Vertriebskanäle nutzen Sie? Bei der Übertragung des Verkaufsaspekts auf die von ihr angebotene Dienstleistung blockierte die Coachingpartnerin mit therapeutischer Vorerfahrung sichtlich. Hier ist offenbar die Berufskultur eine bedeutsame Einflussgröße. Coachingpartnern, die beispielsweise aus dem Verkauf kommen, fällt der Transfer leichter als das Sicheinlassen auf die Metaphernarbeit. In ihrem professionellen Alltag sind sie gewohnt, in diesen Vermarktungskategorien zu denken. Im Gegensatz dazu fällt es Therapeuten leichter, in Metaphern zu arbeiten, da sie sich aufgrund der berufskulturellen Gewohnheiten tendenziell stärker zu Bildern und Assoziationen hingezogen fühlen. Im vorliegenden Fall löste sich die Blockade der Coachingpartnerin auf, sobald wir explizit gemacht hatten, dass ihre Schwierigkeiten, die Produktmetapher auf ihre Dienstleistung zu übertragen, vermutlich daher rühren kann, dass dieser methodische Schritt für sie tendenziell ungewohnt ist. Wir arbeiteten uns thematisch weiter vor und schlossen nach fünf Stunden das Coaching erfolgreich ab. Die Coachingpartnerin hatte eine neue, für sie klarere Positionierung am Markt herausgearbeitet, und ich wurde um die Erfahrung bereichert, dass nicht jede Blockade einen psychischen Widerstand darstellt, sondern dass solche Blockaden auch durch die Verwendung einer Methodensprache bedingt sein können, welche für den Coachingpartner unerwartet, ungewohnt oder unüblich ist.
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Fazit Methoden sind Wege zum Ziel, und es ist ein Allgemeinplatz in der Coachingarbeit, dass sie auf den Coachingpartner abgestimmt werden müssen, damit dieser nicht in eine ihm fremde Vorgehensweise hineingepresst wird. Zugleich sollen Methoden jedoch als Interventionen eingefahrene Arten und Weisen des Denkens, Wahrnehmens, Fühlens, Vorgehens usw. irritieren, damit sich etwas im und für den Coachee bewegt. Sie sind nur dann dienlich, wenn man in der Anwendung dieses Spannungsfeld präzise auslotet. Die methodisch reflektierten Fallbeispiele zeigen, dass die verschiedenen Methoden aufgrund der darin enthaltenen Vorannahmen nicht für alle Denkstile, Beziehungserfahrungen oder Handlungsgewohnheiten geeignet sind. Die durch kulturelle Prägungen bedingten Herausforderungen zeigen sich eher an kleinen Teilaspekten, einem spezifischen Schritt, einer Prämisse, die der Coachingpartner nicht teilt. Die kulturreflexive Kunst besteht darin, die in den Methoden eingelassenen Vorannahmen zu bedenken und sensibel auf solche kleinen Irritationen zu reagieren. Die kultursensible Anpassung der eigenen Vorgehensweise beschränkt sich dann in aller Regel nicht nur auf eine leichte Abwandlung der Methode, sondern sie umfasst eine grundsätzliche Veränderung in der kategorialen Ausgestaltung der Teilaspekte und Zwischenschritte oder der gesamten eigenen Haltung. Nicht zuletzt sollten wir von Fall zu Fall dazu bereit sein, bestimmte Methoden zu verwerfen oder unterschiedliche Methoden nach unserem eigenen Verständnis »wild« zu kombinieren, damit wir den Coachingpartner unterstützen können. Leseempfehlungen Peseschkian, N. (1985). Positive Psychotherapie: Theorie und Praxis einer neuen Methode. Frankfurt a. M.: Fischer.Peseschkian, N. (1993). Psychosomatik und Positive Psychotherapie: Transkultureller und interdisziplinärer Ansatz am Beispiel von 40 Krankheitsbildern. Frankfurt a. M.: Fischer. Weisheiten und Humor gehören zu den ausgewählten Methoden der Positiven Psychotherapie (PPT), einer systemisch orientierten Psychotherapierichtung, die ihre Wirkung durch Umdeutung von Problemen und den Einbezug des Umfelds der Klienten gepaart mit Ressourcenorientierung und einem »positiven«, das heißt optimistischem Menschenbild erzielt. Der Gründer dieser Richtung, Nossrat Peseschkian, entwickelte eine interdisziplinär und transkulturell ausgerichtete Kurzzeit-Therapieform, die den tiefenpsychologisch fundierten Verfahren zugeordnet ist. Im Gegensatz zur traditionellen Psychotherapie verfolgt die PPT keinen pathologischen Ansatz, sondern sie versucht, mit einer interdisziplinären Verbindung von Methoden und durch Aktivierung des Klienten (anstatt einer eher passiven Haltung) diesen zur Selbsthilfe und Konfliktbewältigung anzuregen. Wegweisend für diesen Ansatz – und zugleich auch Illustration für eine der darin angewandten Methoden, nämlich die Umdeutung mit Weisheiten aus anderen Kulturen – ist der orientalische Spruch »Das Glück kann man nur festhalten, wenn man es weitergibt«. Peseschkians Bücher sind für transkulturell arbeitende Coachs inspirierend.
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Strikker, F., Flore, M. B. (2010). Systematisierung von Coaching-Tools. In C. Heidsiek, J. Petersen (Hrsg.), Organisationslernen im 21. Jahrhundert. Festschrift für Harald Geißler (S. 139–151). Frankfurt a. M.: Lang. Die Autoren bemängeln zu Recht die fehlende Kategorisierung von Coachingmethoden und legen dazu eine eigene Systematik vor, die sie Tool-Cube nennen. Der Würfel enthält eine Unterteilung in acht Kategorien (an jeder Ecke eine). Unterschieden werden emotional versus rational orientierte Tools, lösungsorientierte versus problemorientierte sowie selbstreflexionsorientierte versus handlungsorientierte Methoden. Der Kubus bildet ihre Kombinationsvarianten ab. In Ermangelung von Systematiken ist jede Reflexion über die Implikationen und Foki von Methoden hilfreich, daher lohnt es sich, sich mit den Unterteilungen auseinanderzusetzen. Eine kulturelle Prämissenreflexion auf Metaebene steht jedoch aus.
3.3 Interkulturelle Profile und Assessments Im Rahmen einer Coachingfortbildung sagte jüngst ein Coach, er lasse jeden seiner Coachingpartner zu Beginn erst einmal drei klassische Persönlichkeitstests ausfüllen, dann wisse er, mit welcher Person er es zu tun habe. Auch wenn man diese Vorliebe für Analyse oder Kompetenzeinschätzungen nicht teilen mag, so werden Persönlichkeitsprofile nicht nur in der interkulturellen Personalentwicklung gern eingesetzt. Sie werden unter anderem auch als Tools, Persönlichkeitsanalysen oder Assessments bezeichnet, weswegen wir die Begriffe hier synonym verwenden. Schon in der Antike wurden Typologien zur Selbsterkenntnis gebildet, anhand derer die Menschen beispielsweise nach Sternbildern, den aus der indischen Heilkunde stammenden »Doshas« (Pitta, Kapha, Vata), Blutgruppen oder körperbasierten Temperamenten (Choleriker, Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker) eingeteilt und charakterisiert werden. Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, die sich mit dem Menschen beschäftigen (u. a. Anthropologie, Philosophie, Soziologie, Psychologie, Medizin), haben unterschiedliche Verfahren entwickelt, um Fähigkeiten von Personen zu überprüfen, sie besser »einordnen« zu können und Vorhersagen über Verhalten treffen zu können. Sie sind sich dabei allerdings uneinig, was unter »Persönlichkeit« zu verstehen ist. Je nach Konstruktion werden drei, vier oder mehr Aspekte unterschieden und die Ausprägungen der eingeschätzten Personen können auf Skalen oder differenziert nach unterschiedlichen Typen oder Stilen dargestellt werden. Der Vorteil solcher idealtypischen Einteilungssysteme ist, dass sie Komplexität reduzieren und eine Beschreibungssprache liefern. Sowohl allgemeine als auch auf interkulturelle Fragestellungen zugeschnittene Profile und Assessments stellen in ihren Aussagen einen Bezug zur individuellen Persönlichkeit her und ermöglichen damit (Kultur-)Differenzen oder (interkulturelle) Kompetenzen zu erfassen. Auch Instrumente, die nicht eigens für die Erhebung von interkultureller Kompetenz konstruiert worden sind, lassen sich interkulturell nutzen. Die Grundlage aller
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Assessments bilden Persönlichkeits- und Kompetenzmodelle, die mit vielfältigen Zielen weltweit im Coaching eingesetzt werden. Wir geben zunächst einen kulturreflexiven Einblick in die allgemeinen Hintergründe der Instrumente und stellen prominente kulturallgemeine sowie exemplarisch einige an Kulturdifferenzen ausgerichtete Tools kurz vor.
Grundlagen und Aussagespektrum von allgemeinen Persönlichkeitsprofilen Persönlichkeitstests gehen ursprünglich zurück auf Fragen wie: Was ist das für ein Mensch? Wer bin ich? Warum verhält sich eine Person so und nicht anders? Die Profile dienen in unterschiedlichen Kontexten meist als Reflexionsgrundlage für die Personal- und Persönlichkeitsentwicklung oder für vielfältige Formen von Auswahlprozessen und Eignungsdiagnostiken. Sie nutzen Persönlichkeitstheorien als Systeme zur Beschreibung und Erklärung individueller psychologischer Besonderheiten sowie zur Vorhersage von daraus abgeleiteten Verhaltensmustern. Neben den bereits genannten möchten sie auch die folgenden Fragen klären: Welche Persönlichkeitsstruktur hat der Mensch, wie sind sein Denken und seine Weltsicht organisiert? Welche stabilen Aspekte von Verhalten oder Eigenschaften lassen sich beschreiben und wie sind diese aufgebaut? Welchem Prozess folgt die Motivation des Verhaltens? Und welche durch die Umwelt beeinflusste Entwicklung hat die befragte Person bis jetzt genommen? Bei der Entwicklung von Tests und Instrumenten zur Untersuchung dieser und ähnlicher Fragen haben die Forscher jeweils ein bestimmtes Menschenbild vor Augen, welches durch ihre nationale Herkunft, den Zeitgeist, ihre eigene Erfahrung und ihre Fachrichtung maßgeblich beeinflusst wird. Die Vertreter der dynamischen Theorien, unter ihnen vor allem Sigmund Freud, Alfred Adler und Erik H. Erikson, nutzten die Konzepte aus der Tiefenpsychologie und der Psychoanalyse, um die Strukturen menschlichen Verhaltens zu ergründen und zu erklären. Gemeinsam ist ihnen die Fokussierung auf die Psychodynamik, dabei gehen sie jedoch jeweils von unterschiedlichen Menschenbildern aus. So nimmt Erikson die Entwicklung des Menschen über die gesamte Lebensspanne in den Blick und analysiert in diesem Rahmen kulturelle und soziale Einflüsse auf die Entwicklung des Individuums, während Freud hauptsächlich die kindliche und jugendliche Entwicklung untersucht. Carl Gustav Jung unterteilt das Unbewusste in ein persönliches und ein kollektives Unbewusstes und postuliert, dass es sich hauptsächlich in der kindlichen Entwicklung ausbildet. Viele der heute eingesetzten Persönlichkeitstests gehen auf diese Grundlagenarbeit der Vertreter der Tiefenpsychologie zurück. Allerdings existieren von ihnen kaum ausgearbeitete »Paper-and-Pencil-Tests«, wie es sie in großer Zahl zu der nachfolgend besprochenen Typenlehre gibt. Da Freuds Konzepte innerhalb einer therapeutischen Beziehung zur Anwendung kommen, findet man bei ihm allenfalls Leitfragen für Therapeuten. Für die Ent-
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wicklungsphasen von Erikson gibt es mit dem »Erikson Psychosocial Inventory Scale« (EPSI) einen Selbsteinschätzungstest, der für Kinder ab 13 Jahren entwickelt wurde und in einem wissenschaftlichen Artikel von Rosenthal, Gurney und Moore (1981) beschrieben wird. Dieser Test geht von den acht Entwicklungsstufen mit ihren spezifischen Krisen aus, wobei sich die Testfragen jedoch ausschließlich auf die ersten sechs Stufen beziehen: 1. Lebensjahr – Vertrauen versus Misstrauen; 2. und 3. Lebensjahr – Autonomie versus Scham und Zweifel; 4. und 5. Lebensjahr – Initiative versus Schuldgefühle; 6. bis 12. Lebensjahr – Werksinn versus Minderwertigkeitsgefühl; 13. bis 20. Lebensjahr – Identität versus Identitätsdiffusion; 20. bis 45. Lebensjahr – Intimität und Solidarität versus Isolation. Die letzten beiden Entwicklungsstufen, Generativität versus Selbstabkapselung (45 bis 65 Jahre) und Integrität versus Verzweiflung (65 Jahre bis zum Tod), sind aus dem Test ausgeklammert. Nach Erikson kommt es immer dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Störungen in der psychischen Entwicklung, wenn es nicht gelingt, die in den jeweiligen Phasen auftauchenden Krisen zu meistern, wobei er speziell die Entwicklungsstufen bis zur Pubertät als maßgeblich ansieht. Der Test reflektiert anhand einer Skaleneinschätzung von »Fast immer zutreffend« bis »Fast nie zutreffend« den Umgang mit diesen Krisen. Er wird hauptsächlich im psychosozialen Bereich mit dem Ziel eingesetzt, Veränderungen in der persönlichen Entwicklung aufzuzeigen und mögliche Beziehungsproblematiken mit den Entwicklungsstufen als Erklärungsmodell in Verbindung zu setzen. Individuelle Veränderungen in der eigenen Persönlichkeit können so mit Lebensereignissen verbunden werden und rückblickend können fehlende Kompetenzen herausgearbeitet werden bzw. man kann sich auf kommende Ereignisse (z. B. Elternschaft) bewusst vorbereiten. Diese reflexive Arbeit an der eigenen Entwicklungsgeschichte und den damit verbundenen Kompetenzen kann nach dem Test nur mit einem ausgebildeten Therapeuten durchgeführt werden. Wie bei den meisten Tests richtet sich die Kritik aus Fachkreisen gegen die Operationalisierung eines theoretischen Konstrukts, welches bei der Beschreibung der Stufen und der Formulierung von damit verbundenen Krisenhypothesen oft komplex, vage und überlappend bleibt. Außerdem werden die acht von Erikson definierten Stufen vor dem Hintergrund der westlichen Industriegesellschaften beschrieben, was deren universelle Anwendbarkeit praktisch einschränkt. Im therapeutischen Kontext werden statistische Methoden, lerntheoretische Modelle und dynamische Theorien bevorzugt, während sich die im beruflichen und wirtschaftlichen Kontext verwendeten Persönlichkeitsmodelle und -tests in erster Linie auf Konzepte aus der Typenlehre und der Gehirnforschung stützen. Die meisten Assessments sind Abwandlungen und Erweiterungen der Typenlehre, die schon 460 vor Christus von Paracelsus entwickelt und von Hippokrates, von Galen, Hans Jürgen Eysenck und schließlich Carl Gustav Jung weitergeführt wurde. Sie gilt als biologisch fundiert (u. a. mit Bezügen zur
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Konstitutionstypologie) und verwendet die Faktorenanalyse zur Generierung und Prüfung von Hypothesen. Zu den bekanntesten Unterscheidungen gehören die Skalen von Jung sowie die Eigenschaftsbeschreibungen von Eyseneck, auf denen die meisten der aktuell in der Wirtschaft eingesetzten Tests beruhen. Allen voran sei hier das bekannte Fünf-Faktoren-Modell genannt, wie es zum Beispiel der MBTI® (Meyers-Briggs-Typenindikator) verwendet.
Beispiele für Persönlichkeitsprofile mit transkulturellem Anspruch Der in den USA sehr verbreitete und in etwas geringerem Umfang auch in Europa bekannte und eingesetzte MBTI® (Meyers-Briggs-Typenindikator) hat eine lange Tradition (seit 1942) in der Erforschung und Darstellung von Zusammenhängen zwischen Persönlichkeitsdimensionen und Berufen. Er unterscheidet, wie man Energie aufnimmt (Extra- oder Intraversion-Skala), wie man die Wirklichkeit wahrnimmt (Sensing oder Intuition), wie man Entscheidungen trifft (Thinking oder Feeling) und welcher Lebensstil gepflegt wird (Judging oder Perceiving). Ein Fragebogen von 90 Items ermittelt die Neigungen einer Person hinsichtlich der bipolar aufgebauten Skalen. Resultat ist ein Vier-BuchstabenCode als Kürzel für das ermittelte Ausprägungsprofil des Getesteten: Beispielsweise verweist das Profil E-I-F-J auf eine Person, die eher extrovertiert ist, intuitiv wahrnimmt, Gefühlsentscheidungen trifft und bewertend ist. Das Ergebnis trifft also Aussagen über Einstellungen, und zwar auf der Basis der Ausprägungen, welche die getestete Person hinsichtlich der Skalen hat. Ziel des MBTI® ist es, dass Menschen sich selbst hinsichtlich ihrer Persönlichkeit besser kennenlernen und Entwicklungsbereiche definieren. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt idealerweise im Rahmen eines Seminars oder Coachings. Da von einer universellen Conditio humana ausgegangen wird, wird der Typenindikator vor allem in multinationalen Konzernen für den interkulturellen Vergleich eingesetzt. Ob es sinnvoll ist, die Ergebnisse des MBTI® auf die Anforderungen an eine bestimmte Position zu beziehen, ist – gerade international gesehen – fraglich. Zwar ist es prinzipiell möglich, spezifische Normen für spezielle Funktionen, etwa für Software-Ingenieure oder Pharmareferenten, zu entwickeln und validieren zu lassen. Dies lohnt sich jedoch nur bei einem ebenso großen wie regelmäßigen Einstellungsbedarf für ein ganz bestimmtes Anforderungsprofil, zudem müssten kulturspezifische Führungsstile und weitere Kompetenzanforderungen berücksichtigt werden. Der Insights MDI® (Management Development Instruments) misst, ebenfalls auf den Jung’schen Kategorien aufbauend, vier Grundtypen. Rot steht für den extrovertierten Denker, Gelb für den extrovertiert Fühlenden, Grün für den introvertiert Fühlenden und Blau für den introvertierten Denker. Diese Persönlichkeitstypen werden auf Berufsrollen abgebildet und führen dann zu acht Verhaltenstypen: dem zielstrebigen ergebnisorientierten Direktor, dem marktorientierten unabhängigen Motivator, dem flexiblen kontaktorientierten Inspi-
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rator, dem teamorientierten kooperativen Berater, dem beziehungsorientierten, geduldigen Unterstützer, dem produktorientierten disziplinierten Koordinator, dem qualitätsorientierten präzisen Beobachter und dem kontroll- und perfektionsorientierten Reformer. Durch Kombinationen können 60 Mischtypen herausgefiltert werden. Der Test gibt Auskunft über die Ressourcen und Veranlagungen eines Menschen ebenso wie über sein Verhalten in Stress- und Arbeitssituationen, das heißt, er trifft auch Aussagen über situationsbedingte Anpassungsleistungen. Das Ziel dieses Tests ist das Erkennen der eigenen Muster und die Entwicklung einer größeren Flexibilität im Hinblick auf das Beziehungsmanagement, welches als Schlüssel für den zwischenmenschlichen Erfolg gilt. Darüber hinaus soll der Test dazu beitragen, sich selbst und andere besser zu verstehen sowie das eigene Potenzial zu erkennen und ausschöpfen zu können. Die Einsatzgebiete sind vielfältig: Potenzialerkennung, Führungsstilanalyse, Personalauswahl und Teamentwicklung. Erfahrungsberichte belegen, dass der Test auch im internationalen Kontext erfolgreich einsetzbar ist. Die Kritik am Insights MDI® ebenso wie am MBTI® richtet sich in erster Linie auf die Jung’schen Kategorien als theoretische Grundlage dieser Testverfahren. Die Grundüberlegung, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Teile, ist charakteristisch für den phänomenologischen Betrachtungswinkel der humanistischen Vertreter, darunter zum Beispiel Rogers, Fromm und Maslow. Sie führen die Psychoanalyse mit der naturwissenschaftlich-statistisch orientierten Psychologie zusammen und orientieren sich am Menschenbild des nach Selbstaktualisierung strebenden Individuums. Die Vertreter dieses Ansatzes erforschen vornehmlich charakteristisches Verhalten und die Dynamik, die ein »gesundes Leben« ausmachen. Die Zuschreibungen »krank« und »gesund« sind seit jeher abhängig vom jeweiligen gesellschaftlich akzeptierten Menschenbild und den sozialen Bedingungen, unter denen Menschen zusammenleben. Daher liegt der kulturelle Bias bei diesen Tests auf der Hand. Ein bekannter Test, der sich überwiegend auf den hier skizzierten humanistisch-phänomenologischen Ansatz stützt, ist die Lifo-Methode. Die Lifo®-Methode erhebt Verhaltensmuster, die auf Lebensorientierungen basieren. Letztere zeigen sich in der Art und Weise, wie Bedürfnisse befriedigt werden. Daraus resultieren Verhaltensmuster, also bevorzugte Orientierungen, die zugleich die Quellen der individuellen Stärken darstellen. Das Lifo-Modell unterscheidet diesbezüglich vier Stile: 1. unterstützend/hergebend, 2. bewahrend/festhaltend, 3. anpassend/harmonisierend und 4. bestimmend/übernehmend. Dabei wird ermittelt, wie unter günstigen und ungünstigen Bedingungen, also unter Stress, gehandelt wird. Die Annahme ist, dass ein »übertriebener« Ein-
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satz der jeweiligen Stärken zu einer Schwäche führt. »Bestimmend« kann etwa bedeuten: richtungsweisend, dynamisch, kraftvoll und drängend, aber auch dominierend, ruhelos, streitbar und bedrängend. In den Ausprägungen der Lifo-Stile ließen sich kulturelle Unterschiede identifizieren. Sie können nach Kulturen, Organisationen oder Branchen differenziert werden (Bergermaier u. Czichos, 2002, S. 197 f.). Je nach Kulturraum unterscheiden sich beispielsweise die bevorzugten Managementstile. Kanadische, US-amerikanische, britische und deutsche Manager zeigten ähnliche Ausprägungen und eine Präferenz für Aktivität und Vernunft. Japanische Führungskräfte dagegen wählten eher den unterstützenden, hergebenden Stil, gefolgt von bewahrendem und festhaltendem Verhalten. Aus der Lerntheorie und dem Behaviorismus kommen die Persönlichkeitsmodelle, die das Gehirn als Black Box betrachten und allein das Verhalten als veränderbare Variable messen und analysieren. Verhalten gilt als Resultat der Interaktion von Person und Situation. Auf diesem Modell baut unter anderem das DISG-Verhaltensmodell auf, demzufolge sich die Persönlichkeit als Funktion aus Wahrnehmungen und den Reaktionen darauf in Abhängigkeit von der jeweiligen Lebenssituation darstellen lässt. Der in den 1970er Jahren in den USA entwickelte Test zielt auf eine situative Verhaltensmessung ab. Das Modell unterscheidet vier grundlegende Verhaltensdimensionen: Dominanz/Direktheit (rot), interaktive Initiative (gelb), Unterstützung/Stetigkeit (grün) sowie Gewissenhaftigkeit (blau), die gemeinsam das Akronym DISG ausmachen. Diese Ausprägungen von Verhaltenstendenzen ergeben unter der Berücksichtigung unterschiedlicher Kombinationsmöglichkeiten je nach Version und Zählweise 15 bis 20 verschiedene Mischformen (ausgeprägte primäre und sekundäre Verhaltenstendenzen). Wie alle anderen Tests und dahinterstehenden Modelle dient auch dieses Profil der Komplexitätsreduktion und Einschätzung der eigenen Person und hilft, Strukturen bei anderen Menschen wiederzuerkennen. Obwohl der Test in mehr als 30 Sprachen übersetzt worden ist, gibt es keine wissenschaftlichen Analysen über die internationale Einsetzbarkeit. Das Herrmann-Dominanz-Instrument – HDI® (Herrmann Brain Dominance Instrument, HBDI®) ist ein Selbsteinschätzungstest, der basierend auf der Unterscheidung von vier grundlegenden, idealtypisch beschriebenen Denkstilen Auskunft über die bevorzugten Denk- und Verhaltensweisen gibt. Er wurde in den 1970er Jahren in den USA von Ned Herrmann (1997) entwickelt. Die theoretischen Grundlagen dieses Testverfahrens gehen auf die frühe Hirnforschung zurück, insbesondere auf die Untersuchungen von Roger Sperry und Paul D. MacLean, die sich mit den funktionalen Unterschieden der linken und rechten Gehirnhälfte sowie mit der Dreiteilung des Gehirns in Großhirn, Zwischenhirn und Stammhirn befassten. Das HBDI-Profil ergibt sich aus der Beantwortung eines Fragebogens mit 120 Fragen und es wird in Form eines metaphorisch
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zu verstehenden Schemas vom Gehirn dargestellt. Entsprechend der physiologischen Unterteilung des menschlichen Gehirns in die linke und die rechte Hemisphäre einerseits sowie in den zerebralen Bereich (oben) und den limbischen Bereich (unten) andererseits ergeben sich vier Quadranten: A (blau) für das rationale Ich, B (grün) für das sicherheitsbedürftige Ich, C (rot) für das (mit)fühlende Ich und D (gelb) für das experimentelle Ich. Jedem Quadranten werden bestimmte Merkmale zugeordnet, und anhand des Profils kann man Motivationsstrukturen, Wahrnehmung, Kommunikationsvorlieben, Denk- und Führungsstile, Entscheidungsweisen und Tätigkeitspräferenzen bestimmen. Die Profile beispielsweise eines Paars, eines Teams oder von Kollegen können wie in Abbildung 23 übereinander gelegt und verglichen werden.
Abbildung 23: HBDI-Pro-Forma-Profile im Vergleich (nach Herrmann, 1997, S. 80)
Die Abbildung zeigt zwei idealtypische Dominanzprofile von Personengruppen, die in unterschiedlichen Bereichen des Finanzwesens – im Rechnungswesen und in der strategischen Finanzplanung – tätig sind. Es handelt sich um »ProForma-Profile«, das heißt, sie wurden aus einer Anzahl von Personen in diesen Funktionen idealtypisch extrahiert. Die Kreise um das Zentrum (Zahlenskalen wurden der leichteren Lesbarkeit halber entfernt) bedeuten: Ausprägungen innerhalb des engsten Kreises um das Zentrum nennt man den Vermeidungsbereich, weil man dieses Tätigkeitsspektrum zwar minimal verwendet, aber zugunsten anderer vernachlässigt. Ab der zweiten Kreislinie um das Zentrum beginnt der Nutzungsbereich. Ab der dritten Kreislinie werden die Präferenzen deutlich und Werte, welche die vierte Kreislinie oder mehr überschreiten, nennt
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man dominant. Beide Personengruppen in diesen Funktionen haben eine ähnliche Ausprägung hinsichtlich der Präferenz für Rationalität und Fakten (Quadrant A) sowie im Hinblick auf die gering ausgeprägte Neigung zur Nutzung des mitfühlenden Ichs (Quadrant C). Sie unterscheiden sich allerdings hinsichtlich ihrer Dominanzen. Die Person, die im Rechnungswesen tätig ist, hat eine deutliche Dominanz bezüglich detailorientierter, sequentieller Tätigkeiten (Quadrant B). Der Kollege aus der strategischen Finanzplanung hat dagegen eine geringere Tendenz zu solchen Tätigkeiten. Er nutzt sie, aber er präferiert sie nicht, denn bei ihm dominiert das visionäre und experimentelle Vorgehen (Quadrant D), was für die Strategieentwicklung auch notwendig und typisch ist. Das HBDI ist kein normatives, sondern ein empirisches Instrument, das heißt, die ermittelten Profile von Berufsgruppen (wie im obigen Beispiel) sind so zu interpretieren, dass Menschen mit entsprechenden Profilen diese Felder suchen und vorwiegend dort aufzufinden sind. Die Profile geben keine Auskunft über Kompetenzen – auch wenn es hier Korrelationen geben dürfte, da man das, was man gern macht, in der Regel auch gut macht. Typische Ausprägungen von Präferenzen und Dominanzen können zum Beispiel berufsspezifisch oder geschlechtsspezifisch sein, und so können mit diesem Tool auch Kulturbezüge hergestellt werden. Die Ausprägungen machen sich in unterschiedlichen Aufmerksamkeitsfoki, Kommunikationsgewohnheiten und anderen stilistischen Besonderheiten bemerkbar und können zu Missverständnissen führen, wenn sie nicht als Stärken und Potenziale für eine Zusammenarbeit erkannt, sondern als abweichende Differenz wahrgenommen werden. Als einziger auch in der Wirtschaft verwendeter Test beruht das Enneagramm auf Charaktermustern des Menschen, die vornehmlich aus Sufi-Quellen und Philosophien des Nahen Ostens stammen. Historisch ist unklar, ob der kaukasische Weisheitslehrer Gurdjieff, der bolivianische Psychologe Ichazo oder der amerikanische Jesuitenorden dieses Modell in seiner heutigen Gestalt entwickelt hat. Hinsichtlich der Nutzung des Enneagramms haben sich zwei Grundrichtungen herausgebildet: Während die eine in der christlich-spirituellen Tradition eingebettet ist, versucht die andere, es mit dem empirischen Wissen der modernen Psychologie zu verknüpfen. Das Enneagramm versteht sich als Instrument, welches Antworten auf die Fragen gibt: Was macht mich aus? Was kann ich tun, um mich zu entwickeln? Wie wirke ich auf mein Lebensumfeld? Was ist mein Gegenüber für ein Mensch? Das Enneagramm ist im Gegensatz zu anderen Instrumenten urheberrechtlich nicht geschützt und kann von allen frei genutzt werden. Die folgenden, je nach Quelle uneinheitlich benannten Typen werden unterschieden: Reformer/Perfektionist, Helfer/Fürsorglicher, Macher/Statusmensch, Künstler/Romantiker, Denker/Beobachter, Loyaler/Fragender, Vielseitiger/Abenteurer, Führer/Boss, Friedliebender/Harmonischer. Diese Typen beschreiben abgrenzbare Verhaltensmuster, die sich wechselseitig
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beeinflussen. Alle neun Typen sind in einem Menschen vertreten, es gibt jedoch einen Haupttyp, der die Persönlichkeit prägt. Die neun Typen werden noch einmal zu drei Hauptgruppen zusammengefasst: erstens die Herztypen (Helfer, Macher, Künstler), zweitens die Kopftypen (Denker, Loyale, Abenteurer) und drittens die Bauchtypen (Führer, Friedliebende, Perfektionisten). Wie alle potenzialanalytischen Verfahren dient das Enneagramm der Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen. Es wird bei Teamtrainings und Persönlichkeitsentwicklungsmaßnahmen ebenso eingesetzt wie im Coaching und bei Partnerschaftskonflikten. Die International Enneagram Assocation (IEA) ist weltweit organisiert und tauscht sich regelmäßig über Anwendbarkeit auch im internationalen Kontext aus, es gibt jedoch bislang keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu, inwieweit die Typen als universale, kulturunabhängige Beschreibungsmedien angesehen werden können. Kritische Würdigung: Je nach Herkunft und Anwendungsgebiet unterscheiden sich die Tools hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit im Coaching als auch im Hinblick auf die Frage, inwieweit die zugrundeliegenden Konzepte und die verwendeten Untersuchungsmethoden wissenschaftlich fundiert und überprüft sind. Beurteilt man die Testergebnisse und ihre Interpretationen orientiert an den wissenschaftlichen Gütekriterien der Objektivität, Neutralität, Validität und Reliabilität, so ergeben sich bereits einige grundsätzliche Kritikpunkte und Vorbehalte. Die Idealkriterien der Objektivität und Neutralität lassen sich mit den Tests grundsätzlich nicht realisieren, denn neben den unterschiedlichen jeweils angelegten Beurteilungsmaßstäben ist auch die Berücksichtigung von Gütekriterien sowohl im Design als auch in der Durchführung der Tests ausschlaggebend für das Ergebnis. Für die Validität und Reliabilität der unterschiedlichen Persönlichkeitstests gibt es bislang keinen wissenschaftlichen, empirischen Nachweis. Im Einzelnen betrifft dies jeweils Fragen wie: Wie werden die Test durchgeführt, liegt ein mehr oder weniger standardisiertes Auswertungsverfahren vor, gibt es Hinweise bzw. einen Leitfaden zur Interpretation der Ergebnisse? Inwieweit und mit welchen Verfahren werden Reliabilität (durch Paralleltest und ähnliche Maßnahmen) und Validität (durch Expertenrating, Außenkriterien etc.) überprüft und sichergestellt? Welche Skalen werden genutzt? Zudem beruhen die meisten Profile auf einer Selbsteinschätzung. Dieses kognitiv ausgerichtete Vorgehen berücksichtigt nur das, was dem Befragten selbst bewusst ist. Es berücksichtigt nicht eigene blinde Flecken, lässt die körperliche und somit emotionale Impulssteuerung außen vor und gibt daher ein verzerrtes Bild der individuellen Muster wieder. Zusätzlich haben – und das ist gerade für den Bereich der Anwendung im interkulturellen Kontext relevant – alle Tests einen kulturellen Bias, gerade wenn es zum Beispiel um die Bewertung von Eigenschaften geht. Welche Eigenschaften und welches Verhalten werden in welchem Kontext, in
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welcher Kultur als »professionell« betrachtet? Die Diskrepanz zwischen Universalitätsanspruch und kulturellen Vorannahmen und Ausprägungen ist kaum geklärt. Ist beispielsweise der MBTI® interkulturell einsetzbar, auch wenn die Sample-Group international ist? Es gibt kaum Forscher, die interdisziplinär verschiedene individualpsychologische Modelle und Kulturmodelle untersuchen und aufeinander beziehen. Korrelationen zwischen Persönlichkeitseigenschaften, speziell dem Fünf-Faktoren-Modell, und den allseits bekannten Kulturdimensionen hat Hofstede gemeinsam mit McRae (2004) untersucht. Sie stellen fest: 1. »national cultures affect the way people respond to a personality test […] answers contain a component of social desirability« (Hofstede u. McRae, 2004, S. 70). 2. »culture explains levels of trait scores rather than the other way round« (Hofstede u. McRae, 2004, S. 71). 3. »personality traits are congruent with the value system and the customs of a culture« (Hofstede u. McRae, 2004, S. 71). Dass beide sich auf westliche Forschungsergebnisse stützen, die den statischen Nationalkulturbegriff nutzen, wird am Ende der Studie selbstkritisch hinzugefügt. Die genannten Kritikpunkte bilden kein grundsätzliches Argument gegen den Einsatz von solchen Instrumenten. Diese können durchaus hilfreich sein, indem sie eine Metasprache anbieten. Es kommt darauf an, die Hintergründe zu kennen, sie kulturell zu reflektieren sowie bewusst und vorsichtig mit den Ergebnissen umzugehen. Werden diese kulturalistisch gedeutet oder wie wird mit Gemeinsamkeiten und Differenzen zum Beispiel innerhalb eines Teams umgegangen? Ähnliches gilt für die Tests, die interkulturelle Kompetenz vorhersagen bzw. messen.
Ziele und Arten von interkulturellen Tests und Assessments So vieldeutig wie der Begriff der interkulturellen Kompetenz selbst, so vielgestaltig sind auch die Theoriehintergründe interkultureller Assessments, und es existieren zahlreiche Testformen zur Überprüfung dieses facettenreichen Kompetenzbündels. Tests, welche interkulturelle Kompetenzen messen, werden vor allem für die Vorhersage des Erfolgs von Auslandsentsendungen, die Analyse des Zusammenspiels der Beteiligten in gemischtkulturellen Gruppen sowie im Kontext interkultureller Führung genutzt. Sie dienen auch als Diagnoseinstrument, um herauszufinden, welche der interkulturellen Kompetenzen bei den derart eingeschätzten Personen und Gruppen gut ausgebildet und welche noch zu erweitern sind, oder um zum Beispiel deren Haltung hinsichtlich einer bestimmten Kultur zu ergründen. Hierbei werden Teilkompetenzen des Kompetenzbündels »Interkulturelle Kompetenz« mit unterschiedlichen Gewichtungen
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überprüft. Bislang besteht allerdings unter Experten keine Einigkeit darüber, welche Teilelemente interkulturelle Kompetenz beinhaltet; so scheint beispielsweise die Rolle und Bedeutung von Sprache für die interkulturelle Kompetenz unklar. Ein aus einer Dissertation zur interkulturellen Kompetenz entstandenes Thesenpapier, das neben einer Spezifizierung des Begriffs der interkulturellen Kompetenz und der darin enthaltenen Teilkompetenzen als eines der wenigen auch auf das Testen dieser Kompetenzen eingeht, präsentiert die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Fondazione Cariplo (Bertelsmann Stiftung u. Fondazione Cariplo, 2008). Abgesehen von den unterschiedlichen Auffassungen über Umfang und Bestandteile des Interkulturellen Kompetenzbündels ist nicht belegt, welche Kompetenzen des Bündels für welches Ziel und welche Zielkultur(en), auf die man sich vorbereiten möchte, möglicherweise nützlicher sind als für andere. Alle bisherigen Forschungen zeigen, dass es zwar offenbar einige grundlegende Persönlichkeitsdispositionen gibt, die für ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz sprechen, dass diese – allgemein betrachtet – jedoch nicht ausreichen, um erfolgreiches Handeln und Kommunizieren weltweit sicherzustellen, da es in der Regel bei jedem Menschen individuelle Affinitäten zu bestimmten (Charakteristika von) Kulturen gibt, während andere für ihn eine größere Herausforderung an die eigene Anpassungsfähigkeit darstellen. Interkulturelle Kompetenz kann schließlich auch als Resultat eines Lernprozesses betrachtet werden, der durch Persönlichkeitsmerkmale beeinflusst wird. Der Kulturpsychologe Alexander Thomas (2003) geht davon aus, dass es in interkulturellen Interaktionssituationen zu Störungen kommt, die einen individuellen Lernprozess anstoßen können. Durch die enge Verzahnung mit individuellen Dispositionen und der eigenen (Lern-)Biografie und durch die Vielfalt an möglichen Anwendungsbezügen ist es schwierig, Interkulturelle Kompetenz(en) valide und mit standardisierten Verfahren zu messen. Die jeweils geeignetsten Messverfahren variieren in Abhängigkeit vom Kontext, in dem die Tests eingesetzt werden, dem Ziel und Zweck der Messung und der Zielgruppe, das heißt den getesteten Personen. Unterschiede gibt es auch im Hinblick auf die verwendete Messmethodik: Welche Fragearten gibt es (geschlossene Fragen, offene Fragen, Multiple-Choice-Fragen etc.)? Werden Skalen oder andere Einschätzungsverfahren eingesetzt? Werden die Tests mündlich oder schriftlich durchgeführt, auf Papier oder online ausgefüllt? Beinhaltet der Test ausschließlich Fragen oder arbeitet er (auch) mit Falldarstellungen (Critical Incidents) und Deutungen bzw. Erklärungen? Beruht das Ergebnis auf einer Selbsteinschätzung oder gibt es nur bzw. zusätzlich Feedback vom Vorgesetzten, von Kollegen oder anderen Personen? All diese Unterschiede beeinflussen die Handhabbarkeit und Aussagekraft der Ergebnisse. Eine gute Übersicht über verschiedene Arten von Tests zur Messung von Interkultureller Kompetenz findet man bei Fantini (2009).
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Entwicklung interkultureller Assessments und aktuelle Tests Die Forschungen auf diesem Gebiet begannen in den 1950er Jahren, angeregt durch die zunehmende Anzahl an westlichen Managern, die weltweit arbeiteten. Die erlebten Störungen und Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit »den Fremden« wurden untersucht, und im Zuge dessen entstanden die ersten Modelle zur interkulturellen Kompetenz sowie Testmöglichkeiten zu deren Analyse und Vorhersage. Eine Reihe von interkulturellen Kompetenzmodellen diente unmittelbar als Grundlage für die Entwicklung von Tests. Der aktuelle Markt von Interkulturellen Tests und Assessments ist unübersichtlich und äußerst vielgestaltig hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten, Herkunft und der Kosten der jeweiligen Tools. Einen ausführlichen Überblick geben Norris und Watanabe (2007). Aus der Vielzahl der existierenden Interkulturellen Tests und Assessment Tools für die unterschiedlichsten Kontexte und Zwecke sollen im Folgenden nur die Hauptvertreter kurz skizziert werden. Ruben und Kealey gehören zu den ersten Forschern, die sich mit der auf Tests basierenden Überprüfung von interkultureller Kompetenz beschäftigt haben. Einer der frühen Test-Ansätze war Rubens Modell von Interkultureller Kommunikationskompetenz (Intercultural Communicative Competence; Ruben u. Kealey, 1979), welches diese Kompetenz in Form von überprüfbaren Verhaltensweisen operationalisiert. Rubens wollte untersuchen, wie groß der Unterschied zwischen Wissen und Tun bei den getesteten Personen ist. Er ging davon aus, dass Aussagen über das eigene Verhalten in hypothetischen vorgegebenen Situationen zuverlässigere Vorhersagen treffen können als das Abfragen von Haltungen zu und Wissen über andere Kulturen. Rubens Modell unterscheidet sieben Dimensionen von Interkultureller Kompetenz, die mittels Selbsteinschätzung der Testteilnehmer in Skalen überprüft werden: Respekt, Neutralität, Individuelles Wissen, Empathie, Rollenbewusstsein und Ambiguitätstoleranz. Aus der Perspektive der Umsetzbarkeit von interkultureller Kompetenz in der Pädagogik entwickelten Byram (1997) für die Schule und Risager (2007) für die Fremdsprachendidaktik ein Fünf- bzw. erweitertes Zehn-Faktoren-Modell, das European Multidimensional Model of Intercultural Competence. Die fünf Faktoren der ersten Modellvariante lauten: Einstellung, Wissen, Relativierung, Entdeckergeist und Kulturbewusstsein. Sie legen den Fokus auf die Interaktion von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die hier nationalstaatlich verstanden werden. Entsprechend dem Hintergrund und Erfahrungsschatz der Autoren aus den Bereichen der Sprachvermittlung bzw. der Erziehungswissenschaften in Europa legt dieses Modell mehr Wert auf kommunikative Kompetenzen (Sprache, verbale/nonverbale Kommunikation) als der Ansatz von Ruben. Gemeinsam mit weiteren Projektpartnern weitete Müller-Jacquier das European Multidimensional Model of Intercultural Competence zu einem eigenen multidimensionalen Tool namens INCA (Intercultural Competence Assessment) aus. Die theoretischen Vorarbeiten und Grundlagen des interdisziplinären Autoren-
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teams findet man bei Kühlmann und Stahl (1998a, 1998b) und Müller-Jacquier (2000). Analog zu den Tools von Byram und Risager testet INCA interkulturelle Kompetenz mittels konkret beschriebener Verhaltensweisen, anhand derer ein definiertes Set von Aspekten bzw. Dimensionen interkultureller Kompetenz überprüft wird. Diese Überprüfung erfolgt hier auf drei Ebenen – Basis, Intermediate und Full – und sie unterscheidet bzw. differenziert zwischen der Perspektive des Assessors und der des Analysanden. Für den Assessor orientiert sich die Untersuchung an den sechs Dimensionen Ambiguitätstoleranz, Verhaltensflexibilität, Kommunikationsbewusstsein, Wissen, Respekt für Andersartigkeit und Empathie; für den Analysanden sind die drei Dimensionen Offenheit, Wissen und Anpassung relevant. Das umfangreiche Tool ist ausgerichtet auf Industrieunternehmen und die für seinen Einsatz erforderlichen Unterlagen sind, im Unterschied zu allen anderen hier vorgestellten Testverfahren, als einzige im Netz frei verfügbar (www.incaproject.org/index.htm, Zugriff am 08. 01. 2012). Das von den US-Amerikanern Bennett und Hammer (1998) veröffentlichte Intercultural Development Inventory hat als theoretische Grundlage das von Bennett konzipierte Entwicklungsmodell der interkulturellen Sensibilität (Developmental Model of Intercultural Sensitivity, DMIS), das bereits in → Kapitel 3.2.3 (Entwicklungsmodelle im transkulturellen Coaching) vorgestellt wurde. Bennetts Modell unterscheidet sich von den anderen Skalenmodellen durch seinen Stufencharakter und die Fokussierung auf bestimmte Aspekte Interkultureller Kompetenz, speziell den Aspekt der Relativierung der eigenen kulturellen Sichtweisen. Modell und Phasen werden in Bennetts Publikation ausführlich vorgestellt. Bennett (1986, 2001) untersuchte, wie Individuen auf Kulturunterschiede reagieren und sich gegebenenfalls anpassen. In seiner Beschreibung dieses Prozesses der Anpassung und der interkulturellen Horizonterweiterung unterscheidet er sechs aufeinander aufbauende Abschnitte. Die ersten drei Stufen – Denial, Defense, Minimization – kennzeichnet eine eher auf sich selbst bezogene, ethnozentristische Haltung, während die drei darauffolgenden Abschnitte – Acceptance, Adaption, Integration – als eher ethnorelative Haltung und Perspektivenvielfalt beschrieben werden. Die verschiedenen Abschnitte sind weniger im Sinne eines linearen zeitlichen Ablaufes, sondern eher als unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit Fremdheit zu verstehen. Entsprechend müssen sie nicht zwangsläufig linear durchlaufen werden, sondern es sind beispielsweise auch Kompetenz-Rückfälle möglich (für eine ausführlichere Darstellung des Modells und der einzelnen Abschnitte vgl. → Kapitel 3.2.3). Bennetts Modell hat vielen weiteren Testentwicklern als Grundlage gedient. Intercultural Communicative Competence, einer der aktuellsten Ansätze zur Ermittlung von interkultureller Kompetenz stammt von Arasaratnam und Doerfel (2005), die ein kulturoffenes Kompetenzmodell anstreben. Er definiert Kompetenzen und Themen auf der Basis von offenen Interviews, erhebt diese also »bottom up«, anstatt sie, wie die bisherigen Tests, normativ zu setzen. Mit einem
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Interviewbogen erheben die Autoren das Verständnis der Befragten anhand von Fragen wie: »How do you define intercultural communication?« »What are aspects of good/bad communication in your culture?« «Can you identify some qualities or aspects of people who are competent in intercultural communication?« Die Antworten unterziehen sie dann einer semantischen Analyse und filtern ihre Essenz heraus. Die Forschungen sind noch nicht so weit fortgeschritten, um daraus einen praktikablen Test zu generieren. Neben den bereits genannten Verfahren hat Wiersinga (2003) aktuell verwendete interkulturelle Tests untersucht und sie im Hinblick darauf verglichen, inwieweit sich mit ihrer Hilfe ein erfolgreicher Auslandsaufenthalt vorhersagen lässt. In ihrer kritischen Studie zu Validität, Reliabilität und Wissenschaftlichkeit gibt sie eine Übersicht über eine Vielzahl von Tests und beschreibt, welche Teilbereiche der interkulturellen Kompetenzen damit in welcher Form gemessen werden. Aus der Vielzahl der von Wiersinga untersuchten Tests haben wir diejenigen für eine Kurzdarstellung gewählt, die in Fachkreisen relativ bekannt und verbreitet sind und auch als valide gelten. Der Multicultural Personality Questionnaire (MPQ) ist laut Wiersinga der aus psychometrischer Sicht valideste, gefolgt vom Intercultural Readiness Check (ICR). The International Profiler (TIP) scheint sinnvoller für den Einsatz in Coaching und Karriereberatung zu sein, da er selbstreflektierter ausgelegt ist. Für alle anderen liegt keine psychometrische Validierung vor. Der Multicultural Personality Questionnaire (MPQ) wurde von Van der Zee und Van Oudenhoven (2000) als Instrument entwickelt, um die Anpassung an fremde Kulturen vorhersagen zu können. Er richtet sich somit in erster Linie an die Zielgruppe der Expatriates und ist für die internationale Personalauswahl bestimmt. Der Selbsteinschätzungstest untersucht auf einer Skala von 1 bis 10 die folgenden Persönlichkeitsfaktoren: Kulturelle Empathie, Offenheit, Soziale Initiative, Emotionale Stabilität und Flexibilität. Basierend auf den Ergebnissen lässt sich der Umgang mit typischen Anforderungen der Entsendung voraussagen. So sieht zum Beispiel jemand, der sich selbst als hochgradig flexibel einschätzt, neue Situationen als Herausforderung an. Eine Person mit hoher emotionaler Stabilität wird in stressigen Situationen ruhig und selbstbewusst reagieren usw. Kritisch ist anzumerken, dass dieser Test hauptsächlich für Studenten entwickelt wurde und nicht mit der Zielgruppe selbst. Zudem beruht er auf einem statischen Kulturmodell und orientiert sich an den klassischen Dimensionen der interkulturellen Kompetenz. Dennoch gilt er in der Vorhersagbarkeit als hoch valide. Der Intercultural Readiness Check (ICR) wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Groningen von Ursula Brinkmann (Brinkmann u. Klendauer, 2008) entwickelt und ist ein statistisch valides Instrument zur individuellen Ermittlung von vier Kompetenzfeldern der Interkulturellen Kompetenz: Interkulturelle Sensibilität, Umgang mit Unsicherheit, Interkulturelle Kommunikation sowie Aufbau von Verbindlichkeit und Engagement. Der skalierte Online-
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Selbsteinschätzungstest ist auf Personen ausgerichtet, die in einem interkulturellen Kontext arbeiten, aber er wird vor allem bei Entsendungen und Mergers & Acquisitions empfohlen und eingesetzt. Im Gegensatz zum MPQ bestand bei der Testentwicklung die »Sample Group« aus Angestellten multinationaler Unternehmen. In weitergehenden Forschungen für die Einsetzbarkeit dieses Tests wurde festgestellt, dass abhängig von der Unternehmenskultur die vier Kompetenzen unterschiedlich hoch ausgeprägt waren. Entsprechend wird hier, neben dem klassischen Anwendungsgebiet der Personalauswahl für die Entsendung, auch ein Einsatz bei Fusionen empfohlen. The International Profiler (TIP) ist ein vom Beratungsunternehmen World Work Ltd. entwickelter psychometrischer Fragebogen, der auf 10 Kompetenzen mit 22 dazugehörigen Fertigkeiten, Einstellungen und Wissensbereichen beruht. Die 10 Kompetenzen sind: Offenheit, Flexibilität, Persönliche Autonomie, Emotionale Stärke, Wahrnehmungsvermögen, Orientierung beim Zuhören, Transparenz, Kulturwissen, Beeinflussung und Synergie. Sie werden als die kulturunspezifischen Eigenschaften aufgefasst, die zum erfolgreichen Handeln in ungewohnten Situationen in interkulturellen Kontexten notwendig sind. Der Fragebogen dient der Selbsteinschätzung und der strukturierten Selbstreflexion und wird häufiger als Feedbackwerkzeug genutzt als zur Personalauswahl.4 Die meisten Testautoren nutzen ähnliche Kompetenzbündel, um interkulturelle Kompetenz zu beschreiben, und gehen von einem statischen Kulturbegriff aus. In ihrem Fazit stellt Wiersinga (2003) fest, dass keiner der untersuchten Tests als alleinige Grundlage der Analyse ausreicht und dass es bislang keine seriöse Diagnostik gibt, die unter wissenschaftskritischen Gesichtspunkten haltbar wäre.
Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Persönlichkeitsprofilen im Coaching Trotz aller Kritik liefern Persönlichkeitsmodelle und die daraus abgeleiteten Instrumente eine Reflexionsgrundlage für Coachings, die hilfreich sein kann. Wir sind selbst zertifiziert für verschiedene Persönlichkeitsmodelle (u. a. ICRC, HDI®, KODE®, ExpAdviser®) und setzen die Profile durchaus als Unterstützung ein. Ihre Aussagen sind jedoch zu »übersetzen«. Von einem unreflektierten Einsatz könnte man immer dann sprechen, wenn die Entscheidung über eine Auslandsentsendung, die Bewertung eines Mitarbeiters oder die Entscheidung über eine Rekrutierung ausschließlich von den Ergebnissen eines Tools abhängig gemacht würde. 4
Der TIP wird außer vom Vertreiber selbst nirgendwo näher beschrieben. Einen guten Überblick über den kontextspezifischen Nutzen einiger Instrumente, in dem unter anderem auch der TIP angesprochen wird, findet man unter www.shrmindia.org/assessment-instrumentsglobal-workforce (Zugriff am 20. 02. 2012).
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Die Ziele für den Einsatz von Tests und Profilen in Form von Selbst- und Fremdeinschätzung im Coaching sind vielfältig: – Selbsteinschätzungs-Tools geben dem Coachingpartner einen Anlass zur Selbstreflexion und können die bearbeitende Ziele und Themen im Coaching unterstützen. – Die Testergebnisse und Profile stellen ein »quasi neutrales Urteil« bzw. eine Kompetenzmessung dar, mit der man sich auseinandersetzen muss. – Sie lassen sich gegebenenfalls als eine Art »Lücken-Analyse« einsetzen, um die Entwicklungsfelder im Coaching festzulegen. – Sie haben explorativen Charakter für eine persönliche Kompetenzentwicklung und eröffnen einen Dialog. – Sie helfen dabei, Ziele für den Auf- und Ausbau von Interkulturellen Kompetenzen im Coaching zu finden. – Sie dienen als Potenzialanalyse und zur Karriereplanung. – Sie ermöglichen, schwer greifbare »Gefühle« oder Einschätzungen »schwarz auf weiß« zu sehen. Dies macht Erfahrungen greifbar und bildet eine Gesprächs- und Verständigungsbasis. – Sie bieten als Gesprächsbasis eine »neutrale« Prozessverkürzung. Dies kann gerade in Zeiten sinkender Zeitbudgets für Weiterbildung und persönliche Entwicklung wichtig sein. Angesichts der angesprochenen Kritikpunkte und Problematiken im Zusammenhang mit der Verwendung der einzelnen Tools (nicht nur) im Coaching sollte sich der Coach vor und während des Einsatzes einige Fragen stellen, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse dem Coachingprozess nützen. – Was erwartet der Coachingpartner vom Test? – Gibt es einen konkreten Nutzen? – Was mache ich bei Widerstand gegen die Ergebnisse? – Ist der Test passend für die Berufskultur und den Kontext des Klienten? – Ist der Test für das Ziel und den Kontext des Coachingpartners relevant? – Ist der Test auch in der Muttersprache des Coachingpartners verfügbar? – Welche Anforderungen stellt der Test an die Motivation des Getesteten (Länge, Schwierigkeit der Fragen, Verfügbarkeit)? – Welche Wichtigkeit haben Tests für den Coachingpartner, auch mit Blick auf seine Erfahrungen und den Stellenwert von Tests in seiner Kultur? – Welche Nachteile bzw. Vorteile bringt der Test dem Coachingpartner? – Wie verwerte ich als Coach die Ergebnisse? – Wie werden sie im Unternehmen gesehen und genutzt? Alle Ergebnisse, unabhängig davon, ob sie Kompetenzen, Eigenschaften, Präferenzen etc. messen, müssen kritisch reflektiert und genau eingeordnet werden. Welches Menschenbild liegt ihnen zugrunde? Welche anderen Vorannahmen
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bestehen? Wie werden die Begriffe definiert usw. Sowohl bei interkulturellen Tools als auch bei allgemeinen Instrumenten ist zu fragen, welche (interkulturellen) Aspekte hervorgehoben werden oder werden können. Erst auf der Basis genauer Kenntnisse hinsichtlich der Zielkulturen ist zu überlegen, was die Ergebnisse bedeuten und welchen Zusatznutzen das Tool haben kann. Interkulturelle Tests und Assessments Eine Übersicht über interkulturelle Tests gibt es in der Literatur nicht, lediglich ein paar individuelle Zusammenstellungen, etwa auf der Website »abroadview.org« (Fantini, 2006). Die Gesellschaft für interkulturelle Bildung, Training und Forschung (SIETAR) hat die zahlreichen Tests einmal zusammengestellt (SIETAR Europa, o. J.), aber leider ist die Liste seit 2003 nicht aktualisiert worden.
Leseempfehlungen Deller, J. (2000). Interkulturelle Eignungsdiagnostik. Zur Verwendbarkeit von Persönlichkeitsskalen. Waldsteinberg: Heidrun Popp. Der Autor untersucht kritisch aktuelle Tests und Assessment-Tools aus dem Blickwinkel der Eignungsdiagnostik und warnt vor möglichen Gefahren, etwa einer fehlenden empirischen Belegbarkeit und einer Subjektivität der Kriterien oder davor, dass die Tools dem eigenen kulturellen Bias ihrer Autoren unterliegen. Schimmel-Schloo, M., Seiwert, L., Wagner, H. (Hrsg.) (2002). Persönlichkeitsmodelle. Offenbach: Gabal. Das Buch beschreibt viele Persönlichkeitsprofile wie unter anderem das DISG-Persönlichkeitsprofil®, LIFO®, MBTI®, HDI®, REISS-Profil (RP®). Die Aufsatzsammlung gibt einen guten Überblick über die klassischen Instrumente, die allerdings jeweils von den Entwicklern bzw. Vertreibern selbst dargestellt und daher nicht kritisch kommentiert werden.
3.4 Körperorientierte Methoden im kulturreflexiven Coaching Es ist inzwischen ein neurophysiologischer Allgemeinplatz, dass der Mensch nur lernen, sich entscheiden und entwickeln kann, wenn er emotional aktiviert ist. Die emotionale Involvierung des Coachingpartners gelingt auf mehrere Arten im Coaching, die Arbeit mit dem Körper macht sie unhintergehbar. Körperorientierte Verfahren behandeln wir aus diesem Grunde in einem eigenständigen Kapitel, weil sie keinem der drei Ansätze (interkulturell, multikulturell, transkulturell) ausschließlich zuzuordnen wären. Je nach erforderlicher Anwendungstiefe können sie für verschiedene Zwecke eingesetzt werden. Man findet körperorientierte Verfahren beim interkulturellen Lernen bzw. der antirassis-
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tischen Pädagogik (vgl. dazu Nazarkiewicz, 2010b, S. 57 ff.) ebenso wie in der »multikulturellen systemischen Praxis« (vgl. von Schlippe, El Hachimi u. Jürgens, 2004, S. 117 ff.) und natürlich gibt es in der transkulturellen Gesundheitsversorgung, vor allem im Umgang mit traumatisierten Migranten, methodische Bezüge zur Arbeit mit dem Körper. Die meisten körperbezogenen Interventionen stammen aus der kognitiven, verhaltensorientierten, gesprächsorientierten, rogerianischen, experimentellen Richtung und auch aus systemisch-familienorientierten therapeutischen Schulen. Darüber hinaus sind einige Methoden für die antirassistische Pädagogik entwickelt worden, die sich auch im Coaching gut einsetzen lassen. Im Folgenden skizzieren wir eine kleine Auswahl an körperorientierten Methoden und beschreiben beispielhaft ihre Anwendung im kulturreflexiven Coaching. Entschieden haben wir uns für diejenigen Ansätze, die sich im Coaching leichter einsetzen lassen als psychotherapeutische und tiefenpsychologische Verfahren wie beispielsweise die Bioenergetik, und mit denen wir selbst Erfahrungen haben. Die angesprochenen Körpermethoden sind in ihren Grundzügen transkulturell angelegt und helfen, Muster zu hinterfragen und Lösungen zu finden. Ausgewählt haben wir: – Rollen- und Sprachübungen aus der Gestalttherapie, – Bewegungen aus der Feldenkrais-Methode, – Konzentration aus dem T’ai Chi Ch’uan und Qi Gong, – szenisches Spiel aus dem Psychodrama, – Szenen aus der Theatertherapie, – Skulpturarbeit, – Aufstellungsarbeit, – Techniken aus dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP). Die Kurzdarstellungen können dem jeweiligen Anspruch des methodischen Ansatzes, seinen theoretischen Begründungen und der Vielfalt der daran angeschlossenen Methoden nicht gerecht werden. Wir müssen uns für dieses Handbuch auf einen kurzen Abriss der Herangehensweise und ihrer Vorannahmen beschränken. Dazu geben wir ein bis zwei Beispiele für den methodischen Einsatz im Coaching und runden den Einblick jeweils mit einem Bezug zur kultursensiblen Coachingarbeit ab. Die abschließende kritische Würdigung des Ansatzes kommentiert die Vor- und Nachteile dieser Herangehensweise in der kulturreflexiven Praxis.
Sprach- und Rollenübungen aus der Gestalttherapie »Gestalt« als philosophischer Ausdruck für ein sinnvolles Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile – das ist der Ausgangspunkt der Gestalttherapie als einer wissenschaftlich fundierten Therapieform. Sie steht in der Tradition der humanistischen Verfahren wie der Psychoanalyse, der Feldtheorie
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und der Phänomenologie und ist dem dialogischen Prinzip von Martin Buber ebenso wie dem existenzial-philosophischen Gedankengut und fernöstlichen Meditationsformen verpflichtet. Der Gestaltansatz basiert auf einem ganzheitlichen Weltbild, in dem der Mensch als Einheit von Körper, Seele und Geist und eingebunden in ein soziales und ökologisches Umfeld betrachtet wird. Die Begründer Lore und Fritz Perls sowie Paul Goodman wollten die Bewusstheit im Hier und Jetzt, Körperlichkeit, Lebensfreude und kreative Kompetenz fördern. Ziel ist die Entwicklung von Problemlösefähigkeit des Klienten durch Aufmerksamkeit, Bewusstheit und Integration von Erfahrungen, Verhalten und unmittelbar erlebbaren Gefühlen. Dadurch wird die Selbstachtsamkeit, Selbstachtung und Akzeptanz der Persönlichkeit gestärkt. Dieses ressourcenund lösungsorientierte Vorgehen ist dem Coaching näher als die krankheitsund leistungsorientierte Herangehensweise vieler anderer Therapieformen. Einen Coachingansatz basierend auf Gestalt und Systemik mit vielen Methodenbeispielen hat zum Beispiel Richter (2010) vorgelegt. Gestaltarbeit baut auf folgenden Prinzipien auf: – Kontakt: Die Person und ihr Umfeld sind in ständigem dynamischen Austausch und einem sich wechselseitig stimulierenden Prozess miteinander verbunden, der ihre Lebensfähigkeit ermöglicht. – Gegenwart: Nur durch das Erleben im Hier und Jetzt kann der Umgang mit dem Vergangenen geändert werden. – Phänomenologie: Die Konzentration liegt auf beobachtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Phänomenen. – Erfahrung: Der Fokus liegt auf der – auch körperlichen – Wahrnehmung und der Bewusstwerdung von Empfindungen, Gefühlen, Bedürfnissen, Phantasien. – Würdigung: Der Klient kommt durch Wertschätzung seines Verhaltens in Kontakt mit den eigenen Fähigkeiten zur Problemlösung. – Dialog: Der Therapeut arbeitet im Dialog auf Augenhöhe. – Kreativität: Der Gestaltansatz arbeitet mit erlebnisaktivierenden Interventionen. Als Methoden werden in der Gestalttherapie unter anderem genutzt: Aufmerksam machen, Verstärken, Be- und Entschleunigen, Verdichten, Übertreiben, Inszenieren, Sprach- und Rollenspiele, Dramatisieren, Geschichten, Metaphern, Tiefenimaginationen, Malen, Modellieren, Tönen, Arbeit mit Körperhaltungen und vieles andere mehr. Die Methoden definieren – und das ist wesentlich – keine generellen Vorgaben, sondern sie orientieren sich ausschließlich an den Bedürfnissen des Klienten. Ein Beispiel für ein in der Gestalttherapie eingesetztes dialogisches Rollenspiel ist der »leere Stuhl«. Auf diesem Stuhl kann der Coachingpartner Menschen aus seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart oder eigene innere Anteile Platz nehmen lassen und ihnen eine Stimme geben.
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Er geht mit ihnen in den Dialog oder kann auch abwechselnd auf verschiedenen Stühlen Platz nehmen und auf diese Weise einen Rollentausch und damit verbunden einen Perspektivenwechsel erleben. Leerer Stuhl Eine rumänische Coachingpartnerin ließ sich zum Beispiel, nachdem sie mehrere Jahre in Mittelamerika in der Tourismusbranche gearbeitet hatte, durch ein Coaching begleiten, um den Wechsel nach Deutschland und die Jobsuche gut zu gestalten. Nach einigen Monaten Übergangszeit begab sie sich gezielt auf Stellensuche und war auch rasch erfolgreich. Innerhalb kürzester Zeit wurde sie vom neuen Unternehmen zur Abteilungsleiterin befördert. Das alles konnte sie allerdings nicht richtig genießen, da eine der Mitarbeiterinnen in ihrem Team die Stelle gern selbst eingenommen hätte und ihr gegenüber wenig kooperativ war. Da die Coachingpartnerin sich fachlich einarbeiten musste, war sie auf die Hilfe der langjährig erfahrenen Mitarbeiterin angewiesen, die sie – wenn sie um Hilfe gebeten wurde – jedoch vertröstete, abwimmelte oder anders auflaufen ließ. Die Coachingpartnerin war aus Mittelamerika stets freundliche und unterstützende Reaktionen von Seiten ihrer Mitarbeiter gewohnt und erlebte sich gegenüber einer Abweisung als hilflos und ohnmächtig. Sie fühlte sich mehr und mehr gestresst, wenn sie nur an die Arbeit dachte. Als sie gebeten wurde, sich in der Sitzung die Kollegin auf dem leeren Stuhl vorzustellen, reaktualisierte sich ihre Angst vor einer abweisenden Reaktion ihrer Mitarbeiterin unmittelbar. Zunächst wollte sie nicht einmal hinschauen und benötigte Zeit, bis sie den Blick auf den Stuhl bzw. die vorgestellte Person richten konnte. Auf Rückfrage beschrieb sie die Mitarbeiterin, natürlich nicht aus der Erinnerung, sondern wie sie deren Sitzhaltung und Gesichtsausdruck in der (vorgestellten) Gegenwart empfand (abweisend, kalt). Danach beschrieb sie ihr eigenes Erleben, ihre Körperempfindungen (Unwohlsein und Druck) und hielt den Kopf gesenkt, sodass sie von unten nach oben zu ihrer Mitarbeiterin zu blicken schien. Der Coach schlug vor, dass sie nun von ihrem eigenen Platz aus die Mitarbeiterin um Hilfe bitten sollte, wie sie es auch sonst immer tat. Die (vorgestellte und erlebte) Reaktion auf die Frage, »Könntest du mir helfen, diese Daten in die Computermaske einzugeben«, war wieder eine Ablehnung: »Ich muss jetzt gleich weg, das geht jetzt nicht«. Und die Coachingpartnerin erlebte erneut ihre überraschte und hilflose Grundreaktion. Der Coach bat sie, sich auf den Stuhl der Mitarbeiterin zu setzen und auf sie als Chefin zu blicken. Die Klientin beschrieb (aus der Perspektive der Mitarbeitern) nun deren Erleben des Gegenübers. Das war zwar reserviert und vorsichtig, aber keineswegs feindselig. Sie spürte sogar, dass sie (als Mitarbeiterin) die Erwartung hatte, klare Vorgaben zu erhalten. Im entschleunigten Wahrnehmen und Annehmen der Beziehungskonstellation entspannte sich die Coachingpartnerin zunehmend. Gemeinsam mit dem Coach wurde daraufhin eine alternative Haltung und Frage erarbeitet: »Diese Daten müssen noch in den Computer eingegeben werden,
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ich bräuchte deine Unterstützung, damit ich mir das neue Programm aneignen kann.« Zu Überraschung der Klientin war die (imaginierte) Reaktion der Mitarbeiterin zögerlich, aber positiv. Damit war der antizipierte Kreislauf von Abweisung und Rückzug unterbrochen. Ob die Reaktion der Coachingpartnerin nun aufgrund ungewohnter Reaktionen entstanden war, eine Projektion aus der Kindheit gegenüber Autoritäten beinhaltete oder sonstige Ursachen hatte, wurde nicht ermittelt. Entscheidend war, dass sich in den darauffolgenden Wochen das Verhältnis zwischen den beiden Frauen zunehmend entspannte. Die Coachingpartnerin ging offener, klarer, aber auch hartnäckiger und in Erwartung einer Zielerreichung auf die Mitarbeiterin zu, diese lehnte ihre Anliegen daraufhin nicht mehr so direkt und schließlich immer weniger ab.
Sprachübung Als Übung im Hinblick auf Sprache und Sprechen kann man den Coachingpartner auf die Verwendung von Floskeln aufmerksam machen und mit ihm explorieren, was sich in seinem Inneren verändert, wenn er eine direktere Sprache verwendet, wenn er also statt »man könnte machen« sagt: »ich mache«. Diese Übung kann unter anderem dazu dienen, eine andere Identitätsperspektive aus dem eigenen Perspektivenfundus einzunehmen. Sie hilft, die Umsetzung einer Entscheidung zu forcieren oder die Kraft auf den letzten Schritt in einem Prozess zu fokussieren. Ebenso kann man mit verschiedenen Sprachempfindungen arbeiten: Was verändert sich, wenn ich meinem Mitarbeiter anstatt in französischer Sprache zum Beispiel auf Deutsch eine negative Beurteilung gebe? Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Frankreich hatte sich ein Coachingpartner eine indirekte Form von Feedback angewöhnt. Als er nach Deutschland zurückkam, waren einige seiner Mitarbeiter irritiert, als sie von ihm nach mehreren Rückmeldungen »plötzlich« die Vorankündigung einer Abmahnung erhielten – sie hatten sein Feedback immer als freundliche Empfehlung aufgenommen. Im Coaching übte der Coachingpartner durch das Nachsprechen von verschiedenen Varianten, das negative Gefühl, das direktere Formulierungen in ihm auslösten, zu erkunden und zu verstehen. Gerade bei der zuletzt genannten Übung im Medium der Sprache sollte aus einer kulturreflexiven Perspektive heraus und mit Blick auf die Klientenzentriertheit des Gestaltansatzes geprüft werden, inwieweit ihr Einsatz tatsächlich sinnvoll ist: Womöglich hat der Coachingpartner gute Gründe, eher indirekt zu sprechen, und eine »normative« Anregung könnte kontraproduktiv sein.
Kritische Würdigung: Die gestalttherapeutische Grundhaltung ist eine hilfreiche Ausgangsbasis für viele körperorientierte Verfahren. Sie arbeitet integrativ und schließt nichts und niemanden von vornherein aus. Insofern ist sie für eine kulturreflexive Herangehensweise sehr gut geeignet. Gestaltarbeit ist ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur verbal und kommunikativ vorgeht, sondern vor allem Medien und Künste einsetzt (Tanz, Musik, Malen, Körperarbeit etc.).
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Durch die verschiedenen Ausdrucks- bzw. Gestaltungsformen und die verfügbaren »Spiel-Räume« fällt es den Beteiligten leichter, eine individuelle Form des Ausdrucks zu finden, die ihnen vertraut und mit ihrer Kultur im Einklang ist. So können die eigene Wahrnehmung, der Selbstausdruck und das Bewusstsein für erlernte behindernde Mechanismen erlebt werden. Da das an der Gestalttherapie ausgerichtete körperorientierte Vorgehen jedoch erlebnisaktivierende Methoden nutzt, kann diese Herangehensweise für manche Menschen unter Umständen zu konfrontativ sein. Sie beschäftigt sich mit der subjektiven Seite des Menschen und »das ist nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung vieler Manager« (Richter, 2010, S. 39). Zielorientierten Coachs kann das Vorgehen zu langsam, affirmativ und kleinteilig erscheinen. Die Coachingpartner allerdings entspannen sich durch die grundsätzliche Wertschätzung und das Annehmen ihres Erlebens und Vorgehens in der Grundhaltung der Gestaltarbeit.
Bewegungen aus der Feldenkrais-Methode Moshe Feldenkrais, promovierter Physiker, aber auch Straßenbauer, Privatlehrer und Judoka, verband die vielfältigen Einflüsse seiner beruflichen und privaten Lebenserfahrung, zu denen auch seine Erfahrungen als mehrfacher Emigrant gehörten, zu einer körperorientierten Methode. Er ging davon aus, dass unser Handeln bestimmt wird von dem Bild, das wir uns von uns selbst machen (»self image«). Dieses Bild ist ein Konglomerat aus ererbten, anerzogenen und durch Selbsterziehung entstandenen Einflüssen. Hat man Ziele und Veränderungswünsche, muss nach Feldenkrais zunächst dieses Bild verändert werden. Um diesen Prozess zu unterstützen, entwarf er ein pädagogisches Konzept, welches in Form verbal angeleiteter (»Bewusstheit durch Bewegung«) und nonverbaler Übungen (Funktionale Integration®) angewendet werden kann. Hierbei handelt es sich nicht um regelhafte Körperübungen, sondern eher um Bewegungsanleitungen. Bei der Funktionalen Integration erfährt sich der Coachingpartner dadurch, dass er vom (in der Feldenkrais-Methode ausgebildeten) Coach bewegt wird. Feldenkrais zitiert in seinem Buch das chinesische Sprichwort: »Ich höre und vergesse, ich sehe und behalte, ich tue und verstehe« und fügt ergänzend hinzu, dass wir am besten das verstehen, was wir tun können. Diese Form der Bewusstheit, »erst wenn ich weiß, was ich tue, kann ich tun, was ich will«, ist das Ziel der Methode. So werden Umgang mit dem eigenen Körper, sein Erleben sowie die Art und Weise des Sichbewegens, Sinnesempfindungen, Gefühl und Denken über das Medium Bewegung verändert und entwickelt. Die Feldenkrais-Methode arbeitet mit folgenden Prinzipien: – Einheit von Körper und Geist, – Lernen verändert das Gehirn, – Systeme organisieren sich selbst, – Eigenwahrnehmung, – Bedeutung von Bewegung,
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– Bewegung im sinnvollen Kontext, – Aufmerksamkeit und Vorstellungskraft. Wahrnehmungsübung Eine klassische Wahrnehmungsübung ist die des Hände-Zusammenfaltens: Wie falten Sie die Hände zum Gebet zusammen? Den linken Daumen über den rechten oder andersherum? Je nachdem, wie es gewohnheitsgemäß gemacht wird, kann man es dann verändern – und spüren, was im Inneren passiert. Vermutlich wirkt es »unnormal«, wobei »normal« und »unnormal« Kategorisierungen darstellen. Tatsache ist, Sie sind es nur nicht anders gewohnt.
