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German Pages [217] Year 2021
Jakob Christoph Will
Haltung als Sozialität im Widerstreit Psychosoziale Beratung zwischen Ethischem und Politischem
V&R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Die Arbeit wurde im Jahr 2020 von dem Fachbereich Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Sie liegt hier in einer leicht überarbeiteten Fassung vor. © 2021 V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Formation. Tri-Partition, Oskar Schlemmer (1926). Heritage Image Partnership Ltd / Alamy Stock Foto. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1303-1
lest we forget how fragile we are Sting
Für Nele
Inhalt
Präludium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Beratung: psychosozial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Beratung und Psychotherapie als Formen gesellschaftlicher Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Professionalisierung und Institutionalisierung . . . . . . . 2.3. Beraten als sozialer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Der »Blinde Fleck« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Haltung als Ethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Topographie von Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Beratungsbeziehung als Brennpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Grundhaltungen und funktionale Beziehungsgestaltung . . . . . . 3.3. Sprechen über Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Soziale Vermitteltheit und Personen-Zentrierung von Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Scharnierfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Technologiedefizit als »ethischer Stachel des Menschlichen«. 3.3.4. Identität durch Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5. Haltung als Halt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Haltung im Beratungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Haltung als »leerer Signifikant« . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 43 45
4. Ethik der Alterität: Wendungen des Bezugs 4.1. Haltung als Tugend im Zwischen . . . . 4.2. Das Problem des Anderen im Ratgeben 4.3. Vom Gesagten zum Sagen: Levinas . .
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Inhalt
4.4. Haltung in der Wendung des Bezugs . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Sinn und Nicht-Sinn: Haltung ist Unentscheidbarkeit . . 4.4.2. Intentionalität und Altertität: Haltung in der Wendung des Bezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Sagen und Zeigen: Haltung entzieht sich . . . . . . . . . 4.4.4. Performativität und Setzung: Haltung setzt Wirklichkeit
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6. Gouvernementalität der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Die Achsen: Wissen, Macht, Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1. Archäologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2. Genealogie: »Willen zum Wissen« . . . . . . . . . . . . . 6.1.3. Gouvernementalität: Führung der Führung . . . . . . . . 6.1.4. Pastoralmacht: Vom guten Willen der Hirten . . . . . . 6.2. Beratung im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdführung . . 6.3. Ambivalenz der Macht: Selbsttechnologien und Technologien des Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Haltung der Kritik – Kritik als Haltung . . . . . . . . . . . . . 6.5. Ethische Antworten im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1. Beratung als reflexive Selbstführung . . . . . . . . . . . . 6.5.2. Beratung als ästhetisierte Selbstsorge . . . . . . . . . . . 6.5.3. Beratung als verständigungsorientiertes Handeln . . . .
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7. Tertium [non] datur: Die Figur des Dritten 7.1. Zwischen Ethischem und Politischem . 7.2. Der Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Konturen von Haltung . . . . . . . . .
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175 175 179 185
8. Reprise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Die politische Differenz im Spiegel psychosozialer Beratung 5.1. Theorie reflexiver Modernisiung . . . . . . . . . . . . . 5.2. Systemtheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Beratung als Habitus-Feld-Analyse . . . . . . . . . . . . 5.4. Ambivalenz beraterischen Handelns . . . . . . . . . . .
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Präludium
»Das Versteckt in Innerlichkeit« – so sollte (in Anlehnung an ein Levinas Zitat) ganz zu Beginn des Schreib- und Arbeitsprozesses der Titel lauten. Und die Erfahrungen und Widerfahrnisse, die Auseinandersetzungen und Widerstreite, die Windungen und Wendungen in der längeren Entstehungszeit haben gezeigt, dass es dabei nicht alleine stehen bleiben kann, sondern vielmehr auch darum geht, nach den Konsequenzen und Mitbringsel zu fragen, die ein Auf(s)bruch aus diesem »Versteck« bedeuten könnte. Und manchmal braucht es ein Semikolon, um etwas zu beenden und damit gleichzeitig die Denkbewegungen »in Atem zu halten«. »Beratung denken« – Die Annäherung daran, ist nicht nur theoretisch-wissenschaftlich, sondern auch von meinen unmittelbaren berufspraktischen Erfahrungen gerahmt- die sich in diesem Text chiastisch überkreuzen. Aus dieser Konstellation entspringt auch die erfahrungsbezogene Perspektive auf Beratung: von der je konkreten Beratungssituation, der Szene des Ratgebens, der Konfrontation mit Andersheit und damit dem eigenen Involviert-Sein auszugehen. Der Blickwinkel kehrt so stets immer wieder darauf zurück und geht auch gleichzeitig darüber hinaus. Haltung im Kontext von Beratung zu thematisieren, bezieht sich damit ebenso auf Leiblichkeit wie auf eine gedankliche Auseinandersetzung. Damit ist die Arbeit sowohl von ganz konkreten (berufspraktischen) Bezüge wie auch abstrakter Denkbewegungen bestimmt, deren auseinanderliegende Pole sich je so biegen und krümmen, dass sich beide wieder in eine gemeinsame Nähe bringen und fast treffen. Bei aller Isoliertheit des Schreib- und Arbeitsprozesses, schreibt man so eine Arbeit doch nicht alleine, sondern auch in und durch Auseinandersetzung mit Anderen und Dritten – die sich damit unweigerlich darin einschreiben. Neben dem Halt und dem Mit-, manchmal auch Ertragen durch meine Familie, gilt mein besonderer Dank Susanne Maurer für die Ermöglichung und Begleitung, (m)einen Denkraum zu entfalten. Mein Dank gilt ebenso Eric Mührel für die Begleitung und Unterstützung. Bereichernd waren auch die Diskussionen und Auseinandersetzungen im Rahmen des Doktorand_innen Kolloquiums, das ich
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Präludium
sehr schätze. Ich möchte mich für die Unterstützung während des Prozesses darüberhinaus bedanken bei Mona Debus, Ingrid Will, Marlies Polkowski, Melanie Conrad sowie besonders für die herausfordernden Auseinandersetzungen mit dem eigenen Denken bei Denise Bergold-Caldwell, Eva Georg, Wiebke Dierkes und Lea Spahn. Herborn, im April 2021
Jakob Christoph Will
1.
Einleitung
»Auf die Haltung allein kommt es an«. Was Saint-Exupéry (1951: 158) in seinem Roman »Die Stadt in der Wüste« feststellt, scheint auch theoretisch wie (berufs-) praktisch zumindest hinreichend als wichtiges Element für die Gestaltung professioneller Beziehungsgestaltung in psychosozialen Beratungszusammenhängen angenommen: Haltung ist zu einem wesentlichen Gestaltungselement von (professionellen) Beratungsbeziehungen geworden und lässt sich als ein Markierungspunkt von Professionalität in Beratungszusammenhängen bezeichnen. Derzeit wird der Begriff vielfach diskutiert1 und zeugt von einem Nachdenken und Reflektieren des eigenen Standpunktes. Haltung avanciert dabei zu einem Fluchtpunkt unterschiedlicher Diskussionen, die konisch auf Haltung zulaufen und sich damit auf die Person der Berater_innen zuspitzen.2 Vor allem Rogers erarbeitet wesentliche Eckpunkte zum Aufbau einer helfenden Beziehung, die als Voraussetzung eines gelingenden Beratungsprozesses angesehen werden können und bezieht sich dabei grundlegend auf Haltungen der Berater_innen. (Rogers 2019) Aber was ist unter Haltung zu verstehen? Welche Annahmen und Erwartungen sind mit einem Begriff von Haltung verbunden? Und welche Bedeutung haben diese für die Gestaltung einer sozialen Situation wie Beratung? Diese Fragen werden in den Auseinandersetzungen um Haltung selbst nicht gestellt. Dies überrascht insofern, als dass in den Diskursen dem Begriff eine große Bedeutung zugesprochen wird. Die Voraussetzungen der Beziehung, die Frage also nach der Konstitution von Sozialität und damit die verbundene Bedeutung und Konsequenz für einen Begriff von Haltung wird eigens nicht thematisiert. Weissman (2009) fragt in Bezug auf Menschenbilder: »Sind die anthropologischen Grundlagen psychologischer Beratungstheorien noch zeitgemäß?« Das wird insofern relevant, wenn es darum geht, welche Bedingungen mit 1 Eric Mührel (2019: 5–6) stellt in der 4. Auflage zu »Verstehen und Achten« das Präsenterwerden des Haltungsbegriffs über die Zeit von der ersten Auflage in 2005 heraus. 2 Als Sozialfigur nimmt die Berater_in ein typisiertes Muster der Gegenwart an und konstruiert damit auch ein bestimmtes Bild der Kommunikationsform Beratung (vgl. J. Schroer 2010).
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Einleitung
einem Begriff von Haltung im Voraus gesetzt werden, die dadurch sozialontologische Voraussetzungen unhinterfragt reproduzieren. Vor allem bei der Gestaltung von Beratungsbeziehungen ist dahingehend zu fragen, ob Haltung nicht genau an anderen vorbeigeht, wenn sie sich zwar an anderen ausrichtet, sich jedoch lediglich auf die Person der Berater_innen bezieht. Darin ist eine Ebene des Ethischen angesprochen. Damit verbunden ist die Frage, ob ein Begriff von Haltung als Art und Weise der Gestaltung des Selbst- und Anderenverhältnisses immer auch eine Fremdführung impliziert, wenn durch die gesellschaftliche und sozialstaatliche Rahmung psychosozialer Beratung auch eine Ebene des Politischen einbezogen wird. Haltung kann dann auch verstanden werden als Selbst- und auch Anderenführung. Die Konstitutionsbedingungen dieses Verhältnisses und Möglichkeitsraums von Gestaltungsspielräumen werden in den Diskussionen um diesen Begriff selbst nicht thematisiert. Es soll deshalb im Folgenden weniger um eine inhaltliche Auseinandersetzung darüber gehen, was unter Haltung zu verstehen ist. Auch soll nicht nach Attributen einer ›richtigen‹ oder ›guten‹ Haltung gefragt werden. Vielmehr soll die soziale Konstellation des Haltungsbegriffs in psychosozialen Beratungszusammenhängen untersucht werden. Nach sozialontologischen Voraussetzungen von Haltung als Gestaltungselement von Beratungsbeziehungen in psychosozialen Beratungszusammenhängen zu fragen, bezieht sich auf die jeweiligen Positionen und deren Verhältnis zueinander, was sich als soziale Architektur begreifen lässt. Diese kann über das spezifische Merkmal psychosozialer Beratung eingefangen werden: nämlich die beiden Ebenen des Ethischen und des Politischen zu berücksichtigen und in den Blick zu nehmen. Denn die Etablierung einer professionalisierten psychosozialen Beratung lässt sich auf einer individuellen Ebene (Beratungsgespräch) als eine Verhandlung von privat-intimen Themen mit gesellschaftlicher Relevanz verstehen, die in einem öffentlichen Rahmen (Beratungsinstitution) erfolgt. Allgemein hat sich Beratung als kommunikative Form des zwischenmenschlichen Austauschs in den vergangenen Jahrzehnten zu einem fest etablierten Bestandteil von Gesellschaft entwickelt. Hierbei zeigt sich ein stark expandierendes Feld ganz verschiedener Beratungen mit unterschiedlichen Themen, Adressat_innen und Kontexten. Beratung erscheint aktuell als ein ubiquitäres Phänomen, denn in so gut wie allen gesellschaftlichen Bereichen und zu allen denkbaren Themen lässt sich beraten. Die Rede von der »Beratungsgesellschaft« (Fuchs/Pankoke 1994) verdeutlicht dabei den allgegenwärtigen Charakter von Beratung. Mit Schnoor lässt sich Beratung zunächst einmal ganz allgemein der Form nach verstehen als »eine zwischenmenschliche Hilfe, die auf einem helfenden Beziehungsangebot beruht und sich als ein sozialer Interaktions- bzw. Kommunikationsprozess zwischen zwei (Individualberatung) oder mehreren (Gruppenberatung) Interaktionspartnern vollzieht« (Schnoor 2006: 14). Als all-
Einleitung
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tägliche zwischenmenschliche Kommunikationsform haben Personen sich schon immer zu allen Zeiten beraten, wenn sie »vor Aufgaben, Anforderungen und Herausforderungen, in Orientierung und Entscheidungsfindungsunsicherheit, persönlichen Problemen und Lebenskrisen aller Art stehen« (Nestmann 2004c: 547). Mit der zunehmenden Professionalisierung von Beratung zeigt sich eine Entwicklung von alltäglicher informeller hin zu formalisierter Beratung, die das Rat geben der »alltäglichen Helfer« (Nestmann 1988) etwa in Form von ›Gartenzaungesprächen‹ zurückzudrängen scheint (vgl. Großmaß 2004a: 485). In einem professionellen Verständnis ist Beratung dabei mehr als nur eine Informationsweitergabe. Oftmals werden Beratungsstellen eben erst dann aufgesucht, wenn alle Versuche einer eigenständigen Problemlösung im privaten Umfeld an Grenzen kommen. »Sie [die Ratsuchenden, JCW] wollen sich über unterschiedliche Sichtweisen zu ihrer Problemstellung austauschen, Folgen von Entscheidungen abschätzen lernen, ihre eigene Unsicherheit, Unentschiedenheiten oder Ambivalenzen besprechen und diese möglichst reduzieren.« (Sickendiek/ Engel/Nestmann 2002: 14) Beratung durchzieht als Querschnittsmethode einerseits verschiedene (helfende) Berufe und lässt sich etwa neben Erziehen, Bilden, Unterrichten als ein genuiner Handlungsmodus (sozial-) pädagogischer Arbeit verstehen (vgl. Mollenhauer 1965). Beratung findet anderseits aber auch in (hoch-) spezialisierten Beratungsinstitutionen statt, deren originäre Aufgabe ausschließlich das Beraten ist. »Beratung ist hier der Oberbegriff für die Form der Interaktion zwischen HelferInnen und KlientInnen.« (Sickendiek/Engel/Nestmann 2002: 13) In psychosozialen Arbeitsfeldern hat sich Beratung als Entscheidungs- und Orientierungsunterstützung für Einzelne im Umgang mit den Anforderungen moderner Gesellschaft zu einer wichtigen Hilfeform entwickelt und ist zu einem integralen Bestandteil des psychosozialen Versorgungsnetzes geworden. Konturen einer psychosozialen Perspektive von Beratung lassen sich wie folgt umreißen: »›Psychosozial‹ impliziert dabei ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das psychische und soziale Befindlichkeiten in Verbindung mit sozialen Lebens- und Umweltbedingungen setzt. […] Der Schwerpunkt der psychosozialen Perspektive liegt auf den Belastungen, die durch äußere Anforderungen an das Individuum (oder an Familie, Gruppen) herangetragen werden, und auf den individuellen und sozialen Bewältigungsformen für diese Belastung.« (Sickendiek/Engel/Nestmann 2002: 19)
Psychosoziale Beratungsarbeit lässt sich einerseits verstehen als Aufklärung, indem die Reflexion auf die differenzierte Wahrnehmung von eigenen und fremden Ansprüchen mit der Orientierung an der Problemsicht auf der gesellschaftlichen Seite ausgelegt ist. Andererseits impliziert diese Perspektive auf Beratung eine Sicht auf Ressourcen, die in der Beratung entdeckt und gefördert
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Einleitung
werden und die Bewältigung von Krisenlagen unterstützen sollen. (vgl. Sickendiek/Engel/Nestmann 2002: 20f.) »Dementsprechend zielt Beratung auf die Förderung und (Wieder-) Herstellung der Bewältigungskompetenz der KlientInnen selbst und ihrer sozialen Umwelt, ohne ihnen die eigentliche Problemlösung abnehmen zu wollen.« (Sickendiek/Engel/Nestmann 2002: 14) Als Orientierungsunterstützung bietet psychosoziale Beratung da Hilfe, wo sich soziale Anforderungen irritierend auf den privaten Bereich von Personen auswirken. Als spezifische Interventionsform agiert sie in den Feldern Jugendhilfe, Familienhilfe, Gesundheitsfürsorge, Sexualaufklärung, Arbeitslosenberatung oder Wohnungslosenhilfe und ist gekoppelt an Themenkreise wie Gesundheit, Arbeit, Alter etc. Durch die Arbeit an den Grenzen zwischen Sozialem und Psychischem werden Widersprüche und Unvereinbarkeiten zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und subjektivem Empfinden neuralgische Punkte und zentrale Ansatzpunkte für psychosoziale Beratung.3 Großmaß stellt heraus, dass es bei allen unterschiedlichen Bezugspunkten psychosozialer Beratung allgemein darum gehe, »Vermittlungsleistungen an der Grenzlinie zwischen dem Sozialen und dem Individuellen zu erbringen« (Großmaß 2006: 485). Zentral ist die Perspektive, dass die Situation der Ratlosigkeit in einen jeweiligen sozialen Kontext eingebettet ist. Die aus der Orientierungssuche entstehenden Problemlagen werden dabei nicht auf die Ratsuchenden alleine bezogen, sondern die jeweilige Situation berücksichtigt und in diese eingeordnet. »In diesem Sinne setzt Beratung vor allem daran an, vorhandene soziale und materielle Ressourcen zu (re-) aktivieren, die für die Bewältigung von Problemen hilfreich sind, anstatt personale Defizite oder Störungen zu diagnostizieren und zu bearbeiten.« (Bamler/ Werner/Nestmann 2013: 81) Bislang lässt sich (noch) nicht von einer allgemeinen Beratungstheorie sprechen. Vielmehr verstehen sich verschiedene disziplinäre Zugänge als Beiträge zu einer sich etablierenden Wissenschaft von Beratung. Soziale Arbeit bildet neben etwa Pädagogik, Psychologie oder Soziologie u. a. einen dieser Zugänge, indem 3 Psychosoziale Beratung versteht sich als übergeordnete Kategorie von Beratung. In dem hier vorliegenden Verständnis soll es folglich nicht um eine disziplinäre Abgrenzung verschiedener Typen von Beratungsansätzen gehen. Zygowski etwa formuliert die spezifische Perspektive des psychosozialen der Beratung folgendermaßen: »Basierend auf dem Modell psychosozialer Belastung […] grenzt sie [psychosoziale Beratung, JCW] sich insoweit von interaktions- und alltagstheoretischen Konzepten sozialpädagogischer Beratung ab, als sie die Genese psychischer Störungen an grundlegende psychosoziale Widersprüche und Ambivalenzen knüpft, die aus dem konträren Gegenüber von individueller Subjektivität und gesellschaftlicher Objektivität resultieren und – dem Gegenstand gemäß – ihre Durchführung in einen ›widerspruchs‹und ›handlungsentlasteten‹ Raum außerhalb der alltäglichen Lebenswirklichkeit verlegt, ohne diese jedoch als notwendigen theoretischen und praktischen Bezugspunkt aufzugeben.« (Zygowski 1989: 184) Das Verständnis des Psychosozialen, welches diese Arbeit fundiert, verweist auf eine grundlegende soziale Konstellation, die eben auch für sozialpädagogische wie auch für andere disziplinäre Beratungsansätze Geltung beansprucht.
Einleitung
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Beratung ein zentraler Handlungsmodus ist. Die folgenden Überlegungen sind dabei vor dem Hintergrund der Disziplin Sozialer Arbeit zu verstehen, deren grundlegende Struktur damit gleichwohl mit den Ebenen des Ethische und des Politischen bestimmt werden kann. In den Blick gerückt wird im Bereich des Ethischen die handlungsbezogene Perspektive von Personen, also subjektiv oder auch inter-individuell perspektiviert. Mit gesellschaftsanalytischem Blick fokussiert eine sozialtheoretische und sozialwissenschaftliche Perspektive anderes: »Sie zeigt die Machtdimension auf, die in allem Normativen steckt und hat ein skeptisches Verha¨ ltnis zum Kla¨ rungspotenzial gesellschaftlicher Diskurse.« (Anhorn/Großmaß 2013: 16) Zeigt sich nun auf der einen Seite eine gestiegene Anforderung nach ethischer Auseinandersetzung und Positionierung, die gerade erst durch die gesellschaftliche Institutionalisierung psychosozialer Beratung als Wahrung des Beratungsraums für eine intim- persönliche Auseinandersetzung anzusehen ist, erscheint es auf der anderen Seite unabdingbar, kritische Sozialtheorie und sozialwissenschaftliche Perspektiven in der Auseinandersetzung mit professionalisierter psychosozialer Beratung heranzuziehen, um die gesellschaftliche Dimension in den Blick zu nehmen. Wird auf der einen Seite die Ausklammerung gesellschaftlicher Perspektive als notwendige ethische Forderung plausibilisiert, rückt der Fokus auf eine inter-individuelle Betrachtung auf das Soziale der Beratung. Damit wird wiederum eine Dimension ausgeklammert, die sich jedoch durch die gesellschaftliche Einbettung psychosozialer Beratung als konstitutiv erweist. Großmaß und Anhorn stellen dabei heraus, dass Soziale Arbeit, die hier als Bezug und Hintergrund der Betrachtungen psychosozialer Beratung dienen soll, immer schon einer moralischen Affinität verpflichtet ist, was aus der Geschichte heraus erklärbar wird. Dadurch zeigt sich die Verhältnisbestimmung von sozialkritisch-sozialwissenschaftlicher und moralisch-ethischer Reflexion als schwierig (vgl. Anhorn/Großmaß 2013: 16). Wie lässt sich dieses Verhältnis dabei denken, ohne ›die Konkurrenz von Erklärungsmustern‹ (ethisch-moralisch gegen sozialtheoretisch-sozialwissenschaftlich) zu reproduzieren? In diesem Sinn steht die Frage nach Haltung in Relation zu den Dimensionen des Ethischen und des Politischen. Diese lassen sich wie eine Architektur von Sozialität betrachten, die die Grundlage psychosozialer Beratung bilden. Die Arbeit leistet damit einen Beitrag sowohl zu einer allgemeinen Beratungstheorie vor dem Hintergrund der Sozialen Arbeit als auch eine grundlegende Thematisierung des Sozialen als Gegenstand der Disziplin selbst. (Scheu/Autarke 2018) Die vorliegende Arbeit schließt damit unmittelbar an Mührel (2019) an, der in der Beschreibung einer (professionellen) Haltung, die sich über dem Verhältnis von »Verstehen und Achten« aufspannt, die Grundlegung Sozialer Arbeit sieht. Die sozialontologischen Voraussetzungen eines Haltungsbegriffs sollen also vor dem Hintergrund einer sozialen Architektur des Formats Beratung betrachtet
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Einleitung
werden. Auf das Verhältnis der Ebenen ist im Diskurs psychosozialer Beratung eingegangen worden. Wie oben dargestellt, zeigt sich dabei ein Konflikt, der sich als Spannungsverhältnis von Ethischem und Politischem verstehen lässt. Denn die beiden Perspektiven gehen nicht ineinander auf 4: »Wo das eine ist, scheint das andere keinen Platz zu haben und dies trotz wichtiger Gemeinsamkeiten, beziehen sich doch beide auf das Soziale und haben doch beide etwas Normatives. Die Moral sagt, wie es sein soll, obwohl es ha¨ ufig genug nicht so ist; die Gesellschaftskritik hebt hervor, was nicht sein soll, obwohl es faktisch ist.« (Anhorn/ Großmaß 2013: 15)
Beide Ebenen als spezifisches Merkmal psychosozialer Beratung betrachtend, zeigt sich eine entsprechende soziale Konstellation, die gleichsam im Diskurs jedoch nicht eigens aufgegriffen und nicht angemessen abgebildet wird. Denn die soziale Situation psychosozialer Beratung lässt sich mit einer auf Dualität aufbauenden Sozialtheorie, wie sie sich im Diskurs darstellt, nicht hinreichend aufschlüsseln. Betrachtet man nämlich das Soziale psychosozialer Beratung, so wird zunächst einmal eine auf einem Dualismus aufbauende Sozialstruktur betont, die sich auf die konkrete, dyadische inter-individuelle Interaktion zwischen Beratenden und Beratenen bezieht. Reiner Paris konstatiert: »Ratschläge im vollem Sinne des Wortes gibt es nur zwischen Individuen. Institutionen oder Kollektive können anderen Kollektiven nichts raten, und auch, wenn ein Einzelner einer Gruppe in flammender Rede eine bestimmte Handlungsweise nahe legt, wird er sich zwar vielleicht einer gewissen Ratschlag-Rhetorik bedienen, trotzdem werden wir das, was er tut, nicht das Erteilen eines Rates nenne. Stattdessen ist die soziale Grundsituation des Ratschlags typischerweise die Dyade.« (Paris 2014: 66, Hervorhebung im Original)
Betrachtet man somit psychosoziale Beratung von einer Interaktionsebene aus, also eine auf Inter-individualität bestimmte Relation bezogen, zeigt sich eine auf einer Dyade aufbauende Sozialstruktur, die auf einem dualistischen Prinzip fußt: Beratende und Beratene. Setzt das Nachdenken über Beratung seinen Schwerpunkt auf methodischen Auseinandersetzungen und orientiert sich überwiegend an psychologisch-psychotherapeutischem Vorgehen, verbleibt die Betrachtungseben auf einer Interaktionsebene des Ratgebens. Die Konstellation geht von der Perspektive auf Berater_innen – Ratsuchenden aus, bezieht sich also auf eine Sozialität, die in den Auseinandersetzungen im Diskurs in einer dichotomen Betrachtungsweise verweilt: Sozialität wird dyadisch in den Relationen von Ego und Alter gedacht- als dyadische Sozialtheorie (vgl. Fischer 2010: 140).
4 Für die Diskussion innerhalb der Disziplin Sozialer Arbeit siehe für eine Verwiesenheit beider Dimensionen hierzu Lütke-Harmann (2013).
Einleitung
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Auch zeigt sich für das Nachdenken über Beratung aus einer theoriegeleiteten, beobachtenden Perspektive, dass nicht nur die Ebene der Interaktion auf einer dyadischen Konstellation aufbaut, sondern dass auch sozialwissenschaftliche Theorieangebote einem auf Dualität und überwiegend Dichotomie aufbauenden Verhältnis, sei es in der Verbindung von Allgemeinem zu Besonderem oder Individuum zu Gesellschaft, verhaftet bleiben. Bedorf verdeutlicht dazu: »Unter den Bedingungen der Moderne, d. h. des Zerfalls segregierter oder hierarchischteleologisch geordneter Gesellschaft, stehen klassischerweise zwei fundamentale Optionen zur Verfügung. Die eine Option beginnt bei den Einzelnen und versucht, aus ihre Kooperation, ihre Aggregation oder ihre Interaktion einen Gesellschaftsbegriff zu gewinnen; die andere setzt bei Gruppen, Institutionen und Systemen an, um aus ihrer symbolischen Struktur die Interaktion zwischen Einzelnen zu erklären. […] In keiner der beiden Optionen besteht Bedarf für eine Figur des Dritten.« (Bedorf 2010a: 125)
Geht man nämlich hingegen von einer erfahrungsbezogenen Betrachtung psychosozialer Beratung aus, wie es die Perspektive der Berater_innen durch das eigene Involviert- Sein in die jeweilige Situation nahelegt, zeigt sich, dass eine dualistisch verfasste Sozialtheorie das spezifische psychosozialer Beratung nicht fasst. Mit dieser Betrachtungsweise bleiben nämlich die Beschreibungen unvollständig, indem je nach Perspektive stets eine Seite ausgeklammert wird: Die inter-individuelle klammert gesellschaftliche Seite aus; gesellschaftliche Perspektive verdeckt eine konkrete Interaktionsebene des Ratgebens. Beides bedarf es für einen Blick auf psychosoziale Beratung in der Verknüpfung von handlungsbezogenem Austausch des Ratgebens und Etablierung eines institutionalisierten Formats Beratung mit Perspektive auf Gelingen von Gesellschaft. Die auf Dualismus und Dyade aufbauende Betrachtung bedarf einer Erweiterung.5 Mit Bedorf lässt sich in Rekurs auf Levinas dahingehend die Figur des Dritten als Scharnier zwischen Ethischem und Politischem anbringen und damit auf die oben beschriebene Auseinandersetzung hin beziehen. (Bedorf 2010) Die Figur des Dritten ist in den letzten Jahren zunehmend in den Blick sozialphilosophischer, sozialwissenschaftlicher und sozialtheoretischer Betrachtungen gekom-
5 Beratung vor dem Hintergrund der Sozialen Arbeit zu betrachten, kann dabei auf eine bekannte Figur von ›Hilfe und Kontrolle‹ verweisen, worin das Doppelmandat gründet. Die Figur selbst verbleibt in einer dualistischen Vorstellung, indem der Standpunkt der Sozialen Arbeit selbst in sozialtheoretischer Perspektive Berücksichtigung finden muss. Staub- Bernasconi (2019) erweitert das Mandat zu einem Trippelmandat, indem sie ein Verständnis Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession stark macht. An dieser Stelle bleibt jedoch die Frage nach einer veränderten Sozialität unberücksichtigt, die mit der Konstellation des Trippelmandats einhergeht. Hier wird die Tragweite des Gedankens deutlich, der grundlegend die Disziplin der Sozialen Arbeit auf seine Voraussetzungen zur Sozialität hin befragt, was im Rahmen dieser Arbeit nicht in Gänze geschehen kann, späteren Arbeiten vorbehalten bleibt und jedoch einen Beitrag dazu leistet.
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men.6 Mit der Perspektive des Dritten kommen in unterschiedlichen Bezügen Aspekte zum Tragen, um auf Dualität bezogene Ansätze zu überwinden. Erlangt das Ratgeben gesellschaftliche Dimension, Auswirkung und Funktion, agiert also in einem Feld des Politischen, welches die Relation zu den anderen Anderen als Pluralität ins Spiel bringt, so muss die Dyade um die Figur des Dritten erweitert werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Ethischem und Politischem bezieht sich damit auf sozialontologische Voraussetzungen, die sich auf das Verhältnis der Grundfiguren des Sozialen (vgl. Hermann 2019: 19f.): Selbst, Andere und Dritte beziehen, die – wie die Problematisierung oben zeigt – von einem konfligierenden Verhältnis bestimmt sind.7 Haltung soll also im Hinblick auf eine tertiäre Sozialität psychosozialer Beratung hin befragt werden. Wie lassen sich dazu aber schließlich die Positionen dieser Tertialität und deren Verhältnis zueinander bestimmen? Geht man von einem für alle sozialen Grundfiguren übergreifenden und gleichbedeutenden Verständnis von Subjekt aus, so lässt sich wegen der Gleichursprünglichkeit und Wechselseitigkeit des Subjektstatus die intermediäre Position als eine vermittelnde, ausgleichende und den Konflikt lösende Figur betrachten. Zum einen ist der Bruch mit der Dualität damit jedoch noch nicht vollzogen. Zum anderen gilt es, das im Diskurs psychosozialer Beratung vorherrschende Subjektverständnis zu hinterfragen. Denn Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass ein bestimmtes Verständnis von Subjektivität damit auch im Begriff der Haltung reproduziert wird. Darin wird ein identitätslogisches Prinzip des klassischen sich-selbst-setzenden8, autonomen und souveränen Subjekt gepflegt, dessen Bild als Grundlage sozialer Beziehung gesetzt wird. Und diese Vorstellung prägen eben auch maßgeblich sowohl auf theoretischer Ebene die wissenschaftliche Betrachtung als auch auf (berufs-)praktischer Ebene das Selbstverständnis psychosozialer Beratung, wie es etwa im Rahmen der Ausbil6 Gesa Lindemann (2006) zeigt auf, dass der Dritte zwar in sozialwissenschaftlichen Theorien thematisiert wird, ihm jedoch dabei eine emergente Rolle zukommt. Sie nennt die folgenden Aspekte und Ansätze: Interaktionspositionen (Simmel), Bedingung von Objektivität (Berger/ Luckmann/Luhmann) Geltungsanspruch (Habermas) und stellt eine auf Dualismus aufbauende Sozialstruktur der Ansätze heraus. Lindemann weist darauf hin, dass die Sozialbeziehungen in dieser Konzeption immer schon von Vorannahmen bestimmt sind. Sie stellt davon unterschieden eine konstitutive Funktion des Dritten heraus und geht davon aus, dass in einer Sozialbeziehung erst eine Figur des Dritten die entsprechende Konstellation bestimmt. (Lindemann, 2006) Auch Joachim Fischer stellt die Bedeutung der Figur des Dritten heraus und verfolgt das Vorhaben, eine Sozialtheorie zu etablieren. Zur Figur des Dritten siehe: Bedorf/ Lindemann/Fischer (2010) sowie Eßlinger/Schlechtriemen/Schweitzer/Zons (2010). 7 Ein konflikthaftes Moment von Sozialer Arbeit (Bitzan 2015) zu denken und den Widerstreit in den Fokus der Arbeit zu rücken hat Konsequenzen für die Vorstellungen von Sozialität, die sich damit als konfligierend erweist. 8 Siehe hierzu etwa die Konzeptionen von Ich und Nicht-Ich im Rahmen der idealistischen Philosophie und dazu eine exemplarische Auseinandersetzung bei Meyer-Drawe (1993).
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dung im Dachverband Beratung thematisiert wird. Vor dem Hintergrund eines vor allem seitens poststrukturalistisch informierter Ansätze dekonstruierten Begriffs zentrierter, von Autonomie und Souveränität geprägter Subjektivität, ist nach den daraus hervorgehenden Konsequenzen für einen Begriff von Haltung und damit eben auch nach einem Verständnis psychosozialer Beratung zu fragen. Die Vorstellung moderner Subjektivität sind von einigen theoretischen Ansätzen in Zweifel gezogen worden. Keupp und Hohl bemerken vor dem Hintergrund der Theorie reflexiver Modernisierung dazu treffend: »Unter den Bedingungen der modernisierten bzw. reflexiven Moderne bis eine Veränderung nicht nur der institutionellen Strukturen, sondern sich der Handlungs- und Subjektkonzeptionen zu erwarten wie diese Veränderungen aussehen ist umstritten, aber ein Subjektkonzept, in dessen Zentrum das moderne, autonome ›Kernsubjekt‹ steht, reicht zur Erklärung der Phänomene reflexiver Modernisierung auf der Akteuersebene sicher nicht mehr aus.« (Keupp/Hohl 2006: 9)
Die moderne und klassische Vorstellung von Subjektivität wird brüchig und die Frage nach der Konstellation von Sozialität wird damit virulent: Wie wirkt sich dies auf Haltung aus? Welche Bedeutung hat dies für ein Selbstverständnis professioneller psychosozialer Beratung? Lässt sich ausgehend von dieser Dezentrierung überhaupt noch von Handlungsfähigkeit sprechen, die sich als Voraussetzung für das Ratgeben ansehen lässt? Was bedeutet dies für das Format Beratung? Ist damit gar das ›Ende der Beratung‹ kolportiert? Die Annahme eines für alle Beteiligte übereinbringenden Subjektbegriffs stellt einerseits einen Aspekt von Gleichheit heraus, der als (politisch-gesellschaftliche) Forderung Beratungszusammenhänge grundlegend prägt und durchzieht. Andererseits wird jedoch, und das soll im Rahmen dieser Arbeit der Forderung nach sozialer Gleichheit beigestellt werden, durch Alterität, als einer Begegnung mit Anderen in ihrer irreduziblen Andersheit, ein Differenzmoment herausgestellt, welches auf die Verwischung von Unterschieden in einer Gleichheitsforderung aufmerksam macht. Denn aus einer erfahrungsbezogenen Perspektive auf das Format der Beratung wird ersichtlich, dass Berater_innen mit Ratsuchenden umgehen (müssen), die in der einfachen wie schwerlich zu fassenden Tatsache als Andere verschieden und eben anders (Alterität) sind als sie selbst. Was hierbei hinterfragt wird, ist also ein auf Identitätslogik aufbauendes Verständnis von Subjektivität als Grundlage eines Haltungsbegriffs und auch sozialen Verständnisses der Interaktionspartner_innen psychosozialer Beratung. Damit ist die Frage nach der grundlegenden Architektur von Sozialität gestellt, die in den Diskursen um psychosoziale Beratung nicht über den Subjektstatus hinausgeht und damit gerade die Frage nach Anderen als Andere ausklammert.
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Aus dieser Perspektive betrachtet, ist Beratung immer als Inter-Individualität zu rahmen, also nicht einem Solipsismus verhaftet, sondern stets in Relation zu Gegenüber und/oder auch gesellschaftlichen Bezügen situiert: Dies ist bereits im Format der Beratung angelegt, denn das Ratgeben als Form zwischenmenschlicher Kommunikation agiert im Medium der Sprache ist also sozial ausgerichtet. Wenn Haltung sich – vom Beratungsprozess ausgehend – immer auf Andere bezieht, zeigt sich die Problematisierung der Vermittlung von Subjektvorstellung und Inter-Subjektivität. Sozialprofessionelle Berufe, die sich immer an jemanden richten, kommen mit einer so gesehen eindimensionalen Perspektive auf das Subjekt nicht aus. Es bedarf der Frage nach einem Verständnis von Sozialität. Mit dieser Frage verbunden ist, ob in dieser Konstellation der Inter-Subjektivität von einem gleichwertigen Subjekt-Subjekt-Verhältnis auszugehen ist – also die Verknüpfung von Haltung und Subjektivität auch für den Anderen in gleichem Maße zu veranschlagen sei- oder ob nicht vielmehr der Andere9 als Anderer in der Beziehung auf etwas anderes verweist, was gerade anders ist als Subjekt (vgl. Masschelein/Wimmer 1996: 12). Damit wird die (absolute) Andersheit Anderer und deren Anerkennung thematisiert, wie es Levinas10 mit der Figur der Alterität ins Spiel bringt. Darin zeigt sich eine Dimension des Ethischen in der Beratung, die ihren Ausgangspunkt in der Begegnung von Beratenen und Beratenden hat und gerade von einem Moment unverfügbarer Andersheit Anderer ausgeht. Denn: wie lässt sich aus Sicht einer Berater_in ein Rat formulieren, der an das Fällen von eigenverantworteten Entscheidungen der Ratsuchenden gerichtet ist, der nicht schon im Vorfeld durch eine Entscheidung der Berater_innen die Entscheidung der Ratsuchenden vorweg genommen hat? Hier kündig sich eine erste »Wendung des Bezugs« (Mersch 2007) zu Anderen in ihrer irreduziblen Andersheit an.
9 Alterität mit »dem« Anderen, also einem maskulinen Artikel zu bezeichnen, bezieht sich auf eine Alteritätsfigur des Anderen und verweist in Bezug auf eine gendersensible Sprache gerade auf die Diachronie von absoluter und sozialer Andersheit, die den Kern dieser Arbeit ausmacht: Geschlechtlichkeit lässt sich der sozialen Andersheit mit all seinen politischen Konsequenzen und Implikationen zusprechen, so wie absolute Andersheit gerade die Sprengungen sozialer Kategorien und damit auch die Frage nach Geschlecht, ausdrückt. Beides lässt sich nicht getrennt voneinander betrachten, sondern lediglich auf diese Differenz hinweisen und die Konstruktionen sozialer Andersheit als solche in seiner Veränderbarkeit herausstellen. Die vorliegende Arbeit verwendet eine Gendergap Schreibweise und möchte auch andere, über binäre Geschlechterzuschreibungen hinausgehende Lebensformen miteinbeziehen, was durch den Unterstrich ausgedrückt werden soll. 10 In der Literatur taucht der Name Levinas mal mit und mal ohne accent aigu auf. Im Folgende wird die Schreibweise ›Levinas‹ unter Bezug auf Ludwig Walzer (2005) ohne accent aigu verwendet, wie es Levinas selbst praktiziert habe (XXIX). Die Schreibweise mit accent aigu in Zitaten wird so übernommen werden, wie es dem Original entspricht. Siehe dazu auch Töpper (2017: 9), die damit auch einen Bezug zur litauischen Herkunft des Familiennamens herstellt.
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Folgt man dem Bild der Wendung des Bezugs, so zeigt sich von einem alteritätstheoretischen Ansatz aus eine weitere Wendung: zu anderen. Denn in professionellen und institutionalisierten Bezügen eingebunden, erweist sich Beratung als etablierender Ort zur Verhandlung gesellschaftlicher Problemlagen und bezieht sich damit auch auf plurale Andere. Der Begriff des Psychosozialen verweist dabei ja genau auf die Perspektive in der Auseinandersetzung von Individuum und Gesellschaft. Mit der gesellschaftlichen Perspektivierung auf Beratung ist immer auch eine politische Kontextualisierung angesprochen, die psychosoziale Beratung in einer Ebene des Politischen rahmt. Durch die gesellschaftliche Dimension und sozialstaatliche Organisation psychosozialer Beratung wird damit auch ein Bezug zu aktuellen ›Regierungsweisen‹ und politischen Rationalitäten gezogen, die sich gegenwärtig unter dem Diktum einer ›Ökonomisierung des Sozialen‹ fassen und mit Foucault in einer Perspektive auf eine »Gouvernementalität der Beratung« näher beleuchten lassen. Die Grundfiguren des Sozialen im Ausgang einer Infragestellung klassischer Subjektvorstellung, die Frage nach dem absolut Anderen der Inter-Individualität und die Figur des Dritten lassen sich auch und vor allem für diesen Zusammenhang nicht losgelöst voneinander betrachten. Damit wird deutlich, weshalb überhaupt für die Rahmungen psychosozialer Beratung nach Sozialität gefragt werden muss. Ist ein Begriff von Haltung deshalb unweigerlich an eine egologische Struktur – also auf die solipsistische Perspektivierung eines einheitlichen und auf Gleichheit angelegten Subjektvorstellung beruhenden Bildes – geknüpft und muss angesichts der geschilderten sozialontologischen Voraussetzungen im Ausgang professioneller psychosozialer Beratungszusammenhängen aufgegeben werden? Oder kann sich Haltung gerade auf der Folie einer Architektur von Sozialität der Figuren Selbst, Andere und Dritte erweisen? Welche Bedeutung führt dies für ein Format von Beratung mit sich? Es gilt also, den im Diskurs auf Identitätslogik angelegten Haltungsbegriff differenztheoretisch umzuformen. Oder anders formuliert: Wie lässt sich in psychosozialen Beratungszusammenhängen ein Begriff von Haltung in seiner Sozialität denken, der nicht nur die Perspektive des Subjekts, sondern auch Andere und Dritte berücksichtigt? Und damit verbunden: wie lässt sich psychosoziale Beratung von Tertialität aus denken? In Emmanuel Levinas’ Auseinandersetzung um eine asymmetrisch, nichtreziproken und auf Erfahrung von Alterität verfassten Inter-Individualität sowie mit der Tertialität des immer schon anwesenden Dritten zeigt sich eine Möglichkeit, die Architektur der Sozialität in angemessen beschriebener Weise zu betrachten und auf die Frage nach Haltung hin fruchtbar zu machen. Die Figur wird dabei gerade nicht als Vermittlungsinstanz gesehen, sondern hebt den konfligierenden Charakter hervor. »Das bedeutet, daß sich eine Theorie des Dritten nur entwerfen läßt, wenn eine Alteritätstheorie dessen Problemhorizont
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eröffnet, und umgekehrt, daß eine Theorie des radikalen Anderen sich der Frage nach dem Dritten stellen muß.« (Bedorf 2003: 17) Betrachtet man den Haltungsbegriff im Diskurs um psychosoziale Beratung unter dem Aspekt der Tertialität, lässt sich damit auch etwas über Beratung als Ort aussagen, an dem sich dann gerade der beschriebene Konflikt erst artikuliert, so dass sich »Haltung als Sozialität im Widerstreit« verstehen lässt. Um dem nachzugehen, soll in einem ersten Schritt in einer soziohistorischen Rekonstruktion der Institutionalisierung und Professionalisierung von Beratung zunächst verdeutlicht werden, wie sich psychosoziale Beratung eingebunden in gesellschaftliche Transformationsprozesse versteht und sich als Ort von Verhandlung gesellschaftlicher Problemlagen auf individueller Ebene etabliert. Davon ausgehend lässt sich eine Perspektive auf die Problematisierung gewinnen, die sich auf die Auseinandersetzung und Frage nach dem Verhältnis einer unvermittelten individuellen mit einer gesellschaftlichen Ebene bezieht, die sich in den Dimensionen des Ethischen und des Politischen manifestiert. (Kapitel 2) Der Begriff der Haltung wird alsdann vorgestellt, wie sich das Sprechen über Haltung im Diskurs um Beziehungsgestaltung und Haltung psychosozialer Beratungszusammenhänge vor dem Hintergrund der Sozialen Arbeit als Folie darstellt. (Kapitel 3). In ethischer Dimension soll nach dem darin vermittelten Subjektverständnis gefragt und ausgehend von einer alteritätstheoretischen Perspektive eine ›Wendung des Bezugs‹ von Haltung herausgestellt werden. Mit Levinas lässt sich also etwas über die alteritätstheoretische Subjekt-Anderer Relation als Ethisches aussagen, die als eine Seite des Scharniers fungiert und dort eingehängt wird. (Kapitel 4) »Da Levinas die Dyade alteritätstheoretisch so anlegt, daß sie jede Allgemeinheit sprengt, ist aus dieser Beziehung von Subjekt und Anderem jedoch weder eine Theorie des Politischen noch eine Theorie der Gerechtigkeit herauszulesen.« (Bedorf 2003: 20f.)11 Vorgeschlagen wird, in die Scharnierseite des Politischen Foucaults gouvernementalitätstheoretischen Ansatz einzusetzen und auf psychosoziale Beratung zu beziehen (vgl. Bedorf 2003: 369)12. Dabei soll es nicht darum gehen, eine systematische politische Theorie 11 Pascal Delhom (2000) setzt sich in: »Der Dritte. Levinas Philosophie zwischen Verantwortung und Gerechtigkeit« dezidiert mit der Figur des Dritten bei Levinas auseinander. Für diese Arbeiten grundlegend bleiben jedoch die Arbeiten Bedorfs, der über Levinas Konzeptionen hinausgehend auch andere Figuren Anderer berücksichtigt. (siehe Kapitel 7) 12 Mit dem Einsätzen gouvernementalitätstheoretischer Perspektive ist noch nichts über eine Kompatibilität der Ansätze von Levinas und Foucault ausgesagt. Es fand keine Begegnung der beiden trotz gemeinsamer Bekanntschaften und einer gleichzeitigen Veröffentlichung eines Artikels über Maurice Blanchot in einer Zeitschrift statt. Bei aller Plausibilität und Nähe, die sich nicht in Verwandtschaft der Ansätze gründen lässt, sei zumindest auf eine grundsätzliche Differenz hingewiesen, dass Levinas sich auf eine personale Andersheit beizieht, Foucault mit einem »anders denken« hingegen auf eine Auseinandersetzung anonymer Andersheit abhebt. Es steht aus, das Verhältnis personaler und anonymer Anderseitheit zu explizieren Siehe
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einzusetzen als vielmehr auf Grund der noch zu explizierenden Ambivalenz der Figur des Dritten eine Perspektive auf das Politische im Ausgang der Differenz zur Politik anzubringen. Mit Foucault soll eine Perspektive auf Beratung und Gesellschaft herangezogen werden, die Beratung als ein Phänomen der Moderne eingebunden in eine gesellschaftliche Ordnungsfunktion berücksichtigt und damit machttheoretische Aspekte anspricht. Damit wird an aktuelle Diskurse um eine ›Gouvernementalität der Beratung‹ angeknüpft. Was dabei in Abgrenzung zu anderen aktuell diskutierten Ansätzen psychosozialer Beratung: Theorie reflexiver Modernisierung, Systemtheorie und Habitus-Feld Analyse mit einer foucault’schen Perspektive in den Blick kommt, ist eine Dimension des Politischen der Beratung, die durch die Kopplung der Inhalte psychosozialer Beratung an sozialpolitische Themenfelder Beratung unter Berücksichtigung von Rationalisierungsstrategien betrachten lässt. (Kapitel 5) Anschließend wird mit der Perspektive einer Gouvernementalität der Beratung die ›Ambivalenz der Macht‹ (Kapitel 6) näher bestimmt. Für die Ebene des Ethischen wie des Politischen sollen also jeweils Ansätze von Levinas wie auch Foucault herangezogen werden, deren Einsatz sich auch unabhängig voneinander durch den jeweiligen Bezug zu den Ebenen legitimieren lässt: Levinas aus alteritätstheoretischer Perspektive und Foucault vor dem Hintergrund von Beratung als Teil gegenwärtiger politischer Rationalität, beide als zwei unterschiedliche Zugangsweisen zum Ort des Sozialen. Wie sich jedoch das Verhältnis selbst beschreiben lässt und welche Bedeutung dies für einen in triadischer Sozialität verfassten Begriff von Haltung wie auch Ort psychosozialer Beratung hat, soll mit Bezug auf Bedorf und der Frage nach der Beschaffenheit des Dritten als Scharnier abschließend herausgestellt werden. (Kapitel 7) Wenn sich die Frage nach der sozialen Konstellation von Haltung auf die soziale Architektur psychosozialer Beratung beziehen soll, gilt es zunächst einmal den Rahmen zu verdeutlichen, der sich aufspannt, wenn das zwischenmenschliche Rat geben in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt wird. Dies soll im Folgenden mit einer soziohistorischen Betrachtung des Formats gezeigt werden.
hierzu auch die Auseinandersetzungen um Maurice Blanchot vor dem Hintergrund des Schreibens. (vgl. Gelhard 2005: 191–278)
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Ausgangspunkt war die Annahme, dass im Diskurs um psychosoziale Beratung im Begriff der Haltung ein Subjektverständnis vorherrscht, welches auf Autonomie und Souveränität fußt und von einem identitätslogischen Prinzip bestimmt ist. Um die sozialontologischen Voraussetzungen zu hinterfragen, soll im Folgenden das psychosoziale Beratung kennzeichnende Spannungsfeld aus ethischer und politischer Ebene – als interaktions- und gesellschaftsbezogene Ebene – herausgestellt und als konstitutiv für dieses Format ausgewiesen werden. Dazu wird zunächst die gesellschaftliche Ebene von Beratung herangezogen werden, um die enge Verknüpfung und das Involviert-Sein psychosozialer Beratung in gesellschaftliche Prozesse herauszustellen. Denn betrachtet man den Diskurs um professionelle psychosoziale Beratung fällt auf, dass der Fokus der Auseinandersetzungen auf der Betrachtung der Interaktionsebene von Beratung liegt und dabei äußere Einflüsse auf Beratung kaum thematisiert werden. Dominiert werden die Diskussionen dabei von einem auf Interaktion angelegten Blickwinkel auf Beratung, die damit auch die soziale Konstellation lediglich einseitig hervorheben. Es fällt auf, dass überwiegend handlungs- und fachspezifisches Beratungswissen Gegenstand des Diskurses ist und dabei eine Sichtweise auf die ›äußeren Einflüsse‹ unberücksichtigt bleibt, also die Zusammenhänge von Gesellschaft und Beratung (vgl. Großmaß 2002, vgl. Schnoor 2013). Dass Beratung nicht in einem luftleeren Raum agiert, stellt in der Professionalisierungsdebatte folglich einen weniger berücksichtigten Aspekt dar.13 Beratung handelt jedoch selbst vor dem gleichen Hintergrund wie die Themen der Beratung, die verhandelt werden (vgl. Schnorr 2013: 9). Der größte Teil der Diskussionen beschäftigt sich vorwiegend mit Themen verschiedener Handlungsfelder, der jeweiligen Bezugsdisziplinen sowie unterschiedlichen Formaten und Ansätzen von Beratung (vgl. 13 Mit dem Thema »Macht und Beratung« zeigen sich Ansätze in Richtung dieser Thematik, wie dies bspw. durch den Beratungskongress der Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB) 2013 mit dem Thema: »Beratung (M)macht Gesellschaft« im Diskurs präsenter wird.
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Schnoor 2013: 9). Vorherrschend bleibt in der Diskussion um professionelle Beratung das methodische Vorgehen, welches sich überwiegend an psychologisch- psychotherapeutischen Konzepten orientiert, so dass Beratung auch als trivialisierte Therapie, als ›kleine Therapie‹ bezeichnet wurde.14 Obwohl unter dem Oberbegriff der psychosozialen Beratung ganz unterschiedliche Berufsgruppen aus (Sozial-) Pädagogik, Sozialer Arbeit, Soziologie u. a. vertreten sind und auch in den klassischen Feldern von Bildung und Beruf arbeiten, zeigt sich eine Dominanz an psychologischen Konzepten (vgl. Engel 2004). Andere Konzepte und Ansätze blieben in den Auseinandersetzungen theoretisch wie praktisch randständig und konnten sich nicht durchsetzen (vgl. Nestmann 2013). In einer Überkreuzung von Psychotherapie und Beratung wird sichtbar, wie psychotherapeutische Ansätze in der Beratung Einzug halten und den Blick auf das konkrete Beratungsgeschehen richten. Der Fokus liegt dabei schließlich auf dem dyadisch angelegten Beratungsgeschehen. Eine genaue Differenzierung zwischen Psychotherapie und Beratung bleibt in den Auseinandersetzungen meist offen und uneindeutig, denn in therapeutischen Settings kann ebenso beraten werden, wie sich innerhalb der Beratung fließende Grenzen zu psychotherapeutischem Agieren zeigen lassen.15 Betrachtet man Psychotherapie und Beratung in ihrem Gewordensein, so zeigen sich gemeinsame Wurzeln, die mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen verwoben sind. Die aus den Veränderungen hervorgehenden Problemlagen stellten auch veränderte Herausforderungen an Einzelne und deren Umgang mit schwierigen Lebenslagen und ließen neue Formen und Formate des Umgangs damit hervorbringen.
14 Im Rahmen der Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes Mitte der 1990er Jahre haben sich auch Entwicklungen im Bereich der Beratung ereignet (vgl. Rechtien 2009: 2). Die Prozesse der gesetzlichen Regelung haben für Beratung einen weiteren Professionalisierungsschub ausgelöst. Einhergehend mit dem Gesetz können auch Berater_innen in Beratungsstellen eine psychotherapeutische Approbation erwerben und ein großer Teil wechselt in die Niederlassung als Psychotherapeut_innen. In Beratungsstellen findet eine Schwerpunktverschiebung statt: sie arbeiten weniger psychotherapeutisch und es entwickelt sich zunehmend ein eigenständiges Bild von Beratung. In Abgrenzung zur Psychotherapie ist Beratung in einer Perspektive auf Ressourcenorientierung ausgerichtet, und distanziert sich so von einem defizitären medizinischen Krankheitsbild und bewegt sich damit einhergehend langsam aus dem Schatten der Psychotherapie heraus. Gleichwohl bleibt die Orientierung an psychologischen Konzepten. 15 Wie schwierig eine genaue Unterscheidung der Formate ist, lässt sich mit Wißmach (2013) verdeutlichen, der im Rahmen eines psychodynamischen Ansatzes mit Bezug auf Körner von einem Kontinuum von Therapie und Beratung ausgeht, dessen Verortung stark abhängig ist von der jeweiligen institutionellen Rahmung.
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2.1. Beratung und Psychotherapie als Formen gesellschaftlicher Konfliktlösung McLeod (2004) verdeutlicht u¨ ber die Geschichte der »Geisteskrankheit« der vergangenen 200 Jahre, die als Vorläufer der Psychotherapie und Beratung gelesen werden kann, wie sich der Umgang mit psychosozialen ›Problemen‹ wandelte. Im 18. Jahrhundert wurde zwischenmenschlichen Problemen u¨ berwiegend religiös begegnet und in der Gemeinschaft und u¨ ber den Priester angegangen. Mit der industriellen Revolution transformiert sich das soziale und politische Leben, gesellschaftliche Strukturen wurden aufgebrochen und wissenschaftliches Wissen wurde zunehmend zur Bearbeitung von schwierigen Lebenslagen herangezogen. »Im Zuge von Industrialisierung und fortschreitender Modernisierung wurde der ganzheitliche Lebenskontext aus Alltagsleben, Arbeiten, Erziehen und Erfahrungensammeln aufgebrochen und in gesellschaftliche Institutionen ausgelagert: Arbeiten, Erziehen, Lernen sowie Freizeitleben erfolgten zunehmend außerhalb von Familie in differenzierten und weitgehend voneinander unabhängigen gesellschaftlichen Funktionsbereichen.« (Schubert/Rohr/Zwicker-Pelter 2019: 3)
Mit den gesellschaftlichen Veränderungen wie etwa dem aufkommenden Kapitalismus veränderten sich auch persönliche und soziale Beziehungen (vgl. McLeod 2004: 38). McLeod weist darauf hin, dass die Regelung des öffentlichen Lebens in Zeiten der industriellen Revolution mehr und mehr über soziale Kontrolle, über Normen und Regeln geleitet war (vgl. McLeod 2004: 39). Die sozial-gesellschaftlichen Entwicklungen schafften zentrale Voraussetzungen für Hilfe-, Orientierungs- und Unterstützungsangebote. »Die neuen Lebensorte und Lebensformen entwickelten eigene Strukturen und Abläufe, auf welche die ›alten‹ Erfahrungen und wohlgemeinten Anleitungen und Hilfestellungen nur noch bedingt – wenn u¨ berhaupt – u¨ bertragen werden konnten.« (Schubert/Rohr/ Zwicker-Pelter 2019: 3) Dem zwischenmenschlichen Kommunikationsmuster entlehnt und eingespannt in gesellschaftliche Fragestellungen erweist sich Beratung eben auch als »[…] eine gesellschaftliche Institution, die in die Kultur der modernen Industriegesellschaft eingebettet ist« (McLeod 2004: 25). McLeod weist mit Bezug auf Albee darauf hin, dass sich als eine der wichtigsten daraus resultierend psychologische Verschiebung auf die Betonung von ›inneren Werte‹ abzeichne. Soziale Kontrolle erfolgte dabei über verinnerlichte Normvorstellungen, die bei nicht Einhaltung etwa mit gesellschaftlichem Ausschluss geahndet wurden (vgl. McLeod 2004: 39). Die Gemeinschaft kümmerte sich vorher um die Alten, Kranken, Armen und so genannten Behinderten. Mit der Verstädterung ging einher, dass die »Versorgung fu¨ r diese unproduktiven Mitglieder der Gesellschaft« (McLeod 2004: 39) in so genannten workhouse
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systems, Arbeitshäuser verlegt wurde.16 Zu einer vermeidlich besseren Kontrolle psychisch erkrankter Menschen, entstand 1845 das so genannte Asylum Act als Einrichtung öffentlicher Verwaltung. »Diese Entwicklung markierte den ersten systematischen Eingriff des Staates in die Versorgung und Beaufsichtigung von Geisteskranken in Europa.« (McLeod 2004: 40) Was an der ›Geschichte der Geisteskrankheit‹ deutlich wird ist, dass sich eine zunehmend gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit psychosozialen Problemlagen entwickelt hat und auf den Einzelnen und dessen Umgang und Auseinandersetzung mit seinem Inneren abzielt. Es findet auf Grund der ›Entdeckung der Innerlichkeit‹ eine zunehmende Verlagerung der Problemlagen nach Innen statt. Mechanismen der Ausgrenzung und Scham, also der sozialen An- und Verkennung bleiben jedoch zentral und verändern sich als wesentliche soziale Kontrollmechanismen. In diesem sich wandelnden Umgang mit Schwierigkeiten und Problemlagen zeigt sich der Boden, auf dem Beratung und Psychotherapie schließlich aufbauen. Gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zeigen Veränderungen, »die dem Einzelnen und seiner Psyche Anderes und Neues abfordern« (Großmaß 2006: 486). Generell etabliert sich professionelle institutionalisierte Beratung in einer Zeit, in der die ›Psyche‹ eine eigenständige Problematisierung erfährt und zu einem eigenständigen Thema wird. Vor allem die Zeit nach dem 1. Weltkrieg und die aus den Kriegserlebnissen resultierende Situation von Not und Elend, ließ soziale und psychische Krisen sichtbar werden, auf die entsprechende Hilfeformen reagierten. Neben der Psychotherapie folgte parallel und unabhängig eine Entwicklung professioneller und institutionalisierter Beratung. Die Modernisierungsprozesse zeigen in dieser Zeit eine »grundlegende Umgestaltung des Gesundheitswesens – eine Umgestaltung, die allerdings Psychotherapie und psychosoziale Beratung insofern besonders tangiert, als diese die problematisch werdende Psyche – in unterschiedlicher Weise – zum Gegenstand helfender Kommunikation machen« (Großmaß 2004b: 94ff.). Trotz gemeinsamer Wurzeln schlagen die jeweiligen Formate unterschiedliche Entwicklungswege ein. Denn eine Differenzlinie zwischen Psychotherapie und Beratung zeigt sich mit der Zuordnung zu unterschiedlichen Diskursen: Während Psychotherapie einem Heildiskurs zugeordnet wird, gilt für Beratung ein Hilfediskurs, bei dem es um die starke Verzahnung und Verbindung mit gesellschaftlichen Teilbereichen geht und Beratung als ein Orientierungsangebot zu verstehen ist (vgl. Großmaß 2004b: 101). Beratung zeigt sich seit ihren Anfängen mit den Fragen nach dem Gelingen von Gesellschaft verbunden, indem in der zwischenmenschlichen Kommunikationsform des Ratgebens ein Format erscheint, in dem gesellschaftsrelevante Themen (die zu sozialpolitischen Themen werden) und die Verfasstheit von 16 Siehe hierzu auch Foucaults (1973) Auseinandersetzungen in Wahnsinn und Gesellschaft.
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Gesellschaft als Verhandlungsraum auf ›Individualebene‹ zur Verfügung steht.17 Mit der Perspektive auf dem Sozialen in seiner lebensweltlichen Breite, lässt sich Beratung betrachten als eingebettet in jeweilige gesellschaftliche Teilbereiche und soziale Kontexte. Die Verwobenheit von Beratung und gesellschaftlicher Ebene zeigt sich in der folgenden Betrachtung von Stationen der Professionalisierungs- und Insitutionalisierunsgeschichte psychosozialer Beratung.
2.2. Professionalisierung und Institutionalisierung Die Entwicklung der professionellen institutionalisierten Beratungsarbeit lässt sich auf Umstrukturierungen des Arbeits- und Berufsmarktes und Veränderungen vor allem in den Bereichen Gesundheit und Erziehung Ende des 19. Jahrhunderts zurückführen. Diese Veränderungen lassen psychosoziale Problemlagen entstehen und stellen damit einhergehend Anforderungen an die Einzelnen, denen mit einem breiten Beratungsangebot begegnet wird. In diesem Zuge entstehen Erziehungsberatungsstellen auf Basis von individualpsychologischen und psychoanalytischen Ansätzen (vgl. Großmaß 1997: 119). Innovativ war, dass sich Beratung als eigenständige Form der Problembewältigung entwickelte. War das Ratgeben bis dahin in andere Tätigkeitsfelder wie Seelsorge oder Erziehung eingebunden, ermöglichte nun das neu entstehende Angebot, gezielt Orientierungsproblemen zu bearbeiten. Als ein eigenständiger Raum von Kommunikation reagiert Beratung in institutionalisierter Form nun auf individuelle Problemlagen der Ratsuchenden (vgl. Großmaß 2006). In dieser Zeit entstehen auch Sexualberatungs- und Lebensberatungseinrichtungen, die von unterschiedlichen teils gegenläufigen gesellschaftlichen Kräften entwickelt werden (vgl. Großmaß 1997: 119). Vor allem sozialreformerische Bewegungen etablierten einen aktiven Umgang mit gesellschaftlichen Problemlagen (vgl. Großmaß 1997: 120). Hier zeigen sich vor allem Entwicklungsschübe aus dem Umfeld sozialistischer Arbeiterbewegungen, Frauenbewegungen und Sexualreformbewegungen.18»Initiativen und Engagement bei den Beratungsangeboten entsprangen dem Versuch, die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung zu 17 Wenn an dieser Stelle auf die Dominanz der interaktionsbezogenen Betrachtung des Beratungsgeschehens im Diskurs hingewiesen wird, so lässt sich jedoch nicht gleichbedeutend Psychotherapie ausschließlich damit auf eine individualistische Sichtweise reduzieren. An dieser Stelle gilt es auf zahlreiche Arbeiten zu verweisen, die den Zusammenhang von Psychotherapie und Gesellschaft herausstellen, wie etwa Alfred Lorenzers (2002) Verbindung von Psychoanalyse und u. a. der Soziologie oder mit Holzkamp (1985) der Verweis auf die »kritische Psychologie« mit Bezug auf eine allgemeine Perspektive der Bezugsdisziplin selbst. 18 Zu nennen ist hierbei etwa die Arbeit von Josephine Levy-Rathenau (1917), die im Zuge der Frauenbewegung die Etablierung der Berufsberatung vorantrieb.
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beeinflussen und durch Aufklärung und Beratung bei Konflikten, die ins Intimpersönliche reichen, die Handlungs- und Selbstbestimmungspotentiale breiter Bevölkerungsschichten zu entfalten.« (Großmaß 1997: 120) Im gleichen Zuge entwickelten sich konservativ orientierte Beratungseinrichtungen, die mit ihrem Angebot durch Aufklärung und Wissensvermittlung den Bestrebungen der sozialen Bewegungen entgegensteuerten. Seit den 1920er Jahren zeigt sich ausgehend von der Berufs- und Erziehungsberatung ein sich auch in anderen Lebensbereichen weiter differenziertes Angebot professioneller Beratungseinrichtungen (vgl. Großmaß 2006: 485). Die Aktivitäten progressiver Ansätze der Beratungsangebote wurden während des ›Nationalsozialismus‹ unterbunden. Konservativ ausgerichtete Beratungsstellen blieben zwar bestehen, richteten jedoch ihr Angebot an den nationalsozialistischen Programmen aus. »Auf dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es nicht erstaunlich, daß die Beratungseinrichtungen, die in der Wiederaufbauphase nach dem Nationalsozialismus ihre Tätigkeit (wieder) aufnahmen, konservativstabilisierende Funktion hatten.« (Großmaß 1997: 121) Erst ab den 1960er Jahren und der Stabilisierungszeit nach dem 2. Weltkrieg erhält Beratung im Zuge öffentlich und offen ausgetragener Konflikte wieder einen anderen Stellenwert (vgl. Großmaß 1997: 121). Wesentliche gesellschaftliche Entwicklungspunkte lösen einen weiteren Entwicklungsschub professioneller Beratung aus: Neben der Öffnung des Bildungswesens und der Frauenbewegungen ist vor allem die ›Psychologisierung der Gesellschaft‹ dabei richtungsweisend. Ab den 80er Jahren wird Beratung zunehmend zu einer »sozialpolitische Interventionsform« (Großmaß 1997: 121) und entwickelt sich stetig weiter. Betrachtet man die Professionalisierungsprozesse institutionalisierter Beratung, so wird ein breites und ausdifferenziertes Bild spezialisierter Beratungsarbeit erkennbar. Mit fortschreitender Professionalisierung zeigt sich dabei weniger ein klares Verständnis professioneller Beratung als vielmehr ein im Laufe der Prozesse stark mäanderndes Diversifizieren verschiedener Beratungsvorstellungen. »Mit der zunehmenden Komplexität der Lebensverhältnisse nimmt auch der Bedarf an differenzierter sozialer Unterstützung bei der Bewältigung der daraus entstehenden Entwicklungs- und Veränderungsnotwendigkeiten zu.« (Rechtien 2009: 2) Dabei erfordert die gestiegene Nachfrage und damit einhergehende wachsende gesellschaftliche Bedeutung von Beratung eine zunehmende Professionalisierung des Beratungshandelns. In der (ersten) Frankfurter Erklärung zur Beratung des Forum Beratung in der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) heißt es dahingehend: »Eine Welt im Wandel braucht Beratung, aber eine Beratung, die diesem Wandel Rechnung trägt!« (Forum Beratung in der DGVT 2004a: 1271) Historisch betrachtet, etabliert sich mit der zunehmenden Institutionalisierung Beratung auch gleichzeitig als eigenständiger Beruf. Während sich Beraten
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als Querschnittsaufgabe durch verschiedene Berufsfelder hindurchzieht, lässt sich mit der Institutionalisierung von Beratung von einer eigenständigen beruflichen Tätigkeit sprechen (Großmaß 2006: 1). Es entstehen hochqualifizierte Beratungseinrichtungen, in denen es ausschließlich um die Handlungsform des Beratens geht. In beiden Institutionalisierungsphasen ab 1920 und ab 1960 sind es gesellschaftliche Umbrüche, die Lebenskonzepte und Werte in Frage stellen und das intime Privatleben und persönliche Lebensführung berühren. Formen der Sexualität, Geschlechterrollen/sexuelle Identität, gesellschaftlich akzeptierte Erziehungsziele und Bildungsideale sind Themen, die in Beratungen zur Verhandlung stehen (vgl. Großmaß 1997: 121f.). Als einen gravierenden Unterschied der beiden Entwicklungsetappen führt Großmaß die Thematisierung von Emotionen an, die ab den 1960er Jahren verstärkt als Dimension Einzug in die Beratungsarbeit hält. Diese Entwicklung lässt sich etwa auf die ›Psychologisierung des Alltags‹ zurückführen. Großmaß verdeutlicht: »Hinsichtlich des kommunikativen Geschehens in einem Beratungsgespräch läßt sich – so könnte man behaupten – in den letzten zwanzig Jahren ein Professionalisierungsund Spezialisierungsprozeß in der psychosozialen Beratung ausmachen, der Beratung für ein noch weiteres Themenspektrum öffnet und der psychischen Dimension zunehmend Gewicht verleiht.« (Großmaß 1997: 122)
Beratung entwickelt sich von der verständnisvollen Aufklärung und Bereitstellen von Wissen, wie es etwa für die Zeit der Weimarer Republik bezeichnend war, zu einer psychologisch-psychotherapeutischen Kommunikation ab den 1960er Jahren (vgl. Großmaß 2000: 79). Mit dieser Verschiebung verändern sich auch institutionelle Aspekte von Beratung, denn die verhandelten Themen sind dann Fragen nach Emotion, Identität oder Beziehung. Großmaß konstatiert dahingehend: »Psychosoziale Beratung in ihrer professionellen Ausprägung ist insofern ein Produkt kultureller Veränderungsprozesse.« (Großmaß 2000: 80) Durch die Situationsbezogenheit des Ratgebens erhält der psychische Teil ein hohes Gewicht: nur das, so könnte man pointiert sagen, was in der Gesprächssituation selbst vor sich geht, wird zum Thema. Neben der Psychologisierung von Beratung nennt Großmaß weitere Einflüsse auf die Professionalisierung von Beratung ab den 60er und 70er Jahren: Gesellschaftliche Veränderungen wie Bildungsexpansion, Anti-Baby-Pille, Frauenbewegungen mit Frauenhäusern und Frauenberatung oder die Kinderladenbewegung geben weiteren Anstöße zur Professionalisierung von Beratung (vgl. Großmaß 2006: 3).
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Beratung: psychosozial
2.3. Beraten als sozialer Prozess Betrachtet man die oben aufgeführten Aspekte, lässt sich die Verknüpfung zwischen gesellschaftlicher Ebene und psychosozialer Beratung verdeutlichen. Einflüsse, die durch das politisch- institutionelle Setting auf Beratung einwirken, werden im Diskurs jedoch selten in den Blick genommen. »Die organisatorische Verknüpfung der Beratungseinrichtungen mit gesellschaftlichen Teilbereichen/ -systemen bleibt hierbei genauso ausgeblendet wie die Abhängigkeit von kulturellen Trends und berufspolitischen Interessen.« (Großmaß 2006: 486) Beratung erscheint allerdings selbst vor einem bestimmten historischen, kulturellen und sozialen Hintergrund, den es zu bedenken gilt. »Wenn man diese soziale Kontextuierung ausblendet, betrachtet man Beratung als eine quasi neutrale Hilfeform, die – objektiv und methodisch sauber gehandhabt – eine effektive Problemlösung der Klientel garantiert. Dies ist jedoch nicht der Fall.« (Schnoor 2013: 9) Die Fokussierung auf Methoden und Konzepte birgt die Gefahr, eine machttheoretische Perspektive auf die psychosoziale Hilfeform Beratung auszuklammern. Eingespannt in konfligierende Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gesellschaft liegt in der methodenorientierten Ausrichtung eine Gefahr der Umintepretation gesellschaftlicher Schieflagen in individuelle Problematiken. Damit gerät die Rolle von Beratung auf gesellschaftlicher Ebenen in den Hintergrund. Beratung jenseits Expertokratie und Therapeutisierung zu denken und damit den Anspruch, diese Gefahr zu reflektieren, zeigt sich bereits in den Ansätzen um eine sozialpädagogische Beratung aus dem Jahr 1976. (vgl. Frommann/Thiersch/ Schramm 1976) Der gleiche Anspruch lässt sich auch heute noch geltend machen. Nestmann führt Thierschs Bemühungen um eine sozialpädagogisch orientierte Beratung weiter, die sich kritisch von Beratung als trivialer Therapie absetzt. (vgl. auch Gröning 2016)19 Trotz aller Weiterentwicklungen von Beratungskonzepten in Absetzung eines Therapeutikums, wie es etwa Bauer und Reinhardt (2014) verfolgen, blieben Versuche und diese Ansätze im Beratungsdiskurs eher randständig (vgl. Nestmann 2013). Der fachliche Diskurs konzentriert sich vorwiegend auf Fragen nach dem Subjektstatus und die praktische Lösung der an die Institution und Organisation gestellten Aufgaben (vgl. Großmaß 2006: 489f.).
