Gott und Volk. Religion und Kirche in der Demokratie. Vox Populi – Vox Dei? [1. ed.] 9783428528011


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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung in Demokratie
I. Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie
1. Gott und Volk: eine alte und ganz neue Frage. Vom Staats-Kirchen-Recht zu „Demokratie und Kirche“
2. Vox Populi – Vox Dei: „Volk als Gott“ – „Volk gegen Gott“?
a) Das auserwählte Volk
b) Propheten und Priester
c) Das Volk – auf sich selbst gestellt
d) Das demokratische Volk und sein souveränes Wort
e) Die Grundthese: Zwei Reiche – eine Versöhnung
II. Irrwege: Staatskirche – Trennung von Kirche und Staat
1. Die Kirche in der Versuchung des Staatskirchentums
a) „Staatskirche“ und „Freikirchen“ – Gemeinsamkeiten im Kirchenbegriff
b) Die „unsterbliche“ Staatskirche – vom Scheiterhaufen zum Sozialzwang
c) Das Christentum, seine „Staatskirche“ und deren Zukunft
2. Demokratie: notwendige Trennung von Kirche und Staat?
a) Demokratische Staat-Kirchen-Trennung: Antithese zur feudalen Staatskirche
b) Ein Kompromiss: das Konkordatssystem
c) Grenzen konkordatärer Zusammenarbeit
3. Trennung von Kirche und Staat: ein demokratisches Dogma
a) Das Volk im Aufstand des Geistes
b) Trennung von Kirche und Staat: Negation des Menschen als natürliche Einheit
4. Demokratisches Staats-Kirchen-Recht auf einem Dritten Weg?
III. Demokratische Gefahren für die Kirchlichkeit
1. Demokratie: Dynamik der Machtbesetzung
a) Demokratie: eine ganz neue Souveränität „in Etappen“ – endlich ernst zu nehmen
b) Die neue demokratische Souveränität und die Kirchlichkeit
2. Demokratische Kirchenbesetzung „nach Staatsbesetzung“: Gefahren und Chancen
a) Besetzung der Macht: Versuchung aktiv-totalitärer Gewalt
b) Demokratie als allseitige Präsenz des Volkes
c) Die Gefahren des Radikal-Demokratismus
B. Grundstrukturen der „Zwei Reiche“: Distanzen und Versöhnungen
I. Die beiden Reiche: Distanz und Nähe
1. Zwei Welten in Grundsatz-Distanz
2. Kirche: „eine andere Welt“, auch gegenüber der Demokratie
a) Zwei Reiche mit gleichen Staatselementen
b) Und doch: fundamental verschiedene Zielvorstellungen
3. Diesseits als Weg, als Vorstufe zum Jenseits
a) Das Jenseits – Realität auch der Demokratie
b) Demokratisches Verständnis für Widerstand bis zum Märtyrertum
c) Spannungen zwischen kirchlichen und demokratischen Erwartungshaltungen
4. Jenseits als Belohnung für Diesseits
a) Die religiöse Kompensation diesseitiger Leiden – „Opium für das Volk“ und amerikanischer Optimismus
b) Demokratie und religiöse Gehorsamspflicht im Diesseits
5. Demokratie als „irdisches Vor-Bild“ – Erkenntniswege vom Diesseits zum Jenseits?
a) Religion wie Politik: Willensentscheidungen, nicht Erkenntnisvorgänge
b) Das Jenseits-Reich: Abbildung der irdischen Demokratie?
c) „Gottesbeweise“
d) Analogia entis
e) Subsidiarität
f) Civitas Dei
II. Denken „vom Ende her“ – oder „ohne ein Ende“?
1. Der Tod des Menschen – das Weiterleben des Volkes
a) Kirche: aus dem Tod lebend
b) Der Tod: für den Staat ein Un-Fall
2. Kirchliches „Denken aus Unendlichkeit“ – Demokratie im ständigen Wandel
a) Religion: ein Denken in Unendlichkeit
b) Demokratie: Staatsform des Wandels
c) Begegnung und Versöhnung in einem „vorläufig Endgültigen“
III. Die beiden Reiche: Ziele und Werte – Glückseligkeiten
1. Ziele als Werte: für Gläubige und Bürger der Demokratie
2. Zielvorstellungen in Kirche und Demokratie – Freiheiten als Werte?
a) Kirche: Gottes Wille als Ziel
b) Die „Werte der Demokratie“: Freiheiten
3. Politische Zustände: Ziel-Begegnungen von Kirche und Volksherrschaft?
a) Glückseligkeit auf Erden
b) Annäherungen demokratischer Staatszielbestimmungen und kirchlicher Lehren
4. Die soziale Brücke: Nächstenliebe und Sozialstaat
a) Traditionell nicht nur Begegnung: Gemeinsamkeit
b) Die neue soziale Verantwortung der Demokratie
c) Das Umverteilungsziel des Sozialstaates
d) Karitas: Machtferne Nächstenliebe
5. Vergnügensoptimierung als demokratisches Ziel – Hedonismus und Kirche
a) Demokratie – Freiheit – Freizeit
b) Kirche: Vergnügen als Sünde
c) Letzte Zieldivergenzen: verschiedene Wertigkeiten irdischer Zustände
6. Friede: gemeinsames Ziel von Kirche und Staat?
IV. Grundhaltungen des Menschen in kirchlicher und demokratischer Gemeinschaft
1. Die zwei Optimismen: Kirche: Erlösung im Jenseits; Demokratie: Fortschritt im Diesseits
a) Grundoptimismus: Aktivierung des Gemeinschaftsbürgers
b) Kirchlicher Optimismus: aus dem Jenseits ins Diesseits
c) Demokratischer Fortschrittsoptimismus – Diesseitshoffnung
d) Die Begegnung der beiden Optimismen: Aktivität ohne Ende
2. Die Gegensatz-Gefahr: kirchliches Verehren – demokratisches Fordern
a) Die Kirche: Welt der Verehrung
b) Die respektlose Forderungsdemokratie
c) Kann Kirche fordern – Demokratie verehren?
3. Gnade der Kirche – Recht der Demokratie
a) Gnade: Grundlage kirchlichen Lebens
b) Volksherrschaft: die gnadenlose Staatsform
c) Begegnung von Kirche und Demokratie: im Schenken
V. Das Fazit: Begegnung aus Ferne: Demokratie und Kirche in Räumen, auf Wegen der Versöhnung
1. Begegnungsräume
2. Voneinander lernen
C. „Demokratisierung“ der Kirchen
I. Demokratische Wurzeln christlicher Kirchlichkeit
1. Demokratische Elemente und Entwicklungen im kirchlichen Raum
a) Die alte Kirche: von der Basisbewegung zur Volksnähe der Ordensreligion
b) Der Protestantismus der Gemeinden und Synoden: Reform kirchlicher Demokratie
c) Katholische Volksbewegungen
2. Die Neue Demokratisierungsbewegung
a) Übernahmen aus demokratischer Politik
b) „Kirche von Unten“
II. Grenzen der Demokratisierung in Staat und Gesellschaft
1. Staat und Gesellschaft – eine demokratische Einheit
2. Grenzen staatlich-gesellschaftlicher Demokratisierungen
a) Staat: Ordnungsstatik gegen Dynamik – Verfassungsstabilität
b) Demokratisierungsbewegungen
III. Letzte kirchliche Grenzen aller Demokratisierung
1. Beide Reiche: auf Fels gebaut
2. Kirchliche Unverzichtbarkeiten
a) Das Heilige – das Dogma
b) Das Amt – das Letzte Wort
c) Die letzte Unwandelbarkeit des Kirchlichen
IV. Demokratisierung also der Kirche in vielem – ja, kirchliche Demokratie als solche – nein
1. Demokratie und Kirchendisziplin
2. Mitsprache der Gläubigen, des Volkes
3. Gleichberechtigung – Gleichheit
D. Die religionsoffene Demokratie
I. Das Wertebekenntnis der Demokratie
II. Freiheit: des Demokraten – des Christenmenschen
III. Achtung vor der Jenseitsdimension religiöser Gefühle
IV. Kirche: „Religiöse Minderheit“ in der Demokratie
V. Demokratie in Verehrung
E. Ausblick: also doch Vox Populi – Vox Dei?
Sachwortverzeichnis
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Gott und Volk. Religion und Kirche in der Demokratie. Vox Populi – Vox Dei? [1. ed.]
 9783428528011

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WALTER LEISNER · GOTT UND VOLK

Gott und Volk Religion und Kirche in der Demokratie Vox Populi – Vox Dei?

Von Walter Leisner

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Alle Rechte vorbehalten ! 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-12801-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 !

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die christlichen Kirchen werden zu Sekten. Religion stirbt in Freidenkertum, Relativismus – allenfalls bleibt Ethik, was immer das heißen mag, verwässert zu Moralin. Gott? Vielleicht, aber sicher nicht mehr nur in seinen Kirchen. Nicht alle denken so – aber immer Zahlreichere. Ein so geprägtes „westliches Bewusstsein“ – wenn es denn noch ein solches gibt – trifft auf die tiefe religiöse Überzeugung des Islam, eines wahren „Glaubens“. Er wühlt die „freidenkenden“ Christen auf und die gottfernen Bürger: Was haben sie ihm anderes entgegenzusetzen als ihre „demokratischen Werte“, ihre „Freiheit zu oder gegen Gott“? Nicht diese nur zu oft aufgeregte und polemische Diskussion soll hier aber weitergeführt werden, sondern eine andere, eine alte, große, entscheidende, die darüber vergessen zu werden droht: Wie hält es dieser noch immer vielfältig christlich geprägte „Westen“ mit seiner eigenen Religion? Dies aber kann nur bedeuten: Wie steht er zu seinen Kirchen, zu seiner Kirchlichkeit? In welchem Verhältnis stehen sie zu der als werthaltig gepriesenen Staatsform der Demokratie? Über Staat, Kirche und Demokratie muss also vertiefend nachgedacht werden, schon aus hochaktuellen Gründen: Klar muss werden, was denn diese „christlich geprägte Welt“ an Religiösem den Glaubensvorstellungen der Völkerwanderer entgegenzusetzen hat, nicht nur in ihren geschwächten Kirchen, sondern in ihrer noch funktionierenden demokratischen Staatlichkeit, in deren Verhältnis zu „Gott und seinem Volk“. Denn die Migranten werden sich ja auch einfügen (müssen) in die Ordnung des Westens und deren staats-kirchen-rechtliche Kategorien, jedenfalls für lange Übergangszeiten. Deshalb ist vorrangige Aufgabe eine wahre Rück- und zugleich Vorbesinnung auf das Verhältnis von Staat und Kirche in der Volksherrschaft, und dies insbesondere im deutschsprachigen Raum: Vor allem hier sind diese Fragen gestellt, durchlitten und auch gelöst worden, hier wird staatsrechtlich vertieft über Demokratie von jeher nachgedacht. Dabei geht es nicht nur um religiöse Aufnahmebereitschaft gegenüber Migranten, werden auch gerade ihnen „demokratische Werte“ entgegengehalten. Dahinter steht ein viel größeres Problem der Volksherrschaft: Ihr nahezu grenzenloses politisches Selbstbewusstsein lässt sie als alternativlose Staatsform erscheinen. Zwar ist an ihr so vieles unklar, rechtlich wie politisch, doch eines

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Vorwort

bleibt unverrückbar ihre Grundlage: Die notwendige Rückführbarkeit aller Macht auf (irgendwelche) Ausdrucksformen des Volkswillens, Wahlen und Abstimmungen. Das letzte Wort auf Erden steht dem Volke zu. Und wie steht dies zum Wort des allmächtigen Schöpfergottes aller monotheistischen Religionen, in allen christlichen Kirchen? Ist vielleicht gar Volkes Wort Gottes Wort, die Kirche ein demokratisches Instrument – Vox Populi vox Dei? Muss daher heute „die Kirche demokratisiert werden“, so wie früher der Staat verkirchlicht werden sollte? Oder müssen da eben doch zwei Reiche sein: Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie? Diese letztere These soll hier begründet und es soll gezeigt werden, wie der eine Mensch Bürger dieser beiden Reiche ist und bleiben kann. Sie müssen sich nicht nur kennen, sondern anerkennen, nicht abgrenzen, sondern zusammenwirken, in vertieftem, gegenseitigem Verständnis, das ihre Unterschiede anerkennt und betont, daraus Nähe werden lässt. Dies verlangt Bewegungen, Regungen – und dazu nun Anregungen, aus der Sicht von Geschichte, Recht und Religion. München, Ostern 2007

Walter Leisner

Inhaltsverzeichnis A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung in Demokratie . . I. Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie . . . . . . . . . . . . . . 1. Gott und Volk: eine alte und ganz neue Frage. Vom Staats-KirchenRecht zu „Demokratie und Kirche“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vox Populi – Vox Dei: „Volk als Gott“ – „Volk gegen Gott“? . . . . . . . a) Das auserwählte Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Propheten und Priester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Volk – auf sich selbst gestellt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das demokratische Volk und sein souveränes Wort . . . . . . . . . . . . . . e) Die Grundthese: Zwei Reiche – eine Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . II. Irrwege: Staatskirche – Trennung von Kirche und Staat . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kirche in der Versuchung des Staatskirchentums . . . . . . . . . . . . . . . a) „Staatskirche“ und „Freikirchen“ – Gemeinsamkeiten im Kirchenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „unsterbliche“ Staatskirche – vom Scheiterhaufen zum Sozialzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Christentum, seine „Staatskirche“ und deren Zukunft . . . . . . . . 2. Demokratie: notwendige Trennung von Kirche und Staat? . . . . . . . . . . a) Demokratische Staat-Kirchen-Trennung: Antithese zur feudalen Staatskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ein Kompromiss: das Konkordatssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen konkordatärer Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trennung von Kirche und Staat: ein demokratisches Dogma . . . . . . . . a) Das Volk im Aufstand des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Trennung von Kirche und Staat: Negation des Menschen als natürliche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Demokratisches Staats-Kirchen-Recht auf einem Dritten Weg? . . . . . . III. Demokratische Gefahren für die Kirchlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratie: Dynamik der Machtbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Demokratie: eine ganz neue Souveränität „in Etappen“ – endlich ernst zu nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die neue demokratische Souveränität und die Kirchlichkeit . . . . . . 2. Demokratische Kirchenbesetzung „nach Staatsbesetzung“: Gefahren und Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besetzung der Macht: Versuchung aktiv-totalitärer Gewalt . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Demokratie als allseitige Präsenz des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Gefahren des Radikal-Demokratismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Grundstrukturen der „Zwei Reiche“: Distanzen und Versöhnungen . . . . . I. Die beiden Reiche: Distanz und Nähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwei Welten in Grundsatz-Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirche: „eine andere Welt“, auch gegenüber der Demokratie . . . . . . . . a) Zwei Reiche mit gleichen Staatselementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Und doch: fundamental verschiedene Zielvorstellungen . . . . . . . . . . 3. Diesseits als Weg, als Vorstufe zum Jenseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Jenseits – Realität auch der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratisches Verständnis für Widerstand bis zum Märtyrertum c) Spannungen zwischen kirchlichen und demokratischen Erwartungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jenseits als Belohnung für Diesseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die religiöse Kompensation diesseitiger Leiden – „Opium für das Volk“ und amerikanischer Optimismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratie und religiöse Gehorsamspflicht im Diesseits . . . . . . . . . 5. Demokratie als „irdisches Vor-Bild“ – Erkenntniswege vom Diesseits zum Jenseits? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religion wie Politik: Willensentscheidungen, nicht Erkenntnisvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Jenseits-Reich: Abbildung der irdischen Demokratie? . . . . . . . c) „Gottesbeweise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Analogia entis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Civitas Dei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Denken „vom Ende her“ – oder „ohne ein Ende“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Tod des Menschen – das Weiterleben des Volkes . . . . . . . . . . . . . . a) Kirche: aus dem Tod lebend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Tod: für den Staat ein Un-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirchliches „Denken aus Unendlichkeit“ – Demokratie im ständigen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religion: ein Denken in Unendlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratie: Staatsform des Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begegnung und Versöhnung in einem „vorläufig Endgültigen“ . . . III. Die beiden Reiche: Ziele und Werte – Glückseligkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele als Werte: für Gläubige und Bürger der Demokratie . . . . . . . . . . 2. Zielvorstellungen in Kirche und Demokratie – Freiheiten als Werte? . . a) Kirche: Gottes Wille als Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Werte der Demokratie“: Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 3. Politische Zustände: Ziel-Begegnungen von Kirche und Volksherrschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Glückseligkeit auf Erden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Annäherungen demokratischer Staatszielbestimmungen und kirchlicher Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die soziale Brücke: Nächstenliebe und Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Traditionell nicht nur Begegnung: Gemeinsamkeit. . . . . . . . . . . . . . . b) Die neue soziale Verantwortung der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Umverteilungsziel des Sozialstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Karitas: Machtferne Nächstenliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vergnügensoptimierung als demokratisches Ziel – Hedonismus und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Demokratie – Freiheit – Freizeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kirche: Vergnügen als Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Letzte Zieldivergenzen: verschiedene Wertigkeiten irdischer Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Friede: gemeinsames Ziel von Kirche und Staat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundhaltungen des Menschen in kirchlicher und demokratischer Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zwei Optimismen: Kirche: Erlösung im Jenseits; Demokratie: Fortschritt im Diesseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundoptimismus: Aktivierung des Gemeinschaftsbürgers . . . . . . . . b) Kirchlicher Optimismus: aus dem Jenseits ins Diesseits . . . . . . . . . . c) Demokratischer Fortschrittsoptimismus – Diesseitshoffnung . . . . . . d) Die Begegnung der beiden Optimismen: Aktivität ohne Ende . . . . . 2. Die Gegensatz-Gefahr: kirchliches Verehren – demokratisches Fordern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Kirche: Welt der Verehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die respektlose Forderungsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kann Kirche fordern – Demokratie verehren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gnade der Kirche – Recht der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gnade: Grundlage kirchlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Volksherrschaft: die gnadenlose Staatsform . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begegnung von Kirche und Demokratie: im Schenken . . . . . . . . . . . V. Das Fazit: Begegnung aus Ferne: Demokratie und Kirche in Räumen, auf Wegen der Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begegnungsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voneinander lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. „Demokratisierung“ der Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Demokratische Wurzeln christlicher Kirchlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Demokratische Elemente und Entwicklungen im kirchlichen Raum . . 131

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Inhaltsverzeichnis a) Die alte Kirche: von der Basisbewegung zur Volksnähe der Ordensreligion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Protestantismus der Gemeinden und Synoden: Reform kirchlicher Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Katholische Volksbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Neue Demokratisierungsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übernahmen aus demokratischer Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Kirche von Unten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grenzen der Demokratisierung in Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 1. Staat und Gesellschaft – eine demokratische Einheit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen staatlich-gesellschaftlicher Demokratisierungen . . . . . . . . . . . . a) Staat: Ordnungsstatik gegen Dynamik – Verfassungsstabilität . . . . . b) Demokratisierungsbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Letzte kirchliche Grenzen aller Demokratisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beide Reiche: auf Fels gebaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirchliche Unverzichtbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Heilige – das Dogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Amt – das Letzte Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die letzte Unwandelbarkeit des Kirchlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Demokratisierung also der Kirche in vielem – ja, kirchliche Demokratie als solche – nein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratie und Kirchendisziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitsprache der Gläubigen, des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichberechtigung – Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Die I. II. III. IV. V.

religionsoffene Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wertebekenntnis der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiheit: des Demokraten – des Christenmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achtung vor der Jenseitsdimension religiöser Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirche: „Religiöse Minderheit“ in der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Demokratie in Verehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Ausblick: also doch Vox Populi – Vox Dei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung in Demokratie I. Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie 1. Gott und Volk: eine alte und ganz neue Frage. Vom Staats-Kirchen-Recht zu „Demokratie und Kirche“ Es ist eine uralte und eine unendliche Geschichte, sie spielt in Deutschland, Europa und anderswo, nirgends aber hat sie wohl mehr erregt, ist mehr in ihrem Namen gedacht und gelitten worden als in den Ländern des alten Römischen Reiches: Kirche und Staat, zwei Reiche des einen Menschen, die beiden Mächte, zwischen denen er steht, die um ihn sich streiten. Staats-KirchenRecht, zusammen- oder getrennt geschrieben – das Wort hat früher Schlachtfelder mit Toten gefüllt, später Bibliotheken mit Schriften. Die Gegenwart interessiert das Wort kaum mehr als solches, doch erlebt sie es in immer neuen Formen und in ganz verschiedenen: Einerseits erschüttern Religionen Weltpolitik und Weltmächte, zum anderen ist die Staatsmacht allenthalben auf Wegen zu einer neuen Legitimation, die sie in ihren Bürgern finden muss, in den Menschen; sie aber suchen nach einem Sinn, nach Werten, die ihnen immer wieder die Religion vorstellt, zum Glauben, zum Zweifeln, zum Verwerfen. Kirche und Staat – das hat sich gewandelt zur Frage Politik und Religion, und es wandelt sich weiter in der Gegenwart, noch kaum in all seinem Drängen bewusst: Religion und Demokratie, Kirche und Volk. Denn dies ist die neue Welt, die unwiderstehlich und unwiderruflich heraufkommt: Der selbstbewusste Bürger, seine Macht und die seiner freien Gemeinschaften, das alles – Demokratie genannt. Staats-Kirchen-Recht: das waren Kämpfe, Spannungen, Gleichgewichtslagen zwischen Machtträgern in historischen Organisationsformen, zwischen Kaiser und Papst, Kirche und Reich, konservativ und liberal regierenden Schichten; es war kein Kampf zwischen MachtStaats-Regierungsformen. Denn auf beiden Seiten stand früher, in Europa jedenfalls, in Deutschland ganz besonders, eine große Form der Machtausübung, ja des Machtdenkens: ein Feudalismus, welcher die Kirche ebenso beherrschte wie Staat und Gesellschaft. Nun ist eine neue Zeit angebrochen: die Zeit des Volkes, der Vielen und doch Einzelnen, der zahllosen Bürger, die nebeneinander leben, handeln, de-

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A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung

monstrieren, protestieren. Die großen Kriege scheinen sich zu wandeln in viele kleine Bürgerkriege, getragen von der Hoffnung, dass sie unblutig ablaufen, in Dialog und Mehrheitswechsel. So ist eine neue, eine demokratische Staatlichkeit entstanden, ein neues Staatsrecht. Dies alles muss nun seinen Frieden machen mit der Religion, mit ihren Überzeugungskräften, und vielleicht auch mit ihrem Rückzug aus dem Staat und seinen Menschen. Dies also ist das neue Problem: Nicht mehr Staat und Kirche, überwölbt durch feudales, fürstliches, hierarchisches, im Grunde doch gemeinsames Denken, sondern Religion und Demokratie, das eine Volk in beiden Reichen. Diese neue geistige Lage führt in ein Problem hinein, welches das Staatsrecht herausfordert: Das Volk der Demokratie ist der Souverän, die höchste Macht auf dieser Welt. Es mag sich zusammenschließen mit anderen Völkern in europäischen oder noch größeren Einungen: Es bleibt stets in der Idee das eine, gestufte, aber das demokratisch allmächtige, unwiderstehliche Volk. Und wenn man es auflöst in seine einzelnen Bürger, wenn man es aus ihnen aufbaut, dabei aber doch stets primär auf den Einzelmenschen blickt, so ist es eben der Einzelne, der zum Souverän wird in seiner Wahlentscheidung, im täglichen Plebiszit seines wirtschaftlichen Verhaltens. Er begegnet nun aber – und sein Volk – einer Religion, welche er als solche nicht hervorgebracht hat wie seinen Staat, seine Demokratie, die er auch nicht in gleicher Totalität verändern kann wie jene irdischen Strukturen. Hier tritt etwas dem Volkssouverän, seinen souveränen Bürgern entgegen, das seinem innersten Wesen nach „ganz anders“ ist als seine demokratisch überschaubare, beherrschbare, zu befriedende Welt, es ist etwas Göttliches, und daher eben – auch ein Souverän. Weiter gibt es zwar etwas wie zwei Reiche, sie bleiben, solange es Diesseits und Jenseits gibt, aber im Diesseits hat ein neuer Souverän, nach Jahrtausenden, die Macht ergriffen – ob dies auch im Reich des Jenseits geschieht, zu geschehen hat, geschehen kann? Welche Wandlungen vollziehen sich in beiden Reichen unter demokratischen Impulsen, was bleibt davon dauernd in ihnen beiden? Genügt ihnen ein neuer, ein wahrhaft Westfälischer Friede, oder müssen sie „irgendwie zusammen doch kommen“, das ist die neue, große Frage. Sie wird bereits vielfach gestellt, überall gefühlt. Diese Blätter können sie nicht beantworten; sie versuchen aber, sie klarer zu fassen, strenger vielleicht, bis zur Unausweichlichkeit. Gerade darin müssen sie in allem bescheiden bleiben, in vielem skeptisch, wie es eben dem Fragenden zusteht – dies alles vielleicht schon deshalb, weil eben eines die Grundthese des Folgenden sein wird: Die beiden Reiche wird und muss es immer geben, aus der Einheit ihres einen Bürgers, des Menschen; er ist ihr Richter, nicht sie der seine, und er wird von ihnen Bescheidenheit fordern, Verzicht auf souveräne Macht für einen Frieden wahrhaft brüderlicher Macht, nicht Trennung, sondern gemeinsames, verschränktes Wirken. Darin allein kann sich die Demokratie im Letzten hinaufpflanzen, ein Gott herabsteigen vom Kreuz zu den Menschen. Im Letzten geht es um Gott und das Volk – sein Volk in der Demokratie.

I. Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie

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2. Vox Populi – Vox Dei: „Volk als Gott“ – „Volk gegen Gott“? a) Das auserwählte Volk „Volk“ – das ist keine demokratische Erfindung, kein politischer Gegenbegriff zur Religion, des Volkes machtvolle Stimme ist säkularisiertes religiöses Erbe. Volkssouveränität war und ist längst vorgedacht in jenem Vox Populi – Vox Dei, in welchem auf die Stimme eines Allmächtigen gehört werden soll, werden muss. Nur eine Frage scheint dann noch zu bleiben zwischen Demokratie und Kirche: Was ist dieses Volk, wie tönt Gottes Stimme aus seinen Worten – und spricht Er immer aus ihm, gleich was es sagen will, gleich ob es weiß – oder nicht –, dass es spricht, nur sprechen kann als politischer Gott auf Erden? „Religiöse Demokratie“ – das scheint in diesem Wort eine selbstverständliche Einheit, warum noch Suche nach einer Versöhnung? Alle Religion ist Verkündigung, wendet sich an eine Vielzahl von Menschen, mag sie größer sein oder kleiner. Dies ist das „Volk Gottes“, wo immer Religion ein persönliches Wesen des Jenseits verehrt. In der Tradition der heutigen Gottes-Religionen hat dieses Gottesvolk einen eindrucksvollen Anfang gefunden: im auserwählten Volk der Juden, sie haben damit zum ersten Mal und in ununterbrochen vieltausendjähriger Tradition die gottes-demokratische Frage gestellt. Ihr Gottesvolk war als solches das einzig Göttliche auf Erden, das allein Wichtige, Fassbare. Ein anderes Denken als in seinen Kategorien war und ist in dieser Welt nicht möglich, nur in ihm verkörpert sich der Allmächtige, daher sind die Werte dieses Volkes absolute, seine Interessen die ersten und höchsten. Dieses auserwählte Volk Israel öffnet sich im Christentum zum Volk der Getauften, in ihm setzt es sich fort, in seinen Gemeinden. Nun ist es nicht mehr Abstammung und gemeinsames Blut, sie werden ersetzt durch die Geburt aus dem Heiligen Geist. Damit wird das Volk zur Gemeinschaft der Erleuchteten – Rechtgläubigen. Am Ende ist es dann dieser rechte Glaube allein, der im Islam das ganz große Volk der Gläubigen hervorbringt, der ins Paradies Berufenen. Unendlich viel größer ist dieses Volk Gottes geworden, doch unendlich ist in seiner religiösen Vorstellung eine Allmacht geblieben – die seines unendlichen Gottes. In diesem jüdischen Prototyp des auserwählten Volkes, welches zugleich politisch-reale Bürgerschaft und Gottesvolk war, Ersteres durch Letzteres, ist nicht nur erstmals in der bekannten Geschichte die Frage „Gott und (sein) Volk“ gestellt worden. Dieser jüdische Volksbegriff war darin so ursprünglich-mächtig, dass er die Jahrtausende überdauerte. Er wurde sogar von einem Völkerrecht übernommen – eben als eine einmalige politische Erscheinung – welches sonst „Völker“ als seine Rechtssubjekte nicht anerkennt, sondern nur in ihrer Organi-

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A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung

sationsform der Staaten: Das jüdische Volk ist nicht nur in aller Munde, es wird allenthalben auch rechtlich geachtet als eine staatsform-übergreifende Einheit. So mächtig wirkt hier noch heute dieser religiös-politische, einheitliche Begriff „Volk“. b) Propheten und Priester Von seinen jüdischen Anfängen an findet dieses Volk Gottes seine Führer, denn Volk ist etwas, das geführt werden muss. Es wird überhaupt erst in dieser Volks-Führung zur Einheit. In solcher „Volks-Schaffung“ wirken, in ihren Anfängen, Religion von oben und völkisch-politischer Wille von unten untrennbar zusammen: Die Führer des Volkes werden zugleich vom Jenseits her berufen, ausgerufen, dem Volke zugerufen und von diesem angenommen. Dies ist das mosaische Erlebnis – doch in ihm rebelliert auch erstmals die Volksbasis gegen das göttliche Gesetz, welches der auf Sinai geheiligte Führer zu ihm bringt. Das Volk folgt ihm, doch von nun an wird es immer wieder gegen seine „Propheten“ aufstehen, in Undank, in Verblendung – um sich dann ihrem, dem göttlichen Wort dieser „Vor-Sprecher“, dieser Propheten, doch stets von Neuem zu unterwerfen, es zu verehren, aus ihm heraus zu leben, ein Volk zu sein. So entfaltet sich das Priestertum als göttliche Führung des Volkes, es trägt die zeitlose Geltung göttlicher Befehle in das begrenzte Zeit-Denken der Vielen. Doch in ihrem Annehmen des Gotteswortes ist immer noch und erst recht hörbar die Stimme des Allmächtigen, und sei es auch nur mehr ein Echo des Priesterbefehls. Die Priesterschaft, auf solchen Wegen zugleich zum Sprachrohr des Jenseitigen und der antwortenden diesseitigen Volksmenge geworden, sollte eigentlich als solche die Einheit von Göttlichem und Volkswillen sichtbar verkörpern, jeden Gegensatz von „Vox Populi – Vox Dei“ von vorneherein begrifflich ausschließen. Auch so ist dieses Wort, bis in die Gegenwart, immer wieder gedacht und gebraucht worden – als eine ganz große Harmonie-Formel. c) Das Volk – auf sich selbst gestellt Doch das „Volk“, wie es heute in der Demokratie auftritt, hat sich von den jüdischen Anfängen an seine menschlich-diesseitige Identität bewahrt und sie immer wieder gezeigt, auch im Gegensatz zum göttlichen Wort, im Widerstand zu ihm und allen Priestern. Durfte es denn nicht auch ohne die Priester sprechen, über sie hinweg, gegen sie? So konnte es sich von Jenem abwenden, der sein größter Prophet werden sollte, Blut über sich und seine Kinder heraufbeschwörend, nachdem es ihm wenige Tage zuvor zugejubelt hatte. Für diesen Jesus von Nazareth ist das Volk kein mit- oder gar letztentscheidender Partner,

I. Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie

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sondern eine große Zahl Erwartender, deren er sich erbarmt. Sie werden von ihm erlöst, aber sie sprechen nicht an seiner Stelle, allenfalls mit ihm zusammen das Wort Gottes; ihnen ist nur eines anvertraut: dieses Wort zu bewahren, zu befolgen. Er aber wird sich in der Himmelfahrt ihnen entziehen, sie allein lassen mit seinem göttlichen Wort, und wer anders sollte dieses nun weiter tragen, verkünden, als das im Glauben geeinte Gottesvolk? Da müssen eben doch Menschen kommen, welche dieses Gotteswort dem Volk und den zu Bekehrenden „vorsprechen“, mag auch zu Seinen Tagen alles Gottesvolk in die Rolle der hörenden Jüngerschaft Jesu zurückgetreten sein. Nachdem Er nur mehr geistig in ihm lebt, durch sein zu bewahrendes Wort, müssen Wächter des Wortes bestellt werden, diese Wahl-Verpflichtung jedenfalls bleibt dem Gottesvolk. Doch nun muss sich die große Frage stellen: Wer bestellt diese Wächter, und: sprechen sie nur zusammen mit dem Volk jenes Gotteswort, das es zu bewahren gilt? Es ist diese Priester-Frage, wie sie später die Reformation klar stellen sollte, in welcher von Anfang an die ganze, große Problematik des Vox Populi – Vox Dei eingeschlossen war; und sie stellt sich bis hin zu der des allgemeinen Priestertums jedes Menschen, jedes isoliert betrachteten Volks-Gliedes.

d) Das demokratische Volk und sein souveränes Wort Denn dies ist eine fundamental religiöse, zugleich aber auch die demokratische Frage: Hat das Volk, haben die Menschen, die in ihm zusammengeschlossen sind, als solche „ein Wort“, eine Stimme, haben sie gar das „letzte Wort“, jederzeit, in jedem Augenblick? Ist dies dann nur Bestellung ihrer Vor-Sprecher oder gar nur Vor-Leser – oder schreibt das Volk auch das vorzulesende, das zu bewahrende Wort Gottes vor, fort? Diese religiöse Frage mochte nun darin beantwortet werden, dass das Volk eben seine Führer lediglich wähle und dulde, dass diese dann in „befreitem Mandat“ das Wort Gottes fortschreiben und verkünden dürften. Doch in dieser durchaus demokratisch anmutenden, mit modernen staatsrechtlichen Begriffen zu erfassenden bereits früheren Vorstellung lag die Möglichkeit einer fatalen Wendung, aus eben dem Bestellungs-, aus dem Wahlbegriff heraus: dass der Vorschlag bereits über die Wahl entscheide, dass diese zur Akklamation verkomme – und von ihr ist nur mehr ein Schritt zum duldenden Gehorsam. Wenn so Volkesstimme zu verstehen ist, wird sie immer leiser werden, am Ende verstummen, in reinem Gehorsam. Dann gibt es zwar Vox Populi – Vox Dei, doch nur mehr im Schweigen der Lämmer, der Herde. So kann das Wort nicht gedacht sein, im Sinne einer Organstellung des Volkes zu seinem Gott, zwischen Gott und seinem Volk. Kann dieses Wort aufgelöst werden in das feudale „Autorität von oben – Vertrauen von unten“? Wo ist die Vox Populi geblieben, in

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A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung

den vielen Jahrhunderten des Feudalismus, des Gottesgnadentums, der Bestätigung aller Gewalt von oben, einer Priesterschaft als Volksführerschaft, die sich, aus sich selbst legitimiert, durch Zuwahl und Fortwahl allein erneuert? Diese feudale Führung des Volkes Gottes konnte dessen Stimme am Ende nur mehr in einem vernehmen und aufnehmen: im Gehorsam des Volkes. In ihm war und ist durchaus Macht, wenn auch nicht in institutioneller, organisierter Form: Macht des Gehorsams kann Befehle verändern, ja sich ihre eigenen schaffen, denn hinter ihr steht ihre furchtbare Schwester: die Macht des Ungehorsams, der Auflehnung, der Revolution. Das Volk Gottes hat revoltiert in der Reformation in Deutschland, so wie später das politische Volk in Frankreich. Nur wenn seine Priester und seine Könige rechtzeitig auf diese schweigenden Stimmen hören, die aber eines Tages alles übertönen können, wenn ihre Befehle eben doch im Letzten nur Vorschläge bleiben, nur dann lässt sich Macht auf Dauer ausüben, mag sie vom Jenseits kommen oder aus diesseitigen Bajonetten. Doch die Frage bleibt: Meint Vox Populi wirklich nur diese Macht des Gehorsams, genügt es den Mächtigen, wenn sie nur zur rechten Zeit auf diese „force tranquille“ hören? Und wie, wenn sich nun die Stimme des gehorsamen Volkes eben doch artikuliert, wenn sie anders sprechen will als die Stimme aus dem Jenseits? Dann ist die große antifeudale Wende da: Das Volk will für seinen Gott sprechen, gegen das Wort derer, welche ihn bisher verkündeten. Diese Frage wäre als solche noch immer religiös zu beantworten, in Volkskirchentum, Kirche von unten, vielleicht einem neuen, siegreichen Sektierertum. Doch nicht dies ist das Problem der Gegenwart, sie kann sich mit einem Mal ganz anders stellen: in der politischen Demokratie. Das Volk lässt sich nicht mehr religiöse Dimensionen, kirchliche Räume vorgeben, in denen allein es sich als Volk Gottes äußern darf. Als dieser Populus Dei zeigt es seine eigene, seine jenseitig-diesseitige Dimension in den politischen Entscheidungen, die es souverän treffen will. Das demokratische Volk regelt die Angelegenheiten der diesseitigen Welt. Wenn aber das Jenseits nur deren Fortsetzung ist und sich vielleicht gar, wie monotheistische Religionen lehren, im Diesseits verdienen lässt, so bestimmt das souveräne Volk, das nicht mehr nur Priestern gehorcht, sondern selbst seine Befehle sich gibt, zugleich auch über das Jenseits, über das ewige „Seelenheil“ bisheriger Theologie. Dann wird die Vox Populi in ihrem diesseitigen Klang zugleich zur Vox Dei eines Gottes, der eben seinem politischen Volk, das aus seinem auserwählten herausgewachsen ist, die Entscheidung anvertraut hat über Leben und Tod, und alles, was nach diesem kommt. So wie früher Gottes Stimme im Priesterklang auf Erden tönte, alles übertönte, soll so nun Volkesstimme von der Erde hinauftönen in die Himmel, sie erfüllen mit ihrem souveränen Klang?

I. Gott und seine Kirche – das Volk und seine Demokratie

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Dies ist ein anderes, ein neues Vox Populi – Vox Dei-Wort, und wer könnte leugnen, dass es ein wahrhaft demokratisches sei?

e) Die Grundthese: Zwei Reiche – eine Versöhnung Dieser Grundfrage einer demokratischen Religiosität haben sich heute alle religiös Denkenden und alle Demokraten zu stellen – das aber bedeutet: fast alle Menschen. Sie ist das Thema der folgenden Betrachtungen. Mit dem Heraufkommen der Demokratie, mit der nunmehr auch politischen Herrschaft des aufgeklärten, selbstbewussten, fordernden Menschen, hat sich nicht etwas vollzogen, was mit geistigen Randkorrekturen zu bewältigen wäre. Wer sich von aller Religion abwendet, mag hier Religionsbewältigung als Vergangenheitsbewältigung betreiben oder gar ersehnen. Wenn aber Religion und Kirche Zukunft haben, und sei es in Wandlungen in gänzlich neue Formen und Inhalte, wenn die Demokratie, in all ihrer diesseitigen Souveränität, sich doch der Dimension des Jenseits öffnen muss – noch oder wieder – dann wird „Vox Populi – Vox Dei“ zur theologischen wie politischen, vor allem aber auch zur rechtlichen Grundsatzfrage: Wie lassen sich Diesseits und Jenseits verbinden, da sie doch aufeinander überwirken, wie gegenwärtig ist Gott in seinem Volk, wie spricht er aus ihm, aus seiner diesseitigen Macht? Das Christentum hat mit seiner These von der Menschwerdung Gottes nicht nur ein mächtiges Zeichen gesetzt und eine Hoffnung, sondern auch eine drängende Aufgabe gestellt: Wie kann Gott als Mensch sich zeigen unter Menschen, alle Tage, in der demokratischen Herrschaft seines Volkes? Was bleibt oder wird erst wahr an dem Wort vom Volk Gottes in der realen Macht der Vielen? Grundthesen des Folgenden seien hier genannt: Die beiden Reiche wird und muss es weiter geben im Denken der Menschen, sie werden sich nie vereinen lassen. Doch der Einzelmensch, ihrer beider Bürger, ist und bleibt Brücke zwischen ihnen; er wird sie im Diesseits mit seinen Entscheidungen richten, so wie er – vielleicht – im Jenseits in einem anderen Reich gerichtet werden wird. Sie beide, Kirche und Demokratie, müssen bereit sein zu einer Versöhnung, welche die Reiche nicht trennt, sondern sie zusammenwirken lässt. Die Trennung von Kirche und Staat ist ein ebenso schwerer, schicksalhafter Fehler, wie ihre untrennbare Einheit im Cäsaropapismus. Doch die Wandlungen der beiden Reiche müssen auch aus ihnen kommen, aus ihren inneren Bereichen; sie dürfen nicht nur vom jeweils anderen an sie heran- oder in sie hineingetragen werden. Und ein Letztes: Versöhnung ist ein schönes, ein viel gebrauchtes, aber letztlich eben doch nur ein Wort. „Vox Populi – Vox Dei“: das stellt Worte gegenüber, Begriffswelten, ganze Sprachen. Sie müssen sich versöhnen, versöhnen lassen. Friede ist kein Zentralbegriff aus dem Wortschatz weder der Religion, noch der Demokratie, mögen auch ihrer beider Vertreter neuerdings dieses Wort

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A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung

reichlich beschwören: Der Wahrheitsanspruch der Religion wie der Machtanspruch des demokratischen Volkssouveräns werden immer nur „ihren Frieden“ anerkennen. Die Gemeinsamkeiten einer Versöhnung zwischen ihnen verlangen nicht große, tönende Worte, keine pazifistische Militanz; Bescheidenheit ist gefordert, Rückzug aus Maximalem in vielen kleinen Schritten, in einer Grundstimmung des Denkens. Religion, Kirche – Demokratie: das sind heute neue Absolutismen, die es zu versöhnen gilt, und es könnte gelingen, so wie auch früher absolute Herrscher sich umarmen konnten. Jedenfalls sind da Kräfte am Werke, welche etwas tragen können, das auch in der Vergangenheit immer wieder lange Zeit gedauert hat: eine Paix armée vielleicht, gerade darin aber wahren, selbst-bewußten Frieden für lange Zeit.