Anhand solcher Übungen können mit dem ganzen Körper Veränderungen initiiert werden, die auf das Denken, Fühlen und Handeln übertragen werden. Dabei wird die Eigenlogik des Systems des Klienten betrachtet, um hilfreiche, systemische Lösungen in Gang zu setzen. Die Bewegungen sind immer in einen Kontext eingebunden, da die physischen Bewegungsmöglichkeiten, zum Beispiel die faktische Beweglichkeit eines Gelenks, nur dann für komplexe Bewegungsabläufe genutzt werden können, wenn diese als sinn- und absichtsvolle Bewegungen im Bewusstsein der sich bewegenden Person dargestellt werden können. Das Einbeziehen einer klaren Absicht und der Bewegungsrichtung erweitert den Raum der Bewegung über die körperlichen Grenzen hinaus. »Awareness through movement« basiert auf den unwillkürlichen Bewegungsformen des Kleinkindes und bedeutet letztlich, eine eigene authentische Bewegungsart zu finden. Erst wird die Selbstbeobachtung entwickelt und dann werden Veränderungen in Angriff genommen. Gemäß Feldenkrais ist das Sichbewegen ohne Aufmerksamkeit sinnlos. Imagination und Vorstellungskraft spielen eine große Rolle, da diese gewünschten Veränderungen eine Zielrichtung ergeben können. Es gibt bei dieser Methode keine Kompetenzstufen, etwa Übungen, die eintrainiert werden, sondern die Methode ist eindeutig prozessorientiert. Es geht darum, die individuelle Zahl der Bewegungs-, Denk-, Fühl- und Verhaltensmöglichkeiten zu vergrößern. Kritische Würdigung: Für das Interkulturelle Coaching interessant sind vor allem die Vielfalt der Einflüsse, die in die Methode Feldenkrais eingehen, und das Üben der Wahrnehmung von Empfindungen bei den eigenen Körperbewegungen. So lassen sich unter anderem die unterschiedlichen kulturellen Prägungen der Körper- und Bewegungskonzepte bewusst und erfahrbar machen. Durch das Reflektieren der Kategorisierungen wird Raum für die Entdeckung von Möglichkeiten und die Entfaltung individueller Bezüge zur Thematik (nicht nur zu Körper und Bewegung) gelassen. Theorien der Selbstorganisation der Systeme, der Kybernetik, der Spiegelneuronen und der Neurobiologie und -psychologie bestätigen die von Feldenkrais aufgestellten Hypothesen und Wirkmechanismen. Er hat sie sowohl durch eigene Erfahrungen und theoretische
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Studien als auch durch Austausch mit Kollegen wie Frederick Matthias Alexander, dem Begründer der Alexandertechnik, Milton Erickson (Hypnotherapie) und Ida Rolf (Rolfing®) entwickelt. Die Arbeit nach Feldenkrais benötigt allerdings Zeit und Aufmerksamkeit, und sie erfordert einen Aufwand, der für das zielorientierte Coaching nicht immer angemessen erscheint. Übungen der Feldenkrais-Methode werden meist in liegender Position durchgeführt. Ihr Einsatz im Coaching kann auf Vorurteile treffen oder von den Coachingpartnern abgelehnt werden. Die liegende Position entspricht nicht den Erwartungen an ein Coaching und kann für den Klienten im Hinblick auf die Beziehung als zu persönlich empfunden werden. Zudem muss der Transfer von den Anwendern der Methode(n) selbst hergestellt werden. Es ist eine Herausforderung für beide Coachingpartner, die vielfältigen Interpretationen auszuwerten und mit dem Ziel des Coachings zu verknüpfen. Schließlich ist noch auf die für die meisten körperorientierten Methoden zutreffende Gefahr der kulturellen oder persönlichen Projektion von Interpretationen hinzuweisen.
Konzentration aus dem Tai Chi Chuan und Qi Gong Die chinesische Bewegungskunst Tai Chi Chuan – es haben sich unterschiedliche »westliche« Schreibweisen nebeneinander behauptet – bedeutet übersetzt »höchstes Prinzip des Faustkampfs«. Alltagssprachlich wird sie oft »Schattenboxen« genannt. Bei der Methode handelt es sich um eine Mischung aus Körpertherapie, Meditation und Kampfsport, und sie basiert auf einer Philosophie mit jahrtausendealter Tradition, die in Körperübungen ausgedrückt wird. Heute wird diese Methode – in Kurzform Tai Chi – weltweit als Gesundheits- und Entspannungstraining angewendet, der Kampfaspekt ist in den Hintergrund getreten. Wichtiges Prinzip des Tai Chi ist die Weichheit und Geschmeidigkeit der Muskulatur, um die Energie des Körpers, die im chinesischen »Qi« (sprich »Chi«) genannt wird, in Bewegung zu bringen. Sie basiert auf dem Qi Gong, der Urform der meditations- und konzentrationsorientierten Bewegungsform zur Regulation des Energieflusses im Körper. Qi Gong bedeutet übersetzt Energiearbeit und kultiviert die Lebenskraft des Menschen, von denen Tai Chi ein Unterform darstellt. In beiden Fällen sollen die Bewegungsabläufe – im Sinne des Yin und Yang – keinen Anfang und kein Ende haben und in der Bewegung soll ein Fluss ohne Unterbrechungen entstehen. Damit dies basiert Tai Chi auf folgenden Prinzipien: – Ruhe in der Bewegung, – Fülle (Belastung) und Leere (Entlastung), – fließende Bewegungen ohne Anfang und Ende, – Koordination von oben (Oberkörper) und unten (Unterkörper), – Geisteskraft und Vorstellung statt Muskel- und Körperkraft (Konzentration und Ausdauer), – fester Stand, aufrechter Kopf, entspanntes Kreuz, gesenkte Schultern, – Verbindung von Innerem und Äußerem.
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Ziel ist es, auch im übertragenen Sinne, die Einheit aller Gegensätze, die Harmonie widerstrebender Elemente und den Ausgleich von Polaritäten zu erreichen. Daher wird Tai Chi oft als ganzheitliches Training für Körper und Geist verstanden. Wenn das Qi ins Stocken kommt, so die chinesische Gesundheitslehre, und das Gleichgewicht nicht mehr existiert, wird der Mensch krank. Ein weiteres Ziel des Tai Chi ist es daher, als eine Art Vorsorgemaßnahme zu fungieren, um das Energiezentrum im Körper auszubilden und aufzuladen. Wie Qi Gong ist Tai Chi Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin. Im Gegensatz zu den vorher beschriebenen Methoden wird Tai Chi nach genau festgelegten Abläufen durchgeführt und hat Übungscharakter. Denn nur das regelmäßige Praktizieren von Tai Chi bewirkt eine Lösung von Verspannungen in der Muskulatur, eine Verbesserung der Haltung sowie der Körperwahrnehmung. Doch auch wenn es sich um körperliche Übungen handelt, die Bewegung folgt dem Atem, nicht die Frequenz der Atmung der Bewegung, wie etwa beim Joggen. Fast alle der Bewegungen sind langsam und harmonisch und richten dadurch auch die Wahrnehmung auf den Körper und die Wirkung der Bewegungen. Die Übungseinheiten beim Tai Chi bestehen aus Bewegungsmustern oder Bildern, deren Länge zwischen einigen Minuten und über einer halben Stunde variiert, und die in unterschiedlichen Sequenzen aneinandergereiht werden. Bekannte Formen sind die Peking-Form mit 24 aneinandergereihten Bildern und die Yang-Stil-Form mit 37 Bildern. Acht Brokate Eine bekannte Übungsfolge sind die sogenannten »Acht Brokate« (Ba Duan Jin). Dabei handelt es sich um acht heilgymnastische Übungsfolgen, welche jeweils einzelne Organe, Organgruppen oder Nervenzentren bewegen, entspannen und stärken. Nach der Traditionellen Chinesischen Medizin tragen die Abfolgen zu einer Regulierung von Fehlanpassungen bei. Die Übungen bestehen aus folgenden Bildern (hier in der Übersetzung von Maier, 1992) und es gibt im Internet verschiedene Videos, die man dazu finden kann, um sie anzuschauen oder zu erlernen: 1. Mit beiden Händen den Himmel stützen. 2. Den Bogen nach links und rechts spannen und auf den Adler oder die Wildgans zielen. 3. Milz und Magen stärken, indem man die Arme einzeln hochhebt. 4. Nach hinten schauen und 5 Krankheiten und 7 Leiden vertreiben. 5. Mit dem Kopf nicken und mit dem Schwanz wedeln und das Feuer aus dem Herzen vertreiben. 6. Den Rücken fallenlassen und hundert Krankheiten vertreiben. 7. Fäuste schließen, Augen funkeln – so werden die Kräfte vermehrt. 8. Mit beiden Händen die Füße fassen.
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Kritische Würdigung: Diese Art der Bewegung im Tai Chi oder Qi Gong kann durch ihre interdisziplinären Grundlagen und die Ausrichtung auf Harmonie zwischen Körper und Geist für Interkulturelles Coaching gewinnbringend eingesetzt werden. Als nonverbale Methode kann sie auch überall dort genutzt werden, wo die Körperwahrnehmung geschult werden oder Gegensätze vereinbart werden sollen. Tai Chi als gewaltlose Form der Selbstverteidigung mit dem Ziel der eigenen Energievermehrung und der Harmonie ist ein Erlebnis für die Coachingpartner. Wer mit einem Expatriate, der nach China entsendet wird, einige Übungen durchführt oder sie ihm anrät, kann erleben, dass viele möglicherweise wortreiche Ausführungen um Philosophie, Harmonieprinzip und andere Kulturkonzepte auf der Basis dieses körperlichen Erlebens noch einmal ganz anders begriffen werden. Und selbst wenn man keinen Bezug zur chinesischen Kultur oder Medizin herzustellen braucht, erlebt der Coachingpartner bei diesen Übungen (die dem Atmen folgen, im Unterschied zu leistungsorientierten Körperbewegungen, bei denen der Atem den Bewegungen folgt) häufig eine unterstützende Bewusstseinserweiterung. Ähnliche Effekte haben bestimmte Formen des Yoga oder der Meditation. Die Bewegungen des Tai Chi unterstützen den Coachingpartner allein schon durch die sich vertiefende Atmung und die Entspannung – selbst wenn, nach »westlichen« Standards, Dokumentationen über die therapeutische Wirksamkeit fehlen. Der Einsatz im Coaching trifft möglicherweise auf Skepsis wegen der Assoziation des Begriffs Tai Chi mit einer Kampftechnik. Auch kann das Meister-Schüler-Prinzip, in dem Tai Chi, ebenso wie Yoga und Meditation, erlernt werden, möglicherweise befremdlich wirken und auf Vorbehalte stoßen, es ist daher eine offene Frage, ob der Coach die Übungen mit dem Coachingpartner selbst anleiten sollte, falls er darin ausgebildet ist. In jedem Fall muss dem Coachingpartner Sinn und Zweck des Einsatzes solcher Übungen oder Anregungen im Rahmen des Coachings bewusst und einsichtig sein. Ebenso ist der Transfer gemeinsam herzustellen.
Szenen aus der Theatertherapie Wie das Coaching folgt auch die Theatertherapie den Prinzipien der Lösungsorientierung und der Komplexitätsreduktion. Theatertherapie, in englischsprachigen Fachkreisen als »Drama Therapy« bezeichnet, ist eine Form der Psycho- und Soziotherapie. Dramatherapie, Therapeutisches Theater oder andere Begriffe werden oft synonym für diese junge Disziplin verwendet, die bislang noch keine einheitliche Form ausgebildet hat, sondern unterschiedliche methodische Varianten umfasst.5 Die Methode wurde in den letzten vierzig Jahren vor 5
Eine bibliografische Übersicht der bisherigen Forschungen zeigt die Vielfalt dieser therapeutischen Richtung: http://www.theaterforschung.de/resource.php4?ID=54 (Zugriff am 20. 02. 2012).
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allem in den USA und England entwickelt und hat das Ziel, eine Verbindung zwischen der Heilfunktion des Theaters und den Verfahren der Psycho- und Sozialtherapien herzustellen. Methodisch nutzt die Theatertherapie Modelle aus dem Bereich des Theaters wie Rollen, Figuren, Szenen, Drehbuch und Regie. Diese werden auf komplexe soziale Situationen und Beziehungen übertragen. Dahinter steht die Auffassung, dass auch die Kommunikation in alltäglichen Kontexten gewissermaßen von inszenierten sozialen Rollen und Szenen bestimmt wird, die in ihrer Dramaturgie erwartbar und beinahe vorgeschrieben sind. Sie laufen quasi nach individuellen inneren oder kollektiven Drehbüchern ab, die jedoch meist vor- oder unbewusst bleiben. Vor allem über die Förderung von Körperbewusstsein und über Bewegungsschulung (z. B. Stimmund Ausdrucksübungen sowie Tanz) wird eine Anregung aller Sinne verfolgt; durch Improvisationsübungen wird die Impulskraft gestärkt, Intentionsfähigkeit und Empathie werden geschärft. Themen und Inhalte sind durch szenische Darstellungen erfahr- und spielerisch veränderbar. Die Theatertherapie wird auch erfolgreich in Altenheimen und bei Demenzkranken eingesetzt (Moriyama, Sakurai u. Kamata, 1995). Vom Psychodrama grenzt sie sich dadurch ab, dass die intrapsychischen Konflikte der gespielten Rollen in der Theatertherapie kaum reflektiert werden. Stattdessen bietet sie Möglichkeiten, die eigenen Persönlichkeitsanteile zu entdecken und sie unmittelbarer auszudrücken. Theatertherapie orientiert sich an folgenden Prinzipien: – Handlungsorientierung, da sie hauptsächlich mit spontanen Aktionen aus Elementen des Theaters (Musik, Licht, Kostüme, Texte Rollenfiguren etc.) arbeitet; – künstlerisch-kreatives Vorgehen, da sie die Klienten aus vorher festgelegten Handlungsabfolgen entbinden möchte; – Ressourcenorientierung und Interesse an aktuellen Kontexten; – Heilung durch Phantasie, da alle Handlungsentwürfe anerkannt und die Grenzen des rationalen Verstehens überwunden werden. Szenische Körperarbeit Eine Coachingpartnerin kam übermüdet ins Coaching, sie lebte gerade in Trennung von ihrem Mann und im Vordergrund dieser Sitzung stand ihre Ratlosigkeit hinsichtlich des Verhaltens ihres vierjährigen Sohnes. Dieser will abends nicht schlafen gehen und »verhandelt« immer, bis die Mutter erschöpft nachgibt. Das Standhaftbleiben fiel ihr schwer und sie kippte ab einem gewissen Punkt stets innerlich um. Spontan entstand die Intervention im Coaching, die Situation einmal durchzuspielen, wie sie sie gern hätte. Sie stellte sich hin und war sofort »gefangen« in der aktuellen Situation, sie kam auf keine andere Idee als mit dem Jungen zu verhandeln, wobei sie dazu tendierte, nachzugeben. Der Coach probierte verschiedene Sätze und Körperhaltungen mit ihr aus, zum Beispiel mit dem Rücken an die Wand stellen (Stärke im Rücken haben) und mit tiefer, ruhiger Stimme sagen: »Ich ver-
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stehe gut, dass du noch spielen möchtest, und ich möchte dennoch, dass du jetzt ins Bett gehst.« Die Coachingpartnerin probierte noch weitere Varianten aus, bis sie eine gefunden hat, von der sie sich vorstellen konnte, sie zu versuchen.
Individuelle Sehnsüchte, tiefe Gefühle, schmerzhafte Erlebnisse, geheime Wünsche und Bedürfnisse können durch das Theaterspiel erfahrbar gemacht werden. Im Einzelsetting und im Gruppencoaching kann darüber hinaus Beziehungsfähigkeit und das Zusammenspiel mit anderen frei von sozialen Zwängen geübt werden. Der Coach unterstützt die Anwendung von Metaphern und Bildern, den Einsatz von Humor und er erkennt – anders als im Schauspielunterricht – die inszenierte Geschichte an. Er kann sie unter anderem gemeinsam mit dem Coachingpartner mit Blick auf eine Umsetzung im Alltag besprechen: Wie inszeniert der Klient oder das Team seine Muster? Welches Drehbuch gibt es? Wie lautet das Stück? Welche Rollen und Figuren sind vertreten? Wie könnten sie umgeschrieben werden? Körperarbeit und Techniken, die auf denselben Prinzipien aufbauen (z. B. die »Statuenarbeit«, die mit Körper-Stand-Bildern arbeitet), enthält auch das »Theater der Unterdrückten«, das auf den vor wenigen Jahren verstorbenen Brasilianer Augusto Boal (1979) zurückgeht. Von den Beteiligten wird für das »Forumtheater« als Momentaufnahme eines gesellschaftlichen Machtverhältnisses eine Situation ausgewählt und diese Alltagsszene mehrfach durchgespielt. Beide Coachingpartner oder, in einem Gruppencoaching, die anderen Gruppenmitglieder, sind aufgerufen, sich nacheinander an die Stelle einzelner Figuren in das Bild oder die Szene zu begeben und deren Part zu erleben oder zu verändern. Die Diskussion im anschließenden Rollenfeedback kreist um Wahrnehmung, schuldhafte Anteile der Beteiligten (in Form der Zuschreibung von Opfern und Tätern), sucht mittels eigener Erklärungsansätze und Diskriminierungstheorien nach Ursachen für Verhaltensweisen und erörtert die vorgeschlagenen Handlungsstrategien zur Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Strukturen im Rahmen der Optionen jedes Einzelnen. Theater der Unterdrückten Eine Coachingpartnerin, die aus dem Iran nach Deutschland eingewandert war, war eigentlich Lehrerin, konnte jedoch aufgrund der Nichtanerkennung ihrer Abschlüsse in Deutschland nicht in ihrem Beruf arbeiten. Sie jobbte in einer Kita und im Coaching spielten neben dem Statusverlust die alltäglichen Diskriminierungen eine dominierende Rolle. Sie litt unter den zahlreichen Kommentaren ihre deutschen Kolleginnen. Wenn sie beispielsweise Tee trank, so machten die Kolleginnen immer wieder Bemerkungen wie »Wie kann man nur so viel Zucker in den Tee machen« oder »Igitt, also ich könnte keine Milch im Tee trinken«, »Ach so, einen Teebeutel für die Extrawurst bitte, wir trinken ja alle Kaffee« und Ähnliches. Sie war erstaunt, dass die Kommentare nie unterblieben, und es schmerzte sie, im-
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mer wieder auf ihr »anderes« Verhalten angesprochen zu werden, wütend war sie außerdem. Bislang hatte sie nichts gesagt und wollte mit der Situation besser umgehen lernen. Der Coach ermutigte sie, einmal verschiedene Reaktionen auszuprobieren und machte auch selbst »ver-rückte« Vorschläge. Sie sang eine Zeile aus einem Rocksong als Reaktion, erfand absurde Sprichworte als Entgegnung und ermutigte die Coachingpartnerin auch, ihre Gefühle in unzensierten Reaktionen auszudrücken. Diese hatte zunächst eine große Freude daran, den Spieß einmal umzudrehen und ihrerseits Verhaltensweisen der Kollegen »merkwürdig« zu finden. Sie erlaubte sich nach einiger Ermutigung, Tee in den Kaffee der (imagnierten) Kollegin zu gießen oder eine halbe Dose Zucker mit einem provozierenden »probier mal« dazuzuschütten. Schließlich entspannte sie sich, wenn der Coach die Bemerkungen der Kolleginnen wiederholte. In der nächsten Coachingsitzung berichtet die Coachingpartnerin, dass sie zunächst nichts gesagt hatte als es wieder Bemerkungen gab, jedoch immer innerlich lachen musste, wenn sie sich eine der möglichen Reaktion vorstellte. Eines Tages entschied sie sich zu sagen: »Ich möchte keine Bemerkungen mehr über meine Art des Teetrinkens hören, ich kommentiere ja auch nicht, dass ihr Kaffee trinkt.«
Auch im Zweiersetting des Einzelcoachings kann man den Coachingpartner auffordern, in dem Handlungs- und Beziehungskontext, auf den sich sein Problem bezieht, den Part eines bestimmten Gegenstandes oder einer Person zu übernehmen und in eine erfundene oder reale Rolle zu schlüpfen. Sodann wird der Coachingpartner in den verschiedenen Rollen zum Sprechen animiert, um die verschiedenen Sichtweisen zu erklären. Beim Bewegen und Spielen können verschiedene Perspektiven eingenommen und Handlungsalternativen erprobt werden, kurz: Die Welt kann als veränderbar erlebt werden. Das Formulieren von Fragen zur Exploration dieser Rolle(n) oder des Gegenstands beginnt zunächst der Coach und er übergibt dann an den Coachingpartner, der dadurch möglicherweise angeregt wird, die Perspektive zu wechseln. Diese aus dem Improvisationstheater stammende Übung kann in vielfältiger Weise ausgedehnt werden, indem auch Körperempfindungen abgefragt und Haltungen geändert werden. Ziel ist es, spielerisch Szenarien körperlich auszuprobieren, um zum Beispiel zu Entscheidungen zu kommen oder Dilemmata aufzulösen. Gemäß der Maxime »Suchen statt Zuschreiben« (Kalpaka u. Wilkening, 1997, S. 16) geht es um die Erweiterung von Deutungs- und Handlungsspielräumen im Bewusstsein struktureller Machtverhältnisse, um die Erzeugung einer »konstruktiven Verunsicherung« (Lange u. Weber-Becker, 1997, S. 186). Der Ansatz verfolgt das Ziel, dass die Beteiligten lernen, in Widersprüchen zu denken und in Macht-Ohnmacht-Konstellationen bewusst zu handeln, und er eignet sich damit vor allem für den Einsatz im transkulturellen Kontext. Kritische Würdigung: Indem spontanes und flexibles Verhalten geübt werden kann, eignen sich diese Methoden gut für die kulturreflexive Arbeit. Zudem
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können leicht Bezüge zu den unterschiedlichen Theaterstilen und -traditionen hergestellt werden, was die Identifikation mit den Methoden erleichtert. Durch Methoden der Theatertherapie wird das Erproben von anderen Lebensformen und Identitäten ermöglicht und man kann sich die eigene Begrenztheit und seine persönlichen und fremde Erwartungen bewusst machen. Mit ihrer Hilfe lassen sich in einer kreativen Auseinandersetzung Vorurteile und Klischees aufdecken, und durch das Einnehmen anderer Rollen können die Coachingpartner zugleich die Perspektiven wechseln. Methoden wie Verfremdung und Übertreibung ermöglichen dank des Theaterformats ohne Abwertung einen spielerischen Umgang mit konfliktgeladenen Themen. Positiv sind die Nähe zum eigenen Erleben und die Einbeziehung vor- und nichtsprachlicher Ausdrücke und Zusammenhänge über Statuentheater und Spiel. Die Wahrnehmung verschiedener Perspektiven wird ebenso berücksichtigt wie die Differenzen zwischen objektiver und subjektiver Ebene. Dieses erfahrungsbezogene situative Lernen geht durch aktives Durchspielen von Alternativen über kognitive Aneignungsformen hinaus und weitet über Probehandlungen den Erfahrungsraum aus. Die Wirkungen sind nachhaltig. Allerdings besteht auch das Risiko, dass unbewusste Konflikte in einer Rolle zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus benötigt der Coach auch Wissen über die Formen des Theaters in der Tradition des jeweiligen Kulturkreises. So werden beispielsweise im japanischen Theater (No, Kabuki) meist traditionelle Themen aus der japanischen Mythologie aufgegriffen und mit äußerst stilisierten Gebärden und wenigen Grundschritten und -figuren des Tanzes dargestellt. Der Begriff des Theaters, wie auch das Ziel der Theatertherapie, sich in einem geschützten Rahmen erleben und ausprobieren zu können, sind also unter Umständen unterschiedlich konnotiert. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Methode Befangenheit auslösen kann und es möglicherweise nicht der Zielvorstellung eines jeden Coachingpartners entspricht, aus seinem »Lebensskript« zu entkommen, um sein eigenes Drehbuch zu schreiben.
Szenische Darstellung aus dem Psychodrama Psychodrama ist weder Theatertherapie noch Rollenspiel, auch wenn es Gemeinsamkeiten bei den Bezeichnungen und Metaphern der Methoden gibt. Im Unterschied zur Orientierung auf das »äußere« Verhalten von Dramatherapie und Rollenspiel, bei dem Personen Skripts erhalten, wird in den szenischen Darstellungen des Psychodrama gezielt das innere Erleben des Klienten dargestellt. Inszeniert und handelnd erlebt werden insbesonders zurückliegende oder aktuelle Konflikte – so erschließt sich auch der Name des Ansatzes aus den beiden griechischen Begriffen »Psyche« (Seele) und »Drama« (Handlung). Der Begründer des Psychodrama, der österreichische Arzt Jakob Levy Moreno, entwickelte eine handlungsorientierte Alternative zur Psychoanalyse, die vor allem als gruppentherapeutische Methode angelegt wurde, aber auch im Einzelset-
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ting eingesetzt werden kann. Moreno ging es um die (gesamte) innere Welt des Klienten (Surplus Reality), die szenisch simuliert und erlebt und dadurch verändert werden kann. In dieser Realität können sich Vergangenheit und Zukunft, Realität und Phantasie kreativ mischen. Um Lösungen zu finden, werden immaterielle bedeutungstragende Elemente (z. B. das Gewissen, die Furcht) in einem materiellen Arrangement (Personen, die ihnen eine Stimme geben oder Objekte, die sie repräsentieren) über eine dramatische Entäußerung exploriert. Die psychodramatische Arbeit basiert auf folgenden Prinzipien: – Kreativität: »Order is death«, meinte Moreno, die freie Entfaltung der Kreativität ist die Bedingung für Gesundheit und Entwicklung. – Soziales Atom: Den Menschen gibt es nur in Verbindung mit anderen, er braucht ein individuelles Beziehungsgefüge, um zu leben. – Drama als Prinzip: umfassende Verwirklichung der Psyche durch Handlung, Darstellung und Produktion (nicht nur Analyse). – Surplus-Realität als Wahrheit: Die gesamte innere, also auch die imaginierte Realität, die auch Wünsche an die Zukunft, Phantasien, Mythen und Träume enthält, sind ebenso Teil des inneren Erlebens des Protagonisten wie die reale Welt und sie ist die eigentlich schöpferische Kraft. – Als-ob-Spontaneität: ist die spielerische Basis (jenseits des Realitätsprinzips) und Inspirationsquelle für Veränderungen, diese Kraft ist für Moreno gemeinsam mit der Kreativität die schöpferische universelle, aber oft gehemmte Kraft des Menschen – Integration: Lösungen entstehen durch Erinnern, Wiederholen, Verändern und Wiederverbindung. Bekannte Methoden aus dem Psychodrama sind Soziometrie (Erfassung von Beziehungen über eine äußere Darstellung wie eine Skizze oder Objekte bzw. Subjekte im Raum), Symboltechniken (Darstellungen über Objekte), Rollenspiel, Rollentausch (Übernahme der Perspektive des Antagonisten des Klienten) und Vignetten (Arbeit mit einer einzelnen zeitlich begrenzten Szene). Als Techniken haben sich auch außerhalb des Psychodrama insbesondere Sharing (Teilen und Anteilnehmen an Erlebnissen), Doppeln (Aussprechen der über Einfühlung aufgenommenen, aber nicht bewussten oder ausgedrückten Erlebnisse als »HilfsIch«), Spiegeln (Darstellung des Klienten durch eine andere Person, der auf sich dann als Zuschauer blicken kann) und Rollenfeedback (Rückmeldung an den Klienten, wie man sich als Hilfs-Ich in der Rolle gefühlt hat) etabliert. Monodrama Beim Monodrama werden alle Rollen von dem Coachingpartner über einen ständigen Wechsel selbst gespielt. Beispielsweise kann man bei einer Klientin, welche ein »schlechtes Gewissen« hat, dieses als Einzelstimme darstellen lassen und mit ihm verhandeln (lassen). Das sogenannte »schlechte Gewissen« schaltete sich bei
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einer italienischen Coachingpartnerin und alleinerziehenden Mutter ein, als sie überlegte, mit ihrem Kind in eine von ihrem Elternhaus etwas entferntere Großstadt zu ziehen, um den weiten Weg zur neuen Arbeitsstelle zu reduzieren. Die Stimme des Gewissens wurde beschrieben als Mahnung, den Eltern den Enkel nicht vorzuenthalten, eine gute Tochter und dankbar zu sein sowie nach den Eltern zu schauen usw. Der Coach stellte in diesem Fall einen eigenen Stuhl für das Gewissen dazu und bat die Coachingpartnerin, darauf Platz zu nehmen. Zunächst wurde das »gute Gewissen von Frau S.« wertschätzend und wie eine Person begrüßt und ihm berichtet, was das Anliegen von Frau S. sei. Dieses Vorgehen hilft der Klientin, sich ganz in den Ich-Anteil einzufühlen, ihn nicht abzuwehren, sondern zuzulassen. Derart befragt, äußerte Frau S. als »das Gewissen« Bedenken und gute Absichten und auch seine Forderungen an die Coachingpartnerin. Nach Abschluss des Gesprächs mit dem Gewissen nahm diese wieder auf dem Ausgangsstuhl Platz und wurde informiert über die Aussagen des Gewissens, als sei sie nicht dabei gewesen. Meist melden sich im Verlauf noch weitere Stimmen von Ich-Anteilen, in diesem Fall die Wut über die Forderungen des Gewissens, die dann ebenfalls als eigener Stuhl dargestellt und von der Klientin verkörpert wurde. Im Wechselspiel und mit Hilfe von Interaktionen sowie Verhandlungen zwischen Wut (»ich möchte mein eigenes Leben leben«), Gewissen (»die Eltern haben viel für dich getan und brauchen dich jetzt«) und eigener Ausgangsposition (»Wie gehe ich damit um, dass ich einerseits umziehen möchte, andererseits ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Eltern habe?«), entstand eine integrierte Lösung. Die Coachingpartnerin holte plötzlich selbst einen weiteren Stuhl hinzu und nannte ihn »Versuch«. Sie moderierte und verhandelte zwischen dem Gewissen (dem sie einen Umzug abrang mit der Bedingung, die Eltern zwei Mal im Monat am Wochenende zu besuchen), der Wut (von der sie sich Zeit geben ließ, alles in Ruhe zu planen und zu kommunizieren), ihrer Ausgangsposition (von der »Hilflosen«, die sich nicht entscheiden konnte, ließ sie sich ein halbes Jahr zum Ausprobieren geben) und integrierte alles in einen »Versuch«.
Szenische Arbeit mit Objekten Als Symbole können im Psychodrama alle Objekte dienen, die sich ohnehin im Raum befinden oder auch immaterielle und imaginierte Objekte: »Wenn die Kommunikation in unserem Team ein Film wäre, hieße er …«. Wer gern psychodramatische Methoden im Coaching einsetzt, hat meist einen Koffer voller Dinge, welche die Phantasie anregen können. In unserem Koffer sind über Jahre angesammelte Seile, kleine Figuren, Spiegel, Steine, Murmeln, Federn, Setzkastenobjekte wie Mini-Telefone, Stoffblüten, Gürtelschnallen und Objekte, deren Ursprung man nicht mehr zuordnen kann. Bei der Sammlung haben wir darauf geachtet, dass die Bedeutung durch die Objekte und insbesondere durch die Figuren nicht zu stark vorgegeben wird, sondern diese mannigfaltigen Zusammenhängen Ausdruck verleihen können. Vor allem bei starker emotionaler Betroffenheit, Sprach-
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losigkeit oder Unübersichtlichkeit und hoher Komplexität ist die Veräußerlichung und Darstellung einer Situation über Symbole entlastend. Ein sogenannter International Commuter, ein Mitarbeiter, der im Ausland arbeitete und pendelte, also in gewissen Abständen nach Hause zur Familie zurückkehrte, fühlte sich zunehmend zerrissen. Im Coaching wollte er Wege finden, wie er die gefühlt und real auseinanderliegenden Welten stärker zusammenführen kann. Zunächst stutzte er über den Methodenvorschlag, sein Erleben symbolisch darzustellen, machte sich dann aber zunehmend angeregt über den Koffer mit den Objekten her und legte ein Bild auf den Boden im Raum. Gebeten worden war er, alles hinzulegen, was ihn beschäftigte und wichtig erschien, also nicht nur Menschen und Orte, sondern weitere Einflussfaktoren oder auch Gefühle. Sein Bild bestand aus zwei Teilen, zwei Welten mit einem großen Abstand zwischen den Teilen, ganz, wie er auch sein Erleben geschildert hatte. Die Klienten erleben es in der Regel als hilfreich und beruhigend, wenn erst einmal alles in der Übersicht zu sehen ist, was sie innerlich beschäftigt; es hilft ihnen, Distanz zu gewinnen, das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden sowie ein Gefühl von Veränderbarkeit zu entwickeln. Es gibt im Anschluss daran verschiedene Formen, mit solch einem gelegten Bild umzugehen, man kann es gemeinsam interpretieren, die Relationen erspüren und Perspektiven einnehmen sowie weitere bislang nicht erkannte Bedeutungen auffinden. Über das Hinzunehmen weiterer Objekte (Ressourcen), spielerisches Umlegen und Ausprobieren können Lösungen erschlossen werden. Im genannten Beispiel legte der Coachingpartner eine Linie aus Objekten zwischen die beiden Welten, sodass sie stärker verbunden waren. Die Symbole standen für einzelne Lösungsschritte, die er sich überlegte oder im Ausprobieren gefunden hatte wie zum Beispiel verändertes Reiseverhalten (feste, selbstbestimmte Pendelrhythmen). Darüber hinaus tauschte er Objekte aus der einen mit denen der anderen Lebenswelt aus, sodass sie einander wechselseitig mehr »enthielten«, dazu gehörten Wandbilder und Kunstobjekte aus dem Ausland in der gemeinsamen Wohnung in Deutschland und sein Lieblingssessel sollte aus Deutschland in die Wohnung ins Ausland gebracht werden. Zuvor hatte er sich solche Transporte aus Kostengründen verkniffen, aber im Zuge des Wohlbefindens und der Integration der Welten, erhielt diese Investition eine andere Bedeutung.
Kritische Würdigung: Für die kulturreflexive Arbeit bietet das Psychodrama enorme Vorteile. Das Arbeiten mit Symbolen (ohne Sprache) und Objekten, denen eine eigene Bedeutung zugewiesen wird, ist von vornherein kulturreflexiv und bietet Klienten eine kreative und phantasievolle Ausdrucksmöglichkeit, insbesondere, wenn sie mit bildhaften Muttersprachen aufgewachsen sind. Integrationsarbeit, Perspektivenwechsel, Perspektivenvervielfältigung sowie alle Ausdrucksmöglichkeiten, die im Rollentausch des Monodramas gegeben sind, unterstützen die Arbeit am Zusammenhalt hybrider Identitäten und tragen zu kreativen Konfliktlösungen bei.
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Es liegt an der geringen Kommerzialisierung, dass Psychodrama vielen Fachleuten nur oberflächlich bekannt ist; zudem ist sie schwerer zu erlernen als andere Methoden (Migge, 2007, S. 222). Psychodramatische Arbeit rückt dem Coachingpartner sehr nah, legt sein Inneres nach außen und ist daher mit großer Einfühlung vorzuschlagen und mit Achtsamkeit durchzuführen. Je nach kulturellem Hintergrund des Klienten und natürlich persönlicher Präferenz können ihm einzelne Methoden zu verspielt, abwegig oder »kindisch« vorkommen. Andererseits ist das Setzen der inneren Konflikte in einen spielerischen oder verfremdeten Kontext wie den eines Märchens, eines Comics oder einer anderen Phantasiewelt extrem ressourcenfördernd. Die Effekte der Methode verblüffen die Coachingpartner häufig und die entstehenden und erlebten Lösungen haben eine große Nachhaltigkeit.
Skulpturarbeit Die Skulpturarbeit beruht auf Virginia Satirs familientherapeutischer Arbeit und wird auch »sculpting« oder »szenische Darstellung« genannt. Hierbei geht es nicht um innere Konflikte verschiedener Ich-Anteile wie beim Psychodrama, das ebenfalls die räumliche Darstellung kennt, sondern um Verflüssigung von Mustern zwischen den Beteiligten. Satir ging davon aus, dass kein Mensch isoliert existieren kann und sich im Laufe seines Lebens stets weiterentwickeln und verändern kann. In Familien finden tagtäglich unterschiedliche Prozesse statt, und durch Skulpturarbeit werden diese sichtbar, sodass konstruktive Lösungen gefunden werden können. Eine Skulptur ist – aus der Kunst kommend – die passende Metapher für das praktische Vorgehen. Es ist eine statische Darstellung des inneren Bildes: Die Familie wird so im Raum aufgestellt, wie der Klient sie im Moment sieht. Indem der Klient zur Repräsentation befragt wird oder durch das Einnehmen von anderen Perspektiven werden Gefühle und Verbindungen offen gelegt. Somit wird alles, was in der jeweiligen Beziehung passiert, auch körperlich fühl- und erfahrbar. Die Übertragung auf die körperliche Ebene erleichtert es, mögliche Veränderungen zu erkennen und damit auszuprobieren. Durch Veränderungen der Position kommen die Team- oder Familienmitglieder miteinander »ins Gespräch« und in dieser »Dekonstruktion« werden zum Beispiel unbewusste Regeln erkannt, in Frage gestellt, verworfen und neu konstruiert. Dadurch entstehen Lösungen bzw. Lösungsbilder, die durch das sichtbare Erleben eine besonders tiefe Wirkung auf den Klienten haben. Prinzipien der Skulpturarbeit sind: – Innenwelten sind nicht gegeben, sondern Wirklichkeitskonstruktionen. – Innenwelten sind darstellbar und visualisierbar. – Wahrnehmungen sind bezogen (je nach Position bezieht sich die Wahrnehmung in einem definierten Raum auf andere Positionen). – Bewegung initiiert Bewegung.
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– Alle Beteiligten sind gleichberechtigt. – Menschen haben gute Absichten (auch wenn diese sich destruktiv äußern). Skulpturarbeit Ein Coachingpartner, der zum Ziel hatte, sich auf eine neue Stelle zu bewerben, hatte Schwierigkeiten mit seiner Aufregung vor einem Bewerbungsgespräch. Allein die Vorstellung löste in ihm förmlich »Lampenfieber« aus. Die Situation wurde räumlich auf- bzw. vorgestellt: Tisch, Stühle, die Imagination eines Personalverantwortlichen. Der Coachingpartner näherte sich dem Tisch und überprüfte Millimeter für Millimeter, wo die Aufregung für ihn begann und wie sich sein körperliches Empfinden änderte. Damit wurde der »Trigger« herausgefunden. Je näher er dem Personalverantwortlichen kam, desto heftiger wurde die Aufregung. Er brauchte offensichtlich eine bestimmte Distanz, um bei sich bleiben zu können. Mit Hilfe der verkörperten Darstellung seiner Gefühle konnte das Herzklopfen reduziert werden, das mit dem Lampenfieber verbunden war. Dazu stellte er sich in dem Gefühl des Lampenfiebers exakt an der Stelle, an der es am heftigsten auftrat, und begann, einzelne Körperteile zu bewegen, zu atmen und auch die Position im Raum zu ändern. So wich das Herzklopfen langsam und der Coachingpartner kam in Bewegung. Diese »Übung« wiederholten die Coachingpartner zwei bis drei Mal, immer mit einer bewussten »Überschreitung« der Grenze, verbunden mit der Körperhaltung, die zuvor herausgearbeitet worden war. Damit hatte er wieder etwas mehr Wahlfreiheit erlangt.
Skulpturen repräsentieren nicht die Wahrheit, sondern lediglich die Sichtweisen desjenigen, der sie zusammenstellt. Skulpturarbeit im Coaching als Methode anzubieten, kann zum Beispiel dann sinnvoll sein, wenn der Coachingpartner Schwierigkeiten hat, verschiedene Perspektiven einzunehmen oder sich mit Argumenten und Themen im Kreise dreht. Der Coach kann ihn dann auffordern, die Situation im Raum darzustellen und sich in einem von ihm selbst gewählten Abstand zu den möglicherweise »schwierigen Personen« hinzustellen. Distanzen, Widerstände und Ablehnung können hierbei auch indirekt verbalisiert werden. Kritische Würdigung: Die Arbeit mit Skulpturen bietet im kulturreflexiven Coaching einen großen Vorteil gegenüber Verfahren, die ausschließlich mit der Sprache arbeiten. Durch Bewegungen im Raum, körperliche Wahrnehmungen und den Ausdruck von Emotionen und Positionen können Erkenntnisse gewonnen und Lösungen erarbeitet werden. Gerade in Anbetracht der unterschiedlichen gesellschaftlichen Familien- und Hierarchiesysteme weltweit ist dieser Ansatz hilfreich, weil er keine normativen Vorgaben zu Rollen, Verbindungen und Verhalten macht. Der Ansatz ist wertneutral, der Klient findet seine eigene, für das System passende Lösung. Als Vorläufer der Aufstellungsarbeit ist die Skulpturarbeit unersetzlich. Für den Therapeuten bzw. Coach, der speziell ausgebildet sein muss, ergeben sich
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allerdings besondere Anforderungen im Hinblick auf den flexiblen, kreativen und dabei – bezüglich der eingenommenen Perspektive – zugleich disziplinierten Umgang mit dieser Methode: Es gibt dafür keinen Fahrplan, keine Rezepte, und er muss sich – wie so häufig in der transkulturellen Arbeit – permanent kultursensitiv verhalten und reflektieren. Je nachdem, wie emotional das Thema beim Coachingpartner besetzt ist, kann es passieren, dass er unter starke emotionale Spannungen kommt, die darauf beruhen, dass er in alte belastende Konstellation oder Szene wie ein Zuschauer oder Darsteller im Theater zurückgeführt wird und innerlich die zur kritischen Situation gehörigen Reaktionen erneut erlebt. Dies verlässt im Hinblick auf die gewohnte Arbeitstiefe möglicherweise den Kontrakt des Coachings und ist nicht immer zielführend. Die Skulpturarbeit benötigt, wie jegliche Aufstellungsarbeit, methodische Ausbildung und Sicherheit. Zudem ist zu bedenken, dass diese Technik körpersprachlich »überführend« wirken kann, da eine rein sachliche Betrachtung und damit die Rationalisierung umgangen wird.
Aufstellungsarbeit In Systemaufstellungen werden über Körperarbeit mit Stellvertretern relevante Beziehungssysteme des Klienten sichtbar gemacht. »Dabei sind vor allem Körpersignale wegweisend – Aufstellungen sind eine Form sehr sorgsamer Körpertherapie«.6 Aufstellungsarbeit ist eine Methode, die aus der Tradition der systemischen Familientherapie entwickelt wurde, und auch das Psychodrama beansprucht, hier Geburtshelfer gewesen zu sein. Oft wird sie auf die »Familienaufstellung« nach Bert Hellinger (1996) reduziert und auch so genannt, obwohl dies nur eine Spielart der Arbeitsmöglichkeiten darstellt. Es gibt verschiedene Ansätze und Strömungen innerhalb der Aufstellungsarbeit und Einflüsse auf sie, wie zum Beispiel die Skulpturen im Rahmen der Familientherapie nach Virginia Satir (Baldwin u. Satir, 1999) oder die Richtung der »Systemischen Strukturaufstellungen« (Sparrer, 2002; Sparrer u. Varga von Kibéd, 2003), die ihre Wurzeln in der Hypnotherapie sowie einer systemisch-konstruktivistischen Grundhaltung haben. Häufig wird Aufstellungsarbeit entweder phänomenologisch oder konstruktivistisch verstanden. Vertreter der ersten Richtung gehen davon aus, dass sich Wahrheit, Eigenschaften oder Verbindungen »zeigen«, die Anhänger der konstruktivistischen Sichtweise gehen eher von relationalen Wahrnehmungen und Veränderungen aus. Letztlich enthält jedoch jegliche Aufstellungsarbeit beide Aspekte: Probleme werden rekonstruiert (entdeckt und erfahren), das heißt, Phänomene zeigen sich, dekonstruiert (unbewusste Übertragungsmuster werden aufgedeckt und Zusammenhänge sichtbar gemacht) und Lösungen werden konstruiert (gefunden, erfunden oder gestaltet). 6
Siehe dazu auch Albrecht Mahr, Zugriff am 31.01.2012 unter www.mahrsysteme.de/viergrundlagen-fuer-die-arbeit-mit-aufstellungen.html.
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Ziel aller Aufstellungsarbeit ist, unbewusste oder verborgene Elemente des problem- und lösungsrelevanten Systems der Klienten äußerlich sichtbar zu machen und Lösungsschritte zu entwickeln. Etwas emphatisch gesprochen könnte man sagen, aus blinder Verstrickung soll sehende Verbindung werden. Dies kann verdeckt (ohne vorherige Informationen) oder offen (mit einem informationsgebenden Vorgespräch) erfolgen. Im letzteren und häufigeren Fall klärt der Aufstellungsleiter in einem Vorgespräch das Anliegen und wählt gemeinsam mit dem Klienten diejenigen Personen oder auch Themen aus, die mit Stellvertretern oder Objekten, Bodenankern oder Figuren repräsentiert werden sollen. Aufstellen kann man konkrete Menschen (den Teamleiter, die Mitarbeiterin) oder auch Abstrakta (das Unternehmensziel, den Fleiß etc.). Durch räumliche Anordnung von repräsentierenden Personen und Symbolen entsteht ein dreidimensionales lebendiges Bild, das Einsichten in die Strukturdynamik, Wirkkräfte und Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Wer als Stellvertreter eine Person oder ein Prinzip repräsentiert, erlebt in der Stellvertretung sogenannte »stellvertretende Wahrnehmungen«. Unter stellvertretender Wahrnehmung versteht man zunächst einmal eine grundsätzliche menschliche Fähigkeit, Erfahrungen anderer Menschen nachvollziehen zu können und gleichsam zu fühlen, wie man sie auch durch die Wirkung von Spiegelneuronen oder in Übertragungskontexten erleben kann. Aufgestellt im »Feld« eines Klientensystems, nehmen die ausgewählten Repräsentanten über ihren Körper Gefühle, Stimmungen, Verbindungen im Bezug auf andere wahr, die sie benennen können. Diese Wahrnehmungen sind das zentrale Arbeitsmittel von Aufstellungen. Veränderung geschieht dabei vor allem durch Erfahrung im Erleben des Aufstellungsprozesses. Bei dieser Arbeit stellt der Klient seine Sichtweise auf das Problem auf, arbeitet gemeinsam mit dem Aufstellungsleiter aus verschiedenen Perspektiven daran, stellt um, neu auf usw. Das dadurch entstehende Lösungsbild stellt nur eine Möglichkeit zur Lösung des Problems dar, je nach Perspektive können sich auch andere Lösungen eignen. Maßstab ist das Anliegen und Erleben des Klienten sowie die Verbesserung des Wohlbefindens aller beteiligten Repräsentanten. Gleich, um welche Aufstellungsrichtung es sich handelt, die folgenden Grundannahmen sind den verschiedenen seriös arbeitenden Strömungen gemeinsam, da sie sich unter anderem auf Prinzipien der Systemtheorie und des Systemerhalts stützen: – Orientierung am Anliegen: klare, ethisch vertretbare realistische Kontrakte, Auftragsklärung und Arbeit mit einem eigenen und zentralen Anliegen des Klienten; – Anerkennen, was ist: Würdigung der (konstruierten) Wirklichkeit (Prinzip der Nichtleugnung), vorurteilsloses, nichtzensierendes Akzeptieren aller Phänomene durch die Stellvertreter und den Leiter; – Zugehörigkeitsprinzip: Recht auf Gleichwertigkeit und Dazugehören im
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Bezugssystem (Familie, Organisation), unabhängig von der moralischen Leistung und ungeachtet dessen, ob die Person noch lebt; die Unveräußerlichkeit des eigenen Schicksals (keiner kann Lasten eines anderen tragen); Anciennitätsprinzip: im System hat das Frühere Vorrang vor dem Späteren (in zeitlicher Reihenfolge); Ausgleichsprinzip: Regelung des Energieflusses von Geben und Nehmen; Unterscheidungen von Systemen: Beachtung von Kontextvermischungen (»Doppelbelichtung«), zum Beispiel Reaktionen auf die Chefin wie auf die Mutter; offene Lösungssuche in einer Wechselwirkung von Feldhinweisen und Hypothesen in Zyklen und Auffinden einer Lösung, bei der alle gewinnen (also die Stellvertreter sich besser fühlen).
Darüber hinaus gibt es aufgrund der vielfachen Kritik an der Aufstellungsarbeit Mindestprinzipien ihres Einsatzes:7 – Die Allparteilichkeit gegenüber allen Personen und Ideen muss gewährleistet sein. – Ziel ist die Erhöhung der Wahlmöglichkeiten des Klienten. – Der Klient ist der Experte seiner Lösung. – Aufstellungsarbeit benötigt die Einbettung in einen Begleitprozess und bildet darin einen (kleineren) Bestandteil. – Die Methodik wird innerhalb eines breiten wissenschaftlichen Diskurses von Fachleuten im Rahmen des systemischen Ansatzes weiterentwickelt. – Die durchführenden Aufsteller benötigen eine fundierte systemische Ausbildung und viel Praxiserfahrung. Sie sollten sich für die Qualitätssicherung der Methode durch Fortbildung und Praxisevaluation einsetzen. Es gibt eine Vielzahl an Aufstellungsarten, die sich inzwischen entwickelt haben, hier soll vor allem die Arbeit im Einzelsetting angesprochen werden. Bei der Aufstellungsarbeit assoziiert man häufig allein das Arbeiten mit Stellvertretern in Gruppen. Doch auch im Coaching lassen sich über die Arbeit mit Bodenankern oder Objekten (Kissen, Figuren, Systembrett) Aufstellungen sehr gut zur Ermittlung von Zusammenhängen, Erweiterung von Perspektiven und dem Auffinden oder Stärken von Lösungsansätzen einsetzen.
7
Sie wurden hier in Anlehnung an die Stellungnahme des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie, DGSF) 2003 formuliert (Zugriff am 02. 01. 2012 unter http://www.dgsf.org/themen/berufspolitik/hellinger.htm)
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Verdeckte Aufstellung Das Anliegen des Coachingpartners mit Migrationshintergrund betraf eine grundsätzliche Entscheidungssituation. Er hatte auf Wunsch seines Vaters, eines Arbeiters aus dem ehemaligen Jugoslawien, der nach Deutschland migriert war, Kommunikationstechnologie studiert und in einem großen Chemieunternehmen schon viele Jahre eine sehr gut dotierte Stelle inne. Inzwischen war er Mitte Dreißig, verheiratet mit einer Deutschen, hatte zwei Töchter und war chronisch unzufrieden. Der Inhalt seiner Arbeit machte ihm keine Freude, jeden Tag sehnte er den Feierabend herbei. Andererseits genoss er das gute Gehalt, die Sicherheit und Sorglosigkeit, die mit der sicheren Stelle verbunden war. Dennoch war er am Überlegen, ob er sich umorientieren solle, seine Frau bestärkte ihn in dem Gedanken, seinen Eltern hatte er noch nichts davon erzählt. Als er das Coaching begann, hatte er schon über Alternativen nachgedacht und brachte Ideen mit. Eine Möglichkeit der Veränderung sah er darin, sich innerhalb des Konzerns, in dem er arbeitete, in der Position zu verändern. Eine weitere Idee war, sich mit einer spezifischen Beratung selbständig zu machen, um mehr mit Menschen zu tun zu haben. Aber er hatte auch überlegt, eine völlig neue Richtung einzuschlagen, jenseits von Studium und Abschluss. Genussmensch, der er war, schwebte ihm eine Ausbildung zum Sommelier vor oder die Eröffnung einer Chocolaterie. Lebhaft konnte er sich die Kommentare seiner Eltern und vor allem seines Vaters vorstellen ob seiner »abstrusen« Ideen und gerade bei den letzten beiden wurde er selbst unsicher und skeptisch, ob das wirklich mehr als eine verrückte Idee und Ausbruchsphantasie war. Da er unsicher war, welche der Alternativen sich für ihn wie anfühlten, arbeitete der Coach verdeckt mit Bodenankern. Auf den einfachen farbigen DINA4-Blättern stand K für eine neue Stelle im Konzern, B für Berater und Selbständigkeit, L für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit Lebensmitteln und auf ein viertes Blatt wurde ein Fragezeichen in die Mitte gezeichnet, es repräsentierte eine Idee oder ein Thema, das – sollte es relevant werden – noch gefunden werden müsste. Alle Blätter hatten dieselbe Farbe und wurden gemischt und verdeckt hingelegt, sodass weder Coach noch Coachingpartner wussten, welches Feld was repräsentierte. Der Coachingpartner stellt sich nacheinander auf die vier Blätter und beschrieb jeweils sein Körpergefühl. Auf einem Blatt fühlte er sich bleischwer und erschöpft, er konnte sich kaum bewegen, so starr wurde er. Auf einem anderen Blatt stand er wackelig, er schwankte, fühlte sich unsicher und schwach. Als er auf dem dritten Blatt stand, ging ein freudiges Lächeln über sein Gesicht. Der Körper straffte sich und er fühlte sich frisch und lebendig. Auf dem letzten Blatt schließlich wurde er wieder wackelig und schwankte. Gemeinsam überlegten beiden Coachingpartner, welches Blatt wohl welche Idee repräsentieren könnte, und deckten schließlich auf. Die Schwere war mit dem Verbleib im Konzern auf einer alternativen Stelle verbunden, die Schwäche und das Schwanken mit der Selbständigkeit und dem Fragezeichen. Die Frische und Lebendigkeit, das Lächeln und die Freude war mit dem L-Blatt verbunden, das für eine Verbindung des Berufs mit Lebensmit-
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teln und Genuss stand, also entweder als Sommelier oder als Inhaber einer Chocolaterie. Der Coachingpartner bestätigte, dass er es sich zwar ungern eingestehen würde, aber allein der Gedanke an eine solch sinnliche Tätigkeit ihn froh stimmen würde. Gemeinsam mit dem Coach überlegte er in den darauffolgenden Sitzungen realistische Szenarien, um seine Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Die Anbindung der stellvertretenden Wahrnehmungen an die Fragestellung oder das Ziel im Coaching ist allerdings nicht immer so evident, wie es in diesem Fallbeispiel erscheint. Die auf einem Platz gemachte Erfahrung muss von beiden Coachingpartnern quasi »übersetzt« werden, damit das Erlebte aus der Aufstellung hilfreich eingebunden wird. Beispielsweise kann das Schwanken auf einem Platz noch Klärungsbedarf oder etwas ganz anderes bedeuten und heißt nicht zwangsläufig »Unschlüssigkeit«, die auftauchende Freude auf einem anderen Platz bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese Freude der Wahl der betreffenden Option gilt. Häufig decken sich die auf den Stellvertretungen erlebten Gefühle nicht mit den Gefühlserwartungen der Coachingpartner und erst, wenn die Wahrnehmungen plausibel und für den Coachingpartner stimmig erklärt werden können, kann eine Aufstellungsarbeit einen guten Beitrag für die Zielerreichung leisten. Der Coach ist hier vor allem gefragt in seiner Fähigkeit, auf der energetischen und psychodynamischen Ebene zu arbeiten, Resonanz mitzuspüren und typische Muster zu erkennen. Aufstellung mit Bodenankern Der Anlass, sich einen Coach zu suchen, war für die Mittvierzigerin und Teamleiterin in einer Stadtverwaltung die permanente Auseinandersetzung mit ihrer Chefin. Letztere war politisch sehr aktiv, kaum anwesend und instruierte ihre Mitarbeiterin in der Regel per E-Mail. Die Coachingpartnerin zeigte dem Coach seitenlange Mails, die in recht schroffem Ton formuliert waren, Kritik an den Ergebnissen formulierten und weitere Aufgaben erteilten. Stets wurde schriftlich oder telefonisch angemahnt, dass etwas fehlte, während zugleich der Berg an Aufträgen wuchs. Die Coachingpartnerin hatte sich inzwischen eine Datei angelegt, in der sie ihre Aufgaben, die gesetzten Deadlines und ihre Abarbeitung dokumentierte, um sich abzusichern. Es war ihr außerdem nicht möglich, mit ihrer Chefin einen persönlichen Gesprächstermin zu vereinbaren oder so etwas wie regelmäßige Besprechungen einzuführen. Die Reisetätigkeiten der Vorgesetzten, ihre schnell wechselnden Termine und ihre offensichtlich anderen Prioritäten führten dazu, dass die Gespräche entweder sehr selten, sehr kurz und so gut wie nie persönlich stattfanden. Mehr und mehr hatte die Coachingpartnerin das Gefühl, dass die Chefin sie loswerden wollte, und sie versuchte, Fehler und Angriffsflächen zu vermeiden. Dem Vorschlag, sich die Beziehung einmal mit einer Aufstellung anzusehen, konnte sich die Coachingpartnerin gut anschließen. Sie legte drei verschiedenfarbige Blätter (Bodenanker) mit eingezeichneter Blickrichtung auf den Boden, ein
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Blatt für sich, ein Blatt für die Chefin und ein Blatt für das Ziel der Organisation. Die Coachingpartnerin ging nacheinander in alle drei Stellvertretungen und spürte sich ein, blickte auf die jeweils anderen Stellvertreter (Bodenanker) bzw. auf die sogenannte »kataleptische Hand« des Coachs, die etwa in Höhe des Gesichts der Stellvertretung über dem Bodenfeld gehalten wird, damit der Klient Kontakt mit der Repräsentation aufnehmen kann und nicht nach unten auf das Blatt schaut. Zu ihrem Erstaunen war die Chefin ihr gegenüber äußerst wohlwollend. Die Vorgesetzte stand mit dem Rücken zu ihr, den Blick fest auf etwas gerichtet, was sich später als ihr eigenes Ziel erweisen sollte und das sich nicht zu 100 % mit dem Organisationsziel deckte. Die Klientin spürte in ihrer eigenen Stellvertretung, dass ihre Erwartungen an die Vorgesetzte, die mit dem Rücken zu ihr stand, sich offensichtlich nicht auf die Chefin selbst richteten. Dies wurde umso deutlicher, als sich die beiden Frauen gegenüberstanden. Die Coachingpartnerin schaute sowohl aus der stellvertretenden Perspektive der Vorgesetzten auf sich als auch aus der eigenen Stellvertretung auf die Chefin. Als der Coach ein Blatt neben die Chefin legte, das die Person repräsentierte, an die sich die Erwartungen, Enttäuschungen und auch Ängste der Klientin richteten, wurde deutlich, dass eine Kontextvermischung vorlag. Die Klientin sah sich vor ihrer Mutter stehen. Die permanente Abwesenheit der Chefin sowie den Arbeitsdruck, den sie weitergab, hatte die Projektion der Klientin auf die Vorgesetzte gelenkt. Die Aufstellung mit den Bodenankern zeigte, dass die beiden Frauen innerhalb der Organisation entspannt aufeinander blicken konnten, aber es einen gefühlten Mangel an persönlicher Kommunikation gab. Die Coachingpartnerin entschloss sich, auf einem persönlichen Gesprächstermin zu bestehen, und klärte ihre wichtigsten und dringlichsten Anliegen mit der Vorgesetzten, die sich daraufhin auch auf einige Vereinbarungen bezüglich der Form der Delegation von Aufgaben einließ. Die Bearbeitung des Themas, das sich gezeigt hatte, das Verhältnis zu ihrer Mutter, verschob sie auf einen späteren Zeitpunkt. Insgesamt fühlte sie sich anschließend entlastet und konnte die Rückmeldungen ihrer Vorgesetzten weniger ängstlich deuten und sich auch dem Druck gelegentlich widersetzen.
Kritische Würdigung: Die Aufstellungsarbeit kennt unseres Erachtens keine kulturellen Grenzen und wird international eingesetzt. Für das kulturreflexive Coaching ist nicht nur geeignet, weil sie universal wirksam zu sein scheint, sondern weil man Werte, Vaterländer, Muttersprachen, Ich-Anteile und andere vieles mehr aufstellen kann. Loyalitäten können ergründet, politische Verhältnisse berücksichtigt und auch transgenerational wirksame Belastungen rekonstruiert werden. Der Maßstab der Allparteilichkeit und Win-win-Lösung – allen Repräsentanten muss es mit dem Lösungsschritt des Klienten besser gehen – macht sie zu einer transkulturell hoch wirksamen Methode. Der kritische Blick auf die Aufstellungsarbeit hat im letzten Jahrzehnt mit ihrer Verbreitung zu Recht zugenommen. Kritisiert werden Praxis und Prämis-
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sen der Methode. Dazu gehören Aufstellungsseminare in Großgruppen ohne Nachbetreuung, direktive Lösungsverschreibungen, schematisierte, nicht kontextsensitive Eingriffe der Aufstellungsleiter einschließlich wörtlich vorgeschriebener Sprachformeln mit quasi-religiösem Touch, grundsätzlich konservative Grundannahmen, die allesamt auf den Systemerhalt zielen, und vieles andere. Inzwischen gibt sogar schon »Verbrauchertests« für die Aufstellungsarbeit (vgl. Öko-Test, 4/2006: Auf dem Prüfstand, Familienaufstellung). Therapeutisch ist das Aufstellen kein anerkanntes Verfahren und bedarf der gründlichen Einbettung und Nachsorge. Hiervon und von der Seriosität des Aufstellers sind die Erfolge der Methode abhängig. Achtsam in einem begleitenden Coaching eingesetzt, kann sie äußerst hilfreich sein, nicht erkannte Dynamiken zu verstehen und Lösungen zu finden. Die Deutungen der stellvertretenden Wahrnehmung auf den einzelnen Positionen – ob verdeckte Aufstellung oder nicht verdeckte Aufstellung – sind indes nicht offensichtlich. Es bedarf der Kenntnisse über typische Dynamiken in Aufstellungen und der genauen und gemeinsamen Kontextualisierung im Rahmen des Anliegens des Coachingpartners.
Techniken aus dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) Kaum eine andere methodische Ausbildung ist bei Coachs so sehr verbreitet wie das Neurolinguistische Programmieren, kurz NLP. Auch Übertragungen in den interkulturellen Bereich sind bereits erfolgt (z. B. Mohl, 1999; Krämer u. Quappe, 2006). Der Ansatz wurde zwischen 1975 und 1980 maßgeblich von Richard Bandler, Robert Dilts und John Grinder entwickelt, die sich dafür interessierten, wie erfolgreiche Therapeuten mit Klienten arbeiten. Entsprechend stammen die Einflüsse in das NLP aus der Gestalt- (Perls), der Hypno- (Milton Erickson) und der Familientherapie (Satir). Die Begründer entwickelten, von diesen Ansätzen beeinflusst, Modelle, eine Sammlung von Best Practices und leiteten Interventionstechniken ab. Damit modellierten sie sozusagen die bewussten und unbewussten Vorannahmen, Methoden, Strategien und Zielsetzungen dieser so erfolgreichen Therapeuten und versuchten sie erlernbar darzustellen. So kommt es, dass NLP oft als Methodenbaukasten dargestellt wird. Die Wortneuschöpfung NLP kann man wie folgt beschreiben: »Neuro« bezieht sich auf neurologische Prozesse im Gehirn, durch die die individuelle Wahrnehmung eines Menschen verarbeitet wird. Durch die Sprache (»linguistisch«) wird die Wahrnehmung geordnet, um mit anderen zu kommunizieren. Die Art und Weise, wie man spricht und sich verhält, spiegelt nicht nur das individuelle Weltbild wider, sondern auch die Prozesse seiner Entstehung. Mit dem »Programmieren« ist die Vorstellung verbunden, problemerzeugende, automatisch ablaufende innere Muster verändern zu können. Begrifflichkeiten und Methoden im NLP sind stark an die Kybernetik angelehnt, schließen auch körperliche Empfindungen mit ein und versuchen, Kognition mit Emotion zu verbinden. NLP arbeitet mit Sinneseindrücken, Körperhaltung und Sprache und
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durch die vielen Wahrnehmungsübungen wird auch die Beobachtungsgabe für versteckte Botschaften auf allen Sinnesebenen geschärft. Da der Ansatz als offenes System konzipiert ist, wird er ständig weiterentwickelt. Einzig die Haltung, mit der die Methoden ausgeführt werden, ist beständig und drückt sich in einer Reihe von Vorannahmen aus. Sie bilden die Grundlage dafür, wie mit NLP gearbeitet wird bzw. auf welchen Prämissen das vielfach anschlussfähige NLP beruht. Es besteht allerdings keine Einigkeit, wie viele Vorannahmen es gibt und wie sie genau formuliert werden. Die wichtigsten Prinzipien, die auch von den meisten Lehrbüchern verbreitet werden, sind die folgenden:8 – Welt als einzigartiges Modell: Menschen bilden sich eine eigene Struktur für die Erschließung der Welt, ihre individuelle »geistige Landkarte«, und handeln nach den Vorstellungen und nicht nach einer wie immer gearteten Realität. Jeder Mensch erlebt die Welt auf eigene Weise und hat eine individuelle Art zu sein. – Ökologischer Ansatz: Geist, Körper und Umwelt bilden ein einheitliches System mit wechselseitigem Einfluss. Jede Veränderung (im Geist, im Körper oder in der Umwelt) hat Einfluss auf die anderen sowie das individuelle Wohlbefinden. – Bedeutung der Kommunikation: Alles ist Kommunikation, auch Schweigen oder nonverbales Verhalten. Ihre Bedeutung ergibt sich erst aus der Reaktion, die eine Botschaft hervorruft – nicht aus der Absicht des Senders. Positive Veränderungen haben ihren Ursprung in erfolgreicher Kommunikation. – Positives Menschenbild: Jedes Verhalten ist in irgendeinem Kontext nützlich und enthält eine positive Absicht sowie einen Sinn aus der Perspektive des Handelnden. So besehen gibt es kein Scheitern, sondern nur Feedback. – Vertrauen auf Ressourcen: Menschen besitzen bereits alle Ressourcen, die sie für eine Veränderung benötigen. – Flexibilität und Pragmatismus: Erfolg entsteht durch Flexibilität und die Erhöhung von Wahlmöglichkeiten: »Wenn das, was du tust, nicht funktioniert, tue etwas anderes« (Watzlawick). Eine der am häufigsten zitierten Sätze ist: »The map is not the territory.« Diese Vorannahme geht auf Alfred Korzybski zurück und wurde von Gregory Bateson geprägt; sie hat daher kybernetische und systemtheoretische Wurzeln. Die Hauptaussage ist den systemisch arbeitenden Coachs mehr als vertraut, es geht um die Anerkennung, dass die Wirklichkeit nur eine Konstruktion der eigenen, höchst individuellen Wahrnehmung ist. Eine Reise oder einen Stadtbummel 8
In Anlehnung an die Vorannahmen des Deutschen Verbandes für NLP e. V. (Zugriff unter www.dvnlp.de/NLP-Vorannahmen.703.0.html, Stand 03. 01. 2012).
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erlebt jeder anders und hat je nach Perspektive und Interessen eigene Erfahrungen, auf die er letztlich reagiert. Hier ist auch der Ansatzpunkt für interkulturelle Fragestellungen, denn Wahrheit ist relativ, da wir uns immer nur einen Ausschnitt erschließen. »Bestimmen wir uns über Gemeinsamkeiten oder Unterschiede? Sehen wir uns inklusiv und respektieren Unterschiede oder sehen wir uns exklusiv und sind gegenüber Unterschieden misstrauisch und ablehnend?« (Krämer u. Quappe, 2006, S. 35). Das Ziel der Methoden aus dem NLP ist es, sich möglichst schnell und effizient so zu verändern (sofern gewünscht), dass mehr Wahlmöglichkeiten und Verhaltensflexibilität entstehen. Dazu werden die Methoden aus dem NLP prozesshaft und zielorientiert eingesetzt, was dem Vorgehen in einem Coachingprozess sehr nahe kommt. In der ersten Phase wird das Problem gewürdigt und die gute Absicht oder der Beitrag, den jedes Problem für eine neue Entwicklung hat. Hier sieht man unter anderem den hypnotherapeutischen Einfluss weg von der Fokussierung auf das scheinbar Unlösbare hin zum möglichen Ziel. In der zweiten Phase wird zurückgeschaut und die Hinter- und Hinderungsgründe für die bisherige Nichterreichung des gewünschten Zustandes in der Biografie gesucht. Hier wird nach Prägungen und Mustern geforscht. Die eigentliche Veränderungsarbeit findet in der dritten Phase statt, denn nun kommen die »Erfolgsmethoden« der verschiedenen modellierten Therapien zum Einsatz, um Veränderungsprozesse auf unterschiedlichen Lernebenen (Verhalten, Fähigkeiten, Glauben, Identität) zu initiieren. Daraufhin wird die Arbeit in der vierten Phase einem sogenannten »Ökologie-Check« unterzogen. Sind Verhalten oder Veränderungen und gefundene Lösungen mit anderen Systemen und Kontexten kompatibel? In der fünften und letzten Phase (»Future-Pace«) prüfen die Coachingpartner, ob die neuen Verhaltensweisen auch im Alltag funktionieren. Wahrnehmungsübung und Moment of Excellence Eine klassische NLP-Methode ist die der Einnahme von Wahrnehmungspositionen. Sie dient dem Perspektivenwechsel, denn durch das Einnehmen verschiedener Positionen werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der (interkulturellen) Gesprächspartner bewusst. Im Coaching mit einem Coachkollegen zur Vorbereitung einer wichtigen Verhandlungssituation mit einer Schulleitung im Rahmen der Akquise machten wir folgende Übung. In Gedanken stellte sich der Coachingpartner die zukünftige Situation so vor, wie sie für ihn wünschenswert wäre. Er spürte sich in seine eigene Position (Position A) ein, die mit Hilfe eines Blattes (eines sogenannten Bodenankers) markiert war. Das war für ihn nicht angenehm, denn er verspürte Unsicherheit. Nun ging er zu Position B, die des Schulleiters, und spürte sich ein, um aus dieser Sicht auf die Situation zu schauen. Wie hat die Person in Position B die Situation wahrgenommen? Dann ging er auf den dritten Bodenanker, Position C, und schaute sich die Situation aus der Beobachterperspektive
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an. Allein dieser »körperliche« Wechsel der Perspektiven brachte ihm Erkenntnisse über die Herausforderungen auf Seiten des Schulleiters sowie Ideen und Themen für die anstehende Gesprächsführung. Der nächste Schritt war, sein eigenes Gefühl der Unsicherheit genauer zu betrachten und zu erarbeiten, was er in dieser Situation zur Stärkung benötigte. Im diesem Fall ging es um die Ressourcen Gelassenheit und Aufmerksamkeit. Um diese Gefühle auch in der zukünftigen Situation zur Verfügung zu haben, wurden sie mit der Technik des »Moment of Excellence« »verankert«. Diese Verankerung durchläuft die Schritte: erstens Erinnerung, zweitens Erleben mit allen Sinnen, drittens mit einer Bewegung verbinden und viertens ein Stichwort vergeben. Der Coachingpartner erinnerte sich an eine Situation, in der er bereits einmal dieses Gefühl von Kraft, positiven Selbstwert oder Mut erlebt hatte. Der Coach bat den Klienten, sich völlig einzuspüren und das Gefühl zu verstärken. Dann wurde im Körper ein Anker, eine Konditionierung gesetzt, hier über das Ballen einer Faust mit der dominanten Hand. Die Konditionierung erfolgte durch das Üben, mit dem Ballen der Faust stets das Gefühl und die Erinnerung der kraftvollen Situation im Körper abzurufen. Nachdem der Prozess des Ankerns abgeschlossen war, ging der Coachingpartner damit wieder auf seine Position A und erlebte, was sich für ihn geändert hatte. Dasselbe machte er mit der Position B und C. Er hatte nun eine neue Perspektive für Möglichkeiten der Verhandlung gewonnen, hatte sich eine Ressource »geankert«, die er zukünftig nutzen konnte, um erweiterte Handlungsspielräume zu haben.
Kritische Würdigung: Für das kulturreflexive Coaching sind die Methoden des NLP geeignet, denn Perspektivenwechsel, Einstellungsänderung und Ressourcenmobilisierung sind notwendige Kompetenzen und Fähigkeiten für die interkulturelle Arbeit. Als Ansatz ist NLP allerdings ebenso populär wie umstritten. Einer der Hauptkritikpunkte ist die mangelnde theoretische und wissenschaftliche Fundierung des Vorgehens. Die Theorie gilt als lückenhaft und widersprüchlich, die Techniken aus Therapiemethoden entlehnt und in der angewendeten Form angreifbar. Auch die radikalkonstruktivistischen, kybernetischen und behavioristischen Zuspitzungen in einem ansonsten humanistischen Ansatz mag man bedenklich finden. Gleichwohl gibt es kaum eine Weiterbildung, die bei Coachs so beliebt ist wie die Kompetenzstufen der Ausbildungen im NLP. Allerdings muss man NLP auch historisch einordnen. Die optimistische Haltung »alles ist möglich«, aus der heraus NLP in den 1970er Jahren entstand, muss geprüft werden und wie bei jedem anderen methodischen Ansatz bedarf auch der Einsatz von Methoden und Techniken aus dem NLP im Coaching einer fundierten theoretischen Einbettung, der Kenntnis ihrer Herkunft und Wirkkraft sowie der kontextsensitiven Anwendung. Methoden auf Stellschrauben, Tricks und Kniffe zu reduzieren, ist mit jeder guten Idee möglich und bedenklich. In diesem Zusammenhang kann man sich einmal die Verbreitung und die
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Anwendung der sogenannten »Wunderfrage« ansehen, die von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg entwickelt wurde und deren Wirkmächtigkeit auf einem ausgeklügelten Aufbau und präzisen theoretischen Konstrukten beruht (vgl. zur Lösungsorientierung Bamberger, 2005). In manchen Zitaten der als Technik extrahierten Wunderfrage ist – abgesehen vom ausgelassenen notwendigen Vorlauf – nicht einmal mehr der bedeutsame Fokus auf den wahrnehmbaren äußeren Kennzeichen und Hinweisen auf die Veränderungen korrekt formuliert. Insofern plädieren wir im Rahmen des kulturreflexiven Coachings zwar für ein eklektisches Vorgehen des Coachs, allerdings nur, wenn er den Kontext und die Prämissen seiner methodischen Elemente durchdrungen hat.