19 Nestmann (2013) schließt mit McLeods Ansatz, Beratung als Sozialen Prozess zu betrachten, an Thierschs Konzeption von Beratung an. Diesen Ansatz gilt es jedoch im Rahmen dieser Arbeit auf seine sozialontologischen Voraussetzungen hin zu befragen.
Der »Blinde Fleck«
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2.4. Der »Blinde Fleck« Großmaß stellt heraus, dass die Ausklammerung gesellschaftlicher Perspektive nicht in einem Mangel an Aufklärung gründet, sondern sich vielmehr dahingehend verstehen lässt, aus Perspektive der Ratsuchenden einen geschützten Raum der Beratungskommunikation zu Verfügung zu stellen. Dieser Raum wird durch Beratung eröffnet, der die Verhandlung von Privatem ermöglichen soll: Psychosoziale Beratung erweist sich als ein geschaffener Ort, an dem eine Auseinandersetzung von Problemlagen und Orientierungsbedarf auf individueller Ebene einer Beratungsinteraktion stattfindet. Dieser Ort ist jedoch rückgebunden an einen öffentlichen Raum, in dem die Beratung stattfindet. Denn ein Thema wird Gegenstand einer institutionalisierten psychosozialen Beratung, wenn die Situation einen gesellschaftlichen Bezug und damit auch (sozial-) staatliche Verantwortungsübernahme aufweist. Die Themen bewegen sich im Rahmen gesellschaftlicher Teilbereiche und sind sozial-politisch gerahmt. Psychosoziale Beratung ist dabei in institutionalisierter Form gesellschaftlich eingerichtet und besitzt damit auch eine sozialstabilisierende Funktion. Gleichzeitig gilt es, einen geschützten Rahmen zu ermöglichen, in dem »Perso¨ nliches als konflikthaft und desorientiert verhandelt werden kann, ohne die Personen zu entblo¨ ßen.« (Großmaß 2006: 490)20 In dieser Konstellation wird eine Ambivalenz deutlich. Denn einerseits gilt es, das Angebot an Beratung öffentlich auszuweisen und zu institutionalisieren. »Zum anderen gilt es Ra¨ume zu ero¨ ffnen, die Vertraulichkeit gewa¨hrleisten und den oder die Rat-Suchende ermutigen, sich mit perso¨ nlichen, manchmal intimen Schwierigkeiten dem Gespra¨ ch mit einem professionellen Berater oder einer Beraterin zu o¨ ffnen.« (Großmaß 2006: 487) In dieser Ambivalenz zwischen Privatem und Öffentlichen bewegt sich psychosoziale Beratung und entsteht eine konflikthafte Konstellation. Und es ist dieser Doppelcharakter der konstitutiv für psychosoziale Beratung ist. Großmaß verdeutlicht: »Das auf diese Weise deutlich werdende Spezifikum psychosozialer Beratung ist für ein institutionelles Beratungsangebot insofern gravierend, als die Legitimität einer direkten Einflussnahme auf Personen in demokratisch verfaßten Gesellschaften genau an dieser Grenze zwischen öffentlicher Zugänglichkeit und Privat-Persönlichem verläuft.« (Großmaß 2000: 14)
20 Großmaß stellt heraus: »Die ›Spaltung‹ von Beratungsgeschehen und Organisation lo¨ st diese Aufgabe.« (Großmaß 2006: 490) Dass es sich gerade dabei um eine unüberbrückbare Spalte handelt, die sich in den Dimensionen des Ethischen und Politischen zeigt, ist Teil dieser Arbeit.
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Beratung: psychosozial
Es wird eine konfligierende Auseinandersetzung erkennbar, die sich in der Person der Berater_innen verorten lassen und ethische Fragen auf den Plan rufen. Der Begriff der Haltung wird dabei virulent und erhält seine Kontextualisierung (vgl. Perko 2018: 113): Ethische Überlegungen beziehen sich auf Haltungen, wie sie in den Berater_innenvariablen nach Rogers und anderen formuliert werden.
2.5. Haltung als Ethos Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Krisenerfahrungen lässt sich eine gestiegene Nachfrage nach Ethik als Orientierungswissen begreifen. (siehe hierzu Luhmann 1990; Wimmer 1996; oder auch Gamm/Hetzel 2015) Das zunehmende Interesse an Haltung lässt sich damit in Verbindung bringen und vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Tendenz nachvollziehen. Ethische Haltung lässt sich als Ethos kontextualisieren und in Anlehnung an Foucault verstehen »als Weise zu sein und sich zu verhalten, als Seinsweise des Subjekts, das eine bestimmte, für die anderen sichtbare Weise des Handelns zeigt (vgl. Foucault 2007: Ästhetik der Existenz)« (Großmaß/Perko 2011: 20). Eine mögliche Erklärung des Aufkommens und vermehrten Thematisierung von Ethik, eines Ethik-Booms, sehen Großmaß und Anhorn darin, dass zunehmend moderne westliche Gesellschaften Probleme aufweisen, die im »ausdifferenzierten Rechtssystem keine ausreichend sichere normative Grundlage zur Verfügung stellt« (Anhorn/Großmaß 2013: 13). Widerstreitende und divergierende Ansprüche und Interessen können nicht in ein rechtsfähiges Urteil überführt werden: Ethik verspricht für das einzustehen, was das Recht nicht selbst halten kann. (vgl. Anhorn/Großmaß 2013: 13) Großmaß und Anhorn merken dazu an, dass sich Fragen individueller Lebensführung auf Fragen von gesellschaftlicher Tragweite beziehen und damit das Themenfeld individueller Ebene in einem öffentlichen Raum angesprochen ist. »Selbst politische und sozialkritische Analysen von aktuellen gesellschaftlichen Aufgaben werden inzwischen ha¨ ufig durch die Thematisierung von Moral begleitet.« (Anhorn/Großmaß 2013: 7) Die Zunahmen von Moral im öffentlichen-politischen Diskurs beziehen Anhorn und Großmaß u. a. auf konservative Ein- und Abgrenzungen, sich ausbreitende Menschenrechtsdiskurse und eine neue Wahrnehmung von Religiosität. Daneben zeichnet sich auch eine Parteinahme für Ausgeschlossene und Marginalisierte in der Gesellschaft ab (vgl. Anhorn/Großmaß 2013: 9). Im Bereich der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und psychosozialer Beratung im speziellen zeigt sich eine Begründungspflicht gegenüber dem eigenen Handeln, die sich aus veränderten Anforderungen an die Gestaltung der beruflichen Situation ergibt. Dabei zeigt sich eine zunehmende Verantwortung seitens der
Haltung als Ethos
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Fachkräften im Umgang mit dem Eingreifen in intim-private Lebenszusammenhänge.21 Hieraus wird eine berufliche Verantwortung ersichtlich, denn im Umgang mit einer asymmetrischen Hilfebeziehung müssen grundlegende Normen und Regeln gelten, um die Intimsphäre des Klientel zu schützen. »In diesen Anforderungen an die berufliche Verantwortung ist eine moralisch-ethische Dimension enthalten, die nicht einfach mit Hilfe der persönlichen Moral der jeweiligen Mitarbeiter_innen inhaltlich gefüllt werden kann.« (Großmaß/Perko 2011: 18, Hervorhebung im Original,) Anhorn und Großmaß verdeutlichen, wie die Auseinandersetzung mit den Bewertungskriterien des eigenen Handelns zunehmend in den Blick der Fachkräfte gerückt wird: »Die Fragen nach dem angemessenen Umgang mit dem Handlungsspielraum der Sozialen Arbeit, nach der Begru¨ ndung einzelner Entscheidungen in der beruflichen Praxis, nach Kriterien fu¨ r die Notwendigkeit und Begrenzung von Interventionen stehen damit in neuer Form auf der Tagesordnung.« (Anhorn/Großmaß 2013: 14)
Ethik zeigt sich als Antwort auf diese Fragen: »Ethik impliziert normative Argumentierbarkeit ethischen Handelns und bezieht Fragen des soziokulturellen und politischen Kontextes ein, außerhalb dessen auch keine Beratung stattfindet.« (Perko 2018: 112) Ambivalenzen, die sich aus der verantwortungsvoll zu gestaltenden Situation zwischen Privatem und Öffentlichen zeigen, werden in der Person der Berater_in ausgetragen, wodurch eine verstärkte Forderung nach Ethik im Beratungsdiskurs deutlich wird. Schnoor merkt dazu an: »Bisweilen taucht deshalb auch die Forderung auf, dass die berufsethische Verpflichtung der Berater wieder stärker das Wohl der Klienten in den Mittelpunkt rückt und der Gesellschaftsbezug vor dem Hintergrund universeller Normen menschlicher Sozialität relativiert wird (Schrödter, 2004)«. (Schnoor 2013b: 282) Ebenso zeigen sich vor dem Hintergrund moderner und pluraler Gesellschaft unterschiedliche Normvorstellungen, mit denen Ratsuchenden in Beratung gehen. »Der Umgang mit Differenz ist bewusst zu gestalten, die eigenen Normen gilt es als persönliche Moral wahrzunehmen (die dem Gegenüber nicht selbstverständlich unterstellt wird), und gleichzeitig muss man den Normen Geltung verschaffen, auf denen die helfenden Beziehungen basiert.« (Großmaß/Perko 2011: 19) Mit Großmaß und Perko lässt sich sagen, dass die Frage nach den Prämissen und Entscheidungsgrundlagen von Ethik und moralischem Handeln in professionellem Rahmen als Eckpunkte sozialer Berufe anzusehen sind (vgl. Großmaß/Perko 2011: 7). Eine Besonderheit der Auseinandersetzungen um Ethik und Moral stellt das asymmetrische Verhältnis zwischen Beratenden und Beratenen dar. Denn gerade durch die gesellschaftliche Rahmung zeigt sich ein Bezug zu Macht- und Herrschaftsverhält21 Siehe hierzu grundlegend Banks (2006).
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Beratung: psychosozial
nissen, in die soziale Berufe eingespannt sind. Da die Beziehungen in diesen Berufsfeldern dadurch gerade nicht von einem reziproken Verhältnis ausgehen können, gilt es die Asymmetrie bei der Beschäftigung mit ethischen Fragen zu berücksichtigen (vgl. Großmaß/Perko 2011: 161). Die im Diskurs geforderte Haltung muss dahingehend auf eine Ethik verweisen, die sich auf den Kontext des ethisch-politischen Auftrags psychosozialer Beratung vor dem Hintergrund der Sozialen Arbeit bezieht, »[…] dem moralphilosophische und theoretische Bezüge zugrunde liegen.« (Perko 2018: 122) Im Kontext einer gesteigerten Nachfrage nach Ethik und vor dem Hintergrund eines asymmetrischen Beziehungsverhältnisses lässt sich die gewachsene Beschäftigung mit dem Haltungsbegriff plausibilisieren und nachzeichnen. Hier taucht der Begriff der Haltung auf, der sich als Ethos auf die vis-a-vis Situation in der Beratung auf eine ethische Ebene bezieht. Aus der Etablierung eines nötigen Schutzraums, der auf Grund der Verhandlung intim-privater Themen in einem öffentlichen Raum institutionalisierter Beratung erschlossen wird, zeigt sich überhaupt die Notwendigkeit einer Thematisierung des Begriffs. Haltung lässt sich dabei dann als einen Teil von Beziehungsgestaltung verstehen. Die Beziehung und deren Gestaltung im professionellen Setting ist zu einer zunehmenden Größe in den Diskussionen herangewachsen. Denn die Beziehung erweist sich als ein entscheidender Faktor in der Beratung. Dabei bleibt jedoch gerade die Frage nach der sozialen Beschaffenheit der Beziehung und damit auch die sozialontologischen Voraussetzungen eines Haltungsbegriffs unberücksichtigt.
3.
Topographie von Haltung
Die folgenden Ausführungen sind als tentative Suchbewegungen zu verstehen, dem konischen Zulaufen auf Haltung hin nachzugehen, wie es der Diskurs psychosozialer Beratungszusammenhänge vermittelt. Was genau unter Haltung zu verstehen ist, wird – wie bereits angedeutet – im Diskurs nicht eigens zum Thema gemacht und lässt sich als »Leerstelle« bezeichnen (vgl. Fiegert/Sulzbach 2014: 25).22 Die oftmals implizit und meist ausbleibende Beschäftigung ist dabei in den letzten Jahren zunehmend ins Bewusstsein gerückt und hat eine rege Diskussion um den Begriff vorangetrieben.23 Bei näherer Beschäftigung wird die zunehmende Komplexität und Vielschichtigkeit noch sichtbarer, als es schon ein flüchtiger Blick auf gängige Vorstellung von Haltung vermuten lässt. Haltung lässt sich auch als ein Container-Begriff bezeichnen. Entgegen den Bemühungen einer anzustrebenden Klärung der Frage: »Was ist Haltung?« (Kurbacher/Wüschner 2017), soll im Folgenden gerade die Unabschließbarkeit dieser Frage aufgegriffen werden. Dazu soll eine im Umfeld poststrukturalistischer Ansätze beheimatete Perspektive auf den Haltungsbegriff geworfen werden, die nach den Effekten des Sprechens über Haltung fragt. Dabei soll Laclaus Konzept des »leeren Signifikanten« herangezogen werden. Es wird sich ein identitätslogisches
22 In ihren Streifzügen durch historische Eckpunkte der Lehrerbildung stellen Fiebert und Solzbacher heraus, dass es in den Auseinandersetzungen um Haltung stets um normative Ausrichtungen der Vorstellung des pädagogisch Richtigen und Guten geht. Eine Definition dessen, was unter Haltung zu verstehen ist, bleibt jedoch aus und zeigt unklare Unterscheidungslinien zum Begriff der Persönlichkeit. Dies erscheint angesichts der Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit als bemerkenswert. (vgl. Fiegert/Sulzbach 2014: 40f.) 23 Die Thematisierung des Haltungsbegriffs zeigt sich in verschiedenen Diskursen: Neben etwa (sozial-) pädagogischen/ Sozialer Arbeit (Mührel 2019, Fegter/Geipel/Horstbrink 2010, Henting 2003, Gröschke 2003, Schwer/Solzbacher 2014) Diskussionen wird der Begriff auch in philosophischen (Kurbacher 2006/ 2016/ 2017) und politischen (Reitz 2003) Themenfeldern aufgegriffen. Auch bildungstheoretisch gewinnt der Begriff zunehmen an Relevanz, wie u. a. etwa die gleichnamige Tagung »Haltung« im Rahmen der Kommission Bildungs- und Biographieforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft im September 2019 in Nürnberg veranstaltet wurde.
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Topographie von Haltung
Prinzip von Haltung zeigen, welches damit einhergehend auf ein klassisches Subjektbild rekurriert. Verschiedene Diskursebenen lassen sich dabei wie Schichten abtragen, um dem Haltungsbegriff nachzuspüren. Einen Rahmen liefert dabei die Betrachtung der Beziehungsgestaltung in Beratungszusammenhängen, die zum Haltungsbegriff vor dem Hintergrund Sozialer Arbeit führt und schließlich den Diskurs um psychosoziale Beratung im Dachverband Beratung aufnimmt. Die Rahmungen sind dabei Ausdruck einer Unbestimmtheit des Haltungsbegriffs, die daraus hervorgehend selbst nur bruchstückhaft, notwendig verkürzt und irreduzibel nicht abschließend bleiben muss. Die Beschäftigung mit dem Haltungsbegriff zeigt dabei, dass die vom Diskurs zugeschriebene Funktion einer Identitätslogik einer anderen Erfahrung weicht, mit Haltung gerade nicht ›zu einem Ende zu kommen‹. Darin lässt sich ein differenztheoretisches Moment von Haltung auffinden. Die soll im Folgenden gezeigt werden.
3.1. Beratungsbeziehung als Brennpunkt Bei allen unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkten scheint in der Gestaltung helfender Beziehung ein einendes und übergeordnetes Moment zu liegen (vgl. Domes 2017: 16). Denn aus Sicht der Ratsuchenden ist es vor allem die Beziehung, die die Qualität, den Erfolg und Wirksamkeit von Beratung ausmacht.24 »Keine noch so differenzierte Methodenauswahl und kein noch so gekonnter Methodenansatz können Beratungserfolg, die Kontinuität von Beratungsprozessen und die Verbindlichkeit von gemeinsamen Beratungsgesprächen sichern, wenn keine positive von Vertrauen getragene Beratungsbeziehung existiert.« (Nestmann 2004: 791) Die vornehmlich aus der Psychotherapieforschung kommenden Ergebnisse von Metaanalysen verdeutlichen, dass ein technisches Vorgehen auf Basis bestimmter Theorien, Methoden und Konzepte nicht allein Garant und überprüfbarer Orientierungspunkt erfolgreicher Beratung darstellt. Bei den Analysen hat sich die Beziehung als der größte Wirkfaktor herausgestellt. (vgl. Grawe/Donati/Bernauer 1994) Hierbei zeigen sich durch zahlreiche empirische Forschungen, dass es die Person der Beratenden, bzw. die (Qualität der) Beziehung zu Ratsuchenden ist, die für eine wirksame Beratung ausschlaggebend und entscheidend ist (vgl. Schäftner 2010: 9). Eine Beschäftigung und Auseinandersetzung mit generellen Fragen nach Qualität der Beratung 24 Eine aufkommende Thematisierung von Beziehung lässt sich auch vor dem Hintergrund von »Modetrends« theoretischer und konzeptioneller Bezüge betrachten. Hier ist vor allem an die Schlagwörter Netzwerkgedanken, Vernetzung oder Synergie zu denken. Wenn systemtheoretische Ansätze an Popularität gewinnen, ist es nachvollziehbar, dass das System Berater_inRatsuchende genauer unter die Lupe genommen wird.
Beratungsbeziehung als Brennpunkt
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lässt sich nicht nur auf die Diskurse um Methoden oder Professionalisierung reduzieren (vgl. B. Schmid 2004: 168). Die Gestaltung der Beziehung auf Basis von ›Menschlichkeit‹, verstanden als Begegnung von Personen, wiegt damit aus Sicht der Ratsuchenden mehr als ein technisiertes, auf Methoden und Theorie basiertes Verständnis von Beratung (vgl. Bürgi 2006: 55). Erst die enge Verzahnung und gegenseitige Bedingung mit dem Zusammenspiel von Methode und Beziehung ermöglichen das Gelingen eines Beratungsprozesses (vgl. Nestmann 2004: 793). Die Beziehung erscheint dabei mehr als nur eine Zweck-Mittel-Relation (vgl. Domes 2017: 17). Die Bedeutung, die von der Beziehung und deren Gestaltung ausgeht, lässt sich etwa bindungstheoretisch untermauern. Einerseits wird die Erfahrung einer gelingenden, ›gesunden‹ Beziehung betont. Hierbei erscheint die Begegnung als Heilung ge- und beschädigter Beziehungserfahrungen. Hildenbrand und Welter-Enderlin sprechen deshalb von »Heilung durch Begegnung« (Hildenbrand/Welter-Enderlin 2004: 20). Andererseits ist es gerade erst die Beziehung von Beratenden zu Ratsuchenden bzw. die Qualität dieser Beziehung, die überhaupt erst einen Hilfeprozess initiieren kann. Grundlegend geht es dabei um den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung als Ausgangspunkt von Veränderung, bzw. der Bereitschaft der Ratsuchenden, Hilfe anzunehmen (Bang 1964). Sachse und Takens (2004: 65) formulieren dies für den therapeutischen Zusammenhang so: »Es muss eine Beziehung aufgebaut werden, in der es dem Klienten möglich ist, belastende Probleme anzusprechen, sich mit Inhalten zu beschäftigen, die ihm selbst unangenehm oder peinlich sind.« Es geht also um den Aufbau einer entsprechenden Atmosphäre, einer spezifischen Stimmung, eines Vertrauensverhältnisses, das für den Erfolg einer Beratung empirische nachgewiesen wurde.25 Domes stellt für die Soziale Arbeit wesentliche Dilemmata heraus, die die Gestaltung eines ›Schutzraums‹ notwendig werden lassen. Dabei zu nennen ist das Technologiedefizit, Ökonomisierung sowie doppeltes/ tripple Mandat (vgl. Domes 2017: 17f.). Helfende Beziehungen sind strukturell und funktional von einem asymmetrischen Verhältnis gekennzeichnet. Grundlegend für einen Hilfeprozess ist gerade, dass Ratsuchende ein Mehr an Wissen und Information von Helfer_innen erwarten. Dies stellt für Ratsuchenden ja auch die Motivation dar, sich beraten zu lassen. Dass überhaupt Beratung in professionellen Zusammenhängen angenommen wird, liegt gerade darin begründet, dass ein Wissensdefizit oder eine Situation von Unentschiedenheit bei Ratsuchenden vor25 Ausgehend von einer grundlegenden Bezüglichkeit, werden Grundelemente helfender Beziehung herausgestellt, die auch über die jeweiligen spezifischen Beziehungskonstellationen: Ärzt_in- Patient_in-Verhältnis, Erzieher_in zu Zögling oder auch von Therapeut_in zu Klient_in hinausgehen. Deshalb lassen sich, so das Argument, die Ergebnisse etwa der Psychotherapieforschung über Wirkfaktoren auch auf die Beratung übertragen.
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liegt. Engel bezeichnet dies als Wissens-Asymmetrie (vgl. Engel 2002: 381f.). Steiner führt darüber hinaus aus systemtheoretischer Perspektive weiter aus: »Es geht beim Beratungsprozess ja primär darum, dem Ratsuchenden Beobachtungsmöglichkeiten zu schaffen, über die dieser aufgrund seiner Position nicht verfügt, zu denen jedoch der Berater einen Zugang vermitteln kann.« (Steiner 2009: 83) Durch eine institutionelle Einbindung wird Berater_innen eine spezifische Rolle zugeschrieben, die mit spezifischen Befugnissen ausgestattet und zumindest potentiell mit einer bestimmten Machtrolle besetzt ist (vgl. Engel 2002: 382, vgl. Großmaß 2009: 551). Macht wird in diesem Zusammenhang vor allem in einem repressiven Verständnis begriffen. Die Begrenzung und Rahmung der Macht stellt dabei ein ethisches Regulativ und Korretiv dar.26 Im Rahmen des doppelten Mandats eines grundlegende Hilfe-Kontrolle-Dilemmas der Sozialen Arbeit sieht sich eben auch psychosoziale Beratung in der Position, zwischen gesellschaftlichem Anspruch und individueller Hilfesituation zu agieren (vgl. Hagelhülsman 2007: 104).27 Damit einhergehend läuft Beratung immer auch Gefahr, gesellschaftliche Normierungsansprüche durch- und umzusetzen, die nicht immer im Sinne der Ratsuchenden sein müssen. Beratung kann damit auch als Problemlösung oder Puffer gesellschaftlicher hervorgebrachter Problemlagen avancieren (Dewe 1991) und damit auch zu Selbststeuerungsstrategien für die Klärung gesellschaftlicher Konflikte werden (vgl. etwa Traue 2010). Sickendiek spricht daher von der Gefahr einer (sozial-) politischen Funktionalisierung von Beratung (vgl. Sickendiek 2008: 35). Für den Bereich der Zwangsberatung zeigt sich diese Rollen-Asymmetrie augenscheinlich am schärfsten. Obgleich diese Beratungsform erst einmal im Widerspruch zum Postulat der »prinzipiellen Freiwilligkeit« (Thiersch 1991) von Beratung steht, kann sich innerhalb dieses Settings durchaus ein konstruktiver Hilfeprozess entwickeln. (siehe hierzu Kähler 2005; Grösch 2013) Die Initiierung des Hilfeangebotes obliegt hierbei nicht den Ratsuchenden selbst und es bleibt deshalb fraglich, ob sich auf Grund der aus einer Zwangsberatung resultierenden möglichen Konsequenzen für Ratsuchende der Rat als Befehl oder Empfehlung versteht.28 Es bleibt grundlegend die asymmetrische Konstellation der Akteure bestehen. 26 Den Machtbegriff anders als repressiv, nämlich im Ausgang von Foucault als Ermöglichung und in seiner Ambivalenz und dessen Bedeutung für Haltung und Beratung, soll gerade in der Ebene des Politischen verdeutlicht werden. 27 Dass sich diese Perspektive im Diskurs Sozialer Arbeit auch anders thematisieren lässt, verdeutlicht zusammenfassend Müller (2012). Für den Zusammenhang dieser Arbeit und der Frage nach einer grundlegenden Sozialitätsstruktur ist es zunächst einmal entscheidend, dass eine individuelle Bearbeitung von Problemlagen erfolgt, die eine gesellschaftliche Relevanz haben. 28 Zu denken ist hierbei an den Bereich der Arbeitslosenberatung der Empfänger_innen von Arbeitslosengeld II und der Sanktionierungsmöglichkeit durch zeitweise Kürzung der Sozi-
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Ein weiterer Aspekt struktureller Asymmetrie der professionellen Beratungsbeziehung zeigt sich in dem, was Engel die Thematisierungs-Asymmetrie nennt: Ratsuchende müssen zunächst einmal bevor sie eine Beratung in Anspruch nehmen selbst darlegen, weshalb sie eine Beratung aufsuchen und in diesem Rahmen Unterstützung erhalten sollten (vgl. Engel 2002: 382). In einer Beratung werden überwiegend sensible Themen der Ratsuchenden angesprochen. Dabei zeigt sich, dass gerade – im Unterschied zu etwa freundschaftlichen Beziehungen – der Fokus auf den Ratsuchenden liegt. In einem professionellen Setting bedeutet dies, eine notwendige (emotionale) Distanz der Beratenden zu den Beratenen zu wahren (vgl. Großmaß 2009: 557ff.).29 Dieser Aspekt macht eben einen Unterschied zwischen professioneller und alltäglicher Hilfebeziehung aus (vgl. Nestmann 2004d). Es ist davon auszugehen, dass das asymmetrische Verhältnis grundlegend für eine Beratungssituation ist; selbst da, wo Beratungsansätze den Status der Berater_innen als Expert_innen ablehnen und Ratsuchende selbst als Spezialisten für die jeweilige Situation und Lösungswege angesehen werden (vgl. Mutzeck 2008). Heiner (2007) thematisiert verschiedene Ebenen des Verhältnisses zu Ratsuchenden, die sich sowohl auf asymmetrische aber eben auch auf symmetrische Aspekte beziehen können. Diese symmetrischen Anteile lassen sich als Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen Beratenden und Beratenden fassen. Die Erarbeitung und Initiierung dieser Prozesse ist auf der Seite der Berater_innen angelegt (vgl. dazu Heiner 2007). Die Verantwortung für die Gestaltung der Beziehung bleibt damit bei den Berater_innen (vgl. Großmaß 2009: 557). Die Konstellation der Asymmetrie der Akteur_innen erweist sich deshalb als konstitutiv für professionelle Beratungsbeziehungen. Die strukturelle Asymmetrie und das Machtgefälle in professionellen Beratungsbeziehung rufen unweigerlich ethische Fragen auf den Plan: das spezifisch geartete Verhältnis macht es unabdingbar, den Umgang mit dieser machtvollen Beziehung zu reflektieren. Betrachtet man das Thema »Ethik und Beratung« innerhalb des Beratungsdiskurses, so zeigen sich Themen, die genau den oben genannten strukturellen Aspekten entsprechen (vgl. Buchinger 2006). Schrödter (2004: 464f.) verdeutlicht folgende Themen: (1) Nähe und Distanz, (2) Deutungsmacht oder Therapeutisierung, (3) ›geheime Moral‹ von Beratung oder poalleistungen. Dadurch entsteht unweigerlich ein existentielles Abhängigkeitsverhältnis der Ratsuchenden von den Ergebnissen der Verhandlungen innerhalb der Beratung. Vgl. hierzu exemplarisch Göckler (2009). 29 Dass dieser Aspekt der (emotionalen) Distanz nicht nur die Unterstützungsprozesse der Ratsuchenden untergraben, sondern sich auch auf die Person der Helfenden stark belastend auswirken kann, verdeutlicht Wolfgang Schmidtbauers (2017) »Helfen als Beruf«, welches durchaus inzwischen als Klassiker gelten kann und in seiner Aktualität bis heute vergleichbare Veröffentlichungen sucht.
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litische Einflussnahme gesellschaftlicher Anliegen und (4) Entscheidung zwischen gleichwertigen Ansprüchen. Ethische Anliegen beziehen sich nach Buchinger einerseits auf Fragen, die innerhalb von Beratung diskutiert werden können, also selbst als Gegenstand von Beratungsthemen werden. Als »Ethikberatung« hat sich hierfür ein eigenständiger Bereich etabliert. Andererseits werden ethische Fragen für den Umgang und die Ausgestaltung der Beratungsbeziehung wichtig (vgl. Buchinger 2007: 138ff.). Vor allem im Umgang mit der funktionalen Asymmetrie zeigen sich Bemühungen, die Position der Berater_innen machtsensibel zu reflektieren und etwa mit Gesprächstechniken und machtkritischen und non-direktiven Vorgehen zu gestalten. Darin lassen sich ebenso auch politischen Vorstellungen des Formats Beratung wiederfinden (vgl. Nestmann/Sickendiek 2002: 167). Die Gestaltung der Beziehung orientiert sich dabei an übergeordneten Werten der Gesellschaft. Beratungsinstitutionen Sozialer Arbeit sind zum Beispiel in einen rechtlichen Kontext eingeordnet, der sich auf Werte bezieht, die einer staatlichen Rechtsordnung, wie etwa der Bundesrepublik Deutschland zu Grunde liegen. Ein demokratisches Verständnis und eine auf der humanistischen Idee aufbauende Vorstellung von professioneller Beratung gehen von einer auf Gleichberechtigung und Reziprozität angelegten Gestaltung der Beratungsbeziehung aus. Darin spiegeln sich die Werte, die als Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens zu betrachten sind. Schrödter betont dabei auch vor dem Hintergrund der Beratung, dass »ihre [der Werte, JCW] Gültigkeit […] ausdrücklich nicht zur Disposition [steht]« (Schrödter 2004: 460, Hervorhebung im Original). Weil das oben beschriebene asymmetrische Verhältnis der Beratungsbeziehung im Widerspruch zu einem Verständnis von gleichberechtigten Gesprächspartnern steht und das Machtgefälle zwischen Berater_innen und Ratsuchenden eines reflektierten Umgangs bedarf, ist ein Regulativ gefordert, welches sich dahingehend als ethischer Anspruch der Verwirklichung von Autonomie, Gleichheit und Solidarität verstehen lässt. Dieser ethische Anspruch wird bestimmt von Prinzipien der Gleichberechtigung und Partizipation und findet seinen Ausdruck in einer reziproken Beziehungskonstellation. Ein Ausdruck davon zeigt sich in einem »respektvollen« Umgang »auf Augenhöhe«, um dadurch einem möglichen Missbrauch (sowohl durch den Berater_innen als auch für gesellschaftliche Anliegen und Zwecke) entgegen zu wirken (vgl. Rogers & Buber 1984/ 1957: 58 und vgl. dazu Fuhr 2003: 46ff.). Das Paradigma der Gleichheit und der damit einhergehenden reziproken Beratungsbeziehung zeigt sich etwa bei der Strukturierung des Beratungsprozesses in Form der Arbeitsbeziehung und Herstellung eines Arbeitsbündnisses (vgl. Becker-Lenz 2005). Innerhalb dieses Bündnisses werden auf rationaler Basis Rahmenbedingungen des jeweiligen Prozesses abgesteckt. Das Moment der Reziprozität zeigt sich etwa in den Aushandlungsprozessen, die durch den Be-
Grundhaltungen und funktionale Beziehungsgestaltung
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ratungskontrakt festgeschrieben und geregelt werden. Dadurch soll die Zusammenarbeit zwischen Ratsuchenden und Berater_innen geregelt werden. Darin enthalten sein können: die Zielsetzung, Art und Umfang der Hilfe, Vereinbarung eines Honorars etc.30 Wichtig für diesen Zusammenhang erscheint der gemeinsame Aushandlungsprozess der Beteiligten (Mutzeck 2008/Methner, Melder, Papp 2013, vgl. auch Traue 2010: 254). Der Kontrakt kann dabei einen stabilen Rahmen für die Beratung liefern und damit einhergehend eine wichtige Funktion im Beratungsprozess einnehmen. Einig ist sich der überwiegende Teil der Theoretiker_innen und Praktiker_innen helfender Berufe darüber, dass der unspezifische Wirkfaktor einer vertrauensvollen, auf Respekt und Anerkennung basierenden Beziehung überhaupt erst die Voraussetzung für einen Hilfeprozess darstellt und für die Gestaltung des Arbeitsbündnisses als grundlegend zu erachten ist.
3.2. Grundhaltungen und funktionale Beziehungsgestaltung Beziehung wird dabei je nach theoretischem Hintergrund zwar nicht immer als hinreichender aber eben als notwendiger Faktor angesehen, dass überhaupt Hilfe angenommen wird. Joraschky und Petrowski (2008: 354) stellen wesentliche Aspekte heraus, die auch Schulen übergreifend Geltung beanspruchen: »[…] bedingungsfreies Akzeptieren, einfühlendes Verstehen und Echtheit, Transparenz, Vermittlung von Respekt und Autonomie, Neutralität, positive Bestätigung von Veränderungsschritten, lösungsorientiertes Umgehen mit Krisen und Aufgreifen der Patientenerwartung.« Die Folie für die Gestaltung dieser Faktoren wird in der Haltung der Berater_innen gesehen. Haltungen lassen sich damit als Grundpfeiler der Beziehungsgestaltung und damit überhaupt erst als Voraussetzung gelingender und helfender Beziehung ansehen. Im Rahmen der Professionalisierung des Beratungshandelns zeigt sich demnach der Anspruch an Beratende, neben der Aneignung von Kompetenzen und Fertigkeiten bestimmte Grundhaltungen einzunehmen. Ähnlich wie in den Ansätzen geisteswissenschaftlicher Pädagogik lässt sich Haltung dann als Charakter der Erzieher_innen (Nohl 2002) oder Herbarts »pädagogischen Taktes« (Benner 1993) verstehen oder im Sinne Dörners Grundhaltungen des ›guten Arztes‹: »Entsprechend geht es zuerst um eine Beziehungsethik, aus der sich erst eine Handlungsethik entwickelt.« (Dörner 2003: 63) Innerhalb der etablierten (psycho-)therapeutischen Richtungen Psy30 Im Rahmen der Arbeitslosenberatung durch die Agentur für Arbeit und die (Kommunalen) Jobcenter geschieht dies in Form der sogenannten Eingliederungsvereinbarungen, die durch die gesetzliche Rahmung einen rechtlichen Vertragscharakter erhalten. Siehe hierzu exemplarisch Göckler 2012.
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choanalyse (Bohleber 2012), systemische Therapie (v. Schlippe/Schweitzer 2012) und der Verhaltenstherapie (Zimmer 2006) lässt sich übergreifend eine Entwicklung hin zu einer intersubjektiven und dialogischen Beziehungsgestaltung nachzeichnen. Ratsuchende werden dabei in ihrem Person-Sein wahrgenommen. Eine auf die Person zentrierte Sichtweise wird hierbei durchgängig präferiert. Innerhalb des Beratungsdiskurses haben sich – auch schulenübergreifend – die von Carl Rogers im Rahmen der klientenzentrierten Gesprächsführung etablierten Haltungen: Empathie, Wertschätzung und Authentizität durchgesetzt, die sich auch durch die weiterführende Forschung noch weiter ergänzen lassen (vgl. Nestmann 2004a: 792f.; vgl. Reichel 2005: 79).31 »Der Ausdruck von Empathie und von Akzeptanz der Sichtweisen und Persönlichkeiten von KlientInnen sowie das Angebot eines Arbeitsbündnisses, das Einvernehmen, Verstärkung und Konfrontation erlaubt, können zentrale Schritte zu einer vertrauensvollen und tragfähigen Beratungsbeziehung sein.« (Sickendieck 2008: 223) Ebenso formuliert Stimmer als Grundlage und Ziel Sozialer Arbeit im Allgemeinen eine kommunikative Verständigung, zu der Haltungen der Berater_innen einen entscheidenden Beitrag leisten (Stimmer 2006: 44ff.). Und diese Sichtweise prägt den gesamten Bereich psychosozialer Hilfen. Ausgehend von den beschriebenen Grundhaltungen zeigt sich vor allem im Hinblick auf die Wirksamkeit des Beratens die Gestaltung von Beziehung als funktionalisiertes Vorgehen innerhalb der Beratungsprozesse. Weil sich in der Beratungsliteratur ein Mangel an methodischen Gestaltungsprinzipien herausstellt, formuliert vor allem Schäfter für den Beratungsbereich vor dem Hintergrund der (Sozial-) Pädagogik Arbeitsprinzipien zur Umsetzung der Basisvariablen. Sie betont dabei eine »Integration von Beratungshaltungen und spezifischen Vorgehensweisen« (Schäfter 2010: 88). Schäfter beschreibt dahingehend Arbeitsprinzipien, die diese Aspekte verbinden sollen: wechselseitiges Vertrauen, gegenseitiges Verständnis, wechselseitige Wertschätzung sowie gemeinsame Hoffnung als methodengeleitete Arbeitsprinzipien zur Umsetzung der Beraterhaltungen. Auch Gahleitner (2017) sowie auch Abeld (2017) verweisen auf die fehlende Operationalisierung der geforderten Gestaltungsprinzipien und deren praktische Umsetzbarkeit. Auffällig ist hierbei die auf Gegenseitigkeit und Gleichheit angelegte reziproke Beziehung zwischen Berater_innen und Ratsuchenden.32 31 Nestmann führt hier Frank an, der neben der Art der Beziehung, den Hilfeort, Behandlungstheorie sowie Aktivität oder Verfahren anbringt. Auch bezieht Nestmann sich auf Carkhuff und die Aspekte Unmittelbarkeit, Konkretheit sowie Konfrontation (Nestmann 2004a: 790/ 792f.). Da es im Rahmen dieser Arbeit weniger um die Attribuierung von Haltungen geht, soll an dieser Stelle lediglich ein Verweis auf die entsprechenden Haltungen genügen. 32 Auch zeigt sich als unmittelbares Resultat aus den Bemühungen um eine »Allgemeine Psychotherapie« im Nachgang zu Grawes Forschungsergebnissen die Betonung einer gleich-
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Zusammenfassend lässt sich festhalten: das Praktisch-Werden der Haltungen und die Umsetzung der darin implizierten Wertvorstellungen avancieren zu einem funktionalen und methodischen Gestaltungsprinzip professioneller Beziehung zur Erreichung einer Wirksamkeit33 – und das gilt übergreifend für die grundlegenden Beratungsansätze. Beziehungsgestaltung erweist sich damit als ein Teil des professionellen Handelns, weil es die Grundlage für die Initiierung eines Hilfeprozesses darstellt. Obgleich vor allem Rogers die genannten Grundhaltungen nicht als Methode verstanden wissen will, wird der Beratungsbeziehung eine bestimmte Funktion innerhalb des Beratungsprozesses zugesprochen.34 Nicht nur die Beziehung sondern auch die Person der Berater_innen avanciert damit zu einem (methodischen) Werkzeug.35 Daraus wird ersichtlich, dass der Beziehung als Thema im Beratungsdiskurs eine bestimmte Funktion zukommt – nämlich als Voraussetzung für einen gelingenden Hilfeprozess – und damit die Akteure in einem bestimmten Funktionszusammenhang zueinander gestellt sind. Und weiter zeigt sich, dass die Gestaltung dieser Beziehung und damit die (Grund-) Haltungen von einer reziproken und auf Symmetrie angelegten Beziehungsgestaltung durchzogen sind, welches sich als Regulativ mit einem normativen und ethischen Anspruch verstehen lässt und den Beratungsdiskurs maßgeblich strukturiert und bestimmt. Wie die Reziprozität sich im Diskurs um Haltung vor dem Hintergrund Sozialer Arbeit darstellt, soll nun verdeutlicht werden.
3.3. Sprechen über Haltung Betrachtet man den Diskurs aus der Perspektive Sozialer Arbeit, die die Hintergrundfolie zu einem Verständnis psychosozialer Beratung darstellt, so zeigen sich verschiedene Aspekte, die im Sprechen über Haltung thematisiert werden und sich damit auch als ein Ver-Sprechen deuten lassen, was der Begriff einzurangigen Beziehung: er formuliert ausgehend von der Wichtigkeit der helfenden Beziehung das methodische Vorgehen einer »komplementäre Beziehungsgestaltung», die in der Schemaanalyse oder Plananalyse umgesetzt werden. Die »Komplementarität« lässt darauf schließen, dass das Denkschema des Ansatzes hierbei auf einen Aspekt von »Ganzheit« und »Geschlossenheit« hindeutet. Generell zeigt sich auch hier, dass der Beziehungsaspekt fundamental für eine weitere Bearbeitung psychischer Schwierigkeiten ist. Diese Entwicklung lässt sich zwar eher auf dem therapeutischen Sektor betrachten, die Aspekte und Ansätze sind jedoch auch in der Beratungspraxis nachzuvollziehen. (vgl. Caspar 2007) 33 Zum Diskurs um die Wirksamkeit um Beratung siehe Berg 2019. 34 Siehe hierzu auch Seel (2015), der ausdrücklich Beraterhaltung nicht als Kompetenz wissen will. 35 Ähnliches lässt sich etwa auch im psychoanalytischen Bereich herausstellen, wenn die Rede vom ›Analytiker als Container des Analysanden‹ (Bion 1997) ist.
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lösen vermag. Es lassen sich übergeordnet Themenkreise herausstellen, um die herum sich Haltung formiert. Neben der sozialen Vermitteltheit und PersonenZentrierung von Haltung (3.3.1.) wird nachfolgend Haltung thematisiert im Rahmen einer Scharnierfunktion (3.3.2.), Technologiedefizit von Beratung als »ethischer Stachel des Menschlichen» (3.3.3.), Identität durch Professionalität (3.3.4.) sowie Haltung als Halt (3.3.5.).
3.3.1. Soziale Vermitteltheit und Personen-Zentrierung von Haltung Haltung erweist sich als vielschichtiges Phänomen36 und zeigt sich in einem breiten Bedeutungsspektrum. Winkler stellt zwei Bedeutungen: die des militärischen und des tänzerischen von Haltung heraus und verweist darauf, »dass Haltung mit Situationen zu tun hat, in welchen Subjekte sich Anderen oder einem Anderen, Übergeordneten, als einem Ideal oder einem hohen Wert fügen und dazu einer inneren Disposition Ausdruck geben« (Winkler 2011: 15). Haltung lässt sich dabei in Anlehnung an Winkler als »geronnene Subjektivität» (Winkler 2011: 19) begreifen, indem die Objektivität einer jeweiligen Situation im Subjekt dargestellt werde. Haltung zeigt sich dabei immer sozial vermittelt und stellt einen übergeordneten Wertbezug her: »Haltung jedenfalls beginnt mit der Aufforderung zunächst durch andere einerseits, bedarf eines Mitmachens des Aufgeforderten anderseits.« (Winkler 2011: 17) Dabei stellt er heraus, dass Haltung zwar angewöhnt werde und nicht schon naturgegeben ist. Dennoch ist Haltung wie eine »zweite Haut«: »[…] darin unterscheidet sich Haltung von einer sozialen Rolle, die man eben doch nur spielt, übergezogen wie ein Kleid.« (Winkler 2011: 17) Die Bedingungen spielen dabei eine entscheidende Rolle, in die die jeweilige Situation eingebettet ist: »In der Gestaltung pädagogischer Beziehung realisieren sich auch Kontextbedingungen, wie gesellschaftliche Rahmungen, die Bedingungen und Kultur der Organisation etc.« (Rätz 2011: 69) Zeigt sich Haltung für die Gestaltung der Beziehung als maßgeblich, wird deutlich, dass die jeweilige Person fokussiert wird. »Denn Haltung, so wurde gesagt, hat eine Scharnierfunktion zwischen Allgemeinem und dem Besonderen, wie es sich in eine Situation und als solche zeigt, aber dabei mit der agierenden Person zu tun hat. Erstaunlicherweise gilt daher: Haltung wird – systematisch betrachtet – nicht gegenüber jenen eingenommen, welche als Klienten, Adressaten von Hilfe oder als Menschen in Krisensituationen betrachtet werden, die einer Unterstützung oder einer Initiierung, Förderung oder Begleitung ihrer Entwicklungsprozesse bedürfen, also in einer Praxis der Erziehung eintreten.« (Winkler 2011: 21) 36 Siehe hier zu auch Wild (2016), der die Bedeutungsvielfalt von Haltung aufzeigt.
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Haltung fokussiert die handelnde Person der Pädagog_innen. Winkler konstatiert deshalb: »Doch muss man sofort ergänzen, dass es bei Haltung nicht um Pädagogik geht« (Winkler 2011: 26) In Haltung impliziert nämlich auch Abgrenzung von anderen Personen. »Dann steht eben derjenige, der Haltung einnimmt, für ein dieser magischen Grenzen, an welchen sich Kinder und Jugendliche abarbeiten sollen, um – zurückgeworfen auf sich selbst – über sich nachzudenken und sich zu verändern.« (Winkler 2011: 26f.) Dabei wird die Perspektive auf die jeweilige Person gerichtet und mit dem Fokus auf die eigene Haltung geht sie sozusagen an Anderen vorbei: »Ein Stück weit ist ihm der Klient gleichgültig, Verstehen ergibt sich nicht und wird auch nicht verlangt. Auch die Kooperation und Koproduktion, Grundlage eines jeden sozialpädagogischen Handelns werden über Haltung nicht gefördert […].« (Winkler 2011: 27) Haltung verweist dann auf die Festigkeit der Persönlichkeit in Bezug auf die eigene Identität: »So paradox das klingt: wer in einer pädagogischen Situation Haltung annimmt und bewahrt, will nicht erziehen. Er oder sie will selbst bleiben, die eigene Identität wahren.« (Winkler 2011: 32).
3.3.2. Scharnierfunktion Einen wesentlichen Aspekt von Haltung lässt ist in einer Scharnierfunktion ausmachen, indem der Begriff als Bindeglied zwischen Bewegung und Stillstand, Besonderem und Allgemeinem, Subjekt und Objekt, Universellem und Singulärem auftaucht. Haltung besitzt damit einen vermittelnden und versöhnenden Charakter zwischen zwei schwer zu vereinbarenden Polen. Die Mitte der beiden Pole bildet eine Leerstelle, die von Haltung ausgefüllt wird. Eine scheinbare Unlösbarkeit findet einen Ort in Haltung. Haltung als Scharnier zeigt sich im Verhältnis des Subjekts zu sich selbst, zwischen Objektivem und Subjektivem mit Ähnlichkeit zum Begriff der Bildung: als Selbstverhältnis. Haltung bedarf dabei keiner sozialen Anerkennung, Bestätigung und Bestärkung. »Allgemein formuliert zeigt sich Haltung am Zusammenhang von Objektivität, universellem Geltungsanspruch von Werten, normativen Erwartungen und Regeln einerseits sowie dem individuellen Auftritt eines Subjekts andererseits.« (Winkler 2011: 18f.) Mit Winkler lässt sich auch auf die beiden Pole Festigkeit und Bewegung abheben, die in und mit Haltung zum Ausdruck zu kommen scheinen. »Haltung ist nicht Phronesis, sondern bestimmtes, geronnenes, sozusagen Handeln in der Situation, das jedoch mehr zum Festen hinneigt, so dass es in persönlicher Hinsicht sogar unklug sein kann.« (Winkler 2011: 19) Neben dem Aspekt der Festigkeit schwingt darüber hinaus ebenso ein bewegendes und bewegliches Moment mit: »Dieses wird als Prämisse vorausgesetzt und mitgedacht, allzumal wenn sie [die Bewegung, JCW] negiert
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werden soll.« (Winkler 2011: 16) Winkler führt weitere Beispiele an, die sich in den Reigen der Scharnierfunkton von Haltung einreihen lassen: »Nicht minder tritt Haltung strukturell als Scharnier zwischen Situation und handelndem Subjekt auf, zwischen dem Wissen um historisch und gesellschaftlich entstandenen Rahmenbedingungen, sozialer, politischer, am Ende sogar justiziabler Aufforderungsstruktur und dem Einzelnen, der nun agieren soll, um ein Problem zu lösen – das auch eines anderer Menschen sein kann.« (Winkler 2011: 19)
Für das Theorie-Praxis Verhältnis zeigt sich die Person als Vermittlungsinstanz von Theoriewissen und Theoriekönnen in der jeweiligen Situation, die sich theoretisch nicht fassen und in dem je konkreten Moment agieren lässt (»die unerbittliche Kälte des Moments«).
3.3.3. Technologiedefizit als »ethischer Stachel des Menschlichen« Was mit Haltung gefordert ist, ist ein als Ursprung definierter Punkt, von dem aus Handeln gestaltet, Welt gedeutet und Beziehung aufgebaut wird. Grundsätzlich und damit auch das Ziel bestimmend, denn als Norm und Richtschnur, als das Richtige, gestaltet sich Handeln immer auf das Ziel, diese Norm hin. In der Formulierung professioneller Haltungen wird ein Anspruch beschrieben, der als Sollen-Zustand immer auch einen Zielzustand intentioniert. Haltung verweist dann auf einen Rahmen, der ethisch abgesteckt ist, in dem sich das professionelle Handeln in der Praxis vollzieht und auch rückgekoppelt werden muss als Soll-IstVerhältnis (vgl. Rätz 2011). Darin findet die Auseinandersetzung um professionelle Markierungspunkte statt. Die Ausgestaltung bricht sich sozusagen an der Wirklichkeit, so dass die Professionellen auf sich zurückgeworfen sind, komplexe Situationen mit den Haltungen als Rahmenbedingungen anzugehen, so lässt sich mit Rätz resümieren (vgl. Rätz 2011: 71). Die Komplexität der Situation zeigt, dass Erziehungsprozesse nicht standardisiert und routinisiert werden können, weshalb die Person als Werkzeug und ›Mitte‹ ethischer Überzeugung zu begreifen ist (vgl. Peters 2011: 222). Haltung ist fokussiert auf die Situation pädagogischer Wirklichkeit, in dem Proprium der Unplanbarkeit pädagogischer Zusammenhänge über Haltung in eine Struktur von Intentionalität einschreibt. »Die sozialpädagogischen Fachkräfte finden womöglich Orientierung an den Strukturen der Organisation, doch die Bewältigung der komplexen Anforderungen im beruflichen Alltag bleibt ihre individuelle Herausforderung.« (Rätz 2011: 68) Wegen des Technologiedefizits (Luhmann) lässt sich über Haltung ein Handlungsrahmen abstecken, ohne direkt auf die Planbarkeit des Handelns selbst einwirken zu können. Es werden damit Räume abgesteckt und Leitplanken installiert, die auf einen Gebrauch der Freiheit abzielen und
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dabei aber den Raum für diese Bewegung begrenzen.37 In der Rückbesinnung auf eine Haltung zeigt sich eine Intentionalität des Handelns, die einen pädagogischen Kontingenzraum mit ethischen Eckpunkten absteckt. Darin wird ein Ausgangspunkt definiert, der durch eine jeweilige Haltung gesetzt wird und auch als Zielpunkt gilt. Hierbei ist auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte angesprochen, sowie der Ausbildung von Kompetenzen, Erfahrungswissen und wissenschaftlichem Erklärungswissen in Verbindung mit vorberuflichen Einstellungen zu einer ›beruflichen Haltung‹. Es geht folglich auch um die Auseinandersetzung zwischen Theorie und Praxis, wie Theoriewissen in Praxis angesichts komplexer Realität umgesetzt, reflexive Fallarbeit38 ermöglicht werden kann – und um die Überzeugung eines nicht berechnenden Weltbildes, indem sich pädagogische Verhältnisse sich eines technischen Kalküls entziehen. In den aktuellen Diskussionen um Bildung als empirisch-messbare Größe, ¨ konomisierung, Managerialisierung und Technisierung taucht der Begriff der O Haltung als Stachel des Menschlichen auf und verweist auf die Frage: »Wo bleibt der Mensch?«. In Zusammenhang mit der Bildungsökonomie (Diebolt/Hippe/ Jaoul-Grammare 2017) gewinnt Haltung ein nicht-technisches Moment, welches sich in die Person der Professionellen einschreibt. Es geht dann um den Menschen in einer ganzheitlichen Betrachtung, die sich auf das Sein (von Identität) bezieht und weniger auf das Haben (als Rolle): »Es wäre zu schön, wenn man Haltung benutzen oder anwenden könnte, wie ein Werkzeug, möglichst noch mit Effekten, die sich dann messen lassen. Haltung als Element einer Praxis, die evaluiert werden kann.« (Winkler 2011: 14) Winkler stellt heraus, dass mit der Frage der Haltung ein Unbehagen ausgesprochen wird, dass in der Ausbildung von Fachkräften die persönliche Neigung keine Rolle mehr zu spielen scheint. (vgl. Winkler o. J.: 4) Thematisch kreist Haltung also um die Frage nach subjektiven Einflüssen professioneller Arbeit. Als Ziel ließe sich formulieren: Anerkennung des Menschen als Mensch. Die Auseinandersetzung mit dem Menschlichen am Menschen und der Arbeit mit Menschen scheint auf das ›Menschliche‹ abzuzielen. Impliziert wird dabei eine bestimmte Vorstellung des Menschlichen, die aber unbestimmt bleibt und im Haltungsbegriff etwas offen hält, was gerade als Pendant zur Planbarkeit, Berechenbarkeit und Vorherseh37 Hier lässt sich ein Bezug zur Renaissance der Tugendethik herstellen: Der Verweis auf die Person und deren Charakter lässt die notwendigen Freiräume in der Praxis, die damit einer offenen Zukunft und individuellen Sichtweise gerecht zu werden vermag. Mit der Haltung als Ausgangspunkt ist damit immer auch der Zielpunkt bestimmt, was bei Aristoteles das Nachdenken über das gute Leben meint. Siehe hierzu weiterführend: vor allem Anscombe (1958) sowie McIntyre (2013). 38 Müller (2017: 193ff.) betont dahingehend die Auseinandersetzung um die Haltungen: geschlossen, autistisch und offen, die er in der Diskussion um »Professionalität in der Sozialen Arbeit« herausstellt.
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barkeit zu sehen ist. Letztlich fragt sich jedoch auch in einem professionellen Verständnis, wie eine Vergleichbarkeit und Wirksamkeit hergestellt werden kann, wenn Menschsein auch das je Individuelle berücksichtigt? Haltung erfordert die eigene Auseinandersetzung mit biographischen Aspekten und die Frage nach den Ausrichtungen an professionellen Eckpunkten. Damit bezieht sich Haltung immer auch auf professionelle Identität und stellt ein einendes Moment der Selbstvergewisserung als einen gemeinsamen Bezugspunkt her. »Aus einer biografietheoretischen Perspektive wird so das ›Subjekt‹ Gegenstand des Verstehens professioneller, struktureller und gesellschaftlicher Entwicklung und Wandlung.« (Rätz 2011: 68) Reflexive Arbeit an der beruflichen Haltung verdeutlicht dabei auch die eigene Berufsmotivation, die sich an individuellen wie auch beruflichen Wertstandards orientieren. Die Person ist dabei in jeweilige Kontexte eingebettet. Mit dem Bezug zu Normen und Werten zeigt sich ein Aspekt von Kultur, was sich verstehen lässt als Eingebettet-Sein in Lebenszusammenhänge. »Bei Haltung geht es um die leibliche Seite des Ethos, sie kann deshalb nicht jenseits sozialer und kultureller Regelungen thematisiert werden« (Winkler 2011: 17) Haltung lässt sich als Vorrat von Entscheidungen verstehen, die immer auch in einen übergeordneten Zusammenhang eingebettet sind: »Haltung birgt einen Vorrat an Kontingenzmöglichkeiten, die eingeübt, trainiert sein wollen, aber eben doch authentisch wirken. Sie ist aber zugleich ein eigener, innerer, ein subjektiver Begrenzungsmechanismus, in der sich die Paradoxie einer Autonomie ausspricht, welche sich den Autonomieverlust gönnt.« (Winkler 2011: 19) Thiersch formuliert dies noch einmal so: »Haltung – um es zu pointieren – zeigt sich zwar in der Unmittelbarkeit der Handlung, ist darin aber das gleichsam zur Selbstverständlichkeit geronnene Ineinander der vielfältigen Lern-, Lebens- und Berufserfahrungen in den Konstellationen der jeweiligen Kultur und Zeit.« (Thiersch 2014: 4)
3.3.4. Identität durch Professionalität Mit dem Begriff der Haltung wird auf die Ganzheitlichkeit39 der Person Bezug genommen und mit (professioneller) Identität verknüpft. »Haltung beschreibt einen Zustand, der mit ›Sozialarbeitersein‹ eher beschrieben ist, als mit dem 39 Der immer wieder auftauchende Bezug zur Ganzheitlichkeit lässt den Kontext des Haltungsbegriffs bis in die Anfänge der Geisteswissenschaften und Hermeneutik zurückverfolgen. Denn deren »Verstehen« zielt auf das Ganze des Menschen ab. Der Haltungsbegriff lässt sich dahingehend in die geisteswissenschaftliche Tradition einreihen und zeigt historisch von dort aus einen eigenständigen Strang der Thematisierung im Ausgang Diltheys (1962) Weltanschauungslehre. Von hier aus lässt sich ein Strang über die philosophische Anthropologie sowie existenzphilosophischen und verstehenden Zugänge etwa nach Bollnow 2009,
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Spielen einer ›Sozialarbeiterrolle‹, die mit Dienstschluss endet.« (Colla/Krüger 2013: 44) In einer jeweiligen Haltung drückt sich damit immer auch die Identität der Disziplin aus, die über die Person der Professionellen leibhaftig in den jeweiligen Prozess einfließt. Dabei bedarf es für die Profession, so Winkler, Markierungspunkte einer Selbstvergewisserung und Überzeugung von ihren Aufgaben (vgl. Winkler 2011: 21). Und Thiersch (2014: 19) stellt dahingehend heraus: »Soziale Arbeit muss sich in ihrer Haltung ihrer Identität vergewissern und sie nach innen und nach außen offensiv vertreten.« Dabei stellt sich die Frage, wie eine Vermittlung aussehen kann, die einerseits die je individuelle Person in einem jeweiligen Eingebettet-Sein in Lebenszusammenhänge in den Blick nimmt und andererseits übergeordnete Bezugspunkte einer Profession berücksichtigt, die gerade personen- und situationsunabhängig Identität stiftet. Rätz stellt dahingehend heraus: »Zwar gibt es im sozialpädagogischen Alltag weitestgehend Übereinstimmung darüber, dass die professionelle Haltung der sozialpädagogischen Fachkraft entscheidende Indikatoren für den Erfolg von Erziehungshilfen darstellen, aber die Schwierigkeit scheint darin zu bestehen, in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eindeutige Verständigung über professionelle Haltungen und die Gestaltung der pädagogischen Beziehung herzustellen, die für alle in der Einrichtung tätigen Fachkraft eine verbindliche Arbeitsgrundlage bilden, nach denen auch gehandelt wird.« (Rätz 2011: 65)
Hierbei werden die Fragen virulent, welche persönlichen Einflüsse und biographischen Elemente Teil übergeordneter Professionsmerkmale sein können. Auch hier zeigt sich ein verbindendes Element zwischen persönlichem Erleben und professionellem Anspruch. »In Angrenzung zu nahe stehenden Begriffen wie ›Professionelles Handeln‹, ›Kompetenz‹, ›Professionalisierung‹, verweist der Begriff Professionelle Haltung auf die Persönlichkeit der sozialpädagogischen Fachkraft und der dieser auf der Basis ihres Wissens und Könnens zur Verfügung stehenden Kompetenz.« (Rätz 2011: 66)40 Professionstheorien gehen von Standards aus, von Wissen, Können und dem Ausdruck und der Haltung, mit dem Wissen und Können souverän umgehen zu können (v. Winkler 2011: 22). Im Trias Wissen – Können – Haltung taucht Haltung als ein Markierungspunkt professionelles Selbstverständnis in der Sozialen Arbeit auf (von Spiegel 2004). Die professionelle Person wir mit Haltung in den Vordergrund der Betrachtungen gerückt. In der von Spiegel herausgestelltem Trias zeigt sich ein Geflecht Lipps 1977, Zutt 1964 bis schließlich zu Rogers 2019 Grundhaltungen einer verstehenden Psychologie nachzeichnen. Eine explizite Auseinandersetzung und das Nachzeichnen dieser Linie steht bislang noch aus. 40 Siehe hierzu auch: Rohr/Hummelsheim/Höcker (2016): Haltung wird hier als Teil professionellen Handelns verstanden, die wie ein roter Faden fungiert und agiert. Siehe vor allem darin: Obermayer/Pühl mit dem Beitrag: »Beraterhatung als Ausbildungsziel – in stürmischen Prozessen nicht vom Stuhl kippen«.
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aus Werten, Normen und Einstellungen, die in Verhältnis zu den Dimensionen des Wissens und Könnens.41 Hierbei spielt die Person eine entscheidende Rolle in den Vermittlungsprozessen. Wissen und Können allein bedürfen der Vermittlung durch die Professionellen als Personen. Der Trias aus Wissen, Können und Haltung lässt sich mit von Spiegel als Eckpfeiler professionellen Handelns verstehen. Methoden und das angewendete vermittelte Wissen bleiben wirkungslos, wenn nicht das Handeln mit einer entsprechenden Haltung ausgeführt und vermittelt wird. Was strukturell hier vorgegeben wird, wird durch den Menschen erst lebendig. Die Frage nach der (sozial-) pädagogischen Haltung ist damit geknüpft an die Frage nach der Ausbildung: was müssen pädagogische Professionelle an Wissen und Können mitbringen? Diese Fragen sind unweigerlich an ein Selbstverständnis Sozialer Arbeit geknüpft und lassen sich von dort aus ableiten. Von Spiegel beschreibt Handlungskompetenzen Sozialer Arbeit und betrachtet die Person als Werkzeug (von Spiegel 2004: 80). Dabei geht es um die Beschreibung eines Anforderungsprofils Sozialer Arbeit, welches sich an Persönlichkeitsmerkmalen und professionellen Handlungskompetenzen festmachen. Von Spiegel fragt danach, was die persönliche Eignung pädagogischer Fachkraft ausmache, die im § 72 (1) des 8. Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gefordert sei?42 Sie bezieht sich u. a. auf Alice Salomons ›gelebte Mütterlichkeit‹. Voraussetzung bilde bei Salomon eine sozialethische Persönlichkeitsbildung und ein Charisma (vgl. v. Spiegel 2004: 81, auch Peters 2011: 219). Ethik und Persönlichkeit stellen die Person vor instrumentelle Technik in den Vordergrund. Von Spiegel verdeutlicht dazu: »Die Konstruktion des strategischen und reflektierten Einsatzes der eigenen beruflichen Persönlichkeit (›Person als Werkzeug‹), wie sie als Grundkonstrukt schon von den Berufsgründerinnen angelegt wurde und auch in den klassischen Methoden konzipiert wird, hat sich anscheinend als sinnvollste Konstruktion erwiesen. Zusammengefasst besteht die professionelle Kunst darin, dass Fachkräfte ihr Können, Wissen und ihre beruflichen Haltungen im Hinblick auf die verschiedenen Wissensbestände und auf
41 In Anlehnung an die aus Alltagsbezügen entlehnte Unterscheidung von Kopf (Wissen), Herz (Haltung), Hand (Können) lässt sich dabei auf einen ganzheitlichen Lernansatz nach Pestalozzi (1997) verweisen. 42 SGB VIII, § 72 (1): (1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen bei den Jugendämtern und Landesjugendämtern hauptberuflich nur Personen beschäftigen, die sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben (Fachkräfte) oder auf Grund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen. Soweit die jeweilige Aufgabe dies erfordert, sind mit ihrer Wahrnehmung nur Fachkräfte oder Fachkräfte mit entsprechender Zusatzausbildung zu betrauen. Fachkräfte verschiedener Fachrichtungen sollen zusammenwirken, soweit die jeweilige Aufgabe dies erfordert. In: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/_ _72.html (22. 04. 2020).
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ihre Erfahrungen sowie die institutionellen Bedingungen und Vorgaben fall- und kontextbezogen einsetzen.« (von Spiegel 2004: 84)
In der Undurchdringlichkeit der Praxis erweisen sich zwar Situationen strukturell ähnlich, bleiben aber verschieden. »Professionelle Haltung verlangt gewissermaßen die systematische Enttypisierung und Entstandardisierung, die Aufhebung eines Falls als Falles von, um den Fall an und für sich zu lesen.« (Winkler 2011: 24, Hervorhebung im Original) Es geht darum, persönliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die in der Ausbildung auf- und ausgebaut werden. Können meint die Ebene des methodischen Handelns. Die Ebene des Wissens beinhaltet (sozial-)wissenschaftliche Wissensbestände und die berufliche Haltung bezieht sich neben einer reflexiven Kompetenz auf die Ebenen der Werte und Einstellungen (vgl. von Spiegel 2004: 96f.). Für Beratungszusammenhänge beziehen Engel, Nestmann und Sickendiek (2004) diese Ebene des professionellen Beratungshandelns auf feldspezifisches Wissen und feldunspezifisches Können, die um die Ebene der Haltung ergänzt werden. Von Spiegel konstatiert dahingehend: »Hinter jeder Handlung steht eine Haltung und umgekehrt drückt sich jede Haltung in bestimmten Handlungen aus. […] Haltungen beruhen auf Motiven […] und korrespondieren mit Werten.« (von Spiegel 2004: 109) Thiersch weist bei der Auseinandersetzung mit der Person dezidiert auf das Thema Macht und Gewalt hin. Es gilt zu reflektieren, mit welchen Bildern (Vergangenheit) und Erwartungen (Zukunft) dem Klientel begegnet werde (vgl. Thiersch 2014: 16f.). Der Reflexion über die eigene Haltung im ›Gewordensein des Lebens‹ stehen dabei, so Thiersch, Räume der Auseinandersetzungen wie »Selbstreflexion, Selbstevaluation ebenso wie für Praxisbesprechungen, Kollegialberatungen, Mediation und Supervision« (Thiersch 2014: 17f.) zur Verfügung und es komme darauf an, diese Räume institutionell zu verankern. Reflexion der eigenen Haltung bedeutet die Auseinandersetzung im Sinne der Prüfung ›persönlicher und geheimer Moral‹ und der Frage, wessen Wille in Arbeitsbezügen eigentlich will? Thiersch verweist hier auf die »Geheime Moral der Beratung«: »Die Frage nach der Moral in der Beratung zielt also auf Werte, die in der Beratung repräsentiert werden, auf Entscheidungen, auf Aushandeln und auf Verantwortung in der Beratung.« (Thiersch 1990: 129) Die Verhandlung der Fragen über Moral kann auch eine Ablenkung von Eigentlichem bedeuten: »Beratung hilft – das wäre ihre Moral-, indem sie in ihrer entmoralisierenden Nüchternheit eine Chancen zur Distanz und Aufklärung bietet, damit sich in den festgefahrenen Verhältnissen neue Handlungsmöglichkeiten zeigen. Beratung aber bleibt ineffektiv – das wäre ihre geheime, hinter dem Rücken ihrer Absicht wirksame Moral – wie sie gerade auch in ihren fachlich scheinenden institutionellen und methodischen Rahmenbedingungen ein Arrangement repräsentiert, dessen normative Bestimmtheit Hilfsmöglichkeiten so einschränkt, daß sie die Hilfsabsicht verhindert.« (Thiersch 1990: 137)
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Die Ratsuchenden werden zu homo consultabilis, indem sie den Anforderungen der Institution Beratung entsprechen oder eben als beratungsresistent deklariert werden. Thiersch plädiert dahingehend: »Beratung darf sich nicht begnügen nur mit dem Linsengericht eines vielleicht verläßlichen, aber doch eingeschränkten Arbeitens, sondern muß ihr Erstgeburtsrecht wahrnehmen, ihre Chance zur Unterstützung und Hilfe zu eine freieren und reflektierten Leben.« (Thiersch 1990: 150)
3.3.5. Haltung als Halt Die Diskussion erstreckt sich nicht nur auf eine Attribuierung von Haltung im Sinne einer moralischen Frage nach der richtigen Haltung, sondern auch auf eine nicht vorhandene Haltung im Sinne von: Kontrolle, Zügelung oder Fassung.43 Haltung wird dabei in Zusammenhang mit einem zeitdiagnostischen Entwurfs fluider Gesellschaft gebracht, in dessen Rahmen Haltung gerade einen Halt darstellen kann und damit eine stabilisierende Funktion zukommt.44 Die Konnotationen des Haltes bzw. der Haltlosigkeit bezieht sich dabei nicht nur auf die Krisenerfahrung des Klientel, sondern lässt sich auch auf die Seite der Fachkräfte sowie der Disziplin Sozialer Arbeit beziehen. Coller und Krüger sehen vor dem Hintergrund fluider Gesellschaft die Notwendigkeit, professionelle Persönlichkeit und den Begriff der Haltung zu thematisieren: »Haltung schafft etwas in der Begegnung, das so im Projekt der Moderne nicht mehr angelegt ist: ein Gegengewicht, Sicherheiten und Gewissheiten, in einer Welt, in der nichts sicher ist, nicht einmal die eigene Person.« (Colla/Krüger 2013: 42) Die Aufgabe professionellen Handels ist es auch, so Winkler, vor diesem Hintergrund über Haltung Stabilisierung zu ermöglichen (vgl. Winkler 2011: 30). Winkler führt dies im Rahmen von Objektivität und Subjektivität aus: »Unter den so veränderten gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen gewinnt die Haltung in ihrer Scharnierfunktion eine neue Bedeutung: Stand Haltung ursprünglich für die situative Objektivität in der Person, repräsentiert die Person durch die Festigkeit ihrer Haltung die harte Wirklichkeit und nahm ihr dieser zugleich die strenge Verbindlichkeit, weil sie diese subjektiviert, so verdeutlicht nun die Person, dass es überhaupt Objektivität geben könnte.« (Winkler 2011: 30f., Hervorhebung im Original)
Zusammenfassend lässt sich sagen: »Professionelle Haltungen realisieren sich in der Gestaltung pädagogischer Beziehung.« (Rätz 2011: 65) Allerdings bezieht sich Haltung auf die jeweilige eine Person, so dass sich eine Abgrenzung innerhalb der 43 Zu dieser Konnotation lässt sich außerdem Haltung als politische Einstellung zählen: Reschke 2017. 44 Den theoretischen Rahmen liefert dafür etwa: Baumann, Zygmunt 2003 und 2007.
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Beziehung zeigt. Haltung nimmt auch eine Scharnierfunktion ein, in dem der Begriff an den Nahtstellen zwischen Antipoden eine vermeintliche Leerstelle füllt und auch Gegensätzliches damit eine Verbindung findet. Der Begriff verweist als Gegenpol zu techniziden und kalkulierbaren Verhältnissen auf ›Menschliches‹, hält deren konkrete Bestimmung jedoch offen. In diesem Rahmen verweist Haltung auf eine historisch-soziale Einbettung, die ebenso die Biographizität der Personen herausstellt. Mit dem Bezug zu ethischen Werten und Normen werden auch über Haltung Eckpunkte von Professionalisierung einer Disziplin abgesteckt und stiften damit auch deren Identität. Schließlich gewinnt Haltung in den Konnotationen des Haltes im Sinne von Stillstand und Feststehen ein Gegengewicht zu den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kollektiverfahrungen von Geschwindigkeit, Verflüchtigung und Fluidität. Um die benannten Aspekte im Rahmen des Diskurses um psychosoziale Beratung zu betrachten, soll zunächst auf den Rahmen des Dachverbands Beratung eingegangen werden. Denn das ist insofern bedeutsam, da der Dachverband als Ordnungsinitiative für die Zertifizierung und die Anerkennung der Ausbildungsinstitute für angehende Berater_innen zuständig ist und Qualitätsstandards festsetzt. Diese strahlen in die berufspraktischen Verzweigungen aus. Der Dachverband hat dahingehend großen Einfluss auf das Selbstverständnis von Beratung.