II. Irrwege: Staatskirche – Trennung von Kirche und Staat 1. Die Kirche in der Versuchung des Staatskirchentums a) „Staatskirche“ und „Freikirchen“ – Gemeinsamkeiten im Kirchenbegriff Die Einheit von Kirche und Staat, die Staatsgewalt als Herrin und Schützerin der Kirche – all dies scheint heute Vergangenheit, niedergegangen, beendet mit einem Feudalismus, in dem eben letztlich doch der Fürst ein Stellvertreter Gottes auf Erden war, zu Zeiten gar Gott selbst. Doch die Vergangenheit des Staatskirchentums war nicht nur eine lange und mächtige, sie gibt auch heute noch zu denken, nachzudenken vor allem über Religion und Kirche. Die Geschichte kennt keinen einheitlichen Kirchenbegriff. Da ist einerseits die Kirche als eine Gemeinschaft religiös Gleichüberzeugter neben vielen Andersdenkenden, Nichtüberzeugten, zum anderen „die“ Kirche als eigenständiger Inbegriff eben dieser Gemeinschaft, mit einem Absolutheitsanspruch der Wahrheit als flächendeckender Religion, die Andersdenkende allenfalls toleriert. In ihrer „festen Burg“, aus ihrem gesteigerten Wahrheitsanspruch heraus hält sie fest am römisch-imperialen „extra muros nulla salus“; kein Heil gibt es für diese quasi-totale Mehrheit von Menschen außerhalb ihres Glaubens. „Die“ Kirche, vor allem als eine einzige im Staat, ist potentiell Staatskirche, wie weit immer ihre rechtlichen und tatsächlichen Privilegien in der Gemeinschaft reichen mögen. Die Freikirchen dagegen stehen wesentlich außerhalb jeder Staatlichkeit, auch jenseits aller Demokratie; sie sind nichts als Menschen-, Bürgervereinigungen, Gewaltunterworfene. Ein besonderes Verhältnis zwischen ihnen und dem Staat gibt es so wenig wie zwischen diesem und Handwerksoder Industriebetrieben. So scheint es denn, als hätten beide Begriffe nichts mehr miteinander zu tun: die herkömmliche Staatskirche, in deren Kategorien allein in Europa bisher traditionell kirchlich gedacht werden konnte, und jene

II. Irrwege: Staatskirche – Trennung von Kirche und Staat

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freien religiösen Gemeinschaften, die als „Kirchen“ übrig geblieben sind, nach einer totalen Trennung von Kirche und Staat wie in Frankreich, oder die von Anfang an eben nur Freikirchen waren, wie in Einwanderungsländern, vor allem weithin in den Vereinigten Staaten von Amerika. Und doch wird der Kirchenbegriff allenthalben in einer Weise gebraucht, die eben mehr aussagt als nur etwas über die Existenz einer Bürgerschaft mit gemeinsamen Überzeugungen. Dass es lange Jahrhunderte hindurch in so vielen, in allen wichtigen Ländern nur „die Kirche“ gegeben hat, die eine, die Staatskirche, eine Religion, die heute noch in zahlreichen, etwa in islamischen Ländern als eine religiöse Organisation herrschend erscheint – diese Vergangenheit hat den Kirchenbegriff als solchen entscheidend geprägt; Kirche ist eben doch etwas Anderes, Besonderes, gegenüber allen sonstigen Vereinigungen von Menschen. In der Tat: Auch die „freien Kirchen“ zeigen noch etwas von der Prägung der „einen“, der alleinigen Kirche, und damit einen stillschweigenden Zug zur Staatskirche, jedenfalls weit mehr als nur eine Erinnerung an diese – aus zwei Gründen vor allem: – Jede Kirche stellt den Menschen eine religiöse, d. h. aber eine globale, alle menschlichen Probleme umfassende und weithin auch lösbare Wahrheitsfrage. Ihre Thesen, Dogmen – Wahrheiten eben sind höhere Werte als all das, was eine diesseitige staatliche Gemeinschaft den Menschen bieten kann; daher wird und muss jede noch so freie Kirche, jede „Denomination“, ihren Gliedern absoluten Primat des Gehorsams abverlangen, gegenüber einem Staat, der andere Wahrheiten predigen sollte, vertreten wollte; gerade Freikirchlichkeit bedeutet virtuelle Gehorsamsverweigerung bis zum Tod. „Die“ Kirche dagegen, die potentielle oder volle Staatskirche, muss dieses Wahrheitsbekenntnis nicht einfordern, sie herrscht ja und wird daher nur die Macht der Wahrheit einsetzen. Diese Wahrheit des Glaubens, erweitert zu den Grundsätzen des „richtigen Lebens“, verbindet aber eben letztlich doch die beiden Kirchenbegriffe zu einem einzigen: sie unterscheiden sich nur mehr in der Intensität, mit welcher jeweils die Frage nach der Wahrheit gestellt wird, darin, ob diese erzwungen oder ob der Irrtum geduldet werden soll. Die Entscheidung darüber hängt ab von dem Gewicht, welches der Freiheit der menschlichen Entscheidung in den jeweiligen religiösen Gemeinschaften zuerkannt wird. Im Grunde unterscheiden sich die beiden Kirchenbegriffe nur darin, vielleicht noch in der Intensität, mit welcher die Wahrheiten jeweils in ihnen geglaubt werden. Doch dies Letztere tritt meist rasch und immer weiter zurück; denn ohne tiefere Wahrheitsüberzeugung kann sich nichts halten, was den Namen einer Kirche verdient, nicht auf Dauer. Damit aber verbindet doch etwas Tieferes die beiden Kirchenbegriffe: Die Überzeugung vom Besitz einer Wahrheit und vom Schatz eines glücklichen,

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A. Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Begegnung

von ihr erfüllten Lebens. Da mag in den Freikirchen äußerlich etwas sein wie Toleranz gegenüber einer anderen Wahrheit, einem anderen Glück; doch da dies alles im Grunde dasselbe ist, gesucht nur in verschiedenen äußeren Formen, so muss diese tiefe Überzeugung, die allein „Kirche“ schaffen und erhalten kann, eben doch zu absoluter Geltung drängen: „die Kirche“ ist die Hoffnung einer jeden Kirchlichkeit, nur in ihr haben ihre Missionen Sinn. Darin konvergieren die beiden so fundamental unterschiedlich erscheinenden Kirchenbegriffe doch wieder zu einem: dem der einen, heiligen Kirche. Freikirchen mögen Liberalität bedeuten, Toleranz – im Letzten muss ihre Wahrheit, ihr glückliches Leben auf eine Seligkeit hin doch auch für sie das Letzte sein, das Einzige. Den Menschen müssen sie die Wahl lassen – so oft nur deshalb, weil sie nicht anders können, weil ihnen die Macht nicht gehört, diese anderen zu ihrem Glück zu zwingen. – Gerade das Freikirchentum in den Vereinigten Staaten zeigt auch den anderen tieferen Grund, weshalb die beiden Kirchenbegriffe der herkömmlichen Staatskirchen und der religiösen Gemeinschaften, die solche sein oder werden wollen, sich im Letzten doch nahe sind: Die Freikirchen sind entstanden aus Staatskirchentum, sie haben dieses in eine größere staatliche Freiheit mitgenommen, gewissermaßen importiert, soweit sie konnten, oder sie leben heute noch aus dem Urbild der einen Kirche, aus dem Vor-Bild der nationalen Religionen. Religionsgemeinschaften in zahlreichen Ländern, vor allem in früheren Kolonien Spaniens, Englands und Frankreichs, sind im Grunde auch heute noch in vielem fortlebende Staatskirchen. Von der politischen Gemeinschaft sind sie getrennt, aber nie hat diese auf Dauer sie sehen und behandeln dürfen, als seien sie nichts als Bürgergesellschaften wie andere auch. Gelitten haben diese staatsfreien Kirchen – keine eigentlichen Freikirchen – gewiss unter einer Trennung vom Staat, doch meist haben sie sich wohl eingerichtet in ihren neuen, gar nicht so staatsfernen Häusern. In jedem dieser Länder hat sich eine andere, eine besondere Entwicklung vollzogen, in ihnen allen ist aber etwas von Staatskirchentum geblieben, mehr oder weniger, bis heute. Von schweigender Duldung, öffentlicher Achtung über privilegierende Förderung bis hin zu Konkordaten und Kirchenverträgen – ein bruchloses Spektrum verbindet die sogenannten und viel gepriesenen staatsfreien Kirchen mit ihrer Staatlichkeit, heute mit ihren Demokratien. So stellt sich denn die hier im Mittelpunkt stehende Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Demokratie auch für diese Kirchen und Länder, vor allem für solche, die aus ihrem früheren Staatskirchentum bis heute ihre entscheidende Prägung erfahren, aus der anglikanischen etwa oder der katholischen Kirche. Hier mögen zahllose Irrationalismen sein, Übergänge, Mischungen – doch da ist noch immer lebendige und oft sehr wirksame Verbindung zu einem längst nicht vergangenen staatskirchlichen Denken. Dies alles gilt vor allem in jenem Land, dessen Freikirchentum der Prototyp einer völlig staatsfrei entstandenen und entfalteten Religion sein soll, in den

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Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Land ist von Anfang an nicht ein Land der Sekten gewesen, unzähliger „religiöser Bezeichnungen“, „Denominations“; in seinen vorrevolutionären Anfängen war es tief geprägt durch spanisches, französisches, anglikanisches Kirchentum. Seine Pilgerväter haben zwar eine „neue“ Kirchlichkeit mitgebracht, so wie sie sich im Kampf, in der Behauptung gegen heimatliches Staatskirchentum entfaltet hatte, aber eben doch nach dessen Bild und Gleichnis ihren eigenen, kleinen religiösen Staat errichten wollen, in abgeleiteter oder neu geschaffener Staatskirchlichkeit. So hat denn Staatskirchentum in seinen europäischen Ausprägungen die Vielfalt eines amerikanischen Kirchenwesens hervorgebracht. Überwölbt wurde dies allerdings durch eine höhere Freiheit aus Vielfalt, welche die letzte, gewaltsame Durchsetzung von Wahrheiten und glückseligem Leben nicht erlaubte; dieser Freiheit hat sich dieses Kirchentum untergeordnet, darin allein ist es zum Freikirchentum geworden. In ihm aber lebt noch immer, und nicht selten mit besonderem missionarischen Eifer, ein Denken in staatskirchenrechtlichen Kategorien. So lässt sich denn heute zusammenfassend sagen: Die beiden scheinbar so grundverschiedenen Kirchenbegriffe – jener aus der alten Staatskirche, dieser aus „moderner Freikirchlichkeit“ kommend – führen eben letztlich doch zusammen in einem religiösen Denken, das in den weitaus meisten Ländern tief und wohl noch auf Dauer geprägt ist vom Staatskirchentum. Die daraus kommende besondere Achtung des Staates vor den Kirchen bringt nicht nur greifbare Privilegien hervor, sie ist an sich schon ein großes, unschätzbares Privileg. „Die“ Kirche, die virtuelle oder aktuelle Staatskirche, ist auch heute noch längst nicht Vergangenheit, sie wirkt weiter in demokratischen Staaten, gerade auch im Namen der dort herrschenden Freiheiten. Deshalb stellt sich nun die Frage, wie es denn die Religion hält, die christliche allzumal, mit diesem Staatskirchentum, und wie es die Demokratie mit ihm hält. Denn bei allen Trennungsstößen zwischen Kirche und Staat wird sich immer wieder Staatskirchendenken in zahllosen Kryptoformen den Weg bahnen in moderne Formen der Religiosität. b) Die „unsterbliche“ Staatskirche – vom Scheiterhaufen zum Sozialzwang Jede religiöse Gemeinschaft steht zu allen Zeiten in der Versuchung, Staatskirche werden zu wollen, alle Macht des Diesseits einzusetzen, um Menschen den Weg ins Jenseits zu öffnen. All jene Gemeinschaften, die man heute als „große Religionen“ bezeichnet, haben sich in der Geschichte stets nur als staatsmachtgetragene Staatsreligionen durchgesetzt, von Rom über Kairo und Bagdad bis Moskau. Weltreligionen sind stets als Staatskirchen entstanden, nur als solche haben sie sich in Flächendeckung halten können. Neuerdings hat der jüdische Staat die Religion des auserwählten Volkes in einem Staat befestigt, die einzige, die sich bisher in vielen kleineren Gemeinschaften als solche halten

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konnte, in ihrer begrenzten, selbstgeschaffenen Staatlichkeit der Gettos. Damit stellt sich eine historische Frage für die Gegenwart: Wie können religiöse Überzeugungen, die nur staatskirchlich entstehen konnten, weiterbestehen, sich halten und entfalten ohne diese Stütze? Selbst religionsähnliche Bewegungen in neuester Zeit, um nur den marxistischen Kommunismus zu nennen, konnten doch nur auf solchem Zwang aufbauen. Aus geschichtlicher Sicht würde dies bedeuten: Ein Abschied der Religion vom Staatskirchentum bringt das Ende neuer, großflächiger Religionen; entstehen können dann nur mehr kleine Überzeugungsgemeinschaften – bisher Sekten genannt. Und ist nicht die Sekte begrifflich etwas, auch noch im heutigen Sprachgebrauch, wie „Religionsgemeinschaft ohne Staatskirchlichkeit“? Muss daher nicht jede größere Religion nach staatlicher Anerkennung rufen, nach staatlicher Gewalt? Dass dies stets geschah und wohl weiter ein Schicksal religiöser Überzeugung sein wird, ist mehr als ein historischer, erstaunlich fortgesetzter Zufall: es kommt aus dem innersten Wesen religiöser Überzeugung. Wer hier einen Weg zum Heil, zur ewigen Seligkeit sich öffnen sieht, anderen eröffnen will, darf er wirklich zulassen, dass diese Straße zum größten Glück der Menschen versperrt werde durch Bosheit oder auch nur hartnäckigen Irrtum Weniger? Dass solche Gedanken nicht enden müssen in einem Lob der Ketzerverbrennungen, oder auch nur in einem Verständnis für sie, nimmt ihnen nichts von ihrer Bedenklichkeit. Die Gegenwart mag dagegen ihre Toleranz setzen, ihr Recht zum religiösen Irrtum. Doch wie will sie dann, wie kann gerade auch die Demokratie Prozesse rechtfertigen gegen Staatsfeinde, sind sie etwas anderes als Staatsketzer? Und wenn sie nicht mehr verbrannt werden – werden sie nicht doch auch entfernt, gewissermaßen herausgeschnitten, „weggeschlossen“ als gefährliche Geschwüre aus dem sozialen Körper, bis sie „bereuen“ – sich bekehren? Ist es nicht auch ihre einzige Schuld, dass sie einem Irrtum verfallen sind? Demokraten fürchten hier Attentate auf Menschen im Diesseits, sollen diese wirklich strenger geahndet werden als Verführungen auf den Wegen ins Jenseits? Ist nicht der ein Freund seines Bruders, der ihn an die feste Hand des Staatskirchentums nimmt, an ihr ihn führt ins Jenseits, der es ihm verwehrt, mit seinen Irrtümern andere um ihr Seelenheil zu bringen? Eine Frage hat bisher nie eine Antwort gefunden: ob die vielgepriesene Toleranz in religiösen, und in der Folge auch in politischen Dingen nicht nur eines bedeutet: tiefere, aber uneingestandene Unsicherheit über fundamentale Wahrheiten, über die Möglichkeit des Menschen, sie eindeutig zu erkennen. Die Demokratie predigt Toleranz, geradezu in einem religiösen Sinn dieses Wortes, sie sieht sich darauf gegründet. Doch im Letzten muss auch sie die Intoleranz des Staatskirchentums üben in ihrem politischen Raum; anders kann selbst sie nicht überleben als mit diesem letzten Zwang. Gibt es dann aber nicht auch etwas wie eine notwendige „demokratische Staatskirchlichkeit“, jedenfalls im Schutz „höchster“ gemeinsamer Werte?

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Das Staatskirchentum hat viel tiefere Wurzeln als den meisten seiner Leugner bewusst ist. Es nimmt im Grunde nur etwas wirklich ernst, worauf doch alles gegründet ist, in Politik und Religion, und gerade in der Demokratie: den Menschen, dieses eine, einzelne, einzigartige Wesen. In seiner Würde soll es ganz erfasst und geschützt werden, in Verfassungen und Gottesdiensten; doch zu dieser Würde gehört gerade, ja zu allererst sein Recht auf den Glauben an ein Jenseits, vielleicht einfach ein Recht auf Jenseits. Diese andere Welt kann doch nicht vollständig von der diesseitigen getrennt werden, gerade im Namen der Menschenwürde fallen beide in eins. Wer den einen Menschen mit seiner einen Würde anerkennt, muss er nicht auch den einen Gottesstaat wollen, die Civitas Dei, in welcher die eine Welt auf die andere hin gerichtet ist? Von der Einheit des Menschen bis zur Einheit von Kirche und Staat – ist das nicht eine unausweichliche Gleichung, jedenfalls ein unverrückbares Ideal, welches stets anzustreben bleibt, auch wenn es immer wieder verdämmert? Dann aber darf doch Staatskirchentum nicht geleugnet, durch Trennung von Kirche und Staat jedenfalls nicht völlig zerstört werden; nach seinen guten, seinen besten Formen muss unablässig gesucht werden – scheint es nicht so? Die Folgerungen sind gravierend, und so werden sie denn auch, wenn überhaupt, stets nur ängstlich gezogen. Grundsätzlich wird ja dann das Vergehen in der staatlichen Gemeinschaft auch religiöse Sünde sein; die Kirchen müssen ihre geistliche Macht einsetzen, um die Staatsgewalt zu befestigen. Bis ins Finanzielle hinein, ins banal-Tagtägliche müssen sie Bundesgenossen werden, Staat und Kirche: der Staat, indem der Kaiser auch den Gottes-Dienst bezahlt, die Kirche, indem sie Steuerverkürzung zur Sünde erklärt. In all dem ist Staatskirchentum, täglich wird es stillschweigend, ja unbewusst praktiziert, gerade auch in demokratischen Ordnungen, welche sich der strikten Trennung von Staat und Kirche berühmen. Denn eines ist ja auch hier gelungen, wie allenthalben in der Gesellschaft und ihren rechtlich geordneten Strukturen: eine Verfeinerung der Formen des Herrschens, die sich damit begnügt, frühere Brutalität, oft auch nur Ehrlichkeit, zu ersetzen durch feiner geschliffene Schwerter. Dem Spektrum der größeren Nähe oder Ferne von Religionsgemeinschaft zur jeweiligen Staatsgewalt entspricht ein ebenso nahezu bruchloser Übergang von Formen, in denen Staatskirchlichkeit ihren Ausdruck findet, bis in die Gegenwart. Da ist die brutale Zwangsbekehrung, die nicht mehr leben lässt, wie zur Zeit der Conquistadores – oder gerade noch, wie nach den ersten Moslemstürmen im Nahen Osten. Wer sich dem herrschenden, dem wahren Glauben im Staat und des Staates nicht anschließt, der wird ausgegrenzt aus der Macht. Am Ende stehen Scheiterhaufen und Gefängnisse für jeden, der auch nur einen zentralen Glaubenssatz nicht bekennt oder gar in Zweifel zieht. Doch dieser Religionszwang ebbt dann auf Dauer meist ab, verliert sich in einem nebeneinander Leben und Leben lassen, in dem es den Rechtgläubigen ausreicht, jede Gefährdung ihres Mehrheitsglaubens zugleich im Keime ersticken zu können – oder

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wenn es ihnen gar genügt, Oberschicht zu sein und zu bleiben, wie einem anglikanischen politischen und Geschäfts-Adel oder den Inhabern mohammedanischer Militärstaatlichkeit. Hinter solchen „Ordnungen“ steht dann noch immer letztlich bewaffnete Macht, die Andersgläubigen mögen in Gettos leben oder nicht, dienend reicher werden wie Juden und Kopten – wenn nur nicht mächtig. Dann setzt etwas ein, was nicht mehr nur feudalistisch, sondern schon gewissermaßen vor-demokratisch gedacht werden kann: die Staatsreligion als Überzeugung der weitaus meisten oder gar der Quasi-Totalität der Menschen im Staat. Hier beginnen ebenso feine wie nahezu unfassbare Übergänge, aus der alten polizeigestützten Staatskirche in eine neue, liberale „Kirche für fast alle“. Hier halten sich Privilegien, welche auch noch in einer Trennung von Kirche und Staat aufrechterhalten werden können. Das Staatskirchentum wandelt sich in moderne Formen des Sozialzwanges, der keiner Polizei mehr bedarf, wenn eine gläubige Gesellschaft sich selbst vor die Altäre zwingt. Moderne Staatlichkeit ist seit Jahrhunderten auf dem Weg, ihre Zwangsgewalten zu wandeln, aus brutaler Gewalt in immer weichere, weniger verletzende und doch oft noch wirksamere Formen des Zwanges; die Geschichte moderner Staatlichkeit ist eine Historie der „Zwangs-Verwandlungen“. Der Zwang kann dann sogar enden in einem „Dialog“, in welchem alle auf einen Abweichler einreden, vor allem die Medien, bis er nicht mehr zu hören ist – oder sich von ihm ganz einfach abwenden, bis er allein bleibt, kein soziales Wesen mehr ist, kein Mensch. Dieses weiche Staatskirchentum der „ganz überwiegenden Mehrheit“ ist nahezu grenzenlos flexibel, es kann sich bewähren in größeren wie kleineren Gemeinschaften, vom Dorfleben bis zu städtischen Massenveranstaltungen, oder „Tüchern des Friedens“, in denen Zahllose ihre Überzeugungen aus ihren Fenstern hängen. Für ein demokratisches Staatswesen bedeutsam ist: Dieses „Staatskirchentum der Sozialzwänge“ funktioniert letztlich auf der Grundlage einer typisch demokratischen Fundamentalnorm: der Herrschaft der Mehrheit. Da ist allerdings nicht mehr die numerisch zählbare Majorität in ihrem institutionellen Überwiegen über selbst mehrheitsnahe Minderheiten. Hier tritt eine neue Begrifflichkeit hervor, die das Kirchen- wie das Staatsrecht seit langem schon kennt: die „ganz große“ Mehrheit, die des Zählens nicht mehr bedarf zu ihrer Legitimation. In der Kirche war es von jeher die Akklamationsmehrheit, die eben näher steht beim Glauben und die im rechten Augenblick lautstark zur sanior pars wird, die allein sprechen darf, weil sie allein recht zu beten weiß – jedenfalls laut zu rufen. In der Demokratie ist es eine erstaunliche, aber stets geachtete Gruppierung: sie trägt „den Konsens“, und wenn dies schon allzu viel beinhalten sollte, so wenigstens Grund-Werte. Es ist dies eine Formation, die sich nicht mit Hälftigkeiten oder Zweidrittelmehrheiten zufrieden gibt oder auch nur ausdrücken

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lässt, sondern eben die irgendwie „ganz große Mehrheit“. Neuerdings hat sich eine Macht gefunden, die sie formt, erhält, legitimiert: die Medien. Solange sie die Religion noch kennen, als Überzeugung einer ganz großen Zahl von Bürgern, – solange wirkt, auf tausend Wegen, Medienreligion als Staatsreligion. Die Medien erfüllen dann ihre „öffentliche Aufgabe“ auch darin, dass sie dieses Staatskirchentum immer weiter hineintragen in die große, aufnahmebereite Bürgerschaft. Hier wirkt die Mediendemokratie unmittelbar staatskirchlich: sprechend, schweigend, duldend – nicht-kritisierend, achtend. Gewiss mag sich nun eine lange Geschichte der Abschwächung selbst dieses Staatskirchentums schreiben lassen, welche die des Sterbens ihrer institutionellen Formen fortsetzt: auch derartige Sozialzwänge verlieren sich ja mit den religiösen Überzeugungen. In Staatskirchenrelikten verfestigt mögen sie überleben für einige Jahre, Jahrzehnte, nicht auf Dauer. Am Ende gibt es niemanden mehr, der in voller Überzeugung oder auch nur mit den erforderlichen Kenntnissen, Staatskirchentum aus den Medien in Sozialzwänge übersetzen kann. Ob dies eine Einbahnstraße ist, eine unaufhaltsame Entwicklung, mag hier offen bleiben; der Gläubige wird daran nicht glauben, daran erst recht nicht verzweifeln. Sicher aber ist eines: Das Sterben dieser unübersehbaren Formenvielfalt eines Staatskirchentums geht viel langsamer vor sich, als es Gottlose hoffen, Gläubige fürchten. Der Zwang stirbt zuletzt, in Religion wie im Staat, vorher gibt es noch ein Fortleben in zahllosen Formen immer weiter sich abschwächender Überzeugungen. Da ist der große Raum der „Werte“, ein Wort, das vielleicht überhaupt nicht sterben kann, solange Menschen noch in Qualitäten denken, nicht nur in Masse. Das Christentum mag sich in christliche Werte, diese mögen sich in christlichabendländische verwässern, sie wiederum in Leitkulturen – um dann am Ende nur mehr den dürren Verfassungs- oder gar nur Rechtsgehorsam zu verlangen: in all dem fließen noch immer religiöse Ströme weiter, am Ende nur mehr Rinnsale; so manchen Durst stillen sie noch immer, sogar Machtdurstige. Das Ende der Kirche ist weit noch entfernt, vielleicht wird es nie kommen; und so lange, vielleicht auf immer, wird denn auch etwas von Staatskirchentum sein unter den Menschen.

c) Das Christentum, seine „Staatskirche“ und deren Zukunft Das Christentum hat, in all seinen religiösen Ausprägungen, das deutlichste und machtvollste Staatskirchentum der bekannten Geschichte entfaltet, seit dem Ägyptischen Reich. Zur vollen Einheit diesseitiger und jenseitiger Macht im Cäsaropapismus konnte es sich zwar nur in kurzen mittelalterlichen Spitzen steigern; doch von den apostolischen allerchristlichsten und katholischen Majestäten über den evangelischen Summepiskopat bis zur Fortsetzung des Byzanti-

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nismus im orthodoxen Kaisertum war die enge, notwendige Verbindung von Kirche und Staat stets zugleich christliche Lehre und Praxis der Macht. Nach so vielen Jahrhunderten eines seit Konstantin dem Großen gelebten Staatskirchentums sollte eigentlich kein Zweifel bestehen, dass diese Religion Diesseits und Jenseits vielleicht nicht in einer Macht zusammensehen, wohl aber die weltliche Gewalt als Statthalterin Gottes auf Erden hat begreifen wollen. Eine Trennung von Kirche und Staat, wie sie nach einer derart engen Symbiose von eineinhalb Jahrtausenden grundsätzlich gedacht werden konnte, um sich erst vor wenigen Jahrzehnten allgemein in christlich geprägten Staaten zu verbreiten – ist dies nicht eine historisch erstaunliche Entwicklung, in ihrer Größenordnung fast schon etwas wie eine zweite Reformation, muss sie denn nicht auch wie diese zugleich, auf einem tiefgreifenden religiösen Umdenken beruhen? In der Tat stellt dies die Frage, ob es denn nicht ein „anderes Christentum“, eine „andere Kirche“ geben kann, von Anfang an vielleicht hätte geben sollen, als diejenige, welche viele Jahrhunderte in enger Verbindung, ja Umarmung der diesseitigen Gewalten gelebt und dies – genossen hat. Hier geht es um eine theologische Frage, aber in der Ausprägung des Staatskirchentums: inwieweit ist es christlich fundiert, steht also zu erwarten, dass in Ländern christlicher Tradition die erwähnten Verbindungen oder doch Kontakte von Kirche und Staat fortwirken werden, vielleicht gar verstärkt? Dieses Problem stellt sich hier nicht mit religiösem Wahrheits- oder auch nur mit religionswissenschaftlichem Richtigkeitsanspruch im Einzelnen. Es geht um jene großen, äußeren Konturen christlichen Denkens, welche so allgemein staatliche Gemeinschaften prägen, dass auch gegenwärtig noch zu erwarten ist, heute vielleicht in besonderem Maß, dass sie hineinwirken in den weltlichen Bereich. Mit anderen Worten: Nicht eine neue theologische Staatskirchenlehre ist Gegenstand dieser Betrachtung, sondern nur etwas wie ihre sehr allgemeine mögliche Fortsetzung, in säkularisierten Formen: Was weiß, was hält der Bürger der Gegenwart, bei all seiner Distanz, von Religion, und zwar gerade in seiner Gemeinschaft, seiner Politik im Verhältnis von Kirche und Staat, was kann aus einer so verstandenen und gelebten Bürger-Religion „politisch wirken“? Hier begegnet der Betrachter jenen vielen Offenheiten, Spannungen oder Widersprüchen – wie immer man dies nennen will –, welche das „Christentum“ groß gemacht, ihm eine universale Dimension gegeben – und es zugleich in Unfassbarkeiten haben verdämmern lassen. In seinen heiligen Schriften begegnet juristisches Denken immer wieder Vorgängen, die sich mit seinen Kategorien schwer nur erklären, kaum harmonisieren lassen: Da ist einerseits jener Christus, der dem Vertreter der Staatsmacht entgegnet, in endgültig klingenden Worten, sein Reich sei nicht von dieser Welt – und derselbe lehrt seine Freunde beten, dass dieses Reich zu ihnen komme, damit Gottes Wille geschehe „wie im Himmel also auch auf Erden“. An anderer Stelle wieder soll dem Kaiser gegeben werden, was des Kaisers, Gott was Gottes ist. Paulus verlangt Unter-

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ordnung, Dienen auch unter schwierigen Herren – und die Apostelgeschichte zeigt frühchristliche Gemeinschaften, die ihr eigenes religiöses Leben zelebrieren in einer staatlich beherrschten Welt, bald Märtyrer, welche sterben, nur damit der Kaiser nicht ihr Gott sei. Juristisch kann eine Auflösung kaum anders gefunden werden, als in einer Lehre von zwei Reichen, in denen sich Werte und Herrschaften des Jenseits und des Diesseits gegenüber stehen. Die Gläubigen leben auf ein zukünftiges Reich hin, dort haben sie schon heute ihre geistige Heimat gefunden, endgültig werden sie in diese eintreten mit ihrem Tod und ihrer Auferstehung. Dieses Reich Gottes ist das höhere, zu dem das staatliche nur hinführen darf ohne je seine Entfaltung zu behindern in dieser Welt. Das Staatskirchenrecht hat den Christen von Anfang an ein Rätsel aufgegeben, das sie in ganz verschiedenen Antworten aufzulösen glaubten: die frühesten Christen, vielleicht Jesu Jünger, in einem eschatologischen Denken, welches den unmittelbaren zeitlichen Übergang der beiden Reiche ineinander erwartete; zu Zeiten in einem vollen Cäsaropapismus, dem das jenseitige Reich schon im diesseitigen gekommen zu sein schien. All dies kann vielleicht distanzierte, auch juristische Auslegung den Schriften nicht eindeutig entnehmen, ihr bleibt aber eine ebenso einfache wie in ihren Folgen vielschichtige Antwort: Der Gläubige durchschreitet diese Welt unter einer staatlichen Herrschaft, der alles gestattet ist, nur eines nicht: seine Bürger zu behindern auf dem Weg, der sie ins Reich des Jenseits führt, in ihrer Religion. In dieser letzten Indifferenz des Religiösen gegenüber dem Staatlich-Politischen lösen sich die Widersprüche der Bibelworte in Scheinbarkeit auf, in einem Nebeneinander, das nicht hindert, sondern gewähren lässt. Eine solche Beziehung zwischen Staat und Kirche ist geprägt durch ein Denken in Rahmenbedingungen, welche die weltliche Macht setzt, von der Störungsfreiheit eines Weges, auf dem der Gläubige sich seiner eigentlichen Welt nähert. Staatskirchenrecht als störungsfreie Ordnung in religiösen Dingen – ist das nicht ganz einfach Trennung von Kirche und Staat? Schließt aber Störungsfreiheit jedes Wohlwollen aus, jede Hilfe des Staates für Kirche und Religion, wo verläuft die schicksalhafte Grenze zwischen Störung und Hilfe? 2. Demokratie: notwendige Trennung von Kirche und Staat? a) Demokratische Staat-Kirchen-Trennung: Antithese zur feudalen Staatskirche Die Volksherrschaft ist nicht irgendein staatliches Regime, welches beliebig veränderbar wäre oder gar ersetzbar. Sie tritt auf mit einem doppelten Anspruch absoluter Gewalt: Zum einen sieht sie sich, seit der Französischen Revolution, als einzig legitime Nachfolgerin des fürstlichen Absolutismus; das Wort des souveränen Volkes, seiner gewählten Vertreter, ist stets das Letzte, in allen Din-

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gen, in der Verfassung definiert und begrenzt es selbst die Freiheit des Bürgers. Zum anderen steigert sich dieser Absolutheitsanspruch bis zu einer zeitlichen Unveränderbarkeit: Für Demokraten ist es nicht vorstellbar, dass diese Staatsform einmal in eine andere überleite, die Demokratie ist eine Vollendungsspitze des Staatsrechts. Diese Staatsform, welche darin ihren Absolutheitsanspruch noch über den eines Sonnenkönigs hinaus gesteigert hat, begegnet nun aber organisierten Gruppen von Menschen, Bürgern der von ihr beherrschten Gemeinschaft, welche im Namen ihrer Überzeugung ebenfalls einen Absolutheitsanspruch erheben: jenen Gläubigen, denen das demokratisch beherrschte Diesseits nur ein Weg ist ins höhere, unendliche Jenseits, die sich aber auf dieser Erde bereits zu bewähren haben, um jene Welt als eine glückselige zu gewinnen. Dieser ihr Anspruch muss also grundsätzlich ein unbeschränkbarer sein, und er richtet sich nicht nur auf ein inneres Verhalten von Menschen, sondern auf deren ganzes, unteilbares Leben, das sich abspielt in den politischen Räumen, welche die Demokratie beherrscht. Diese Grundfrage aller Staatlichkeit, die Lebensfrage all ihrer Bürger stellte sich in den Ländern monotheistischer Religion seit jeher; sie wurde beantwortet in vielfältigen Formen eines Staatskirchentums. Dies war eine kooperative Antwort, die viele und schwere Einzelfragen aufwerfen und offenlassen mochte, im Grundsätzlichen aber eine Lösung anbot: entweder der Unterordnung der Staatsgewalt unter die Religion in allen „letzten“, allen wichtigen Dingen auch des Diesseits, vom Gott-Königtum über den Cäsaropapismus bis zum islamischen Gottesstaat – oder in einer gewissen herrscherlichen Distanz, in welcher sich zwei Reiche gegenüber standen, Ordnungen und Ansprüche des Diesseits und des Jenseits. Doch in diesem tausendjährigen Staatskirchentum war dessen vielfältigen Formen eines doch stets gemeinsam: Das Reich des Diesseits sollte dem des Jenseits eine Hilfe sein, es fördern, nicht stören; und diese Hilfe steigerte sich dann oft, fasst mit Notwendigkeit dahin, dass das Reich dieser Welt doch nur erschien als eine Vorstufe des Jenseits – diesem Letzteren daher immer mehr, im Ideal geradezu vollständig entsprechen sollte. Dann war auch in dieser staatskirchenrechtlichen Distanz der volle Gottesstaat nicht mehr weit. In allem Staatskirchentum lag also, liegt noch immer die Idealvorstellung von einer Stufenordnung des menschlichen Daseins, welches bereits in seinem diesseitigen Beginn jenseitigen Gesetzen unterworfen ist. Jedenfalls lebt es letztlich doch aus der Vorstellung von einer mehr oder weniger tiefen Ähnlichkeit, welche die beiden Reiche prägt oder doch prägen soll, damit sie dann im Tod ihrer Bürger ineinander übergehen. Diese Ähnlichkeit fand in all den vergangenen Jahrhunderten, bis zum Heraufkommen der Demokratie, ihren deutlich und allseits fassbaren Ausdruck in einer analogen Grundkonzeption, welche der jenseitigen wie der diesseitigen

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Gewalt unterlegt wurde: der feudalen Vorstellung von einer letzten Ein-Herrschaft, dort des Schöpfer Gottes, hier des Fürsten auf Erden. Oligarchische, ja demokratische Herrschaftsvorstellungen hatten Chancen zwar noch in jener Antike, in der sie sich eben auch im Jenseits widerspiegelten, in einer Vielzahl von Göttern und Kräften, denen das Zusammenleben der Menschen denn auch im Diesseits entsprechen durfte, war dieses doch auch über Halbgöttlichkeiten mit dem Jenseits verbunden. Mit dem Heraufkommen monotheistischer Religiosität wurden die zwei Reiche ganz ernst genommen – aber eben in der Idealvorstellung, dass sie im Letzten nur eines seien, welches auf der Störungsfreiheit des anderen aufruhe. Mit den Vorboten der Demokratie, der geistigen Aufklärung im Namen menschlicher Freiheit, ist eine ganz andere Grundvorstellung des Verhältnisses von Religion und Kirche heraufgekommen, jener politisch weit absolutere demokratische Absolutismus, von dem bereits die Rede war. Im Staatskirchenrecht hat dies nun zu einer wahrhaft „ganz anderen“ Zielvorstellung geführt als der früheren des Staatskirchentums: Nicht mehr eine Welt wird nun anerkannt, gestuft in zwei Reichen; das Reich des Diesseits, der Demokratie kann und darf das Jenseits „nicht mehr kennen“. Die Volksherrschaft muss ihren Staat so organisieren, als könnte es das Reich des Jenseits, der Religion geben – oder nicht, als könnte ein Anspruch von Kirchen auf die Definition von Wahrheiten, Maximen eines richtigen Lebens aus einem Jenseits heraus im Diesseits erfüllbar sein – oder nicht, weil er nur einer Einbildung entspricht, „reine Meinung“ ist, ohne anerkannte oder gar notwendige Grundlage in der Wirklichkeit. Dies ist also der große Gegenpol, die wirklich grundsätzliche Gegenthese des modernen, des demokratischen Staats-Kirchen-Rechts zum Staatskirchentum einer Jahrtausende langen Vergangenheit: das politisch ignorierte Jenseits ist allenfalls noch ein unbekanntes, ein „offenes“ Ziel: Diese Freiheit des Glaubens oder Nicht-Glaubens, des alles Mögliche Glaubens kann nur eine Antithese setzen, die der völligen Trennung von Kirche und Staat. Und da ist es eben nun ein tiefer, grundlegender, selten nur erkannter Unterschied, ob das Jenseits als eine Möglichkeit noch erkannt und anerkannt wird – oder ob es einfach aus dem Blickfeld des Diesseits verschwindet. Nur dies Letztere ist für Viele und immer Zahlreichere die letzte, die einzig mögliche Konsequenz freiheitlichdemokratischen Denkens: Demokratie lässt ihren Bürgern Meinungsfreiheit auf Erden, den Kirchen Wahrheitsfreiheit für das Jenseits – alle Verbindungen scheinen unterbrochen. In dieser Sicht, wie sie das revolutionäre Frankreich, im Grundsatz jedenfalls, über die Welt verbreiten wollte, wie manche sie in den Vereinigten Staaten verwirklicht sehen, erscheint die Demokratie und ihre Freiheit nun wirklich als eine totale, eine absolute Antithese zu jeder Form der Verbindung von Kirche und Staat.