Fazit: Kulturreflexive Körperarbeit braucht einen achtsamen, entwickelten und berührbaren Coach Die visualisierende Körperarbeit ermöglicht, nicht- oder vorsprachliche Erinnerungsbilder oder Deutungsmuster zu erleben und zu besprechen. Ziel ist unter anderem, konventionalisiertes und internalisiertes Rollenhandeln und die eigene aktive Eingebundenheit in kollektive, gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse zu spüren, zu reflektieren und sich gegebenenfalls Spielräume zu erarbeiten. Die hier vorgestellten Methoden bieten dazu viele Anregungen. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Methoden, die hier nicht erwähnt wurden. Hierzu gehören unter anderem Aikido, Atemtherapie, Autogenes Training, Eutonie, Funktionelle Entspannung, Konzentrative Bewegungstherapie und Hakomi (vgl. zu den letzten drei in → Kapitel 4.6, Den Körper als Unterstützung nutzen), Musiktherapie, Rebalancing, Rolfing, Tanztherapie, Yoga, verschiedene Massagetechniken wie zum Beispiel Shiatsu. Wir haben weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch bevorzugen wir bestimmte Ansätze. Bei der Auswahl der hier im Einzelnen besprochenen Methoden haben wir uns für jene entschieden, mit denen wir am meisten Erfahrung haben und die uns für das Ziel dieses Buches sinnvoll erschienen. Zudem sei hier noch angemerkt, dass alle hier genannten Methoden einer fundierten Ausbildung und Selbsterfahrung bedürfen, ohne die man sie im professionellen Kontext nicht anwenden sollte. Denn bei körperlicher Arbeit im Coaching erleben die Coachs nicht nur ihre Coachingpartner intensiver und direkter, sondern vor allen Dingen auch sich selbst – und damit alle eigenen Gefühle, die sie unvorhergesehen überfallen können. Komplexität, Nähe oder Fremdheit können überwältigen, verwirren und verunsichern. Daher sind folgende Fähigkeiten für jeden mit dem Körper arbeitenden Coach sinnvoll und notwendig: – persönliche Erfahrungen und Entwicklung: Bewusstsein für die Funktionalität und den emotionalen Ausdruck des eigenen Körpers durch Supervision, eine eigene Therapie und Ähnliches; – persönliche Kompetenzen: weniger deutende Fähigkeiten, sondern Empa-
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thie, resonantes Mitschwingen und Haltefähigkeit sowie Kontaktfähigkeit und eigene körperliche Empfindsamkeit; – Kennen der eigenen Grenzen, Fähigkeit, diese zu äußern und zu ziehen; – Transparenz und Rollenklarheit; – Kulturreflexivität. Methodisch können die körperorientierten Verfahren in verschiedenen Dimensionen und Intensitätsstufen im Coaching eingesetzt werden (hierauf gehen wir in → Kapitel 4.6 noch näher ein). Es bedarf der steten Achtsamkeit, wo kulturelle Vorannahmen eine Rolle spielen, kulturelle Interpretationen sinnvoll oder behindernd sind usw. Mehr als bei anderen Methoden besteht bei der Arbeit mit »verkörperten« Anteilen die Gefahr, vom eigenen Körperbild und den eigenen Körpererfahrungen auszugehen und diese auf die Coachingpartner zur projizieren. Daher braucht der Einsatz körperorientierter Methoden Coachs, die den Fokus weniger auf Idealem oder Messbarem, auf Leistung und Zielen haben, sondern die so sicher sind, dass sie sich verunsichern lassen können und im emotionalen wie im körperlichen Wortsinn berührbar sind. Leseempfehlungen von Ameln, F., Gerstmann, R., Kramer, J. (2009). Psychodrama (2. überarb. und erw. Aufl.). Heidelberg: Springer. Das in zweiter Auflage erschienene Lehrbuch enthält die methodischen und theoretischen Grundlagen des Psychodramas, die Gestaltung des Prozesses und seiner Phasen, ein Teil des Methodenspektrums sowie die Anwendung in verschiedenen Kontexten wie Supervision, Team- und Organisationsentwicklung und im Coaching. Insbesondere die Phasengestaltung ist gut ausgearbeitet. Die Arbeit im Einzelsetting (Kapitel 5) und Methodenbeispiele für den Einsatz von Psychodrama im Coaching (Kapitel 26) enthalten Dialogbeispiele, anhand derer sich die Arbeit mit dem psychodramatischen Ansatz gut nachvollziehen lässt. Leider wird den Möglichkeiten des Methodeneinsatzes von Objekten im Einzelsetting zu wenig Beachtung geschenkt. Baldwin, M., Satir, V. (1999). Familientherapie in Aktion. Die Konzepte von Virginia Satir in Theorie und Praxis. Paderborn: Junfermann. Als Basisliteratur für das Verständnis der Aufstellungsarbeit dient dieses Grundlagenwerk im Bereich der systemischen Familientherapie. In einem Theorie- und einem Praxisteil werden Hintergründe, Prinzipien, Therapieziele und Interventionen beschrieben. Bandler, R., Grinder, J. (1975/1976). The structure of magic (Bde. 1 und 2). Palo Alto: Science and Behavior Books. Diese zwei klassischen Bände geben einen fundierten Überblick über Herkunft und Entstehung des NLP und seiner Methoden. Wer sich gründlich einlesen möchte, sollte diese beiden Originale bevorzugen, gibt es doch zu viele Zusammenfassungen, die NLP überblicksartig erklären, aber viele Einordnungen weglassen, die gerade für das Verständnis der Methode und ihrer transkulturellen Anwendungen wichtig sind.
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de Philipp, W. (Hrsg.) (2008). Systemaufstellungen im Einzelsetting. Heidelberg: Carl-AuerSysteme. Der Sammelband enthält Aufsätze namhafter Autoren mit Berichten über verschiedene Formen von Strukturaufstellungen im Einzelsetting. Die Methoden umfassen unter anderem die Arbeit mit Bodenankern, Figuren, Objekten, Genogrammen und Imaginationen. Senoner (2006) beschreibt darin zum Beispiel, welche Techniken er bei der Beratung von Managern und Unternehmern unter anderem zu den Themen Entscheidungen, Führung oder Stressbewältigung einsetzt. Hochgerner, M., Hofman-Widhalm, H., Nausner, L. (Hrsg.) (2003). Gestalttherapie. Wien: Facultas. Dieser Sammelband ist speziell als Einführung für Neueinsteiger in das Themengebiet geeignet, da er anhand von Überblicksbeiträgen einen guten Einblick in die vielfältigen praktischen Anwendungsmöglichkeiten und -felder der Gestalttherapie gibt, die hier einzeln beschrieben werden. Krämer, G., Quappe, S. (2006). Interkulturelle Kommunikation mit NLP. Berlin: uni-edition. Entlang der logischen Ebenen von Robert Dilts werden interkulturelle Theorien und Modelle mit NLP Methoden verknüpft. Ein Praxisteil mit Anleitungen und Übungen für Anwender wird ergänzt um die theoretische Herführung beider Ansätze. McFarlane, S., Bergfeld, C., Mennicken, H. (2006). Tai Chi – das Praxisbuch. Ursprünge – Grundlagen – Bewegungsabläufe. Starnberg: Dorling Kindersley. Dieses praxisorientierte Übungsbuch fokussiert auf die im Tai Chi verwendeten Bewegungsabläufe und Bilder. Mit einfachen Erklärungen und Hintergrundinformationen eignet es sich als Einsteigerbuch für diejenigen, die Tai Chi nicht (oder nicht gut) kennen. Müller-Weith, D., Neumann, L., Stoltenhoff-Erdmann, B. (2002). Theatertherapie. Ein Handbuch. Paderborn: Junfermann. Die drei Autorinnen bieten einen fundierten Überblick über die Entwicklung, Grenzen, Möglichkeiten, Theoriehintergründe und praktischen Anwendungen der Theatertherapie. Orban, P. (2008). Kursbuch Aufstellungsarbeit: Grundlagen – Methoden – Beispiele. München: Kösel. Das Kursbuch führt leicht und erfahren in die Aufstellungsarbeit ein und erläutert anhand von zahlreichen Beispielen die Grundbegriffe (Feld, Seele, Gewissen), Grundprinzipien (Ordnungen) sowie Erfahrungen bei Aufstellungen. Russell, R. (Hrsg.) (2004). Feldenkrais im Überblick. Über den Lernprozess der FeldenkraisMethode. Paderborn: Junfermann. Das Buch beschäftigt sich vor allem mit Lernstrategien und verschiedenen Perspektiven für die praktische Durchführung der Übungen der Feldenkrais-Methode. Der Bezug zum Coaching muss dabei selbst hergestellt werden.
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3.5 Designs und Leitfäden für Interkulturelles Coaching Im Rahmen der Zusammenstellung methodischer Überlegungen möchten wir auch Herangehensweisen einbeziehen, die für sich selbst Interkulturalität beanspruchen. Von denjenigen Autoren, die sich theoretisch zum Thema Interkulturelles Coaching geäußert haben (vgl. → Kapitel 2.6 zu den Formaten kulturreflexiver Coachings), liegen größtenteils auch Erfahrungen und Vorgehensvorschläge vor, die Coachs dabei helfen können, einen eigenen Weg zu finden. Die theoretischen Ansätze für Interkulturelles Coaching, wie es als quasi eigenständiges Format genannt wird, haben wir in → Kapitel 2.6 beschrieben, die zielgruppenorientierten Vorgehensweisen haben wir in → Kapitel 2.1 (Häufige Zielgruppen) dargestellt. Die Autoren haben je nach Hintergrundtheorie, Arbeitsfeld und Zielgruppenfokus Leitfäden und andere Hilfestellungen entwickelt, die sie als Methodik im Coaching vorschlagen. Diese wollen wir hier kurz darstellen. In der Regel orientieren sie sich an den gängigen Phasen im professionell durchgeführten Coaching wie Kontaktaufnahme, Zielvereinbarung, Problemanalyse, Lösungserarbeitung, Interventionen, Evaluation und Abschluss. Auf diese generellen Vorgaben zur Strukturierung des Coachingprozesses, die bereits aus den grundlegenden Coachingtheorien bekannt sind, wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen. Ebenso ignorieren wir normative Ratschläge wie zum Beispiel den Hinweis, man möge sich um eine offene Haltung bemühen. Derartige unspezifische Empfehlungen halten wir für wenig hilfreich, da die Probleme meist nicht auf der fehlenden Bereitschaft der Beteiligten beruhen, sondern damit zusammenhängen, dass sie den normativen Vorgaben aus unterschiedlichen Gründen nicht zu folgen vermögen. Wir konzentrieren die Darstellung daher auf unterstützende methodische Hinweise oder Leitfragen, die wir den Publikationen zum Interkulturellen Coaching oder zum Coaching von speziellen Zielgruppen entnehmen können, und gehen dabei schlicht alphabetisch vor, um keinen Ansatz zu bevorzugen.
Diversity reflektiert – ein Tool Systemtheorie, Sozialpsychologie, Queer & Cultural Studies, Disability Studies – die Autoren Abdul-Hussain und Baig (2009b) verknüpfen verschiedene Theorieansätze, um ein umfassendes Tool zu entwickeln. Dieses Tool stellt ein Instrumentarium für eine Diversity-sensible Vorbereitung und Reflexion im Hinblick auf Supervision, Coaching und Beratung zur Verfügung und differenziert dabei auch explizit zwischen den genannten Formaten. Es besteht im Wesentlichen aus Fragen, die zu verschiedenen Themengebieten gruppiert sind. Dazu gehören Reflexionsfragen, problemorientierte und systemische Fragen, Einschätzungen auf Zehner-Skalen oder Multiple-Choice-Fragen. Unter dem Buchstaben C wie »Coach« findet man einen sehr umfängliche Leitfaden, der zunächst auf die zu reflektierende Situation und die Auftraggeber eingeht und
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auch Auswertungsfragen beinhaltet, wie sie in jedem Coaching üblich sind. Die Besonderheit des Tools besteht in einem konsequenten Bezug der Fragen auf Diversity sowie dem Einbezug von relevanten Themengebieten wie zum Beispiel dem eigenen Gender- oder Identitätsverständnis. Im Folgenden zitieren wir nur exemplarisch einige der Leitfragen und Aufgaben aus diesem über 50 Seiten langen Leitfaden, der in erster Linie als Übersicht gedacht ist und den man hinsichtlich verschiedener Themen und Fragestellungen konsultieren kann. Es beginnt mit einer sozialpsychologischen Reflexion zum ersten Eindruck: – »Erinnern Sie sich an die erste Begegnung mit Ihrer bzw. Ihrem Coachee/ Ihren Coachees: Was waren Ihre ersten Eindrücke in Bezug auf die/den Coachee bzw. die Coachees und deren bzw. dessen beruflichen Kontext?« […] – »War/ist Ihnen die/der Coachee besonders sympathisch oder unsympathisch?« […] – »Worauf führen Sie die jeweils vorhandenen (Un-)Sympathien zurück?« […] – »Worin sind Ihnen die sympathischen bzw. unsympathischen Personen ähnlich bzw. worin unterscheiden sie sich von Ihnen?« […] – »Welche Informationen über die/den Coachee/die Coachees wollen/können Sie noch erfragen?« (Abdul-Hussain u. Baig, 2009b, S. 201–212). Einen Überblick über die zu bedenkenden Kategorien, die dem Fragebogen unter anderem zugrunde liegen, findet man im Diversity-Rad von Gardenswartz und Rowe (1998, Abbildung 24). Gleich, ob man den Coachingpartner oder Personen in seinem Umfeld betrachtet, es hilft dabei, die kategorialen Voraussetzungen mit zu bedenken. Das Diversity-Rad beschreibt die Vielfältigkeit einer Persönlichkeit untergliedert nach vier Dimensionen: 1. Im Zentrum steht die Persönlichkeit mit ihrer einzigartigen Kombination von Eigenschaften. 2. Die zweite, sogenannte innere Schicht beinhaltet gegebene Kategorien wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung etc. Sie gelten als die Kerndimensionen von Diversity und sind (so gut wie) nicht individuell beeinflussbar. 3. Zu den äußeren Faktoren zählen Religionszugehörigkeit, Erscheinungsbild, Elternschaft, aber auch Bildung und Arbeitserfahrung. Sie gelten als mehr oder weniger frei wählbar. 4. Die organisationale Schicht umfasst diejenigen Zugehörigkeiten, welche im Arbeitsalltag eine Rolle spielen, wie zum Beispiel Gewerkschaftszugehörigkeit, Arbeitsort, Managementstatus. Die Autoren schlagen vor, dass sich beide Coachingpartner zunächst getrennt überlegen, welchen Ausprägungen der genannten Diversity-Dimensionen sie sich jeweils zugehörig fühlen. Dann schätzen sie auf einer Skala von Null bis
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Abbildung 24: Diversity-Rad (Gardenswartz u. Rowe, 1998, zit. nach Abdul-Hussain u. Baig, 2009a, S. 29)
Zehn ein, welche Relevanz diese Zugehörigkeit jeweils für den anderen (also den Coach bzw. den Coachee) hat. Ebenfalls anhand einer Zehnerskala ist anzugeben, wie integriert in die jeweilige Mehrheitsgesellschaft man sich hinsichtlich der genannten Kategorie(n) fühlt. Schließlich wird auch noch ausgewertet, wie leicht oder schwer die Fragen für jeden der beiden Coachingpartner zu beantworten waren (Abdul-Hussain u. Baig, 2009b, S. 216). Die Einschätzungen münden in die gemeinsame Überlegung beider Coachingpartner, wie in Situationen mit Diversity-Implikationen die Mehr- und Minderheitskonstellationen erlebt werden, ob und welche Formen der Ausgrenzung oder Inklusion sich zeigen. Anschließend erörtern die Coachingpartner, ob sich Verhaltensmuster zeigen, welche auf den Umgang mit Diskriminierungen schließen lassen. Als Erkennungshilfe erläutern die Autoren die Autoren auf die Strategien des Stigma-Managements (AbdulHussain u. Baig, 2009b, S. 221). Des Weiteren wird gefragt, welche Normen und Werte sich im System der Auftraggeber zeigen oder vermutet werden und wie die Intensität der Auseinandersetzung des Auftraggebersystems mit dem Thema kulturelle Vielfalt auf einer graduellen Skala von »gar nicht« bis »sehr intensiv« einge-
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schätzt wird (Abdul-Hussain u. Baig, 2009b, S. 237). Aus den Queer-Studies werden Reflexionen entnommen, anhand derer sich das eigene Identitätsverständnis einschätzen lässt. Dazu gehören bipolare Skalenfragen nach den eigenen Vorstellungen von der Beweglichkeit oder Vieldimensionalität von Identität (kontextgebunden–nicht kontextgebunden, eindimensional–vieldimensional). Kritische Würdigung: Das Tool ist zwar umfangreich, aber dennoch begrenzt hinsichtlich der möglichen Anwendungskontexte. Die darauf aufbauende Ableitung von Reflexionsfragen für einen Leitfaden ist einerseits beeindruckend – die Autoren sparen keinen Bereich aus. Andererseits ist dem Tool seine Herkunft aus der systemisch orientierten Supervision im sozialpädagogischen Feld mit dem Fokus auf Antidiskriminierung bis in die Wortwahl deutlich anzumerken. Eine direkte Übertragung auf Coaching im Unternehmenskontext ist daher nur eingeschränkt möglich. Der normative Charakter des Hintergrunds ist einigen Fragen ebenfalls anzumerken und es ist zu überlegen, ob sie – sollte man sie für sich selbst beantworten – die blinden Flecken zu erforschen vermögen. Fraglich ist in dem Zusammenhang zum Beispiel, ob jemand Fragen nach »ausgeblendeten Identitätsmerkmalen« beantworten kann (Abdul-Hussain u. Baig, 2009b, S. 242). Der forcierte Blick auf Diversitykategorien, die allesamt systematisch anhand des umfassenden Inventars im Diversity-Rad abgeprüft werden (können), hat Vorund Nachteile. Der Nutzen ist, dass bedeutsame Identitätsanteile abgefragt werden und dadurch nichts übersehen wird (eine Chance für das Entdecken ausgeblendeter Merkmale), andererseits wird der Fokus dadurch verstärkt auf Identität, Kategorien und Kultur gelenkt, selbst wenn diese Thematik im vorliegenden Fall keine zentrale Rolle spielen mag. Alles in allem liefern die Fragen dennoch eine hilfreiche Inspiration zur (gemeinsamen) Selbstreflexion. Als Einstiegsübung in die kulturreflexive Arbeit für Coachs ist das Tool sehr zu empfehlen.
Interkulturelles Coaching als Integration der Teilsysteme Kontext – Mensch – Prozess Die Besonderheiten des Interkulturellen Coachings liegen nach Barmeyer (2003; Barmeyer u. Haupt, 2007a) darin, dass der Kontext einer interkulturellen Situation komplex und naturwüchsig intransparent ist. Alle Handelnden haben nur ein unvollständiges Bild des Systems, das zudem noch dynamisch ist. Mehr noch als »im nationalen Bereich« (Barmeyer, 2003, S. 18) bewirken unverständliche Erfahrungshintergründe, Sprachprobleme, nicht explizierte Erwartungshaltungen und unterschiedliche Denk- und Arbeitsstile Störungen oder Konflikte und sind folglich typische Themen im Coaching. Die auftretenden Missverständnisse können im Interkulturellen Coaching bearbeitet werden. »Ziel des Interkulturellen Coachings ist es, den Coachee interkulturell handlungsfähig zu machen, um zukünftige internationale Arbeitssituationen erfolgreicher und konfliktfreier zu meistern« (Barmeyer, 2003, S. 19). Ermöglicht wird dies durch die Entwicklung interkultureller Kompetenzen, die im Coaching
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durch kognitive und emotionale Lernprozesse gefördert werden kann. Barmeyer unterscheidet affektive, kognitive und verhaltensbezogene Elemente bzw. Eigenschaften. Zu den affektiven Elementen gehören Einstellungen, aber auch die vielzitierte »Awareness«, also die Bewusstheit über kulturelle Differenzen. Kognitive Elemente betreffen kulturspezifisches Wissen, Landeskunde und weitere Kenntnisse über Stile und Praktiken. Die verhaltensbezogenen Elemente verweisen auf die Notwendigkeit, im Coaching Persönlichkeitsmerkmale allgemeiner sozialer Kompetenz zu entwickeln, damit die erworbenen Fähigkeiten, Einstellungsänderungen und Kenntnisse auch umgesetzt werden können. Für den Coachingprozess und zur Integration der als Teilsysteme bezeichneten Kompetenzelemente unterscheiden Barmeyer und Haupt (2007b, S. 789) zwischen Inhalts- und Prozesscoaching. Inhaltscoaching bezieht sich auf die kognitive Vermittlung von Informationen, kulturspezifischem Wissen und die Erläuterungen zu fremdkulturellen Denk- und Verhaltensweisen. Prozesscoaching befasst sich mit dem Erleben des Coachees, den verschiedenen Perspektiven und der erforderlichen Persönlichkeitsentwicklung. Barmeyer schlägt einen an den klassischen Coachingphasen orientierten Ablauf vor (Barmeyer, 2003; Barmeyer u. Haupt, 2007b): 1. Kennenlernen und Kontakt: Hier wird unter anderem geklärt, ob der Coach die erforderlichen Kompetenzen für die Bearbeitung der durch kulturspezifische Faktoren beeinflussten Situation mitbringt. 2. Gemeinsame inhaltliche Orientierung und Zielklärung: Häufige Zielvereinbarungen im internationalen Kontext sind: »mehr Verständnis für die Eigenarten und Arbeitsweisen anderer Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund, effizientere Motivation von Mitarbeitern anderer Kulturräume, Vermeidung interkultureller Missverständnisse und Konflikte, Entwicklung interkultureller Kompetenzen und Steigerung der Handlungsfähigkeit« (Barmeyer, 2003, S. 19). 3. Bei der Analyse des Umfeldes der Ausgangs- und Problemsituationen sowie der Rollen des Coachees im Unternehmensalltag erfährt der Coach am meisten durch Geschichten, die er sich vom Coachee erzählen lässt. Dabei werden vertiefende Fragen gestellt, damit auch emotionale Reaktionen und non- sowie paraverbale Aspekte einbezogen werden (Barmeyer, 2003, S. 20). 4. Einsatz von Methoden zur Veränderung: In dieser Phase kommt der Unterschied zwischen Prozess- und Inhaltscoaching am stärksten zum Tragen. Der Coach arbeitet beratend, wenn es um Denkanstöße geht, aber die Lösungserarbeitung erfolgt wie im klassischen Coaching, indem der Coachee mit Unterstützung des Coachs selbst neue Verhaltensweisen erarbeitet. Die beim Coach vorhandenen Kenntnisse über Kultur- und Wertesysteme tragen dazu bei, mögliche Wege aufzuzeigen. Methodisch schlägt Barmeyer vor, sich mit der Persönlichkeitsstruktur des Coachees beispielsweise anhand eines Struktogramms® zu befassen. Das auch Biostrukturanalyse genannte
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Instrument dient der Selbsterkenntnis. Es unterscheidet Merkmalskriterien wie die Beziehung zu Menschen, die Orientierung in der Zeit und die Denkund Arbeitsweise. Die Typologie besteht aus drei Komponenten, die farblich unterschieden werden. Grün steht für diejenigen, die durch Sympathie Erfolg haben, Rot für diejenigen, die durch Mitreißen erfolgreich sind, und Blau für diejenigen, die durch Überzeugungskraft wirken (vgl. dazu näher Schoemen, 2002). Die Biostrukturanalyse wird vor allem im Vertrieb und in der Führungskraftentwicklung eingesetzt. 5. Zielerreichung, Abschluss und Evaluation: Hier nimmt Barmeyer keinen Bezug mehr auf Besonderheiten eines Interkulturellen Coachings. Barmeyer lässt die Coachees vor allem eigene »Critical Incidents« erzählen und betrachtet diese hinsichtlich der affektiven und kognitiven Elemente. Critical Incidents nennt man in der interkulturellen Kommunikationsforschung mutmaßlich kulturbedingte Irritationen. Sie können durch Wissensbestände, Selbstreflexion, Perspektivenwechsel und neue Lösungsstrategien überwunden werden. Eine der größten Hürden stellt laut Barmeyer das Umsetzen der entwickelten Lösungsstrategien in adäquates Verhalten dar; hier ist in besonderem Maße die Hilfe des Coachs gefragt (Barmeyer, 2003, S. 20 f.). All dies stellt hohe Anforderungen an den Coach. Neben dem klassischen Inventar von Methoden benötigt er zielkulturspezifische Kenntnisse und interkulturelle Methoden (Barmeyer u. Haupt, 2007b, S. 791). Eine besondere Schwierigkeit im Interkulturellen Coaching liegt für Barmeyer zum einen darin, dass der Coach immer nur eine der involvierten »Parteien« berät, während es nach seiner Ansicht in der Tat notwendig wäre, dass alle Beteiligten einen Schritt aufeinander zugehen. Zweitens sieht er eine Herausforderung darin, dass das situationsgerechte interkulturell kompetente Handeln hohe Motivation und Frustrationstoleranz erfordert (Barmeyer, 2003, S. 21). Kritische Würdigung: Barmeyer versteht Interkulturelles Coaching vor allem als interkulturelles Lernen, von ihm Inhaltscoaching genannt, sowie als Coaching im multikulturellen Kontext, das von ihm als Prozesscoaching bezeichnet wird (vgl. dazu → Kapitel 2.6, Formate kulturreflexiver Coachings). Damit ist das abgedeckt, was auch im Alltagsverständnis üblicherweise unter Interkulturellem Coaching verstanden wird. Ausgegangen wird von per se interkulturellen Situationen in der Interaktion zwischen den Coachingpartnern oder in der Auseinandersetzung des Coachees mit seinem Umfeld, und der Fokus liegt vor allem auf landeskulturellen Differenzen, die als konfliktträchtig angesehen werden. Barmeyer kommt es darauf an, Kultur als Einflussgröße erst einmal zu erkennen und im Coaching in den Mittelpunkt zu rücken. Leider arbeitet der Autor trotz systemischen Jargons mit einem essenzialistischen Kulturbegriff und einem konfliktorientierten Differenzverständnis, was ihn in der Herangehensweise und Methodik einschränkt.
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Phasen des interkulturellen Teamcoachings Auch Bolten definiert Phasen für das Interkulturelle Coaching, wobei er speziell (internationale) Teams vor Augen hat (Bolten, 2003). Abhängig von der individuellen Ausprägung der erforderlichen interkulturellen Kompetenzen bei den Beteiligten gelingt die Zusammenarbeit mehr oder weniger gut. Internationale Handlungskompetenz offenbart sich nach Bolten in Form einer Integration von fachlichen, strategischen, sozialen und individuellen Kompetenzen (Abbildung 25). Der Coach arbeitet vor allem als Moderator, der den Teammitgliedern neue Perspektiven eröffnet. Da die Inhalte und Methoden variieren können, schlägt Bolten auf der Basis von Erfahrungen mit Teamcoaching-Maßnahmen ein Phasenmodell zu deren Strukturierung vor. 1. Abstimmungsphase: Zu Anfang macht sich der Coach vor Ort ein Bild, wie das Team zusammenarbeitet, und gewinnt einen Eindruck von der Gruppendynamik.
Abbildung 25: Interkulturelle Kompetenz (Bolten, 2003, S. 11)
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2. Aufzeichnungsphase: Um sich ein objektives Bild von den unter Umständen problematischen Interaktionen zu verschaffen, sollen im zweiten Schritt Videoaufnahmen in realen Arbeitssituationen gemacht werden. Falls dies nicht möglich ist, werden die Teammitglieder mit einem Planspiel in Interaktion gebracht und dabei auf Video aufgezeichnet. Bolten hat gemeinsam mit anderen das Planspiel InterAct 2.0 entwickelt, das sich dafür eignet. Dieses Planspiel simuliert Unternehmenskooperationen in verschiedenen Bereichen und Phasen der geschäftlichen Beziehungen mit bis zu vier Kulturen (vgl. Bolten, 2001b). Es dauert mehrere Tage. 3. Die Voranalyse wird vom Coach allein durchgeführt, er bildet ohne Beteiligung der Teammitglieder Hypothesen über die möglichen Dysfunktionen in der Gruppeninteraktion. Dabei müssen strukturierte Analyseinstrumente verwendet werden, wie zum Beispiel die Aufzeichnung von Interaktionsnetzen (wer wendet sich wie oft an wen und warum?), die Bestimmung von kulturspezifischen Handlungsmustern, die Analyse von Stärken hinsichtlich der individuellen interkulturellen Kompetenzen (s. o.) oder Gesprächsanalysen. 4. Gemeinsame Analysephase: Basis der mit dem Team gemeinsam durchgeführten Analyse sind die aus der Analyse gewonnenen, vom Coach hypothesengeleitet ausgewählten prägnanten Stellen. Zuvor beschreiben die Teammitglieder atmosphärische Besonderheiten und Merkmale, die ihnen möglicherweise aufgefallen sind. An den Filmausschnitten können die Teammitglieder ihr Verhalten selbst metakommunikativ erläutern. 5. Gemeinsame Zielvereinbarung: Dort, wo andere Coachings beginnen, endet der Prozess des Teamcoachings, nämlich mit den Zielvereinbarungen. Sie dienen als Anleitung und Orientierung für das eigene Handeln, zum Beispiel im Sinne von Regeln zur Konfliktprävention. Die Zielvereinbarungen sollen am Ort des Geschehens, also dort, wo das Team arbeitet, visualisiert werden. Eine Überprüfung in halbjährlichem Abstand erfolgt bestenfalls mit externer Moderation. Kritische Würdigung: Eine auf natürlichen Daten basierende Vorgehensweise ist bestechend, außergewöhnlich und aus wissenschaftlicher Perspektive empfehlenswert, aber unserer Erfahrung nach leider in den meisten Fällen auch unrealistisch – erst recht, wenn die Daten in einem mehrtägigen Planspiel generiert werden sollen. Die Thematisierung von Stärken und Schwächen in der gemeinsamen Analyse anhand von Videoaufzeichnungen sieht sogar Bolten selbst als schwierig an (Bolten, 2003, S. 13). Da der Coach Hypothesen geleitet und analysegestützt vorgeht, ist seine vom Autor eingeforderte Neutralität außerdem nur mit Einschränkungen zu wahren, soll er doch Interpretationen generieren und bei der gemeinsamen Analyse sinnvolle von weniger sinnvollen Beiträgen unterscheiden.
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Konfusionen im Umgang mit interkulturellen Business-Situationen Die jüngste Publikation von Ute Clement (2011) bezieht sich nicht nur, aber auch auf Coachings. Zu den von ihr behandelten Themen gehören die internationale Vernetzung von Unternehmen, Projekte, Change-Prozesse, die Zusammenarbeit interkultureller Teams und die Unterstützung von Fach- und Führungskräften, welche in diesen Kontexten erfolgreich arbeiten sollen. Da arbeitsbezogenes Coaching in der Triade Person–Funktion–Organisation stattfindet, muss ein »anspruchsvolles Coaching« (Clement u. Clement, 2003, S. 15) alle drei Wirklichkeiten berücksichtigen. Clement verwendet dafür einen erweiterten Kulturbegriff, der nicht nur Landeskultur, sondern auch Organisationskulturen umfasst. Kulturdimensionen, wie sie von Lewis, Hall, Hofstede oder Trompenaars verwendet und von ihr zitiert werden, sind dann ein Mittel zur »Mustererkennung« und ein »Bindeglied zwischen einerseits dem Extremstereotyp (wie in Do’s-and-Dont’s-Büchern zu finden: ›der Franzose ist …‹) und andererseits der Haltung, dass jede Begegnung zwischen Menschen eine interkulturelle Begegnung ist, die neu angeschaut werden muss« (Clement, 2011, S. 43). Zur Unterstützung einer interkulturellen systemischen Beratung entwickelt Clement ein Metamodell bestehend aus dem Wissen über Kulturen, der Haltung gegenüber anderen Kulturen und Techniken für die Bewältigung interkultureller Herausforderungen mit dem Ziel der Erreichung interkultureller Kompetenz. Interkulturelle Kompetenz besteht nach ihrem Verständnis in einer offenen Einstellung, Selbstaufmerksamkeit, Aufmerksamkeit anderen gegenüber, kulturellem Wissen sowie interkulturellen Werkzeugen und Techniken (Clement, 2011, S. 28). Für die Berater erstellt sie einen Leitfaden, der einige bewährte Prinzipien enthält (Clement, 2011, S. 145): – erst Gemeinsamkeiten schaffen und dann Unterschiede bearbeiten; – Leitdifferenzen finden, indem man nur die relevanten Unterschiede zwischen den betreffenden Kulturen betrachtet; – bei Problemen oder Konflikten Kultur nur als eine von mehreren Interventionsebenen antizipieren; – eine Metasprache einführen, mit der über kulturelle Gegebenheiten diskutiert werden kann; – Irritationen zum Anlass nehmen, Hypothesen zu bilden und nach Versuch und Irrtum weiter zu verfahren, statt eine abwertende Haltung einzunehmen; – Style-Switching üben, also verschiedene Kommunikationsstile einsetzen; – eine Entdeckerhaltung (statt eine Bewertungshaltung) einnehmen und Freude an der Unterschiedlichkeit haben. Kritische Würdigung: Im Metamodell von Kultur greift Clement auf die bekannten und inzwischen von verschiedenen Seiten kritisierten Wissensbestände der Kulturdimensionen zurück. Entscheidend ist allerdings, dass sie diese nicht als
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Zustandsbeschreibung behandelt, sondern als Möglichkeit, Hypothesen zu bilden und Kultur in Coaching und Beratung zu berücksichtigen. Die systemische Grundhaltung hilft, die Kulturdimensionen als Konstrukte aufzufassen, die einen Lösungsprozess unterstützen können. Der auf das Wesentliche reduzierte Leitfaden ist im Gegensatz zu vielen anderen Ansätzen nicht differenzorientiert, sondern orientiert sich an Gemeinsamkeiten und Lösungen. Er ist erkennbar erfahrungsgeneriert und fasst prägnant Best Practices zusammen, die sowohl für das Coaching selbst als auch für die Lösungssuche der Coachingpartner in ihrem Handlungskontext eine gute Richtschnur darstellen.
Körperorientiertes Vorgehen im Coaching Kinast hält grundsätzlich alle in der Literatur beschriebenen Coachingmethoden auch im Interkulturellen Coaching für einsetzbar. Wichtig sei, dass alle Daseinsebenen mit einbezogen werden, Gefühl, Geist und Körper (Kinast, 2003, S. 22). Im Zentrum von Kinasts körperorientiertem Coachingansatz stehen wie bei Barmeyer kritische Interaktionssituationen, also Missverständnisse oder Konflikte mit »fremdkulturellen« Personen oder ein krisenbedingter Energieverlust und Kulturschocksymptome. Auf der Basis eines unveröffentlichten Analysemodells von Vermeulen skizziert sie folgende Vorgehensweise. – Briefe: Die unter Spannung geratene Beziehung wird mit der Methode des Sieben-Briefe-Schreibens bearbeitet. Zunächst schreibt die Führungskraft in Vorbereitung auf die erste Coachingsitzung auf, was sie am Verhalten des Interaktionspartners alles stört. – Bild: In der Coachingsitzung malt der Manager dann ein Bild von den Interaktionspartnern, was dazu dient, die negativen Gefühle abzubilden. Das Bild wird betitelt und dem Partner wird eine geistige, eine körperliche und eine emotionale Eigenschaft zugeschrieben. – Dyaden-Arbeit: Mit strukturierten Kommunikationsübungen werden zunächst in »Negativ-Runden« die eigenen Barrieren herausgearbeitet, indem die nicht erfüllten Erwartungen laut ausgesprochen werden. In »Positiv-Runden« wird ermittelt, was man am anderen mag, worin Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen bestehen (Kinast, 2003, S. 24). Herausgearbeitet wird in dieser Selbstreflexion auch, was das eigene kulturell geprägte Thema in der Situation ist, zum Beispiel interpersonale Distanz. – Vorlesen: Im nächsten Schritt liest die Führungskraft dem Coach die Briefe vor. Sie enthalten erfahrungsgemäß viele Unterstellungen aufgrund der eigenen kulturellen Prägung. – Körperübung: Zur Auflösung von Spannungen werden Körperübungen angeschlossen. Die Körperübung kann sich auf das Thema des Coachees beziehen oder zur Entspannung dienen. – Abschließend malt der Coachingpartner erneut ein Bild zur selben Situation, wieder werden Titel und Eigenschaften vergeben.
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– Als Hausaufgabe wird er aufgefordert, einen Bericht über die Analyse der kritischen Beziehung zu schreiben, die weiteren Begegnungen zu beobachten und zu ermitteln, ob sich etwas verändert hat. Die Coachingsitzungen dauern zwischen drei und vier Stunden und haben nach Aussage der Autorin und laut Rückmeldungen der Coachees einen hohen Nutzen. Systematische Evaluationen zur körperorientierten Interkulturellen Coachingarbeit liegen noch nicht vor. Kritische Würdigung: Die Vorgehensweise dürfte für viele Coachingpartner und speziell für Führungskräfte gewöhnungsbedürftig sein. Wir sind jedoch ebenso wie die Autorin davon überzeugt, dass körperorientierte Methoden hilfreich, intensiv und äußerst nachhaltig sind. Viel zu wenig wird im Coaching, zumal im Interkulturellen Coaching, auf der emotionalen und vor allem der physiologischen Ebene gearbeitet (vgl. dazu → Kapitel 3.1.4, Der Körper als kulturelle Konstruktion und universelle Basis, → Kapitel 3.4 zu körperorientierten Methoden und → Kapitel 4.6, Den Körper als Unterstützung nutzen). Umso bedauerlicher ist, dass der körperorientierte Ansatz nach unserer Erfahrung nicht sehr verbreitet ist. Das mag auch daran liegen, dass Kinast und Vermeulen, auf deren Arbeiten dieser Ansatz beruht, bislang weder die zugrundeliegende Theorie noch eine detaillierte Anleitung für die Praxis veröffentlicht haben. Anhand der vorliegenden Publikationen ist der Ansatz nur schwer nachzuvollziehen und hinterlässt viele Fragen. Es scheint, dass die Details nur in der angebotenen Coachingausbildung erfahrbar sind, daher ist eine Beurteilung hier nur begrenzt möglich.
Gobal Coaching Rosinski (2003) antizipiert durchgängig das globale Umfeld von Fach- und Führungskräften im Coaching und entwickelt Methoden, um Differenzen synergetisch zu nutzen. Neben anderen Konzepten greift er auf das sechsstufige Entwicklungsmodell von Bennett zurück (Bennett, 1993, und Rosinski, 1999, zitiert nach Rosinski, 2003, S. 30). Ethnozentrisch verhalten sich die Coachingpartner, 1., wenn Unterschiede ignoriert oder abgewehrt werden, 2., wenn sie zwar bemerkt, aber abgewertet werden und 3., wenn sie zwar erkannt, aber minimiert werden. Ethnorelativ ist die Herangehensweise 4., wenn Unterschiede akzeptiert, verstanden und wertgeschätzt werden, 5., wenn man versucht, sich anzupassen, und sich außerhalb der Komfortzone bewegt, 6., wenn Differenzen integriert werden und 7., wenn sie schließlich aktiv gesucht und genutzt werden und als Grundlage für Vereinbarungen dienen, die für beide Seiten einen Gewinn bringen. Nur ethnorelative Coachingansätze, also die letzten vier genannten Varianten, begründen ein Interkulturelles Coaching. Rosinskis zentrales Ziel ist es, eine Win-win-Situation hinsichtlich der Kulturdifferenzen zu erzeugen, was er »leveraging differences« nennt (Rosinski, 2003, S. 40). »Leveraging« bedeutet, die in den kulturellen Differenzen schlummernden Potenziale als besonderen Reichtum nutzbar zu
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machen. In seinem ersten Buch »Coaching across cultures« entwickelt Rosinski einen sogenannten Kulturorientierungsrahmen (»Culture Orientation Framework«, COF), der auf den Kulturdimensionen der Autoren Hall (1976), Hofstede (1980, 1991), Trompenaars und Hampden-Turner (1997) sowie Schwartz (1994) aufbaut. Die Dimensionen bilden die Basis für das COF, das den Beteiligten, Coachee und Coach, zusätzliche Perspektiven verschaffen soll. Sieben zentrale Kulturdifferenzen werden vorgestellt, die jeweils noch weiter unterteilt werden: 1. Macht- und Verantwortungsverständnis, 2. Zeit- und Ressourcenverständnis, 3. Identitäts- und Erfolgsverständnis, 4. organisationale Arrangements (Regelverständnis, Kooperation und Konkurrenz, Stabilität und Wandel, Hierarchie und Gleichheit), 5. Grenzen und Territorien, 6. Kommunikationsmuster (direkt/indirekt, expressiv/neutral, formell/informell, high/low context), 7. Denkmodi (deduktiv/induktiv, analytisch/systemisch). Rosinski entwickelt auf deduktivem Wege eine eigene Methode zur Analyse des persönlichen Umgangs mit interkulturellen Situationen. Dieser wird mittels eines Arbeitsblatts erfasst, das vom Coachee auszufüllen ist. Auf diesem Arbeitsblatt werden die genannten Kulturdifferenzen, aufgelöst in bipolare Begriffspaare zur Bezeichnung von gegensätzlichen Ausprägungen (z. B. affektiv vs. neutral), jeweils in Form eines aus zwei Achsen gebildeten Koordinatensystems (dargestellt in Abbildung 26). Damit man sich in Bezug auf die getesteten, bipolaren Dimensionen differenziert einschätzen kann, unterscheidet Rosinski zwischen Orientierung, Fähigkeiten und Verhalten. Orientierung ist das, was man bevorzugt, Fähigkeiten umfassen das, was man kann, und Verhalten zeigt sich darin, wie man konkret handelt. Ich bevorzuge also möglicherweise das Tennisspiel auf Rasen (Orientierung), wenngleich ich es nicht unbedingt besser beherrsche (Fähigkeiten) und obwohl ich tatsächlich täglich, zum Beispiel weil es billiger ist, auf einem Sandplatz spiele (Verhalten). Anhand des Koordinatensystems werden jeweils die eigene Orientierung (horizontale Achse) sowie die Fähigkeit eingeschätzt, beide Pole einer Dimension umsetzen zu können (vertikale Achse). Im abgebildeten Ausschnitt würden nun Vertreter von Kultur A auf der horizontalen Achse einschätzen, wie stark ihre Orientierung sowohl an einem expressiven (»affective«) als auch an einem neutralen Ausdruck von Emotionen in der Kommunikation ist. Je geringer die Zahl (–2 ist z. B. »poor«), desto enger das Spektrum der eigenen Präferenz, das heißt, man fühlt sich entweder nur mit dem neutralen oder nur mit dem expressiven Stil wohl und empfindet den entgegengesetzten Stil als irritierend. Ebenso verhält es sich mit der vertikalen Achse, auf der die Fähigkeiten, beide Stile einzusetzen, bewertet wer-
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Abbildung 26: Culture Orientation Framework (nach Rosinski, 2003, S. 62 f.)
den: Je größer die Bandbreite des eigenen Repertoires zwischen den Extremen eines neutralen und eines emotional-expressiven Stils, desto höher positiv ist die angekreuzte Zahl. Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, affektiv und neutral orientiert und kompetent zu sein. Insgesamt werden für das COF 17 Koordinatensysteme ausgefüllt und die Ergebnisse werden gegebenenfalls mit einer Person aus Kultur B verglichen. Die Auswertung konzentriert sich dann auf die Frage, wie die Lücken, also die Differenzen zwischen den Personen, überbrückt werden können. Dafür werden Aktivitäten vereinbart. Neben dem als Einschätzungsinstrument genutzten COF mit seinen sieben Hauptkategorien stellt Rosinski anhand von Fallbeispielen weitere Methoden aus seiner Coachingpraxis vor, die für die Überwindung von Differenzen in den einzelnen Dimensionen eingesetzt werden können. Diese Methoden stammen unter anderem aus den Referenztheorien Transaktionsanalyse und NLP. Dazu gehört zum Beispiel eine Bewertungsübung, die wiederum mit den bereits angesprochenen Gegensatzpaaren für unterschiedliche kulturell geprägte Orientierungen (affektiv–neutral, formell–informell etc.) arbeitet, sowie mit einer Zeit-
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leiste, die von der Vergangenheit über die Gegenwart bis zur Zukunft reicht. Mit Fragen und Reframingtechniken wird der Coachee unterstützt, für jede Orientierung positive Erinnerungen zu finden oder positive Projektionen zu entwickeln (Rosinski, 2003, S. 103 f.). Ziel ist, beide Orientierungen nutzen zu können und im Verhalten auch umzusetzen. Der Coachingprozess selbst besteht gemäß dem Ansatz von Rosinski (2003, S. 209 ff.) aus drei Schritten: 1. Assessements: Der Coachee schätzt sich selbst ein, es werden Bedürfnisse, Werte, Motivationsquellen, Stärken, Schwächen, situationale Faktoren (Erfolge, Herausforderungen) und Präferenzen erhoben. Dies geschieht anhand von Fragen wie »What is important to you? How do you manifest those values? What is your truth? What do you regard as true/false?« (Rosinski 2003, S. 28 f.). 2. Ziele und Global Scorecard: Das vertraulich eingesetzte Tool erfasst sowohl die gewünschten Ziele als auch die Erfolgsfaktoren, die innere und die äußere Realität. Der Coachee betrachtet sich selbst und wesentliche Stakeholder in seinem Leben, also Familie und Freunde, sein Unternehmen und sogar die Weltgemeinschaft. Jeder Interessensgruppe sind zentrale Werte zugeordnet, dem Ich die Selbstfürsorge, Familien und Freunden Liebe und Freundschaft, der Organisation Added Value und der Weltgemeinschaft eine Verbesserung. Wenn die internen Maßstäbe (Wünsche, Gefühle, Präferenzen etc.) erfasst sind, werden auch die externen bestimmt. Maßstäbe können Work-Life-Balance, Gesundheit und Fitness oder auch Leistungen und Kunden sein. Die Ziele sollen hinsichtlich Anspruch und Realisierbarkeit so beschaffen sein, dass sie bezogen auf die ermittelten Maßstäbe sowohl eine hohe Leistung als auch persönliche Erfüllung ermöglichen. 3. Fortschritte in Richtung der Ziele: In den Coachingsitzungen werden Stärken ermittelt, Schwächen überwunden, es wird auf Erfolge aufgebaut, Herausforderungen werden benannt und ein Lernprozess wird angestoßen. Der Coachee nimmt sich konkrete Ziele vor, setzt Einsichten und Tools ein, reflektiert und notiert Erfahrungen, holt sich Feedback, gewinnt mehr globale Bewusstheit und nutzt die Differenzen zur Erzeugung von Synergien. Rosinski möchte den Fokus weiten und Coaching weder nur auf die Persönlichkeitsentwicklung noch ausschließlich auf die Leistungsverbesserung in Organisationen reduziert sehen, sondern beides verbinden und damit auch einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten. Dieser letzte, meist vernachlässigte Aspekt gibt der Vorgehensweise ihren Namen: Global Coaching (Rosinski, 2010). Dies ist auch der Titel der jüngeren Buchpublikation von Rosinski, in der Kultur nur noch eine von sechs Perspektiven darstellt. Die anderen betreffen die Physis, Managementqualitäten, Emotionale Qualität, Politik und Spiritualität. Das Buch ist ein Kompendium an Konzepten und theoretischen Ansätzen,
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Prinzipien, Modellen und Typen, das vom situativen Führen bis zu den Archetypen reicht und letztlich seinen Coachingansatz darlegt. Als geeignete Abbildung für die Multiperspektivität betrachtet Rosinksi die Möbius-Schleife, die immer neue Perspektiven eröffnet und die Dualität von Endlichkeit und Unendlichkeit enthält, die für ihn in der Arbeit zum Tragen kommt. Kritische Würdigung: Rosinskis (2003) Verdienst ist, das er schon früh ein Buch zum Coaching geschrieben hat, das die Interkulturalität über den gesamten Coachingprozess hinweg mit bedenkt. Von der Auftragsklärung bis zu den Methoden wird auf Kultur Bezug genommen. Dabei geht Rosinski jedoch bedauerlicherweise nur von Landeskulturen und einem statischen Kulturverständnis (Eisberg, Kulturzwiebel) sowie von den Kulturdimensionen aus. Sie dienen als deduktive Suchheuristik, und bekanntlich ist es bei einer solchen Vorgehensweise schwierig, etwas anderes zu finden als man gesucht hat. Nicht zuletzt auch dadurch ergibt sich als weiterer Kritikpunkt, dass der Ansatz stark normativ ist, einschließlich der Hinweise, die den Coachingpartnern gegeben werden. Sie sollen die Differenzen wertschätzen, auch der Coach selbst. Statt sich gestört zu fühlen, wenn das Telefon des Coachingpartners die Sitzung häufig unterbricht, soll man sich ins Bewusstsein rufen, dass er auch für einen selbst immer erreichbar ist. Dabei ist es oft keine Frage fehlender Normen, sondern mangelnden Umsetzungsvermögens, wenn keine Synergien geschaffen werden. Dennoch zeugen beide Bücher von Belesenheit, sind ethisch fundiert und durch die Fallbeispiele und Methoden oder Konzepte inspirierend. Nicht zuletzt gehört Leidenschaft und Mut dazu, Coaching als Medium zur Verbesserung der Welt zu propagieren.
Coaching als Fine-Tuning für die interkulturelle Kompetenz Die bislang einzige Dissertation, die sich ausschließlich dem Thema Interkulturelles Coaching widmet und dazu ein eigenes Modell entwickelt, hat als Hintergrund die Entwicklungszusammenarbeit in afrikanischen Ländern. Ausgangspunkt der Überlegungen von Margaret Steixner (2007) ist die Annahme, dass trotz der Uniformierung in der Weltgesellschaft kulturelle Differenz auch weiterhin als Problem und Herausforderung in internationalen Kontakten fortbesteht und »gemanagt« werden muss. Daher hat interkulturelles Lernen bei ihr einen hohen Stellenwert, und interkulturelles Training und Coaching liegen aufgrund ihrer gemeinsamen Ausrichtung an diesem Ziel nah beieinander. Beide bieten die Möglichkeit, interkulturelle Kompetenzen auszubauen. Da Steixner Coaching als systematische und institutionalisierte Reflexion und als eine Form des Erwachsenenlernens begreift, kann es für den Ausbau der interkulturellen Kompetenzen im Rahmen der Zielvereinbarungen genutzt werden. Diese Kompetenzen stehen im Zentrum von Steixners Konzept, welches auf einem sechsdimensionalen Modell der kulturellen Differenz basiert. Als Differenz-Dimensionen unterscheidet sie Beziehungs-, Denk-, Kommunikations-, Führungs-, Arbeits- und Konfliktstile (Steixner, 2007, S. 37).
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Das an die Kulturdimensionen und die Kulturzwiebel von Hofstede (1997, vgl. dazu auch kritisch → Kapitel 3.1.1, Kulturen in Bewegung) angelehnte Referenzmodell dient der Analyse von Differenzerfahrungen. Unterschieden werden, hier am Beispiel der Führungsstile, die Schichten »kulturelle Grundannahmen«, »Normen und Werte« sowie »Symbole und Rituale« (Abbildung 27).
Abbildung 27: Beispiel für eine Differenz am Grundmodell der kulturellen Differenz von Steixner (2007, S. 60)
Die beiden idealtypischen Ausprägungen bzw. Grundmuster für jede der sechs betrachteten Differenzdimensionen werden jeweils durch eine bipolare Achse dargestellt, hier zwischen hierarchischem und egalitärem Führungsstil. Je nach Ausprägung unterscheiden sich dann Autoritätsverständnis, Rollenbewusstsein, Statusentwicklung, die Vergabe von Arbeitsaufträgen, die Erwartungen an ihre Ausführung sowie die Entscheidungsfindung in ihrer Dauer, den Instanzen und der Form (Hofstede, 1997, S. 60 ff.). Dieses Modell sieht keine Zuordnung von einzelnen Kulturen zu Merkmalsausprägungen vor, sondern es geht darum, auf der Basis empirischer Daten typische für die interkulturelle Kommunikation relevante Differenzen herauszuarbeiten. Mit den extrapolierten sechs Referenzsystemen, auf die Menschen in unterschiedlicher Ausprägung zurückgreifen, lassen sich die Reibungspunkte im Kulturkontakt erfassen. Wenn sie rechtzeitig
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wahrgenommen werden und im Coaching eine durch die Selbstreflexion angeregte Persönlichkeitsentwicklung stattfindet, so wird dann nach Einschätzung von Steixner die internationale Zusammenarbeit verbessert. Im Coaching kann in bewusster Distanz vom alltäglichen Handeln an den kulturell geprägten Wirklichkeitskonstruktionen einzelner Personen gearbeitet werden. Hinsichtlich des Coachingdesigns hält Steixner die Nutzung von interkulturellen Beurteilungsverfahren wie unter anderem dem Intercultural Readiness Check als Einstieg für hilfreich, da sie helfen, Entwicklungspotenziale zu definieren (vgl. dazu → Kapitel 3.3 zu interkulturellen Profilen und Assessments). Das »Referenzmodell« dient zur »Problembeschreibung« bzw. Diagnose der Herausforderungen interkulturellen Lernens (Welche Probleme werden in den Situationen des Coachees wirksam?), während ein zweites Modell eher als praktische Hilfe und Orientierung für die Definition der konkreten Ziele und Aufgaben im Coaching fungiert (Was soll im Coaching erreicht, welche Kompetenzen sollen entwickelt werden?). Als Rahmenmodell für das kompetenzfördernde Coaching unterscheidet die Autorin drei Sektoren, mit denen sie interkulturell kompetentes Handeln erfasst: Selbstmanagement, Differenzmanagement und Integrationsmanagement. Der nach diesen Kategorien untergliederte Katalog nützlicher Fähigkeiten beschränkt sich nicht allein auf den Umgang mit interkulturellen Situationen, laut der Autorin werden aber Schwächen und Defizite bezüglich dieser Fähigkeiten und Kompetenzen gerade in solchen – kommunikativ anspruchsvolleren – Situationen besonders deutlich. Im Folgenden sollen die drei Sektoren und einige der darin zusammengefassten Kompetenzen kurz angesprochen werden (Abbildung 28).
Abbildung 28: Fähigkeitenkatalog interkultureller Kompetenz (Steixner, 2007, S. 169)
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Selbstmanagement hebt Steixner als bedeutsamen Sektor hervor, weil es in der Konfrontation mit destabilisierenden Umständen wie dem »mentalen Chaos des Kulturkontakts« (Steixner, 2009, S. 99) wichtig ist, eine gute Selbsteinschätzung zu haben. Das Konzept des Selbstmanagement differenziert sie dann weiter aus in Fähigkeiten wie Selbstvertrauen, Selbstbewusstheit, Stressresistenz etc. Selbstvertrauen benötigt eine Person, die in einem ungewohnten kulturellen Umfeld andere Anforderungen erlebt und die gegebenenfalls dennoch in der Lage sein muss, sich selbst positiv zu bewerten. Um die Wirkung des eigenen Verhaltens zu kennen und Lernerfahrungen zu machen, ist unter anderem Selbstbewusstheit erforderlich. Der zweite Sektor, Differenzmanagement, umfasst Fähigkeiten wie Offenheit und Toleranz, von denen die Bereitschaft abhängt, sich mit Fremdem und Neuem auseinanderzusetzen. Coaching dient der bewussten Aufrechterhaltung von Offenheit, da Unsicherheit und Unverständnis typischerweise eher zu rigide Reaktionen führen. Integrationsmanagement schließlich wird benötigt, weil die Aufnahme des kulturell Fremden in die eigene Identität diese reorganisiert. Dazu ist es nötig, sich von vertrauten Rollen zu distanzieren und Bekanntes zu relativieren. Gefragt ist hier etwa Ambiguitätstoleranz als die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen, sie auszuhalten oder gar nutzen zu können. Je nachdem, welche Kompetenzen sich im konkreten Einzelfall als besonders kritisch herausgestellt haben, können diese fokussiert werden: »Im Coaching sollte der Raum geschaffen werden, die Notwendigkeit dieser Fähigkeit in den verschiedenen Farben auszumalen und die Relevanz im interkulturellen Kontext zu diskutieren« (Steixner, 2009, S. 96). Die zentralen Interventionen sind »ergründende und bewusstseinsschärfende Fragen« (Steixner, 2009, S. 96). Daher schließt Steixner an jeden Sektor einen Fragenkatalog an. Der folgende Auszug (Tabelle 10) enthält wörtlich zitiert einige dieser Fragen. Steixner merkt an, dass Coaching zwar ein offener und situationsorientierter Prozess ist, dass aber Referenz- und Rahmenmodelle hilfreich sind, um diesen Prozess zu strukturieren. Sie dienen der Analyse von Erfahrungen (Was passiert da?), geben Orientierung und unterstützen den konstruktiven Umgang mit interkulturellen Irritationen und Problemen. Kritische Würdigung: Steixner weist zu Recht auf die Beobachtung erfahrener Coachs hin, dass Themen rund um das Selbstvertrauen typische Anliegen eines Coachingprozesses sind (Steixner, 2009, S. 99). Auch ist ihrer Einschätzung zuzustimmen, dass interkulturelle Kompetenz ein tiefes persönliches emotionales Lernen und folglich Persönlichkeitsentwicklung ist. Damit geht das Modell weit über die üblichen interkulturellen Lernansätze hinaus. Doch ist es wirklich hilfreich, weitere Normen zu definieren? Die Debatte um die Zusammensetzung und Definition von interkultureller Kompetenz ist inzwischen so unübersichtlich, dass es für die Praxis kaum nützlich erscheint, dem weitere Kompetenzbündel hinzuzufügen – so intelligent sie auch gruppiert sein mögen. Bedenklich für das Coaching sind die in den Kompetenzfeldern
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Tabelle 10: Auszüge aus dem Fragenkatalog von Steixner (2009, S. 100 ff.)
Fragen: Selbstmanagement
Fragen: Differenzmanagement
Fragen: Integrationsmanagement
»Welche positiven Teamerfahrungen haben Sie im Laufe des bisherigen Arbeitslebens gemacht?« »In welcher Weise haben Sie diese Erfahrungen geprägt?« »In welcher Situation fühlen Sie sich verunsichert?« »Können Sie genauer beschreiben, wann es zu solchen Verunsicherungen kommt?« »Wie reagieren Sie spontan auf solche Verunsicherungen?« »Welche Gedanken gehen Ihnen nach der Arbeit manchmal durch den Kopf?« »Wie reagieren Sie, wenn Sie mit Ihrer ›Weisheit‹ am Ende sind?« »Was tun Sie in dieser Situation?« »Wo holen Sie sich Unterstützung?« »In welcher Situation konnten Sie eine positive Lösung finden?« »Wie können Sie diese positiven Parameter für andere Bereiche nutzbar machen?«
»Was würden Sie gern über Ihre Teammitglieder erfahren, was Sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wissen?« »Was macht Sie neugierig?« »Was waren die einprägsamsten Erlebnisse innerhalb der interkulturellen Erfahrungen?« »Was genau hat Sie an dieser Situation bewegt?« »Wie ändert diese Erfahrung Ihre eigene Sicht der Welt?« »Kennt Ihre Offenheit Grenzen?« »Wo liegen diese Grenzen und warum?« »Welche Führungsstrategien nutzen Sie am häufigsten?« »Welche Reaktionen haben Sie beobachtet?« »Auf der Basis dieser Reflexion, welche drei Dinge könnten Sie im aktuellen Kontext anders machen?« »Wie geht es Ihnen mit der Idee der Anpassung?« »Was geben Sie auf?« »Was gewinnen Sie?« »Wie konkret leben Sie Toleranz?«
»Welche Gefühle kommen als Erstes auf, wenn Sie an Ihre Teamzusammenarbeit denken?« »Wo unterscheidet sich die Realität von Ihren Erwartungen?« »Wie gestalten Sie diesen Überschneidungsraum?« »Wer übernimmt die Verantwortung für die Gestaltung des Überschneidungsraums?« »Wenn eine Fee Ihnen drei freie Wünsche in Bezug auf Ihre Arbeitssituation zugestehen würde, was würden Sie wählen?« »Wie können Sie selbst die Fee sein?« »In welchen Situationen fällt es Ihnen leicht zu akzeptieren, dass andere anders handeln oder denken?« »Was bringt Ihnen diese Erfahrung?« »Welche Verhaltensanpassungen nehmen Sie vor?« »Wo sind die Grenzen Ihrer Anpassungsbereitschaft?« »Was passiert, wenn andere Ihre Grenzen übertreten?« »Welchen Handlungsspielraum haben Sie?« »Wie nutzen Sie diesen Handlungsspielraum?«
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enthaltenen impliziten Ziele. Entsprechend der Grundhaltung des Coachings verbietet es sich für den Coach, vorab eigene Ziele für den Coachingpartner zu definieren, und ihm als Coach obliegt es auch nicht, zu entscheiden, welche Persönlichkeitsanteile entwickelt werden müssen oder ob jemand als Ziel Toleranzfähigkeit haben sollte. Die Zieldefinition in der Coachingarbeit ist – im ethisch vertretbaren Rahmen – zunächst dem Coachingpartner bzw. dem Kunden selbst überlassen. Allenfalls kann man Empfehlungen geben. Die Fragen, welche die Autorin zu den drei Sektoren zusammengestellt hat, sind gut gewählt und anregend, auch wenn sie vorgegebene Kompetenzdefinitionen operationalisieren. Letztlich wird es aber auf den situativen Kontext ankommen, im Rahmen dessen entschieden wird, wann welche Frage zielführend sein könnte.
Integrales Coaching Wer als Coach bewusst »integral« arbeitet, berücksichtigt in der Regel die Reflexion kultureller Faktoren. Denn die Integrale Psychologie Ken Wilbers (2001) möchte alle Aspekte menschlichen Bewusstseins erfassen und anerkennen. Der Begriff »integral« bezeichnet hier nicht nur einen ganzheitlichen Ansatz, sondern meint vor allem ein multiperspektivisches Vorgehen (vgl. dazu auch → Kapitel 2.6 zu den Formaten kulturreflexiver Coachings). Basierend auf mannigfaltigen östlichen und westlichen, alten und aktuellen Quellen hat Wilber ein Modell entworfen, welches vom Unbewussten über das Selbstbewusstsein bis hin zum »Überbewusstsein« reicht. Da der Mensch so komplex und einzigartig ist, kann nach Wilber keine einzelne therapeutische Schule und keine einzelne Methode für sich für sich beanspruchen, der passende Weg zu Entwicklung und Heilung zu sein, sondern sämtliche Begleitungsformen und -konzepte sollten miteinander verbunden werden. Jede Theorie der Welt beschreibt aus ihrer Sicht nur einen Teil der Wahrheit. Daher ist es Wilber ein Anliegen, so viele Perspektiven wie möglich in einer Gesamtschau zu verbinden, was er mit »AQAL« (= alle Quadranten, alle Levels) bezeichnet. Sein Metamodell kann man als mehrdimensionales Kontinuum beschreiben. Es gliedert sich in fünf Kategorien: Quadranten, Ebenen, Linien, Typ- und Zustandsperspektiven. Im Rahmen dieses Buches können wir keine ausführliche Erläuterung der Begrifflichkeiten geben und dem Spektrums der integralen Herangehensweise nicht gerecht werden. Stattdessen möchten wir uns darauf beschränken, zum Verständnis der darauf aufbauenden Coachingansätze mit integralem und zugleich interkulturellem Anspruch einige Grundprinzipien zu skizzieren, welche sich auch methodisch niederschlagen. Im Interkulturellen Coaching wird vor allem mit den Quadranten gearbeitet – zum einen mit dieser Darstellungsform und zum anderen mit den in den Quadranten aufgeführten Inhalten (Tabelle 11).
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Tabelle 11: Beispiel für das Arbeiten mit AQAL (eigene Darstellung)
individuell »I« (Subjektiv)
I N N E N
»IT« (Objektiv)
Überzeugungen, Werte, Bedürfnisse, Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Wahrnehmungen, unmittelbare Empfindungen, Einstellungen
Sichtbares (Dinge und Verhalten), Körper, Gehirn, alles, was man sehen und anfassen oder auch wissenschaftlich beobachten oder messen kann in Raum und Zeit
»WE« (intersubjektiv)
»ITS« (interobjektiv)
geteilte Werte, Bedeutung, Sprache, Beziehungen und kultureller Hintergrund (Organisation, Gruppe, Team …)
natürliche Umgebung (Natur), Systeme, Netzwerke, Technologie, Staat(en) und Regierung(en), Markt und Wirtschaftsstrukturen, Prozesse
A U S S E N
kollektiv
Jede der vier jeweils als Quadrant dargestellten Dimensionen ist unterteilt in eine Innen- und eine Außenperspektive sowie eine individuelle und eine systemische Perspektive. Alle vier Sichtweisen sind miteinander verbunden, und anhand der Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen Perspektiven können integrale Analysen durchgeführt werden, und es lassen sich Veränderungsrichtungen ableiten. Die Innenseite dieser auch als Evolutionsmodell bezeichneten Darstellung wird mit dem Bewusstsein gleichgesetzt, welches sowohl in einer individuellen als auch in einer kollektiven Form existiert. Der individuelle innere Quadrant ist das jeweilige subjektive Bewusstsein (»I«), der kollektive innere Quadrant ist das gesellschaftliche Bewusstsein (»WE«), von Wilber auch Kultur genannt. Die äußere Struktur bilden der empirisch erfassbare Körper (»IT«) und das kollektive, durch Institutionen repräsentierte System (»ITS«). Die durch die verschiedenen miteinander kombinierten Felder bzw. Quadranten konstituierte Vielfalt an Perspektiven dient dazu, die Realität als einen Prozess wahrzunehmen. Es gibt zahlreiche Adaptionen des Vierfelderschemas und des Quadrantensystems. Für das kulturreflexive Coaching hat Armstrong (2009) ein Set von Fragen für die verschiedenen Perspektiven entwickelt (Tabelle 12).
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Tabelle 12: Vierfelderschema für das kulturreflexive Coaching (nach Armstrong, 2009, S. 43)
Individuum Die Geschichte, die wir uns selbst erzählen
I N N E N S I C H T
Verhalten und Aktivitäten
INNENSICHT (Gefühle/Gedanken)
INNENSICHT (Handeln)
Wer bin ich? Welche drei Werte sind mir am wichtigsten? Worin besteht meine persönliche Geschichte? Wie beeinflussen diese Dinge das, was ich bin?
Was tue ich? Wie erlebe ich meine Handlungen? Was könnte ich anders machen? Wie drücke ich mich kreativ aus? Worin bestehen mein Wissen und meine Fähigkeiten?
SELBST
Wie sind wir verbunden?
Welche systemischen Einflüsse gibt es auf mich?
AUSSENSICHT (Kultur)
AUSSENSICHT (Strukturen)
Wie sind wir in Beziehung? Wie handeln andere in Bezug auf mich? Welches Feedback erhalte ich? Was ist mein familiärer, kultureller, ethnischer Hintergrund? Wie reproduziere ich ihn? Zu welchen Kulturen gehöre ich noch? Wie reproduziere ich das?
Was ist meine soziale Position? (Klasse, Ethnie, Alter, Geburtsort, Geburtsland) Welchen Status habe ich in der Organisation? Wie gehe ich mit Macht um?
Organisation
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A U S S E N S I C H T
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Die Vorgehensweise im integralen Coaching nach Armstrong liegt darin, zunächst die Stärken bildende Sichtweise der positiven Psychologie und die Haltung der Lösungsorientierung einzunehmen. Alsdann gilt es, der Geschichte bzw. dem Coachingpartner genau zuzuhören, wenn dieser seine Geschichte(n) erzählt, damit der Coach erlebt, wie der Coachee seine Welt konstruiert. Die zentrale Intervention nennt Armstrong »powerful questioning«, einige der hierfür verwendeten Fragen sind in der Abbildung exemplarisch aufgeführt (Armstrong, 2009, S. 41 f.). Die Fragen erschließen speziell den soziokulturellen Kontext. Zur Erschließung der »Außensicht«, das hier eine Wortschöpfung darstellt (»Outsight« ist ein Begriff, den es im englischen Wörterbuch nicht gibt), arbeitet der Coach mit systemischen Fragen, welche den Blick der anderen auf die eigene Person und deren Handlungen fokussieren. Fragen wie »Was würde Ihr Kollege darüber sagen?«, »Welchen Rat würden Sie mir geben, wenn ich an Ihrer Stelle wäre?« erschließen solche Außenperspektiven. Ziel ist, die Kultursensibilität vor allem von international arbeitenden Fach- und Führungskräften als »Meta-Skill« zu entwickeln bzw. zu stärken. Eine Unterstützungsform kann sich nach Ken Wilber nur dann integral nennen, wenn alle Quadranten, Ebenen und Linien berücksichtigt werden. Daher scheinen die Sichtweisen und Perspektiven des integralen Coaching prädestiniert für die Entwicklung einer Kultursensibilität, denn diese Perspektive ist von Anfang an im Modell enthalten. Ein auf dem deutschen Buchmarkt veröffentlichter Ansatz findet sich zum Beispiel in einer Monografie von Wellensiek (2010). Die Autorin entwickelte in Anlehnung an die integrale Theorie ihr Human Balance Training (H.B.T.), ein Bewusstseinstraining, dessen methodische Basis aus der integralen Psychologie stammt. Im Zentrum stehen die ressourcenorientierte Klärung von Dynamiken sowie die Entwicklung der eigenen Person und die bewusste Gestaltung des eigenen Lebens. Wellensiek geht es beim Human-Balance-Kompass vor allem um die »Ganzheit des Menschen« im Bewusstsein von Seele und Sein, Körper, Verstand und Gefühl. Leicht ist in der Grundmatrix ihres »Kompass« das Modell der vier Quadranten zu erkennen. Der Coach benutzt die von ihr vorgeschlagenen Methoden und Vorgehensweisen stets 1. für die Analyse, 2. für die Selbststeuerung des Coachs, 3. für die Beziehung zwischen den Coachingpartnern und 4. für die Entwicklung der Selbstwirksamkeit des Coachees. Insofern sind Innen- und Außensicht zumindest im Coachingprozess der Beteiligten stets mit bedacht. Einen expliziten kulturellen Bezug stellt die Autorin darüber hinaus nicht her. Auch Abbotts (2010) methodische Vorschläge basieren auf dem Vierfelderschema, welches er mit einem Action-Learning-Zyklus für den Prozess im Coaching sowie inhaltlich unter anderem mit den Kulturdimensionen verbindet.
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Wieder geht es um die Reflexion eigener Gefühle und Gedanken, des Verhaltens, der kulturellen Dimension sowie der Struktur. Im Zentrum stehen auf die Quadranten bezogene Paradoxien. Abbott orientiert sich dabei an den Harrison Assessment Paradox Graphs (Abbott, 2010, S. 332 f.), bei denen von zwei entgegengesetzten Polen wie zum Beispiel »organisiert versus flexibel« jeder auf einer Achse mit den Ausprägungen »niedrig« und »hoch« abgetragen wird, so dass insgesamt vier Felder entstehen (siehe die Tabelle 13). Ziel ist jeweils die Synergie oder Integration beider Pole (Quadrant rechts oben): eine Sowohl-als-auch-Haltung. Tabelle 13: Paradoxe verbinden (nach Abbott 2010, S. 333)
Individualismus hoch
selbstzentriert
autonom und in Verbindung
niedrig
undurchsichtig
nachgiebig
niedrig
hoch Kollektivisimus
Individualismus und Kollektivismus sind Paradoxa, weil sie ohne einander nicht existieren können, aber idealtypisch einander entgegengesetzte Pole bilden. Gemäß der Tabelle entsteht bei hohem Individualismus und niedrigem Kollektivismus eine Selbstzentriertheit. Eine niedrige Ausprägung sowohl von Individualismus als auch von Kollektivismus führt dagegen dazu, dass die betreffende Person undurchsichtig wirkt. Wer eine hohe Ausprägung hinsichtlich des Kollektivismus, aber eine niedrige hinsichtlich des Individualismus hat, handelt und wirkt nachgiebig. Wer in Bezug auf Individualismus und Kollektivismus gleichermaßen eine hohe Ausprägung hat, ist sowohl autonom im Handeln als auch in rücksichtsvoller Verbindung und Beziehung mit anderen. Abbott geht es bei dieser Darstellung vor allem um die Entwicklung von Synergie. Letztlich ist es für ihn nicht wichtig, sich an bekannten Paradoxien zu orientieren, sondern es kommt darauf an, die vom Coachee in der eigenen Erfahrungswelt und Erlebnissen entdeckten oder berichteten Differenzen zu einer konstruktiven Integration und einem Sowohl-als-auch zu führen. So will er vermeiden, dass Kultur als Fixum gesehen wird und empfiehlt zugleich, im Coaching achtsam hinsichtlich kultureller Einflussfaktoren zu sein. Erfolgreiches internationales Handeln bedeutet für Abbott, Paradoxien managen zu können: »At its best, cross cultural coaching is an inspired action learning process that gives prominence to context
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where culture is explored and mobilized through conversation followed by client action« (Abbott, 2010, S. 338). Im Hinblick auf die an Diversität orientierte Zukunft des Coachings ist ihm wichtig, dass in den Geschichten der Coachingpartner solche Paradoxien gefunden werden, statt dass Experten von außen als universal deklarierte Interpretationen an die Coachees herantragen. Kritische Würdigung: Wie die Kybernetik und die Systemik hat auch der integrale Ansatz im Coaching den Anspruch, ein allumfassendes Erklärungsmodell zu liefern, mit dem sich von der Neurobiologie bis zur Spiritualität alle Phänomene integriert erklären lassen. Der integrale Ansatz unterstützt theoretisch und methodisch eine Multiperspektivität und hilft, die kollektiven Dimensionen der Persönlichkeit, im individuellen Handeln, bei interpersonellen Begegnungen und Interaktionen sowie im Kontext zu ermitteln. Es ist vor allem Wilbers breiter methodologischer Belesenheit und der gezielten Integration westlicher und östlicher Philosophien geschuldet, dass Kultur, ähnlich wie beim Global Coaching, als eine der Dimensionen berücksichtigt wird. Kulturreflexivität ist indes auch bei einem auf der integralen Theorie aufbauenden Coachingansatz nicht »automatisch« gegeben. Man kann wie Wellensiek (2010) auch stark fokussiert auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung auf dem integralen Ansatz aufbauen, ohne kulturelle Aspekte systematisch zu berücksichtigen. Ob die von ihr vorgeschlagenen Methoden für verschiedene Identitätskonstruktionen geeignet sind, wird bei Wellensiek nicht explizit reflektiert. Um Kultur für ein kulturreflexives Coaching methodisch zu berücksichtigen, ergänzen die Autoren, die sich mit Interkulturellem Coaching beschäftigen, die integrale Herangehensweise um zusätzliche Wissensbestände und Methoden. Und eine sowohl inhaltliche wie auch reflexiv vorgehende dialektische Methodik wie die von Abbott kommt einer kulturreflexiven und transkulturellen Perspektive schon sehr nahe. Zugleich schränkt die Vierfelder-Einteilung in Quadranten und Kästchen theoretisch und methodisch ein, suggeriert sie doch Vollständigkeit und Überschaubarkeit.