3.4. Haltung im Beratungsdiskurs Im Rahmen der Bemühungen um Professionalisierung des Beratungshandelns ist die Berufsorganisation am weitesten fortgeschritten (vgl. Rechtien 2009: 15). Die Gründung unterschiedlicher Beratungsverbände zu einem Dachverband Beratung lässt sich dabei als einen wesentlichen Schritt in der Professionalisierungsdebatte begreifen. Die divergierenden Richtungen, Ansätze und Settings von Beratung führen zu einer vielschichtigen Betrachtung des Phänomens Beratung. Mit der Gründung des Dachverbands Beratung zeigt sich ein organisatorischer Zusammenschluss von Beratungsverbänden, mit dem Ziel, die diversifizierende »Beratungslandschaft« (Reichel 2005) unter ein Organisationsprinzip zu stellen. »Die Deutsche Gesellschaft für Beratung (DGfB) bekennt sich zu dieser multiperspektivischen und interdisziplinären Verortung und spricht davon, dass all diese Theorien wichtige Beiträge für Beratung geleistet haben.« (Schnoor 2013: 283) Die DGfB formuliert mit ihrem Anliegen ein Verständnis von Beratung und setzt Qualitätskriterien professioneller Beratungsausbildung zur Orientierung auch im Sinne der Ratsuchenden.45 Der Dachverband46 als 45 Diskussionen um ein Beratungsgesetzt verdeutlichen dabei in Anlehnung an das Psycho-
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Organ lässt sich dabei als Beratungsinstanz für qualitativ gute Beratung ansehen, die Qualitätsstandards und ein Beratungsselbstverständnis bildet und sicherstellt sowie die Förderung einer professionalisierten und wissenschaftlich fundierten Beratung vorantreiben. »Hier handelt es sich um eine Ordnungsinitiative, die zuvorderst die innere fachliche und professionelle Gemeinsamkeit sucht und diese mittelfristig als Grundlage für eine Interessensvertretung in der Öffentlichkeit nutzen will.« (Fellermenn/Lemaire 2009: 171) Betrachtet man den Diskurs um psychosoziale Beratung vor dem Hintergrund des Dachverbands, lässt sich damit etwas über den Haltungsbegriff sagen, wie er in einer breiten Streuung disziplin-, theorie- und methodenübergreifend über den Verband Einzug in die Professionalisierung findet und auch an Berater_innen herangetragen wird. Damit wird auch ein implizites Subjektverständnis transportiert und perpetuiert. Für die Betrachtung des Haltungsbegriffs sind ethische Prinzipien und Ethikkodizes herangezogen worden, wie sie von den einzelnen Verbänden verabschiedet wurde. Dabei ist zu bemerken, dass nicht jeder der Verbände ethische Richtlinien erarbeitet und veröffentlicht hat.47 Dies liegt einmal an einem laufenden Prozess der Formulierung von Standards und auch daran, dass im Dachverband Berufsverbände verschiedener Untergruppen einbezogen sind, die wiederum auf eigenständige ethische Richtlinien verweisen. Die ethischen Richtlinien und Ethikkodizes lassen sich dabei als Kontextmilieu betrachten, in dem der Begriff der Haltung auftaucht. Betrachtet man nun den Begriff Haltung in diesem Kontext, lassen sich die oben skizzierten Aspekte einer Topografie von Haltung wiederfinden. Vergleicht man die Grundsätze miteinander, zeigen sich übergeordnete Themenkreise: Zusammenfassend werden die Beratungsbeziehung und das spezifische asymmetrische Verhältnis thematisiert, welches es gilt durch den ethischen Bezug zu regulieren. Neben einem regulativen Moment spielen Transparenz und Vertrauen eine wesentliche Rolle. Transparenz soll dabei eine von Vertrauen getherapiegesetzt die Bemühungen um eine gesetzlich geregelte Qualitätsdiskussion. Siehe dazu den Beitrag von Hentze in der Zeitschrift »Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung« 2003/1. 46 Neben dem Dachverband Beratung hat sich 2006 unabhängig das Nationale Forum Beratung (nfb) in Bildung, Beruf und Beschäftigung gebildet, welches sich auf Interessenvertretung und -aushandlung für bildungspolitische Aktivitäten der EU zur Gestaltung von Beratung in Bildungsübergängen fokussiert (vgl. Fellermann/Lemaire 2009: 171). 47 Für den Deutschen Fachverband für Psychodrama e.V. (DFP) stehen die ethischen Richtlinie bis zum Zugriffsdatum noch aus: https://www.psychodrama-deutschland.de/aktivitaeten/ar beitskreise-kooperationen/aghpt/ (30. 04. 2021). Ebenso führt die Deutsche Gesellschaft für Logotherapie e.V. (DGLE) keine ethischen Richtlinien: https://www.dgle.org (30. 04. 2021). Im folgenden Kapitel werden die Abkürzungen der jeweiligen Verbände und der Verweis auf die Ethischen Richtlinien mit Zugriffsdatum in den Fußnoten benannt und aufgeführt.
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prägte und geschützte Gesprächsatmosphäre ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist der Datenschutz relevant, denn darin wird der Bezug zum Grundgesetz und dem Recht auf informelle Selbstbestimmung gesetzt. Schweigepflicht ist auch als ein Ausdruck des Datenschutzes zu verstehen.48 Auffällig ist dabei, dass hier die Reziprozität und die Symmetrie der Beziehung herausgestellt wird und sich auf eine Vertragskonstellation der Gesprächspartner berufen wird, die Gleichberechtigung herstellen soll. Darin klingen Konstellationen an, die in einem juristisch-rechtlichen Kontext angesiedelt werden können.49 Es zeigt sich ein Rückbezug auf Autonomie und Souveränität der Ratsuchenden, welche gewahrt werden soll. Exemplarisch sollen im folgenden wesentliche Stellen hervorgehoben werden, die den Haltungsbegriff in diesem Rahmen entsprechend in Szene setzen. Die Haltung der Berater_innen lässt sich als ein Scharnier betrachten, durch das Normen, Werte und Menschenbilder als Leitorientierungen des Verbandes Einzug in die Beratung halten: »Ethische Prinzipien werden von Werten abgeleitet und weisen auf Haltungen hin, durch die Werte in professionelle Praxis u¨ bertragen werden.« (DGTa 2007: 4, Hervorhebung im Original)50 Der Bezug zu den jeweiligen Werten und Normen findet seinen Ausdruck in der Beziehung zwischen Beratenden und Beratenen. Auch das Vorgehen innerhalb der Beratung wird dadurch bestimmt. »Beratung und ihre Ziele haben wesentlich mit ethischen Fragen zu tun. Leitvorstellungen, Menschenbilder, Werte und Normen liegen der Haltung und Herangehensweise des Beraters zugrunde. Eine christlich verstandene Beratung orientiert sich am christlichen Menschenbild. Die akkreditierten BeraterInnen verpflichten sich, die berufsethischen Richtlinien einzuhalten. In diesen Richtlinien werden die berufsethischen Grundsa¨tze als Leitorientierung dargelegt, die in Haltung und Herangehensweise des Beraters zum Tragen kommen sollen.« (ACC-Deutschland 2016: 1)51
Hier ist Haltung auf die Person der Berater_in bezogen und lässt sich als Nadelöhr verstehen, die übergeordneten Bezugspunkte repräsentieren. Die Bedeutung der inneren Haltung wird herausgestellt und bezieht sich als Voraussetzung auf die wesentlichen Aspekte von Aufrichtigkeit, vertrauensvoller Be-
48 Die Berufsethischen Prinzipien, die von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit e.V. (DBSH) formuliert werden, finden sich auch in den ethischen Richtlinien im Rahmen des Beratungsdiskurs wieder: https://www.dbsh.de/media/dbsh-www/redaktionell/pdf/Sozialpo litik/DBSH-Berufsethik-2015-02-08.pdf (30. 04. 2021). 49 Siehe hierzu auch Kapitel 3.1. 50 DGTa: Deutsche Gesellschaft für Transaktinsanalyse, URL: https://www.dgta.de/fileadmin /user_upload/DGTA/Ethik-Kommission/Ethik-Kodex.pdf (30. 04. 2021). 51 ACC- Deutschland: Dachverband christlicher Berater (Association of christian councelors), URL: https://www.acc-deutschland.org/hilfe/grundlagen/send/3-dokumente/9-ethik-richtli nien-akkreditierte-berater.html (30. 04. 2021).
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ziehung sowie Anerkennung von Selbstständigkeit (vgl. BVPPT 2009: 1). Haltung wird dabei zu einer zentralen Voraussetzung für die Beratung: »In der beratenden Arbeit spielt die innere Haltung des Counselors gegenu¨ ber den Klienten eine wesentliche Rolle. […] Diese Grundhaltung des Counselors ist zentrale Voraussetzung fu¨ r Counseling.« (BVPPT 2009: 1)52 Mit anderen Worten: Mit Haltung steht und fällt alles und bezieht sich auf die Grundlagen eines Beratungsverständnisses, also auf die Art und Weise, wie Beratung und wie Beziehung gestaltet werden soll. »In der Ethikrichtlinie nimmt die Deutsche Gesellschaft fu¨ r Coaching (DGfC) Stellung zu Haltungen, Handlungsgrundsa¨ tzen, Werten und Maßsta¨ ben, die Grundlage der Berufsausu¨ bung von DGfC-Coaches bilden.« (DGfC 2018: 1)53 Es klärt einen respektvollen Umgang, der auf ein dialogisches Verhältnis rekurriert. Haltung ist dabei der »Grund«, auf dem Beratung fußt. Achtung, Respekt und Wertschätzung sowie Akzeptanz sind dabei Attribute der Grundhaltungen, die Art und Weise der Begegnung mit Ratsuchenden beschreiben. »Die Grundhaltung systemischer Berater*innen, Therapeut*innen, Supervisor*innen und Weiterbildner*innen ist gekennzeichnet durch Achtung, Respekt und Wertschätzung gegenüber einzelnen Personen und Systemen.« (DGSF 2019: 1)54 Haltung lässt sich auch hier als Scharnier verstehen, zwischen der konkreten Beratungssituation im Kontakt und den jeweiligen Ausrichtungen des jeweiligen Verbands. Die Beschreibungen sind dabei so formuliert, dass sie als Ausgangspunkt von Beratung zu verstehen sind, die gleichzeitig auch einen Zielpunkt als Soll-Struktur markieren. Auch wird die Selbstfürsorge der Berater_Innen angesprochen, die sich als Selbstreflexion versteht (vgl. DGsP 2015)55. Es obliegt dabei der jeweiligen Person, reflektierend zu entscheiden, welche Haltung wie in welchen Situationen eingenommen werden soll. Im Diskurs wird dies so formuliert: »TA-Praktiker/innen [TA= Transaktionsanalyse, JCW] werden jeden Wert und die daraus hergeleiteten ethischen Prinzipien sorgfa¨ ltig bei sich selber pru¨ fen, um zu entscheiden, welche Haltung sie einnehmen wollen und wie sie sich in jedem der genannten Bereiche verhalten wollen.« (DGTa 2007: 6)56 Haltung liegt dem konkreten Verhalten voraus und fundiert es. Sie plausibilisiert und rechtfertig aber auch Verhalten und macht es erklärbar. Haltung lässt Komplexität zu und engt dabei nicht ein. Im Diskurs wird dabei auch auf die 52 BVPPT: Berufsverband für Beratung, Pädagogik und Psychotherapie e.V., URL: https://bvpp t.org/media/ethik2018_1.pdf (30. 04. 2021). 53 DGfC: Deutsche Gesellschaft für Coaching e.V., URL: https://www.coaching-dgfc.de/wp-con tent/uploads/2017/12/Ethikrichtlinie_DGfC_2018.pdf (30. 04. 2021). 54 DGSF: Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V., URL: https://www.dgsf.org/ueber-uns/ethik-richtlinien.htm (30. 04. 2021). 55 DGsP: Deutsche Gesellschaft für systematische Pädagogik e.V., URL: https://www.dgsp.org /gesellschaft/ethik-rat/ (30. 04. 2021). 56 DGTa: Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse, URL: https://www.dgta.de/fileadmin /user_upload/DGTA/Ethik-Kommission/Ethik-Kodex.pdf (30. 04. 2021).
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Gestaltung der Art und Weise der Beziehung eingegangen, obwohl der Begriff der Haltung nicht benannt wird (vgl. DGSV 2013)57. Mit Haltung wird ein Bezug zum Hier und Jetzt hergestellt: »Haltung findet ihren Ausdruck im Verhalten von Menschen in konkreten Situationen.« (DGVT: 2001)58 Haltung ist immer schon bei jedem vorhanden, kann also auch verändert werden durch eigene Auseinandersetzungen und die Bewertung von Haltung ist kulturell eingebettet. Eine Haltung der Allparteilichkeit soll in Situationen mit mehreren auf Neutralität verpflichten und taucht im Rahmen der therapeutischen Beziehung auf: Haltung als Neutralität steht also in der Mitte der jeweiligen Parteien, die am Beratungsprozess beteiligt sind (vgl. DvG 2018: 1)59. Im Beratungsdiskurs wird dabei auf ein grundlegendes Subjektverständnis verwiesen, welches sich in einer entsprechenden Haltung manifestiert. »Grundlage systemischer Arbeitsansätze bildet ein systemisches Menschenbild, das durch Respekt vor der Autonomie des Individuums und Wertschätzung gegenüber einzelnen Personen und Systemen geprägt ist.« (SG 2011: 1)60 Die Reflexion der eigenen Haltung erweist sich als unabdingbar, denn Werte und Normen prägen das Handeln in der Praxis und strukturieren es. »Im Interesse der Erhaltung und Weiterentwicklung einer entsprechenden fachlichen Kompetenz verpflichten sich die Mitglieder der Systemischen Gesellschaft zu kritischer Selbstreflexion, zu regelmäßiger Reflexion der eigenen Tätigkeit unter fachkundiger Außenhilfe und zu regelmäßiger Fortbildung.« (SG 2011: 1) Betrachtet man den Begriff der Haltung auch vor dem Hintergrund der verschiedenen abgetragenen Schichten und Ebenen (Beratungsbeziehung 3.1./3.2., das ausschnitthafte Sprechen über Haltung im Diskurs Sozialer Arbeit 3.3. sowie den oben dargestellten Diskurs psychosozialer Beratung 3.4.), so fällt auf, dass der Begriff der Haltung nicht selbst Gegenstand von Auseinandersetzungen wird. Das ist insofern bemerkenswert, als die Bedeutung von Haltung – so konnte herausgestellt werden – einen wichtigen Aspekt in der Beratung einnimmt. Geht es bei den Auseinandersetzungen um Markierungspunkte professionellen Handelns, hier im Rahmen psychosozialer Beratung gerade um die Klärung seiner »einheimischen Begriffe« (Herbart 1997a: 60), so bleibt dies beim Haltungsbegriff aus und er erweist sich als eine Leerstelle. Geht man davon aus, dass es sich hierbei allerdings nicht um eine noch offene Aufgabe handelt im Sinne eines 57 DGSV: Deutschen Gesellschaft fu¨ r Supervision und Coaching e.V., URL: https://www.dgsv.de /wp-content/uploads/2017/08/DGSv_Ethische-Leitlinien_2017_09_22.pdf (30. 04. 2021). 58 DGVT: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V., URL: https://www.dgvt.de/wir-u eber-uns/ethischerahmenrichtlinienderd/ (30. 04. 2021). 59 DvG: Deutsche Vereinigung fu¨ r Gestalttherapie DVG e.V., URL: https://www.dvg-gestalt.de /wp-content/uploads/2018/06/DVG-Ethikrichtlinien-2018.pdf (30. 04. 2021). 60 SG: Systemische Gesellschaft, URL: https://systemische-gesellschaft.de/verband/position/et hik-richtlinien/ (30. 04. 2021).
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Mangels, der mit der Arbeit am Begriff beseitigt werden kann, so bietet sich das Konzept des »leeren Signifikanten« an, um dieser Leerstelle nachzugehen. Denn »leere Signifikanten« erfüllen eine bestimmte Funktion innerhalb des Diskurses: sie stiften Identität. Und das Phänomen eines identitätslogischen Prinzips stellt sich für den Begriff von Haltung heraus: Zentral wird mit dem Haltungsbegriff die Person anvisiert. Mit Haltung wird damit eine Differenz in die Beziehungsgestaltung eingeführt, die sich auf eine Seite verlagert, nämlich die Person der Haltung. Die Frage nach der Gestaltung der Beziehung rückt dabei in die Perspektive solipsistischer Betrachtung und verweist auf das Bild eines von Intentionalität und Selbstsetzung bestimmten Subjektverständnisses. Es lässt sich herausstellen, dass die inhaltlichen Bestimmungen zwar – auch unvereinbar – differieren, im Sprechen über Haltung jedoch der soziale Effekt einer identitätslogischen Figur erzielt wird. Im Folgenden soll das Konzept des leeren Signifikanten skizziert werden, um auf diese Funktionalität des Haltungsbegriffs im Diskurs einzugehen.
3.5. Haltung als »leerer Signifikant« Einen Hintergrund bildet dabei das Zeichenmodell von Ferdinand de Saussure, wie er es in den »Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft« (2011) formuliert. Dabei geht Saussure von einem Modell aus, welches auf den Unterscheidungen Bezeichnendes (Signifikant) und Bezeichnetes (Signifikat) aufbaut (vgl. Saussure 2011: 76ff.). Er stellt dabei heraus, dass die Verbindung von Signifikant und Signifikat arbiträr, also die Beziehung von Bezeichnetem und Bezeichnendem willkürlich sei. Die Bedeutung eines Zeichens zeige sich dabei in der Differenz zu anderen Zeichen (vgl. Saussure 2011: 143). Nach Saussure sind es also Differenzen, die ein Sprachsystem bilden. Er hebt dabei für die Bedeutungszuschreibung die Relationalität der Zeichen hervor, die dabei gerade nicht auf ein Äußeres des Sprachsystems verweist. Vor allem dieses von Saussure herausgestellten Merkmal bildet dabei einen Anknüpfungspunkt zahlreicher Autor_innen, die sich – trotz aller Differenzen – als eine gemeinsame Perspektive sogenannter poststrukturalistischer Ansätze verstehen lassen. Seine Ansichten werden in teils radikaler Weise aufgenommen und die Konsequenzen seines Denkens weiterentwickelt.61 Ernest Laclau zählt zu einem der Vertreter, der die Ideen de Saussures aufgreift und in seine hegemoniale Diskurstheorie auf-
61 Zu nennen sind hier die ›klassischen‹ Vertreter_innen Derrida, Foucault, Butler und andere mehr.
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nimmt62 und sie weiterentwickelt. Auf sein Konzept des »leeren Signifikanten« soll im Folgenden eingegangen werden, um der Funktion des Haltungsbegriffs und seinem Effekt nachzugehen. Haltung als leeren Signifikanten zu betrachten, bedeutet, vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Zeichenmodells, dass das, was bezeichnet wird, keinen Signifikant besitzt, also keinen Bezug zu etwas Bezeichnendem aufweist, bzw. sich (zumindest partiell und temporär) als entleert darstellen. »Ein leerer Signifikant ist genau genommen ein Signifikant ohne Signifikat.« (Laclau 2002: 65) Das besondere ist dabei, dass leere Signifikanten nicht äquivok, also gerade nicht an verschiedene Kontexte gebunden sind. Und auch nicht ambivalent sind. Sie sind damit eben auch nicht allein über- oder unterdeterminiert (vgl. Laclau 2002: 65). Vielmehr erzielen leere Signifikanten im Rahmen der hegemonialen Diskurstheorie nach Laclau innerhalb des Diskurses einen Effekt, keine inhaltliche Bestimmung zu haben und dennoch einen sozialen Effekt zu besitzen. Es wird nämlich dadurch ermöglicht, dass viele Diskursteilnehmer_innen an die Bedeutungszuschreibung andocken können. Damit wird eine Identität zur Verfügung gestellt, die über einen leeren Signifikanten sozusagen organisiert wird. Diese Identität wird dabei bedeutsam in ihrer Abgrenzungsfunktion. Professionelle psychosoziale Beratung grenzt sich durch den Diskurs von anderen Verständnissen von Beratung ab, indem der Diskurs bestimmt, welche Qualitätskriterien und eben auch ethische Standards angelegt werden sollen. Nach außen findet dann eine Abgrenzung statt, die es Berater_innen ermöglicht, eine Identität professioneller Beratung im Rahmen des Diskurses psychosozialer Beratung auszubilden. Und dieser identitätslogische Effekt und Funktion von Haltung zeigt sich auch für eine soziale Konstellation der Beziehungsgestaltung mit den Beratenen. Was Haltung nun zu einem »leeren« Signifikanten macht ist, dass Haltung einer Bedeutungsfunktion entleert (Marchart 2013) ist, so dass damit das Allgemeine eines Diskurses repräsentiert und Identität gestiftet werden kann. Das Wort Haltung erscheint in verschiedenen Bedeutungszuschreibungen, die sich schwerlich auf einen Nenner bringen lassen. Hierbei bietet sich das Bild des Rhizoms an, worauf bereits an anderer Stelle mit Verweis auf Deleuze Bezug genommen wurde.63 Haltung lässt sich damit generell als ein flottierender Signifikant betrachten, der auf eine Bedeutungsverschiebung hinweist, den Sinn
62 Die Zusammenarbeit mit Chantal Mouffe muss dabei betont und ihr Einfluss auf die theoretischen Auseinandersetzungen dabei nicht unterschätzt werden. Die hegemoniale Diskurstheorie lässt auch weitere Bezüge zu Foucault Diskursanalyse, Lacan Strukturalistische Psychoanalyse sowie marxistische Ansätze erkennen. 63 Vgl. Will 2016.
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damit nur partiell zu schließen.64 Die Bedeutungen von Haltung zeichnen sich dabei gerade in ihren Differenzen zueinander aus. Wenn mit den verschiedenen Bedeutungen von Haltung nicht verschiedene Dinge benannt werden sollen, sondern eine Allgemeinheit beansprucht wird, so stellt sich die Frage nach deren Einheit, die eben genau in einem leeren Signifikant repräsentiert wird. Man weiß dabei schon immer, was mit Haltung gemeint ist, knüpft an Bekanntes an und braucht nicht weiter darüber zu explizieren. Haltung könnte dabei gerade durch eine hohe Lesbarkeit zu einem leeren Signifikanten geworden sein (vgl. Nonhoff 2006: 134). Marrtila (2019: 156f.) stellt dabei heraus, dass »das wirklich Rätselhafte an jedem einzelnen leeren Signifikanten ist, dass er in zweifacher Hinsicht unentscheidbar bleibt. Zum einen gibt es keinen objektiven und nichtdiskursiven Grund dafür, dass etwas als ein leerer Signifikant fungiert. Zum anderen kann der leere Signifikant zwar sowohl die Kompatibilität als auch die Inkompatibilität einzelner Zeichen symbolisieren, aber wegen seiner Bedeutungsoffenheit nicht determinieren, was mit dem leeren Signifikanten als kompatibel oder inkompatibel bezeichnet werden könnte.« (Hervorhebungen im Original)
Es muss davon ausgegangen werden, dass sich unterschiedliche Bedeutungen von Haltung unter dem Begriff der Haltung subsumieren lassen. Sonst würde es bedeuten, dass mit den verschiedenen Bedeutungszuschreibungen verschiedene Gegenstände gemeint sind, die sich nicht übereinbringen lassen. Dadurch würde aber gerade die soziale Ordnung instabil werden, worin ja die Funktion des leeren Signifikanten gesehen wird: im Allgemeinen, was nicht selbst wieder Teil des Systems der Differenzen sein kann, die sich aber durch Äquivalenz wiederum auszeichnen zu einem System, welches vom Allgemeinen ›leeren Signifikanten‹ repräsentiert wird. Haltung als leerer Signifikant erweist sich dabei als generativer Rahmen für unterschiedliche Bedeutungen (vgl. Schäfer 2013: 540). Mit Haltung werden verschiedene Artikulationspraktiken ermöglicht und unter dem ›Dach der Haltung‹ als das Allgemeine zusammengebracht. In Haltung als Signifikanten zeigt sich eine Äquivalenz, der das ›Allgemeine‹ der Haltung repräsentiert, obgleich die Allgemeinheit nicht zum Sprachsystem gehören kann, denn das Sprachsystem besteht ja gerade aus Differenzen. »Nun, in diesem Fall wird klar, daß Totalität essentiell notwendig ist: Würden die Differenzen sich zu keinem System zusammenschließen, dann wäre überhaupt kein Signifikanten möglich.« (Laclau 2011: 66) Die Schließung der partikularen Bedeutungszuschreibungen von Haltung erfolgen über hegemoniale Ausschlüsse.65 Durch die 64 Denn versucht man die Bedeutung für einen Kontext auf einen anderen zu übertragen, lassen sich beide nur schwerlich vereinbaren. Beispielhaft sei hier auf die Vereinbarkeit von Tierhaltung, Körperhaltung oder auch Geisteshaltung hingewiesen. 65 Nonhoff erläutert: »Signifikanten bleiben also, auch wenn sie entleert werden, in das Signifikantennetz eingebunden und verlieren ihre flottierenden, partikularen Bedeutungen nicht.
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Identität des (hegomonialen) Diskurses erweist sich eine Systemstabilisierung, die jedoch von einem konstitutiven Außen (Derrida) abhängig ist, was aus Gründen der Stabilisierung gerade ausgeschlossen wird. Der Diskurs selbst wird damit zu einem geschlossenen, da das Spiel der Differenzen im Begriff auf ein Allgemeines bezogen wird und partiell zum Stillstand kommt. Die Grenze dessen, was die Differenzen gerade als Bedeutungssystem markiert, kann allerdings nicht als ›natürliche‹ Grenze gelten, denn zu der Grenzziehung gehört das Wissen um die Grenze des Außen, die damit wiederum zu einem Teil des Bedeutungssystems werden würde. »Demgegenu¨ ber besteht das Hauptmerkmal des leeren Signifikanten genau darin, daß er die Grenzen des Bezeichnens anzeigt und damit die Struktur von Bezeichnungsprozessen subversiv unterläuft.« (Nonhoff 2006: 126) Haltung als leerer Signifikant, als entleerter Signifikant, repräsentiert nun die Allgemeinheit der Äquivalenz, die nicht wieder selbst zum Feld der Differenzsetzung von Bedeutung gehören kann, deren Differenzen der Bedeutung umstritten sind. Haltung wird damit zu einer Allgemeinheit des Diskurses, indem die Äquivalenz von Bedeutung zu einem geschlossenen Diskurs werden. »Es kann leere Signifikanten deshalb geben, weil jedes Signifikationssystem um einen leeren Platz herum konstituiert ist, der aus der Unmöglichkeit resultiert, ein Objekt zu produzieren, welches die Systemhaftigkeit des Systems trotz allem erfordert.« (Laclau 2011: 70) Die unterschiedlichen differierenden Bedeutungen von Haltung – die Signifikanten ›gleiten‹ (Lacan) unter dem Signifikat Haltung – verändern in unterschiedlichen Kontexten ihre Bedeutung und es zeigt sich darin eine Instabilität des Sozialen Systems. Das konstitutive Außen wirkt dabei immer wieder in die stabile, von Identität geprägte Diskursformation hinein und destabilisiert es damit. Die Soziale Ordnung muss dahingehend immer wieder neu hergestellt werde. Bedeutungszuschreibungen können nicht stillgestellt werden, weil es keinen außerhalb der Sprache befindlichen Referenzpunkt gibt, auf den sich eine ›wahre‹ Bedeutung beziehen und damit den Diskurs ›festschreiben‹ könnte. Es gibt auch keine Möglichkeit, außerhalb des Sprachsystems zu stehen, denn, das ist oben deutlich geworden, Sprache verweist gerade nicht auf eine BedeuDie Entleerung stellt sich vielmehr ein, wenn auf der partikularen Bedeutungsebene die Erfahrungen verschiedener Subjekte, die vom Diskurs betroffen sind, organisiert werden. Dabei läßt sich annehmen, daß ein Signifikant in seiner Funktion als leerer Signifikant wesentlich gestärkt wird, wenn er innerhalb des Signifikantennetzes in (Äquivalenz-)Relationen zu weiteren leeren Signifikanten artikuliert wird (was vor allem die oben ausgefu¨ hrten Relationen zu den Hochwertbegriffen betrifft).« (Nonhoff 2006: 134f.) Haltung als leerer Signifikant verweist damit auf andere leere Signifikanten, die ebenfalls auf eine Leere Verweisen und dadurch ein Netz bilden. So lässt sich schließlich auch von Beratung von einem leeren Signifikanten sprechen. »Die politische Macht eines leeren Signifikanten kann sich nur dann entwickeln, wenn er in ein Netz von leeren Signifikanten eingebaut ist.« (Nonhoff 2006: 135)
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tungsabbildung der Wirklichkeit, sondern wird selbst darin generiert – als Effekt. »Was folgt, ist die Annahme, dass sprachliche Bedeutung nicht unabhängig von den Kontexten ihrer Hervorbringung sind und daher immer neu justiert werden müssen.« (Schäfer 2013: 539) Damit zeigt sich jedoch, dass die Ordnung des Systems immer umstritten ist und bleibt – das ist das zentrale Element der hegemonialen Diskurstheorie. Um die Allgemeinheit herzustellen, bedarf es dabei partikularer Schließungsbemühungen um das Zentrum leerer Signifikanten – in diesem Fall ›Haltung‹ – die als hegemoniale Einsätze zu verstehen sind: Es braucht »sinnverbürgende Knotenpunkte», die Verbindlichkeiten in Selbst- und Weltverhältnisse einziehen (vgl. Schäfer 2013: 540). Die Artikulation und damit die Bedeutungszuschreibung im Diskurs ist immer performativ und das bedeutet, dass jede Artikulation ereignishaft disloziert wird, also Sinn und Bedeutung streut. Eine vorrangige Bedeutung gibt es also nicht und damit bleibt dem Subjekt auch keine vorrangige Grundlage, von der aus es am Diskurs teilnimmt. »Das Subjekt – als meinendes, intentionales oder Autor seiner Sprechakte – stellt sich selbst als Effekt seiner Artikulation dar.« (Schäfer 2013: 540) Der Ort der Sprechenden wird zum Effekt der Artikulation (vgl. Schäfer 2013 540). Die Ordnung wird hergestellt und der Ort markiert, von dem aus das Subjekt spricht: es subjektiviert sich als Effekt der Artikulation. Die Identifikation und Position des Subjekts wird dabei in der Artikulation angegeben. Die Artikulation von Haltung ruft damit eine bestimmte Subjektivierungsfigur als Effekt der Artikulation auf, die einen Anspruch auf Allgemeinheit erhebt.66 Mit der Artikulation von Haltung wird dabei ein bestimmter Ort des Sprechens von und über Haltung sowie eine Ordnung und Stabilität des Sozialen hergestellt, in dem die Formation um den leeren Signifikanten hegemoniale Schließungen erzeugt.67 »Diese offene Schließung um den leeren Signifikanten wird erleichtert durch Abgrenzung, durch die Signifizierung und Ausgrenzung dessen, was sich nicht unter den zentralen Signifikanten bringen lässt.« (Schäfer 2013: 540) Subjektivierungsprozesse ergeben sich durch Wahrheits- und Machtregime, die in die Artikulation zentral gesetzter Signifikanten. (vgl. Schäfer 2013: 540) Die Effekte der Subjektivierung bleiben im Artikulationsprozess aber ereignishaft und damit Identität instabil, mit imaginärem Charakter – »ihre Stabilisierung hängt letztlich an jenen ›leeren Signifikanten‹, d. h. an deren hegemonialem und politischem Charakter« (Schäfer 2013: 540). 66 Laclau bezieht sich hierbei auf Leforts Figur der Leere, »Der leere Ort der Macht«, den Laclau für Gesellschaft in Anspruch nimmt und darin eine soziale und politische Ontologie sieht (vgl. Nonnhoff: 116). Laclau bezieht sich ebenfalls auf psychoanalytische Ansätze, indem er auf die Leere als Imagination hinweist, deren Mangel supplementiert werden muss. Das Allgemeine bleibt dabei wegen des konstitutiven Mangels konflikthaft umstritten. 67 Zu den Prozessen von Öffnung und Schließung siehe vor allem Jergus (2011) mit ihrer Auseinandersetzung um den Begriff der »Liebe«.
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In Haltung zeigt sich also eine Durchsetzung eines partikularen Gesichtspunktes als hegemoniale Schließungsbemühung. Haltung erhebt einen Anspruch einer vorgängigen Bedeutung, an die jede_r Diskursteilnehmer_in anknüpfen kann. Und es zeigt sich, dass dieses Anknüpfen sozusagen in aller Stille erfolgt, als schweigende Zustimmung, da ja die Diskussion und Auseinandersetzung um Haltung selbst im Diskurs nicht thematisiert werden. Es geht nun dabei jedoch weniger um die inhaltliche Bestimmung des partikularen Bedeutungszusammenhangs als vielmehr um die mit der Artikulation aufgerufene, auf ein identitätslogisches Prinzip rekurrierende Figur der Subjektivierung, die sich in der Artikulation von Haltung zeigt.68 Die Funktion, die Haltung durch den leeren Signifikanten erfüllt, bezieht sich auf die Identitätskonstitution, deren Funktion im leeren Signifikante überhaupt gesehen werden kann. Die Unbestimmtheit lässt sich dabei gerade nicht als einen Mangel einer Explikation dessen verstehen, was unter Haltung zu verstehen sein kann, als vielmehr der leere Signifikant Haltung selbst eine Problematisierung im Diskurs anzeigt: Baut ein Verständnis von Beratung auf einem klassischen Subjektbegriff der Moderne auf und wird dieses Verständnis gerade infrage gestellt, wird damit die Grundlage von Beratung in diesem Verständnis entzogen und die Frage nach dem ›Ende der Beratung‹ aufgeworfen. Mit dieser Erschütterung der Grundfesten disqualifiziert sich die Diskussion in eine Instabilität, die gerade mit dem leeren Signifikanten stabilisiert werden soll – in und mit der Identitätsstiftung zeigt sich seine Funktion. Mit dem leeren Signifikanten Haltung zeigt sich eine Stabilisierung der sozialen Ordnung im Beratungsdiskurs und stiftet ein identitätslogisches Fundament professioneller Beratung. Das auf Identitätslogik angelegte Verständnis rekurriert dabei gerade genau auf ein Verständnis von Autonomie und Souveränität. Der Diskurs findet also im leeren Signifikanten Haltung eine Stabilisierung und schließt sich damit gegen die Instabilität, die mit der aufkommenden Kritik an modernen Subjektvorstellungen das Format Beratung selbst in Frage stellt. Der Diskurs erhält sich damit gleichzeitig über die identitätsstiftende Funktion, die mit dem Sprechen von und über Haltung artikuliert wird. Damit wird soziale Ordnung hergestellt. Die damit einhergehenden (hegemonialen) Schließungsbemühungen halten jedoch wiederum an einer Subjektivierungsfigur fest, die von klassischen Merkmalen des sich selbst autonom und souverän setzenden Subjekts gekennzeichnet ist. Mit der Kritik an diesen Subjektvorstellungen lässt sich allerdings auch das identitätslogische Prinzip des Haltungsbegriffs in Zweifel ziehen, denn die Identitätslogik führt eine Differenzvergessenheit mit sich, die die Frage nach dem Anderen als Anderem virulent werden lässt.
68 Zum Chiasmus von Sagen und Zeigen siehe Kapitel: 4.5.3.
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Topographie von Haltung
Wie lässt sich also der auf Identitätslogik angelegte Haltungsbegriff differenztheoretisch umformen? Psychosoziale Beratung ist, wie oben konstatiert, eingespannt in den Ebenen des Ethischen und des Politischen. Für die inter-individuelle Ebene des Ethischen wurde die Etablierung eines (ethischen) Schutzraums herausgestellt, dessen Notwendigkeit sich überhaupt erst aus der spezifischen Konstellation psychosozialer Beratung, eingespannt zwischen Individuum und Gesellschaft, zeigt. Der Haltungsbegriff wurde dabei als ein wesentliches Merkmal der für die Beratung wichtig gewordenen Größe der Beziehungsgestaltung herausgestellt. Bei der Untersuchung des Haltungsbegriffs hat sich schließlich gezeigt, dass Haltung auf eine Figur rekurriert, die von einem identitätslogischen Prinzip gezeichnet ist und damit einhergehend ein klassisches Subjektverständnis speist, welches von Autonomie und Souveränität geprägt ist. Dieses Bild verfestigt sich und mit dem Konzept des »leeren Signifikanten« konnte über den Haltungsbegriff eine identitätsstiftende Funktion innerhalb des Diskurses plausibilisiert werden. Sowohl die Kritik an tradierten Subjektvorstellungen als auch die damit einhergehende Tatsache, dass in sozialprofessionellen Zusammenhängen das Gegenüber in der (ethischen) Auseinandersetzung Berücksichtigung finden muss, lässt die Frage nach Haltung und Sozialität stellen. Die meisten Arbeiten, die den Haltungsbegriff aufgreifen, beziehen sich auf eine aristotelische Tradition und leiten den Begriff von der hexis ab. Frauke Annegret Kurbacher zählt zu diesem Personenkreis und legt im Horizont dieser Tradition mit ihren Arbeiten einen Grundstein in der Auseinandersetzung mit dem Haltungsbegriff und leistet damit Pionierarbeit. Ihr Ausgangspunkt bildet gerade die Kritik an den Vorstellungen des modernen Subjekts. Die Auseinandersetzung mit Kurbachers Haltungsbegriff knüpft dabei an die aufgeführten Überlegungen an. (4.1.) Dabei wird sich herausstellen, dass ihre Ausführungen den identitätszentrierten Raum nicht verlassen und die Frage nach dem Anderen als Anderen damit ausgeklammert wird. (4.2.) Mit Levinas Philosophie des Anderen und einer Ethik der Alterität (4.3.) soll schließlich nach dem Anderen gefragt und mit den darauf bezugnehmenden Ansätzen Dieter Merschs zu einer Posthermeneutik ›Haltung in der Wendung des Bezugs‹ (4.4.) diskutiert werden.
4.
Ethik der Alterität: Wendungen des Bezugs
Ethik bezieht sich nicht nur auf den Status des Subjekts, sondern richtet sich (nicht nur) in sozialprofessionellen Berufen stets immer auch an Andere. Großmaß und Perko formulieren dahingehend Kants Frage von: »Was soll ich tun« in: »wie soll ich dich behandeln« um: »Diese Umformulierung ist zentral, weil sie das Du, den Anderen als Person, als Subjekt explizit in die Frage der Ethik hineinnimmt.« (Großmaß/Perko 2011: 21) Und schließlich sind ethische Frage damit kein selbstbezogener Zweck von Berater_innen, sondern richten sich gerade an ein Du, an Andere. Für den Zusammenhang des Ratgeben sieht Stegmaier in der Unterscheidung von Ratschluss (symbouléuma) also im Sinne des mit sich selbst zu Rate Gehens und einen Rat empfangen (bouléuma) das Ethische des Rates angesiedelt. Denn es gehe darum, dass »man nicht nur Meinungen aus[tausche], sondern [man] braucht den anderen, um handeln, um weitermachen, um weiterleben zu können. Man ist dann auf den Rat eines anderen angewiesen.« (Stegmaier 1993: 17) Und weiter: »Der Rat ist eine Quelle des Ethischen, weil es in ihm auf den anderen ankommt. Doch es kommt in ihm nicht auf den andern schlechthin an, sondern auf einen bestimmten andern, auf ein anderes Individuum, und um einem anderen Individuum gerecht zu werden, muß man selbst Individuum werden und alles Allgemeine, was man mitbringt, zur Disposition zu stellen versuchen. Der Rat setzt das Allgemeine dem inter-individuellen Verhältnis aus.« (Stegmaier 1993: 17f.)
Für die Auseinandersetzung mit ethisch-moralischen Fragen im Rahmen psychosozialer Beratung ist es damit zentral, dass die Perspektive der inter-subjektiven Konstellation eingenommen wird. Bedorf stellt unter Bezug auf Luhmann heraus, dass das Auftauchen der Thematisierung von Intersubjektivität, die sich als »intersubjektive Wende« in verschiedenen Bereichen und Disziplinen wieder finden lässt69, in Zusammenhang mit einer zumindest kritischen Aus69 Siehe oben.
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Ethik der Alterität: Wendungen des Bezugs
einandersetzung eines Subjektbegriff und gar als Rettung dieses Begriffs zu sehen sein kann. Von Intersubjektivität auszugehen, stellt vor das Problem, eine konkrete Vorstellung von dem anzugeben, was unter Subjekt zu verstehen ist: »Es soll ein ›Zwischen‹ von Subjekt und Anderem beschrieben werden, das jedoch, konsequent gedacht, zu einer Aufgabe des Subjektbegriffs führen müsste.« (Bedorf 2011: 10) Die Auseinandersetzungen um den Haltungsbegriff in psychosozialen Beratungsfeldern gilt es also aus einer inter-subjektiven, bzw. inter-individuellen Perspektive heraus zu betrachten. Kurbachers »Philosophie der Haltung« nimmt ihren Ausgangspunkt von einer Subjektkritik und fokussiert dabei das Verhältnis und damit den Bezug selbst. Ihre Ausführungen lassen sich dabei in eine aristotelische Tradition einreihen, die sich auf den Begriff der hexis bezieht.
4.1. Haltung als Tugend im Zwischen Aristoteles entwirft Tugenden als feste Grundhaltung, als hexis, welche Thema in der Nikomachischen Ethik ist:70 »Unterschieden von den Affekten, Emotionen und Taten sind die Haltungen bzw. Tugenden, das, wofür wir, im Gegensatz zu unseren Affekten, verantwortlich gemacht werden können.« (Kurbacher 2002: 26) Die Haltung zielt dabei darauf ab, den Umgang mit den Affekten zu gestalten, die uns sozusagen zustoßen. Hexis als Haltung zielt dabei auf die Verbindung zweier Seelenteile, und Aristoteles grenzt sich damit von der bisherigen Seelenkonzeption Platons ab (vgl. Aristoteles 2017). Aristoteles schafft es damit, eine Verbindung zwischen den Affekten und dem Verstand zu ziehen, indem hexis als überlegtes Handeln als Reaktion auf Affekte, als Umgang in einer jeweiligen Situation zu sehen ist. »Denn die Allgemeinheit der Tugend läßt immer offen, das hat uns Aristoteles gelehrt, wie sie in konkreten Situationen konkret zu gebrauchen ist.« (Stegmaier 1993: 28) Hexis als Tugend ist damit zur ›zweiten Haut‹ gewordene Haltung und ist damit als eine Charaktereigenschaft zu verstehen, in einer jeweiligen Situation zu handeln (vgl. Wolf 2002: 70). Es geht dabei allerdings weniger um spontane Reaktionen als vielmehr um ein habituiertes, überdauerndes Muster. Zentral ist dabei die Mesoteslehre, die Lehre von der Mitte, die das ›richtige‹ und angemessene Handeln, im Sinne des Maßes, in der jeweiligen Situation auszeichnet. Es gilt die »vortreffliche Mitte« zwischen Extremen aus Übermaß und Mangel zu finden (vgl. Aristoteles 2010: 1104a 12–13). Das tugendhafte Handeln meint dabei nicht das Abspulen von Handlungsanweisungen. Vielmehr bedeutet aus einer Haltung heraus zu handeln Entscheidungen zu treffen, die sich an Erfahrungen orientieren, die über Instanzen von Erziehung 70 Siehe hierzu auch die Ausführung zu Aristoteles in Will 2016.
Haltung als Tugend im Zwischen
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und Sozialisation angeeignet wurden und in der jeweiligen Situation zur Disposition stehen. Es kann also für die konkrete Situation auf etwas zurückgegriffen werden. Die Entscheidung, wie gehandelt wird, ist damit aber gerade nicht im Sinne von Determination impliziert, sondern Ergebnis der konkreten Entscheidungsprozesse. Die jeweils getroffenen Entscheidungen fließen dann wiederum in die Erfahrung und (Aus-)Bildung der Haltung(en) ein. Hexis lässt sich mit Bezug auf Aristoteles im Problemhorizont der Auseinandersetzung von Potenz und Akt verorten und Haltung als jeweilige Brücke verstehen, mit dem Gewordenen das Konkrete mit dem Möglichen zu verbinden (vgl. Agamben 2012: 150ff.). Frauke Annegret Kurbacher schließt mit ihre »Philosophie der Haltung« (Kurbacher 2017) an die Überlegungen von Aristoteles an. Haltung bezieht Kurbacher auf die Begriffe von hexis und habitus und verweist auf zwei Traditionslinien, die sich in der Nachfolge von Aristoteles weiterentwickelten und unterschiedliche Konnotationen erhielten. Dabei stellt sie in Bezug auf den Haltungsbegriff den Aspekt des freiheitlichen Wählens heraus. »Durch sie [die Wahlmöglichkeit, JCW] treten aktive Einflußnahmen und damit eine Gestaltung eigener Person und Persönlichkeit im Bezug auf Gemeinschaft, aber auch ganzer – eigener wie gemeinschaftlicher – Lebensformen in den Horizont.« (Kurbacher 2017: 56) Im Begriff des Habitus’ habe sich tendenziell eine Traditionslinie abgezeichnet, die eher von einer starken Reglementierung, Zurückhaltung und Fassung als Zügelung und Aussparung ausgeht: »Habitus sind Gegenstand verschiedener normativer Ethiken und Lebensanweisungen geworden.« (Kurbacher 2017: 57, Hervorhebung im Original) 71 Haltung verweise hingegen in der Tradition der hexis auf die »freiheitlichen und formgebenden Befähigungen« (Kurbacher 2017: 58). Als konstitutive Differenz von hexis und Habitus betont Kurbacher, dass es auf den freiheitlichen Entscheidungsaspekt in der jeweiligen Praxis und Situation ankomme. Der Aspekt des Affektiven trete zwar bei beiden Linien hervor, werde jedoch, so Kurbacher, im Habitus als reglementierend, Restringierung und als Abkehr nachgezeichnet (vgl. Kurbacher 2017: 58). Kurbacher führt Bourdieus Konzept des Habitus und Foucaults Ästhetik der Existenz an, um dieses Moment zu unterstreichen. Mit Bourdieu72 zeige sich der Verweis auf die »überindividuellen Formen gemeinschaftlicher Prägung« (Kurbacher 2017: 59). Auch bei Foucault stellt Kurbacher das unterwerfende Moment der »Sorge um sich« heraus: »Je nach Lesart und Interpretation werden die Akzente einmal mehr oder weniger scharf gesetzt, aber streckenweise mutet die vorgestellte Beherrschung des Selbst doch so 71 Siehe zur Traditionslinie des Habitus Nickel 2005. 72 Bourdieu (1979) reserviert den Begriff der hexis für die Bezüge auf körperliche Aspekt des Habitus.
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rigide und bestimmt an, daß weder das passive, fragile, menschliche Moment ausreichend beleuchtet, noch ein wirklich freiheitlicher Raum jenseits eines Machtdenkens möglich scheint, das zwar auch in weitem Sinn als Wirksamkeit und Aufmerksamkeit verstand werden kann, aber grundlegend eine Denkfigur der Gefälle und Hierarchien ist.« (Kurbacher 2017: 60)
Für den folgenden Zusammenhang ist an dieser Stelle entscheidend, der Figur Kurbachers im Rekurs auf Aristoteles Hexis-Begriff und damit dem selbstermächtigenden Moment zu folgen. Ihre Anmerkungen und der Bezug zu Foucaults »Ästhetik der Existenz« wird in Kapitel 6 aufgegriffen, in dem es gerade um das paradoxe Verhältnis von Subjektivierung als Unterwerfung und Ermächtigung geht, wie es in einem foucault’schen Verständnis eines ambivalenten Machtbegriffs zum Ausdruck kommt. Kurbacher entwickelt ihre philosophischen Auseinandersetzungen um den Begriff der Haltung im Ausgang einer kritischen Reflexion des Subjektbegriffs, dessen klassischen Betrachtungsweisen dabei wesentliche Bezüge unberücksichtigt ließen: »Als fehlende Reflexionen traten solche zur Körperlichkeit, Leiblichkeit, zur Emotionalität und zur Alterität hervor und gegenwärtig kann auch eine Philosophie des Fremden mit hinzugezählt werden.« (Kurbacher 2016: 145f.) Dabei wird für sie der Begriff der Haltung zentral, der eine Verbindung zwischen Kognition und Emotionalität, Körper- und Leiblichkeit sowie Begriffund Nicht-Begrifflichkeit liefere. (vgl. Kurbacher 2002: 25) 73 Kurbachers Perspektive schließt an die kritische Subjektphilosophie an und verknüpft dabei volitive, leib-körperlich-kognitive Anteile sowie Anderenvergessenheit, die in einen Begriff von Haltung münden. Kurbacher hebt dabei auf eine Grundproblematik der Moderne ab, die von einer gleichzeitigen Fragilität des Subjekts wie von einem starken Subjektbegriff ausgehen muss, um Verantwortung übernehmen zu können (vgl. Kurbacher 2016: 147).74 »Offenbar bedarf es eines Ansatzes, der es ermo¨ glicht, sowohl von Stabilita¨ t als auch Fragilita¨ t der Person auszugehen, der beide gleichzeitig und in gleicher Geltung annimmt. Hier bietet sich aus meiner Sicht eine Untersuchung von ›Haltung‹ an.« (Kurbacher 2008: 2) 73 Kurbacher zeichnet historische Stationen nach, in denen Haltung relevant wird: Neben Aristoteles nennt sie dabei Kierkegaard in Zusammenhang mit der Wahl als Ausdruck einer spezifischen Haltung; Kant als Denkungsart in der Kritik der Urteilskraft; kognitive Reflexion einer bestimmten Denkungshaltung bei Wittgenstein, als Haltung und Denkstil im Rahmen der »Vorlesung zur Ästhetik«; Buber als Zugewandtheit zum Anderen, die die Beziehung des Selbstverhältnisses übersteigt, Individualität in Praxis bei Thomasius sowie eine Renaissance der Urteilskraft bei Heinrich und Arendt in Bezug auf Faschismus (vgl. Kurbacher 2002: 25ff.). 74 Diesem, eher auf Konsequenz und damit juristischem Wortgebrauch angelegten Begriff von Verantwortung wird mit Levinas ein auf das Antwortgeschehen verstehende Verantwortung vorgestellt und damit einhergehend eine veränderter Perspektive auf das Subjektverständnis gezeigt. Siehe hierzu Kapitel 4.3.
Haltung als Tugend im Zwischen
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Gegenwärtige Ansätze gehen dabei entweder vom Selbst oder vom Anderen aus. Kurbacher setzt hingegen auf die Relation, also auf das Verhältnis und die Bezüglichkeit: »Die Frage nach einer mo¨ glichen Beziehung von individuierten Personen untereinander kann letztlich nur von dieser Relation selbst her plausibel entwickelt werden.« (Kurbacher 2008: 1) Sie verfolgt dabei die Möglichkeit, mit Haltung eine Verbindung herausstellen, die weder die Perspektive des Selbst noch die der Anderen vernachlässigt: »Während die Erkenntnistheorie gerade den Versuch einer Rettung des Subjekts durch Kritik der postmodernen Position Gefahr läuft, das zu Ermittelnde in der Analyse zu verlieren, bleibt im Falle der phänomenologischen Konzentration auf das Phänomen des Anderen sowohl das Subjekt als auch die Relation zum Anderen eigenartig unterbeleuchtet.« (Kurbacher 2002: 23)
Kurbacher verweist darauf, gerade mit dem Haltungsbegriff auf kritische Aspekte des Subjektbegriffs einzugehen und damit einen Beitrag zu den Auseinandersetzungen um Verantwortung und Interindividualität leisten zu können. (Kurbacher 2006/ 2008) 75 In einer Philosophie der Haltung als Bezüglichkeit, die nach der Gestaltung des Verhältnisses, also dem Wie des Bezugs fragt, sieht Kurbacher eine Möglichkeit, Individualität und Gemeinschaft zu verstehen, ohne einen einseitigen Pol zu gewichten: »Daher steht mit Haltung die Möglichkeit in Aussicht, der seit der Neuzeit aufgerissenen Kluft von individueller Autonomie und Gemeinschaft, und der damit verbundenen intersubjektiven Spannung zwischen Sinnlichkeit, Emotionalität, Willentlichkeit und Rationalität sowie KörperLeiblichkeit vermittelnd zu begegnen.« (Kurbacher 2016: 147) Sie verweist darauf, dass die Bedeutungsvielfalt von Haltung, die sich gerade der deutschsprachigen Begriff der Haltung zeigt, auf die verschiedenen Aspekte bezieht, die gerade mit einem Haltungsbegriff in Verbindung gebracht werden könnten (vgl. Kurbacher 2008: 5). Kurbacher stellt heraus, dass das Selbstverhältnis immer schon mit SelbstBewusstsein gleichgesetzt wurde und damit mit einem Problem konfrontiert sei: »Selbstbewußtsein bedarf eines autonomen Subjekts, dessen Autonomie sich aber erst im Akt des Selbstbewußtseins erweist.« (Kurbacher 2002: 24) Kurbacher stellt Selbstbewusstsein dabei als nur eine mögliche Bezugnahme des Selbst zu sich selbst heraus. Sie verweist auf ein Selbstverhältnis, welches sich als ein dynamisches, lebensweltliches Wechselverhältnis verstehen lässt (vgl. Kurbacher 2002: 24). Das Selbst konstituiere sich im Sprechen erst selbst, womit die Frage des ›wie sprechen‹ auch immer schon die Frage nach dem ›wer spricht‹ enthält.76 75 Siehe diesen Aspekt auch in Kurbacher 2006. 76 Dieser Aspekt lässt eine Analogie zu Foucaults »Ich lüge« und »Ich spreche« zu, wie er es in Auseinandersetzung mit einem ›Denken des Außen‹ führt. (Foucault 1987: 46) Die Richtungen gehen allerdings nicht über einen Anklang hinaus und lassen verschiedene zu ver-
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Kurbacher verweist darauf, dass eine Person zu einer Selbstzuschreibungen fähig ist, sich also selbst »einen Subjektcharakter zuzusprechen, und dies tut oder eben nicht« (Kurbacher 2002: 29). Sie zieht eine Verbindung zum Urteilen, in dem immer schon eine freie Wahl impliziert wird. Im Urteilen lässt sich auch etwas über die Person sagen, die urteilt. Denn: »Durch das Urteil stellt sich der Urteilende in eine bestimmte Relation mit dem Urteilsgegenstand, ist auf ihn bezogen mit ihm verbunden. Man könnte auch von einer bestimmten ›Haltung‹ sprechen.« (Kurbacher 2002: 28) Urteilen ist nicht referenzlos, sondern immer schon von einem Bezug zu etwas markiert (vgl. Kurbacher 2008: 7). Durch den Verweis auf die grundsätzliche Bezüglichkeit geht Kurbacher mit Haltung über den Bereich der Ethik hinaus und verweist auf die Wechselwirkung von Selbst, Anderen und Weltverhältnissen (vgl. Kurbacher 2016: 152). »Dadurch, dass ich mit Anderen und Anderem und mir selbst umgehe, erhalte ich Kenntnis.« (Kurbacher 2016: 153) Bezüglichkeit meint dabei, immer schon in einem Bezug zu stehen, der selbst nicht frei gewählt ist, sondern immer schon in einer bestimmten Art und Weise auf Selbst, Andere und Welt bezogen zu sein (vgl. Kurbacher 2006). »Ist dem Person-Sein diese grundlegende Bezu¨ glichkeit und Reflexivita¨t konstitutiv, die im Begriff von Haltung enggefu¨ hrt wird, dann stellt sich die Frage nach dem ›Wie‹ dieses Beziehens, der Haltung.« (Kurbacher 2008: 7) Haltung als Urteilen in einer konkreten Entscheidungssituation sagt damit nach Kurbacher immer auch etwas über das Selbst sowie auch über andere aus (vgl. Kurbacher 2002: 28). »Wenn ich mich meines Urteilens nicht entledigen kann, stellt sich notwendig die Frage nach der, nach meiner Haltung, wenn ich urteile.« (Kurbacher 2002: 28f.) ›Subjekt‹ meint in Kurbacher Verständnis dabei, sich zu sich zu verhalten, also über Haltungen einen bestimmten Bezug zu sich zu setzen, was sich gerade über das Urteilen vollzieht. »Von diesem Punkt – der Selbstsetzung [im Sprechen als Urteilen, JCW] – aus, ist der urteilend Sprechende in eine Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit gestellt, sich selbst und anderen gegenüber.« (Kurbacher 2002: 30) Haltung wird damit zu einer Scharnierstelle: Aus welcher Haltung heraus, also ›wie‹ verhalte, fühle, empfinde ich (mich) und zwar mir, anderen und Welt gegenüber. »In Haltungen sind Selbstverhältnisse und Weltbezüge von Menschen kristallisiert bzw. immer auch konkretisiert. Es gilt: Was uns gegeben ist, ist uns durch und in einer bestimmten Haltung gegeben und dies gilt auch für uns selbst: – ›Wir sind unsere Haltungen‹.« (Kurbacher 2006: o.S.) Und dieses sich auf sich Beziehen verbindet Kurbacher mit verschiedenen Dimensionen des Kognitiven, Emotiven, und Volitiven als Art und Weise des Bezugs.
folgende Wege eröffnen, wie es für die Auseinandersetzung mit Kurbachers Haltungsbegriff zentral wird.
Haltung als Tugend im Zwischen
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Kurbacher formuliert pointiert: »Haltung bezeichnet grundlegende menschliche Bezu¨ glichkeit, die immer eine Wechselwirkung aus den Bezu¨ gen zu Anderen, Selbst und Welt ist. Jede Haltung referiert implizit oder explizit auf dieses Geflecht aus Anderen, Selbst und Welt und ist zugleich Realisierung dieses komplexen Bezugs.« (Kurbacher 2008: 5) Haltung erweist sich dabei stets in diesen Bezügen aus Selbst, Anderen und Weltverhältnissen. »In Haltungen sind so handlungsorientiert und erkenntniskritisch Selbst- und Weltbezu¨ ge intersubjektiv, interpersonell und interindividuell thematisiert, deren Vollzug ihre Konstituenten wie Ich, Anderer, Andere, Subjekt und Person allererst performativ auftauchen la¨ßt.« (Kurbacher 2008: 6) Dabei fasst sie Haltung als Bezüglichkeit grundlegend (Kurbacher 2017: 145). In diesem Verständnis geht Haltung über die bloße Aneignung von Verhaltensdispositionen hinaus. In der allgemeinen Bezüglichkeit von Haltung sieht Kurbacher eine Grundlage für Intersubjektivität, bzw. Interpersonalität: »Haltung ist grundlegend, d. h. alles, was (mir oder Menschen u¨ berhaupt) gegeben ist, ist in bestimmter Weise spezifisch gegeben, dies betrifft mich selbst, aber auch alles andere (Spezifita¨ t der Situation, Lebenswelt, anderer individuierter Personen etc.).« (Kurbacher 2008: 4) Bezüglichkeit liege dabei immer schon vor, noch bevor die Bezugnahme selbst erfolge. »Daß auf alles, was mir gegeben ist, tendentiell, potentiell und auch ausdru¨ cklich Bezug genommen werden kann, bezeichnet die ebenso grundlegende potentielle ¨ berReflexivita¨t von Haltung und bildet eine Voraussetzung fu¨ r mo¨ gliche U nahme von Verantwortung.« (Kurbacher 2008: 4) Haltung zeigt sich immer eingebettet in einen kulturellen Raum, indem die Bezüge auf andere Bezüge verweisen: »Zugleich stellt aber jede Haltung immer eine spezifische Variation gegebener Haltungen im Sinne bereits vorgeformter Muster dar; – jede vollzogene Haltung kann wiederum so ein Muster generieren.« (Kurbacher 2008: 5) Mit der Haltung der Indifferenz zeige sich gleichermaßen eine Haltung, die gerade von einem Negativen ausgeht. (Kurbacher 2002: 33) »Indifferenz ist in dieser Hinsicht totale, radikale Selbstkonstruktion, die nicht im und durch praktisches Leben, Kontakt mit anderen, Begegnungen entwickelt, geworden, kritisiert und geschliffen ist.« (Kurbacher 2002: 33) Indifferenz als das ins »Aus« Setzen innerhalb einer Beziehung verweist für Kurbacher damit auf bewusste Anund Einnahme um eine Grundvoraussetzung für Mündigkeit und Selbstständigkeit – als Haltung (vgl. Kurbacher 2002: 33f.). Kurbacher führt Liebe als eine ausgezeichnete Grundhaltung an. (vgl. Kurbacher 2008: 8) 77 Liebe als Haltung bezieht sich auf die konkrete persönliche und individuelle, performative Realisierung. Sie verweist dabei gerade auf das Verhältnis, um die einseitige Positionierung entweder individuell oder gemeinschaftlich auszuschließen, denn mit und in Liebe zeige sich ein überindividuelles Verhältnis, was lediglich im indi77 Siehe hierzu eine ausführliche Darlegung in: Kurbacher 2017: 150–305.
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viduellen Vollzug erfahrbar wird. »Wir sind nicht verantwortlich fu¨ r die grundlegende Bezu¨ glichkeit (noch daß und teilweise wo wir ins Leben oder Dasein hineingestellt sind), aber fu¨ r ihre Realisierungen, d. h. wie wir damit umgehen und – in Anlehnung an Kant formuliert-, auch dafu¨ r, was wir aus uns darin zu machen bereit sind.« (Kurbacher 2008: 10) Mit Bezug auf Aristoteles führt Kurbacher Freundschaft als Grundhaltung an, die von einem Selbstzweck geprägt ist: »Die Selbstzweckformel ist hierbei Garant fu¨ r die Widersta¨ndigkeit gegenu¨ ber allen fremden Nutzbarmachungen und Abha¨ngigkeitsverha¨ ltnissen.« (Kurbacher 2008: 12) Kurbacher zeigt auf, dass der Bezogenheit immer auch ein entziehendes Moment inhärent ist, geht auf diesen Aspekt jedoch nicht weiter ein (vgl. Kurbacher 2016: 156).78 Darin liegt jedoch gerade der Aspekt der Alterität gegründet, dem in Bezug auf den Haltungsbegriff nachgegangen werden soll. Denn in dem Entzug, so wird sich zeigen, liegt gerade das Moment des Angesprochen-Werdens durch den Anderen, das sich als Kraft erweisen wird und überhaupt erst in den Bezug »ruft«, dem es zu antworten gerade gilt. Kurbacher lenkt dazu ein, dass die »Denkfiguren des Anderen, Fremden, Dritten und sogar die Reflexionen zum Selbst […] jedoch derartiges Eigengewicht erlangt [haben], daß das Relationale an ihnen kaum eigene Beachtung findet« (Kurbacher 2017: 128). Um der vernachlässigten Perspektive zu begegnen, fragt sie – wie oben dargestellt – nach dem Bezug selbst. Sie stellt dabei heraus, dass mit dem betonten (Be-) Denken des Anderen dieser in der Reflexion genau die Position einnehme, die gerade von der Kritik des Selbst als Zentrum aufgenommenen wurde – eben als AnderenZentrierung. Damit verliere die Auseinandersetzung jedoch die Perspektive und tausche lediglich die Plätze (vgl. Kurbacher 2017: 128). »Über die Figuren des Anderen und Fremden konnte im 20. Jahrhundert viel ausgearbeitet und aufgezeigt werden, doch haben vor allem das Fremde und das Andere die Tendenz einen ähnlich paradigmatischen Charakter zu erlangen wie einst das Subjekt in der Subjektphilosophie zu deren Kritik sie eigens angetreten sind.« (Kurbacher 2017: 130) Darüber hinaus zeige sich mit dem Denken des Anderen ein paradoxes Problem, was Kurbacher so formuliert: »Mit diesem Denken des Anderen, für das Lévinas ein tragender Denker des 20. Jahrhunderts ist, formiert sich jedoch auch ein spezifisches Problem der Interindividualität, das in Hinblick auf eine Philosophie der Interpersonalität bedacht werden muß: Wenn der und das Andere das Andere sein und bleiben soll, darf es nicht einfach als Konstitutivum des Eigenen entwickelt werden, wenn es aber so ausschließlich als Anderes konstituiert ist, unerreichbar für das Eigene, dann fragt sich, wie von hierher noch Intersubjektivität, wie Interpersonalität gedacht werden kann.« (Kurbacher 2017: 128) 78 Kurbacher rekurriert dabei auf die von Waldenfels beschriebene Differenz von Pathos und Response, die auf der Unterscheidung von Alterität und Alienität beruht.
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Sie verweist dabei unter Rekurs auf Kristevas’ und Waldenfels’ Unterscheidung zwischen Andersheit (Alterität) und Fremdheit (Alienität) auf ein kritisches Moment in Bezug auf Alterität hin, die nach Kurbacher den gleichen Platz einnehme, wie das cogito und sich damit als Primat setzt (vgl. Kurbacher 2017: 129). Für Kurbacher wird nun virulent, dass sich über Eigenes und Fremdes lediglich über ein Drittes etwas aussagen lässt und es kein Außerhalb dieses Bezugs gebe. (vgl. Kurbacher 2017 131f.) Sie deutet auf den Bezug selbst hin und hebt dahingehend drauf ab: »Vom haltungsphilosophischen Standpunkt aus betrachtet ginge es insofern um einen Umschwung der Perspektive unter Anerkennung jeder Größen, des Subjektiven wie des Anderen, bzw. aller Größen – auch des Fremden und Dritten, wenn die Verhältnishaftigkeit selbst in den Blick genommen sein soll.« (Kurbacher 2017: 130, Hervorhebung im Original) Darin sieht sie eine Möglichkeit, keiner Perspektiven den Vorrang geben zu müssen und dennoch Selbst und Anderem gerecht zu werden. »Dabei gilt es zu bedenken, daß die Art und Weise wie darin das Selbst und der Andere auftauchen, nicht zu trennen ist von der Art und Weise des Bezugs.« (Kurbacher 2017: 132) Zusammenfassend lässt sich herausstellen, dass sich mit der Urteilsbildung etwas über das Haltungssubjekt aussagen lässt, worin Kurbacher die Auseinandersetzung mit der Subjektphilosophie und dem Haltungsbegriff begründet sieht. Sie zielt auf den Zweifel an einem starken Subjektbegriff ab und verweist auf die Bezüglichkeit von Haltung, die allererst die Pole von Selbst, Anderen und Welt konstatieren. Haltung ist dahingehend von der Bezüglichkeit aus zu betrachten und zu verstehen, um Fragen nach Leiblichkeit, Alterität und Fremdheit adäquat beantworten zu können. An dieser Stelle wird deutlich, dass Kurbacher den Rahmen eines identitätslogischen Prinzips nicht verlässt und damit einer Subjekt- und Selbstzentrierung verhaftet bleibt, gegen die sie den Begriff der Haltung gerade anführt. Denn wenn Haltung als Bezüglichkeit mit Kurbacher grundlegend erscheint, ist die Beziehung zu Anderen und Anderem darin immer schon impliziert. Geht es gerade darum, keine der Perspektiven von Selbst, Anderen und Welt auf Kosten der jeweils anderen Bezugspunkte zu bevorzugen, zu deren Lösung Kurbacher den Blick auf die Bezüglichkeit lenkt, so werden darin die Figuren Selbst, Andere, Dritte unter diesen Bezug subsumiert. Die Auseinandersetzungen um Haltung sagen damit immer schon etwas über den und das andere aus. Der Aspekt der Alterität und der Entzogenheit bleiben bei Kurbacher aus. Damit umgeht sie das auch von ihr angesprochenen »spezifische Problem der Interindividualität», was jedoch den (Bezugs-) Rahmen der aristotelischen Tradition verlassen würde. Dieser Perspektive wird eine andere beigestellt, die davon ausgeht, dass das Reden von und über Bezüglichkeit als ein neutraler Standpunkt über Selbst und Anderen spricht, ohne den eigenen Standpunkt selbst zu reflektieren. In der Analyse der Bezüglichkeit mit dem Anspruch, den Anderen zu berücksichtigen, ist eine Vorwegnahme der Andersheit beziffert.
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Darin ist immer schon ein Verstehensweise des Anderen impliziert, die gerade das Fremde, Unverfügbare, die Alterität, als das, was gerade Andere anders sein lässt, festschreibt und als etwas Greifbares beschreibt. Gerade die leibliche Konfrontation und Begegnung mit dem Anderen als Anderen, mit Alterität umgehen zu müssen, verweist jedoch darauf, dass der Standpunkt des Selbst keine gesicherte Geltung beanspruchen kann. Grundsätzliche Bezüglichkeit wird in dieser Blickrichtung immer erst hergestellt werden müssen, da Andere immer schon (zeitlich) vor der Struktur der Intentionalität des ›Bewusstseins des Anderen als [bestimmten Anderen]‹ anwesend, wie sich mit Bezug auf Levinas herausstellen lässt. Denn in der erfahrungsbezogenen Begegnung mit einem Anderen als Anderen lässt sich beschreiben, dass Andere immer schon als Andere gegenübertreten, bevor durch das Selbst eine kategorische Einordnung, ein Erkennen und damit Anerkennen des Anderen als ein bestimmter, in sozialer Andersheit markierter erfolgt. Erkennen ist immer an Anerkennen rückgebunden (vgl. Bedorf 2010: 145f.). In der Begegnung mit dem Anderen als Anderen ereignet sich also immer eine verkennende Anerkennung: »Das bedeutet, daß jede Anerkennung den Andern als Anderen notwendigerweise verkennt, weil sie ihn ›bloß‹ als diesen oder jenen Anderen in das Anerkennungsmedium integrieren kann.« (Bedorf 2010: 145, Hervorhebung im Original) Und der sozialen Andersheit ist eine absolute Andersheit beigestellt und zeigt sich als konfligierendes, widerstreitendes Verhältnis. Beide Aspekte zu berücksichtigen, lässt also eine widerstreitende Konstellation von Inter-individualität eröffnen, die auf einer differenz- und alteritätstheoretischen Perspektive fußt. Und diese ist gerade eine andere, als die Sichtweise, die auf einem, wie bisher dargestellt, einheitsstiftenden Prinzip beruht.
4.2. Das Problem des Anderen im Ratgeben Betrachtet man nun die Beziehungskonstellation im oben angeführten Verständnis, wie es sich im Gebrauch des Begriffs Haltung herausgestellt hatte, zeigt sich, dass von einem gleichwertigen Subjekt-Subjekt Verhältnis ausgegangen wird. »Autonomie ermöglichende, Zukunftsoptionen öffnende Gespräche lassen sich dezidiert in diesem Verständnis nicht mit dem klassischen, linearen Modell des Subjekt-Objekt-Verhältnisses begreifen, in dessen Geist wir im Allgemeinen aufgewachsen sind und welcher nachhaltig viele unserer Theorien prägt.« (Schrödter 2004: 456) Hier wird eine dialogische Beziehungsgestaltung herausgestellt, die auf eine gleichberechtigte Perspektive in der Beziehung abhebt. »Das Modell der kommunikativen Subjekt-Subjekt-Intervention führt eher zum Begreifen des Geschehens und seinem emanzipatorischen Anspruch. Darin aufgehoben findet sich die Idee kooperativer, partnerschaftlicher Begegnung freier
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und gleichberechtigter Personen.« (Schrödter 2004: 457, Hervorhebung im Original) In dieser Perspektive zeigt sich, wie das Verständnis des Anderen unter das Verständnis des Selbst subsumiert79 und von einer Gleichursprünglichkeit ausgegangen wird, was in einem Begriff von Inter-Subjektivität (Subjekt-Subjekt) deutlich wird. Die Architektur von Sozialität erscheint dabei unter einem identitätslogischen Vorzeichen, auf dem ein Verständnis von Haltung aufbaut. Gürtler führt dabei aus, wie der Aspekt des Sozialen in Verbindung mit Subjektivität, also die Vermittlung von Sozialtheorie und Subjektivität in den gegenwärtigen Diskussionen ungeklärt bleibt. Dabei stellt sie heraus, dass in den meisten (Moral-) Philosophischen Ansätzen zwar das »ethische Selbst […] als sozial verfaßtes Subjekt in den Blick [kommt]« (Gürtler 2001: 23f.). »Die philosophische Vermittlung von Sozialtheorie und Subjektbegriff im Rahmen der Ethikbegru¨ ndung bleibt [ jedoch, JCW] ein Desiderat.« (Gürtler 2001: 24) Ausgehend von Hegel, über diskurstheoretische Ansätze und Hermeneutik bis hin zur Psychoanalyse zeichnet Dieter Mersch dabei nach, dass die Perspektiven ihren Bezugspunkt auf das Selbst nicht verlassen. Die Auseinandersetzungen werden aufgegriffen und verweisen dabei eher auf konsensuelle und wechselseitige Verständigung, die gerade das Andere ausklammern, was sich aber als ›Rest‹, als Unabgegoltenes, als Alterität nicht unter das Eine versammeln lässt.80 Es hatte sich gezeigt, dass im Vordergrund der Auseinandersetzung um die Beziehungsgestaltung im Rahmen psychosozialer Beratung die Aspekte struktureller Asymmetrie mit der Suspendierung der Machtdimension und einer Symmetrie der Gesprächspartner_innen durch eine Subjekt-Subjekt-Relation stehen, die gerade auf die Vermeidung einer Verobjektivierung des Anderen abzielt.81 Dieses »auf Augenhöhe begegnen« wird in den Kontext einer Reziprozität gestellt und erweist sich als eine grundlegende Forderung in Bezug auf die Herstellung sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit. Doch dies stellt in dieser Ebene nur eine Seite dar. Denn der Bezug, der zu anderen in dieser Konstellation und Konzeption von Sozialität herausgestellt wird, verbleibt jedoch in der Perspektive vom Selbst aus und es bleibt die Frage, wie darüber hinaus andere als andere berücksichtig werden und als andere Anerkennung erfahren können. Petzold weist für den psychotherapeutischen Diskurs, der durch seine methodisch-theoretische Anlehnung eben auch für den Beratungsdiskurs Geltung besitzt, darauf hin, dass die Konzepte von Sozialität gerade den Aspekt der Ungreifbarkeit des Anderen nicht berücksichtigen: 79 »Subsumiert« lässt sich im Wortsinn als Unterordnung verstehen, indem Andere unter die Ordnung des Selbst gestellt werden. 80 Siehe hierzu ausführlich Mersch (2010: 287–308). 81 Darin lässt sich schließlich auch die Ablehnung der Expertokratie der Berater_innen nachvollziehen.