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b) Ein Kompromiss: das Konkordatssystem Unter der ersten absoluten Demokratie der französischen Terreur wurde einst der Monarch ermordet, Adlige und Priester zugleich; in Russland hat sich dies wiederholt. So radikal aber wie von ihren Fürsten hat sich die Demokratie von ihren Kirchen nicht verabschiedet; sie hat es sogar hingenommen, dass politischer Monarchismus gerade in ihnen überleben konnte. Das Konkordatssystem war es, mit dem die neuen freiheitlichen und demokratischen Vertreter der Trennung von Kirche und Staat ihren Frieden machen wollten mit der früheren Staatskirche. Vielfache Berührungen und Kooperationen sollten eine Trennung abmildern, die gerade darin nur einen grundsätzlichen Ausdruck fand, eben im Vertrag zwischen „zwei Mächten“. Die Zusammenarbeit erstreckt sich in diesem System nicht nur auf alle Felder, in denen früher die Kirche Staatsaufgaben erfüllt hat, vor allem Bildung und soziale Dienste, sie sichert ihr auch Privilegien der Steuererhebung, in manchen Ländern sogar eine Vorzugsstellung in der Eheschließung. Von einer vollen Trennung von Kirche und Staat kann in einem solchen System also nicht die Rede sein; allein schon die Vorstellung von einem Vertrag zwischen der diesseitigen Macht der Volksherrschaft und der jenseitigen der Kirche bedeutet einen grundsätzlichen Einbruch in die Souveränitätsvorstellungen der Demokratie. Er mag sich ausdrücken in völkerrechtsähnlichen Verträgen, lässt sich allerdings nicht ebenso legitimieren wie diese. Denn dort ist es die Territorialität, welche diesseitiger Allmacht der Volksherrschaft natürliche Grenzen setzt; sie hat anzuerkennen, dass jenseits dieser Grenzen andere ebenso souveräne diesseitige Regime, und immer mehr Demokratien, in absoluter Weise herrschen, letztlich sie allein als legitime Staatsformen. Das Kondominium aber mit der früheren Staatskirche im Inneren bedeutet eine andere und viel tiefer gehende Beschränkung weltlicher demokratischer Macht, damit letztlich eben doch einen Rückzug der Volkssouveränität aus den Positionen eines unbedingten Befehlsrechts des souveränen Volkes. Rechtfertigen lässt sich eine derartige kondominiale Ordnung nur sehr allgemein in der Vorstellung vom souveränen Volk als einem völkerrechtlich legitimierten Herrscher des Staates, der auch fremder Staatlichkeit derartige Rechte einräumen könnte – und warum dann auch nicht jedenfalls einer Organisation wie der katholischen Kirche, welche weithin die gleichen Züge aufweist wie andere internationale Organisationen, denen aber vergleichbare Sonderstellungen im internen Recht völkervertraglich gewährt werden können. Mit dem Konkordatssystem hat also, so scheint es, die Demokratie doch „rein rechtlich“ ihren Frieden gemacht mit der früheren Staatskirche; und selbst wo dies nicht die international gegenwärtige katholische Glaubensgemeinschaft war, konnte doch von Verträgen mit ihr auf die Möglichkeit anderer Einigungen geschlossen werden, etwa mit protestantischen christlichen Kirchen.

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c) Grenzen konkordatärer Zusammenarbeit Die Demokratie mag die vielfältigen Sonderstellungen, welche sie ihren früheren Staatskirchen oder Gemeinschaften einräumt, die sich mit jenen vergleichen lassen, immerhin damit rechtfertigen, dass es doch ihrer Freiheitsvorstellung entspreche, nicht unbedingt und in allem zu herrschen, dass dies vielmehr gerade Ausdruck einer ihrer herkömmlichen Freiheiten sei, der des Gewissens. Das gesamte Staatskirchenrecht, mit all seinen Verzweigungen und Konstellationen, alle Privilegien der Kirchen erscheinen dann als Ausdruck dieser Religions- und Gewissensfreiheit, eben einer Freiheit unter vielen. Dies aber kann nicht voll überzeugen. Gerade das deutsche Verfassungsrecht zeigt deutlich, dass die staatskirchenrechtliche Ordnung eben mehr ist und etwas anderes als lediglich Religions-, Kultus-, Gewissensfreiheit; diese ist anerkannt ja auch dort, wo es etwa, wie in Frankreich, ein ausgebautes Staatskirchenrecht nicht gibt. Die Staats-Kirchenbeziehungen der Konkordate, aber auch anderer vielschichtiger, dem vergleichbarer Kooperationen zwischen Staat und Kirche, sind etwas anderes, Eigenartiges, Weiterreichendes; sie bedürfen daher in der Demokratie einer grundsätzlichen Rechtfertigung aus den Staats-KirchenBeziehungen als solchen, es genügt hier nicht allein die freiheitlich-grundrechtliche Legitimation. Den besonderen Beziehungen, wie sie auch in der Demokratie zwischen Staat und Kirche bestehen, wird auch nicht eine Begründung gerecht, welche allein auf die vielfältigen Dienste hinweist, welche beide Gemeinschaften dem einen Bürger erbringen, im sozialen Bereich vor allem; sie würden als solche nicht die zahlreichen Vorzugsstellungen begründen können, welche der Kirche als solcher in Konkordaten aber eingeräumt sind. Sie müsste sich dann beschränken auf die Anerkennung einer Gemeinnützigkeit, wie sie eben dem Staat hilft, und ihm allein. Privilegien der Kirchen gehen aber, jedenfalls im kirchenvertraglichen System, weit darüber hinaus. So sieht sich denn die Volksherrschaft doch stets dem Vorwurf ausgesetzt, ihr Konkordatsrecht sei eine große Inkonsequenz in ihrem Staatsrecht, die volle Trennung von Kirche und Staat, welche „eigentlich“ ihrer rechtlichen Ordnung allein entspreche, werde hier eben letztlich doch nicht durchgehalten. Die Kritik kann darauf verweisen. Privilegien, die es in der egalitären Demokratie für Einzelne und ihre Vereinigungen nicht geben dürfe, würden am Ende nur mehr für jene Kirchen aufrechterhalten, welche doch über viele Jahrhunderte hinweg gerade im Namen solcher Vorrechte die Erzfeinde demokratischer Freiheit stets gewesen seien, der Freiheit des Geistes. Diese Dialoge und Diskussionen werden nicht abreißen in der Demokratie, mögen sich die Kirchenvertreter noch so weit zurückziehen aus dem öffentlichen Leben oder zurückgedrängt werden – der Öffentlichkeitsanspruch dieser Organisationen wird immer wieder angezweifelt und angegriffen werden von der Volksherrschaft und im Namen eines Volkes, das „Religion nicht kenne“,

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sie eben letztlich doch dem Einzelnen und seinem „stillen Kämmerlein“ überlasse, sie dorthin verbanne. So ist denn bis heute voller demokratischer Kirchenfrieden noch immer nicht eingezogen in der Demokratie. Er kann auch schwerlich auf einem Fundament allein errichtet werden, das bereits eine gewisse demokratische Tradition aufweist: auf der demokratischen Hoffnung, auf diese Weise Wähler zu gewinnen, möglichst viel vom Kirchenvolk zu Parteivolk werden zu lassen. Politische Realität mag es zwar sein, dass sich demokratische Herrschaft, Mehrheiten, immer wieder und noch auf lange Sicht auch aus solchen Quellen gewinnen lassen, wird ihr Fluss geschickt mit Privilegien und staatlichen Duldungen gestärkt. Doch immer wieder werden auch Grenzen solchen demokratischen Entgegenkommens sichtbar, welches in kirchlichen Wassern fischen möchte: derartige Hilfe muss dann bezahlt werden, in einer staatlichen Politik, welche kirchliche Forderungen aufnimmt, moralisch und herrscherlich. Dann aber muss es doch zum Zusammenstoß kommen mit jenen demokratischen Kräften, welche im Namen der Freiheit und der Volksherrschaft die Unabhängigkeit diesseitigen Herrschens aufrechterhalten wollen; sie argwöhnen in solchen, offenen oder schweigenden Wahlhilfen der Kirchen Kryptoformen eines Staatskirchentums, das sich nicht nur erhält, sondern sogar in neuen Formen zurückkehrt. Dies also ist das fortdauernde Dilemma einer eben doch „halb staatskirchlichen Ordnung“, welche die Demokratie noch immer begleitet. Es lässt sich nicht mit großen rechtlichen Konkordatsformeln auflösen, es muss aus der Sicht der Volksherrschaft und ihres Staatsrechts gesehen werden, und dies ist nun Aufgabe der folgenden Betrachtungen: Sie sollen erkennen lassen, dass hier gewiss eine große, historisch begründete und in der Gegenwart weiterwirkende Antithese besteht zwischen Kirche und Staat, welche auch in das Staatsrecht der Demokratie hineinreicht. Deutlich soll werden, dass dies besondere Formen des staats-kirchlichen Zusammenlebens fordert, aus grundsätzlichen Überlegungen und Vorgaben heraus. Aufgezeigt soll aber auch werden, wie demokratische Freiheit und Gleichheit neue Chancen eröffnen für ein Zusammenleben in einer tieferen Versöhnung, welche aus der Anerkennung von Eigenständigkeiten, Besonderheiten und konvergierenden Kräften der beiden Bereiche erwächst. So gilt es denn, zunächst die Eigenständigkeiten ohne Beschönigung zu vertiefen (i. Folg. B), in welchen seit so vielen Jahrhunderten gerade die christliche Religion dem Staat gegenüber steht, in immer neuen Formen eines Staatskirchentums hat sie versucht, diesseitige Gewalt auszuüben, oder doch zu beeinflussen, bis hin zu staatskirchenrechtlicher Besetzung der Staatlichkeit. Dies ist eine mächtige historische Wirklichkeit, die in ihren Grundtendenzen und Vorgaben noch immer staatlich-gesellschaftliche Realität darstellt. Der Staat muss mit dieser gesellschaftlichen, politischen und, was schwerer wiegt: geistigen Realität, mit dieser religiösen Macht, rechnen. Ein rein freiheitliches Gewährenlassen

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ist keine Lösung; dies wird nur immer neue antikirchliche Entwicklungen hervorrufen, die sich nicht mehr in Reformationen kanalisieren lassen, sondern in Formen einer Neo-Aufklärung bald antireligiöse Züge annehmen. Andererseits versucht nun der Staat mit seiner Demokratie ebenfalls „zu besetzen“, die Kirchen, ihre Organisationen, ja ihre Werte und dies sogar, im Namen eines religiösen Wortes: Vox Populi – Vox Dei. Auswege aus solchen Antithesen, die immer wieder zu Versuchen feindlicher Übernahmen führen, können vielleicht doch im „Volksbegriff“ gefunden werden, wie er mit der Demokratie heraufgekommen ist. Eine solche Synthese kann aber nur – wenn überhaupt – aus einer tieferen geistigen Versöhnung erwachsen, in welcher sich das Staatsrecht der Demokratie in seiner Grundsätzlichkeit religiösem Denken nähert, andererseits Religion und Theologie in seine Kategorien herabsteigen. Könnte sich zeigen lassen, dass sich gerade aus den großen Unterschieden, den weiten Entfernungen Partnerschaft entfalten lässt, in einer wahren Demokratisierung des Religiösen (im Folg. C), wie auch darin, dass der Staat eben doch auch in Religionsoffenheit seine Wertedimensionen erkennt? (im Folg. D). 3. Trennung von Kirche und Staat: ein demokratisches Dogma Eingangs war von einer großen, ja schicksalhaften Antithese von Religion und Staatlichkeit die Rede. Manches in den vorstehenden Betrachtungen konnte jedoch den Eindruck erwecken, als lasse sich diese Antithese auch heute noch in der Demokratie, wie schon in den langen Zeiten der Staatskirchlichkeit, auflösen in einer Symbiose organisierter Religion und Politik. Nun muss die Betrachtung nochmals zurückkehren zur Antitethik: sie wäre sonst einseitig und unvollständig, wollte einen tiefen Graben zu leicht überspringen, welchen aber der menschliche Geist immer wieder aufreißt mit seinen Aufständen gegen forcierende Wahrheit aus dem Jenseits, wie sie eben doch alle Kirchlichkeit verkünden will. a) Das Volk im Aufstand des Geistes aa) Die Frage der Wahrheit ist es, des Zwanges zu ihr, welche für das politisch geeinte Volk in dieser Welt zum Scheideweg wird von der Religion und ihrer Staatskirchlichkeit. Wahrheitssuche mag ihnen gemeinsam sein, beide mögen sie dieses Bemühen teilen. Doch endgültig unterscheiden sie sich in der Frage nach menschlichem Erkenntnisvermögen, die immer wieder und in umstürzender Dramatik gerade aus Deutschland gekommen ist, von Martin Luther bis Immanuel Kant. Politische Demokratie und Staatskirche kennen zwar gemeinsam die Begrenztheit, die Endlichkeit menschlicher Erkenntniskräfte, doch sie ziehen daraus im Letzten zwei unvereinbare Folgerungen: Hier die Offenheit einer Freiheit, welche zum Glauben finden mag oder nicht – dort eine Göttliche

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Offenbarung, die sich in ihrem erkennbaren Wahrheitsgehalt dem Menschen aufdrängt und ihn daher an fester Hand zu seinem Glück führen soll. Die Trennung von Kirche und Staat, eine auf den ersten Blick notwendige Folgerung aus demokratischem Staatsdenken, hat eines gemeinsam mit allem Staatskirchentum: eine ebenfalls lange, gleichermaßen wiederkehrende historische Tradition, des Aufstandes des Geistes gegen den Zwang zur kirchlichen Wahrheit. Jene geschichtliche Legitimation aller Formen des Cäsaropapismus, dass nämlich die Entwicklung doch immer wieder zurückkehre zu einem Zusammenleben der beiden Reiche – eben diese Geschichtlichkeit vermag auch der skeptische Geist in seiner rebellierenden Periodizität sich zu bescheinigen. In der Antike traf zwar seine intellektualisierende Philosophie auf eine religiöse Märchenwelt, welche sich, in einer intellektuell unklaren und doch überzeugenden mythologischen Vorstellung, mit Nachdenklichkeit verbinden konnte. Nach der religiös-demokratischen Hinrichtung des Sokrates, in welcher sogar Volksherrschaft sich als Staatskirche gegen den Geist stellte, verloren sich immer mehr solche Gegensätze in der Selbstverständlichkeit eines weniger von religiöser Überzeugung als von resignierender Täglichkeit oder gar von Märchenglauben getragenen Zusammenlebens. Erst das Christentum brachte erneut den Zusammenprall von Religion und Staat, der sich aber bald in der engen Symbiose konstantinischer Staatskirche wieder abschwächen sollte. Doch mit dem Heraufkommen neuer Formen unabhängigen Denkens, innerhalb der großen Kirchen und bald auch über sie hinaus, regte sich der aufständisch-skeptische Geist immer wieder, bis hin zu den Feuern kirchlicher und weltlicher Scheiterhaufen, die ihn aber nicht zu ersticken vermochten. Diese großen Aufstände des intellektuellen Skeptizismus konnten zunächst in kirchlichen Kanälen des Katholizismus eingedämmt werden, dann in der Reformation noch immer in einer herrscherlichen Kirchlichkeit des Christentums; der zweite große intellektuelle Stoß der Aufklärung lief bereits weithin an aller Staatskirche vorbei, in ihrem Namen begann sich der Liberalismus gegen diese zu wenden, und schließlich trug der marxistisch-kommunistische Aufstand bis zu entschiedener Antikirchlichkeit, ja zu einem neuen atheistischen Staatskirchentum. All diesen Großbewegungen war und ist eines gemeinsam: die AufstandsHaltung des skeptischen Geistes wider den kirchlichen Wahrheitszwang. Dies endet in dem Versuch, eigene Wahrheitsgewalt an die Stelle der kirchlichen zu setzen, und sei es auch weithin agnostisch-negativ. Auch er aber ist in der Gegenwart rasch wieder gescheitert an dem, was eben allen historischen Aufständen des Geistes gemeinsam war: ein freiheitliches Denken, in welchem der Mensch, der Bürger seine intellektuelle Wahrheit, die Maximen seines Lebens sich selbst suchen will und zu finden glaubt. Einen Raum dazu bietet ihm die freiheitliche Volksherrschaft. Nach der übersteigernden Verirrung gewaltsamer atheistischer Skepsis im negativen Staatskirchentum des Kommunismus führt

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sie ihre Bürger zurück in die Welt der Glaubensfreiheit, der freien Suche nach Gott und dem glückseligen Leben der Menschen. Der Aufstand des Geistes hat nun allerdings der Trennung von Kirche und Staat sogar noch eine quasi-religiöse Begründung geliefert, schon in der großen Aufklärung, der Geburtsstunde der demokratischen Freiheit: Hat nicht gerade jener Gott, den die Zwangs-Religion verkündet, dem Menschen das Organ des Geistes mitgegeben auf seinen irdischen Wegen, damit er Ihn suche, sich eines Tages über dieses Bemühen vor Ihm verantworte und damit selig werde? Setzt nicht gerade die reformatorische Sündigkeit des Menschen, die Möglichkeit der Verfehlung Gottes und des Glaubens an Ihn, eine Freiheit voraus, welche notwendig in Zwanglosigkeit, in der Trennung von Kirche und Staat enden muss? Es ist dies die reformierte Begründung der Kirchenfreiheit im Staat, wie sie das Luthertum nicht voll durchzuhalten vermochte. Diese Begründung der Trennung von Kirche und Staat ist eine genuin religiöse und zugleich eine demokratische darin, dass sie der politischen Freiheit bedarf, welche nur die Volksherrschaft in ihrer Skepsis allen Menschen und damit auch in Gleichheit gewährt. Als ein Paradox mag dies erscheinen: eine religiöse Begründung für die Trennung von Staat und Kirche – und doch zeigt hier die Volksherrschaft tief-religiöse Wurzeln, aus denen ihre Antithese von Religion und Zwangsreligion herauswächst. Dies gerade mag sogar hoffen lassen, dass sich auch weitere Nähen auftun werden zwischen Gott und dem Volk, auch wenn es nicht, im kirchlichen Sinn, das Seinige ist. Aber es ist eben doch die Freiheit des Denkens, aus dem die Demokratie lebt, unverwechselbar und unzerstörbar, bis hin zu einer letzten Konsequenz, in welcher sie ein furchtbares Ergebnis mit nur zu oft heuchelnder Selbstverständlichkeit in Kauf nimmt: dass es diesen Gott gar nicht geben könnte und seine Kirche, den sie doch mit ihrer garantiefreien Wahrheitssuche für möglich hält. Die Demokratie ist die Staatsform des möglichen Gottes, die Staatskirche die des real existierenden – dies ist gewiss Antithese genug; soll der Allmächtige wirklich nur möglich sein? Hat aber nicht gerade Er gewollt, dass er mehr nicht sei für die Menschen, dass sie ihr Glück eben nur in freier Entscheidung zu Ihm finden, nur so es verdienen können? Ist dies nicht ebenso ein Mysterium wie all das Leid, mit dem er sie täglich schlägt? Freiheitliche Demokratie als religiös fundierte Antithese zur Staatskirchlichkeit, ja zu aller Kirchlichkeit, zu aller Religion, Demokratie als eine „Staatskirche des intellektuellen Skeptizismus“, des möglichen Aufstandes des Geistes? Ist aber darin nicht doch das Trennende stärker als jede Gemeinsamkeit zwischen Demokratie und Kirchlichkeit? bb) In ihrer grundsätzlichen Begründung aus der Freiheit ist also die Volksherrschaft zwar kirchlicher Religion und ihrem Staatskirchentum vielleicht näher als viele Befürworter der Trennung von Kirche und Staat annehmen mögen, welche geradezu Vorstellungen einer rein „laizistischen demokratischen Staats-

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kirche“ anhängen. Doch in ihrer Staatspraxis entfernt sich die Volksherrschaft dann doch entscheidend von der organisierten Religiosität kirchlicher Wahrheitssuche. Denn im Diesseits, wo das Volk nun wirklich herrscht mit absoluter Macht, will diese Bürgergemeinschaft eine Wahrheit als solche nicht nur nicht zwangsweise monopolisieren, sondern – gar nicht kennen. Wer die besten Regierenden seien, optimale Programme eines Regimes – die Demokratie ignoriert es bewusst, lässt auf Erden Versuche zu, welche letztlich gar nicht in Wahrheiten münden müssen, in Richtigkeiten eines endgültig glückseligen Lebens. Die demokratische Politik ist ihrem Wesen nach Experiment in jenem trial and error, der einfach nur ausprobiert, völlig offen lässt, was „das Richtige“ ist, das eben in dieser Welt eindeutig nicht zu finden ist. Die Mehrheit, an welche diese Demokratie glaubt, mag lange Zeit dieselbe sein, aber sie ist nicht auf Wahrheitssuche hin unterwegs; dass sie abgelöst wird, muss die Demokratie nicht wünschen, doch sie hat es in Kauf zu nehmen, eben weil es nichts Wahres gibt, nichts an sich Richtiges, sondern nur Optimales in jedem Augenblick. Diese demokratische Mehrheit ist also wesentlich unfähig, Wahrheiten und Richtigkeiten des Lebens aufzufinden, sie dem Bürger als Wege zu öffnen, oder auch nur als Dimensionen für ein späteres Jenseits. In der Demokratie dauert nichts, nicht weil der Wechsel notwendig wäre, sondern weil ihre Organe kein Organ haben für das Überdauernde, weil sie selbst lebt ohne religiöse Kriterien, weil hier nun wirklich gilt, „Gottes Gedanken sind nicht der Menschen Gedanken“, nicht die der Demokratie. Dies ist eine Staatsform des gemeinsamen Weiterlebens, notwendig ist und bleibt sie nur darin, solange es freie Menschen gibt. Auf mehr als ein solches Zusammensein ist sie nicht gerichtet, jenseits von ihm jedoch fängt erst das Religiöse an, der kirchliche Sinn eines Lebens und Zusammenlebens. Laufen dann aber nicht Volksherrschaft und Kirchlichkeit doch endgültig und vollständig wenn nicht auseinander, so doch nebeneinander, kann die Demokratie in irgendeiner Weise religiös wirken aus ihrem Staatsrecht heraus, ist folglich nicht die totale Trennung von Kirche und Staat ebenso absolute Notwendigkeit, eben aus dem Begriff einer Wahrheit heraus, die nur sein kann oder nicht, gesucht werden überall oder nirgends? Demokratie als Reich der Wahrheit – das wird niemand über diese Staatsform schreiben; ihre Bürger aber stellten über die Rheinbrücke 1789 das Wort: „Hier beginnt das Reich der Freiheit“. Dieses Reich ist es, welches die Demokratie aufrichtet, indem sie die ewigen Aufstände des Geistes nicht niederschlägt, sondern ihnen den Anlass nimmt, den geistigen Zwang. Muss nicht diese freiheitliche Demokratie mit ihrer Staatspraxis des politischen Agnostizismus, des letztlichen Nicht-Wissens, was wahr und gut ist für den Menschen, auf immer getrennt bleiben von einem Reich des wahren und gütigen Gottes, der nur „darin ist“, dass er all dies weiß und lehrt? Sind nicht Welten zwischen diesen Reichen, Welten des Geistes?

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b) Trennung von Kirche und Staat: Negation des Menschen als natürliche Einheit aa) Mit der vollen Trennung von Kirche und Staat, wie sie demokratische Freiheit der Wahrheitssuche, letztlich grundsätzliche demokratische Wahrheitsblindheit zu fordern scheint, gerät die Demokratie allerdings in ein fatales Dilemma: Einerseits geht sie von der Entscheidungsfreiheit des einen Einzelmenschen aus – andererseits muss sie gerade seine fundamentale Einheit ignorieren, ja zerreißen, indem sie das für ihn so wichtige Jenseits ausblendet. Diesem Widerspruch kann sie sich nicht schon damit entziehen, dass ja nicht sie es sei, sondern die Religion mit ihrer Kirchenorganisation, welche auf der Einheit von Diesseits und Jenseits gegründet sei, während Demokratie nur die greifbare Welt kenne, über diese zu herrschen beanspruche. Von einer letzten Einheit menschlicher Persönlichkeit geht aber auch die Volksherrschaft aus, auf ihr und seiner freien Wahlentscheidung beruht sie, dieser Mensch muss hier ebenso eine letzte Einheit sein wie ihr Volk, welches doch auf ihm aufbaut. Die Menschen, welche die Demokratie an die Spitze ihrer Verfassung stellt, als Grundlage all ihrer Gewalt, finden doch ihre Höchstwertigkeit, ihre demokratische Weihe gerade darin, dass der Mensch hier nicht als ein animalisches Wesen gedacht ist, sondern als eine Gestalt, welche sich auch der Transzendenz öffnen kann, sich eben darin von allem anderen Leben abhebt in dieser Welt. Soll dies nun wirklich nur die Einheit eines „Wesens mit möglichen höheren Gedanken sein“, Menschenwürde aus einer „Transzendenz des Als Ob“? Liegt in der Menschenwürde nicht unausgesprochen die Anerkennung der auch das Recht bindenden, ja orientierenden Faktizität eines Menschen, der gerade lediglich in der Einheit von Diesseits und Jenseits vorstellbar ist, genügt nicht allein dessen Möglichkeit schon für eine Absage an ein volles Zerreißen dieser beiden Welten, das zum Bruch der letzten menschlichen und damit rechtlichen Einheit würde? Darf die allmächtige Volksmacht das Diesseits wirklich vollständig von einem Jenseits trennen, das viele ihrer Bürger, vielleicht deren Mehrheit, für das Wichtigste halten in ihrem Leben, in einem Diesseits, das auf das Jenseits hin sich richtet? Alle Religion ist auf dieser Einheit gegründet, das politische und gesellschaftliche Verhalten der Menschen wird in religiösem Denken nirgends völlig getrennt von dessen „anderer Welt“. Sie reicht mit ihren Geboten, ihren Maximen oder auch nur Kategorien überall hinein in die Räume demokratischen Gestaltens und Herrschens. Soll gerade hier das Wort nicht gelten, dass niemand Diener zweier Herren zugleich sein kann? Wird nicht der eine Mensch in beiden Reichen wahrgenommen, belohnt und gerichtet, und steht er nicht, wenn schon rechtlich gedacht werden soll, als ein Rechtssubjekt ebenso vor dem Gericht „im Namen des Volkes“ wie vor dem seines eigenen Gewissens, das ihn noch vorher verdammen kann, ehe der ewige Richter sein Urteil spricht? Wem soll, muss er gehorchen, dieser eine Mensch mit seinen zwei Bürgerschaften,

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mit seinen Pässen zweier Reiche, von denen das eine das andere aber nicht kennen will, nicht anerkennen? Im diesseitigen Recht des Zusammenlebens der Völker, der Demokratien, wäre Derartiges unvollziehbar, irgendwie, irgendwo müssten sich zwei solche Reiche eben doch berühren, erkennen, anerkennen, – soll da wirklich das Staatskirchenrecht ignorieren, was sonst das Recht zugrunde legt, eine einheitliche Rechtssubjektivität des Menschen? Darf dieses Staats-Kirchen-Recht die Grundkategorien des internen Rechts ebenso vernachlässigen wie die des Völkerrechts? Fragen über Fragen drängen sich auf; die Demokratie findet ihre politische, ja ihre rechtliche Ruhe in der Trennung von Kirche und Staat ebenso wenig wie in der engen Verbindung des Staatskirchentums. bb) Die Berührungen der beiden Reiche, die viele Demokratien so vollständig getrennt sehen, dass sie sich gar nicht kennen sollen, sind gerade in der Sicht der Demokratie viel tiefer, vielfältiger und zahlreicher bis zur Allseitigkeit, als es eine Trennung von Kirche und Staat zugrunde legen kann. Die demokratische Ordnung unterstellt ja, dass die Gesellschaft, damit das ganze Leben all ihrer Bürger, in all seinen Ausprägungen, hineinreicht in ihre Herrschaftsstrukturen, diese nicht nur prägt, sondern gestaltet. Volksherrschaft versteht sich als ein ständiger Ausdruck der Gewohnheiten und vor allem der Überzeugungen ihrer Bürger; ihre Gesetzgebungsmechanismen transformieren diese tagtäglich in unverbrüchliches demokratisches Recht. Und da soll sich nun wirklich ihr Bürger all diesen Entscheidungen als denen eines „schwierigen“ Herrn im Sinne des Paulus unterworfen sehen, ihnen gehorchen müssen, auch wenn sie von ihm etwas verlangen, was ihm verboten ist aus dem Jenseits? Es müsste dann eine Kirche von allen Kanzeln immer das predigen, was auch der Staat verlangt – so aber wäre sie nichts anderes als eine demokratische Staatskirche, in einem Populopapismus radikaler mit der weltlichen Macht vereint als in früheren Formen des Cäsaropapismus. Und was unerträglich wäre: diese Kirchlichkeit wäre gar nichts mehr anderes, nirgends, als die Magd des souveränen Volkes, als ein ratifizierendes Notariat seiner Entscheidungen. Predigt der Staatstreue ist christlichen Kirchen, auch der katholischen, grundsätzlich nie schwer gefallen; doch auch ihr Teufel regt sich in den Einzelheiten dessen, was sie nun von ihren Gläubigen verlangen könnte, im Namen eines Friedens mit der Demokratie: Die Volksherrschaft öffnet sich vielleicht einer Libertinage, welche am Ende alle religiöse Sittlichkeit untergräbt; sie errichtet eine Wirtschaftsordnung, lässt sie jedenfalls ungehemmt ablaufen, welche jede Nächstenliebe aus der Gemeinschaft vertreibt; sie verlangt vielleicht gar ein Verhalten, welches den Kirchen und ihren Gläubigen nur Sünde sein kann. Die Demokratie brilliert in all dem mit den Instrumenten der Freiheit zuallererst, doch sie können die gefährlichsten sein, in ihrer verlockenden, verführerischen Wirkung. Der Gläubige soll doch eines vor allem meiden: „die nächste Gele-

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genheit zur Sünde“, in welcher er in menschlicher Schwäche untergehen kann, vielleicht muss. Und diese Demokratie der sündigen Freiheit soll seine Welt sein, seine allmächtige, gegen welche er täglich an-betet: „und führe uns nicht in Versuchung“? Die Kirchen mögen noch so viel, in staatserhaltender Treue, zur Sünde erklären, was auch der demokratische Staat verabscheut; doch er wird und muss stets weit mehr zulassen, suggerieren, vielleicht gar befehlen, als sie gestatten können. Die alte Kirche ist stets in ihrer Weisheit einem Gebot gefolgt: ut scandalum evitetur, Anstößiges ist zu meiden, der Anstoß zum Übel. Muss sie nun auch von dieser Maxime Abschied nehmen, darf sie demokratischen Skandal ignorieren, nur weil das souveräne Volk sie dazu zwingt im Namen der Trennung von Kirche und Staat? Sie darf es nicht, sie muss Widerstand anmelden und ihn dann auch leisten. Ein störungsfreies Nebeneinander von Demokratie und Kirche ist Illusion, bleibt unmöglich auch im Namen noch so großer, voller Freiheit. Diese mag Berührungen vermeiden, Waffenstillstände schließen und zuzeiten erhalten. Doch eine „Kirche gegen den Staat“ wird auch eine Demokratie nicht vermeiden können, welche beide noch so hart oder sorgfältig trennt. Das Völkerrecht kennt den Waffenstillstand und anerkennt seine Wirkungen, aber er ist ihm keine rechtliche Ordnung, allenfalls ein unsicherer Durchgang vom Krieg zum Frieden. Trennung von Kirche und Staat kann für die Demokratie nicht mehr sein als Waffenstillstand auf Zeit, bis zum nächsten Zwischenfall, sei er nun blutig oder nicht. cc) Einen Ausweg aus dem Grund-Dilemma „Staatskirche – Kirchentrennung“ haben gerade die aufklärerischen Väter der Demokratie von Anfang an gesucht: über die gemeinsame Moral als Brücke zwischen den beiden Reichen. Die Demokratie konnte doch gepriesen werden als eine moralische Staatsform, welche das „ethische Minimum“ von dem nicht nur schütze sondern fordere, was auch den Kirchen heilig sei; und die Feierlichkeit, mit welcher dieses Wort „Ethik“ gesprochen werden kann – vielleicht muss – kompensiert sie nicht eine Inhaltsleere? Doch dies ist der Stein des kirchlichen, des religiösen Anstoßes: Das Staatsrecht mag Staatsethik verordnen, der Sozialstaat Sozialethik: Mehr als ein Minimum kann und wird dies nie sein, kein großes Kirchenportal, sondern eine enge Hintertüre, welche aus demokratischen Bürger-Wohnanlagen hinausführt. Hunderte von Jahren haben es nicht vermocht, aus dieser Staatsethik mehr werden zu lassen, als einen dünnen Religions-Aufguss, wenn da überhaupt mehr war als nur schöne Worte. So können und werden sich denn auch Kirchen im Letzten nie darauf einlassen, diese Ethik muss ihnen stets verdächtig sein, für das Seelenheil ihrer Gläubigen genügt sie nicht, nie hat dieses nach ihrer Überzeugung allein über moralisches Verhalten gewonnen werden können.

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Vielen Demokraten mag ihre Staatsform die des ethischen Minimums sein, um das sich Konsens aller Bürger bilden könne – in einem Klimax von weichen Unverbindlichkeiten. Sie werden damit aber im Letzten auch dem Absolutheitsanspruch ihrer Staatsform des demokratischen Rechts nicht gerecht, sie verlieren ihren Staat in Ethik, denn auch er, und nicht nur die Kirche, verlangt eben letztlich weit mehr als jene Moral mit ihrem Eingeständnis äußerer Unverbindlichkeit, ihren allein im Inneren auf den Menschen wirkenden Geboten.

4. Demokratisches Staats-Kirchen-Recht auf einem Dritten Weg? Das Fazit einer Betrachtung von „Kirche und Demokratie zwischen Staatskirchentum und Kirchentrennung“, der grundsätzlichen Lösungsansätze dieses existenziellen Problems für beide Reiche, ist also bisher ernüchternd geblieben: viele Worte, allzu hohe, und hinter ihnen nur ein weithin unsystematisches, häufig widersprüchliches Weiterleben, wenn nicht Fortschleppen früherer Strukturen aus den so oft leidvollen Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Der Demokratie ist es ersichtlich nicht gelungen, ihre staatsrechtliche Welt, die sie doch als eine ganz neue wollte, anbrechen zu sehen, sie nun auch ins StaatsKirchen-Recht umzusetzen. Es ergeht ihr hier wie in jenen internationalen Beziehungen, in denen sie ja auch die Traditionen, den Pomp und die Unverbindlichkeiten der Fürstendiplomatie so gerne als ihr Erbe weiterträgt, ohne dass volkssouveräne Überzeugungen wirklich zu einem neuen „Recht der souveränen Völker“ geführt hätten. Ähnliche Traditionalitäten prägen auch noch immer das Staatskirchenrecht. Es ist aber an der Zeit, die demokratische Frage eben doch neu auch an das Staats-Kirchen-Recht zu stellen, nach einem demokratisch-kirchlichen Weg, und sei es jener allzu oft beschworene „Dritte Weg“, hier zwischen Staatskirche und Kirchentrennung. Die Staatskirche hat den beiden Reichen zuviel Nähe gebracht und bewahrt; Kirchentrennung wollte sie allzu weit voneinander entfernen. Sie müssen sich begegnen, versöhnen, in einem Zusammenwirken, das stets auf den einen, selben Menschen gerichtet ist, ihm dient, der ihrer beider Richter ist; dies gilt jedenfalls in dieser Welt, in einer Verschieden-, ja der Ganz-Andersartigkeit, in welcher Kirche und Staat wirken – und über sie hinaus, beide gemeinsam. Programm und Ziel zugleich muss etwas sein wie eine staats-kirchen-rechtliche Partnerschaft in jenem modernen Sinn, in welchem das Recht, in angelsächsisch-experimenteller, verunklarender Einfachheit, selbst die tiefen Gräben zwischen dem Befehlsrecht des Staates und dem gleichgeordneten Zivilrecht des Zusammenlebens Privater bereits überwinden konnte. Diese Partnerschaft

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ist eine Aufgabe zuallererst des demokratischen Staatsrechts; denn dieses hat begonnen, sich von seinem alten kirchlichen Halt loszusagen. Zuallererst gilt es, diese neue Demokratie vertiefend zu erfassen, sie ganz ernst zu nehmen in ihren Ansprüchen, auch in ihren Gefahren für die Kirchlichkeit (i. Folg. III), um sie sodann in ihrem bleibenden Anderssein zu erkennen, das aber auch schon Nähe bedeuten kann (i. Folg. B).

III. Demokratische Gefahren für die Kirchlichkeit 1. Demokratie: Dynamik der Machtbesetzung a) Demokratie: eine ganz neue Souveränität „in Etappen“ – endlich ernst zu nehmen Das Heraufkommen der Demokratie war historisch ein langsamer, immer wieder unterbrochener, insgesamt aber doch kontinuierlicher Vorgang grundsätzlicher Machtübernahme. Als eine solche, und mit all ihren prinzipiellen Konsequenzen, ist sie aber nie ganz in das staatsrechtliche Bewusstsein getreten. Nur in den französischen Tagen des Königsmordes von 1793 und der brennenden Schlösser und Paläste im Paris der Commune von 1871 brach voll auf und heraus, was dann jedoch sogleich wieder in Waffenstillständen und Friedensschlüssen mit den früheren Gewalten und ihren grundsätzlichen Legitimationen verwischt wurde: dass nun ein neuer Souverän die Macht übernahm, das Volk nicht mehr als ein gehorchendes, sondern als Befehlgeber. Es war sein Schicksal, dass ihm diese Umwälzung nicht mit einem Male gelang, dass es immer neuer revolutionärer Stöße bedurfte, um sie durchzusetzen. So ist die Demokratie geworden als eine „Staatsform in Etappen“, in der politischen Wirklichkeit wie im staatsrechtlichen Bewusstsein der Bürger und ihrer Juristen. „Mehr Demokratie wagen“ – das war, noch vor einem halben Jahrhundert, nur Ausdruck der Erkenntnis dieser stufenweisen Durchsetzung, in welcher die Volksherrschaft immer wieder aus Revolutionen zurücklenkte in Restaurationen. Das 19. Jahrhundert bereits hatte dies in seinem „Konstitutionalismus“, in der Cohabitation von Fürsten und Volksgewalt staatsrechtlich dogmatisiert, und über diese Grundlagen ist die demokratische Doktrin viele Jahrzehnte hindurch nicht hinausgekommen. So durften para-fürstliche Staatsoberhäupter weiter regieren, „wie Schweine in Schlössern gemästet“, nach dem ironischen Wort Napoleons. So konnten sich in militärischen und universitären Ordnungen über Generationen oligarchische Strukturen und Hierarchien erhalten; so trug ein fürstliches Berufsbeamtentum des Spätabsolutismus seine Treue zum monarchischen Staat in die Institutionen des ununiformierten, und doch bereits herrschenden Volkes.