Fazit: Keine Standards, aber eine Fülle von Anregungen Die bislang von Kolleginnen und Kollegen publizierten Ansätze und Erfahrungen bilden gleichsam ein Reservoir von Beispielen und Anregungen, von denen man sich inspirieren lassen kann. Sie umfassen konzeptuelles Wissen, Vorgehensweisen, Methoden und Interventionen. Allerdings ist der Fundus noch extrem klein. Deutlich wird auch, dass das gesamte Gebiet noch Systematisierungsbedarf hat, wozu wir mit diesem Buch einen Beitrag leisten wollen. Wie im Coaching überhaupt, so gibt es auch im Interkulturellen Coaching nicht nur einen einzigen guten und richtigen Weg, wohl aber im Bezug auf Kultur strukturiertes wie auch unreflektiertes Vorgehen. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass man sich im Hinblick auf die Coachingarbeit über die eigenen kultursensitiven Methoden und Kompetenzen Rechenschaft ablegt.
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3.6 Zusammenfassung: Kulturreflexive Kompetenzen für Coachs An Methoden und Kompetenzen für die kulturreflexive Coachingpraxis haben wir eine Auswahl zusammengestellt, die keine Vollständigkeit beansprucht. In Ermangelung eines einheitlichen Ausbildungscurriculums oder von definierten Inhalten eines geschützten anerkannten Ausbildungsberufs variieren die Kompetenzbündel, die für eine professionelle Coachingtätigkeit angegeben werden, ohnehin je nach Anbieter und seinen jeweiligen Hintergründen. Uns ist wichtig, dass die oft nur begrenzt reflektierten Basiskonzepte, die im Coaching eine Rolle spielen, der Kulturbegriff (→ 3.1.1), das Kommunikationsverständnis (→ 3.1.2), das Menschenbild sowie die Vorstellung von Identitäten (→ 3.1.3) und Körpern (→ 3.1.4), einer grundsätzlichen Prämissenreflexion unterzogen werden. Darüber hinaus sind Beispiele für aus dem interkulturellen Paradigma stammende und erforderliche zusätzliche Wissensbestände genannt worden. Als kulturreflexiv arbeitende Coachs, Berater oder Begleiter benötigen wir Methoden des interkulturellen Lernens (→ 3.2.1), kompetenzerweiternde Methoden für die multikulturelle Praxis (→ 3.2.2) und beispielsweise Entwicklungsmodelle für die transkulturelle Identitätsarbeit (→ 3.2.3). Der transformativen Lerntheorie zufolge sind wir der Meinung, dass man für das Interkulturelle Coaching nicht nur Wissen hinzunehmen kann, sondern auch alle Vorgehensweisen, Methoden und Instrumente kulturreflexiv betrachten und auf Kultursensibilität prüfen muss. Daher sind jeweils die kulturellen Voraussetzungen der Methodologien zu bedenken (→ 3.2.4). Des Weiteren haben wir einen Überblick über interkulturelle Persönlichkeitsprofile und Assessments gegeben (→ 3.3) und zur Anregung einige körperorientierte Methoden für die kulturreflexive Arbeit ausgewählt (→ 3.4). Zusammengetragen haben wir auch diejenigen Methoden und Designvorschläge, die Kollegen bereits im interkulturellen Zusammenhang erprobt haben und ihrerseits vorschlagen (→ 3.5). Für die Zusammenstellung der kulturreflexiven Kompetenzen des Coachs auf der Metaebene wollen wir abschließend keine vollständige Liste, sondern eher eine kulturreflexive Systematik vorschlagen, die auf unterschiedliche Kompetenzbündel angewendet werden kann. Gruppiert man exemplarisch einige für die erfolgreiche Coachingpraxis erforderlichen Fähigkeiten, so kann man unserer Ansicht nach vier Bereiche unterscheiden: 1. transkulturelle Coachingkompetenzen, 2. interkulturelle Erfahrungen und Kenntnisse, 3. theoretische und interkulturelle Wissensbestände sowie 4. die Arbeit an der persönlichen Entwicklung mit kultureller Selbstreflexivität (Abbildung 29).
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Abbildung 29: Kompetenzen für die kulturreflexive Arbeit mit Menschen (eigene Darstellung)
1. Theorie: Für viele Standardthemen im Coaching benötigt man theoretisches Wissen, also Referenztheorien aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Dazu gehören Führungstheorien ebenso wie das Wissen über Konfliktverläufe, das Lernen Erwachsener und vieles mehr. Für das kulturreflexive Coaching kommt es nicht darauf an, eine Kulturtheorie studiert zu haben, sondern es geht vielmehr darum, die vorhandenen Wissensbestände kulturreflexiv zu betrachten, also den interkulturellen Bereich der Psychologie, die auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtete Betriebswirtschaft oder einige der zahlreichen in der Pädagogik vorliegenden interkulturellen Ansätze zu kennen. 2. Profession: Für eine transkulturelle Coachingtätigkeit ist es zweitens erforderlich, die professionstypischen Vorgehensweisen, Methoden und Ausbildungen interkulturell zu beleuchten und zu ergänzen. Es ist hilfreich, die verschiedenen Ansätze (→ Kapitel 2.5, »Interkulturelles Coaching« – Definitionen und Ansätze) und Herangehensweisen im Interkulturellen Coaching (→ Kapitel 2.6, Formate kulturreflexiver Coachings; 3.2.4, Methoden – culturally revised) zu kennen. Zu den im Coaching ohnehin schon verbreiteten Assessments kommen interkulturelle Beschreibungstools hinzu (siehe hierzu → Kapitel 3.3, Interkulturelle Profile und Assessments). 3. Interkulturelle Erfahrungen und Kompetenzen: Es ist nicht notwendig, lange im Ausland gelebt zu haben, um kulturreflexives Coaching durchführen zu können, auch wenn es hilfreich ist. Man muss als Arzt auch nicht alle
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Krankheiten gehabt haben, um professionell zu praktizieren. Nach unserem Ansatz haben wir alle transkulturelle Erfahrung und entsprechende Identitätsarbeit zu leisten (siehe dazu → Kapitel 3.1.3, Von der Identität zu den Identitäten), insofern sind die Themen über viele Erfahrungen erschließbar. Weitere erforderliche interkulturelle Kompetenzen können erlernt werden wie zum Beispiel Wissensbestände zu Akkulturationstheorien oder diversen Kulturkreisen. 4. Persönlichkeit des Coachs: Die zentrale »Methode« im Coaching dürfte jenseits aller Kompetenzen die Persönlichkeit des Coachs sein. Da spielen reflektierte Lebens- und Führungserfahrungen ebenso eine Rolle wie Berufs- und Managementerfahrungen in verschiedenen Sektoren und ständige Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung. Daher arbeiten professionelle Coachs vor allem an ihrer eigenen Reife und Durchlässigkeit. Interkulturelle, bereichsübergreifende und vor allem heterogene Erfahrungen aller Art helfen, sind aber nicht automatisch kompetenzbildend, wie man seit langem in der interkulturellen Pädagogik weiß. Es gibt Menschen, die entwickeln im kleinsten Dorf den größten Horizont, und andere schauen nie über ihre Nasenspitze hinaus, egal wie weitgereist sie sind. Die Bausteine enthalten Beispiele für Wissens- und Erfahrungsbestände, welche zusammengenommen die transkulturelle Coachingkompetenz ausmachen, daher haben sie einen inhaltlichen Schwerpunkt im interkulturellen Paradigma und in der kulturreflexiven Betrachtung vorhandener Theorien. Die je unterschiedliche Zusammensetzung von Kenntnissen und Fähigkeiten, welche jeden Coach individuell kennzeichnet, macht die Vielfalt in der Branche aus und ermöglicht auch, die verschiedenen Bedarfe abzudecken. Entscheidend für die Qualität ist, dass man ein (eigenes) Konzept hat, das Fähigkeitsspektrum und -schwerpunkte, Grundhaltung, Vorgehensweise etc. expliziert. Die in diesem Kapitel thematisierten Aspekte sollten einen Eindruck geben, worin Schwerpunkte für eine kulturreflexive Herangehensweise liegen können. Wer sich als Coach professionalisiert und Erfahrungen gemacht hat, löst sich nach einer Weile von der Orthodoxie der eigenen Ausbildungen und bringt die Wissensbestände und Fähigkeiten in ein eigenes Konzept. Dieses dient nicht nur dem eigenen bewussten Handeln, sondern auch der Qualität und der beruflichen Selbstpräsentation. Für die Aufnahme in Coachingpools werden beispielsweise typische Fragen zur professionellen Selbstdarstellung gestellt. Diese haben wir leicht kulturreflexiv abgewandelt, da sie hilfreich sind, um sich Rechenschaft über den eigenen Ansatz zu geben, zudem helfen sie Human-Resources-Managern, die Kulturreflexivität und -sensitivität eines Coachs zu erfragen (Tabelle 14). Am besten überlegt man bei jeder Antwort, wo Kulturen und hybride Identitäten eine Rolle spielen könnten.
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Tabelle 14: Frageliste für ein kulturreflexives Coachingkonzept
Definitionen und Ansätze – Auf welcher Grundlage arbeiten Sie? – Welchen Coachingbegriff haben Sie? – Mit welchem Kulturverständnis arbeiten Sie? – Wie grenzen Sie Coaching von anderen Beratungsformen ab? – Was macht für Sie einen guten Coach aus? – Welches Menschenbild haben Sie? Wissensbestände und Erfahrungen – Wie sind Sie zum Coaching gekommen? – Was sind Ihre Zielgruppen? In welchen Branchen und Führungsebenen haben Sie Erfahrung, in welchen nicht? – In welchen Kulturen haben Sie Erfahrungen? – Welche (interkulturellen) Qualifikationen und Kompetenzen sollte ein Coach haben? – Welche bringen Sie davon mit? Welche weniger oder gar nicht? – Was würden Sie als Ihre zentrale Coachingfähigkeit bezeichnen? – Welche Personen(gruppen) können Sie besonders gut begleiten? – Was würden diese Personen über Ihre Arbeit sagen? – Welche Hierarchiestufen coachen Sie? – Haben Sie eigene Branchen-, Organisations-, Führungserfahrungen? – Mit welchen Themen haben Sie besondere Erfahrung? – Welche Sprachen sprechen Sie? – Mit welchen Assessments und Tools arbeiten Sie, wo haben Sie Zertifizierungen? Methodische Kompetenzen und Vorgehen – Auf welche Rahmenbedingungen achten Sie beim Coaching? – Wie reflektieren Sie Kultur im Coaching? – Was beachten Sie bei der Auftragsgestaltung? – Wie beziehen Sie verschiedene Stakeholder mit ein? – Wie lange ist die Gesamtdauer des Coachings? Wie lange sind die einzelnen Sitzungen? – Welcher Zeitraum liegt zwischen den Sitzungen?
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Methodische Kompetenzen und Vorgehen – Wo finden die Sitzungen statt? – Was ist Ihr Ziel beim Coachen? – Wie bauen Sie eine Coachingsitzung auf? – Wie gestalten Sie die einzelnen Phasen der Sitzung? – Was sollte die Beziehung zwischen Coach und Coachingpartner ausmachen? – Welche Methoden setzen Sie häufig ein? – Wie beziehen Sie Emotionen oder den Körper mit ein? – Wie gehen Sie mit den Coachingpartnern um, wenn tieferliegende Probleme auftauchen? – Wie ist für Sie das Verhältnis von Coaching zu Therapie, Supervison, Beratung und weiteren ähnlichen Formaten? – Was würden Sie nicht tun in einem Coaching, was wären Gründe für einen Abbruch der Arbeitsbeziehungen? – Was machen Sie, wenn Sie selbst befangen sind? – Coachen Sie auch Freunde? – Wie wird Ihre Leistung honoriert? – Wo sehen Sie die Grenzen eines Coachings? Qualität – Wie evaluieren Sie die Ziele im Coaching – Wie messen oder definieren Sie den Erfolg? – Welchen Berufsverbänden oder Netzwerken haben Sie sich warum angeschlossen? – Wie bilden Sie sich weiter? – Wie werden Sie supervidiert? – Warum sind Sie (nicht) zertifiziert?
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Leseempfehlungen Abbott, G., Moral, M. C. (Hrsg.) (2009). The Routledge Companion to International Business Coaching. London: Routledge. Die namhaften Autoren des Buches beschreiben, wie bestehende Konzepte und Methoden im internationalen Kontext oder zur Bildung interkultureller Kompetenz im Coaching genutzt werden können. So werden zum Beispiel emotionale oder kollektive Intelligenz genutzt, um die individuelle Perspektive zu erweitern und mehr Handlungsvarianz zu erreichen. Beispielsweise werden Achtsamkeit und Dialogkompetenzen als notwendig erachtet, um eine Organisation zu schaffen, die verschiedene Kulturen willkommen heißt. Mentale Prozesse, die beim Coachee ablaufen, können analysiert und damit der Umgang mit Krisen präventiv geübt werden. Anhand des Kolb’schen Lernzyklus, und Modellen von Veränderungsprozessen wird ein Coaching für Expatriates konzipiert. Verhulst und Sprengel (S. 163–178) beschreiben die Anwendung vom im Businesskontext üblichen Tools zur Ausbildung interkultureller Sensibilität. Internationale Teamcoachingansätze werden ebenso beschrieben wie Möglichkeiten des virtuellen Coachings. Ein lesenswertes vielfältiges Buch für Coachs, die international im Businesskontext arbeiten. Treichel, D., Meyer, C-H. (Hrsg.) (2011). Lehrbuch Kultur. Lehr- und Lernmaterialien zur Vermittlung kultureller Kompetenzen. Münster: Waxmann. Das Buch mit Beiträgen namhafter Autoren bietet eine kompakte und perspektivenreiche Einführung in die Relevanz von Kultur auf die Theorien mehrerer Disziplinen und in unterschiedliche Praxisfelder. Die jeweils in ihrem Feld ausgewiesenen Experten wie unter anderem Alexander Thomas, Gerald Hüther und Mario Erdheim führen in verschiedene Modelle zu Kultur ein und setzen sie mosaikartig in Beziehung zu den Themen Wirtschaft, Gesundheit, Gehirnforschung, Lernen, Kommunikation, Konflikt und mehr. Der Sammelband unterscheidet sich wohltuend von bislang vorliegenden Einführungen durch seinen reflexiven und transkulturellen Ansatz und trägt seinen Titel »Lehrbuch« zu Recht. Die Kurzbeiträge sind verständlich verfasst, jeder Aufsatz endet mit Reflexionsfragen und gibt weiterführende Lesehinweise.
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Kulturreflexive Vorgehensweisen im Coaching
Coaching wird unserer Ansicht nach dann kulturreflexiv durchgeführt, wenn alle vorhandenen Konzepte, Methoden und Kompetenzen um (inter)kulturelle Wissensbestände erweitert und unter (inter)kulturellen Aspekten reflektiert und transformiert werden. Manche Methoden sind problemlos übertragbar, viele müssen angepasst werden und einige sind vielleicht nur begrenzt einsetzbar. Auch die eigenen Kompetenzen und die vertrauten Abläufe gilt es zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern. Ebenso wie für Theorie und Konzepte impliziert Kulturreflexivität daher auch für das konkrete Vorgehen im Coaching selbst, ethische und professionsspezifische Standards zu beachten. Zugleich ist zu überlegen, inwieweit die der Profession zugrunde gelegten Prinzipien nützlich und hilfreich sind und wo sie kultursensibel variiert oder ausbuchstabiert werden müssen. Namhafte Autoren und die verschiedenen teilweise weltweit organisierten Coachingverbände haben zur Professionalisierung der Coachingtätigkeit und zur Unterstützung ihrer Seriosität ethische Grundsätze aufgestellt. Die International Coachfederation (ICF) formuliert ihre Werte und ihre Ethik beispielsweise in einer Reihe von Aussagen zum professionellen Verhalten im Allgemeinen und gegenüber Klienten, wie zum Beispiel »Ich bin dafür verantwortlich, klare, angemessene und kulturell korrekte Grenzen zu setzen, von denen jeder Körperkontakt mit meinen Klienten bestimmt wird« (Interational Coach Federation, 2011, S. 2). Diese Grundsatzaussagen betreffen unter anderem auch Prinzipien zur Wahrung von Vertraulichkeit und Intimsphäre sowie zum Verhalten bei Interessenskonflikten. Ziel solcher Standards ist es, eine Leitlinie für die Ausübung von Coaching zur Verfügung zu stellen, an die sich Mitglieder verbindlich halten. Folgende Aspekte sollen dabei beispielsweise laut Kodifizierung berücksichtig werden (ausgewählt und verändert nach Vogelauer, 2005, S. 32): – Sinn und Zweck des Coachings sind die Bedürfnisse des Coachingpartners. – Coaching beruht auf Freiwilligkeit der Coachwahl. – Coaching ist eine Arbeitsbeziehung auf Zeit. – Beiderseitiges Bewusstsein für die eigenen Rollen sorgt für eine transparente Beziehungsgestaltung ohne Abhängigkeiten. – Der Coachingpartner ist für sein Lernen und Handeln selbst verantwortlich. – Der Coach informiert über die eigenen Grundlagen (den professionellen, philosophischen und methodischen Hintergrund) und sorgt für Transparenz. – Der Coach ist prozessverantwortlich und hält sich an vereinbarte Rahmenbedingungen, die in einem gemeinsamen Vertrag festgehalten werden. – Der Coach verpflichtet sich zur Vertraulichkeit und zum Stillschweigen im Umgang mit Kundendaten und -informationen.
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Diesen Prinzipien ist grundsätzlich zuzustimmen, im kulturreflexiven Coaching werfen sie jedoch einige Fragen auf. Was verstehen die Beteiligten jeweils unter Transparenz? Wie definieren sie Eigenverantwortlichkeit genau? Ist die Trennung von Lösungs- und Prozessverantwortung hinsichtlich ihrer Aufteilung auf Coachee und Coach transkulturell haltbar? Und wie bestimmen sich die kulturell korrekten Grenzen im Körperkontakt, wenn verschiedene kulturelle Gewohnheiten aufeinandertreffen? Inwiefern die ethischen Richtlinien, denen man sich verpflichtet hat oder fühlt, universell anwendbar sind, eine Machtasymmetrie fördern oder ob sie kulturelle Vorannahmen enthalten, ist unseres Erachtens jeweils genau zu prüfen und zu thematisieren. Neben ethischen Grundsätzen haben sich für das Format Coaching weitere, der Profession inhärente Standards entwickelt. Denn trotz der inzwischen hohen Diversifizierung der Coachingansätze gibt es einige Standards, die sich quer durch die verschiedenen Herangehensweisen durchgesetzt haben. Mit anderen Worten: Es haben sich professionsspezifische Dogmen etabliert, die in den meisten Coachingansätzen zu finden sind und auch in den Ausbildungen gelehrt werden. Ein Dogma ist eine Lehrmeinung mit Wahrheitsanspruch, und wir wollen im Folgenden die gängige Theorie sowie die praktische Umsetzung dieser Dogmen unter dem kulturreflexiven Gesichtspunkt analysieren. Die besagten weithin geteilten Prinzipien könnten in etwa so formuliert werden: – Erstes Coachingdogma: Die Ziele des Kunden geben die Richtung vor. – Zweites Coachingdogma: Der Klient entwickelt seine Lösungen ohne Hypothesen des Coachs. – Drittes Coachingdogma: Der Coach verhält sich neutral. – Viertes Coachingdogma: Sprache spielt eine untergeordnete Rolle. – Fünftes Coachingdogma: Coaching verläuft in Phasen. – Sechstes Coachingdogma: Coaching ist (körperlose) Selbstreflexion. – Siebtes Coachingdogma: Coaching ist problemlos virtuell möglich. Jeder erfahrene Coach weiß allerdings, dass in der Realität nicht alles gemäß den Vorbildern und Idealvorstellungen verläuft. Wir beachten Prinzipien und bewegen uns zugleich flexibel nach den wechselnden Erfordernissen, die durch den Coachingpartner oder die Situation bestimmt werden. Dem Kunden kommt es nicht (allein) auf professionsethische Standards an, sondern darauf, ob das Coaching ihm hilft, eine Lösung für seine Anliegen zu entwickeln. Den professionellen Coachs obliegt es dabei, für Transparenz zu sorgen, was wann warum durchgeführt wird. Das vorliegende Kapitel geht die klassischen Stationen und Tätigkeiten im Coaching durch und rüttelt an einigen Grundsätzen. Diese sind bei einer sich neu herausbildenden Profession wie der des Coachings notwendig und hilfreich. Allerdings bedürfen sie ebenso wie die ethischen Standards einer theoretischen und praktischen Prüfung auf Kulturvarietät auch im Hin-
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blick auf die Frage, welche Abweichungen es geben kann und darf. Insbesondere in Anbetracht der Variationsbreite des kulturreflexiven Coachings ist es wichtig, einerseits eine Richtschnur zu haben, andererseits erforderliche Spielräume zu gestalten. Leser eines Handbuches könnten an dieser Stelle spezielle Regeln oder neue Empfehlungen für kulturreflexives Coaching erwarten. Doch dies würde unserer Ansicht nach in eine falsche Gewissheit und damit in die Irre führen. Kulturreflexives Coaching bedeutet für uns, »mit Schachfiguren Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen«, also Regelsysteme zwar zu kennen und zu beachten, aber sie bei Bedarf mischen oder an die Erfordernisse anpassen zu können. Die folgenden Kapitel greifen die Dogmen in der genannten Reihenfolge auf und verbinden Reflexionen über diese Standards mit Erfahrungen, Fallbeispielen und hilfreichen Tools oder übungsartigen Denkanstößen. → Kapitel 4.1 betrachtet die kulturreflexive Auftragsklärung und Zielvereinbarung und argumentiert, dass es zwar richtig ist, dass die Ziele des Kunden die Richtung im Coaching vorgeben, fügt aber hinzu, dass (nicht nur) beim kulturreflexiven Coaching bereits in der Auftragsklärung und bei der Operationalisierung der Ziele vom Coach Interventionen erfolgen, schon allein dadurch bedingt, dass die Ziele überprüfbar gemacht werden müssen. Zusätzlich fließen speziell beim Interkulturellen Coaching Empfehlungen des Coachs mit ein. Wenn Strukturierungs- und andere inhaltliche Vorschläge schon in der Auftragsklärung eine Rolle spielen, so gilt dies erst recht für den weiteren Verlauf des Coachings. Daher widmet sich das darauffolgende Unterkapitel dem Dogma, dass die Entwicklung von Lösungen im Coaching ohne Hypothesen des Coachs auskommt. Unter der Überschrift »Hypothesen haben, bilden und verwerfen« zeigen wir in → Kapitel 4.2, wo im alltäglichen Sprechen und Kategorisieren schon immer Hypothesen enthalten sind und welche Funktionen Hypothesen haben. Wir gehen davon aus, dass auch für ein lösungsorientiertes transkulturelles Coaching nicht die grundsätzliche Enthaltsamkeit des Coachs erforderlich ist, sondern die Fähigkeit, vor- oder unbewusste Hypothesen zu dechiffrieren, Annahmen bewusst zu bilden und gegebenenfalls wieder zu verwerfen. Die viel erwähnte Neutralität des Coachs bei der Beziehungsgestaltung ist eine professionelle Errungenschaft, notwendig, aber nicht hinreichend für einen wirksamen Beziehungsaufbau. Die kultursensible Beziehungsgestaltung bedeutet für den Coach, dass er, sofern erforderlich, Position beziehen kann, Vorannahmen und Emotionen reflektiert und sich – insbesondere im Kontext von Fremdheit – mit Projektionen und Gegenübertragungen auskennt (→ Kapitel 4.3). Die in → Kapitel 2.3 vorgestellten Interviews mit Kollegen deuteten darauf hin, dass Sprache im Interkulturellen Coaching keine besonders große Rolle spielt. Da Coaching im Medium des Sprechens stattfindet und da gerade im Interkulturellen Coaching häufiger der Fall auftritt, dass zumindest einer der beiden Coachingpartner (und sehr häufig der Coachee) im Coaching nicht in seiner Muttersprache, sondern in einer ihm tendenziell weniger vertrauten Sprache kommuniziert, schließen wir uns den in der Literatur zur Beratung
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von Migranten vereinzelt vorkommenden Hinweisen an, dass die Bedeutung von Sprache(n) und Gesprächsarbeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und besondere Aufmerksamkeit erfordert (→ Kapitel 4.4). → Kapitel 4.5 widmet sich der Dramaturgie im Coaching. Zu dieser Dramaturgie gehören Phasen, Zeitmanagement und die gezielte Vertiefung des Themas ebenso wie die Gesprächsführung, die alles strukturiert. Das darauf bezogene Coachingdogma sagt, dass ein Coaching in spezifischen und zeitlich proportionierten Phasen verläuft, die jedem Coach als innerer Leitfaden dienen und entsprechend gelehrt werden. Eine solche Strukturierung des Coachingprozesses durch Phasen als idealtypischem Leitfaden sehen wir auch, gehen allerdings aus Erfahrung davon aus, dass Coaching eher »fraktal« verläuft und es insbesondere im kulturreflexiven Coaching darauf ankommt, den Prozess variieren zu können. Dass der Körper gemäß einem kulturreflexiv erweiterten Verständnis zwar einerseits die universale Basis, andererseits aber auch eine kulturelle Konstruktion ist, hatten wir schon im theoretischen Teil ausgeführt (→ Kapitel 3.1.4 zum Körper als kultureller Konstruktion und universeller Basis). Zudem wird der Körper aus unserer Sicht im Coaching zu wenig genutzt, weshalb wir in → Kapitel 3.4 ein Methodenrepertoire skizziert haben und in → Kapitel 4.6 in einem Leitfaden, über alle Coachingphasen hinweg, körperorientierte Aspekte und verschiedene Interventionstiefen vorstellen. Schließlich muss das Thema Coaching im virtuellen Raum angesprochen werden, denn wer interkulturell coacht, arbeitet quasi automatisch mit allen verfügbaren Medien. Das folgt dem Trend, denn virtuelles Coaching ist »in«, und es wird allenthalben argumentiert, dass dies problemlos realisierbar sei und sogar neue Chancen eröffne. Basierend auf unseren eigenen Erfahrungen als Coachs und Leiterinnen eines virtuellen, räumlich verteilt arbeitenden Unternehmens stimmen wir dieser Aussage zu, halten es aber für notwendig, sie zu ergänzen. Im → Kapitel 4.7, zum Coaching im virtuellen Raum stellen wir unsere Erfahrung zur Diskussion, dass im kulturreflexiven Coaching die virtuelle Arbeit am besten mit persönlichen Coachingtreffen kombiniert wird. → Kapitel 4.8 fasst die Ergebnisse der Überlegungen zur kulturreflexiven Coachingpraxis zusammen.
4.1 Aufträge und Ziele kulturreflexiv klären Eine saubere Auftragsklärung ist die Basis jedes erfolgreichen Coachings. Die wesentlichen Bereiche der Auftragsklärung lassen sich anhand der folgenden Fragen beschreiben: Wer sind die Betroffenen bzw. Beteiligten, welche Anliegen, Interessen und (impliziten) Erwartungen haben sie, was sollen die Themen und Ziele sein, welche Maßnahme(n) und Formate des Coachings sind dafür geeignet? Bei einer kulturreflexiven Herangehensweise wird diese Aufgabe noch reicher an möglichen Varianten. Wir haben bereits ausführlich beschrieben (insbesondere in → Kapitel 2.6 zu den Formaten kulturreflexiver Coachings),
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AUFTRÄGE UND ZIELE KULTURREFLEXIV KLÄREN
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wie unterschiedlichste Aufträge mit dem Etikett »Interkulturelles Coaching« versehen werden, und umgekehrt kann ein Coaching einen nicht zu vernachlässigenden Kulturbezug haben, auch wenn es nicht als Interkulturelles Coaching bezeichnet bzw. angefragt wird. Ohnehin gehen wir davon aus, dass jeder Coach heutzutage stärker kulturreflexiv arbeiten muss. In unserem Ansatz bilden die drei Perspektiven des transkulturellen, multikulturellen und interkulturellen Vorgehens in der Auftragsklärung eine hilfreiche Unterscheidung. Wir hatten empfohlen, stets mit einem transkulturellen Blick an die Anfragen heranzugehen und hinreichend präzise zu klären, welche Bedeutung der Fokus auf Kultur für die einzelnen Stakeholder jeweils hat. Meist kommen dann noch individuelle Interessensschwerpunkte hinzu. Am Beispiel einer Entsendungsvorbereitung kann man die Bandbreite der Sichtweisen und Interessen skizzieren. Dem Unternehmen als Auftraggeber schwebt zum Beispiel ein kulturspezifisches Einzeltraining vor, das den Mitarbeiter auf die noch unvertrauten Strukturen, Wertsysteme, Verhaltens- und Kommunikationsregeln in der fremden Kultur – und speziell in der dortigen Arbeits- und Geschäftswelt – vorbereiten soll, und man sucht hierfür einen Kulturexperten. Der Coachingpartner hat vor der Entsendung möglicherweise ganz andere Sorgen, zum Beispiel ob sich seine Frau in der neuen Umgebung zurechtfindet oder ob seine Kinder den Wechsel schaffen. Oft geht es beim Coaching im Kontext einer Entsendung viel stärker um die Änderung der Rollen innerhalb von Beziehungen als um den Kulturwechsel. Meist gibt die Ehefrau bzw. Lebenspartnerin ihre Arbeit auf oder hat aufgrund der Ausbildung oder arbeitsrechtlichen Bestimmungen keine Chance, im Ausland zu arbeiten. Der Coach muss sich also mit zum Teil weit auseinander liegenden Erwartungen und einer diffusen Problemlage auseinandersetzen. Hinzu kommt häufig ein hoher Zeitdruck bei gleichzeitiger Unsicherheit, indem etwa vieles organisiert werden muss und der Zeitpunkt der Entsendung kurz bevorsteht, während das genaue Datum der Abreise aber noch nicht feststeht. Ein kulturreflexiv arbeitender Coach schwankt in seiner Rolle nicht selten zwischen einem Einzeltrainer für kulturelles Spezialwissen und einem Eheberater. Eine andere Herausforderung bei Anfragen kann darin bestehen, dass Kultur oder Teile des kulturellen Spektrums ausgeklammert bleiben. Einer unserer Coachingpartner wollte in der Vorbereitung auf eine Entsendung nach Dschidda ausschließlich Management-Skills vermittelt bekommen. Er war fest davon überzeugt, dass er und seine Frau mit der arabischen Kultur gut zurechtkommen würden, schließlich hatten sie gemeinsam schon einmal mit großer Freude an einer Hochzeit im nordafrikanischen Tunis teilgenommen. Wir haben diese Annahme nicht bezweifelt, wissen jedoch, dass das Leben in Saudi-Arabien eine große Lebensumstellung für Frauen des westeuropäischen Kulturraums bedeutet und dies häufig unterschätzt wird. Zu seiner Partnerin hatten wir allerdings keinen Kontakt, um sie zu befragen. Die Human-Resources-Abteilung war offen für alles und bezog keine eigene Position. Der Expatriate bestand dafür umso
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deutlicher darauf, nur Führungstechniken zu besprechen. Wir hatten alle Mühe, ihn vor seiner Entsendung nach Saudi-Arabien zu überzeugen, dass es hilfreich sei, sich gemeinsam mit seiner Frau – und begleitet von einem Kulturexperten – mit den veränderten kulturellen und rechtlichen Spielregeln und Spielräumen im neuen Umfeld auseinanderzusetzen, insbesondere im Hinblick auf das Verständnis von Geschlechterrollen und Freiheitsräumen vor Ort. Glücklicherweise ist er dem Rat gefolgt. In solchen Fällen wie den hier skizzierten stellt sich nicht nur für transkulturelle Coachs die Frage, wann und mit welchem Thema oder Anliegen man einen Coachingpartner annehmen kann und wie das Coaching gestaltet sein soll. Darf ich etwas forcieren, das vom Coachingpartner selbst nicht gewünscht ist? Kann ich etwas bearbeiten, das von der Personalabteilung nicht angefragt oder beauftragt wurde? Ist es ratsam, das Thema Kultur einzuführen, wenn es nicht offensichtlich verlangt wird, oder Coaching als interkulturelles Lernen zugunsten eines anderen Themas abzuwandeln? Was empfehle ich und was empfehle ich nicht? Worauf lasse ich mich nicht ein, weil es meiner Erfahrung widerspricht? Mehr als üblich ist beim kulturreflexiven Coaching der Coach bei der Auftragsklärung ein Experte für die möglichen Formate und die typischen Themen des Coachings. Mit Blick auf die hierfür sehr hilfreiche quasi unverzichtbare Differenzierung der interkulturellen, multikulturellen und transkulturellen Perspektive sind zum Überblick über diese drei grundlegenden Coachingkonzepte noch einmal die Tabellen aus → Kapitel 2.7 (theoretische Einführung) und → 3.2.3 (methodische Ergänzung) zusammengefasst dargestellt (Tabelle 15). Tabelle 15: Tool – Drei Konzepte kulturreflexiver Begleitung
Konzepte für kulturreflexive Coachingvarianten
Coaching als interkulturelles Lernen
Coaching im multikulturellen Kontext
transkulturelles Coaching
Kulturbegriff
essenzialistisch: Lebensweisen, »Länder«, Nationalstaaten, Ethnien
systemisch: Spielregeln, nicht antizipierte Erwartungen, Sinnattraktoren, Muster
kohäsiv: Zusammenhalt durch Verständnis der Differenzen, Teilhabe an mehreren Lebenswelten, Diversity, Intersektionalität, Diaspora
Identitätsbegriff
kollektiv/ethnisch
psychische Systeme im Kontext einer Vielzahl von Bezugssystemen
hybride Identitäten, symbolische Repräsentationen
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AUFTRÄGE UND ZIELE KULTURREFLEXIV KLÄREN
Konzepte für kulturreflexive Coachingvarianten
Coaching als interkulturelles Lernen
Coaching im multikulturellen Kontext
transkulturelles Coaching
Kultur im Coaching erscheint als …
interkulturelles Lernen für den Coachee
Teilsystem, »Stötransformatives rung« in der Erwar- Lernen für beide tungshaltung Coachingpartner
Kompetenzen + Stärken der Herangehensweise
deutend: Deutungswissen und Didaktik, Vermittlung hilfreicher Wissensbestände
offen: Reflexion und Konstruktion von Wechselwirkungen, Vervielfältigung von Möglichkeiten
dekonstruierend und generierend: Dekonstruktion und Herstellen von (neuen) Gemeinsamkeiten und Kontaktformen, Lösungen und Identitätsformen
Methoden
Referat und Methoden, Darstellungen und Forschungsergebnisse, die Inhalte und Wissen vermitteln
Reflexionsmethoden, Modelle, Strukturen zur Ermittlung von Werten, Beziehungen und Präferenzen, komplexe Kompetenzentwicklung
kontinuierliche Prämissenreflexion (In-Frage-Stellen aller Vorannahmen), Tools zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung hybrider Identitäten
Methodenbeispiel
Kulturstandards
Ebenenmodell der Unterschiede
Identity Molecules
Konstruktion des anderen und Aufgabe
»Anderer«: »Fremder«: verstehen und sich bewusst machen, reflektieren und anpassen Umgangsweisen finden
»(Un-)Verbundener«: gemeinsam Unterschiede und Gemeinsamkeiten herstellen
Interaktionsqualität des Coachs
Einbeziehung von Inhalten: Coach als Pädagoge und Wissender
Einbeziehung des Beobachters: Coach als »Wahrnehmender«
Einbeziehung aller Handelnden: Coach als »Mit-Gestalter«
Gefahren
Zuschreibungen
Differenzorientierter Regress in binäre Codes
Trial & Error, Beliebigkeit, zu viel Goodwill
Eine klare Abgrenzung der Perspektiven kann bei der Auftragsklärung und im Prozess helfen, die Vorteile und Gefahren der einzelnen Herangehensweisen im Blick zu behalten und den Kunden gegebenenfalls entsprechende Vorschläge zu
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
machen. Im Fall des nach Saudi-Arabien entsandten Expats, dessen Erwartungen eher in Richtung Führung im multikulturellen Kontext tendierten, hielten wir eine gegenüber der Kundenanfrage stärker essenzialistische Ausrichtung der Vorgehensweise für hilfreich. Das Coaching von Norman Richtmann (→ Kapitel 3.2.1, Methoden zum interkulturellen Lernen im Coaching), der virtuell mit indischen Teilgesellschaften arbeitete, wurde – auf Wunsch des Kunden – sogar im Detail inhaltlich vorstrukturiert. Durch das Design mit zwei Coachs verstärkten wir das Denken und Handeln im virtuellen und multikulturellen Kontext und versuchten Essenzialismen zu überwinden, obwohl der Auftrag sich an diesen orientierte. Bei einem Wirtschaftsprüfer, der in einer koreanischen Firma in Deutschland arbeitete und große Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten aus verschiedenen Kulturen hatte, wurde Kultur als Problemursache vermutet, im Verlauf des Coachings kristallisierte sich dann allerdings allein ein biografisches Thema im Umgang mit Autoritäten heraus. Jeder Coach hat für die Erstgespräche einen Leitfaden, der um kulturreflexive Fragen ergänzt werden kann. Die Herausforderung bei der kulturreflexiven Klärung ist, buchstäblich alles in Frage stellen zu können und mögliche Voraussetzungen zu thematisieren, die man üblicherweise vielleicht nicht in Frage gestellt hätte. Das alles ist natürlich in einem für die Gesprächspartner verträglichen Maße zu gestalten und benötigt keine Vollständigkeit, sondern eine erste Orientierung. Zur Anregung haben wir einen Fundus möglicher Fragen zusammengestellt, die in der Auftragsklärung und bei der Zielvereinbarung je nach Erfordernis gestellt werden können (Tabelle 16). Tabelle 16: Tool – Fragenfundus für die kulturreflexive Auftragsklärung
Fragen zur Maßnahme und zum Kontext: – Wer ist alles betroffen oder beteiligt im Zusammenhang mit dem Coaching? – Was stellen sich der Coachee und die anderen Beteiligten unter »Coaching« überhaupt vor? – Was verspricht sich der Coachee von der Maßnahme? – Was sind die Erwartungen der anderen betroffenen bzw. beteiligten Personen? – Wer muss darüber hinaus informiert oder involviert werden? – Welche Meinung haben diese Personen zum Coaching/zum Thema? – Welche anderen Maßnahmen wurden in Betracht gezogen oder verworfen? – Was würden die nach Ansicht des Gesprächspartners zu informierenden und involvierten Personen zur Zielvorstellung sagen? – Wer zahlt das Coaching? – Wer hat den Coach ausgewählt und warum?
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AUFTRÄGE UND ZIELE KULTURREFLEXIV KLÄREN
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Fragen zur Motivation: – Was bewegt Sie dazu, sich durch einen Coach begleiten zu lassen? – Warum gerade jetzt? – Was erhoffen Sie sich davon für sich selbst? – Auf welche Lebensbereiche wird das Coaching einen Einfluss haben? – Was möchten Sie verändern? – Was darf sich nicht verändern? – Welche Ressourcen haben Sie zur Verfügung, die Sie in der Umsetzung Ihres Vorhabens unterstützen könnten? – Wie sehen andere beteiligte oder betroffene Personen Ihre Motivation? Fragen zu den eigenen Ressourcen: – Was haben Sie bereits unternommen, um etwas zu verändern? – Welchen Erfolg haben Sie damit gehabt? – Was hat nicht funktioniert und was könnte der Grund sein? – Wer unterstützt Ihre Vorhaben? – Was bedeutet für Sie »verändern«, »Vorhaben«? Fragen zu Vorerfahrungen: – Haben Sie schon einmal ein Coaching, eine Beratung, ein Training oder etwas Ähnliches gemacht? – Wie waren Ihre Erfahrungen mit diesen Maßnahmen? – Gab es kulturelle Bezüge? – Wie war der Ablauf? – Welche interkulturellen Erfahrungen haben Sie schon gemacht? – Welche interkulturellen Wissensbestände wurden bereits erworben? – Wie wurde das interkulturelle Wissen erworben? (Durch ein Training oder ein Coaching? Wie lange ist es her? Was war der Inhalt?) Fragen zur Zielsetzung: – Was ist Ihr konkretes Ziel, das Sie mit dem Coaching erreichen wollen? – Wenn es mehrere Ziele sind, wie stehen diese zueinander (Zielbeziehungen)? – Was soll nach dem Coaching aus Ihrer Sicht anders sein? – Was soll in der zur Verfügung stehenden Zeit verändert werden? Mit welchen Mitteln?
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Fragen zur Zielsetzung: – Wie zeigt sich der Erfolg im Alltag, wenn Sie das Ziel erreicht haben? – Woran werden Sie merken (sehen, hören, spüren), dass die Ziele erreicht wurden? – Wie wird die Zielerreichung überprüft oder gemessen? (Kriterien) Fragen zur kulturellen Perspektive: – Wo und wie greifen Kunden, Auftraggeber, Coachee das Thema Kultur auf? – Welche Erwartungsbrüche werden erlebt und wie werden sie gedeutet? – Welche Vorannahmen und Hypothesen seitens der Auftraggeber gibt es bezüglich des Einflusses und der Wirkungsweise von Kultur? – Welche Methoden und Formate werden gewünscht und was ist voraussichtlich aus Expertensicht ratsam? Fragen zur Nachhaltigkeit: – Was vom gegenwärtigen Zustand müsste auch in Zukunft, wenn das Problem gelöst ist, noch da sein? (Was soll so bleiben, wie es ist, und sich nicht verändern?) – Was würde passieren, wenn sich nichts verändern würde? – Wie würde der Alltag in ein bis zwei Jahren aussehen, wenn die Ziele erreicht wurden? Fragen zum Anliegen: – Gibt es konkrete Anhaltspunkte, an welchen Kompetenzen möchten Sie arbeiten? – Was davon können Sie allein umsetzen, wo benötigen Sie die Hilfe anderer? – Welche konkreten Aspekte in Ihrem Verhalten möchten Sie entwickeln/verändern? – Woran erkennen Sie kleine Fortschritte? Fragen zu Vertraulichkeit, Grenzen, Regeln und Befürchtungen: – Was könnte schlimmstenfalls beim Coaching passieren? – Was darf beim Coaching auf keinen Fall passieren? – Was ist das Beste, das passieren kann? – Wer darf etwas (was?, wie viel?) vom Coaching wissen und wer nicht?
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AUFTRÄGE UND ZIELE KULTURREFLEXIV KLÄREN
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Fragen zum formalen Rahmen: – Wie oft und in welchen Abständen möchten Sie arbeiten? – Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem persönlichen Lernrhythmus? – Wie lange soll eine Coachingsitzung dauern? – Wie werden Sie Vor- und Nachbearbeitung der Coachingsitzungen organisieren? – Welche Vereinbarungen brauchen wir, damit es gute Fortschritte gibt? – Was heißt für Sie Fortschritt? – Wie stellen Sie sich die Form vor (Beratung, Training, Mentoring, Begleitung u. a.)? Fragen zur Beziehungsgestaltung (Reflexion): – Welche Erwartungen haben Sie an den Coach und sein Verhalten? – Wie wünschen Sie sich die Kommunikation, wie erleben Sie diese bereits jetzt? – Welche Unterstützungswünsche haben Sie an andere Beteiligte oder Betroffene? – Wie wünschen Sie sich aus jetziger Sicht das gemeinsame Vorgehen? – Was heißt für Sie »Vertrauen aufbauen« und »Beziehung pflegen«? – In welchen Abständen sollen Reports/Fazits/Zwischenberichte erstellt werden?
Im einfachsten Fall handelt es sich bei der Auftragsklärung um eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien. Gegebenenfalls muss sie jedoch auf mehrere Personen ausgeweitet werden, sofern bei dem Coachingauftrag Protagonisten aus verschiedenen Systemen involviert sind. Folgende Konstellationen sind häufig: – eine bilaterale Auftragsdyade zwischen den beiden Coachingpartnern (Coach und Klient); – ein Auftragsdreieck, bei dem drei beteiligte Parteien einen Kontrakt schließen (z. B. eine Vereinbarung oder Absprachen zwischen der Führungskraft des Klienten, dem Klienten selbst und dem Coach oder zwischen einem Human-Resource-Vertreter, dem Coachingpartner und dem Coach oder zwischen dem Klienten, seinem Lebenspartner und dem Coach); – ein Viereck zwischen der Führungskraft, dem Human-Resource-Vertreter und den beiden Coachingpartnern; – ein Fünfeck zwischen Vertretern von mehreren Unternehmen und den Coachingpartnern. Beispiel: Kunde (1) ist das Unternehmen, der Auftraggeber (2) ist ein Dienstleister, zum Beispiel eine Beratungsfirma, die Spousal Assistance anbietet, ein weiterer Stakeholder ist beispielsweise ein Entsandter (3),
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der jedoch nicht selbst das Coaching erhält, sondern Klient (4) ist sein Angehöriger und der Coach ist der Auftragnehmer (5). Nicht immer ist es notwendig, mit allen persönlich zu sprechen. Zirkuläre Fragen an die Gesprächspartner können hier weiterhelfen. Entscheidend ist, die Stakeholder in der Auftragsklärung zu benennen und den Auftrag angemessen transparent zu machen. Auftragsklärung und Zielvereinbarungen können zusammenfallen oder auch getrennt verhandelt werden. Manche Auftraggeber überlassen die Zielvereinbarung den Coachingpartnern und stecken nur den Rahmen ab oder beschränken sich darauf, die Ressourcen bereitzustellen. Andere haben konkrete Vorstellungen vom Ergebnis und auch Einfluss auf die Zielbestimmung, etwa bei der Auswahl und dem Assessment von Kandidaten für eine Entsendung oder eine Führungsposition. Die Bestimmung des gewünschten Ergebnisses kann allerdings bereits bei einer einfachen Dyade eine interkulturelle Herausforderung sein. Zum Beispiel gab ein spanischer, in Deutschland aufgewachsener Coachingpartner bei der Auftrags- und Zielklärung ausschließlich Umschreibungen von dem, was denn sein Problem, seine Herausforderung und Schwierigkeit sei, gleich welcher Begriff erfragt wurde. Die Lösung brachte eine indirekte Annäherung an die Zielbestimmungsfrage: »Es gibt Coachingpartner, die sprechen ungern über ihre persönlichen Schwierigkeiten hier, sondern beschäftigen sich lieber mit der Zukunft, andere möchten gern sich selbst reflektieren und sprechen direkt über sich – was ist denn Ihre Präferenz?« Diese Frage in der Auftragsklärung beantwortete der Coachingpartner unmittelbar und sagte, er wolle gern nach vorn schauen. Erst nach dem Prozess, im Abschlussgespräch, erläuterte er, dass es bei ihm in der Familie, vielleicht auch in Spanien generell, eher unangenehm sei, über persönliche Probleme direkt zu sprechen. Man würde sie insbesondere gegenüber Außenstehenden eher am Rande erwähnen. Probleme gehörten in die Familie und sonst nirgendwo hin. Dieses Beispiel illustriert einen kleinen Teil aus den unbewussten individuellen und kulturellen Erwartungen an den Prozess, das Vorgehen, die Rolle etc., mit denen wir als Coachs direkt von Beginn an in der Auftragsklärung konfrontiert sind. Die Zielbestimmung gilt als das Wichtigste in jedem Coaching. »Wer sein Ziel nicht kennt, für den ist kein Wind der richtige«, sagt ein chinesisches Sprichwort. So beginnt jede Auftragsklärung und auch schon ein Teil der Arbeit damit, Ziele zu erfassen und sich auf diejenigen zu einigen, die alle Stakeholder für den Prozess befürworten können. Damit greift der Coach allerdings potentiell schon ein. Denn die Ziele zu bestimmen und in ihrer Zielerreichung zu definieren, kann bereits eine Intervention sein. Im Fall des nach Saudi-Arabien entsendeten Managers hat der Coach sogar eigene Ziele vorgeschlagen. Für eine hilfreiche Zielvereinbarung gibt es einige Kriterien.
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AUFTRÄGE UND ZIELE KULTURREFLEXIV KLÄREN
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Ziele sollten etwas Positives beschreiben bzw. den gewünschten Endzustand formulieren, das Hier und Jetzt einbeziehen (sofort beginnen), so spezifisch wie möglich, am besten messbar sein, einen Zeithorizont haben, im Handlungsrahmen des Coachingpartners liegen und von ihm erreichbar sein, in der Sprache und mit den Worten des Coachingpartners formuliert sein, für den Kontext, in dem sie anwendbar sind, nützlich sein, ethisch für alle Betroffenen und Beteiligten vertretbar sein, berücksichtigen, dass Ziele veränderbar sind.
Soweit das Ideal. Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass diese Kriterien nicht so leicht umsetzbar sind. Wer systemisch coacht, weiß zudem, dass die Zielvorstellung Teil der Problemkonstruktion und insofern mit Vorsicht zu behandeln ist. Dies gilt erst recht im interkulturellen Feld. Wenn zum Beispiel ein Coachingpartner Managementwissen für den Umgang mit tschechischen Mitarbeitern wünscht, da er erlebt hat, dass sie »nicht zuverlässig« sind, so mag das ein Stereotyp, eine Fehldeutung oder eine zu prüfende implizite Hypothese als Zielvorstellung sein. In jedem Fall beschreibt er damit auch (s)ein Problem und erhofft sich über Tipps und Regeln eine Lösung. Wer kulturreflexiv coacht, steht vor der zusätzlichen Herausforderung, dass kulturelle Zuschreibungen und Vorannahmen in der Zielvorstellung des Coachingpartners entweder gar nicht auftauchen, implizit darin enthalten sind oder essenzialistisch festgelegt werden. Daher helfen die drei Perspektiven unseres Ansatzes dem Coach mit Kulturexpertise, bei der Auftragsklärung nichts zu übersehen, Vorschläge zu machen oder auch gegebenenfalls den Auftrag abzugeben oder aufzuteilen. Idealerweise sollte das Ziel messbar sein oder es sollten Kriterien vereinbart werden, woran die Zielerreichung und damit der Erfolg des Coachings bewertet werden kann. Auch hier ist eine kulturreflexive Schleife hilfreich. Eine einfache Visualisierung kann helfen, hier nichts aus dem Blick zu verlieren (Abbildung 30). Zur Messung des Zielerreichungsgrades werden im Coaching gern die Smart-Formel oder Skalen verwendet. Der Coachingpartner und/oder der Auftraggeber schätzen dann auf einer Skala zum Beispiel von 0 bis 10 ein, inwieweit die Zielvorstellung schon verwirklicht ist, und legen Kriterien fest, die den Erfolg des Coachings über das subjektive Gefühl hinaus bewerten können. Das ist auch notwendig, denn neben genannten und vorbewussten Erwartungen haben alle Betroffenen und Beteiligten in den beschriebenen Konstellationen zwar Wünsche, Anliegen, Befürchtungen oder Hoffnungen, eine präzise Zieldefinition, die gar noch messbar oder evaluierbar ist, können sie jedoch meist
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Abbildung 30: Tool – Zieldefinition (verändert nach www.coverdale.com)
(noch) nicht formulieren. Die Zielfoki sind eher vage, wie zum Beispiel »Sensibilisieren für Diversity«, »Vorbereitung auf einen Kundenbesuch in Taiwan«, »Erhöhung der interkulturellen Kompetenz«, »Reduktion von interkulturellen Konflikten im Team«, »Erweiterung des Führungsrepertoires« usw. Es ist allgemein eine Kunst, die Zielvereinbarung offen genug für Spielräume und zugleich präzise genug für die Überprüfbarkeit zu definieren. Die Zielvereinbarung birgt jedoch noch weitere Herausforderungen. Manche Klienten formulieren keine eigenen Ziele, sondern schließen sich den Zielen ihrer Führungskraft an. Sie streben an, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. In einem deutschen oder US-amerikanischen Kontext, oder in einem Kontext, dessen Muttersprachen man beherrscht, kann man vielleicht einschätzen, inwieweit man als Coach am besten darauf drängt, dass eigene Ziele gefunden und formuliert werden – aber wie sieht es mit japanischen oder chinesischen Coachingpartnern aus? Im Laufe der vergangenen Jahre haben wir im Interkulturellen
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Coaching eine hohe Bandbreite von Auftragskonstellationen und Zielunsicherheiten erlebt. Es kommt durchaus vor, dass nur das Coaching selbst angefragt wird und weder der Auftraggeber noch der Coachingpartner konkrete Themen- und Ziele formulieren. Man überlässt den Experten oder dem Prozess, welche Themen und Ziele für die vorhandenen Ressourcen und mit Blick auf die (vorgegebene) Dauer des Coachingprozesses sinnvoll sind. Ein solches Vorgehen entspricht nicht den professionellen Richtlinien und kann sich dennoch als gewinnbringend erweisen, sofern beide Seiten sich wechselseitig das dafür nötige Vertrauen schenken. Ohnehin ist die Auftragsklärung im Coaching kein zu Beginn bereits vollständig abgeschlossener Kontrakt, sondern kann auch im Prozess immer wieder relevant werden: »Bei der Auftragsklärung geht es inhaltlich um die Klärung der oft vielfältigen und widersprüchlichen Erwartungen, der expliziten, vor allem aber der bislang unausgesprochenen Aufträge der verschiedenen an einer systemischen Beratung beteiligten Partner […]. Solche Auftragsklärung steht vor allem am Anfang eines jeden Beratungsprozesses an. Sie kann aber auch im weiteren Verlauf nötig werden« (von Schlippe u. Schweitzer, 2003, S. 148 f.). Diesen Hinweis kann man für das Coaching nicht deutlich genug hervorheben. Auftragsklärung und damit Zielsetzung und Mandat für den Coach hinsichtlich der Vorgehensweisen und Interventionen spielen in jeder Sitzung und auch in einzelnen Phasen und Ebenen die entscheidende Rolle, wenn es darum geht, den nächsten Schritt zu gehen (vgl. dazu auch → Kapitel 4.5 zur Steuerung im Prozess). Beispielsweise war bei einem Senior Manager einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft das Coaching darauf ausgerichtet, die eigenen Führungskompetenzen im multikulturellen Kontext zu reflektieren. Die Führungskraft war äußerst erfahren und führte seit vielen Jahren interkulturell sowie virtuell und mit durchgehendem Erfolg Mitarbeiter an verschiedenen Standorten. Ein Ziel des Coachings war unter anderem, den Umgang mit den eigenen – zumeist angelsächsischen – Vorgesetzten besser zu gestalten. Im Verlauf des Coachings, das auf Deutsch stattfand, wurde fast beiläufig deutlich, dass die aktive stilistische Bandbreite des Klienten, mit der dieser sich in der Lingua franca Englisch ausdrücken konnte, geringer war als angenommen. Für einen Style-Switch, etwa in Form eines Wechsels zwischen einer »Du«- und »Sie«-Sprache im Englischen oder als Übergang zu einer indirekteren Formulierungsweise, waren Sprachkenntnisse und Ausdrucksvermögen nicht hinreichend, zumal dem Coachingpartner trotz aller interkulturellen Erfahrungen der Unterschied zwischen den genannten Stilebenen als sprachliches Phänomen (und interkulturelles Problem) gar nicht bekannt war. Als zusätzliches Ziel wurden Einheiten aufgenommen, die das interkulturelle Lernen förderten. Die Perspektiven, welche in der Übersichtstabelle (Tabelle 15) dargelegt sind, können also nach Bedarf gemischt werden. Ob die Dienstleistung dann von den Kun-
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
den Beratung, Interkulturelles Coaching, Entsendungsvorbereitung oder anders genannt wird, halten wir für sekundär. Entscheidend ist, dass wir als professionelle Coachs transparent handeln und Auskunft geben, welche Herangehensweise wir wann warum wählen oder empfehlen.
Fazit: Die Mitwirkung bis Intervention des Coachs bei der Zieldefinition wird benötigt Ziele im Coaching sind Orientierung und Treibsand zugleich. Es ist ein richtiges und wichtiges Prinzip im Coaching, dass vom Coachingpartner und Auftraggeber vorgegebene und formulierte Ziele Orientierung für die gemeinsame Arbeit geben und den Erfolg messen. Es ist jedoch auch ratsam, alles kulturreflexiv zu untersuchen: Überprüfung der inhaltliche Vorgaben, Zielformulierungen und Zielvorstellung, Vorgehensweisen, die benannten wie auch die möglicherweise nicht benannten Betroffenen und Beteiligten bedenken usw. Die Auftrags- und Zielklärung im kulturreflexiven Coaching erfordert gegebenenfalls die Expertise des Coachs, Kultur aus verschiedenen Perspektiven zu berücksichtigen. Da Zielfestlegungen und -präzisierungen innerhalb der Auftragsklärung bereits eine Form von Intervention sind, gilt für sie, was insgesamt für das Interkulturelle Coaching richtig ist. Wir halten es für zulässig, wenn der Coach sich hier gegebenenfalls mit Vorschlägen, Empfehlungen und Angeboten zur Strukturierung einbringt – solange das Coaching nicht zur Agenda das Coachs wird. Auf der anderen Seite ist auch der Coach im kulturreflexiven Vorgehen stets ein Lernender. Unter Umständen ist ein mit allen Beteiligten abgestimmtes punktuelles Einlassen auf eine vage Zielformulierung erforderlich. Mit anderen Worten, das Dogma, Coaching stets am vom Auftraggeber vorgegebenen messbaren Ziel festzumachen, ist im Interkulturellen Coaching ebenso notwendig wie ergänzungsfähig.
Denkanstöße Im Folgenden möchten wir an Hand realer Beispiele die Vielfalt der Auftragsklärungssituationen aufzeigen. Spielen Sie die Fälle gedanklich im Hinblick auf Auftragsklärung und Zielvereinbarung durch. Wo sehen Sie Herausforderungen oder Fallen für den Coach? Inwiefern könnte Kultur eine Rolle spielen? Fall 1 Die Leiterin der Human-Resources-Abteilung eines mittelständischen schweizerischen Unternehmens in der produzierenden Industrie spricht Sie auf ein Coaching an. Eine der Fachkräfte ist zum Geschäftsführer für eine noch aufzubauende deutsche Niederlassung ernannt worden. Er ist Deutscher, der seit einigen Jahren in der Schweiz lebt und arbeitet und anlässlich der Gründung der Niederlassung aufgrund der Kultur- und Marktkenntnisse nach Deutschland gehen wird. Das Mutterhaus in der Schweiz wird von zwei gleichberechtigten Geschäftsführern geleitet.
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AUFTRÄGE UND ZIELE KULTURREFLEXIV KLÄREN
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Mit wem würden Sie die Auftragsklärung machen? Welche Themen und Ziele erwarten Sie? Welche Informationen würden Sie erfragen?
Fall 2 Ein deutscher Mitarbeiter einer deutschen Führungskraft erhält ein Kontingent Coachingstunden zur Verbesserung seines Zeitmanagements. Da er gleichzeitig Französisch lernen möchte, wurde dafür ein französischsprachiger Coach ausgesucht. Worauf achten Sie bei der Auftragsklärung? Fall 3 Sie erhalten eine E-Mail von einer Referentin im Personalwesen einer großen Bankengruppe. Im Namen eines Ressortleiters fragt sie an, ob Sie seine beiden Standortleiter coachen könnten. Diese stammen aus Argentinien und Schweden und haben nach Aussage der Referentin große stilistische Unterschiede, die zunehmend konflikthaft ausgetragen werden. Wie gehen Sie bei der Auftragsklärung vor? Mit wem würden Sie sprechen? Würden Sie auch gemeinsame Gespräche suchen? Fall 4 Eine Führungskraft, die selbst bei Ihnen im Coaching war, empfiehlt einem Mitarbeiter aus seinem Team, ein Coaching mit Ihnen zu machen. Der Grund ist Ihre organisationskulturelle Kenntnis und interkulturelle Expertise, weil der Mitarbeiter aus einer anderen Sprachkultur (englischer Muttersprachler) stammt. Der Mitarbeiter folgt der Empfehlung, wird das Coaching allerdings selbst zahlen. Als Sie sich bei der Führungskraft für die Weiterempfehlung bedanken, bittet Sie diese, dass Sie berichten, wie Sie methodisch vorgegangen sind. Der Grund dafür ist ein fachliches Interesse, der Chef will seine eigenen Coachingkompetenzen erweitern. Wie gehen Sie mit der Anfrage um? Würden Sie den Klienten um Einverständnis bitten? Fall 5 Ein Kollege von Ihnen vermittelt Ihnen einen Coachingpartner, einen Abteilungsleiter eines großen US-amerikanischen Dienstleistungsunternehmens. Dieses Unternehmen gehört zum Kundenstamm Ihres Kollegen, mit dem Sie schon lange kooperieren. Ihr Kollege hat bereits die Auftragsklärung mit dem Personalentwickler aus den USA und dem Produktionsleiter aus Großbritannien durchgeführt, denn das Coaching findet im Rahmen eines OE-Prozesses statt, bei dem auch »Köpfe rollen« können. In dem mündlichen Briefing erklärt Ihnen der Kollege, dass das Ziel des Produktions- und Abteilungsleiters, also Ihres zukünftigen Coachees, eine bessere Kommunikation sei; zu mehr inhaltlicher Klärung war keine Zeit gewesen. Das Coaching hat er für den nächsten Tag und für fünf Stunden angesetzt.
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
Wie gehen Sie mit der Situation um? Was ist Ihnen wichtig, zu klären? Wen würden Sie über was informieren?
Fall 6 Eine potenzielle Klientin wendet sich per E-Mail an Sie. Sie sind ihr empfohlen worden und sie würde gern für ihren Partner, einen polnischen Ingenieur, etwas tun. Sie schreibt: »Es gibt berufliche und private Fragen und ich würde ihm gern ein Berufscoaching schenken, damit ein Schritt, bzw. ein besserer zweiter Schritt, getan wird. Er war schon einmal bei einer Psychologin, was leider ein absoluter Reinfall war… Es gibt da aber noch einiges mehr als den Beruf, aber das kann er/könnten Sie beide dann später oder im Zusammenhang angehen. Grundsätzlich ist er dem Thema Beratung gegenüber sehr aufgeschlossen und sich auch bewusst, dass ›da mal was gemacht‹ werden muss, nur das tatsächliche Angehen… Deshalb würde ich ganz konkret ein Berufscoaching verschenken. Sehr direkt und auch schon bezahlt und am besten gleich mit Zeitfenster für den Termin.« Wie gehen Sie mit der Anfrage um? Was würden Sie ihr antworten?
4.2 Hypothesen haben, bilden und verwerfen Wer bei Zielvereinbarungen und in der Auftragsklärung erwägt, Empfehlungen zu geben, verstößt gleich gegen das nächste Coachingdogma. Es lautet: Der Klient entwickelt seine Lösungen selbst und der Coach arbeitet tendenziell nicht problem-, ursachen- oder hypothesengestützt, sondern lösungsorientiert. Demzufolge verhält sich der Coach hinsichtlich eigener Hypothesen und Ratschläge enthaltsam. Hypothesen des Coachs gelten vielen als »Krankheit«. Berühmt geworden ist ein Zitat von Steve de Shazer, dem Begründer der lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie, bei der das Coaching viele Anleihen macht: »Wer eine Hypothese hat, sollte zwei Aspirin nehmen, sich in eine Ecke setzen und warten, bis der Anfall vorbei ist.« Andere prominente Vertreter in der Systemik, wie zum Beispiel Gunther Schmidt, halten Hypothesenbildung für legitim, sofern die entwickelten Hypothesen dem Klienten in fundamentaler Offenheit angeboten werden und die Haltung der Fragwürdigkeit gegenüber den eigenen Überlegungen erhalten bleibt. Mit dem Bild des »Realitätenkellners« macht Schmidt (2011a) mehr Mut zu Hypothesen – auch im Coaching. Mit Blick auf das Interkulturelle Coaching ist in Praxis und Literatur eher eine andere Linie zu finden. Interkulturelles Coaching wird gern als »Beratung mit Ratschlag« betitelt (Schroll-Machl, 2006), wobei hier die Autorin aus unserer Sicht Coaching auf interkulturelles Einzeltraining reduziert. Zu Recht hat sich die Zunft jedoch weitgehend darauf geeinigt, dass Beratung das Wesen von Coaching verfehlt. Der Unterschied zwischen den Rollen des Coachs und denen des Beraters ist, dass der Berater nicht ohne Hypothesen und Lösungsvorschläge auskommt, der
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HYPOTHESEN HABEN, BILDEN UND VERWERFEN
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Coach sehr wohl. Außerdem ist Hypothesenbildung eine Einbahnstraße, wer damit angefangen hat, kann im Coaching kaum noch umdrehen – der Rollenwechsel vom Coach zum Berater ist leicht, der Rollenwechsel zurück dagegen schwieriger zu bewerkstelligen. Wie ist dieses Dogma im Lichte des kulturreflexiven Coachings zu sehen? Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, greift unseres Erachtens die vielzitierte Neutralität und Hypothesenenthaltsamkeit als Erfordernis für das Vorgehen eines kulturreflexiv arbeitenden Coachs zu kurz. Andererseits weicht das andere Extrem, die Beratungshaltung, zu sehr von der Errungenschaft im Coaching ab, dem Coachingpartner quasi als »Kompetenzhebamme« für dessen selbst zu entwickelnde Lösungen zu dienen. Wir plädieren im Interkulturellen Coaching daher für eine Verknüpfung der Pole: »Sowohl-als-auch«. Dies setzt jedoch eine bestimmte Haltung und Vorgehensweise voraus. Zunächst ist die grundsätzliche kulturelle Hypothesengeleitetheit anzuerkennen, durch die unser alltägliches Handeln gekennzeichnet ist. Diese Vorannahmen sind im kulturreflexiven Coaching genauso zu dekonstruieren wie intentional gebildete Hypothesen.
Kulturreflexivität von Hypothesen in Alltagskategorien Wir kommen beim Handeln nicht ohne Hypothesen aus. Die inhaltsoffene Grundhaltung im Coaching ist keine gegebene, gewissermaßen »natürliche« Ausgangsposition, sondern als Kompetenz eine professionelle Leistung. Lösungsorientierung und Arbeiten mit dem konstruktiven Nichtwissen müssen gelehrt und gelernt werden, denn im Alltag denken und sprechen wir in vertrauten Kategorien, die bereits Urteile und Bewertungen enthalten oder diese nahe legen. Unsere innere kulturelle Vielfalt und vor allem die Verbindung ihrer Elemente in der und durch die persönliche Identität, die als Ich erlebte Kernnarration, sind per definitionem wertegebunden. Wir sind es beispielsweise gewohnt, uns von polarisierenden Konzepten wie »normal oder unnormal«, »gesund oder krank«, »gut oder böse« leiten zu lassen, und es ist eine Frage von Wissen und Übung in metakognitiver Reflexion und innerer Flexibilität, sich davon zu distanzieren. Die gesamte interkulturelle Kompetenzdebatte dreht sich darum, wie es uns gelingen kann, mehrere, vielleicht sogar widersprüchliche Kriterien gleichzeitig zu beachten und Ambiguitätstoleranz aufzubauen. Kulturreflexiv betrachtet enthalten alle Kategorien, die wir verwenden, bereits Implikationen und Hypothesen über Zusammenhänge. Sie kommen, wenn auch nicht bewusst und gezielt, mit der Kategorie zum Einsatz. So sind etwa die in den Begriffen »Freundschaft« und »friend« enthaltenen Kulturkonzepte bekanntlich äußerst unterschiedlich. In manchen Kulturkreisen sind Freunde »Bekannte«, in anderen wird diese Bezeichnung für eine exklusive besondere Beziehung aufgespart. Selbst einfache Rollenkategorien enthal-
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
ten Handlungskonzepte, Szenen und auch normative Zusammenhänge. Dieser Gedanke geht zurück auf Sacks’ (1972) Entdeckung, wie im Gespräch auf der Basis geteilten Kulturwissens referenziert wird. Sacks’ berühmtes Belegbeispiel ist die (Mini-)Geschichte, die ein Kind erzählte: »The Baby cried, the mummy picked it up.« Wir hören intuitiv »the« mummy als die Mutter des Kindes, obwohl sie keineswegs so bezeichnet wurde. Über unsere zugrunde gelegte normative Ordnung und die verbindende Kategorie »Familie« wissen wir, dass Säuglinge »gewöhnlich« von ihren eigenen Müttern betreut werden und werden sollten, wenn sie weinen. Kategorien sind also per se sozial. Daher sind bereits in Begriffen wie »Führungskraft«, „verhandeln« etc. weitreichende Kulturkonzepte enthalten. Die Rassismusforschung hat schon immer argumentiert, dass Begriffe nicht »harmlos« sind. Sie enthalten Hypothesen, Bewertungen oder Abwertungen. »Mohrenkopf« war früher eine verwendbare Bezeichnung für eine Süßigkeit und ist inzwischen tabu. Eskimos heißen mittlerweile Inuits usw. Die Vorsicht hinsichtlich der Verwendbarkeit von Bezeichnungen ist keine übertriebene Political Correctness, sondern steht für die kollektive Reflexion der implizit enthaltenen Be- und Abwertungen.
Grundsätzliche Kulturreflexivität hinsichtlich verwendeter Kategorien Schnell gerät jegliche Bezeichnung unter Verdacht, Urteile und Abwertungen zu enthalten oder Stereotypen zu fördern, und die in diesem Zusammenhang häufig gestellte Frage lautet, ob und wie man dann als Coach überhaupt kulturreflexiv sprechen kann. Hier erscheinen uns die folgenden Unterscheidungen hilfreich: – Eine Kategorisierung und notwendige Zusammenfassung oder Qualifizierung von Dingen unter einem Oberbegriff wäre »Menschen mit blonden Haaren«, »blondhaarige Menschen«. – Eine entsprechende Typisierung, also der Ordnungsbegriff, der eine typische Eigenschaft hervorhebt, wäre »die Blonde«. – Zur Stereotypisierung gesteigert wird die Kategorie in der »Blondine«. Erst in dieser letzten Kategorie schwingen die negativen Urteile (»dumm«, »naiv«) mit. – Die xenophobe Steigerung ist die »blonde Hexe« oder »blonde Langnase«. – Eine Rassenkonstruktion wäre die Rede von »Ariern«, die bekanntermaßen nicht notwendig mit blonden Haaren ausgestattet sein müssen. Eine Rassenkonstruktion (Memmi, 1992; Miles, 1991) liegt immer dann vor, wenn Merkmale von denjenigen naturalisiert werden, die in einer Gesellschaft konstruktionsmächtig sind. Diese Merkmale müssen nicht einmal notwendig körperlich sein, der Körper oder das vermeintliche sichtbare »Merkmal« bietet sich bei der Konstruktion des scheinbar Unveränderbaren nur am besten an. Auch das Kopftuch, das gläubige Musliminnen tragen, kann als entsprechender Bedeutungsträger genutzt werden.
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Insofern ist jegliches Sprechen bewertungs- und kulturgebunden, aber wir können die Implikationen reflektieren und uns differenziert auf die von uns verwendeten Kategorien beziehen. Die genannten Beispiele zeigen, wo bereits im Sprachgebrauch und in elementaren Orientierungen kollektive und kulturelle Hypothesen enthalten sind. Schließlich kommt auch das lösungsorientierte Fragen kaum ohne Vorannahmen aus. »By the questions we ask, the things we empathize with, the themes we pick for our comments, the ways we conduct ourselves toward the patient, the languages we use – by all these and lots of other ways, we communicate to the patient our notions of what is ›normal‹ and normative. Our interpretations of the origins of a patient’s issues reveal in pure form our assumptions of what causes what is problematic about life, where the patient did not get what s/he needs, what should have been otherwise« (Fancher, 1993, S. 89 f.). Wir wollen damit deutlich machen, dass Hypothesenbildung und -verwendung quasi unvermeidlich sind, etwas anderes anzunehmen wäre naiv. Angesichts der grundsätzlichen Kulturgebundenheit, so hatten wir argumentiert, kommen wir bereits bei der Auftragsklärung nicht umhin, Hypothesen zu bilden. Im Rahmen einer grundsätzlich transkulturellen Herangehensweise halten wir dies auch für sinnvoll – sofern die Hypothesenbildung selbst hinterfragt und gegebenenfalls dekonstruiert wird. Kulturreflexives Vorgehen ist also mehr als das Bemühen um Offenheit und Bewertungsfreiheit, es ist auch mehr als das Erfragen von Konzepten („Was verstehen Sie unter ›Freundschaft‹ oder wie wird ›Freundschaft‹ in Ihrer Lebenswelt gelebt?«). Es bedeutet zusätzlich, ein Gespür für die kollektiven impliziten, nicht genannten und bisweilen kaum benennbaren Voraussetzungen von Machtungleichgewichten und Beziehungskonstellationen zu haben, diese zu (er)kennen und in seinem Handeln als Coach zu berücksichtigen. Ohnehin wird das Thema Macht in der auf Differenz fokussierten Interkulturalitätsdebatte für gewöhnlich unterschlagen oder unterschätzt. Wenn ein weißer Coach mit einem schwarzen Coachingpartner arbeitet, so mag es in dieser Zusammenarbeit subjektiv keinen intentionalen Rassismus geben, objektiv gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass entsprechende Macht- und Ungleichheitsstrukturen wirksam werden. Denn die kollektiven Privilegien, das größere soziale Kapital liegt beim weißen Menschen, er ist Repräsentant der Gruppe der Deutungsmächtigen (siehe dazu auch genauer → Kapitel 4.3 zum Thema kultursensible Beziehungsgestaltung).