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»Die Begrenztheit und Einseitigkeit des psychoanalytischen Diskurses zur zwischenmenschlichen Relationalität im allgemeinen und zur therapeutischen Beziehung im besonderen, nämlich unter Ausblendung des reichen Fundus sozial-psychologischer und kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung und Forschung therapeutische Beziehung nur unter der Kategorie »Übertragung, Gegenübertragung, Arbeitsbündnis« zu sehen (so wichtig diese klinische Perspektive auch ist), wird in eklatanter Weise deutlich, wenn man auf die Erträge der »Philosophie des Zwischenmenschlichen«, die Werke der großen Beziehungsphilosophen Lévinas, Marcel und Buber schaut.« (Petzold 1006: 321f.)
Gerade in der Konstitution des Verstehens, das seinen Ausgang beim Anderen nimmt, zeige sich eine Machtdimension, die Petzold anhand verschiedener Beispiele psychotherapeutisch-beraterischer Konzepte aufführt. Dabei benennt er neben der psychoanalytischen Abstinenz als Situationskontrolle Fritz Perls ›Ich bin ich und Du bist Du‹ und bringt dies mit einer ›Ethik der Beliebigkeit‹ in Verbindung (vgl. Petzold 1996: 326). »Auch der Encounter-Begriff von Rogers (1970) bleibt unbestimmt unscharf, der Dialog zwischen Buber und Rogers (Friedman 1992) ist hierfür ein Beispiel.« (Petzold 1996: 326) Dabei gehe es gerade um die Frage danach, wie dem Anderen in seiner Andersheit gerecht werden könne: »Im Diskurs, wenn ich das Wort an den Anderen richte, ohne ihn zu vereinnahmen, ohne mich selbst zu entgrenzen, ohne Egozentrismus zu verleugnen, in einem Abstand, der Nähe schafft und Getrenntheit erhält, wird Alterität erhalten.« (Petzold 1996: 328, Hervorhebungen im Original). Vor allem aus einer erfahrungsbezogenen Perspektive auf Beratung, als je konkrete ›Szene‹, wird das Problem des Anderen ein praktisches und zeigt sich weniger als ein epistemisches. Ratlosigkeit geht von der individuellen Situation aus, in die Ratsuchende gestellt sind. Die Situation des Ratgebens erweist sich dahingehend stets als singulär. Ein Rat kann also nur aus dieser Situation selbst hervorgehen. »Der Rat kann nicht abgerufen, er muß, wie man sagt, ›geschaffen‹ werden.« (Stegmaier 1993: 19) Ein wesentliches Moment des Ratgebens ist es, als Person in einer Situation der Orientierungslosigkeit zu sein und nicht zu wissen, wie zu handeln ist. Das impliziert die Möglichkeit, sich prinzipiell entscheiden zu können. Damit ist ein Bezug zur Freiheit des Ratsuchenden hergestellt. Freiheit kann sich damit nicht, wie bei Kant, auf allgemeine Maxime als Leitlinien berufen: »Denn, daß ich ratlos bin bedeutet ja, daß ich gar nicht weiß, nach welchen Maximen ich handeln könnte, das ich also gar nichts habe, was ich nach dem kategorischen Imperativ auf seine Vernüftigkeit hin prüfen könnte.« (Stegmaier 1993: 21) Mit Stegmaier lässt sich im Rahmen des Ratgebens Freiheit als Handlungsfähigkeit verstehen. Er verdeutlicht nun, dass es gerade eines Anderen in einer konkreten Situation bedarf, um Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen. Denn die Tatsache, in einer Situation nicht handlungsfähig zu sein, veranlasste ja gerade erst, jemand Anderen um Rat zu fragen. »Aber eben ein Mehr oder
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Weniger an Handlungsmöglichkeiten, einen Gewinn an Handlungsfreiheit, kann mir ein anderer im inter-individuellen Verhältnis schaffen, indem er mir rät.« (Stegmaier 1993: 21f.) Freiheit wird vom Anderen her bestimmt. Stegmaier knüpft damit an Levinas Auseinandersetzungen um den Anderen als Anderen an (vgl. Stegmaier 1993: 22). In der je konkreten Begegnung von Beratenden und Beratenen wird die Andersheit Anderer erfahrbar. Die Inter-Individualität wird dabei als Struktur von Erfahrung ausgewiesen (vgl. Bedorf 2010: 130). Dies hebt auf den unmittelbaren Zusammenhang ab, in der Situation des Ratgeben praktisch mit Anderen umgehen zu müssen. Berater_innen sind dabei selbst in die Situation involviert und damit in die konkrete Konfrontation mit dem Problem des Anderen als Anderen gestellt. Eine erkenntnistheoretische, auf die Beobachterperspektive abhebende Blickrichtung führt dabei in Beschreibungen des Anderen, die sich nicht schlüssig auflösen lassen. Bedorf führt dabei Descartes und Leibnitz an, die in ihrer Denktradition den Anderen, in der Frage nach dem Erkennen des Anderen als Anderen, bzw. als Kommunikation »fensterloser Monaden« vorstellen. »An ihnen zeigt sich, dass die Existenz des Anderen genau dann zum Problem wird, wenn die lebensweltliche Beziehung zum anderen Menschen unter den Vorbehalt des kognitiven Zugangs zu ihm gestellt werden.« (Bedorf 2011: 12) Soll der Andere nicht als Kategorie des Eigenen, des Selben, sondern als Anderer anerkannt sein, geht es um Alterität: »Der Andere verweist auf die Frage der Alterität, was einerseits jegliches von woanders Herkommende meint, insbesondere auch alles, was nicht Ich ist, was mir gegenüber tritt oder meiner eigenen Subjektivität entgegen steht, sowie andererseits dasjenige, was meine Begrifflichkeit, mein Verstehen oder Bezeichnen sprengt oder übersteigt.« (Mersch 2010: 287, Hervorhebung im Original) Alterität lässt sich dabei als eine Erfahrungsweise beschreiben: »Sie konkretisiert sich in ihrem jeweiligen Bezug.« (Mersch 2010: 287) Dabei geht es gerade nicht darum, dass der Andere bislang lediglich noch nicht ausreifend im Sinne eins erschließbaren Wissens bedacht worden wäre. »Der ›Anspruch‹ des Anderen wird immer schon an uns ergangen sein, bevor wir daran denken können, ihn unter einen identifizierenden Vergleichspunkt zu bringen.« (Liebsch 2001: 161) Andersheit verschließt sich in seinem Zugriff und zeigt sich vielmehr als Entzug. Alterität erweist sich daher lediglich als Paradox: »Was anders ist, kann ohne Tilgung seiner Andersheit nicht auf das Eine reduziert werden – sowenig wie es als ›radikal Anderes‹, ohne diese Zurückführung verständlich wäre« (Mersch 2010: 287). Um noch einmal auf Kurbacher und ihre Auseinandersetzungen mit dem Haltungsbegriff zurückzukommen: Sie verweist zwar darauf, dass »die Vorgängigkeit (und in gewisser Weise so auch der Vorrangingkeit) allen Erlebens, Erkennens und Erfahrens des Subjekts […] dabei durchaus Grundlage der Betrachtung bleiben [soll]; es scheint auch nach wie vor nicht einsehbar, wie etwas auf eine andere
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Weise unsere Erkenntnis werden könnte als eben durch unser eigenes, und das heißt somit immer auch subjektives, Erkennen, das notwendig an mich, das konkrete erlebende Subjekt, geknüpft ist« (Kurbacher 2020: 24).
Allerdings entbindet das gerade nicht davon, mit Anderen als Anderen, also Alterität umgehen zu müssen, wie es sich in den konkreten Situationen der Beratung ereignet und angesichts der Paradoxie als Problem darstellt. Hierbei bedarf es eines anderen Denkens, eines Denken des Anderen, wie es im Folgenden ausgeführt werden soll und damit einen anderen Denkhorizont auf Haltung eröffnet. Ausgehend von einer aristotelische Tradition82 eines Haltungsbegriff, der sich auf hexis bezieht, lässt sich von den Prämissen einer vollständigen Präsenz, als das Heraustreten in das Sein ausgehen, welche sich in den aktuellen Auseinandersetzungen um den Haltungsbegriff dieser Traditionslinie nachzeichnen lässt. »Besteht im klugen, abwägenden Handeln für Aristoteles das gute Leben, und ist kluges, und abwägendes Handeln nur in der richtigen Haltung möglich, dann ist die Einübung einer Haltung Grundlage des eigenen Lebensvollzuges.« (Huizing 1988: 133) Levinas hingegen geht gerade davon aus, über das Sein hinaus zu gehen, ›anders als Sein‹. Während Haltung bei Aristoteles im Kontext von Affekten steht, lässt sich mit Levinas für das Angesprochenwerden durch Andere konstatieren: »Haltung hieße dann jene Disposition zur Verantwortlichkeit, die das Ich in Zwischenfällen einübt, und die in jeder alltäglichen Handlung auf die jeweilige Situation, den dritten Menschen eingeschlossen, zugeschnitten werden muß.« (Huizing 1988: 134, Hervorhebung im Original) Bei Levinas steht Haltung nicht mit der praktischen Klugheit in Verbindung wie bei Aristoteles und orientiert sich nicht an vollständiger Präsenz. (vgl. Huizing 1988: 134) Huizing führt darüber hinaus Sartre und Jaspers an, deren Haltungsbegriff von Präsenz und Ganzheitlichkeit gekennzeichnet ist. (vgl Huizing 1988: 135ff.) Wie lässt sich vor dem Hintergrund Levinas’ alteritätstheoretischen Ansatzes ein Begriff von Haltung denken, der sich gerade in dem Paradox auszeichnet, auf den Bezug zum Anderen und damit immer auch auf das Verstehen und Erkennen des Anderen angewiesen zu sein, worin jedoch seine irreduzible Andersheit verschwindet? Levinas formuliert dies so: »In der Beziehung zum Unendlichen ist das Ich die Unmöglichkeit, seinen Gang nach vorne aufzuhalten, die Unmöglichkeit, seine Posten, wie Platon im ›Phaidon‹ sagt, zu verlassen: das heißt im wörtlichen Sinne, keine Zeit haben, um sich umzukehren. Dies ist die Haltung, die nicht auf eine Kategorie zurückgeführt werden kann. Sich der Verantwortung nicht entziehen können, kein Versteck in Innerlichkeit haben, in dem man
82 In der Auseinandersetzung mit dem Haltungsbegriff knüpft auch Wüschner (2016) an eine aristotelische Tradition an.
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in sich zurückgeht, vorwärts gehen ohne Rücksicht auf sich.« (Levinas: 1983: 225f., Hervorhebung im Original)
Gibt es also eine Haltung der Alterität oder verschließt nicht gerade dieses Verständnis wiederum die Andersheit? Wie lässt sich Haltung alteritätstheoretisch gewendet verstehen? Im Folgenden soll auf das ›Denken des Anderen‹ nach Levinas eingegangen werden, um anschließend von einer Ethik der Alterität ausgehend den Haltungsbegriff in einer an Levinas anschließenden Wendung des Bezugs in posthermeneutischer Perspektive Merschs zu betrachten.
4.3. Vom Gesagten zum Sagen: Levinas Beratung findet im Medium Sprache statt. Es ist ein zentraler Ausgangspunkt dieser Arbeit, dass Sprache gerade nicht als Abbild der Realität gilt und damit auf den Vermittlungscharakter beschränkt ist, Informationen zu transportieren. Vielmehr steht ein Verständnis im Vordergrund, welches davon ausgeht, dass Sprache (soziale) Wirklichkeit konstituiert. Darüberhinaus, und das soll dieser Vorstellung beigestellt werden, ist Sprache in seiner sozialen Dimension zu betrachten. Sprache richtet sich immer an jemanden. Vor diesem Hintergrund eines in der Tradition jüdischer Philosophie beheimateten Sprachdenkens etwa im Nachgang Franz Rosenzweigs, lassen sich die für diesen Zusammenhang wichtigen Aspekte Levinas’ herausstellen. »Es handelt sich bei diesem Begriff von Sprache also um das In-Beziehung-Sein der Gesprächspartner, das eine Sinnhaftigkeit besitzt unabhängig von den mitgeteilten Zeichen und folglich auch besteht zwischen Angehörigen verschiedener Zeichensysteme.« (Dickmann 1999: 312) Die Beziehung konstituiert sich demnach nicht (nur) über Konventionen eines Diskurses oder symbolischen Ordnung. Im Sprachdenken bei Levinas zeigt sich Sprache als Stiftung und überhaupt erst den Ort des Angesprochen-Werdens, in dem etwas Neues gestiftet werden könne: Psychosoziale Beratung antwortet auf diese Anfrage, diesen Anruf, dieses Angesprochen-Werden als eine Existenz stiftende Begegnung.83 Levinas ist in seinen Werken nicht müde geworden, in immer wieder neuen Anläufen auf die Vergessenheit des Anderen als Anderen hinzuweisen und bezieht sich dabei in einem großen Wurf auf die gesamte abendländische Philosophie. »Alle Varianten der Thematisierung von Platon über Hegel bis Heidegger scheitern daran, dass sie eben ›Thematisierungen‹ des Anderen sind, also über den Anderen als Gegenstand sprechen.« (Bedorf 2011: 159) Dabei geht es darum, wie der Anderen als Anderer in den Diskussionen zum Thema gemacht wird. 83 Siehe hierzu auch Delhom (2000), der Levinas mit Hannah Arendts Natalität verknüpft.
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(vgl. Wimmer 1988: 16ff.) Das, was an Anderen anders ist, geht gerade nicht »in der Selbstauslegung der Subjektivität und der Immanenz der Verhältnisse auf, sondern wahrt zu ihr eine irreduzible Differenz« (Wimmer 1996: 60). Levinas beschreibt die Aneignung des Anderen im Selben folgendermaßen: »Alle Erfahrung, sie sei noch so passiv, noch so sehr empfangend, wandelt sich sofort in ›Konstitution des Seins‹, das sie empfängt, so als wäre das Gegebene aus mir selbst gezogen, so als wäre der Sinn, den das Gegebene bei sich trägt, von mir verliehen.« (Lévinas 1983, S. 211, Hervorhebung im Original) Von einer phänomenologischen Tradition kommend setzt er sich vom Konzept der Intentionalität insofern kritisch ab, als dass Bewusstsein immer schon »Bewusstsein von…« ist, der Andere in dieser Bewusstseinsstruktur immer schon als Kategorie erfasst wird. Husserl hat das ertragreiche phänomenologische Konzept der Intentionalität in der Struktur des »etwas erscheint als etwas« beschrieben (vgl. Husserl 2002). In der späteren Auseinandersetzung Husserls zur Intersubjektivität taucht das Problem des Anderen zwar auf, er kann es jedoch nicht angemessen lösen (Husserl 1995, hier vor allem die V. Meditation).84 Der (u. a.) Husserl-Schüler Levinas setzt sich zwar kritisch davon ab, bleibt allerdings auch zumindest ein Stück weit Phänomenologe, in dem es ihm in seiner Philosophie des Anderen um eine Unentscheidbarkeit von Phänomenalität und Aphänomenalität geht, die auf das absolut Andere abzielt, was sich dem Bewusstsein gerade entzieht und es dennoch in Anspruch nimmt. Mit dem Begriff der Nicht-Indifferenz als doppelte Verneinung, lässt sich mit Levinas dieses in Anspruch-Nehmen als ein sich gegenseitiges Zuwenden in Andersheit beschreiben. Der Andere entzieht sich gerade jeder Kategorisierung. Dieser Entzug ist im Bezug zum Anderen erfahrbar als Differenz (vgl. Liebsch 2001: 175). Man kann dabei nicht gleichgültig zueinander sein. »Die Nicht-Indifferenz ist nach ihm [Levinas, JCW] vielmehr ein passives Verhältnis, ein Verhältnis, in dem man von einem andern, ob man will oder nicht, in Anspruch genommen, ›mit Beschlag belegt‹ wird, weil man gegen seine Nöte nicht gleichgültig bleiben kann.« (Stegmaier 1993: 22) Dies entpuppt sich als ethisches Verhältnis: vom anderen durch die Situation der Ratlosigkeit (bouléuma) auf den Anderen angewiesen zu sein. Es lässt sich nicht gleichgültig einem Hilferuf gegenüber begegnen, denn Gleichgültigkeit ist wiederum eine Art und Weise, auf den Ruf zu antworten. Der Anspruch des Anderen ergeht ohne die Souveränität des Selbst, denn es liegt außerhalb der Verfügungsmacht, ob der Andere anspricht oder nicht. Darin zeigt sich ein ethischer Widerstand, weil das Ich nicht umhinkann, zu antworten. Das Selbst ist gezwungen, dem Anderen in seinem Anspruch zu antworten. Es lässt sich nicht nicht antworten. Es liegt zwar beim 84 Siehe hierzu auch die weiterführenden Auseinandersetzungen Merleau- Pontys zur »Zwischen-Leiblichkeit« (1974).
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Selbst, kreative Antworten zu finden. Allerdings lässt sich dem Anspruch des Anderen nicht entgehen (vgl. Bedorf 2010: 131). Das Selbst verantwortet sich vor dem Anderen – absolut.85 Levinas folgt dabei einer kritischen Absetzung vom klassischen abendländischen Subjektverständnis und schränkt die Freiheit des Selbst ein, bzw. formuliert so, dass das Selbst gerade erst in die Freiheit und Autonomie vom Anderen gesetzt wird, zu antworten und das bedeutet, sich auf den anderen zu beziehen. An dieser Stelle wird deutlich, dass das freiheitliche Können, die Autonomie des Subjekts, gerade nicht negiert wird, sondern vielmehr in eine Relationalität eingespannt ist, die durch die Begegnung mit anderen überhaupt erst gesetzt wird. Subjektivität bedeutet bei Levinas, in seiner Singularität im je einzigartigen einmaligen Moment dem Anspruch des Anderen zu antworten. Er knüpft damit Subjektivität nicht an Kategorien, sondern an das Antworten an den Anderen. Das Selbst ist so immer schon sozial verfasst, immer schon Antwortender auf einen Anspruch, worin im Gedanken des Responsiven eine immense Umwälzung des Weltzugangs liegt. Das bedeutet, »daß der Überschuß der Alterität, der in den Rollen, Identitäten und Masken, diesem Anderen unweigerlich zugeschrieben werden, nie ganz aufgeht, das Subjekt die Position eines Angesprochenen (›Akkustativ-Subjekt‹) und damit eines Antwortenden versetzt« (Bedorf 2010a: 140). Levinas verwendet oft eine metaphorische Sprache. Eine auffällige Verwendung ist die der »Geisel für den Anderen» (Levinas 1983: 288ff.). Dieses Bild wirkt erst einmal befremdlich. Mit dem oben beschriebenen einander Ausgesetztssein (Liebsch) wird allerdings deutlich, dass der Anspruch des Anderen zu einem Zwang zu reagieren, zu antworten wird. Auch ein Schweigen ist dabei ein Antworten. Die so beschriebene Verantwortung erscheint dann in einer anderen Bedeutung als in einem juridischen Sinne einer Übernahme von Konsequenzen. Denn Levinas stellt die Verantwortung als Pflicht zu antworten gerade nicht in das freiheitliche Können des Selbst, was sich aussuchen und entscheiden ließe. »Sofern wir auf den Appell des Anderen zu antworten haben und sofern dies die basale Struktur unserer Erfahrung ausmacht, kommen wir nicht umhin, in der Erfindung der Antwort die Verantwortung für die Antwort zu übernehmen« (Bedorf 2010a: 131) Verantwortung entwirft Levinas dahingehend vom Ethischen aus (vgl. Bedorf 2014: 177). Für den Zusammenhang des Ratgebens formuliert Stegmaier: »Ratsuchende übertragen Rat-Gebenden durch ihre Hilfebedürftigkeit eine Mitverantwortung für sie, sie verpflichten die Rat-Gebenden, ob diese wollen oder nicht.« (Stegmaier 1993: 23) Beratenden wird eine Verantwortung zugetragen, auf den Anspruch Beratener zu antworten, ohne dass Beratende darüber verfügen könnten, diese Verantwortung anzunehmen oder auch nicht. 85 Hieran knüpft Waldenfels (2007) mit seinen Arbeiten zu einer responsiven Phänomenologie an.
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»Mögen die Ratschläge im einzelnen noch so vortrefflich sein, sie lassen immer offen, welche von ihnen der Ratsuchende und wie er sie auf seine Situation beziehen soll.« (Stegmaier 1993: 26) Stegmaier stellt dabei den Zwang zur Antwort pointiert heraus, indem er verdeutlicht, dass das Antworten auf einen Anspruch selbst die eigenen Maßstäbe außer Kraft setzt: »Das Nicht-gleichgültigbleiben-Können gegen die Bedürfnisse anderer trotz aller Distanz kann soweit gehen, daß man gezwungen wird, selbst gegen die eigene Moral zu handeln.« (Stegmaier 1993: 27) Die Bewertung des Richtigen und Guten bemisst sich dadurch an Anderen: »Die Eindeutigkeit des Guten, die aus einer Begründung allgemeiner Normen und Werte folgen soll, wird in der Nicht-Indifferenz, in der wir leben, dagegen zu einer leeren und bequemen Illusion.« (Stegmaier 1993: 27f.) Der Andere in seiner Andersheit begegnet dahingehend als Spur. Sie zeigt an, dass der Andere immer schon vor einer Bedeutungszuschreibung durch das Selbst da ist. »Sein auf die Weise des Eine-Spur-Hinterlassens ist Vorbeigehen, Aufbrechen, Sich-Absolvieren.« (Levinas 1983: 231, Hervorhebungen im Original) Levinas sieht die Wahrnehmung der Andersheit als ein Bedeuten vom anderen her im Gesicht, im Antlitz verortet. »Es ist das, was nicht ein Inhalt werden kann, den unser Denken umfassen könnte, es ist das Unenthaltbare, es führt uns darüber hinaus.« (Levinas 1992: 65) Dabei geht es gerade nicht um eine Physiognomie die wieder eine relationale Andersheit beschreiben würde. Das Antlitz ist der Ort, von dem aus der Andere spricht, das heißt, dort ist die Bedeutung lokalisiert, die nicht vom Selbst aus dem anderen beigemessen wird, sondern von sich aus bedeutet. »Der Andere drückt sich dadurch aus, dass er das Wort an mich richtet.« (Strasser 1978: 30f., Hervorhebung im Original) Ist das Antlitz der Ort, von dem aus der Andere sich selbst ausdrückt, also seiner Form entledigt ist, erscheint er schutzlos und ausgeliefert, verletzbar, zeigt sich in seiner Vulnerabilität. »Im Konkreten der Welt ist Antlitz abstrakt oder nackt.« (Levinas 1983: 222) Dickmann erläutert dazu: »Die Sprache des Antlitzes ist somit das Sichgegenwärtig-Setzen der Nacktheit, d. h. der Not und des Hungers zuhöchst der Sterblichkeit des Anderen, in der eigentlichen Geradheit des Von-Angesicht-zuAngesicht ohne Vermittlung irgendeines Bildes.« (Dickmann 1999, S. 329f.) Das Antlitz ruft auf, es nicht zu verletzen: »Jemand, der sich durch seine Nacktheit – das Angesicht – ausdrückt, ist jemand, der dadurch an mich appelliert, jemand, der sich in meine Verantwortung begibt: Von nun an bin ich verantwortlich.« (Levinas 1996, S. 22) In der oft missinterpretierten Passage Levinas’: »Die Unendlichkeit, die stärker sei als der Mord, widersteht uns schon in seinem Angesicht, ist sein Angesicht, ist ursprünglicher Ausdruck, ist das erste Wort: ›Du wirst nicht töten‹« (Levinas 1987, 285; zit. n. Bedorf 2010a : 137) wird deutlich, dass das, was den Anderen in seiner Andersheit gerade ausmacht, seine Andersheit, nicht vernichtet werden kann, denn die Andersheit liegt genau außer-
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halb der Verfügungsmacht des Selbst. Das bedeutet nicht, dass dem Anderen kein Schmerz oder Leid angetan werden, noch, dass der andere getötet werden kann, sondern, dass mit der Alterität als Unendlichkeit das gemeint ist, »das in der Identifizierung als dieser oder jener nicht aufgeht« (Bedorf 2010a: 138). Levinas stellt heraus, dass die konkrete Begegnung mit dem Anderen nicht in der sozialen Andersheit aufgeht, sondern der Andere in der konkreten Erfahrung stets darüber hinaus ist und als anderer über Zuschreibungen hinausgeht. Dieses überschreitende Moment kennzeichnet gerade den Anderen als Anderen. »Radikal anders – unendlich – ist der Andere genau in dem Sinne, daß sein Erscheinen als solches, das Daß seines Auftretens, mit dem Wie der Rollen und Milieus nicht in eins zu setzen ist. » (Bedorf 2010a: 138, Hervorhebungen im Original) An dieser Stelle stellt sich die für diese Arbeit grundlegende Differenz von absoluter und sozialer, primärer und sekundärer Andersheit heraus, die oben schon mehrfach angeklungen ist:86 »Eine primäre, unendliche, absolute Andersheit, die sich weder sprachlich noch begrifflich oder praktisch in vollem Umfang erfassen, abbilden oder beantworten läßt. Hinzu käme eine sekundäre, soziale Andersheit, mit der wir jeweils alltagspraktisch wie theoretisch (etwa in den Sozialwissenschaften) umgehen.« (Bedorf 2010: 139)
Was sich hier in den Begriffen Andersheit und Fremdheit bezeichnen lässt, sind verschiedenen Dimensionen von Andersheit (Bedorf 2007).87 Kurbacher hatte mit Verweis auf Waldenfels und Kristeva bereits auf diese Unterscheidung aufmerksam gemacht. An dieser Stelle wird nun deutlich, wie beides in der Begegnung virulent wird. Denn in der Begegnung mit Anderen erkenne ich sie als bestimmte an und setzte sie in eine Relation zu mir als soziale Andere. Erkennen geht dann stets mit Anerkennen einher und verschränkt sich. Damit ist immer schon bestimmt und vorentschieden, wie und als was der Andere angesehen wird.88 Seine Andersheit geht jedoch nicht in den Kategorien des relationalen Sozialen auf, denn es ist die Andersheit, die ihn anders sein lässt und nicht in Kategorien des Selbst einschließt. Der Andere erscheint als absolut anders. »In der Nähe des Nächsten gähnt ein Abgrund, den auch die Kühnheit des spekulativen Denkens nicht zu überspringen vermag.« (Strasser 1978, S. 295) Der
86 Im Rahmen dieser Arbeit sollen nur wesentliche Bezugspunkte der Philosophie Levinas herausgestellt werden. Andere wichtige Aspekte müssen dabei unberücksichtigt bleiben. Die Ausführungen zur Philosophie von Levinas erheben dahingehend keinen Anspruch auf eine vollständige Darlegung seiner Gedanken. Vielmehr geht es um das zentrale Sagen und Gesagten, die für die Perspektive einer Differenz sozialer und absoluter Andersheit im Blick auf das Soziale psychosozialer Beratungsfelder stehen sollen. 87 Siehe dazu auch Bedorf 2007. 88 Siehe hierzu auch die richtungsweisende Studie von Theunissen (1981) zum Anderen.
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Andere erscheint dann anders als ›Sein‹,89 wenn die Kategorien des Bewusstseins immer das Sein abbilden. Levinas kennzeichnet diese Differenz mit dem Begriffspaar »Gesagtes« und »Sagen« (vgl. Levinas 2011: 110ff.). In der Begegnung mit den Anderen wird Sprache auf der Ebene des Gesagte als Stätte der Bedeutung, die sich auf den Inhalt der Worte bezieht. Darin drückt sich aber auch der Anderen selbst aus, als Bedeutung von sich her, die die Bedeutungszuschreibungen übersteigt. Das Bedeuten ist dann ein Bedeuten des Anderen, im Sinne von Sprechen als Sinn und Bedeutung, was nicht in Worten, also wiederum in Konstitutionen des Selbst aufgeht, sondern vom Anspruch eines Anderen zeugt. Levinas führt dabei die Unterscheidung von Gesagtem und Sagen ein, um die Bedeutungsebenen des von sich aus Bedeutens – als Sagen – und dem Verständnis der Bedeutung und Einordnung in einen (diskursiven) Sinnzusammenhang – dem Gesagten – zu unterschieden. »Natürlich ist das Sagen (›le dire‹) auch Kommunikation und Transfer von Inhalten, aber Levinas begreift dieses Sagen grundsätzlicher als die Bedingung einer jeden Kommunikation. Kurz: Er betont die Ausgesetztheit des Sprechenden.« (Wetzel 2003: 64, Hervorhebung im Original) Levinas bindet diesen Anspruch des Anderen in eine zeitliche Struktur ein und gibt dem Sagen, als dem Bedeuten des Anderen von sich her eine bevorzugte Stellung. Denn, dass der Andere mich immer schon angesprochen hat, also von sich aus zu mir spricht, liegt zeitlich vor einer kategorialen Erfassung des Anderen, die also nachträglich geschieht. »Die unendliche Verantwortung ist kein Begriff mit juridisch-moralischer Semantik, sondern eine Kategorie der Zeitlichkeit des Subjekts, denn sie bezieht sich auf die Vorzeitigkeit des Anderen.« (Bedorf 2003: 56) Levians spricht von einer Diachronie, im Unterschied zu einer Synchronie, also gerade nicht dem Ineinsfallen, Gleichzeitigen, denn darin zeigen sich die zwei Ebenen des Anspruchs von Sagen und Gesagtem. »Der Zeugnischarakter des Sagens im Gegensatz zum Wissenscharakter des Gesagten bildet einen der Brennpunkte der Levinasschen Theorie.« (Bedorf 2003: 55) Sagen als das von sich her Bedeuten, in Existenz Setzen innerhalb der Begegnung sowie das Gesagte, als das in einen Diskurs und eine symbolische Ordnung eingereihte Wort, entsprechen den Ebenen der absoluten und sozialen Andersheit, die als Ebene des Ethischen und des Politischen zu betrachten sind. In der Auseinandersetzung von absoluter und sozialer Andersheit wird das spannungsreiche Verhältnis erkennbar, was sich im Sozialen zeigt. Weder der Vorrang der absoluten Andersheit noch die einseitige Betonung sozialer Andersheit allein fassen damit die soziale Situation der Begegnung. Es ist gerade die Diachronie, die in den Ebenen des Sagens und des Gesagten verdeutlicht, dass es hier um eine Erfahrung von Differenz geht. Darin unterschei89 »autrement qu’être ou au delà de l’essence« – Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht: Der Titel seines zweiten Hauptwerks.
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den sich die Vorgehen in Auseinandersetzung mit dem Haltungsbegriff wie oben dargestellt: von einem auf Gleichurprünglichkeit angelegten Verständnis auszugehen oder ein konfligierendes und widerstreitendes Verhältnis des Sozialen anzunehmen. Wie lässt sich zu den oben dargestellten Perspektiven einen Kontrapunkt setzen und Haltung differenz- und alteritätstheoretisch wenden?
4.4. Haltung in der Wendung des Bezugs In den Sozialwissenschaften lässt sich durch die Reflexion des eigenen Standpunkts der Schritt vom Was zum Wie nachzeichnen. Bohnsack führt dazu Mannheims »genetische Einstellung« im Zuge der dokumentarischen Methode, aber auch Heideggers »phänomenologische Methode« sowie auch Luhmanns »Beobachtung der Beobachtung« an. (Bohnsack 2013: 75f.) Der Haltungsbegriff lässt sich dabei als Ausdruck der Beschäftigung mit dem eigenen InvolviertSein in die Beobachtungsperspektive verstehen – mit der Frage nach der eigenen Haltung. Vor dem Hintergrund psychosozialer Beratung gilt Haltung als grundlegendes Element professioneller Beziehungsgestaltung mit der Frage danach, wie die Beziehung denn gestaltet werden sollte. In der Auseinandersetzung um die Frage nach der Begegnung mit Anderen als Andere wurde mit Levinas auf das Problem der Alterität im Zusammenhang mit dem Haltungsbegriff aufmerksam gemacht. Die Begegnung mit anderen in der konkreten Situation (der Beratung), lässt sich mit einem Anspruch des Anderen verbinden, der in eine unabweisbare Verantwortung ›ruft‹. Die leibhaftige Situation der Begegnung, also die Tatsache, dass der Andere als Existenz – im Sinn des aus-sich-Heraustretens – auftritt, macht den Umgang mit Alterität erforderlich. Verschwindet gerade Andersheit im Moment des Zugriffs und durch das Erfassen dessen Bedeutung, so ließ sich im Angesprochen-Werden durch den Anderen der Bruch mit der Intentionalität nachzeichnen und verweist auf eine Struktur von Responsivität. Hierbei zeigt sich dann der Dreischritt: vom Was, zum Wie, zum Dass. Betont ist dabei die Existenz.90 Die Leibhaftigkeit der Begegnung mit dem Anderen als Anderen vor dem Hintergrund der Existenz, lässt dabei eine Dimension von Materialität bedeutsam werden.91 Dieter Mersch greift wesentliche Aspekte Le90 Hierbei lassen sich die Elemente des Phänomenalen, der Existenz und der Sprache benennen, die sich als wesentliche Bezugspunkte in Levians Denken herausstellen lassen. Mit Bezug auf Waldenfels stellt Moebius (2003) fest, dass Levinas sich im Schnittfeld von Existenzphilosophie, Phänomenologie und Poststrukturalismus bewegt und gerade nicht einer Richtung zuzuordnen sei. 91 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Leib-Körper Dimension in der Beratung zunehmen an Gewicht. Siehe hierzu den Sammelband in Herausgeberschaft von Wuttig und Wolf (2019), der einen breiten Überblick über das Thema im Rahmen von Beratung liefert. Leib-Körper
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vinas’ auf und führt diese neben anderen in seinen Arbeiten um eine Posthermeneutik weiter. Die Weiterführung Levinas Gedanken sind für viele inspirierend gewesen und von einigen Autor_innen mittlerweile aufgenommen und weitergedacht worden. Teilweise wird ihnen auch im Rahmen dieser Arbeit gefolgt, auf andere nur verwiesen. Wenn im Folgenden dem Bezug auf Dieter Merschs Auseinandersetzungen nachgegangen wird, so muss – wie er selbst schreibt – festgehalten werden, dass die Ergebnisse seiner Arbeit zu Ähnlichem gelangen wie andere, etwa die Arbeiten von Bernhard Waldenfels.92 Auf Merschs Auseinandersetzungen und Weiterführungen einzugehen bietet allerdings noch einmal eine andere Möglichkeit, an Levinas Philosophie der Alterität anzuknüpfen und sie weiterzuführen. Dabei fließen auch andere Bezüge in die Betrachtung der Situation des Ratgebens ein, wie etwa die Beratung als Szene zu verstehen. Der Betrachtungsrahmen wird dabei um ästhetische und medientheoretischen Bezüge erweitern, die darin mitschwingen. Die damit einhergehende Fokuserweiterung auf Materialität soll die Kritik an einer Unterrepräsentanz in den Ansätzen wie etwa dem Poststrukturalismus zumindest aufgreifen, wie sie etwa von Strömungen des Neumaterialismus’ angeführt wird.93 Denn mit Mersch wird auf die medientheoretische Perspektive aufmerksam gemacht, dass Bedeutung und Sinn unweigerlich an ein Medium, als ein Vermittelndes gebunden sind. Dabei geht er zunächst einmal davon aus, dass generell Signifizierung als Bedeutungszuschreibung aufzufassen ist (vgl. Mersch 2010: 12). Dies beinhaltet in diesem breiten Verständnis auch Ansätze des (Post-) Strukturalismus und auch Dekonstruktion, die gleichwohl um eine »Zeichen-Setzung« kreisen: »Demgegenüber ist Posthermeneutik der Versuch, die Bedingungen des Verstehens selbst zu fokussieren und danach zu fragen, was Verstehen allererst ermöglicht.« (Reh/Ricken 2014: 37) Mit Mersch lässt sich verdeutlichen, dass etwas den Bezug konstitutiert, bevor man sich bezieht. Die Bezugnahme selbst gründete dabei in etwas, was sie nicht selbst trägt: Alterität – vom Anderen her. Mersch bezieht sich in der Formulierung einer »negativen Präsenz« (Mersch: 2010: 25ff.) auf Levinas, die zu einem »Denken der Responsivität allen subjektiven Wahrnehmens, Erfahrens, Denkens und Handelns führt« (Zahn 2012: 78). In dieser Bezugnahme deutet Mersch genau auf die oben benannte Setzung vom Was zum Wie zum Dass hin. Mit dieser Perspektive lässt sich der Haltungsbegriff in einem Bezug auf den Anspruch eines Anderen als Anderen, also auf ein alteritätstheoretisches Moment hin betrachten. Absolute Andersheit, die gerade in seinem Zugriff getilgt ist, zeigt sich lehierbei in einer Machtdimension zu betrachten und als Resonanzmöglichkeit in den Beratungsprozess einfließen zu lassen, lässt allerdings auch die Frage nach Alterität offen. Zur Auseinandersetzung von Zwischenleiblichkeit und Alterität siehe Bedorf (2012). 92 Siehe hierzu Mersch 2003a: 29, FN 4. 93 Zum Überblick dazu siehe etwa Lemke (2007).
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diglich als Paradox, wie bereits verdeutlicht, und kann dennoch nicht geleugnet werden. »Es gibt, das ist die provokante These, ein Sinn-Anderes oder Außen, das den Sinn unbotmäßig durchführt und das dennoch innerhalb des Schemas der Diskursivität und ihres Mediums artikuliert werden kann.« (Mersch 2016: 48) Obgleich die Wahrnehmung des Anderen als anderen die absolute Andersheit in soziale Andersheit und damit in eine relative einordnet, bedeutet gerade nicht, dass Andersheit (logisch) nicht nicht ist und sich Andere bloß als Kategorie des Selben erweisen. Alterität macht sich bemerkbar, meldet sich zu Wort, ist also merklich und zeigt sich. »Wenn daher von einer Exteriorita¨ t oder Alterita¨ t die Rede ist bzw. sein wird, dann im Sinne solcher Verletzungen, solcher Wunden, Risse oder Lu¨ cken, die Spuren legen, ohne dass diese zu ›Etwas‹ hinleiteten, etwas Bestimmtes ›sagten‹ bzw. ›als solches‹ dechiffrierbar wa¨ ren, die wohl aber den Blick auf eine prinzipielle Negativita¨ t lenken, die im Kulturellen selbst waltet.« (Mersch 2010: 14)
Und dieser Negativität94 gilt es gerade nachzugehen, denn es bringt auf die Spur der Anderen als Andere, die aus einer Not heraus, das Wort an Beratende richten und damit im unabweisbaren Anspruch eine Verantwortung auf die Erfahrung des Anderen einen Umgang mit Alterität als Negativität fordert. »Dann bezeichnet Negativita¨t nicht Nichts, vielmehr ein komplexes Spiel von An- und Abwesenheit, von Verborgenheit und Pra¨senz, die ›Entzug‹ und ›Zug‹ miteinander verbinden.« (Mersch 2010: 14) Es geht also darum, im Begriff der Haltung diesen Rissen, Lücken und Furchen nachzuspüren. Mersch formuliert pointiert: »keine Signifikation, kein Symbolisches, so wenig wie das Mediale und die Konstruktionen des Denkens [kommt] ohne eine Differenz in der Differenz aus […], die anzeigt, dass sie als solche ohne Erfu¨ llung bleiben.« (Mersch 2010: 18) Dabei soll berücksichtig werden, dass Haltung einer Materialisierung bedarf, um als Haltung wahrnehmbar und damit einhergehend signifizierbar zu sein.95 »Medialität, das ist für Mersch – in Anschluss an Adorno und mit Lévinas über ihn hinaus – das aporetische und chiastische Verhältnis von Materialität und Zeichen, in dem das eine nie ohne sein anders wahrgenommen und gedacht werden kann.« (Zahn 2012: 79, Hervorhebung im Original) Fokussiert wird die konkrete (Beratungs-) Situation und die konkrete Begegnung: als Ereignis. Haltung wurde oben bereits in ihrem performativen Charakter deklariert (vgl. Kurbacher 2006: 7). Haltung ist stets praktisch zu begreifen, lenkt die Blickrichtung also von sich aus schon darauf, Haltung als Ereignis zu denken: »Von solchem Eintreten als Ereignis her zu 94 Siehe auch weiterführend Hetzel (2009). 95 Markert (2018) führt dies am Beispiel der Musik sinngemäß so aus: Das Reden über Musik ist noch keine Musik selbst. Worte und Bedeutungen versuchen etwas zu sagen, was sich zeigt und nicht selbst fassen lässt.
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denken, das ist die Pointe Le´vinas’, erfordert gleichurspru¨ nglich ein ›anders strukturiertes Denken‹, das ebenso sehr ›die Logik herausfordert‹ wie es eine ›Reflexion‹ u¨ ber das bisherige Denken auslo¨ st.« (Mersch 2010: 18) Mersch macht im Rahmen posthermeneutischer Betrachtung vier Chiasmen geltend, die als Koordinaten eine Betrachtungsfolie bilden. »Die Praxis kultureller Arbeit besteht dann darin, beständig mit dieser Bru¨ chigkeit, mit der Fragilität und Unerfu¨ llbarkeit des Verstehens, der Kontingenz sich kreuzender und ständig wieder verfehlender Schnittlinien umzugehen.« (Mersch 2005: 125) Der Begriff des Chiasmus meint die »mathematische Figur zweier ›windschiefer‹ Graden« (Mersch 2010: 107) und verweist auf die Irreduzibilität der jeweiligen Seiten. Es soll im Folgenden darum gehen, Haltung in diesen Chiasmen zu betrachten, die gerahmt sind von: Bezug, Alterität, Materialität und Setzung, die auf die Dimension von Symbolisierung, Medialität, Alterität, Performativität als Geflecht verweisen. »Methodisch findet die Posthermeneutik im Netz diese unterschiedlichen Chiasmen, die jedes Mal die Plausibilität des Sinns und seine Verständlichkeit durchlöchern, ihre Basis.« (Mersch 2010: 213) Die vier Chiasmen zeigen sich aus der Perspektive des Ereignens heraus, verweisen und beziehen sich jeweils aufeinander, sind aber irreduzibel zueinander. Aus dem Blick auf die konkrete Szene zeigen sich: unentwirrbare Verschränkung zwischen Sinn und Nichtsinn, Indifferenz zwischen Intentionalität und Responsivität, Duplizität von Sagen und Zeigen sowie Performatvitität und Setzung (vgl. Mersch 2010: 213f.). Damit lässt sich veranschaulichen, wie dem oben dargestellten, auf Identitätslogik aufbauenden Verständnisses und auf eine Figur des Selben rekurrierenden Haltungsbegriff eine Nicht-Indifferenz (Levinas) eingetragen ist, die von Alterität durchfurcht ist. Mit der Denkfigur des Chiasmus lässt sich eine Differenzeintragung im Haltungsphänomen nachzeichnen, die sich gerade nicht auf das Selbe und Identitätslogische reduzieren lässt, sondern von einer Alterität zeugt, die eine Wendung des Bezugs (ein-)fordert. Von und über Haltung zu sprechen macht erforderlich, Haltung in eine Bedeutungszuschreibung, in einem Signifizierungsprozess in eine Verstehensstruktur einzureihen und mit ›Sinn‹ zu versehen. Dabei setzt der erste Chiasmus an, in eine Unentscheidbarkeit von Sinn und Nicht-Sinn gestellt zu sein.
4.4.1. Sinn und Nicht-Sinn: Haltung ist Unentscheidbarkeit Haltung als die Frage nach dem ›Wie‹ des Beziehens, Haltung also als (Grund-) Bezüglichkeit zu denken, lässt den Schluss zu, sich nicht-nicht beziehen zu können, folglich nicht-nicht halten zu können. Haltung erscheint dabei existentiell, so dass »wir uns also stets halten, – uns nicht nicht halten können, wenn auch in verschiedenen und teils unbemerkten Weisen« (Kurbacher 2016: 153).
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Selbst in der Haltung der Indifferenz verdeutlicht Kurbacher eine spezifische Haltung als Art und Weise des Beziehens. Haltung erweist sich in dieser Perspektive als »Haltungszwang«, untergräbt also das freiheitliche Moment, was Kurbacher für Haltung eben auch in Abgrenzung der Traditionslinien von hexis und habitus benannt hatte. In dieser Perspektive zeigt sich, dass ein Nicht-Halten logisch nicht möglich ist, da der Bezug immer schon bestimmt ist, bzw. bestimmt werden kann. Denn das Nicht-Halten wird dabei wiederum im Rahmen einer bestimmten Haltung, als Nicht-Haltung thematisiert. Es zeigt sich dabei, dass der Status des Nicht dabei unklar ist, wenn das Nicht-Halten auch immer schon als eine bestimmte Haltung bezeichnet wird. Der Negativität wird kein eigener Status zugebilligt (vgl. Mersch 2005: 112). Was Mersch für die Thematik von Verstehen und Nicht-Verstehen, bzw. Sinnund Nicht-Sinn anbringt, lässt sich auch für Haltung anführen: Selbst dem NichtVerstehen sowie dem Nicht-Sinn ist ein Verstehen bzw. ein Sinn eingetragen. Das ›Nicht‹ geht dabei immer schon in Verstehen und Sinn ein. Auch der Dissens setzt noch ein Einverständnis voraus, um verstanden zu werden (vgl. Mensch 2005: 110). Ein ›Nicht‹ könnte es somit nicht geben. Mersch verdeutlicht dabei jedoch, dass es sich lediglich um einen formalen Widerspruch handelt. »Zwar gibt es keinen strikten Beweis gegen die Möglichkeit radikalen Nichtverstehens oder des Nichtsinns, doch folgt daraus umgekehrt noch nicht deren Vorkommen.« (Mersch 2005: 111) Die Begegnung mit einem Anderen als Anderen wurde oben mit Levinas als ein singuläres Ereignis vorgestellt, bei dem der Andere in den Bezug einbricht. Der Andere als anderer ist (zeitlich) immer schon ›da‹, bevor Andere als andere wahrgenommen werden. Mit dem Ereignis und in der singulären Begegnung mit den Anderen, bezeugt sich ein Nicht-Verstehen, was auch ein Nicht-Verstehen-Können meint. Die Einmaligkeit der singulären Erfahrung des Angesprochen-Werdens durch den Anderen in seiner Alterität bricht mit dem Verstehen. Dies ist vergleichbar mit der Unmöglichkeit, den Tod wiederholend zu denken und dahinter nicht zurück zu können. Lässt sich, wie oben dargestellt, etwas mit Haltung über Selbst, Andere und Welt aussagen, so zeigt sich gerade im Verstehen eine Entzogenheit: »Die Bezugsweise jedes Verstehens wurzelt in Entzogenheit. Ihr eignet eine wesentliche Negativität. Nicht Vermittlung, Identität oder Ausgleich und Versöhnung regieren ihr Geschäft, sondern Differenz.« (Mersch 2010: 299, Hervorhebungen im Original) Wird in der Bezugsweise die Entzogenheit als grundlegend angesehen, zeigt sich gerade die Differenz als gesetzt: »Nicht die Erfahrung von Gemeinschaft, von Integration oder Wechselseitigkeit und Identität wären dann primär, sondern eine prinzipielle Gebrochenheit, eine Unheilbarkeit oder Nicht-Identität.« (Mersch 2010: 299, Hervorhebung im Original) Mit dem Angesprochen-Werden als Irritation zeigt sich ein grundlegender Riss in der Verstehensstruktur, der sich wiederum nicht in eine Verstehens-
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struktur einfügt. Es wird vielmehr eine chiastische Beziehung des Verstehens und Nicht-Verstehens erkennbar. »Als nichtbehebbare Zäsur, als ›Einschnitt‹ setzt er [gemeint ist der Andere, JCW] dem Verstehen eine definitive Grenze entgegen, und zwar dadurch, dass dieser noch das Verstehen des Nichtverstehens und damit die ganze Paradoxie, die immer wieder auf den Vorrang des Verstehens zuru¨ ckzukommen nötigt, trifft. Die Negativität des ›Nicht‹ zieht sich dann gewissermaßen als Spur durch jeden Prozess einer Deutung oder Interpretation.« (Mersch 2005: 115)
In der Begegnung mit dem Anderen als Anderen als Nichtverstehen (können) und Unverfügbarkeit bleibt der Andere als Rätsel unruhig, kommt nicht zum Stillstand. Levinas formuliert dahingehend: »Einem Menschen begegnen, heißt, von einem Rätsel wachgehalten zu werden.« (Levinas 1983: 120) Der Bedeutungszuschreibung als Signifizierung oder Symbolisierung ist damit inhärent, dass jedes Verstehen, jedes Deuten die Kluft zum Anderen in der Differenzerfahrung vergrößert (vgl. Mersch 2005: 117). Die irreduzible Alterität geht in der Begegnung mit dem Anderen dem Verstehen voraus. »Dann gewinnt freilich das ›Nichtverstehen‹ eine andere, wie man sagen könnte, ›souveräne‹ Note.« (Mersch 2005: 117) Es kehrt sich die Autonomie um, so dass Alterität als Autonomie erscheint und einen Widerstand gegenüber dem Verstehen geltend macht, nicht darin aufzugehen (vgl. Mersch 2005: 117). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Bezüglichkeit immer erst hergestellt wird und es sich weniger davon ausgehen lässt, dass die grundsätzliche Bezüglichkeit immer schon da sei. Mit Levinas lässt sich festhalten, dass es Beziehung nur mit dem Eintritt des Anderen gibt, der zuvorkommt. Nicht die Souveränität des Selbst ist damit das Erste, denn »bevor also die Autonomie des Subjekts gesetzt ist, ist jede Entscheidung bereits obsolet.« (Mersch 2005: 118) Dadurch zeigt sich die Erfahrung des Nicht als primäre, wodurch die absolute Negation »jeden möglichen Bezug konstitutiert« (Mersch 2005: 118). »Gemeint ist, dass, indem die Behauptung der Universalität kein Anderes des Sinns – bzw. im Gewand von Semiotik, Strukturalismus oder Poststrukturalismus – kein Anderes des Zeichens und seiner Differenz duldet, wir eine latenten Souveränitätsphantasie aufsitzen, sofern wir selbst die Urheber dessen zu sein scheinen, was wir gewahren oder tun, ohne im geringsten einer Widerfahrnis oder Alterität ausgesetzt zu sein, deren ›Herr‹ wir nicht sind.« (Mersch 2016: 60)
Die Begegnung als Bezug-Setzen geschieht dabei gerade erst durch den Eintritt des Anderen aus einer Sphäre unverfügbarer Andersheit, die gerade das Kategoriale übersteigt. Würde Haltung und damit der Status des Nicht immer schon in den Bezugsrahmen aufgenommen sein, ist die Andersheit immer schon bestimmt, vorweggenommen und Teil des Selbst. Von dieser optischen Verschie-
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bung aus gesehen, ereignet sich das Nicht der Haltung vom Anderen in seiner (absoluten) Andersheit. Schlägt der Anspruch notwendigerweise in Seinskonstitution um, um überhaupt von Andersheit als solche erfahren zu können, zeig sich darin ein Chiamus von Haltung und Nicht-Haltung, oder eben Sinn und Nicht-Sinn sowie Verstehen und Nicht-Verstehen. Darin liegt ein Chiasmus Ursprung und Ursprungslosigkeit des Sinns, denn mit der Setzung des absoluten Ursprungs muss gleichzeitig auch eine ›Negativität‹ gesetzt sein. Darin zeigt sich ein Chiasmus, wodurch mit dem Grund auch der Verlust des Ursprungs einhergeht. »Sinn ist mit Nichtsinn chiastisch verquickt, sodass mit dem Verstehen unlösbar die Erfahrung des Nichtverstehens verknüpft ist, die sich weder ausräumen noch minimieren lässt.« (Mersch 2010: 208f.) Darin liegt eine ›Unsauberkeit‹ im Sagbaren, die jeweils ineinander chiastisch verflochten ist (vgl. Mersch 2010: 209). Gleiches lässt sich für Haltung in gleichem Maße beanspruchen: »Unerheblich ist dabei, ob dieses Souveränitätsphantasma als Präposition, Zeichen, Bedeutung, Textur oder Differenz und ›Beobachtung‹ in der Bedeutung des Bezeichnens und Unterschieds auftritt; entscheidend ist alleine die Auffassung, dass sich die Wirklichkeit des Wirklichen ausschließlich durch unsere Konzepte manifestierte und nicht von sich her als ein ebenso Unmachbares wie Unplanbares zeige, das einen Anspruch an uns stellt, ohne dass wir ihm zu entsprechen vermögen.« (Mersch 2016: 61)
Haltung und Nicht-Haltung zeigen einen Chiasmus, der davon gekennzeichnet ist, Ursprung und Urspungslosigkeit in sich zu tragen, die von Zug und Entzug gekennzeichnet sind und damit auch die eigene Souveränität unterminiert.96 Das, was sich in der Begegnung als Irritation erweist, lässt sich dann aus der Perspektive der Negativität sehen, die überhaupt erst den Bezug, als Art und Weise der Haltung konstitutiert. »Nicht nur entweicht der Andere fortwährend ins Dunkel einer verschlossenen Zone, die seine ›Welt, seine Erfahrung, Begehren und Vergangenheit einschließt, sondern er wird als solcher zugleich zur Bedingung der eigenen Welt, Erfahrung und Begehrung.« (Mersch 2005: 115) Aus einer identitätslogischen Konzeption von Haltung geht der Status des Nicht, der sich als Anspruch des Anderen in seine Andersheit deuten lässt, immer schon ein.
96 Agamben weist in diesem Zusammenhang auf eine Aporie im Hexis-Habitus-Konzept aristotelischer Provenienz hin, die sich in der Tradition weitervererbt habe: Bewegt sich hexis/ habitus im Problemkreis von Potenz und Akt, ist es gerade entscheidend, wie das Verhältnis zur Privation gestaltet wird. »Die Tugendlehre, die den Übergang ermöglichen sollte, bleibt in ihrem Kern eine Verhaltenslehre, also eine Theorie des Gewohnheits-Charakters, da alle Elemente, auf die Aristoteles zurückgeht, um vermittels der Tugend die Handlung […] zu regeln, diesen äußerlich sind, ein außerhalb der Potenz befindliches Subjekt voraussetzen und über keinerlei Verankerung im Habitus verfügen, den sie leiten sollte.« (Agamben 2012: 156). Zur Auseinandersetzung mit Privation und Habitus siehe auch Beier 2010.
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Von diesem Chiasmus ausgehend, lässt sich Beziehung von einem Unbestimmbaren aus denken und der Bezug wenden. Mersch drückt dies folgendermaßen aus: »Jede intentio, jedes Verstehen- oder Sagenwollen supponiert ebenso den ›Entzug‹ wie deren ›Zug‹, so dass nicht Verstehen geschieht, wo ein Nichtverstehen im Sinne des Missverständnisses oder Unverständlichen zur Deutung zwingt, sondern umgekehrt lässt das ›Nicht‹ die Möglichkeit des Verständnisses gleich wie des Unveständnisses ereignen.» (Mersch 2005: 118)
Mit der Verschränkung von Verstehen und Nicht-Verstehen zeigt sich eine Figur der Indifferenz oder Unentscheidbarkeit, die sich gerade nicht auflösen lässt.97 Dieses Paradox lässt sich nicht logisch ergründen, sondern zeigt sich als ein double bind: »Entsprechend beinhaltet das ›Nicht‹ auch kein Versagen, keinen Mangel, sondern einen Grundzug im Umgang mit Sprache, mit der Welt selber.« (Mersch 2005: 121) Mit der Differenzerfahrung geht ein Entzug einher, eine Widersetzlichkeit des Anderen, als Alterität. Durch das Angesprochenwerden des Anderen wird das Verstehen des Selbst in Frage gestellt, in dem der Anspruch das Selbst irritiert. Das Verstehen wird aus einer Alterität heraus von einem Nicht-Verstehen durchsetzt.98 Daran anschließend wird ein zweiter Chiasmus deutlich, der Haltung im Spalt von Intentionalität und Alterität verortet.
97 In der Betonung einer Zusammengehörigkeit von Hermeneutischem und Nicht- Hermeneutischen zielt Mersch auf die Leer- und Bruchstellen im Hermeneutischen ab. Dabei geht es ihm nicht um eine mystische Erfahrung. Er bezieht sich dabei vielmehr auf Lacans ›Reale‹. Die Erfahrung des Realen ist aber nicht in dem Sinne zu verstehen, dass das Wirkliche eine wahre und authentische Erfahrung ist, sondern immer schon durch die Wahrnehmenden gefärbt ist: »Stets bedarf darum die Erfahrung des Realen einer Verzögerung, eines Schnitts oder eine Distanz, um Aufmerksamkeit zu stiften, um etwas als etwas auszuweisen und die Gegenwart als Gegenwart festzuhalten oder als Unmittelbarkeit hervorzubringen.« (Mersch 2016: 57) 98 In Absetzung des Derrida’schen Präsenzsbegriffs, der in kritischer Distanznahme auf die différance, auf die bewegende Bewegung von Sinn und Sinnverschiebung durch Iterabilität aufmerksam macht, geht es Mersch darum, auf die Unverzichtbarkeit des Präsenzbegriffs hinzuweisen. Siehe hierzu ausführlich Mersch 2002: 357 ff: »Die Posthermeneutische ›Wette‹ besteht folglich darin, die Erfahrung von Präsenz sowenig durch Begriffe zu bannen oder überformen zu lassen, wie sie durchzustreichen oder für gänzlich obsolet zu erklären.« (Mersch 2016: 59) Mersch geht es darum, das sich in der Präsenz entziehende, negative als einen Widerstand herauszustellen und damit als Positives zu wenden, ohne den Status des Negativen aufgeben zu müssen. (vgl. Mersch 2016: 59)
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4.4.2. Intentionalität und Altertität: Haltung in der Wendung des Bezugs Meint Alterität das, was sich am Anderen in seiner Andersheit gerade dem Verstehen und dem Sinn entzieht, erweist sich, wie oben dargestellt, ein Sinn apriori als unumgehbares Paradox. Denn das signifizieren fängt Andersheit ein und tilgt sie damit. Und dennoch muss das Anderssein des Anderen in der Begegnung erfahrbar werden. Denn das Bewusstsein kann nicht anders, als Bewusstsein von99 zu sein, selbst da, wo der Andere als Anderer wahrgenommen wird, da ohne das Bewusstsein keine Wahrnehmung und damit auch Kenntnis von anderen geschehen würde. Haltung als Art und Weise des Bezugs zu denken ist dann eine spezifische Möglichkeit, mit dem Anderen umzugehen, mit Alterität umzugehen und damit immer schon die Weise des Bezugs bestimmt zu haben. Die Perspektive verbleibt in dieser Dimension, im Intentionalen, das auf den Anderen gerichtet ist. Den Bezug zum Anderen nicht wieder in eine intentionale Struktur einzubinden macht erforderlich, den Bezug zu wenden: von Intentionalität zur Responsivität (vgl. Mersch 2007). Was sich in der Wendung des Bezugs von Haltung zeigt, ist der Blick auf die konkrete singuläre Beratungssituation und auf eine dyadische Gestaltung von Performativität und Responsivität in einem Spalt. Die Intentionalität von Haltung bricht sich an der Vorgängigkeit des Anderen, veranlasst damit eine Wendung des Bezugs, der sich als ein antwortender Zug auf den Anspruch des Anderen verstehen lässt, der sich immer schon zeitlich vor dem Begreifen ereignet. »Ich ›meine‹, ich ›spreche‹ bedeutet dann: ich ›gebe‹, ich ›antworte‹, ich ›werde gesprochen‹ – was gleichermaßen auch einschließt, dass nicht ich spreche, sondern eine Sprache, die mir vorgeht, vorspricht, um mir allererst die Fähigkeit zu verleihen, überhaupt zu sprechen.« (Mersch 2010: 209, Hervorhebungen im Original) So wie der Chiamus von Sinn und Nicht-Sinn, von Haltung und Nicht-Haltung auf die Unentschuldbarkeit des Ursprungs verwies, so zeigt sich hier ein Chiasmus, der zwischen Intentionalität und Responsivität liegt, als Antwortgeschehen: »Wenn wir daher noch von einer Wendung des Bezugs sprechen werden, dann ist damit nicht ein bruchloser Übergang vom Intentionalen zum Nichtintentionalen gemeint, sondern jene Kreuzung, die zugleich die Figur einer Indifferenz oder Unentscheidbarkeit aufruft, denn es gibt keinen Ausdruck, der mir in ursprünglicher Authentizität zukäme, vielmehr heißt Sprechen, sich in jedem Augenblick im unbestimmten ›Zwischen-Raum‹ zwischen Subjektivität und Alterität bewegen.« (Mersch 2010: 210)
Die (zeitliche) Vorgängigkeit des Anderen, der in die Wahrnehmung des Selbst einbricht, verweist darauf, dass in jeder Äußerung, in jedem Satz, in jedem Text, 99 Zum Verweis auf die Struktur der Intentionalität im Nachgang phänomenologischer Tradition siehe Kapitel 4.3.
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in jedem Dokument oder in jedem Zeichen auf Alterität verwiesen wird (vgl. Mensch 2010: 209). In und mit jeder Bedeutungszuschreibung zeigt sich ein Antworten auf den Anspruch eines Anderen. »Das ›ist‹ geht dem ›Bin‹ voraus wie Sein dem Dasein: Keineswegs erweist sich das Subjekt als primär, vielmehr ›ist‹ es nur durch den Anderen und inmitten Anderer und konstituiert sich als solches auch sein Antworten.« (Mersch 2010: 209) Damit ist gerade nicht gesagt, dass es einen Vorrang des Sprachlichen gäbe, so dass andere Weisen sinnlicher Wahrnehmung und Leiblichkeit vernachlässigt würden. Vielmehr kündigt sich darin ein dritter Chiasmus aus Sagen und Zeigen an, worin sich eine weitere Unentscheidbarkeit zeigt: es muss das beziffert werde, was wahrgenommen wird, um wahrgenommenes für Wahr zu nehmen.
4.4.3. Sagen und Zeigen: Haltung entzieht sich Mersch konstatiert: »›Haltung‹ ist ein genuin performativer Begriff: sie macht sich nicht an Maximen oder Prinzipien fest: Sie zeigt sich.« (Mersch 1999: 174, Hervorhebung im Original) In der Art und Weise des ›Wie‹ drückt sich gerade eine Haltung aus; durch etwas drückt sich Haltung aus. Haltung materialisiert sich dahingehend durch Lautstärke, Färbung und Höhe bzw. Tiefe einer Stimme etc., die Wahl der Worte, die Struktur der Reihung von Sätzen, die Art seinen Körper zu bewegen und vieles mehr.100 »Erinnert sei dabei an die einfach Tatsache, dass allmenschliche Tätigkeit, alles Denken und Handeln sowohl im Sinnlichen oder Ästhetischen als sich im Materiellen – der ›Materialität‹ als einem genuin Widerständigen – situiert ist.« (Mersch 2016: 49) So wie Mersch die Materialität des Textes herausstellt, lässt sich auch von einer Materialität der Haltung ausgehen. Dabei zeigt sich eine »chronische Unangemessenheit« der textuellen Darstellung. Haltung bedarf einer Materialisierung, durch die sie sich zeigt. Damit verdeckt Haltung jedoch gerade ihre eigene Materialität. Mersch rekurriert dabei auf die von Wittgenstein vollzogene Differenz zwischen Sagen und Zeigen101: was Haltung zeigt, lässt sich nicht sagen und was Haltung sagt, lässt sich nicht zeigen: Haltung zeigt sich, über Haltung lässt sich lediglich sprechen. Haltung materialisiert sich in Art und Weisen, die an Materialität geknüpft bleiben. Materialität als Zeichen zu verstehen, dem es gerade um das Verstehen geht, deutet mit Mersch auf eine Unentscheidbarkeit hin, die im Zeichen selbst liegen: im Chiasmus von Sagen und Zeigen bleibt die Außenseite des Symbols stets verdeckt und jedem Bezug ist ein Entzug inhärent: »Wir sind folglich mit 100 Die Farbe Rot braucht unweigerlich Materialität, um als Farbe Rot wahrgenommen zu werden. Ein Bild, ein Stein, ein Blatt ist dabei in Rot gehalten. 101 Siehe hierzu auch Goppelsröder 2015.
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einem wesentlichen Entzug konfrontiert, wie er durch die Materialität der Zeichen, des Medialen und des Ereignisses der Setzung manifest wird.» (Mersch 2010: 298) In dem Chiasmus ist also eine Alterität eingeschrieben: »Die These wäre dann: Jedes einfache Verstehen zerbricht an diesem Chiasmus und verfängt sich in einer undurchdringlichen Duplizität von Verhüllung und Enthüllung.« (Mersch 2010: 298) Das Zeigen lässt sich dabei in Zusammenhang mit Levinas Sagen bringen. Das Sagen (im Verständnis von Mersch) entspricht der Ebenen des Gesagtes, die sich als das Diskursive fassen lässt. (vgl. Gondek 1992, Critchley 1999, Strasser 2013, Waldenfels 2015). Mit der Ebene des Gesagten/ dem Sagen (hier gilt es die Begrifflichkeit beider gut auseinanderzuhalten) auf die symbolische Ordnung verweist (vgl. auch Mersch 2003: 203). Mit Rekurs auf Levinas verdeutlicht Mersch, wie dem Gesagten etwas Nominales entstammt. Das Sagen verweist auf etwas verbiales, dem Sagen, welches auf das Sagen als Ereignis abzielt und nicht selbst Gegenstand werden kann. (vgl. Mersch 2003: 204) »Aus der Unmöglichkeit des Sagens von Alterität – oder Präsenz – folgt dann nicht schon deren vollkommene Möglichkeit oder Negativität, vielmehr erscheinen sie als Zeichen eines Widerspruchs, dem es nicht eigentlich auf das Sprechen, sondern auf das Andeuten, das Hinweisen, mit einem Wort: auf ein Zeigen ankommt.« (Mersch 2010: 122, Hervorhebung im Original) Der Modus der Setzung ist das Zeigen, das dem Sagen chiastisch begegnet. »Das Sichzeigen im Sinne solcher Selbstspräsentation ist der Äußerung mitgängig, prägt sich ihr auf eine nichtverfügbare Weise ein.« (Mersch 2004: 504, Hervorhebung im Original) Sagen und Zeigen entgehen sich in der gleichen Äußerung. Dem Zeigen kommt die Seite des Ereignens zu, während das Sagen das Signifizieren meint. Beides verweist chiastisch aufeinander (vgl. Mersch 2003: 206). Mit dem Ereignen als Akt des Zeigens kündigt sich die performative Dimension von Haltung an, die als Existenzsetzung gerade die Kraft der Um-Wendung des Bezugs andeutet.
4.4.4. Performativität und Setzung: Haltung setzt Wirklichkeit Mit dem Fokus auf dem Ereignen von Haltung wird die Perspektive darauf gelegt, dass Haltung sich in einem Moment vollzieht und damit performativ eine Setzung geschieht. »Die Bestimmung des Performativen umkreist folglich weniger die Begriffe der Intentionalität oder Teleologie, als vielmehr die Momente des Ereignens selbst, des Augenblick der Vollbringung und dessen Verhältnis zu Wahrnehmung und Aisthesis – zum
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Ästhetischen also, dem In-Erscheinung-treten von Arbeiten, Praxen oder Werken und dergleichen sowie die besondere Wirksamkeit, die sie entfalten, ihre Einmaligkeit und unverwechselbare Singularität.« (Mersch 2003b: 71, Hervorhebung im Original)
So verweist Reiner Becker auf ›Haltung zeigen‹ als Ereignis der Setzung in der konkreten Situation. Haltung, die sich zeigt, wird performativ in die Wirklichkeit gesetzt, mit einem Sprung von ›Haltung haben‹ zum ›Haltung zeigen‹, im Sinne des Sagens zum Zeigen: »Eine ›Haltung zeigen‹ vollzieht sich auf der Ebene der Beziehung zwischen Berater_in und den Beratungsnehmer_innen, bzw. zu den Mitgliedern in deren ›Beratungssystem‹ (vgl. Zech 2004)«. (Becker 2019 368f.) Mit Mersch lässt sich Performativität als Vollzug eines Setzungscharakters verstehen. »Der Begriff des Performativen betont Insonderheit das Moment seiner Realisation, das Faktum, dass eine Handlung instantiiert werden muss, dass sie als Akt in eine Welt eingreift.« (Mersch 2003b: 70) Performativität lässt sich als Setzung verstehen, mit der eine Freigabe und Preisgabe verknüpft ist: »Sobald ich spreche, bin ich ›auf der Szene‹, die mich beherrscht, statt dass ich ihr meine Prägung verliehe. Entsprechend werde ich im Augenblick meiner Setzung ebenso sehr durch die Szene gesetzt wie ich sie verändere.« (Mersch 2003b: 72) Mit der Setzung wird etwas losgetreten, was die Intention als Subjekt übersteigt und nicht mehr in ein absichtsvolles Handeln zurückzuführen ist. »Performative Setzungen sind folglich zuallererst Existenzsetzungen: Sie ereignen Exsistenz im Sinne des Aus-sich-herausstehens.« (Mersch 2003: 73) Was bereits mit dem Chiasmus aus Sagen und Zeigen angeklungen ist, lässt sich mit dem Performativen noch einmal näher bestimmen: Dem Sagen kommt eine bedeutungszuschreibende Seite zu. Das Zeigen steht für das Ereignen: »Im Vollzug einer Äußerung fu¨ hren wir diese gleichzeitig vor, stellen sie aus – performieren sie im Wortsinne einer ›Auffu¨ hrung‹, einer Inszenierung, wohingegen die Seite der Referenz und des propositionalen Sinns auf das ›Sagen‹ beschränkt bleibt, ohne dass damit schon eine Vorentscheidung fu¨ r Propositionalität oder den Akt der Aussage getroffen ist.« (Mersch 2003b: 77) Es bleibt ein Chiasmus von Bedeutung und der Setzung der Bedeutung und zeigt darin einen Entzug, der sich als unüberbrückbare Kluft erweist (vgl. Mersch 2003b: 208). »Sagen und Zeigen, wie auch Sinn und Setzung oder Bedeutung und Existenz dulden keine Identität – vielmehr verdoppeln sie ihre Differenzen, steigern ihre Disparität, so dass die Sprache nirgends zu einem Abschluss gelangt, nirgends zum ›Ein-Klang‹ kommt.« (Mersch 2003b: 78f.) Mersch setzt sich von der Bewusstseinsphilosophie des Idealismus ab. Darin wird die Setzung eines souveränen Subjekts als Selbst-Setzung postuliert: »Setzung heißt in der Terminologie des Idealismus und den daran anschließenden Modellen die intentionale Statuierung einer Bestimmung als ›DifferenzSetzung‹.« (Mersch 2003b: 72) Problematisch bleibt die Souveränität des Set-
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zungscharakters, der mit Mersch anders gewendet wird: »Performanz ist keine Funktion einer einfachen Intentionalität, wie die Äußerung nicht den souveränen Akt eines Sprechens darstellt, vielmehr ist umgekehrt die Souveränität ein Effekt des Gesetztseins, wie ebenfalls der Sprecher sich im Satz allererst erfinden muss.« (Mersch 2010: 211) Das Ereignis der Performativität erweist sich als Überkreuzung von Existenz und Sinn oder Ereignis. »Ein Akt geschieht und lässt auf seiner Szene, die ihn konstituiert, etwas geschehen, was nicht zur Gänze den Intentionen seines Akteurs gehören kann, sondern der Okkasionalität ihrer Bedingungen unterliegt.« (Mersch 2010: 212) Im Vordergrund steht dabei die Setzung in die Existenz, die Tatsache, dass etwas gesetzt wird, in die Existenz gestellt wird, was durch das Sprechen unabhängig von Inhalt des Gesprochenen geschieht. Dem Performativen ist gegenüber einem Verständnis von Sprache als System ein Überschuss inhärent. Der Begriff der Performanz lässt sich deshalb so verstehen: »Er stellt dem Sinn, dem Inhalt der Rede ein anderes gegenüber: ihre Wirkung oder Macht, die Kraft, die über den Sinn hinausschießt und ihn zuweilen durchkreuzt oder verbiegt.« (Mersch 2004: 507) Es geht um das Ereignis des Vollzugs, die Faktizität des Aktes, der eine Wirksamkeit und Kraft innewohnt. Faktizität als Präsenz und nicht Intentionalität – als Moment des Ereignens selbst, als unwiederholbar, singulär und auf Alterität bezogen. »Jede Setzung ist immer schon doppelt gesetzt, wohingegen das Performative nicht in der Negation wurzelt, sondern in der Affirmation. Es ist nicht Setzung ›als‹, sondern Setzung ›daß‹.« (Mersch 2004: 513, Hervorhebung im Original) Setzung meint im Gegensatz zur idealistischen Philosophie dabei gerade eine Teilung, die sich aus der Struktur: ›etwas als etwas‹ entsteht. Setzung meint in erster Linie nicht die Setzung von Bedeutungszuschreibung, sondern von Materialisierung und das bedeutet Faktizität: Existenzsetzung. »Zeichen müssen performiert werden; sie müssen gesetzt, ausgesprochen, vorgeführt und gegeben werden, um anwesend, d. h. wahrnehmbar zu sein und ›als‹ Zeichen zu funktionieren.« (Mersch 2004: 313) Haltung muss performativ gesetzt sein, denn im Reden über Haltung wird selbst wiederum Haltung gesetzt, der (siehe oben) im Chiasmus von Sagen und Zeigen eine Kluft eingeschrieben ist. »Das Ereignis der Performanz, das in die Existenz setzt, wäre dann nicht nur etwas Vorsprachliches oder Vorprädikatives, sondern selbst Unmarkierbares, Undarstellbares.« (Mersch 2004: 515, Hervorhebungen im Original) Mersch kritisiert die Sprechakttheoretischen Ansätze Searles, Austins sowie Habermas’ hinsichtlich der intentionalen Ausrichtung und der damit einhergehenden Existenzsetzenden Eigenschaft. »Was zählt, ist der Akteur, das Sprechersubjekt, das souverän über seine Rede verfügt.« (Mersch 2004: 56) Searle bindet im Rahmen der Sprechakttheorie Intentionalität und Performativität an die Autorität der Person, wodurch Sinn auf Subjektivität zurückweist (vgl.