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„Demokratie wirklich ernst genommen“, in all ihren auch staatsrechtlich-politischen Folgerungen – das ist eine geistige Lage, welche erst die gesellschaftlich angleichende egalitäre Massendemokratie am Ende des 2. Jahrtausends in greifbare Nähe gerückt hat. Das Staatsrecht nimmt diesen Zustand in einer eigentümlichen Weise zur Kenntnis: indem es sich immer mehr abwendet von den großen staatsrechtlichen Themen, zurückfindet in die Technik einer rechtlichen Macht der kleinen Schritte, in der ein neuer Souverän sich, fast schon unbemerkt, einrichten kann, indem er aber die alten Strukturen von Staat und hierarchischer Gewalt verlässt. In dieser Rechtstechnik vollzieht sich ein Machtumbau im Kleinen, in dem das Volk, die unzähligen Gleichen, Vielen, nun wirklich, faktisch wie rechtlich, die Macht ergreift. Diese Demokratie ist es, von der im Folgenden die Rede sein soll in ihrem Verhältnis zur Kirche; es ist dies nicht eine Bürgermasse, in der in faktischer, vielleicht sogar immer stärkerer Unterworfenheit nur die alte, befehlsempfangende Unterworfenheit fortlebt. Diese Volksherrschaft gilt es endlich ernst zu nehmen, und dies muss sich zuallererst zeigen in ihrem Verhältnis zum „anderen Reich“, dem der Kirchlichkeit.

b) Die neue demokratische Souveränität und die Kirchlichkeit Mit dieser weithin unbemerkt entfalteten und doch nun immer mächtiger werdenden staatspolitischen Realität muss jede Kirchlichkeit rechnen, und sei sie auch ihrem Gegenüber, ihrem künftigen Partner, als solche noch gar nicht voll bewusst. „Die Kirche“, in welchem Bekenntnis immer sie auftritt – und so wird von ihr denn im Folgenden stets als von einer Einheit gesprochen, in der sie sich, im Christentum jedenfalls, ja selbst immer mehr sieht – kann nicht mehr auftreten als eine Institution, welche ihren Schöpfergott gewissermaßen als einen fernen Reserve-Monarchen über einer demokratischen Welt halten will, die sich von ihren Fürsten getrennt hat. Eine solche, meist unausgesprochene, noch immer aber gegenwärtige Grundhaltung, in welcher die demokratische Vielfalt dieser Welt ergänzt werden soll, überhöht in der Einheit des jenseitigen Reiches – ein solcher „staatskirchenrechtlicher Konstitutionalismus“ zwischen dem Monarchen-Gott und seinem Volk wird immer deutlicher Vergangenheit werden, ist es schon heute. Auch das Staats-Kirchen-Recht muss eben Abschied nehmen von allen Relikten oder nur mehr Ruinen früherer Paläste, und seien sie noch so eindrucksvoll. Im Verhältnis zur Kirche mag sich „Demokratie ernst genommen“ vielleicht zu allerletzt voll bewusst durchsetzen; auch hier aber ist die neue Vorstellung von einem globalisierenden Nebeneinander von Reichen und Souveränitäten die demokratische Probe auf das staatsrechtliche Exempel der Herrschaft der Vielen in dieser Welt. Die Demokratie wird auch hinaufsteigen, hineinwirken in kirch-

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liche Strukturen, die bis ins Jenseits führen. Das Volk, welches immer mehr in staatsrechtlicher Souveränität sein Diesseits besetzt, wird auch, mit der Notwendigkeit eines einheitlichen menschlichen Denkens, an die Pforten des Himmels klopfen. Das Volk hat in seiner Demokratie sein Diesseits besetzt, es wird vor seinem Jenseits nicht Halt machen, nicht so, wie es Demokraten der ersten Stunde, aber eben doch der Vergangenheit, sich vorstellen mochten: in Agnostizismus gegenüber dem Jenseitigen, im Wegsehen von aller Kirchlichkeit. Sollte sich dieses souverän, mündig gewordene Volk abschneiden von allem, was seine Menschen nicht mit Händen greifen, wohl aber denken können, vielleicht denken müssen – eben auch das Jenseits? Die atheistische Masse der russischen Revolutionäre konnte nur einige Jahrzehnte lang in einer Diesseits-Religion befriedigt werden; die Demokratie wird immer mehr die Macht besetzen, gerade deshalb sich aber nicht abschneiden lassen von Mächten des Jenseits, von Wegen zu ihnen. So weit wird eben der Absolutheitsanspruch der Demokratie tragen, von dem eingangs die Rede war. Für die Kirche bedeutet dies, dass sie sich nicht dem Irrtum der Kirchentrennung hingeben darf, im Versuch, ihr Reich als „ein ganz anderes“, ein brückenloses, dem Diesseits der Demokratie entgegenzusetzen. Religion konnte nie in Trotz sich erschöpfen, in einem „erst recht anders Sein“. Spannung mag sie halten zu dieser Welt, doch sie muss aus ihr heraus und hinauf wachsen in ihr eigentliches Sein. Dies kann ihr gewiss nicht gelingen in einer alt-fürstlichen Staatskirchlichkeit, wohl aber eben in jener demokratischen Partnerschaft, welche das Thema dieser Seiten ist. Diese Verbindung darf gerade nicht erwachsen aus Analogien zur früheren Verschränkung diesseitiger und jenseitiger Gewalt, als ein neuer Demo-Papismus. Grundkategorien der Demokratie müssen von der Kirche aufgenommen und vergeistigend weiterentwickelt werden – und umgekehrt die der Kirche in der Praxis des Staates; dazu sollen hier Anstöße gegeben, vielleicht doch auch Ansätze entwickelt werden. Libera chiesa in Libero Stato – das war die Devise jenes piemontesischen Staatskirchenrechts, welches 1870 den tausendjährigen Cäsaropapismus durch die Besetzung des alten Rom beendet hatte. Die Devise der Volkssouveränität und ihrer Kirche muss lauten: Vera chiesa in vera Democrazia. 2. Demokratische Kirchenbesetzung „nach Staatsbesetzung“: Gefahren und Chancen a) Besetzung der Macht: Versuchung aktiv-totalitärer Gewalt „Machtbesetzung“ ist ein gefährliches, wenn nicht ein böses Wort des Staatsrechts. Es erinnert nicht nur an jene „Machtergreifung“, in welcher der volle Besitz der Gewalt erreicht wurde; „Besetzungen“ kennt jede Staatlichkeit, auch, ja vor allem die Demokratie – und nicht selten im Sinne gefährlicher, geltendes

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Recht brechender Gewaltsamkeit. Da werden Produktionsstätten besetzt, fremdes Eigentum auf Zeit geraubt – denn anders lässt sich dies nicht deuten – wider alles demokratische Recht; da werden Botschaften besetzt in Verletzung elementaren Völkerrechts, staatliche Gebäude in revolutionärem Bruch der Verfassung. Die Demokratie opfert darin ihren Rechtstaat der Gewalt und sie lenkt zurück in die brutalsten Formen der Gewaltherrschaft: die der militärischen Besatzung, welche sich von Besetzung nicht unterscheiden lässt. Auf Bajonetten aber sitzen die vielen Genossen des souveränen Volkes noch weit unglücklicher als ihre gepanzerten, kriegsgewohnten Vorgänger – die Fürsten der Vergangenheit. Im Begriff der „Besetzung“ wird das souveräne Volk zum Pöbel, seine Glieder geben ihren faktischen Willen als rechtliche Ordnung aus, im Grunde leugnen sie diesen Begriff. Besetzung – das postuliert die aktiv-gegenwärtige, die potentiell totale und totalitäre Gewalt, die keine ordnende Form mehr erträgt, jedes Staatsrecht negiert, jedes Recht. Wer Demokratie versteht als eine solche Besetzung der Staatsmacht durch das Volk, der sieht in ihr nur demokratische Anarchie. Keine Lösung dieses schweren demokratischen Problems ist die Übertragung solcher Besatzungs-Gewalt auf Repräsentanten des Volkswillens, welche dann mit gleicher aktiv-totalitärer Gewalt herrschen dürfen über ihre Auftraggeber, ohne Rückbindung an diese, in einer, wenn auch nur zeitweisen, aber doch vollen Überwachungslosigkeit. Aufgabe des demokratischen Staatsrechts muss vielmehr ein begrenztes, stets und allseitig überwachtes Auftragsverhältnis sein, das jedenfalls dem klassischen Privatrecht des Auftrages näher steht als einem herrschaftlichen „Willen Einzelner für das Volk“. Diesen Weg demokratischer Repräsentation haben gemäßigte Volksherrschaften seit Generationen eingeschlagen; auf ihm allein kann es eine legitime Form der „Besetzung der Macht durch das Volk“ geben, wenn dieser Begriff denn schon gebraucht werden soll, um doch noch etwas von revolutionärer Begeisterung zum Ausdruck zu bringen. Dies nur kann auch hinüberwirken in den Bereich des Kirchlichen, solche staatsrechtliche Formen allenfalls sind kirchlich umsetzbar – in denen auch Aufträge von Bürgern kommen, die zugleich in ihrer Kirche stehen.

b) Demokratie als allseitige Präsenz des Volkes Demokratie als Machtergreifung des Volkssouveräns wird regelmäßig dahin gedeutet, dass nun ein möglichst intensiver, grundsätzlich ein befehlend-durchgreifender Einfluss der (früheren) Gewaltunterworfenen auf die Gewaltausübung stattfinden soll. Verbunden wird dies mit der Forderung einer „möglichst unmittelbaren“ Einwirkung einer möglichst großen Zahl von Bürgern – beides stets in Annäherung an ein Ideal der vollen Einheit von Befehlsgebern und Befehlsempfängern, welche im Grund bei Letzteren die Begrifflichkeit der Gewaltunterwor-

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fenheit aufhebt. Dies alles mögen ferne Idealzustände sein, dennoch ist die Volksherrschaft stets auf dem Weg dorthin, es muss daher „immer mehr Demokratie gewagt“ werden. Noch so deutlich mag die „voll direkte Demokratie“ immer wieder als Utopie sich herausstellen, sie bleibt das ideale Ziel. Dies ist eine weitere Grundvorstellung der „Besetzung der Macht durch das Volk“: im Wesentlichen und soweit irgend möglich ist sie auf institutionellen, staatsrechtlichen Wegen wenn nicht zu erreichen, so doch anzustreben. Dies führt zu der deutlichen Tendenz einer Kontrollintensivierung der Macht; wenn deren Ausübung schon nicht in die Hände der Vielen gelegt werden kann, so sollen diese doch möglichst in jedem Augenblick eingreifen, umlenken können. Das alte Bild vom Staatsschiff kann dies verdeutlichen: Steuern und Umsteuern mag einem Steuermann zukommen, doch er hat nur Befehle auszuführen und ihnen entsprechend Kurs zu halten. Kapitän bleibt das souveräne Volk, das zu jeder Zeit die Richtung des Ruders vorgibt. Diese Vorstellung von der institutionellen Besetzung der Macht hatte schon in feudalen Zeiten des Staatsrechts im fürstlichen Absolutismus einen Höhepunkt erreicht: der Staat und alles in ihm „war“ der Monarch, weil er alles Staatliche selbst entschied. Dieser Institutionalismus wirkte über die staatskirchliche Verklammerung auch auf alle Kirchlichkeit: in ihr setzte sich dieses Institutionendenken fort, war es doch ursprünglich sogar aus ihr gekommen. In dieser Vorstellungswelt war und ist dann immer nur eines letztlich denkbar – volle, möglichst einheitliche Machtausübung in Staat wie Kirche, eine Souveränität des Handelns, des Entscheidens, des Eingreifens, welche die Organe des Souveräns ausüben, wenn er selbst schon nicht überall sein kann. In diesem entscheidenden Punkt hat sich aber in der Demokratie nun eine völlig neue Konstellation ergeben, aus ihrer Grundidee der Bürgerfreiheit heraus: Entscheidend ist nicht mehr, dass der Souverän, dass „das Volk handelt“, sondern, dass es „gegenwärtig ist, allenthalben und zu jeder Zeit spürbar, unüberhörbar“. Gesehen wird dies als eine Art von Potenzierung der „Befehlsmacht der Gehorchenden“, die in ihrem laufenden, tagtäglichen Verhalten alle zusammen – und doch jeder auf seine Art – Anordnungen in Gehorsam umsetzen, sie darin verändern, vielleicht überhaupt erst, gewissermaßen von unten nach oben, hervorbringen. Derartiges hat es zwar immer gegeben. Der alles mit seinen Befehlen handelnd beherrschende Absolutismus war diesem „befehlenden Gehorsam“ gegenüber im Letzten weithin nur eine Fiktion. Doch nun steigert sich die „befehlende Präsenz“ der Vielen in der Demokratie zu einer echten und laufenden „Befehlslage“ im Namen der Freiheit. In ihr folgen die demokratisch Herrschenden den Zügen der Bürger, demokratische Triumphzüge bewegen sich jedenfalls in einer eigenartigen Gemeinsamkeit – und dies ganz wortwörtlich – vom Forum des Handels, der Wirtschaft, der irdischen Macht, hinauf in die

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Höhen des Kapitols, einer mit bewaffneter Macht verteidigten Burg – zugleich und vor allem aber in die Höhen der Tempel in ihr, der Religion. Dieses Bild lässt sich weiter ausmalen, in immer deutlicher erkennbaren, demokratischen Farben: Der große Markt ist es, über den das Volk in vielfältigen Formen gegenwärtig ist, nicht nur in der Herrschaft des Staates, sondern indem die staatliche Gemeinschaft ihn wahrhaft trägt, wirtschaftlich-finanziell wie ideell. So wirkt Marktwirtschaft, verstanden in einem weiteren Sinn, der das geistige Forum der Meinungen einschließt, bis in die institutionellen Formen demokratischer Präsenz in der Demokratie, einer Besetzung der Macht durch das Volk, in welcher jene diesem letztlich immer zu folgen hat und überall hin. Marktmechanismen vor allem sind es, in denen die Bürger Anordnungen umsetzen – und sie zugleich erst als solche ermöglichen – die ihre institutionellen Vertreter ihnen mehr als Vorschläge vorstellen, als dass sie ihnen dies wirklich als Befehle geben könnten. Dies ist die demokratische Besetzung der Macht auf den „Märkten des Bürgergehorsams“, die im Grunde nur solche der ständigen zahllosen Bürgerbefehle sind, eines Verhaltens als Befehl an sich selbst. Dies alles erwächst aus der demokratischen Freiheit, welche die Institutionen ermöglicht haben und ständig erhalten; es ist der ermöglichte, nicht der organisierte Volkswille, er kann sich daher wesentlich nie gegen eine Freiheit wenden, die ihn ja laufend immer weiter hervorbringt. Auf Dauer muss jeder Versuch demokratisch Herrschender scheitern, gegen diese Allgegenwart des Volkes in dessen marktkonformem Verhalten regieren zu wollen. Diese Besetzung der Macht durch die Allgegenwart des befehlsempfangenden-befehlgebenden Volkes findet ihren Ausdruck in Medienfreiheit und einer Werbung und Meinungsforschung, welche den fluktuierenden Willen der Vielen ständig in veröffentlichte Meinung übersetzt. Die Staatspolitik der volksvertretenden Organe ist dann immer nur ein Kurshalten, bis ein anderer Befehl des Kapitäns die unfassbaren Strömungen aufnimmt, die im Letzten das Schiff weiter tragen. Und das Volk mag zwar, soweit ihm noch institutionelle Kontrolle zusteht, als Kapitän agieren; im Grunde aber nimmt es darin nurmehr Strömungen auf, Winde und Wellen – seine eigenen. Dies ist die Besonderheit der richtungslosen Diesseits-Demokratie: sie lenkt ihr Schiff nirgends hin, in keinen Hafen, sie hält es einfach über Wasser, auf einer Kreuzfahrt demokratischer Vergnügen, die sich Selbstzweck ist. Ihr genügt sogar die Devise „Fluctuat nec mergitur“: Überleben genügt. All diese Strukturen und Formen der Machtbesetzung gilt es nun, in einem neuen, demokratischen Staats-Kirchen-Verhältnis, zu übersetzen in den kirchlichen Bereich, eines vor allem: die eigenartigen, weichen und doch unwiderstehlichen Formen der Allgegenwart freiheitlich-selbstbewusster Menschen, der Bürger der beiden Reiche. Konkret muss die Kirche rechnen mit dem aktiv-befehlenden Gehorsam auch ihrer Gläubigen, der ihre Botschaft aufnimmt, weiter

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trägt, sie aber im Grunde als solche erst überhaupt hörbar werden lässt – wirklich Vox Populi – Vox Dei. Sie muss die Endgültigkeit anerkennen, welche nur diesem vom Volk aufgenommenen, umgewandelten und weiter getragenen Gottesbefehl zukommt. Grundsätzlich fällt ihr dies nicht schwerer als der Volksherrschaft, hat sie Derartiges doch in ihren christlichen Gemeinden bereits von Alters her vorgeformt. Entscheidend ist nun aber, dass sie diese nicht nur, und in jedem Sinn, als Schafsherden zur Kenntnis nimmt und behandelt. Vielmehr muss sie diese Gemeinden sehen als Gemeinschaften von Individuen, von freiheits- und damit selbstbewussten Einzelmenschen, die in ihrem Verhalten den Schöpferwillen auf Erden ausdrücken und fortsetzen. Den religiösen Markt des Geistes muss die Kirche entdecken, in all seiner Vielfalt, sie muss ihn einbinden in ihre Institutionen. Das Ziel der Demokratie ist im Grunde eines, einen Rahmen allein hat sie: den der „Aufrechterhaltung der Menschen“, was sie ein menschenwürdiges Leben im Diesseits nennt. Dies ist Vorgabe und Schranke der Demokratie für alles, was ihre Bürger in ihrem freien Verhalten beschließen können, wollen sie sich nicht selbst widersprechen. Für die Kirche kommt hinzu die Endlichkeit des menschlichen Lebens, der Tod, seine Überwindung in Auferstehung und ewigem Leben. Dies sind ihre unverrückbaren Vorgaben, ihre Leugnung würde Religion in jedem herkömmlichen Sinn aufheben; Kirchlichkeit wäre dann nur ein Reich, das in sich uneins ist und zerfällt. Ein solches Grund-Denken schließt aber in keiner Weise die Anerkennung einer ganz neuen, einer demokratischen Volks-Vielfalt aus, auch in allen kirchlichen Bezügen; und auf eine solche Rezeption hin, im Grunde nicht so sehr der Demokratie als deren neuer Freiheitlichkeit, ist denn auch die christliche Kirchlichkeit in den letzten Jahren unterwegs. Dies ist die große demokratische Herausforderung, aber auch Chance für die christlichen Kirchen, dass auch sie sich der Besetzung der Macht durch das Volk öffnen, nicht im institutionell verfestigten Diktat einzelner Gruppen, sondern in einer Allgegenwart des geistigen Marktes in religiösen Dingen.

c) Die Gefahren des Radikal-Demokratismus So sehr dies alles möglich ist, ja nötig im demokratischen Staat wie in der Kirche: auf diesem Weg lauern Gefahren: abusus optimi pessimus. In Radikalisierungsgefahr standen von Anfang an alle kirchlichen Gemeinschaften, seit Generationen verfolgt sie nun auch die neue Volksherrschaft, droht, sich von dieser auf eine Kirchlichkeit zu übertragen, welche dem in ihrer grundsätzlichen Absolutheit vielleicht gar ideale Räume zu bieten scheint. aa) Ein erster Blick möchte zwar annehmen lassen, diese beiden Denk- und Organisationsformen, der Kirche wie der Demokratie, seien widerstandsfähig gegen solche Gefahren, schon aus ihrer historischen Entwicklung heraus. Beide

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haben sie sich in Stufen entwickelt, nicht in einem einzigen, großen, entscheidenden Sieg, welcher eine Radikalisierung im Triumph hätte bringen können; und solche Machtbesetzung in Etappen prägt ja, wie dargestellt, auch die Entwicklung der Volksherrschaft. Gerade daraus, so mag es scheinen, sollte doch nun eine Mäßigung folgen, in jeder Phase der Entfaltung, in welcher sich dann Stufendenken, wenn schon nicht abschwächend, aber doch stets nur in Grenzen fortsetzt. Die politische Erfahrung lehrt indes weithin das Gegenteil: Was sich langsam nur durchzusetzen vermag, in vielfältigen Stufen, aber auch immer neuen Rückschlägen, darin kann die Vorstellung von einer geradezu schicksalhaften Entwicklung zu immer größerer, endgültiger Sieghaftigkeit wachsen. So hat es ein Sozialismus zeigen können, der nach ursprünglichen Radikal-Stößen, die sich auch immer wiederholen mochten, zwar zu einer ruhiger-kontinuierlichen Gesamtentwicklung zurückfinden konnte, dennoch aber weithin von der Sicherheit getragen bleibt, er werde eines Tages bei der vollen oder doch der quasi-totalen Egalität der Menschen und Bürger ankommen. Das langsam sich Entfaltende ruft sich eben seine nächste Zukunft in einer gewissen Mäßigung, aber doch in Richtung auf eine Endgültigkeit, in der dann wiederum Radikalität das Steuer übernimmt. Im religiösen Bereich haben allerdings größere staatskirchliche Durchbrüche nach Art des Konstantinismus früh schon eine Ruhe des Erreichten schaffen können, aus der die Kirche, trotz allen Reformen, bis heute nicht mehr geworfen wurde – wenn sie auch, wie manche denken, immer weniger zu erreichen scheint. So ist dies denn eine ernste Mahnung an die Demokratie: Sie darf nicht aus ihrer unausgesprochenen, aber doch ständig wirkenden Vorstellung von einem idealen Endzustand volkssouverän-egalitärer Gleichheit heraus Gedanken politischer Radikalität auch in der Kirche verbreiten, welche diese dann ebenfalls begreifen ließe als einen langen Marsch von Revolutionären, die noch nicht gesiegt haben, aber in einem bestimmten religiösen Zustand triumphieren werden. Die langsame Machtergreifung der Demokratie darf in der Kirche nicht die Illusion wecken, auch sie befinde sich auf einem gezielten Marsch zu einem neuen Ziel. bb) Eine Radikalisierung der Demokratie, welche überall die Durchsetzung eines Volkswillens verwirklicht sehen will, kommt vor allem aus einem institutionellen staatsrechtlichen Denken. Eigentlich sollte erwartet werden, dass feste Ordnungen in Kompetenzen, rechtlichen Gestaltungsformen und deren Begrenzungen eine mäßigende, entradikalisierende Wirkung entfalten. Doch hier zeigt sich in praktischer Politik auch das Gegenteil, jedenfalls eine deutliche Tendenz zu einer geradezu „institutionellen Radikalisierung“. Sie erwächst aus der Vorstellung, dass alles, was rechtlich verfestigt ist, nicht nur sichere Wirkungen zeitigen wird, sondern auch stets und in jeder Richtung reformbedürftig – daher „verbesserungsfähig“ ist, in ebenso klaren Schritten, fassbaren Formen. Gerade

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den Institutionen des Staatsrechts wohnt durchaus etwas inne, wie ein „überschießender“, ein perfektionierungsträchtiger Grundzug: Was als verbesserungsfähig vorgestellt werden kann, das muss auch in Institutionen seinen Niederschlag finden und wird dann in ihnen optimiert werden – bis in Radikalität hinein. Dies aber gilt vor allem für ein „Mehr-Demokratie – immer noch mehr, noch direkter“. Begünstigt wird dies in der Volksherrschaft dadurch, dass sich in ihr ein traditionelles Misstrauen erhalten hat gegen alle Formen staatsrechtlicher Vertretung. Die Repräsentanten des Volkes werden eben doch begriffen als Herrscher auf Zeit über diesen Souverän, der aus ihrer Machtausübung immer wieder ausbrechen will in mehr direkte Demokratie, weil er darin einfach „mehr Demokratie“ sieht. Diese Tendenz nimmt nicht selten geradezu romantisch-historisierende Züge an, sie erscheint wie ein ständig sich erneuerndes „Zurück-zur-Natur“, zu einem Urzustand, in welchem der Sozialvertrag geschlossen worden ist – der übrigens zugleich die eigentliche, die ursprüngliche Volkssouveränität verschütten sollte. Dann aber muss doch aus dieser Entwicklung ein Ausbruch möglich sein, er ist letztlich nur vorstellbar in immer weiter verstärkten Initiativ- und Entscheidungsrechten der Bürger als solcher. Von dort führt dann, so scheint es doch, ein gerader Weg zu einer immer engeren Fassung dieser Entscheidungsgremien, zu immer deutlicherer Betroffenheits-Demokratie. Am Ende steht deren Durchschlagen bis auf die Kleingruppe, ja bis auf den Einzelnen, bereits in deutlicher Nähe zu anarchischen Ausprägungen. Dies alles wirkt dann aber nicht nur im staatlichen Bereich, greift vielmehr unmittelbar und mit derselben Kraft einer Grundtendenz auch in den kirchlichen Raum über. Diese Versuchung einer Radikaldemokratisierung der Kirche nach weltlichem Vorbild ist umso stärker, je weniger sich Radikalisierung in den staatlichen Institutionen durchzusetzen vermag. Gerade dann lässt sich eine religiöse Direkt-Demokratie erhoffen, vielleicht gar durchsetzen als eine Kompensation für Unvollständigkeiten demokratischer Machtbesetzung in staatlichen Institutionen. In der Kirche kann sie ja gefordert werden im Namen von deren Anderssein, ihrer Offenheit für Vorstellungen, die sich nicht immer sogleich an politischen und wirtschaftlichen Realitäten des Diesseits müssen messen lassen. Dort kann etwas gewagt werden im Namen des Gewissens des einzelnen Gläubigen, was im Staat sogleich scheitern müsste an den gleichen Freiheiten anderer. So mögen Ideen dieser direkten Demokratie denn auch erscheinen als ein Rückweg, zwar nicht zur paradiesisch-unschuldigen Natur des Menschen, wohl aber in die Zeiten eines Urchristentums, in welchem noch jeder Jünger unmittelbar gedacht werden konnte zu seinem Herrn, in einer Gemeinschaft voller Gleichheit, in einem Zusammenleben, in dem keiner den anderen stören konnte, weil aller Blicke sich allein nach oben richteten. Und egalitärer Radikal-Demokratismus in der staatlichen Volksherrschaft empfängt, umgekehrt, ständige An-

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stöße, im wahren Sinne des Wortes, aus dem heraus, was er seinerseits seit der Aufklärung in die Kirchen hat tragen können. dd) Die letzte und größte Gefahr für eine solche Radikal-Demokratisierung der beiden Reiche, wenn sie zusammenwirken im Namen egalitär-direkter Herrschaft des Volkes, könnte aber demokratische Kirche wie demokratischer Staat erwarten aus einem Umschlag derartiger Übersteigerungen in ihr Gegenteil: Grundproblem dieser Radikal-Demokratisierung in Staat und Kirche, in welcher das Volk institutionell alles besetzten will, am Ende dieses sogar jeder einzelne Bürger für sich anstrebt, ist und bleibt ja die Organisationsfrage: zu einer solchen politischen wie kirchlichen Welt muss hingeführt und sie muss ihrerseits noch weitergeführt werden, in diesseitiger Politik wie in Jenseitshoffnung. Die Führer aber werden, das zeigen historische Erfahrungen, sich immer wieder rasch zu Herrschern wandeln, gerade weil ihnen so viel Machtwille aus den Geführten entgegenschlägt, sie trägt, von ihnen aufgenommen, gebündelt und der Gefolgschaft in Herrschaft zurückgegeben werden kann. Dies ist der Weg der Demokratien in ihrem historisch immer wieder erlebten Untergang in der Persönlichen Gewalt ihrer Führer, und er ist eben nicht auf die Volksherrschaft im Diesseits beschränkt: Die Besetzung aller Macht durch das Volk könnte ähnliche Gefahren in die Kirche tragen. Religiöse Gemeinschaften des Christentums und des Islam sind hier besonders gefährdet aus ihrem Monotheismus heraus. Über ihnen steht ja stets, und nicht nur in der Idee, sondern für Gläubige ganz real, der eine allmächtige Schöpfergott, ein Führer par excellence. Wie weit immer auf dieser Welt ein alle Macht besetzendes Volk sich in diesen Kirchen durchsetzen mag – es wird immer die Führung aus dem Jenseits suchen, ja sich ihr hingeben in einer Begeisterung des Psalmisten, der die unendliche Macht und Größe Jehovas preist. Dann aber droht den Kirchen eine Entwicklung, welche das Volk im Staat in dieser Intensität jedenfalls nicht zu fürchten hat: in christlicher Kirchlichkeit wird immer die Idee eines Gott-Führertums weiterleben, sich stets von Neuem durchsetzen, jedenfalls bis hin zur Macht derer, die solche Führung ihren Gläubigen bieten – oder vorgaukeln. Mag also in diesen Kirchen die Machtbesetzung durch das Volk noch so weit gehen – diese Gemeinschaften der Jünger werden darüber hinaus immer den Herrn erwarten und ihn dann nur allzu rasch auch finden, seinen Vertreter auf Erden – ihn selbst. Wenn sich dann dieses Volk nicht organisatorisch zusammenschließen lässt in der ruhigen Einheit eines Papsttums, so droht seine Radikal-Demokratisierung in immer neuen und zahllosen „Häresiearchien“ zu enden, in immer weiteren Anmaßungen und Realitäten einer radikalen geistigen, aber eben doch einer personalen Führung. So steht denn alle Kirchlichkeit, wenn sie Radikal-Demokratismus vom Staat übernimmt, nicht nur in Anarchiegefahr, sondern mehr noch in der eines Umschlags in persönliche Gewalt eines religiösen Führertums.

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Dass all dies zu einer wahrhaft tödlichen Gefahr gerade für jene Demokratisierung werden könnte, in welcher Volksherrschaft die Kirche in so vielem bereichert – diese Mahnung muss nun überleiten zu einer Betrachtung der Grundstrukturen der beiden Reiche; ihre Distanz macht, nach so vielen leidvollen Macht-Zusammenstößen, eine demokratische Versöhnung zwar schwer, verspricht sie aber gerade deshalb.

B. Grundstrukturen der „Zwei Reiche“: Distanzen und Versöhnungen I. Die beiden Reiche: Distanz und Nähe 1. Zwei Welten in Grundsatz-Distanz Das Staats-Kirchen-Recht trägt die schwere Last einer Jahrtausende langen Geschichte: Es hat die Einheit der beiden Reiche erstrebt, ist ihr immer wieder nahe gekommen und näher – und hat sie immer wieder verloren, um in ihr Gegenteil am Ende zu verfallen, totale Trennung, – und um auch diese nie voll zu verwirklichen. Dies also können nicht Kategorien sein, die heute weiterführen. Gerade die Volksherrschaft mit ihrer Tendenz der Machtbesetzung eröffnet demgegenüber neue Chancen, bringt neue auch rechtliche Kategorien zum Tragen: Dies war ein Ergebnis bisheriger Überlegungen. Darin aber hat sich nun auch eine Erkenntnis gefestigt: Kirche und Staat waren immer, sind und bleiben zwei Welten, geordnet rechtlich in zwei Reichen; dies ist der geistige Entwicklungszustand einer Rechtskultur – man darf dies hier nun wirklich einmal so nennen – welche hinter diese Überzeugung nicht mehr zurückfallen darf. Historische Erfahrungen, wie aus dem Jenseits heraus das Diesseits beherrscht werden kann, dieses seinerseits wieder aus der anderen Welt eigene Macht begründen will, lassen keine andere Wahl als die der zwei Reiche, mag dieser Dualismus auch letztlich in der Einheit des Menschen seine Überhöhung suchen. Der Dualismus ist und bleibt eine unverrückbare rechtliche Vorgabe, wenn auch belastet mit all jenen Zweifeln, ja Unbegründbarkeiten, welchen jede tiefer eindringende Betrachtung sogleich begegnen muss. Mehr als in irgendeinem anderen Rechtsgebiet muss hier ganz einfach und bescheiden ausgegangen werden von historischen Erfahrungen, die stärker sind in ihrer Überzeugungskraft als jede übergreifende Grundsätzlichkeit. Dieses Gegenüberstehen der beiden Welten ist eben eine geschichtliche Faktizität, die sich rechtlich nicht erklären lässt, aber eine Vorgabe darstellt für alles juristische Denken: dieses muss mit seinen Kategorien versuchen, Kommensurabilität herzustellen, Berührungspunkte aufzuzeigen, aus denen sich schließlich ein Zusammenwirken ergeben mag. Juristisches Denken wird daher beginnen, die Grundstrukturen der beiden großen Ordnungen freizulegen mit seinen Begrifflichkeiten. Dies verlangt die Beschreibung der beiden Räume, in denen der eine Mensch steht, das eine Volk

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(i. Folg. I, II), Verdeutlichung der Grundanliegen, auf welche beide Ordnungen sich richten, in einer Form zielgerichteter Betrachtung kirchlichen und staatlichen Handelns (i. Folg. III). Zum anderen folgen daraus unterschiedliche Verhaltens- und Handlungsformen, in welchen Staatsbürger und Gläubige in ihren jeweiligen Bereichen diesen Zielen sich nähern – verehrend oder fordernd, im Gutes Tun (i. Folg. IV). Diese Ziele und Wege sind eng verbunden, greifen ineinander. Betrachtet werden muss dies aus der Sicht der staatsrechtlichen Entwicklung zur Demokratie. Sie wirft nicht nur neues Licht auf alte Strukturen, sie verwandelt diese auch, bis zu einem gewissen Grad, in ihren inhaltlichen Zielausrichtungen wie in den Formen des Handelns, in welchen diesen entsprochen werden soll. Es kann nicht darum gehen, Gräben einfach zuzuschütten oder juristisch wegzufingieren; angesagt ist ein Brückenbau, wie ihn die Kirche mit dem Wort von ihrem Pontifex stets als Aufgabe gesehen hat. So wird für das Staatskirchenrecht die Distanz zwischen Kirche und diesseitiger Souveränität zur großen Aufgabe und zur Chance zugleich, gerade in der Volksherrschaft. Das Volk ist eben jener sehr weite Personal-Raum, der menschliche Distanzen kennt, zulässt – aushält. Diese Distanzen müssen deutlich bleiben, hier darf nichts verwischt werden; sie bedeuten aber nicht notwendig Trennung, aus ihnen können sich Anziehungskräfte entwickeln, die jedoch nur wirksam werden, wenn die Abstände klar erkannt und definiert sind. Dies bereichert dann gerade eine Volksherrschaft: Ihr Souverän kann ja nicht immer nur als form- und konturlose Masse gesehen werden. Gerade aus kirchlichem Abstand beleuchtet erscheint er – dies wird sich im Folgenden immer wieder zeigen – als eine aufgegliederte Vielheit, wesentlich als Vielfalt. Das Staatsrecht der Gegenwart sieht sich mit solchen Problemen und Lösungsansätzen laufend und immer eindringlicher konfrontiert, bewältigt sie geistig in seinem Verständnis von der „Mehr-Ebenen-Demokratie“: Dasselbe Volk steht in verschiedenen Herrschaftsbezügen, je nachdem, ob es die Völkergemeinschaft mitträgt, europäische Einungen, nationale, föderalstaatliche oder kommunale Demokratien. Immer sind es dieselben Menschen, welche sich zu all diesen Gemeinschaften und ihren Herrschaftsausübungen zusammenfinden – und doch sind es jeweils „ganz andere Souveräne“. Sie herrschen nicht so sehr übereinander, als vielmehr sich gegenseitig achtend und ergänzend – miteinander. Hier werden irdische Vor-Bilder sichtbar, welche sich im Staats-Kirchen-Recht ebenso wiederfinden können, wie dieses von jeher aus dem Völkerrecht befruchtet wurde. So wird – und dies ist kein Paradox – Distanz zu Nähe, zu Versöhnung.

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2. Kirche: „eine andere Welt“, auch gegenüber der Demokratie a) Zwei Reiche mit gleichen Staatselementen Die Allgemeine Staatslehre, auf welche sich auch die demokratische Staatsform stützt, geht davon aus, dass Ordnungen von einer Organisationsstufe, die sie „Reiche“ nennen lässt, im Wesentlichen drei Elemente aufzuweisen haben: Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsherrschaft. Auf den ersten Blick schon mag es scheinen, dass sich all dies in der Kirche ebenso findet wie im Staat, und vor allem in dessen demokratischer Ordnung: – Die Kirche ruht auf einer vor allem personellen Geschlossenheit. Nach christlicher Grundvorstellung versammelt sich hier nicht irgendein Haufen GleichGläubiger, sondern eine Vielzahl von Menschen, welche durch die Taufe zusammengeschlossen sind. Dies ist gewissermaßen der religiöse Pass für die Kirche, in ihr gewinnt sie etwas wie die Personalhoheit über ihre Gläubigen, in einer besonders festen, unauflöslichen Form. Auf diese Zugehörigkeit kann der Gläubige nach ihrer Überzeugung nicht verzichten, sie darf ihn aus ihr nicht entlassen. In alldem steht sie einer Volksherrschaft besonders nahe, für welche der Pass und die durch sie vermittelte Gemeinschaftszugehörigkeit weit wichtiger sind als einst für die der Untertanen in fürstlichen Staaten: Diese Personalsouveränität vermittelt ja das Substrat der Herrschaft auf Erden; aus ihr bildet sich erst jenes Volk, welches dieses Recht in absoluter Form ausübt. Diese besondere Bedeutung der personalen Bindung zu einer Gemeinschaft, im Christentum noch verstärkt in der Gemeindeidee – bietet sie nicht eine deutliche Analogiebrücke zwischen den beiden Reichen? – Das Staatsgebiet, das zweite Staatselement, fällt für Demokraten an Bedeutung zwar grundsätzlich zurück hinter die Personalhoheit; doch im Zusammenleben mit anderen Staaten und eben auch Völkern ist das Gebiet selbst für die auf Menschen konzentrierte Demokratie noch immer wesentliches Abgrenzungselement der von ihr absolut in Anspruch genommenen Hoheit. Dem will sich auch die Kirche nicht verschließen. Für ihren geistigen Ausgangspunkt, das Judentum, gab es ein „Gelobtes Land“; für sie sind dies „die Himmel“, darin schwingt noch immer eine gewisse Territorialvorstellung mit, wie sie denn auch im Begriff des „Jenseits“ liegen mag. Ein Jahrtausend lang war der Kirchenstaat für sie eine staatsgleiche organisatorische Herrschaftsgrundlage, zugleich auch für die jenseitige Souveränität der Kirche, und mit ihm ragt sie noch heute auch in die territoriale Staatenwelt hinein. Nationalkirchen schließlich, mit ihren territorialen Besonderheiten, sind doch in der einen großen Kirche stets geachtet worden, in ihrer vielfachen „Staats-Entsprechung“. Schließlich hat im Diesseits gerade die große, universale Kirche ihre Sympathien für jenen Universalstaat auf Erden nie verborgen, in wel-

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chem dann Himmel und Erde wirklich als zwei territorial bestimmte Reiche nebeneinander stehen könnten – mehr noch: in Verbindung. – Herrschaft schließlich, das dritte der Staatselemente, ist nicht nur für den Staat, auch und vor allem den demokratischen, eine Selbstverständlichkeit, sie findet sich auch in der Kirche, in zahlreichen, durchaus staatsanalogen Formen: Sie reichen von der Organisation in Hierarchien und Ämtern, die geradezu die des Staates vorgebildet haben, über herrschaftliche Handlungsformen, von Feiern bis Strafen, hin zur grundsätzlichen Legitimation der Herrschaft: wie aus der Souveränität des Volkes, so aus der Allmacht des Schöpfergottes. So begegnet denn in den „Staatselementen“ nicht nur äußerliche Ähnlichkeit; hier sind Analogie-Brücken, welche denn auch die Einwirkungen des einen Reiches auf das andere ermöglichen, ja nahe legen (vgl. dazu näher unten C, D). b) Und doch: fundamental verschiedene Zielvorstellungen Hier bereits muss aber auch die Antithese stehen. Solche Analogiebrücken dürfen nicht überschätzt, nicht überlastet werden. Für die Kirche als Reich des Jenseits kann eine so konstituierte Staats-Ähnlichkeit nie Selbstzweck sein, immer nur ein Weg zu einem ganz anderen Ziel. Für kirchliches Denken aber zählt übermächtig das Ziel, nicht der Weg. Dass der Zweck die Mittel „heiligt“, ist eine Überzeichnung, im Kern aber kirchlich gedacht. Für die Kirche gilt ein teleologischer Absolutismus, wie er dem staatsrechtlichen Denken unbekannt ist, welches seinen Organisations- und Handlungsformen ein weit größeres Selbstgewicht zuerkennt. Der Kirche ist das Leben im Jenseits Maß all ihrer Dinge auch im Diesseits, und es ist ein „ganz anderes“ als jede Existenzform auf Erden. Dies gilt auch für das Zusammenleben der Menschen in einer demokratisch verfassten Volksgemeinschaft. Dass „das Volk Gottes“ im Jenseits so weiterleben wird wie im Diesseits, als „Volk“ – das kann und will die Kirche nicht wissen, sie verkündet es nicht. Ihr Herr hat zu den Seinen nur gesprochen vom „Haus seines Vaters“, in dem es viele Wohnungen geben werde, für alle, die ihm folgen. Wie sie dort wohnen, wie sie leben werden in jener anderen Welt, das überlässt die Kirche ihrem „Denken in Geheimnissen“. Damit aber liegt ihr Reich eben doch, mit all seiner übermächtigen Zielvorstellung, in einer anderen Dimension, die sich mit diesseitigen Staatlichkeitskategorien, auch denen der Demokratie, weder erklären, noch legitimieren, noch letztlich erreichen lässt.