Funktion von Hypothesen im Coaching Hypothesen, die wir bewusst bilden, entstehen spontan oder durch systematisches Vorgehen, sie dienen der Sammlung von Tatsachenwissen und der Erforschung von Gesetzmäßigkeiten. Neben den impliziten Hypothesen werden in Coaching und Beratung Hypothesen auch systematisch als Leitideen genutzt, welche die Problemdiagnose in Gang setzen können und die Gesprächsfüh-
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rung steuern. Hypothesen und Lösungen gehören zusammen, denn schließlich beruhen Vorschläge auf angenommenen Problemlagen. So stellen Hypothesen einen vorläufigen Lösungsansatz dar und bilden eine Basis für Fragen, Lösungsformen, Methoden und Interventionen. Aber auch zwischendurch, an anderen Stellen im Coachingprozess, wenn wir eine geschilderte Situation einschätzen (wollen) und ein Gefühl dafür entwickeln, wie sie zu bewerten sei, bilden wir Hypothesen. Hypothesen – aus dem Griechischen für »Unterstellung, Voraussetzung, Grundlage« – sind Annahmen über Sachverhalte und deren ursächliche Zusammenhänge. Sie geben Antwort auf die Fragen »Warum« (Gründe, Ursachen), »Wozu« (Absichten, Motive, Ziele) und »Wie« (Prozesse der Erzeugung). Als Grundlage dienen Interpretationen – aus dem Lateinischen für »Auslegungen, Übersetzungen, Erklärungen« – als Verstehensleistungen. Sie liefern Deutungen über Zusammenhänge von Aussagen und Kontexten. Liegen mehrere Hypothesen vor, kann man von einer Theorie sprechen, welche Bilder (Modelle der Realität) entwirft. Man kann Hypothesen nach ihrer Herkunft unterscheiden. Systemische Hypothesen reduzieren Komplexität, indem sie mehrere Elemente von System und Umfeld miteinander in Beziehung setzen, im Unterschied zu psychologischen Hypothesen, welche das Verhalten einer Person aus den Charaktereigenschaften abzuleiten versuchen. Ganz allgemein bauen Hypothesen auf Deutungsmustern auf, die kulturell beeinflusst sind. Bei einem Vertriebscoaching mit einem spanischen Coachingpartner war das Ziel eine Verbesserung der Kundenkommunikation im Sinne von mehr Empathie. Er beschrieb eines seiner Kundengespräche, in dem er Schwierigkeiten gehabt hatte. Er versuchte, das Gespräch, so gut es ging, wortwörtlich wiederzugeben. Beim Zuhören und innerlichen Übersetzen der Worte interpretierte der Coach dieses Gespräch als Eskalation einer Diskussion. Als er diese Hypothese zur Verfügung stellte und nachfragte, reagierte der Coachingpartner jedoch erstaunt. Anschließend beschrieb er, wann eine Diskussion für ihn und in seinem kulturellen Kontext als Eskalation zu betrachten sei. Die vom Coach geäußerte Hypothese basierte auf einem anderen kulturellen Skript und dem Coach wurde klar, dass der im Kontext des Coachingpartners übliche Argumentationsstil und die dafür typische Expressivität von dem abwich, was er selbst in seinem eigenen kulturellen Kontext gewohnt war. Hypothesen sind also im Zweifelsfall zu verifizieren durch Aussprechen, Erläutern, Nachfragen. Wir halten es andererseits – gerade im interkulturellen Feld – für schwierig, ohne solche Hypothesen arbeiten zu wollen, geben sie uns doch die Basis der Einfühlung. Man kann sagen, dass jede Reaktion der Spiegelneuronen bereits eine persönliche und kulturelle Hypothese impliziert, die zu verifizieren wäre. Der (kultur)reflexive Umgang mit Hypothesen kann in mehrere Schritte unterteilt werden (Tabelle 17).
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Tabelle 17: Tool – Kulturreflexiver Hypothesenprüfungsprozess
1. Reflexion:
implizite Hypothesen und Interpretationen reflektieren und/oder erfragen.
2. Erzeugen:
systematisches und gezieltes Bilden von Hypothesen (am besten mehrere).
3. Aussprechen:
Formulierung der Hypothesen (verschiedene Angebote).
4. Erläutern:
Erklären der Entstehungsgeschichte (Wie komme ich darauf?).
5. Nachfragen und Testen der Hypothese durch Fragen. überprüfen: 6. Austauschen:
Perspektive des Coachingpartners (im doppelten Wortsinne) erfahren.
7. Verwerfen:
falls die Hypothese nicht haltbar ist.
Gerade das Verwerfen von Hypothesen ist ein wichtiger Punkt und eine theoretische Errungenschaft. So werden unter anderem für die therapeutische Arbeit mit Migranten folgende Empfehlungen gegeben: »Zusammenhänge zwischen Biografien, kulturell geprägten Verhaltensweisen, Symptomen und Erwartungen herstellen; Hypothesen über deren Funktionalität entwickeln und in der Therapie testen (wenn nicht wirksam, diese verwerfen)« (Göbber, Gündel, Henniger, Machleidt u. Kimil, 2008, S. 268). Hypothesen »erfinden« also gute, ergebnisfördernde Zusammenhänge. Sie fokussieren auf bestimmte ausgewählte Beziehungen zwischen vorhandenen Informationen, Gefühlen, Bedeutungsgebungen und Erfahrungen. Typische Sinnzusammenhänge, auf die bei der Hypothesenbildung Bezug genommen wird, sind: – Herkunft/Kultur, – Vernetzung der Ereignisse, – Geschichte des Problems, – Handlungskontexte, – Zukunftsperspektiven, – Beteiligung Dritter, – kulturelle Einflussfaktoren/Diversity, – Verhalten der Person(en), – (körperliche) Reaktionen/Symptome. Einige der Bereiche betrachten wir im Folgenden exemplarisch. Die Funktion von Hypothesen ist heuristischer Art, indem sie zu neuen Fragen und neuen Erkenntnissen führt. Hypothesen sind Anregungen zum mentalen und emotionalen Experimentieren mit alternativen Beschreibungen, Erklärungen und
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Bewertungen. Sie sind falsifizierbar und müssen sich bewähren, sonst verlieren sie ihre Nützlichkeit. Sie können kommuniziert werden und stellen im Coaching bereits eine Intervention dar. Vermutet der Coachingpartner beispielsweise, dass sein chinesischer Mitarbeiter unsicher ist und sich unselbständig verhält, der Coach aber das Verhalten des Chinesen mit Hypothesen auf der Basis kultureller Konzepte deutet, so würde bei einer Benennung der Hypothese zunächst ein anderer Fokus im Coaching gelegt. Wird die Hypothese nicht geäußert, könnten die Anschlussfragen lauten: »Welche Deutungen fallen dem Coachingpartner für das Verhalten noch ein?« und »Wie ist er bislang mit welchem Ergebnis damit umgegangen?« Im kulturreflexiven Coaching sind gerade mit dem Thema Hypothesenbildung einige Schwierigkeiten verbunden. Es bedarf der Überlegung, welches gedankliche Modell den Fragen zugrunde liegt. Welche Grundannahmen sind die Basis der Hypothesenbildung? Für die Gesprächsführung ist jeweils herauszufinden, ob eine Frage hypothesengestützt ist und daher tendenziell den Deutungshorizont schließt, indem sie den Weg zu einer Diagnose ebnet, oder ob die Frage im Gegenteil einen explorativen Charakter hat und damit ermöglicht, gemeinsam mit dem Coachingpartner neue Perspektiven, Problemaspekte, Deutungs- und Handlungsoptionen zu ergründen. Im Alltag neigen wir zur Schließung, im systemischen Coaching geht es dagegen (zunächst) um Öffnung und Vervielfältigung von Deutungsmöglichkeiten. Wir halten es für hilfreich, im Coaching beides zusammen zu praktizieren und zwischen Öffnung und Schließung von Deutungshorizonten oszillieren zu können. Beispiele für die gezielte Öffnung wären, Hypothesen nicht zu notieren oder einmal bewusst vor den Coachingsitzungen nicht in die Protokolle und Vereinbarungen der letzten Sitzung zu schauen, um ganz offen und neu auf den Coachingpartner schauen zu können und erst in der Zielvereinbarung des aktuellen Termins wieder an den durch die vorangehenden Sitzungen gebildeten Coachingkontext anzuknüpfen. Ein Oszillieren zwischen Öffnung und Schließung kann auch darin bestehen, aus allen drei in unserem Ansatz unterschiedenen Perspektiven auf die vom Coachingpartner berichteten Situationen und Erfahrungen zu schauen. Generell führt ein kulturreflexiver Blick auf den Coachingpartner und sein Anliegen im Sinne der Öffnung und Erweiterung von Deutungshorizonten und Handlungsoptionen dazu, dass mehr kulturelle Aspekte ins Blickfeld rücken, die eine Rolle spielen könnten.
Diversity-Hypothesen im transkulturellen Coaching Entsprechend unserer gewohnten Deutungen im Alltagsdiskurs sind wir geneigt, Kultur mit Landeskultur oder Ethnie gleichzusetzen. Doch für das kulturreflexive Coaching wäre dies eine eingeengte Sichtweise. Wir treffen stets auf verschiedene kategoriale, kollektive Zuordnungen und Selbstzuordnungen, und es ist sinnvoll, diese zu unterscheiden. Auf einige haben wir keinen oder kaum
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Einfluss (Geschlecht, sexuelle Orientierung), andere (Selbst-)Zuordnungen können wir verändern, wechseln oder »sammeln« (Heirat, Nationalität). Wir hatten bereits theoretisch argumentiert, dass die Identitäten hybrid aufzufassen sind und dass daher die kulturellen Aspekte, die eine Rolle spielen könnten, variieren. Das an Diversity orientierte Tool von Gardenswartz und Rowe (1998) (vgl. Abbildung 24 in → Kapitel 3.5 bei den Designs und Leitfäden für interkulturelles Coaching) halten wir für hilfreich, wenn Coach und Coachingpartner es gemeinsam als Instrument benutzen. Als praktikable Heuristik für das Coaching ist es zu komplex, hierfür empfiehlt sich ein etwas einfacheres Modell. Um generelle Orientierungsmuster von herrschaftsorientierten Diskursen zu differenzieren, hat Nieke (2007) die Funktionen der Identitätskategorien, Sinn und Zugehörigkeit, Intergenerativität, Interesse am Wohl der Gemeinschaft, soziale Stabilität und psychische Gesundheit in Form verschiedener Identitätsressourcen ausdifferenziert (Abbildung 31).
Abbildung 31: Identitätsressourcen (verändert nach Nieke, 2007, S. 92)
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Mit Hilfe dieser Illustration können identitätsrelevante Vorannahmen geprüft und analysiert, aufgestellt oder entwickelt, konstruiert und gegebenenfalls (gemeinsam) verworfen werden. Interessant ist, dass »Nation« zu den artifiziellen Identitäten gerechnet wird. Nieke scheint hier Anderson (1988) zu folgen, für den Nationen »Erfindungen« sind. Unterhalb der fünf artifiziellen Identitäten (Kosmos, alles Geistige, alles Lebende, die Menschheit, die Nation) sind sechs elementare kollektive Identitäten angesiedelt, die für die Orientierung des Ich jeweils dieselbe Qualität haben: Lebenswelt, Familie, Peer Group, Beruf, Alter oder Geschlecht. Kultur und Ethnie sind für Nieke ideologisierte Varianten von Lebenswelt (daher in unserer Abbildung nicht vorhanden). Gemäß Niekes dekonstruierender These ist die ethnische Identität ein Sonderfall. Ethnie besteht demnach aus einer Kombination aus Sprache, Region oder gemeinsamer Abstammung, Religion, Lebensform und Weltorientierung. Ethnisierung reduziert die Komplexität, fixiert Gewissheiten und ist eher eine meinungsbildende Zuschreibung. Laut Nieke, der Identität als eine Suchbewegung auffasst, ist Ethnie als Kategorie schon deshalb nicht funktional, weil sie keine Suche mehr zulässt. Der Terminus Identität(en) kommt – auch im öffentlichen Diskurs – immer dann in den Blick, wenn im Zuge der Frage nach einer Weltorientierung der Aufmerksamkeitsfokus auf der Vergewisserung dieses Such- und Klärungsprozesses liegt (siehe dazu auch → Kapitel 3.2.3 zu den Entwicklungsmodellen im transkulturellen Coaching). Es ist die Aufgabe der Begleiter, die Menschen auf dem Weg der Selbstklärungsprozesse zu unterstützen. Für die kulturreflexive Begleitungsarbeit ist die Grafik hilfreich, um wesentliche Einflussfaktoren auf Identität zu erfassen, ohne Gefahr zu laufen, zu kulturalisieren oder zu ethnisieren.
Überprüfung von Dichotomien: Krank oder gesund? Coaching arbeitet mit »gesunden« Menschen, so das Dogma. Trotz dieser augenscheinlich klaren Aussage ist die Abgrenzung von der Psychotherapie eine häufig gestellte Frage, und tatsächlich bewegt man sich als Coach oft in einem Grenzgebiet. »Burnout« oder »Mobbing« sind zwei Stichworte für Stressbelastungsphänomene, die als Themen ebenso bei einem Coach wie bei einem Therapeuten eingebracht werden können. Gunther Schmidt (2011b) gibt in diesem Zusammenhang mit dem Begriff der »Burnout-Kompetenz« der Problematik zwar eine positive Wendung, indem er den Burnout als ein sehr intensives Feedback des Körpers und als Chance beschreibt, zu einer bewussteren Lebensbalance zu kommen, gleichwohl sind die betroffenen Menschen und Coachingpartner oft monatelang mit Symptomen unterschiedlichster Art krankgeschrieben. Die Differenzierung zwischen Coaching und Therapie wird üblicherweise entlang der Trennung zwischen »gesund« und »krank« vollzogen. Die Heilkunst »Therapie«, so haben wir unter anderem in → Kapitel 2.4 (Was ist Coaching [nicht]?) definiert, »wendet sich an abhängige oder in ihrer
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autonomen Handlungs- und Selbstmanagementfähigkeit erheblich eingeschränkte Menschen mit psychischen Problemen, die auf der Basis einer Theorie des pathologischen Verhaltens mit nachvollziehbaren Techniken behandelt werden«. Der Coach muss einschätzen können, ob er einen Fall bzw. ein Thema annehmen kann, im Bewusstsein dessen, dass Gesundheit und Krankheit kulturspezifische Deutungsmuster sind. Die Dichotomie von Gesundheit und Krankheit ist universell, die Grenze dazwischen variiert. Für den adäquaten Umgang mit Krankheit sind kulturspezifische und individuelle Bewertungen in jedem Fall in die Betrachtung einzubeziehen. Wer heilen darf und wem die Kompetenz, zu heilen, zugeschrieben wird, unterscheidet sich von Kultur zu Kultur. Um auf diese unterschiedlichen Auffassungen zu treffen, muss man noch nicht einmal Deutschland verlassen. Diejenigen, die an Homöopathie glauben, und diejenigen, die auf die Schulmedizin setzen, unterscheiden sich fundamental in ihrer Definition von Gesundheit und Krankheit und wenden zudem Heilungsmethoden an, die auf völlig unterschiedlichen Menschenbildern basieren. Transkulturell gesehen sind Gesundheit und Krankheit nur schwer voneinander abzugrenzen, sind doch die Kriterien zur Beurteilung alles andere als universell. Es gibt weder eine eindeutige Definition dieser beiden Zustände noch unbestreitbare Diagnosen. Den Diagnosen liegen im Regelfall Normwerte zugrunde, allerdings sind die Normen meist kulturgebunden, was man am Beispiel von Adipositas leicht belegen kann. Fett wird in Abhängigkeit von sozialen Parametern innerhalb von Kulturen unterschiedlich bewertet. In traditionalen Kulturen wird Fett mit hohem und in Industriekulturen mit niedrigem Status assoziiert. Darüber hinaus sah man manche »Krankheit« im kollektiven Bewusstsein kommen und gehen. Die Homosexualität wurde zum Beispiel 1973 in den USA durch die Berufsorganisation amerikanischer Psychiater als Diagnose abgeschafft, im ICD-Katalog der WHO war Homosexualität sogar bis 1990 als Krankheit erfasst. 1992 stellten die »American Psychological Association« und die WHO fest: »Gleichgeschlechtliche Sexualität ist weder eine Geisteskrankheit noch moralisch verwerflich […]. Versuche, die soziosexuelle Orientierung zu ›reparieren‹, stellen nichts anderes als psychologisch verbrämte soziale Vorurteile dar« (Der Tagesspiegel 10. 10. 2011, zitiert nach Haruna, 2011). Ungleichzeitigkeit und Wertekonflikte sind ubiquitär. Die türkische Familienministerin Selma Aliye Kavaf löste 2010 in der Regierung einen Streit aus, weil sie Homosexualität als Krankheit bezeichnet hat. Zugleich kann in inzwischen zehn Ländern eine gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen werden. Deutschland, das nur die der Ehe rechtlich nicht gleichgestellte »Eingetragene Partnerschaft« kennt, gehört nicht dazu. Ob ein Phänomen als Krankheit oder Normalzustand eingestuft wird, unterliegt sozialen Kämpfen und hängt auch von politischen und persönlichen Interessen ab. Manche Gruppierungen haben die Definitionsmacht, Zustände als krank zu klassifizieren.
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Auch die Funktionalität der Störungen und die Diskrepanz zwischen Befund und Befinden sind subjektiv und individuell. Was den einen krank macht, ist für den anderen noch nicht einmal der Rede wert. Eine strikte begriffliche Trennung von Gesundheit und Krankheit muss also in Frage gestellt werden. Über die Betrachtung unterschiedlicher Dimensionen dieser beiden Zustände nähert man sich dem, was sie sind, nämlich gesellschaftliche und persönliche Festlegungen und Modelle, die sich beständig ändern. Gesundheit kann gesehen werden als – Störungsfreiheit (wobei die Bedeutung von »störungsfrei« nicht eindeutig bestimmt ist und meist nicht vom Betroffenen selbst, sondern von außen (z. B. durch wissenschaftliche/medizinische Experten) festgelegt wird); – Wohlbefinden (eine eher subjektive Kategorie); – Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung (bemessen an funktionalen Normen, insbesondere im System der Kranken- und Rentenversicherung); – Gleichgewichtszustand (der Mensch strebt nach Ausgleich); – Flexibilität (insbesondere im Salutogenesemodell von Antonovsky, welches auf die dynamische Selbstveränderung abzielt); – Anpassungsfähigkeit (autonome Anpassung an äußere Bedingungen). Die Frage nach dem Wert der Gesundheit kann auch für den transkulturellen Coach im Rahmen der Auftragsklärung und der Bestimmung des vom Coachingpartner gewünschten Zielzustandes relevant werden und den Coach veranlassen, seine eigenen Einstellungen zu diesem Thema zu reflektieren. Ist ein bestimmtes Ziel, in diesem Fall Gesundheit, das höchste Gut oder ein eher relativer Wert, der subjektiver Bedeutungsgebung unterliegt? Unterschiedliche Begriffskonzepte könnten auch mit Blick auf die Entstehungsbedingungen von Gesundheit voneinander abgegrenzt werden, indem Gesundheit etwa als Geschenk von Geburt an, als Leistung oder als Pflicht angesehen wird. Wie unterscheidet sich der »kranke« Coachingpartner in den verschiedenen Definitionen und Erklärungsansätzen vom »gesunden«? Ebenso wie der Begriff der Gesundheit unterliegt auch der Krankheitsbegriff historischen, kulturellen, gesellschaftlichen sowie individuellen Veränderungen und Bewertungen. Das Vorliegen eines objektiv feststellbaren, körperlichen, geistigen und/oder seelischen Befundes, die Störung des Wohlbefindens, die Einstellung von Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung und die Notwendigkeit professioneller (medizinischer), sozialer und gesellschaftlicher Betreuung sind heutige Kriterien für die Kennzeichnung eines Zustandes, der sich dann Krankheit nennt. Zu der Frage, wie Krankheit entsteht, gibt es eine Fülle von Modellen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachrichtungen (vgl. dazu zusammenfassend Franke, 2008b). Die Wissensbasis über die verschiedenen Arten des Schmerzempfindens und der Manifestation von Schmerz oder über kulturell unterschiedlich aufgefasste seelische Störungen ist erst im Entstehen. Die Lösung für die kultur-
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reflexive Coachingpraxis ist nun nicht, sich jeglicher Einschätzung zu enthalten und keine Hypothesen zu bilden, sondern es geht darum, sich der kulturellen, aber auch der interaktiven Implikationen eigener Eindrücke und Diagnosen bewusst zu sein. Insbesondere Coachs mit Doppelqualifikation (Therapie und Coaching) stehen häufiger vor der Frage, wie sie mit möglichen Krankheitsbildern umgehen sollen, die sich ihnen als Hypothese aufdrängen. Unsicherheiten gibt es nicht nur im interkulturellen Setting. Eine Coachingklientin wies nahezu alle Symptome einer bipolaren Störung auf – allerdings nur nahezu. Nicht alle Kriterien des ICD-10 (»International Classification of Diseases and Related Health Problems«) waren erfüllt, jedoch fühlte sich die Klientin subjektiv so, wie es in manischen und depressiven Phasen beschrieben wird. Bipolare Störungen sind schwer zu erkennen, da manische und depressive Phasen nicht so leicht unterscheidbar sind, wie das Lehrbuch es beschreibt. Oft sind die manischen Phasen durchsetzt von depressiven Zuständen. Diese sogenannten Mischformen sind ebenso komplex in der Diagnose wie zum Beispiel leichte Manien, die eben nicht mit finanziellem Ruin oder Wahnvorstellungen einhergehen. Die Klientin fragte am Ende der ersten Stunde – sie war ins Coaching gekommen, weil sie ihr (Selbst-)Marketing verbessern wollte –, ob sie depressiv sei. Was sollte der Coach darauf antworten? Sollte man sie als »krank« diagnostizieren? Die Antwort war auf ihre Frage war eine Gegenfrage: Was würde die Antwort ändern? Sie entgegnete, dass sie ja dann eine Therapie machen müsse und dass sie das »erst richtig runterziehen würde«. Die Zielvereinbarung für das Coaching war letztlich die folgende: Selbstmarketing verbessern (die Kriterien waren messbar) und nach Bedarf auf die Themen eingehen, die die Coachingpartnerin belasteten. Die Verschiebbarkeit der Grenzen zwischen »gesund und krank« bedeutet eine besondere Verantwortung für die Coachs, sich gegebenenfalls eine weitere Meinung in der Supervision einzuholen. Der soziale Druck, zu »funktionieren«, ist hoch. Manche Klienten verwenden bereits abwertende Selbstzuschreibungen nur, weil sie ein Coaching in Anspruch nehmen und weil sie an eine Grenze gestoßen sind. Sie nehmen an, sie seien »verkorkst« oder versichern sich und anderen, dass sie nicht »krank« seien, weil sie bislang keine Selbsthilfe leisten oder eine Lösung allein finden konnten. Andere beschreiben sich als kraftvoll und zielorientiert, während ein analytischer Außenblick durch den Coach einen hohen Leidensdruck oder sogar Symptomatiken sieht. Eine nicht erkannte und angemessen medizinisch, therapeutisch oder medikamentös behandelte Depression kann schwerwiegende Folgen haben. Insofern ist jede Selbstüberschätzung beider Coachingpartner (selbst)kritisch zu prüfen und gegebenenfalls eine gemeinsame wechselseitige Einschätzung hinsichtlich der Kategorien Gesundheit/Krankheit vorzunehmen.
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Diagnosen: Das Beispiel Psychopathologie Der Übergang von Hypothesen zu Diagnosen ist fließend. Indem Befunde auf der Basis von Hypothesen über Zusammenhänge eingeordnet werden, das heißt durch die Zuordnung eines Phänomens zu einer Kategorie, entsteht eine Diagnose (aus dem Griechischen = »unterscheiden, erkennen, beurteilen«). In der Psychopathologie werden Diagnosen gebildet, indem die Beobachtung von Symptomkomplexen (Krankheitszeichen) verknüpft wird mit der Anamnese, also der im Gespräch ermittelten Vorgeschichte eines Patienten in Bezug auf seine aktuelle Erkrankung. Diagnosen im Coaching helfen, Situationen, Themen und Probleme zu »durchschauen« und den Gegenwarts- und Vergangenheitszustand des Themas oder der Frage des Coachingpartners zu verstehen. Diagnosen können helfen, Hinweise für eine passende Unterstützung zu finden, sie können jedoch nicht beanspruchen, Wahrheiten zu sein. In der Fachwelt der Psychologen, Psychiater und Ärzte herrscht der Konsens, dass zwischen Normalität und Pathologie unterschieden werden kann; zu diesem Zweck gibt es die weltweit gültigen, dadurch aber nicht zwingend angemessenen Klassifikationssysteme der Psychiatrie, ICD-10 und DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders).1 Anhand von Messungen und subjektiven Einschätzungen des behandelnden Therapeuten wird zwischen »normal« und »auffällig« unter- und entschieden. Dieser in der Psychologie, aber auch in der Biomedizin (z. B. Bluthochdruck) übliche Ansatz wird meist als universell angesehen. Der funktionalen Beurteilung liegt die Annahme zugrunde, dass »normales« Verhalten keine Störung für andere Menschen bedeutet, während dysfunktionales Verhalten als ungesund für die Umgebung interpretiert wird. Und genau hier liegt die Crux. Dysfunktionales Verhalten oder Störungen sind »Konstrukte, die weit mehr noch als körperliche Krankheiten von sozialen, politischen und religiösen Normen und Bedingungen beeinflusst sind. […] es bleibt ein Ergebnis gesellschaftlichen Aushandelns, wie sehr wir gewillt und in der Lage sind, Verrücktes und Verrückte als Teil des Lebens und unserer Gesellschaft zu akzeptieren« (Franke, 2008b, S. 71). Ob zum Beispiel eine Person mit Größenwahn sich als Jesus, Buddha oder Kaiser bezeichnet, wird maßgeblich durch die soziokulturellen Bewertungen der Gesellschaft beeinflusst. Dass Störungen eine physische, psychische und soziokulturelle Ebene beinhalten, wodurch es auch keine kulturfreien neutralen Beschreibungen und Syndrome geben kann, ist jedoch in der Psychologie anerkannt, und dennoch halten die meisten Psychotherapeuten an den gelernten, westlichen, gängigen Diagnosesystemen fest. Jenen Psychologen, die beispielsweise mit Migranten arbeiten, wird lediglich empfohlen, der Anamnese eine phänomenologische Ebene hinzuzufügen. Auch diese ist allerdings mehr als heikel, werden dabei doch immer wieder sogenannte »culture bound 1
Das ICD-10 findet man stets aktuell unter www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10.
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syndroms« (kulturgebundene Syndrome) diagnostiziert, die in der Ethnologie seit den 1970er Jahren eine große Verbreitung gefunden haben, jedoch heute in der westlichen evidenzbasierten Medizin zu Recht umstritten sind. Dabei werden bestimmte psychische Störungen nicht in das existierende Schema eingeordnet, sondern als nur in einer Region vorkommendes Krankheitsbild klassifiziert – auf der Basis des Kriterienkatalogs der Untersucher. Taijin Kyōfushō, kurz: TKS, ist zum Beispiel ein japanisches und koreanisches kulturgebundenes Syndrom, bei dem der Leidtragende soziale Kontakte fürchtet aus einer Angst heraus, andere zu beleidigen und zu verletzen. Im Westen wird diese Angst meist als soziale Phobie charakterisiert, welche sich allerdings auf die Angst bezieht, selbst in eine peinliche Lage zu geraten. TKS ist nicht in den DSM-IV aufgenommen und illustriert deutlich, wie gesellschaftliche Normen Krankheiten bestimmen. In kulturvergleichender bzw. kulturreflexiver Perspektive offenbart sich der Konstruktionscharakter der Konzepte von Gesundheit und Krankheit, und zuvor fraglose Definitionen und Zuordnungen werden fragwürdig. »Durch das Erkennen der Kulturgebundenheit von Krankheit allgemein entsteht die Möglichkeit zur Relativierung der für alleingültig gehaltenen Auffassungen. Krankheit erscheint zwar im Alltag als feste Wirklichkeit, was Krankheit aber wirklich ist, bleibt letztlich immer vom gesellschaftlichen Diskurs über Krankheit abhängig« (Lux, 2003, S. 172). Aus diesem Dilemma heraus haben Bäärnhielm, Rosso und Pattyi (2007, S. 45 ff.) einen Leitfaden entwickelt, in dem auf den letzten sieben Seiten Interviewfragen gestellt werden: den Culture Context and Psychiatric Diagnosis Manual. Er bezieht sich auf Schweden, kann aber auch auf andere Kulturräume übertragen werden und bietet viele Anregungen. Die Fragen thematisieren kulturelle Erklärungen von Krankheiten und ihres Ausdrucks, Migration und Akkulturation, kulturelle Identität(n) des Individuums sowie die kulturellen Aspekte der Beziehung zwischen der professionellen Begleitperson und dem Klienten (z. B. »What do you think about the questions I have asked?« (Bäärnhielm et al., 2007, S. 50). Ähnlich wie die Diagnosen gesund/krank können auch die auf den eigenen kulturellen Deutungsmustern basierenden Interpretationen entlang der Grenzen deutsch/peruanisch, britisch/französisch etc. unzutreffend sein.
Fazit: Kulturreflexives Coaching braucht Hypothesen und radikale Hypothesenreflexivität Bei der Übertragung systemischer Prinzipien auf interkulturelle Beratung und Therapie weisen Hegemann und Oesterreich darauf hin, dass systemische Hypothesen der »Verflüssigung von Zuschreibungen und Erklärungen« (Hegemann u. Oesterreich, 2009, S. 70) dienen sollen. Sie bieten alternative Beschreibungen an, diese »interpretieren und deuten nicht, sondern dienen als Leitradar« (Hegemann u. Oesterreich, 2009, S. 71), so die Autoren. Soweit es sich um bewusst
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gebildete Hypothesen handelt, ist dem zuzustimmen. Wir haben in diesem Kapitel zunächst darauf hingewiesen, dass wir kulturreflexiv gesehen bereits mit einer Reihe bewusstseinsfähiger, aber ungeplanter Hypothesen ans Werk gehen. Als alltagskompetente Interaktionspartner müssen wir zunächst auf kulturellen Werten basierend interpretieren und urteilen. Die kulturreflexive Hypothesenbildung erfordert viel Dissoziationsfähigkeit von vertrauten Einschätzungsmustern. Soweit ist es mit einer konstruktivistischen Herangehensweise noch konform. Doch die systemisch postulierte Enthaltsamkeit als Grundhaltung ist – insbesondere (inter)kulturell gesehen – eine Illusion. Gemeint ist damit unter anderem – und in positiver Absicht –, dass der Coach alles, was geschieht oder erzählt wird, ohne Urteil aufzunehmen vermag und den Coachingpartner nicht durch (eigene) Bewertungen oder gar Lösungen beeinflusst. Der kulturell enthaltsame Coach würde allerdings nichts mehr fühlen, nicht mitschwingen können, nicht denken. Alle sprachlichen Begriffe, die wir verwenden, Kontaktformen, die wir einsetzen, jegliche Einschätzung enthalten soziokulturelle und persönliche Annahmen. Diese Annahmen sind zusätzlich kulturreflexiv zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang sind vor allem die auch in den Theorien, Diagnoseinstrumenten, Settings eingelassenen basalen Kategorien wie gesund/ krank zu hinterfragen. Auf der anderen Seite ist beim Interkulturellen Coaching als »Beratung mit Ratschlag«, wie auch schon das → Kapitel 4.1 zur Auftragsklärung zeigte, erforderlich, dass der Coach Voreinschätzungen einnimmt, gegebenenfalls sogar Empfehlungen gibt. Wenn jemand aus dem Ausland zum Beispiel nach Deutschland entsendet ist, kann dies auch die Form annehmen, dass man Einschätzungen mitteilt, was hierzulande als »normal oder unnormal«, üblich oder nicht üblich, ratsam oder weniger ratsam angesehen wird. Zugleich ist die Personenkonstellation zu bedenken. Ist man beispielsweise als Coach, Berater oder Therapeut Teil einer Gruppe mit Definitionsmacht, dann kann eine »Normalisierungsstrategie« ein Dominanzverhältnis reproduzieren, das ohnehin strukturell gegeben ist. Gehöre ich zur privilegierten Gruppe, die als die Norm gilt (z. B. der Heterosexuellen), und sitze ich einem Menschen mit weniger sozialem Kapital oder mit einer Lebenswelt, die strukturell diskriminiert wird, gegenüber, so ist dieses objektive Verhältnis von Macht und Ohnmacht mitzureflektieren. Es gibt eine ganze Reihe von objektiven Konstellationen (verheiratete Frauen/unverheiratete Frauen; Mütter/kinderlose Frauen; helle Hautfarbe/dunklere Hautfarbe; muttersprachlich/nicht muttersprachlich; im Beruf stehend/arbeitssuchend usw.), bei denen die soziale Sprechposition in die Deutung einfließt. Es genügt nicht, positive Absichten zu haben. Jegliche Hypothesenbildung ist aus der sozialen Position heraus zu reflektieren. Ist der Maßstab allerdings mit benannt (was heißt hier »krank«, was bedeutet es, verheiratet zu sein etc.), so ist die Wirkmacht auf die Personenkonstellation bei der Hypothesenbildung und -verhandlung geringer.
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Leseempfehlung Wohlfahrt, E., Zaumseil, M. (Hrsg.) (2006). Transkulturelle Psychiatrie – Interkulturelle Psychotherapie. Heidelberg: Springer. Das Lehrbuch zur interdisziplinären Theorie und Praxis ist zwar den Feldern der Psychiatrie und Psychologie gewidmet, bietet aber eine Fülle von Anregungen, die eigenen Weltanschauungen in Frage zu stellen. Neben Einblicken in die transkulturelle therapeutische Arbeit werden auch Themen wie Selbstkonzepte im interkulturellen Vergleich oder Arbeiten im transkulturellen Übergangsraum besprochen. Traditionelle Heilformen und Bewältigungsstrategien haben ebenso Platz wie die interkulturelle Reflexion klassischer Praxisfelder wie der Supervision. Der Band eignet sich, die Hypothesenbildung, insbesondere im Spannungsfeld der Pole gesund versus krank zu hinterfragen und unterstützt uns, sensitiver für ungewohnte Bedeutungskonzepte zu werden.
4.3 Beziehungen kultursensibel gestalten Die Auftragsklärung im Coaching stellt auch offiziell die Beziehung zwischen den Coachingpartnern her, wenngleich zunächst nur ein kognitiver Fokus auf die zielorientierte Verfolgung der Interessen der Beteiligten im Prozess gelegt wird. Mit dem Auftrag und den Zielen werden zugleich mehr oder weniger explizit Bedingungen des Umgangs miteinander ausgehandelt und vereinbart. Zum Ergebnis einer gelungenen Auftragsklärung gehört neben der Erzielung eines formalen Kontraktes zwischen den Coachingpartnern auch die Etablierung eines Beziehungsrahmens, in dem sich das Coaching als Interaktionssituation abspielt. Da Coaching eine Interaktionsform ist, die nicht zum Alltag des Coachingpartners gehört und die sich als zweck- und zielgerichtete Interaktion immer wieder neu bewähren muss, bedarf es einer Klärung oder Verständigung darüber, über was man sprechen, wie man gemeinsam vorgehen und in welche Beziehung man gehen möchte. Zu den Herausforderungen zählt dabei neben der expliziten Vereinbarung von Regeln insbesondere auch die eher implizit ablaufende Abstimmung über die wechselseitigen (unbewussten) Erwartungen an die Rolle(n), das Vorgehen und die Beziehung insgesamt – und dies gilt nicht nur, wenn die Coachingsituation selbst eine interkulturelle Begegnung darstellt. In der Literatur und noch mehr in praxisorientierten Diskussionen unter Coachs ist die Frage der »richtigen« Beziehung immer wieder ein Thema: Wie soll sie beschaffen sein? Wie kann man gut Kontakt herstellen? Nach welchen Werten wird gehandelt? Kann die Beziehung im Prozess genutzt werden, und wenn ja wie? Wie nah darf ich dem Coachingpartner mit zusätzlichen Beobachtungen kommen? Das sind Fragen, auf die es keine einheitlichen Antworten gibt – sie variieren ebenso wie in den psychotherapeutischen Schulen, denen sie entlehnt wurden. Den Lehrmeinungen zufolge gibt es indes einige Besonderheiten der Beziehungsgestaltung im Coaching. Die Begegnung sollte erstens
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auf Augenhöhe sein und der Coach sich zweitens neutral verhalten, was drittens zu gefilterten, gezielten Reaktionen bzw. Interventionen führt. Diese Grundhaltung der Enthaltsamkeit gilt auch in den meisten therapeutischen Schulen und ist der Psychoanalyse entlehnt. Abstinenz, also die Neutralität des Coachs, bedeutet unter anderem den Verzicht auf jegliche Beeinflussung oder Fremdbestimmung des Coachinpartners oder auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse (wie z. B. Neugier, eigene Interessen). Gemeint ist eine empathische Haltung des Beteiligtseins, in der man teilweise über Perspektivenwechsel versucht, den anderen in seinem Erleben zu verstehen, ohne in eine unmittelbare Reaktion zu verfallen. Die vertrauten, im Alltag durchaus möglichen Reaktionen gelten als unprofessionell. Berichtet ein Klient beispielsweise von Überlastungsphänomenen, so sind Anschlussäußerungen wie »Sie müssen sich besser organisieren« (Ratschläge geben), »das liegt an Ihrem Zeitmanagement« (Diagnostizieren), »das ist wirklich schlimm« (Bewerten), »das kenne ich auch« (unreflektiertes Identifizieren), »da gibt es Schlimmeres« (Bagatellisieren) selbstverständlich nicht hilfreich. Sie sind nur begrenzt wertschätzend und stellen keine Augenhöhe her, sie fördern bestimmte Beziehungskonstellationen und -dynamiken. Die begleitende bewertungsenthaltsame Haltung basiert auf der Methode der zugewandten, freundlichen und konstant wertschätzenden freischwebenden Aufmerksamkeit, die präzise eigene und fremde Impulse registriert, ohne sie auszuagieren. Die Grundhaltung im Coaching zeigt sich insbesondere durch die Anschlussbemerkung(en) des Coachs auf die Äußerung seines Coachingpartners. Nachfragen (»Was haben Sie bislang unternommen?«), verständnissicherndes oder zusammenfassendes Reformulieren (»Sie haben also die letzte Woche zwei Termine übersehen«, gegebenenfalls aktives Zuhören (»Ich habe den Eindruck, Sie fühlen sich unter Druck«), sind Interventionen, die dazu beitragen, die vorgebrachte Problematik in der Schwebe zu halten und den Coachingpartner in der Lösungsfindung zu begleiten. Damit wird zugleich die Beziehung ausgehandelt und das Coaching bietet einen Raum, in dem der Coachee sich freundlich angenommen fühlen kann. Das Thema Beziehung im Coaching hat stets mehrere Dimensionen. Zunächst einmal geht es um die Beziehungssteuerung zwischen den Coachingpartnern. Im weiteren Sinne jedoch – zumal Fragen der Beziehungsgestaltung häufig ein Topos im Coaching sind – spielen auch die gegenwärtigen und aktuellen Beziehungen des Coachingpartners im Allgemeinen eine Rolle. Dies gilt insbesondere für eine kulturreflexive Herangehensweise, welche die Menschen stets im Kontext der Kollektive betrachtet, denen sie sich zugehörig fühlen oder die ihnen zugeschrieben werden. Ist es für das Coaching und sein Ziel relevant, dass der Coachingpartner Südamerikaner ist oder nicht? Die Beziehungsgestaltung im Coaching allgemein birgt eine Reihe von Herausforderungen – im kulturreflexiven Coaching ist sie eine Kunst. Da das Themenfeld breit ist, stellt sich die Frage, was als Coach im kulturreflexiven Vorgehen mindestens zu berück-
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sichtigen ist. Aus unserer Sicht sind die notwendigen zu beachtenden Perspektiven und erforderlichen Kompetenzen, die wir hier kurz ansprechen wollen: 1. rollenreflexives Beziehungsmanagement, 2. kulturreflexive Beziehungssteuerung und 3. kultursensible Wahrnehmung von Übertragungsdynamiken. Es wird gezeigt werden, dass Augenhöhe eine Errungenschaft und Leistung darstellt und Neutralität eher Allparteilichkeit bedeutet.
Rollenreflexives Beziehungsmanagement im Coaching Die vielzitierte Augenhöhe im Coaching ist keineswegs gegeben, sondern muss hergestellt werden. Die bewusste Gestaltung der Rollen, ist dabei der leichteste Part. Die Vielfalt der Rollen, die im Coaching möglich ist, ergibt sich durch die Überschneidungen zu anderen Begleitungsformen und ihren impliziten Beziehungskonstellationen (vgl. dazu auch → Kapitel 2.4 zur begrifflichen Abgrenzung des Coaching). Manche dieser Rollen wie Experte, Berater oder Mentor wirken mehr oder weniger hierarchisch. Andere wie Begleiter oder der Coach selbst arbeiten auf Augenhöhe. Wie das Kapitel zu Coaching in verschiedenen Kulturen (→ Kapitel 2.2) zeigt, sind die Erwartungen der Coachingpartner an die Dominanz einzelner Rollen im Coaching je nach Kulturkreis unterschiedlich. Augenhöhe ist keineswegs ein kulturübergreifend gewünschter Beziehungsmodus. Andererseits wird mit der Profession des Coachings eine neuartige Entwicklungs- und Lernchance etabliert, welche sich dadurch auszeichnet, die Lösungen durch die Klienten selbst entwickeln zu lassen. Insofern ist ein reiner Rückzug auf die kulturelle Erwartungsmatrix hinsichtlich der Rollen nicht ausreichend. Es geht nicht darum, sich den Erwartungen des Coachingpartners anzupassen und ihnen zu entsprechen, sondern sie zu kennen, zu spüren und diejenige Konstellation zu wählen, die dem Ziel des Coachings und der Entwicklung der Coachingpartner dienlich ist. Ein Coach kann neben seiner ureigenen Tätigkeit als Coach mit entsprechenden Kompetenzen und Kenntnissen also auch als Mentor, Berater, Starthelfer, Trainer, Therapeut, »Freund« und vieles mehr agieren. Voraussetzung ist der bewusste Vollzug bzw. die Ankündigung des Rollenwechsels. Wir haben bewusst eine »private Kategorie« hinzugenommen, die, wenn sie reflektiert und als Intervention eingesetzt wird, wie die anderen einen hilfreichen Effekt haben kann (Abbildung 32).
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Abbildung 32: Rollenvielfalt in einem Coachingprozess, dargestellt nach Arbeitsanteilen; Umfang der Arbeitsanteile nach außen zunehmend (modifiziert nach Vogelauer, 2002)
Ein Beispiel für das Jonglieren mit den Rollen und das Herstellen von Augenhöhe stellt die Anfrage von Olga Petrowa dar. Fallbeispiel: Olga Petrowa Die Klientin mit russischem Migrationshintergrund, Ende zwanzig, fragte sich, ob sie sich schon in ihrem Alter als interkultureller Coach in Luzern selbständig machen könne. Ihr Ziel im Coaching war, gemeinsam mit dem Coach zu überlegen, ob diese Vision für sie realistisch und machbar sei. Die Konstellation ist zunächst einmal in einigen Hinsichten asymmetrisch. Der Coach war nahezu doppelt so alt und seit mehr als 15 Jahren im Coaching mit interkulturellem Schwerpunkt tätig. Andererseits war die Klientin Kundin und Auftraggeberin und hatte weitere Ressourcen und Erfahrungen, die der Coach nicht aufwies. Die Verführung, in einer solchen Konstellation in eine Expertenrolle zu gehen, ist hoch und war möglicherweise auch von der Coachingpartnerin gewünscht. Denn warum sollte man eine Expertise des Coachs nicht nutzen, sofern sie hinsichtlich der Kompetenzen und Erfahrungen sowie Einschätzungen für den Markt gegeben ist. Die Kunst bestand darin, zunächst einmal die ersten eigenen Impulse und Urteile auf die Fragen und
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Angebote hinsichtlich des Anliegens (»ich bin mir nicht sicher, ob ich das schon machen kann«) wahrzunehmen und zur Seite zu legen, bis sie gegebenenfalls benötigt wurden. Die klassischen systemischen und offenen Fragen halfen beiden Coachingpartnern ein breiteres Spektrum an Szenarien, Optionen und Ressourcen zu erarbeiten. Zu einem recht späten Moment in dieser Coachingsitzung und als sich der eigene Überblick und die Einschätzung der Coachingpartnerin selbst bereits geweitet und gestärkt hatte, bot der Coach ihr mit einem metakommunikativ eingeleiteten Rollenwechsel eine mögliche (!) Expertenmeinung an: »Ich bin ja selbst in dem Feld tätig und wenn es Ihnen hilft, könnte ich meine Einschätzung, die natürlich sehr subjektiv ist, zur Verfügung stellen.« Die Coachinpartnerin bejahte. Der Rollenwechsel wurde räumlich bzw. körperlich unterstützt, der Coach nahm einen anderen Platz ein und markierte somit die eigene Meinung als eine mögliche und keineswegs repräsentative Stimme zu diesem Anliegen. Nachdem die Einschätzung gegeben war, wechselte der Coach sichtbar wieder in die Ausgangsposition und fuhr mit der systemischen Gesprächsführung fort. Effekt dieses Vorgehens war ein deutliches Empowerment der Coachingpartnerin, die schlussendlich zu einer auf eigenen Kriterien basierenden Entscheidung fand.
Die Fähigkeit, die Rollenvielfalt im Coaching zu managen, gehört zur Grundausstattung im Werkzeugkoffer eines Coachs. Der positive Effekt von Coaching lebt auch von der authentischen Rollenvielfalt des Coachs. Beherrscht dieser das Spiel mit flexiblen Rollen und ist für den Coachingpartner jeweils in ihnen greifbar, verkörpert er sie also? Kann er von eigenen persönlichen, stilistischen sowie kulturellen Präferenzen abstrahieren und seinen Verhaltensspielraum bezüglich der Rolle(n) zugunsten des Arbeitsauftrags variieren? Wie das Fallbeispiel von Ingrid Köhler in → Kapitel 3.2.4 (Methoden – culturally revised) zeigte, ist auch die systemische Haltung der Neutralität nicht jedem Coachingpartner dienlich. Manche Coachingpartner, wie eben auch sie, reagieren erst dann auf Interventionen, wenn der Coach Position bezieht, greifbar wird, eine Meinung äußert. Dann ist die Rollenvirtuosität besonders gefragt, damit nicht eine von vielen möglichen hilfreichen Beziehungskonstellationen »einrastet«. Die Aufgabe ist paradox: Rollen einnehmen und zugleich jonglieren, kontextsensibel und angekündigt wechseln können. So lässt sich, wie auch im Fallbeispiel Olga Petrowa zu sehen war, selbst bei einer Ausgangskonstellation, in der der Coachingpartner eine Hierarchie erwartet, Augenhöhe herstellen.
Kulturreflexive Beziehungssteuerung im Coaching In der Therapie wird der Aushandlungsprozess zum Beziehungsaufbau Rahmung genannt. Rahmungen sind als fortdauernder Prozess zu sehen und bestehen nicht ausschließlich aus zu Beginn festgelegten starren Regeln oder kulturellen Skripts. Die Beziehung wird ständig weiter ausgehandelt, gibt eine
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kognitive Orientierung und organisiert das (affektive) Arbeitsbündnis im Coaching. Zum Beispiel wäre die Begrüßung und die vielfach im Anschluss gestellte Frage zu Beginn, »Haben Sie gut hergefunden?«, eine erste Rahmung. Sie kann nun je nach Situation und gewohnter Erwartungsstruktur unterschiedlich gedeutet und genutzt werden. Manchen Coachingpartnern ist diese Minimalstform des Smalltalks ausreichend für einen Kontakt und den Arbeitsbeginn. Sie geben kurz und rituell Antwort (»ohne Probleme«) und sehen das Ritual als Kontaktaufnahme und Einleitung zum Anliegen der ersten Sitzung. Andere Coachingpartner benötigen eine längere Aufwärmphase. Kultur ist dabei übrigens nur ein Faktor. Wer als Coachingpartner zu Beginn gern länger Tee trinkt und sich nach dem Befinden des Coachs erkundigt, muss kein Bulgare oder Araber sein, er kann auch Anlauf für ein subjektiv als schwerwiegend aufgefasstes Thema nehmen. Es gibt Coachingpartner, die jeweils die ersten fünfundvierzig Minuten einer Sitzung die Ereignisse und ihr Erleben seit der letzten Sitzung monologisch darlegen – und davon profitieren. Die Beziehung zwischen den Coachingpartnern ist nicht nur dann interkulturell, wenn der eine Türke und der andere Belgier ist, sondern auch intrakulturell können erhebliche stilistische Unterschiede wirksam sein. Interaktionsangebote aus dem Alltag, persönliche Stilelemente, Problemtrance, kulturelle Faktoren, die Vielfalt der Rahmungsirritationen und damit der Beziehungsaushandlungsbereiche sind groß. Wir wollen den Kulturbegriff allerdings nicht auflösen und jede Begegnung zwischen zwei Menschen als interkulturell bezeichnen. Zentral bleibt deren Rückgriff auf kulturelle und erlernte Skripts in der Beziehungsgestaltung oder eine Selbstzuordnung zu Kollektiven mit eigenen Werten und Standards. Davon ausgehend kreiern die Coachingpartner eine dritte gemeinsame Kultur, weshalb wir unseren Coachingpool auch »Create Culture together« genannt haben. Die Beziehung ist Teil der Suche und Reise für beide, deren Route kein Wissensbestand antizipieren kann. Die interkulturelle Forschung hält für die verschiedenen Rahmungsaktivitäten unter anderem Theorien über allgemeine Unterschiede hinsichtlich der Beziehungsgestaltung bereit. Dazu gehören grundsätzliche Differenzen der Wertesysteme und des Verhaltens, wie zum Beispiel ein mehr oder weniger starker persönlicher Bezug, ein anderes Rollen- und Hierarchieverständnis im Coachingsetting (vgl. dazu auch → Kapitel 2.2 zu Coaching in verschiedenen Kulturen). Des Weiteren gibt es Ergebnisse aus der interkulturellen Kommunikationsforschung, wie Interaktionsangebote interpretiert oder missverstanden werden können. Diese Ergebnisse können unseres Erachtens aber allenfalls dazu dienen, Interaktionsangebote des Coachingpartners vielschichtiger zu deuten. Meist sind die beziehungsorientierten Aussagen zu abstrakt, um daraus Handlungsanleitungen zu gewinnen. Die kultursensitive Beziehungssteuerung läuft darauf hinaus, weitere Reflexionsperspektiven einzunehmen, wozu wir uns Anregungen bei einigen Autoren holen.
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Neben den in verschiedenen Kulturen und Konstellationen unterschiedlich präferierten Rollen wirkt Kultur noch in weiteren Dimensionen im Coaching. In den letzten Jahren nehmen kulturreflexive Forschung und Publikationen zum Beziehungsaufbau im beraterischen, therapeutischen und psychiatrischen Setting zu und eine Übertragung von Wissensbeständen aus der interkulturellen Forschung in das Coachingsetting ist begrenzt möglich. Meist beschränken sich die Autoren auf sensibilisierende Aussagen oder mahnen (Selbst-)Reflexion und Vorsicht an. Birsen Kahraman (2008) hat basierend auf Interviewauswertungen interkultureller Therapiesituationen ein Vorgehen für die kultursensible Beziehungsgestaltung entwickelt, welches das generische Modell der Psychotherapie (Rollenbeteiligung, interaktive Koordination, kommunikative Abstimmung und gegenseitige Bestätigung, Orlinsky et al., 1988) kulturell ausdifferenziert. Die vier Faktoren (Kahraman, 2008, S. 295 ff.), welche die kultursensible Beziehungsgestaltung ausmachen, können im Ansatz auf das Coaching übertragen werden (Abbildung 33).
Abbildung 33: Kultursensible Beziehungssteuerung (verändert nach Kahraman, 2008, S. 297)
1. Reflexion von Erwartungen: Insbesondere der ersten Begegnung wird große Bedeutung beigemessen. Es gibt allgemein eine hohe Erwartung an die Person als unterstützende Instanz und die (berechtigte) Befürchtung, nicht verstanden zu werden. Kahraman empfiehlt daher, Ziele und Erwartungen zu unterscheiden und letztere explizit zu erfragen und zu thematisieren. Sie geht davon aus, dass erst nachdem die Erwartungen geklärt sind und damit der Beziehungs- und Motivationsaufbau erfolgt ist, die Ziele sinnvoll formuliert werden können. Diese Umstellung hat auch Folgen für die Auftragsklä-
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rung im Coaching, da die Erwartungen deutlicher und umfänglicher erfragt und benannt werden müssen, bevor Ziele vereinbart werden können. 2. Emotionale Feinabstimmung: Kulturübergreifend scheint eine hohe Personenerwartung gegeben zu sein, aber das Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung und Herzlichkeit variiert. Persönlicheres Kontaktverhalten wird von Migranten als angenehm erlebt, formelle Distanz schreckt eher ab. Die informellen Kontaktangebote, persönliche Begrüßung, einschließlich beispielsweise ein Ritual wie der Wangenkuss, fördern Vertrauen und eine sukzessive Selbstöffnung. Hintergrund sind nicht nur unterschiedliche kulturelle Gepflogenheiten der Beziehungsaufnahme, sondern auch die allgemeine Belastung, wenn man als Migrant oder Expat in einer unvertrauten Kultur lebt und arbeitet und Fremdheits- und Diskriminierungserfahrungen kennt. Zur emotionalen Feinabstimmung gehört auch, dass sich die Therapeuten bzw. Coachs ihrer gegebenenfalls vorhandenen negativen Gefühle stellen. Sie werden tendenziell ausgeblendet und treten doch bei Schwierigkeiten im Prozess zutage. 3. Kommunikative Feinabstimmung: Obwohl Kommunikation die wichtigste Voraussetzung für einen gelingenden Prozess ist, werden die sprachlichen Herausforderungen unterschiedlich beurteilt. Es ist eine Herausforderung, bei Verständigungsproblemen zu entscheiden, wo kulturelle Stile, sprachliche Kompetenz oder persönliche Aspekte eine Rolle spielen. Für den Therapeuten oder Coach mit hoher Sprachkompetenz ist es bedeutsam, die Verantwortung für eine ausreichende Kommunikation selbst zu übernehmen und nicht einem mangelnden Sprachvermögen des Klienten anzulasten. Selbst bei guten Sprachkenntnissen ist Achtsamkeit erforderlich, weil zwar die Alltagssprache beherrscht wird, aber gegebenenfalls tiefere Prozesse und Themen Übersetzungsleistungen (im mehrfachen Sinne) erforderlich machen. 4. Reflexion der Zuschreibungen: Die Kulturen, denen wir uns zugehörig fühlen, geben uns Erklärungsmuster, Wertemodelle und Identität(en). In ihren Interviews konnte Kahraman sehen, dass es den Therapeuten schwer fiel, eigene Wertevorstellungen zurückzustellen, wenn diese herausgefordert wurden, und immer wieder Dilemmata auftauchten. Bei den typischen neuralgischen Bereichen wie Geschlechterrollen, religiöser Glaube oder Erziehungsvorstellungen gelang es den Therapeuten nur begrenzt, sich von eigenen Werten zu lösen. Kulturelle Zugehörigkeiten wurden zugunsten von Persönlichkeitsmerkmalen vernachlässigt und teilweise wurden bereits in der Zielformulierung unbeabsichtigt die kulturbedingten Autonomievorstellungen und identitätsrelevanten Rollenvorstellungen der Klienten verletzt. In diese Falle gerieten vor allem in der Profession noch unerfahrenere Personen. Sie konnte auch beobachten, dass die Therapeuten sich bemüht haben, Unterschiede, Gefälle oder Stildifferenzen durch starkes persönliches
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Engagement auszugleichen. Erklärungen geben, Transparenz herstellen und verständnissicherndes Vorgehen helfen, die Bezugssysteme anzunähern. Kahrmaran empfiehlt eine dauernde Reflexion der eigenen Wertmaßstäbe und Zuschreibungen, des Formats und der Methoden, mit denen gearbeitet wird. Fremdheits- und Überlegenheitsgefühle, Stereotype und Barrieren können so überprüft und überwunden werden. Die Aspekte für das Modell der Kultursensibilität von Kahraman sind induktiv gewonnen und daher nicht normativ zu verstehen, sondern als typische Herausforderungen. Aufgrund der anderen Rollenkonstellation und tendenziell stärkeren Hierarchie zwischen Therapeut und Patient dürften einige der von ihr benannten Gefahren im Coaching geringer sein. Dennoch enthält ihre Arbeit bedeutsame Hinweise. Auch Kahraman hält, wie wir, die Ableitung von Gesetzmäßigkeiten oder allgemeinen Empfehlungen für bedenklich. Selbst die Übertragbarkeit des Modells sieht sie mit Vorsicht, wurde es doch an einer heterogenen Gruppe türkischstämmiger Migranten entwickelt. Eine andere Reflexionshilfe bietet Auernheimer (2008) an, wenn er interkulturelle Kommunikationssituationen mehrdimensional betrachtet. Sein Ziel ist, ein kulturalistisches Verständnis von interkultureller Kompetenz zu überwinden. Dafür stellt er eine Heuristik für interkulturelle Beratungsbeziehungen zur Verfügung, die insbesondere gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Strukturen in den Bedeutungshorizonten präsent macht. Nicht die Inhaltsebene in der Kommunikation ist die entscheidende Störquelle, sondern die Beziehungsebene. Darauf kann man nicht oft genug hinweisen. In ihr wirken seiner Ansicht nach vier Dimensionen: 1. Kollektiverfahrungen: Die Beteiligten sind von unterschiedlichen Kollektiverfahrungen geprägt. Insbesondere bei Angehörigen von Minderheitengruppen können generalisiertes Misstrauen, Überempfindlichkeit, Negativerwartungen oder Aggressivität wirksam sein. In jedem Fall sind Übertragungen und Gegenübertragungen gespeicherter Kollektiverfahrungen erwartbar. 2. Fremdbilder und ethnische Grenzziehungen: Sobald die Beteiligten sich verschiedenen Kollektiven zuordnen und insofern Grenzen zwischen sich ziehen, werden Stereotypen oder projektive Fremdbilder aktiviert. Die Effekte, wie zum Beispiel positives Verhalten der Situation zuzuschreiben, aber negativ bewertetes Verhalten der Gruppe zuzuordnen, sind in der Sozialpsychologie hinlänglich beschrieben. Ethnisierungen entlasten zunächst von der eigenen Verantwortung, zum Gelingen der Beziehung beizutragen. 3. Differenz der Kulturmuster: Der Differenz der Kulturmuster, der Skripts und Konventionen der Beziehungsgestaltung und der Kommunikation weist Auernheimer eine eher nachrangige Bedeutung zu. Die unterschiedlichen »Drehbücher des Alltagslebens« führen zu Irritationen und Erwartungsdiskrepanzen, die zwar Unsicherheit produzieren, aber thematisierbar sind.
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4. Machtasymmetrien: Mehr als im Coaching sind in den pädagogischen, medizinischen und sozialen Beratungsbeziehungen Gefälle im Bezug auf Wohlstand, Status und Ressourcen wirksam. Institutionelle Mehr- und Minderheitenkonstellationen können nicht durch individuelle gute Absichten überwunden werden. Wir schließen uns Auernheimer an, der davon ausgeht, dass nicht Wissen über fremde Kulturmuster zur Verbesserung der Kommunikation beiträgt, sondern die Aufmerksamkeit für negative Kollektiverfahrungen und die Sensibilität für Asymmetrien. Die Kollektivbezüge sind unserer Ansicht nach allerdings so vielschichtig, dass die Rede von »der« Machtasymmetrie genauer ausdifferenziert werden muss. Es sind verschiedene Hierarchieachsen zu betrachten, die in der Beziehung wirksam sein können, wie Abbildung 34 illustriert.
Abbildung 34: Hierarchierelevante Dimensionen im Coaching (eigene Darstellung)
In der Beziehung sind mehrere Achsen wirksam, die zudem ein unterschiedliches Gewicht haben. Die Coachingpartner können sich hinsichtlich des Geschlechts, des Bildungsstands, des gesellschaftlichen Status, bezüglich einer Mehrheiten-/Minderheitenzugehörigkeit, des Alters und weiterer Dimensionen unterscheiden, die gesellschaftliche Wertigkeiten beinhalten. Es ist die Frage, welche gesellschaftliche oder persönliche Dimension im Bezug auf die Bezie-
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hung relevant ist oder gemacht wird. Augenhöhe und Neutralität im Coaching sind daher prekäre Angelegenheiten, die achtsam und immer wieder neu hergestellt werden müssen, für die es allerdings auch verschiedene Ressourcen in den sozialen Identitäten gibt. Zur Beziehungsdynamik gehört auch das eigene Nachempfinden der Qualität der Beziehungen, die der Coachingpartner außerhalb des Settings zu den Kollektiven hat. Neben den verschiedenen Kulturschockkurven ist eines der am meisten genannten Modelle von kollektiven Beziehungskonstellationen das der Akkulturationsstile von Berry (1997, Tabelle 18). Es beschreibt den Grad der Aufrechterhaltung und Wertschätzung der Herkunftskultur in der eigenen kulturellen Identität sowie das Maß an erwünschten Kontakten und Interaktionen zu anderen und neuen Kulturen. Indikatoren der Orientierung sind Mediennutzung, Sprachpräferenz, gelebte Traditionen, gesprochene Sprachen etc. Wenn man diese beiden Dimensionen kreuzt, kann man vier Stile unterscheiden. Als gelungene Entwicklung gilt die Integration. Sowohl die Beziehung zum eigenen als auch zum anderen Kollektiv werden positiv beurteilt und gepflegt. Bei der Assimilation orientieren sich die Beteiligten an den kulturellen Gepflogenheiten des Umfeldes, weshalb die positive Beziehung zum Gastland überwiegt. Demgegenüber werden die eigenen kulturellen Gruppenbezüge vernachlässigt. Die Segregation ist umgekehrt eine Favorisierung eigener kultureller Beziehungen im fremdkulturellen Umfeld und führt daher zu einer Distanz zum Gastland. Schließlich gibt es noch die Marginalisierung, bei der weder Rückhalt noch Bindungen im eigenen noch im neuen Kollektiv gefunden wurde. Unter Umständen gab es eine Abkehr von beiden Bezugssystemen. Die Stile können mit der Migrationskurve verknüpft werden (vgl. → Kapitel 3.2.3 zu den Entwicklungsmodellen im transkulturellen Coaching), die Marginalisierung beispielsweise findet man häufiger in der Phase der Dekompensation. Tabelle 18: Akkulturationsstile (nach Berry, 1997)
Beziehung zur eigenen Gruppe Beziehung zum Gastland
Integration (++)
Assimilation (+−)
Segregation (−+)
Marginalisierung (−−)
Unter kulturreflexivem Gesichtspunkt wirken Kollektiverfahrungen in das Coaching hinein. Daher ist bedeutsam, die verschiedenen Zugehörigkeiten und das Beziehungsmanagement innerhalb und außerhalb des Coachings im Blick zu behalten. Wie leben der Coachingpartner und seine Bezugsgruppe? Erlebt sich das Kollektiv, dem er sich zugehörig fühlt, allen Bemühungen zum Trotz als marginalisiert, oder segregiert es sich selbst? Stets werden die Zugehörigkeiten als Perspektiven relevant. Ob eine Person sich selbst als integriert oder als (zu) assimiliert erlebt, ist eine Frage des Blickwinkels und der realen Gruppenbezie-
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hungen. Es stehen sich nicht nur zwei Coachingpartner gegenüber und gehen miteinander eine bewusst gestaltete Beziehung ein, sie sind zugleich Repräsentanten von Kollektiven und deren tradierten Erfahrungen. Hier sind Kräfte und Dynamiken am Werk, die zu verschiedenen Arten von Übertragungsphänomenen führen können.
Kultursensible Wahrnehmung von Übertragungsdynamiken Die Nähe-Distanz-Regelung ist in den Coachingbeziehungen ein seltener behandeltes Thema als in der Therapie. Ohnehin ist das Thema Beziehungssteuerung oder -dynamik im Coaching scheinbar verdächtig. Zum einen wird leicht befürchtet, dass, sobald das Thema Beziehungsangebote in den Blick genommen wird, man sich bereits im therapeutischen Bereich bewegen würde. Geht es inhaltlich um Beziehungen jenseits der Arbeitswelt, gilt es Einigen streng genommen nicht mehr als Coaching. Sicherheitshalber verwenden manche ein Präfix und sprechen dann von »Life-Coaching« (z. B. Buer u. Schmidt-Lellek, 2008). Inwieweit die Trennung von Beruf und Privatleben in einem transkulturell reflektierten Coachingansatz überhaupt haltbar ist, ist jedoch fraglich. Schaut man sich außerdem die im Coaching behandelten Themen in Literatur und Realität an, so umfassen sie stets auch psychologische Themen. Von A wie Alkoholprobleme über B wie Burnout bis zu Z wie Zukunftsperspektiven ist stets der ganze Mensch mit seiner Biografie beteiligt. Darüber hinaus halten sich Dynamiken zwischen den Coachingpartnern ohnehin nicht an die Trennung von Privatleben und Beruf. Auch in einem berufsbezogenen Coaching können Parallelprozesse, Kontextvermischungen und Projektionen eine Rolle spielen. Gerade bei einem kulturreflexiven Vorgehen, wo es um die Fähigkeit geht, Coaching variantenreicher zu gestalten und mit eigenen Unsicherheiten, Zuschreibungen und Irritationen umzugehen, wo Mehr- und Minderheitenzugehörigkeiten und Machtasymmetrien unterschwellig wirksam sind, ist die Berücksichtigung von typischen Beziehungsdynamiken hilfreich. Übertragung ist eine Reaktualisierung und Neuauflage einer lebensgeschichtlich bedeutsamen Beziehung und einer unbewältigten Beziehungsvergangenheit. Sie ist sozusagen die Manifestation einer Regression in einer Beziehung und die gewohnheitsbedingte Wiederholung einer vergangenen Objektbeziehung. In der Regel resultieren diese Reaktionsbereitschaften aus Kränkungen von Grundbedürfnissen und drängen nach Ausdruck, weil sie gesehen werden wollen. Die spontane Wiederbelebung im Hier und Jetzt entsteht durch Reize, Interaktionsangebote und andere Optionen in der aktuellen Coach-Coachingpartner-Beziehung. Übertragungsgefühle sind sozusagen »Anfragen an die Beziehung« und entstehen nicht unabhängig von der aktuellen Konstellation (Walter, 1994, S. 3 des online abrufbaren Dokuments). Dabei kann der Coach »Zuschauer« sein, er erlebt die Übertragung, oder »Mitspieler«, das heißt, er fühlt und verhält sich zeitweilig unbewusst, wie der Klient
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es von früher kennt und erwartet. Beispielsweise erklärt der Coachingpartner ein aktuelles Problem und der Coach wird müde und ungeduldig oder fühlt sich »gelangweilt«, reagiert also in dem Fall genauso wie in der früheren ElternKind-Beziehung die Mutter. Hier beginnt die Gegenübertragung. Der Coach ist für die Gefühle des Coachingpartners verfügbar, das Unbewusste des Coachingpartners regt das Unbewusste des Coachs an – und vice versa. Gegenübertragungen des Coachs zeigen sich als Reaktionsbereitschaft auf den Coachingpartner in Form von Stimmungen, Affekten und Handlungsimpulsen. Ihre Herausforderung besteht darin, dass sie erstens dazu tendieren, unbewusst zu bleiben, zweitens abgewehrt werden können oder drittens mit eigenen Übertragungen »vermischt« sind. Aufgabe des Coachs ist daher, sich einlassen zu können, um diese Phänomene zu erfassen, zu thematisieren und gegebenenfalls zu bearbeiten. Fallbeispiel: Gerhard Zechenreither Zum vierten Mal kommt der Coachingpartner, ein Beamter mit einer äußerlich sichtbaren körperlichen Behinderung von 80 %, mit demselben Thema: Entscheidungen. Und erneut sind die Fragen und Herausforderungen ähnlich gelagert wie bei den letzten Malen. Leider fiel es dem Coach erst in der Supervision auf. Rückblickend besehen, so die Hypothese, hat er sich vermutlich blenden lassen: durch den Arbeitsplatzwechsel, die Hochzeit und andere elementare Ereignisse, um die es ging. Immer gab es Entscheidungen zu treffen, stets ging es auch um den Status des Coachingpartners als »Behinderter«, wenngleich jedes Mal eine andere Facette im Vordergrund schien. Zudem war nach mehr als zwei Jahren Prozess auch eine Art Gewöhnung eingetreten (keine Entscheidung mehr zu treffen, ohne den Coach vorher zu fragen) und auch eine Art Verlust der Neutralität. Aus der Distanz gesehen ist es einfach zu sagen, man hätte den Fall abgeben sollen, aber im Prozess selbst fällt einem meist nur ein Unbehagen auf, das leicht übergangen wird. Die Beziehung war gut und jede Coachingsitzung war in sich zielorientiert verlaufen. Doch der Coach wurde unmerklich zur Beraterin in allen Lebenslagen. Der Coachingpartner nahm an, nur durch den Coach die Dinge besser regeln zu können, und begab sich damit in eine dem Klienten vertraute biografische Abhängigkeit. Hintergrund war eine Projektion bzw. Idealisierung der Person als selbst chronisch kranker Coach. Da dieser selbst seit der Jugend Diabetes hat, entstand der Eindruck, der Coach versteht mich, weil er ebenfalls chronisch krank ist. Auch wenn Schicksale, Krankheiten und Einschränkungen niemals vergleichbar sind, so gibt es doch Gemeinsamkeitsunterstellungen und darauf basierend Idealisierungen. Dieses Phänomen ist auch im Hinblick auf Sprache und Kollektivzugehörigkeit bekannt. Türken gehen zu Türken, Italiener zu Italienern und glauben dort mehr Verständnis zu finden. Hier findet häufig ebenso eine Idealisierung der Begleitperson statt, nur aufgrund derselben Muttersprache und in der Annahme, dass dadurch per se mehr Vertrautheit bestehe.
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Der Coach hat seine Wahrnehmungen und Hypothesen gegenüber dem Coachingpartner daraufhin in Form von Selbstkundgaben angesprochen und vorgeschlagen, das Thema Abhängigkeit zu bearbeiten und danach eine Pause im Coachingprozess einzulegen. Die Pause dauert aktuell noch an, begleitet von einem vereinbarten zweimonatigen Mailkontakt.
Zwei weitere häufig im Coaching zu beachtende Phänomene sind Widerstand und Parallelprozesse. Widerstand eines Coachingpartners ist ein Teil der Übertragungsphänomene und zeigt sich darin, dass eine konstruktive Kommunikation oder Kooperation im Arbeitsbündnis partiell oder gänzlich blockiert wird, ohne dass diese Haltung absichtlich vollzogen oder begründet werden kann. Parallelprozesse hingegen sind Phänomene, bei denen als problematisch beschriebene Themen der Coachingpartner sich im Coaching selbst reproduzieren. Beispielsweise beschreibt ein Klient, dass er sich getrieben fühlt, und ist während der Schilderung selbst »hektisch«. Häufig wird mit Bezug auf das Thema Parallelprozesse nur der Klient »ins Visier« genommen, aber selbstverständlich ist auch der Coach nicht vor Parallelprozessen gefeit und es bedarf einer selbstkritischen Prüfung. Übertragung und Gegenübertragung sind Teil jeder Kommunikation und die Verknüpfung zwischen den Interaktionspartnern, ohne die es kein Verstehen und keine Empathie gäbe. Übertragung kommt im Coach-Coachingpartner-Setting immer vom Coachingpartner und Gegenübertragung immer vom Coach, zumindestens ist das die gängige Erklärung der psychoanalytischen Literatur. Das halten wir für verkürzt. Insbesondere Fremdheit bietet bekanntlich einen Spiegel und lädt zu Übertragungen ein. Die Wirkkräfte von Fremdheit in Beziehungen werden unter anderem aus ethnopsychoanalytischer (Erdheim, 1994), phänomenologischer (Waldenfels, 2006) und systemischer Sicht (Schäffter, 1991) ausführlich beschrieben. Fremdheit ist ein Ordnungskonzept, das erst in Beziehungen entsteht. Fremdheit von Dingen oder Menschen ist keine Eigenschaft oder Zuschreibung, sondern ein individuell empfundener Beziehungsmodus, das Erleben einer Grenze, die Regulation von Nähe und Distanz. Es kann mir nur etwas fremd sein, mit dem ich in Beziehung stehe. »Im Gegensatz zum Anderen, das mir gleichgültig sein kann, löst die Kategorie des Fremden immer eine positive oder negative Betroffenheit aus« (Erdheim, 1993, S. 168). Die Vorstellung, der Coach würde nicht übertragen, greift – nicht nur im interkulturellen Setting – zu kurz. In Anlehnung an Watzlawick kann man sagen: »Man kann nicht nicht übertragen« (Grawe, Donati u. Bernauer, 1994, S. 704). Der Coach als professioneller Beziehungsgestalter ist hier in seinem inneren und äußeren Emotionsmanagement gefragt »Übertragen kann jeder. Gegenübertragung ist eine Kunst. Die kann man kultivieren« (Rheinberger, 2009) Transkulturelle Reflexionen zu den genannten Themen gibt es bislang wenige. Der Ethnopsychoanalytiker Erdheim (1994) beschreibt den Therapeu-
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ten als emotionalen Spiegel, auf dem ethnische Projektionen leicht die Abwehr und vermeintlich den Widerstand durch eine große Projektionsfläche von Seiten der Klienten erhöhen. Er bezieht sich auf den Kontext der Migration und erklärt dieses Phänomen durch die Dynamik zwischen Aufnahmegesellschaft und Migrant. In dieser Konstellation kann es zu einem Überlegenheitsgefühl auf Seiten des Therapeuten kommen (Gegenübertragung) oder die Konstellation wird als Dominanz durch den Klienten gedeutet. Diese zugeschriebene, ausgedrückte oder empfundene Überlegenheit führt zur Wiederbelebung von Autonomie-Abhängigkeitskonflikten. Diese können individuell empfunden und ausagiert oder als kollektives Gedächtnis in Gruppen tradiert und auch als kollektive Übertragung ausgedrückt werden (Erim, 2004). Ein Beispiel für diese Form der Dynamik zeigt der folgende Fall von Katharina Lotz. Fallbeispiel: Katharina Lotz Eine Übertragung entstand unter anderem im Coaching mit Katharina Lotz, einer Coachingpartnerin, die neu vom Land in die Stadt gezogen war und im Coaching die Hintergründe für ihre Karrierestagnation besprechen wollte. Sie hatte sich mit Realschulabschluss in Positionen hochgearbeitet, die üblicherweise mit Universitätsabsolventen besetzt werden. Dabei hatte sie jedoch stets das Gefühl, minderwertig und unpassend auf ihrem Platz zu sein. Aktuell wurde sie aus ihrer Perspektive von ihrem Vorgesetzten daran gehindert, eine neue Stelle in einer anderen Abteilung anzunehmen. Als der Coach ihr in der ersten Sitzung vorschlug, ihre Strategie einmal unter die Lupe zu nehmen und diese Beziehung zu ihrem Vorgesetzten genauer zu beleuchten, sagte sie: »Ja, wenn man studiert hat, denkt man wohl so, nur strategisch, das ist doch aber gar nicht das Thema!« Offensichtlich war hier auf der Beziehungsebene eine Übertragung passiert, die sich entlang der »kulturellen Zuschreibung« Akademiker/Nichtstudierte entwickelte. Die Reaktion des Coachs darauf hin war zunächst eine rein inhaltliche Rückfrage, nämlich die Nachfrage nach dem Thema. Erst zwei Sitzungen später war die Beziehung zwischen den Coachingpartnern so weit tragfähig, um das Thema der Übertragung ansprechen zu können.