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Mersch 2003b: 71). Nach Searle und Austin geht es in der Sprechakttheorie um die praktische Struktur des Vollzugs. Dabei stehen praktische Sinnproduktion und weniger die Setzung des Aktes der Rede im Vordergrund. »Der besondere Zugriff der Sprechakttheorie liegt dann darin, dass er die Modifikationen des Sinns als Funktionen einer Pragmatik zu beschreiben vermag, nicht einer Struktur.« (Mersch 2003b: 75) Hermeneutik und Pragmatik werden dadurch gekoppelt. Hierbei zeigt sich die Dimension des Vollzugs des Sinns (vgl. Mensch 2003b: 75). Sprechakttheorie wie auch die Theorie kommunikativen Handelns setzen auf Identität der Sprache, setzen auf den identitätsbezogenen Begriff des Performativen, setzen damit auf Voraussetzungen, die es gerade in diesem Zusammenhang zu hinterfragen gilt: Primat der Sprecherorientierung, Souveränität der Handlung, Identifizierbarkeit der performativen Rolle einer Äußerung, Aufklärbarkeit von Sinn sowie kollektive Aufklärung der am Gespräch Beteiligten (vgl. Mersch 2004: 528). Demgegenüber führt Mersch einen anderen Begriff des Performativen an, der den Fokus auf den Vollzug und den Setzungscharakter legt. »Erfordert ist dazu ein Perspektivwechsel von der Subjektivität des Aktes zum Vorrang des Entzugs und damit der Terminierung der Rede durch ihre Negativität oder Ereignishaftigkeit, die zugleich den Blick auf den Anderen richtet.« (Mersch 2003b: 87) Die Situation des Ereignisses lässt sich in dem lokalisieren, was Mersch als ›Szene‹ bezeichnet: »Wenn wir dabei von ›Szene‹ sprechen, meine wir jene Zäsur oder jenen Schnitt durch das Gewebe des Sozialen, welche den Kontext definiert, worin das Performative allererst erscheinen kann.« (Mersch 2015: 68, Hervorhebung im Original) Die Szene bildet damit den Rahmen der Setzung, die Mersch auf das Sprachliche bezieht, die aber auch wie oben ausgeführt für Haltung Geltung besitzt (vgl. Mersch 2004: 503). Hierbei geht es also nicht um die Intention eines souveränen Akteurs, sondern um den Zug des Responsiven, der von einem anderen im Rahmen einer Setzung ausgeht. Darin zeigt sich eine Nötigung, zu antworten. Dadurch wird der Setzungscharakter des Ereignens gegenüber dem des absichtsvollen Handelns betont. Mit der Setzung als Ereignis wird die Singularität des Ereignisses herausgestellt und das dass der Setzung hervorgehoben. Für Sprache konstatiert Mersch: »Dann wird die Einsicht maßgeblich, daß die Sprache nicht über ihre Setzung verfügt – vielmehr geschieht diese und entzieht sich zugleich im Vollzug des Sprechens.« (Mersch 2004: 503, Hervorhebung im Original) Für Haltung lässt sich dann Ähnliches herausstellen: Eine responsiven Struktur deutet darauf hin, immer schon auf der Szene zu sein, die durch Haltung geprägt ist, diese wiederum prägt und auch chiastisch von einem Moment der Entzogenheit durchkreuzt ist, der durch den Setzungscharakter initiiert wird. »Sobald ich spreche, bin ich ›auf der Szene‹, die mich beherrscht, statt dass ich ihr meine Prägung verliehe. Entsprechend werde ich im Augenblick meiner Setzung ebenso sehr durch die Szene gesetzt wie ich sie verändere.«
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(Mersch 2003b: 72) Mit der Setzung, der Existenzsetzung im performativen Akt der Szene erweist sich eine ›Kraft‹, die gerade erst dazu nötigt, mit Haltung ›zu antworten‹. Mersch bezeichnet dies als Gravitation, von der ausgehend sich Zug und Entzug überhaupt erst ereignen (vgl. Mersch 2003b: 74). In der (Beratungs-) Szene sind die Anderen immer schon anwesend. »Der Andere ist je schon auf der Szene, er ist sogar bereits auf der Szene gewesen, ehe ich spreche.« (Mersch 2003b: 91) Es wird die ethische Dimension der Performativität deutlich, die nicht von der Intention oder dem Akt aus gedacht wird, sondern vom anderen her. »Man kann die Nötigung, diese Gravitation oder Forcierung als ›An-Ruf‹ bezeichnen.« (Mersch 2003: 92) Performativität meint damit: Kraft der Setzung, die sich aus dem Angesprochenwerden durch einen anderen ergibt und es sich nicht umhinkommen lässt, zu antworten. »Es gibt also nicht den Sprecher, der im Sinne eines souveränen Aktes sich zum Ausdruck bringt, auch nicht den Hörer, der seiner Rede folge leistet, sondern beide werden jeweils durch die Besonderheit der dialogischen Szene und ihr Spiel zwischen ›Zug‹ und ›Entzug‹ hervorgebracht.« (Mersch 2003b: 92) Haltung ereignet sich genau in diesem Spiel von Zug und Entzug. »Sie [die Philosophie der Performatvität, JCW] bedeutet gleichzeitig eine Ethik der Machtlosigkeit, weil wir als Sprechende, als Zeugende, als Handelnde durch den Anderen als Entzogenheit immer schon entmächtigt sind.« (Mersch 2003b: 93) Mersch macht damit auf jenen Moment der Szene aufmerksam, der zuvorkommt und über Materialität der Zeichen und der darin zum Ausdruck kommenden Chiasmen auf ein Zuvorkommendes aufmerksam macht. Damit verweist er auf die Voraussetzung, also auf das, was im Voraus gesetzt ist: »Untergraben wird die Kapriziosität jeder Art von Idealismus oder Konstruktivismus, ihre Gebärde uneingeschränkter Reversibilität – sei es in semiotischer, strukturaler, poststrukturalistischer oder systemtheoretischer Spielart.« (Mersch 2003b: 74) Das ›posthermeneutische Programm‹ bezieht sich schließlich darauf, dem nachzugehen, was allererst als Grund im Sinne einer Setzung des Gesetzten, anzusehen ist, von dem aus dann erst eine Handlung, Bedeutungs- und Sinnzuschreibung, Interpretation, ein Sprechakt oder Zeichen und eben Haltung folgt. Mersch bringt dies auch gegenüber anderen Positionen folgendermaßen auf den Punkt: »Es ist unter anderem diese Blickwende, worin der Begriff des Performativen seine über die Sprachakttheorie und die Theorie des kommunikativen Handelns, ebenso wie über Hermeneutik, Strukturalismus und Dekonstruktion hinausgreifende Pointe besitzt. Denn was er diesen hinzufügt, ist das ›Zuvorkommen‹ der Szene, das seinen ›Grund‹, d. h. seinen Anfang legt. Auf Sprache zogen bedeutet dies: Wir sind immer schon auf der Szene des Dialogs.« (Mersch 2003b: 90, Hervorhebung im Original)
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Entsprechend lässt sich für Beratungszusammenhänge formulieren: wir sind immer schon auf der Szene der Beratung und antworten in und mit Haltung. Resümierend lässt sich festhalten: Haltung wurde oben als wesentliches Merkmal professioneller Beziehungsgestaltung in psychosozialen Beratungszusammenhängen herausgestellt. Dabei wird die dyadisch angelegte Beratungsbeziehung anvisiert und unter Bezug auf eine ethische Ebene die Gestaltung eines Schutzraums perspektiviert. Denn privat-intime Auseinandersetzung mit Problemlagen werden in einem Rahmen thematisiert, der immer auch den Bezug zur gesellschaftlichen Ebene und damit zu einer Öffentlichkeit herstellt. Es konnte gezeigt werden, dass der Haltungsbegriff, wie er im Diskurs um psychosoziale Beratung auftaucht, dabei auf einem identitätslogischen Prinzip aufbaut und von einer Gleichursprünglichkeit der inter-individuellen Subjekt-Subjekt-Beziehung der Beratungssituation gekennzeichnet ist. Darin ließ sich die Absicht herausstellen, soziale Gleichheit und Gerechtigkeit herzustellen. Die funktionale Asymmetrie der Beratungsbeziehung zeigt sich zu deren Einlösung reziprok gestaltet und Haltung in einer entsprechenden sozialen Konstellation davon bestimmt. Die Thematisierung der sozialontologischen Voraussetzungen, die in einem im Diskurs unhinterfragten Haltungsbegriff reproduziert werden, ließ die Frage nach Haltung in Bezug auf Andere innerhalb der Beratungsbeziehung stellen. Denn in der Beratungsbeziehung treten sich Beratende und Beratene in ihrer Verschiedenheit und ihrem Anders-Sein gegenüber, was in einem auf Identitätslogik angelehnten Verständnis zu verwischen und gar zu verschwinden droht. Mit der Andersheit Anderer und Alterität wurde auf eine der funktionalen Asymmetrie gegenläufige Perspektive aufmerksam gemacht (eine Asymmetrie auf der anderen Beziehungsseite), die auf einer anderen Ebene die funktionale nicht ersetzt, sondern ihr beigestellt wird. Dies macht eine Umstellung von Identitätslogik auf eine differenztheoretische Perspektive erforderlich. In einer Wendung des Bezugs wurde in einer posthermeneutischen Betrachtung gezeigt, wie Haltung von einem alteritäts- und differenztheoretischen Moment durchzogen ist und aus dieser Perspektive (Beratungs-) Beziehung sich nicht als reziprok erweist. Mit dem Fokus auf dem Ereignen von Haltung in der konkreten Beratungssituation als Szene zeigt sich der Verweis auf die singuläre Begegnung und konfrontiert mit der Andersheit anderer. Darin wird eine responsive Struktur deutlich. Die soziale Konstitution erweist sich dahingehend in einer Differenz. In den Chiasmen von Sinn und Nicht-Sinn als Haltung und Nicht-Haltung, Intentionalität und Responsivität, Sagen und Zeigen sowie Performativität und Setzung ließ sich ein Moment von Unentscheidbarkeit herausstellen, wodurch die Szene bestimmt wird. Darin wird eine Grenze sichtbar, die der Planbarkeit und Steuerung von Beratungsprozessen die konkrete Be-
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gegnung mit Ratsuchenden als Anderen entgegensetzt und zu einer Auseinandersetzung beruft, die immer wieder aufs Neue hergestellt werden muss. Die eingangs gestellte Frage, wie ein Rat an andere formuliert werden könne, der nicht schon durch die Sinnbezüge der Berater_innen die Entscheidung der Ratsuchenden abnimmt, lässt sich – so wird durch den oben vorgestellten alteritätstheoretisch gewendeten Haltungsbegriff deutlich – lediglich als paradox begegnen: um Kenntnis von Anderen zu erlangen, ist deren sinnhafte Kategorisierung notwendig, die gerade die Andersheit verschwinden lässt (erkennen geht notwendigerweise und gezwungenermaßen mit verkennen einher). Die daraus hervorgehende responsive Struktur bezieht sich deshalb stets auf einen singulären Anspruch einer je konkreten Szene der Beratung. Die Unvereinbarkeit und der unauflösbare Widerstreit der paradoxalen Struktur zeugt dabei von einer Bewegung, die von der (zeitlichen) Vorgängigkeit und Gravitation der Alterität herrührt. Die Aufrechterhaltung dieser Bewegung erweist sich dabei als das Moment des Ethischen von Haltung, dem Anspruch des Anderen in seiner Andersheit gerecht zu werden. Dass die Bezugspunkte der Beratungsbeziehung, also Subjekt und Andere_r oder eben Beratende und Beratene nicht übereinzubringen sind, eröffnet schließlich überhaupt erst die Frage nach der sozialen Konstellation. Diese kann jedoch in der Perspektive auf psychosoziale Beratung nicht bei der dyadischen Beratungsbeziehung stehen bleiben, sondern bezieht eine gesellschaftliche Ebene und damit andere Andere mit ein. Die Frage nach der sozialen Konstellation psychosozialer Beratung und nach der sozialen Architektur von Haltung muss um die Dimension des Politischen erweitert werden. Dass dieser Bezug gerade eine andere Ebene darstellt und eben nicht wiederum auf seine Gleichursprünglichkeit – nämlich als Verhältnis von Subjekt-Subjekt-Subjekt – reduziert werden kann, sondern die anderen Anderen ebenfalls Andere als Andere sind, zeugt von einer inkommensurablen Dimension, die der ethischen beigestellt wird. Obgleich der Verweis sich auf die anderen Anderen als Dimension des Politischen überhaupt erst aus der Problematisierung der Alterität herleiten lässt, bleibt diese Perspektive bisher unberücksichtigt und bezieht sich lediglich auf das dyadische Verhältnis der Inter-Individualität.102 Deshalb gilt es weiter, die Ebene des Politischen psychosozialer Beratung herauszustellen und auf dessen Bedeutung für eine soziale Konstellation dieses Formats und damit auch des Haltungsbegriffs hin zu befragen.
102 Michaela Ott bemerkt in einer Rezension zu Dieter Merschs Ereignis und Aura (2003a) den ausbleibenden Bezug zum Politischen und betont die Ebene der politischen Performativität, wie sie etwa im Künstlerichschen zum Ausdruck kommt. Siehe hierzu: https://www.perlenta ucher.de/buch/dieter-mersch/ereignis-und-aura.html (30. 04. 2021).
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Mit Levinas konnte die responsive Struktur in der Begegnung mit dem anderen verdeutlicht werden, dessen Anspruch immer schon an ein Selbst ergangen sein wird, ehe der Andere in seiner sozialen Andersheit als Kategorie erfasst wird. Im levinas’schen Sprachgebrauch: Auf diesen Anspruch gilt es zu antworten, indem das Antworten müssen als die ethische Dimension der Verantwortung auf ein Angesprochen-Werden durch Andere in ihrer Andersheit bezeichnet wurde. Der Anspruch, der an das Selbst ergeht, so verdeutlicht Levinas, ergeht immer auch als Anspruch Anderer, so dass das Selbst unweigerlich zu einem Vergleich von eigentlich Unvergleichlichem genötigt ist, um damit abwägen zu können, welchem An-Ruf zu entsprechen, sogar entsprechen zu müssen (vgl. Levinas 211: 344). Der Vergleich der Ansprüche hebt das Sagen auf die Ebene des Gesagten, womit die Dimension des Politischen, als andere Andere angesprochen ist. Allerdings führt Levinas diese Ebene und den Übergang zu dieser Ebene nicht selbst aus. »Es läßt sich, wie Derrida unterstreicht, keine Politik und kein Recht aus der Levinasschen Theorie des Anderen deduzieren.« (Bedorf 2003: 72) Obgleich die Ebene des Politischen mit Levinas stets präsent ist und gerade der Vergleich der Ansprüche einen wesentlichen Begriff von Gerechtigkeit103 prägt, bleiben die Ebene des Ethischen und Politischen bei ihm weitergehend unvermittelt. »Es gibt die Gesellschaft, in der der Vergleich herrscht, aber Levinas stellt keine Mittel bereit, deren Ursprung genauer zu untersuchen. Es bleibt bei einer Opposition, zwischen deren beiden Seiten eine Lücke klafft.« (Bedorf 2003: 94) Simon Critchley weist auf die Schwierigkeiten hin, die vom Denken der Politik bei Levinas auszumachen sind, verfolge man konsequent eine Politik, die sich aus seiner ethischen Konzeption ableiten ließe. Critchley führt folgende wesentlichen Aspekten auf: Er nennt Brüderlichkeit, die er bei Levinas mit einer ›Politik der Freundschaft‹ in Verbindung bringt und darauf hinweist, dass es sich um eine Brüderlichkeit handelt als »eine Beziehung zwischen Brüdern, zwischen freien Gleichen, die zufällig männlich sind.« (Critchley 2005: 62) Critchley sieht weiter 103 Zum Aspekt der Gerechtigkeit siehe etwa Seitz (2016).
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einen Zusammenhang von Brüderlichkeit und Monotheismus, und verbindet dies mit einer säkularen Lesart eines universalistischen Republikanismus (vgl. Critchley 2005: 63). Dabei lässt sich ein Androzenrismus ausmachen, wobei Levians zwar das Weibliche und die Schwersterlichkeit aufnehme, der Brüderlichkeit jedoch nachordne (vgl. Critchley 2005: 63). Levinas Vorstellung einer politischen Ordnung orientierten sich an den Aspekten Abstammung und Familie und schließlich benennt Critchley die Auseinandersetzung mit Israel als Kulminationspunkt der oben genannten Aspekte. Hierbei zeige sich ein Changieren zwischen »Idealität und Realität«, und dass »die Ortlosigkeit der ethischen Beziehung zum Anderen an Israels Grenzen seinen Ort findet« (Critchley 2005: 64). Critchley weist jedoch auf eine andere Möglichkeit des In-Beziehung-Setzens von Ethik und Politik im Anschluss an Levinas hin. Er stellt fest: »Eine Möglichkeit, über Levinas und Politik nachzudenken – und ich denke, es ist die überzeugendste – ist das Verständnis von Ethik als anarchische, meta-politische Verstörung der anti-politischen Ordnung der Polizei.« (Critchley 2005: 73) Er nimmt ein widerstreitendes Moment auf und verweist auf einen Dissens, der den ordnungsbildenden Aspekt der Politik stört: Ethik wird damit nicht nur zum »Stachel des Fremden« (Waldenfels 1990), sondern lässt sich auch betrachten als ›Stachel des Politischen‹: »Ethik ist die meta-politische Aufstörung der Politik um der Politik willen, das heißt, um einer Politik willen, die sich nicht in sich selbst abschließt und damit das wird, was Levinas eine Totalität oder ein Ganzes nennt. Folgt man der Levinas’schen Denkweise, dann läuft die Politik Gefahr, wenn sie sich selbst ungestört überlassen wird, Gefahr, tyrannisch zu werden.« (Critchley 2005: 72f.)104
Critchley stellt für den weiteren Gang seiner Auseinandersetzungen einer »Ethik der Dekonstruktion« (1999)105 den Bezug zu Derrida her, wie es die chiasmatische Verbindung zwischen Levians und Derrida nahelegt (vgl. Moebius 2004: 45). Für dieses, von der Perspektive des Ethischen ausgehende Korrektiv der Politik bedarf es allerdings eine nähere Bestimmung dessen, was unter Politik zu verstehen ist. Einige Autor_innen bemühen sich dahingehend, Anknüpfungspunkte zu Levinas Ethik der Alterität zu anderen politischen Theorien herauszuarbeiten. Hierbei lassen sich etwa Bezüge zu John Rawls Theorie der Gerechtigkeit (1979) herstellen, wie etwa Sabine Gürtler (2001) oder Kathrin Weber (2013) daran anschließen. Und auch mit Eva Buddenberg (2011) lassen sich Bemühungen erkennen, Levinas Ansätze mit anderen politischen Theorien zu verbinden. Allerdings bleiben diese Vorhaben jedoch Desiderate, wie Bedorf bemerkt (vgl. Bedorf 2003: 84). 104 Critchley (2008) formuliert dahingehend eine »Ethik der Verpflichtung« sowie eine »Politik des Widerstands«. 105 Siehe hierzu weiterführend: Critchley (1999).
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Demgegenüber soll nun vorgeschlagen werden, Theorien in das Scharnier einzusetzen, die sich auf eine Unterscheidung von Politik und Politischem beziehen. Beratung als Teil des psychosozialen Versorgungsnetzes lässt sich dabei zunächst nicht ohne weiteres im Feld der Politik verorten. Allerdings lassen die innerhalb der Beratung verhandelten Themen wie Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Sucht u. a., die genuine Felder von Sozialpolitik sind, erkennen, dass Beratung im Politischen agiert. Da die Institution Beratung nicht als ein Organ oder Akteur von Politik zu verstehen, jedoch durch den Themenbezug in diesem politischen Feld tätig ist, lässt sich in der Differenz von Politik und dem Politischen eine Möglichkeit sehen, psychosoziale Beratung im Politischen zu verorten und als eine sie konstituierende Dimension auszuzeichnen. Die Tatsache, dass psychosoziale Beratung sich auch durch den spezifischen Themenbezug im Feld der Politik bewegt, darin aber nicht als Institution aufgeht, macht die Differenz von Politik und Politischen erforderlich: »Daß über einen Begriff des Politischen nachgedacht wird, erklärt sich aus dem Eindruck, daß das, was in seiner institutionellen und medialen Aufführungspraxis als Politik bezeichnet wird, nicht alles, eben nicht ›das ganze Politische‹ sein kann.« (Bedorf 2010: 232) Und psychosoziale Beratung lässt sich auch als eine dieser »Aufführungspraxis« verstehen. Ihr Agieren wird aber eben nicht nur von parlamentarischen Institutionen gerahmt und ist dennoch als politisches Handeln zu bezeichnen. »Denn was in der Gegenwart der liberalen Gesellschaft als Politik vermittelt wird, sind im wesentlichen Teilprozesse eines Funktionssystems, das sich verselbstständigt zu haben und im institutionellen ablaufenden Interessenabgleich mit mehr oder minder eingeschränktem Handlungsspielraum zu erstarren scheint.« (Bedorf 2010: 232f.) Im Vordergrund steht dabei das Interesse an Fragestellungen, die sich am jeweiligen Handeln orientieren, das über eine institutionalisierte Form der ›bloßen Politik‹ (Bedorf 2010: 233) hinausgeht. Damit lässt sich ein kritischer Begriff herausstellen, der der Politik in Fragen der Selbstvergewisserung etwas entgegensetzt (vgl. Bedorf 2010 b: 13). Mit Bezug auf Lefort formuliert FlügelMartinsen: »Politisches Denken darf sich diesen Überlegungen [in Anschluss an Lefort, JCW] zufolge nicht zuvorderst und schon gar nicht allein auf eine Erkundung und/oder Begründung politischer Institutionen fixieren, sondern muss das konflikthafte Wechselspiel zwischen der institutionellen Ebene der Politik und der sie tragenden und zugleich kontestierenden Dimension des Politischen in den Blick nehmen.« (FlügelMartinsen: 2017:160)
Und mit Lefort argumentiert er weiter: »Das Politische (le politique) muss deshalb aus Leforts Sicht als dynamische Ebene verstanden werden, von der aus die in konkreten politischen Systemen gegebenen Institutionen und Prinzipien, für
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die Lefort den Begriff der Politik (la politique) reserviert, befragt und kontestiert werden können.« (Flügel-Martinsen 2017: 164, Hervorhebung im Original) Die politische Differenz ist dabei von einigen Autor_innen aufgenommen worden und zeigt verschiedene Ausprägungen. Gemeinsam ist allerdings den unterschiedlichen Positionen, dass sie von einem »unhintergehbaren Moment des Dissenses und Widerstreits, des Ereignisses, der Unterbrechung und Institutierung« (Bröckling/Feustel 2010: 8) ausgehen. Darauf hebt auch FlügelMartinsen ab, der das konfligierende und widerstreitende Moment des Politischen herausstellt (vgl. Flügel-Martinsen 2017: 165). Die verschiedenen Positionen »insistieren darauf, das die definitorischen wie praktischen Schließungen des Politischen nicht das letztes Wort sein können« (Bröckling/Feustel 2010: 9). In der Auseinandersetzung um das Politische geht es dabei genau darum, die Auseinandersetzung offen zu halten. »Alle Varianten der Unterscheidung zwischen dem Politischen und der Politik betonen, daß das Politische, gleichgültig, ob es als Raum, Ereignis oder leerer Ort konzipiert wird, wesentlich Kontingenz ist.« (Bedorf 2010: 233, Hervorhebung im Original) Damit bezieht sich das Politische auch immer auf einen konkreten historischen Kontext, der überhaupt in und durch die Auseinandersetzungen jeweils das bestimmt, was zur Verhandlung steht (vgl. Wetzel 2017: 3). Politik erweist sich dabei als die konkrete, (Aus-) Bildung einer Ordnung mit einem normativem Bezug (vgl. Bedorf 2010 a: 233). Es geht also auch darum, Politisches und Politik nicht als Opposition, sondern als Verschränkung zu denken. Dabei steht ein konfligierendes Moment und der Charakter von Auseinandersetzung im Vordergrund. Bedorf formuliert pointiert: »Politisches ohne Politik ist leer, weil es reines Ereignis ohne Bedeutung wäre, Politik ohne Politisches ist blind, weil sie sich in ihrer prozeduralen Selbstermächtigung totläuft.« (Bedorf 2010: 240, Hervorhebung im Original) Was das Politische dabei markiert, lässt sich mit Bröckling und Feustel in vier Dimensionen betrachten: als spezifische Sphäre des Sozialen, als spezifische Modalität menschlichen Handelns, in einer zeitlichen sowie einer normativen Dimension. (vgl. Bröckling/Feustel 2010: 9ff.) Mit Bedorf lassen sich die jeweiligen Dimensionen der politischen Differenz folgendermaßen bezeichnen: »Worüber diese Differenz jeweils eine Aussage macht, hängt davon ab, ob das Politische als Norm der Politik, als hegemoniale Intervention, als Ereignis der Unterbrechung der Politik oder als deren Stiftungsereignis formuliert wird.« (Bedorf 2010a: 233) Im Folgenden soll mit der politischen Differenz das ›Ereignis der Unterbrechung der Politik‹ herausgestellt werden, denn in diesem Aspekt wird der Rahmen erkennbar, indem das Politische psychosozialer Beratung zu betrachten ist. Agiert psychosoziale Beratung im Feld des Politischen durch den Bezug zu sozialpolitischen Themen und der damit verbundenen gesellschaftlichen Bedeutung, liegt innerhalb der Beratung in seiner Betrachtung vor dem Hintergrund
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der Sozialen Arbeit immer auch ein Moment des Widerstreits zwischen verschiedenen Ansprüchen gegründet, die sich damit einhergehend auch auf die Auseinandersetzung mit Politik bezieht. In die eine Seite des Scharniers wird also das Ethische im Nachgang Levinas’ ›eingehängt‹. Für die andere Seite soll schließlich ein Ansatz berücksichtigt werden, der die Dimension des Politischen in seiner Differenz zur Politik herausstellt. Dabei soll im Folgenden Bezug auf Foucault genommen werden, der sich als ein Theoretiker des Politischen einordnen lässt (vgl. Machart/Martinsen 2019: 2f.). Foucaults Arbeiten, sowie auch andere in seiner Nachfolge (beispielhaft sei verwiesen auf: Rose 1998, Traue 2010, Duttweiler 2004 u. a.) zeigen die Auseinandersetzung mit der ›Unterbrechung der Politik‹, die im Rahmen des Formats Psychotherapie und eben auch Beratung geführt werden. Deswegen bietet es sich an, seine Ansätze in den Scharnierschenkel des Politischen einzuhängen. Foucault in der Dimension des Politischen anzuführen bedeutet jedoch gerade nicht, diese theoretische Wendung als logische Ergänzung einer auf Levinas Philosophie folgenden Konsequenz zu begreifen, sondern dabei vielmehr das Scharnier selbst als Kontingent zu sehen, als »leeren Ort der Macht« (Lefort 1999). Foucault bietet sich dahingehend eben nur als eine Möglichkeit der Verhältnis-Setzung an. Sein Machtbegriff soll dabei mit seinem ambivalenten Charakter die Auseinandersetzung des Politischen verdeutlichen. »Gouvernementalität« nimmt dabei nämlich eine Verknüpfung von Staat und Subjekt auf und erweitert darin einen verengenden Begriff der Politik. »Auch kann die (immer wieder kritisch kommentierte) Breite des foucaultschen Machtbegriffs durchaus als Index einer umfassenden Politizität sozialer Verhältnisse verstanden werden.« (Machart/ Martinsen 2019: 2) Dabei soll gerade das ambivalente Moment des Machtbegriffs herausgestellt werden, wie es in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen auch um eine ›Gouvernementalität der Beratung‹ als konstitutives Element psychosozialer Beratung in der Dimension des Politischen eher randständig thematisiert wird. Bevor auf Foucault eingegangen wird, soll im Folgenden mit einem synoptischen Blick gezeigt werden, das in aktuell diskutierten sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätzen (Theorie reflexiver Modernisierung, Systemtheorie und Habitusanalyse, unter Berücksichtigung aller unterschiedlichen Facetten der theoretischen Bezüge) die Dimension des Politischen nicht aufgeht. Wie genau das Verhältnis von Beratung zu Politik dabei aussieht, lässt sich weder im Rahmen von Theorien der Politik klären noch mit gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Erklärungsmuster plausibel abbilden. Eingebunden in gesellschaftliche Transformationsprozesse, zeigt sich das Ratgeben trotz einer langen Geschichte dieses Kommunikationsformats, generell als Phänomen der Moderne. (vgl. Schnoor 2006: 15; Sickendiek/Engel/Nestmann
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1999: 31) Die Moderne lässt sich als epochale Beschreibung – als Sammelbezeichnung – auffassen, die von verschiedensten Ereignissen geprägt ist. Dabei zeichnet sich auch eine Veränderung der Struktur von Hilfeangeboten als Teil von Transformationsprozessen der Gesellschaft ab. »Als Beginn wird das 16. Jahrhundert gesehen, in dem sich durch Buchdruck, individuell nutzbare Uhr und Arbeitshäuser (vgl. Foucault 1977) erste wichtige Veränderungen ankündigen.« (Großmaß/Perko: 2011: 15) Als weitere Entwicklung lassen sich außerdem anführen: Kapital, Dampfmaschinen, Elektrizität, wachsende Arbeitsmobilität sowie Ausdifferenzierung von Funktionssystemen und vieles andere. Ausgehend von der Renaissance zeigen sich Eigenschaften die die moderne europäische Gesellschaft prägten. Dazu zählen Ansen und Stimmer: Komplexität, Individualismus, Desintegration, Technologisierung, Bürokratisierung, Globalisierung (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 15). Stimmer und Ansen stellen wesentliche Aspekte der Modernisierungsprozesse heraus, die Konsequenzen für Menschen darstellen können: Komplexität, Individualisierung und Pluralisierung, Technologisierung, Bürokratisierung und Verrechtlichung, soziale Mobilität, lebensweltliche Segmentierung, Bevölkerungsentwicklung, Armut und soziale Ausgrenzung (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 17). Unter anderem bietet als zwischenmenschliches Kommunikationsformat Beratung dabei Orientierung an, um den Herausforderungen der Modernen auf individueller Ebene zu begehen. Tiefel stellt heraus, dass in den theoretischen Ansätzen unterschiedliche Aspekte der Moderne betonte und abgebildet werden. Ein Konvergenzpunkt zeigt sich allerdings in der zunehmenden Komplexität und Ausdifferenzierung von Gesellschaft. Die Bewertung der Komplexität fällt dann aber je nach theoretischem Standpunkt sehr unterschiedlich aus (vgl. Tiefel 2004: 12). Sozialwissenschaftliche Erklärungsmuster beleuchten dabei unterschiedliche Aspekte von Beratung und Gesellschaft, die je nach theoretischer Verortung Unterschiedliches in den Blick nehmen. Mit Bezug auf theoretische Betrachtungswinkel der Moderne werden unterschiedliche Aspekte von Beratung beleuchtet und zeigen je nach Perspektive andere Facetten von Beratung. Dass dabei die Dimension des Politischen unterrepräsentiert bleibt, soll im Folgenden mit der Theorie reflexiver Modernisierung, Systemtheorie und Habitus-Reflexion als gegenwärtig diskutierte Ansätze psychosozialer Beratung gezeigt werden. Wie stellt sich also Beratung in den einzelnen Blickwinkeln dar und wie lässt sich das Politische darin nachzeichnen?
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5.1. Theorie reflexiver Modernisiung Der fachliche Diskurs zeigt unterschiedliche Selbstverständnisse von Beratung. Der Dachverband Beratung lässt sich dabei nicht nur als eine Ordnungsinitiative mäandernder Beratungsverständnisse und -ansätze begreifen, sondern ist auch von der Initiativen geprägt, eine gesellschaftstheoretische Verortung von Beratung zu etablieren. In der Betrachtung sozialwissenschaftlicher Konzepte, die als Bezugspunkte für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung angesehen werden, zeigt sich zentral die Theorie reflexiver Modernisierung. Im Rahmen des Professionalisierungsdiskurses, wie etwa im Dachverband Beratung, wird die Forderung nach beratungswissenschaftlicher Auseinandersetzung laut, die eine gemeinsame Basis für die Weiterentwicklung professioneller Beratung und Schärfung eines Profils beiträgt. Eine modernisierungstheoretische Fundierung wurde 2015 durch den Dachverband als allgemeinverbindliche Grundlage verabschiedet.106 Ulrich Beck beschreibt gesellschaftliche Wandlungsprozesse von der sogenannten ersten zur zweiten, reflexiven Moderne: »Reflexive Modernisierung heißt also: eine zunächst unreflektierte, gleichsam mechanisch-eigendynamische Grundlagenveränderung der entfalteten Industriegesellschaft, die sich im Zuge normaler Modernisierung ungeplant und schleichend vollzieht und die bei konstanter, möglicherweise intakter politischer und wirtschaftlicher Ordnung auf dreierlei zielt: Radikalisierung der Moderne, welche die Prämissen und Konturen der Industriegesellschaft auflöst und Wege in andere Modernen- oder Gegenmodernen – eröffnet.« (Beck 2014: 29, Hervorhebung im Original)
Generell kennzeichnet die Moderne neben Wissenserweiterungen ebenso eine Zunahme von Nicht-Wissen und damit einhergehend auch Unsicherheit, die auch in eine Unentschiedenheit und Unplanbarkeit führen kann. »Beratungsangebote gewinnen daher kontinuierlich an Bedeutung nicht nur für die individuelle Lebensgestaltung.« (Pachner 2014: 10) Die Begriffe oder Kategorien der Reflexivität und Reflexion nehmen dabei eine entscheidende Stellung ein. Beide Formen von Selbstreferenz drücken einerseits Nebenfolgen der so genannten zweiten Moderne als Reflex auf Modernisierungsprozesse aus. Eine zweite semantische Bedeutung bezieht sich auf die Selbstthematisierung als Reflexion. »In diesem Sinne meint Reflexivität Strukturen, die sich selbst zum Gegenstand machen.« (Seel 2009: 6) Reflexivität bedeutet in diesem Kontext weniger das bewusste Nachdenken von Sachverhalten, sondern im Zuge von Modernisierungsprozessen vielmehr unreflektierte Nebenfolgen, also im Sinne von Reflex (vgl. Pachner 2014: 11f.). Zentral lässt sich herausstellen, dass Institutionen und 106 https://dachverband-beratung.de/dokumente/DGfB_Positionspapier_2015_Beratung%20i n%20der%20reflexiven%20Gesellschaft.pdf (08. 05. 2020).
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auch Professionen wie die der psychosozialen Beratung mit Nebenfolgen rechnen müssen, die sie selbst in und mit ihrem Handeln hervorgebracht haben. Beck formuliert dies so: »Dies ist vielleicht die markanteste Theorie reflexiver Modernisierung: Es geht nicht nur um externe Nebenfolgen, sondern interne Nebenfolgen der Nebenfolgen industriegesellschaftlicher Modernisierung.« (Beck 2014: 27) Im Beck’schen Verständnis zeichnen sich die Risiken, die im Rahmen der zweiten Moderne entstehen, gerade durch ihre Unberechenbarkeit aus, da die risikobehafteten Nebenfolgen der eigenen Handlung nicht abschätzbar geworden seien. Lemke verdeutlicht: »Waren in der Industriegesellschaft die gesellschaftlichen Risiken noch berechenbar, zeichnet sich die Risikogesellschaft durch prinzipielle Unkalkulierbarkeit der von ihr produzierten Risiken aus.« (Lemke 2008: 51) Vor dem Hintergrund der sogenannten »Risikogesellschaft« gibt es nicht nur Modernisierungsgewinner_innen, die die sich potenzierten Chancen der Lebensgestaltung nutzen, sondern auch Modernisierungsverlierer_innen.107 Unter modernisierungstheoretischer Perspektive ist das Orientierung gebende Moment von Beratung angesprochen. Unübersichtlichkeit und die Erosion gesellschaftlicher Orientierungsmuster können dabei einen Beratungsbedarf evozieren (vgl. Seel 2009: 4). Je mehr Orientierungsbedarf sich zeigt, desto mehr Beratung bedarf es. Daraus ist schließlich auch ein Aspekt von Professionalisierung ableitbar, denn je mehr Nachfrage es nach Beratung gibt, desto mehr steigt der Bedarf nach Qualifizierung. Die Schlagwörter Reflexion und Reflexivität als Gegenstände der theoretischen Position realisieren sich somit in Beratung. Neben einer Vielzahl von Lebensentwürfen zeigt sich auch ein stetig wachsendes und sich veränderndes Wissen. Mit der Beck’schen Individualisierungsthese wird deutlich, wie die Lösung der Problemlagen zunehmend der Verantwortung der Einzelnen zugeschrieben werde (vgl. Seel 2009: 5). Die Herausforderung, die an Beratung gestellt wird, lässt sich als Individualisierungsprozesse im Rahmen der Risikogesellschaft betrachten, den Umgang mit Wissensbeständen zu einer sinnvollen Integration des einzelnen Falls in Beziehung zu setzen (vgl. Seel 2014: 25). »So lässt sich die Aufgabe professioneller Beratung im gesellschaftlichen Kontext ableiten: Sie lautet ›Realisierung von Reflexivität‹.« 107 Mit stärkerer Betonung auf das Thema Individualisierung setzt Keupp (2016) in Auseinandersetzungen mit einer reflexiven Sozialpsychologie innerhalb der Beratung auf Identitätsarbeit als »Politik der Lebensführung.« Eine Folge der Modernisierungsprozesse sei die Enttraditionalisierung von Lebensformen, die Aufgaben der eigenen Identitätskonstruktion ist im Zuge der Individualisierung dem Selbst überlassen. Beratung arbeitet dann genau an einer »reflexive Individualität« als Planungsbüro der eigenen Verhältnisse. (Pachner 2014: 15) »Sie [reflexive Sozialpsychologie] ist im Beck′schen Sinne reflektiert, indem sie die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der zweiten Moderne bewusst analysiert und einem theoretischen Zugang öffnet. (Pachner 2014:15f.)
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(Seel 2014: 26) Seel unterscheidet hierbei zwischen transitiver und reflexiver Beratung von jemanden oder etwas miteinander beraten (transitiv) und sich miteinander beraten oder mit sich selbst zu Rate gehen (reflexiv). In der transitiven Bedeutung sieht Seel eine kultur-, zeit-, professions- und alltagsunabhängige Form des Beratens. In der reflexiven Form der Beratung sieht Seel die professionell erbrachte Dienstleitung in der Postmoderne. Beratung in diesem Sinne leistet dann: »Schaffung (symbolischer) Realität, sowohl, was die – von der postmodernen Gesellschaft versprochene – freie Selbstdefinition der Subjekte, als auch was die ebenso versprochene freie Gestaltung ihrer Beziehungen anbelangt, ist ihr Spezifikum in der aktuellen Gesellschaft/Kultur.« (Seel 2009: 3) Mit diesem Verständnis lassen sich auch verschiedene professionelle Beratungsbereiche übergreifend verstehen: »So verstandene Beratung ist deutlich mehr als die bloße Weitergabe von Informationen, sondern umfasst die Gestaltung von individueller und sozialer (letztlich auch gesellschaftlicher) Realität.« (Seel 2009: 4) Im Zentrum der Beratung lässt sich das Arbeiten am eigenen Selbst lokalisieren. Seel dazu: »Zusammengefasst: ständiges ›arbeiten an sich‹ ist ›angesagt‹, das bedeutet, die Subjekte der reflexiven Moderne unterliegen einem durchaus auch selbstverinnerlichten Druck zur ›Verinnerlichung eines Selbstoptimierungsmanagers in vielen (allen?) Lebensbereichen‹ (Seel, 2013a), der auch als steigender Anspruch an sich selbst daherkommt.« (Seel 2014: 26f.) Für Beratung bedeutet dies: »Beratung wird die zentrale gesellschaftliche Institution der reflexiven Moderne, indem sie den korporierten und individuellen Subjekten systematisch zur Reflexion verhilft.« (Seel 2009: 7) Tiefel stellt heraus, dass Modernisierungsprozesse widersprüchliche Konsequenzen erzeugen, die einerseits tradierte Lebensmuster auflösen und anderseits Möglichkeiten bieten, neue Strukturen und Entwürfe zu ermöglichen. »BeraterInnen werden durch die Fragestellungen, Schwierigkeiten und Problemkonstellationen ihrer Klientel beständig mit diesen beiden widersprüchlichen Konsequenzen von Modernisierung konfrontiert, ohne dass ihre Ausbildung oder Trägerschaft Wissen und Instrumente für einen bewussten Umgang mit diesen Antinomien der (Zweiten) Moderne bereitstellen. Sie handeln dementsprechend unter Ungewissheit auf der Basis unterschiedlicher personaler und institutioneller Bedingungen und entwickeln Lösungswege und Bewältigungsstrategien.« (Tiefel 2004: 10)
Die Pluralisierung ist an Strukturvorgaben geknüpft, die auch durch Institutionen repräsentiert werden. »Institutionen werden dabei als zentraler Ort struktureller Manifestationen und Modifikation betrachtet.« (Tiefel 2004: 18, Hervorhebung im Original) Durch die Zunahme von Wahlmöglichkeiten des eigenen Lebenswegs zeigen sich die Orientierungspunkte der Gestaltung des eigenen Lebens nicht nur in vielfachen und vielfältigen Weisen, sondern können sich auch gegenseitig widersprechen. Mit den sie kennzeichnenden Widersprüch-
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lichkeiten sind dann auch die Institutionen befasst, sich mit den Lebenssituationen Einzelner auseinandersetzen (vgl. Tiefel 2004: 19). Mit Beck geht Tiefel auf Institutionen der reflexiven Moderne ein, die aufgrund zunehmender Differenzierung, Komplexitätssteigerung sowie Wissenszuwachs Nebenfolgen mit produzieren. Sie verdeutlicht dies am Beispiel der Erziehungsberatung: »Erziehungsberatung wäre wie alle anderen sozialen Institutionen gefordert, ihre eigenen Standards, Sinnhorizonte und Zielsetzungen zur öffentlichen Diskussion zu stellen, um mit den offen thematisierten Gegensätzlichkeiten Nebenfolgen institutionalisierter Prozesse deutlicher hervorzuheben und damit bei Interventionen prinzipiell nichtbewusste Konsequenzen miteinzurechnen.« (Tiefel 2004: 23)
Beratung agiert vor dem gleichen Hintergrund reflexiver Modernisierung, weshalb sie selbst der Reflexion bedarf. Pachner führt hierbei an, dass Beratung dabei auch Gefahr laufen könne, unter marktlogischen Zwängen unter ökonomisches Diktat zu geraten und Zwangsberatung eher Kontrollfunktion als Unterstützung erfülle. Darüber hinaus liegt in Professionalisierung und Standardisierung auch der Verlust der Offenheit und Vielfalt verborgen. »Je nach Kontext, in dem Beratung stattfindet, sind diese Gefahren und ungewollten Nebenfolgen unterschiedlich stark ausgeprägt.« (Pachner 2014: 20) Während Beck eher bei einer Strukturanalyse bleibt, fragt Giddens (1999) aus einer mikrotheoretischen Perspektive nach dem Umgang von Insitutionen mit Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten. Dabei bezieht er sich darauf, dass »Institutionen sich auch unter radikalen Modernisierungsbedingungen der Diffusität entgegenstellen und zumindest zeitweise Orientierungs- und Strukturierungsaufgaben übernehmen können« (Tiefel 2004: 25). Der Aufbau einer Vertrauensbeziehung sei dabei elementar, da Intimität in der Moderne zwar nicht verloren gehe, aber von größeren Institutionen übernommen werde: Aktives Vertrauen der Individuen sowie Routinisierung als Grundlage des Agierens in Komplexität können dabei Stabilisierung und Kontinuität versprechen. »Reflexivität kann dabei nach Giddens nicht nur als Verursacherin von Diffusität und Ungewissheiten gesehen werden, sie ermöglicht auch die adäquate Reaktion in Form eines bewussten Ausbalancierens zwischen Wandel und Konstanz.« (Tiefel 2004: 27)108 108 Tiefel stellt heraus, dass der Umgang mit Ambivalenz als Kennzeichen der Moderne sowohl in Bezug auf die Institution in der reflexiven Modernisierung als auch Gegenstand in den Theorien professionellen Handelns (strukturfunktionalistisch, systemtheoretisch, interaktionistisch) und beratungstheoretischen Diskursen sei. Die von Beck und Giddens herausgestellte mögliche Begegnung mit Ambivalenz durch Reflexion stellt Tiefel gerade als gegenstandsbezogene Reflexionstheorie heraus, der sie empirisch nachgeht. Dabei erarbeitet sie ein »Modell Professioneller Reflexion professionellen Beratungshandeln unter Modernisierungsbedingungen« (Tiefel 2004: 265). Folgende Modi stellt Tiefel dabei heraus: Reflexionsauslöser, Reflexionsfokus und Reflexionswissen. »Reflexion im Rahmen psycho-
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Der Dachverband Beratung stimmt dem Vorschlag zu, Beratung unter dem Vorzeichen reflexiver Modernisierung zu betrachten und damit deren übergeordnete gesellschaftstheoretische Einordnung zu liefern. Die Aufgabe des Dachverbandes liegt dann darin, Qualität guter Beratung sowie Rahmenbedingungen von Beratungspraxis zu diskutieren, Fachdiskurse zur Professionalisierung zu fördern. Er generiert und verteilt Wissen zu Aspekten reflexiver Beratung. Wissenschaftliche Betrachtungen werden im Dachverband vernetzt. Er bezieht Position zu gesellschaftspolitischen Themen und entwickelt »Beratung als Institution reflexiver Gesellschaft weiter», wie es im Positionspapier heißt.109 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem Übergang von der ersten zur zweiten Modernen mit zunehmender Komplexität Nebenfolgen als Risiken des eigenen Handelns – als Reflex – einhergehen. Damit zeigen sich Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, die Beratungsbedarf evozieren. Das Ratgeben erscheint als eine Form, dem auf einer individuellen Ebene entgegen zu wirken. Beratung wird zum Ort der Reflexion der Reflexion. Ob sich der Epochenbruch von der ersten zur zweiten Moderne als scharfkantig erweist, hat u. a. etwa Münch (2002) kritisch hinterfragt. Das mit dem Epochenbruch einhergehend Etikett einer »Entgrenzung des Sozialen« lässt dabei gerade die Grenzziehungen verwischen, die sich jedoch verhärtet und verkrustet zeigen und soziale Ungleichheitsverhältnisse reproduzieren. »Eine solche Entgrenzungsbehauptung verkennt aber nicht nur die Kontinuita¨ t von bestehenden Grenzziehungen, wie sie fu¨ r die professionelle Soziale Arbeit nachweisbar sind, sondern auch die Tatsache, dass viele Grenzen ›nur‹ verlagert oder neu gezogen werden und nicht vo¨ llig verschwinden.« (Kessl/Maurer 2009: 92) Mit Münch lässt sich verdeutlichen, wie »Reflexive Modernisierung« mit dem eigenen Vokabular der zeitdiagnostischen Beschreibungen als Bedeutungszuschreibung beobachteter (auf Deutschland bezogener) Phänomene ihre eigene Theorie erklärt.110 Mit dieser kritischen Betrachtung wird auch angedeutet, wie eine mediale Präsenz diskutierter Zeitdiagnosen von der Popularität in den Stand einer Theorie erhoben wird.111 Offen bleibt dabei die Frage nach den jeweiligen Konstitutionsbedingungen und den darin angelegten und perpetuierten Machtstrukturen. Ulrich Bröcklig stimmt mit der paradoxen Freiheitsinanspruchnahme des Modernisierungsansatzes zwar überein, lenkt jedoch gerade den Fokus auf die Subjektivierungsform der Figur des Individuums der Indivisozialer Beratung haben unterschiedliche Funktionen. Einerseits dienen sie der Selbsterfahrung und Anamnese bzw. Diagnostik, andererseits beeinflussen sie die Möglichkeit der Variationen von Behandlungsmethoden und Interventionstechniken.« (Tiefel 2004: 266) 109 https://dachverband-beratung.de/dokumente/DGfB_Positionspapier_2015_Beratung%20i n%20der%20reflexiven%20Gesellschaft.pdf (30. 04. 2021). 110 Siehe hierzu sozusagen als Antwort darauf: Beck/Lau (2005). 111 Siehe hierzu kritisch auch: Alexander/Smith (1996).
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dualisierung in der reflexiven Moderne mit der Frage, welche Konstitutionsbedingungen und Subjektformen die Individualisierung generieren (vgl. Bröckling 2007: 26). Gerade die zentralen Begriffe Reflexion und Reflexivität verweisen dabei auf ein Individualisierungsnarrativ. Dass es sich bei Individualisierung um eine spezifische Subjektivierungsform handelt und welche machttheoretischen Konsequenzen dies für das Verständnis von und Auswirkung auf Beratung hat, bleibt in den Ansätzen reflexiver Modernisierungstheorie, zumindest in dem oben angeführten Verständnis, unberücksichtigt. ›Reflexivität‹ lässt sich dann aus dieser Perspektive heraus als eine rekursive Denk-Figur verstehen: Der Effekt, der mit dem Paradigmenwechsel zur Reflexivität einhergeht, führt auf die Selbstbeobachtung, auf die Selbstthematisierung zurück: auf das Selbst. Die Problematisierung eines reflexiven Selbstbezugs wird selbst nicht Gegenstand der Auseinandersetzungen. »Das Reflexionsmodell, nach dem Bewusstsein Selbstbewusstsein voraussetzt, in dem das Subjekt also in der paradoxen Position ist, zugleich Subjekt und Objekt seines Erkennens zu sein, stellt eine erkenntnislogisch unhaltbare Rekonstruktion beider dar, des Selbstbewusstseins und des Subjekts.« (Hauskeller, 2000: 7) Die Problematisierungen, die vor allem in kritischer Absetzung zur idealistischen Philosophie, die paradoxe Struktur bedenken, bleiben in den Auseinandersetzungen unterrepräsentiert und ausgeblendet. Vor allem die damit einhergehenden machttheoretischen und gesellschaftspolitischen Aspekte und voraussetzungsvollen Setzungen bleiben dabei unberücksichtigt. Hartmut Winkler, Hannelore Bublitz und Kristin Wenzel weisen auf die Herstellung des ›bürgerlichen Subjekts‹ in der Reflexion hin und stellen mit Bezug auf Derrida und Lacan heraus, dass das Subjekt Effekt seiner eigenen Hervorbringung und damit Reflexion zu einem Automatismus wird: Selbst-Technologie. »Am Ende steht das Bild eines Subjekts, das sich in unendlichen Zyklen selbstproduziert und sich dabei notwendig verfehlt.« (Bublitz/ Kaldrack/Röhle/Zeman 2012) Den Charakter, den Beratung unter den Vorzeichen einer reflexiven Beratung im Kontext des Dachverbands und der weiteren Ausarbeitung von Seel annimmt, rekurriert auf ein emanzipatorisches Engagement, welches sich auf ein Bild des autonomen Subjekts bezieht: »Das klassische Subjekt ist als Ich eine sich selbst transparente, selbstbestimmte Instanz des Erkennens und des – moralischen, interessengeleiteten oder kreativen – Handelns.« (Reckwitz 2008: 8) Damit gehört Beratung als Teil der ›großen Erzählung‹ (Lyotard 2009) der Moderne an, indem Beratung im beschriebenen Sinn die autonomen Potentiale der Subjekte freilegen will und dazu den Ort bereitstellt. Obgleich Anmerkungen zur kritischen Distanz zu diesen Vorstellungen vor allem von Seel geäußert werden und auf das machtvolle Potential von Beratung hingewiesen wird, bleibt das Subjektverständnis und die Möglichkeit, Beratung als Ort von Subjektivierung zu begreifen, in seiner Konsequenz unhinterfragt. Dabei
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wird sich zeigen, dass sich darin eine Form der Selbstführung herausstellen und damit eine politische Rationalität erweisen lässt. Nimmt man den Risikobegriff als eine zentrale Schaltstelle, zeigt sich in einer anderen Lesart des Begriffs ein Bezug zu Regierungstechnologien, die sich auch vor dem Hintergrund des Politischen psychosozialer Beratung betrachten lassen. Mit Beck konnte nachgezeichnet werden, dass prekäre und risikobehaftete Lebenssituationen einen zunehmenden Beratungsbedarf evozieren. Er ging davon aus, dass »es eine empirische Tatsache [sei] […], dass gesellschaftliche Risiken sprunghaft angestiegen seien und sich alle institutionellen Formen ihrer Kalkulation und Kontrolle überhöht haben.« (Lemke 2008: 51) François Ewald führt einen anderen Begriff des Risikos an und betont dabei den Aspekt der Kalkulation. »Ewald zufolge liegen Risiken weniger in der allgemeinen Natur technologischer Bedrohungspotentiale, vielmehr repräsentieren sie eine spezifische Rationalität bzw. sie definieren ein differenzielles Kalkül der Gefahren, das die Unterscheidung von ›gefährdeten‹ und ›gefährlichen‹ Individuen und Klassen erlaubt.« (Lemke 2008: 51) In den Blick kommt dabei ein Aspekt sozialer Steuerung, die sich an »Normalisierung« ausrichtet (vgl. Frankenberger 2007: 195). Ewald verweist dabei gerade auf die damit einhergehenden Sicherungsaktivitäten des »Vorsorgestaates« (1993) die zu seiner Bezeichnung der »Versicherungs-Gesellschaft« führen. Er stellt drei Momente eines Risikobegriffs und dem damit einhergehenden Bezug zur Versicherung heraus. Das Versicherungskalkül setzt dabei auf die ›Produktion‹ von Risiken. Was zählt, ist »versichern, was als unversicherbar gilt – und damit unregierbar« (Lemke 2008: 52). Im Fokus stehen weiter die konkreten Formen und Ausdrucksweisen des Risikos, die es gilt als konkrete Praktiken des Regierens zu dechiffrieren (vgl. Lemke 2008: 52). Und schließlich beinhalte das Versicherungskalkül finanzielle, moralische und juridische Techniken, die zu einer sozialen Verhaltenssteuerung beitragen. »Diese drei Momente zusammen machen die Versicherung für Ewald zu einer politischen Rationalität.« (Lemke 2008: 52) Ewald bemüht sich in seinen Auseinandersetzung um eine Fortführung Foucaults’ Biopolitik- und Gouvernementalitätsverständnisses und denkt seinen Regierungsbegriff weiter.112 Beratungsanlässe mit diesem Verständnis von Risiko zu betrachten, zeigt die biopolitische Rationalität in Verbindung zu sozialpolitischen Themengebieten psychosozialer Beratung auf, die in Zusammenhang zu politischen Rationalitäten und damit Regierungsweisen stehen.113
112 In einem »Reader« versammeln Folkers und Lemke (2014) die Diskussion und den Diskurs um die gleichnamige »Biopolitik«. 113 Siehe hierzu etwa die Auseinandersetzung um eine genetische Beratung. Exemplarisch: Klein (2014).
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Im Nachgang reflexiver Modernisierung lassen sich wie oben beschrieben Nebenfolgen als Konvergenzpunkt bezeichnen, durch den Beratung als Institution eine zentrale Funktion als ›Ort der Reflexion der Reflexion‹ erhält. Auch systemtheoretisch lassen sich Nebenfolgen transformatorischer Modernisierungsprozesse begreifen, die allerdings weniger im reflexiven Potential auf Individualisierung angelegter Handlungsfolgen als vielmehr vor diesem theoretischen Hintergrund in der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaft verortet werden.
5.2. Systemtheoretische Ansätze Mit der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme im Zuge der Umstellung stratifikatorischer hin zu funktionaler Gesellschaft, fungiert Beratung vor dem Hintergrund systemtheoretischer Perspektive114 als Herstellungsort von Anschlussfähigkeit der Systeme Soziales und Psyche. Aus dem Jargon der Biologie kommend, lässt sich ein System als eine Einheit verstehen, die sich durch spezifische Strukturen und Funktionen auszeichnend. Ein jeweiliges Funktionssystem grenzt sich dabei von der Umwelt ab und definiert sich über diese Differenzierung. »Systeme entstehen durch Operationen eines bestimmten Typs, nämlich durch Prozesse, die Unterscheidungen vernähen (d. h. die selektiv sind) und damit an andere Operationen desselben Typs anschließen« (Großmaß 2000: 84) Großmaß stellt die für psychosoziale Beratung bedeutsamen Systeme Soziales und Psychisches heraus, die in unterschiedlichen Medien agieren. Mit der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung haben sich auch die Systeme Soziales und Psychisches als unterschiedliche Systeme ausdifferenziert, stehen in einem Verhältnis zueinander und beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Großmaß 2000: 120). »Die Differenz der für unseren Zusammenhang wichtigen Systeme ist durch die Medien Kommunikation/Bewusstsein bestimmt: soziale Systeme produzieren Kommunikation, psychische Bewußtsein.« (Großmaß 2000: 84f.) Psychosoziale Beratung bietet so verstanden Orientierungsmöglichkeiten in Form von Anschlussoptionen für gelingende Kommunikation, die die reibungslose Kopplung der Funktionssysteme wiederherstellen soll. Die funktionale Differenzierung führt dazu, dass das Individuum vormals einen festen Platz in der stratifikatorischen Ordnung inne hatte und den mit der Ausdifferenzierung nicht mehr hat. Für die Kopplung der ausdifferenzierten Systeme muss das Ich eine Identität herausbilden (vgl. Duttweiler 2007: 52). Mit der Differenzierung des psychischen Bewusstseins aus sozialer Kommunikation geht die Zugehörigkeit zum Sozialen Gefüge verloren. Die Transformati114 Systemtheorie wird sich im Folgenden auf die Arbeiten Niklas Luhmanns beziehen.
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onsprozesse der Funktionsbereiche bringen Inklusionen aber auch Exklusionen von Individuen hervor. »Die Dynamik der Individualisierung, die Vervielfältigung von Beobachtungsperspektiven, die Delegitimierung von Letztbegründungen und die Vermehrung von Wissen evozieren Verunsicherung, die auf Seiten der Individuen als Ratlosigkeit durchschlagen.« (Duttweiler 2007: 47) Beratung wird dabei zu einer zentralen Form der Verunsicherungsbewältigung. »Polykontexturalität« (Fuchs 2004: 242) lässt kontingente Interpretationen und damit verschiedenen Beobachterpositionen zu. Dadurch liegt jedoch kein einheitliches Interpretationsmuster mehr vor. Vermehrt wird nach Orientierung in Entscheidungsprozessen gesucht (vgl. Duttweiler 2007: 53). Ausgehend von der Semantik von Rat und Tat stellen Fuchs und Mahler die gesellschaftliche Funktion von Beratung heraus, beschleunigte Kommunikationsprozesse zu verlangsamen, um damit auch Entscheidungsprozesse zu ermöglichen. (vgl. Fuchs/Mahler 2000; Großmaß 2006: 490) Beratung modalisiert Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gewährleistet damit Anschlussfähigkeiten für zukünftiges Handeln (vgl. Großmaß 2006: 490). Psychosoziale Beratung leistet Vermittlungsarbeit an den Grenzen der Funktionssysteme Psyche und Soziales, deren Zusammenspiel durch psychosoziale Problemlagen irritiert werden kann (vgl. Großmaß 2006: 492).115 »Beratung kann als ein soziales System verstanden werden, dessen inklusionsfördernde Funktion darin besteht, Spannungen und Kommunikationsbrüche […] wieder in Kommunikation zu verwandeln.« (Großmaß 2006: 493, Hervorhebung im Original) Die systemtheoretische Frageperspektive richtet sich dabei auf die Funktionsweise eines Systems: Es geht um die Frage, wie die Funktionalität eines Systems sicher- und hergestellt werden kann. Psychische Systeme reduzieren Komplexität, um mit unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten Entscheidungen treffen zu können. (Sickendiek/Engel/Nestmann 1999: 181). Dies geschieht durch Erwartungen, die an die soziale Umwelt gestellt werden, die ein binäres Schema ›erfüllt/unerfüllt‹ aufrufen. Ansprüche lassen sich dabei als Erwartungen mit einer verstärkten Selbstbindung verstehen (vgl. Großmaß 2000: 96). Werden Ansprüchen mit deren Erwartungen enttäuscht, kann nicht mehr nach ›trifft zu/ trifft nicht zu‹ unterschieden werden. »So bleibt unentscheidbar, an welche Vorstellung anschließend das psychische System weiteroperieren kann.« (Großmaß 2000: 97) Das psychische System wird dadurch irritiert. Nach Luhmann sorgen Gefühle dafür, dass 115 Gerade die Funktion der Vermittlungsleistung an den Systemgrenzen führt dazu, dass sich in den Bereichen Familienarbeit und Organisationsberatung systemisch informierte Ansätze großer Nachfrage erfreuen. Siehe hierzu paradigmatisch herausgebildet die systemischen Methoden mit Bezug auf: Schlippe, von/Schweitzer (2019a) Für die Arbeit mit Familien Schlippe, von (2019b) und schließlich für den Bereich Organisationsberatung R. Wimmer (1992).
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das psychische System in der Irritation weiter operieren kann und damit die Funktionsfähigkeit des Systems sichergestellt wird (vgl. Großmaß 2000: 98). »Alle Gefühle, gleich welchen Ursprungs sie sind, haben für das psychische System dieselbe Funktion: sie wenden eine Gefährdung der Autropoieses des Bewußtseins ab.« (Großmaß 2000: 99) Psychosoziale Beratungseinrichtungen operieren an den Grenzen der beiden Systeme, um die Kommunikationsfähigkeit der Systems Soziales und irritiertes System Psyche wiederherzustellen. »Beratung verwandelt Störungen der Kommunikation, die in der Umwelt von Funktionssystemen auftreten, bzw. bei Personen zu psychischen Verarbeitungsproblemen führen, wieder in Kommunikation« (Großmaß 2000: 494). Die Systeme bilden dabei die Erwartung selbst aus, die an das Individuum zur Herausbildung seiner Identität gestellt werden. »Individualität ist somit gerade kein vollständig determiniertes Produkt der Gesellschaft: Einzigartigkeit, Selbstbestimmung und Autonomie sind auch notwendige Bedingungen einer funktional differenzierten Gesellschaft.« (Duttweiler 2007: 52) Duttweiler setzt dahingehend in ihrer Arbeit »Sein Glück machen« (2007) an den von jeweiligen Systemen geforderten Ansprüchen an und versteht dies als Machtwirkungen im Anschluss an Foucault. Das bedeutet jedoch für die Perspektive systemtheoretisch informierter Vorstellungen von Beratung, dass die Thematisierung von Machtwirkungen innerhalb der Theorie und damit in Bezug auf Beratung selbst nicht zum Gegenstand wird.116 Was hierbei gerade kein Gegenstand der Auseinandersetzung ist, sind die Kräftefelder, die auf Beratung selbst einwirken, wenn es um die Anforderung von Funktionssysteme geht. Institutionalisierte Beratung als soziales System operiert mit drei unterschiedlichen Typen von Umwelt: psychische Systeme, Trägerorganisation und Lebenswelt als strukturloses Umgebung (vgl. Großmaß 2006: 491). Lebenswelt lässt sich dabei als Verschränkung verschiedener Funktionssysteme verstehen, die Großmaß am Beispiel der Studienberatung benennt als Wissenschaft, Erziehung, Politik. Großmaß bemerkt: »Unbefriedigend bleibt auch, daß Politik […] die ja z. B. in der Vorgeschichte von Beratung eine wichtige Rolle spielte) zwar als Kommunikation benannt werden kann, in ihrer Verknüpfung mit den Bedürfnissen der handelnden Personen aber faktisch außen vor bleibt.« (Großmaß 2000: 151) Bleibt die Theorieperspektive auf die Anschlussfähigkeit des Funktionssystems Politik bezogen, kommt gerade durch die theoretische Ver116 Zum Machtbegriff von Foucault und Luhmann siehe Bublitz (2003a). Obgleich der Systemtheorie »Herrschaftsblindheit« attestiert wurde, bedeutetet das nicht, dass Macht kein Thema von Systemtheorie darstellt. Siehe dazu Luhmann (1972). Für diesen Zusammenhang ist jedoch wesentlich, dass mit einer systemtheoretischen Perspektive auf psychosoziale Beratung gerade der Machtaspekt und damit einhergehend die Dimension des Politischen keine eigene Auseinandersetzung geführt wird. Siehe zum kritischen Potential der Systemtheorie exemplarisch Möller/Siri (2016).
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ortung die eigene politische Verstrickung nicht ins Blickfeld. »In Bezug auf die Stellen, an denen das System ›Beratung‹ in seine Umwelt(en) eingebunden ist, liefert der systemtheoretische Ansatz allerdings nur unbefriedigende Beschreibungen, da sie nur entweder allgemein über strukturelle Kopplungen und Selektivitätsgrade benannt oder durch Einzelanalysen von Kommunkikationsereignissen im Detail erfaßt werden können.« (Großmaß 2000: 155) Wie genau Beratung in die Struktur von Trägern eingebunden ist, kann vor diesem Hintergrund nicht geklärt werden: »Die Aspekte der Macht sowie die Konflikte und Kämpfe, aus denen Beratung hervorgeht und die durch Beratung stillgestellt werden, bleiben in einer solchen Beschreibung verdeckt.« (Großmaß 2000: 155) Fragt die Systemtheorie in einem eher technischen Sinn nach dem Wie des Funktionierens und Systemerhaltes, bleibt gerade wegen der Neutralität der Perspektive auf die Ansprüche der Funktionssysteme die damit einhergehenden machtsensiblen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen außen vor. Eine machtkritische Befragung der Reproduktion von Systemansprüchen gehört dann nicht mehr selbst zur Theorie, wie sich mit Duttweiler verdeutlichen lässt.117 »Systemtheorie kann zwar jede kommunikative oder psychische Operation als solche beschreiben und Wahrscheinlichkeiten des Anschließend weiterer Operationen angeben, sie bleibt jedoch den Themen und Inhalten dieser Operationen gegenüber neutral/gleichgültig.« (Großmaß 2000: 150) Die geforderte Neutralität der Berater_innen (vgl. Brunner 2004: 658), die die Beobachterposition der Beratenden ja fordert und systemtheoretisch begründet ist, kann dann, wie Denise Bergold-Caldwell und Jasmin Scholle (2013) aber auch Heidrun Schulze sowie Gertrud Perko (2018) und andere im Rahmen diskriminierungskritischer Beratung unterstreichen, zu einer Reproduktion sozialer Ungleichheit in Beratungszusammenhängen führen. Wie diese Kopplung im Rahmen von Beratung angemessen zu thematisieren ist, lässt sich systemtheoretisch nicht mehr aussagen, denn über die Funktionsweise hinaus macht diese theoretische Verortung – sozusagen – theorieimmanent keine Aussagen. Zeigt sich in den Ansätzen reflexive Modernisierung und Systemtheorie die Ebene des Politischen nicht zur Genüge abgebildet, lässt sich mit Bourdieu psychosoziale Beratung eingebunden in Kräftefelder sowie Macht und Verteilungskämpfen thematisieren, die sich auf das jeweilige soziale Feld beziehen. Mit Bourdieu lassen sich die unterschiedlichen Perspektiven: Akteure als Ratsuchende, Institution der Beratungsstelle sowie das jeweilige soziale Feld, in dem sich eine bestimmte Form Beratung etabliert, fokussieren.
117 Beratung erscheint dann nicht nur nicht »unschuldig« im Hinblick auf die verharmlosende Form, Entscheidung unter »magischem« Zugzwang zu stellen, wie Fuchs (2004) in »Die magische Welt der Beratung« betont.