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3. Diesseits als Weg, als Vorstufe zum Jenseits a) Das Jenseits – Realität auch der Demokratie Über das Reich der anderen Welt kann und will die Demokratie als solche nichts wissen. Dies mag als eine Selbstverständlichkeit denjenigen erscheinen, deren Denken sich seit Generationen in der Vorstellung einer Trennung von Staat und Kirche entwickelt hat. Und doch gilt es, gerade im Volksstaat, hier so manches Unterbewusste bewusst werden zu lassen. Die Vorstellung „vom Volke Gottes“ war eben doch lange Zeit eine verbindende Vorstellung von Diesseits und Jenseits, und gerade die Demokratie hat unterschwellig so vieles davon fortgeführt in ihrer Volkssouveränität. Auch in ihr ist etwas lebendig von der Vorstellung eines Volkes, das sich in einer „festen Burg“ zusammenfindet, die zugleich die seines Gottes ist, von einem Denken, in dem sich die Verteidigung dieser diesseitigen Gemeinschaft zeigt als ein beginnendes Jenseitsgeschehen, schon weil man für sie zu sterben bereit ist, hinüberzugehen in eine andere Welt. In der Trennung von Kirche und Staat als solcher liegt schließlich – und dies ist nicht gering zu achten – die Überzeugung von einer doch nur begrenzten Wertigkeit des Zusammenlebens in dieser Welt und damit auch von deren demokratischer Ordnung; wie aber könnte dann darin nicht zugleich doch etwas mitgedacht sein von jener anderen Welt, etwas – Diesseitiges und zugleich Transzendentes? So ist denn diese Demokratie in ihren Grundvorstellungen – eines Ignorierens des „anderen Reiches“ – vielleicht gar nicht so weit entfernt von dessen Anerkennung als einer Möglichkeit, wenn auch nicht einer bekannten Realität. Dann aber gewinnt ihre weltliche Ordnung den Charakter eines möglichen Weges dorthin, der über die unbedingt sichere Stufe des Todes verläuft. Etwas wie eine gewisse „Sympathie“ gegenüber einer möglichen jenseitigen Welt, damit aber doch von einem Weg zwischen beiden Welten, den der Mensch in einem „Zusammen-Leiden“ von der Welt in die Himmel durchschreitet – dies alles sollte als etwas auch weltlich-politisch durchaus Mächtiges immer gesehen und anerkannt werden. Eine erkenntnismäßige Grundhaltung findet sich also auch und gerade in der Demokratie, in der das Jenseits eben doch als eine Fortsetzung des Diesseits erscheinen – könnte. Dann aber muss sich auch hier die Frage stellen, ob nicht bereits das politische Verhalten des Bürgers in der Gemeinschaft eine erste ZielEtappe ist auf diesem Weg, und was bis zu deren Erreichung der demokratische Staat seinem Bürger gewissermaßen freigeben, frei lassen muss als Gegenstand von dessen religiöser Entscheidung. Wenn nun die Erkenntnis von Menschen im Glauben weiter reicht als die der demokratischen Politik, so wird sie sich mit dem so von ihr Erkannten beschäftigen; damit ist aber notwendig der Weg eröffnet von der glaubens/vernunftmäßigen Erkenntnis zu deren ethischer Umsetzung, von der im Folgenden immer wieder die Rede sein muss. Etwas vom „Weg als Ziel“ muss dann auch die Demokratie als eine Vorgabe hinnehmen:

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Viele ihrer Bürger, vielleicht deren Mehrheit, geht eben doch, und sei es auch nur „irgendwie“, von einem Jenseits aus, das sich – eben wieder „irgendwie“ – in ihrem Glauben auch erkennen lässt. Dies schafft bei diesen Bürgern, und damit als ein politisches Faktum im demokratischen Staat, etwas wie eine grundsätzliche „Gottes-Zugewandtheit“, in welcher der „ganz groß Andere“ eben doch zugleich auch als eine politische Realität dieser Welt erscheint. Gläubige demokratische Bürger müssen und werden sich mit diesem Gott auseinandersetzen, sich mit ihm schon im Diesseits beschäftigen als mit einem Teil ihres Lebens. Dies muss auch die Volksherrschaft zur Kenntnis nehmen als ein Faktum, das mit der körperlichen Existenz dieser ihrer Bürger, als deren geistige Fortsetzung, ihr vorgegeben ist, zugleich als Gegenstand und Organ ihrer Herrschaft. Als solche, als diesseitige Staatlichkeit, mag sie „Gott anrufen“ oder nicht, immer aber hat sie dieses jenseitige Reich hinzunehmen als eine auch politische Realität, die aus dem Geist ihrer Bürger in ihr spricht und zu ihr. Vor einigen Jahrzehnten hieß es noch, gerade mit der Stimme derjenigen, welche die volle Trennung von Kirche und Staat predigten, es gebe in der Gemeinschaft „nichts Unpolitisches“, alles Verhalten dort sei politisch zu werten, einzubauen in die neue Demokratie. Wenn dies zutrifft – und man mag darin durchaus eine neue Etappe der „Besetzung der Gesellschaft durch das Volk“ sehen – so bedeutet dies aber auch: die Erkenntnis eines anderen, jenseitigen Reiches im Glauben eines großen Teiles der souveränen Bürgerschaft ist ein politisches Faktum, welches nicht hinweggedacht werden kann aus der Volkssouveränität. Insoweit ist ihr rein diesseitiger Weg zugleich ein Teil der jenseitigen Welt – und umgekehrt. Den Gott der Christen muss sie als einen stillen, wenn auch von ihr nur als möglich gesehenen, als solchen aber zu achtenden Mitregenten begreifen in ihrem weltlichen Herrschaftsraum; sie muss wissen, oder lernen, dass auch Er diesen selben Menschen, deren Existenz sie auf Erden ordnet, Rat, Aufruf, ja Gebot geben könnte für das Leben in einer anderen Welt. Mit solcher Theologie muss sich also die Demokratie beschäftigen, schon damit sie erkenne, wo sie mit religiösem Verhalten, mit religiösem Widerstand zu rechnen hat auf ihrem Weg, von dem sie anerkennen muss, dass er für viele ihrer Bürger bereits Teil der Erreichung ihres großen Zieles ist. b) Demokratisches Verständnis für Widerstand bis zum Märtyrertum In einem zieht die Volksherrschaft entschlossen Konsequenzen aus ihrer Höchst-Achtung der Menschen, auf denen ihre Macht ruht: Keiner von ihnen darf in Todesstrafe ausgelöscht, als personales Subjekt vernichtet werden. Mit erstaunlicher Leichtigkeit geht aber zugleich diese Volksherrschaft hinweg über Erscheinungen eines religiösen Märtyrertums, welches sich gerade heute wendet gegen ein politisches, nicht selten gewaltsames Aufzwingen demokratischer

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Werte. Was dies für demokratische Staatsrechtfertigung an Problematik bedeutet, müsste endlich erkannt, es darf nicht unter Hinweis auf Straftaten und Terror überspielt, in Wahrheit beiseite geschoben werden. Vor dem Tod muss die Demokratie immer zurückweichen, und daher vor allem auch vor Märtyrertum, das in all seinen Formen „offen ist zum Tode“. Eines hat endlich auch sie zu lernen, was so viele Staatsformen vor ihr leidvoll haben erfahren müssen: Märtyrertum im Namen eines jenseitigen Reiches ist auf Dauer immer stärker gewesen als die stärksten Legionen des Diesseits, es hat viel länger dauern können in seinen geistigen Kräften, welche stets neuer Wandlungen fähig waren. Christliches und jüdisches Märtyrertum sind eindrucksvolle Beispiele, ein islamisches könnte sich bald als ein Drittes anschließen. Eine Folgerung jedenfalls sollte die Volksherrschaft ziehen aus ihrer – wohlbegründeten – Ablehnung der Todesstrafe: Soweit darf sie es nie kommen lassen im Zusammenstoß zwischen weltlichem und göttlichem Gebot, dass „ihre Bürger ins Blut getrieben werden“; und nicht nur dies Letztere ist zu meiden, zu schweren Zusammenstößen zwischen Geboten des Glaubens und der Demokratie darf es nie kommen, schon aus Achtung vor einer auch nur möglichen gleichzeitigen Bürgerschaft der Menschen in den beiden Reichen. c) Spannungen zwischen kirchlichen und demokratischen Erwartungshaltungen Nun bedeutet dies allerdings nicht den Ausschluss jeder Spannung zwischen den beiden Ordnungswelten. Die Andersartigkeit von Religion und Staatlichkeit, welche hier Gegenstand der Betrachtungen ist, führt notwendig zu einem, auch bedeutsamen, Abstand zwischen Ordnungsinhalten und Ordnungsformen der beiden Reiche, und ein solcher ist nicht zuletzt gerade vom Christentum stets anerkannt worden. Dass Gott vom Gläubigen anderes und eben auch mehr erwartet als der Kaiser, ist ebenso christliche Lehre wie diese voraussagt, dass es zu Anklagen, ja zu Martern kommen wird für Gläubige in dieser Welt. Nicht als ob dies religiös gewollt wäre oder gar gebilligt; es zeigt aber dieses Wort, wie in einem Extrembeispiel, dass das Jenseits verdient werden muss auf dieser Welt, auch und gerade, wenn nötig, mit einem letzten Nein zu jedem staatlichen Gebot, woher immer dieses auch komme. Darin liegt gewiss etwas wie eine Steigerung: Mehr muss der Gläubige in Vielem tun, als der Staat von ihm verlangt – dieses Denken prägt etwa christliche Nächstenliebe, welche weit über Sozialstaatlichkeit hinausgehen kann, es dem Staat daher auch verbietet, mit seinem Abgabezwang Charitas voll zu vereinnahmen. Anders wird der Bürger der Demokratie handeln als der Gläubige, dieser wird beten und verehren, nicht nur fordern, gehorchen und zahlen. Vor allem aber wird er sich auch, im Letzten, stets wenden gegen die Staatsgewalt, sollte sie ihm etwas abverlangen, was ihm sein Gewissen verbietet.

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Dieses Gewissen ist die große Verbindungs- und Übertragungsinstanz vom Jenseits ins Diesseits; seine Entscheidung muss der Staat als solche stets achten – doch die Demokratie darf nicht Einzelgewissen zu ihrem Kollektivgewissen machen; Gemeinschaftsgewissen darf gerade die Volksherrschaft in keiner Form dem Individualgewissen des einzelnen Gläubigen gegenüberstellen, im Namen „vieler Gewissen“ einem sein Recht absprechen. Hier wird die Spannung ganz deutlich, welche sich aus der großen Andersartigkeit von Diesseits und Jenseits ergibt: Sie darf sich ohne weiteres ausdrücken in Nachteilen, welche der Bürger auch in der Demokratie hinzunehmen hat als Folgen seiner religiösen Gewissensentscheidung. Es kann nicht etwas geben wie eine reine, durchgehende Ratifikation einer religiösen Gewissensentscheidung durch die Volksherrschaft, dies wäre nichts anderes als Demo-Papismus, oder es würde in freiheitlichem Anarchismus enden. Das religiöse Gewissen anderer, Nicht-Gläubiger muss geachtet werden, belastende Folgen seines eigenen Verhaltens hat der Gläubige hinzunehmen. Alles ist hier eben eine Frage dieses Abstandes, der nicht im Namen einer minimalisierenden gemeinsamen Ethik leichthin überwunden werden darf. Praktische Lösungen können nur gefunden werden in einem gewissen Rückzug demokratischer Staatlichkeit in einen Ordnungsminimalismus, der sich, soweit irgend möglich, auf die Regelung religions-neutraler Bereiche beschränkt. Dies ist eine Folge und auch Rechtfertigung, gerade für die Demokratie, aus deren Freiheitsvorstellungen: das weltliche Recht hat die materiellen Voraussetzungen eines Lebens zu schaffen und zu sichern, welches sich dann in eine andere Welt hinein fortsetzen kann. Dieser Begriff der „Voraussetzung“ ist überaus wichtig auch für das Staats-Religions-Verhältnis in der Demokratie: Sie hat vor allem die nahen, greifbaren „Realien“ des Zusammenlebens zu ordnen, auch dort, wo sie einen nicht nur marginalen Bezug zu religiösen Geboten aufweisen – das gilt gerade heute, in Zeiten weitreichender wirtschaftlicher Verflechtungen, angesichts der Erkenntnis der Bedeutung ökonomischer Grundlagen für geistiges Leben. Damit erschließen sich der Demokratie so weite Herrschaftsräume, dass sie es gar nicht nötig hat, sogleich bis in jenseits-sensible Bereiche vorzudringen, selbst wenn sie noch so weitgehende gewalt-absolutistische Ansprüche erheben wollte. Den nötigen Abstand der Gebotsinhalte zwischen den beiden Reichen kann diese Wirtschafts- und Sozial-Demokratie in den meisten Fällen schon dadurch wahren, dass sie sich mit den Voraussetzungen des materiellen Lebens und damit auch denen der freien geistigen Entscheidung beschäftigt, sich darauf aber auch beschränkt. Hier mag ihr sogar marxistisches Denken Richtschnur sein, hat es doch jedenfalls die Bedeutung der materiellen Voraussetzungen für freie menschliche Entscheidungen klar ins Bewusstsein gehoben. Gewiss wird es dennoch immer wieder Zusammenstöße geben zwischen den Gebotskomplexen der beiden Reiche. Doch der Demokratie eröffnet sich hier

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eine große, eine neue Chance: sie ist Ausdruck der Erkenntnis, dass „es auf Erden so viel zu tun gibt“ in „technischer“, „ökonomischer“ Bewältigung der vielfältigen Interessen ihrer Bürger, welche feudale Ordnungen, gerade weil sie dem Jenseits sich allzu rasch verpflichtet glaubten, als solche gar nicht hinreichend erkannten, beurteilten, bewerteten. Damit kann und wird sich die Volksherrschaft immer weiter entfernen von einer Ideologieneigung, in welcher sie in ihren Anfängen, oft leichthin, auch Religion sein wollte, mit deren Kräften herrschen, nachdem diese auch im Diesseits so gegenwärtig schienen. Dies alles hat der demokratische Staat der Gegenwart bei seinen Regelungsaufgaben und -aufträgen nicht mehr vergleichbar nötig; seine diesseitige Welt gibt ihm nun – „weiß Gott“ – so viele Aufgaben vor, dass er sich um die Gebotswelt des Jenseits immer weniger sollte kümmern müssen, und dass er sie auch achten kann, ohne zum aufgabenlosen, zum „nutzlosen“ Staat zu werden. So schafft weltlich-rechtliche Aufgabenstellung und Praxis weithin ganz natürlich jene Abstände, in denen sie partnerschaftlich zusammenleben kann mit Kirche und Religion. 4. Jenseits als Belohnung für Diesseits a) Die religiöse Kompensation diesseitiger Leiden – „Opium für das Volk“ und amerikanischer Optimismus Eine der tiefsten Prägungen gegenwärtigen staats-kirchlichen Denkens, und mag sie auch als solche immer weniger bewusst sein, geht zurück auf eine historische Grundthese des Marxismus: Religion ist Opium für das Volk. In seinen Leiden wird es auf ein Jenseits vertröstet, welches die Unvollkommenheiten dieser Welt, vor allem aber deren Versäumnisse, die Ausbeutung durch deren Herrschende wieder gut macht, geduldige Gläubige belohnt. Bereits im Diesseits unterliegen sie einem derartigen religiösen Jenseitsrausch, dass ihnen alle politischen Kräfte schwinden, welche das Reich dieser Welt verbessern könnten. In dieser politischen Inaktivität seiner Bürger wird dieses in der Tat dann stabilisiert, in all seinen Schwächen verewigt – im Blick in die Ewigkeit. Dieser Jenseits-Fatalismus hat, nach marxistischer Lesart, die zweite „Regierungsstufe“, die der Feudalsysteme, über die Brutalität der Sklavenhaltergewalt hinaus aufrechterhalten können; solche Paradieshoffnung trägt in der Tat die armen Massen islamischer Länder noch heute über ihre Leiden hinweg. All dies ist durchaus gedacht aus einer Vorstellung von zwei Reichen heraus, ja sie geht nicht einmal von deren absoluter Verschiedenheit, ihrer radikalen Unvergleichbarkeit aus – im Gegenteil: Das Reich der anderen Welt ist ja nichts anderes als die in allem gerechte Erscheinungsform des Diesseitigen; darin mag sogar ein perfektionierender Ausdruck platonischen Ideen-Denkens gesehen werden: hier eben nur eine traurige Höhle in schwachem Licht – dort

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helle Vollendung in allem und jedem. Der Vorgang menschlichen Erkennens wird damit gewissermaßen auf den Kopf gestellt: Die Erkenntnisschwäche des Menschen im Diesseits kommt in allen Unvollkommenheiten, im leidvollen Leben hier unten zum Ausdruck; die höhere Erkenntnis des religiösen Glaubens öffnet die Augen des Leidenden für die vollen Perfektionen des Jenseits. Kirchlichkeit hat, darin hat sich der Marxismus nicht getäuscht, von Anfang an und erst recht in den monotheistischen Religionen, auf diese Kompensationsidee des Diesseits durch ein besseres Jenseits gesetzt, daraus ihre stärkste Macht im Diesseits gewonnen: die der Duldenden, Leidenden, im großen Bild des Gekreuzigten mehr als in allen anderen Religionen. Daher konnte gerade diese Religion nicht nur die zwei Reiche grundsätzlich fordern, sondern auch die Ordnung der anderen Welt in einer so weitreichenden Analogie zum Diesseits sehen, dass dessen Schwächen in den Vollendungen des Jenseits in einer bis ins Einzelne reichenden Ausmalung aufhebbar erschienen. Dieses Denken musste auch nicht notwendig in voller Eschatologie enden, in der Hoffnung, dass das vollkommene Jenseits unmittelbar vor der Türe stehe; ein zeitlicher, auch ein längerer Abstand konnte in einem geduldigen Warten überwindbar erscheinen, welches Unvollkommenheiten und Leiden in dieser Welt nur noch klarer in der Zeit hervortreten ließ, damit Jenseitshoffnungen stärkte. Dieses Kompensationsversprechen aus dem Jenseits war und ist daher dauernde Hoffnungs- und damit auch Machtquelle der Kirchlichkeit, und dies ist eine unausweichliche, bleibende Erkenntnis des Marxismus. Nun aber fragt sich, und dies gerade in jener neuen demokratischen Welt, welche soziale Revolten gegen feudalistischen Quietismus heraufgeführt haben, ob diese Demokratie eine solche Machtquelle von Kirche und früherem Staat wirklich austrocknen könnte, dies jedenfalls versuchen müsste. Werden Kirche und Religion in einer demokratischen Gegenwart schlechthin überflüssig, weil alles überhaupt Erreichbare nicht nur als realisierbar erscheint, sondern bald auch verwirklicht werden wird? Marx hat seine Vorstellungen gerade in einer Zeit entwickelt, die von Fortschrittshoffnungen einer nahezu unbegrenzten Machbarkeit zwar noch nicht voll geprägt, aber doch bereits erfasst war. Nicht nur im Zentrum einer spätfeudalen Elendsgesellschaft ertönten ja seine revolutionierenden Worte, sondern auch in einer Periode wohlfahrtsstaatlicher Bemühungen, die lange schon und ganz grundsätzlich im Lauf waren – und zugleich eines naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts, dessen Möglichkeiten bereits absehbar, nur noch nicht voll genutzt, vielleicht nur weithin pervertiert erschienen. Der Gegenwart stellt dies doch die Frage, ob die Demokratie das Erbe eines solchen marxistischen Denkens nicht in einem noch viel weiterreichenden diesseitigen Optimismus angetreten hat und weiter trägt, auch wenn sie sich von dessen blutig-revolutionären Extremismen getrennt hat. Vieles spricht dafür, dass die Volksherrschaft, gerade

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in ihren gegenwärtigen Formen, in der Versuchung einer vollständigen Abkehr vom herkömmlichen kirchlichen Kompensationsdenken steht. In ihrem Fortschrittsglauben, in ihrem gesetzlich-administrativen Perfektionierungsstreben stellt sie sich ja den Unvollkommenheiten dieser Welt. So weitreichende Verbesserungen will sie in diese tragen, gerade in ihrem „amerikanischen Traum“, dass sich dann schon die Frage stellt, ob in ihr für eine Jenseitshoffnung noch Raum ist. Hier öffnet sich ein erstaunlicher Widerspruch zwischen dem missionarischen Eifer, mit welchem die Vereinigten Staaten ihre Demokratie verbreiten, und einer zugleich missionarischen Intensität, die eben dort doch wieder nicht aus einem amerikanischen Traum, sondern aus einer kirchlichen Jenseitshoffnung heraus erwächst; und doch trägt gerade beides zusammen, in einer wundersamen Kombination, amerikanischen Optimismus über die Ozeane in alle Welt. Ein derartiger Amerikanismus, ein Demokratismus, der sich solcher Fortschrittlichkeit verschreibt, ist nicht nur ein schicksalhaftes Missverständnis der Volksherrschaft, er muss als ein Irrtum erscheinen, der letztlich die Demokratie pervertiert. Mit ihm wird dann die naive Überzeugung von der Demokratie als der besten aller Staatsformen darin jedenfalls zu einer gefährlichen, im Letzten sogar zynischen Vereinfachung, dass in ihr die Vorstellung mitschwingt, kirchliches, christliches Jenseits könne in einem immer weiter optimierenden demokratischen Diesseits überflüssig werden. Diese Gefahr eines primitivierenden diesseitigen Demokratie-Optimismus ist gerade durch den Zusammenbruch des ideologischen Marxismus verstärkt worden – weil in marktwirtschaftlich-demokratischer Fortschrittsgläubigkeit eben auch viel von der radikalen Diesseitsgläubigkeit des Marxismus aufgenommen und weitergetragen wurde. Die Demokratie als „die beste aller Staatsformen“ – war das dann nicht auch ein Weg zum paradiesischen Endzustand des Kommunismus? Doch das ironische Churchill-Wort muss eben zu Ende gesprochen werden: „die beste aller schlechten Staatsformen“, denn sie alle bleiben eben am Ende doch unvollkommen, schlecht, auch die Volksherrschaft. Sie gerät in die Gefahr der antikirchlichen Illusion, sie könne alles Glück auf Erden schaffen, gerade durch den missionarischen Eifer des amerikanischen Traums: Er ist nichts anderes als, nun wirklich, ein Diesseits-Opium für das Volk; und Karl Marx hat gewiss darin recht, dass alle Jenseitigkeit immer auch etwas in sich trägt von einem Rauschzustand. Die wahre Größe der Demokratie aber liegt gerade darin, dass sie solches Rauschglück auf dieser Erde nicht verwirklichen will, weil sie realistisch erkennt, dass der Mensch das andere Reich auch und gerade dann braucht, wenn sie auf Erden absolut regiert. So führt eine in Demokratie fortgedachte Kompensationsidee am Ende nicht zum Absterben des jenseitigen Reichs – und dann, nach dem Marxismus, auch noch des diesseitigen –, sondern zu einer Fortsetzung beider Imperialitäten, die

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immer weiter nebeneinander stehen bleiben, übereinander vielleicht, und sich auch, in gewissem Sinne, stets ergänzen müssen. Die rechts- und wissenschaftstechnisch perfekte Demokratie wird immer deutlicher Probleme und Unvollkommenheiten dieser Welt erkennen, manche ihrer Leidenszustände lindern, darin aber stets auch wieder neue Unvollkommenheiten, neues Leiden, im Geistigen vor allem, hervorbringen. Dies ist die Tragik des zügellosen Hedonismus, wie sie die Antike schonungslos dargestellt hat, in den Satiren des Horaz, in Trimalchios Gastmahl: Nicht Glück steht am Ende, sondern schaler Überdruss, angstvolles Streben nach diebstahl- und enteignungsgefährdetem Reichtum. Solche Literatur steht der Spaß- und Vergnügungsdemokratie noch bevor; auch in ihrem Hedonismus wird die große Kompensationsidee der beiden Reiche nicht sterben. Denn es bleibt auch in dieser Demokratie der Tod, die Angst vor ihm, vor dem ungerecht-raschen, dem qualvollen Sterben, welche kein diesseitiges Marterverbot je wird aufheben können; und der verfrüht-gewaltsame Abschied vom so schönen Diesseits wird nur als umso ungerechter empfunden. Es bleibt das unbefriedigende, das freudlose Altern, mit dem Verlust all der Genüsse, welche ihm nicht mehr gegönnt sein können, sich oft zu Leiden wandeln. Die Demokratie hat keine Antwort auf den leidenden, den sterbenden Menschen, auf einen Selbstmord, mit dem er sich ins Nichts stürzen will, dahin kann sie ihm nie ihre rettenden Polizisten nachschicken. Ihre „Diesseitshoffnungen mögen später sterben“, zuletzt, nach all ihren Anstrengungen; aber sie verwandeln sich in Jenseitserwartungen auch und gerade, ja immer mächtiger dann, wenn die beste aller diesseitigen Staatsformen in ihrem Reich das Glück eben auch nicht bringt. Die Kirche aber muss die Geduld des Abwartens auch gegenüber dieser fortschrittsgläubigen Demokratie pflegen, vielleicht neu erlernen, welche sie den einzelnen Menschen und ihren Generationen gegenüber schon so lange übt: Nähe zu ihren Gedanken kann sie nicht erwarten in Zeiten jugendlichen Fortschrittsoptimismus; sie werden aber dann wiederkehren, wenn manches, so Vieles als Illusion sich gezeigt hat, in einer Weisheit des Alterns der Kultur. Jeder neuen Staatsform gegenüber ist für die Kirche diese gleiche Haltung angesagt: ihre überschwängliche, oft rohe Diesseitigkeit muss sie ertragen, zu kanalisieren versuchen in verdiesseitigter Jenseitshoffnung. Sie selbst aber kann, aus ihrem Jenseits heraus, warten auf ein Altern der Staatsformen, auch dieser Demokratie. Die Chancen des Religiösen beginnen erneut und immer stärker zu wirken, je mehr auch die Demokratie dabei ist, ihr viel gelobtes Diesseits zu verspielen, in Enttäuschungen und Ängsten ihres Perfektionierungsstrebens. Warum sollte also nicht schließlich doch das andere Reich in seiner Vollkommenheit für die Schwächen des Diesseits belohnen dürfen? Aufgabe des Reiches dieser Welt ist es, deren Leiden und Schwächen zu erkennen und zu mildern, damit sie in jenem anderen Reich vollends aufgehoben werden in einer höheren Gerechtigkeit.

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b) Demokratie und religiöse Gehorsamspflicht im Diesseits aa) Alle Gewalt des Jenseitsreichs der Kirche kommt letztlich aus der Vorstellung einer Kompensation der Ordnungen dieser und der anderen Welt. Eine für die weltliche Gewalt besonders bedeutsame Folgerung daraus ist das Gebot einer geduldigen Unterworfenheit der Menschen unter die staatliche Gewalt im Namen einer Religion, welche ihnen auch und gerade dafür Belohnung in einem gerechteren Jenseits verspricht. Es ist also der Blick in dessen Fernen, welcher die Staatsgewalt stärkt, die gesellschaftlichen Mächte, bis hin zu einer Herrschaft über Sklaven, welche eben auch, nach dem Pauluswort, „schwierigen“, vielleicht gar ungerechten Herrn untertan sein müssen – so will es ein kirchliches Gebot. Darin liegt gewiss eine Relativierung aller Diesseitigkeit, sie wird hingenommen bis zum Leiden, im Namen einer gerechteren, freieren Ordnung im anderen großen Reich. „Sklavenhaltergesellschaften“ und „Feudalregime“ im Sinne des Marxismus konnten sich wohl in der Vergangenheit einrichten in Ordnungen, welche auf derartige religiöse Gebote gestützt wurden, im Namen eines Jenseits, an welches dann die Herren glauben mochten oder auch nicht. Für die Demokratie muss all dies schon deshalb zum Problem werden, weil sie nicht den politisch inaktiven Bürger verlangt und erwartet, der sich unterwirft, Ungerechtigkeiten erträgt, sondern den fordernden, ja aufbegehrenden Menschen als Aktivbürger in ihrer Ordnung; er nimmt deren lastende, eben „schwierige“ Gebote, deren „ungerechte Herren“ gerade nicht hin, da dies mit demokratischen Freiheitsvorstellungen unvereinbar erscheint. Spannungen zwischen Demokratie und Kirche sind denn auch immer wieder, deutlich seit dem Beginn der Aufklärung, gerade daraus erwachsen, dass die Volksherrschaft sich gegen eine Herdenmoral wenden musste, welche sie aber im kirchlichen Raum sich fortsetzen, ja befestigen sah, im Gehorsam gegenüber Sklavenhaltern und Feudalherren. Sozialer Demokratismus insbesondere konnte hier nur mit Sorgen sehen auf eine religiös fundierte Bereitwilligkeit, Ausbeutung und Ungerechtigkeit klaglos hinzunehmen. Für liberales Denken lag die Gefahr nahe, dass sich darin eine Inaktivität erhalten, ja verbreiten könnte, die ihm unvereinbar erschien mit einem selbstbewussten Unternehmertum, welches Zwänge dieser Welt keineswegs als gottgewollt hinzunehmen bereit war – auch wenn es dann selbst neue Zwangsmechanismen aufzubauen sich anschickte. Deutlich schien so die Spannung zwischen einem religiös verstärkten Desinteresse an Ordnungen dieser Welt aus dem Gedanken hinzunehmender, im Jenseits dann zu kompensierender Unterordnung – und einer aktiven Freiheitlichkeit im Diesseits, bis hin zu einem Aufbegehren, welches sich nicht auf die Gerechtigkeit des anderen Reiches vertrösten lassen wollte. Hier gewann, so schien es doch, die Religion als „Opium für das Volk“ eine noch weit gefähr-

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lichere Kraft: sie stärkte nicht das Reich des Diesseits in der Inaktivität seiner Bürger, sie entzog ihm vielmehr all jene Aktivitätskräfte, aus denen heraus es sich doch dynamisch sollte entfalten können. Und darin gerade konnte ein Gegensatz zu jener Demokratie gesehen werden, welche nicht mehr agrarische Ruhe fortsetzen, sondern industrielle und dienstleistende Dynamik zu ihrem Staatsprinzip erheben wollte. Und doch zeigt vertiefende Betrachtung, dass gerade hier der Blick in beide Reiche beginnende Brückenbauten erkennen lässt, von beiden Ufern aus: bb) Die Kirche mag nach wie vor ihre Gläubigen ermahnen, sich der diesseitigen Herrschaft grundsätzlich zu beugen, da sie nur so geordnet den Weg beschreiten können ins jenseitige Reich; einen gewissen Gehorsam verlangt ja alle Ordnung an sich schon, und damit auch eine Anerkennung der diesseitigen Macht. Die Gedanken der Menschen müssen sich aber auch aus dieser Herrschaft ins Jenseits richten dürfen, dieses muss sich auf Erden verdienen lassen. Der Kompensationsidee entspricht nicht so sehr ein stilles Ertragen ungerechter Gewalt als vielmehr, und zu allererst, eine Aktivität im Reiche des Diesseits, welche im Jenseits belohnt wird. Denn kompensiert werden auch im religiösen Denken des Christentums letztlich eben nicht Leiden auf Erden als solche, belohnt wird die menschliche Haltung ihres Ertragens, wenn sie sich nicht lindern, nicht überwinden lassen. Das Jenseits wird nicht als Fortsetzung einer Verteilung gesehen, sondern als Lohn für ein Verdienst. In seiner ganzen, langen Geschichte war denn auch das Christentum nicht etwa durchgehend eine Unterwerfungsreligion, sondern eine Befreiungsüberzeugung. Dass der göttliche Glaube freimachen werde, hatte schon sein Stifter verkündet. Durchgesetzt hat sich dann diese Religion in einem Reich der immer zahlreicher Freigelassenen, in welchem bereits alle Bewohner Reichsbürger geworden waren. Das Christentum war in seinen Ursprüngen zwar wohl durchaus auch Sklavenreligion, aber eben doch nur in dem Sinne, dass es in seinen Zusammenkünften und Gemeinschaften derartige Unterschiede aus Unterwerfung nicht gab, seine geistige Freiheit hier also bereits durchgebrochen war, sklavische Unterwerfung ersetzt hatte. Christliches Denken hat dann immer wieder die Befreiungsidee aufgenommen und weitergetragen, am Eindrucksvollsten in der reformatorischen Freiheit eines Christenmenschen. Im Kalvinismus hat sie über Staatsunterwerfung gesiegt, und damit aus der Neuen Welt heraus auch die Alte Welt der feudalen Herrschaftsstrukturen verändert. Sogar der vielkritisierte jesuitische Kadavergehorsam erwuchs keineswegs aus einer Nachfolge im Sinne des Pauluswortes vom Gehorsam der Sklaven; er war eine Jenseitshaltung bereits im Diesseits, Unterwerfung unter den allmächtigen, den gerechten, zugleich aber allgütigen Schöpfergott. Auf Erden sollte die Gewalt, wenn es sein musste mit allen Mitteln, unterwandert und damit in

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religionskonforme Herrschaft verwandelt werden, durch einen solchen unbedingten Jenseitsgehorsam. Dieser war also gerade nicht gerichtet auf eine jenseitsblinde Verstärkung der Macht des Diesseits, sondern auf intensivste Aktivität aller menschlichen Kräfte, vor allem der geistigen, um das Reich dieser Welt dem der anderen anzunähern. In all seinen Ausprägungen, von der Reformation bis in den Jesuitismus, ist also das Christentum im Grunde stets eine Aktivitätsreligion gewesen und geblieben, mochten sich seine Aktivitäten auch nicht nur auf Ziele des Diesseits richten. Schon in der Vorstellung von einem jenseitigen Reich, welches in der universalen Kirche eine im Letzten eben doch staatsunabhängige Verkörperung auf Erden gefunden hat, kann diese Religion gewiss nicht nur gesehen werden als eine Herrschaftsverstärkung diesseitiger Gewalt, welche in der Tat unvereinbar wäre mit demokratischem Freiheitsstreben. Die Brückenbauten aus dem Jenseits wollen demokratische Konstruktionen aus dem Diesseits erreichen, nicht an ihnen vorüberführen. cc) Gerade die Demokratie ist es andererseits, welche in ihrer neuen, sie durch und durch prägenden, ja tragenden Freiheitsdynamik etwas zu bieten scheint wie ein großes „Reichs-Analogon“ diesseitiger Ordnung zu Gedanken aus dem Jenseits. Ihre Herrschaft will nun wirklich freimachen auf Erden, damit aber den Menschen auch lösen aus Zwängen eines Staatskirchentums, welches ihm Gehorsam abgefordert hatte gegenüber weltlicher Herrschaft, damit er sich gerade dadurch ein glückliches Jenseits verdiene. Gebrochen hat die Demokratie radikal in der Französischen Revolution nicht nur mit dem politischen Absolutismus Ludwigs XIV., sondern auch mit den gallikanischen Spitzen von dessen Herrschaftslegitimation. Die französischen Revolutionäre waren eine Miliz geistiger Freiheit, welche zugleich die Tore öffnete zu neuen Formen der religiösen Verehrung, mochte sie auch die alten der religiösen Staatsunterworfenheit zerbrechen. Der nun folgende und in der Gegenwart sich intensivierende demokratische Gewaltabbau, aus welchem die Volksherrschaft ihre tiefste Rechtfertigung zieht, bedeutet letztlich vor allem eine Rücknahme der Herrschaft des diesseitigen Reiches – und sogleich führt dies zuallererst zu einem Freiheitsgewinn des Menschen in dieser Welt, dann aber weiter zu einer Verstärkung auch der geistigen Strukturen des anderen Reiches: Früher mochte die Kirche weltliche Gewaltunterworfenheit begrüßen, vielleicht gar predigen, eben aus der Hoffnung heraus, sie selbst werde diese Machtzentren staatskirchlich besetzen, über sie ihre jenseitige Herrschaft verbreiten können. Nun aber kann sie mit ebensolcher Überzeugungskraft den umgekehrten Weg gehen: Wenn schon die weltliche Macht sich zurückzieht, so überlässt dies dem Menschen Freiheitsräume, in denen er mit seiner eigenen Entscheidung immer mehr, eben immer freier dem Reich des Jenseits sich schon auf Erden zuwenden kann. Diese Demokratie er-

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laubt es also der Kirche, ihre eigenen Strukturen, fernab von Herrschaftsformen des Diesseits, in der Überredung und Überzeugung des Missionarischen in dieser Welt auf- und auszubauen; darin liegt nun wirklich die Möglichkeit, „Libera Chiesa in libero Stato“ zu werden. Eine große Unsicherheit mag bleiben, eine vielleicht fatale Wette muss die Kirche eingehen: dass die Menschen in ihrer freien Entscheidung, aus ihren geistigen Bedürfnissen heraus sich ihr zuwenden werden, auch wenn es nicht mehr die Staatsgewalt ist, die sie mit Bajonetten in Kirchen treibt. Wenn sie diese, die größte menschliche Wette verlieren sollte, dann wäre Religion eben doch nichts anderes gewesen als eine raffinierte Form weltlichen Herrschens. Die Demokratie spitzt diese Frage extrem zu, die Gläubigen werden sie beantworten müssen, aber nicht aus kirchlich gebotenem Gehorsam, sondern in Freiheit können sie sich nun entscheiden zu jener Welt – und schon in dieser. 5. Demokratie als „irdisches Vor-Bild“ – Erkenntniswege vom Diesseits zum Jenseits? Diese Betrachtungen wollen die Spannungslage zwischen Kirchlichkeit und Demokratie der Gegenwart aufzeigen. Die beiden Reiche müssen in ihrer Nähe ebenso deutlich werden, wie in ihrem unüberbrückbaren Abstand. Wer hier leichthin ein „Vox Populi – Vox Dei“ spricht, der übersieht die Tiefe der Fragestellung, entweder in unterschwelligem Staatskirchentum oder in einer ebenso für beide Reiche gefährlichen Verdiesseitigung des Religiösen. Annäherungen sind gewiss angesagt und bereits Realität, die bisherigen Überlegungen haben es gezeigt. Doch immer wieder muss auch der Abstand gesehen und betont werden, aus dem allein lebendige Energie-Strömungen für beide Reiche kommen können; und es ist zu warnen vor allzu leichten Brücken zwischen ihnen, die eben nicht tragen. Die gefährlichste Versuchung kommt hier, und dies in ganz konkreten Denkformen, aus einem erkenntnisgeprägten Rationalismus, welcher die beiden Reiche aus der Analogie ihrer jeweiligen Strukturen heraus miteinander „verbunden sehen“, damit letztlich das eine aus dem anderen erkennen zu können glaubt. Es ist dies der Ausdruck eines bestimmten geistigen Entwicklungszustandes, welcher im Staatsrecht der Demokratie für deren Reich auf dieser Welt erreicht ist, die Öffnung eines Weges, der von der Kirche schon längst vorher beschritten worden ist: Erkenntniswege vom Diesseits zum Jenseits. Und hier ist ein Fragezeichen zu setzen. a) Religion wie Politik: Willensentscheidungen, nicht Erkenntnisvorgänge aa) Eine alte, fatale Versuchung treibt den Menschen, als Bürger seiner beiden großen Reiche, immer wieder auf einem Weg voran: Entscheidungen will er sich

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durch Erkenntnis abnehmen lassen; wenn er so, aber eben auch ganz anders handeln könnte, so will er sich durch Feststellungen seiner Vernunft geradezu gezwungen, jedenfalls aber aufgerufen sehen, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Die – angebliche – rational zwingende, jedenfalls nahe liegende Entscheidung soll ihn aus der Qual der Wahl befreien, vor welche ihn stets seine Kirche gestellt hat, mit wahrhaft fürchterlichen Konsequenzen im letzten Gericht, in welche ihn nun auch noch, im Diesseits, die Staatsform seiner Demokratie drängt. Zwingende Erkenntnis als Willensentscheidung – dies hat denn auch kirchliches wie staatlich-politisches Denken stets als Versuchung begleitet, jenes bereits in der Scholastik, dieses vor allem in der Aufklärung und seither mit nahezu unveränderter Intensität. Diese Vorstellung – oder Illusion – einer „Rechts- und Staatsgeometrie des Richtigen“ hat alle Widerlegungen durch die kantische Erkenntnisfrage überdauert: Der Wille wird eben doch gesteuert, vielleicht gar in die richtige Richtung gezwungen, durch Erkenntnisse der Vernunft. bb) Das Rechtsdenken, geistiger Ausdruck und Ordnungsinstrument dieser Welt, ist allerdings dieser „Erkenntnis- und Vernunft-Versuchung“ nie erlegen. Das Staatsrecht hat sich weithin nicht als „Wahrheit“ sehen wollen, rechtliche Entscheidung ganz allgemein weit eher als eine Hinwendung zu Richtigem denn als eine Erkenntnis der Wahrheit betrachtet. In der Vorstellung von den „Erkenntnissen“ der Gerichte hat es sich allerdings in bedenkliche Nähe begeben zu einem Wahrheits-Rationalismus, in welchem Politik Ausdruck besserer Erkenntnis sein soll, nicht eines auswählenden Willens. Dennoch hat die Volksherrschaft in ihrem hoch entwickelten Rationalismus, vielleicht gerade weil sie dessen letzte Unvollkommenheit ebenfalls erkannt hat, nie einen Zweifel daran gelassen, dass ihre Politik Ausdruck von Willensentscheidungen ist, nicht von Erkenntnisvorgängen, dass dieser Wille irren kann und immer wieder irren wird, dass ihre demokratischen Experimente vielleicht Annäherung sein mögen an rational-optimale Erkenntnis, nicht aber einfach nur deren Ausdruck. So ist denn Politik Willensentscheidung geblieben und immer noch mehr geworden in der Demokratie, welche von ihren Bürgern verlangt, dass sie ihre Irrungen hinnehmen, weil sie diese ja jederzeit durch Gegenentscheidungen korrigieren könne. Und die große demokratische Freiheit vor allem muss die Staatsgewalt dieser Erde daran hindern, leichthin im Namen besserer Erkenntnis den Willen Anderer niederzuschlagen, aufzuheben. Wenn nun aber die Politik, wenn alle Entscheidungen im diesseitigen Reich Ausdruck wählenden Willens sind, muss dies dann nicht auch für alle Wahl gelten, welche der Mensch zu seinem Reich des Jenseits und dessen ins Diesseits hineinreichenden Strukturen trifft? Soll, darf er sich dann berufen auf „bessere Erkenntnis“ in religiösen Dingen, einen Rationalismus praktizieren, in dem er die Wahrheit seiner Religion als unumstößliche Sicherheit vernünftigen Erkennens ausgibt?