Die interkulturelle Beziehungskonstellation im Bezug auf Coachingpartner ist unseres Erachtens nur scheinbar schwieriger. Auch eine gemeinsame kulturelle Herkunft garantiert keine kultursensible Beziehungsgestaltung. Zwar gibt es dann eher einen Vertrauensvorschuss und gemeinsame Codes, auf die zurückgegriffen werden kann, zugleich aber gerät jener »Raum« aus dem Blick, in dem Identitäten und Identitätsanteile ausgehandelt werden. Maya Nadig (2000) referiert in diesem Zusammenhang auf Winnicotts Übergangsraum (Winnicott, 1995). Identität wird als das Zusammenfließen der inneren Realität mit dem äußeren Leben gesehen und so in einer Beziehung stets neu ausgehandelt. Nadig versteht in Anlehnung daran den Übergangsraum als eine Art Container, in dem sich
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Kreativität, Symbole und Differenz entwickeln können. Zugleich ist auch eine besondere Art von Beziehung gemeint, in der »nichtsprachliches und sprachliches, emotionales und körperliches Empfinden, Verschmelzung und Trennung gleichzeitig erlebt werden können« (Nadig, 2000, S. 41 f.). Es geht ihr um eine vierte Perspektive als Reflexions- und Handlungsebene. Die erste Perspektive ist die eigene, die zweite die des anderen, die dritte die Beziehung der Beteiligten und die vierte diejenige Perspektive, welche alle zuvor genannten unter dem kulturreflexiven Aspekt hinterfragt (Nadig, 2009). Auf Coaching übertragen heißt das, in Anlehnung an Nadig, wahrzunehmen, welche Identitätsbezüge der Coachingpartner und der Coach jeweils herstellen. Dabei müssen diese nicht unbedingt verstanden, sondern lediglich (und das ist die Herausforderung) respektiert werden. Es geht um das Aushalten der Spannung des Nichtverstehens, denn nur dann können neue Sichtweisen entstehen. Beziehung wird somit als Prozess gesehen, der »nicht durch Hierarchie, Etikette und kulturelle Codes strukturiert [wird], sondern durch Empathie, Nähe und Distanz« (Nadig, 2006, S. 79). Abstinenz, das dürften die bisherigen Überlegungen zeigen, ist im Coaching nur begrenzt möglich und auch nicht zielführend. Bion (1995) nutzt wie Nadig das Raumkonzept und beschreibt insbesondere den (Beziehungs-)Raum, den der Therapeut aufbaut als empfangenden Container, in dem Erfahrungen und Empfindungen aufgenommen werden, die bisher nicht bewusst waren oder noch keinen Ausdruck finden konnten. Nichtwissen und Chaos müssen von Seiten des Therapeuten ausgehalten werden, um diesen Raum aufzubauen – aber nicht nur das: Um ihn zu halten, ist es nicht hinreichend, systemisch neutral zu sein, sondern auch der Therapeut muss sich mit dem auseinandersetzen, was er in den Raum mit einbringt bzw. wie er die Grenzen des Raumes definiert. Hüther (2002, 2005b) unterstützt dies, indem er sagt, dass sich bei Abstinenz keiner auf den anderen beziehen kann und somit keine Beziehung entstehen kann. Wenn aber keine Beziehung entsteht, können sich Körper, Identität und der Mensch nicht verändern. Wenn jeder ausschließlich (in) sich selbst reflektiert, entstehen kein Bezugssystem, keine Beziehung und damit auch keine neuen Identitätsanteile, die zu verändertem Verhalten führen können. Zusammenfassend kann man folgende Kriterien für das kultursensible Beziehungsmanagement des Coachs herausarbeiten: – Fähigkeit, Rollen im Coaching kontextsensitiv und kulturadäquat im Hinblick auf den Coachingpartner variieren; – kulturreflexiver empathischer Bezug auf den Coachingpartner; – wertschätzende Anerkennung der im- oder explizit (unterdrückten) Bedürfnisse des Coachingpartners; – Kenntnis, Identifikation und Reflexion der eigenen Zugehörigkeiten zu verschiedenen Kollektiven; – in die Beziehung gehen, sich in diese einbringen, Erfahrungen machen, ausprobieren;
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– Reflexion der eigenen Zuschreibungen, Projektionen, Gegenübertragungen; – »sich zur Verfügung stellen« (Containerfunktion); – freischwebende Aufmerksamkeit: Selbstbeobachtung und Introspektion, Differenzierung; – Verantwortungsübernahme für die eigenen Gefühle, Reaktionen, Projektionen; – differenzierte und geprüfte Entscheidung über eigene Aktions- und Reaktionsangebote; – Thematisierung und Bearbeitung von Beziehungen sowie Interventionen (Benennen, Spiegeln, Konfrontieren). In der Therapie wird die Therapeut-Klient-Beziehung als Basis für Interventionen genutzt. Diesen Fokus hat das Coaching nicht. Dennoch wird durch phänomenologische Interventionen Aufschluss über das Kontaktverhalten gewonnen. Die meisten Coachingrichtlinien und ethischen Grundsätze von Verbänden sowie auch viele psychotherapeutische Schulen betonen die Bedeutung der vertrauensherstellenden, von fachlicher Expertise und Zuversicht geprägten Beziehung. Da jeder Coach eine eigene Vorstellung von Vertrauensaufbau hat und es in der Forschung wenig gesicherte Erkenntnisse gibt, wie Vertrauen als dynamischer Vorgang in interkulturellen Kontexten aufgebaut wird, ist die Frage, die Schwegler (2009) stellt, auch von jedem Coach zu stellen: Wie gestalte ich den Prozess des »Vertrautwerdens« und den Aufbau von Sicherheit und wie ändert sich die Qualität des Vertrauens mit der Zeit? Und hier beginnt auch ein zweites Dilemma: Der Bedarf an Vertrauen ist bei multiplen Identitätsbezügen aufgrund der darin liegenden erhöhten Unsicherheit größer und damit »nimmt auch die Schwierigkeit zu, Vertrauen zu generieren, je unsicherer und komplexer der Kontext ist« (Kühlmann, 2005, S. 39). Eine Lösung des Dilemmas ist weder in der Forschung noch in der Praxis auf Rezept zu bekommen, das kulturreflexive Bewusstsein darüber ist der erste Schritt in die Aushandlung von Vertrauen und den Aufbau von Beziehung im Coachingprozess.
Fazit: Kultursensible Begleitung heißt, sich in die Beziehung einzubringen Die vielzitierte Neutralität im Coaching hat ihren sinnvollen Kern darin, die Unmittelbarkeit der eigenen Reaktion zu überprüfen und gegebenenfalls zu filtern. Sie bedeutet nicht, keine eigenen Werte und Identifikationen zu spüren oder einzunehmen. Abstinenz und Augenhöhe sind Illusion und zugleich Leistungen in der Coachingbeziehung. In der Rahmung, bei der Themenbearbeitung und in der Beziehung zwischen den Coachingpartnern finden im Coaching unvermeidlich mehr oder weniger bewusstseinsfähige Dynamiken im Bezug auf die Rollen, Kollektivzugehörigkeiten und Übertragungen statt. Vermittels präziser Selbst- und Fremdwahrnehmung, Introspektion, Supervi-
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sion oder Intervision können wir Einsichten in diese Dynamiken erhalten und diese für das Coachingziel nutzbar machen. Steht die Dynamik allerdings im Zentrum, ist zu fragen, ob das Coaching zugunsten einer Therapie oder anderen Maßnahme verändert oder beendet werden sollte. Die eigene Unsicherheit ist – hier stimmen wir mit den referierten Autoren überein – eine gute Ratgeberin, zu viel Unsicherheit in der Beziehungsgestaltung allerdings ist ebenso schwierig wie zu viel Sicherheit. Behrens und Calliess (2001, S. 16) halten es im Bezug auf den Beziehungsaufbau in der Therapie für hilfreich, im klinischen Interview die Erfahrungen und Orientierungen der Klienten zu erfragen. Im Unterschied zu Kahraman kommen die Autorinnen auf der Basis ihrer Studie zu dem Schluss, dass nicht die Distanzierung von den eigenen Werten, sondern erst die bewusste Positionierung im Eigenen zur adäquaten Beziehungssteuerung beiträgt: »In gewisser Weise erscheint es sogar notwendig, das Eigene (Werte, therapeutische Vorgehensweisen, affektive Bewertungen von berichteten Episoden) zu bewahren, um gleichzeitig auch Fremdes zu erfahren und zu ermöglichen und die damit verbundene Unsicherheit und Ambiguität auszuhalten« (Behrens u. Calliess, 2001, S. 18). Diese Schlussfolgerung ist auf das Coaching übertragbar. Im Coaching begegnen sich Identitäten und diese werden, wie die Beziehung selbst, wechselseitig gestaltet (Krämer u. Nazarkiewicz, 2010). Erst wenn der Coach mit bewusster Identitätsgrundlage und mit Rollenvielfalt sowie Reflexion der kulturellen Übertragungsphänomene in die Beziehung geht, ist eine kultursensible Beziehungssteuerung möglich.
4.4 Die Bedeutung von Sprache im kulturreflexiven Coaching Coaching wird über das Medium der Sprache vermittelt. Die gemeinsame Arbeit vollzieht sich im Wesentlichen in und über Kommunikation. Das macht Sprache und Sprechen zu einem wichtigen Bestimmungsfaktor des Coachingeffekts. Neben den generellen Herausforderungen der Gesprächsführung im Coaching sind im kulturreflexiven und Interkulturellen Coaching sprachliche Besonderheiten der interkulturellen Kommunikation zu beachten. Zwar ist es eine »offene Frage, wie groß die Anteile fremdsprachiger Coachings sind« (Deutscher Bundesverband Coaching e.V., 2011, S. 13), aber in der aktuellsten Marburger Coachingstudie geben 31 % der Kunden an, auch Leistungen von Coachs aus dem nicht deutschsprachigen Ausland in Anspruch zu nehmen. Sprache ist ein Element von Kulturen, aber nicht mit ihnen identisch. Unsere Interpretation von Lauten, die wir als Worte wahrnehmen, ist abhängig davon, wer mit wem in welchem Kontext spricht und welche sozialen Prozesse mit in die Bedeutung und konkrete Gesprächssituation einfließen. Dies lässt sich am Beispiel der Familie eine Coachingpartnes verdeutlichen, dessen Kinder mit drei Sprachen groß wurden: Die Mutter sprach mit ihnen Französisch, der Vater Englisch und
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das Umfeld in Deutschland Deutsch. So gab es keine gemeinsame Familiensprache, wenngleich die Eltern, die beide kein Deutsch sprachen, jeweils die Sprache des Ehepartners beherrschten: Die Kinder antworteten ihren Eltern jeweils in deren Muttersprache. Eines Tages sprach die Mutter versehentlich mit einem der Kinder Englisch. Das Kind sah sie daraufhin entgeistert an und »verstand« nicht, obwohl seine faktische Sprachkompetenz dafür leicht ausgereicht hätte. Die Zuordnung von Sprache, Sinn und Person gelang nicht, denn die Kinder waren gewohnt, dass die englischen Laute aus dem Mund des Vaters kommen, und so war der Inhalt der Äußerung für das Kind erst dann verständlich, als die Mutter sie auf Französisch wiederholte. Beschäftigt man sich mit Sprache und Sprechen im Coaching, geht es dabei um folgende Fragen: – Worüber wird gesprochen? Der Fokus liegt auf den Inhalten, die gesagt oder verschwiegen werden. – Wie wird miteinander gesprochen? Der Fokus liegt auf der Form der Kommunikation und der Beziehung. – Warum wird wie worüber gesprochen? Der Fokus liegt auf den Zielen, die im bzw. mit dem Gespräch verfolgt werden. – In welcher Sprache sprechen wir? Der Fokus liegt auf der wechselseitigen Verständigung. Folgende Konstellationen und Phänomene halten wir für relevant: – Interkulturelle Kommunikation im Coaching: Diese Konstellation liegt vor, wenn die Coachingpartner ursprünglich unterschiedliche Muttersprachen sprechen und die Sprache, in der das Coaching stattfindet, entsprechend für einen der beiden Coachingpartner eine Fremdsprache ist. Dabei ist es nicht unwichtig, wessen Muttersprache als gemeinsame Sprache gewählt wird (die des Coachs oder die des Coachingpartners). – Coaching in einer Lingua franca: Beide sprechen in einer für sie »fremden« Sprache miteinander. – Coaching mit bilingualer Sprachkompetenz oder Code-Switching: Mindestens einer der Coachingpartner wechselt während des Coachings die Sprache(n). – Coaching mit Dolmetscher: Die gemeinsame Arbeit ist nur durch einen Sprachmittler möglich. – Coaching zwischen zwei Muttersprachlern: Beide sprechen dieselbe(n) Muttersprache(n) (mono- oder bilingual). Dieser (Normal-)Fall ist besonders zu beachten, denn auch zwei Muttersprachler können in völlig verschiedenen Welten aufgewachsen sein. Diese Konstellationen möchten wir im Folgenden mit Blick auf die Frage beleuchten, was beim kulturreflexiven Coaching zu beachten ist.
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Interkulturelle Kommunikation im Coaching Auch wenn man als Coach nicht jedes Detail nachvollziehen können muss, das der Coachingpartner äußert, die Auswahl und Umsetzung geeigneter, wirksamer Vorgehensweisen und Interventionen erfordern ein Mindestmaß an wechselseitigem Verstehen und setzt zudem voraus, dass der Coachee die relevanten Zusammenhänge und Reflexionen begreift und nachvollziehen kann. Wenn die Coachingpartner unterschiedliche Muttersprachen haben und für mindestens einen von ihnen die Coachingsprache eine Fremdsprache ist, so sind die Ergebnisse der interkulturellen Kommunikationsforschung zu berücksichtigen. Eine Quelle von Missverständnissen bilden die sogenannten »Rich Points«. Das sind Stolpersteine, also Stellen, an denen in der Kommunikation häufiger Probleme auftauchen. An solchen prädisponierten Problemstellen der Interaktion kann es vor allem – aber nicht ausschließlich – in der interkulturellen Kommunikation zu kleineren oder größeren Ungleichzeitigkeiten und Missverständnissen, kommen. »Rich Points« sind reich an kulturellen Zuschreibungen und komplex in der Kontextualisierung. Als Beispiele nennt Agar (1994) für die deutsche Sprache die Wahl des »Du« oder »Sie« und für den US-amerikanischen Kontext den Gebrauch des Wortes »date«. Solche Begriffe sind besonders voraussetzungsreich in dem Sinne, dass hinter ihnen Konzepte stehen, die man in wenigen Worten kaum erklären kann. Sogar Menschen, die mit den Kulturen verbunden und vertraut sind, in denen diese »Rich Points« verwendet werden, können sich oftmals nicht darüber einigen, welche Kategorien, Kontexte und Bedeutungen jeweils dazu gehören. Sie sind in Kultur, Gesellschaft und Geschichte komplex und tief verankert. Zugleich werden diese Konzepte in jede andere Fremdsprache oder Lingua franca übertragen. »Die meisten Menschen wenden in interkulturellen Kommunikationssituationen unbewusst primär die eigenen Regeln der Kommunikation an und interpretieren das fremdkulturelle Handeln auch auf dieser Grundlage« (Müller-Jacquier, 2000, S. 26). Der auf interkulturelle Kommunikation spezialisierte Germanist Bernd Müller-Jacquier (in früheren Publikationen auch Müller) hat ein Raster entwickelt, das die bereits erforschten Missverständnisquellen typisiert und in eine Ordnung bringt. Sein Modell der »Linguistic Awareness of Cultures« beruht auf der Grundannahme, dass die Beziehung zwischen Sprache und Kultur nicht korrelativ, sondern wechselseitig konstitutiv zu verstehen ist. Es wird davon ausgegangen, dass nicht außersprachliche Merkmale wie Rollen, Geschlecht oder kulturelle Werte die sprachlichen Handlungen bestimmen, sondern dass Kultur als Bedeutungssystem in der Sprache und Kommunikation, das heißt interaktiv relevant gemacht wird. Um sich zu verständigen, verfügen die Handelnden über Deutungssysteme und bedienen sich kultureller sprachlicher Deutungsmuster, mit denen sie sich Gesten und Sprechhandlungen erschließen können. Und so können sie bei gemeinsamer Muttersprache auf ein geteiltes Orientierungswissen zurückgreifen, oder es trennen sie in der interkulturellen Kommunikation unterschiedliche Konven-
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tionen des Kommunizierens. Zu den typischen Quellen für Missverständnisse gehören: – kulturspezifische Handlungsabläufe und speziell Rituale; – die Wahl der Formulierungsvarianten (z. B. formelles oder informelles Register); – die soziale Bedeutung von Wortinhalten (Lexik); – nonverbale Kommunikation; – paraverbale Faktoren (wie Satzmelodie, Betonungen, Akzente, Lautstärke); – die Strukturierung und Organisation von Gesprächen und Gesprächsbeiträgen insgesamt (z. B. der Aufbau einer Argumentation), woran auch Handlungsabsichten erkennbar sind; – die Themenwahl, also was wann wie angesprochen werden darf; – der Kommunikationsstil. Kulturspezifische Handlungsabläufe gibt es viele, am auffälligsten sind beispielsweise Begrüßungs- oder Verabschiedungsrituale, weil sie in ihrem Ablauf relativ festen (Erwartungs-)Mustern folgen. Eine japanische Führungskraft, die der Coach beim Aufbau einer deutschen Zweigstelle in Tokio begleitete (das Coaching fand auf Deutsch statt), erzeugte mit einem hybriden Ritual immer wieder Irritation beim Coach. Die Coachingpartner hatten intensiv miteinander gearbeitet, emotionale Themen berührt und – so erschien es – darüber auch eine Art von Nähe gewonnen. Beim Abschied jedoch stand der Coachingpartner jedes Mal kerzengerade und mit hoher Körperspannung vor dem Coach: »Auf Wiedersehen, Frau Dr. Nazarkiewicz, das Coaching hat mir sehr geholfen, vielen Dank.« Angesichts der aus der gemeinsamen Arbeit resultierenden persönlichen Verbundenheit wirkte diese äußerst respektvolle Verabschiedung sehr distanziert und formell, und nicht nur aufgrund der vertrauten Beziehung, sondern auch im Hinblick auf die Etikette schien die Nennung des Titels nicht notwendig. Bemerkenswert war auch, dass der Coachingpartner nach diesem förmlichen Abschiedsritual ganz locker die Treppen hinuntersprang und dem Coach mit einem »Tschau, bis bald« noch einmal lachend zuwinkte. So war offensichtlich beiden Kulturmustern Rechnung getragen. Diese doppelte Ritualisierung im Sinne einer Kombination von Ritualen mit jeweils unterschiedlicher Codierung ist nach unserer Erfahrung im interkulturellen Kontext häufiger zu beobachten. Durch das Aneinanderhängen der unterschiedlichen Rituale oder bisweilen auch eine hybride Verknüpfung gelingt es, trotz der eher starren rituellen Abläufe, die kaum Veränderungen innerhalb eines Rituals zulassen, den Charakter der Beziehung unter Berücksichtigung beider Kulturen zum Ausdruck zu bringen. So wurden etwa mit einer indischen Coachingpartnerin bei der Begrüßung stets das Namaste sowie zwei Wangenküsschen ausgetauscht. Darin spiegelt sich auch die Erwartung, die eigentlich recht festen Rituale gemäß dem Stand der Beziehungen abzuwandeln und anzupassen. Im
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Falle des Japaners trug neben der Verdoppelung des Rituals noch der Kontrast im Formalitätsgrad der beiden aufeinanderfolgenden Rituale zur Irritation bei, also der gewählten Formulierungsvariante mit dem plötzlichen Bruch durch den Wechsel ins Informelle »Auf Wiedersehen, Frau Dr.« und »Tschau« stellen eben für eine deutsche Muttersprachlerin keine gleichwertigen Verabschiedungsformen dar, die im selben Kontext nebeneinander verwendet werden. Denn jede dieser Grußformeln bringt einen anderen Vertraulichkeitsgrad von Beziehung zum Ausdruck. Die Verabschiedung mit »Tschau« (Ciao), zudem zusätzlich entlehnt aus dem Italienischen, drückt zum Beispiel Freundlichkeit, Nähe und Vertrautheit aus. Selbst wenn man diese Kulturmuster kennt und sie scheinbar isoliert zu lernen und zu praktizieren sind, schließlich handelt es sich um typische Elemente von Etiketteregeln, wie sie auf entsprechenden Listen in interkulturellen Trainings vermittelt werden, so zeigt doch, dass sie wie alle kulturellen Konzepte situations- und kontextsensibel angepasst werden und beziehungssteuernde Aussagen enthalten, die sehr genau registriert werden und rasch zu Irritationen führen können, wenn sie der eigenen Erwartungshaltung oder Gewohnheit nicht entsprechen. Die hier geschilderten Beispiele illustrieren zum einen die besondere Herausforderung, die im Umgang mit den beiden ersten Aspekten der Linguistic Awareness of Cultures liegt, nämlich mit (kulturspezifischen) Ritualen und mit der beziehungssteuernden Qualität unterschiedlicher Formulierungsvarianten beim Wechsel von Formalität zu Informalität oder umgekehrt. Zum anderen zeigen sie, dass Worte und Handlungsabläufe kulturelle Konzepte und Beziehungskonstellationen in sich tragen. Eine weitere soziale Dimension ist der kulturell assoziierte Gehalt der Worte, wie man beispielsweise mit dem vielzitierten »false friend« »Prototyp« zeigen kann. Ein deutscher Muttersprachler verbindet damit ein möglichst voll funktionierendes Muster, ein US-Amerikaner sieht darin einen ersten Versuch, bei dem Mängel akzeptabel sind. Vor allem aus lexikalischer Sicht unterscheiden sich Kulturen in ihrem Sprachgebrauch und verweisen damit weit über die Wortsemantik hinaus. So werden in der japanischen Sprache je nach Beziehung und Position, die man gegenüber einem Gesprächspartner hat, unterschiedliche Rollenbezeichnungen für »Ich« benutzt: Wenn man selbst eine höhere hierarchische Position als sein Gesprächspartner inne hat, würde sich zum Beispiel der Lehrer mit seiner Rolle in der dritten Person »teacher« bezeichnen. Wenn er einen niedrigeren Status hätte, wäre ein geschlechtsspezifisches »Ich« die richtige Wahl. Welchen Einfluss diese Regeln auf den Gebrauch von Fremdsprachen hat, kann man sich leicht vorstellen (Matsumoto u. Juang, 2008, S. 228). Auch non- und paraverbalen Aspekten der Kommunikation kann keine allgemeingültige Bedeutung gegeben werden, selbst wenn sie einem stets intuitiv vorkommt. Wie alle Symbole sind sie in ihrer Bedeutung erlernt und der Sinn ist interaktiv entstanden, so dass ein und dieselbe Geste viele verschiedene
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Bedeutungen haben kann – je nach Kultur und Kontext. Körpersprachliche Ausdrucksformen sind Mimik, Blickkontakt und Augenkommunikation, beispielsweise die Bedeutung des Lächelns, Gestik (Bewegungsumfang und -tempo der Hände, Zeichensprache, Verneigungen, Verbeugungen, Kopfnicken), Haptik (Berühren des Kommunikationspartners), Körperhaltung und -bewegungen, proxemische Dimensionen, also das Raum- und Distanzverhalten (Nähe/ Distanz zwischen den Interaktionsteilnehmern), sowie Kleidung und Symbole (Schmuck etc.). Besondere Bedeutungsträger sind die paralinguistischen Codes (z. B. Intonation, Tonhöhe, Lautstärke etc.), aber auch Zuhörgewohnheiten und Schweigen werden als missverständniserzeugend darunter gefasst. Die nonverbale Kommunikation ist charakterisiert durch Vieldeutigkeit und Abhängigkeit von Situation, Kontext und Erwartungen des Deutenden. Diese bedeutungstragenden körpersprachlichen Signale können im Coaching rasch verwirren. Eine deutsche Coachingklientin, die viele Jahrzehnte im Ausland (u. a. in USA und Frankreich) gelebt hatte und mit einem Amerikaner verheiratet war, wirkte oft »hektisch«. Das Coaching fand auf Deutsch statt und ihr Gestenreichtum sowie die schnelle Sprechgeschwindigkeit animierten, hier nach Hintergründe für das Verhalten zu suchen, sofern es für das Coachingziel relevant war. Der Hintergrund war aber schlicht, dass sie Elemente dieser geliebten Sprachen und Kulturen in die eigene integriert, ja inkorporiert hatte. Bei einem italienischen Coach tauchte diese Irritation – so berichtete sie – nicht auf. Ebenfalls zum Thema Körpersprache gehören Somatismen, also Ausdrucksformen von Gefühlen und auch Krankheiten, die kulturell unterschiedlich emotional, sprachlich und metaphorisch ausgedrückt werden (vgl. dazu auch → Kapitel 4.2 zur Arbeit mit Hypothesen). So bildet zum Beispiel das Wort »Herz« ein Schlüsselkonzept zum Verstehen vieler thailändischen Werte und Verhaltensweisen und hat nichts mit dem physischen Herzen zu tun: Das »kalte Herz« steht für Gelassenheit, wenn jemand auf ein Missgeschick sehr ruhig und gelassen reagiert. Das »Wasserherz« bezeichnet eine Person mit großem Mitgefühl. Doch nicht jedes Missverständnis ist kulturell basiert. Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten werden in der transkulturellen Psychotherapieliteratur auch auf individuelle und/oder kollektive Abwehrmechanismen der Beteiligten zurückgeführt, im Sinne der psychoanalytischen Verschiebung, Verdrängung, Vermeidung, Projektion, Kompensation, Rationalisierung und Reaktionsbildung. Diese werden durch Angst vor dem Fremden hervorgerufen, denn die Auseinandersetzung mit dem Fremden führt automatisch zu einer Infragestellung des bisher von den Coachingpartnern als »richtig« angenommenen Deutungssystems. Es ist ein höchst subjektives Empfinden, was als fremd zugeschrieben wird. Psychoanalytisch gesprochen kann nur durch die Rücknahme der Projektion das Fremde integriert werden (vgl. → Kapitel 4.3 zur Beziehungsgestaltung im Coaching). Es ist schwierig, die in der interkulturellen Kommu-
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nikation Unsicherheit und Missverständnisse erzeugenden Aspekte isoliert zu betrachten. Sie wirken natürlich zusammen. Jacquiers Systematik hilft allerdings, die in der interkulturellen Kommunikationsforschung in unterschiedlichen Detaillierungsgraden gefundenen Ergebnisse zu systematisieren oder als Beobachtungsdimensionen im Hinterkopf zu behalten. Neben den Quellen für interkulturelle Missverständnisse spielt die Fehlbewertung aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen eine Rolle. Besonders hervorzuheben ist die Zuschreibungsgefahr zwischen muttersprachlichen Coachs und Beratern und nicht muttersprachlichen Coachingpartnern. Wenn nicht muttersprachliche Klienten glauben, etwas nicht richtig verstanden zu haben, vermeiden sie oft das Thema wegen des mangelnden Wortschatzes oder sie gebrauchen einfache Erklärungen. Auf den Muttersprachler wirkt das gegebenenfalls unhöflich oder mysteriös, so als habe der andere etwas zu verbergen. Möglicherweise drängt sich auch die Assoziation auf, die Nicht-Muttersprachler seien »dümmer«. Bei Nicht-Muttersprachlern (welcher Sprachen auch immer) gibt es eine Neigung, Themen des Coachings an das vermeintliche Sprach(un)vermögen zu koppeln (Esser, 2010, S. 81). Andererseits können Fehldeutungen daraus resultieren, dass die sprachliche Differenz nicht erkannt wird. Fallbeispiel: Josephine Boog Eine Coachingpartnerin wandte sich im telefonischen Erstgespräch an den Coach. Sie war in der Vorbereitung für eine neue Führungsposition und das Assessment dafür. Ihr grammatikalisch perfektes und akzentfreies Deutsch ließ nicht gleich erkennen, dass sie Südafrikanerin war. Während der Auftragsklärung drängte sich dem Coach immer wieder ihre scheinbare Unsicherheit auf. Die Coachingpartnerin wählte die Worte langsam und die Aussagen indirekt, sodass der Eindruck entstand, sie sei sich nicht sicher, was sie sagen wollte. Die Aufmerksamkeit des Coachs ging umso stärker auf ihre Selbstpräsentation, als ihr Anliegen war, sich für eine Führungsposition sicher und kompetent darzustellen und ihr damaliger Chef ihr die Rückmeldung gab, dass man ihre Motivation nicht erkennen könne. Erst als sie ihre englische Muttersprache benannte, konnte die Eigenschaftszuschreibung von Seiten des Coachs (»zögerlich, unklare Aussagen«) reduziert und neue Hypothesen gebildet werden. Interessant war im diesem Fall, dass die Klientin selbst weder die sprachstilistischen Unterschiede dafür verantwortlich machte noch ihr vergleichsweise junges Lebensalter von 24 Jahren. Ihrer Meinung nach lag der Grund für die Mühe, Aussagen über ihren Führungsstil zu treffen, an der Kürze der Zeit, die sie erst in der Firma war. Unabhängig von ihrem oder dem »wahren« Grund, den man nicht notwendig herauszufinden braucht, zeigt dieses Beispiel, wie rasch sich durch die möglicherweise fehlgedeuteten verschiedenen Dimensionen der Sprache wie langsames Sprechen, veränderter Gedankenaufbau, Dehnungen, Pausen etc. ein Bild aufdrängt.
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Auf die häufig gestellte Frage, was besser für den Coachingpartner sei, ein Coaching in der Muttersprache, in einer Fremdsprache oder Lingua franca, scheint die Antwort klar: in der Muttersprache. Muttersprachler verstehen einander leichter, das Sprechen in der Muttersprache wird emotional stärker und unmittelbarer erlebt. Die Muttersprache ist ein Ort, der Geborgenheit und Sicherheit bietet (Kluge u. Kassim, 2006). Von Patienten weiß man, dass sie darunter leiden, sich nicht in der Sprache mitteilen zu können, in der sie sich stark fühlen (Baran u. Kalaclar, 1993). Selbst bei einer sehr guten Zweitsprachlichkeit bleibt das Bedauern von Patienten, mehr Zeit zu benötigen, sich verständlich zu machen, und vor allem Gefühle nicht in der Erstsprache ausdrücken zu können. Die behandelnden Therapeuten scheinen sich mit der reduzierten Mitteilungsfähigkeit abzufinden, ermittelten Kahraman und Abdallah-Steinkopff (2010). Sie vermuten den Verlust bedeutungstragender Elemente: »Wir nehmen jedoch an, dass Patienten bei Verständnisschwierigkeiten relevante Lebens- und Problembereiche seltener zur Sprache bringen, und beobachten, dass sowohl der verbale als auch der nonverbale Ausdruck eines Patienten mit Migrationshintergrund deutlich reduziert ist, wenn wir der deutschen Sprache mächtige, aber in einer anderen Muttersprache sozialisierte Patienten bitten, in Fallvorstellungen Deutsch zu sprechen. Findet ein Wechsel in die Muttersprache statt, gestikulieren und artikulieren die Patienten wieder in gewohnter Weise und geben an, sich ›erleichtert‹ zu fühlen« (Kahraman u. Abdallah-Steinkopff, 2010, S. 308). Aus einer Minderheitenperspektive kann das Sprechen der Muttersprache des Coachingpartners oder Klienten durch den Therapeuten oder Coach als ein »Aufeinander-Zugehen« gedeutet werden, welches im alltäglichen Leben möglicherweise weniger erlebt wird. Der Psychotherapeut Gün (2007, S. 157) geht davon aus, dass zwischen Therapeut und Patient grundsätzlich ein asymmetrisches Verhältnis besteht. Er folgt damit Auernheimer, der die Reflexion von Machtasymmetrien in Bezug auf Wissen, Zugangsvoraussetzungen, Sprache usw. als Kompetenzstufe beschreibt (Auernheimer, 2008). Doch das Arbeiten in einer Fremdsprache bietet dem Coachingpartner auch einige Vorteile. Eine US-amerikanische Coachingklientin vertraute sich dem Coach nach einigen Sitzungen an und sagte, dass sie zu Anfang geglaubt habe, dass es unmöglich sei, sich von einem Coach, der ihre Mutterssprache nicht so detailliert kennen würde, begleiten zu lassen. Durch das viele Nachfragen und Klären von Seiten des Coachs habe sie sich während des Coachings jedoch so mit sich selbst beschäftigt, dass ihr das manchmal unzulängliche Vokabular nicht mehr aufgefallen wäre, im Gegenteil, das Hinterfragen von Worten und Konzepten sei hilfreich gewesen. Einige Coachingpartner äußern sogar, dass sie sich gern in der Fremdsprache ausdrücken, manche wechseln auch je nach Thema die Sprache (Code-Switching). Der Grund liegt auf der Hand. Es ist in einer Nicht-Muttersprache leichter, zu dissoziieren, weil die in der Fremdsprache erst später hinzugelernten Worte nicht mit derselben Affektladung ver-
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bunden sind wie die Wörter der Muttersprache. Ein zweiter Grund liegt in der Aufrechterhaltung der Loyalität zu den Zugehörigkeiten, die in der Erstsprache eingelassen sind. Über die Eltern in der Fremdsprache zu sprechen, die in der Kultur des Coachees Respektpersonen sind und beispielsweise einer absoluten Unkritisierbarkeit unterliegen, wird oft als weniger hart und vor allem weniger als Verletzung der Loyalität empfunden. So wollte eine indische Coachingpartnerin lieber Deutsch weitersprechen, auch wenn es für sie schwer war, die richtigen Worte zu finden, als es um ihre arrangierte Ehe ging. Sie hatte diesen Akt als Zwangsverheiratung empfunden und es war für sie eine traumatische Erfahrung. Eine Intervention, die sie mit dem Coach gemeinsam (er)fand war, dass sie ihren Eltern Briefe auf Deutsch schrieb, in denen sie all ihren Schmerz ausgedrückt hat, den sie damals empfunden hatte. In der englischen Muttersprache wäre es für sie absolut respektlos und auch unmöglich gewesen, die Eltern in dieser Form anzusprechen. Auf Deutsch war ihr das durch die Dissoziierung leichter möglich. Auch der umgekehrte Fall gilt, es fällt in einer Fremdsprache leichter, zu schimpfen, zu streiten, Kraftausdrücke zu verwenden, die man in der Muttersprache niemals über die Lippen bekäme, weil dieser Affektausdruck tabuisiert ist. Andererseits ist es, wie bereits erwähnt, in der Fremdsprache oftmals schwierig, sich mit seinem seelischen Leid verständlich zu machen und zu verstehen. Das hängt sowohl mit den meist nicht ausreichend vorhandenen Sprachkenntnissen als auch mit den kulturell unterschiedlichen Bildern von Emotionen, Krankheit und Gesundheit zusammen. Es ist für die Coachingpartner wichtig, nicht nur, aber gerade bei subjektiv empfundenen labilen Zuständen oder seelischen Krankheiten, einen direkten Zugang zu ihren Gefühlen zu haben. Sie können in der Muttersprache viel leichter ausgedrückt werden. Ludwig Wittgensteins »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« zeigt die Verwendung der Muttersprache als Identifikation mit der eigenen Identität. Fazit dieser Erfahrungen ist, das Identitätsgefühl kann verletzt oder geschützt werden, wenn in einer anderen Sprache als der Muttersprache gesprochen wird – je nach Vorerfahrungen. So ist die Frage, ob Coaching in der Muttersprache besser geeignet ist, nach unserem Verständnis nicht (mehr) passend, denn der Coachingpartner entscheidet – natürlich abhängig von den Sprachkompetenzen – eigenverantwortlich, in welcher Sprache und in welchem Coach er eher das Vertraute oder das Fremde sieht und welchen emotionalen Identitätsbezug er gerade für sein Anliegen benötigt. Das Motto lautet: So viel interkulturelle Kompetenz wie möglich, so viel Vertrautes wie nötig.
Coaching in einer Lingua franca Lingua franca ist eine Fremdsprache, die von jedem der am Gespräch Beteiligten beherrscht wird (Knapp u. Meierkord, 2003). Beide Coachingpartner haben dann die Herausforderung der »Nicht-Muttersprache« in der Kommunikation.
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Das klingt nach all den Missverständnisquellen, die im letzten Abschnitt genannt worden sind, wenig vorteilhaft. Beide Coachingpartner sind gehandicapt, sich differenziert auszudrücken, was ein wichtiges Element der Coachingarbeit darstellt. Doch es hat auch Vorteile, wenn beide eine Fremdsprache benutzen. Bezüglich der erforderlichen Kulturreflexivität ist stets beiden bewusst, dass es unterschiedliche Kulturen als Hintergrund geben könnte. Sie sind also sensibilisiert für kulturelle Einflussfaktoren. Zweitens erzeugt es Augenhöhe, wenn keiner sich souverän in der eigenen Sprache ausdrücken kann (Cnyrim, Linsenmeier u. Zelno, 2006). Das Fallbeispiel Lucy Chen zeigt, welche Geduldspanne dafür benötigt wird. Mutmaßlich hat die Klientin den kreisförmigen, induktiven Stil in die Lingua franca übertragen. Fallbeispiel: Lucy Chen Lucy, ursprünglich aus Singapur, war Angestellte einer großen internationalen Beratungsgesellschaft. Sie kam ins Coaching, weil sie mit ihrem damaligen Chef zwar ein gutes Verhältnis hatte, aber auf der Position keine Karrierechancen sah. Seit Jahren stagnierte ihr Werdegang. Ihr Chef war so begeistert von ihr, dass er sie unbedingt in seinem Team behalten wollte. Sie steckte in einem Zwiespalt, denn eigentlich fühlte sie sich recht wohl auf dem Posten. Aber als Älteste in der Familie hatten alle immer von ihr eine Karriere erwartet. Ihr schwebte außerdem eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor. Zum Zeitpunkt des Coachings war sie Mitte Dreißig und hätte gern Kinder gehabt, aber der passende Mann war bislang nicht in Sicht. Im Coaching wollte sie klären, wie ihr weiterer Lebensweg aussehen sollte. Kinder und Karriere, nur Karriere, im In- oder Ausland, in Deutschland oder doch wieder in Singapur, worauf soll sie sich konzentrieren? Sie kam mit Mitte Zwanzig nach Deutschland und überlegte auch, ob sie vielleicht wieder zurückgehen sollte nach Singapur. Dort war sie mittlerweile nach eigenen Recherchen durch ihre Europaerfahrung eine begehrte Arbeitskraft, ein attraktives Jobangebot mit Führungsposition lag ebenfalls vor. Deutsch sprach sie nicht und in Deutschland war sie – außerhalb von internationalen Kontexten und der Expatcommunity – nie richtig heimisch geworden. Andererseits fühlte sie sich Singapur inzwischen entfremdet. Die Vorstellung, zurückzukehren, gar als Mutter, war für sie nicht positiv besetzt. Spannungen mit den Eltern und Geschwistern kamen hinzu. Das Coaching fand auf Englisch statt und angesichts der Komplexität der Fragestellung spielten viele Faktoren eine Rolle: die Familienerwartungen, ihre eigenen Wünsche, ihre Vorstellungen im Unterschied zu ihren Gefühlen und Möglichkeiten, ihre beruflichen Optionen, ihre Gleichheitserwartungen, ihr Unwohlsein in Deutschland, die Männer usw. Am Ende kulminierte diese Entscheidung in der örtlichen Frage: Würde sie zurückgehen und das Stellenangebot annehmen, das eine Karriere verhieß, oder nicht? Nach einigen Sitzungen, in denen wir verschiedene Szenarien entwickelt und analysiert hatten und in denen Entscheidungstechniken eingesetzt worden waren, kündigte sie in einem Telefonat vorab an, sie
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habe die Entscheidung endgültig getroffen. Da ich bislang keine Tendenz hatte erspüren können, war ich gespannt. Ich stieg nach einer kurzen Einleitung, in der wir immer Smalltalk machten, mit einer geschlossenen Frage ein: »So how did you decide, will you stay in Germany?« Die Antwort der Coachingpartnerin dauerte ganze 45 Minuten. Sie ging noch einmal durch alle Themengebiete, Optionen, Spannungsfelder, Szenarien, Pros und Kontras und alle Details der vergangenen Sitzungen und durch die Überlegungen, die sie angestellt hatte. Bis in Minute 44 und 50 Sekunden hätte ich nicht erahnen können, wie sie letztlich entschieden hatte. Erst der letzte Satz brachte es für mich ans Licht: »Finally I decided not to go back to Singapur.« Bis heute weiß ich nicht, ob es eine persönliche, eine kulturelle oder situationsbedingte Stilistik war. Noch weniger verstehe ich, warum ich keine Tendenz habe spüren können, lag es an der Lingua franca, ihrer eigenen Entscheidungsunsicherheit oder an meinen begrenzten Möglichkeiten des transkulturellen Perspektivenwechsels?
Coaching mit bilingualer Sprachkompetenz und Code-Switching »Edith, I’m sorry, but I can only cry in English« (Theux-Bauer, 1996, S. 63). Der Klient folgt seinem eigenen inneren Rhythmus, schreibt die Autorin, die deutsche Sprache tritt immer dann auf, wenn es um die deutsche Familie und das Überleben geht. Die Sprache der Kindheit aber ist Englisch. Meistens führen die Klienten selbst ihre Muttersprache ein, wenn die ursprüngliche Sprache eine andere war. Welche Sprache der Coachingpartner wählt, ist bedeutsam. Für eine Coachingpartnerin mit Französisch als Muttersprache bedeutete das Sprechen in der gemeinsam geteilten Sprachkultur, in diesem Fall Deutsch, die Wahrung einer Distanz, einer Professionalität, die ihr wichtig war. Der Coach wechselte manchmal ins Französische, wenn er vermutete, dass ihr das Wort nicht geläufig war. Diesen Sprachwechsel ignorierte sie. Ausschließlich zur Verabschiedung ging sie manchmal auch ins Französische über. Die fünf Sitzungen waren thematisch davon geprägt, wie sie in Deutschland professionell auftreten und sich bewerben könne, und hatten somit einen direkten Bezug zur Sprachkultur. Ihr Ziel war es, sich darin zu professionalisieren. Erst in der letzten Sitzung, beim Feedback, wechselte sie von sich allein aus ins Französische und erzählte – plötzlich und ungewohnt emotional –, wie hilfreich das Coaching für sie gewesen sei. Andererseits mangelt es verbalen Ausdrucksformen in der Fremdsprache häufig an emotionale Verbindungen zu Gefühlen, Symbolen und Erinnerungen. »One’s native tongue, the language of one’s childhood, is intimately linked with emotionaly coloured sensory-motor experiences […]. However grammatically correct and rich in its vocabulary the alien language suffers from emotional poverty, certainly as far as early memories are concerned« (Kakar, 2008, S. 27). Viele Coachs und Psychotherapeuten berichten, dass sie bei ihren Klienten, wenn dieser in der Fremdsprache berichtet, einen unpersönlichen Ton wahrnehmen. Der
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Klient spricht, als ob er nicht beteiligt wäre, ohne Gesten und mit reduzierter Mimik. Doch woher weiß man, dass es sprachliche Gründe hat? Es könnte auch ein Hinweis auf eine Verstrickung sein oder eine Abspaltung. Wohlwissend, dass der Coachingpartner nicht in seiner Muttersprache spricht, kann man hier auch einer anderen Hypothese folgen. Der Coachee hat keinen Zugriff auf seine Gefühle, wenn er der Fremdsprache spricht. Oft lassen wir unsere Coachingpartner das Problem oder die Geschichte einmal in der Fremdsprache und einmal in der Muttersprache beschreiben. Auch wenn wir mindestens eine Version davon wörtlich nicht verstehen, können wir doch auf der nonverbalen Ebene Hinweise entdecken, die uns weiterbringen. In einem Beispiel sprach ein Coachingpartner von einem Kollegen, der ihm körperlich sehr nahe gekommen war, was ihn aggressiv gemacht hätte. Auf Deutsch hörte sich das relativ unbeteiligt an. Die französische Version, mit paraverbalen Elementen gespickt, war zwar viel lauter, aber auch gleichzeitig zurückgezogen. Das machte den Coach auf ein Detail aufmerksam. Während der Coachingpartner aufwändig gestikulierte, sich offenkundig auch aufregte, war der Körper steif und unbeweglich. Als dies dem Coachee gespiegelt wurde, ließ ihn das Feedback verstummen und er erinnerte sich direkt daran, dass ein bestimmter Abstand ihn schon immer aggressiv hat werden lassen. Aufgewachsen in einem Sieben-Personen-Haushalt in einem französischen Dorf, mit wenig Platz im Haus, war er als Kind stetig darum bemüht, seinen Freiraum zu finden. Bei sechs Geschwistern war jedoch immer ein anderer Mensch in der Nähe und ihm auch körperlich nah. Als ihm diese Verbindung ins Bewusstsein kam, fiel es ihm danach leichter, mit anderen Menschen auch in einem körperlich nahen Kontakt zu sein. Er wusste nun, dass diese ihn nicht bedrängen oder ihm die mühsam erkämpfte Freiheit wegnehmen wollten, sondern bei ihm zwei Kontexte überlagert waren. Dieses Beispiel illustriert, dass Sprache eine emotionale und damit auch körperliche Komponente hat, »an embodied feeling of culture« (Bennett u. Castiglioni, 2004, S. 257), und stützt noch einmal unsere These, dass es im kulturreflexiven Coaching bedeutsam ist, Übertragungsphänomene zu beachten (siehe dazu → Kapitel 4.3, das sich mit der kulturreflexiven Beziehungsgestaltung beschäftigt). Welche Besonderheiten gibt es bei bilingual aufgewachsenen Menschen? Bilingualismus beschäftigt mehrere Disziplinen (u. a. Soziologie, Psychologie, Linguistik) aufgrund der zunehmenden Mobilität mit wachsendem Interesse. Der Begriff Bilingualismus, also die Beherrschung zweier Sprachen auf annähernd gleichem Sprachniveau, wird hauptsächlich für diejenigen Menschen verwendet, die zwei Sprachen als Muttersprache, also seit ihrer Kindheit sprechen. Man unterscheidet hier unter anderem auch den symmetrischen oder asymmetrischen Bilingualismus für unterschiedliche Grade der Sprachbeherrschung. Es gibt in der Forschung einige Kontroversen, zum Beispiel bestehen entgegengesetzte Standpunkte in der Zweisprachigkeitsforschung, ob das bilingual aufwachsende Kind zwei Systeme getrennt verarbeiten kann oder mit
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einem beginnt und das andere dann sukzessive oder gleichzeitig hinzufügt. Die Forschung unterscheidet nach Lernbeginn einer zweiten Sprache frühe und späte Lerner, die, phonetisch gesehen, die später gelernte Sprache meist auch am wenigsten getreu der Muttersprache artikulieren. Bis heute gibt es keine mehrheitlich interdisziplinär akzeptierte Definition von Bilingualismus (Hoffmann, 1991). Wir erleben im Coaching, dass bilinguale Sprecher ihre Fähigkeiten meist aus mehreren Perspektiven sehen. Als nachteilig wird von ihnen erlebt, dass sie intern immer übersetzen müssen oder in der Kindheit in einigen Situationen eine bestimmte Sprache sprechen mussten. Zudem haben sie Präferenzen, bei welchen Themen sie sich in welcher Sprache am liebsten äußern. Auch eine innere Zerrissenheit (»Wo gehöre ich hin?«) wird immer wieder empfunden. Meist wird eine Sprache als die emotional »nähere« empfunden. Als Vorteil sehen viele die Perspektivenvielfalt, die breitere Sprachbeherrschung und Flexibilität, das Gefühl, auf hohem Niveau in verschiedenen Kontexten verstanden zu werden, und ihre Möglichkeit, mit vielen Menschen in Beziehung zu kommen. Offenbar wird je nach Kontext, Gesprächspartner und Ziel des Gesprächs der Spracheinsatz gewählt. Im Coaching erscheint es uns sinnvoll, die unterschiedlichen individuellen Wahrnehmungen der Coachingpartner hinsichtlich Entstehung, Nutzung und Bewertung von Mehrsprachlichkeit zu bedenken, da sie hochgradig identitätsstiftend sind. Auch das Erfassen der Persönlichkeiten und Sozialcharaktere mit Hilfe sozialer Kompetenzen im Coaching ist an Sprache gebunden, das zeigt sich insbesondere im Vergleich, wenn beide Sprachen gesprochen werden. Ein Coachingpartner von Mitte Dreißig wollte im Coaching seine weitere Berufslaufbahn planen. Zu der damaligen Zeit machte er in Deutschland nebenberuflich seinen MBA und wollte sich nach dem Abschluss neue berufliche Ziele setzen. Das Coaching fand in Englisch statt und der Coach wusste eine ganze Weile nicht, dass der Coachingpartner deutscher Muttersprachler war, schließlich gibt es viele Amerikaner mit deutschem Namen. Sein perfektes Englisch hatte einen leichten Ostküsten-Akzent, er arbeite schon lange in Deutschland für eine Firma mit Hauptsitz in Boston. Die sprachliche Stilistik war differenziert und selbstbewusst, das Englisch drückte – so die Assoziationen des Coachs – beruflichen Stolz, kosmopolitischen Lebensstil und Karriereorientierung aus. All das hatte der Coach nur subtil wahrgenommen, ohne dass es zunächst eine Bedeutung gehabt hätte. Nach einigen Sitzungen wechselte der Klient anlässlich einer Rückblende in die Jugend plötzlich in die deutsche Sprache, die er genauso fließend beherrschte. Neben der Überraschung, einen deutschen Muttersprachler vor sich zu haben, veränderte und ergänzte sich plötzlich das Bild des Coachs. Noch bevor er irgendwelche Informationen zu seiner Biografie gegeben hatte, erschien dem Coach plötzlich eine ganz andere Persönlichkeit vor seinem inneren Auge. Das leicht rheinisch-dialektale Deutsch, das er sprach, und wie er es verwendete, erzählte (s)eine ganze Geschichte. Die Assoziation und Vermu-
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tung war, er habe sich »hochgearbeitet«. Register und Lexik verwiesen auf Mittlere Reife, Zweiter Bildungsweg und einen Handwerksberuf in der Metallbranche. Dann hatte er ein Ingenieursstudium gemacht, war mit Mitte Zwanzig in die USA gegangen und dort geblieben, bis er nach Deutschland entsandt worden war, wo die Coachingpartner sich trafen. In den USA – so war zu spüren – wurde das Englisch, das eigentlich Fremdsprache für ihn war, seine neue und sichtlich geliebte »Ich-führe-hier-ein-anderes-Leben-Sprache«. In der englischen Sprache hat er sich eine Identität als lockerer, erfolgreicher weitgereister Ingenieur und selbstbewusster US-Amerikaner aufgebaut. Die Hypothesen über seinen Werdegang, die sich in der gemeinsamen Muttersprache aufdrängten, so stellte sich heraus, stimmten tatsächlich. Die kulturvergleichende Psychologie erforscht vergleichbare Faktoren der Enkulturationsprozesse hinsichtlich Entwicklung von Wahrnehmung, Kognition, Gesundheit, Emotion, Kommunikation, Sprache, Persönlichkeit, interpersonaler Beziehung und Identität. Eine Studie, die den Einfluss des Bilingualismus auf die Persönlichkeit untersuchte, hat Interessantes ergeben: Chinesisch-englisch bilingual aufgewachsenen Studenten wurde ein in den USA üblicherweise gebrauchter Persönlichkeitstest (CPI, California Psychological Inventory) vorgelegt, den sie einmal in ihrer Muttersprache und einmal in der zweiten Muttersprache (sofern diese Hierarchisierung getroffen werden konnte) ausfüllten. Es wurde gefragt, ob unterschiedliche Persönlichkeitstypen das Resultat sind, je nachdem, in welcher Sprache geantwortet wurde. Die Antwort war Ja, bilingual aufgewachsene Studenten hatten demnach durchgängig je nach Sprachnutzung unterschiedliche Persönlichkeitstypen, was auch ein zweiter Durchgang mit einem anderen Persönlichkeitstest bewies. Andere Untersuchungen legen dar, dass sich der auf dem Gesicht widerspiegelnde Gefühlsausdruck bei Englisch als zweiter Muttersprache intensiver ausgeprägt ist als in der Muttersprache, das Gefühl jedoch in der Muttersprache intensiver wahrgenommen wird (Matsumoto u. Juang, 2008). Das Phänomen Code-Switching wird in der Gesprächsforschung unter anderem als Stilisierungs- und Inszenierungsmittel beschrieben (Günthner, 2002). Inszenierung meint hier nicht »so tun, als ob« oder etwas »vorspielen«, sondern bedeutet, dass wir uns mit einer sozial lesbaren Form der Selbstpräsentation dem Gegenüber darstellen. Das von Goffman (1982) entdeckte Gestaltungsmittel gibt Kontextualisierungshinweise (Gumperz, 1982), verweist also auf soziale Erwartungen und Normen des (kulturellen) Kontextes und ist daher nur kulturell dekodierbar. Wenn beispielsweise ein deutscher Muttersprachler in seinen Heimatdialekt fällt, oder bei einer Geschichte eine bestimmte Stilistik bei der direkten Redewiedergabe inszeniert, so werden damit Milieus, Identitäten und Charaktere präsentiert, welche den Coachingpartner im Kontext seiner sozialen Beziehungen darstellen. Wenn man das Code-Switching als Quelle nutzt, erhält man zusätzliche wichtige Informationen und einen Hinweis zum
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konstruktiven Missverstehen, selbst wenn die Übersetzung oder ein Verständnis nahe liegt. Bei einer Auftragsklärung schien zum Beispiel dem Coachingpartner das Ziel sehr klar: »Challengen Sie mich mit dem Thema Selbstreflexion«, meinte er. Dem Coach allerdings war alles andere als klar, was hier »challengen« bedeutete – sprachlich zwar schon, aber nicht, was die Erwartung hinter der Wahl des Begriffs war. Bei genauerem Nachfragen bemerkte er die Irritation, die das Nachfragen bei dem Coachingpartner auslöste und meinte eine Erklärung geben zu müssen: »Ich kann mir vorstellen, was Sie damit meinen, jedoch ist es mir wichtig, dass wir eine gemeinsame Sprache finden, damit ich den Prozess so gestalten kann, dass wir Ihr Ziel so schnell wie möglich erreichen.« Um dem Coach eine Interpretation zu geben, schilderte der Coachingpartner nun – sichtlich ungeduldig –, was er damit meinte. Dadurch kamen beide zu einem gemeinsamen Verständnis – und zum eigentlichen Thema. Denn die Ungeduld, die ihm gespiegelt wurde, und die darin enthaltene permanente Selbstüberforderung war ein versteckter Teil seines Anliegens, das so in die Reflexion und sein Bewusstsein gelangte.
Coaching mit Dolmetscher Der Einsatz von Dolmetschern im Coaching ist eher ungewöhnlich. Die Thematik wird in der Beratung von Migranten oder in der Therapie diskutiert, soll hier aber der Vollständigkeit halber nicht ignoriert werden. Dabei wird die Meinung, dass »der Einsatz von Dolmetschern im psychiatrisch-medizinischen Arbeitsfeld ungewöhnlich und schwer handhabbar ist«, in Deutschland unter Psychotherapeuten immer noch viel vertreten (van Keuk u. Ghaderi, 2008, S. 177). Dem liegt vielfach ein Selbstanspruch von Genauigkeit und Professionalität zugrunde, bestätigen Kluge und Kassim: »Aus fachlicher Sicht ist ihr [der Dolmetscher] Einsatz in hohem Maße gerechtfertigt, denn er erleichtert nichtdeutschen Patienten die Inanspruchnahme psychiatrischer/psychotherapeutischer Hilfe, reduziert diagnostische Unsicherheiten auf Seiten der Behandler und hilft oftmals stationäre Einweisung zu verhindern« (Kluge u. Kassim, 2006, S. 179). Da es einerseits eine Wahrscheinlichkeit gibt, dass der Dolmetscher eine Information aufgrund der triadischen Beziehungskonstruktion »gefärbt« weitergibt, ist es wichtig, Rollen und Aufgaben zwischen demjenigen, der die Verantwortung für den Gesprächsverlauf hat (Coach, Berater, Therapeut), und dem Dolmetscher, der die Verantwortung für den Inhalt hat, zu klären. Man stelle sich das Beispiel vor, dass die Dolmetscherin bei einem Klienten, der gefoltert wurde, übersetzen muss und sie selbst wohlmöglich ähnliche Erfahrungen gemacht hat oder gar auf der Seite der Täter war (z. B. eine russischsprachige Dolmetscherin aus Moskau und ein tschetschenischer Klient), dann können soziokulturelle Herkunft und persönliche Erfahrung der Dolmetscher und des Klienten in der Beziehungsgestaltung zu einer unangebrachten Störung beitragen. Oft spielen auch unausgesprochene Loyalitätserwartungen oder Misstrauen zwischen Dol-
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metscher und Klient und damit Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene eine Rolle, darauf weist das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf (o. J.) hin. Andererseits haben die meisten Klienten einen großen Leidensdruck und auch eine hohe Bereitschaft zur Improvisation. Nicht wenige sind auch in ihren Herkunftskulturen Sprachvielfalt gewohnt (z. B. indische oder afrikanische Coachingpartner), haben selbst mehrere Muttersprachen und finden es nahezu normal, stets mit Mehrsprachigkeit und Nichtverstehen konfrontiert zu sein. Hier – und nicht nur hier – läuft Beziehungsgestaltung nicht über eine gemeinsam geteilte Sprache. Non- und paraverbale Faktoren, die innere Haltung der Wertschätzung, Förderung, Unterstützung – auf Augenhöhe – stellen eine Beziehungsebene her, bei der Sprache in die zweite Reihe rückt. Schließlich gilt es, sich das Ziel von Coaching und Therapie vor Augen zu halten, den Coachingpartner bei seiner Veränderung zu unterstützen, und das geht zunächst über die bewusst gestaltete Beziehung und dann erst über Kommunikation und Sprache. Hinweise für ein transkulturelles Dolmetschersetting geben van Keuk und Ghaderi (2008) wie folgt: Häufige Fehlerquellen sind, dass zu wenig Zeit für den Beziehungsaufbau gelassen wird, die Rollenklärung nicht transparent genug für alle Beteiligten ist, der Dolmetscher aus verschiedenen Gründen nicht passt (sprachliches Niveau oder soziodemografische Merkmale), er die Klientenzentrierung vermissen lässt oder non-und paraverbale Verhaltensweisen bei der Übersetzung vernachlässigt.
Coaching in der Muttersprache – die größte Herausforderung Nicht nur die Fremdsprache, auch das Arbeiten in der Muttersprache hat ihre Tücken. In die Sprache sind bewährte Muster eingelassen, an denen festgehalten wird, es werden Unterschiede verneint und kulturelle Schablonen angewendet (»wir, die wir aus XYZ kommen«). In → Kapitel 4.2 zum Thema Hypothesen haben wir bereits einige normativ aufgeladene Kategorien aufgeführt. Vor allem im Migrationskontext kann Unsicherheit, Angst, Verletzbarkeit, Idealisierung der Herkunft, Ablehnung der kulturellen Normen der Wahlheimat hinzukommen und das Einlassen auf fremde, neue Bedeutungen erschwert werden. Die Muttersprache ist aufgeladen mit Erinnerungen und bietet eine Projektionsfläche. Eine Coachingkollegin aus Kaiserslautern schilderte in der Supervision ihr Problem mit einem Klienten aus Dresden. Seinen sächsischen Dialekt fand sie – und es fiel ihr schwer, das zu sagen – abstoßend. Sie empfand ihn als ungebildet und niveaulos und konnte sich von diesen Konnotationen nur schwer lösen. Genauer nachgeschaut stellte heraus, dass ihre Großmutter aus Sachsen stammte und sie von ihr als Kind immer »verschimpft« worden war, was sie in schlechter Erinnerung hatte. Diese individuelle Erfahrung hatte sie auf den Dialekt des Coachingpartners unbewusst projiziert. Auch auf anderen Ebenen spielen diese Art von Projektionen und sicher auch Kollektiverfahrungen eine
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Rolle. Sämtliche Kolonialerfahrungen in den vergangenen Generationen zählen ebenso dazu wie kulturspezifische und/oder individuelle Hierarchisierung von Akzenten oder Dialekten. So überprüfe jeder bei sich selbst, welchen Akzent des Englischen er »schöner«, »besser« oder »gebildeter« findet: den amerikanischen, britischen, französischen, spanischen …? Jede Kommunikation ist interkulturell, ist die an die Kybernetik angelehnte These von Arnold und Siebert (1997). Auch wenn wir die These nicht teilen (vgl. dazu Nazarkiewicz, 2010b, Kapitel 3.2), so verhilft ein solch zugespitzter Begriff des Fremdverstehens, der zwischen jeglichen Individuen bereits eine Kulturdifferenz unterstellt, zu jener staunenden Grundhaltung, die unterstützt, die inhaltliche Belegung, den kulturelle Konzeptcharakter und die emotionale Verknüpfungen der Sprache(n) zu hinterfragen.
Fazit: Sprache ist bedeutsamer als angenommen Allen Zeichenmodellen ist gemeinsam, dass ein Zeichen eine äußere Form und einen Inhalt, also eine Bedeutung hat. Das semantische Wissen eines Individuums wird im Spracherwerb aufgebaut und dort schematisiert. Wenn die Bedeutung der Zeichen das ist, was den Sprechern Kommunikation und Verstehen ermöglicht, dann geben uns Wörterbücher die falsche Botschaft. Sie suggerieren, es gäbe äquivalente Worte in verschiedenen Sprachen, ein Universalismus, der spätestens bei den klassischen »false friends« widerlegt wird. Es gibt keine Sicherheit darin, was als verlässliche Bedeutung eines Wortes gelten könnte. Dies gilt ebenso für die in Sprache und Kommunikation enthaltende implizite Beziehungsgestaltung. Hier müssen wir Vagheit aushalten und uns Hypothesen prüfend dem Prozess des Verstehens hingeben. Die vorgestellten Perspektiven haben alle ihre Berechtigung. Aus unserer Sicht geht es nicht darum, ein neues Vorgehen zu entwickeln oder nur eine Alternative zu bevorzugen. Am wichtigsten scheint uns, dass die Annahme, die auch viele Coachs in der Befragung äußerten (vgl. → Kapitel 2.3), dass Sprache eine untergeordnete Rolle spiele, zu hinterfragen ist. Wenn wir im Hinterkopf behalten, dass Sprache verschiedene Bedeutungsgebungen hat, das Thema Fremdheit aufruft, einen Identitätsbezug vorweist, unterschiedliche emotionale Ladungen bereitstellt und – in Anlehnung an Watzlawick – »nicht nicht« beachtet werden kann, so ist ihre Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen. Die im Medium der Sprache arbeitenden Begleiter und Unterstützer können die genannten Wirkungen kennen und sich dann kulturreflexiv entscheiden, welche Aspekte in dem jeweiligen Kontext eine Rolle spielen. Cnyrim, Linsenmeier und Zelno (2006) sind sogar der Ansicht, dass die professionelle Arbeit in einer Lingua franca geübt und gelernt werden sollte. Wir greifen die Anregungen der Autoren auf und erweitern sie auf folgende Dimensionen, die wir speziell im Coaching für wichtig erachten, insbesondere wenn es für einen der Coachingpartner in einer Fremdsprache stattfindet (Tabelle 19).
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Tabelle 19: Tool – Sprachreflexive Strategien im Coaching
Kommunikationsrelevante Hürden im Bezug auf verschiedene Muttersprachen im Coaching – Informationsverlust – erhöhte Anstrengung beim Zuhören und Verstehen – unterschiedliche Wortbedeutungen und Begriffsverwendungen – geringere Tiefung bei Nutzung der Fremdsprache – Gefühl des Nicht-verstanden-Werdens – geringere Fähigkeit, vorwegzunehmen, was der Coachingpartner sagen will – Übertragung der muttersprachlichen (kulturellen) Regeln auf die Fremdsprache oder Lingua franca – möglicherweise unterschiedliche Bedeutungen in der verbalen, nonverbalen und paraverbalen Kommunikation – Verlangsamung des Prozesses – Befremdung und Irritationen in der Beziehungsgestaltung – Dissoziationsoptionen Strategien für den sprachreflexiven Umgang im Coaching: – eine erkundende Haltung einnehmen – Kommunikationsunterschiede bewusst machen und thematisieren – (noch) mehr Rückkopplung und damit Arbeit an der wechselseitigen Verständigung, was auch beiden Coachingpartnern hilft, Prozesse bewusst zu machen – aktives Zuhören und Redundanzen bilden – sich selbst hinterfragen, ob ich als Coach verstanden habe – Zurückhaltung bei Bewertungen und Interpretationen – Geduld – Zeit zum sprachgebundenen Verstehen geben und nehmen – Reformulierungen – Code-Switching: gemeinsame Suche nach dem Ausdruck, der die relevante Bedeutung und das richtige Gefühl transportiert – Style-Switching (direkt/indirekt) – visuelle Hilfsmittel – Selbstreflexion des eigenen Sprachvermögens und der Assoziationen – Verzicht auf idiomatische Redewendungen sowie lokale Akzente und Artikulationen
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
Strategien für den sprachreflexiven Umgang im Coaching: – Achten auf kulturell gefärbte Anspielungen, Idiome, Bilder und Metaphern und/oder bei Gebrauch erklären – den Coachingpartner als Experten der eigenen Sprachkulturen ansprechen
4.5 Dimensionen der Prozesssteuerung Dass der Coachingprozess nicht gleichförmig verläuft, sondern sich in Phasen unterteilt, kann man in allen Grundlagenwerken über Coaching nachlesen. Sowohl die Einzelsitzungen als auch der gesamte Prozess unterliegen einer gewissen Dramaturgie. Je nach Theorie gliedert sich der Gesamtprozess in der Regel in eine bewusst als solche gestaltete Einstimmungs- bzw. Kontaktphase, eine Zieldefinitions- und Vereinbarungsphase, eine Phase der Situationsanalyse, eine Hypothesen- oder Diagnosephase, eine Arbeitsphase mit der Entwicklung von Problemlösungen, eine Abschluss- sowie eine Evaluationsphase. Man findet dazu zahlreiche Darstellungen, welche die Phasen entweder in Form von Kreisläufen, Pyramiden, Flowcharts oder anderen linearen Abläufen illustrieren. Auch Mengen- bzw. Zeitproportionen werden dabei manchmal mit abgebildet (z. B. Vogelauer, 2002). Analog zum Gesamtprozess sind auch die einzelnen Sitzungen in ähnliche Etappen unterteilbar, deren streng lineare Abfolge einen sinnvollen Aufbau ergibt. Im Anschluss an die jede Sitzung einleitende Kontaktphase wird entweder an die letzte Sitzung angeknüpft oder der Coachingpartner schildert die Entwicklungen und Erfahrungen aus der Transferphase (zwischen den Sitzungen). Aktuelle Aspekte werden aufgegriffen und die Coachingpartner treffen die Zielvereinbarung für die Sitzung. Anschließend hat die Problembearbeitung oder Lösungssuche Raum, und abgerundet wird die Sitzung von einer Zusammenfassung der Ergebnisse, gegebenenfalls mit einem Rückblick auf die Arbeitsphase. Am Ende werden Vorhaben und Transferaufgaben formuliert. Die Coachingpartner nehmen noch einen Ausblick vor und treffen gegebenenfalls weitere Vereinbarungen. Manche Coachs entwickeln darüber hinaus eigene strukturierende und an bestimmte Kontexte angepasste Vorgehensweisen. Es werden Phasen einbezogen, die ein spezielles inhaltliches Ziel verfolgen (z. B. nach der Erarbeitung von Lösungen »Selbstvertrauen stärken«), oder es werden auf diese Weise bestimmte Tätigkeiten des Coachings hervorgehoben (z. B. »Ressourcen erschließen«). Andere Coachs verändern den Prozess, indem sie mit ein bis zwei Sitzungen beginnen und darauf eine längere Transferphase ohne Coachingsitzungen folgen lassen, in der der Coachingpartner die Möglichkeit hat, erarbeitete Verhaltensweisen oder Erkenntnisse umzusetzen. In manchen Kontexten ist es sogar sinnvoll, im Vorhinein ein »Programm« zu definieren, bei dem bestimmte Themen zu bestimmten Zeiten behandelt wer-
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den (vgl. dazu z. B. das Fallbeispiel von Norman Richtmann in → Kapitel 3.2.1, Methoden zum interkulturellen Lernen im Coaching). Während aller Phasen gilt es, am Thema zu bleiben und die Ziele im Auge zu behalten, das Gespräch zu gestalten und den gesamten Prozess im Sinne des Coachingpartners zu lenken (Prozesssteuerung). Bleibt man als Coach in der erforderlichen Haltung der Kontextsensitivität, wie sie insbesondere in der interkulturellen Kommunikation erforderlich ist (vgl. → Kapitel 4.4 zum Thema Sprache), ergeben sich daraus viele Varianten dieser Phasenstruktur, zudem hat jedes Coaching einen eigenen spezifischen Verlauf. Wenn nun die kulturellen Einflussfaktoren reflektiert werden (müssen) und vor allem im Coaching eine interkulturelle Situation, verschiedene Sprachen, Stile, Beziehungserwartungen etc. eine Rollen spielen, wie die vergangenen Kapitel gezeigt haben, so ist es als Coach ratsam, jegliche zeitliche Orientierung an »Phasen« zu reduzieren. Das führt nur zu innerem Stress und mangelnder Flexibilität. Zugleich benötigt man jedoch eine Orientierung für das Vorankommen. Für die Bewältigung der scheinbar widersprüchlichen Anforderungen der Phasenorientierung und der Kontextflexibilität möchten wir ein Konzept der »fraktalen Steuerung« vorstellen, das an der Mikrostruktur von Gesprächsführung ansetzt. Es ist nicht beschränkt auf kulturreflexives Coaching, wird aber in diesem besonders benötigt. Einflussfaktoren für Ablauf und Phasengestaltung im Coaching (1) sind nach unserer Auffassung neben dem Auftrag und dem Ziel (2) die Gesprächsführung selbst (3), die Steuerung der Thementiefe (4), die jeweilige passende Methodenwahl (5) sowie der Umgang mit Hindernissen und insbesondere Lernhürden (6). Wenn man diesen Gesamtzusammenhang im Blick hat und bei der am Coachingziel ausgerichteten Phasensteuerung berücksichtigt, kann man unseres Erachtens von einem fraktalen Zeitmanagement im Coachingprozess sprechen. Diese Vorgehensweise werden wir im Folgenden anhand der genannten Topoi eingehender beschreiben.
Phasengestaltung des Coachings auf der Gesprächsebene Die im vorigen Abschnitt angesprochenen und häufig genannten Phasen einer Coachingsitzung ergeben sich aus den besonderen Charakteristika des Coachinggesprächs und seiner Gestaltung durch den Coach sowie aus der spezifischen Grundhaltung des Coachs. Viele der in einer vertrauten Beziehung bzw. im Alltag möglichen Reaktionen auf eine Äußerung stehen, wie wir im → Kapitel 4.3 zur Beziehungssteuerung bereits angesprochen haben, im professionellen Setting im Sinne eines kontextangemessenen Repertoires zunächst einmal nicht zur Verfügung. Ergebnisse aus der Gesprächsforschung zeigen beispielsweise, dass es in Alltagsgesprächen prinzipiell nach der Schilderung eines Ärgernis oder »Troubles« (Jefferson, 1988) verschiedene mögliche Anschlüsse gibt. Wenn jemand von einem Problem berichtet – also der typische Fall im Coaching –, kann man in einem informellen Gespräch mitfühlend mit eigenen Erfahrungen
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anschließen oder auch einen Ratschlag geben. Schon die Entscheidung zwischen diesen beiden Reaktionsweisen an die Problemschilderung kann sich, wie Jeffersons Untersuchungen zeigen, im Alltagsgespräch als schwierig erweisen, da die Erwartungen der Sprecher implizit bleiben und möglicherweise unterschiedlich sind. Im Coaching wären beide Alternativen vermutlich kaum hilfreich für den Coachingpartner, denn wenn es ihm lediglich um empathische Anteilnahme oder einen einfachen Ratschlag ginge, hätte er keinen Coach aufgesucht. Doch auch im Coaching gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie man angemessen an eine solche Problemschilderung anschließen und das Gespräch führen kann, und die Auswahl der passenden Vorgehensweise richtet sich unter anderem danach, an welcher Stelle im Coachingprozess der Coachingpartner eine Problemgeschichte erzählt bzw. auf ein Problem hinweist. Daher wollen wir nun unter diesem Gesichtspunkt nochmals die einzelnen Phasen der Coachingsitzung betrachten. Nehmen wir als Beispiel einen Klienten, der das Coaching aufgesucht hat, weil er schon länger mit seinem Arbeitsplatz und den dort herrschenden organisatorischen Bedingungen unzufrieden ist, und der sagt: »Ich bin auf so vielen Ebenen unzufrieden, dass ich meine momentane Situation als Qual erlebe, so kann es nicht weitergehen.« – In der Einstimmungs- bzw. Kontaktphase bzw. beim Anknüpfen an die letzte Sitzung, wenn also noch gar kein Arbeitsauftrag vorliegt, wäre beispielsweise ein mitfühlendes, empathisch gesprochenes Rezipientensignal (»hm, hm«) und eine Ankündigung, sich dem Thema gleich zu widmen, möglich, wie zum Beispiel: »Dann schauen wir gleich mal genauer, wie ich Sie am besten unterstützen kann.« – Macht der Klient diese Aussage in der Zieldefinitions- und Vereinbarungsphase, könnte die Gesprächsführung des Coachs anschließen mit der Frage: »Was möchten Sie in unserem Coaching diesbezüglich erreichen?« – In der Situationsanalyse, Hypothesen- oder Diagnosephase wären das Thema vertiefende Fragen des Coachs erwartbar, wie »Was genau macht Sie denn unzufrieden?« oder »Wann und wie hat die Unzufriedenheit für Sie begonnen?« etc. – Die Arbeitsphase mit der Entwicklung von Problemlösungen könnte einen eher ressourcenorientierten Anschluss erforderlich machen wie »Was sind denn die Inseln der Zufriedenheit, wenn es sie gibt?« oder »Wo möchten Sie anfangen, etwas zu ändern?« – Kommt ein solches Thema bzw. eine solche Aussage zum Ende einer Sitzung – in der Abschluss- und Vereinbarungsphase mit der Formulierung von Transferaufgaben – zur Sprache, was gar nicht selten ist, so bietet sich für den Coach eine eher metakommunikative Anschlussäußerung an: »Das scheint ein wichtiges Thema zu sein, dem wir am besten einen größeren Raum einräumen, als uns heute noch bleibt. Sind Sie damit einverstanden, dass wir
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es in die nächste Sitzung legen?« Möglich wären auch Transferaufgaben wie »Ich schlage vor, Sie notieren für die nächste Sitzung all diejenigen Aspekte, die Ihnen noch Freude machen, listen in der zweiten Rubrik diejenigen auf, die Sie verändern möchten, und in der dritten Kategorie sammeln Sie alles, was in keine der beiden ersten passt, aber festgehalten werden sollte.« Dann kann der Coachingpartner anhand dieser »Hausaufgabe« bereits einen differenzierteren Blick entwickeln und »Material« für die kommende Sitzung erarbeiten. Zugleich geht er in eine Metaperspektive und macht damit bereits den ersten Schritt zu einer Veränderung. – Charakteristisch für die Evaluationsphase sind Auswertungsfragen wie »Was war heute für Sie das Wichtigste?«, »Wie war diese erste Zusammenarbeit im Coaching für Sie?«, und auch hier können neue Themen wie das oben genannte vom Coachingpartner angesprochen werden. Die sanft lenkende Prozesssteuerung des Coachs wird in diesem Fall je nach verfügbarer Zeit entweder wie in der Abschlussphase das Thema vertagen oder einen neuen Kontrakt für eine anschließende Arbeitssitzung schließen, in der die einzelnen Schritte wieder von vorn durchlaufen werden. Entsprechend werden zur Abbildung der Phasen im Coaching vielfach auch kreisförmige Darstellungen gewählt. Wie man im Rahmen der Gesprächsführung allein mit Fragen den Coachingprozess strukturieren und dessen einzelne Phasen initiieren, vorantreiben und abschließen sowie die Übergänge von einer Phase zur nächsten bewerkstelligen kann, zeigen eine Reihe von zu diesem Zweck entworfenen Fragenkatalogen (vgl. hier z. B. auch Whitmore, 2001). Dieses systematische Vorgehen zur Bewältigung der verschiedenen Arbeitsschritte und Aufgaben, die sich im Rahmen des Coachingprozesses stellen, entspricht ganz der lösungsorientierten Herangehensweise im Coaching. Anhand der Fragenkataloge wird deutlich, dass die Arbeit des Coachs im Wesentlichen über dessen Aktivitäten der Gesprächsführung vermittelt wird; zentral ist dabei das Öffnen und Schließen von Deutungen und Sinnhorizonten im richtigen Moment, abgestimmt auf die zuvor vereinbarte Zielrichtung. Daher wollen wir nun genauer betrachten, wie der Coach über die Gesprächsführung den Prozess im Auftrag des Coachingpartners so steuern kann, dass einerseits die charakteristischen Phasen des Coachings durchlaufen werden, während der Coachingprozess jedoch andererseits auch stets kultursensibel und kontextsensitiv gestaltet wird und dem Grundsatz der Themenzentrierten Interaktion folgt, dass »Störungen Vorrang haben«.