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5.3. Beratung als Habitus-Feld-Analyse Bourdieu beschreibt gesellschaftliche Felder, die sich auch als eigenständige Systeme verstehen lassen, die eigenständigen Funktionen und ›Spielregeln‹ besitzen sowie durch den Einsatz unterschiedlichen Kapitals geregelt sind (vgl. Bourdieu/Wacquant 2006). Aus der Dynamik eines sozialen Feldes können verschiedene Formen von Beratung hervorgehen. »Verkaufsberatung, Ausbildungsberatung und Unternehmensberatung sind Produkte der Dynamik des ökonomischen Feldes und in ihrem Arbeitsauftrag auch auf dieses Feld bezogen.« (Großmaß 2000: 169) Großmaß verweist darauf, dass psychosoziale Beratung den Dynamiken des politischen Feldes zuzuordnen und auch von diesen Bezügen abhängig sei (vgl. (Großmaß 2000: 169). Was bei Bourdieu damit in den Blick kommt, sind die Kräftefelder des sozialen Feldes, deren Ressourcenverteilung als Kapital und die jeweiligen verinnerlichten sozialen Strukturen über den Habitus (vgl. Großmaß 2000: 154). »Die Relationen eines sozialen Feldes sind spannungsreich, es ist Macht im Spiel (durch Verfügen über Ressourcen/Kapital); und die Akteure des Feldes versuchen durch Besetzen von Positionen und Nutzen der in ihren steckenden Möglichkeiten individuelle Interessen und Gruppeninteressen zu verwirklichen.« (Großmaß 2000: 157) Für die Beratung wird dann relevant, wie Kräfteverhältnisse in einem sozialen Feld hierarchisch geordnet und bewertet werden und welche Macht und welcher Einfluss in Strukturen und Akteuren vorhanden sind (vgl. Großmaß 2006: 495). »Die beiden zentralen Beschreibungskategorien, Kapital und Habitus, werden sowohl benutzt, um einzelne Felder zu charakterisieren, als auch um die Ausstattung und die Position individueller Akteure deutlich zu machen.« (Großmaß 2006: 495) Mit Bourdieu kann das Zustandekommen eines Angebots bestimmter Beratung nachvollziehbar erklärt werden. Denn die Etablierung eines spezifischen Angebots ist Resultat politischer Entscheidungskämpfe (vgl. Großmaß 2000: 171). Die Entscheidungen orientieren sich daran, welche günstige Position ein jeweiliges Angebot den Akteuren im Feld verspricht: »Eine Neubeschreibung konflikthafter Sachverhalte hat immer dann die Chance, aufgegriffen zu werden und sich zu verbreiten, wenn dies die situativen Interessen der beteiligten Akteure befo¨ rdert und zugleich deren Position im Feld fu¨ r die Zukunft sta¨rkt, verbessert oder zumindest nicht verschlechtert – wenn sie als Kapital fungiert.« (Großmaß 2006: 499) Die Einrichtung von Beratungsangeboten ist dabei nicht allein vom inhaltlichen Engagement der Beratungsstelle abhängig, sondern vielmehr den jeweiligen Kräftefeldern ausgesetzt. Allerdings kann sich auch die eigene Beratungsarbeit als soziales Kapital erweisen, was im Feld eingesetzt werden kann, um bestehende Angebote zu erhalten, auszubauen und um die eigene Stellung zu behaupten (vgl. Großmaß 2006: 496). Beratung ist so immer Teil seines sozialen Feldes mit der Frage, wie Akteure der Einrichtung den
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Spielraum im Sozialen Feld nutzen (vgl. Großmaß 2000 178). Beratungskommunikation wird transformiert, erlangt so einen diskursiven Überschuss und wird in ein anderes Feld übertragen. »Ob damit gesellschaftlich relevante Prozesse beeinflusst/beliefert werden, la¨sst sich nicht mehr vom Ausgangspunkt der Beratungspraxis/des fachlichen Diskurses her erfassen […].« (Großmaß 2006: 500) Inhaltlich lässt sich Beratung aus der Perspektive von Bourdieu als Analyse individueller Situation und Positionierung im Feld sowie der Arbeit am Habitus verstehen (vgl. Großmaß 2000: 173). »Hier ist die Perspektive Bourdieus dadurch produktiv, daß die auf diese Weise zum Thema werdenden Erlebnisse und Erfahrungen der Subjekte direkt auf die Feldbedingungen bezogen werden können.« (Großmaß 2000: 173) Habitusreflexive Beratungsarbeit lässt sich dann als Bewusstmachung von Spielregeln und Interventionen im Feld verstehen (vgl. Großmaß 2000: 175). An dieser Stelle lässt sich der Faden aus Kapitel 4.1. wieder aufnehmen, in dem Kurbacher den Haltungsbegriff in Bezug auf den Habitus in Abgrenzung zu einer aristotelische Tradition des Begriffs hexis herausstellt. Sie stellt das Moment freiheitlicher Wahlmöglichkeit einer auf den Hexisbegriff rekurrierenden Haltung gegenüber dem Habitus heraus, der – aus einer soziologischen Perspektive – stärker reglementierenden, zügelnden und strukturierenden Charakter aufweise. Es lässt sich als eine wesentliche Errungenschaft des Habitus-Konzepts nach Bourdieu ansehen, die Ebenen von Struktur und Handlung miteinander zu verknüpfen und damit die Perspektive von Praxeologie zu etablieren. Denn der Habitus118 lässt sich als Inkorporierung sozialer Ordnungen und deren Reproduktion verstehen. Hierzu eine vielzitierte Passage aus Bourdieus ›Die feinen Unterschiede‹ (1987: 279): »Der Habitus ist nicht nur strukturierende, die Praxis wie deren Wahrnehmung organisierende Struktur, sondern auch strukturiertes Prinzip: das Prinzip der Teilung in logische Klassen, das der Wahrnehmung der sozialen Welt zugrunde liegt, ist seinerseits Produkt der Verinnerlichung der Teilung in soziale Klassen.« Zeichnet sich gerade Bourdieus Habituskonzept als eine Brücke zwischen Determinismus und Volition aus, bleibt jedoch innerhalb des Konzepts gerade offen und umstritten, wie die inkorporierten sozialen Strukturen Gestaltungsspielräume auch für eine Eigendistanzierung ermöglichen (können) und darin bereithalten (vgl. Bedorf 2015: 133).119 Die mit der Habitusanalyse reflektierten Aspekte erweisen sich in dieser Lesart als ›anamnestische Feststellungen‹, deren veränderbarer Status ungeklärt bleibt. Obgleich Sonderegger auf die Bedeutung des Habitus Konzepts mit sei118 Bourdieu rekurriert hierbei auf Erwin Panofskys Habituskonzept (1989) und lässt damit ästhetisch- architektonische Bezüge anklingen, wie sie für Bourdieu gerade hinsichtlich des Geschmacks und »die feinen Unterschiede« (1987) bedeutsam wird. 119 Bedorf (2015) weist auf die Leib-Körper Differenz hin, durch die sich ein Spalt zeige, der auch widerständiges Potential aufzeige.
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nem Dualismus überwindenden Potential und vor allem Einbezug körperlicher Dimension aufmerksam macht, fasst sie wesentliche Kritikpunkte an Bourdieus Habitus-Theorie zusammen (Sonderegger 2010: 22ff.). Neben dem oben bereits erwähnten Aspekt von Gestaltungsspielraums und Persistenz des Habitus’, lässt sich die Frage nach der Unterscheidung von Beobachter- und Teilnehmerperspektive stellen sowie darüber hinaus anführen, dass Bourdieu in der Ausrichtung seiner Forschung am Durchschnitt dabei gerade ein widerständiges Potential marginalisierte (vgl. Sonderegger 2010: 27).120 Betrachtet man die oben angeführten kritischen Punkte, so zeigt sich, dass sich die Auseinandersetzungen um die Frage nach dem Status von Handlungsspielraum drehen, also jenen Aspekt betreffen, der sich konstitutiv für Beratung erweist. Mit dem Bezug zur reflexiven Modernisierungstheorie konnte ein »Individualisierungsnarrativ« (Reckwitz 2012: 13)121 ausgemacht werden, welches sich durchaus mit den Vorstellungen einer an Systemtheorie informierten Ansatzes Beratung zu denken, anschließen lässt. Dabei wurde gerade herausgestellt, dass eine machttheoretische Perspektive selbst nicht hinterfragt wird, denn die Konstitutionsbedingungen einer Figur der Individualisierung als Subjektivierung werden vorausgesetzt. Lässt sich Beratung systemtheoretisch fundieren, geht es darum, durch theorieimmanente Neutralität gerade die Reflexion der Erwartungserwartungen auszublenden. Zeigt sich nun mit Bourdieus HabitusKonzept, wie soziale Ordnungen und Strukturen in einer macht- und herrschaftskritischen Perspektive adaptiert, aufgenommen und gleichzeitig als Aufführungspraxis einzuordnen sind, bleibt es unklar, wie emanzipatorische Aspekte im Rahmen dieses Ansatzes für die Beratung stark gemacht werden können, ohne den theoretischen Rahmen zu verlassen.122 Mit jeder der vorgestellten theoretischen Ansätze lässt sich jeweils ein Aspekt der Transformation moderner 120 Sonderegger führt im Rahmen dieser Auseinandersetzung Rancières und dessen kritischen Distanznahme zu Bourdieus Habitus- Konzept an. Seine Forschung richtet sich hingehen an widerständen Beispiel aus, um darin ein emanzipatorisches Potential zu veranschaulichen (vgl. Sonderegger 2010: 28f.). 121 »Das Individualisierungsnarrativ, das in den 1980er Jahren in den Arbeiten von Ulrich Beck eine pointierte Form erfährt aber letztlich bis zu Durckheims Diagnose eines ›culte de l’individu‹ zurückreicht und in anderer Weise in Niklas Luhmanns Platzierung des autopoetischen modernen Individuums ›in der Umwelt‹ der differenzierten sozialen Systeme eingeht, steht letztlich in der Tradition der genannten liberalen Sichtweise, welche das subjectum als eine Instanz der autonomen Selbstregierung annimmt, die – mit allen Chancen der Autonomie und Risiken der Vereinzelung – aus dem Kollektivismus traditioneller Bindung freigesetzt werde.« (Reckwitz 2012: 13, Hervorhebung im Original) 122 Florian von Rosenberg (2011) setzt sich mit den Möglichkeiten einer Habitustransformation auseinander und denkt diese weiter. Er greift dabei wesentliche Kritikpunkte des Habituskonzepts auf. Dabei stellt von Rosenberg die Aspekte Mehrdimensionalität, Iterabilität sowie Inkongruenz zwischen Habitus und Feld heraus und knüpft damit an andere Konzepte an (vgl. Rosenberg 2011: 76).
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Gesellschaft und damit auch verschiedene Aspekte psychosozialer Beratung unterschiedlich veranschaulichen. Offen bleibt dabei jedoch gerade jener Aspekt, der sich oben herausstellen ließ: Das Changieren zwischen Emanzipativem und Persistentem, zwischen Handlungsfähigkeit und Strukturdeterminismus, zwischen Macht und Freiheit. Darin wird eine Ambivalenz erkennbar, die sich dem Format psychosozialer Beratung einschreibt.
5.4. Ambivalenz beraterischen Handelns Betrachtet man aus einer soziohistorischen Perspektive die Entwicklung professioneller psychosozialer Beratung, zeigt sich eine Ambivalenz zwischen den Ansprüchen sozialer Bewegung auf Ebene individueller Einzelfallhilfe einerseits und staatlicher Institutionalisierung von Beratung mit Normierungs- und Anpassungscharakter andererseits. Die Entwicklung professioneller Beratung, so lässt sich sagen, ist in konflikthaften Prozessen und Auseinandersetzungen entstanden (vgl. Großmaß 2000: 81). Psychosoziale Beratung lässt sich dann in Anlehnung an Susanne Maurer auch verstehen als »offenes Archiv gesellschaftlicher Konflikte« (Maurer 2009). Für die pädagogische Beratung konstatiert Gröning: »Die Geschichte der pädagogischen Beratung ist keine Geschichte der Durchsetzung des hermeneutischen Verstehens in der Pädagogik und der Überwindung autoritärer Strukturen. Vielmehr hat sie sich äußerst polarisiert entwickelt. Demokratischen Bewegungen und ihren Angeboten standen Beratungsverständnisse mit deutlichem Ordnungscharakter, mit ideologischem Hintergrund und ausgeprägten Professionalisierungsinteressen insbesondere von Ärzten und später von der aufsteigenden Profession Psychologie gegenüber.« (Gröning 2011: 21)
Ehe-, Sexual- und Erziehungsberatung etablierten sich dabei unter anderem vor dem Hintergrund eines rassenhygienischen Diskurses am Beginn des 20. Jahrhunderts. (vgl. Gröning 2015: 22f.) Beratung avanciert dabei zu einer gesellschaftlichen und eben auch politischen Ordnungsinstanz (Bauman 2016). Vor allem zu Beginn der Institutionalisierung um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts lässt sich ein Interesse der Politik ausmachen, die sich über dieses Format Lenkung und Steuerung verspricht.(vgl. Großmaß 2006: 501) »Beratungseinrichtungen entstehen in historischen Phasen, in denen Vera¨ nderungen in den Machtverha¨ ltnissen der westlichen Gesellschaften stattfinden, die durch Emanzipation und den damit verbundenen Verschiebungen der sozialen Anforderungen hin zum individuellen Subjekt gekennzeichnet sind.« (Großmaß 2006: 501) Dabei zeigen sich dominierende Vorstellungen der Lebensführung, die über Beratung an das Individuum herangetragen werden. »Die Orientierung von
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Beratung am individuellen psychischen Prozess ist ein Novum.« (Großmaß 2006: 501) Dabei wird auf Wissensbestände der sich etablierenden Wissenschaftsdisziplinen vor allem Soziologie und Psychologie sowie auf psychotherapeutische vor allem psychoanalytische Verfahren zurückgegriffen (vgl. Großmaß 2006: 501). Andererseits wäre die Entwicklung professioneller institutionalisierter Beratung ohne die demokratischen und emanzipatorischen Bewegungen, die sie vorangetrieben haben, nicht erklärbar (vgl. Gröning 2011: 27). Sowohl die Entwicklung in der Weimarer Republik als auch die Professionalisierungs- und Institutionalisierungsprozesse ab den 60er Jahren machen die Gestaltungskraft politischer Gruppierungen deutlich. »In beiden Fällen gehen die Impulse von eher linken Positionen aus, die Beratungsidee wird dann jedoch auch von konservativen Kräften (in den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden) aufgegriffen und gestaltet.« (Großmaß 1997: 122) Von den historischen Wurzeln aus gesehen bleibt Beratung einem emanzipatorischen Ideal verpflichtet und ist heute als erfolgreiche Interventionsform im Bereich Erziehung und Bildung in der psychosozialen Versorgung fest etabliert. Strukturell ist sie heute ausdifferenzierter und stärker politisch-institutionell eingebunden. Ist Beratung institutionell verankert, kann sie auch zu einem Instrument von Regelungsmacht werden. Denn die Organisation der Beratungseinrichtung betrifft die Auswahl und Zusammenstellung bestimmter Informationen, die weitergegeben werden, personelle Ressourcenverteilung, Mittelzuweisung oder auch die Formulierung eines spezifischen institutionellen Auftrags (vgl. Großmaß 2000: 78). »Der personenbezogene Auftrag bleibt jedoch bestehen, und so bleibt auch die Beratungsarbeit (im unmittelbaren Kontakt mit ihrer Klientel) den Ansprüchen und Bedürfnissen derer verpflichtet, die sich ›Rat suchend‹ an sie wenden.» (Großmaß 2000: 79) Darin wird eine paradoxe Aufgabe an Berater_innen gestellt: »Sie soll – so der explizite Auftrag – auf Defizite des psychosozialen Lebensprozesses antworten, indem sie professionelle Kommunikation anbietet, ein Angebot allerdings, das allein von der Größenordnung her nur von einer Auswahl von Personen genutzt werden kann. Eine Beratungseinrichtung soll außerdem – so der durch die Institutionalisierung erfolgte implizite Auftrag – die Kommunikation über die Konflikte des sozialen Feldes, dem sie zugeordnet ist, zum Verschwinden bringen oder in einer Form organisieren, die für die Institutions- bzw. Verwaltungsseite des Feldes störungsfrei ist.« (Großmaß 2000: 79)
Damit eröffnet sich eine Arena, in der politische Machtkämpfe ausgefochten werden. Beratungsstellen erscheinen damit als ein Ort, an dem gesellschaftliche Konflikte von der politischen Eben auf eine institutionelle Ebene verschoben werden (vgl. Großmaß 2000: 79). »Der Konflikt zwischen individueller Hilfe-
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stellung in Orientierungsfragen und der gesellschaftspolitische Anspruch an eine bestimmte Problemlösung liegt jeder psychosozialen Beratung zu Grunde.« (Großmaß 2004a: 489) Darin zeigt sich eine »Dialektik von sozialer Integration und sozialer Kontrolle« (Nestmann/Sickendiek 2002: 168). Unabhängig von den Möglichkeiten professioneller Gestaltungsmöglichkeiten ist es schließlich die Festlegung des Handlungsspielraums durch die Institution selbst. Darin spiegeln sich immer auch politische Entscheidungen wider (vgl. Großmaß 2004a: 490). Mit der zunehmenden Institutionalisierung verpflichtet sich Beratung somit auch zu anderen Aufgaben, Ansprüchen und Begründungszusammenhängen, die mit der Einbindung in ein strukturelles Gefüge gesellschaftspolitischer Orientierung einhergehen. Die dargestellten Ambivalenzen, die sich in die Soziohistorie psychosozialer Beratung einschreiben, lassen sich mit den angeführten sozialwissenschaftlichen Theorieentwürfen nicht plausibel nachzeichnen. Zwar wird ein Orientierungsbedarf als Ratlosigkeit deklariert und innerhalb der oben skizzierten Ansätze dargelegt, weshalb sich aber gerade Beratung als Format bewährt, bleibt offen. In allen Ansätzen wird Beratung als Lösungsformat für Orientierungsproblemen im Zuge von gesellschaftlichen Transformationsprozessen unhinterfragt vorausgesetzt. Was sich darin widerspiegelt, lässt sich als ein (historisches) Apriori beraterischen Handelns deklarieren und gründet sich in einer unhinterfragten Voraussetzung von Freiheit – oder weniger pathetisch ausgedrückt: der Selbstständigkeit von Personen (vgl. Großmaß 1997: 113). Beratung versteht sich mit der Gegenüberstellung von Freiheit und Macht als Emanzipationsvehikel und rekurriert auf klassische Subjektvorstellungen.123 »Dieses Verständnis von transparenter, souveräner, autonomer und kreativer Subjektivität setzt mit den großen Erzählungen der Moderne ein, speziell an einem bestimmten Verständnis der Moderne als Formation, welche die Emanzipation des Subjekts, die Entbindung der im Subjekt angelegten Potentialen der Autonomie und Souveränität betreibt.« (Sattler 2009: 9) Was dabei aus dem Blick gerät, ist die eigene Verstrickung in Machtverhältnisse. Die These ist, dass Beratung als Phänomen der Moderne konstitutiv eine Ambivalenz eingeschrieben ist, die sich mit Foucault 123 Betrachtet man Ratgeben in seiner Geschichte, so lässt sich »Beratung als soziale Praxis der Freiheit« nachzeichnen. Je nachdem in welchem historischen Kontext Mitgliedern einer Gesellschaft ein Mehr an freiheitlicher Wahlmöglichkeit zugestanden wird, desto prominenter wird das Format Beratung. So zeigt sich etwa in der Antike das Ratgeben eingespannt in Mantik (z. B. in Form der Orakelsprüche) und Weisheit (z. B. mit dem sokratischen Dialog). Im Mittelalter verschwindet das Moment des Ratgebens und erweist sich als supererogative Handlung zwischen praecepta und consilia in Verbindung mit den (Kardinal-) Tugenden. Was zählt, ist im Ratschluss den Willen Gottes zu treffen. Die Moderne schließlich knüpft an Autonomie der Subjekte an und sieht dann im Ausgang der Aufklärung gerade wesentliche Wertmaßstäbe realisiert. Zur geschichtlichen Einordnung des Ratgebens siehe: Steiner (2015), Mahler (1999), Machno (2010), Buchheim (1992), Wandhoff (2016).
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im Konnex von Freiheit und Macht fassen lässt – im Gebrauch der eigenen Freiheit.124 Darin wird deutlich, dass die Ambivalenz nicht als unerwünschte Nebenfolgen zu begreifen ist, sondern eine konstitutive Bedingungsmöglichkeit der Moderne darstellt, wie es etwa Bauman in »Dialektik der Ordnung« (1992) herausarbeitet. In der Auseinandersetzung mit dem Haltungsbegriff im Diskurs um psychosoziale Beratung wurde eine identitätslogische Figur in Korrespondenz mit einem Subjektbild deutlich, welches auf ein klassisches Verständnis von Autonomie und Souveränität rekurriert.125 In Bezug auf die Ebene des Ethischen konnte mit Levinas unter anderem durch die responsive Struktur eine Dezentrierung des Subjekts durch den Anspruch Anderer verdeutlicht werden, die gerade erst in die Verantwortung als Antwort auf den Anspruch in die Autonomie gesetzt wird. Bezieht sich das kritische Absetzen von der klassischen Figur des Subjekts auf eine (zeitlich vorrangige, dezentrierenden) absolute Andersheit, zeigen sich mit dem Fokus auf soziale Andersheit auf der Ebene des Politischen verschiedene Aspekte einer kritischen Distanznahme zu klassischen Vorstellungen, die sich gegenüber anderen, sie ausgrenzenden Positionen (gewaltsam) 126 behaupten. Herausgestellt wird dabei vor allem seitens feministischer, rassismuskritischer sowie postkolonialer (auch intersektionaler) Argumentationslinien ein mit dem Subjektverständnis einhergehender Eurozentrismus, der von patriarchalen Strukturen geprägt ist. »Das autonome Subjekt, das frei und rational Entscheidungen trifft, ist die phantasmatische Figur des (bürgerlichen, weißen heterosexuellen) Mannes, der als solcher von allen geistigen und körperlichen Abhängigkeiten befreit ist und dauernden Anspruch erhebt, selbstbestimmt auf der Basis innerer Relevanzstrukturen vernünftig handeln zu können.« (Meißner 2010: 9f.)127 Was in den kritischen Auseinandersetzungen in den Blick kommt ist, dass es sich dabei gerade nicht um essentialistische und damit naturalisierte Privilegien handelt, sondern gerade die Konstitutionsbedingungen
124 Das Argument, dass manche Situationen und Settings dann gerade keine Beratung seien, lässt sich vor dem Hintergrund der Ambivalenz schwerlich halten. 125 Reckwitz konstatiert: »Die klassische Subjektphilosophie der frühen Moderne von 1600 bis 1800, die sich aus diesen drei Zweigen zusammensetzt, beruht auf unterschiedlichen Variationen der gleichen Grundannahme: der einer Autonomie des Subjekts.« (Reckwitz 2008: 12, Hervorhebung im Original) 126 Die Kolonialgeschichte etwa verdeutlicht den Gewaltaspekt. Siehe zur Veranschaulichung des Gewaltaspekts im Rahmen einer Kolonialgeschichte: Dabag/Gründer/Ketelsen (2004). Spivak (2008) weist dahingehend auf epistemologische Gewalt hin. 127 Meißner (2010) fragt nach dem Zugang zur Analyse von Handlungsfähigkeit »jenseits des autonomen Subjekts« und verbindet die Perspektiven von Butler, Foucault und Marx miteinander.
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des Subjekts selbst dabei ausgeblendet sind.128 Stuart Hall (1994) stellt neben der von ihm herausgearbeiteten Perspektive des Postkolonialismus’ Aspekte heraus, die zu einer Dezentrierung des Subjekts geführt haben: Neben dem Marxismus, der Psychoanalyse nach Freud sowie den Sprachwissenschaften etwa nach de Saussure, führt Hall dabei die Arbeiten Foucaults an, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet zu haben (Supik 2015: 17ff.). Mit Foucault lässt sich schließlich nach den Bedingungen der Subjektkonstitutionen fragen: »Foucaults genealogische Perspektive betont dagegen [gegenüber essentialistischen Argumentationslinien, JCW], daß die Sprache und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sich schon vor und unabhängig von konkreten Subjekten entwickeln, und deren konkrete Lebensweise prägt.« (Hauskeller 2000: 13f.) Mit Foucault sollen im Folgenden Aspekte einer ›Gouvernementalität der Beratung‹ nachgezeichnet werden, die die Ebene des Politischen der Beratung in der Ambivalenz im ›Gebrauch der eigenen Haltung‹ changierend zwischen Selbst- und Fremdführung darstellt. Das ambivalente Moment soll vor dem Hintergrund Foucaults Gesamtwerkes herrausgestellt werden. Vor allem die sekundärliterarischen Arbeiten Lemkes, auf die im folgenden Bezug genommen werden sollen, verdeutlicht dabei mit am stärksten die Denkveränderungen in seinem Schaffen, die schließlich die Ambivalenz zentral werden lässt, die oftmals in anderen Interpretationslinien zu verschwinden droht.
128 Diese Perspektive ist nicht gleichbedeutend damit, dass psychosoziale Beratung, die auf einem klassischen Subjektverständnis beruht, rassistisch ist und verfahre. Dass es allerdings notwendig ist, in diesem Rahmen gerade nach den Konstitutionsbedingungen dieses Subjektverständnisses mit den inhärenten Implikationen zu fragen, verdeutlichen etwa die Beiträge des Sammelbands von Schulze/Höblich/Meyer (2018) und vor allem darin der Beitrag von Kupfer (2018).
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6.1. Die Achsen: Wissen, Macht, Subjekt Foucaults Auseinandersetzungen drehen sich um die Frage nach der Entstehung des (modernen) Subjekts. Die folgenden Ausführungen orientieren sich dabei an der Thematik der Macht und seinem Anliegen, mit einer ›Analytik der Macht‹ Subjektivierungsweisen zu untersuchen (vgl. Flu¨ gel-Martinsen 2014: 43). Foucaults unterschiedliche Schaffensphasen lassen sich in den Dimensionen Wissen, Macht, Selbst (vgl. Deleuze 2015: 160) mit den dazugehörigen Analyseperspektiven der Archäologie, Genealogie und Gouvernementalität einteilen und jeweils als eine Weiterentwicklung seines analytischen Instrumentariums begreifen. Deleuze fasst dahingehend zusammen: »Das Wissen-Sein ist bestimmt durch die beiden Formen, die das Sichtbare und das Sagbare in einem bestimmten Augenblick einnehmen […]. […] Das Macht-Sein ist in den Kräfteverhältnissen bestimmt, die selbst durch Singularitäten hindurchgehen, die mit jeder Epoche wechseln. Und das Selbst, das Selbst- Sein ist durch den Prozeß der Subjektivierung bestimmt, das heißt durch die Orte, an denen die Faltung erfolgt (die Griechen haben nichts Universelles an sich).« (Deleuze 2015: 160f.)
Foucaults Interesse galt dem Subjekt und dessen Verwicklung in das Spiel der Wahrheit (vgl. Foucault 2013b: 274). Ein wesentliches Motiv seines Schaffens lässt sich darin ausmachen, ein anderes Denken zu verfolgen: »Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen oder Weiterdenken unentbehrlich ist.« (Foucault 1989: 15) Mit diesem anders denken ist für Foucault ein ›Denken des Außen‹ verbunden, welches als ein zentrales Motiv mal offenkundiger, mal verdeckter seine Arbeiten durchzieht, aber stets zentrales Anliegen und Thema bleibt (vgl. Foucault 1987, Deleuze 2015, Gehring 1994). Petra Gehring weist anhand der Begriffe des ›Innen und Außen‹ auf die Bedeutung der ›Überschreitung‹ in Foucaults schaffen hin. Die folgenden Ausführungen orientieren sich dabei an einer Foucault-Interpretation, die die Wendungen seines
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Schaffens nicht als Brüche, sondern als Weiterentwicklungen, Überschreitung und Verfeinerung seines Instrumentariums verstehen. (vgl. Lemke 2011: 30ff.) Damit lassen sich die unterschiedlichen Phasen in allen Ebenen ausmachen, die jedoch jeweils unterschiedlich akzentuiert sind (vgl. Lüders 2007: 76f.). Geht es im Folgenden um eine machtanalytische Betrachtung von Beratung in der Moderen, so lässt sich dies nicht von der Konstitution des Subjekts in der Moderne und der Frage einer Ethik des Subjekts abkoppeln und bildet den Rahmen für eine Betrachtung des Politischen, der Beratung als Konstitution von ›Subjektivierung durch Macht‹ begreifen lässt.
6.1.1. Archäologie Foucaults historische Auseinandersetzungen geben dabei immer auch implizit eine Blickrichtung auf die Gegenwart preis, ohne dabei jeweils selbst den Anspruch von Gegenwartsdiagnostik erheben zu wollen. Seine Arbeiten über »Wahnsinn und Gesellschaft« und »Die Geburt der Klinik« zeigen dabei eine kritische Distanz zum Psychologismus des Mentalitätskonzeptes neuerer Geschichtsschreibung sowie dem Rationalismus der Epistemologie. Der u. a. vom Strukturalismus angestoßenen Dezentrierung des Subjekts folgend, weist Foucault jedoch gerade den Formalismus des Strukturalismus zurück: »Dabei zog der Strukturalismus an keiner Stelle die Rolle von Wissen oder den Status der Wissenschaft selbst in Zweifel. Diese waren ›neutral‹ konzipiert und damit einer allgemeinen Infragestellung entzogen.« (Lemke 2011: 46) Foucaults Untersuchungen lassen sich als Formationsbedingung von Aussagen beschreiben, die sich als Ordnung des Diskurses bezeichnet lassen und damit weniger als eine ›Struktur‹ (vgl. Gehring 2004: 45). Sich absetzend von der Suche nach allgemeinen Strukturen, ging es Foucault gerade darum, »Annahme[n] einer unwandelbaren menschlichen Natur und universeller Gesetze« (Lemke 2011: 47) als historisch kontingenten Geschichtlichkeit herauszustellen. Diskursive Ordnungen von Aussagesystemen lassen sich als »Ordnung der Dinge« (Foucault 2012) begreifen. Mit der »Archäologie des Wissens« (Foucault 2013a) legt Foucault eine theoretische Ausarbeitung vor. Den Fokus legt er auf Aussagesysteme, die in Absetzung des Formalismus’ des Strukturalismus’ die historische Einmaligkeit von Aussagen ins Blickfeld rückt – als historische Formen der Wissenskonstitution. Von dort aus formiert sich der Begriff des Diskurses, der in der Foucaultschen Ausprägung sich an der Diskurstheorie der sogenannten französischen Schule orientiert und daran anknüpft.129 Der Dualismus von langue und parole als Sprachsystem und Sprachpraxis wird dabei von ihm un129 Hierzu weiterführend Angermüller (2007).
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tergraben, indem nicht die Praxis einem geschichtslosem System der Sprache gegenübersteht, sondern die Sprachpraxis selbst das System bildet. Mit der Konzentration auf das ›Innen‹ zeigt sich eine Konzentration auf die ›Positivität‹ des Diskurses (vgl. Gehring 1994: 19ff.). »Archäologie« meint bei Foucault gerade jene Methode, die die Diskurse an der Oberfläche abtastet, Schicht für Schicht abträgt, um gerade nicht auf einen ›dahinterliegenden‹ Diskurs verweisen zu können, sondern den Diskurs als Aussagensystem zu untersuchen (vgl. Gering 2004: 35ff.). Es geht also weniger um die formale Struktur der Aussagen, als vielmehr um die tatsächlichen Aussagen, in ihrer singulären Erscheinung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt geäußert wurden: »Wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?« (Foucault 2013a: 42) Diskurs meint dann ein Ensemble von Aussagen, die sich zu einem dichten Netz zusammenfügen, als diskursive Regelmäßigkeiten (vgl. Foucault 2013a: 31ff.). »Foucault betrachtet die diskursive Praxis als ›Gesamtheit von Regeln‹, die der jeweiligen konkreten Praxis immanent sind.« (Waldenfels 2004: 199) Dabei stellt sich die Schwierigkeit der Abgrenzung des Diskurses heraus, also der Frage nach dem Verhältnis von Diskursivem und Nicht-Diskursivem. Waldenfels weist auf den Regelregress hin, der sich zwischen Regelstiftung und Regelanwendung ergebe und pointiert: »Die Diskursanalyse hat einen blinden Flecken, den sie selbst nicht tilgen kann.« (Waldenfels 2004: 200)130 Es zeigt sich ein »archäologischer Zirkel« (Lecourt 1972: 96, zit. in Lemke 2011: 51, FN 12). Darin wird ersichtlich, dass »sich Foucault schließlich wieder jener strukturalistischen These des Primats des Zeichens [nähert], die einmal der Ausgangspunkt seiner Kritik gewesen war.« (Lemke 2011: 52) Davon ausgehend sucht Foucault nach Determinationsprinzipien, die außerhalb eines sprachanalytischen Kontextes stehen (vgl. Lemke 2011: 52). Die als ›historische Apriori‹ bezeichneten Weisen der Formationsbedingungen lassen sich dabei nicht von machtvollen Prozeduren der Ein- und Ausschließung des Sicht- und Sagbaren trennen, die sich als »Ordnungen des Diskurses« (Foucault 1974) zeigen. Seine Antrittsvorlesung am Collège de France 1970 mit gleichnamigen Titel lässt sich als eine Art Übergang begreifen, als Zwischenstation zwischen der immer noch in der Archäologie verhafteten formalisierten Sichtweise und der Ankündigung der kommenden Auseinandersetzungen mit der Dimension der Macht. Die gesellschaftlichen Prozeduren der Regelungen des Diskurses sieht Foucault in den Markierungen der Unterscheidung von: Verbotenem und Erlaubtem (vgl. Foucault 1991: 11), Vernünftigem 130 Lemke nennt Problematiken, die sich aus der Archäologie des Wissens ergeben: »theoretischen Status, Differenz zwischen Wissenschaft und Ideologie, Erklärung historischen Wandels, Analyse von Subjektivität etc.« (Lemke 2011: 49 FN 10).
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und Unvernünftigem (vgl. Foucault 1991: 12) sowie dem für Foucault zentralen Element der Unterscheidung von Wahrem und Falschem (vgl. Foucault 1991: 13) sowie die später noch vertiefende Bedeutung des Konnexes der Wissen/MachtKomplexe. Lemke stellt dabei jedoch als Schwierigkeit von »Ordnung des Diskurses« heraus, »dass er [Foucault, JCW] immer noch davon ausgehen muss, dass es einen Diskurs gibt, der den reglementierenden und ordnenden Mechanismen vorausgeht« (Lemke 2011: 54). Foucault bleibt hierbei noch einem Verständnis von Macht verhaftet, welches an Zwang gebunden ist und alleine von einer negativen Beziehung ausgeht. »Wenn Diskurse nicht außerhalb von Machtprozessen liegen und ihnen nicht vorausgehen, um dann unterdrückt verdrängt, reglementiert etc. zu werden, dann – so Foucaults vorläufige und unzureichende Antwort, zeichnen sich die Diskurse gerade durch ihren Zwangscharakter aus.« (Lemke 2011: 55)
6.1.2. Genealogie: »Willen zum Wissen« Foucault greift diesen Aspekt auf und fragt weiter nach Bedingungsmöglichkeiten von Macht und hebt gegenüber einem eher negativen Verständnis eine positive Konnotation hervor. »Foucault stellt der Analyse von Diskursen, ihrer immanenten Regelhaftigkeit und Positivität eine Untersuchungsmethode an die Seite, die explizit nach den äußeren Bedingungen, Beschränkungen und Institutionalisierungen von Diskursen fragt.« (Lemke 2011: 57) Worum es ihm in der von ihm bezeichneten Methode der Genealogie geht, ist die Frage nach Machtprozessen, also die Frage nach dem Wie. Das Thema der Macht ist in der Archäologie selbst noch nicht Gegenstand der Untersuchungen, so dass Foucault im weiteren Verlauf seiner Arbeit die Produktivität von Macht herausstellt und so einen theoretischen Standpunkt bestimmt (vgl. Lemke 2011: 59). Ausgehend von der Gefängnisbewegung und den Auseinandersetzungen mit den Haftbedingungen infolge der 1968er Bewegung, richtet sich Foucaults Perspektive nicht mehr auf die Repression, Reglementierung und Verbote, also eine negative Bestimmung von Macht: »Man muß aufhören, die Wirkung der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ›ausschließen‹, ›unterdrücken‹, ›verdrängen‹, ›zensieren‹, ›abstrahieren‹, ›maskieren‹, ›verschleiern‹ würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches.« (Foucault 1994: 250) Es sind Ereignisse der 1968131 sowie der folgenden Jahre und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Marxismus, die vor allem Foucault zu einer Veränderung seiner Forschungsperspektive bewegten. »Dennoch bedeutet das politische Engagement Foucaults in der Gefängnisbewegung nicht in An-
131 Siehe hierzu Foucault (1987).
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wendung der Theorie auf die Praxis; eher ist es der Einsatz in der G.I.P.132, der Foucault zu einer Veränderung seiner theoretischen Perspektiven bewegt.« (Lemke 2011: 66) Demnach geht es nicht um das Ausschließen, sondern das Einschließen in Institutionen. Foucault geht es also um positive Konstitutionsbedingungen. Er setzt sich mit Institutionen wie Krankenhaus, Psychiatrie, Schule, Universität u. a. auseinander und engagiert sich für eine Veränderung der Verhältnisse. Dafür zielt er auf eine möglichst genaue Beschreibung deren Operationen ab (vgl. Lemke 2011: 66). Es reiche an diese Stelle nicht aus, die »ideologischen Apparate« (Althusser) zu kritisieren, sondern zu hinterfragen, inwieweit sie selbst in der Stabilisierung von bestehenden Verhältnissen involviert sind, es also um eine Veränderung des in Praktiken materialisierten Bewusstseins geht. In »Überwachen und Strafen« (Foucault 1994) geht es schließlich um die gesellschaftliche Institution des Gefängnisses und deren »Technologien der Disziplin« als Analyse der »Mikrophysik der Macht«. »Anders als der Untertitel verspricht, steht im Mittelpunkt der Studie weniger die ›Geburt des Gefängnisses‹, vielmehr verfolgt Foucault anhand der historischen Veränderung der Strafpraktiken Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts einen komplexen gesellschaftlichen Transformationsprozess, an dessen Ende vollkommen neue Formen der Machtausübung stehen, die nach seiner Einschätzung bis heute wirksam sind und die Dauerhaftigkeit und Unangreifbarkeit des Gefängnisses trotz aller kritischen Einwände und Krisen garantieren.« (Lemke 2011: 70f.)
Foucault bringt sein Vorhaben diesbezüglich auf den Punkt: »Nun, ich habe nicht vor, die Geschichte der Vergangenheit in die Begriffe der Gegenwart zu fassen. Wohl aber ist es meine Absicht, die Geschichte der Gegenwart zu schreiben.« (Foucault 1994: 43) In den Auseinandersetzungen mit den sich wandelnden Strafpraktiken, stellt Foucault heraus: »Das Gefängnis soll nicht allein wegsperren und strafen, sondern auch erziehen und bessern.« (Lemke 2011: 72) Die Gesamtheit der Technik nennt er Disziplin. »Foucaults’ Analyse konzentriert sich deshalb auf die Beschreibung einer Form der Macht, die sich auf den Körper stürzt, ihn in Elemente zerlegt, seine Gesten kalkuliert und Verhaltensweisen manipuliert.« (Lemke 2011: 73) Foucault stellt hierbei den Körper heraus, der Fluchtpunkt disziplinierender Maßnahmen wird. (vgl. Foucault 1994: 36) Lemke verdeutlicht die Bedeutung des Körpers als Zielpunkt auch politischer Intervention: »Im Gegensatz zu traditionellen Herrschaftsformen wie Sklaverei und Leibeigenschaft gelingt es der Disziplin, die Kräfte des Körpers zugleich zum Zwecke ihrer wirtschaftlichen Nutzung zu steigern und zum Zwecke ihrer politischen Unterwerfung zu schwächen.« (Lemke 2011: 74) 132 G.I.P. – Group Information sur les prisons – Gruppe Gefängnis Information, zu der u. a. auch Daniel Defert, Gilles Deleuze, Jacques Donzelot, Robert Castel, Jacques Rancière gehörten. (vgl. Lemke 2011: 65)
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Gesellschaft wird dabei nicht als ›Vereinigung gleicher Individuen‹ angesehen, sondern konstituiere sich erst durch Disziplinierungsprozesse. »Die Disziplinen sind das funktionale Komplement zur formalen Rechtsgleichheit, und der politische Übergang von einem souveränen Recht des Monarchen zu den Prinzipien der Volkssouveränität macht die gleichzeitige Entwicklung von Disziplinarmechanismen erforderlich.« (Lemke 2011: 78) Während eine auf einem Vertragsabschluss aufbauende Gesellschaftsordnung auf der Gleichheit von Besitzenden basiert, »so werden die Besitzlosen durch ein System von Zwängen, Lehren und Strafen an einen Apparat gebunden, der ihnen nicht gehört« (Lemke 2011: 78). Disziplin erweist sich als soziales Regulierungsinstrument, welches sich an einem Begriff von Norm als eine natürliche Regel ausrichtet (vgl. Lemke 2011: 79). Folglich bezieht sich Wissen auf Macht und Macht auf Wissen und erweist sich dahingehend als »politische Technologie« (vgl. Lemke 2011: 80). Mit der Entdeckung der Humanwissenschaften Ende des 19. Jahrhunderts zeigt sich eine Verbindung von Normalisierung und Disziplinierung. Foucault verdeutlicht: »Eine bestimmte Politik des Körpers, eine bestimmte Methode, die Anhäufung der Menschen gefügig und nützlich zu machen, macht die Eingliederung bestimmter Wissensbeziehungen in die Machtverhältnisse erforderlich; sie verlangte nach einer Technik zur Verflechtung der subjektivierenden Unterwerfung und der objektivierenden Vergegenständlichung; sie brachte neue Verfahren der Individualisierung mit sich.« (Foucault 1994: 393f.)
Mit den Veränderungen der Strafpraktiken zeigt Foucault auf, dass die Strafen sich zunehmend auf die »Seele« beziehen (vgl. Schäfer 2004). Die Seele meint dann bei Foucault keine in dem Sinne existierende dem Menschen zugehörige Instanz. Vielmehr konstituiert er ›die Seele‹ als »historisches Produkt« (Lemke 2011: 81), die Zentrum einer nicht minder intensiven Bestrafungspraktik wird: Die Seele »ist Effekt und Instrument innerhalb einer politischen Anatomie, in der sich die Wirkung einer bestimmten Macht und der Gegenstandsbezug eines Wissens miteinander verschränken« (Lemke 2011: 81). Foucault setzt auf ein neues Machtkonzept: Macht-Wissen. Es setzt sich damit von einer ideologischen und repressiven Machtvorstellung ab, die sich einerseits auf eine binäre Struktur und einer richtigen und falschen Vorstellung metaphysischer Diskurse bezieht. Andererseits werden nicht nur die negativen Aspekte der Macht berücksichtigt. Foucault zeigt vielmehr dessen Grenzen auf und erweitert die Perspektive um das Ermöglichende als eine positive Bestimmung von Macht. Er geht dabei von einem relationalen Charakter von Macht aus und entkoppelt die Frage nach der Macht von Institutionen und Personen, fragt also danach, wie Macht funktioniert. »Die Bestimmung von Macht als Technologie bedeutet nicht: Welche Technologie setzt die Macht ein, sondern: Welche Technologie ist Macht?«. (Lemke 2011: 91, Hervorhebung im Original)
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Sozialwissenschaftliches Wissen erlangt dabei eine normalisierende Funktion, indem die Kategorisierung von normal und anormal als soziale Praxis fungiert. »Die Diskurse von LehrerInnen, RichterInnen, SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen und PsychatrerInnen sind Machtprozessen nicht mehr äußerlich, sie stellen kein Wissen bereit, das dann instrumentalisiert werden könnte, sondern dieses Wissen hat eine direkte normalisierende Funktion.« (Lemke 2011: 96f.) Gerade die Gegenüberstellung von Wissen und Macht dechiffriert Foucault als einen wesentlichen Aspekt, der gerade auf den Konnex von Macht und Wissen hinweist. »Wenn Foucault zugleich auf die innere Beziehung zwischen Macht und Wissen und auf ihrer Differenz besteht, so liegt die Pointe dieses methodischen Vorgehens darin, gegen eine bestimmte Konzeption der Beziehung von Wissen und Macht Stellung zu beziehen, die uns permanent auf ihre Identität und Opposition verpflichten will.« (Lemke 2011: 98f.) Foucault setzt sich von einer juridischen Bestimmung von Macht ab, die mit Verbot, Zwang, Gesetz in Verbindung steht und auf Binarität und Gegenüberstellung aufbaut. »Foucault zufolge ist die juridische Machkonzeption theoretisch defizitär, da sie nicht in der Lage ist, die Komplexität der Machtverhältnisse zu erfassen.« (Lemke 2011: 100) Er knüpft diese Vorstellung an das Gesellschaftskonzept eines feudal-absolutistischen Systems. Zeige sich Macht in der feudal-absolutistischen Gesellschaft über Aneignung von Gütern und Diensten, verändernden sich neue Machtmechanismen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (vgl. Lemke 2011: 101). »Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe der ›Genealogie der Macht‹ darin, dieser historischen Veränderung der Machtmechanismen theoretisch Rechnung zu tragen und den realen Organisationsmodus der Macht konzeptionell nachzuvollziehen.« (Lemke 2011: 101) Foucault stellt Macht als strategisch-positive Konzeption heraus und bezieht sich auf die »›Hypothese Nietzsches‹, […] nach der Machtverhältnisse nicht in Kategorien von Ausschließung, Vorstellung und Verbot, sondern in Begriffen von Krieg, Konfrontation und Kampf begriffen werden« (Lemke 2011: 104). Macht ist demnach in ihrer Relationalität zu betrachten. Sie gehört damit niemandem an und lässt auch nicht auf eine andere Realität schließen (vgl. Lemke 2011: 104f.). Allerdings zeige sich, so Lemke, dass Foucault gegen seine Argumentation argumentiere, indem er anstelle des »Kopf des Königs« »Krieg und Kampf« einsetze und damit gerade nicht aus seiner Argumentation herauskommt, gegen die er argumentiert (vgl. Lemke 2011: 107). »Die kriegerische Konzeption der Macht führt wieder zurück zu jener Form der Analyse, die sie gerade transzendieren wollte.« (Lemke 2011: 109) Foucault versteht Subjektivierung aus der Perspektive der Genealogie der Macht vor allem als Konstitution von Disziplinierung und Unterwerfung und lässt keinen Raum für Widerstand. »Die Ablehnung der Idee einer autonomen Subjektivität führt dazu, dass Foucault Subjekte vor allem als gestaltbare Indi-
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viduen begriff und Freiheit tendenziell als ›Illusion‹ betrachtete.« (Lemke 2011: 111) Der Doppelcharakter von Unterwerfung und Selbstkonstitution löst Foucault dabei lediglich nach einer Seite auf. Foucault verdeutlicht gerade über ein genealogisches Vorgehen, wie Subjektivität als Praxis zu begreifen ist und verweist damit auf einen konstruktiven Charakter des Subjekt-Seins. Neben dem Aspekt des Widerstands stellt Lemke in dieser Machtkonzeptualisierung weiter das problematische ›Verschwinden des Staates‹ heraus. Foucault verbleibt bei einer binären Vorstellung von Staat und Individuum. »Das Problem besteht darin, dass diese Metaphern und Beschreibungensbegrifflichkeiten ein äußerliches Verhältnis von Staat und Mikrophysik nahe legen, statt den Staat selbst in einem mikrophysikalischen Netz von Machtbeziehungen zu verorten.« (Lemke 2011: 121) Die Verbindung zwischen Mikro- und Makroebe sieht Foucault im Begriff der ›Strategien‹, die allerdings als Mittler auf die Repressionshypothese rekurrieren. Dabei bleibt es mit der Kriegshypothese fraglich, »wie sich Machtverhältnisse systematisieren, reproduzieren und verstetigen« (Lemke 2011: 124). Ungeachtet bleiben bisher jene Konturen eines Machtbegriffs, die auch eine zwanglose Zustimmung der Subjekte in Aussicht stellen und damit Macht jenseits von Gewalt und Krieg ansiedelt. Problematisch bleibt dabei die Frage der Willensbildung, was Foucault in einer Erweiterung seines Machtkonzepts einzufangen versucht.
6.1.3. Gouvernementalität: Führung der Führung In seinen Arbeiten zur Geschichte der Sexualität geht Foucault auf die Repressionshypothese ein und sucht eine Verknüpfung von Macht und Sexualität. Er stellt mit dieser Verknüpfung die Produktivität der Macht heraus (vgl. Lemke 2011: 129). Um dem Aspekt des Willens nachzugehen, nimmt Foucault an, dass es »eine ursprüngliche Freiheit oder Subjektivität gegeben haben [muss], die den Machtmechanismen vorausgeht, um anschließend unterdrückt zu werden« (Lemke 2011: 130f.). Macht, in der Übersetzung des französischen pouvoir für ›können‹ oder ›in der Lage sein‹, lässt sich in diesem Sinne auch als ermöglichend betrachten, schließt also auch eine positive Bedeutung mit ein. Für Foucault stellt sich im Rahmen seines ursprünglich in vier Bänden angelegten Werks von »Sexualität und Wahrheit« eine Entwicklung und Verfeinerung seiner Analyseperspektiven, die sich nicht nur in einer zeitlichen Verschiebung der Veröffentlichung ausdrückt, sondern auch innerhalb der Bände eine Veränderung verzeichnen lassen: »Tatsächlich verbleibt nämlich die Analyse des Verhältnisses von Sexualität und Macht, die Foucault in dem Ersten Band der ›Geschichte der Sexualität‹ assoziiert, immer noch innerhalb jener juridischen Konzeption, deren Mechanismen er gleichzeitig so anschaulich offen legt.« (Lemke 2011: 131) Der
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Wille zum Wissen lässt sich also wie die »Ordnung des Diskurses« als Übergang begreifen. Auch stelle Foucault die Kriegshypothese in Frage. Neben der Souveränitätsmacht und der Disziplinarmacht unterscheidet er die Bio-Macht, als Regierung der Bevölkerung. »Hatte Foucault zuvor die Produktivität der Disziplinarmechanismen der Negativität der Souveränitätsmacht gegenübergestellt, so ordnet er jetzt die Disziplin als Machttechnik in eine umfassendere politische Technologie ein, die sich nicht allein auf die Dressur der Körper, sondern auf die Kontrolle der Bevölkerung richtet.« (Lemke 2011: 135) Während Souveränitätsmacht sich auf das ›Sterben machen‹ konzentriert, geht es nun um die Verwaltung des Lebens, als ›Leben lassen‹. »Die Regulierung der Bevölkerung ist nicht die Übertragung von Disziplinarprozessen auf eine makropolitische Ebene, sondern signalisiert sowohl eine Veränderung im Objekt wie in dem Mechanismus der Machtausübung.« (Lemke 2011: 136) Die Disziplinarmacht verschwindet also nicht. Biomacht zeigt sich vielmehr auf einer anderen Ebene wirksam und bezieht sich auf die Gesellschaft als Körper (vgl. Lemke 2011: 136f.). Der Begriff der Norm gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Das Recht tritt im Gegensatz zur Souvernitätsmacht hinter die Norm zurück, so dass es um die Logiken des »Abwägens, Messens und Vergleichens« geht (vgl. Lemke 2011: 139). Disziplinarmacht ist für Foucault ein Bindeglied »zwischen individueller Disziplinierung und gesellschaftlicher Regulierung« (Lemke 2011: 139). Der Begriff der Gouvernementalität, als semantische Verbindung von Regieren »gouverner« und Denkweise »mentalité« (Lemke 2001: 109), drückt für Foucault die Weiterentwicklung seiner Machtanalysen aus. Dabei setzt er den Begriff der Regierung zentral. »Mit ihm [dem Begriff der Regierung, JCW] führt er eine neue Dimension in seine Machtanalysen ein, die es ermöglicht, Machtbeziehungen unter dem Blickwinkel von ›Führung‹ zu untersuchen, um sich gleichermaßen vom Modell des Rechts wie vom Modell des Krieges abzusetzen.« (Lemke/Krasmann/Bröckling: 2012: 8) Mit dem Begriff der Regierung verbindet Foucault Subjektivität und Staat und reagiert damit auf die Problematik, ein Zentrum der Macht annehmen zu müssen und sich gleichzeitig von einer Subjektzentrierung als Instanz distanzieren zu wollen. Er verschränkt dabei Subjekt und Staat und stellt den konstitutiven Verweis von Freiheit der Subjekte und Macht des Staates heraus (vgl. Lemke 2011: 151). »Ich werde zu zeigen versuchen, in welche Richtung eine Analyse der Macht gehen könnte, die sich nicht auf eine juristische rein negative Macht beschränkt, sondern den Gedanken einer Technologie der Macht entwickelt.« (Foucault 2013b: 221) Foucault versteht Macht dabei relational: »Die Macht ist keine Substanz. […] Die Macht ist nichts anderes als eine bestimmte Art von Beziehungen zwischen Individuen.« (Foucault 2013b: 218) Der Begriff der Regierung wird für Foucault zu einer zentralen Kategorie seiner Analysearbeit. Gouvernementalität umfasst drei Aspekte: 1. Praxis der Ausübung komplexen Machttyps, 2. Tendenz zur Vorrangstellung dieses
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Machttyps der Regierung, 3. Prozess zur Gouvernementalisierung des Verwaltungsstaates (vgl. Lemke 2011: 144). Regierung bezeichnet ein diskursives Feld, innerhalb dessen die Ausübung der Macht ›rationalisiert‹ wird. Regierung lässt sich als Machttechnologie und darüberhinaus als politische Rationalität analysieren (vgl. Lemke 2011: 146). »Eine politische Strategie erlaubt also, ein Problem zu stellen und bietet bestimmte Lösungs- und Bearbeitungsstrategien für dieses Problem an.« (Lemke 2011: 147) Die von Foucault analysierten Programme drücken dabei ein bestimmtes Wissen aus. »Ein Programm ist also kein reines Wissen, das schließlich eingesetzt und instrumentalisiert wird, sondern stellt immer schon eine intellektuelle Bearbeitung der Realität dar, an der politische Technologien ansetzen können.« (Lemke 2011: 147) Es geht nicht um die Ausführung eines Plans, das als Programm in eine Technologie umgesetzt wird, sondern um das Zwischen als »Lücke«: Zwischen Programm und Realgeschichte (vgl. Lemke 2011: 147). Der heute selbstverständliche Gebrauch des Begriffs Regierung in einem politischen Sinn erweist sich als Engführung des Begriffs, der im 15. und 16. Jahrhundert die Bedeutungen außerhalb des politischen Feldes besaß und auch die Regierung der Familie und der Kinder als »Führung des Menschen« beinhaltete (vgl. Lemke 2011: 149). »Aus diesem Grund bestimmt Foucault Regierung als Führung, die ein Kontinuum umfasst, das von der ›Regierung des Selbst‹ (›gouvernment des soi‹) bis zur Regierung der anderen (›gouvernemt des autres‹) reicht wobei unser heutiges Verständnis von Regierung als politischer Führung ein besonderer Fall der Regierung der anderen darstellt.« (Lemke 2011: 149) Foucault geht schließlich der Verengung des Begriffs der Regierung in Zusammenhang mit politischem Führen nach. An dieser Stelle setzt das Format der Beratung an, welches sich als eine spezifische Form der Anleitung des Sich-Führens verstehen lässt. Es hält dazu an, sich auf bestimmte Art und Weise mit sich selbst in Beziehung zu setzen und stellt damit eine spezifische Weise des Regierens dar. Das Format der Beratung ist damit in Machtverhältnisse eingebunden (vgl. Großmaß 2006: 501) und lässt sich im Rahmen der Bewahrheitungsmethode des Machttyps der Gouvernementalität zuzuordnen, die im Schnittfeld von Selbst- und Fremdführung angesiedelt ist (vgl. Friedrich 2013: 49). Foucault stellt verschiedene Machtformen heraus, die sich – wie Beratung für Gouvernementalität – auch durch verschiedene typische Methoden auszeichnen. Neben ›Probe‹ und ›Untersuchung‹, die Foucault für souveräne Macht feststellt, steht das ›Examen‹ für Disziplinar- und auch Biomacht (Friedrich 2013: 49). Beratung lässt sich auch in den anderen Formen der Macht wiederfinden, findet allerdings erst in der Verknüpfung von Selbst- und Fremdführung seine volle Entfaltung. Die Macht des Souveräns entscheidet über Leben und Tod und steht für jene Machtausübung, die ›Sterben macht‹. »Diese souveräne Macht kennt die ›kom-
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munikative Gattung‹ der Beratung als politische Beratung, schon weil die höfische Kultur eine Kultur der politisch rhetorischen Klugheit war und die Beratungsrede hier einen traditionellen Platz hatte.« (Friedrich 2013: 50) Die souveräne Macht lässt sich dabei mit der Methode der Probe und Untersuchung verbinden. Die ›Probe‹ wird allerdings zunehmend von der Untersuchung verdrängt. Kennzeichen der Untersuchung ist die Befragung, um ein bestimmtes Wissen zu erlangen. Im Verhältnis von der Trennung zwischen Wissen und Macht zeigt sich neben der Beratung und auch die Figur des Zeugen als Wissensquelle. »Bereits die souveräne Macht ist also eine fragende, d. h. produktive Macht, die im konkreten Akt ihres Vollzuges Wissen herstellt. Sie ist also nicht allein eine repressive (die mit Zensur, Unterdrückung und Abschöpfung arbeitet), sondern eine untersuchende und vernunftförmige Erscheinung.« (Friedrich 2013: 51) Wissensquellen werden darüber hinaus auch gesammelte Schriften, wie etwa Friedrich exemplarisch den »Fürstenspiegel« nennt. »Die Umstellung auf die ›Untersuchung‹ mit der die Aufwertung der epistemischen Autorität des Anderen zu einem Spiegel des Fürstengebarens verbunden ist, ist also eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Berater oder die Gattung ›Beratung‹ historisch überhaupt erscheinen konnte.« (Friedrich 2013: 52) Eine Grundstruktur von Beratung existiere bereits seit langem als zwischenmenschliche Kommunikationsform. Allerdings ändert sich die Perspektive, wenn Beratung sich an bestimmten Orientierungspunkten ausrichtet, die selbst wiederum machtvollen Ein- und Ausschließungen entsprechen. Mit der Untersuchung zeigt sich die Verknüpfung von moralisch vorherrschende Vorstellungen und Beratung: »Man kann also im modernen Sinne eigentlich nicht von Beratung sprechen, wenn man sie so definiert, dass sie Verhaltensoptionen für zukünftiges Verhalten erzeugt und dabei den Beratungsempfänger als Entscheidungsinstanz konstruiert.« (Friedrich 2013: 53) Mit Foucault lässt sich Beratung als Stabilisierung souveräner Macht begreifen, insofern die moralische Bildung von Codes von der legitimierenden Macht des Codes abhängig. Mit der Disziplinarmacht verschiebt sich die Perspektive vom ›Sterben machen‹ zum ›Leben lassen‹. Darin kündigen sich wesentliche Aspekt an, die für eine moderne Ausformung von Beratung prägend sind. Dennoch kann im Sinne der Disziplin noch nicht von Beratung gesprochen werden kann, »denn hier etabliert sich weit über die Disziplinargesellschaft hinaus das Prinzip der Steigerung oder Optimierung durch Rekombination der vorhandenen Kräfte, das für jede moderne Beratungskommunikation als regulative Idee gelten darf.« (Friedrich 2013: 55, Hervorhebung im Original) Friedrich stellt dabei heraus, dass die wesentlichen Aspekte dabei im Zusammenspiel von Optimierung, Normalisierung und Autonomisierung liege (vgl. Friedrich 2013: 58f.). Für Foucault zeigt sich eine Verbindung von Gouvernementalität und kirchlicher Geständnispraktik im Pastorat, welches sich damit auch in die Nähe des Formats der Be-
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ratung rücken lässt (vgl. Friedrich 2013: 61). Das Pastorat lässt sich vor dem Hintergrund der Aspekte Geständniszwang und Beichte dahingehend in Verwandtschaft mit psychosozialen Berufen verstehen, womit Berater_innen »als Nachfahren des Pastors, des guten Hirten, erscheinen« (Friedrich 2013: 62).
6.1.4. Pastoralmacht: Vom guten Willen der Hirten133 Mit Foucault lässt sich das Pastorat als Vorläufer der Gouvernementalität betrachten, als Präludium (vgl. Foucault 2006a: 268). Er untersuchte SelbstsorgePraktiken und verzeichnete im Vergleich zu den griechischen Ansätzen der ›Sorge um sich‹ eine Verschiebung, die er als christliche Pastoralmacht fasste. Techniken und Prozeduren des Pastorats haben dabei ihren Ursprung in antiken Formen der Lebensgestaltung. Von der antiken Selbstsorge aus zeigen sich allerdings gravierende Unterschiede zur christliche Seelsorge. »Die Praxis der Selbstsorge markiert den normativen Kern der antiken Ethik als einer Praxis der Freiheit des menschlichen Subjekts.« (Steinkamp 2005: 15) Die von den Griechen kommende Ökonomie der Seelen zielt auf das Verhalten in verschiedensten Lebensbereichen ab und nimmt im Pastorat eine andere Wendung ein. Was sich in der griechischen Variante noch auf das jeweilige (private) Haus bezieht, wird in der christlichen Version der Selbstsorge auf die gesamte Menschheit bezogen und es verlagert sich damit der Bedeutungsbereich (vgl. (Foucault 2006a: 279). Die griechische Wendung des Heils realisiert sich als Rettung dieses Lebens. »Die wirkliche Geschichte des Pastorats, als Ausgangspunkt eines spezifischen Typus der Macht über Menschen, die Geschichte des Pastorats als Modell, als Matrix der Prozeduren der Regierung der Menschen, diese Geschichte des Pastorats in der abendländischen Welt beginnt erst mit dem Christentum.« (Foucault 2006a: 217) Mit der christlichen Tradition verlagert sich der Fokus vom Heil als gelingendes Leben in ein jenseitiges Heil. Das Wissen um das Heil ist dabei nur noch Experten zugänglich, was sich dadurch zum Wissensmonopol wird und sich als Herrschaftswissen etabliert. (vgl. Steinkamp 2005: 19) »Das Pastorat ist eine Beziehung zum Heil, da es ja sein wesentliches, grundlegendes Ziel ist, die In-
133 Die Berater_innen-Figur lässt sich als säkularisierte Hirten-Figur verstehen. Ausgehend von der Hirten Metaphorik kommt es nicht von ungefähr, dass der Haltungsbegriff im Diskurs präsent ist. Denn in einer Übersetzung des Mittelhochdeutschen aus dem 8. Jahrhundert bedeutete etymologisch Haltung vom Verb »halden« kommend, hüten, beschützen. Eine weitere Linie lässt sich davon ausgehend zum ›Salvator‹, dem Erlöser ziehen und in die Hirten-Herden-Symbolik des beschützenden Verhältnisses einordnen und verstehen. Es erscheint damit nicht verwunderlich, dass der Haltungsbegriff im Beratungsdiskurs Einzug hält.
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dividuen zu leiten oder es jedenfalls zu erlauben, daß die Individuen auf dem Weg des Heils vorankommen und fortschreiten.« (Foucault 2006a: 243f.) Der Pastor als Hirte ist dabei auf das Heil jedes einzelnen ›Tieres‹ aus. »Der Hirte ist derjenige, der ernährt und der direkt aus eigener Hand ernährt, oder der jedenfalls ernährt, in dem er einesteils zu den guten Wiesen führt und sich dann in der Tat vergewissert, daß die Tiere fressen und vorbildlich genährt sind.« (Foucault 2006a: 189)134 Gleichzeitig darf der Hirte aber die Herde als Ganzes nicht aus den Augen verlieren. Foucault benennt das Prinzip Omnes et singulatim (vgl. Foucault 2006a: 192). Es geht also um das individualisierte Heil jedes Einzelnen sowie gleichzeitig auch das Heil der ganzen Herde als Gemeinde. »Die Ökonomie der Seelen soll auf die Gemeinschaft aller Christen sowie auf jeden einzelnen Christen gerichtet sein.« (Foucault 2006a: 279) Pastoralmacht ist damit sowohl eine individualisierende wie auch totalisierende Macht (vgl. Lemke 2011: 155). Die Beichtpraxis wird zentrales Moment einer Wissensgewinnung, die zur GeWissensprüfung wird (vgl. Steinkamp 2005: 23). Das Wissen bezieht sich dabei auf zwei Quellen: Zum einen geht es um das Wissen um die jeweilige Person, sowie zum anderen um ein spezifisches Heilswissen (vgl. Steinkamp 2005: 19f.). Entscheidend ist, dass die gesprochene Wahrheit dabei nur die Person selbst sagen und sprechen kann, also selbst durch sie hindurchgegangen sein muss. Die Verantwortung geht dabei vom Pastor auf die Person über, denn der Preis für das Heil muss jeweils selbst bezahlt werden. Der Pastor führt und leitet dabei lediglich. »Der pastor führt zum Heil, er verfügt das Gesetzt, er lehrt die Wahrheit.« (Foucault 2006a: 244, Hervorhebung im Original) Aus dieser Perspektive heraus geht es dabei weniger um eine wechselseitige Öffnung der Dialogpartner, als vielmehr um ein einseitiges Wahrsprechen, welches eher mit Gefühlen der Demütigung, Beschämung, Ohnmacht und Unterwerfung assoziiert werden kann. »Die Exploration ihrer verborgenen Wahrheit, die absolute Unterwerfung, die ihnen abverlangt wird, sowie die komplexe Zirkulation von Verdienst und Verfehlung, die Hirte und Herde aneinander binden, bilden den Kern der christlichen Menschenregierungskünste.« (Bröckling 2017: 21) Es entsteht eine neue Macht, die subjektivierend ausgerichtet ist und dabei ökonomischen Linien folgt sowie eine absolute Führung abverlangt (vgl. Bröckling 2017: 21f.). Im Gegensatz zur souveränen Macht, die auf eine Übernahme des Willens des Souveräns aus ist, geht es bei der Pastoralmacht gerade darum, den Willen in das eigenen Wollen übergehen zu lassen. Es geht um das Anneh134 Vgl. dazu Psalm 23, 1–4: Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
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men des Willens, zum Heil geführten und geleitet zu werden, worin ein Versprechen liegt: »Eine solche Führung beruht nicht auf Zwang, sondern auf Bereitschaft der Geführten, sich führen zu lassen.« (Bröckling 2017: 22) Dabei geht es beim Gehorsam gerade nicht um die mitunter gewaltvolle Aneignung, als vielmehr über das Leiten und Führen des eigenen Willens eine Unterwerfung erzielt werde: »Die Logik des Pastorats kulminiert in der Einübung von etwas, das in der Logik des Souveräns widersinnig erscheinen muss: freiwillige Knechtschaft als höchste Form individueller Freiheit.« (Bröckling 2017: 22) Bröckling stellt sechs Merkmale heraus, die pastoral in gouvernementalen Formen der Machtausübung nachklingen: Zum ersten benennt Bröcklig den Bezug der Führung lebender Menschen (vgl. Bröckling 2017: 24). Zum zweiten stellt er den Bezug zur Herde als Gesamtes heraus: »Die gleichzeitige Sorge um das individuelle Schaf und die Gesamtheit der Herde kehrt wieder in der Parallelität von individuums- und bevölkerungsbezogenen Interventionen, die Foucault als Verschränkung von Disziplinarmacht und Biomacht beschreibt.« (Bröckling 2017: 24) Als drittes nennt Bröckling die Ökonomisierung, die den Fokus auf das Heil im Jenseits ablöst sowie viertens Gefahrenabwehr und Wohlfahrt die Fürsorglichkeit der Macht kennzeichne (vgl. Bröckling 2017: 24). Subjektivierung als freiwillige Unterwerfung stellt Bröckling als fünftes Merkmal heraus. »Der Gehorsam, den sie einfordern, besteht darin, sich selbst zu erkunden, auf sich selbst einzuwirken sowie Sollen und Wollen in Einklang zu bringen.« (Bröckling 2017: 25) Die Omnipräsenz in allen Lebensbereichen kennzeichnet sechstens die Gemeinsamkeit pastoraler und gouvernementaler Macht (vgl. Bröckling 2017: 25). Und dies lässt sich etwa auch in der ubiquitären Angebotsstruktur von Beratung nachzeichnen. Denn: »Eine besondere auffällige Fortsetzung findet das christliche Pastorat in der Therapiekultur mit ihren luziden Hermeneutiken des wahren Selbst, ihren ausgefeilten Techniken der Verhaltensmodifizierung und nicht zuletzt mit ihrem Glauben an die heilende Kraft rückhaltloser Selbstoffenbarung gegenüber einem professionellen Seelenhirten.« (Bröckling 2017: 24) Psychosoziale Beratung lässt sich daran angelehnt in pastorale Machttechniken einreihen und als säkularisierte Formen von Machttechnologien begreifen. »Aus dieser Perspektive betrachtet übernehmen Beratung und Supervision, insofern sie sich in ihrer Entwicklung an die Geschichte der Psychotherapie und Psychoanalyse anlehnen, im Staat die Funktion der Regierung der Seelen als ein Integral allgemeiner Regierungskunst.« (Friedrich 2013: 62)
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6.2. Beratung im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdführung Es zeigt sich, dass »Beratung aktuell als eine der zentralen sozialen Praktiken fungiert, soziale In- und Exklusion zu regulieren. Sie tut dies […], indem sie in die Weisen eingreift, wie Individuen sich selbst führen – das heißt, wie sie ihr Leben, ihre Gefühle, Einstellungen oder Beziehungsmuster gestalten« (Duttweiler 2008: 262). In der Verschränkung von Fremd- und Selbstführungsstrategien zeigt sich durch Macht- und Wissensformationen die Gouvernementalität der Beratung (vgl. Duttweiler: 262).135 »Mit Foucault den Blick auf diese Weisen der Subjektivierung zu lenken, situiert die Praktik der Beratung in einem Machtund Wissensraum, der nicht jenseits des Politischen zu denken ist.« (Duttweiler 2008: 262) Foucault erweitert den Begriff der Macht als Führung der Führung in der Verschränkung von Selbst- und Fremdführung. »Regierung fokussiert auf die Anschlussstellen, die Technologien der Herrschaft im Individuum selbst in Form von dessen ›Selbstführung‹ vorfinden und schließt so explizit die Weisen ein, wie ein Individuum seine eigene Führung gestaltet, in Frage stellt und sich selbst problematisiert.« (Duttweiler 2008: 263) Beratung operiert dann genau an diesen Schnittflächen der Führung der Führung. Was so mit Foucault in den Blick kommt, ist eine Dimension des Politischen des Formats Beratung, die die Produktion von Wahrheit im Konnex von Wissen und Macht als Wissen/MachtKomplex als politische Strategie begreift. Beratung zeigt sich dann als politische Rationalisierungstechnologie, als Machtstrategie, als Technologie des Selbst. Macht, bzw. der Einflussaspekt von Beratung auf den Einzelnen in Kopplung an gesellschaftliche Transformationsprozesse unter Berücksichtigung (sozial-) politischer Themen, lässt sich dabei gerade mit Foucault herausstellen. Mit dem ordnungsfunktionalen Aspekt symbolischer Ordnung ist Beratung Teil einer Normalisierungs- und Disziplinierungsfunktion – agiert im Deleuze’schen (2014) Sinne damit mit einer (subtilen) Kontrollfunktion. Dabei kommt es nun darauf an, im Rahmen einer »Beratung als (soziale) Praxis der Freiheit«136 den Aspekt der Freiheit herauszustellen und in Zusammenhang mit dem von Foucault aufgegriffenen Begriff der Regierung in Verbindung zu bringen. Dabei soll gerade betont werden, dass psychosoziale Beratung am Ende des 19. Jahrhunderts als professionalisierte und institutionalisierte Form in Zusammenhang mit dem aufkommenden Liberalismus zu sehen ist, Beratung also auch als eine politische Rationalität zu verstehen ist. Denn: »Basis der Gouvernementalität ist die moderne vom neuen Liberalismus’ geprägte Regierungskunst der Gegenwart.« (Gröning 2015: 40)
135 Siehe hierzu auch Senne/Hesse (2019). 136 Siehe auch Austermann (2019).
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Mit den Untersuchungen zur Staatsraison und der Polizei zeichnet Foucault die Entwicklung gouvernementaler Regierungsweisen nach, die schließlich in Auseinandersetzung mit dem (Früh-) Liberalismus und schließlich dem Neoliberalismus diejenigen Bezugspunkte darstellen, die eine Verbindung zu aktuellen Formen psychosozialer Beratung unter dem Aspekt der Regierung als Führung der Führung erkennen lassen. Er sieht in der Staatsraison ab dem 16. Jahrhundert sowie der sich etablierenden Polizei im 17. und 18. Jahrhundert wesentliche Ausgangspunkte, die eine Gouvernementalität als Regierungskunst etablierten. Im Gegensatz zu politischen Ausrichtungen an Tradition und Sitte bezieht sich die Staatsraison auf rationales Wissen, dass an Statistik und Arithmetik orientiert ist (vgl. Lemke 2011: 159f.). Den politischen Ansatz bezeichnet Foucault dabei als ›(Regierungs-) Kunst‹, die sich als Technik an Regeln orientiert (vgl. Foucault 2013b: 207). Bezugspunkt ist eine Rationalität, die die Beziehung von Politik, Praxis und Wissen neujustiert (vgl. Lemke 2011: 161). Dabei zeigt sich ein Perspektivwechsel auf die Betonung der ›Stärke‹ des Staates mit dem Ziel des Erhalts und Ausbaus. Dies macht zum einen die Etablierung von Militär erforderlich, um die Beziehungen nach außen zu anderen Staates zu regeln. Zum anderen ist Stabilisierung nach innen notwendig, die die Etablierung von Polizei rechtfertigt. (vgl. Lemke 2011: 162f.). »Ihr Ziel ist es, die Stellung des Staates in dem europäischen Spiel der Konkurrenz zu erhalten, bzw. zu verbessern und diese innere Ordnung durch die ›Wohlfahrt‹ der Individuen zu garantieren.« (Lemke 2011: 163) Mit dem Liberalismus im 18. Jahrhundert zeigt sich eine neue Form des Regierungsdenkens, die sich gegenüber den Autoritäten (Polizei-Staat) absetzt und »die Regulatorische Kompetenz in das ökonomische Subjekt und die bürgerliche Gesellschaft hineinverlegt« (Lemke 2011: 192). Wesentliches Prinzip des Liberalismus’ ist die Freiheit jedes Einzelnen. Damit wird dem Individuum ein Subjektstatus zugesprochen und erscheint in gleichem Maße als Objekt liberalistischer Regierungsweisen (vgl. Lemke 2011: 171). »Die Individuen sind nun gleichzeitig Objekte von Machtpraktiken und ›Komplizen‹, das heißt, was die liberale Regierungskunst von ihnen verlangt, müssen diese Individuen auch wollen, sofern es mit ihrem interessegeleiteten Handeln freier auf dem Markt tauschender Individuen übereinstimmt […].« (Friedrich 2013: 63) Freiheit wird zur Bedingung des Regierens. Damit verschränkt sich Subjektivität mit Macht und Macht mit Subjektivität. Im Liberalismus wird anders als bei Staatsraison und Polizei das Regieren dabei selbst problematisiert. Stand in der Staatsraison ein ›Mehr‹ und ›Stärkung‹ an Staat im Vordergrund, verschiebt sich der Fokus im Liberalismus auf die Gesellschaft (vgl. Lemke 2011: 173). Mit dem Umlegen der freiheitlichen Handlungsfähigkeit in die politische Verantwortung des Individuums, zeigt sich allerdings weniger, dass sich der Staat zurückziehe und damit weniger regiere, als sich darin vielmehr eine neue Technologie der Regierung
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ankündigt. Nicht das Beherrschen und Unterwerfen steht dabei im Mittelpunkt, sondern die Freiheit der Subjekte, die die Regierung des Liberalismus fundiert (vgl. Lemke 2011: 183). Werden die Freiheit und ihr Gebrauch zur Leitorientierung eines liberal agierenden Staates, ist damit einhergehend die Frage nach Sicherheit ebenso zentral. Denn wenn die liberale Regierungskunst die Freiheit des Einzelnen garantiert, so müssen die Bedingungen geregelt und organisiert sein, die diese Freiheit der Einzelnen ermöglicht (vgl. Lemke 2011: 184). Sicherheit wird zum Kalkül liberalen Denkens und die Freiheit des Einzelnen wird dabei zum kritischen Maßstab (vgl. Lemke 201: 184). Mit der ›Erfindung des Sozialen‹ zeigt sich eine Lösung auf die vom Liberalismus aufgeworfenen Probleme (vgl. Lemke 2011: 247). »Das Soziale neutralisiert die politischen Konflikte, indem es ermöglicht, politische Fragen als (sozial-) technische zu redefinieren und sie den ›Sachgesetzlichkeiten‹ der liberal-kapitalistischen Vergesellschaftung unterzuordnen.« (Lemke 2011: 247) Damit einhergehend zeigt sich jedoch ein Spannungsverhältnis von Sozialem und Ökonomischen, welches vor allem seitens neoliberaler Lager kritisiert wurde. Antworten auf die Auflösung werden in einer »Ökonomisierung des Sozialen« (Hayek 2003) gesehen. Der Neoliberalismus zielt dabei auf eine Sicherheitspolitik ab, die das Soziale unter das Diktum des Ökonomischen stellt. Dabei steht im Vordergrund, dass Einzelne ihre Existenz nach einem bestimmten Bild und nach einer Form ausrichten: eines unternehmerischen Selbst. »Das unternehmerische Selbst ist ein Abkömmling des Homo oeconomicus, jenes anthropologischen Konstrukts, auf dem die Wirtschaftswissenschaften ihre Modellierungen des menschlichen Verhaltens aufbauen.« (Bröckling 2007, 12) Die Verantwortung für Aktivität und eben auch Scheitern wird dabei auf das Individuum verlegt: als Responsibilisierungsstrategie. »Der Neoliberalismus inauguriert neue Freiheiten, indem er prinzipiell alles gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen überlässt.« (Lemke 2011: 249) Es dominiert das Kosten-Nutzen-Kalkül als Prinzip, welches die Grenzen eines ökonomischen Rahmens überschreitet und auf sämtliche Lebensbereich – das Soziale – ausbreitet. Verbunden ist damit ein grundsätzlicher Umbau des Sozialen, und insofern ist der Neoliberalismus als gesamtgesellschaftliche Formgebung zu verstehen. Über Staatsraison und Polizei zum Liberalismus und Neoliberalismus zeigt sich mit Foucault eine zunehmende Etablierung von »Selbstregulationstechniken« (Lemke 2011: 251), die sich als politische Strategie verstehen lassen. Es wird deutlich, dass »es für die politische Analyse unverzichtbar [ist], jene Selbststeuerungskapazitäten eines ›autonomen Individuum‹ und ihre Kopplung an Formen politischer Herrschaft und ökonomischer Ausbeutung zum Gegenstand der Untersuchung zu machen« (Lemke 2011: 250f.). Und psychosoziale Beratung, die als Format konstitutiv von einem freiheitlichen Moment bestimmt ist, lässt sich als eine spezifische Form von Selbstregulationstechnik und damit auch
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als Teil politischer Rationalität betrachten – als Technologie des Selbst. Foucault erweitert die von Habermas erarbeitete Technologie, die als gesellschaftliche Analyseraster dienen können. Den Produktionstechniken, Signifikations- oder Kommunikationstechniken und Herrschaftstechniken stellt Foucault die »Technologie des Selbst« bei (vgl. Lemke 2011: 257f.). Es geht ihm weniger um eine Rückkehr zur Subjektphilosophie als vielmehr um die Frage nach der Selbstkonstitution von Subjektivität (vgl. Lemke 2011: 258). Damit wird es für Foucault möglich, Selbst- und Fremdsteuerung in Beziehung zueinander zu setzen, anders als seine früheren Arbeiten, die lediglich den unterwerfenden Charakter der Subjektivierung annahmen (vgl. Lemke 2011: 258f.). Es geht dabei schließlich gerade um die Wechselbeziehung und -wirkung zwischen Herrschafts- und Selbsttechnik. Zeigt sich nun, dass die Institutionalisierung von Beratung wie oben dargestellt zeitlich mit der Etablierung des (Neo-) Liberalismus zusammenfällt, so erhärtet sich die Vermutung, dass der (Neo-) Liberalismus in Beratung (s)eine operative Form findet. Großmaß pointiert: »Man ko¨ nnte auch sagen, Beratung leistet einen Beitrag zur Disziplinierung der Subjekte, indem Selbstreflexion und Selbstlenkung hinsichtlich eines bestimmten Ausschnittes von Welt angeregt werden.« (Großmaß 2006: 502) Zeigt sich die Korrespondenz zwischen (Neo-) Liberalismus und Beratung in einem freiheitlichen Moment, so lässt sich mit Foucault herausstellen, dass Beratung in seiner Wechselbeziehung von Selbstund Fremdführung zu betrachten ist. Vor dem Hintergrund einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive lässt sich dabei dann Beratung gerade nicht in der Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft ansehen, sondern als deren Verschränkung: Psychosoziale Beratung lässt sich damit als Kopplung von Selbst- und Fremdführungstechniken dechiffrieren. »[…] Beratung erscheint als ein (im Gesamtkontext gesellschaftlicher Prozesse sehr) kleiner Knotenpunkt der Verschra¨ nkung von Machtstrategien, der allerdings wenig vom Charakter einer Disziplinarmacht hat, auch nicht u¨ ber Absicherungsstrategien (wie z. B. im Gesundheitswesen) wirksam wird, sondern eher mit gelenkter Flexibilisierung zu tun hat.« (Großmaß 2006: 501) Beratung als Technologie des Selbst zu betrachten, lässt sich auch als »Agentur fu¨ r Individualisierungs- bzw. Subjektivierungsprozesse« (Seel 2009: 23) verstehen, die gerade aktuell die Form des Unternehmerischen Selbst ausbildet und im Rahmen neoliberaler Regierungsrationalität die Gestalt aktueller Subjektivierungsweisen annimmt. Beratung als eine Regierungs- und Führungspraktik zu verstehen, verweist auf die von Foucault herausgestellte neoliberale Gouvernementalität mit dem Rekurs auf das Subjektverständnis des homo oeconomicus, deren Aktualität bis heute umbestritten auch weiter noch Gültigkeit besitzt (vgl. Flügel-Martinsen 2014: 56f.). Agiert psychosoziale Beratung wie dargestellt in sozialpolitischen Themenfeldern, so wird nun deutlicher, inwiefern darin die Ebene des Politischen in Differenz zur Politik
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veranschlagt werden kann. Die über die Staatlichkeit verlagerte gesellschaftliche Angelegenheit macht psychosoziale Beratung im Sozialen zu einer Form einer Konfliktbewältigung und trägt damit einhergehend zur Ökonomisierung des Sozialen bei. Darin wird die Verwobenheit mit dem Feld des Politischen deutlich, die sich in der Beziehung von Selbst- und Fremdführung manifestiert. Und diese Aspekte lassen sich auch in der Entwicklungsgeschichte institutionalisierter psychosozialer Beratung wie im 2. Kapitel dargestellt aufzeigen. Gröning etwa verdeutlicht für die durch gesellschaftliche Reformbewegungen etablierte Beratung einer ersten Entwicklungsphase, die Einbindung der Beratungsarbeit in einen Gesundheits- und Hygienediskurs des 19. und 20. Jahrhunderts und bezieht sich dabei auf Foucault Gouvernementalität. (Gröning 2010/ 2015/ 2016) »Entsprechend dieser Idee der Produktivität der Macht stoßen nun Lehren der Eugenik, der Menschenökonomie, der Erb- oder Sexualhygine vor allem bei den gesellschaftlichen Eliten auf große Resonanz und befördern den Aufstieg von Professionen, die sich um die Lebensweise der normalen Bevölkerung kümmern.« (Gröning 2016: 24) Und das Format Beratung lässt sich in eine dieser Professionen einreihen. Der als zweite Entwicklungsphase gekennzeichnete Abschnitt ist geprägt durch den Einfluss psychotherapeutischer Konzepte etwa von Humanistischen Theorien. Selbstführung, Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Autonomie werden zentrale Aspekte psychosozialer Beratung.137 »Ziel ist die Orientierung an den (ökonomischen) Paradigmen der Selbstentfaltung und des Wachstums.« (Duttweiler 2008: 264) Tändler benennt mit dem Beispiel der Humanistischen Psychologie die enge Verzahnung von theoretischem Konzept und politischer Perspektive: »[Die] Kombination aus Ablehnung eines autoritären Habitus’ und der Forderung nach ›Selbstverwirklichung‹ und Emotionalisierung zwischenmenschlicher Beziehung ermöglichte es der Humanistischen Psychologie, sich erfolgreich in den zeitgenössischen Demokratisierungs- und Humanisierungsdiskurs einzuschreiben und als psychologischer Wegweiser zu einer humaneren, freieren und demokratischeren Gesellschaft rezipiert zu werden.« (Tändler 2011, S. 84f.)