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Die kirchliche Antwort ist, im Christentum jedenfalls, eindeutig: Hier greift die Dimension des Glaubens ein, welche sich nicht auf Erkenntnis reduzieren, mit dieser sich nicht identifizieren lässt. Was immer das Wesen dieses Glaubens ausmachen mag, in seinem Verhältnis zur vernunftmäßigen Erkenntnis, wie immer er das religiöse Verhalten prägt – sicher ist er jedenfalls so „ganz anders“ jeder diesseitigen Erkenntnis gegenüber, wie es eben auch sein Gegenstand, das Reich des Jenseits gegenüber dem Diesseits bleibt. Dann aber können Unterschiede nicht nur gefunden werden in der mehr oder minder großen Sicherheit, Fassbarkeit, Beweisbarkeit dessen, was über rationale Erkenntnis und andererseits über den Glauben dem Menschen zugänglich wird. Die notwendige Folge daraus ist auch, ja vielleicht vor allem, dass sich nicht Vernunftergebnisse dieser Welt als gläubige Jenseitserkenntnisse in die andere übertragen lassen. Daraus muss eine tiefe und grundsätzliche Skepsis folgen, überhaupt aus Vorgängen, Visionen – eben Erkenntnissen dieser Welt auf solche der anderen schließen zu wollen. Glaube und rationale Erkenntnis unterscheiden sich also nicht nur in der Wahrscheinlichkeit, welche sie vermitteln, sie wollen und sollen schon gar nicht gleiche Gegenstände erfassen, sichtbar werden lassen, daher nicht – und darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang an – das Jenseits als Abbild des Diesseits und umgekehrt. Für das Verhältnis zwischen der Staatsordnung der Demokratie und dem Reich, das die Kirche repräsentiert, bedeutet dies: das eine kann und darf nicht als ein rational fassbares Abbild des anderen gesehen werden, ihr Abstand ist so groß, nicht nur durch die völlig unterschiedliche Erkenntnissicherheit, die beiden gegenüber besteht, dass sich eben keine Erkenntnisbrücken irgend welcher Analogien vom einen zum anderen schlagen lassen. Und fundamental im Zusammenhang dieser Betrachtungen ist: Erkenntniswege führen vor allem nicht von den Strukturen der Volksherrschaft zu Werten und Ordnungen, die in der anderen Welt gelten. Die Verschiedenartigkeit der beiden Reiche lässt sich in rationaler Erkenntnis nicht überwinden oder auflösen; beide können nur in Willensakten der politischen Entscheidung hier, des Glaubens dort erkannt, den Menschen näher gebracht, sodann durch sie gestaltet werden. „Sein“ Wille soll zwar geschehen „wie im Himmel, also auch auf Erden“, aber eben in zwei Reichen, in grundverschiedenen Welten. b) Das Jenseits-Reich: Abbildung der irdischen Demokratie? Doch so leicht, im Glauben wie im Staatsrecht, das Wort von der Andersartigkeit gesprochen werden mag – die intellektuelle Verbindungssuche des Menschen, von einem zum anderen, war immer lebendig, nicht selten stärker als die Betonung des Trennenden. Ist nicht doch die Ordnung auf Erden ein Vor-Bild, wenn nicht gar ein Ab-Bild der himmlischen, und wird dies nicht zum Problem und zur Versuchung zugleich für eine selbstbewusste Volksherrschaft, die eben

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letztlich doch die von ihr selbst so hoch geschätzte, so weit „oben aufgehängte“ Ordnung als ein wirkliches Vorbild auch allen kirchlichen Ordnens ansehen muss? Führt dann nicht ein gerader, kurzer Weg aus solchem Abbilden, derartigem Praefigurieren unmittelbar zur Forderung einer Demokratisierung der Kirche, in der die Abstände zwischen den Reichen kleiner werden oder gar verschwinden sollen – und zugleich zu einer Vor-Bildlichkeit diesseitiger Volksherrschaft, damit vielleicht gar zu ihrem letzten Wort in religiösen Dingen? Bei aller Zurückhaltung gegen übersteigerte Erkenntnismöglichkeiten, in der irdischen Politik wie im Glauben des Jenseits, begleitet die Menschen eben doch ein – man muss es so nennen – tiefer Glaube an die Wirkung von Abbildern gerade darin, dass in ihrem Namen, in ihrer fassbaren Realität der unendlich erscheinende Abstand zwischen Diesseits und Jenseits sich könnte überwinden lassen. Dies war und ist die uralte Versuchung der Götzenbilder, jenes „Jenseits zum Anfassen“, in welchem der Mensch sich seine Herrscher schafft, seinen Schöpfer sogar, nach seinem Bild und Gleichnis. Das alte Verbot „Du sollst Dir kein Bild machen, um es anzubeten“ will gerade diese Brücken nicht entstehen lassen, sie sogleich wieder einreißen – und dies durchaus nicht nur in ikonoklastischer Beschränktheit, die so viel Schönes, ja wahrhaft Göttliches auf Erden immer wieder vernichtet hat: Hinter dem Verbot steht die tiefe Erfahrung, dass Bilder, welcher Art immer, letztlich doch nur entstehen, geschaffen werden, um eben angebetet zu werden, vom gläubigen Beter bis zum begeisterten Sammler, vom Zuschauer des Staatstheaters bis zum Teilnehmer an der Eucharistiefeier. Das Abbild ist unendlich mächtig, weil es von dem Menschen kommt, der durch sein Werk die Einheit der beiden Reiche herstellen will, in Schönheit, Verehrungswürdigkeit oder einfach nur in Fassbarkeit. Dies war denn auch immer ein Weg vom Diesseits ins Jenseits, er wurde gegangen in Abbildungen, vom primitiven Götzenbild bis zu den triumphalistischen Riesengemälden der italienischen Renaissance und des Barock. Hier erschließt sich der tiefere Sinn jener gewaltigen Deckengemälde, in denen die Himmel gesehen werden mit den Augen dieser Erde, die Ordnungen der Cherubim und Seraphim, welche aristokratisch gestufte Macht-Konvente in die Ewigkeit hinauftragen. Dies war ein eigenartiges Staatskirchentum in Ästhetik, in welchem übrigens Oligarchien noch ihren bedeutsamen Platz fanden an der Seite des Schöpfergottes, mochte darin auch oft etwas vom Polytheismus und der gegliederten Olymp-Vorstellung der Antike mitschwingen; meist war all dies ja doch nicht einfach nur religiöser Absolutismus. Doch bei diesem figurativen Abbildungs-Glauben konnte und kann auch heute noch menschliches Denken nicht stehen bleiben, vor den immer wieder von ihm mehr gefühlten als erkannten Abständen zwischen Diesseits und Jenseits. Unterschwellig zunächst, dann aber auch bald an rationaler Oberfläche, ja in Oberflächlichkeit, wirkt die starke Versuchung, eben doch das Jenseits auch

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in seinen Strukturen, in seinen Machtordnungen darzustellen nach dem Bild und Gleichnis des Diesseits. Kann der Mensch denn überhaupt anders denken, sich jene andere Welt vorstellen außerhalb seiner diesseitigen Denkkategorien, und sind diese nicht entscheidend geprägt, wo immer es um Macht geht und Gebote, durch die jeweiligen Ordnungen, die Kategorien und Kriterien des Rechts im Diesseits? Muss der Mensch nicht gerade dann, wenn er den großen Abstand sieht zwischen dem von ihm real Erfass- und Erfahrbaren und der Transzendenz, eben aus diesem Grund die jenseitige Welt sich doch vorstellen wie das, was ihn hier umgibt? In einem eigenartigen Sinn hat Kant auch hier Recht; denn die Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens, die Unmöglichkeit mit ihm Transzendenz zu erfassen, wird dann eben nicht einfach in Skepsis und Agnostizismus enden, sondern in dem aktiven Versuch, das Jenseits als Fortsetzung des Diesseits zu sehen, Analogiebrücken von diesem zu jenem zu schlagen – und sich damit zu trösten, dass man ja jenen „Glauben“ zwischenschalte, der schon hinreichend der Andersartigkeit Rechnung tragen lasse. Steigt man nun aus den Höhen solcher Erkenntnistheorie herab in die praktische Staats-Kirchen-Politik, in Vorstellungen, welche der Durchschnittsbürger sich machen kann vom Verhältnis der beiden Reiche zueinander, so liegt doch eines nahe: er wird sie über dieses „In-Abbildern-Denken“ einander annähern und dann bald auch – so wie er eben ist: unkritisch – identifizieren. Für die Kirche in der Demokratie bedeutet dies eine doppelte Gefahr: Zum einen könnte irdischer Radikal-Demokratismus sie nur mehr als legitim ansehen, dann allein noch dulden wollen, wenn sie in ihren Strukturen, welche allein das Reich des Jenseits im Diesseits zeigen, der politischen Demokratie entsprechen oder wenigstens nahe kommen will; zum anderen könnten aus der Kirche selbst heraus Kräfte dies fordern, unter Berufung auf die politische Demokratie als Abbild eines ebenso regierten jenseitigen Reiches – und dann wieder: Vox Populi – Vox Dei, als Folgerung dieser eigenartigen Abbild-Rationalität. Dies alles lässt sich ja auch, ganz einfach-plausibel, der Großzahl der Bürger nahe bringen und sogar scheinbar rational begründen: Über dieses von der Kirche vertretene Jenseits, seine Werte und Gebote, wissen sie nichts sicher; auf ihrer Erde aber hat sich ein Herrschafts-Abbild durchgesetzt. Wenn es denn wahr ist, dass Gott den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, muss dann nicht die beste aller Rechtsordnungen erkennen lassen, was auch im Grunde die Ordnung des Jenseits ist, was sie gebietet, und liegt dann nicht die große, rationale Analogie nahe vom Diesseits der Demokratie zum Jenseits, über den Weg der demokratisierten Kirche? Radikal vertreten würde diese Vorstellung dann bedeuten: entweder es gibt für die Demokratie jenes Reich nicht, oder es muss so sein wie sie, schon auf Erden in seiner Kirche, in einer großen Analogie von Politik zu Religion.

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Die beiden Reiche: grundsätzlich andersartig oder doch über rationale Analogien verbunden?

c) „Gottesbeweise“ Sind Demokratie und Kirche in ihrem Verhältnis zueinander zwei „ganz andere“ Reiche – die sich aber doch nicht nebeneinander vorstellen, sondern nur „zusammendenken“ lassen, in einer letzten, durchaus auch rationalen Ähnlichkeit, welche in Identität hinüberreicht? Dazu bietet vor allem eine lange Geschichte theologischen Denkens Ansatzpunkte, Anstöße, vielleicht aber auch nur Versuchungen, gerade wenn ein letzter und ein großer Abstand eben doch stets gewahrt bleiben muss. Die grundsätzliche Problematik aller rationalen Erkenntnisbrücken vom Diesseits zum Jenseits ist bereits deutlich geworden, nachdem beide Reiche nicht aus der Erkenntnis des Wahren, sondern aus Willensentscheidungen zum Richtigen leben und nur darin auch Menschen überzeugen können, ihnen nahe sind. Mit Zurückhaltung, wenn nicht mit Skepsis, müssen also alle Versuche, vor allem des kirchlichen Denkens, gesehen werden, nun eben doch intellektuelle Erkenntnisbrücken zu bauen zwischen beiden Reichen, über die dann, und in der Gegenwart unabsehbar, demokratische Wertvorstellungen und Verhaltensweisen in den Raum der Kirche übergreifen könnten. In dieser Sicht sollen nun einige Gedanken folgen zu theologischen Vorstellungen, die, soweit ersichtlich, bisher unter diesem Gesichtspunkt der Abschwächung oder gar Aufhebung des Abstandes zwischen den beiden Reichen noch nicht vertieft worden sind, mag dies auch unterschwellig eines ihrer Anliegen (gewesen) sein. aa) „Gottesbeweise“ bezeichnen den wohl weitestreichenden Versuch einer intellektuellen Vereinheitlichung von Diesseits und Jenseits. Ihre Überzeugungskraft mochte immer nur eine begrenzte sein, weshalb sie zu Zeiten aus dem Repertoire kirchlichen Denkens nahezu völlig verschwanden. Doch der nahe liegende, wenn auch allzu kurzatmige Versuch, ihnen im Namen mathematischer Beweisklarheit entgegenzutreten, hat sie nie völlig widerlegen können, erwachsen sie doch aus einer unleugbaren Tatsächlichkeit: aus der Einheit einer menschlichen Persönlichkeit, der eben Denken und Vernunft gerade deshalb mitgegeben sein könnten ins Diesseits, damit sie aus dessen Strukturen ins Jenseits finde. So mag die Überzeugungskraft von „Gottesbeweisen“ zurückgenommen werden, ihre Schlussfolgerungen mögen sich zu Wahrscheinlichkeiten wandeln – gerade darin aber bewegen sie sich in einer ganz neuen Nähe zu eben jenen „exakten Wissenschaften“, die ebenfalls immer häufiger, und je tiefer sie eindringen, auf Unerklärliches stoßen, dieses hinnehmen, weiterdenken und so nicht selten in den Bereich dessen geraten, was nicht mehr Wahrscheinlichkeit, sondern eben doch schon Metaphysik genannt werden kann.

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Damit aber bleibt der alte, gute oder schlechte, Gottesbeweis der thomistischen Scholastik als ein Aufruf – oder eine Versuchung – an ein menschliches Denken, das über ihn nicht nur zur Existenz des anderen Reiches vordringen, sondern dann auch vielleicht gar all dessen Strukturen erkennen zu können glaubt, mit den Augen des Diesseits. Darin aber liegt für die Kirche eine Gefahr: Bei der reinen Feststellung transzendenter Existenz einer anderen Ordnung wird dieses Denken ja nicht stehen bleiben, die historische Erfahrung hat es immer gezeigt. Mit seinen Gottesbeweisen wird der Mensch dann seine Erde in den Himmel tragen wollen, mit all ihren Geboten und Grundüberzeugungen; und er wird aus der Unendlichkeit ein Echo zu hören glauben, das ihm eben dies nicht nur erlaubt, sondern gebietet. Wenn er in einer „durch und durch demokratischen Welt“ aufgewachsen ist und lebt, wird dies auch, mit Selbstverständlichkeit, für ihn die seines Gottes sein, seines Schöpfers. Und nachdem er Überzeugungen seiner Volksgemeinschaft ins Jenseits getragen hat, wird, muss ihm von dort dann sogar eine ganz neue Legitimation für die politischen Herrschaftskräfte seiner diesseitigen Demokratie zurückkommen. All dem muss entschiedener, und hier nun wirklich im besten Sinne protestantischer Widerstand entgegengesetzt werden, jedenfalls dort, wo solche Konstruktionen in einen intellektuellen Demo-Papismus münden müssten. Dies gilt gerade deshalb, weil es ja sogar protestantische Kategorien sind, welche eine solche Einheit von Diesseits und Jenseits begünstigen könnten, paradoxer Weise aus einem Denken heraus, das die intellektuelle Brücke des Gottesbeweises nicht kennen will: Wenn Er der „ganz Andere“ ist und bleibt, einem Menschen gegenüber, der nur sein Diesseits wirklich erkennen kann – könnte es dann nicht sein, liegt es nicht geradezu nahe, legitimierte Strukturen dieser politischen Welt auch noch in Sein Reich übertragen zu wollen, aus ihm wiederum Rechtfertigungen für das Diesseits zu gewinnen, dies alles zwar „nur zu glauben“, dafür aber nur umso fester? Dieser Versuchung sind die evangelischen Kirchen in ihrem Summepiskopat zuzeiten erlegen, in ihren Gemeinden verstärkt sie sich im Namen der politischen Demokratie. Dies führt dann zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass gerade dort, wo der rationale Gottesbeweis aus theologischer Überzeugung abgelehnt wird, weil allein der Glaube erkennen lässt – dass in eben dieser Kirchlichkeit die politischen Tatsachen dieser Welt zum einzigen archimedischen Punkt zu werden scheinen, von dem aus die andere Welt sich erreichen lässt. So erklärt sich die erstaunliche Demokratiebegeisterung gerade in vielen Bereichen des Protestantismus, die missionarische Kraft, mit der von dort aus für die Volksherrschaft geworben wird, im Namen Gottes, nicht nur in Amerika. Alles kirchliche, christliche Denken steht also in dieser Versuchung und Gefahr der rationalen oder glaubensmäßigen Gottesbeweise; ihnen allen ist mit der alten römisch-rechtlichen Weisheit zu entgegnen: qui nimis probat nihil probat.

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Sie suchen das himmlische Reich letztlich eben doch nicht mehr als ein anderes, sie finden es bereits in ihrer diesseitigen Volksherrschaft. Dem ist die Überzeugung von der Andersartigkeit der beiden Reiche entgegenzusetzen, welche sich aus den Irrungen und Wirrungen von Staatskirchentum wie voller Trennung von Kirche und Staat im ersten Hauptteil ergeben hatte, welche nun im zweiten bereits ihre Bestätigung in der Problematik erfährt, allzu leichte, nicht tragende Übergänge finden zu wollen, von Reich zu Reich. Das „Beweisdenken“, in welcher Form immer, muss als Gefahr gesehen werden, es muss ein Ende finden. d) Analogia entis Dies gilt nun aber auch für neuere Versuche, vor allem im Raum der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts, über Vorstellungen von einer großen Analogia entis ein Denken in Gottesbeweisen eben doch in seiner letzten Grundsätzlichkeit zu retten, es in neuer Form fortzusetzen. In deutlich thomistischen Formen wird hier argumentiert, wenn auch in einer nun so weit spiritualisierten Form, dass die üblichen Entgegnungen der „exakten“ Wissenschaften daran vorbeilaufen. Das große, versuchungsreiche Wort der Analogie wird zur geistigen Brücke zwischen den beiden Reichen, und darin leistet es, mit erstaunlicher Überzeugungskraft, weit mehr als so mancher dürre Gottesbeweis. Man bleibt zunächst zwar stehen bei dem Ergebnis der „jenseitigen Existenz“; die Analogie des Seins aber lässt mit ihren Spiegelungen, Spiegelbildern vordringen in diese andere Welt: Diese kann dann ja aufgebaut gesehen werden in einer, wenn auch fernen, aber doch irgendwie fassbaren Ähnlichkeit zu Werten, Geboten, ja zu Strukturen des Diesseits, die sich auch im Gottesreich wieder finden werden, da sie bereits im Diesseits angelegt sind. Hinter einer oft nur äußerlichen Vergeistigung kann sich so ein Denken in klaren Vergleichbarkeiten verbergen, und sie verbinden dann, aus der Gegenwart heraus, vor allem Kirche und Demokratie. All dies mag weithin unausgesprochen bleiben; wer aber in der Kirche, aus ihr heraus die politische Realität sieht und beeinflussen will, in missionarischer, darin doch auch typisch christlicher Bemühung, der wird in dieser Analogie des Seins geistige Brücken finden wollen, deren Tragfähigkeit er nicht anzusprechen braucht. Doch gerade in einer Unaussprechlichkeit, die zur Selbstverständlichkeit wird, gewinnen sie eine Force tranquille, eine mehr als stille: eine ruhige Kraft. Das irdische Staatsrecht stellt dem sogar Denkformen zur Verfügung, welche die Analogia entis legitimieren, sie als eine notwendige Ausdrucksform menschlichen Denkens überhaupt erscheinen lassen. Da ist jene Begrifflichkeit der Analogie als solcher, der soviel an Fortune im juristischen Bereich stets beschieden war. Zu einer Art von Gesetz konnte sie ja werden gerade dort, wo

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letzte Überzeugungskräfte der Gleichheit versagten, wo es galt, diese in Ähnlichkeiten sich nicht verlieren zu lassen – oder sie in solchen eben fortzudenken. Von Analogiebrücken war denn auch in diesem Recht stets die Rede, und eben diese Brücken sind es, über welche noch größere Abgründe überwindbar erscheinen mögen als die zwischen zwei Sachverhalten des realen Lebens und einer Politik, welche sie in gleicher Entscheidung behandelt. Die Analogie im juristischen Denken ist letztlich nichts anderes als eine Form der Fortsetzung eines gesteigerten Gleichheitsdenkens, wie es gerade die Demokratie verlangt: in Analogie wird sie flexibler, weiter, abbildungsstärker gegenüber einer Realität, die sich mit ihren egalitären Ideologismen nicht immer leicht ordnen lässt. Dann kann, muss sie vielleicht sogar mit ihrer Analogie auch den Sprung – oder den langsam-geduldigen Brückenbau – wagen hinüber in die andere Welt. In der Analogie zwischen Demokratie und Kirchlichkeit vollendet sich so das große Weiter- und Hochrechnen des Rechts – seine tagtägliche Operation – hinauf in die ewigen Himmel.

e) Subsidiarität Noch andere, weitreichende, wahrhaft globale Ordnungsvorstellungen werden sichtbar, weitere wahre Brückenbauten, welche Staatsrecht und Theologie, damit Diesseits und Jenseits verbinden, in oft unausgesprochener, aber eben deshalb besonders starker Überzeugungskraft. Genannt sei hier nur jene Subsidiarität, welche heute, als schlagendes Wort, nicht mehr nur als Schlagwort, das gesamte Öffentliche Recht beherrscht, bis hinauf in die normativen Höhen europäischer, ja internationaler Ordnungen. Auch hinter diesem Begriff steht etwas von der großen Analogia entis, aus dem Brückenbegriff der „pyramidalen Stufung“ heraus, den das Staatsrecht schon seit längerem zum Schlüsselbegriff seiner Ordnung hat werden lassen. In der Pyramidalvorstellung bereits liegt ganz wesentlich auch die von einer zwischen Gleichartigkeit und Gleichheit sich bewegenden, ja flutenden Gleichartigkeit, in der das Höhere aus dem Niederen nicht nur erkannt, sondern sogar noch entwickelt werden kann. Das Nachrangige ist dann dem Höheren in Gehorsam unterworfen. Damit kommt es im Denken der Subsidiarität zu einer eigenartig spiritualisierten Vorstellung von der Überordnung des Reiches des Jenseits über die Ordnungen des Diesseits – zugleich aber auch zu einem geistigen Aufbau dieses Jenseits über die Erkenntnisbrücken des kleineren, fassbaren, demokratischen Diesseits. Es wiederholt sich darin die Spannung und Wechselwirkung, welche im weltlichen Recht die Ordnung der Verwaltung und die der Gesetzgebung, ja die des einfachen Gesetzesrechts und des Verfassungsrechts pyramidal verbinden: Aus dem niederrangigen Recht wird inhaltlich „hinaufgerechnet“ in die Höhen des Verfassungsrechts, in „Verfassung nach Gesetz“ – und zugleich kommt aus Grundgesetzen die höhere normative Kraft der Verfassung auf die Ebene des Gesetzes zurück.

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Zwar hat sich die kleinere Einheit einzufügen in den höheren, größeren Zusammenhang, in einen Rahmen, der ihre Zuständigkeiten hält. Zugleich aber muss diese höhere Ordnung auch zurücktreten vor der konkreteren, kleineren, die damit an Wertigkeit gewinnt, vielleicht gar die höhere Ordnung überwindet; das ist die tiefe Ambivalenz des Denkens in Subsidiarität. Bei Übertragung in das Staat-Kirchen-Verhältnis, wie dies ja bei vielen Vertretern solcher Gedanken nahe liegt, muss sich dann zugleich eben doch eine größere Einheit der beiden Reiche denken lassen – und eine erstaunliche aber durchaus realistische Aufwertung von Ordnungen und Geboten dieser Welt, ihrer „kleineren Einheiten“, die als solche gerade in der Demokratie in Erscheinung treten, sie tragen. Dann verdämmert Subsidiaritätsdenken nicht in einer ganz anderen Kirchlichkeit, es kann die Volksherrschaft des Diesseits auf solchen Wegen geradewegs in die kirchliche Ordnung hinein gesehen, ja hinein getragen werden, von dort aus weiter – hinauf . . . Doch auch dieser Versuchung muss widerstanden werden, soweit durch sie der „große Abstand“ der beiden Reiche überwunden werden, ihre Andersartigkeit eben doch aufgehoben werden soll. Denn gerade dies liegt in der Idee der Subsidiarität, in ihrer letzten Konsequenz: dass eine größere, gestufte Ordnung einheitlich entstehe, alle Macht überwölbe, erfasse, diese auf Erden im Namen der Freiheit beschränke. Und selbst wenn dies Letztere einer Kirche gegenüber nicht Aufgabe sein kann – in der Vorstellung allein von einer größeren, einheitlichen Ordnung muss die Andersartigkeit der Reiche letztlich aufgehoben erscheinen. Eine konkrete Gefahr, gerade in Zeiten demokratischer Herrschaft auf Erden, liegt in der notwendigen Vergleichbarkeit, welche ein Subsidiaritätsdenken für verschiedene Stufen und hier also auch für die beiden Reiche stets zugrunde legen wird: Irgendwie müssen sie dann doch, soweit wie möglich, in ihren Organisationsstrukturen wie ihren Geboten, ihren Wertvorstellungen einander angeglichen werden, so wie dies ja auch Viele im Namen der Subsidiarität im weltlichen Bereich fordern; einer „Demokratisierung der Familie“ soll dann, fast notwendig, eine „Demokratisierung der Kirche“ folgen. Folge solcher Vorstellungen, die eben letztlich doch „in Analogie gedacht“ sind, ist eine grundsätzliche Hoch-Wertung der diesseitigen Welt und ihrer Ordnung; denn das Subsidiaritätsdenken geht ja von einem Aufbau der Ordnungen von unten nach oben aus, in welchem sich die übergeordnete Gewalt zurückzuhalten hat gegenüber der nicht so sehr untergeordneten als vielmehr primären der kleineren Einheit. Das Kirchen-Staat-Verhältnis kann so aber nicht gedacht werden. Vielfache Brücken mögen die beiden Reiche in Wertigkeiten verbinden, die ihnen gemeinsam sind; gerade ihre grundsätzliche Verschiedenartigkeit verbietet aber im Letzten ein Denken in Primär- und Sekundärebenen subsidiärer Ordnungen.

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Und ein Letztes noch: Kirche wie Demokratie nehmen in ihrem jeweiligen Herrschaftsbereich nicht nur absolute Macht in Anspruch, sondern jeweils etwas wie das Ziel einer in sich doch „perfekten“, d. h. voll ausgeformten Ordnung, die gerade nicht auf die jeweils andere verweist, aus ihr lebt; soweit ist die Trennung von Kirche und Staat denn doch ein unverlierbares historisches, ein wahrhaft geistiges Erbe. Unvereinbar damit ist die Vorstellung von jenen ineinander sich schiebenden Herrschaftsformen, von denen Subsidiarität ausgeht. So ist denn auch Subsidiarität, diese durchaus irdische, staatsrechtliche Kategorie, nicht als Analogiebrücke geeignet, um Staat-Kirchen-Beziehungen zu erfassen, zu erklären oder gar zu harmonisieren. Ihre Unterschwelligkeit in so manchem Gedanken, der diesem Problemkreis gewidmet ist, muss stets gesehen, es darf ihr aber nicht gefolgt werden.

f) Civitas Dei Bleibt als geistiger Weg vom Diesseits der Demokratie ins Jenseits der Kirche, ein Weg, den ein literarisch wie philosophisch „glückliches Wort“ zu weisen scheint: Civitas Dei. Diese augustinische Idee war der erste große Wurf eines Staatskirchen-Rechts, einer gemeinsamen Sicht der beiden Reiche, die das jenseitige den Bürgern des Diesseits nahe bringen wollte. Dies ist gelungen, aber in einer geschichtlichen Lage, die mit der gegenwärtigen einer der Kirche gegenüberstehenden Demokratie tiefgreifend, wahrhaft grundsätzlich, unvergleichbar ist. Damals war es eine sich auflösende Staatsgewalt des römischen Gesamtreiches, in deren allzu weit gedehnten Rahmen Raum war nicht nur für Teilreiche, bald Königreiche der Einwandernden, sondern auch für immer neue geistige Reiche, unter ihnen für das Mächtigste, das der christlichen Erlösung. Dieses Christentum hatte sich ja bereits in einer einst gewaltigen Staatsordnung und gegen deren immer schwächere Staatsgottheiten siegreich durchgesetzt; nicht nur in der Eidesverweigerung seiner Märtyrer, sondern, weit früher schon, in seinen urchristlichen Gemeindevorstellungen, konnten sich Gesellschaften in der Gesellschaft, wenn nicht bereits Staaten im Staat bilden. Da war denn die augustinische Idee nurmehr eine letzte, höchste geistige Synthese-Form, in der eine weiche Wortwahl Menschen wieder zusammenführte, wie sie der römische Militärstaat nicht mehr zusammenzwingen konnte. Aus der philosophischen Tradition eines popularisierten Platonismus heraus durfte das ideale, das „eigentlich existierende“ Reich seinen Bürgern gezeigt werden – der „wahre Staat“, in und aus den Herzen der Christen. Auf ihn hin haben dann, in etwas wie einer späten eschatologischen Hoffnung, Christen ein ganzes Mittelalter hindurch gelebt und geglaubt, bis zu den eindrucksvollen For-

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men eines vergeistigten Cäsaropapismus – und bis der Staat dieser Welt mit nur allzu oft brutaler Gewalt solche Visionen zerstreuen oder ins Jenseits zurückdrängen konnte. Die heutige, demokratiegeprägte Staats-Kirchen-Situation ist eine völlig andere. Die Reichsgewalt dieser Erde mag sich in der Demokratie zunehmend und grundsätzlich in Frage stellen – zugleich aber perfektioniert sie sich immer weiter und lastender, sucht jeden geistigen Winkel zu besetzen. Sie tritt einer Kirche gegenüber und entgegen, die nicht mehr, wie zu Zeiten des Augustinus, hoffen darf, an der Stelle der zerfallenden römischen Kaisermacht ihr zweites geistiges Rom errichten zu können. Die Demokratie mag eine kirchliche Widerspiegelung in jenem anderen Reich begünstigen, vielleicht gar ihre eigene Ergänzung darin sehen; sie hat aber diese andere Herrschaft auf ihrer Erde nicht nötig, vergleicht man sie mit jenem Zustand, den die Civitas Dei beschreibt. Wer also von solchen Vorstellungen ausgeht – und im kirchlichen Raum sind sie ebenso unverloren wie die Gottesbeweise der thomistischen Scholastik – der muss sich auch hier der Gefahr bewusst sein, dass damit eben doch eine „Einheit der Reiche“ postuliert werden könnte, in welcher das Volk die Macht auch für das Jenseits beansprucht und besetzt; groß ist diese Gefährdung darin, dass einer solchen wahrhaft populistischen Ursupation auch des Jenseits nicht mit griffigen Beweisen entgegengetreten werden könnte. Ein selbstbewusstes Volk würde eben erklären, sein Gottesreich auf Erden, und sei es auch das des Hedonismus der Vielen oder der Tyrannei der Wenigen, sei ihm schon „Reich genug“, in seiner Macht-Realität liege der Beweis für eine Reichs-Existenz im Diesseits wie im Jenseits. So sind denn in der Geschichte, und bis in die Gegenwart hineinwirkend, immer wieder Anstrengungen unternommen worden zu geistigen Brückenbauten zwischen den beiden Reichen, über gemeinsame intellektuelle Kategorien, Erkenntniskräfte – oder auch nur glücklich gewählte harmonisierende Worte. Auch in der Demokratie droht über solchen Brücken aber immer und zu allererst der Marsch der Macht-Legionen dieser Welt, mit ihren kurzen Schwertern und ihrem begrenzten Denken, in die Provinzen des anderen, des kirchlichen, des jenseitigen Reiches. Aufgabe der Gegenwart ist es daher, dessen Andersartigkeit geistig zu befestigen, nicht zuletzt auch mit Kategorien und aus der Sicht des staatsrechtlich geordneten Diesseits. Bisher haben die herkömmlichen Denkkategorien in Kirche wie Staat die langen und gegenläufigen Traditionen der Staats-Kirchen-Beziehungen nicht verlassen, in immer neuen Anstrengungen sind in ihrem Namen Annäherungen versucht worden, die stets von Neuem nur allzu sehr glückten – und eben darin dann scheiterten. Wenn es demgegenüber gerade der große Abstand der Reiche ist, der beide zu Partnern macht, beiden immer neue Kräfte schenkt, so gilt es nun, Denk- und Verhaltensformen

II. Denken „vom Ende her‘‘ – oder „ohne ein Ende‘‘?

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näher zu erfassen, in denen die große Antithese zwischen den Reichen nicht überwunden, sondern partnerschaftlich zusammengeführt werden kann, so wie es im Recht eigentlich das schöne Wort von der Synthese in seinem besten Verständnis fordert.

II. Denken „vom Ende her“ – oder „ohne ein Ende“? „Das Ende“ im Tod ist die einzige absolute Sicherheit des menschlichen Lebens. Die Unsicherheit seiner Eintrittszeit lässt sie zurücktreten, lange Zeit ignorieren, sie hebt sie nicht auf. „Das nicht Endende“, in der Intensität des Augenblicks zunächst, sodann in der entfernten Unsicherheit des Todes, schließlich in einem Denken über ihn hinaus, ist die große Antithese zu dieser rationalen Gewissheit, in einer irrationalen Hoffnung auf Unendlichkeit. Die beiden Reiche, das der Kirche wie die Herrschaft des Volkes, müssen, so scheint es doch, endlich einmal „vom Ende her gedacht“ werden. Hier zu allererst entbinden sich ihre eigentlichen geistigen Kräfte, in der Macht der Blindheit, die das Ende nicht sieht, oder der glaubenden Hoffnung, die es aufzuheben vermag. Hier zu allererst zeigen und entfalten sich die jeweils „ganz anderen Kräfte“, aus denen der eine Mensch zur gleichen Zeit in beiden Reichen leben kann, vielleicht existieren muss. Einer der großen Gedanken Richard Wagners war es, dass er in seinem diesseits- und jenseitsumgreifenden Epos der Nibelungen von Anfang an vom Ende her gedacht hat, komponiert im wahren Sinne eines „alles Zusammenstellens“. „Das Ende . . .“ so tönt es aus dem Munde Wotans, so hört es sich im Heldenmarsch. Hier hat die Musik dem Ende ein unendliches Denkmal gesetzt. In diesem Sinne seien nun die Kirche und das herrschende Volk auf Erden „vom Ende her“ gedacht – und dann „ohne ein Ende“. 1. Der Tod des Menschen – das Weiterleben des Volkes a) Kirche: aus dem Tod lebend Der Tod ist der Augenblick der Kirche, nicht die Geburt. Mit dem Tod beginnt ihr eigentliches Reich, war doch das Diesseits nur Vorspiel, Durchgang. Mit dem Tode setzt die volle Herrschaftsgewalt des anderen Reiches ein, nicht mehr gestört durch Ansprüche, Gebote, Wertungen einer diesseitigen Gewalt. Sie mag von der Geburt her denken, den Zeitpunkt einer vollen oder auch nur abgeschwächt-schutzwürdigen Existenz vor dieser bestimmen – die letzten Augenblicke überlässt sie immer den Vertretern des Jenseits; dann eben kann sie „nichts mehr tun“. In Sakramenten ist aber die alte Kirche ihrem Gläubigen gerade dann erst recht und in ganz neuer Form nahe, die reformatorische Kir-

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che in einem letzten Aufruf zu einem Weg im Glauben. Deshalb ist für das Christentum Ostern mit seinem Karfreitag größer als Weihnachten mit seiner Geburt; hier ist nicht mehr nur Hoffnung auf das Reich des Jenseits, wie in der Krippe, sondern seine volle Realität in Kreuz und Auferstehung, die den Tod überwinden. Wenn Kirchen nicht vom Tode her denken, sondern aus der Geburt heraus, so sterben sie im Denken der Menschen; so glücklich ihr Weihnachten sein mag – als Zentrum des Glaubens wäre es nur eine Versuchung. Alle Macht der Kirche geht vom Tode aus, wie alle Macht der Demokratie vom Willen des in ihrem Rechtsdenken ewig lebenden Volkes. Aus Todeshoffnung, vor allem aber aus Todesangst heraus ist alles Kirchliche gedacht, in ihm unterwirft sich ein ganzes Leben dem Tod. Über die Todesangst der Menschen allein werden die Vertreter der Religionen mächtiger als die stärksten Heere; ihnen und ihren gewaltigen Führern bleibt am Ende auch nur ein „Helm ab zum Gebet“. Die Totenreden französischer Hofprediger, die schauerlichen Todesanrufe Bossuets beugten den Absolutismus eines Sonnenkönigs unter die Macht der Kirche. Da war höchster Triumphalismus des Jenseits-Reiches, gewaltiger und gewaltsamer als sein goldschimmernder Triumph im kirchlichen Barock. All ihre diesseitige Macht hat so die Kirche aus dem Tode gewonnen, all das sogar, worin sie sich, in Organisation und Handlungsformen, dem diesseitigen Reich je nähern konnte: Aus Todesangst und Jenseitshoffnung kamen ihr nicht zuletzt jene Schätze der „toten Hand“, die ihr sogar zur Diesseits-Versuchung wurden und stets von neuem werden. Wenn die Kirche an der Furchtbarkeit des Todes vorbei ihre Feste zelebriert, wenn sie jene auflöst in Hoffnungen auf einen gütigen Gott, so ist ihre ganze Ordnung nichts mehr anderes als eine lex imperfecta, ein Reich ohne Gewalt, ohne Sanktionen – aber nur, weil hinter ihr die größte aller Sanktionen steht: der Tod. Die Kirche denkt, „im Angesicht des Todes“, wie es ein so schönes Wort nennt, welches die Ferne der Ewigkeit der Nähe des ins menschliche Leben hineintretenden Endes gegenüberstellt. Dies bringt einen letzten Ernst in alles kirchliche Denken schon im Diesseits. Sub specie mortis, im Augenblick des Todes wird ein diesseitiges Leben beurteilt, vielleicht auch verurteilt nach seinen Todsünden, bis hin zu den Verfehlungen, welche nie vergeben werden können. Was aus der Sicht des Todes so zur Todsünde hinaufwächst, muss auch im Leben von der Kirche mit aller Kraft von Diesseits und Jenseits bekämpft werden: der Aufruhr gegen den Schöpfer im Sakrileg, die Sünde wider das von ihm geschenkte Leben, die Verführung zu schweren Verfehlungen, welche nicht die Vergebung des Himmels eröffnen, sondern die Pforten der Hölle. Daraus entstehen für die Kirche andere Werte und Bewertungen, Beurteilungen des menschlichen Lebens, als sie das Diesseits kennt, und auch seine Demokratie. Deren