Gesprächsführung mit Auftrag Während der Prozesssteuerung hat der Coach meist mehrere ineinander verschachtelte Rahmen im Hinterkopf, mit denen er jongliert: Wie ist die aktuelle Gesprächssequenz zeitlich, chronologisch, inhaltlich und mit Blick auf die
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damit verfolgten Ziele in den Gesamtprozess eingebettet? Welche Bedeutung hat sie in der aktuellen Coachingsitzung, wie steht sie zum Ziel und zur aktuellen Phase dieser Coachingsitzung, und schließlich, welche Bedeutung oder »Energie« hat das angeschnittene Thema für den Coachingpartner? Denn dieser setzt zu Recht eigene Prioritäten, was er wann für relevant hält. Jeder lösungsorientiert arbeitende Coach weiß, dass beispielsweise die Frage nach dem Ziel der Sitzung häufig eine Problemschilderung nach sich zieht. Hier abzubrechen oder die Schilderung abzukürzen und noch einmal direkt nach dem Ziel zu fragen, weil diese Phase ansteht, kann einen Kontaktverlust bedeuten und sogar zu einer Beziehungsstörung führen. Der Coachingprozess beginnt erst mit dem Auftrag. Keine Intervention ohne Ziel, lautet die Regel, sonst fehlt dem Coach das Mandat und seine Auswahl der kommunikativen Handlungen folgt anderen, vielleicht eigenen Interessen, anstatt sich – orientiert an den Bedürfnissen des Coachingpartners und dem von ihm artikulierten Problem – der kunstvollen Lösungsfindung zu widmen, zu der Coaching fähig ist (Abbildung 35). Was ist das Anliegen des Coachees, warum soll man ihm zuhören, was soll man herausfiltern, inwieweit und auf welche Weise soll man kommentieren oder andere hilfreiche Reaktionen folgen lassen – erst die Antwort auf diese Fragen gibt dem Coach und dem Prozess die Richtung vor. Insofern bildet der Auftrag die Ausgangsbasis nicht nur für den Prozess im Ganzen sowie alle ihn konstituierenden Phasen, sondern mitunter auch für die Gestaltung der nächsten zehn oder zwei Minuten.
Ziele
Auftrag
Coach
Coachingpartner
Abbildung 35: Auftragsdreieck im Coaching
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Auch wenn weitere Parteien involviert sind (siehe dazu → Kapitel 4.1 zu Auftragsmehrecken), geht der unmittelbare Auftrag zur Prozesssteuerung vom Coachingklienten aus. Ein reales Beispiel aus dem privaten Bereich soll dies demonstrieren. Eine Freundin rief in hoher Not an und formulierte ihr Anliegen mit den Worten: »Ich weiß nicht, was ich machen soll, ich brauche deinen Rat.« Da sie mit Coaching vertraut war, lautete die Rückfrage des Coachs: »Soll ich als Coach oder als Freundin antworten?« Sie traf eine kluge Wahl: »Erst als Coach und dann als Freundin.« Hätte sie eine andere Reihenfolge gewählt, so wäre zumindest in der Kürze der damals am Telefon zur Verfügung stehenden Zeit der Rollenwechsel nicht möglich gewesen (vgl. dazu → Kapitel 4.3 zur Beziehungsgestaltung). In der vereinbarten Rolle als Coach entschied ich mich dafür, viele offene Fragen zu stellen und in kürzester Zeit beruhigte sich die Gesprächspartnerin und traf schließlich ihre Entscheidung nach eigenen Kriterien. »Und jetzt antworte mal als Freundin«, bat sie dann – mehr aus Interesse als aus Unsicherheit. Als Freundin konnte ich zum Glück die Entscheidung bestärken (»Bin ich froh, dass du dich endlich dazu durchgerungen hast, es hat mir weh getan, dich so zu sehen«). Hätte die Freundin eine andere Position gehabt, wäre vermutlich eine erneute Schleife im Gespräch entstanden und eine weitere Auftragsklärung, vor allem aber ein nochmaliger expliziter Hinweis auf die eigene Rolle (ich spreche jetzt als Freundin) nötig gewesen. Das Beispiel illustriert, wie die Erteilung des Auftrags unmittelbar zu einer gezielten Änderung der Gesprächsführung führen kann. Der Coach hat dabei die »großen Phasen« des Gesamtprozesses ebenso im Blick wie die kleinen Phasen einer Sitzung. Die Dramaturgie im Coaching kann man sogar noch kleinteiliger betrachten. Wie oft, wie lange und worüber man miteinander spricht, wo welcher Gesprächsteilnehmer Pausen macht, wie intensiv man wann auf welche Themen zu sprechen kommt und wie sehr man sie vertieft usw., alle diese Aspekte gehören zur Gesprächsführung im Rahmen der Prozesssteuerung. Den entscheidenden Unterschied zwischen einem Alltagsgepräch und einem Coaching- oder Beratungsgespräch macht die Moderation durch den Coach aus. Unter Gesprächsführung verstehen wir die bewusste und gezielte Steuerung der Kommunikation im Dienste der sachbezogenen Kooperation und der positiven Beziehungsgestaltung. Ihre Grundlage ist die Kenntnis der Wirkung von Kommunikationsmustern auf die Beteiligten und die Einnahme einer Metaperspektive, um diese Wirkungen berücksichtigen und für den Coachingprozess nutzen zu können (Abbildung 36). Der innere Bereich des Gesprächsführungsdreiecks beinhaltet verschiedene Aufgaben, die der Coach im Rahmen der Gesprächsführung leistet; diese Aufgaben verweisen zugleich auf die Einnahme verschiedener Perspektiven auf die Kommunikation im Coaching. Die Erteilung des Auftrags gibt gewissermaßen das Startsignal für die Gesprächsführungsarbeit des Coachs und die damit verbundene Einnahme der unterschiedlichen (Meta-)Perspektiven.
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Abbildung 31: Perspektiven und Gesprächsführungsaufgaben im Coaching
Die Gesprächsführungsaufgaben sind innerhalb des Dreiecks in drei Blöcke gegliedert, die jeweils unterschiedliche »Zoomstufen« darstellen. Betrachtet man auf der niedrigsten Zoomstufe den Coachingprozess im Ganzen, so kommt zunächst das Coachingziel und die Orientierung auf dieses Ziel hin als stete Metaperspektive ins Blickfeld. Das vom Coachingpartner bestimmte Ziel und der damit verbundene Auftrag zur Einnahme dieser Metaperspektive autorisiert den Coach, den Verlauf des Gesprächs und des Prozesses zu beobachten und gegebenenfalls Metakommunikation zur Steuerung zu verwenden. Die oberste Steuerungsebene ist der daraus abgeleitete Kontrakt (»Wollen Sie, dass wir jetzt oder lieber später über diesen Punkt sprechen?«). Der Coach ist in einer mehrfachen Funktion als Gesprächspartner (in einer gewählten Rolle, siehe dazu → Kapitel 4.3 zur Beziehungssteuerung) und Moderator tätig. Während die Coachingpartner sprechen und der Prozess bzw. das Coaching seinen Lauf nimmt, ist der Coach sich des situativen Kontextes der Äußerungen im Coachingprozess (in welcher Phase und Tiefe sind wir?) bewusst und (er)kennt die Rollen, die beide einnehmen können. Angebotene und eingenommene Rollen sind am Rezipientenzuschnitt des Gesagten erkennbar. Der Zuschnitt der Äußerung entwirft zugleich die Rolle des Gesprächspartners bzw. macht diesem ein Übertragungsangebot. Der Satz »Das würde ich Ihnen nicht raten« bietet
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beispielsweise die Konstellation Mentor/Mentee, Experte bzw. Berater/Kunde oder Elternteil/Kind an und stellt – je nach Tonlage – Hierarchie her. Auch die Kenntnis der Gesprächsformen spielt in der Phasensteuerung eine Rolle. Wie bereits im → Kapitel 4.4 über Sprache erwähnt, stellt der kommunikative Haushalt einer Sprachgemeinschaft den Kommunizierenden ein reichhaltiges Repertoire von Gesprächsformen und -formaten, Gattungen und Ritualen zur Verfügung, welche die Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft beherrschen und daher erkennen und lenken können. Die kontextabhängige Deutung ebenso wie der kontextsensitive Einsatz dieser sprachlichen und interaktiven Elemente zur Steuerung des Gesprächs sind entscheidend für die Beziehungsgestaltung, das Zeitmanagement und das inhaltliche Vorankommen. Hier entstehen in der interkulturellen Kommunikation die meisten Irritationen. Ein italienischer Coachingpartner (Coachingsprache war Deutsch) schrieb beispielsweise eine kurze E-Mail, dass er den Termin verschieben möchte, weil er mit seiner Transferaufgabe noch nicht ganz fertig geworden sei und sie gern fortsetzen wolle. Er kündigte seinen Anruf zur Terminvereinbarung an. Als er den Coach anrief, war dieser gerade im Gespräch und versprach den Rückruf innerhalb der nächsten fünf Minuten. Für die deutsche Variante der Terminverschiebung war in den drei Kontakten kurz zuvor bereits genügend Vorlauf (Kontaktaufnahme, Ziel des Gesprächs, erneuter Kontakt), um direkt zu Sache zu kommen. Doch der italienische Coachingpartner fragte zunächst fröhlich: »Wie geht’s?«, um mit einem kurzen Smalltalk einzusteigen. Nur das Erkennen der Gesprächsform (kurzer Beziehungsaufbau) bewahrte den Coach davor, tatsächlich inhaltlich auf die Frage zu antworten, dass er zur Zeit an einer Grippe leide. Stattdessen antwortete er rituell mit »gut« und man wechselte ein paar Worte über das Wetter. Auch innerhalb einer Coachingsitzung ist die Kenntnis der Gesprächformen für die Gestaltung der Phasen und Rollen elementar. Manche Formate, wie beispielsweise eine Beschwerdeerzählung, eine Klage oder eine Stereotypenkommunikation, benötigen viel Zeit oder die moralische Beteiligung des Gesprächspartners, was wiederum spezielle Anforderungen an Moderation, Beziehungsgestaltung, Themen- und Zeitmanagement stellt, auf die wir noch näher eingehen werden. Gerade bei der interkulturellen Kommunikation ist das Kennen der unterschiedlichen Gesprächsformate und Aktivitätstypen, ihrer typischen Verlaufsformen, Dynamiken und Implikationen, äußerst hilfreich, zumal zahlreiche Forschungsergebnisse über sprachgebundene Differenzen vorliegen und deren Kenntnis Missverständnissen oder Beziehungsstörungen vorbeugen kann. Auf der höchsten Zoomstufe, wenn das Gespräch quasi durch das Mikroskop betrachtet wird, richtet sich der Blick auf die Kommunikationsmuster (nicht nur die des Coachingpartners, sondern auch die eigenen) und die Themenführung und reicht bis zu gezielten Einzelinterventionen. Dieser Fokus ist vielen Coachs vertraut. So weist man beispielsweise eine Coachingpartnerin,
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die mehr Selbstbewusstsein entwickeln möchte, darauf hin »ich« statt »man« zu sagen, oder man gibt ein Feedback zu fehlendem Blickkontakt, wenn dies zum Auftrag gehört, usw. Einige Beispiele für solche Interventionen im kulturreflexiven Coaching werden wir bei der Besprechung von Hindernissen in diesem Coachingkontext nennen. Jede der hier angesprochenen Perspektiven und der korrespondierenden Steuerungsaktivitäten hat weitere Implikationen für die Gesprächsführung und erfordert bestimmte Kompetenzen und Techniken. Im Folgenden wollen wir zunächst auf die Steuerung der Thementiefe eingehen und deren Bedeutung im Rahmen der kulturreflexiven Prozessgestaltung untersuchen.
Steuerung der Thementiefe Jeder Bericht, jede Geschichte oder Situationsbeschreibung kann in unterschiedlichen Ausführlichkeitsstufen dargeboten bzw. erfragt werden. Im Rahmen der Themenkontrolle gilt es im Coaching jeweils abzuwägen, wie sehr man dabei ins Detail geht und die Schilderungen und Erzählungen durch Rückfragen und Erläuterungen anreichert und vertieft. Die situativ zu treffende Entscheidung, welcher Detailliertheitsgrad und welche »Tiefe« der thematischen Bearbeitung hier und jetzt gerade hilfreich und sinnvoll sind, hängt nicht nur vom Gegenüber ab, sondern auch vom Gesprächsziel und von der aktuellen Bearbeitungsphase. Entsprechend kann mit Blick auf die gemeinsame Verständigung zwischen den Coachingpartnern die Thementiefe permanent dem sich wandelnden Kontext angepasst werden.
Abbildung 36: Tool – Steuerung der Thementiefe
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Betrachtet man den Erläuterungsgehalt bzw. das »Material«, das ein Coachingpartner anbietet, so lassen sich idealtypisch mindestens vier Ausführlichkeitsstufen unterscheiden (Abbildung 37): 1. Titel: Die knappste Version ist das Benennen des Themas, zum Beispiel: »Ich muss mit Ihnen heute unbedingt über meinen Chef sprechen.« 2. Abstract: Die Zusammenfassung erläutert, was geschehen ist: »Ich muss mit Ihnen über meinen Chef sprechen, er hat mich gestern erneut geschwächt, indem er eine meiner besten Mitarbeiterinnen aus einem meiner Teams ohne Absprache mit mir in ein anderes Team versetzt hat.« 3. Geschichte: Ebenso wie etwa Klatsch, Witze oder Märchen ist auch die Geschichte eine Kommunikative Gattung (Luckmann, 1986) und wird als solche in einer wiederkehrenden, konventionellen Weise interaktiv reproduziert. Personen, die einen Sprachraum teilen, wissen, dass mit der Einleitung »Stellen Sie sich vor, was mir eben passiert ist …« eine Geschichte beginnt, dass »Kennst du den?« einen Witz und »Es war einmal …« ein Märchen einleitet usw. Die Vertrautheit mit der interkulturell kulturkontrastiven Analyse kommunikativer Gattungen ist für einen Coach in diesem Zusammenhang hilfreich, um die Redeabsichten des Coachingpartners zu erkennen (vgl. dazu Günthner, 2007). Die Geschichte vom Chef, der die Mitarbeiterin versetzt hat, wäre nun eine längere Erzählung, welche mit direkten Redewiedergaben und Inszenierungen ausgestattet werden kann (vgl. Günthner, 2002). Hier erfolgt der Übergang zur vierten Ebene, der »Echtzeiterzählung«. 4. Echtzeiterzählung: Die Sprechenden berichten in wörtlicher Wiedergabe und beinahe in »Echtzeit«, wer was zu wem wie gesagt hat. Im Beispiel eben wäre das »Wir waren in einer Leadership-Telco und auf einmal sagt unsere Chefin Monica: ›You know, I thought about the career options in the organization at the moment and think that Sumana needs a chance, so I decided to offer her the senior manager position for the Pacific Asia team.‹ Mich hat der Schlag getroffen und ich habe sofort entgegnet: ›I am very unhappy with that as you know that at the moment …‹« usw. Jede Vertiefungsstufe hat ihren Vorteil. Echtzeiterzählungen beispielsweise zeigen (aus der Perspektive des Erzählenden) Muster in Konfliktfällen auf und liefern viel Material für deren Bearbeitung. Die Thementiefe und der Erläuterungsumfang hängen mit dem Grad der emotionalen Beteiligung des Coachingpartners zusammen, sind aber nicht mit ihm identisch. Dieses Thema müssen wir hier aus Darstellungsgründen aussparen. Manche, insbesondere erfahrene Coachingpartner, antizipieren die Phasengestaltung und passen den Erläuterungsumfang ihrer Rede entsprechend an. Die Mehrheit allerdings – und dies gilt speziell für interkulturelle Coachings, bei denen die Coachingpartner verschiedene Muttersprachen sprechen oder aus unterschiedlichen Kulturen kommen – kennt weder die Phasen im Coa-
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ching noch werden Vertiefungsstufen beachtet. Der Coachee verhält sich zu Recht natürlich und in gewohnter Weise. Häufig gibt es zum Beispiel den Drang, das Thema mit dem höchsten Problemdruck sofort und ausführlich zu erzählen, anstatt zuerst, wie es der implizite Ablaufplan der Coachingsitzung vorsähe, darüber zu berichten, wie die Umsetzung der in der letzten Coachingsitzung vereinbarten Transferaufgaben gelungen ist. Auf der anderen Seite müssen manche Coachingpartner in der Hauptarbeitsphase dazu motiviert und angeregt werden, in emotional beteiligte Erlebensschilderungen zu gehen. Es verlangt daher viel Kontextsensitivität vom Coach, die Kooperation des Coachingpartners zu erhalten und das Gespräch so zu steuern, dass das »Material« an der Stelle bearbeitet wird, an der es für den Coachingpartner, den Gesamtprozess und das Ziel hilfreich und effizient ist – und dieser günstige Zeitpunkt ist nicht immer der Moment, in dem die Erlebnisse dazu drängen, geäußert zu werden. Umgekehrt ist jedoch auch stets zu prüfen, ob solche Erlebnisschilderungen gleich dann bearbeitet werden können, wenn der Coachee darauf fokussiert, selbst wenn das innere Skript des Coachs dafür eine andere Phase im Coaching »vorsehen« würde. Einige Tücken der Phasensteuerung durch Gesprächsführung hatten wir bereits angesprochen: Auf die Frage nach den Zielen folgt in der Regel eine Problemschilderung, beim Anknüpfen an die vergangene Sitzung, welches im Prinzip eher eine Metaperspektive nahelegt, wählen die Coachees bevorzugt die Schilderung eines aktuell drängenden Themas, auf eine geschlossene Frage kann unter Umständen eine Antwort von fünfundvierzig Minuten Länge folgen usw. Wenn der Coach also Phasen im Hinterkopf hat und zugleich darum bemüht ist, kontextsensitiv den Bedürfnissen des Coachingpartners zu folgen, so gelingt die Steuerung des Gesprächs über Metakommunikation und Zwischenkontrakte (z. B. »Wollen wir erst ein Ziel für die heutige Sitzung definieren und dann noch einmal auf die Geschehnisse blicken?«). Hier wird im Detail entschieden, welchen Verlauf das Gespräch und die Sitzung letztlich haben werden. Die Vertiefung von Erläuterungsebenen ist nur ein Element und ein Beispiel für die Feinjustierung in der Gesprächssteuerung. Prinzipiell ließe sich so für alle typischen Sprechakte eines Coachs wie Nachfragen, das Geben von Feedback, das Äußern von Hypothesen, aktives Zuhören etc. zeigen, wie sie in ähnlicher Weise für die zugleich kontextsensitive, aber auch am Ziel und am Ablauf(plan) des Coachingprozesses orientierte Gesprächsführung eingesetzt werden. Betrachtet man den Phasenverlauf im Coaching auf der Ebene der Gesprächsführung, so ist entgegen der häufig anzutreffenden Darstellung dieses Verlaufs als linearer Prozess eher davon auszugehen, dass er »fraktal« verläuft. Der Begriff »fraktal« für »in Stücke brechen« bezeichnet ein Muster, bei dem ein Objekt aus verkleinerten Kopien seiner selbst zusammengesetzt, also »selbstähnlich« ist. Das Ganze findet sich als Form im kleinsten Teil und umgekehrt. Eines der berühmtesten Fraktale stammt von dem Mathematiker, der
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den Begriff geprägt hat, das sogenannte Apfelmännchen oder die »MandelbrotMenge« (Mandelbrot, 1991). Fraktale werden durch rekursives Vorgehen erzeugt, das heißt, eine wiederholte Anwendung der Methode führt zur schrittweisen Annäherung an das Problem. Sie sind keinesfalls nur abstrakte Gebilde in der Mathematik oder Geometrie, sondern man findet den fraktalen Aufbau beispielsweise auch bei einem Blumenkohl. Nimmt man als Ausgangspunkt nur einmal die drei bislang vorgestellten Dreiecke für verschiedene Aspekte der Phasensteuerung – erstens Auftrag, zweitens Gesprächsführung und drittens die Steuerung der Thementiefe – und setzt für die anderen Themen eine ähnliche Struktur voraus, so entsteht nach wenigen Wiederholungen, in welchen die Ergebnisse eines Schrittes stets als Ausgangswert für den nächsten Schritt genommen werden, bereits ein fraktales Gebilde (Abbildung 38).
Abbildung 38: Fraktal, hier am Beispiel der sogenannten »Koch’schen Schneeflocke« (Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Koch-Kurve, Zugriff am 09. 02. 2012)
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Im kleinsten Teil steckt das Ganze und beides zusammen bildet eine neue faszinierende Form. Auf das Coaching übertragen wären die Dreiecke der Kontrakt (Welches Ziel verfolgen wir gerade, was ist der Auftrag?), die Gesprächsführung (Wo stehen wir gerade im Hinblick auf das Ziel, welche Intervention führt weiter?) und die Tiefensteuerung (Hilft uns die Themenausführung und -vertiefung an dieser Stelle für das aktuelle Anliegen?). Nach unserer Auffassung werden Prozesssteuerung und -variation – einschließlich der darin angelegten kontextsensitiven Variabilität – korrekt beschrieben, wenn man das Vorgehen im Coaching mit einem Fraktal vergleicht. Mit Blick auf das Ziel kann es passieren, dass man ein unflexibles Phasenund Zeitmanagement praktiziert, was den affiliativen Prozess stören kann. Dies gilt nicht nur für Interkulturelles Coaching, wie das folgende Beispiel zeigt. Ein muttersprachlich deutscher Coachingpartner holte in bereits vertrauter Weise zu Beginn der Sitzung weit aus und berichtete seine Erlebnisse über alle Themengebiete hinweg, die im Verlaufe des schon länger andauernden Coachings bereits aufgegriffen worden waren. Anders als sonst kürzte der Coach diesmal die Erzählung an einer ihm geeignet erscheinenden Stelle mit der Frage ab: »Und was soll denn heute im Fokus stehen, was ist Ihr Ziel?« Schon der Blick des Coachingpartners zeigte unmittelbar, dass ihn die Umfokussierung auf das Ziel an dieser Stelle irritierte. Nach einer Klärung vereinbarten die Coachingpartner, zukünftig in metakommunikativen Rahmungen die Handlungskonzepte wechselseitig darzulegen, das heißt, jeder kündigte maßvoll an, was er warum wie ansprechen wird.
Methodenwahl und Gesprächsführung Die bislang genannten (als Dreiecke dargestellten) Aktivitäten für das Coaching lassen sich durch weitere Dimensionen ergänzen, die ebenfalls Einfluss auf den Prozessablauf haben. Innerhalb der Methode »Gesprächsführung« finden wir eine Reihe weiterer Vorgehensweisen und Interventionen (»Methodos«, griech.: der Weg) für die Lösungsfindung im Coaching. In diesem Zusammenhang sind mehrere Entscheidungen zu treffen (Tabelle 20). Tabelle 20: Checkliste methodische Entscheidungen in der Prozesssteuerung
Fokus:
Arbeite ich problem- oder lösungsorientiert?
Ansatz:
Arbeite ich auf Hypothesen gestützt oder auf der Basis konstruktiven Nichtwissens?
Haltung:
Gehe ich »hinter« den Klient/-innen (Coachingansatz) oder »vor« den Klient/-innen her (Beratungsansatz), welche Rollen helfen wann?
Nähe/Distanz:
Verhalte ich mich neutral oder beziehe ich Position?
Diskretionsstufe:
Arbeite ich offen oder (teilweise) verdeckt?
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Ist es hilfreicher, grundsätzlich den Prozess problem- oder lösungsorientiert zu führen? Die Fokussierung auf das Leiden bzw. die Unzufriedenheit, den Ursprung des Problems und die Defizite geht von einer Ursache aus und sucht nach Gründen. Diese Orientierung in die Vergangenheit und nach dem Verursacher ist rückwärtsgewandt und personengebunden: Das Problem ist entweder an den Coachingpartner als Persönlichkeit gebunden oder von äußerer Stelle »ausgelöst«. Hier sind deutliche kulturelle Stile zu erkennen. Coachingpartner aus Schamkulturen suchen die Veränderungsvariablen eher im Umfeld (siehe auch Nisbett, 2004), was zu bemerken und zu berücksichtigen ist. Oder geht der Coachingpartner davon aus, dass er als Person etwas lernen, ergänzen oder entwickeln will (typische gesprächsführende Methoden sind Fragen stellen oder Hypothesenbildung). Lösungsorientiert hält man einen Prozess, wenn man das Ziel fokussiert, bisherige Strategien zur Problemlösung erarbeitet und die Ressourcen des Coachingpartners erarbeitet. Diese Perspektive ist zukunftsorientiert und situations- und systemgebunden. Die Lösung liegt in den Alternativen, dem »Unterschied, der einen Unterschied macht«. Hierbei darf die Person ausprobieren, »spielen«, visionieren. Typische Mikromethoden sind systemische Fragen, gemeinsames Suchen und Entdecken, Wissen erzeugen. Welche Blickrichtung ist in welchen Situationen angemessen oder hat man sich bereits einer Schule verschrieben? Identitätsbezüge des Coachingpartners erleichtern die Entscheidung. Wenn der Coachingpartner eher eine soziale Identifizierung wählt, präferiert er möglicherweise nicht die Reflexion über die eigene Person und kann daher von einem ressourcenorientierten Vorgehen mehr profitieren. Bevorzugt er jedoch eine personale Identität, dann sind Handlungen auf die Person selber zurückführbar und in ihr gegründet, so dass die Reflexion darüber leichter fallen könnte. Dann wäre ein problemorientierter Prozess zielführender. Oder macht er das gar »zu« stark? Dann wiederum wäre eine ressourcenorientierte Methode zu bevorzugen. Kaum etwas muss so kontextsensitiv und personenorientiert entschieden werden wie die Methodenwahl, damit diese dem Klienten dient und nicht umgekehrt. Auch das Einnehmen von Rollen bedeutet methodische Intervention. Hier seien nur zwei Aspekte hervorgehoben, die Haltung und Nähe-Distanz-Regelung. Zwei alternative Rollen und Haltungen, die häufig gewählt werden und sich tendenziell ausschließen, sind Coach und Berater. Wenn ich den Berateransatz wähle, implementiere ich Expertenwissen, als Coach bin ich derjenige, der vom Coachingpartner die Lösung »lernt«. Wie viel persönlichen Bezug braucht mein Gegenüber und wie viel hilft dem Coachingprozess, bezieht der Coach Position und zeigt er sich oder wirkt er mehr als Katalysator (vgl. dazu die Zusammenfassung der kulturreflexiven Kompetenzen für Coachs in → Kapitel 3.2.4 und den Fall Ingrid Köhler)? Diese Coachingklientin begann erst zu arbeiten, als der Coach in einen diskursiven Stil wechselte und in Beziehung ging. Auch die Wahl der Diskretionsstufe ist eine Coachingmethode. Offenes Arbeiten bedeutet, der Klient erzählt völlig trans-
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parent, worum es geht und von sich, bei verdeckter Arbeitsweise weiß ich entweder nicht, worum es geht (Klient arbeitet, aber ich weiß nicht genau, an was), oder offenbare nicht, was ich weiß und sehe. Erst nach diesen Vorentscheidungen, die blitzschnell und im Mikrobereich gewählt werden, stellt sich die Frage nach den im Bezug auf Zeit umfänglicheren Methoden. Hier kann man die Typen diagnose-, prozess-, inhalts- und ressourcenorientierte Methode unterscheiden. Bei der Wahl einer Prozessmethode wird der Ablauf strukturiert bzw. ein Prozess in Gang gesetzt. Wenn ich eine inhaltliche Methode wähle, ist es sicherlich leichter, Inhalte aufzubereiten, und sollte man sich für eine Ressourcenmethode entscheiden, geht es darum, die Fähigkeiten des Coachingpartners zu entdecken. Die im Anschluss daran gewählten Methoden lassen sich in viele verschiedene Formen einteilen, zum Beispiel nach Theoriehintergrund, Art der Arbeit (symbolisch-kreativ/verbal) und mehr. In → Kapitel 3.2 haben wir hierzu die kulturreflexiven Methodenansätze vorgestellt.
Allgemeine und spezielle Hindernisse im kulturreflexivenCoaching Wenn man Methodenbücher oder Coachingtheorien anschaut, so kann man bisweilen den Eindruck gewinnen, dass es stets gut fokussierte Ziele, runde Methoden und klare Prozesse mit reibungslosen Abläufen gibt. Die Realität im Coaching ist häufig eine andere. »Hürden« verschiedener Art erschweren das Vorankommen. Jede Art von Hindernissen müsste breiter ausgeführt und mit Fallbeispiele beschrieben werden, doch seien sie hier nur kurz angerissen, um den interkulturellen Hürden mehr Raum zu geben. Hindernisse können auf Seiten des Coachingpartners, des Coachs oder aus Störungen des Umfelds stammen. – Leicht ins Auge fallen Anforderungen von außen, welche den Coachingpartner oder den Prozess überfordern können. Gelegentlich kommt es zu ungeplanten längeren Unterbrechungen durch äußere Umstände, die nicht vereinbart, im Blick oder bekannt waren, sowie äußere bewegende ungeplante Veränderungen aller Art aus dem familiären (Trennung, Scheidung, Trauerfall, Unfall) oder organisatorischen Kontext (Change Prozesse, Reorganisationen, neue Projekte, Stellenwechsel). – Auf Seiten des Coachs könnte neben Kompetenzgrenzen eine eigene Betroffenheit oder Involviertheit bzw. Parteilichkeit, Sympathie oder Antipathie hinderlich wirken. Einige »Selbstfallen« von Coachs (»gut« oder was auch immer sein wollen, zu schnell interpretieren, das Ziel aus dem Auge verlieren, die Beraterfalle oder eine Problemtrance) führen zur mangelnder Klarheit bei der Prozesssteuerung. Vielleicht passt aber auch das Rollenangebot, die Präferenz bei der persönlichen Temposteuerung oder der Stil nicht auf den Coachingpartner und der Prozess kommt deshalb ins Stocken. – Möglicherweise treten beim Coachingpartner situative Veränderungsgrenzen ein. In ihm kann sich ein innerer Druck aufbauen und blockierend wir-
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ken und auch bei kompetentester Prozesssteuerung können verschiedene Formen des »Widerstands« entstehen (vgl. → Kapitel 4.3 zu den Übertragungsprozessen). Andere Möglichkeiten des Nichtvorankommens sind, dass das eigentliche Problem nicht erkannt wird oder der Fokus sich unbemerkt verschoben hat. – Weitere Hindernisse in der Zusammenarbeit können Psychodynamiken sein (wie z. B. Projektionen, Gegenübertragungen), und besonders schwierig wird das Vorankommen, wenn Parallelprozesse nicht erkannt werden und Muster beider Coachingpartner im Coaching wiederholt werden. Ein solches systematisches nicht erkanntes Ineinandergreifen von Übertragungsphänomenen zwischen den Coachingpartnern erschwert oder blockiert den Prozess der Lösungsfindung. Das Fallbeispiel Lutz Konrad zeigt dieses zunächst unbewusste Zusammenspiel und die Möglichkeit einer Bearbeitung. Fallbeispiel: Lutz Konrad Ein circa 30-jähriger Klient stand vor einer größeren Lebensumstellung, die er durch das Coaching begleiten und unterstützen ließ. Er bereitete sich nach einer stressigen Angestelltenzeit auf die Selbständigkeit vor und wollte im Zuge der Reorganisation auch einige seit der Studienzeit verloren gegangene gute Gewohnheiten (wie z. B. Sport treiben) wieder reaktivieren. Zu Beginn der einzelnen Sitzungen brachte er in seinem Coachingprozess und im Rahmen seiner Ziele stets so viele Fragen, Themen und Anliegen ein, dass neben der Zielsetzung für die Sitzung immer eine Priorisierung verhandelt wurde. Zunächst fiel es dem Coach kaum auf, dass er rasch Vorgehensvorschläge machte und die Sitzungen strukturierte, zumal das eine der Aufgaben des Coachs ist. Der Coachingpartner verhandelte dialogisch, stimmte jeweils zu und die Arbeit schien zunächst zu funktionieren. Allerdings fiel dem Coach nach der zweiten Sitzung und vor allem durch ein inneres Unbehagen das Treten auf der Stelle auf, ohne dass er die Ursache hätte benennen können. Erst eine Intervision brachte ans Licht, dass das Auswählen unter drei Vorgehensvorschlägen diesem Coachingpartner nicht genügend Raum für Eigenantrieb ließ und das Tempo zu drosseln war. Hier traf der unbewusste Leistungswille des Coachs, in jeder Sitzung ein Ziel zu erreichen oder einen Fortschritt zu unterstützen, mit der fehlenden Selbstverantwortung des Coachingpartners aufeinander. Bei vielen Coachingpartnern ist dieses Vorgehen zeitsparend und unproblematisch, in diesem Fall hatte der Coach unbewusst einen Auftrag angenommen, den es zur Förderung des Klienten zurückzugeben galt. Die Intervention in der darauffolgenden Sitzung war eine deutliche Zurückhaltung und ein präzises Achten darauf, quasi gezielt hinter diesem Coachingpartner herzugehen. »Was möchten Sie heute erreichen?«, hat der Coach den Klienten gefragt, und widerstand der Verführung, in Vorleistung zu gehen, wenn die Antwort nicht (gleich) deutlich oder überhaupt geäußert wurde, sondern eine zunächst zähe Verhandlung begann. Die
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gesamte Sitzung war daraufhin davon bestimmt, eine Zielvereinbarung für diese Sitzung zu finden bzw. diese vollständig und eigenständig durch den Coachingpartner definieren zu lassen. Der Aushandlungsprozess um die Zieldefinition glich einem Pingpong-Spiel. Damit jedoch löste sich diese Verstrickung. Am Ende hatte der Coachingparter sich in einem Bereich, wenn auch nur geringfügig, aber vor allem selbstmotiviert bewegt, und der Coach sein breites Handlungsrepertoire zurückgewonnen, was die Zufriedenheit für beide Coachingpartner spürbar erhöhte.
Ausführlicher betrachten wollen wir die im interkulturellen Arbeiten und in der interkulturellen Kommunikation auftretenden Hindernisse. In der interkulturellen Interaktion im Coaching können Missverständnisse, Sprachschwierigkeiten und nicht erkannte oder fehlgedeutete kulturelle Ausdrucksformen den Prozess behindern. Das vorangegangene → Kapitel 4.4 zum Thema Sprache(n) im Coaching hat einige davon benannt und auch die erwartbaren Zeitverzögerungen bzw. die notwendige Entschleunigung zur Verständnissicherung aufgeführt. Aus der Erfahrung verschiedener Berater werden neben diesen Sprachproblemen und stilistischen Unterschieden häufig Kulturdifferenzen sowie Wertekonflikte (z. B. in der Rollenkonstellation) genannt. Je nach kulturellem und subjektivem Beziehungs- sowie Kommunikationsstil und der Rollenverteilung der beteiligten Coachingpartner können sich die Dimensionen, Längen und Reihenfolgen der Phasen verändern, und der Coach benötigt entsprechende Flexibilität. Auch diese Phasen könnten jeweils ausführlicher beschrieben werden, mit einer reflektierten Gesprächsführung kann man viele dieser Hindernisse jedoch antizipieren. Hervorheben wollen wir die häufig auftretenden und stärker psychodynamisch wirkenden interkulturellen Lernhürden. Diese lassen sich wie folgt einteilen (vgl. dazu Nazarkiewicz, 2010a, 2010b): Die erste Hürde, mit der im kulturbezogenen Coachinggespräch zu rechnen ist, ist der alltagsweltliche und verkürzte Kulturbegriff (natürlicher Essenzialismus). Wir kommen kaum umhin, ihn zu vermeiden, wir sprechen von Italienern oder Kroaten und stellen damit eine Kongruenz zwischen Kultur, Nation, Sprache und Ethnie her. Wir sagen »Menschen mit einer Behinderung« oder »besonderen körperlichen Merkmalen« und fassen diese in ein Kollektiv zusammen, bei dem der Zusammenhalt über eine gemeinsame Kultur mehr als fraglich ist. Hinzu kommt, dass das Alltagsbewusstsein diese Wirklichkeitskonstruktion schwer in Frage stellen kann, sie ist die Basis unserer – daher stammt der Begriff – »natürlichen Weltanschauung« und ermöglicht uns Interpretationen und Deutungen, führt aber auch zu kulturgebundenen Bewertungen und Missverständnissen. Wenn man den Umgang damit in interkulturellen Trainings betrachtet, und das Coaching kann ein Einzeltraining sein, so ist vor aller inhaltlichen »Aufklärung« zunächst einmal die Perspektive zu reflektieren. Als Coach kann man darauf achten, aus welchem Blickwinkel heraus die Coachingpartner die Welt konstruieren. Welche Kollektive werden gebildet, zu welchem zähle ich mich usw.?
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Die zweite Lernhürde besteht in einem natürlichen, politisch korrekt verpackten Ethnozentrismus, der sich aber auch recht unverblümt äußern kann. Die meisten Mitglieder eines Kollektivs erleben bei allen Differenzen, die sie mit einzelnen Aspekten dieser Gemeinschaft haben mögen, ein durch die Zugehörigkeit gestärktes Selbstverständnis. Die Werte dieses Kollektivs sind positiv besetzt, wenn es sich um eine »Landeskultur« handelt, erlebt man die eigene Kultur als fortgeschritten(er) in der Entwicklung und einzelne Aspekte anderer Kulturen als unzivilisiert, barbarisch oder zurückgeblieben, gleich aus welcher kulturellen Perspektive geschaut wird. So werden – bei aller Aufgeschlossenheit und Neugier – die eigenen Wertmaßstäbe tendenziell verteidigt, denn sie geben uns einen Standpunkt, eine Identität im Diskurs. Insbesondere bei der Konfrontation mit stärker abweichenden Werten und Verhaltensweisen droht Werte- und Identitätsverlust. Ein Beispiel dafür sei hier mit dem Fall von Katharina Fassbänder geschildert. Fallbeispiel: Dr. Katharina Fassbänder Eine Coachingpartnerin, die nach Indonesien entsendet wurde, erhielt vor ihrer Abreise ein Interkulturelles Coaching zur kulturspezifischen Vorbereitung. Sie war zu einem Look-and-See-Trip vor Ort gewesen und sollte im Anschluss für zwei Jahre in Jakarta leben und arbeiten. Angedacht war für den Tag, in Abstimmung mit ihren aktuellen Zielen, eine Übersicht über die kulturellen Herausforderungen in ihrem spezifischen Aufgabengebiet zu besprechen, einen Input zu erhalten über erwartbare und für sie relevante Kulturdifferenzen und – je nach Zeit – Aspekte der mündlichen und schriftlichen interkulturellen Kommunikation zu thematisieren. In dieser Form waren diese und ähnliche Entsendungsvorbereitungen im Coachingformat bislang erfolgreich zu verschiedenen Kulturkreisen und Zielen erfolgt. Die Klientin allerdings kam – sichtlich mit glühendem Zorn aufgeladen – zum Termin. Das Chaos in Indonesien sei unbeschreiblich, ihren zukünftigen Mitarbeitern würde sie nicht vertrauen, sie hätten versucht, sie zu »linken« und ihr eine Wohnung »aufzuschwätzen«, die sie nicht wollte, und überhaupt sei das Verhalten der Kollegen vor Ort völlig undurchsichtig. Zu Beginn des Coachings entlud sich eine Tirade an Unterstellungen, Bewertungen und Stereotypen, über deren Gründe es nur Spekulationen geben konnte. Abgesehen davon, dass dieser vor einer Entsendung eher seltene kulturbezogene Widerstand die gemeinsam zuvor vereinbarten Inhalte und Ziele sofort obsolet werden ließ, stellte sich die Frage nach der Phasengestaltung. Jeglicher Wissensinput, eine »Aufklärung«, aber auch die Frage nach den Gründen für ihre heftige emotionale Reaktion verboten sich in der gegebenen Konstellation von selbst, der Widerstand war höher und der Auftrag ein anderer. Geholfen haben in diesem Fall Kenntnisse hilfreicher Interventionen und die daraus abgeleiteten Strategien, um mit Entrüstung und Moralisierungen umzugehen. Sie brauchte zunächst einmal Raum und Solidarität, ohne dass die Urteile dabei inhaltlich bestätigt würden. Getreu dem psychologischen Motto,
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immer mit dem Widerstand zu gehen, hat der Coach zunächst einmal empathisch nachgefragt, was sie denn besonders bewegt. Da Stereotypisierungen auf interaktive Abstimmung angelegt sind, versuchte die Klientin immer wieder, den Coach zu Bestätigungen zu bewegen, und jegliches Wissen, das sie bereits hatte, wurde zur Unterfütterung ihrer Urteile verwandt. Bevor weitere Coachinganliegen oder Ziele bearbeitet werden konnten, mussten zunächst diese Lern- und Entwicklungshürden überwunden werden. Dies gelang erst nach verschiedenen Interventionen und nahm zwei Drittel des Tages in Anspruch.
Eine Ausdrucksform dieses natürlichen Ethnozentrismus sind Stereotypisierungen. Damit sind nicht nur abwertende Urteile gemeint, sondern vor allem interaktiv reproduzierte und inszenierte moralische Bewertungen über Menschengruppen (vgl. dazu Nazarkiewicz, 1997). Sie animieren die Gesprächsteilnehmer über Bewertungsangebote, emotionale Beteiligung und Geschichten sowie Belege, die Beurteilung zu teilen. Erforscht ist, dass Erklärungen oder das Sich-Heraushalten aus dem Gespräch nicht hilfreich ist (Nazarkiewicz, 2010b). Stattdessen ist wie bei jedem Widerstand eine Solidarisierung notwendig, damit die Beziehung und der Austausch erhalten bleibt. Allgemein kann man bei Stereotypisierungen in der Gesprächsführung folgende Aspekte beachten (vgl. zu den Strategien auch Nazarkiewicz, 2010a) (Tabelle 21): Tabelle 21: Strategien um Umgang mit Stereotypen im Coaching (nach Nazarkiewicz, 2010a)
– nicht versuchen, Bewertungen zu vermeiden (was immer wieder geraten wird), das führt zu politisch korrekter Rede, aber nicht zu kulturreflexivem Lernen – Stereotypen weder vertagen noch ungebremst zulassen – Hintergründe zu einem geeigneten Zeitpunkt erklären (nicht, wenn die Emotion im Vordergrund steht) – mit dem Widerstand gehen (Solidarisierung auf der Beziehungsebene, Distanz auf der Sachebene) – Eine moderierende, erkundende Haltung einnehmen (offene Fragen stellen, Empathie für das Gefühl des Coachingpartners zeigen, ohne das Urteil zu bestätigen) – wenn sie nicht von allein auftauchen, Stereotypen auch ansprechen oder elizitieren, in Vorleistung gehen (als Zitat), dass man so fühlen oder denken könne – kulturreflexiv intervenieren
Die dritte Hürde besteht aus einer Konstruktion quasi naturwüchsiger (Kultur-) Differenzen, Rassenkonstruktionen und Feindbildern. Bei diesen Formen von Unterscheidungen entlang vermeintlich abstammungsbedingter Eigenschaften wird eine Naturalisierung konstruiert und die Differenz als unüberwindbar dargestellt (z. B. »axis of evil«). Meist handelt es sich um kollektive Lernblocka-
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den, die auf politische Diskurse zurückgehen. Sie drücken sich aus durch einen hochselektiven Filter, das Bewerten mit zweierlei Maß (Schwarz-Weiß-Denken, Gut-Böse-Kampf), die Überschätzung und Geschlossenheit der »anderen«, die zum Gegner stilisiert werden. Ziel ist die Bestätigung des eigenen (Feind-)Bildes, eine Relativierung wird abgewehrt. Ein Beispiel dafür ist die »KopftuchDebatte« (siehe dazu auch → Kapitel 4.2 zum Thema Kategorien und Hypothesen). Im Coaching taucht diese Hürde manchmal bei Personen auf, die sich sehr lange und wenig unterstützt im Ausland »durchschlagen« mussten und sich sozusagen weltbildbestätigende Überlebensstrategien gebildet haben. Sie wissen dann schon, wie man mit »den« Botsuanern, Thais, Muslimen etc. »umgehen« muss. Eine Auflösung dieser Blockaden im Rahmen eines Coachings ist nicht zu erwarten, hier benötigt man unserer Erfahrung nach bescheidene Ziele, um die Kooperation des Coachingpartners über den Prozess hinweg zu erhalten. Darauf wäre bei Kontraktschließung zu achten. Mögliche Strategien als Interventionen sind das Benennen und das Erschließen solcher Blockaden.
Fazit: Coaching wird fraktal gesteuert Coaching ist eine kurzzeitige Intervention, die in mehreren Schüben Entwicklungsimpulse mit dem Coachingpartner freisetzt. Es gibt Debatten darüber, ob ein eintägiges Coaching überhaupt so genannt werden kann, und man kann sich fragen, ob ein Chef ein »5-Minuten-Coaching« mit seinem Mitarbeiter machen kann (Meier u. Szabó, 2007). Hier wollen wir darüber kein Urteil fällen, in jedem Fall ist die zur Verfügung stehende Zeit eine zentrale Komponente für die Prozesssteuerung. Sie und die Rahmenbedingungen bestimmen, wie die Dimensionen ineinanderwirken. Spricht man von Phasen im Coaching, so ist damit kein linearer Ablauf gemeint, sondern unseres Erachtens wirken mindestens die sieben benannten verschiedenen Aktivitäten zusammen. Letztlich betreiben wir bei der Prozesssteuerung ein fraktales Zeitmanagement im Coaching. Fraktale sind regelmäßig und unregelmäßig zugleich, die Koch’sche Schneeflocke ist hier nur eine leicht abbildbare Metapher, andere wären ebenfalls möglich gewesen, uns geht es um den Grundgedanken. Er gilt nicht nur für das kulturreflexive Coaching, doch hier besonders, da es sich noch weniger als andere Coachings in ein Schema pressen lässt. Es ist nicht störanfälliger, auch wenn das für die interkulturelle Kommunikation gern behauptet wird, sondern erscheint komplexer – weil variationsreicher – und erfordert mehr Flexibilität, wenn man den vielen Faktoren Rechnung trägt. Als Coachs richten wir uns von Anfang an darauf ein, ob wir eine Stunde, zehn Minuten oder einen halben Tag zur Verfügung haben, ob wir zwei Sitzungen oder zehn ausschöpfen können. Abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit passen wir die Ziele an (realistisch und »SMART« definiert) und wählen die Proportionen für die Phasengestaltung. Wir müssen den Metarahmen kontrollieren, also ein Bewusstsein über Prozesssteuerung und ein inne-
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Abbildung 39: Fraktales Prozess- und Zeitmanagement im kulturreflexiven Coaching
res Skript für den Ablauf haben, auftragsgemäß das Gespräch am Ziel orientiert steuern, Thementiefe und Assoziationsgrad des Coachingsparters wählen, wir entscheiden uns für bestimmte Methoden und wählen die Perspektive und den Fokus. Zwischenkontrakte mit dem Coachingpartner sorgen dafür, dass die zielgerichtete Aufmerksamkeit erhalten bleibt und sich der Prozess innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen wie Zeit etc. dem Coachingpartner und seinem Anliegen widmet. Bei Zeitdruck empfiehlt sich eine Fokussierung auf Umgebung und Verhalten, damit der Coachingpartner nicht selber unter Druck gerät. Folgende Strategien unterstützen die fraktale Phasensteuerung und das Zeitmanagement im Coaching (Tabelle 22): Tabelle 22: Tool – Metarahmen-Fragestellungen für den Coach zur fraktalen Phasensteuerung
– Was ist mein inneres Skript? Ö Kennen und gegebenenfalls mit dem Klienten abstimmen – Was ist der Auftrag? Ö Erfragen und benennen – Worin könnte ein subjektiver Fortschritt erlebt werden? Ö Ausloten – Wie viel Zeit steht uns zur Verfügung? Ö Thematisieren – Welches Ziel ist in der Zeit erreichbar? Ö Prüfen und absprechen
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– Was war der (ursprüngliche) Auftrag? Ö Erinnern und gegebenenfalls ansprechen oder modifizieren – Was ist der Rahmen des Gesprächs? Ö Bedenken und ansprechen – Was drängt in den Vordergrund und will gelöst werden? Ö Fokussieren – Was führt weiter? Ö Coachen, Beraten oder etwas anderes? – Welches »Material« kann ich mit welcher Methode im Rahmen der Gegebenheiten bearbeiten? Ö Generieren – Wie ist der Assoziierungsgrad des Coachingpartners Ö Gemeinsam mit ihm anpassen – Wie ist das Energieniveau des Coachingpartners? Ö Im Auge behalten und gemeinsam optimieren (Coachingpartner nicht unter- oder überfordern) – Welche Hindernisse tauchen auf? Ö Interventionstechniken nutzen – Zwischenkontrakte Ö Wo stehen wir? – Was gelingt schon? Ö Ressourcen ansprechen – Worin sind wir weiter gekommen? Ö Lösungsschritt formulieren lassen – Was kann umgesetzt werden? Ö Transfer vereinbaren
4.6 Den Körper als Unterstützung nutzen Obwohl der Begriff des Coachings seine Karriere im Sport begann, ist der Körperbezug nicht selbstverständlich. Es ist eher die Ausnahme, den Körper systematisch in Coachingprozesse einzubeziehen. So enthält von den im → Kapitel 3.5 vorgestellten Designs für Interkulturelles Coaching nur ein einziger Ansatz einen Körperbezug, obwohl sich viele körperorientierte Methoden für das kulturreflexive Coaching eignen (vgl. → Kapitel 3.4). Dass der Körper wenig berücksichtigt wird, ist wiederum nicht verwunderlich, charakterisieren doch die meisten Definitionen Coaching, entsprechend der Kurzformel von Greif (2008), als »ergebnisorientierte Selbstreflexion«. Es scheint, als sei die Entwicklungsarbeit im Coaching auf mentale Prozesse, auf Kognition und Reflexion beschränkt, gegebenenfalls noch ergänzt um Verhaltensaspekte sowie manchmal Emotionen, so als nähmen die Coachingpartner nur mit ihrem Bewusstsein und mit ihren Gedanken am Coachingprozess teil, ohne auch körperlich anwesend zu sein. Da Coaching eine lösungsorientierte Kurzzeitbegleitung darstellt, besteht in der Tat das Ziel nicht darin, in tiefere persönliche Prozesse und Ursachenforschung durch Körperarbeit einzusteigen. Dennoch kann der Körper und können körperorientierte Methoden gerade im kulturreflexiven Coaching gut genutzt werden. Im Zusammenhang mit den Grundbegriffen (→ Kapitel 3.1.4) argumentieren wir, dass der Körper kulturelles Konstrukt und univer-
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selle Basis zugleich ist und insofern als Bezugssystem im Prozess eine hilfreiche Ressource darstellt. Seine Reaktionen und Signale können Hinweise auf verkörperte gesellschaftliche Strukturen und Anforderungen geben, sie enthalten Muster oder auch Symptome auf der Basis biografischer Erfahrungen. Der Körper unterstützt bei differenzierter Wahrnehmung die Coachingpartner, ihren ureigenen Weg zu finden und diesen nachhaltig zu verankern. In diesem Kapitel wollen wir eine Systematik einführen, wie auf der Basis der vorhandenen Therapieansätze und Methoden hilfreiche körperorientierte Coachinginterventionen gesetzt werden können. Dazu geben wir einen Überblick über vier körperbezogene Vorgehensweisen im Coaching, die sich in ihrer Intensität unterscheiden. Alle Richtungen der Körperpsychotherapie (Johanson, 2006), auf die im Coaching zurückgegriffen wird, nutzen das Bewusstmachen des unbewussten körperlichen Ausdrucksverhaltens. Insbesondere Mimik und Gestik werden als mögliche Zugänge hervorgehoben, um die Bedeutung nonverbaler Manifestationen für den Klienten zu erschließen. Auch in den meisten psychotherapeutischen Schulen wird das körperliche Ausdrucksverhalten verbal reflektiert und dadurch in den therapeutischen Prozess einbezogen. Allerdings geht es bei der Einbeziehung des Körpers um das, was den Menschen in seinem Inneren bewegt, nicht nur um Spannung und Entspannung oder um das Ausbalancieren körperlicher Funktionen. Genau das unterscheidet die »Körper-Psychotherapie« von »körpertherapeutischen« Methoden wie Eutonie oder Feldenkrais (Seifert, 1993). Gleich welche Methode man wählt, ob Aufstellungsarbeit, Psychodrama oder Feldenkrais (vgl. → Kapitel 3.4 zu den körperorientierten Methoden), man kann jeweils verschiedene Intensitäten und Tiefungsebenen erreichen. Daher haben wir die folgende Übersicht über Möglichkeiten, im Coaching mit dem Körper zu arbeiten, anhand von vier Dimensionen ausdifferenziert: – Selbstwahrnehmung fördern, – Selbsterfahrung anleiten, – phänomenologisch Veränderungsprozesse anregen und – konflikt- und abwehrorientiert arbeiten. In der Praxis sind die Übergänge zwischen diesen verschiedenen Dimensionen natürlich fließend. Dennoch ist diese Differenzierung hilfreich, weil man damit die psychologische Interventionstiefe steuern kann. Die ersten beiden Körperbezüge können problemlos von jedem Coach genutzt werden. Die letzten beiden Dimensionen benötigen für einen verantwortungsvollen Umgang damit jedoch eine fundierte analytische psychologische Grundlage und Kenntnisse über phänomenologische Verfahren sowie den Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung, auch auf der körperlichen Ebene. Daneben kann jeder Coach den Körper im kulturreflexiven Prozess berücksichtigen, was wir auch empfehlen möchten. Daher schließt das Kapitel mit einem ausführlichen, am Coachingprozess orientierten Leitfaden, der nach Coach und Coachingpartner
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ausdifferenziert und Hinweise gibt, worauf man beim Coaching achten, und wie man den Körper systematisch einbeziehen kann.
Selbstwahrnehmung fördern Bei der Förderung der Selbstwahrnehmung geht es generell um die Achtsamkeit für den eigenen Körper und um das Spüren des eigenen Körpers. Alle körper(psycho)therapeutischen Verfahren, Religionen und viele philosophische Schulen arbeiten auf dieser Grundlage. Daher ist diese Übung prädestiniert für die transkulturelle Arbeit. Ziel ist die Förderung der sensorisch-sinnlichen Wahrnehmung zum Spüren der persönlichen Identität(en) in der körperlichen Wirklichkeit (z. B. gezieltes Gewahrwerden der Atmung, minimaler Bewegungsimpulse etc.). Eine der Methoden, die sich hiermit beschäftigen, ist zum Beispiel Hakomi. Die von dem US-Amerikaner Ron Kurtz entwickelte Hakomi-Methode vereint in sich Einflüsse und Elemente aus der Bioenergetik, der Gestalttherapie und der Feldenkrais-Methode. Kurtz kombiniert Prinzipien der westlichen Therapieschulen mit östlicher Philosophie und körperzentrierten Techniken. Benannt wurde dieses Methode nach einer Frage aus der Hopi-Indianersprache: »Wer bist du?« (Hakomi). Der Coachingpartner übt unter Anleitung des Coachs, sich selbst zu beobachten, ohne sich zu beurteilen. Ziel ist es, Zusammenhänge und Alternativen – auch körperlich – zu entdecken und zu erleben. Hakomi folgt den Prinzipien der Gewaltfreiheit, der Einheit von Körper und Geist, der Selbstorganisation und der inneren Achtsamkeit. Die innere Achtsamkeit als eine ursprünglich aus dem Buddhismus kommende Form der Selbstwahrnehmung ist ein Zustand der intensiven, nach innen gerichteten Aufmerksamkeit. Das Wahrgenommene wird mit einer offenen, neugierigen, wertschätzenden Haltung registriert, ohne es verändern oder bewerten zu wollen. Ausgehend vom Ziel des Coachings oder der Sitzung und basierend auf einer experimentellen Vorgehensweise entdeckt der Coachingpartner, angeleitet und begleitet durch Fragen und punktuelle Impulse des Coachs, seine innere Landkarte. Dabei werden Bedeutungsgebungen hinterfragt und im Anschluss mögliche Veränderungen durch Körperbewegungen angeregt. Bei einer Coachingpartnerin, die hohes Lampenfieber vor Präsentationen hatte, insbesondere wenn sie diese in einer Fremdsprache halten musste, stellten wir uns die Präsentationssituation vor. Wie fühlt sich der Körper an, was spürt sie von ihm? Welche inneren Bilder hat sie vor Augen und welche Gedanken gehen in ihr vor? Die Coachingpartnerin spürte ihr Herz laut klopfen und ein Schleier legte sich vor ihre Augen, der wie in einem Nebel alle Gesichter verschwimmen und verschwinden ließ. Je verschwommener die Gesichter wurden, desto stärker schlug ihr Herz. Nun experimentierten wir mit verschiedenen Möglichkeiten, was den heftigen Herzschlag, den sie als unangenehm erlebte, beruhigen könnte, und sie entschloss sich, in die Gruppe der Zuschauer (imaginär) eine Freundin zu setzen, sodass sie sich im Nebel der Gesichter immer das wohlwollende Nicken
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dieser Freundin vorstellen konnte. Zunehmend verschwand der Nebel und sie wurde ruhiger, der Körper entspannte sich. Diese Wirkung verstärkte sich noch dadurch, dass die Coachingpartnerin auf ihre Fußsohlen achtete und sie fest auf den Boden stellte, da wir vorher festgestellt hatten, dass sie quasi mit den Füßen abhob, während sie im Vortrag stand. Da die Hakomi-Methode es ablehnt, mit Erwartungen an eine »richtige« Körperhaltung zu arbeiten, ist sie in besonderem Maße für die transkulturelle Arbeit geeignet. So wird kein »adäquates Verhalten« angeregt, sondern es geht ausschließlich darum, den eigenen Zeichen zu folgen, zu experimentieren, sowie um das erlebnishafte Verstehen und Durcharbeiten der eigenen Person.
Selbsterfahrung anleiten Selbstexploration und das Kennenlernen und Erleben der eigenen Fähigkeiten und Grenzen stehen bei diesen Übungen im Mittelpunkt. Gleichzeitig dient die Anleitung zur Selbsterfahrung der Stimulation der Selbstregulation (z. B. in Form von Übungen zu den verschiedenen Körperfunktionen). Vor allem Methoden aus der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) oder der Funktionellen Entspannung (FE) sind hier sinnvoll. Hilfsmittel wie Bälle, Seile oder Kissen können genutzt werden, um die Erfahrung des eigenen Körpers anzuregen. Bei der Funktionellen Entspannung (Fuchs, 1997) geht es in erster Linie um die bewusste Wahrnehmung des Atems. Diese Selbsterfahrung zielt darauf ab, Spannungen beim Ausatmen zu lösen und die Körperfunktion des Atmens zu reorganisieren. Im Unterschied zur reinen Selbstwahrnehmung werden hierbei durch das Ausführen und Verfolgen eigener Bewegungen und das Ausprobieren neuer Bewegungsabfolgen der Körper und seine Abläufe und speziell deren willkürliche Kontrolle erfahren. Auf dieser Ebene können auch die Methoden Feldenkrais oder Tai Chi (→ Kapitel 3.4 zu körperorientierten Methoden) genutzt werden. Auch in der Konzentrativen Bewegungstherapie (Schmidt, 2006) gibt es kein »richtig« und »falsch«. Orientiert an diesem schlichten und gleichzeitig anspruchsvollen Grundsatz versucht die KBT, leib-seelische Zusammenhänge nicht über Symptome oder Krankheiten, sondern durch aufmerksame Zuwendung zum eigenen Körper erfahrbar zu machen. Dem Begründer Helmut Stolze ging es nicht um das zielorientierte Üben von regelhaften Abläufen, sondern um »Fitness« im Sinne des Spürens der eigenen inneren Aktivitäten. Wahrnehmung und Bewegung als Grundlage des Handelns, Fühlens und Denkens werden genutzt, um Erinnerungen an biografische Ereignisse und Faktoren Einflüsse zu reaktivieren, die den Körper(ausdruck) im Laufe des Lebens geformt haben. Die Anleitung zur Selbstwahrnehmung kann direkt die Körperprozesse fokussieren, aber auch den Umgang mit Objekten – zum Beispiel das Handhaben von Tüchern, Steinen oder Stäben – oder den Umgang mit Menschen. Die Arbeit mit Objekten kann hilfreich sein für Personen, die oft »im Kopf sind« bzw. denen es schwer fällt, aus Gedankenkreisläufen herauszufinden. Indem
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die betreffende Person beispielsweise unter ihrer Fußsohle einen Gummiball, Flummi oder Ähnliches hin- und herrollt, macht sie die sinnliche Erfahrungen und erlebt, wann was bei welcher Bewegung wohl- oder wehtut. Nach Beendigung der Übung wird erfragt, wie sich ihre Gedanken im Verlaufe der Übung verändert haben. Diese Kombination aus Erfahrung und deren anschließender Reflexion stützt sich auf Erklärungsmodelle aus der Lern-, Entwicklungs- und Tiefenpsychologie. Dabei sensibilisiert die konzentrierte und bewusste Beobachtung im Rahmen der KBT-Übungen für alle Sinne sowie für die Selbst- und Fremdwahrnehmung. So können in der nachfolgenden Reflexion Motivationen, Verhaltens- und Erlebensweisen bearbeitet werden. Die Wirkung der Bewegungen lässt sich auch metaphorisch zum Ausdruck bringen: Der Klient bewegt sich, ist bewegt und ist auf dem Weg. Ein Klient, der sich auf eine internationale Führungsposition beworben hatte, wurde zum Beispiel gebeten, den Raum im wörtlichen Sinne zu »besetzen«, indem er sich einen Platz aussucht und sich dort hinsetzt. Danach wurde er aufgefordert, den Platz nach seinen eigenen Bedürfnissen einzurichten. Bei der Wahl des Platzes, beim Hinsetzen und Einrichten wurde der Coachingpartner immer wieder gefragt, welche Emotionen, Bilder, Körperempfindungen auftauchen und wie sie sich verändern. Zum Einsatz kommen in solchen Fällen unter anderem Fragen zum sensorischen Erleben, wie zum Beispiel »Wo spüren Sie etwas?«, »Was spüren Sie?«, »Wie fühlt sich diese Empfindung an?«. Als Prozessunterstützung dienen auch Fragen zu Emotionen und Affekten, beispielsweise »Wie erleben Sie sich selbst?«, »Woher kennen Sie das Gefühl?«. Im Rahmen der Übung konnte der Coach beispielsweise beobachten, dass der Coachingpartner zögerte, sich einen Platz einzurichten, da er »nicht viel Platz einnehmen möchte«. Der Coach kann dann den Coachingpartner anleiten (sofern das zielkonform ist), wie er den eigenen Platz erweitern kann, er kann wiederum fragen, welche Assoziationen dabei aufkommen, und beide können gemeinsam im anschließenden Gespräch den Transfer für das aktuelle Ziel herstellen. Bei der Anleitung von Selbsterfahrungen hat sich folgende Struktur bewährt (Tabelle 23): Tabelle 23: Tool – Anleitung zur körperlichen Selbsterfahrung
1. Empfinden und Wahrnehmen »Was spüren Sie wo, und wie nehmen Sie es wahr?« »Ich spüre mein Knie, direkt den Muskel, er ist irgendwie angespannt.« Zunächst geht es um eine reine Beschreibung der Wahrnehmungen und Sinnesempfindungen. Die Fragen des Coachs lenken den Fokus auf die Körperwahrnehmung, der Coachingpartner muss noch nicht interpretieren oder analysieren, sondern er soll sich zunächst ganz allein auf die Selbsterfahrung konzentrieren.
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2. Betrachten und berichten »Welche Wirkungen hatte das Wahrgenommene, was hat sich (nicht) verändert?« Der Coachingpartner berichtet und der Coach nimmt zunächst nur auf, ohne einzugreifen. 3. Interpretieren und Deuten »Was bedeutet das für Sie und das Thema, um das es geht?« »Welche Bezüge sehen Sie?« Zuerst wird abgefragt, welche Bedeutungen der Coachingpartner seinen Wahrnehmungen und Beobachtungen zuordnet, und erst dann schlägt der Coach mögliche Interventionen und/oder körperliche Veränderungen vor und führt sie gegebenenfalls auch aus.
Phänomenologisch Veränderungsprozesse entwickeln Die Wahrnehmung innerer Prozesse und deren Weiterführung und Entfaltung durch spontane Umsetzung in Bewegungen hat zum Ziel, im Sinne der Exploration sowohl die eigenen Emotionen als auch den eigenen Körper als Medium für deren Ausdruck zu entdecken. Dazu nimmt man eine rezeptive, offene Haltung gegenüber den eigenen Erfahrungen ein, lässt alle sich daraus ergebenden Reaktionen und Bewegungsimpulse gewähren und nutzt sie für den Prozess. Hilfreiche Methoden und Techniken hierzu stammen aus der Bioenergetischen Analyse nach Lowen (1998) oder der Biodynamik nach Boyesen (1994). Beide betonen die Arbeit mit der Energie der Gefühle und ermutigen den Coachingpartner, seine Gefühle offen körperlich auszudrücken und damit deren »Ladung« zu spüren, um so Entspannung und Anspannung wahrzunehmen. Der Begriff der phänomenologischen Entwicklung von Veränderungsprozessen meint, dass man mit dem arbeitet, was »erscheint«, also sich unmittelbar zeigt. Im Unterschied zu den ersten beiden Dimensionen sollten diese Ereignisse hier nach Möglichkeit im Zusammenhang mit dem Anliegen stehen, welches der Klient im Coaching bearbeiten möchte. Die Anleitung zur körperlichen Selbsterfahrung kann auch in Form einer Transferaufgabe formuliert werden. Die Effektivität von körperorientierten Interventionen erlebten wir beispielsweise anhand einer Transferübung, die ein Klient in Form einer »Hausaufgabe« durchführte. Der Coachingpartner, gleichgeschlechtlich orientiert, klein und zierlich, war in Vorbereitung auf eine Führungsposition in Deutschland ins Coaching gekommen. Er setzte sich so in einen der vorhandenen Sessel im Coachingraum, dass er auf der Kante saß und weder die Seitenlehnen rechts und links noch die Rückenlehne berührte. In dieser Körperposition und -haltung, die den verfügbaren Raum auf dem Sessel nur minimal in Anspruch nahm, wirkte er – insbesondere mit Blick auf die hiesige Erwartung an eine männliche starke, selbstbewusste Führungskraft –,
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als würde er sich schon vor Gesprächsbeginn weitgehend zurücknehmen. Der Coach registrierte diese Selbstpräsentation, thematisierte sie jedoch zunächst noch nicht. Als sich außerdem im Verlauf der Kommunikation zeigte, dass die Fragen des Klienten weniger an eigenen Maßstäben ausgerichtet waren als an der Frage, »was er tun solle«, entschied sich der Coach zu folgender körperorientierten Intervention: Neben anderen Transferaufgaben erhielt der Klient die »Hausaufgabe«, sich als Fußgänger mehrmals ganz bewusst mitten auf einem Fahrradweg hinzustellen. Der Coachingpartner stutzte und meinte, dass er dann ja im Weg stünde. Daraufhin erklärte der Coach ihm, dass genau dies – das »Im-Weg-Stehen« – der Zweck sei, da es wichtig ist, als Führungskraft auch einmal »unbequem« sein zu können. Bei der Durchführung seiner Transferaufgabe machte der Klient – der nach eigenen Angaben die Übung extrem schwer fand – interessante Erfahrungen. Erwartungsgemäß reagierten manche Radfahrer mehr oder weniger empört, indem sie schimpften, klingelten und ihn so »verscheuchten« oder ihn auf die Regeln hinwiesen. Andere Radfahrer warnten ihn freundlich mit »Achtung«, auf dass er nicht verletzt würde, wieder andere bremsten und ließen ihn vorbeigehen. Der weitaus größte Teil der Radfahrer umfuhr ihn wort-, aber auch kritiklos. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Transferübung ließen sich auf vielen Ebenen auf den Führungsalltag übertragen und intensiv auswerten. In Bezug auf das Körperverhalten des Coachingpartners ist interessant zu erwähnen, dass dieser bei der Auswertung in der Folgesitzung entspannt angelehnt im Coachingsessel saß und sowohl körperlich als auch zunehmend inhaltlich Position beziehend den ihm und seiner zukünftigen Rolle erforderlichen Raum einnahm.
Konflikt- und abwehrorientiert arbeiten Verdrängte Affekte zum Vorschein zu bringen und den in der Körperabwehr festgehaltenen Gefühlen zum Ausdruck zu verhelfen, ist das Ziel der analytisch körperorientierten Arbeit, in der vor allem die Methoden aus der Bioenergetischen Analyse eingesetzt werden. Der Klient wird dabei unterstützt, eigene Festhaltemuster und Blockaden zu verstehen, und er lernt, sie zu modulieren. Auch beim Aufgreifen arretierter Reifungsprozesse oder abgebrochener Entwicklungsvorgänge wird die körperliche Ebene der Übertragung und Gegenübertragung genutzt. Ein Klient ballte beispielsweise beim Berichten eines Problems seine Faust und redete nach Luft ringend und abgehackt. Als der Coach intervenierte, indem er nach der möglichen Bedeutung dieser Geste fragte, antwortete der Coachingpartner: »Das habe ich weder gemerkt noch gespürt.« Offenkundig hatte der Coachingpartner in diesem Moment weder auf der Empfindungs- noch auf der Gefühlsebene Kontakt zu sich selbst. Was körperlich zum Ausdruck gebracht wird, ist meist die Verkörperung einer in die Situation übertragenen Beziehung. Diese nicht bewussten Übertragungsphänomene können sich vielfältig ausdrücken. Oft nehmen die Coachs oder Berater in der Gegenübertragung die mit der
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körperlichen Manifestation (z. B. mit der geballten Faust) verbundenen und für den Klienten nicht zugänglichen Gefühle auch körperlich wahr. Wie wir schon → Kapitel 4.3 zur kultursensiblen Beziehungsgestaltung argumentierten, kann man nicht nicht übertragen. Darauf aufbauend sind auch die körperlichen Übertragungsphänomene für den Prozess nutzbar. In der konflikt- und abwehrorientierten Arbeit geht es darum, alte oder verschüttete Gefühle aus der Kindheit, die der Klient zum Beispiel gegenüber seinen Eltern empfand, zuzulassen oder in Verbindung mit einem aktuellen Anlass aufzugreifen. Wenn ein Coach, der sich auf diesem Gebiet sicher fühlt und entsprechende Ausbildungen hat, gemeinsam mit seinem Coachingpartner ein Gefühl aus dessen Kindheit aufgreift und im Coaching thematisiert, so ist daraus noch keinesfalls zu schließen, dass hier die Grenze zur Therapie überschritten ist. Diese Arbeit mit dem »Material des Körperausdrucks« dient in der heutigen Zeit mit ihren komplexen, sich ändernden Bezügen der Stärkung der eigenen Identität. Sie arbeitet mit direkten Identitätsbezügen und impliziert die Auseinandersetzung mit vielfältigen Beziehungen auf der körperlichen und geistigen Ebene. Fallbeispiel: Gertrud Müller Gertrud Müller, eine 48-jährige Sachbearbeiterin, hatte den Eindruck, dass sie von ihrem Kollegen – einem Mann ungefähr in ihrem Alter und auf derselben Hierarchiestufe – gemobbt wurde, und sie suchte im Coaching Hilfe. Das herausgearbeitete Ziel war es, dass die Coachingpartnerin diesem Kollegen nicht mehr nachgibt, sondern bei ihrer eigenen Position bleibt und sich klarer abgrenzt. Die Coachingpartnerin neigte nach ihrer eigenen Einschätzung ohnehin dazu, sich von den Meinungen anderer – insbesondere von Männern – bzw. von der Atmosphäre im Raum abhängig zu machen. Nach sechs Coachingstunden hatte sie neue Verhaltensmöglichkeiten gefunden und konnte ihre eigene Meinung immer standhafter vertreten. Das Coaching schien erfolgreich abgeschlossen zu sein – wenn da nicht die Frage der Nachhaltigkeit gewesen wäre. Damit die Coachingpartnerin dauerhaft ein Gefühl für ihre eigene Position und damit auch für ihre eigenen Stärken entwickeln konnte, schlug ich ihr vor, zum Abschluss ihre Stärken aufzuschreiben, damit sie sich diese stets vergegenwärtigen konnte. Die Coachingpartnerin ruckelte im Sessel hin und her, und als ich sie nach diesem körperlichen Signal fragte, sagte sie, dass ihr das Aufzählen ihrer Stärken sehr unangenehm sei. »Das bin ich nicht gewohnt«, meinte sie. Zwar könne sie sicherlich die verschiedenen Eigenschaften reproduzieren, die laut ihren Freunde und Kollegen ihre Stärken ausmachen, aber sie habe nicht das Gefühl, dass dieser Text »aus ihr selbst heraus« käme. Ohne auf den Inhalt des Gesagten einzugehen, bat ich sie, dem Impuls hinter ihrem Ruckeln im Stuhl nachzugeben und sich zu bewegen und selbst zu spüren. Die Coachingpartnerin sprang aus dem Sessel auf und begann festen Schrittes »Furchen« durch den Raum zu ziehen. Sie sagte: »Ich könnte meine Pflicht tun, wie immer funktionieren und mit Ihnen meine Stärken aufschreiben, oder ich könnte
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einfach gehen, weil ich keine Lust dazu habe und es mir unangenehm ist.« »Gehen Sie«, sagte ich, packte das Flipchartpapier zusammen, das für das Auflisten der Stärken vorgesehen war, und überreichte es ihr zusammen mit einem Stift. »Sie können das ja dann machen, wenn Sie Lust dazu haben.« »Da dreh ich schier durch«, entgegnete sie, während sich ihr Gesicht rötete und sie auf der Stelle trippelte. »Was fühlen Sie gerade?«, war meine nächste Frage, worauf die Coachingpartnerin prompt antwortete: »Ich kann mich nicht entscheiden, diese Ambivalenz zwischen der Pflicht und meinem eigenen Wunsch – schrecklich«. Die Aufforderung, ihr körperliches Erleben dieses Dilemmas näher zu beschreiben, führte die Coachingpartnerin zu einem Punkt, an dem sie nur durch tiefe Atmung wieder zur Ruhe kam. Diese Möglichkeit, sich durch ruhiges, tiefes Atmen zu beruhigen, entdeckte sie selbst, mit der fragenden Unterstützung des Coachs, und sie ging dann sichtlich bewegt nach Hause. Coach und Coachingpartner vereinbarten sich daraus ergebende neue Ziele für den Coachingprozess und arbeiteten die nächsten vier Stunden an diesem Thema weiter. Sie beschäftigten sich weiter mit der körperlichen Ebene, bis die Klientin in dieser Hinsicht das Gefühl und die körperliche Regulationsmöglichkeiten hatte, mit diesem inneren Dilemma umzugehen. Einige Zeit später berichtete sie, dass sie viel besser auf ihre eigenen Bedürfnisse achten könne und den Kollegen in seine Rolle und Verantwortungen verwiesen habe. Im Hinblick auf diesen Coachingprozess schien es anfangs keine kulturelle Perspektive zu geben, jedoch stellte sich in der Arbeit immer wieder heraus, dass die Coachingpartnerin vor allem gegenüber hierarchisch höhergestellten und besser ausgebildeten Männern Schwierigkeiten hatte, ihre eigene Meinung zu vertreten.