Maasen stellt die große Verbreitung und Nutzung von Beratungsangeboten dabei in Bezug zu dem sogenannten ›psychoboom‹ in den 1970er Jahre: »Dieser Begriff signalisiert einerseits die Anerkennung eines sich gesellschaftsweit durchsetzenden Projekts der Selbstfindung- und Bestimmung durch Therapie und Beratung, andererseits Kritik an den davon ausgehenden Formen der Fremdbestimmung. (Maasen 2011: 8) Mit der Verbindung zur Selbstführung schleicht sich die Kopplung an Fremdführungsstrategien ein, denn sie setzen gerade an den Techniken der Selbstführung an. »Aus einer politischen Gegenbewegung wird ein 137 Siehe kritisch dazu exemplarisch M. Wimmer (1979).
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konstitutives Element des Politischen.« (Maasen 2011: 8) Aus dem Wunsch nach Selbstführung und Auseinandersetzung mit dem Selbst zeigt sich gleichzeitig auch ein ›Beratungszwang‹, darüber die gesellschaftlich akzeptierte Fähigkeiten sicher zu stellen (vgl. Maasen 2011: 8). Mit Großmaß pointiert, es gehe weniger um die Orientierung an einem normalisierungsleitenden Diskurs, sondern: »›Setze dich irgendwie zu den Anforderungen des sozialen Lebens in Beziehung und produziere anschlussfa¨hige Selbstbeschreibungen, sonst kannst du nicht mitmachen!‹« (Großmaß 2006: 502) Schließlich benennt Duttweiler die aktuelle Etablierung der Beratung unter den Vorzeichen der Humankapitalisierung zum Einsatz persönlicher Potenziale, was den Aspekt der Individualität in den Hintergrund rücken lässt (vgl. Duttweiler 2008: 264). Während die Kritik der 70er Jahren am ›homo therapeuticus‹ die Oppositionen von Freiheit und Kontrolle hervorhebt, lässt sich jetzt zunehmend Selbstführungskompetenz als zentrales Thema herausstellen. »Das Selbst ist nicht Schicksal, sondern Option – es kann vielfältig modelliert werden, mehr noch: Wo immer dies möglich ist, sollte es auch geschehen.« (Maasen 2011: 17) Traue spricht dahingehend von einem »Optionalisierungsdispositiv« (Traue 2010a: 272). Die Arbeit am Selbst wird dabei zentral gestellt und erweist sich als Aufgabe, zu der Beratung einen möglichen Verhandlungsraum bietet. Dadurch wird gerade eine Verfügbarkeit über das eigenen Selbst suggeriert. »Auch die wachsende Zahl von Beiträgen zum Selbstcoaching, in denen das Ratgeben zum ultimativen Ratgeber-Thema avanciert, kann beispielhaft für die Voraussetzung einer Verfügungsoption in der Findung des Selbst und der ›Arbeit am Selbst‹ angeführt werden.« (Mayer/ Thompson 2013: 7)138 Beratung lässt sich unter dem Blickwinkel der Gouvernementalität als kokonstitutives Vehikel struktureller Veränderung von Gesellschaft und Kultur begreifen und weniger ausschließlich als Reflex auf wirtschafts- und sozialstrukturelle Veränderungen (vgl. Maasen 2011: 9). Konnte in den in Kapitel 5 angeführten sozialwissenschaftlichen Erklärungsmustern Beratung in Reaktion auf gesellschaftliche Lagen als Nebenfolge der Modernisierung herausgestellt werden, so zeigt sich gerade in einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive, wie das Format der Beratung an den Transformationen mitwirkt. Es zeigt sich, dass Beratung dabei die Figur des unternehmerischen Selbst voraussetzt und dessen Anrufung (Althusser 1977) damit forciert (vgl. Friedrich 2013: 66). Beratung wird damit auch Teil der Gestaltung des Sozialen (vgl. Maasen 2001: 20f.).139 Orientierung und Maßstab bleibt die (Wieder-)Herstellung und der 138 Siehe hierzu auch Georg 2020. 139 Bohn (2017) schlägt eine Brücke zwischen theoretischer Verortung und empirischer Studie im Rahmen von psychosozialer Hochschulberatung und verdeutlicht in diesem Feld die Mechanismen neoliberaler Subjektivierungsformen am Beispiel des Scheiterns.
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Erhalt der nun nicht mehr nur wirtschaftlichen Marktfähigkeit. Friedrich stellt dabei den Markt als Veridiktionsmodus der neoliberalen Gesellschaft heraus, »der aber vom Sicherheitsmechanismus der Beratung umrahmt werden muss.« (Friedrich 2013: 64). Betrachtet man die oben angeführten Aspekte zu einer ›Gouvernementalität der Beratung‹, so lassen sich Koordinaten herausstellen, die Friedrich mit Optimierung, Normalisierung und Autonomisierung benennt (vgl. Friedrich 2013: 65). Darin wird ein Kräftefeld konstatiert, indem Ratgeben in der Verschränkung von Selbst- und Fremdführung zu verorten ist. Läuft der Fluchtpunkt auf eine (Selbst-)Behauptung des entgrenzten Marktes zu, der auch das Soziale unter managerialen Ausrichtungen gestalten soll, so lässt sich darin eine Optimierung erkennen, die dem Prinzip stetigen Wachstums folgt.140 Zentral ist dabei, gerade nicht einen Markt anzuvisieren sondern Prinzip des Marktes als Marktkompetenz im Sinne des »flexiblen Menschen« (Sennett 2010) zu etablieren. Normalisierung erweist sich dabei als ein Kompass zur Orientierung und damit Korrektiv der eigenen Ausrichtung (vgl. Schulze/Höblich/Mayer 2018). Und schließlich bildet die Autonomisierung jenen zentralen Aspekt psychosozialer Beratung, der lebenslanges Herstellen von Eigenständigkeit fordert (vgl. Hahn 1995). »Die gegenwärtig wichtigste Form der Führung durch andere mit dem Ziel der Bearbeitung jener Mangelerfahrungen, die durch die Appelle der Optimierung, Normalisierung und Autonomisierung in Gang gesetzt werden, ist eben das Beratungsdispositiv.« (Friedrich 2013: 66, Hervorhebung im Original) Duttweiler führt die Mechanismen aus, die innerhalb der Beratung dabei wirksam werden können. Dabei bezieht sie sich auf das in der Beratung artikulierte Wissen, das in Form der Erzählung der Ratsuchenden über sich selbst generiert wird. Hierbei lässt sich vor allem der Aspekt der Wahrheitsproduktion benennen, denn das Wissen der Beratenen wird mit dem Expertenwissen der Beratenden verknüpft (vgl. Duttweiler 2008: 267). Neben der Generierung von Beratungswissen aus den Beratungsgesprächen wirkt die Wissensproduktion der Klientel über die asymmetrische Beziehung. Es lässt sich in seinem Effekt dabei Parallelen zum Panoptikum (Bentham) ziehen, wie es Foucault im Rahmen von »Überwachen und Strafen« (1994) herausgestellt hat. Es zeigt sich ebenso ein Verweis auf die Geständnisprozedur der Pastoralmacht, wie sie oben dargestellt wurde. »Denn das Geständnis ist ein Ritual, das durch die bloße Äußerung eine ›innere Veränderung bewirkt‹«. (Duttweiler 2008, 269) Die Konsensbildung von Beratenden und Beratenen verschränkt dabei Macht und Wissen. »Diese verschiedenen Modalitäten – Geständnisprozedur, Expertenwissen und die Konsensbildung weisen Beratung als einen Ort aus, an dem die Macht Wissen formt und die Formen der Wissensproduktion eine Machtbeziehung konstituieren.« 140 Der Heiratsmarkt stellt exemplarisch eine Entgrenzung dar, wie schon Erich Fromm in »Die Kunst des Liebens« (1998) herausstellt.
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(Duttweiler 2008: 269) Responsibilisierung lässt sich dabei als ein zentrales Merkmal herausstellen. Ist es gerade die freiheitliche Entscheidung der Ratsuchenden, überhaupt erst um Rat zu fragen und ebenso die freiheitliche Entscheidung, einen Rat anzunehmen oder eben abzulehnen, so ist es auch den einzelnen überantwortet die Konsequenzen für Entscheidung selbst zu tragen. Und so zeigt sich auch in der Rekonstruktion der eigenen Lebenserzählung, dass diejenigen Weichen eigenverantwortlich gestellt wurden, die auch erst in eine jeweilige Situation der Ratlosigkeit geführt haben. »Ob Vergangenheit oder Zukunft: Alles wird als abhängig von den eigenen Entscheidungen gedeutet. Dieser Fokus auf Entscheidungsprobleme ist konstitutiv für Beratung.« (Duttweiler 2008: 271) Dasjenige Moment, was die Autonomie der Ratsuchenden gerade in der Form der Beratung verspricht, kann sich an dieser Stelle als eine Verantwortungszuschreibung an Einzelne herausstellen. Damit verschwischen die äußeren, die Situation konstitutierenden Einflüsse (vgl. Duttweiler 2008: 271). Zeigt sich in Beratung vermeintlich ein Format, das gerade darauf verzichten will, Problemlösungen direktiv vorzugeben, liegt mit Duttweiler genau darin ein Aspekt der Fremdführung: »Klassifikation, Begriffsbildung, Problemkonstellation, Verfahrenstechnik oder Vorschläge alternativer Handlungsoptionen stellen selbst machtvolle Einwirkungen in die ›Bestimmung‹ der Subjekte dar.« (Duttweiler 2008: 272) Selbstbestimmung wird hierbei zur Fremdbestimmung, indem genau dieses Verständnis von Subjektsein gefordert ist. Beratung liefert dafür das passende Format, indem Handlungsoptionen aufgezeigt werden sollen und damit das Subjekt als selbstbestimmtes adressiert wird. Schließlich formuliert Duttweiler pointiert: »Beratung erweist sich als ein wesentliches Element, den Umbau des Sozialen, der auch ein Projekt des Umbaus des Menschen ist, (mit) zu gestalten.« (Duttweiler 2008: 273) Schulze weist darauf hin, dass in den jeweiligen Beratungstheorien, Ansätzen und Methode der Zusammenhang von Sprache, Wissen und Macht wenig bis gar nicht thematisiert werde. »Dieser ›blinde Fleck‹ basiert darauf, dass Sprechhandlungen (und nicht nur die Merkmale bestimmter Fragetypen entsprechend den jeweiligen Beratungsschulen) nur selten in ihren sozialen Herstellungsakten betrachtet werden und Sprache an sich nicht als Handlungsmacht verstanden wird.« (Schulze 2018: 33) Dabei gilt es, die jeweiligen Bezüge im jeweiligen gesellschaftlichen (Entstehungs-) Kontext zu betrachten und die sie wiederum konstituierenden Bedingungen mitzubedenken (vgl. Schulze 2018: 42). Die gouvernementalitätstheoretische Perspektive zeigt mit Foucault den Subjektstatus als Effekt eines Macht-Diskurses, der konstitutiv für die Beratung bestimmende Subjektivierungsform ist: »Unternehmerisches Selbst» (Bröckling 2007). Beratung lässt sich auch anders als einen Reflex auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse begreifen und als Vehikel einer politischen Rationalität verstehen, die eine aktuell bestimmte Art und Weise vorgibt, mit Problemen
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umzugehen: sich beratend. Im Anschluss an Duttweiler konnten zur Übersetzung dieser politischen Rationalität in der Beratung Mechanismen benannt werden. Zusammenfassend lässt sich Beratung auch als Instrument neoliberaler Aktivierungspolitik verstehen: Beratung agiert über eine Responsibilisierung durch Verantwortungstransfer auf Ratsuchenden, indem ihnen Verantwortung in die eigenen Hände gelegt wird. Beratung zeigt sich als flexiblisierte Form, die sich auf sämtliche lebensweltlichen Bezüge übertragen lässt. Darin erweist sich eine bestimmte Art und Weise, mit problematischen Situationen umzugehen: Das Beraten selbst wird zur Aufgabe und Subjektivierungsweise, der es sich im Sinne einer (Lebens-) Aufgabe zu stellen gilt. Wie und dass Lebenssituationen als problematisch wahrgenommen werden, wird durch eine bestimmte Wissensorganisation vorstrukturiert. Dabei manifestiert sich eine Vorstellung von Souveränität des Subjekts, indem der biographische Lebensweg als Resultat in der Vergangenheit getroffener Entscheidung konstituiert wird. Diese Logik gilt folglich auch für zukünftige Ereignisse. Die Verpflichtung auf eine bestimmte Weise, Wahrheit über sich als Problemexplikation einer bestimmten Erzählung von sich zu erzeugen, lässt sich in Anlehnung an pastorale Regierungstechnologie des Geständniszwangs betrachten. Dabei führen bestimmte gegenwärtige Problematisierungsweisen überhaupt erst in die Situation der Ratlosigkeit, wobei der Diskurs jeweils Vorstellungen davon prägt, was als problematisch wahrgenommen werde. Es wird deutlich, dass diese Diskurse gerade erst »die Vorstellung eines gestaltbaren mentalen und affektiven ›Inneren‹ des Menschen hervor […]« (Traue 2010 b: 238) bringen. Die oben erläuterte Darstellung einer ›Gouvernementalität der Beratung‹ lässt noch einmal ein anderes Licht auf das Format psychosozialer Beratung werfen und damit differente Konturen sichtbar werden. Mit Foucault lässt sich eine Ambivalenz von Beratung herausstellen, die sich auch in der soziohistorischen Entwicklung psychosozialer Beratung zeigt. Das einfache Argument, es handele sich bei Settings, in denen ein subtiles Führungsanliegen zu detektieren ist, nicht um Beratung, greift damit zu kurz. Denn es ist gerade auf einer Ebene des Politischen die Ambivalenz die Foucault herausstellt, indem er betont, dass Disziplinierung gerade nicht als Zwang erfolgt, sondern an freiwillige Selbstunterwerfung geknüpft sei. Im Folgenden wird mit Foucault deutlich, dass Beratung weniger als ein Instrument von reiner Disziplinierung und absoluter Unterwerfung zu betrachten ist. Vielmehr soll betont werden, dass sie weder nur (Selbst-) Ermächtigung noch nur (Selbst-) Unterwerfung bedeutet, sondern einen ambivalenten Charakter hat. Denn es sind immer auch Widerstandspotentiale, die dem Regieren inhärent sind. Plößer formuliert dahingehend: »Allerdings stellt sich die Frage, ob Beratung per se als Regierung und Selbstdiziplinierung der Subjekte entlang eines dominanten Wissens verstanden werden muss oder
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ob Beratung nicht auch widerständiges Wissen hervorbringen kann – ein Wissen, das gerade nicht Formen der Responsibilisierung folgt, sondern ganz im Gegenteil von Selbst- Verantwortung entlastet, eine Beratung die die Beschreibungen und das Wissen der Subjekte ernst zu nehmen und zu unterstützen sucht.« (Plößer 2013: 1371)141
Foucault wirft einen politischen Blick auf das Soziale, denn in der Verschränkung von Selbst- und Fremdführung, die auch innerhalb des Formats der Beratung deutlich wird, lässt sich auch ein ›die Politik unterbrechendens‹ Widerstandsmoment herausstellen.
6.3. Ambivalenz der Macht: Selbsttechnologien und Technologien des Selbst Foucaults Perspektive legt es nahe, von einer Dichotomisierung von Disziplinierung und Widerstandspraktik abzurücken. Polarisierung ließe sich selbst als politischen Effekt ausmachen.142 »Gerade weil der Neoliberalismus nicht nur eine neue Form des Sozialen sondern auch eine neue (›autonome‹) Subjektivität ›erfindet‹ und darauf zielt, diese Subjektivität mit politischen Imperativen auszustatten, stellt sich das Problem einer ›widerständigen Subjektivität‹, die diese Anforderungen und Zumutungen zurückweist.« (Lemke 2011: 251) Foucaults Arbeiten zur »Geschichte der Sexualität« als Genealogie des modernen Subjekts lassen sich als Fortführung und Ergänzung der Genealogie des modernen Staates sehen und fokussieren Subjektivierungsprozesse und ethische Fragen (vgl. Lemke 2011: 253f.). Die Auseinandersetzung mit aktiver Lebenskunst als ›ethische Wende‹ lässt sich dabei mit Lemke weniger als Bruch, wie es andere sehen, verstehen, als vielmehr eine Weiterentwicklung seiner bisherigen Ansätze (vgl. Saar 2007a: 276). »Der Gebrauch der Lüste und Die Sorge um sich versuchen, das Problem der Produktivität der Macht aus einer neuen theoretischen Perspektive und mit anderen konzeptionellen Mitteln anzugehen, indem sie der genealogischen Analyse eine zusätzliche Dimension eröffnen.« (Lemke 2011: 255, Hervorhebung im Original) Foucaults weitere Auseinandersetzungen bauen auf einem Regierungsbegriff auf, der sich auf Subjekte und deren Freiheit bezieht. Machtmechanismen funktionieren dabei über Subjektivierungsformen (vgl. Lemke 2011: 256). Eine Weiterentwicklung zu seinen bisherigen Arbeiten be141 Plößer argumentiert weiter mit Judith Butlers Performativitätstheorie. Im Rahmen dieser Arbeit steht allerdings die Ambivalenz des Machtbegriffs Foucaults als Perspektive auf das Politische psychosozialer Beratung im Vordergrund. Butler greift Stränge Foucaults auf und entwickelt diese weiter. Siehe zu u. a. der Frage nach Widerstandsmöglichkeiten im Kontext von Beratung vor dem Hintergrund von Performativität und Leib_Körper orientierter Perspektive: Spahn/Will (2021 i.E.). 142 Siehe zum Aspekt eines politischen Effekts von Polarisierung etwa Bröcklig (2010).
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stand vor allem darin, danach zu fragen, wie in kritischer Absetzung zur Repressionshypothese sich Subjekte gerade als Subjekt anerkennen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Erfahrung zentral: »Wissen, Macht und Subjektivität konstituieren jeweils eigene Dimensionen von Erfahrungen, die jedoch nicht für sich allein, sondern nur in ihrem Verhältnis zueinander untersucht werden können.« (Lemke 2011: 261) Foucault geht dann davon aus, dass die Erfahrung gerade dem Subjekt vorausgeht und benennt dies mit dem Begriff der Subjektivierung, als Subjekt-Werdung. »Demgegenüber besteht die genealogische Rekonstruktion auf einem Machtkonzept, das Macht als historisch kontingentes Kräfteverhältnis und Optimierungsstrategie dechiffriert, die die Moral oder den Menschen als Gegenstände des Wissens und zugleich als soziale gesellschaftswirksam erst hervorbringen.« (Bublitz 2003b: 103f., Hervorhebung im Original) Zentral ist hierbei, dass sich weder Subjektsein nur als unterwerfender Akt an Kategorien festmacht, noch, dass Subjektivität nur beliebige Wahlmöglichkeiten offen hält. Vielmehr betont Foucault, dass es eine Vorgängigkeit der Konstitutionsbedingungen gebe, die jedoch gerade vom Subjekt performativ ergriffen werden. Hierbei geht es gerade um ein Wechselspiel der von ihm herausgestellten Kategorien Wissen, Macht, Subjekt. In dem oben dargestellten produktiven Charakter von Macht im Sinne von Ermächtigung und Unterwerfung stellt sich mit Foucault eine Ambivalenz heraus, die sich als Unentscheidbarkeit darstellt. Schäfer formuliert für die Pädagogik, was ebenso Geltung für Beratung beanspruchen kann: »Es handelt sich bei dieser Differenz von Unterwerfung und Entunterwerfung nicht um die idealistisch verstandene Alternative von Unterdrückung und Freiheit, womit Pädagogik [und eben damit auch Beratung, JCW] wieder die einfache Möglichkeit hätte, sich auf die richtige Seite zu stellen.« (Schäfer 2004 b: 161) Es zeigt sich also ein spannungsreiches Verhältnis von Subjekt und Macht. Betrachtet man nun psychosoziale Beratung aus dieser Perspektive des Politischen, so lässt sie sich innerhalb dieser Spannung verorten. Denn Beratung unter machttheoretischer Perspektive foucaultscher Provenienz zu betrachten, geht gerade davon aus, mit dem Format sowohl emanzipative als auch unterwerfende Elemente zu bedienen. Dabei bleibt jedoch aus dieser Perspektive die Frage der Unterscheidung offen, der Foucault selbst nicht nachgeht (vgl. Flügel-Martinsen 2014: 43f.). Beides, Unterwerfung und Widerstand bedingen sich gegenseitig. (vgl. Flügel-Martinsen 2014: 44)143 143 Siehe hierzu die Auseinandersetzung zu Macht und Herrschaft von Weber und Arendt: »Auf der einen Seite la¨sst es sich mit Webers Machtbegriff nur schwer denken, wie Menschen miteinander die Welt gestalten, so dass politische Umbru¨ che sich im Grunde nur als siegreiche Interessendurchsetzungsverschiebungen deuten lassen, wodurch die wesentliche Dimension gemeinsamen Handelns, die politische Widerstandsbewegungen aller- erst ermo¨ glicht, ausgeblendet wird. So stellt sich der Eindruck ein, es fehle etwas, wenn wir durch
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Mit Foucaults Unterscheidung von Moral und Ethik lässt sich noch einmal verdeutlichen, wie sich im Bereich der Moral in einem Zusammenspiel von Moral-Verhalten, Code und Moral-Subjekt moralische Erfahrung konstituiert und damit die Form der Subjektivierung als (ethisches) Selbstverhältnis herausstellen lässt. Mit der Beziehung von Code und Verhalten als Ethik geht Foucault von einer Verhältnissetzung zu sich selbst aus. Das Subjekt konstituiert sich dabei in einer bestimmten Art und Weise durch die Gestaltung dieses Verhältnisses (vgl. Lemke 2011: 266). »Wenn jede ›Moral‹ im weitesten Sinne sowohl Verhaltensregeln wie Subjektivierungsformen enthält, dann ist es möglich, moralische Erfahrungen zu unterscheiden, bei denen der Akzent eher auf dem Code liegt und solche, deren Schwerpunkt die ›Ethik‹ bildet.« (Lemke 2011: 266) Was mit der Differenzierung deutlich wird, ist die Art und Weise des Verhältnisses zu sich selbst, worin das ethische Subjekt in einer bestimmten Form als Selbstkonstitution auftritt. Denn: »Das ethische Subjekt ist kein konstitutives Subjekt, das den Bedingung seiner Subjektivierung vorausgeht, sondern das Ergebnis von Macht-, Wissen- und Selbstpraktiken, durch die es konstituiert wird.« (Lemke 2011: 268) Foucault rückt von essentialistischen Idealen ab. Er betont die historische und zeitbedingte Abhängigkeit von Subjektvorstellungen, die sich durch die jeweilige Formgebung von Subjekt-Sein singulär realisiere (vgl. Lemke 2011: 269). In seinen Auseinandersetzungen mit der ›Antiken Lebenskunst‹ stellt Foucault fest, dass darin der formgebende Selbstbezug im Mittelpunkt stünde (vgl. Lemke 2011: 272). Mit dem Christentum zeigt sich ein Bruch mit dieser Tradition. Das Subjekt orientiert sich in dieser Linie an moralischen Codes. »Das Christentum ersetzt die Tradition einer ›Ästhetik der Existenz‹, die sich durch die ästhetisch-politische Gestaltung eines diesseitigen Lebens auszeichnet durch eine Hermeneutik des Begehrens, die auf Reinheit und Unsterblichkeit in einer jenseitigen Existenz zielt.« (Lemke 2011: 285) Wie bereits in den Erläuterungen zur Pastoralmacht verdeutlicht, wird dabei das Moment der ›freiwilligen Unterwerfung‹ herausgestellt und die Techniken der antiken Lebenskunst in diesen Rahmen aufgenommen (vgl. Lemke 2011: 286). »Das Christentum führt nicht eine neue Moral ein oder neue Verbote, sondern erfindet eine neue Figur der eine Webersche Brille auf Prozesse wie in der ju¨ ngeren Zeitgeschichte etwa die Erhebungen in einigen arabischen Staaten blicken und die dortige Konstitution einer »Macht der Menge« allein als erfolgreiche Verschiebung in den Chancen auf Interessendurchsetzung deuten. Auf der anderen Seite scheint Arendts Machtbegriff idealistisch u¨ berfrachtet zu sein, indem er die in gewisser Weise dunklen Seiten der Macht auf den Begriff der Gewalt verschiebt und es so verhindert, sie als interne Charakteristika von Macht zu verstehen; zudem ist er nur wenig geeignet, Perspektiven einer Institutionalisierung von Macht zu denken, wie es sich schließlich bei Arendt selbst in den teils resignativen Unterto¨ nen ihres Revolutionsbuchs zeigt.« (Flügel Martinen 2014: 46f.)
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Subjektivität – und eine neue Form der Macht.« (Lemke 2011: 290) Eine spezifische Weise, sich selbst zu führen, eine bestimmte Wahrheit anzuerkennen und sich selbst zu erkennen, wird dabei im Rahmen dieser Machtkonzeption deutlich (vgl. Lemke 2011: 290). Foucault macht damit auf die Verschränkung der Ebenen des Subjekts und Staat aufmerksam und sieht in den Selbsttechnologien und Technologien des Selbst eine Verknüpfung, die damit eben auch psychosoziale Beratung in die Dimension des Politischen einreiht. Lemke verdeutlicht: »Das Private und das Öffentliche, das Persönliche und das Politische, das Ästhetische und das Ethische sind nicht voneinander getrennte und gegeneinander geschlossenen Gegenstände, die dann wiederum miteinander vermittelt werden müssen, sondern konstituieren zwei Elemente innerhalb einer einzigen ethisch-politischen Problematik, die die ›Genealogie des modernen Subjekts‹ mit der ›Genealogie des modernen Staates‹ zusammenbindet.« (Lemke 2011: 292)
Und diese Verbindung etabliert sich über ein freiheitliches Moment. Denn in dem beschriebenen produktiven Machtverhältnis stehen sich nicht Freiheit und Macht gegenüber, sondern bilden einen Konnex. Psychosoziale Beratung wurde oben in den angeführten Erklärungsmustern in einer Gegenüberstellung von Freiheit und Macht vorgestellt und damit der emanzipatorische Aspekt in den Vordergrund gerückt. Erweist sich nun Freiheit als zentrales Element eines produktiven Machtverständnisses, unterläuft dies die Gegenüberstellung und damit gleichzeitig die Dichotomisierung von Emanzipation als Ermächtigung und Unterwerfung. »Unter diesen Bedingungen setzt ein Machtverhältnis sowohl handelnde Subjekte wie die Existenz eines ›Möglichkeitsfeldes‹ voraus, das eine Reihe verschiedener Antworten, Reaktionen, Verhaltensweisen etc. erlaubt.« (Lemke 2011: 301) Damit wird Freiheit gerade als ein zentrales Moment von Macht in einem produktiven Sinne erkennbar, die als »ontologische Voraussetzung« (Lemke 2011: 301) zu sehen ist. Freiheit »wird darüber hinaus zum materialen Träger einer Machtbeziehung, da ohne ›Freiheit‹ die Machtbeziehung selbst verschwinden und dem einfachen Zwang der Gewalt weichen würde« (Lemke 2011: 301. Hervorhebung im Original). Durch das einander Einschließen von Macht und Freiheit wird deutlich, dass in jeder Machtbeziehung Widerstandsmöglichkeiten konstitutiv eingeschrieben sind.144 Mit dieser Einschreibung zeigen sich Formen von Machtbeziehung, die sich durch eine Dynamik auszeichnet. Davon unterscheiden lassen sich Machtbeziehungen, die keinen Raum für Wahlmöglichkeiten offen halten und sie zeigen sich in einer geschlossenen Figur (vgl. Lemke 2011 303). Foucault führt dafür die Unterscheidung zwischen Machtbeziehungen und Herrschaftszustände ein. Machtbeziehungen sind nicht auf einen politischen Kontext begrenzt, sondern meinen 144 Siehe hierzu Schubert (2018).
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eben auch die Konstellation von Beratenden und Beratenen. Herrschaftszustände lassen sich mit Foucault als blockierte Machtbeziehungen verstehen, die durch ökonomische, politische oder militärische Mittel unbeweglich und starr werden (vgl. Foucault 1984: 11). Herrschaft lässt sich in diesem Sinne auch als geronnene Macht verstehen: »In Herrschaftsbeziehungen ist die Beweglichkeit und Dynamik, die in Machtbeziehungen zu beobachten ist also mehr oder weniger vollständig getilgt. Herrschaft ist somit geronnene erstarrte Macht.« (Kneer 1998: 252, Hervorhebung im Original) Machtbeziehungen bilden die »Bedingungen der Möglichkeit« von Gesellschaft, als »soziales Spiel«, welches mit dem Funktionieren von Gesellschaft verknüpft ist und sich damit nicht nur auf die Ebene des Politischen beschränkt (vgl. Lemke 2011:303). Herrschaftszustände hingegen verhärten Asymmetrie und verhindern dauerhaft Machtbeziehungen und Freiheitspraktiken (vgl. Lemke 2011: 304). Macht und Herrschaft sieht Foucault als einen ›intermediären Begriff‹; der Begriff der Regierung hat eine Scharnierfunktion (vgl. Lemke 2011: 304). Die Differenzierung zwischen Macht und Herrschaft zeigt sich davon bestimmt, welcher Grad an Freiheit zugesprochen wird. Ebenso zeigt sich Ethik von einem freiheitlichen Moment bestimmt, auf dem die Gestaltung des Selbstverhältnisses zu sich selbst als Formgebung aufbaut. Hier zeigt sich Freiheit auch konstitutiv für die Relation von Subjektivität und Macht (vgl. Lemke 2011: 306). Macht in diesem produktiven Sinn relational zu begreifen verweist auf die jeweilige Praxis und damit auf ein performatives Moment. Damit verbunden erweist sich Freiheit ebenso in und aus Praxis heraus. »Ebenso wenig wie Machtsysteme jede Möglichkeit von Widerstand, Opposition, Ungehorsam etc. ausschließen können, kann es umgekehrt Systeme geben, die Freiheit garantieren.« (Lemke 2011: 306) Dabei zeigen sich gerade die Wechselwirkungen als konstitutiv: Das Subjekt konstituiert sich also in und zwischen Unterwerfungs- und Freiheitspraktiken, die nicht zwei gegensätzliche Pole bilden (vgl. Lemke 2011: 308). »Subjektivierungspraktiken definieren also kein autonomes Feld, sondern sind immer in ökonomische, politische und gesellschaftliche Prozesse eingebunden.« (Lemke 2011: 309) Widerstand als das (Er-)Finden neuer und anderer Subjektivierungsformen erweist sich damit als in sich selbst gegründet, da er sich immer auch auf die spezifischen Formen als Subjektivierung bezieht: »Da Regierung der Freiheit der Subjekte eine bestimmte Form gibt, um sie zu kontrollieren und zu lenken, stellt umgekehrt dieser Selbstbezug ein Widerstandspotential dar, das gegen Regierungstechnologien eingesetzt werden kann.« (Lemke 2011: 310) Hier wird noch einmal die Verflechtung von Selbst- und Fremdführung deutlich. »Das charakteristische Merkmal von Regierung besteht darin, dass sie eine Form der Macht etabliert, die Individuen nicht direkt unterwirft oder beherrscht, sondern sie durch die Produktion von ›Wahrheit‹ anleitend führt.« (Lemke 2011: 322f.)
Ambivalenz der Macht: Selbsttechnologien und Technologien des Selbst
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In diesem Zusammenhang stellt Foucault heraus, dass es weniger um die Suche nach der Wahrheit gehe. Vielmehr stehen die Fragen nach Funktion, Effekt sowie Gültigkeitskriterien von Wahrheit im Vordergrund (vgl. Richter: 2005 136). Hieran schließt das an, was Foucault mit »Wahrheitsspielen« bezeichnet (vgl. Foucault 1989: 12f.) Foucaults Schaffen lässt sich dahingehend als eine ›historische Ontologie‹ lesen, die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wahrheit in jeweils historischen Kontexten fragt (vgl. Lemke 2011: 327). Mit Foucault wird also der Blick auf die Konstitutionsbedingungen gelenkt. Das bedeutet für den Rahmen psychosozialer Beratung, dass es gerade nicht nur um die Perspektive auf den Prozess der Beratung geht, sondern sowohl das Format selbst in einem historischen Bezug und als Teil eines Wahrheitsspiels anzusehen ist, wie auch die angewandten Mittel, also theoretischen Bezüge, methodisches Vorgehen, feldunabhängiges sowie feldabhängiges Beratungswissen stets in den jeweiligen Machteffekten zu fokussieren und die damit einhergehende Formation zu betrachten sind. Flügel-Martinsen formuliert allgemein: »Ob es sich um den Vorgang der Subjektkonstitution durch Macht oder die widersta¨ ndige Verschiebung von Sinnordnungen handelt: Stets ist es notwendig, den kritischen Blick auch auf unsere Beobachtungsmittel und nicht nur auf die Prozesse zu richten.« (Flügel-Martinsen 2014: 53) Foucault ging es weniger darum, eine Theorie der Macht zu erarbeiten. Er war vielmehr an den dynamischen Praktiken interessiert. Ihn interessiert das ›Wie‹ der Macht aus einer praktischen Perspektive, die nach Dynamik und Vielfalt der Wirkung fragt (vgl. Andermann 2019: 112).145 Mit dieser Perspektive rücken die Praktiken der Subjektivierung in den Vordergrund. Beratung wurde oben in Sinne einer Agentur für Subjektivierungsprozesse (Seel 2009) beschrieben, in dem durch Beratung spezifische Arten und Weisen des Selbstbezugs verbunden werden konnten. Und dies bezieht sich auf die Konstitution eines Subjektverständnisses, wie es Beratung ›stillschweigend‹ voraussetzt. Gleichwohl ist Subjektivierung auch Gestaltungskraft für zukünftiges Agieren, indem Problembewältigung auch ein verändertes Verhältnis zu sich selbst mit sich bringt. Die Perspektive wird hier also auf die Herstellungspraktik der Subjektivierung gerichtet, die als Effekte das Beratungsgeschehen begleiten. Wird hierbei Subjektivierung mit ›Formgebung‹ perspektiviert, werden Möglichkeitsfelder erkennbar, die von einen politischen Rahmen umrandet werden146 (vgl. Andermann 2019: 114).
145 Großmaß (2017) stellt in einem Vortrag im Vergleich von Bauman und Foucault heraus, dass es in der Auseinandersetzung mit der Moderne Bauman eher um die Frage nach dem Was der Transformation ginge und Foucault hingehen eher das Wie stärker fokussiere. 146 Siehe hierzu auch Liebsch (2019).
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Innerhalb dieses Rahmens werden Existenzbedingungen aufgezeigt, die ergriffen werden können und die Individuation kennzeichnen. Die Konstitution des Subjekts als Subjektivierung wurde eben schon als ein singulärer Akt bezeichnet. »Und es bedeutet vor allem, diese Beziehungen zuerst als Kräfte zu verstehen, die jeweils von außen kommend aufeinander wirken und sich durch das Individuum hindurch übertragen und beeinflussen.« (Andermann 2019: 114f.) Die Macht geht sozusagen durch die Individuen hindurch und ist sowohl Subjekt als auch Objekt der Wirkung selbst (vgl. Andermann 2019: 115). Darin erweist sich die Ambivalenz von Foucaults Machtbegriff, der für das Politische prägend ist. »Das Politische scheint in dieser Bestimmung als etwas auf, das sich vielfach ereignet und zugleich entzieht, das sich durch Macht aktualisiert und sich im Moment seiner Konkretisierung wieder verflüchtigt.« (Andermann 2019: 121) Das Politische in der Differenz zur Politik wurde oben auch in diesem Moment des Entziehenden sowie der Verflüchtigung gesehen und was sich als eine Unterbrechung der Politik erweist. »Es ist gerade diese flüchtige Uneindeutigkeit des Politischen, die durch die begriffsgeschichtliche Herleitung von Foucaults Machtkonzeption deutlich wird und in ihrer Bedeutung für den Zusammenhang von Macht und Subjektivierung zu untersuchen ist.« (Andermann 2019: 121) Psychosoziale Beratung wird damit zu jenem Ort, an dem Macht durch Subjektivierung (singulär) individuiert. In diesem Kräftefeld konstituiert sich das Politische. Macht lässt sich gerade nicht von einem Zentrum aus denken, sondern als Feld »relationaler Kausalitäten«. (vgl. Andermann 2019: 123)147 Foucault begreift dabei den Machtbegriff aus der Ambivalenz heraus, die sich in der Subjektivierung von Ermächtigung und Unterwerfung erweist. Gerade mit dem Verständnis der Ambivalenz der Macht wird eine Betrachtung von Beratung unter gouvernementalitätstheoretischer Perspektive erst möglich.
6.4. Haltung der Kritik – Kritik als Haltung An dieser Stelle ist ein neuralgischer Punkt der Dimension des Politischen erreicht. Denn die herausgestellte Ambivalenz wirft unweigerlich die Frage auf, wie sich überhaupt dazu zu verhalten ist. Dies führt zu der Frage nach Kritik, die mit Foucault eine Haltung der Kritik ist. Damit verbunden lässt sich auch etwas über das Politische der Haltung aussagen. Stehen in Beratung emanzipative Aspekte im Vordergrund, so ist damit durch das Format des Ratgebens als Ratgeben der Bezug zur freiheitlichen Wahlmöglichkeit der Beratenen gesetzt. Nimmt man dies als Ausgangspunkt von Beratung, geht es darum, unterwerfende Aspekte in Frage zu stellen, also Kritik daran 147 Ricken (1999) stellt u. a. hiervon ausgehend Macht als »relationale Relationalität« heraus.
Haltung der Kritik – Kritik als Haltung
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zu üben – darin wird ein beraterisches Moment erkennbar.148 Mit Foucault zeigt sich allerdings in der oben dargestellte Weise, dass Ermächtigung und Unterwerfung immer schon Teile in einem gemeinsamen Spiel einer Ambivalenz der Macht darstellen, es also gerade keine Möglichkeit gibt, außerhalb des Systems zu stehen und keine andere Sprache zu haben, von und mit eben von dieser Position aus Kritik zu üben, ja üben zu können. Kritik verweist dabei nicht auf eine Position, die in Opposition zu einer anderen Seite steht, wenn der Konnex aus Freiheit und Macht eine Entgegensetzung untergräbt. Mit Foucault lässt sich schließlich auf ein anderes Verständnis von Kritik hinweisen, was er als Kunst bezeichnet, »nicht dermaßen regiert zu werden« (Foucault 1992: 12) und damit als eine Möglichkeit betrachten, »herrschenden Wahrheiten« zu entziehen (vgl. Lemke 2011: 343). »Die kritische Bewegung ist also nicht eine einfache Entgegensetzung und Reaktion auf die Intensivierung der Regierungspraktiken, sie funktioniert vielmehr stets als ein Element innerhalb der Regierungspraktiken.« (Lemke 2011: 343) Dabei geht es nicht um ein bestimmtes Wissen, was sich als Kritik anbringen lässt und etwa auf ein Expertenwissen rekurriert (vgl. Lemke 2011: 352). Es geht Foucault vielmehr um ein bestimmtes Verhältnis als ethisches Selbstverhältnis. Kritik ist für ihn in erster Linie eine Haltung und verweist als kritisch-problematisierende auf die mögliche Überschreitung epistemologischpolitischer Grenzen (vgl. Lemke 2011: 350). Dabei versteht Foucault Kritik in Anlehnung an Kants Aufklärungsgedanken als »eine bestimmte Art zu denken, zu sagen, zu handeln auch, ein bestimmtes Verhältnis zu dem, was existiert, zu dem, was man weiß, zu dem, was man macht, ein Verhältnis zur Gesellschaft, zur Kultur, ein Verhältnis zu den anderen auch – etwas, was man die Haltung der Kritik nennen könnte« (Foucault 1992: 8).
Mit Menkes (2003) Auseinandersetzung mit »zweierlei Übungen« lässt sich dies verdeutlichen. Er weist für die Praxis der Subjektivierung auf die ›Übung‹ hin, die sich mit Foucault als Technik des Einübens in das jeweilige Selbstverhältnis ansehen lässt. Dabei stellt Menke heraus, dass es sich um »zweierlei Übung« handele, die einmal ästhetisch-existentielle Selbstführung anvisiere und zum anderen soziale Disziplinierung hervorbringe. Dabei zeige sich, dass beide in ihren Mechanismen große Ähnlichkeiten aufweisen. »Der Gegensatz zwischen den Konzeptionen des ästhetisch-existentiellen und des disziplinären Subjektes besteht darin, wie sie den Prozeß und die Praxis des Selbstbezugs in der Übung […] verstehen.« (Menke 2003: 289) Während die ästhetisch-existentielle Weise auf eine selbstgebende Form abzielt, sei die disziplinierende Subjektivierung an einer teleologischen Normalisierung orientiert. »Für Foucault konstituiert sich 148 Masschelein (2003) verweist dabei auf eine klassische Figur erziehungswissenschaftlicher Kritik, als Überwacher eines kritischen Prinzips von Bildung und seines emanzipatorischen Versprechens (125).
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Gouvernementalität der Beratung
eine freie Subjektivität nicht in der Entdeckung universeller Notwendigkeiten und Zwänge, sondern in ihrer Zurückweisung und der Konstruktion anderer gesellschaftlicher Verhältnisse als jener, die sich auf universell Normen gründen.« (Lemke 2011: 357) Menke schlussfolgert: »Ob eine Übung disziplinierend oder ästhetisch-existentiell ist, liegt an der Haltung, mit der man sie ausführt.« (Menke 2003: 299) Weil es auf die Art und Weise des Bezugs ankommt, zeigt sich ein Rekurs auf Haltung. Es hängt nicht von einer bloßen Entscheidung ab, denn die Übung selbst kann immer auch beides sein. »Sie [die Übung, JCW] wiederholt und konstituiert die Unterwerfung (es ist keine zeitliche Reihenfolge auszumachen), gleichzeitig bricht sie mit ihr.« (Lüders 2007: 138f.) Das bedeutet, dass sich in Haltung das ambivalente Moment fortschreibt, indem darin Fremdführungsstrategien genauso aufgehoben sind wie die Transgression des Gegebenen über das Aufgegebene als Experiment der eigenen Existenz. »Die Eigenart der Kritik besteht darin, dass sie die Analyse der epistemologisch-politischen Grenzen unserer historischen Existenz vornimmt – und damit zugleich auf das Prinzip ihrer möglichen Überschreitung.« (Lemke 2011: 350) Jergus (2019: 82) spricht in diesem Zusammenhang von einer »Komplizenschaft« der Haltung, die sich durch Stiftung und Aussetzung manifestiere. »Die ›kritische Haltung‹ la¨ sst sich folglich als eine solche Kippfigur lesen, insofern sie eine klare Verortung unterla¨ uft und etwas beansprucht, u¨ ber das nicht verfu¨ gt werden kann, indem die ›kritische Haltung‹ eine Souvera¨nita¨t dort etabliert, wo es sie nicht gibt.« (Jergus 2019: 82) Butler stellt dabei den Verweis auf Haltung als Tugend heraus, wodurch Foucault nicht ›einfach‹ den Widerstand beschreibe, sondern auf diese Doppelfigur aufmerksam mache (vgl. Butler 2002: 257). Denn mit Kritik als Haltung werden gerade die eigenen Konstitutionsbedingungen in Form einer »Grenzbearbeitung« (Kessl/Maurer 2009)149 zu Transgression und Verschiebung be- und hinterfragt. Butler verdeutlicht: »Ein Subjekt entsteht in Beziehung auf eine etablierte Ordnung der Wahrheit, aber es kann auch einen bestimmten Blickwinkel auf diese etablierte Ordnung einnehmen, um rückwirkend seinen eigenen ontologischen Grund zu suspendieren.« (Butler 2002. 258) Foucault weist auf die Perspektive der jeweiligen Praxis der Kritik hin, deren normativer Bezugspunkt gerade wieder die kritische Befragung hervorrufe. Butler stellt diesen Aspekt folgendermaßen heraus: »Kritik ist immer die Kritik einer institutionlisierten Praxis, eines Diskurses, einer Episteme, einer Institution und sie verliert ihren Charakter in dem Augenblick, in dem von dieser Tätigkeit abgesehen wird und sie nur als rein verallgemeinerbare Praxis darsteht.« (Butler 2002: 249, Hervorhebung im Original) Kritik versteht sich hierbei als Praktik, die sich auf lokale Praktiken bezieht und damit eine weniger radikale 149 Kessl und Maurer (2009) entwickeln davon weiterdenkend die Figur der Grenzbearbeitung, die die Sicherheit der Opposition aufgibt.
Haltung der Kritik – Kritik als Haltung
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Reichweite annimmt als es theoretische Umwälzungen zu versprechen vermögen (vgl. Lemke 2011: 355). »Für Foucault sind normative Fragen nicht von praktischen Problemen zu lösen oder genauer: Für ihn sind normative Fragen keine theoretischen Probleme, sondern praktische Angelegenheiten.« (Lemke 2011: 355) In der Fortschreibung der Ambivalenz wird ersichtlich, dass nicht jede Haltung jeweils kritisch ist und sein muss. »In diesem Sinn besteht Kritik weder in der Affirmation des Bestehenden noch seiner Negation, sondern in einer Problematisierung, die sich auf eine tiefere und grundlegendere Ebene richtet, um den gemeinsamen Boden dieser beiden ›Lösungen‹ zu erforschen.« (Lemke 2011: 350) Kritik, die auf Problematisierung abzielt, lässt sich mit Foucault eben nicht auf eine Möglichkeit beschränken oder als die richtige Kritik ansehen, sondern nur als eine Form. »Dennoch bietet die Konzeption von Kritik als Haltung keine Gewähr für die richtige Einschätzung von Machtprozessen.« (Lemke 2011: 354) Es wird also an dieser Stelle abermals die Unentscheidbarkeit und das Spannungsverhältnis ersichtlich, welches sich aus der Ambivalenz der Verstrickung von Selbst- und Fremdführung speist und worin sich gerade das Politische manifestiert. Zielt Kritik als Haltung also auf eine andere Art und Weise ›nicht dermaßen regiert zu werden‹ ab, verbleibt dies im Horizont der Ambivalenz, die den Rahmen von Ermächtigung und Unterwerfung nicht überschreitet. Die Perspektive, die bisher im Rahmen der Auseinandersetzung mit einer ›Gouvernementalität der Beratung‹ eingenommen wurde, bezog sich eher auf die der jeweiligen Ratsuchenden, als »Subjekte der Beratung« (Traue 2010a). Die Figur der Berater_innen lässt sich durchaus als säkularisierte Pastor_innen betrachten und daraus hervorgehend nach Gestaltungsmöglichkeiten eines (in Anlehnung an die Antike) Meister_innen-Schüler_innen-Verhältnis fragen (Coelen 2004). Allerdings bleibt die Ambivalenz und damit die Frage nach dem Politischen für Berater_innen selbst virulent, die ja in Form einer geforderten Berater_innenhaltung im Diskurs um psychosoziale Beratung präsent wird. Die Rolle erweist sich dahingehend als prekär, wie es Schäfer für Pädagog_innen herausstellt: »Nicht nur deshalb, weil jede Intentionalisierung eines pädagogischen [und beraterischen, JCW] Projekts von hier aus unmöglich erscheint, sondern auch, weil er selbst Bezugspunkt von Entwunterwerfung durch ›seinen‹ Adressaten ist, weil sein pädagogischer Machtanspruch [und beraterischen, JCW] insofern ›funktional‹ ist, dass er Kritik als Haltung, jene Attitüde, die in den Spielen der Macht eine Entunterwerfung im Auge hat – sich nicht so und nicht auf diese Weise regieren zu lassen.« (Schäfer 2004a: 162)
In diesem ambivalenten Moment wurde ja gerade die Möglichkeit herausgestellt, die überhaupt erst eine gouvernementalitätstheoretische Perspektive eröffnet. Mit anderen Worten: es schreibt sich die politische Dimension in Haltung fort,
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die gerade von Ambivalenz gekennzeichnet ist und sich in der Spannung ausdrückt, Subjekt und Objekt der Haltung zugleich zu sein. Wenn es also eine jeweilige Haltung gibt, die darüber entscheidet, wie und als was eine Übung – wie oben dargestellt – ausgeführt wird, so lässt sich noch nichts über die jeweilige Haltung selbst aussagen. Vielmehr wird darin deutlich, dass es neben der Haltung der Kritik, die sich auf eine Infragestellung der Bezugsformen des Selbstverhältnisses bezieht, es sich ebenso um eine Haltung handeln kann, wenn es darin um sozial-disziplinierende Subjektivierung geht. Wie dies auf Berater_innen und deren Haltung bezogen werden kann, soll im Folgenden verdeutlicht werden. Denn professionelle psychosoziale Beratung stellt Ansprüche an die Person der Berater_innen. Großmaß stellt mit folgender Frage heraus, wie Haltung in Beratungszusammenhängen gerade die Person prägen kann: »Was geschieht eigentlich mit der eigenen Person, wenn man sich über eine ganze Berufsphase hinweg bemüht, solchen Anforderungen nicht nur nachzukommen, sondern sie auch persönlich auszufüllen?« (Großmaß 2015: 134) Die Aneignung der vom Diskurs geforderten Attribute von Haltung sowie die generelle Forderung der Ausbildung einer Haltung als Art und Weise eines Selbstbezugs werden von Außen herangetragen und zielen auf eine Veränderung, die die Person der Beratenden betrifft150, wie bereits auch in Kapitel 3 herausgearbeitet wurde. Großmaß weist darauf hin, dass die Anforderungen, die an Berater_innen gestellt werden, die Person selbst verändern, indem die Kompetenzen durch die Person selbst ja ›gelebt‹ werden (vgl. Großmaß 2015: 135). Für den Diskurs psychosozialer Beratung steht Großmaß Merkmale einer Beratungsprofession heraus: Die prinzipielle Freiwilligkeit fordert einen Umgang mit Zwangskontexten, die hinderlich für eine Beratung sein können. Für die Gestaltung der jeweiligen Beratung braucht es kreative situations- und themenangemessenes Intervenieren. Die Offenheit des Zugangs sowie die Herstellung von Vertrauen erweisen sich als wesentlich. Ressourcen sowie Unwissenheit und Unsicherheit gilt es in den Blick zu nehmen. Die Einbeziehung von Gefühlen fördert eine Gesprächsatmosphäre für eine helfende Kommunikation (vgl. Großmaß 2015: 135). Für die Gestaltungskompetenz von Beratungsbeziehungen sind damit neben der Feldkompetenz spezifischer Beratungen auch feldunspezifische Anteile notwendig (vgl. Großmaß 2015: 136). Auch in Bezug auf das Thema Macht und Beratung stellt sie Anforderungen heraus, Aspekten von Normalisierung, Genderdifferenz und ethnischen, religiösen und sozialen Differenzen zu begegnen (vgl. Großmaß 2015: 137). Großmaß verdeutlicht dabei, dass diese Merkmale als ›Haltung der Beratung‹ zu verstehen sind, die in der Ausbildung erworben und weniger auf einer intellektuellen Ebene angeeignet werden. Sie rekurriert auf Bourdieus Habitus-Konzept, um die Verknüpfung von 150 Zur Auseinandersetzung von Subjektivierung und Bildung siehe Bergold-Caldwell (2020).
Haltung der Kritik – Kritik als Haltung
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Anforderung (im sozialen Feld Beratung) und die Verbindung (Inkorporierung) dieser Merkmale mit der Person der Berater_innen zu plausibilisieren (vgl. Großmaß 2015: 138). Großmaß stellt dabei Aspekte heraus, die eine Veränderung der Person bedeuten könne: Wahrnehmungsfähigkeit, Aufmerksamkeit für verschiedene Dimensionen von Gesprächen und Themen, Umgang mit Bewertungsmustern, doppelte Wahrnehmung, Kreativität und Fehlerfreundlichkeit (vgl. Großmaß 2015: 139). Damit deutet sie auf die Ambivalenz der Anforderungen hin, die sich einmal positiv auf die Entwicklung der Persönlichkeit auswirken können, ein anderes Mal aber auch mit »Risiken und Nebenwirkungen« verbunden sein können: Sie nennt dabei emotionale Überforderung, persönliches Scheitern, Bewertungsunsicherheit sowie auch Verlust an Konkurrenzfähigkeit (vgl. Großmaß 2015: 139). Die Auswirkungen zeigen sich etwa in dem, was Ehrenberg als »erschöpftes Selbst« (Ehrenberg 2015) bezeichnet hat. Zusammenfassend stellt Großmaß fest, dass – wie auch für andere (sozialprofessionellen) Berufe, die die Person als Ganzes fordern und einspannen – Veränderungen auch die persönliche Entwicklung der Professionellen betreffen können (vgl. Großmaß 2015: 139). Vernachlässigt man die von Großmaß nicht vorgenommene Unterscheidung von Haltung und Habitus und nimmt für diesen Zusammenhang Haltung in seiner Konnotation von der Art und Weise des Selbstbezugs, wie es sich in Verbindung mit Foucaults Kritik als Haltung herausstellen lässt, so zeigt sich: »Vielleicht sind, so lässt sich fragen, weniger auf Seiten der Klientel und in den Veränderungen des Umfels einer Beratungseinrichtung neue Formen der ›Technologie des Selbst‹ zu beobachten als an den Beratern und Beraterinnen selbst.« (Großmaß 2015: 140) Was sich mit Großmaß damit herausstellen lässt ist, dass die im Diskurs psychosozialer Beratung angezeigte ›Haltung der Beratung‹ als Subjektivierungsweise zu begreifen ist.151 »Und vielleicht sind es die einen Beratungshabitus herausbildenden (ausgesprochen produktiven) Formen der (Selbst-) Subjektivierung, die in Macht einbinden – u. a. dadurch, dass eine politische Positionierung zu Fragen psychosozialer Lebensbedingungen nicht unbedingt nahe liegt.« (Großmaß 2015: 140) Hierbei zeigt sich, dass über die Thematisierung der Haltung im Diskurs psychosozialer Beratung auch eine Verknüpfung mit Praktiken der Subjektkonstitution zu sehen ist, die auf machtvolle Selbsttechniken der Selbstregierung 151 Andrea Bührmann (2012) macht auf die Unterscheidung von Subjektivierungsform und Subjektivierungsweise aufmerksam: mit der Unterscheidung einhergehend eröffnet sich die Frage, ob sich am Beispiel des ›unternehmerischen Selbst‹ die aufgerufene Figur als Subjektivierungsform abzusehen ist, wie dies etwa auch Voß und Pongratz (1998) mit dem »Arbeitskraftunternehmer« vorschlagen, oder ob sich mit der Figur ein Wandel der Subjektivierungsweise ankündige. Bührmann schließt auf letzteres und oben zeigt sich, dass es vor allem das Format der Beratung ist, welches an dieser Transformation maßgeblich beteiligt ist.
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hinweist. Über die Art und Weise der (Selbst-) Führung von Berater_innen in die Beratung zieht also mit der Selbstbemächtigung das Regierungsmoment in Beratungszusammenhänge ein, die gerade nicht als reine Disziplinierung zu verstehen ist. Die Aneignung der geforderten Haltungen lässt sich dabei auch als freiwillige Selbstunterwerfung ansehen, wie es ja etwa im Rahmen von Aus- und Weiterbildung im Diskurs des Dachverbands Beratung erfolgt und (zertifikatsabhängig und mit Bezug zu Qualitätsstandards) gefordert wird. Haltung zeigt sich damit auch als Scharnier einer (indirekten) Macht(ein)wirkung, die über die Figur der Berater_innen zu Ratsuchenden hin ausstrahlt und somit Kräftefelder formiert. Nun lässt sich noch einmal pointiert das Politische psychosozialer Beratung herausstellen, was in der Differenz als Moment der »Unterbrechung zu Politik» zu begreifen ist: es zeigt sich eine Ambivalenz, die sich ausgehend von einem foucault’schen Machtbegriff aus Selbst- und Fremdführung speist. Darin spiegelt sich ein Verhältnis von Selbst und anderen Anderen (als soziale Andere) wider, welches in seiner Verschränkung zu begreifen ist und sich als Spannungsverhältnis darstellt: als Ermächtigung und Unterwerfung, die einen Konnex bilden. Der Unterwerfung unter den Diskurs bestimmende, Gesellschaft und das Soziale formierende (historisch abhängige) Sicht- und Sagbare aus Normen, Regel und Konventionen verschränkt sich dabei mit einem auf ein freiheitliche Moment rekurrierede Widerstandspraxis. Vor dem Hintergrund dieser sozialen Konstellation lässt sich also das Politische der Haltung entsprechend formulieren: Haltung ist bestimmt von einem Doppelcharakter aus Ermächtigung und Unterwerfung, also Subjekt und Objekt der Haltung zugleich zu sein. Die Haltung allein erweist sich damit gerade nicht allein als Garant einer widerständigen Praxis, sondern eben ist vielmehr als eine Kippfigur zu verstehen, indem normative Bezugspunkte außerhalb liegen und eben nicht in sich selbst gründen. In diesem Spannungsverhältnis als Ort des Politischen erweist sich Haltung selbst eingespannt. Sie kann deshalb nicht als ein verbürgender Platz herangezogen werden. Haltung bezieht sich auf die Konventionen des Sicht- und Sagbaren eines Diskurses, wie darin auch durch das freiheitliche Moment von Haltung ein ermächtigendes Moment einer kritischen Bewegung liegt bzw. liegen kann. Denn es verläuft eine Ambivalenz durch Haltung, die sich nicht auf eine identitätslogische Konzeption berufen kann. Allerdings bleibt das Normative dabei ungeklärt. In dieser Perspektive bleibt nämlich die Frage nach »unwahren und falschen Mächten« (Andermann 2019: 130) offen, wenn sie im Rahmen von Haltung gestellt wird. »Eine metaphysische Konzeption von Macht eröffnet eben keinen Raum für Wert-Fragen dieser Art, denn sie verhandelt Macht nicht als eine Wesensfrage und nicht als Frage von richtig oder falsch, von der aus man sich für oder gegen etwas entscheiden könnte.« (Andermann 2019: 130)
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Die Frage nach dem Normativen wird deshalb virulent. Denn sonst ließe sich die Differenz von Politik und Politischem nicht aufrechterhalten (vgl. Bedorf 234f.). Mit Bedorf lässt sich dahingehend festhalten, dass sich lediglich dann von einer fehlenden normativen Dimension sprechen lässt, wenn die ethische Dimension von der des Politischen als radikal getrennt angesehen wird. »Bindet man ihn hingegen an die ebenso unausweichliche wie unentschuldbare Wahl zwischen den Ansprüchen Anderer und Dritter zurück, so zeigt sich sein normatives Potential.« (Bedorf 2010: 237) Deshalb gilt es, die Ebene des Ethischen und des Politischen in seiner zwar getrennten, aber verschränkten und aufeinander verweisenden Art und Weise in den Blick zu nehmen. An dieser Stelle wird also die Ebene des Ethischen wieder auf den Plan gerufen. Dazu soll zunächst herausgestellt werden, inwieweit sich Ansätze, die in verschiedenen Weisen an Foucault anknüpfen, als anschlussfähig erweisen, weiterführend eine Ebene des Ethischen abzubilden. Oder ob mit Foucault hier eine Grenze gesetzt ist, so das die Inkommensurabilität der Dimensionen des Ethischen und Politischen auf anderes verweist.
6.5. Ethische Antworten im Diskurs Im Folgenden soll deshalb auf die Anknüpfungspunkte und Nahtstellen hingewiesen werden, die sich im Nachgang an eine gouvernementalitätstheoretische Perspektive auf Beratung herausstellen und den Spuren des Ethischen folgen lassen. Dabei sollen exemplarisch Positionen angeführt werden, die auf Foucault Bezug nehmen und (1) die Auseinandersetzung weniger als ethisches Problem und vielmehr als eine methodische Orientierung verstehen (Seel: Symbolisierungspraktik), (2) eine Ethik-Konzeption im Nachgang Foucaults entwickeln (Steinkamp: Seelsorge als Selbstsorge) und (3) an andere ethische Positionen anschließen (Gröning: Beratung als Verständigungsorientierung).