II. Denken „vom Ende her‘‘ – oder „ohne ein Ende‘‘?

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Freiheit, über Skepsis und Agnostizismus bis hin zum militanten Atheismus, darf sub specie mortis schon im Leben mit einem Ernst gesehen, kirchlich beurteilt und verurteilt werden, in welchem jede jenseitige Nachsicht endet. Dies muss einer Staatlichkeit klar sein, die zwar Freiheit schenkt und bewahrt, aber auch noch „die Sünde achtet“, jenseits kirchlicher Beurteilung und Verurteilung. Hier muss sich der Staat zurücknehmen, und möge sein Volk noch so laut schreien, es solle Blut über seine Vielen kommen und deren Kinder. Hier werden nicht nur religiöse Gefühle verletzt, es wird vorbeiregiert, gedankenlos, an (möglichen) Gottesgedanken im Diesseits, es wird gerichtet als könne es einen Ewigen Richter nicht geben – nach dem Tode. So ist denn der Tod ein Wegweiser zur Erkenntnis der Andersartigkeit der beiden Reiche; der Staat muss aber gerade aus ihr heraus die Partnerschaft zum „anderen“ Reich halten, in Rücksicht und Vorsicht gestalten. Die große Andersartigkeit zwischen den beiden Reichen wird deutlich gerade darin, dass die Kirche vom Tode her denkt, der Staat mit seinem demokratischen Volk von dessen ewigem Neuanfang her in Geburt. Doch für die Kirche ist der Tod auch wesentlich ein Neuanfang; mit ihm beginnt ihre Ewigkeit, und sie ist nicht die der „künftigen Generationen“ der Demokratie. Der Tod ist für die Kirche nur der Beginn „ihrer Unendlichkeit“, des Todesübergreifenden, wie sie das Diesseits nicht kennt. In schöner Symbolik drückt dies die Kirche mit Worten aus, welche auch ins staatliche Rechtsdenken Eingang gefunden haben: Sub specie aeternitatis ist alles menschliche Leben stets zu sehen auf dieser Welt, in einer „Sicht“ eben, welche dessen Vorgänge, Aufgaben und Leiden entscheidend relativiert, über den Tod auf die Ewigkeit hin. Dem kann und muss die Kirche mit ihren Geboten, ihren Anrufen, ihren Wertvorstellungen gegenüber dem Menschen, dem einheitlichen Bürger der beiden Reiche, stets treu bleiben. Was im staatlichen Bereich noch so wichtig zu sein scheint, aufgeblasen gewissermaßen in rechtlichen Wertungen, das verliert an Bedeutung entscheidend, es gewinnt jedenfalls ein anderes Gewicht sub specie aeternitatis. Dies ist die Quelle einer eigenartigen kirchlichen Toleranz, welche über Fehlsamkeiten des Diesseits oft in erstaunlicher Leichtigkeit hinweggleitet, die Staatlichkeit in einer aus milder Distanz gesehenen Zweitrangigkeit anschaut, bis in die alte historische Lässigkeit kirchenstaatlichen Regierens hinein. Deshalb kann von dieser Kirche auch nicht die strenge Vollkommenheit staatlicher Macht verlangt werden; sie dürstet nicht nach Blut, sie hat immer die Entschuldigung und Entschuldung der Vergebung bei sich, Pedanterie des Ordnens wird ihr zur Todsünde. Darin ist sie dem Staat nicht nahe, in solchen Konsequenzen darf sie ihn gar nicht verstehen; ja es gibt etwas wie eine eigenartige kirchliche Liberalität im Diesseits, die eben gedacht ist vom Tode her, wiederum sub specie aeternitatis, aus einer Entfernung der Ewigkeit, in deren Sicht vieles – einfach verschwindet; und vielleicht nähert sich darin etwas von dem, was die Kir-

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che die Güte des Herrn nennt. Auch sie, wie alle Ewigkeit, ist für die Kirche ein Geschenk ihres großen Augenblicks – des Todes. b) Der Tod: für den Staat ein Un-Fall Für die Kirche ist der Tod, „ihr eigentlicher Augenblick“, der die Tore ihres Reiches öffnet in Auferstehung, er ist für sie eine schöpferische Zäsur. Für den Staat dagegen bedeutet das Ende eines Bürgers im Grunde nur einen Vorgang, der die Gemeinschaft als solche nicht erschüttert, den sie nur abzuwickeln hat. So nimmt denn auch der Staat dieses Ende, das für ihn stets ein Klein-Ereignis bleibt, nur mit mäßigem Interesse zur Kenntnis, in der Abwicklung eines Rechtssubjekts. Für die Demokratie bedeutet es noch weit weniger als zu feudalen Zeiten. Seinerzeit war immerhin das Staatsbegräbnis ein staatsgründender Vorgang in einem „Le Roi est mort – Vive le Roi!“, hier wurde etwas wie eine Unendlichkeit auf Erden fortzusetzen versucht, in deutlicher diesseitiger Analogie zu kirchlichem Denken. Das demokratische Staatsbegräbnis – in aller Regel ein Zufall, allenfalls noch eine Belohnung, in beidem wenig demokratisch gedacht – hat sich eine solche Majestät nicht zu erhalten vermocht. Hier tritt nurmehr der Theater-Aspekt hervor, er soll allenfalls noch moralisierend wirken auf eine zuschauende Bürgerschaft, die aber meist nur mehr auf lebende Politiker blickt und deren Profilierung. Im Übrigen stirbt da eben ein Bürger, einer von unendlich vielen Gleichen, ihnen gleich im Augenblick des Todes vor allem in seiner Bedeutungslosigkeit. Das Bestattungswesen der Demokratie ist noch weit einfacher als das früherer Zeiten, auf welcher sozialen Ebene immer, hier kann sich ihr Antitriumphalismus voll ausleben, auf ihre Grabsteine wird nichts mehr anderes geschrieben als namenlose Namen. Was dann geschieht, sind eben nur rechtliche Abwicklungen eines Rechtssubjekts, notarielle Überleitungen, die möglichst wenig Aufsehen erregen sollen, deshalb unter dem verfassungsgarantierten Grundsatz des Fortlebens des Erblassers stehen. Mit dem Jenseits der Kirche hat das alles nichts zu tun; für den Staat ist der Erblasser „einfach nur tot“, gerade weil „seine Rechtspersönlichkeit durch Lebende fortgesetzt“ wird, nicht zur größeren Ehre, sondern zur kleineren Mühe der Staatsgewalten. Alle verfassungsrechtlichen Versuche, früher schon im Erbrecht unternommen, in solchen Kontinuitäten Ähnlichkeiten zum Jenseits der Kirche zu entdecken, gehen fehl; hier wird immer nur ein Ende „besiegelt“ mit staatlicher Hoheit, vom Totenschein zum Erbschein. Zunächst einmal ist das Ableben – ein typisch staatlicher Ausdruck – für das Reich dieser Welt ein Un-Fall in einem tieferen Wortsinn: ein Fall, von dem sich eben dieses kleine staatliche Bürger-Diesseits nicht mehr erholt, der als solcher aber auch im staatlichen Recht „hinweggedacht wird“, eben als Un-Fall, nachdem es ihn schließlich gegeben hat. Der Staat hatte ihn nie im Auge und muss daher versuchen, seine Reste möglichst rasch zu beseitigen. Alle seine sämtlich dem

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Tode geweihten Bürger sind ja seine Souveränitätsträger bis zum letzten Augenblick, in einem Wahlrecht, das sie noch auf dem Sterbebett ausüben können, von dem aus sie eifrige Wahlhelfer noch einmal gewissermaßen „vom Tod (der Kirche) ins Leben (der Demokratie und ihrer Wahl) zerren“. Dass der Tod gerade dann, wenn es ein Leben nach ihm nicht geben sollte, wenn die Erkenntnisfreiheit des Menschen schon zu diesem Ergebnis kommt, eigentlich auch für den Staat ein „besonders wichtiger Fall“ sein sollte, dass der Abschied von diesem Bürger, der wenn nicht ein A-Dieu, dann doch jedenfalls eine Trennung auf ewig ist, gerade in einer streng von der Kirche getrennten Demokratie etwas sein sollte wie ein Staats-Fall, wenn schon nicht ein Staats-Akt – all diesen Gedanken sollte sich gerade die Volksherrschaft nähern, doch sie banalisiert dieses Ende immer noch mehr. Gerade demokratische Staatsgewalt bemüht sich eher, und dies auf vielen Wegen und zunehmend, die Endlichkeit des Lebens zu betonen, es von möglichen auch nur Annäherungen zu Jenseits-Dimensionen abzuschneiden. Nur zwei Beispiele seien hier genannt: – Erbschaft könnte ein fernes diesseitiges Abbild zu einem Weiterleben nach dem Tode sein. Im Namen ihrer durch und durch irdisch gedachten Egalität blickt jedoch die Volksherrschaft von jeher misstrauisch auf eine solche Kontinuität von Vermögensgrundlagen, in welchen sich ein menschliches Leben, betrachtet sub specie unitatis vitae, fortsetzt, in Möglichkeiten für den Erben. Da greift die Besteuerungsgewalt ein im Namen der Chancengleichheit eines immer neuen beruflichen, menschlichen Beginnens, das insoweit abgeschnitten wird von seinen verwandtschaftlichen Ursprüngen, aus denen heraus sich der Mensch doch in der Endlosigkeit der Genentwicklung fortsetzt. Diese Gen-Kontinuität wird gerade in einer geschichtlichen Epoche voll erkannt, welche sich zugleich aufmacht, von Menschen geschaffene, durch diese Gene hervorgebrachte materielle Lebensgrundlagen wenigstens teilweise abzubrechen, zu unterbrechen in ihrem Weiterwirken. Endziel eines konsequenten Erbschaftsentzugs wäre dann, es solle der Mensch eben nichts mehr anderes erben dürfen als diese Gene, bis auch hier über Genmanipulationen die volle, demokratische Gleichheit hergestellt werden kann. Diese Gen-Kontinuität überdauert ja in der Tat den Tod, wenn auch unbewusst. Die materielle Erbschaft aber, in der sich doch so viele Hoffnungen fortsetzen, damit durchaus auch so viel Menschliches – sie soll voll nicht überdauern, Menschliches nicht weitertragen dürfen, menschliche Leistung, Anstrengung, menschliches Glück, menschliche Freiheit – wie die Gene des Menschen. Hier sollte der Staat lernen, anders und vom Tode her zu denken, ein kleines Wenig nur näher an kirchlichen Ewigkeitsvorstellungen. – In etwas ganz anderem noch ist gerade der demokratische Staat unterwegs, diesmal sogar im Namen seiner Freiheit, von einer von lebenden Menschen

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angestoßenen Kontinuität zu einer im Namen von eben diesen menschlichen Wesen entschiedenen menschlichen Diskontinuität: in der Beendigung ungeborenen Lebens; und hier denkt er, auf seine Art, „vom Tode her“ – nicht aber um ihn, wie die Kirche, zu überwinden, sondern um ihn aufzuzwingen. Etwas wie ein letzter Todesschauer umgibt allerdings, auch in jener Demokratie, welche hier ihre Freiheit zuhöchst steigern will, diese Verdiesseitigung des beginnenden Lebens, in seiner gewaltsamen Beendigung. In der Aufhebung der Todesstrafe hat die Demokratie einen großen Sieg feiern können, in dem sie sich der Kirchlichkeit entscheidend genähert hat: Sie überlässt deren unsichtbarem Herrn die Beendigung des Lebens. Und zugleich hält sie sich für berechtigt, eine unendlich viel größere Zahl von menschlichen Leben auslöschen zu lassen, am Ende wohl mehr als die Gewalt von Kriegen sie vernichten könnte, im Namen der Freiheit der Mütter, über ihr diesseitiges Leben zu bestimmen. Hier wird wohl immer ein schlechtes Gewissen die Volksherrschaft begleiten. Sie tötet damit ja einen künftigen Bürger, einen Träger ihrer Souveränität. Ihr Recht „definiert ihn weg“ als noch nicht „unbedingt lebend, lebensfähig“, vielleicht bald „lebensunwert . . .“ Damit unterbricht die Demokratie den einzigen Strom, der sie, die Staatsform nicht der Vielen, sondern eben doch der vielen Menschen, in eine Dimension der Ewigkeit, weil Unendlichkeit hinauf hebt. Es wirkt ein freiheitlich-demokratisches rechtliches Wegdefinieren des Todes, an dem das Volk hier vorbei sieht, weil Gen und Gen-Verbindung, die es doch so genau erforscht, eben noch nicht von Anfang an Menschsein bedeute. Darin entfernt sich die Demokratie von allen Grundvorstellungen der Kirche, von Tod und Ewigkeit. Wenn es etwas wie eine Partnerschaft geben kann, geben muss im Namen des einen Bürgers der beiden Reiche, im Namen seines Endes, das seine einzige Gewissheit ist, welche beide Imperien trägt und prägt – dann muss sich die Volksherrschaft in diesen beiden Bereichen der Ewigkeit weiter öffnen als bisher, mag sie diese auch nur Kontinuität nennen: dem Weiterleben ihrer Bürger und damit letztlich auch ihrer Bürgerschaft. Andernfalls kann es sonst hier eine Partnerschaft nie geben, nur Todsünden und deren Verurteilung im Namen des Jenseits. Die Demokratie sollte damit schon aus einem fundamentalen Selbstverständnis ihrer Staatsform heraus zu kirchennäheren Vorstellungen vordringen: Sie ist die Staatsform des Rationalismus und damit auch die des letztlich noch nicht Erkannten, des Unerkannten schlechthin. Allenfalls weiß sie heute noch nicht, vielleicht wird sie nie auf dieser Erde erkennen können, welche un-endliche Kontinuität das menschliche Leben bedeutet, welchen Stellenwert in ihm der Tod einnimmt. Vor dieser Unerkennbarkeit allein schon sollte sie mit ihren allzu wissenden Versuchen kapitulieren, zu dekretieren, was menschliches Leben ist, wann es wirklich beginnt und endet. Und nicht zuletzt war es ja auch die

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große Leugnung des Eigentums und des Erbens, den die Kirche nicht hinnehmen konnte, weil er das Ende bedeutete für menschliches freies Handeln, für ein Verhalten, das sich am Ende Ewigkeit verdient. In diesem wirtschaftlichen Bereich mag die Kirche, im Namen sozialer Gerechtigkeit, wie immer sie diese nun verstehen darf, der Verteilungs-Demokratie weiter entgegenkommen als in Fragen der Definition menschlicher Existenz. Doch auch der Kirche muss bewusst bleiben, dass im Eigenen, Vererblichen, wie in der Zeugung etwas mitund weitergegeben wird, und dass daher auch hier etwas vom unantastbaren Wesen des Menschen aus der Sicht des Todes erkennbar wird: in der verbindenden Liebe wie in den unendlich vielen letzten Augenblicken der Menschen, welche ihr Gut, damit ihr Leben, weitergeben wollen, darin gerade Gutes tun. Der Staat muss in Partnerschaft zu den Kirchen sich weit mehr als bisher dem Tod öffnen und all seinen Fragen zu Ende und Neubeginn, denen der Möglichkeit auch nur eines Fortlebens in einem anderen Reich. So wird Andersartigkeit zum Weg. 2. Kirchliches „Denken aus Unendlichkeit“ – Demokratie im ständigen Wandel a) Religion: ein Denken in Unendlichkeit Religiöse Vorstellungen kommen wesentlich aus einem „Denken in Unendlichkeit“. Diese mag auch verstanden werden als ein ständig sich wiederholender Wandel; für die monotheistischen Religionen ist das Unendliche jedoch wesentlich eine Einbahnstraße in einen Zustand hinein, welcher als solcher un-endlich gesetzt wird, in Nähe oder Ferne zu Gott. Entscheidend ist dabei nicht, ob diese Unendlichkeit als eine Existenz erscheint, die einheitlich fortdauert („in aeternum“), oder als eine Abfolge diesseitiger Zeitabschnitte, die sich in Unabsehbarkeit verliert („in saecula saeculorum“). Notwendig muss ja auch in der Theologie gedacht werden in Kategorien diesseitiger Menschlichkeit, selbst wenn wesentlich Transzendentes ausgedrückt werden soll. Nur aus einer solchen Begrifflichkeit heraus können dann auch Beziehungen über das Recht zum Staat und seiner Form hergestellt werden. Eine solche Unendlichkeit, wie immer im Einzelnen vorgestellt, kann in irdisch fassbarer Begrifflichkeit nur ein Doppeltes beinhalten: einerseits wird darin die Vorstellung von einem „Ende“ völlig ausgeblendet aus dem Denken, das Reich des Jenseits kennt ein solches nicht, in ihm sind endgültig – eine hier erstaunliche Wort-Paradoxie – Sterben und Tod überwunden; Christi Auferstehung war dafür nur ein Vor-Zeichen im Diesseits. Zum anderen – und dies wird nur selten deutlich – liegt darin aber auch die Idee einer letzten Unwandelbarkeit eines jenseitigen Zustandes. Letztlich ist dies auch eine Überzeugung von Religionen, welche „ewige Wiederholungen“ erwarten lassen; auch nach ihnen

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ändert sich die „große Wellenlage“ als solche nicht, mögen auch innerhalb von ihr ständige, aber eben immer wieder vergleichbare Bewegungen ablaufen. Die monotheistischen Religionen bieten ihren Gläubigen wenig Erwartung von dem, was in jener unendlichen Ewigkeit geschehen soll: Die dauernde Pein in Gottesferne erscheint hier ebenso unveränderlich wie das Glück der Auserwählten. Stets ist also in dieser Ewigkeit Unwandelbarkeit nicht nur mitgedacht, sondern zentraler Vorstellungsinhalt. Wenn nun aber die Kirche schon in dieser Welt ein solches Reich des Jenseits vor-stellt, auf dieses hin allein lebt und zu leben lehrt, so muss ihr selbst doch, als solcher, etwas wie eine ganz große Kontinuität wesentlich sein. Von ihren Gläubigen wie vom Staat muss sie dann notwendig erwarten, dass diese Unwandelbarkeit im Diesseits hingenommen, geachtet werde, nur darin ist sie auch mit dem Staat und seinem Recht kontaktfähig. Dies ist denn auch der tiefere Sinn des bereits angesprochenen, wesentlich kirchlichen Sehens „sub specie aeternitatis“: nicht nur, dass alles irdische Geschehen darin relativiert werde, kleiner im unendlichen Blick, sondern dass seine Wandlungen verschwinden in einer Kontinuität, welche sich zur Konstanz steigert. Dies ist auch der Sinn des Bildes der auf einem Felsen errichteten Kirche: Es soll nicht nur die Stärke, die Unüberwindlichkeit gegenüber den Pforten der Hölle darstellen; diese Stärke liegt vor allem in der Festigkeit einer unwandelbaren Wahrheit. So muss denn alle Kirchlichkeit mit selbstverständlicher Notwendigkeit die Unwandelbarkeit ihrer Grundüberzeugungen nicht nur irgendwie betonen, sondern um jeden Preis, eben den der eigenen Existenz, halten und verteidigen. Die katholische Kirche mag dies in der Unaufhebbarkeit ihrer Dogmen und Moralentscheidungen, aus der sie die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes ableitet, besonders deutlich ausgesprochen und hoch gesteigert haben; letztlich ist diese Überzeugung aber die Grundlage jeder Kirche: Ihr Reich des Jenseits wird nicht enden; seine Grund-Strukturen sind als Wahrheiten unverbrüchlich. Solange es Menschen auf dieser Erde gibt, können sie sich nur auf diesem Weg dem jenseitigen Reich nähern, schon im Diesseits dessen Bürger sein. Eine solche innere, wesentliche Kontinuitätsprägung aller Kirchlichkeit mag bei ihr gewisse Wandlungen nicht ausschließen, in Kontakten mit der diesseitigen Welt und ihrer Macht; kaum je wird sich auch in ihr das Unabänderliche in voller Klarheit von dem trennen lassen, was den Änderungen des Diesseits folgen, ihnen unterworfen unterbleiben muss. Doch die Kirche hat nicht nur notwendig die letzte Kompetenz-Kompetenz in Anspruch zu nehmen für diese Abgrenzung, zu jeder Zeit, sie muss auch alle ihre Überzeugungen stets auf ihre Wandelbarkeit oder Unverbrüchlichkeit prüfen, und dies schafft eine Grundstimmung einer virtuellen, einer immerhin möglichen Konstanz, welche allem Kirchlichen zugrunde liegt; schließlich ist dies ja die große, die einzige Legitimation jenes Reiches.

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Dies nun ist gegenüberzustellen den Endlichkeits- und Wandelbarkeitsvorstellungen des Staatsrechts, vor allem in der Demokratie. Eingangs war zwar von den Absolutheitsansprüchen der Herrschaft beider Reiche die Rede, welche aufeinander treffen; hier ist hinzuzufügen, dass es auch eine andere Antithetik gibt zwischen ihnen: die eines demokratischen Relativismus in ständigem Wandel – gegenüber einer ewigkeitsverpflichteten Kirchlichkeit.

b) Demokratie: Staatsform des Wandels aa) Wie jede Staatsform steht auch die Demokratie grundsätzlich durchaus in einer Un-Endlichkeitsdimension. Schon der Staat als solcher ist „endlos gedacht“; dies ist ja der Sinn der Staatsformen, ihres Heraufkommens und Vergehens, dass ihr Substrat, Staatsorganisation und Staatsgewalt als solche, in immer neuem Gewande erscheinen, in der Substanz aber bleiben. Der Staat als solcher ist unsterblich in der Idee, in der Wirklichkeit ist der „Staatskonkurs“ eine so seltene Erscheinung, dass sie nur das Fortdauern der Rechtspersönlichkeit bestätigt. Für die Volksherrschaft gilt all dies nicht „auch“, sondern „erst recht“. Sie ist historisch im Namen dieser Staatsidee, wenn nicht geradezu mit ihr entstanden, sie hat den Staat als personifiziertes Gemeinwesen aus der Aneignung durch den absoluten Herrscher herausgeführt und durch ihren Souverän übernommen. Dieser, das „Volk“, ist als solcher unsterblich – so sah es jedenfalls nicht nur ein völkisch-patriotischer Nationalismus, für den galt „Deutschland soll leben, auch wenn wir sterben müssen“. Die Volkssouveränität als solche war stets als eine unsterbliche gedacht; den Monarchen konnte man töten, ein Volk nicht erschlagen, daraus zog die Staatsform geradezu wahrhaft übermenschliche Kräfte faktischer Legitimation. Vielfältige historische Erscheinungen von Volks-Zerstörungen mahnen zwar den demokratischen Volkssouverän immer wieder an das drohende Ende auch seiner Existenz, nicht nur seiner Macht: Genozide, Massenvertreibungen und physisches Aussterben, Volksauswechslung, „einfach“ in Immigration. Gerade die Gegenwart weckt dies als reale Ängste. Doch der Volkssouverän beruhigt sich selbst: Genügt es nicht, Vertreibungen rechtlich zu ächten, Volks-Auswechslungen juristisch zu ignorieren, da sie sich doch ohnehin nicht mit juristischer Präzision feststellen lassen, in ihrer langdauernden „weichen Landung“? Bleibt also hinter all dem nicht doch das unsterbliche Volk, die unaufhebbare Demokratie in ihrem Selbstwertgefühl als die beste der möglichen Staatsformen, die schon deshalb nicht sterben darf, und wenn sie es auch könnte? Etwas wie ein geradezu kirchlicher Auferstehungsglaube ist dieser Staatsform doch eingepflanzt: Sie wird eines Tages, davon sind ihre Anhänger überzeugt, stets wiederkehren, mögen noch so viele Gewaltmenschen ihre endlose Dauer kurzzeitig unterbrechen.

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Von ganz anderem Wesen ist diese Volksherrschaft als alle Feudalregime vor ihr, sub specie aeternitatis jedenfalls betrachtet: Jene strebten Unendlichkeit an in der physischen Fortpflanzung der Familie, welche sie, wo nötig, durch Adoptionen stützten, wenn auch nur fiktiv und unter deutlichem Legitimationsverlust, denn eine Familien-Unendlichkeit, vergleichbar der eines Volkes, konnte und kann es eben doch nie geben; und in Feudalregimen gerät, trotz aller Beteuerungen der Konstanz, der Staat schon durch das Sterben der Herrschenden in Todesgefahr. Das physische Ende, das für die Kirche, wie dargestellt, von derart existenzieller Bedeutung ist, schlägt hier auf die Staatlichkeit durch, mag diese es noch so angestrengt durch Kontinuitätsproklamationen wegfingieren. Solche Gefahren sind dem Volkssouverän jedenfalls unbekannt. Kommt er darin nicht einer endlos gedachten Kirchlichkeit näher als jeder andere Herrschaftsträger? bb) Diese Kontinuitätsnähe der Volksherrschaft verstärkt sich noch, so scheint es, in der Geltungskonstanz einer Rechtsordnung, welche für die Demokratie von einer ganz anderen, staatskonstituierenden Bedeutung ist als in allen personallegitimierten Regimen. Die Gesetze sind es ja, welche nun regieren, nicht mehr sterbliche Könige. In ihrer Geltung sind die Normen wesentlich end-los gedacht, dies haben ihnen jedenfalls die Ursprünge normativen Denkens stets mitgeben wollen: ihre Tafeln kamen vom Himmel auf den Sinai, vom Delphischen Orakel, sie begegneten als jenseitige Gestalten dem Sokrates vor seinem Tod, sie entfalteten sich selbst in der säkularen Jurisprudenz des römischen Militär- und Staatsrealismus in einer Endgültigkeit – und damit eben Unendlichkeit – welche ihr Corpus iuris zur ratio scripta werden ließ. Mehr als ein Hauch von Ewigkeit umgab stets die Normen und ihre Geltung; und die Möglichkeit einer Aufhebung, einer Beendigung ihres „Lebens durch Geltung“ ändert daran grundsätzlich solange nichts, wie die Möglichkeit des Sterbens eben noch nicht der Tod ist. Das Rechtsdenken der Demokratie ist letztlich ein Normdenken und es kann nur das sein, denn darin allein wird der unsichtbare und doch so reale Volkssouverän als Handelnder fassbar. Aus dieser unendlich gedachten Normativität heraus zieht diese Staatsform eine prinzipielle Legitimation, welche ihr Reich dem der Kirche nahe zu bringen scheint. Dem steht nicht entgegen, dass diese Normenwelt im Einzelnen durchaus „endlich gedacht“ ist, dass sich dies allenthalben und unablässig in Versuchen zeigt, Begriffsklarheiten zu schaffen, darin begrenzt, fassbar – eben endlich zu denken. Dass es den „unendlichen Begriff“ nicht geben soll in einer solchen Ordnung, dass er jedenfalls seltene und problematische Ausnahme bleibt – das ändert nichts am Unendlichkeitsanspruch dieses Rechts als solchen, mit dem die Demokratie aber lebt und eben – nicht stirbt. Mögen also die einzelnen Gesetze und ihre Bestimmungen noch so häufig, so weitgehend geändert werden – die Ordnung als solche rührt dies nicht, sie bleibt, „unendlich gedacht“, über all dem stehen, oder wie es ein staatsrechtliches Bild auszudrücken versucht: aufgehängt. Und diese höhere Befestigung

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symbolisiert nicht nur, sie zeigt jene Dauer-Vorstellung, aus welcher heraus der Verfassungsstaat konzipiert ist: seine höheren Normen sind auch zugleich die länger, grundsätzlich dauernden. Erschwerte Abänderbarkeit ist hier nichts anderes als ein Bekenntnis zum grundsätzlichen normativen Überleben in Geltung, zu einem normativen Tod, der seltene Ausnahme bleiben soll, eigentlich nie „mitgedacht“ ist. Im Letzten mündet dies dann in die Ewigkeitsvorstellung der unabänderlichen Verfassungsnormen, einer geradezu notwendigen normativen Endvorstellung der Demokratie. Mit solchen Ewigkeitsnormen der Unabänderlichkeit der Staatsform wollte sie die fürstliche Souveränität ablösen – eben „auf immer“. Aus ihrer naturrechtlichen Freiheitsbegeisterung heraus wurde dem dann die Ewigkeitsverbürgung der innersten Grundrechts-Kerne hinzugefügt. In all dem wächst die Demokratie geradezu in ihre eigene Unendlichkeit der Rechtsgeltung hinein. Ihre Legisten mögen daran vorbei- oder darüber hinwegsehen, wenn sie ihr tagtägliches Normanwendungs- und -änderungswerk fortführen; doch dies geschieht in einer rechtlichen Sicherheit, wie sie das normative Weiterleben der Gesamtordnung verspricht, und diese ist eben doch sicher aufgehängt in letzten juristischen Unendlichkeiten. Die Kirchen haben ebenfalls diesen grundsätzlichen und letzten Unendlichkeitsanspruch des Rechts und seiner Geltung erkannt und in ihre Legitimation einbezogen. In seinem Namen kann es ein „göttliches Recht“ geben, über dieses wird geradezu der große Unendliche bereits im Diesseits erkennbar, wenn auch berührbar nur am letzten Saum seines Kleides. Sind also die beiden Reiche sich nicht darin bereits nahe, dass sie beide das Recht kennen und seine unendliche Geltung, beide auf ihm beruhen, tönt nicht aus der Vox Populi wie aus der Vox Dei gemeinsame Unendlichkeit? cc) Doch gerade aus der Sicht des Un-Endbaren drängt sich die demokratische Antithese auf zur göttlich-kirchlichen Endlosigkeit des Denkens. In seinem Willen, in seinem Handeln ist der Volkssouverän wesentlich „tagtäglich“ gedacht, in seiner letzten Grundsätzlichkeit sogar. Hier kehrt sich das Horaz-Wort, quid cras futurum sit fuge quaerere, von der Zukunft in die Vergangenheit: was gestern war, braucht den Volkssouverän nicht zu kümmern; sein Wille tritt hervor im pébiscite de tous les jours. Die Vitalität des Volkes kommt daraus, dass es täglich ein neuer Souverän ist, zu dessen Disposition alles bisherige, vor allem alles seitherige Recht steht. Real-praktisch wie geistig-grundsätzlich ist die Legitimation der Demokratie aus dieser ihrer ständigen, vergangenheitslosen Dynamik stärker als die aus der Konstanz des Volkssubstrats; und jene Dynamik bedeutet den Willen zu täglichem Neubeginn, zu einer Traditionalität, die sich in diesem formalen Vorgang erschöpft, nicht ins Inhaltliche hinein fortsetzt. Nirgends wird denn auch das Wort vom Wandel häufiger gebraucht als unter gegenwärtiger Volksherrschaft, gezielt auf das „ganz Neue“ der eigenen Ände-

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rungswünsche hin, oder bereits in einer Leichtfertigkeit gedankenloser Selbstverständlichkeit. Die Rechtsgelehrten der Volksherrschaft wandeln sich zu Wandlungsdogmatikern, sie huldigen in systematisierender Freude der aufwühlenden, überspülenden Dynamik, im Großen wie im Kleinsten ihrer ständigen Rechtsreparaturen. Und da mag Unendlichkeit noch begegnen in einer Fortschrittshoffnung, welche allenthalben in Einbahnstraßen fahren lässt, Cassandrarufe überhört. Von einer „festen Unendlichkeit“ her, wie sie kirchliche Vorstellungen prägt, wird hier aber nicht gedacht. Allenthalben gewinnt Diesseitiges, wesentlich Endliches, Sterbliches die Oberhand, Derartiges ist „abzubilden“ in der Rechtsordnung und von ihr. Die Demokratie erschöpft sich geradezu weithin in einem großen Adaptierungsbemühen, das „die Wirklichkeit abbilden“, keinen größeren Abstand zu einer Realität zulassen will, in der aber ständig, sekündlich gestorben wird und geboren. Das „ganz Neue“ weckt hier nicht Ängste, sondern Hoffnungen. Die Demokratie darf mit dem Wotan der Walküre sprechen, ihr Sinn trachte nach dem, was noch nie sich traf – dies sind nicht Worte eines christlichen Gottes, eines Schöpfers der monotheistischen Religionen. Fast mag es gar scheinen, als sei der Träger der Souveränität selbst, das Volk, nichts anderes als ein Organ, ja ein Medium, über welches dieses dauernde Entstehen und Vergehen die Menschen erreicht, einigermaßen geordnet, darin aber erst recht erkennbar, erfassbar. Dann aber bedeutet „Volk“ selbst als solches nicht „Konstanz“, sondern wiederum nur Wandel, Absage an jede Un-Endlichkeit. Die Demokratie tritt dann auch nicht mit einer aus Veränderlichkeit kommenden Bescheidenheit dem Reich des Jenseits gegenüber – oder hinter dieses zurück. Sie kennt, beherrscht, ordnet das in Augenblicken schäumende Leben in einer politischen Begeisterung, welche stets kurzatmig bleiben, un-endliche Festigkeit von Inhalten, von Werten gar nicht kennen darf. Demokratie als „Wandel-Halle“ in jedem Wortssinn, auch in dem einer „Lobby der Realitäten“: wie fügt sich ein solches Denken zu den Unendlichkeitsvorstellungen von Gott und Kirche, oder gar in sie?

c) Begegnung und Versöhnung in einem „vorläufig Endgültigen“ Die Antithese der beiden Reiche ist hier, sub specie aeternitatis, unaufhebbar, aber nicht unüberbrückbar. Brücken werden immer wieder einbrechen, doch es kann, es muss an ihnen ständig gebaut werden – eben deshalb. Das bereits staatsrechtliche Wort von der „Ausstrahlung“ kommt gerade hier zu seinem Recht. aa) Die Kirche lernt vom Staat, von der Demokratie, ihr Gott ist bereit, von seinen Geschöpfen zu lernen. Relativierung ist seit langem eine legitime Denkform auch in Theologie und Kirche. Einem durchgehenden Relativismus kann sie zwar nicht huldigen, er würde all ihre Werte bis ins Letzte aufheben – sie

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selbst. Doch zwischen einer solchen Haltung und Relativierungen, welche Werte und Kerne erhalten und damit gerade schützen, ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied: Das Wort Relativierung soll ja „Bezüglichkeiten“ berücksichtigen, damit aber absolute Werte und Wahrheiten, wie die Kirche sie vertritt, in die jeweiligen Räume des Diesseits stellen, sie in diese einbinden und damit befestigen. In der Exegese der Schrift ist dies längst geschehen, mehr oder minder allenthalben. Altes wie Neues Testament können nur verstanden werden als Worte in jenen Zeiten, sie bedürfen immer der Übersetzung in eine Gegenwart. Die größte Aufgabe der Kirche lag stets darin, Inhalte zu trennen von Geltungen, beides dann aber doch wieder in einer relativen Geltung zu verbinden. Hier gewinnt die Anknüpfung an Früheres und Bisheriges entscheidendes Gewicht: in Abständen darf dabei gedacht werden, nicht in Antithesen. Derartiges ist aber auch staatsrechtlichem Denken nicht fremd; wenn nicht in seiner Theorie, so doch in seiner Praxis pflegt jenes gerade in der Demokratie eine oft erstaunliche Kontinuität im Grundsätzlichen, welche durch die ständigen, kleinen, oft nervösen Rechtsschwankungen im Einzelnen überdeckt, ja nicht selten geradezu gerechtfertigt werden soll. Dass die Kirche ihre Traditionalität sich stets bewahrt, sie höher stellt als die dynamische Volksherrschaft, bricht Beziehungen zwischen den Reichen noch nicht ab. Die Kirche ist zwar kein Raum der Revolutionen, über Reformen und Reformationen darf sie nie hinausgehen. Reformierbar muss sie aber stets bleiben, diese Mahnung kommt ihr deutlich aus einer dynamischen Volkssouveränität, welche all ihre Ordnung unter die Vorläufigkeit jederzeitiger Abänderung stellt. Aufgabe der Kirchenpolitik in dieser Staatsform ist es, mit ihrem Wandel der Kirche Relativierungsräume aufzuzeigen, welche auch in ihr Reich hineinreichen, auch ihr ParallelAufgaben in Partnerschaft stellen. Praktisch ergibt sich daraus für die Kirche oft die Notwendigkeit einer gewissen Zeitverzögerung, mit der sie sich dem Wandel stellt. Die experimentierende Demokratie, die laufend auch ihre Versuche immer wieder rückgängig macht, ist als solche kein Modell für eine vergleichbare kirchliche Dynamik. Die Kirche darf und muss so oft zunächst abwarten, demokratischen Vor-Lauf ablaufen lassen, sie wird sich dann diesem Vorläufigen oft spät, jedenfalls immer in Vorsicht nur öffnen. Demokratie mit ihrer Vox Populi ist in diesem Sinn geradezu ein Pionier kirchlichen Bemühens, das ihr aber nie in Atemlosigkeit nachfolgen kann, weil es stets „unendlich gedacht“ bleiben, sich einen Kern erhalten muss, der auch aus der Sicht des Unendlichen noch erkennbar bleibt. Damit gerät die Kirche, andererseits, nicht selten in eine Reaktivität, welche ihr zur geistigen Gefahr wird. Lange Jahrhunderte hindurch war sie es, welche neue Fakten, politisch, vor allem aber sozial, hervorbrachte, den „weltlichen Arm“ nachzog zu ihrer Bewältigung. Seit Reformation und Gegenreformation nimmt diese schöpferische Kraft – niemand wird es leugnen – ständig ab. Ver-

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suche einer Neubelebung haben zu Zeiten bedeutsame Anstöße gebracht, wie die katholische Soziallehre zeigt; doch immer wieder drohen sie zu versanden durch die heranstürmenden Wellen der Experimental-Demokratie und ihrer unendlich vielen kleinen Endlichkeiten. Vielleicht ist es ein Schicksal der Kirche in der Gegenwart, sich demgegenüber in einer letzten Ruhe, wenn auch Offenheit, doch einzurichten in einer Reaktivität, die dann nicht als geistige Gefahr, sondern als Chance begriffen wird: Warum sollte auch politische Demokratie, sollten ihre Bürger, die Menschen, nicht der Kirche immer wieder jene viel berufenen Fragen stellen, auf welche dann in einer Ruhe überdauernder, unendlicher Werte Antworten kommen? Warum sollte die Kirche nicht auch hier in all diesen Fragen eine Vorläufigkeit – weil eben noch unbestimmte Wandelbarkeit – alles Irdischen erkennen und einbeziehen dürfen, auf das sie dann nicht mehr geben kann als eine vorläufig-endgültige Antwort? Das Unendliche ist groß genug, sich dem Endlichen zu öffnen, sich mit ihm zu versöhnen, denn es besteht letztlich wenn nicht aus ihm, so doch auch in ihm. Mehr Offenheit erwartet die Gegenwart von der Kirche, auch und gerade für ihre unruhigen demokratischen Bewegungen; doch für die Kirche darf dies alles „vorläufig“ bleiben, ein Vor-Lauf hin zu ihrem Reich, in welchem dann erst die reine Endgültigkeit einsetzt. Die Demokratie hat Vorsicht gelernt in der rechtlichen Festlegung ihrer Grundprinzipien; immer weniger von ihnen und in immer weiteren Formulierungen nur hat sie diese in ihre Verfassungen aufgenommen. Auch dies ist eine Lehre für die Kirche: Verfassungen sind nicht Bürgerliche Gesetzbücher, ihr Lehrgebäude wird nicht erschüttert, ihre Wahrheiten werden nicht aufgehoben, wenn sie in etwas formuliert und praktiziert werden wie einer verfassungsrechtlichen Weite und Flexibilität. bb) Für die Demokratie ergibt sich aus der Begegnung mit dem Unendlichkeitsdenken der Kirche ebenfalls eine bedeutsame Ausstrahlung. So wie sich das andere Reich von seinen unendlichen Ufern her ihr öffnet, ihrer Erkenntnis täglicher Aufgaben und Nöte, so muss sie, von ihren Ufern aus, Blick halten auf Un-Endlichkeiten. Wie die Demokratie Menschen nicht töten darf, so kann sie auch deren Gedanken nicht beliebig auslöschen in ihrer schäumenden Dynamik. Ihre Vorstellungen vom dauernden, alles hervorbringenden und sogleich wieder beendenden Wandel müssen sich ihrerseits öffnen einer letzten Statik unwandelbarer Werte, welche die Volksherrschaft ja in ihren Verfassungen anerkannt hat. Diese inhaltliche normative Unendlichkeit muss in der Politik viel deutlicher ins Bewusstsein treten, ihr muss auch das Volk wieder weit mehr bewusst werden als Träger einer nicht enden wollenden Kontinuität auf Erden. Die Dauervorstellung des jenseitigen Reiches als solche wird die Demokratie nicht in sich aufnehmen können. Für sie ist aber jener Bürger eine Realität, für den seinerseits die kirchliche Unendlichkeit eine Realität darstellt.

III. Die beiden Reiche: Ziele und Werte – Glückseligkeiten

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Eine gewisse Ruhe im politischen Wandel, eine größere Offenheit für Traditionen, ein normatives Denken in Kontinuitäten: dies alles erwarten die gemeinsamen Bürger der beiden Reiche von der Volksherrschaft, im Namen kirchlicher Ausstrahlungen in diese Welt. In der Volksherrschaft muss die Augenblicklichkeit zurücktreten, sie muss zu einer Vorläufigkeit finden, hinter der aber doch eine mögliche Endgültigkeit sichtbar wird; und demokratisch Herrschende sollten mehr als bisher erkennen, dass ihre Legitimation nicht aus rein gegenwärtiger Akzeptanz allein kommt, sondern letztlich aus der Überzeugung der Bürgerschaft, dass das von ihnen Vorgegebene Vorläufige eben auch etwas Endgültiges, etwas wirklich Gültiges sein könnte. So verschiebt sich denn die Frage dieses Kapitels immer mehr von Tod und Ende hin zu der nach dem Wandel; denn offenbar können nur in ihm Menschen denken, nicht in der Kategorie des Sterbens als solcher. Wandlung ist ein kirchliches Geheimnis, Verwandlung ein tiefes theologisches Wort, eine kirchliche Hoffnung, Wandlung ist ein demokratischer Anstoß. All dies könnte zusammenfinden, sich versöhnen.