Aus der körperlichen Perspektive bestand in diesem Fallbeispiel die erste Intervention in der Aufforderung, aufzustehen, und hatte zum Ziel, die Selbstwahrnehmung der Coachingpartnerin zu fördern. Die zweite Intervention, »Was fühlen Sie gerade?«, leitete die Selbstwahrnehmung an, um mehr Bewusstsein für die eigenen Prozesse zu entwickeln. Weitere Interventionen, die der Coach im Laufe des Prozesses setzte, kamen aus anderen Schulen, die den Körper ebenso mit in den persönlichen Veränderungsprozess mit einbeziehen. Dazu gehören unter anderem einige der in → Kapitel 3.4 dargestellten körperorientierten Methoden: Gestalttherapie, Systemische Familientherapie, Feldenkrais, Tai Chi Chuan und Theatertherapie.
Körperorientierung im Coachingprozess: Ein Leitfaden Selbst wenn man vom Einsatz spezieller auf den Körper fokussierter Methoden im Coaching absieht, kann bereits ein körperachtsames Vorgehen des Coachs im Coachingprozess eine hilfreiche Unterstützung sein. Hinweise dazu möchten wir im Folgenden, geordnet nach Phasen des Coachingprozesses, beispielhaft auflisten. Je nach Bedarf können hier einzelne Aspekte aufgegriffen und für den Prozess genutzt werden (Tabelle 24).
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Tabelle 24: Leitfaden – Das Einbeziehen des Körpers in den Coachingprozess (verändert nach Dietz, 2005)
Phase: Einstieg und Kontaktaufbau Mit Fokus auf dem Coachingpartner – Körpersignale des Coachingpartners beobachten. – Als Einstieg die Aufmerksamkeit des Coachingpartners auf das gegenwärtige Erleben und das erste Gefühl lenken (z. B. bei der Sitzplatzwahl den Abstand frei wählen lassen oder ein gegebenes Sitzarrangement anbieten und fragen, ob er sich damit wohlfühlt …). Mit Fokus auf dem Coach – Eigene Körperempfindungen erspüren und gegebenenfalls direkt notieren und Hypothesen aufstellen. – Hypothesen für die Körpersignale des Coachingpartners aufstellen. – Einen Titel für die gegenwärtige »Atmosphäre« finden (als Indikator für Übertragungen, Parallelprozesse etc.). Phase: Vereinbarung und Kontrakt Mit Fokus auf dem Coachingpartner – Falls für das Ziel bildhafte Vorstellungen vorhanden sind, diese körperlich inszenieren (»organisieren Sie ihren Körper so, dass das Ziel verkörpert wird«). – Somatische Marker als messbare Kriterien für die zu erreichende Veränderung herausarbeiten. – Für (bisherige) Hindernisse und Befürchtungen damit verbundene Körperempfindungen und Emotionen erspüren lassen. Mit Fokus auf dem Coach – Mögliche eigene körperliche Reaktionen auf das Ziel des Coachingpartners wahrnehmen. – Reflexion: Hat die Zielerreichung auf die Beziehung zwischen Coach und Coachingpartner Einfluss? Wie stark sind Sie involviert? Spielt Gegenübertragung eine Rolle? Erkennen Sie bei sich selbst ein Muster (als übernommenes Muster des Coachingpartners), was Sie so nicht von sich kennen?
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Phase: Situationsanalyse, Hypothesen- und Diagnosebildung Mit Fokus auf dem Coachingpartner – Das gegenwärtige Erleben auch auf der körperlichen Ebene vertiefen und die Zusammenhänge zwischen der Interpretation und den Körpersignalen untersuchen. – Die Achtsamkeit des Coachingpartners für sich selbst erhöhen: Achten auf die Atmung, Sitz/Körperhaltung, Mimik, Stimme, Bewegungen … – Die inneren und körperlichen Abläufe (körperliche Empfindungen und Reaktionen) in Situationen, in denen der Coachingpartner mit dem Problem konfrontiert wird, in Zeitlupe durchgehen und analysieren. Mit Fokus auf dem Coach – Hypothesen zu Beobachtungen aufstellen: Welche Erfahrungen werden mit welchen Emotionen und Körperempfindungen verknüpft? – Welche Bedeutung hat welches Körpersignal in der Kultur des Coachingpartners (z. B. muss das Zittern der Knie nicht negativ sein etc.)? – Somatische Marker gegebenenfalls verstärken, um zu den sieben Grundemotionen (Angst/Furcht, Ekel, Freude, Trauer, Überraschung, Verachtung und Ärger/ Wut) zu kommen, welche meist nicht direkt vom Coachingpartner gespürt und benannt werden können. – Bei (Blick-)Kontaktabbruch durch den Coachingpartner ihn darauf aufmerksam machen und erforschen, welchen Hintergrund dies hat (die Haltung des Coachs sollte dabei immer explorativ und nie wertend sein). Phase: Problemlösung, Prozessarbeit Mit Fokus auf dem Coachingpartner – Die Wahrnehmung der Körpersignale verstärken und aus unterschiedlichen Perspektiven bzw. Rollen deuten (»das kleine Kind in mir …«, »als Managerin fühle ich mich …«). – Bewusstes Verstärken von Körperausdrücken, Haltemustern, Emotionen (»Organisieren Sie Ihren Körper so, dass das Gefühl stärker werden kann kann. – Was tun Sie dafür?«). – Persönlichkeitsanteile oder Rollen konkret benennen (lassen) und den Coachingpartner mit ihnen in den Dialog treten lassen. – Inneres Erleben und äußerliches Verhalten körperlich erfahrbar machen lassen (nach dem Motto: »zu jedem Satz ein Gefühl«).
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Phase: Problemlösung, Prozessarbeit – Alle Bewegungen, die der Coachingpartner beginnt bzw. zu denen er ansetzt, ausführen lassen, und wenn der Coachingpartner Bewegungen zurückhält bzw. abbricht, ihn darauf hinweisen und diesen Sachverhalt von ihm deuten lassen. Mit Fokus auf dem Coach – Eigene Körperempfindungen bei allen Bewegungen und Ausdrücken des Coachingpartners überprüfen: Was lösen sie aus? Wo beginnt eine Angst, Unwohlsein, Begeisterung oder der Wunsch nach mehr, oder der Impuls, den Coachingpartner retten/erlösen, ihm helfen zu wollen? – Reflexion: Welche Parallelprozesse, Übertragungen oder Ähnliches laufen gerade ab? Was ist für mich anstrengend auszuhalten? Was würde ich auch mal gern machen? – Achtsam sein in der Beziehungsgestaltung: Gerade in der Veränderungsarbeit ist Kontakthalten (Augenkontakt, Präsentsein) wichtig. Phase: Abschluss und Evaluation Mit Fokus auf dem Coachingpartner – Den erreichten oder neuen Zustand körperlich mit der möglicherweise neu gefundenen Bedeutung verknüpfen. – Das Ergebnis gegebenenfalls körperlich verankern und verbal erklären. – Transferhilfen geben für die Achtsamkeit als »Frühwarnsystem« im Alltag (z. B. Achten auf bestimmte Signale, Entspannungsbewegungen etc.). Mit Fokus auf dem Coach – Keine singulären Übungen ohne emotionalen Bezug als Hausaufgabe vergeben; körperliche Erinnerungshilfen sollten immer eine Verbindung zwischen individuellen Bedeutungen und Empfindungen implizieren. – Auf die eigenen Körperempfindungen direkt nach dem Ende der Stunde achten: Bin ich erleichtert, was möchte ich bewegen, habe ich etwas (zu viel) aufgenommen?
Welche körperorientierte Methode (vgl. → Kapitel 3.4 zu einer Auswahl an körperorientierten Methoden) darüber hinaus in welcher Form zum Einsatz kommt, bestimmt in erster Linie der Coachingpartner. Seine Erfahrungen hinsichtlich Körperbewusstsein, Umgang mit Gesundheit und Krankheit, sein Körperbezug im bisherigen Leben etc. definieren die Möglichkeiten und Grenzen im weiteren Rahmen der Optionen, die der Coach auf der Basis der eigenen Ausbildungen anbieten kann. Selbst wenn ein Coachingpartner beispielsweise Physiotherapeut
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ist, der aufgrund seines Fachwissens einen genauen Blick für körperliche Aspekte bei seinen Patienten hat, bedeutet dies noch lange nicht, dass er sich selbst und seine eigenen körperlichen Befindlichkeiten genauso gut (er)kennt. Im Einzelfall sind möglicherweise allzu viele körperliche Bezüge sogar hinderlich. Körperliche Gesichtspunkte können dann hinzugezogen werden, wenn dies der Entwicklung eines erweiterten Bewusstseins und somit auch der Mustererkennung und Verhaltensänderung dient. So wird der Weg dafür geebnet, dass die Klienten sich spüren können. Wer durch Migration, Flucht, Komplexität, orientierungslose Identitätssuche oder Krisen jeglicher Art keinen sicheren (geografischen) Ort und keine persönlichen körperlichen Bezüge mehr (emp)findet, findet auf diese Weise vielleicht Orientierung in sich selbst, im eigenen Körper. Dieser ist allerdings auch Speicher aller und möglicherweise mancher als schlecht bewerteten oder traumatischer Erfahrungen und entsprechende Vorsicht ist bei körperbezogenen Interventionen oder auch Übungen angebracht. So hatte beispielsweise eine Coachingklientin das Ziel, sich auf der Arbeit von ihren Kolleginnen besser abgrenzen zu können. In einigen Sitzungen wurden gesprächsorientierte »Tools« geübt und eingesetzt sowie auf weitere Arten und Weisen an dem Ziel gearbeitet. Da es ihr weiterhin schwer fiel, Nein zu sagen, probierten die Coachingpartner, mit Hilfe des Körpers eine Haltung der Festigkeit und Standhaftigkeit zu entwickeln. Die dafür ausgesuchte Übung unterstützt, die eigenen Grenzen zu wahren, Dazu geht der Coach auf den Coachingpartner so weit zu, bis dieser überzeugt und rechtzeitig »Stopp« sagt. Ziel ist, dass das »Stopp« so klar und frühzeitig ausgesprochen wird, dass der körperliche Abstand zwischen den beiden sich für den Coachingpartner gut anfühlt und dieser das Gefühl spüren kann, dass er die Kraft und Macht hat, den anderen zu stoppen. Der Coach bleibt dann stehen, wenn die Aussage klar ist, und geht weiter, wenn sie uneindeutig geäußert wird (z. B. wenn das Stopp eine Frageintonation hat, zu zaghaft geäußert wird etc.). Die zweite Stufe dieser Übung trainiert denselben Vorgang, allerdings darf der Coachingpartner nicht sprechen, sondern zeigt mit einer Geste (meist eine ausgestreckte Handfläche), wo die Grenze der Annäherung für ihn erreicht ist. In der dritten Stufe schließlich sollen weder Worte noch Gesten verwendet werden, um den anderen aufzuhalten. Das heißt, der Coachingpartner kontrolliert den Abstand mit dem Blickkontakt, der Mimik oder Kraft des eigenen Entschlusses, was die auf ihn zulaufende Person spüren kann. Im Fall der Coachingklientin war in dieser Stufe keinerlei Grenze wahrnehmbar. Sie lächelte, fast einladend und verzog keine Miene, auch dann nicht, als der Coach sehr nah und für sie – wie sie hinterher erläuterte – zu nah kam, sodass er quasi direkt vor ihrem Gesicht stand. Obwohl diese Nähe keinerlei Berührung beinhaltete, brach die Coachingpartnerin in Tränen aus. Da in der Auswertung keine Bezüge gefunden werden konnten, weder zum Thema noch zum Ziel oder zu einer Erinnerung, vereinbarten beide Coachingpartner, dass diese Erfahrung in einer begleitenden Therapie genauer betrachtet werden sollte.
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Fazit: Der Körper ist eine große Unterstützung für die kulturreflexive Coachingpraxis Es stimmt, dass Reflexion, Verbalisierung und kognitive Arbeit im Coaching dominieren. In einem umfassenden und ganzheitlichen Vorgehen, welches die kultursensible Arbeit und insbesondere die transkulturelle Perspektive benötigt, würde man jedoch ein zentrales Arbeitsmedium verschenken, ließe man den Körper außen vor. Auch für Coachs ohne psychotherapeutische Ausbildung ist die Fokussierung auf die Förderung der Selbstwahrnehmung sowie die Anleitung der Selbsterfahrung praktizierbar. Durch das Hinzunehmen körperlicher Wahrnehmungen, Ausdrucksformen und Bewegungen vervielfacht sich das »Material«, welches der Coachingpartner einbringt, und gleichzeitig vergrößert sich damit die Hypothesengrundlage für den Coach. Neue Dimensionen für Lösungen und überraschende hilfreiche Alternativen können gefunden und auch gut verankert werden. Für die transkulturelle Arbeit können diese Übungs- und Trainingsmethoden eine Spannungsregulation sowie Haltungsund Einstellungsänderungen bewirken. Auch szenische Verkörperungen, Spiegelungen und Feedback können zur Unterstützung der üblichen Coachingmethoden dienen. Entscheidend ist, dass die Wahrnehmungen, Hypothesen und Interventionen stets am Coachingpartner ausgerichtet sind und dessen Körper und Grenzen folgen – nicht umgekehrt. Wenn so körperliches Ausdrucksverhalten der Entwicklung eines erweiterten Bewusstseins dient, wird der Weg dafür geebnet, dass die Coachingpartner sich selbst (wieder)finden oder stärker und bewusster spüren können.
Leseempfehlungen Kurtz, R. (2002). Hakomi. Eine körperorientierte Psychotherapie. Umfassende Darstellung der Methode. München: Kösel. In diesem Buch werden die zentralen Aussagen des Begründers von Hakomi zum Thema Körper und Bewegungen zusammengefasst. Auch Darstellungen der ihr zugrunde liegenden buddhistischen Prinzipien von innerer Achtsamkeit sowie praktische Arbeitsanweisungen sind in diesem Buch zu finden. Aus diesem Kompendium kann sich der Coach Übungen zusammensuchen und sich inspirieren lassen. Schmidt, E. (Hrsg.) (2006). Lehrbuch Konzentrative Bewegungstherapie. Grundlagen und klinische Anwendung. Stuttgart: Schattauer. Am Ausbildungscurriculum des deutschen Arbeitskreises für KBT orientiert, bietet dieses Buch zum Beispiel aktuelle Forschungsergebnissee der Neuropsychologie und geht auf Körperbildtheorien und entwicklungstheoretische Modelle ein, welche die Methoden der KBT unterstützen. Ein Praxisteil zeigt anschaulich Methoden auf, die vornehmlich im therapeutischen Bereich eingesetzt werden.
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COACHING IM VIRTUELLEN RAUM
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4.7 Coaching im virtuellen Raum In Zeiten, in denen Beziehungen per SMS beginnen, gepflegt und beendet werden, sind moderne Medien im Coaching selbstverständlich geworden. Virtuelle Räume sind inzwischen »integrierter Bestandteil der Lebenswelt« (Theunert u. Eggert, 2003, S. 6), was zu neuen Beziehungsformen führt. Es »besteht eine Einheit von sozusagen ›gefühlter‹ oder konstruierter Nähe und Entferntheit, die alle sozialen Beziehungen kennzeichnet« (Hahn, 2007, S. 17). Die Erfahrung zeigt, dass viele Coachings zunehmend virtuelle Anteile enthalten, denn die Mobilitätserfordernisse nehmen zu und die Coachingpartner sind sich einander immer seltener geografisch nah. Coaching mittels Telefon, E-Mail und Chatroom oder über Videotelefonat kommt der Lebens- und Arbeitsstruktur der Akteure entgegen. Die medialen Kommunikationsformen ergänzen oder substituieren das Präsenzcoaching teilweise, machen es als Zusatzleistungen reichhaltiger oder werden notgedrungen als Ersatz im Prozess genutzt. Das dazugehörige Coachingdogma lautet: Coaching im virtuellen Raum ist problemlos möglich. Das werden wir hier (selbst)kritisch prüfen. Einer der zentralen Befürworter und Protagonisten von virtuellen Formen von Coaching, Harald Geißler, verweist das »klassische Coaching«, also die »Präsenzveranstaltung«, inzwischen sogar in die zweite Reihe. Virtuelles Coaching sei längst »innovativer« und variantenreicher geworden. »Coaching setzt nicht mehr unbedingt ein persönliches Treffen voraus«, meint er, es kann manchmal »sogar noch zielgerichteter und effektiver« über Medien wie Telefon, E-Mail oder Videokonferenz stattfinden (Geißler, 2011, S. 44). Coaching ist auch für Geißler (2007) eine Antwort auf den epochalen Wandel in der Wirtschaft, vom Taylorismus zur Dienstleistungsgesellschaft. Denn die Menschen müssen sich zunehmend selbst organisieren und die Globalisierung mit ihren Möglichkeiten verlangt lebenslanges Lernen, gleich an welchem Ort. Die erweiterten Möglichkeiten des virtuellen Coachings sind nach Geißler (2008, S. 7) vielfältig. Er unterscheidet zwischen Präsenzcoaching, Blended Coaching und E-Coaching. Blended Coaching stellt aus seiner Sicht eine Mischung aus Präsenz- und E-Coaching dar. Reines E-Coaching kommt ohne Präsenzsitzungen aus und kann didaktisch offen oder vorstrukturiert sein. Das vorstrukturierte internetbasierte E-Coaching nennt er virtuelles Coaching. Bei didaktisch offenen E-Coachings werden die Medien als Substitut zur Präsenz entweder synchron (Chat, Video) oder asynchron (z. B. E-Mail) verwendet. Didaktisch vorstrukturierte, sogenannte virtuelle Coachings können sowohl synchron als auch asynchron oder ohne persönlichen Coach durchgeführt werden. Der Klient bearbeitet beim virtuellen Coaching vorstrukturiertes Material zur Selbstreflexion, welches zu seinen Themen passt. Nach anfänglicher Zurückhaltung, weil Coaching mit Präsenzcoaching assoziiert wird, loben Nutzer von virtuellen Coachingprogrammen neben der Flexibilität die Struktu-
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
riertheit und Zielorientiertheit des Programms (Geißler, 2011, S. 46). Die Einteilung von Geißler zeigt seine Expertise in der Pädagogik, die beschriebenen Medien ähneln Lernprogrammen. Auf diese Spezialformen wollen wir hier nicht eingehen, denn dann wäre zu fragen und zu diskutieren, welchen Effekt diese stark vorstrukturierten Formate auf das Coaching haben und ob sie als solches zu bezeichnen sind bzw. was deren besondere Sozialstruktur ist. Wir wollen hier ausschließlich diejenigen technisch vermittelten Kommunikationsformen ansprechen, welche Präsenzcoachings ergänzen oder punktuell ersetzen können und bei der Arbeit von Coachs, die sich nicht auf Sonderformate spezialisiert haben, eine zunehmend tragende Rolle spielen. Außer Acht lassen müssen wir leider auch die spannenden Herausforderungen bei Gruppencoachings (z. B. von virtuellen Teams) mit internetbasierten Tools (wie »webex« oder »gotomeeting«), da allein die Darstellung des Ablaufs und der Herausforderungen den Rahmen dieses Buches sprengen würde und da wir auch sonst die Gruppencoachings ausgespart haben. Wir betrachten im Folgenden die inzwischen alltägliche Arbeit mit dem Telefon, mit schriftbasierten Medien sowie die kombinierte Form, also den Medienmix im »Blended Coaching«.
Telefoncoaching Beim reinen Telefoncoaching ist kein persönliches Treffen der Coachingpartner vorgesehen, das Coaching wird ausschließlich am Telefon durchgeführt und der Kontakt über die Stimme(n) etabliert. Und natürlich werden telefonische Sitzungen auch bei vielen Face-to-Face-Coachingprozessen zusätzlich oder als Ersatz für Präsenzsitzungen durchgeführt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Telefoncoaching ermöglicht räumliche Unabhängigkeit und reduziert Fahrkosten und zeitliche Aufwände. Die körperliche Anonymität biete Gesichtswahrung im reinen Wortsinn, meint Sylvia Becker-Hill (2003), die auch einen idealtypischen Ablauf des reinen Telefoncoachings mit acht Phasen skizziert. Die Sicherheit führe bei einigen Klienten zu mehr Offenheit und Freiheit im Ausdruck und einer erhöhten Bereitschaft, zu »ihrer Wahrheit« vorzudringen. Diese Einschätzung können wir für manche Coachingpartner bestätigen. Fallbeispiel: Susan Baker Eine Führungskraft von circa 900 Mitarbeitern wollte ursprünglich zur ersten Sitzung des bereits vereinbarten Coachingprozesses nach Frankfurt fliegen und war aufgrund einer Verletzung am Fuß nicht reisefähig. Am ersten Coachingtermin wollte und konnte sie aber festhalten. Also wurde die erste Sitzung in ein einstündiges Telefonat umgewandelt. Das Coaching fand auf Englisch statt. Keine von uns hatte ein Bild oder ein Gesicht der anderen vor Augen. Die Ziele und Themen bewegten sich im Rahmen der typischen Anliegen für international agierende Führungskräfte, sie bezogen sich auf das persönliche Führungsrepertoire und die eigene Karriereentwicklung und waren bereits im Vorfeld mit der Vorgesetzten der
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Coachingpartnerin und dieser selbst schriftlich abgestimmt und fixiert worden. Die erste Sitzung konnte also direkt zum Kennenlernen und gemeinsamen Arbeiten an einem Teilziel verwendet werden. Wir hatten uns zuvor nicht gesehen, die Coachingpartnerin war der Empfehlung ihrer Vorgesetzten gefolgt, die mich kannte. Möglicherweise auch aufgrund des aktuellen Anlasses erhielt das Thema Krankheit einen höheren Stellenwert in der Sitzung, als es geplant war, zumal die Coachingpartnerin in der jüngeren Vergangenheit mit einigen Krankheiten zu kämpfen hatte, was ihre Karrierepläne beeinträchtigt hatte. Auch zu meiner Überraschung wurde das Gespräch in der gemeinsamen Analyse zunehmend sehr persönlich und drehte sich um den Zusammenhang von Möglichkeiten, Illusionen und Realität, wir bildeten gemeinsam Hypothesen. Die Coachingpartnerin hatte an ihren Plänen und vor allem Wünschen stets festgehalten, obwohl ihr Körper ihr immer wieder die Grenzen aufzeigte, die sie bis dahin nicht zu akzeptieren bereit gewesen war. Weil es zum Verlauf des Coachings passte, entschloss ich mich zu einer Intervention, die ich sicherlich in einer Face-to-Face Sitzung nicht so direkt und schon gar nicht in der ersten Sitzung platziert hätte. Und vielleicht hätte ich es in meiner Muttersprache Deutsch auch nicht gewagt. Aber nach den ganzen kognitiven Analysen und Hypothesen erschien mir ein emotionaler bildhafter Appell hilfreich, um eine Bewegung auszulösen. Ich sagte am Ende unserer Analyse der Ist-Situation und nach den bereits bestätigten Hypothesen zu ihr: »Wake up, Snow White.« In der Leitung entstand ein längeres intensives Schweigen. Für einen Moment wurde mir unbehaglich, ob ich nicht zu weit gegangen war, obwohl sich das Schweigen anfühlte, als würde sich eine Spannung lösen. So war es zum Glück auch, bestätigte mir die Coachingpartnerin. Sie bedankte sich für die Offenheit und bemerkte, dass diese Metapher mehr in ihr ausgelöst habe als alle Gedanken vorher. Die Sitzung und gerade diese Bemerkung wirkten lange nach. Noch Wochen nach diesem Telefonat und auch in den Präsenzsitzungen wiederholte sie, dass es für einen Moment zwar unangenehm gewesen sei, sie jedoch gerade dieser Bildvergleich wachgerüttelt habe. Ihre Annahme war, dass sie sich im ersten Gespräch nur deshalb so hatte öffnen können, weil wir uns nicht sehen konnten.
Die Herausforderungen im Telefoncoaching sind nicht nur, aber auch technischer Art. Ein Telefonat von Handy zu Handy über 10.000 Kilometer – wie es bisweilen notgedrungen sein muss – hat auch mit Störungen, Rauschen und Unterbrechungen zu kämpfen. Konzentration, Inhalte, Beziehungsgestaltung und Fortkommen werden beeinträchtigt. Becker-Hill (2003) coacht – außer im Notfall – daher keine Kunden per Mobiltelefon, da es fast immer möglich ist, sich wenige Minuten später von einem Festnetzanschluss aus anzurufen. Auch ist das Thema Sprachverstehen bei medienvermittelter Kommunikation nicht zu unterschätzen. Für das Coaching mit einer Niederländerin, das telefonisch und auf Englisch stattfand, benötigte der Coach eine Weile, hinter dem starken Akzent nicht nur die Inhalte, sondern auch die emotionalen Bedeutungen zu verstehen.
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Dennoch kann man auch am Telefon komplexe Methoden durchführen oder sogar Aufstellungen leiten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Anweisungen und die sonst durch Gesten untermalte Sprache schlicht gehalten werden. Es wäre hilfreich, wenn Besonderheiten des Telefoncoachings genauer erforscht würden. Eine einfache Übertragung vorhandener Kommunikationsmodelle und Methoden (vgl. hierzu z. B. Borlinghaus, 2010) erscheint uns nicht hinreichend, die besonderen Herausforderungen, aber auch Chancen des Telefoncoaching zu erfassen.
Coaching basierend auf schriftlichen Medien Unter diese Kategorie kann man sowohl die Kommunikation per E-Mail, Brief, SMS (asynchron) als auch im Chat (synchron) subsumieren. Die Coachingpartner kommunizieren in Schriftform. Dies setzt auf beiden Seiten voraus, dass die Fähigkeit zu Strukturierung und Ausdruck des Anliegens in der jeweiligen Sprache vorhanden ist und auch dem Format angepasst werden kann. Sprechhandlungen in der Chat-Kommunikation oder in einer SMS machen ein anderes Repertoire und ein anderes interaktives Verhalten erforderlich als in einer E-Mail oder einem Brief. Jenseits von Netiquette hat jedes Medium seine Sprachvarietät, seine eigenen Interaktionsregeln, und zudem hat jeder Coachingpartner persönliche Gewohnheiten. Eine Verständigung über die Vorlieben und Routinen sowie den Umgang mit schriftlichen Botschaften auf den entsprechenden Kanälen ist für textbasierte Coachingformate unabdingbar. Eine eher altmodische Form, die aber im Zeitalter neuer digitaler Medien wieder Bedeutung gewinnt, ist das Schreiben von Briefen wie im Fallbeispiel Jakob Zichäus. Fallbeispiel: Jakob Zichäus Ein Coachingklient, der maximal ein- bis zweimal im Jahr aus dem Ausland zum Coaching für einen halben Tag anreiste, bereitete die Sitzungen jeweils mit Briefen vor und nach. Schon im Erstgespräch etablierte sich dieses Medium, wenngleich eher zufällig. Er erwähnte, dass er gern Briefe schreibe, dass ihm das Schreiben mit richtiger Feder und Tinte Freude mache und ihm helfe, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Sein Coachingziel war, sich mit der Unzufriedenheit an seinem Arbeitsplatz auseinanderzusetzen. Schon in Vorbereitung auf die erste Sitzung, die in einigem zeitlichen Abstand lag, erhielt er die Aufgabe, auf drei Fragen schriftlich zu antworten. Der Brief ging pünktlich einige Tage vor der Sitzung ein. In schwarzer Tinte, sprachlich wohlformulierten Sätzen und schöner Schrift beantwortete er sehr ausführlich die drei Fragen. Schon daran war zu erkennen, dass das Schreiben und die Auseinandersetzung mit den Transferaufgaben für ihn eine hilfreiche Eigendynamik gewonnen hatte, die man für den Prozess gut nutzen konnte. Alle paar Monate gab es einen kurzen Follow-up-Anruf, bei dem er immer nur reflektierte, wie es ihm ging und wann er die nächste Sitzung für sich
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als sinnvoll erachten würde. Stets entwickelten sich aus den Treffen oder Telefonaten Transferaufgaben und Fragen und er schrieb Briefe, die sich dem Rhythmus und der Geschwindigkeit im Coachingprozess anschmiegten. Trotz der im Grunde geringen Anzahl von Treffen (in drei Jahren haben wir uns bislang nur dreimal und insgesamt anderthalb Tage gesehen) hatten wir beide das Gefühl einer engen Verbindung und eines intensiven Coachingprozesses. Entsprechend deutlich waren auch seine Fortschritte und die Tragweite seiner Entscheidungen. Diese fielen alle nicht in den Sitzungen, sondern in der Brief-Transferzeit danach. Er schlug eine lukrative und attraktive Führungsposition im Ausland aus, kehrte zurück nach Deutschland, kündigte und suchte sich eine Stelle in einer kleineren, lokal arbeitenden Firma.
Die häufigere Form der schriftlichen Coachingbetreuung dürfte heutzutage allerdings der Austausch über E-Mail sein. E-Mails werden als Follow-ups, zur Vorbereitung und für die Transferaufgaben genutzt. Auch kleinere Notfälle und Unterstützungswünsche bzw. -angebote werden zwischen den Coachingpartnern über E-Mail ausgetauscht. Manche Klienten nutzen das Medium, um sich zu »melden«, dabei zu reflektieren und einen Zwischen- oder Entwicklungsstand zusammenzufassen. Die Antwort des Coachs stellt diesen allerdings vor neue Herausforderungen in der Rollenkonstellation. Denn die schriftliche Kommunikation macht eindeutige Formulierungen und durch die Asynchronitität eine Schließung der Nachricht erforderlich. Die Kommunikation kann nicht in der Schwebe gehalten werden. Resultat ist die Tendenz in der E-Mail Kommunikation, beim Antworten in die Experten- oder Beratungsrolle zu wechseln. Allein durch das Medium wächst die Gefahr, die Aussagen des Klienten zu kommentieren oder zu bewerten. Wir vermeiden daher ein (nicht abgesprochenes) Coaching über E-Mail. Wenn ein Coachingpartner zum Beispiel ungefragt seine Reflexionen schickt oder um Hilfe bittet, reagieren wir entweder mit offenen Fragen, einem wertschätzenden Kommentar für Motivation oder Leistung (auf der metakommunikativen Ebene des Begleiters), der keinen Einstieg in eine Diskussion oder eine Bearbeitung des Themas bietet, oder mit der Bitte um einen Rückruf, sofern es ein zu bearbeitendes Anliegen gibt. Am Telefon lässt sich die prozessbegleitende Gesprächsführung wieder leichter realisieren, die als konstitutive Komponente des Coachings maßgeblich für dessen wichtigsten Effekt ist, nämlich den Coachingpartner bei der Entwicklung eigener Lösungen zu begleiten.
Blended Coaching Die Mischung verschiedener Kommunikationsmedien ist bereits Alltag, ohne dass man es »Blended Coaching« nennen würde. Darunter verstehen wir nämlich eine bewusste und vor allem gezielte Kombination aus realen Treffen und der Nutzung von Medien wie E-Mail, Telefon, Video oder Chat.
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Wie das Fallbeispiel von Arnika Thoms zeigt, wird die Anreicherung des Coachings durch weitere Medien oft vollzogen, ohne dass darüber vorher gesprochen wurde. Fallbeispiel: Arnika Thoms Obwohl ich mir vorgenommen hatte, niemals per SMS eine Coachingintervention zu machen, konnte ich den Unterstützungsnotruf der Coachingpartnerin doch nicht ignorieren. »Bin in Arbeitssitzung u. m. Chefin hat mich + eine weitere Kollegin gerade wiederholt öffentlich kritisiert. Alle Strategien weg, die wir erarbeitet hatten, was kann ich tun? Bin wie blockiert.« Ich zögerte und überlegte, ob die Kurznachricht wirklich das geeignete Medium sei. Dann antwortete ich mit einer Auswahl an Alternativen: Erstens …, zweitens …, drittens … oder ganz etwas anderes. Eine Stunde später kam eine sichtlich gelöste SMS zurück. Die Antwort hatte die Blockade gelöst, obwohl die Coachingpartnerin noch gar nichts unternommen hatte. Allein das Durchdenken der Alternativen gab ihr das Gefühl von Handlungskontrolle zurück. In der darauffolgenden Sitzung betrachteten wir uns die Blockade und erarbeiteten Strategien, wie die Coachingpartnerin diese selbst lösen könnte. Außerdem vereinbarten wir Regeln zum Umgang mit SMS, E-Mail und Telefonaten zwischen den Sitzungen, falls dies erforderlich würde.
Wenn der häufige Fall eintritt, dass ein Medium genutzt wird, das vorher nicht besprochen oder über dessen Umgang im Coaching keine Vereinbarungen getroffen wurden, so werden die Coachingpartner auf die Frage zurückgeworfen, worin eine professionelle Coachingbeziehung und -arbeit besteht. Eine SMS kann rasch informell werden und läuft Gefahr – wie das Fallbeispiel Arnika Thoms zeigte – eine im Coaching dispräferierte Rollenasymmetrie hervorzurufen. Etwas anders ist die Situation, wenn die Mischung der Medien für ein Blended Coaching geplant erfolgt. Dann können die Vorteile der einzelnen Kommunikationsmedien gezielt genutzt werden, wie das Fallbeispiel von Miriam Lutz illustriert. Voraussetzung dafür sind Absprachen und Vereinbarungen. Fallbeispiel: Miriam Lutz Miriam Lutz und ich kannten uns durch ein Seminar und waren uns schon einmal persönlich begegnet. Da sie in der Schweiz lebt und ich in Deutschland, bot sich für ihr Anliegen ein Blended Coaching an. Wir starteten mit einem über Internet vermittelten Videogespräch, klärten die Ziele und Termine und legten ein Treffen in der Mitte des Coachingprozesses fest. Per Mail gab ich ihr Aufgaben und sie schrieb mir zurück, wie es ihr damit ergangen war. Zwischendurch, als sie keine Möglichkeit hatte, ins Internet zu gehen, telefonierten wir. So nutzten wir alle uns zur Verfügung stehenden Medien. Ausschlaggebend dafür, dass wir uns mit diesen Varianten wohlfühlten, waren folgende Absprachen und Vorkehrungen:
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1. Regeln: Zu Beginn einigten wir uns auf Regeln zur Mediennutzung und den Reaktionszeiten. Eine zeitnahe Reaktion, in diesem Fall innerhalb von 24 Stunden bei E-Mail-Kontakt, ermöglichte ein schnelles Vorangehen des Prozesses. Auch empfiehlt es sich zu vereinbaren, wer wen »anfunkt«, wenn die Videoleitung zusammenbricht oder die Verbindung gestört wird. Sonst versuchen es beide vergeblich und wechselseitig, was zu Verzögerungen und auch Frustrationen führt. 2. Absprachen zum Kommunikationsstil und zur »Netiquette«: Wir einigten uns darauf, »keine Höflichkeitsformen« zu verwenden, das heißt, Mails reagierten aufeinander zwar asynchron, aber ohne Anrede und teilweise stichpunktartig. So wird trotz der schriftsprachlichen Kommunikation mehr Unmittelbarkeit und damit Nähe erzeugt. 3. Mitschriften: Wenn ich dem anderen nicht physisch gegenübersitze, sind Mitschriften wichtig und helfen mir, mich zu konzentrieren und den Prozess zu gestalten. Es geht weniger um Notizen zum Inhalt als um eine Art Fokussierung sowie einen »Double-Check«, ob mir nichts entgeht. Zugleich dient die Mitschrift auch der Verlangsamung des Prozesses. Da man das Mitschreiben am Telefon nicht sehen kann, einigten wir uns darauf, dass jede von uns sagt, was sie tut (also z. B. »ich schreibe gerade«), damit der Kontakt bewusst und im virtuellen Raum fortgesetzt wird. 4. Mehr Fragen und Erklärungen: Ich wies sie darauf hin, dass bei körper- oder raumorientierten Methoden mehr Rückkopplung erforderlich sein würde, was Vor- und Nachteile hat. Um die Reduktion der Sinneskanäle zu kompensieren, ist erforderlich, dass die Coachingpartnerin ihre Selbstwahrnehmung und ihre Gefühle klarer verbalisiert, worauf wir in unserem Fall auch zurückgreifen mussten. Bei einer der virtuellen Sitzungen über Videokonferenz, in der es um Entscheidungen ging, bat ich sie, die drei Stühle, die bei ihr im Raum standen, zu nutzen. Ich konnte sehen, wie sich ihr Körperzustand veränderte, während sie diese Stühle ausprobierte, die für verschiedene Optionen standen. Allerdings musste ich viel häufiger und intensiver nach ihren Emotionen fragen, um die fehlende sinnliche Übertragung auszugleichen. Die reduzierten Sinneskanäle ließen weniger Möglichkeit für das Erkennen von feinen Veränderungen im mimischen Ausdruck und für ganzkörperliches, an Spiegelneuronen orientiertes Einfühlen. So war ich auf die Mithilfe von Miriam angewiesen, die spüren und mir gleichzeitig genau erklären musste, wie sie sich fühlt. Nur so kamen wir in dem Prozess weiter.
Leider verläuft die Arbeit mit Videokonferenz nicht immer reibungslos. Das Videocoaching mit einem japanischen Coachingpartner wurde durch das Medium beispielsweise erschwert, obwohl es auf Deutsch und damit zumindest in der Muttersprache des Coachs stattfand. Beide mussten sich äußerst kon-
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zentrieren, weil die schlechte Verbindung immer wieder zu zeitlichen Verzögerungen führte und abriss. So wurde die Kommunikation im zeitgleichen Chat vom Coach teilweise mitprotokolliert, um das wechselseitige Verstehen sicherzustellen. Die Sitzung wurde von beiden Coachingpartnern nicht als besonders fruchtbar erlebt. Auch wenn die Möglichkeit, sich wechselseitig zu sehen, eine Präsenzsituation suggeriert, ist die Übertragungsmenge von Signalen für die Sinneskanäle reduziert, die Anschlüsse an Äußerungen (ein wichtiges Element der Beziehungssteuerung) sind erschwert, von den technischen Schwierigkeiten ganz zu schweigen. Das Arbeiten mit den verschiedenen Mitteln der technisch übertragenen Kommunikation hat zwei Seiten. Es stimmt, dass am Telefon Stimmnuancen sehr genau wahrgenommen werden können und manche Menschen sich in der anonymeren Atmosphäre von E-Mails leichter öffnen, aber dass sich der Coachingpartner wohl fühlt, weil er die Mimik und Gestik des Coachs nicht sehen kann, wie man häufig lesen kann, fällt doch schwer nachzuvollziehen. Denn auch der umgekehrte Fall trifft unserer Erfahrung nach häufig zu. Coachingpartner öffnen sich erst oder zunehmend bei persönlicher Begegnung. Bei einem knapp 30-jährigen Coachingpartner in hoher Führungsposition, also einem »Digital Native«, der durch eine stark globale Reisetätigkeit überwiegend im Ausland war, hatte zum Beispiel das Coaching virtuell begonnen. Über ein halbes Jahr hatte es nur über Telefon und Videokonferenz erfolgreich stattgefunden. Als endlich persönliche Treffen hinzukamen, änderte sich einiges. Die Kommunikation wurde umfangreicher und auch reichhaltiger mit privaten Kontexten versehen, auch wenn der Fokus des Coachings eng beruflich blieb. Das lag zum einen an der gemeinsamen physischen Präsenz, die auch nonverbale Kommunikation, ein wechselseitiges Augenzwinkern und längere Schweigephasen möglich machte. Zum anderen lag es aber auch daran, dass die Sitzungen jetzt nicht mehr zwischen andere Termine gepresst lagen, sondern bevorzugt am Tagesrand. Sie waren auch länger, als es im virtuellen Raum möglich ist, denn eine zweistündige Coachingsitzung als Videokonferenz oder Telefonat erschöpft beide Coachingpartner deutlich mehr als eine zweistündige Präsenzsitzung – weshalb wir dafür plädieren, die virtuellen Coachings ohnehin nicht länger als eine Stunde dauern zu lassen. Für alle technisch vermittelte Kommunikation gilt, dass eingeschränkte Kanäle ihre Konsequenzen haben: »Das Fehlen der Sinnesmodalitäten bedarf bei Beraterinnen einer besonderen Fähigkeit: das Zwischen-den-Zeilen-Lesen. […] es ist ein Zeichen von beraterischer und medialer Kompetenz, hinter vordergründigen Informationen noch andere Dimensionen zu erkennen und darauf zu reagieren« (Knatz, 2009, S. 105). Zugleich darf die Bereicherung nicht verschwiegen werden, die durch die Medien ebenfalls entsteht. Gezielt genutzt verbindet der Chat die Vorteile virtueller Kommunikation mit reproduzierbaren Kommunikationsabläufen und die Möglichkeit zur unmittelbaren synchronen Kommu-
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nikation. Im Beispiel des Coachings mit dem japanischen Coachingpartner war der Chat nur eine Unterstützung, er kann jedoch auch selbst Coachingmedium werden. Beim Chat ist dabei besonders auf die aktive Gestaltung des Sprecherwechsels zu achten sowie auf die gegebenenfalls notwendige gezielte Entschleunigung (Hintenberger, 2009). Online-Coaching und ein Kontakt per Chat sind kein Auswuchs, sondern Alltag für die »Digital Natives«, die zunehmend ins Coaching kommen: Jahrgänge, die nach 1980 geboren wurden und mit digitalen Technologien aufgewachsen sind. Sie bevorzugen eine Kombination von verschiedenen Medien im Coaching, selbst wenn dies aufgrund räumlicher oder zeitlicher Erfordernisse gar nicht nötig wäre. Für sie ist die Medienvielfalt auch ein Ausdruck der verschiedenen Facetten ihrer Identität: »Different communication channels express different aspects of identity. […] The media chosen can intimately interlock with the degree of identity integration and dissociation, and with the extent to which a person presents a real or imaginary self« (Suler, 2002, S. 455 f.). So wird das Jonglieren mit der Vielfalt der Kommunikationstechnologien auch zur Unterstützung bei der Kohäsionsbildung hybrider Identitäten.
Fazit: Virtuelles Coaching ist möglich, aber nicht problemlos Den weitverbreiteten Optimismus hinsichtlich des Coachings im virtuellen Raum, den wir im Coachingdogma »Virtuelles Coaching ist problemlos möglich« kondensiert haben, möchten wir etwas einschränken und die Aussage umdrehen: Es ist möglich, aber nicht problemlos. Obwohl oder vielleicht weil wir selbst sehr technikaffin sind, virtuell über zwei Standorte arbeiten, immer wieder Coachings im virtuellen Raum durchführen und manche Coachingpartner nie persönlich kennen lernen, freuen wir uns zwar über die technischen Ergänzungen zum Präsenzcoaching, sehen aber auch die damit verbundenen Hürden, wenn die Technik im Coaching genutzt, aber der Umgang damit nicht ausdrücklich besprochen wird. Der virtuelle Raum ist unseres Erachtens ein Raum, der bewusst und explizit gestaltet werden muss. Der Raum der OnlineKommunikation ist entkontextualisiert, da Kontexte maßgeblich durch reale Räume und Orte vorgegeben werden; daher müssen solche Kontexte im virtuellen Raum erst geschaffen werden (Höflich, 2003). Daraus ergeben sich einige Best Practices, die uns im Umgang mit den Kommunikationstechnologien disziplinieren und die wir im Folgenden zur Anregung auflisten. So versuchen wir zu gewährleisten, dass die technischen Möglichkeiten nicht einfach vorausgesetzt werden und möglicherweise Probleme verursachen, sondern das leisten, was sie können, und damit eine Bereicherung im Coachingprozess darstellen.
Den virtuellen Coachingraum gestalten: Best Practices Verständigung über Medienkompetenz und -präferenz: Für den Umgang mit den »neuen« Medien für sämtliche Formen des Coachings im virtuellen Raum sind besondere Kompetenzen erforderlich und diese sind in der Regel ungleich
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verteilt. Einer der beiden Coachingpartner verwendet problemlos Tools zum Desktopsharing, zur gemeinsamen Mindmaperstellung, für Terminabfragen und Meetings bzw. Videokonferenzen, bewegt sich sicher im Fachvokabular und ist ein SMS-Profi. Dem anderen fehlt vielleicht diese Virtuosität, er kennt das Tool nicht oder hat keine Zeit, es sich anzueignen. Leicht entsteht im Bezug auf die Medienvielfalt und -nutzung eine Hierarchie und in der Beziehung ein Ungleichgewicht von Kompetenz und Inkompetenz, Überlegenheit und Unterlegenheitsgefühlen, welches mit der eigentlichen Thematik im Coaching nichts zu tun hat. Zwar ist bekannt, dass im Bezug auf medienvermittelte Kommunikation die Kompetenzunterschiede stets graduell und relativ sind, aber für die Beziehungsgestaltung spielt es eine nicht unerhebliche Rolle. Mit welchen Medien fühlen sich beide wohl? Was verbindet die Person jeweils mit der entsprechenden technischen Kommunikationsmöglichkeit? Was wird eher als fremd empfunden? Welche Technik unterstützt den Coachingprozess und die Beziehung und welche könnte sie stören? Welche Inhalte gehören für die Beteiligten in welches Medium? Mehr Explizitheit: Ob der Coachingpartner noch ein Anliegen hat, kann man im Präsenzcoaching mit einem Blick erfassen, am Telefon oder in anderen Formaten ist diese Wahrnehmung erschwert. Mehr noch als beim Präsenzcoaching ist bei Coachingformaten ohne physische Anwesenheit die explizite Steuerung des Prozesses wichtig, da der Abgleich zwischen Aktion und Reaktion nur reduziert stattfinden kann. Was tun wir/tue ich, warum tun wir es jetzt, wie tun wir es, wo stehen wir gerade usw.? Metakommunikation ist wichtiger und prozesstragender als im Präsenzcoaching und es ist hilfreich, die Prozessschritte ausdrücklicher und achtsamer zu benennen, als man es üblicherweise tun würde. Diese Best Practice ist bei einer interkulturellen Konstellation im Coaching ebenfalls ratsam, beim Coaching im virtuellen Raum ist sie unabdingbar, damit der Coach und das Coaching überhaupt »sichtbar« werden. Explizitheit sichert nicht nur die Verständlichkeit, sondern stellt auch den »Kitt« zwischen den Personen her, der ansonsten körpersprachlich und durch gemeinsame Präsenz fraglos gegeben ist. Auch dem Ausdruck von Gefühlen ist am Telefon oder in der schriftlichen Kommunikation mehr Aufmerksamkeit und Explizitheit zu widmen. Am Telefon oder in einer E-Mail sind Gefühle zwar auch zu spüren, aber selbst bei einer Videoschaltung stellen sich durch schlechte Bildqualität oder leichte Zeitverzögerung rasch Irritationen oder Signalverluste ein. Umso wichtiger ist eine explizite empathische Begleitung, die subtile Tonalitäten aufgreift und nutzt sowie ausspricht, was zu bemerken ist. Zugleich ist dieser »Intimität« durch die medial vermittelte Kommunikation Grenzen gesetzt. Die Wahrung der Grenze des Coachingpartners ist ein echter Drahtseilakt. Schließlich gehört auch die explizite Vereinbarung von Regeln zu dieser Rubrik. Wie sind die Erreichbarkeitszeiten? Welche Reaktionszeiten werden
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erwartet? Was sind die stilistischen Wünsche, wie lautet die gemeinsam vereinbarte Netiquette? Wie geht man mit (technischen) Störungen um? Wer meldet sich bei wem und was hat es zu bedeuten? Reduktion von Mehrdeutigkeit: Ob Telefon oder E-Mail, in beiden Fällen entscheidet die stilistische und sprachliche Variationsbreite, in welcher die Coachingpartner sich ausdrücken können, über Verständlichkeit und Anschlussmöglichkeiten des anderen. Manchmal benötigt man Einfachheit, kürzere Sätze und schlichtere Aussagen. Schriftliche Kommunikation enthält keine Tonlage, so können unfreiwillig Befindlichkeiten entstehen. Außerdem hat man keine Kontrolle über die Rezeptionssituation der Botschaft. Der Sicherstellung des wechselseitigen Verstehens durch Rückkopplung oder Reduktion von Mehrdeutigkeiten kommt eine hohe Bedeutung zu. Was von dem, was gesagt oder geschrieben wurde, ist auch angekommen? Antizipation der Empfängersituation: Wo sitzt der Klient, wenn er telefoniert? Wer könnte die E-Mails noch lesen, die im Account des Coachingpartners auflaufen? Haben andere Zugang oder könnte jemand über die Schulter schauen? Offenbart der Begriff »Coaching« in der Betreffzeile schon zu viel? Ist es überhaupt sinnvoll, zwischen all den beruflichen Mails die Entwicklungsarbeit im Coaching zu finden und eben schnell zu überfliegen? Wer E-Mails oder eine SMS schreibt, hat keine Kontrolle darüber, in welcher Situation der andere diese empfängt. Vielleicht liegt das Mobilfunkgerät neben dem Bett und über Zeitzonen hinweg trifft die Mail des Coachs mitten in der Nacht in Tokio ein. Selbst wenn der Signalton ausgeschaltet ist, vielleicht ist der Coachingpartner neugierig und schaut beim Gang ins Bad schon einmal darauf. Wäre die in der Nachricht enthaltene Intervention dafür geeignet? Es ist sinnvoll, sich mit dem Coachingpartner über seine Mediengewohnheiten zu unterhalten und genaue Absprachen zu treffen, wie im Coaching am besten damit umgegangen wird, damit der Coachingpartner davon profitiert. Coachingmails nur an die Privatadresse oder ein spezielles Account zu senden, ist zum Beispiel eine weitere Best Practice. Dann ist der Klient vorbereitet und holt diese gezielt ab. Schreiben oder Sprechen?: Was gehört überhaupt in die schriftliche Kommunikation? Unseres Erachtens ist die schriftliche Kommunikation insbesondere von Seiten des Coachs so zu gestalten, dass die E-Mail oder SMS veröffentlicht werden könnte. Sie muss allparteilich, wertschätzend und so geartet sein, dass sie möglichst unmissverständlich aus vielen Perspektiven gelesen werden könnte. Der Coachingpartner beklagt sich abwertend über seinen Chef, Kollegen oder Mitarbeiter? Hier kann kaum eine schriftliche Intervention die Schieflage noch auffangen. Das Thema gehört besser in die mündliche Kommunikation. Für den Coach ist die Allparteilichkeit in der Antwort ein entscheidender Maßstab und, solange es sich um Blended Coaching handelt, stellt sich auch die Frage, welches Medium für welche Kommunikation am geeignetsten ist.
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Leseempfehlungen Abbott, G. (2010). Coaching with global virtual teams. In G. Abbott, M. C. Moral (Hrsg.), The Routledge Companion to International Business Coaching (S. 269–281). London: Routledge. Mit Hilfe von Theorien der Positiven Psychotherapie und lösungsorientierten Managementansätzen können virtuelle Teams mit Coaching unterstützt werden. Die für virtuelle Teams spezifischen Themen (Vertrauen, Technologiekompetenz, Führung, Teamkompetenz, Kulturunterschiede, Kommunikation) müssen im Coaching beachtet werden. Kühne, S., Hintenberger, G. (Hrsg.) (2009). Handbuch Online-Beratung. Psychosoziale Beratung im Internet. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Auch wenn sich die Autoren hauptsächlich dem Format Beratung in schriftlicher und mündlicher Form widmen, sind die Modelle, Erfahrungen und Vorgehensweisen, die beschrieben werden, eine fundierte Quelle und Inspiration für Coachs.
4.8 Zusammenfassung: Die kulturreflexive Coachingpraxis Coaching bedeutet auch für den Coach, täglich hinzuzulernen. In der Coachingarbeit bewegen wir uns ständig auf einer Spannbreite zwischen Lehrling, Geselle, Meister und Künstler. Die kulturreflexive Coachingtätigkeit mag diesbezüglich nicht qualitativ anders oder variationsreicher sein als jede andere erfahrene Coachingpraxis. Das Bemühen darum, die kulturellen Besonderheiten zu bedenken, interkulturelle Irritationen und Unwägbarkeiten zu berücksichtigen und die Erfahrung vieler »Unregelmäßigkeiten« und Ausnahmen haben uns jedoch für die Frage sensibilisiert, was die Umsetzung weit verbreiteter Coachingdogmen bedeutet. Standards sind Errungenschaft und neue Ausgangsbasis einer Profession, die Fortsetzung ihrer Entwicklung. Wir fragten uns, ob und wenn ja welche Weiterentwicklung in Theorie und Praxis des Coachings benötigt wird, um Kultur systematisch zu berücksichtigen. Anhand einiger ausgewählter Standards haben wir unsere Erfahrungen im kulturreflexiven Coaching beleuchtet.
Erstes Coachingdogma: Die Ziele des Kunden geben die Richtung vor. »Aufgabe des Coaches ist es, den Klienten bei der Zielformulierung zu unterstützten«, meinen auch Heß und Roth (2001, S. 39) im Bezug auf die Qualitätsentwicklung im Coaching. Dass die Konkretisierung der Ziele der Unterstützung des Coachs bedarf, ist keine Besonderheit des kulturreflexiven Coachings. Dass jede Auftragsklärung eine Intervention ist, kennt man auch aus der Organisationsentwicklung. Aber das Ausmaß, in dem im kulturreflexiven Coaching – auch aus den drei hier ausgeführten fachlichen kulturreflexiven Perspektiven – Auftrag und Zielvorgaben des Kunden geprüft werden, dürfte über den gewohnten Rahmen hinausgehen. Auftragskonstellationen und zu be-
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DIE KULTURREFLEXIVE COACHINGPRAXIS
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rücksichtigende Faktoren sind komplexer und der auch als Experte für Kulturkompetenz angefragte Coach greift hier unter Umständen stärker ein, als man es bei Führungskräfte- und anderen Coachingthemen gewohnt ist.
Zweites Coachingdogma: Der Klient entwickelt seine Lösungen ohne Hypothesen des Coachs. Für kulturreflexives Coaching ist Hypothesenlosigkeit eine Illusion, haben wir im zweiten Schritt argumentiert. Da viele Coachingansätze sogar Ist-Analysen oder die Klärung der Ausgangssituation als Station in der Phasengestaltung eines Prozesses enthalten, ist auch dies nichts Außergewöhnliches. Die Radikalität allerdings, mit der Hypothesen in der kulturreflexiven Begleitung einerseits zugrunde gelegt und andererseits reflektiert werden (müssen), stellt neue Herausforderung insbesondere an lösungsorientierte Herangehensweisen. Kulturreflexives Vorgehen heißt nicht nur, die Begriffe des Coachingpartners mit konstruktivem Nichtwissen zu hinterfragen, sondern auch, alle eigenen professionellen Kategorien auf ihren kulturellen Bias hin zu prüfen.
Drittes Coachingdogma: Der Coach verhält sich neutral. Dass der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung die Basis eines erfolgreichen Coachingprozesses ist, ist unbestritten. Zusätzlich ist in der interkulturellen Begegnung erforderlich, dass der Coach in ihm (möglicherweise zu) persönlich erscheinenden Dimensionen handeln und interagieren muss, die im Coaching gern ausgespart werden. Bei der kultursensiblen Beziehungssteuerung sind unseres Erachtens daher weitere Dynamiken und vor allem Übertragungsphänomene zu beachten. Vertrauen ist Resultat der Beziehungsgestaltung, muss also hergestellt werden. Der Coach bringt sich im kulturreflexiven Coaching viel stärker in die Beziehung ein, positioniert sich und ist als Person und Mensch greifbar, um gemeinsam mit dem Coachingpartner und kulturübergreifend Ziele zu erreichen. Die häufig erwähnte Augenhöhe und Hierarchiefreiheit bedarf daher unter transkulturellen Gesichtspunkten einer besonderen Aufmerksamkeit und Steuerung.
Viertes Coachingdogma: Sprache spielt eine untergeordnete Rolle. Die sprachliche Ausdrucksmöglichkeit und Ausdifferenzierung von Anliegen und Themen ist eine wesentliche Aufgabe im Coaching und Sprache sowie Kommunikation ihr zentrales Arbeitsmedium. In der interkulturellen Beratung und Therapie ist das Thema Sprache(n) und Kommunikation in den Diskussionen präsenter als in der Coachingliteratur, dabei kann die Rolle der kommunikativen Abstimmung für Beziehungsaufbau, Hypothesenbildung und Themenbearbeitung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Angerissen haben wir das Thema interkulturelle Kommunikation und vor allem den Umgang mit Mutter- und Fremdsprachen sowie das Coaching in der Lingua franca. Für das
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
kultursensitive Coaching sind Sprache(n) und die Reflexion ihrer Verwendung bedeutsamer als angenommen. Hier müssen kommunikationsrelevante Hürden überwunden werden. Sprache(n) und Code-Wechsel können aber auch strategisch zur Unterstützung im Coachingprozess genutzt werden.
Fünftes Coachingdogma: Coaching verläuft in Phasen. Der idealtypische Ablauf eines Coachingprozesses (ob Einzelsitzung oder Gesamtstruktur) ist nicht die Realität, sondern ein inneres Skript – das weiß jeder Coach und nutzt die Phasen dennoch als Orientierung. Störungen und Friktionen sind hierbei die Regel, das gilt insbesondere für interkulturelle Konstellationen von Coachingpartnern. Wenn man die Verlangsamung (z. B. durch sprachliche Besonderheiten), die Beziehungsgestaltung und Methodenwahl auf der Mikroebene der Gesprächsführung betrachtet, so kann man das Prozessund Zeitmanagement nach unserer Meinung sogar »fraktal« nennen. Das heißt, viele Dimensionen und Aktivitäten werden gleichzeitig jongliert, zum Beispiel Kontrakte über den nächsten Schritt schließen, Thementiefe und Hindernisse bearbeiten, Interventionen setzen usw. Nur eine gebrochene (fraktale), selbstähnliche Mikrosteuerung des Prozesses erscheint uns für das kulturreflexive Coaching kontextsensibel genug, um einerseits Ausnahmen zu berücksichtigen und andererseits an den Regeln der Profession Coaching festzuhalten.
Sechstes Coachingdogma: Coaching ist (körperlose) Selbstreflexion. Der Körper ist als universale Basis mit kultureller Prägung unhintergehbarer Teil des Coachings und immer »anwesend«. Je nach eigener Präferenz und dem gewählten Coachingansatz wird der Körper bei uns Coachs allerdings mehr oder weniger berücksichtigt. Ihn nicht zu beachten, halten wir im kulturreflexiven Coaching für schwierig, würden uns doch einige Signale, auf denen möglicherweise Interpretationen basieren, unbewusst oder unreflektiert bleiben. Für das kultursensible Coaching halten wir eine Körperorientierung also für unabdingbar. Die Nutzung des Körpers in verschiedenen Interventionstiefen kann beiden Coachingpartnern bedeutsames Material liefern und inbesondere die Verständigung sowie die Erarbeitung unerwarteter Lösungen fördern.
Siebtes Coachingdogma: Coaching ist problemlos virtuell möglich. Moderne Kommunikationsmedien sind aus dem Coaching heutzutage nicht mehr wegzudenken. Längst ist E-Mail-Kommunikation nicht mehr allein dazu da, Termine zu vereinbaren, sondern wird beim Coaching in der globalisierten Arbeitswelt zum Austausch zwischen den Coachingpartnern auch methodisch genutzt und ist somit Teil des Coachingprozesses. Ebenso selbstverständlich werden weitere Medien wie Telefon, Videokonferenzen oder Chats eingesetzt. Der Tenor in der Literatur ist Begeisterung über die durch Multimedialität eröffneten Möglichkeiten, und man sieht den Einsatz der verschiedenen Kom-
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DIE KULTURREFLEXIVE COACHINGPRAXIS
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munikationsmedien im Coaching als problemlos möglich an. Auch wir teilen die positive Sicht der Chancen, die in den medialen Varianten liegen, sehen sie aber nicht als Alternative zum Face-to-Face-Coaching, insbesondere in interkulturellen Begegnungen. Wir möchten daher die Einschränkungen durch die reduzierten Kanäle zu bedenken geben und ebenso die Notwendigkeit, für die Verwendung der Medien Vereinbarungen zu treffen.
Mehr offene Fragen als Antworten Weitere Standards und viele andere spannende Tätigkeiten im kulturreflexiven Coaching konnten wir hier noch nicht beleuchten. Da wäre zuerst zu fragen, was beim Einsatz der Intuition zu beachten ist, die uns im Prozess täglich leitet. Stellt man sich die Frage, was im kulturreflexiven Coaching die »kulturell korrekten« Grenzen sind, von denen in der ICF-Ethik die Rede ist (siehe Einleitung zu diesem Kapitel), so verweisen Antworten immer wieder auf das »Bauchgefühl«. In einem Social-Media-Forum wurde 2008 die in einer Ausbildung kontrovers diskutierte Frage aufgeworfen, ob »Körperkontakt im Coaching erlaubt« sei. Insbesondere bei Tränenausbrüchen gibt es Unsicherheit darüber, ob man zum Beispiel »einen Klienten zum Trösten in den Arm nehmen« kann. Der Rat eines mitdiskutierenden Kollegen lautete: »In solchen speziellen Fragen kann es, zumindest aus meiner Sicht, kein ›Richtig‹ und kein ›Falsch‹ geben. […] es [gibt] hier viele Möglichkeiten zu reagieren und nur Sie können wissen, welche die für Sie geeignetste ist. Wichtig ist, so denke ich, derartige Problemstellungen nicht einzig und allein vom Kopf her lösen zu wollen, sondern unbedingt seine Intuition mit einzubeziehen« (Zugriff unter http://www.xing.com/net/ business_supervision/fragen-diskussionen-fachliche-diskurse-60561/ist-korperkontakt-im-coaching-erlaubt-14559895). Leider kommt man mit dieser Empfehlung kulturreflexiv gesehen vom Regen in die Traufe. Die »Intuition« ist zwar ein wichtiges, aber höchst erklärungsbedürftiges Instrument im Coaching. Wie individuell, kulturell oder universell sie ist, ist eine offene Frage. Intuition ist eine vorbewusste Informationsverarbeitung, implizites Handlungswissen, besteht aus »gefühltem Wissen«, basierend auf somatischen Markern, und enthält mit den Erfahrungen, die sie bündelt, auch kulturelle und persönliche Urteile (vgl. Nazarkiewicz, 2010c). Intuition ist eine bedeutsame Hilfe im Coaching, aber schaut man sich die bislang verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ihrer Beschaffenheit an, so wäre zu klären, inwieweit das entsprechende Coachingdogma, »Man kann seiner Intuition vertrauen«, kulturreflexiv erweitert werden muss. Zum Zweiten wäre die bislang ohnehin zu wenig beschriebene Reflexion und Transformation von Emotionen im Coaching zu nennen. Im Coaching werden durchgehend Gefühle thematisiert und die Coachingpartner bringen in der Regel bereits eigene Interpretationen und Sinngebungen mit, die sich als nicht hilfreich erwiesen haben, und suchen daher die professionelle Begleitung.
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KULTURREFLEXIVE VORGEHENSWEISEN IM COACHING
Viele Coachingmethoden greifen in die Erlebensstruktur des Coachingpartners ein. Spannend sind die Fragen nach Differenzen und Gemeinsamkeiten in den Äußerungsformen und die Untersuchung des Emotionsmanagements im Coaching. Hier wäre allerdings unseres Erachtens hilfreich, wenn nicht gar erforderlich, die Gestaltung des Dialogs von Emotionsäußerungen und die Vorgehensweisen von Coachs genauer auf Regelmäßigkeiten zu untersuchen und nicht nur theoretische Spekulationen anzustellen oder Erfahrungen zu bündeln (vgl. dazu Nazarkiewicz, 2010b). Schließlich wäre noch an dem prinzipiell berechtigten, aber in der Praxis beengenden Dogma zu rütteln, dass Coaching ausschließlich berufsbezogene Selbstreflexion darstellt. So umfassend wie Kultur alle Lebensbereiche sowie die Identität durchdringt, so breit sind die Themen und Anliegen, die bei der kulturreflexiven Begleitung auftauchen. Eine Entsendung zum Beispiel betrifft den Manager, seinen Partner, die Kinder, den Wohnort, die Freunde, seine Sicherheit, seine Versicherungen, seine Lebensplanung, die Haustiere, seine Lieblingsgegenstände, einfach alles. So besehen gibt es keine »Teilbereiche« im Coaching, sondern immer den ganzen Menschen, seine vielen Identitäten und Lebenskontexte, seine Bezugsgruppe, sein Handlungsrepertoire und sein Umfeld. Und stets auch die Grenze unserer Kompetenz, die jeder Coach in seiner Selbsteinschätzung individuell an anderer Stelle zieht. Insgesamt wird deutlich, dass eine kulturreflexive Herangehensweise im Bezug auf Standards im Coaching in vielerlei Hinsicht Anlass zum Nach- und Umdenken geben kann – entsprechend ziehen auch wir an dieser Stelle eine Grenze und verlagern die vielen offenen Fragen in die Diskussion.
Fazit Am Ende unserer Überlegungen zu kulturreflexiven Vorgehensweisen im Coaching wollen wir den Kreis schließen und wieder zum Ausgangspunkt dieses Buches zurückkehren: »Sie sind doch spezialisiert auf Interkulturelles Coaching …«. Betrachten wir dazu abschließend nochmals eine Anfrage: Der Coachingpartner ist Head of Global Sales eines französischen Konzerns mit Filialsitz in Süddeutschland. Er fragt nach einem Interkulturellen Coaching, denn es gibt immer wieder Schwierigkeiten bei den Absprachen mit der französischen Mutter hinsichtlich der Vertriebsprozesse. Es handelt sich um eine Linienorganisation und die fünf Produktlinien haben jeweils Spartenmanager, die weltweit verstreut sitzen. Bei Anfragen der deutschen Kunden kann es sein, dass ein Sales Manager für das Produkt X mit einem Spartenmanager in England sprechen muss und für das Produkt Y mit einem Manager in Indien. Es gibt keine Prozessvorgaben oder Eskalationsregeln. Die Hauptschwierigkeit sieht der Coachingpartner in den Gesprächen mit seinen vornehmlich französischen Kollegen. Daher möchte er in
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einem Coaching sein Gesprächsverhalten unter die (interkulturelle) Lupe nehmen und Veränderungsmöglichkeiten erarbeiten.
Wo wird Kultur eine Rolle spielen, falls überhaupt? Wir gehen immer wieder gespannt auf Entdeckungsreise. Vielleicht stimmt die Hypothese des Coachingpartners, dann wird es wohl ein Interkulturelles Coaching werden. Möglicherweise sind es aber die fehlenden Prozesse, die hier den viel stärkeren Effekt haben, und es wird im Coaching darum gehen, diese zu etablieren. Oder verweist das auf unser »deutsches Bedürfnis nach Strukturen« und man braucht in einem französischen Konzern damit gar nicht erst anzufangen? Welche Rolle spielen die Organisationskulturen? Ist es überhaupt relevant, dass verschiedene Kulturen involviert sind, oder geht es – wie so oft – um Führung, Steuerung und globales Management? Wir werden wieder ebenso dazulernen wie der Coachingpartner.
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Schluss: Interkulturalität und Professionalität
Die Frage, ob sich das Alltagskonzept des »Interkulturellen Coachings« empirisch in der Realität wiederfindet und welche spezifischen Merkmale, Anforderungen und Probleme diese Form des Coachings ausmachen, war vor einigen Jahren Anlass und Ausgangspunkt, unsere professionelle Praxis diesbezüglich systematisch zu untersuchen. Die Antworten, die wir gefunden haben, waren für uns selbst überraschend. Interkulturelles Coaching ist nicht nur ein Spezialfall des Coaching, sondern kulturelle Spezifika und (inter)kulturelle Aspekte stellen eine grundlegende, vom Coach zu berücksichtigende Dimension jedes Coachingprozesses dar. Unsere Überlegungen führten zu der Schlussfolgerung, dass es hilfreich ist, Coaching als professionelles Handeln heutzutage kulturreflexiv anzugehen, um der transkulturellen Verfasstheit der internationalen Lebens- und Arbeitswelt gerecht zu werden und die in dieser Welt lebenden und arbeitenden Menschen auf der Höhe der Zeit und ihrer Anforderungen zu begleiten. Es gibt unseres Erachtens sogar mindestens drei hilfreiche Perspektiven, denn vom Coaching als interkulturelles Lernen lassen sich Coaching im multikulturellen Kontext und transkulturelles Coaching mit ihren je eigenen Spezifika abgrenzen. Jede dieser Herangehensweisen hat ihre besonderen Stärken und Einschränkungen, und gemeinsam begründen sie das methodische Repertoire der kulturreflexiven bzw. kultursensiblen Begleitung, dessen wichtigste Charakteristika wir hier mit Blick auf die Konzepte, Methoden und Kompetenzen dargestellt haben. Bislang lag der Fokus beim Interkulturellen Coaching auf dem Coachee und seiner interkulturellen Kompetenzentwicklung, mit der erweiterten Betrachtungsweise richtet sich der Blick auch auf den Coach und seine Kompetenzen. »Wer in der Einwanderungsgesellschaft nicht interkulturell arbeitet, arbeitet nicht professionell«, so formuliert es zugespitzt Hubertus Schröer, langjähriger Leiter des Jugendamtes der Stadt München, Fachbuchautor und inzwischen Leiter des Instituts für Interkulturelle Qualitätsentwicklung, der sich schon lange um die Qualität der Beratungsarbeit bemüht. Mit dieser Aussage legt er einen neuen Maßstab an die beratenden und begleitenden Berufe, an dem wir uns messen und zu dessen theoretischer Begründung wir einen Beitrag leisten wollen. Die Bereicherung der Diskussion wäre uns gelungen, wenn wir nachvollziehbar machen konnten, dass sich der Begriff des Interkulturellen Coachings nicht – wie es häufig geschieht – auf Einzeltraining und Beratung von Auslandsentsandten oder Migranten reduzieren lässt, sondern zu einem breiteren Verständnis von Coaching in einer weltumspannenden Arbeits- und Lebenswelt erweitert werden muss. Die kulturreflexive Betrachtung der Coachingpraxis, die
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SCHLUSS: INTERKULTURALITÄT UND PROFESSIONALITÄT
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wir in Kapitel 4 begonnen haben, zeigt, dass die existierenden und in Ausbildungen verbreiteten Coachingstandards und -normen in diesem Zusammenhang noch einmal geprüft und gegebenenfalls erweitert werden müssen. Waren sie ohnehin nie als Rezepte zu verstehen, sondern als Richtschnur für die eigene professionelle Haltung als Coach in diesem noch jungen Beruf, so gewinnt das kontextsensitive, variantenreiche und bisweilen von Standards abweichende Vorgehen im kulturreflexiven Coaching eine besondere Bedeutung. Uns ist im Verlauf der Überlegungen immer bewusster geworden, dass das Handbuch zum Interkulturellen Coaching keine Rezepte liefern kann, so wie interkulturelle Kompetenz sich nicht über Do’s and Don’ts erwerben lässt. Vielmehr ist eine kulturreflexive Metatheorie des Coachings zu entwickeln, sind vielfältige Erfahrungen und stilistische Varianten zu berücksichtigen. Dafür ist unseres Erachtens eine zunehmende kultursensible Reflexion von Coachingstandards und die methodische Erweiterung des Coachingrepertoires bezüglich kollektiver Bezüge vonnöten. Wir sehen unsere Überlegungen als ersten Entwurf und Beitrag zur Debatte und sind gespannt auf den weiteren Ausbau von Theorie und Forschung zur Profession Coaching. Für Rückmeldungen, Ideen, Anregungen und konstruktive Kritik zu unserem Beitrag bedanken wir uns. Schildern Sie Ihre Erfahrungen, teilen Sie uns Ihre Erkenntnisse oder Meinungen mit und gehen Sie mit uns direkt in die Diskussion auf unserem Blog unter: coachingblog.consilia-cct.com. Wir freuen uns auf den Austausch.
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