6.5.1. Beratung als reflexive Selbstführung Seel nimmt Foucaults Unterscheidung von Macht und Herrschaft auf und stellt verschiedene Ebenen von Macht heraus, die es innerhalb der Beratung zu berücksichtigen gilt. Dabei nennt er Rahmenbedingungen des Beratungssettings, Macht- und Herrschaftsbeziehungen zwischen den Klientensubjekten sowie reflexive Macht der Beratung (vgl. Seel 2014: 184). Seel nimmt für die Perspektive der Ratsuchenden dabei auf die ermächtigende Seite der Machtkonzeption Foucaults Bezug. Er setzt dies in Verbindung mit den von ihm benannten (Meta-) Symbolisierungspraktiken, die er im theoretischen Bezugsrahmen reflexiver
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Modernisierung entwirft. In Kapitel 5.1. ist bereits auf die Auseinandersetzung mit dem theoretischen Rahmen reflexiver Modernisierung, die sich als Fundament von Seels Konzeption ansehen lässt, eingegangen worden. An dieser Stelle soll jedoch noch einmal herausgestellt werden, dass der Bezug zu Foucault zwar hergestellt wird, dieser allerdings in seiner Konsequenz nicht weiterverfolgt wird. Außen vor bleibt die oben herausgestellte Ambivalenz der Macht. Seel weist zwar in ihrer Verwobenheit von Selbst- und Fremdführung selbst darauf hin (vg. Seel 2014: 183), allerdings löst er die Ambivalenz wiederum nach einer Seite auf. Damit (v)erhärtet sich aus dieser Perspektive die Dichotomisierung von Freiheit und Macht und unterläuft damit wiederum Foucaults Gouvernementalitätskonzept. Seel arbeitet einen Ansatz heraus, der Beratung unter »Reflexivität als Profession« (2014) fasst. Dabei diskutiert er den Vorschlag, verschiedene Ansätze von Beratung unter der Überschrift der Reflexivität zu versammeln und Beratung dahingehend als (Meta-) Symbolisierungspraktik zu verstehen. Auf der Suche nach einem verbindenden Element unterschiedlicher Beratungs- und Denkansätze schlägt er vor, ›reflexive Beratung‹ als einen gemeinsamen Bezugsrahmen aufzuspannen (vgl. Seel 2014: 35). Eine gemeinsame Basis professioneller Beratung sieht Seel im Begriff der Reflexivität. Hierbei gäbe es ein nicht explizites Vorverständnis von Beratung im Sinne von ›abwartendes Innehalten‹, was schließlich auf den Begriff der Reflexivität zu bringen sein kann. Mit dieser verbindenden Kategorie könnte sich auch die zersplitterte gemeinsame Wissensbasis zusammenfassen lassen (vgl. Seel 2014: 36). Als einen Brückenterminus führt Seel das »Symbolisieren« an. »Wir gewinnen durch Symbolisierung Bedeutung als Grundlage für unsere Orientierung, also dafür, was wir tun, wie wir uns zu einem Sachverhalt, zu einer Person verhalten (das heißt, welche emotionale Beziehung wir dazu aufbauen), wie wir bewerten und wie wir wahrnehmen.« (Seel 2014: 63) Symbolisieren lässt sich erst einmal ganz allgemein fassen als Praktik der Bedeutungszuschreibungen, die in Konzepte und Vorstellung von Welt und sich selbst eingehen. Seel verweist auf die verschiedenen Beratungsansätze und theoretischen Bezüge, die jeweils Unterschiedliches in den Blick nehmen. »Es geht darum, eine Brücke zwischen verschiedenen Symbolisierungspraktiken herzustellen, also zwischen verschiedenen Praktiken oder Stilen der fachspezifischen Generierung von Bedeutung wie auch der Generierung von Bedeutung bei Beratungspraktikern, auch bei den Klient_innen von Beratung und noch einige mehr – letztlich ist das also eine Beratungsaufgabe.« (Seel 2014: 38)
Unterschiedliche Beratungsansätze betonen dabei unterschiedliche anthropologische Grundannahmen, die Seel als Meta-Symbolisierungspraktiken begreift und die damit zu »Varianten einer institutionellen Agentur der gesellschaftlich-
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kulturellen Subjektkonstruktion […]« (Seel 2014: 44) werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich Beratung mit Seel schließlich als Subjektkonstruktion verstehen, die vor dem Hintergrund von Praktiken der Selbstsymbolisierung verändert und entwickelt werden (vgl. Seel 2014: 44). Es komme jedoch auf die jeweilige Ausgestaltung institutionalisierter reflexiver Beratung an. Gegenstand der Beratung ist also eine Reflexion von Symbolisierungspraktiken, die auf eine allgemeine Tendenz hinweist, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, wozu Beratung einen (professionellen) Raum der Verhandlung herstellt. »Der reflexiven Beratung kommt insofern eine besondere Bedeutung für die Subjektgestaltung zu, als sie selbst ein spezifisches Kommunikationssystem darstellt, das Subjektgestaltung zum Gegenstand hat, und zwar im Wesentlichen als Selbstkonstruktion der Klientensubjekte mit Unterstützung durch Beratung […].« (Seel 2014: 134) Mit Seel lässt sich Beratung als Metasymbolisierungspraktik verstehen, die die Reflexion der Ratsuchenden begleitet. Das reflexive Moment gilt es dabei ebenfalls zu reflektieren. Reflexivität wird zu einem Korrektiv, über verinnerlichte Machtverhältnisse zu reflektieren. Darin liege die Möglichkeit, eine andere Positionierung und Verhältnis zu den Strukturen zu ermöglichen (vgl. Seel 2009: 18). Mit der Möglichkeit der ›angeleiteten‹ Reflexion lässt sich zu diesen einverleibten Strukturen Distanz aufbauen. Die grundlegende Symbolisierungspraktik des Subjekts als Bedeutungszuschreibung offenbart dabei die bisherigen Strukturen und Erfahrungen und stellt diese im Rahmen eines Beratungsverständnisses des sich miteinander Beratens zur Disposition. »Professionelle Beratung managt so im Auftrag der Klientensubjekte ihr reflexives Projekt, analysiert deren Möglichkeiten und übt entsprechend Symbolisierungspraktiken mit ihnen ein.« (Seel 2014: 197) Es wird deutlich, dass die Frage des Normativen in dieser Konzeption und im Aufnehmen der Fäden Foucaults selbst nicht gestellt wird, da die Ambivalenz nach einer Seite hin gewendet und die Verstrickung damit ausgeblendet wird. Die Konstitutionsbedingungen, das wird bereits in der Auseinandersetzung um die reflexive Modernisierung herausgestellt, bleiben damit unberücksichtigt. In Seels Konzeption steht dann mehr die Praktik des Symbolisierens im Vordergrund, als den Rahmen und die Konstitutionsbedingungen selbst zum Thema zu machen. Es wird später darauf einzugehen sein, wie dies aussehen kann. An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass der oben skizzierte Ansatz an einem autonomen Subjektverständnis festhält und damit den Rahmen selbst nicht verlässt, den er jedoch zu überwinden zumindest anstrebt. In eine ähnliche Richtung, allerdings dabei den ethischen Faden Foucaults aufnehmend, bewegen sich exemplarisch mit Steinkamp u. a. Ansätze, die Fou-
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Gouvernementalität der Beratung
caults ›Ethische Wende‹ mitverfolgen und auch Beratung »als Anstiftung zur Selbstsorge« (Steinkamp 2005) begreifen.152
6.5.2. Beratung als ästhetisierte Selbstsorge Mit Steinkamp etwa lassen sich jene Ansätze anführen, die Foucaults Auseinandersetzungen mit der ›antiken Lebenskunst‹ für eine moderne Ethikkonzeption stark machen wollen. Was Steinkamp dabei für den Bereich der Seelsorge erarbeitet, lässt sich auch für die Zusammenhänge psychosozialer Beratung geltend machen. Denn mit Bezug auf die »Ethik der Selbstsorge« weist er auf eine »befreiende Praxis« hin, die sich als »Gegenbewegung« zu pastoralen Machttechniken verstehen lässt. Um die befreienden Praxen herauszustellen, bezieht er sich einmal auf spezifische Kontexte, die von Unterwerfung gekennzeichnet sind, wie etwa das Gefängnis. Er führt aber auch Sucht als Unterwerfung, sowie Frauennetzwerke und befreiungstheologische Bewegungen an und verdeutlich an diesen Beispielen, dass eine »Subjektwerdung in Zusammenhängen von Unterwerfung« und damit konstituierende Subjektivierungen möglich seien (vgl. Steinkamp 1997: 105ff.). Zum anderen stellt Steinkamp die Umkehrung der pastoralen Techniken als Befähigung zur Disposition und verweist auf »Hilfe zur Selbsthilfe«. In Anlehnung an die pharresia und Selbtssorge nennt Steinkamp exemplarisch Feedback und Meta-Kommunikation mit dem Ziel, »Individuen und Klienten zu einer Selbstverantwortung und Selbststeuerung zu befähigen« (Steinkamp 1999: 109). Steinkamp spricht dabei der Rolle der Berater_innen einen entscheidenden Aspekt zu, da in der Mikrophysik der Macht die jeweilige Situation in Entscheidung von Pastoralmacht und befreiender Praxis ›auf dem Rücken der Berater_innen‹ ausgetragen werde. Die Frage ist dabei: wie positionieren sich Berater_innen: »Es hat den Anschein, als käme der Bestimmung der Seelsorgerolle im Blick auf die ›Pastoralmacht‹ – und die ›Pastor‹-Rolle – eine Schlüsselfunktion zu: Wird sie sich in Zukunft an jener orientieren oder sie kritisch transformieren?« (Steinkamp 1999: 111) Fraglich und offen bleibt an dieser Stelle, von wo aus, also von welchem Standpunkt, wer eigentlich die Praxis der Beratenen als freiheitliche bewertet und beurteilt. Auch hier bleibt der normative Bezug offen und unberücksichtigt. Auch andere greifen auf Foucaults ›Ethische Wende‹ im Zusammenhang mit Beratung zurück. Hoffmann (2011) arbeitet etwa wesentliche Aspekte heraus, die für Beratung und Supervision anhand Foucaults Konzept von »Freiheit und Selbstsorge« in Auseinandersetzung mit antiker Lebenskunst an Bedeutung ge152 Siehe hierzu allgemeine W. Schmid (1998), der mit einer »Philosophie der Lebenskunst« Aspekte Foucaults in dieser Richtung aufgreift und entsprechend weiterführt.
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winnen. Zentral wird ein reflexives Selbstverhältnis als »Gewahrwerden« von Macht unterwerfenden Techniken in den Fokus gerückt. (Hoffmann 2011) Dabei benennt sie die Ebenen Selbstreflexion des Beraters, Subjektorientierung sowie aufmerksamer Umgang mit ›Nicht-Wissen‹. Den Aspekt der Freiheit und deren Bedeutung hebt sie dabei für die Beratung und Supervision besonders heraus. »Als Konsequenz für Beratung und Supervision sind z. B. Gesprächstechniken zu vermeiden, die – im Sinne Foucaults – ihre Zweckmäßigkeit darin erfüllen, Meinungen und Einstellungen der Subjekte durch ›Lenkung‹ zu verändern; und lediglich eine Technik darstellen, die der Weitervermittlung gewusster Wahrheit des Supervisors dient.« (Hoffmann 2011: 97) Der ausbleibende normative Bezug ist allerdings an dieser Stelle frappierend, denn nach welchen Maßstäben und Werten Techniken ausgewählt werden sollen, um ›Lenkung‹ zu unterbinden, bleibt auch hier offen. Ebenso setzt Austermann (2019) auf eine Bewusstmachung der Machtverstrickungen und bezieht sich auf Foucaults Kritikverständnis. Auch bei ihm bleiben die Kriterien unbenannt, nach denen direktive Kommunikation vermieden werden soll. (vgl. Austermann 2019: 48) Friedrich lässt zumindest die Frage offen, ob mit Foucault im Rahmen der Parrhesia und einer Ethik der Selbstsorge die Form einer »parrhesiastischen Beratung zu einem Veridiktionsmodus der Gegenwartsgesellschaft werden« (Friedrich 2013: 69) könne. Denn mit Foucault bleibt Beraten Praxis ambivalenter Freiheit. Gehring, weist darauf hin, dass Foucault sein Werk nicht weiterführen konnte und somit auch manche ungelöste Fragen offen ließ (vgl. Gehring 1994: 88). Zu diesen Fragen gehört auch die nach einer »Möglichkeit der Konstitution eines positiven Orts praktizierbarer Subjektivität« (Gehring 1994: 88), die Foucault im Rahmen seiner Auseinandersetzung um Subjekt und Macht hinterließ. Allerdings bezweifelt Gehring, ob sich eine dezidiert auf gegenwärtige Verhältnisse abgeleitete Ethik im Nachgang Foucaults herausstellen lässt. Sie fügt dazu an: »Eine nur irgendwie explizierbare Ethik wäre das letzte, was sich mit jener radikalen Haltung methodischer Veräußerung in Einklang bringen ließe, die provokatorische, antimetaphysische Metaphorik trägt.« (Gehring 1994: 88) Dabei lässt sich Foucault Interesse an der Konstitution des modernen Subjekts anbringen, zu der die Auseinandersetzung mit der »antiken Lebenskunst« einen wesentlichen Aspekt beiträgt: die ambivalente Verschränkung von Selbst- und Fremdführung. Gehring argumentiert: »Foucault verha¨lt sich zu Moral wie Ethik vielmehr indirekt. Beiden Formen wird der Spiegel eines Politischen vorgehalten, in welches die Frage nach ›Ethik‹ im Zweifel hineinfu¨ hrt«. (Gehring 2011: 52) Versteht sich Ethik in Abgrenzung und Distanzierung zu Moral, zeigt sich mit der Infragestellung von übergeordneten Moralvorstellungen durch Ethik eine kritische Bewegung.
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Gouvernementalität der Beratung
»Beides provoziert Herrschaftsverha¨ ltnisse, denn eingefordert wird stets, fu¨ r jemanden, der spricht, Freiheit – und unter Umsta¨ nden ein preka¨ res Maß an Freiheit. Die damit verbundenen Anspru¨ che wiederum lassen sich weder ihrerseits moralisch (z. B. durch das Geltendmachen von »Betroffenheit») noch durch den pauschalen Verweis auf »Wissenschaftlichkeit« (z. B. von Ethik) neutralisieren. Die Freiheitsfrage kommt hier vielmehr in statu nascendi ins Spiel: Lassen wir uns Distanz zumuten? Du¨ rfen aufbegehrende Sa¨ tze uns irritieren? Und wer mu¨ sste jemand sein, der oder die uns mittels – unerho¨ rter, vielleicht sogar ungeho¨ riger – Argumente dennoch zu u¨ berzeugen vermag?« (Gehring 2011: 52)
Foucault hätte, so lässt sich spekulieren, den sicheren Boden, der seine ethische Konzeption für die Ansätze von Beratung zu versprechen scheint, zumindest ebenso wiederum zum Wanken gebracht. Denn, zumindest in einer Lesart, lässt er sich so verstehen, dass er angetreten war, genau nach den Bedingungen und Gültigkeitskriterien einer Wahrheit zu fragen, die von einem ›richtigen‹ Verständnis der Sorge um sich spricht.
6.5.3. Beratung als verständigungsorientiertes Handeln Gröning schlägt einen anderen Weg ein. Sie bezieht sich zwar auf Foucault und einen gouvernementalitättheoretischen Ansatz. Dabei verfolgt sie allerdings nicht die Absicht der Ableitung einer Ethikkonzeption, sondern führt dafür andere Ansätze an, die im Folgenden benannt werden sollen. Mit u.a Gröning konnte die mit der Gouvernementalität und dem Begriff des Regierens inhärente Ambivalenz, wie oben verdeutlicht, herausgestellt werden. Sie verweist auf die gouvernementale Beratung, die sich strategisch und instrumentell darstelle (vgl. Gröning 2015: 41). Zeigt sich das auf Disziplinierung ausgerichteten Format der Beratung in kirchlichen, amtlichen und klinischen Bereichen, fragt sie dezidiert nach den Vorstellungen eines ›guten Rats‹ und bezieht so eine normative Ebene mit ein (vgl. Gröning 2015: 41f.). In Auseinandersetzung mit Beratungskonzepten pädagogischer Provenienz von Spray, Hornstein und Mollenhauer arbeitet sie Bedingungen heraus. »Vernunft, Verständigung, Mündigkeit wurden zu Schlüsselwörtern für die pädagogische Beratung.« (Gröning 2015: 42) Gröning sieht im verständigungsorientierten Handeln eine Möglichkeit, den Disziplinarund Normalisierungsstrategien von Beratung zu begegnen und bezieht sich dabei auf Habermas (vgl. Gröning 2015: 43). Im Vordergrund stehe dabei das Berater_innenverhalten, mit Wahrheit, Authentizität und Richtigkeit, mit Verständigung auf Anerkennung und Rechtlichkeit eine »herrschaftsfreie Kommuniaktion« anstreben (vgl. Gröning 2015: 43). Im Zentrum der Frage nach dem ›guten Rat‹ stehe dabei nach Gröning in Anlehnung an Brumlik die zentrale Kategorie der Sozial- und Humanwissenschaften: Mensch. Sie stellt hierbei die
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Aspekte menschliche Würde und Verletzlichkeit heraus, an denen sich eine Beratung orientiere (vgl. Gröning 2016: 61). Vor allem an systemischen Beratungsansätzen bemängelt sie diese darin fehlenden Bezugspunkte und hebt vor allem – lediglich ausschnitthaft – die Arbeiten Großmaß’ hervor. »Sie [Großmaß, JCW] gibt ebenfalls ganz im Sinne Luhmanns den Begriff des Menschen als zentrale Kategorie human- und sozialwissenschaftlicher Forschung auf.« (Gröning 2015: 220f.) Für Gröning steht jedoch in Anlehnung an Brumlik die Verletzungsoffenheit im Vordergrund, an der sich eine Ethik der Beratung orientieren müsse: »An dieser Haltung, Theorie auf das Menschsein, die menschliche Würde und die mit dieser Würde verbundene Verletzbarkeit hin zu orientieren, hält Brumlik auch 2012 in einer Laudatio auf die Philosophin Martha Nussbaum fest.« (Gröning 2015: 223) Brumlik plädiere für eine Fusion kantischer Vernunft und menschlicher Verletzungsoffenheit in Anlehnung an Nussbaum und verbinde damit eigentlich entgegengesetzte Perspektiven (vgl. Gröning 2015: 224). »Legt man diese Fundierung zugrunde, ist nicht jede Psychotechnik Beratung und geht es um mehr als um äußere Formalisierungsgrade oder um Beratung als Funktion.« (Gröning 2015: 224) Unter Bezug auf Brumlik stellt Gröning die Notwendigkeit einer Professionsethik heraus, die sich in einer ›advokatorischen Grundhaltung‹ (Brumlik 2004) ausdrückt. Gröning sieht in der Beschreibung einer Professionsethik, hier als advokatorische Ethik, eine Möglichkeit, mit dem Dilemma gouvernementaler Strukturen der Beratung umzugehen (vgl. Gröning 2016: 105f.). Hier zeige sich die Verpflichtung gegenüber Ratsuchenden, in einer bestimmten Ethik zu handeln, die sich an ihnen orientiert und ausrichtet: »Die advokatorische Grundhaltung eines professionellen Beraters oder einer Beraterin wird umgekehrt zwangsläufig am Einzelfall, an der Idee eines menschlichen Lebens, nicht an Ordnungsfunktionen in der Beratung ansetzen.« (Gröning 2016: 106) Betrachtet man die Argumentation Grönings, so zeigt sich die ethische Orientierung an der Kategorie des ›Menschlichen‹, die etwa in den systemischen Ansätzen eher zu verschwinden drohe. Was dabei in den Blick kommt, wurde eingangs beschrieben als eine dyadische inter-individuelle Eben der Beratungsbeziehung, die den Fokus auf eine Dimension des Ethischen legt. Gröning nimmt Foucaults gouvernementalitätstheoretischen Ansatz auf, verfolgt aber für die Frage nach einer normativen Ausrichtung ein anderes ethisches Konzept. An dieser Stelle lässt sich also eine Falz ziehen und eine Falte zum Kapitel 4 und zur Dimension des Ethischen schlagen. Denn daran anschließen lässt sich zum einen die Auseinandersetzung mit einer identitätslogischen Konstellation ethischer Konzepte, wie sie oben geführt wurde. Zum anderen wird deutlich, dass diese Arbeit ja angetreten war, nach der Architektur von Sozialität zu fragen, die sich überhaupt erst aus der Konstellation ergibt, individuelle Problemlagen in einem
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Gouvernementalität der Beratung
gesellschaftlichen Bezug zu verhandeln. Damit verbunden ist die Frage nach den individuellen Perspektiven, also die konkrete Beratungssituation, für die, so lässt sich schlussfolgern, Gröning einstehen will. Eine auf Gesellschaft bezogene sozialtheoretische Perspektive, die gerade die inter-individuelle Perspektive aus dem Blick nimmt, bleibt dabei außen vor. Es wurde aber gerade oben herausgestellt, dass es für die spezifische Konstellation psychosozialer Beratung darauf ankommt, nach dem Verhältnis der Dimensionen des Ethischen und des Politischen zu fragen. Und in dieser Verhältnisbestimmung wird eine soziale Architektur ersichtlich, die jeweils unterschiedliche Zugänge zum Ort des Sozialen aufzeigt: Die Figuren von Selbst, Andere, Dritte, die in den jeweiligen Ebenen des Ethischen und des Politischen absolute Andersheit (inter-individuelle Beratungssituation) und soziale Andersheit (gesellschaftlicher Bezug) ansprechen. Mit der Dimension des Ethischen konnte die konkrete Beratungssituation anvisiert werden, in der die Herausforderung, im Umgang mit Alterität konfrontiert zu sein, herausgestellt wurde – als absolute Andersheit. Mit Foucault und einer ›Gouvernementalität der Beratung‹ zeigte sich eine Dimension des Politischen, die die ambivalente Verstrickung von Selbst- und Fremdführung der sozialen Andersheit, also der Bezug des Selbst zu einer gesellschaftlichen Allgemeinheit (anderer Anderer), herausstellt. Weder geht das Ethische im Politischen auf, noch lässt sich eine radikale Trennung der beiden Ebenen ausmachen, wie verdeutlicht werden konnte. Es zeigt sich vielmehr ein Verweis der Ebenen aufeinander. Darüber spannt sich psychosoziale Beratung auf. Und in dieser Konstellation zeigt sich eine Struktur, die die Dualität der Perspektiven sowohl der dyadische angelegten Beratungsbeziehung als auch die Beobachtungsperspektive von Individuum und Gesellschaft überwindet: Tertialität. Mit Bedorf wurde die Figur des Dritten mit dem Bild des Scharniers aufgegriffen, in deren eine Seite das Ethische und in die andere das Politische eingehängt werden. Nach der Beschaffenheit dieses Scharniers, der Figur des Dritten als soziale Konstellation der Tertialität, soll abschließend gefragt werden, denn es bildet den Ort psychosozialer Beratung und es lässt sich etwas über den Haltungsbegriff in dieser Architektur des Sozialen aussagen.
7.
Tertium [non] datur: Die Figur des Dritten
7.1. Zwischen Ethischem und Politischem Ein Verständnis des Psychosozialen der Beratung agiert in den Ebenen des Ethischen und des Politischen, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Zu diesem Verhältnis konnten verschiedene Begriffsfacetten benannt werden. Oben wurden dafür neben dem Ethischen und Politischen, absolute und soziale Andersheit sowie auch Sagen und Zeigen angeführt und mit Merschs Begriff des Chiasmus eine Verhältnisbestimmung der Ebenen und Dimension zueinander bezeichnet werden. Einen Ausgangspunkt der beschriebenen Begriffsfacetten nimmt dabei Levinas Differenz von Sagen und Gesagtem ein. Mit Waldenfels lässt sich die chiastische Verknüpfung von Sagen und Gesagtem noch mal verdeutlichen. Denn was darin zum Ausdruck kommt, ist das Zusammenfallen – als Diachronie – der beiden Ebenen in ihrer Performativität – in actu. Die Unterscheidung »entspricht […] unmittelbar dem Sprechen und der Sprache selbst, ohne deswegen eine bloß linguistische Unterscheidung zu sein« (Waldenfels 2005: 208). Das Sprechen als Angesprochen-Werden erschöpft sich allerdings nicht in der Informationsvermittlung und auch nicht in der Konstitution der sozialen Welt. Denn: »Sobald etwas gesagt wird, ereignet sich etwas, das weder zum Reich der Wörter noch zum Reich der Dinge gehört, sondern sich zwischen den Wörtern und Dingen abspielt.« (Waldenfels 2005: 209) Dem Gesagten ist somit ein Sagen beigestellt. »Doch während das Sagen im Gesagten angezeigt wird, überschreitet es zugleich das Gesagte. Hier liegt zugleich die Grenze einer Theorie der Sprechakte. Das Sagen ist ein Sprechereignis, das nur unter bestimmten Bedingungen als Sprechakt gedeutet werden kann.« (Waldenfels 2005: 210, Hervorhebungen im Original) Dabei lässt sich auch Foucault anführen, der auf die Performativität und damit die Praxis des Sprechens hinweist. Er bezieht dies im Rahmen der Archäologie des Wissens auf das Aussagen und das Ausgesagte. (Foucault 2013a: 113ff.) Diese linguistische Unterscheidung lässt sich etwa auch mit Benveniste (1974) nachzeichnen, indem er die Differenz von Bedeutungsinhalt (énoncé) und dem Bedeutungsakt (énonciation) herausstellt. Mit
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Tertium [non] datur: Die Figur des Dritten
Benveniste lassen sich vier Instanzen ausmachen, die in einem Äußerungsakt aufgerufen werden: neben einem Netz aus Bedeutung in der konkreten Situation (Was) und einer bestimmten Ortsangabe (Wo) ist es die soziale Dimensionierung des Adressaten (Wer) und des Adressanten (Wen) (vgl. Wrana 2006: 125). Während Benveniste hierbei stärker die inhaltliche Bedeutung hervorhebt, lässt sich mit Levinas gerade die ethische Dimension nachzeichen.153 Allerdings bleibt die chiastische Verbindung von Sagen und Gesagtem. Waldenfels weist darauf hin, dass es – bei allen möglichen Grenzerfahrungen – das Eine nicht ohne das Andere gebe (vgl. Waldenfels 2005: 211). Mit dem Sagen wurde eine ethische Dimension ausgemacht, die mit Levinas auf einen Anspruch eines Anderen irreduzibler Andersheit verweist, was sich durch das Angesprochen-Werden Ratsuchender verdeutlichen lässt. Mit dem Gesagten wurde auf eine politische Dimension verwiesen, indem Andere in eine symbolische Ordnung eingefügt werden, um überhaupt mit einer Bedeutung versehen und wahrgenommen werden und damit von ihnen Bewusstsein erlangen zu können. Die Ebene des Gesagten ist etwa das feldspezifische und feldunspezifische Beratungswissen. »Andere werden so in einen Diskurs eingereiht, der soziale Wirklichkeit strukturiert und die Ordnung der Dinge, die sich in der Ordnung der Wörter artikulieren, können wir auf keinen Fall überspringen, wir können lediglich die Grenzen der Ordnung überschreiten, und auch dies nur bis zu einem gewissen Grad.« (Waldenfels 2005: 212f., Hervorhebung im Original) Mit Foucaults diskurs- und machtanalytischem Blick auf symbolische Ordnungen als einer Dimension des Politischen sind die Diskurse des Gesagten von machtvollen Prozeduren der Ein- und Ausschließung bestimmt, die das Feld der Wahrnehmung strukturieren (vgl. Saar 2007b: 27). Waldenfels verdeutlicht: »Da historische Diskurse und kulturelle Lebenswelten von wissenschaftlichen Konstrukten, technischen Dispositiven und kulturellen Mustern geprägt sind, können wir nicht vom Gesagten auf das Sagen zurückgehen ohne immer wieder durch die Ordnung des Gesagte hindurchzugehen.« (Waldenfels 2005: 212) Gesagtes und Sagen bleiben verschränkt. Foucault und Levinas so in Beziehung zueinander zu bringen, lässt sich auch mit einem Ansatz von Borsò rechtfertigen und untermauern, die bei beiden ein zumindest verwandtes ethisches Anliegen erkennt, ein anderes Denken als ein Denken des Anderen zu ermöglich, welches sich weniger über einen epistemologischen Zugriff auf Andere, sondern vielmehr als ethisch begreifen lässt: »Mit Foucault und Lévinas wird man vor einer doppelten Versuchung gewarnt: Den Menschen, eine Gruppe von Menschen oder kulturellen Phänomenen auf Alteritäts- bzw. Identitätsmodelle zu reduzieren.« (Borsò 1995: 29) Waldenfels be-
153 Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden siehe Mosès (2001).
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kräftigt dies, obgleich er darauf hinweist, dass bei Foucault mit Heterotopie154 als anderem Ort nicht das gleiche meint wie der Ort des Anderen, den Levinas als eine irreduzible Alterität versteht. »Bei Foucault wird niemand ein letztes Wort suchen, aber auch die Phänomenologie des Fremden hat mit Levinas nicht das letzte Wort gesprochen.« (Waldenfels 2008: 13) Hier werden zwei Zugangsweisen deutlich, die chiastisch aufeinander verweisen und sich gerade nicht übereinbringen lassen: Die Frage nach dem diskursiven Zugriff auf den Anderen (Foucault), der sich als ein machtvoller Zugriff erweist und die Perspektive auf die Unverfügbarkeit, als absolute irreduzible Alterität (Levinas). Mit Foucault ist der Diskurs das positiv Beschreibbare. Die Grenzen des Inneren des Diskurses werden durch machtvolle Prozeduren der Ein- und Ausschließung des historisch kontingenten Sicht- und Sagbaren bestimmt. Der Zugang zum Anderen ist auf politischer Ebene als machtvoll strukturierte Ordnung des Anderen zu sehen (vgl. Reuter 2015). Der Zugang zum Anderen erweist sich darüber hinaus als Entzug auf ethischer Ebene. Beide Ebenen sind unvermittelbar: Interpellation und Appell (Mersch 2010: 246) erweisen sich diachron. Interpellation steht dabei für den Anruf, der die Macht der Umwendung besitzt, wie etwa Althussers (1977) mit ›Ruf des Polizisten‹ herausstellt sowie in den Begriffen der Subjektivierung (Foucault 2005) und Subjektivation (Butler 2001) Einzug findet. Der Appell meint mit Rekurs auf Levinas den Anspruch eines Anderen als »Ereignis von Alterität« (Mersch: 2010: 246). Wurde das Ratgeben oben bereits in seiner Singularität hervorgehoben, zeigt sich nun die Situation des um Rat-Fragens der Beratenen mit einer Kategorisierung des Gegenübers konfrontiert, obgleich die Begegnung innerhalb der Beratung gerade von einer irreduziblen Alterität zeugt. »Aber jeder von ihnen wahrt ungeachtet der seinem Sein zu verdankenden Sortierbarkeit und Vergleichbarkeit eine nicht im Sein aufgehende Andersheit.« (Liebsch 2001: 156f.) Die hierarchisch organisierte Sortierlogiken können dabei gerade Ausdruck rassistischer, klassifizierender und/oder sexistischer Unterscheidungprozeduren sein, die ihre Wirksamkeit auch in der Beratung offenbaren. Liebsch verweist auf die radikale und relative Differenz. Trotz unterschiedlicher Begriffe Differenz und Andersheit zeigt sich ein gleiches Verhältnis wie von absoluter und sozialer Andersheit. Deshalb lässt sich beides in einen Zusammenhang bringen.155 »Im Begriff der Differenz werden auf diese Weise Fremdheit und komparative Andersheit vielfach unbesehen zusammengenommen.« (Liebsch 2001: 159) Andere als Andere werden dann einmal zu einer Unterscheidungs- und Abgrenzungskategorie (Alter-Ego) zu sich selbst. Ein anderes Mal sind sie in einer Ungreif-
154 Siehe hierzu den Sammelband Spahn/Scholle/Wuttig/Maurer (2017). 155 Zu einer Differenzierung der Begriffe siehe Ricken/Balzer (2007).
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barkeit ausgewiesen, die jedoch einer Materialisierung bedarf und sich lediglich als Entzug fassen lässt. »Andere, die sich gerade nicht über ihre bloß empirische ›Unterschiedlichkeit‹ hinaus wechselseitig eingedenk ihrer Nicht-Identität begegnen, realisieren sich im Verhältnis zueinander doch nicht nur als etwas ›äußerlich‹ Verschiedenes; und sie ›unterscheiden‹ sich voneinander nicht lediglich ›vergleichsweise‹, d. h. im Sinne einer komparativen Andersheit, sondern im Zeichen einer radikalen, auch in keinem Vergleich aufzuhebende Andersheit, sich sich wiederum von der Andersheit von Dinge unterscheidet.« (Liebsch 2001: 161, Hervorhebung im Original)
Liebsch betont, dass mit einer fehlenden Unterscheidung absoluter und komparativer Differenz der von Levinas betonte Anspruch des absolute Anderen nicht gerecht werde.156»Auf das Denken einer radikalen Fremdheit ist aber eine Politik der Differenzsensibilität angewiesen, soll nicht das, was den Anderen als Anderen ausmacht, auf bloß kontingente Verschiedenheiten reduziert werden, unter denen gerade die ›fremde‹ Andersheit des Anderen als solche nicht vorkommt.« (Liebsch 2001: 173) Gleichwohl weist Liebsch darauf hin, dass beides, radikale und komparative Differenz in einem Politischen Sinne aufeinander verweise. Daran entzündet sich gerade der Konflikt, der diese Arbeit grundlegend durchzieht. Ethisches und Politisches erweisen sich als Chiasmen. Durch die beiden inkommensurablen Bereiche wird ein Spannungsverhältnis deutlich, was sich nicht auflösen lässt – darin kommt das Konfligierende des Sozialen als Widerstreit des Ethischen und Politischen in den Blick. Soziale und absolute Andersheit und relative und absolute Differenz bilden mit Levinas’ Begriffspaar von Sagen und Gesagtem das Spannungsfeld von Ethischem und Politischem, in dem sich psychosoziale Beratung bewegt. Beides durch eine von Liebsch geforderte Differenzsensibilität in den Blick zu nehmen, bedeutet, »[…] im Widerstreit zweier inkommensurabler Anforderungen ko-existieren zu müssen, die durch nichts – durch kein objektives Maß, durch keine dem Widerstreit enthobene ›Perspektive‹ und durch keinerlei metabegriffliche Vermittlung zum Ausgleich zu bringen ist.« (Liebsch 2001: 184, Hervorhebung im Original) Liebsch unterstreicht die Unvereinbarkeit beider Dimensionen, die durch kein vermittelndes Drittes aufgehoben werden könne (vgl. Liebsch 2001: 186). Gerade die Bewegung, die in diesem Widerstreit erkennbar wird, läßt sich als ein Ringen um eine Aufrechterhaltung der Differenz verstehen, die nicht minder auch zu einer ge156 Liebsch verweist hier auf die Arbeiten von Habermas wie auch auf Tylor im Sinne einer »Politik der Differenz« (vgl. Liebsch 2001: 173f.). Judith Butler nimmt in ihrer ›ethischen Wende‹ Bezug auf Levinas und die Frage nach Andersheit. Dabei unterscheidet Butler nicht zwischen absoluter und relationaler Andersheit, wie es im Zusammenhang dieser Arbeit herausgestellt wird. Butler bezieht sich eher auf das soziale, relationale Anderssein und komparative Differenz, was ihrem politischen Interesse entspricht. (vgl. Bedorf 2010, Delhom 2016, Salaverría 2011)
Der Dritte
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waltvollen Auflösung einer der beiden Seiten führen kann. »Als ständige Quelle der Beunruhigung bedeutet der Ort, an dem der Widerstreit von Ethik und Politik zur Austragung kommt, scheinbar etwas Besseres gegenüber allem, was je bei einer einseitigen Auflösung des Verhältnisses von Ethik und Politik herauskommen könnte.« (Liebsch 2001: 187) Liebsch stellt zwar kein Drittes als Vermittelndes zwischen Ethik und Politik in Aussicht. Es lässt sich jedoch in einer Figur des Dritten genau jener Ort ausmachen, an dem sich der Widerstreit ereignet und erfahrbar wird. Es muss dieses Moment des Konflikthaften als Ort des Ereignisses von Widerstreit und Konflikt geben, andernfalls ließen sich die Dimensionen des Ethischen und des Politischen in keinen Zusammenhang bringen, auch in keinen der Inkommensurabilität. Und dieses Moment als Zwischen des Chiasmus, lässt sich als Figur des Dritten verstehen, die nicht als Versöhnung angelegt ist. Der Konflikt und Widerstreit wird vielmehr offen gehalten und es lässt sich Sozialität als Tertialität verstehen. »Die plurale Koexistenz im Sozialen ist folglich zurückgebunden an einen ethischen Konflikt, der seinerseits nicht in der dyadischen Intersubjektivität, sondern nur in der triadischen Sozialität zu beschreiben und möglicherweise zu lösen ist.« (Bedorf 2010: 210) Die Figur des Dritten erweist sich dabei als Scharnierfigur, die gerade kein vermittelndes Element zwischen zwei Dimensionen ausmacht, sondern sich in einer Ambivalenz herausstellen lässt, wie es sich im Begriff der Haltung in ihrer Ambivalenz und Alteritätsstruktur gezeigt hatte. Haltung als Tertialität zu denken geht dann nicht von einem versöhnenden Charakter, auf identitätslogisch angelegtem Verständnis aus, sondern wird von einem differenz- und alteritätstheoretischen Moment durchzogen und durchfurcht. Im Folgenden wird unter Rekurs auf Levinas und die daran anschließenden Auseinandersetzungen von Bedorf die Figur des Dritten vorgestellt und die Architektur von Sozialität in tertiärer Struktur verdeutlicht.
7.2. Der Dritte Levinas konstatiert, dass der Dritte immer schon anwesend ist, so dass sich in einer dyadisch angelegten Beratungssituation immer auch eine Konfrontation mit anderen Anderen zeigt. Das bedeutet, dass der Bezug der ethischen Beziehung immer schon auch auf eine Pluralität anderer Anderer verweist. Levinas drückt dies so aus: »Wenn die Nähe mir allein den Anderen und niemanden sonst zur Aufgabe machte, ›hätte es kein Problem gegeben‹ – nicht einmal im allgemeinsten Sinne des Wortes.« (Levinas 2011: 342) In der Beratungssituation lässt sich dies mit dem Angesprochen-Werden als um Rat gefragt zu werden verdeutlichen, dessen Anspruch in eine unendliche Verantwortung beruft, zu antworten. Das bedeutet, nicht umhinzukönnen, dem Gegenüber als Anderen etwas
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Antworten zu müssen, so dass selbst keinen Rat auszusprechen auch eine Antwort wäre. Das Antworten müssen, erweist sich als unausweichliche Tatsache, dass geantwortet werden muss. Dem Anderen in seiner irreduziblen Andersheit lässt sich nicht gerecht werden (vgl. Bedorf 2003: 65). »Die reine Beziehung zum Anderen gibt es nicht, wie ein ›reines Sagen‹ unhörbar wäre und nur als Überschuß über das Gesagte gedacht werden kann. Ebenso verhält es sich mit der Verbindung von Anderem und Drittem: Eine reine Beziehung zum Anderen wäre keine Beziehung mehr, da sie nur als Überschuß oder Vorgängigkeit der Beziehung mit Dritten aufzuweisen ist. Das bedeutet auch, daß die Rede vom ›Eintritt‹, die Levinas so häufig praktiziert, genaugenommen in die Irre führt.« (Bedorf 2003: 69)
Von Gerechtigkeit (im Sinne von: dem Anderen in Seiner Andersheit gerecht werden) zu sprechen, wird daher auch erst mit dem Auftreten des Dritten, also anderen Anderen in Levinas’ Sinne möglich. Auch andere Andere stellen Ansprüche und die Verantwortung zu antworten erweist sich ebenso als unendlich (vgl. Wetzel 2003: 65). Dabei konkurrieren Ansprüche und zwingen in einen Vergleich, was ein Vergleich von eigentlich Unvergleichlichem darstellt. Denn die Singularität bezieht sich auf andere, so wie auch andere Andere singulär und gerade nicht als eine anonyme Masse anzusehen sind.157 »Da die jeweiligen Gebote des Anderen sich aber nicht nach einer übergeordneten Norm oder einem zugrundeliegenden Prozess zur Ermittlung des höhergestellten Wertes (etwa durch einen kategorischen Imperativ oder einen Diskurs zur Konsensfindung) abwägen oder errechnen lassen, ergibt sich aus dieser Konstellation ein Konflikt.« (Bedorf 2011: 174) Psychosoziale Beratungszusammenhänge, so wurde als ein Spezifikum herausgestellt, perspektivieren auch immer eine gesellschaftliche Ebene. Ratlosigkeit evozierende Lebenslagen werden dabei nicht nur als ein Thema vorgestellt, was ausschließlich die individuelle Auseinandersetzung betrifft, sondern das sich auch auf die Gemeinschaft bezieht. Damit ist damit ebenso die Frage nach dem Gelingen von Gesellschaft und der Gestaltung des Sozialen virulent. »Gerade weil intersubjektive Beziehungen immer soziale sind, läßt sich keine idyllische ethische Dyade konzipieren.« (Bedorf: 2003: 76) Damit wird deutlich, dass es nicht nur um die Ansprüche der individuellen Ratsuchenden geht, sondern damit immer auch gesellschaftliche Ansprüche verbunden sind. Die (unendliche) Verantwortung bezieht sich also auch auf andere. In dieser Situation, mit mehreren Ansprüchen konfrontiert zu sein, geht es zunächst einmal nicht um konkret bezifferbare Anliegen und Forderungen (vgl. Zeillinger 2010: 246). Vielmehr wird der Widerstreit mit der Konstellation der Sozialität provoziert. »Die interpersonale Beziehung, die ich mit dem Anderen herstelle, muß ich auch 157 Dem Heidegger’sche »man« lässt sich dahingehend nicht ›unpersönlich‹ begegnen. (Heidegger 1967: 114ff.)
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mit den anderen Menschen herstellen; es besteht also die Notwendigkeit, dieses Privileg des Anderen einzuschränken; daher die Gerechtigkeit.« (Levinas 1992b, S. 69, Hervorhebungen im Original) Darin lässt sich mit Levinas das »Spezifische des gesellschaftlichen Umgangs mit Normen […]« (Bedorf 2011: 174) ausmachen. Denn verschiedene Ansprüche fordern eine Entscheidung, zu entsprechen, wobei dem Einen zu Entsprechen eine Absage an Andere ist. »Nur wenn der Andere im Dritten präsent bleibt, d. h. wenn die Reziprozität sozialer Normen die Irreduzibilität der Verantwortungsbeziehung weder verdeckt noch ersetzt, ist von Gerechtigkeit im Sinne Levinas’ zu sprechen.« (Bedorf 2003: 85, Hervorhebung Original) Darin spiegelt sich Levinas Gerechtigkeitsvorstellung wieder, in der jedoch deutlich wird, dass Gerechtigkeit immer auch mit Ungerechtigkeit einhergeht. Um einem Anspruch zu entsprechen, macht es dabei erforderlich, zu vergleichen und abzuwägen. Das bedeutet, die verschiedenen Ansprüche auf einer Ebene des Gesagten einzuordnen, etwa unter Rückgriff auf ein spezifisches Beratungswissen. Dabei ändert sich die Beziehungsrelation: »Wenn nun die Alteritätsbeziehung von Levinas als nicht-reziproke sich auf das zeugnishafte Sagen stützt, kann sich der für die Gerechtigkeit notwendige Vergleich nur auf der Ebene des Gesagten vollziehen.« (Bedorf 2003: 69) Mit der Figur des Dritten zeigt sich nun der Ort, an dem der Konflikt der widerstreitenden Interessen ausgetragen wird und als Scharnier eines Übergangs verstehen. (vgl. Bedorf 2010a: 209/Bedorf 2003: 66) Psychosoziale Beratung lässt sich somit in einer Figur des Dritten begreifen, denn es stellt eben denjenigen – gesellschaftlich institutionalisierten – Ort dar, an dem sich widerstreitende Konflikte artikulieren. »Levinas ist damit nicht nur ein Denker des Anderen, sondern ebenso ein Denker des Sozialen, das nicht vernunft- oder kommunikationstheoretisch beruhigt wird, sondern als Widerstreit von multiplen Verantwortungen verstanden wird.« (Bedorf 2011: 178) Die Pointe liegt dabei darin, dass hierbei eine Bewegung aufrechterhalten wird. Denn es lässt sich nicht allen Ansprüchen (gleichzeitig) gerecht werden und auch nicht eine der Seiten mehr Gewicht verleihen als anderen. Vielmehr wird gerade in dem widerstreitenden Moment, dem ein Unerfüllbarkeitsanspruch inhärent ist, das Anliegen wachgehalten, Gerechtigkeit zu ermöglichen. Damit steht nicht die Resignation im Vordergrund, sondern die Aufrechterhaltung, sich diesem trotz (möglichem) Scheitern zu nähern. Im Offenhalten der Bewegung kündigt sich ein Bruch mit der Totalität als hermetische Schließung an (vgl. Bedorf 2003: 89). Darin liegt auch die Differenz des Ethischen zur Ethik, denn Levinas geht es nicht um das Aufstellen eines Katalogs mit Handlungsanweisungen, aus dem ein ›richtiges‹ und ›angemessenes‹ Verhalten abzuleiten wäre. »Die Gerechtigkeit, wie Levinas sie versteht, wird bewegt und am Leben erhalten durch die unendliche Verantwortung, die dem Subjekt vom Anderen auferlegt wird.« (Bedorf 2003: 87)
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Aus der asymmetrisch angelegten Beziehung zum Anderen (Ebene des Sagens) wird durch die Notwendigkeit des Vergleichs von Ansprüchen zwangsläufig eine symmetrische auf Reziprozität hin angelegte Konstellation. Dabei wird deutlich, dass Levinas Reziprozität, wie es oben auch für die Gestaltung der Beratungsbeziehung herausgestellt wurde, nicht etwa per se ablehnt. »Die Kritik an der Ontologie und an Theorien des Anderen, die auf dem Boden der Reziprozität operieren, impliziert nicht deren Wertlosigkeit, sondern versucht deren Anbindung an die Theorie der asymmetrischen Alterität zu leisten.« (Bedorf 2003: 66) Die Ebene des Ethischen muss notwendigerweise verlassen und auf eine Politische verwiesen werden, die jedoch wiederum an die Ethische rückgebunden bleibt (vgl. Wetzel 2003: 197). Das hierbei herausgestellte Verhältnis von Ethischem und Politischem ist dabei nicht von einer strikten Trennung, aber auch nicht von einer Verschmelzung gekennzeichnet, sondern von einem Widerstreit und von konflikthaften Auseinandersetzungen. »Normativ gesprochen, darf sich das Verhältnis einerseits nie versöhnen (allenfalls kann es punktuelle Übereinkünfte geben), andererseits darf es auch nie zu einem vollständigen Bruch zwischen Ethischem und Politischem kommen.« (Wetzel 2017: 6) Vielmehr lässt sich über die Figur des Dritten, in diesem Zusammenhang psychosoziale Beratung, das Verhältnis als Verweis aufeinander zu verstehen. »Der Dritte bildet das Scharnier zwischen dem Ethischen und dem Politischen, indem sowohl das Ethische ohne politischen Kontext nie zu haben ist (Dritter-im-Anderen), als auch das Politische ohne das Ethische normativ nicht zu fassen ist (Anderer-imDritten).« (Bedorf 2011: 178) Bedorf merkt an, dass die Ausarbeitung der Tertialität bei Levinas gegenüber einer Auseinandersetzung mit der Alteritätsbeziehung allerdings eher zurücktritt. Er stellt Einwände heraus, die eine Konzeption des Dritten bei Levinas eher erschweren als klare Konturen erkennen lassen. Dazu führt Bedorf auf, dass Levinas keine (politische) Theorie beschrieben habe, um eine Totalisierungsthese zu stützen. Weiter bleibt es fraglich, ob nicht der von Levinas beschriebene Dritte nicht gerade eine Anschlussfähigkeit verhindere, da sich der Dritte in den Ausführungen lediglich als ›Entzugsfigur‹ darstelle. Schließlich fragt Bedorf, ob nicht die Ausarbeitung einer Figur des Dritten auch eine veränderte Alteritätsbeziehung mit sich bringe (vgl. Bedorf 2003: 96ff.). Von diesen Einwänden ausgehend, setzt sich Bedorf mit Figuren des Dritten in Konzeption bei Simmel, Freud, Lacan und Sartre auseinander. Die Beschreibungen lassen sich abschließend aufgreifen und damit Konturen einer Haltung in tertiärer Struktur sowie psychosozialer Beratung als Figur des Dritten herausstellen. Bedorfs Aspekte einer Figur des Dritten sollen im Folgenden zusammenfassend aufgeführt werden. Dritte sind nicht als ein ›verallgemeinernder Anderer‹ anzusehen, wie es etwa Meads (1973) Konzeption im Rahmen symbolischer Interaktion beschreibt. Die Dimension von Besonderem und Allgemeinen ist in
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einer dyadischen Konzeption von Sozialität und schließt eine Figur des Dritten aus (vgl. Bedorf 2003: 321). Der Dritte durchbricht dabei gerade die alteritätstheoretische Dyade und »ermöglicht es, eine universale Perspektive einzunehmen, ohne daß jedoch die verantwortungs-ethische Perspektive auf den Anderen dadurch verdrängt würde« (Bedorf 2003: 323). Weiter stellt Bedorf heraus, dass der Dritte nicht als ein anderer Anderer aufgefasst werden kann. Denn in den Ansprüchen des anderen Anderen kann immer auch der Anspruch eines Gesetzes zur Geltung kommen, einer Ordnung oder Norm. Darin liegen auch widerstreitende Ansprüche, die zu einer konflikthaften Auseinandersetzung führen können (vgl. Bedorf 2003: 325). Der Dritte ist dabei keine spezifische Rolle, die eingenommen werden kann. Damit ist auch kein Wechsel der Positionen möglich, denn mit einer Rotation der Rollen löst sich die individualisierende Stellvertretung auf, die nach Levinas den Anspruch des Anderen an ein Selbst bindet (vgl. Bedorf 2003: 327). Darüberhinaus wird eine Unverwechselbarkeit der Positionen deutlich. Denn eine Wechselseitigkeit von Anderen und Dritten als reziproke Beziehung zeigt sich lediglich von einem Beobachtungsstandpunkt aus. Aus der Perspektive des eigenen Involviert-Seins in die jeweilige Relation stellt sich jedoch gerade die Kopplung von Dyade und Triade heraus. »Die beiden Perspektiven lassen sich weder gegeneinander ausspielen, etwa als eine ethische versus eine sozialtheoretische Blickrichtung, noch aufeinander reduzieren, etwa in dem Sinne, daß eine von beiden die der anderen gegenüber ursprüngliche wäre. Der Dritte ist die Figur, die beide Problematiken miteinander koppelt. Dyade und Triade sind miteinander verschränkt.« (Bedorf 2003: 335)
Dass die Figur des Dritten dabei gerade keine vermittelnde Funktion hat, zeigt sich darin, dass die Begegnungen mit anderen Anderen ebenso in eine asymmetrische Konstellation eingelassen sind. »Die Tertialität fügt dem Anderen, der jedem Zugriff entzogen ist, die Dimension der Verantwortung für das Subjekt hinzu, was eine Voraussetzung für die Subjekthaftigkeit des Anderen ist.« (Bedorf 2003: 70) Die Figur des Dritten erweist sich dabei gerade nicht als eine Synthese, die zwischen Ansprüchen vermittelt, sondern stellt eben den Ort der Auseinandersetzung selbst dar. Schließlich benennt Bedorf den Aspekt der Entfremdung, den er von Simmel und Sartre absetzt, indem Entfremdung gerade nicht das entfremden als Gegenbegriff zu einem »Bei-Sich-sein« versteht (vgl. Bedorf 2003: 341). Entfremdung fasst Bedorf dabei unter Rekurs auf Lacan als ein grundlegendes Fremdsein gegenüber sich selbst, als Differenz im eigenen Selbst, als »Verfremdung« (Bedorf 2003: 342). Mit der Figur des Dritten wird es also möglich, über eine dichotome Betrachtung von Individuum und Gesellschaft sowie Besonderem und Allgemeinem hinauszugehen. (vgl. Bedorf 2003: 344) In den Konzeptionen psychosozialer Beratung wurde an dieser Stelle nach den sozialontologischen Voraussetzungen
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gefragt, die sich für eine Beratungssituation ergeben, die innerhalb der Dichotomien agiert. Dabei wurden die Ebenen des Ethischen und Politischen herausgestellt, die unterschiedliches perspektivieren, aber aufeinander verweisen. Mit der Figur des Dritten lässt sich schließlich jener Ort beschreiben, an dem die Ebenen aufeinander verweisen und dem konfligierenden Widerstreit Raum geben. Dabei wird deutlich, dass die Figur des Dritten erst Normen zur Geltung bringt und wie das Subjekt diese Normen aufnimmt. Bedorf bezieht sich hierbei auf Freud und Lacan und verweist auf den Ödipuskomplex als Implementierung von Normen, denn bei Levinas selbst werde dieser Aspekt weniger berücksichtigt (vgl. Bedorf: 2003: 345). Vor allem im Nachgang Lacans stellt Bedorf heraus, dass der Dritte als das Symbolische zu betrachten ist (vgl. Bedorf 2003: 348). Damit wird der Dritte zu einer Bedingungsmöglichkeit von Intersubjektivität: »Erst der Bezug auf einen Dritten, der nicht in den Identifikationsdyaden befangen ist, ermöglicht eine Lösung aus der Dyade, die stets von der symbiotischen Verkapselung bedroht ist.« (Bedorf 2003: 348) Mit Bedorf lässt sich schließlich die Bedeutung des Dritten für ein inter-individuelles Verhältnis verdeutlichen: zeigt sich bei Levinas eine eher stärkere Betonung der ethischen Beziehung, stellt Bedorf heraus, dass die ethische Beziehung immer schon in eine Sozialität eingespannt sei (vgl. Bedorf 2003: 353). Der Dritte nimmt mehr Raum ein, als Levinas der Figur zuspricht (vgl. Bedorf 2003: 366). Bedorf bezieht sich hierbei vor allem auf Lacan, der der Triade im Gegensatz zu Levinas eine größere Bedeutung beimisst: »Die Position des Dritten in der symbolischen Triade ist bei Lacan deswegen von so großer Bedeutung, weil bereits imaginäre Beziehungen nicht ohne Drittes zu denken sind.« (Bedorf 2003: 354) Durch den Bezug zur symbolischen Ordnung, die sich in der Figur des Dritten auch finden lässt, zeigt sich hierbei die Verwobenheit, die oben mit der Ebenen des Politischen herausgestellt wurde. Die Grenze der absoluten Veranwortung ist dahingehend immer schon in die asymmetrische Beziehung eingeschrieben, denn der Dritte kommt nicht erst später hinzu, sondern ist immer schon präsent.(vgl. Bedorf 2003: 357f.). Mit Zeillinger lässt sich noch einmal verdeutlichen, dass Ansprüche des Anderen und Dritten zusammen auftauchen: »Im Gegensatz zu einem (nachträglichen) empirischen Auftauchen eines anderen Anderen erweist sich in dieser Überlegung der Dritte vielmehr zunächst einmal als Adressat eines Diskurses, der von Levinas bereits die ganze Zeit geführt wird. Gerade in der Gestalt eines Diskurses sind die Philosophie und das Wissen, der Logos und die Vernunft immer schon auf den Dritten ausgerichtet. Ohne seine implizite Anwesenheit ›hätte es kein Problem gegeben«. […] »Der Diskurs wäre gar nicht erst entstanden.« (Zeillinger 2010: 245)
Und gerade dadurch, dass die Ansprüche Dritter im Anspruch eines singulären Anderen präsent sind, lässt sich dahingehend auch nicht von isolierten Dimen-
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sionen des Ethischen oder des Politischen ausgehen. Dadurch, dass der Dritte anwesend ist, »drückt sich die Unmöglichkeit aus, sich in eindeutiger Weise entweder im Ethischen oder im Politischen einzurichten, die Reinheit der Dimensionen zu wahren.« (Bedorf 2003: 79) Die Ausdrucksweisen »Dritter-imAnderen« verdeutlicht dabei, dass die dyadische Beziehung von Anderen Ansprüchen auch anderer durchzogen, also sozial gefasst ist. Mit der Bezeichnung »Anderer-im-Dritten« wird gerade der singuläre Anspruch in sozialen Verhältnissen herausgestellt: Intersubjektivität und Sozialität stehen in einem Wechselverhältnis zueinander (vgl. Bedorf 2011: 176). Bedorf verweist also über Levinas hinausgehend auf ein »Sowohl-als-Auch« (Bedorf 2003: 358) asymmetrischer Alteritätsbeziehung im Ethischen und diachronen – als aus einer anderen Zeit kommenden – symbolischen Ordnung einer Politischen Ebenen. »Da Anderer und Dritter gleichursprünglich sind, gelingt Intersubjektivität nie zu zweit. Zumindest auf einen unsichtbaren Dritten referiert die Dyade vermittels seines Ausschlusses.« (Bedorf 2003: 359, Hervorhebung im Original) Schließlich verweist Bedorf auf die Ambivalenz der Figur des Dritten. Denn sie sperrt sich gegen eine genaue Festschreibung ihrer Bedeutung. (Bedorf 2003: 362) »Die Ambivalenz des Dritten besteht darin, daß er eine Schlüsselfunktion innehat, sich aber nicht auf die Funktion eines Schalters reduzieren läßt, der vom imaginären auf den symbolischen Modus umschalten könnte.« (Bedorf 2003: 364, Hervorhebungen im Original) Bedorf führt neben Levinas auch Lacan und Serres als Beispiel an, deren Figuren des Dritten ambivalente und uneindeutige Züge aufweisen (vgl. (Bedorf 2003: 368). Und genau diese Ambivalenz war ausschlaggebend, Foucault als Theorie des Politischen in der Differenz zur Politik in die andere Seite des Scharniers ›Gouvernementalität der Beratung‹ einzuhängen. Was bedeutet schließlich eine so konturierte Figur des Dritten für einen Begriff von Haltung und die Vorstellung von psychosozialer Beratung?
7.3. Konturen von Haltung Haltung erweist sich als Sozialität: Haltung bezieht sich nicht auf die Position des Subjekts und des Selbst allein, sondern ist in die Antwortstruktur auf den Anspruch Anderer beschrieben worden. Dieser Anspruch erschöpft sich allerdings nicht in der Dyade, vielmehr ist die Struktur der Sozialität immer triadisch verfasst, indem der Anspruch des Dritten immer schon da ist. Haltung erweist sich daher nicht in einer egologischen Struktur, sondern aus ihrer Tertialität heraus. Haltung ist Sozialität im Widerstreit: In, mit und durch Haltung zeigen sich widerstreitende Ansprüche, die sich in den Dimensionen des Ethischen und Politischen ausmachen lassen. In einer ethischen Dimension antwortet Haltung
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als Anspruch auf eine irreduzible Andersheit, wobei Haltung selbst, so wurde es dargestellt, von Alterität bestimmt ist. In einer politischen Dimension entspricht Haltung dem Horizont symbolischer Ordnung, die mit der Differenz von Politik und Politischem selbst von einem widerstreitenden Moment durchzogen ist. Haltung zeigt sich dabei (in tertiärer Struktur) als Scharnier zwischen Ethischem und Politischem, jedoch gerade nicht als Vermittlungsinstanz beider inkommensurabler Dimensionen. Haltung lässt sich folgendermaßen konturieren: 1. Haltung ist in ihrer Unentscheidbarkeit sowohl Anerkennung wie Verkennung anderer, das Gelingen von Haltung folgt dabei gerade keiner intentionalen Struktur. Haltung trifft den Anderen, wie sie auch an ihm vorbeigeht. In dieser Bruchstellen wird ein ethisches Moment erkennbar, die Bewegung, das Ringen und den Widerstreit aufrechtzuerhalten. »Die Anerkennung des Anderen ist stets nur eine Anerkennung des sozialen Anderen und in diesem Sinne eine Verkennung seiner absoluten Andersheit.« (Bedorf 2010: 212, Hervorhebungen im Original) 2. Über den Haltungsbegriff als Figur des Dritten werden überhaupt erst Normen ins Spiel gebracht, wodurch der Bezug des Subjekts zu Andere hergestellt wird. Im Haltungsbegriff konturiert sich gerade erst der Bezug zu Anderen, indem die Differenz von Selbst und Anderem über Dritte instatialisiert wird. 3. Erst der Bezug zu Haltung als symbolischer Ordnung lässt die Beziehung von Subjekt und Anderem als inter-individuell erscheinen – Haltung als Figur des Dritten ist damit eine Voraussetzung für Inter-Individualität. Erst die Art und Weise des Bezugs trennt Selbst von Anderen. 4. Die Ambivalenz von Haltung liegt darin, dass Haltung als Figur des Dritten nicht auf die Funktion des Scharniers reduziert werden kann, denn es wurde gerade gezeigt, in welcher Art Haltung selbst von einem Moment der Alterität durchzogen, also selbst von einem Entzug bestimmt ist. Genau die Überkreuzung von dyadischer Perspektive des Ratgebens und gesellschaftlicher Rahmung lässt die Figur des Dritten für psychosoziale Beratung relevant werden. Der Dritte vermittelt nicht zwischen Subjekt und Anderen, also Berater_innen und Ratsuchenden, im Sinne einer Rollenzuschreibung. Dabei wäre der Horizont der dualen Theoriekonzeption nicht überschritten. Die Figur des Dritten entfaltet aus einer sozialphilosophischen Betrachtung dann erst seinen Problemhorizont, wenn die dyadische Beziehung nicht in Rollenzuschreibung und damit in sozialen Kontexten aufgeht, sondern auf einer Alteritätsbeziehung fußt. Die Beziehung ist von einer irreduziblen Differenz von Ich und Anderen gekennzeichnet, so dass nicht von einem auf Symmetrie angelegten Verhältnis ausgegangen werden kann. Vielmehr ist das Verhältnis von Asymmetrie und Alterität gekennzeichnet. Psychosoziale Beratung lässt sich dahingehend sozialtheoretisch in einer Struktur von Tertialität beschreiben, als Ort des
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Widerstreits zwischen Ethischem und Politischem. Darin hält Haltung als Stachel- in der Wendung des Bezugs – Differenz aufrecht und den Widerstreit wach. In der Betrachtung der Berater_innen, die als ein Drittes in der dyadischen Konzeption fungieren, zeigt sich also zunächst einmal die Problematisierung des Konflikts. Die Figur des Dritten ist also nicht von einem Beobachterstandpunkt als Vermittlungsleistung aus zu beurteilen, damit auch nicht neutral, sondern eingespannt in die Ebenen von Ethischem und Politischem. Beratung ist dabei keine neutrale Hilfeform, sondern eben durch die triadische Struktur immer auch schon involviert. In der Beratung erscheint überhaupt erst der Ort, an dem das Problem angezeigt wird. Mit dem Bezug zur Tertialität und einem unaufhebbaren Widerstreit zwischen Ethik und Politik (Wetzel 2017) wird nicht auf eine Vermittlung eines Dritten abgehoben, sondern auf die Bedeutung des widerstreitenden Elements der Ebenen verwiesen. Dass es dabei nicht um einen versöhnenden Ort zwischen divergierender Ansprüche bestellt ist, sondern als Ort der Auseinandersetzung, an dem sich überhaupt erst Konflikte artikulieren, lässt das Format (psychosozialer) Beratung als Form demokratischer Auseinandersetzung verstehen. Haltung alteritätstheoretisch und als Wendung des Bezugs betrachtet, lässt Beratung zu einer »Quelle des Ethischen‹« (Stegmaier 1993) vom Anderen und ›Quelle des Politischen‹ (im Unterschied zur Politik) werden. Beratung agiert dann im Politischen, ohne in Politik aufzugehen, an eine ethische Position rückgebunden, was sich in einem Begriff von Haltung in seiner Antwortstruktur verdeutlichen lässt. Beratung als einen Ort des Politischen auszuweisen, der sich gerade von einem Verständnis der Politik absetzt, lässt ein widerstreitendes Moment von Beratung erkennen. In diesem Spannungsfeld, welches sich dann sowohl zwischen Politik und Politischem wie auch Ethik und Ethischem zeigt, liegt ein widerstreitender Aspekt, der als ein Fundament demokratischer Struktur anzusehen ist, wie es etwa in der Hegemonietheroie im Anschluss an Laclau und Mouffe, sowie in der Beschreibung des »leeren Ort der Macht« nach Lefort, Rancières konfliktuelles Unvernehmen oder Badious »Politik der Wahrheit« zeigen. Innerhalb dieser Ansätze erweist sich ein dynamisches Moment von unabschließbarer Bewegung, die einen auf Totalität angelegten und schließenden Charakter unterminiert. Die Dimension des Politischen bleibt Rückgebunden an den singulären Anspruch des Anderen in der konkret erfahrbaren Situation. Gerade die Differenz von Politik und Politischem, wie auch die von Levinas betonte Differenz von Ethik und Ethischem verweisen auf eine Performativität, die sich oben als Ereignis der Alterität darstellen ließ. Und es ist gerade diese Bewegung innerhalb dieser Differenz, die von der Unmöglichkeit herrührt, die Kluft zum Anderen zu überbrücken, immer schon zu spät kommt und sich damit als responsive Struktur ausweisen ließ. Beratung lässt sich in Zusammenhang mit Ansätzen radikaler und (Post-) Demokratietheorien bringen und dahingehend weiterdenken. Psychosoziale Beratung lässt sich als eine
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ihrer Formen und Orte der Auseinandersetzung sehen, die an den jeweiligen Anspruch des Anderen rückgebunden bleiben. Haltung findet im singulären Anspruch des Anderen ihren Ausdruck, der immer auch einer eines Anderen und auch andere Anderer ist – und das widerstreitend.
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Abschließend soll noch einmal der Rahmen dieser Arbeit zusammenfassend dargelegt werden, um einzelne Fänden zu verknüpfen, bzw. miteinander ins Verhältnis zu setzen: Ziel war es, nach den sozialontologischen Voraussetzungen eines Haltungsbegriffs im Rahmen psychosozialer Beratungszusammenhänge zu fragen. Ein Ausgangspunkt war dabei die Tatsache, dass Haltung zwar im Diskurs als wichtiges und wesentliches Gestaltungselement professioneller Beratungsbeziehung angesehen wird. Eine Auseinandersetzung darum, was aber genau unter diesem Begriff zu verstehen ist, bleibt aus. Die Wichtigkeit, nach den sozialontologischen Voraussetzungen zu fragen, zeigt sich darin, dass mit dem schon im Voraus-Gesetzten die Gestaltung der Beziehung maßgeblich geprägt ist. Dazu konnte gezeigt werden, dass Haltung im Diskurs um psychosoziale Beratung von einer auf Reziprozität angelegten Beziehungskonstellation bestimmt ist und ein identitätslogisches Bild klassischer Subjektvorstellung von Autonomie und Souveränität reproduziert. Es wurde bezweifelt, dass in diesen Voraussetzungen die soziale Situation abschließend getroffen ist, wie sie sich für psychosoziale Beratung darstellt. Denn das, was ein spezifisches Merkmal ausmacht, konnte in den Ebenen des Ethischen und des Politischen ausgemacht werden, die eine bestimmte soziale Architektur ersichtlich werden lassen: nämlich sowohl von einer je konkreten Beratungssituation zwischen Beratenden und Beratenen (Selbst und Andere) auszugehen und ebenso einen Bezug zu einer gesellschaftlichen Dimension, als andere Andere aufrechtzuerhalten. Um das spezifische psychosozialer Beratung zu berücksichtigen, bedarf es einer Überwindung einer auf Dualität angelegten Sichtweise, die nämlich jeweils immer eine der beschriebenen Perspektiven vernachlässigt. Dies führt zu einer tertiären Struktur des Sozialen psychosozialer Beratung. Und vor diesem Hintergrund lässt sich schließlich nach einem Haltungsbegriff und dessen sozialer Konstellation fragen, wie es für die Gestaltung der Beziehung bedeutsam wird.
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Mit der Frage, ob ein Haltungsbegriff der sich an Andere richtet, nicht gerade an ihnen vorbeigeht, wenn die Perspektive lediglich auf das ›Subjekt der Haltung‹ bezogen bleibt, ließ damit auch die Frage nach Alterität relevant werden und den Bezug wenden. Denn es konnte herausgestellt werden, dass Haltung mit einer intentionalen Struktur bricht und sich vielmehr als eine Antwort auf einen Anspruch eines Anderen (Ratsuchender) in seiner (absoluten) Andersheit verstehen lässt. Mit dem Chiasmus aus Erkennen, Anerkennen und Verkennen, wird auf einer Ebene des Ethischen die unabschließbare Bewegung zu Anderen deutlich. Denn die Signifizierung Anderer, das (unabdingbare) Erkennen als Einordnung in eine symbolische Ordnung und gleichzeitiges anerkennen ›jemand als jemand‹ (soziale Andersheit), wird innerhalb einer je konkreten Begegnung von einer Erfahrung von Alterität stets wieder durchbrochen. Diese Bewegung eröffnet dabei ein widerstreitendes Spannungsfeld. In ähnlicher Weise konnte dies für die Ebene der Politischen herausgestellt werden. Denn neben der Frage nach Alterität wurde die Frage nach Selbst- und Fremdführung in Beratungszusammenhängen virulent. Hierbei konnte eine weitere Wendung des Bezugs vollzogen werden, nämlich zu anderen Anderen. Denn psychosoziale Beratung bewegt sich in einem Feld des Politischen, ist insofern mit der Auseinandersetzung politischer Rationalität konfrontiert und bezieht eine gesellschaftliche Dimension mit ein. Unter Rekurs auf Foucault konnte eine ›Ambivalenz der Macht‹ und eine ›Gouvernementalität der Beratung‹ herausgestellt werden. Diese wurde charakterisiert mit dem Konnex aus Freiheit und Macht, so dass ein spannungsreiches und widerstreitendes Verhältnis von Ermächtigung und Unterwerfung verdeutlicht werden konnte. Sowohl Subjekt als auch Objekt von Haltung zu sein, lässt eine Ambivalenz erkennen, indem Haltung als Art und Weise der Gestaltung des Bezugs sowohl als Selbstführung wie auch Fremdführung zu verstehen sein kann. Dies wird nachvollziehbar, wenn man betrachtet, dass innerhalb eines Diskurses um Professionalisierung des Beratungshandelns Haltungen gefordert sind, die Berater_innen einnehmen (sollen) und darüber in ›Fleisch und Blut‹ übergehen. Dabei gilt es, die jeweiligen Konstitutionsbedingungen des ›Subjekts der Haltung‹ in den Blick zu nehmen und in Verhältnis zu einer möglichen ›freien Gestaltbarkeit des Selbst‹ zu setzen, die einem modernen Format von Beratung zugrunde gelegt werden und aktuell von einer ›Ökonomisierung des Sozialen‹ gerahmt wird. Wegen der sich in diesem Verständnis zeigende Unentscheidbarkeit ›guter oder schlechter‹ Haltung wurde durch die Notwendigkeit eines normativen Bezugs der Verweis auf die Ebene des Ethischen deutlich: die Rückbindung an einen singulären Anspruch eines Anderen. Das Moment der Bewegung wird also auf der Ebene des Politischen einmal durch die ›Ambivalenz der Macht‹ deutlich, welche sich in der Differenz von Politik und dem Politischen kenntlich macht: ein die Politik (als parlamentarische Institution) unterbrechendes und hinterfra-
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gendes Moment, worin ein spannungsreiches, konflikthaftes und widerstreitendes Verhältnis deutlich wird. Diese Bewegungen setzt sich aber auch in der Verschränkung mit der Ebene des Ethischen fort. Es wird deutlich, dass beide Ebenen aufeinander verweisen, jedoch nicht ineinander aufgehen. Es werden vielmehr zwei unterschiedliche Zugangsweisen zum Sozialen deutlich. In der Aufrechterhaltung dieser Differenz zeigt sich sowohl auf der Ebene des Ethischen sowie auch auf der Ebene des Politischen ein normativer Bezugspunkt. Psychosoziale Beratung lässt sich schließlich als Ort beschreiben, an dem die aus der Aufrechterhaltung der Bewegung resultierende Auseinandersetzung, Widerstreit und Konflikt einen Platz findet. Dies macht jedoch ein Denken der Differenz erforderlich, da beide Ebenen nicht ineinander aufgehen, sondern in einem Chiasmus begegnen. Das Soziale, wie es sich hier zeigt, ist also geprägt von Widerstreit und konfligierenden Interessen. Es ist dabei nicht an einem Konsens und an einer Gleichursprünglichkeit orientiert, sondern von Dissens und Auseinandersetzung bestimmt. Darin bezieht sich das Soziale nicht auf etwas Vorgängiges, also auf Strukturen, die als gegeben vorausgesetzt werden und auf die sich dann in irgendeiner Weise bezogen werden muss. Vielmehr ist und bleibt es umstritten und zeigt sich als Aushandlungsprozess darüber, wie ein gemeinsames Miteinander gestaltet sein kann. Das konfligierende und widerstreitende Moment erweist sich dabei als produktiv. Denn mit der oben dargestellten Struktur der Tertialität wird überhaupt erst das Potential erkennbar, als Teil des Gestaltbaren des Sozialen zu agieren. Psychosoziale Beratung in tertiärer Struktur zu denken lässt einen Ort erkennbar werden, an dem sich Gestaltung vollzieht und ermöglicht wird. Dabei zeigt sich der Aspekt der ›Bewegung‹ als Aufrechterhaltung der Auseinandersetzung als zentral, sowohl im Ethischen wie auch Politischen gegen eine Schließung zu Totalität – also das Gerinnen von Macht zu Herrschaft über Andere in sozialer wie absoluter Andersheit – zu agieren. Es ist das offen halten dieser Bewegung, die durch den Anspruch Anderer ›in Atem gehalten wird‹. Mit dem Aufrechterhalten der Auseinandersetzung, wie es auch mit der ›Ambivalenz der Macht‹ verdeutlicht werden konnte, wird auch das Bestreben erkennbar, das Format Beratung nicht zu einem Herrschaftsinstrument werden zu lassen und damit zu einer Totalität zusammenzuschließen, in der die Auseinandersetzung gerade still gestellt sind und damit Alterität übergangen wird. Haltung lässt sich als ein performativer Ausdruck dieses Formats in der je konkreten Situation verstehen, auf widerstreitende Ansprüche ohne Konsens antworten zu müssen. Darin drückt sich eine soziale Konstellation psychosozialer Beratung aus: Teritalität. Damit wird deutlich, weshalb Haltung im Rahmen von psychosozialer Beratung überhaupt thematisiert wird und es gerade einer Auseinandersetzung um die sozialontologischen Voraussetzungen bedarf: es ›materialisiert‹ sich ein bestimmtes Verständnis von Beratung, was sowohl den
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Blick auf das Medium, also Haltung, selbst werfen lässt, wie auch auf die Rückkopplung an ein spezifisches Verständnis psychosozialer Beratung: als Figur des Dritten, eingespannt in den Ebenen des Ethischen und des Politischen. Hierin zeigt sich etwas gewahrt, was sich in eigentümlicher Art und Weise dem Rat geben selbst einschreibt: Beratung ist von einem Bezug ins Offene bestimmt, denn es zeigt sich stets ein Verweis auf etwas Zukünftiges, was selbst nicht Teil der Beratung ist.158 Darin wird eine Grenze des Nicht-Wissens sowie des NichtWissen-Könnens deutlich, die auf den Charakter von etwas Unabschließbarem verweist und eine initiierte Planbarkeit von Beratungsprozessen als aktivierende Form unterminiert. Und trotzdem ereignet sich etwas innerhalb der je konkreten Situation, die im Hier und Jetzt erfahrbar ist: Haltung als Sozialität im Widerstreit. Darin zeigt sich eine ›Ortsbeschreibung‹ psychosozialer Beratung. Wie Beratung in diesem Verständnis genau ausgestaltet sein kann, ist anderen Arbeit vorbehalten. Im Rahmen dieser Arbeit zeigt sich nicht mehr aber eben auch nicht weniger als eine Erklärungsgrundlage und Begründungszusammenhang für beraterisches Handeln, als: Grundlage einer Theorie psychosozialer Beratung;
158 Vgl. dies zum Pädagogischen im Allgemeinen mit Wimmer (2006).
9.
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