III. Die beiden Reiche: Ziele und Werte – Glückseligkeiten 1. Ziele als Werte: für Gläubige und Bürger der Demokratie Die Vorstellung von zwei getrennten Reichen, in denen doch der eine Mensch steht, war bisher Grundlage all dieser Betrachtungen zum Verhältnis von Kirche und Religion. Gemeinsamkeiten aber eben auch Distanz sollten aufgezeigt werden, Berührungen und Entfernungen. Das alles war vor allem Beschäftigung mit Vorgängen menschlichen Erkennens, mit der jeweiligen Andersartigkeit von Strukturen und Vertretungen des Diesseits und Jenseits. Vor allem aber geht es nun auch um praktisches menschliches Verhalten, das sich auf Ziele richtet, welche in den beiden Reichen verfolgt werden sollen. Hier gilt es daher fortzufahren in vergleichender Betrachtung von Zielvorstellungen von Demokratie und Kirche. Lassen sich, so lautet die Frage, Ziele ausmachen, auf welche hin die Menschen in beiden Ordnungen unterwegs sind, deren Ausstrahlung sie in Hoffnung motiviert, in ihren Überzeugungen hält, sie in Zwang bestimmt? Dies ist letztlich nichts als ein Weg von der reinen zur praktischen Vernunft im Sinne Kants. Die beiden Reiche erfassen in ihren Zielen für die Menschen: dies erscheint schon, auf einen ersten Blick, als eine grundsätzlich notwendige Vorgabe für die Betrachtung der Kirche wie der Demokratie. Beide Ordnungen sind ja „irgendwie in Bewegung“ und daher doch auch „irgendwohin“. Die Kirche begleitet das menschliche Durchschreiten der diesseitigen Welt mit ihren Geboten und

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ihrem Segen; sie ist aber wesentlich Begleiterin zu einem ewigen Ziel. Die Demokratie ist erstmals eine Staatsform der notwendigen, dauernden Bewegung. Ganz anders stellt sie sich hier dar als die Statik feudal-aristokratischer Ordnung, deren Ziel am Ende allein in ihrer unveränderten Aufrechterhaltung gesehen werden konnte. Inhaltliche Wertorientierung mochte sich dort beschränken auf „Ruhe als erste Bürgerpflicht“ – doch dies war eben nur ein Verhaltensgebot für die Menschen, keine Zielvorstellung. Volksherrschaft muss die in sich ruhende Zielvorstellung gottgegebener monarchisch-feudaler Herrschaft ersetzen durch eine Wertorientierung, welche ihre Dynamik tragen, ihre Bürger für den Staat motivieren kann. Kritiker der Demokratie mögen einwenden, vor ihr habe es mehr unausgesprochene Werte gegeben als nun in ihr definierte, im Staate verlören sich heute geradezu die Werte in ihrer ständigen Beschwörung. Doch die steigende Angst vor dem Verlust gemeinsamer Überzeugungen beweist deren Bedeutung gerade für den demokratischen Staat der Gegenwart: Werte als Ziele, nicht (nur) behauptete Wahrheiten, die immer bestreitbar bleiben werden, motivieren die Menschen, die Bürger der Volksherrschaft, mit all ihren menschlichen Kräften, bis hin zu Gefühlen der Begeisterung. So ist denn nie die Vorstellung von Staatszielen deutlicher und grundsätzlicher hervorgetreten als in der demokratisch beherrschten Gegenwart. Eine Staatsform, welche allen Glauben in der Skepsis der Meinungsfreiheit hinterfragen lässt, muss ihre menschlichen Grundlagen zu befestigen versuchen in einer Sicherheit von Hoffnungen, welche nur aus Zielen kommen kann, und seien es auch ferne Erwartungen. Daher muss die Volksherrschaft eine grundsätzliche Zielorientierung der Menschen aufbauen in ihrer Politik, deren Herrschaft sich letztlich nur aus zielgerichtet handelnden Bürgern legitimiert. Mit diesen Kategorien kommt sie allem Kirchlichen weit entgegen: Die Kirche kann ihr Reich doch ebenfalls ganz wesentlich nur aus fernen Hoffnungen legitimieren, aus Zielen und Werten heraus herrschen, schon weil sie dies mit Machtinstrumenten allein nicht zu leisten vermag. Alle ihre Sanktionen, ihre Strafen gewinnen disziplinierende Kraft nur aus wertorientierten Zielvorstellungen. Die Kirche ist in diesem Sinne das Reich der leges imperfectae, der sanktionslosen Gesetze – und die Demokratie bewegt sich in diese selbe Richtung: sie will Sanktionen ersetzen durch Überzeugungen, Eingriffe durch Bürgerhoffnungen. Aus wertgewordenen Zielen heraus sollen also in beiden Reichen Menschen zu einem Verhalten motiviert werden, welches nicht als solches bedeutsam ist, sondern nur in seiner Zielorientierung und Zielerreichung. So sind denn Ziele der Ordnung wichtiger als deren Formen, als ihre Normen und Befehle.

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2. Zielvorstellungen in Kirche und Demokratie – Freiheiten als Werte? a) Kirche: Gottes Wille als Ziel Der frühere Katechismus spricht kirchliche Zielvorstellungen in einer naiven und doch stets gültigen Weise an: „Wir sind in die Welt gekommen, um Gottes Willen zu tun und dadurch selig zu werden“. Eindeutig ist hier die Zielorientierung: ein diesseitiger Weg führt zu einem jenseitigen Ziel; dies liegt in der Macht desselben Gottes, der mit seinem Willen, seinen Geboten den Weg dahin weist. Über den Zustand dieser Glückseligkeit wird nichts Näheres ausgesagt, als dass sie in der Gottes-Nähe liegt – der Unendliche als Fernziel. Nahziel ist die Erfüllung seines Willens, so wie ihn die Kirche den Gläubigen kund tut. Die kirchlich verkündeten Werte sind es also, welche die Ziele dieses Reiches konstituieren; Werte sind ihm nicht vorgegeben, sie werden in ihm definiert, von seinem Organ, der Kirche. Dass sie mit jenen zusammenfallen, welche die Demokratie auf Erden proklamiert, mag wünschenswert, erstrebenswert – in diesem Sinne eben auch eine Zielvorstellung sein, aber eine solche des Diesseits. Religiöses Ziel kann stets nur die Verwirklichung göttlicher, kirchlich definierter Gebote sein. Einen letzten Vorbehalt muss zwar die Kirche, aus ihren eigenen Grundüberzeugungen heraus, hinnehmen: den eines Gewissens, das sich auch seine eigenen Ziele setzen darf, selbst auf die Gefahr hin, dass so der göttliche Wille verfehlt wird, in menschlicher Zielabirrung. Entscheidend bleibt aber eine Grundüberzeugung: das eigentliche Fernziel, die Gottesnähe, ist undefinierbar, verhüllt in einem transzendenten Geheimnis; die instrumentalen Nahziele auf dem Weg dorthin liegen demgegenüber in ganz bestimmten Verhaltensweisen, welche die Kirche dem Menschen vorschreibt, oder sein eigenes Gewissen. Irdische Zustände als solche beinhalten alle diese Zielvorstellungen nicht, Nahziel ist allein ein menschliches Verhalten, das eines Tages in die Gottesnähe führen wird. b) Die „Werte der Demokratie“: Freiheiten Die Volksherrschaft begegnet also im Reich der Kirche Wertvorstellungen, welche nach ihrem Wesen nicht ausgerichtet sind auf die Herstellung bestimmter realer Zustände im Diesseits, sondern lediglich auf ein Verhalten von Menschen, welches zur Seligkeit einer nicht näher definierten Gottesnähe im Jenseits führt. Solchen Zielvorgaben gegenüber muss sich die Demokratie auf ihre eigenen, so oft und laut beschworenen Wertevorstellungen besinnen, sich ernsthaft deren Wesen bewusst machen; nur so kann es zu einer Partnerschaft zwischen beiden Reichen kommen. Hier zeigt sich dann, dass die Grundvorstellungen dieser Ziel-Werte nicht so weit auseinander liegen, wie dies jene annehmen mögen, welche jede Transzendenz aus der Demokratie verbannen wollen.

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Ein Ausgangspunkt muss klar sein: Die moderne Demokratie ist geistig, in jenen Bereichen, in denen sie sich mit der Kirche berührt, nicht entstanden und gewachsen aus der Vorstellung heraus, dass ganz bestimmte irdische Zustände, auch nur annähernd klar definiert, unter dieser Herrschaft des Volkes hergestellt werden sollten; sie ist daher grundsätzlich ebenso wenig zustandsorientiert auf konkrete Nahziele hin wie die Kirche. Hoffnung auf gewisse Zustände der Güterverteilung, der geistigen Bildungslagen mag diese Staatsform bei Vielen legitimiert haben, nicht aber im Geiste aller und nicht als primäre Wertvorstellung von zu realisierenden Zuständen. Gruppenbenachteiligungen, bis hin zu Verelendungen, haben zwar immer wieder, seit frühgriechischer Zeit, zum Durchbruch jener Gewalt der Vielen geführt, welche Demokratie mit Lastenausgleich identifizierten. Die eigentliche geistige Durchschlagskraft der modernen Demokratie liegt aber, seit der Aufklärung, in einem ganz großen Anderen: in jenen Freiheiten, aus denen sich dann „gerechte“ soziale Zustände entwickeln mögen. Es ist dies die Wette auf eine ständige Selbstkorrektur der Freiheiten, welche vielleicht, hoffentlich jede Form von Unterdrückung, auch die der sozialen Ausbeutung, verhindern wird – aber eben im Namen der Freiheit als Wert. Daher steht nicht das Ziel der Erreichung bestimmter irdischer Zustände über modernen demokratischen Verfassungen, sondern stets das Bekenntnis zur Freiheit als Wert, zu ihrer Entfaltung und Bewahrung als Ziel aller staatlichen Gewalt. Das Grundgesetz drückt dies unmissverständlich so aus, dass der menschenwürdige Zustand über die Freiheit zu erreichen und zu schützen ist. Darin also treffen sich Kirche und Demokratie, dass für beide Reiche nicht die Herstellung bestimmter, fest definierter Zustände Ziel und Wert sein kann, sondern nur ein menschliches Verhalten; das Reich des Jenseits orientiert dieses am kirchen- oder gewissensdefinierten Willen Gottes, die Demokratie des Diesseits ermöglicht es einfach nur in Freiheit, sie ist insgesamt eine große Staatsform des Vertrauens auf diese Freiheit. Wenn also beide Mächte denselben Weg so weit beschreiten, dass sie ihre Ziele nicht in festen diesseitigen Zuständen festlegen, so trennen sie sich doch an einem nicht minder wichtigen Punkt: Die Demokratie kennt als primäre Werte nur Instrumente der Zielerreichung, Kanäle, die hinaus führen in das weite Meer der Freiheit. Dies ist also eine Staatsform der „instrumentalen Werte“, welche geradezu als inhaltliche Selbstwerte gesetzt werden, in einem „Zustand staatsrechtlicher Gebundenheit“. Für die Kirche dagegen, für alle Religionen, sind Ziele und Werte nicht nur instrumental vorgegeben darin, dass sich der Mensch kirchlichen, göttlichen Anordnungen fügt: diese zeigen ihm gerade, worauf er sein Verhalten auszurichten, auf welche inhaltlichen Werte und Ziele er es zu beziehen hat. So vermag die Kirche eine materiale Wertethik den Menschen vorzustellen, der demokratische Staat muss darauf verzichten, im Namen seiner Freiheit.

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Bleibt nun aber die Frage, ob sich beide Reiche in solcher Distanz stets gegenüber stehen müssen, ob sie nicht doch zusammen finden können in gemeinsamen Nahzielvorstellungen von Zuständen, welche die Kirche im Namen göttlichen Befehls, der demokratische Staat im Namen seiner Freiheit als wertorientierend anerkennt, erstrebt, gar zu erzwingen sucht. Der Wille Gottes und die Freiheit der Menschen – können und sollen sie nicht konvergieren, bis hin zu einer ewigen Glückseligkeit, oder doch deren Vorstufen auf Erden? 3. Politische Zustände: Ziel-Begegnungen von Kirche und Volksherrschaft? a) Glückseligkeit auf Erden aa) Für den Staat muss dies eine Zielvorstellung sein. Ob er nun ein Jenseits (an)erkennt oder nicht – in aller irdischen Bescheidenheit müht er sich um die Optimierung des Diesseits; grundsätzlich muss er nicht, darf er vielleicht gar nicht davon ausgehen, dass das Fernziel einer Glückseligkeit nicht erreichbar wäre, realisierbar zumindest im Kleinen, hier und dort, dann und wann. Unvollkommenheiten auf Erden mögen für ihn Erfahrungswerte sein, eine unverrückbare Vorgabe, dass es immer so bleiben müsse, kann es für die diesseitige Gewalt nicht geben – wird sie ihr nicht durch eine unterschwellig-kirchliche Überzeugung nahe gebracht. All dies gilt für die Demokratie mehr als für andere Staatsformen. Jene feudalen Regime, welche sie ablösen konnte, durften nicht so offen wie sie an Glückseligkeit denken, sie auf ihre Fahnen schreiben: Die Legitimation ihrer Herrschenden hätte sich damit abgeschwächt, „glückliches Leben für Fürsten“ konnte nicht zur Ideologie einer Staatlichkeit werden, welche dies nur durch die Unterworfenheit minder Glücklicher hätte erkaufen können. Die Glückseligkeit aller Untertanen aber musste in jenen Zeiten nicht nur eine tatsächliche Utopie bleiben, sogar als eine ferne Zielvorstellung; sie lief vor allem jener feudalen Grundvorstellung zuwider, welche diese Herrschaftsmacht gerade in geduldiger Unterworfenheit der Untertanen verwirklichte. In der Demokratie hat sich diese ganze Konstellation grundlegend verändert. Glückseliges Leben für den Souverän, für die Vielen, jedenfalls für eine herrschende Mehrheit – dies alles ist doch nun selbstverständlich Forderung und damit Zielvorstellung aller Staatlichkeit. Und da demokratische Mehrheiten nie fest bleiben, zu jeder Zeit sich auf bisherige Minderheiten ausdehnen können, kann diese Glückseligkeit nur ein ganz allgemeines Staatsziel sein: le plus grand bien pour le plus grand nombre, ein „möglichst gutes Leben für möglichst Viele“. Dass hier beide Bezugsgrößen unbestimmt bleiben, mindert die Anziehungskraft dieser Zielvorstellung nicht, sie wird darin eher gesteigert, eben in der Unbestimmtheit der Hoffnung.

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So ist denn die Demokratie grundsätzlich eine Staatsform der erhofften Glückseligkeit; wo sie zur Weltmacht emporwuchs, ist dies ihr irdischer, ihr American Dream. Dieses irdische Glück ist Selbstzweck, hat Selbstwert; in seiner Verfolgung erschöpft sich der demokratische Staat: Allgemeine Glückseligkeit als demokratisches Primärziel. bb) Für die Kirche kann dies nicht gelten, für keine Religion; ihr Gott darf diesen Ruf des Volkes nicht hören, eine solche irdische Glückseligkeit ihm nicht zurufen. Damit höbe sich alle Göttlichkeit selbst auf, die Kirche und ihr Reich würden funktionslos in einem derartigen politischen Glückszustand auf Erden. Die Kirche muss seine Unerreichbarkeit predigen, nur daraus lebt sie auf das Jenseits hin, ein solcher Anti-Eudämonismus ist die Legitimation ihres Reiches. Darin gerade ist es nicht „von dieser Welt“, dass es nicht von deren, eben doch wesentlichen, Unvollkommenheiten erreicht oder gar geprägt wird. Die Glückseligkeit der Kirchen muss eine wahrhaft „ganz andere“ sein, als es die Zielvorstellung einer staatlichen Ordnung vorgibt. An diesem Punkt muss das Nebeneinander der beiden Reiche umschlagen in eine Relativierung des Diesseitigen durch das Jenseits, in eine Abwertung aller irdischen Glückseligkeit. Für das Christentum bleibt das Diesseits ein Tal der Tränen, in ihm wird sein Herr gekreuzigt und alle Menschen, die Auferstehung aus ihm endet in Himmelfahrt. Und dies ist vielleicht das größte Problem der Kirche in der Gegenwart: dass die Menschen die Relativierung, die Abwertung ihrer kleinen irdischen Glückseligkeiten nicht mehr hinnehmen wollen, dass sie immer mehr danach streben, Diesseitiges zu verbessern, anstatt auf Jenseitiges zu hoffen, auf Ungewisses. Wird nicht gerade hier deutlich, dass Religion eben doch Opium für das Volk ist, das sie einschläfern soll in einem Elend, dessen sie bedarf, um geglaubt zu werden? War die Kirche nicht gerade in Deutschland am stärksten in den Nöten der Kriege und Nachkriegszeiten, ist sie nicht seither, mit all ihrer Naturrechtlichkeit, ja mit ihrer Transzendenz, einfach überrollt worden durch die Demokratie, auf dem Weg zu deren diesseitigem Glückseligkeitsziel? Lassen sich hier noch Brückenansätze vorstellen vom kirchlichen Ufer hin zu den eindrucksvollen weltlichen Wohlfahrts-Bauten? Nur in einer Überzeugung wäre dies vorstellbar: wenn die Kirche dieses weltliche Wohlergehen als einen optimalen politischen Zustand sehen dürfte, aus dem heraus mehr als aus jedem anderen der Blick der Menschen sich nach oben richten könnte, auf ihr Reich. Dies ist eine Schicksalsfrage der Koexistenz oder gar Konvergenz von Kirche und Demokratie. b) Annäherungen demokratischer Staatszielbestimmungen und kirchlicher Lehren Im Grundsätzlichen mag, im großen Ziel der Glückseligkeit, eine letzte Antithese bleiben zwischen Demokratie und Kirche, schärfer als zu jeder anderen

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Staatsform. Kann es hier aber nicht doch zu Annäherungen, vielleicht gar zu Berührungen kommen, indem diesseitige Anstrengung zugleich als zielgerichtet erscheint auf das andere Reich, als Verwirklichung von Gottes Willen auf Erden, oder doch als ein optimaler Zustand für die Menschen, sich zu Ihm zu entscheiden in Freiheit? Eine solche Annäherung kann nicht versucht werden über ein gemeinsames Ziel eines Zustandes konkreter Glückseligkeit, welche für die Kirche stets vom transzendenten Mysterium der Gottesnähe verhüllt wird. Vielmehr müssen in irdischer Konkretisierung einzelne Ziele politischer Anstrengungen in der Demokratie in den Blick genommen werden zur Beantwortung der Frage, ob über sie wichtige Einzelgebote auch der Kirche erfüllt werden, erfüllbar erscheinen. Hier tritt das allen Zielvorstellungen immanente Optimierungsdenken in seine Rechte: Volle Zielverwirklichung darf nicht erwartet werden, Schaffung von Grundstimmungen und Rechtslagen im politischen Bereich mögen bereits genügen, verstanden als erste Annäherungen kirchlicher und demokratischer Glückseligkeiten. Nächster Ausgangspunkt dafür sind die demokratischen Staatszielbestimmungen, Konkretisierungen jener irdischen Glückseligkeit, welche moderne Staatlichkeit gerade anstrebt im Namen der Souveränität, der höchstrangigen Interessen der Vielen. Beispiele sind hier die drei wohl wichtigsten gegenwärtigen Staatsziele der Demokratie: Umweltstaatlichkeit, Bildungsstaatlichkeit und vor allem der Sozialstaat. Gerade in diesen Bereichen wird, mit erstaunlichem Eifer, gerade in der Gegenwart, „auf Annäherung hin gearbeitet“, von den Ufern der beiden Reiche aus. Allenthalben zeigt sich aber – und dies ist entscheidend – dass zwar gleiche Nahziele verfolgt werden, jedoch mit Blick auf fundamental unterschiedliche Fernziele, dass also diese beiden Kategorien die folgenden Betrachtungen zu einer möglichen Zielkonvergenz von Demokratie und Kirche leiten müssen: aa) Umweltschutz ist bereits deutlich zum Raum der Begegnung geworden zwischen Kirche und Demokratie. In keiner anderen Staatsform kann es ja zu vergleichbaren Anstrengungen der Sicherung einer Welt kommen, welche die Menschen umgibt, alle Menschen – den Volkssouverän. In demokratiefernen Feudalismen muss Umweltschutz stets hinter Herrschaftsinteressen zurücktreten, hier steht „die Welt“ ebenso wenig den Vielen offen zu wie die Herrschaft über sie. Nur wo in Jedermanns-Kategorien gedacht wird, können sich Vorstellungen von derartigen öffentlichen, eben von Jedermanns-Schutzgütern entwickeln. Die Demokratie allein vermag in der Kategorie der Sicherung von „Lebensgrundlagen künftiger Generationen“ zu denken, sind doch auch sie schon heute vorstellbar und schutzbedürftig als der Souverän von morgen. Alle Anstrengungen des Umweltschutzes laufen denn auch auf ein Ziel hin, sie sind nur Formen einer groß angelegten Umverteilung irdischer Güter, zu welchen der Zutritt den Menschen eröffnet wird, die sie nach statischen, vordemokratischen Eigentumsvorstellungen nicht in solcher Weise nutzen durften. So erklärt sich die notwen-

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dige Spannung zwischen einem Eigentum, das sich vornehmlich in vordemokratischen, agrarisch geprägten Herrschaftslagen entfalten konnte, und modernen Umweltschutzbewegungen, welche notwendig sozialisierende politische Grundtendenzen zum Tragen bringen. Derartige Probleme einer Nutzungsverteilung irdischer Güter sind nicht grundsätzlich die eines kirchlichen Denkens; dieses konnte sich dennoch in ihre Lösungen, wenn auch mit ganz anderen Begründungen, unschwer einbinden lassen: Für die Kirche ist es der Gedanke der einen göttlichen Schöpfung, welcher Mensch und Umwelt zusammenführt, der Letzteren als solcher eine menschennahe Würde verleiht. Damit wird Umweltschutz zum Gottesgebot, ja zu einer Fortsetzung des Jenseits durch Handeln im Diesseits im Sinn einer Creatio continua. Teilhabe an der Umwelt erscheint als Zutritt zur jenseitigen Schöpfung. Politische Umverteilungskategorien, Solidarismen sind darin nicht notwendig mitgedacht. Es war gerade diese Konvergenz heterogener Nahziele, welche den Durchbruch der Umweltbewegung in einer kirchlich-demokratischen Gemeinsamkeit gebracht hat. Solche Übereinstimmungen in letzter Zielverschiedenheit – wäre dies ein Begegnungsmodell von Demokratie und Kirche? bb) Kulturstaatlichkeit mag ein allzu allgemeines Wort sein, in solchen Bestrebungen mögen beide Reiche stehen, sich darin aber kaum konkret begegnen. Näher kommen sie sich in einer Konkretisierung dieses Staatsziels der Demokratie in der „Bildungsstaatlichkeit“. Der Bildungsstaat war von Anfang an, in all seinen Ausprägungen, ein typisches demokratisches Anliegen, in inhaltlicher Intensivierung aus der Aufklärung heraus, in seiner Zugangserweiterung als Gebot der Gleichheit. Wissen als Macht, allgemeine Bildung als Voraussetzung der Volkssouveränität – all dies sind demokratische Selbstverständlichkeiten. Hier setzt sich Egalität, die Grundlage des Volkes und seiner Souveränität, mit größter Intensität und unbestrittener Überzeugungskraft immer mehr durch. Die Kirche kann sich diesen Bestrebungen nicht entgegenstellen, will sie ihren Glauben nicht als ein Privileg der Unwissenheit, ihr Reich nicht als eine feste Burg himmlischer Torheit erscheinen lassen, gegen die Götter selbst vergebens kämpfen – in der ihr Gott, der Allwissende, aber nicht wohnen darf. Rückzug auf Kinderglauben muss ihr zum Verhängnis werden; im Namen einer langen spirituellen Vergangenheit muss sie Bildung bejahen als Weg zur reineren, überzeugenden Gottesschau, auch wenn diese letztlich in einen Glauben mündet, gegen den aber Bildung nicht stehen darf. Wiederum zeigt sich im Bildungsstaat die Konvergenz unterschiedlicher Zielvorstellungen und Motivationen zu ihnen: Für die Demokratie ist dies ein Instrument der Machtergreifung der Vielen und der Machtverteilung zwischen ihnen. Ein bildungspolitischer Selbstwert kann allenfalls darin gefunden werden, dass so „mehr geistige Glückseligkeit“ die Gebildeten erreiche; doch auch dies

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schlägt rasch wieder um in die recht irdische Hoffnung, dass sich aus Bildungsgleichheit heraus materielle Güterverteilung ändern werde. Für die Kirche dagegen kann mehr Bildung jedenfalls eines bedeuten: mehr Chance reinerer Gotteserkenntnis, damit mehr geistige Überzeugung in einem gottgefälligen, dem Schöpfer nahen Leben. Immerhin: auch hier führen durchaus irdische und jenseitige Beweggründe in eine Richtung, auf ein Nahziel des Bildungsstaates hin. Er mag Instrument bleiben, für die Macht der Demokratie wie für die Gottesnähe der Kirche, doch beide können sich in ihm treffen, einen langen Weg gemeinsam gehen. Die Wege trennen sich erst dann, wenn Demokratie ihre Bildung einsetzt zur militanten, antikirchlichen Skepsis, oder wenn die Kirche versucht, Bildung auf Erkenntnis und Befolgung ihrer Gebote hin zu monopolisieren. Der Bildungsstaat als ein Instrument, als ein gemeinsamer, naher Durchgangszustand – dies ist ein Raum der Begegnung von Staat und Kirche. 4. Die soziale Brücke: Nächstenliebe und Sozialstaat a) Traditionell nicht nur Begegnung: Gemeinsamkeit Bildung ist zwar ein Bereich traditioneller Begegnung von Kirche und Staat, war doch die Kirche viele Jahrhunderte hindurch vorrangige, wenn nicht ausschließliche Trägerin aller Geistigkeit. Doch weit und immer weiter wurde sie aus diesem Raum verdrängt, gerade durch eine Volksherrschaft, welche ihn zunehmend zum staatlichen Monopolbereich werden lässt, der Kirche allenfalls etwas erlaubt wie „geistliche Begleitung“. Im Raum des Sozialen kam es zu ähnlichen Entwicklungen; doch hier sind sie noch nicht so weit fortgeschritten. Geistige Gemeinsamkeiten wirken noch immer stärker in tägliche Praxis hinein. In der Betreuung bedürftiger Menschen war die Kirche Jahrhunderte lang nahezu allein unterwegs; zögernd erst im späteren Mittelalter, flächendeckend dann in der Wohlfahrtsstaatlichkeit seit dem 18. Jahrhundert griff auch vordemokratische Staatlichkeit ein, zunächst nur ergänzend, erweiternd. Die staatliche Zusammenarbeit mit den sozialen Anstrengungen der Kirche hat sich seither ständig erweitert, dies setzt sich fort bis in die Gegenwart, in zahllosen sozialen, mildtätigen Diensten. Hier also scheint sich doch der Raum einer ganz natürlichen nicht nur Begegnung, sondern einer wirklichen Zusammenarbeit noch immer zu eröffnen, in praktischer Selbstverständlichkeit wie mit der grundsätzlichen Überzeugungskraft einer langen Tradition. Der Bedürftige, der leidende Mensch, ist eine gemeinsame Realität für die beiden Reiche, mag die Kirche dies, anders als der Staat, auch durch jenseitige Zukunftshoffnungen zu überhöhen suchen. Für beide aber steht im Vordergrund die gemeinsame Bemühung um die Linderung eines Leides, das als gottgewollt wie in der Gemeinschaft erträglich nur insoweit erscheint, als es nicht durch andere Menschen erleichtert werden kann.

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b) Die neue soziale Verantwortung der Demokratie Die Demokratie hat aber auch hier in ihren politischen Grundüberzeugungen andere Akzente gesetzt als frühere Regime: Für diese war der Arme, der bedürftige und leidende Mensch, nicht Herrschaftsträger, sondern Herrschaftssubstrat. Seine Nöte zu lindern war Aufgabe der Staatsgewalt nur in einer Armenpolizei, welche Sicherheit und Ordnung gegen Turbulenzen einer Verelendung abschirmte, darin weit entfernt von jeder Kirchlichkeit, von christlicher Nächstenliebe. Allenfalls war staatliche Armenpflege zugleich auch noch Ausdruck einer religiös motivierten Menschlichkeit, in der sich dann aber letztlich doch nur säkularisierte kirchliche Überzeugungen mit weltlichen Mitteln fortsetzten. In der Demokratie sind diese beiden Zielvorstellungen – Armenpolizei und Mildtätigkeit – zwar nicht völlig aufgegeben, sie treten aber im politischen Bereich weit zurück gegenüber einer dritten, welche nun unmittelbar anknüpft an Vorstellungen der Volksherrschaft: Der Bedürftige ist ebenfalls ein Glied der Gemeinschaft, ein Wähler, ein mitbestimmender Teil des Volkssouveräns. In dieser demokratischen Solidarität hat er rechtlichen Anspruch auf die Hilfe einer Gemeinschaft, welche überdies eine Mitverantwortung trägt, aus ihrer demokratischen Rechts-Allmacht heraus, für seine soziale Lage. So ist etwas entstanden wie eine neue demokratische Verantwortung in allen sozialen Bezügen, überall dort, wo es Schwächere gibt – und wo gäbe es sie nicht? So stellt sich denn in der Demokratie die soziale Frage in einer ganz anderen, grundsätzlichen und praktisch drängenden, Intensität als in allen vordemokratischen Ordnungen. Dies aber könnte doch nun der Weg einer bedeutsamen Annäherung an ein kirchlich gebotenes Verhalten sein, das von jeher ebenfalls aus einer menschlichen Verantwortlichkeit heraus handeln lässt, wie sie hier durch die allgemeine Gemeinsamkeit der Gleichheit der Menschen vor dem Schöpfer begründet ist. Verantwortung also für den Mitmenschen als Raum der Begegnungen von Kirche und Staat? c) Das Umverteilungsziel des Sozialstaates Das Fernziel demokratischer Sozialstaatlichkeit liegt aber nicht in einer demokratischen Solidarität Aller gegenüber Hilfsbedürftigen; diese ist vielmehr der Weg zu einem viel größeren, in laufender Annäherung zu erreichenden Ziel: einer durch ständige Umverteilung zu schaffenden Egalität aller Bürger. Die Demokratie ist kein karitatives Unternehmen, kein Heim für Obdachlose, Kranke und Alte, wie es die Kirche zur Verfügung stellt. Sie setzt ihren großen Sozialgedanken und ihre mächtige soziale Maschinerie von Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit mit Entschiedenheit ein zu einem machtpolitischen Ziel: über Schwächerenschutz zu einer Gleichheit, in der sich das Volk erst

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wirklich als solches findet und in ebenmäßiger Verteilung unter die Bürger die Macht der Demokratie ergreift und ausübt. Hier geht es nicht darum, Almosen zu verteilen unter Arme, die „ihr immer unter euch haben werdet“, wie das Evangelium lehrt; die Armut als solche soll aufhören. Hier wird auch nicht ein tägliches Brot verteilt, damit weitergelebt werden könne auf das Gottesreich hin, wie es Jesus zu beten gelehrt hat. Jedem Bürger der Demokratie soll eine feste ökonomische Sicherheit geboten werden, aus der heraus er aktiv die politische Gemeinschaft mitgestalten kann. Der Sozialstaat ist keine Randkorrektur, sondern ein großes politisches Programm der Demokratie, in deren Verwirklichung diese ihre eigene Identität und Legitimation findet, in ständigen Annäherungen an ein politisches Macht-Ideal möglichst voller Gleichheit. Über eine Staatszielbestimmung im rechtstechnischen Sinn wächst daher die Sozialstaatlichkeit weit hinaus, sie wird zur sinnerfüllenden Rechtsnorm, insoweit auch zum normativen Rechtsgebot in der Volksherrschaft. Ein größeres Fernziel kann es für diese Staatsform seit ihren altgriechischen Ursprüngen nicht geben als eine Lastengleichheit, die aus ständigem Lastenausgleich kommt. Soweit darin die ökonomische Egalität aller Menschen deren Gleichheit vor Gottes Angesicht schon auf Erden widerspiegeln soll, der Staat also geradezu zum wirtschaftlichen Gott auf Erden emporwächst – in diesem Maße mögen hier für Manche auch religiöse Bezüge erreicht werden, eine Nähe zu der Kirche der gleichen Gläubigen. Wurden nicht an allen Kirchentoren Arme aufgenommen und gespeist, mit Blick auf ihre Gottes-Ebenbildlichkeit, vollendet hier nicht die Demokratie dieses kirchliche Opus Dei, in dem sie nicht nur Gottes Stimme ertönen lässt, sondern „seinen Willen tut“, im wahren, vollen Sinn des Wortes? Wenn sich die Demokratie hier mit der Kirche treffen kann, so erscheint sie doch als ihr „weltlicher Arm“ in einem neuen Sinn, dieser hält nicht mehr das Schwert, sondern das Brot. Und da Demokratie allenthalben auf dem Wege ist, sich mit ihrer Staatlichkeit in diesem Sozialen geradezu zu erschöpfen, zu verströmen im schönen Sinn des Wortes – erscheint hier nicht eine ganz neue, eine wahrhaft heilige Allianz am Horizont zwischen Demokratie und Kirche, die „beide dasselbe tun“? Und dann mag es auch, aus ihren beiden Reichen heraus, durchaus „nicht dasselbe sein“, hier eben diesseitig, dort materiell, finanziell praktiziert, aus dem Jenseits heraus gedacht, geübt, geistig begleitet. Diese Sozialstaatlichkeit ist heute die festeste Brücke zwischen Kirche und demokratischem Staat. Sie wird durch keine Kritik erschüttert. Fast scheint es, als werde hier auch noch der letzte demokratische Atheist zum Gläubigen. Das große, neue Gute scheint geboren, in täglichem Handeln, und doch als Weg zu einem ganz hohen gemeinsamen Ziel: aus menschlichem Leiden zur Gleichheit der Menschen, vor Gottes Gericht und dem der Demokratie.

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d) Karitas: Machtferne Nächstenliebe Ist dies aber wirklich der kirchliche Auftrag: immer marginalere Teilnahme der Kirche an den großen sozialen Staatsveranstaltungen, welche die Demokratie legitimieren? Erreicht die Kirche so ihren Platz an der Sonne der Volksherrschaft, dass sie ihr Heime bauen hilft, vor allem aber Solidarität predigt der Starken mit den Schwachen, mit dem Ziel einer (möglichst) vollen Gleichheit? Ist der Sozialstaat wirklich die große Civitas Dei, das Verfassungsbekenntnis zu ihm, das weltliche Abbild der Lex Charitatis? Die Antwort der Schrift zur Nächstenliebe kommt in einer ihr eigenen Distanz: „Arme werdet ihr immer unter euch haben“. Irgendwie sind diese Armen dem Gottesreich und in ihm gleichgültig; ihnen soll ja der Jünger Christi alles geben, um Ihm nachzufolgen – also in Armut. Und die so reicher werdenden Armen sind nicht notwenig Jünger des göttlichen Meisters. Besitz und Reichtum beschweren, versperren den Weg in das Gottesreich, in der alten Erfahrung, dass der Mensch durch sie gewiss nicht besser wird, dass er nur im Verzicht auf sie zum verdienstvollen Leben findet. All dies bedeutet auch kein Bekenntnis zu einem Ziel voller Gleichheit. Das Gute, welches zum ewigen Heil führt, wird gerade aus der Ungleichheit heraus getan, in welcher der gute Samariter dem hilft, der unter die Räuber gefallen ist, weit entfernt von denjenigen, welche auf ihre Art und Weise heute wie einst Gleichheit allenthalben herstellen wollen. Vor allem aber: Der Ewige Richter wird eines Tages nach jenen guten Werken fragen, welche gerade aus Ungleichheit heraus geleistet werden, in einer Lage, die es immer geben muss, damit Rechtfertigung im kirchlichen, im christlichen Sinne erreichbar sei. Dieses Gute muss in freier menschlicher Entscheidung getan werden, nicht unter dem Zwang des einsammelnden und verteilenden demokratischen Staates. Und vor dem Jüngsten Gericht wird man sich nicht durch Vorlage von Steuererklärungen entlasten können, durch den Beweis, dass man auf Erden die umverteilende Demokratie geduldet, sich ihr nicht in Eigennutz widersetzt habe. Jene Nächstenliebe, welche die Evangelien den Gläubigen zu einer hohen Pflicht machen, ist nicht ein Umverteilungsprogramm, sondern eine Absage an die Macht des Besitzes, der eben nicht ins Gottesreich führt, und sei er noch so „sozialgerecht“ verteilt. Es ist dies der Anruf zu einer individuellen menschlichen Tat, nicht zu einem kollektiven demokratischen Zwang. Sicher bleibt es religiöses Gebot, dem Mitmenschen durch existenzsicherndes Handeln ein Leben in einer Würde zu bieten, die ihn stets den Blick auch ins Jenseits richten lässt. Ihr Sinn ist es aber nicht, diesen selben Blick auf die Güter des Diesseits zu lenken, ihn durch Freude an ihnen zu versperren. Wiederum also: ein Stück des Weges können Kirche und demokratischer Sozialstaat gemeinsam gehen, so weit eben, wie es noch um einen politischen Zu-

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stand geht, der menschenwürdige Existenz gewährleistet. Alles Überschießende, und damit der große Schwung des Sozialstaates, ist auf ein Ziel gerichtet, das nicht das der Kirche sein kann: auf demokratische Egalität, nicht auf religiöse Individualität. Dies alles wird noch deutlicher, erreicht man einen Raum, der noch immer, in der Gegenwart vielleicht mehr denn je, zwischen Kirche und demokratischem Staat steht: Freude aus Vergnügen.

5. Vergnügensoptimierung als demokratisches Ziel – Hedonismus und Kirche a) Demokratie – Freiheit – Freizeit Die Volksherrschaft kann sich die Frage nach einem idealen gesellschaftlichen Ziel-Zustand stellen, dem sie zustreben sollte. Wie keine andere Staatsform beruht sie auf einer wesentlichen, untrennbaren Verbindung staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen und Gewalten. Mehr hat sie darin allerdings zunächst nicht zu bieten als ein Optimum von Freiheit, das ihre Bürger in ihrer Gesellschaft dann eben nutzen in einer Weise, zu welcher sich ihr demokratischer Staat mit seinen Gewalten aber nicht zu äußern hat. Doch dieser Theorie steht eine praktische Entwicklung gegenüber, welche doch klar in Richtung auf gesellschaftliche Zustände verläuft, die weithin als Ideal-Ziele angesehen werden. Freiheit bedeutet Abbau von Zwang; Arbeit aber bringt Zwänge, abhängige zumal, aber auch selbständige Tätigkeit. Arbeit macht nicht frei, und Selbstverwirklichung in Aktivität ist ein allzu allgemeines Programm; kann es nicht am besten verwirklicht werden in „zwangloser Beschäftigung“? Dann aber liegt Freiheit schon ganz nahe bei allem, was zwanglos – Freude macht, bei „Vergnügen als Ziel“. Eudämonismus hat sich, in einer langen Geschichte philosophischen Denkens, immer in nächster Nähe bewegt zu einem Genießen, das seinerseits seit der Antike vor allem eines suchte: Freude. Dieser Hedonismus ist es also, der sich in unmittelbaren Entwicklungslinien entfaltet aus einer Freiheit, die zwar an sich ziellos ist, die aber zu einem „schönen Leben“, einem glückseligen im Verständnis der meisten Menschen erst dann führt, wenn sie ihnen Freude bringt, Vergnügen. So ist denn die Vergnügungswelt, die „Spaßgesellschaft“, mehr als eine Erscheinung, sie ist eine Zielvorstellung der zwangsabbauenden politischen Demokratie, hier wandelt sich ihre politische Begeisterung in gesellschaftliche Freude. Der Volkssouverän will sich unterhalten dürfen und von seinen Herrschenden unterhalten werden, schon damit er sie in ihrer politischen Gestaltung nicht störe. Panem et circenses – materielles Wohlleben schafft bereits Vergnügungszustände des Genusses, er muss sich doch fortsetzen in immer weiteren Vergnügen. Die einst strenge, ja finstere Tugend-Volksherrschaft eines St. Just hat sich von ihren jakobinischen

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Frühzeiten entfernt; nun ist Idealzustand ein weiches Nebeneinander, in dem alle „nett sind zueinander“ – miteinander sich vergnügen. Letzte Schranken mag diese demokratische Vergnügungsstaatlichkeit – denn an ihr führt kein Volks-Weg vorbei – in der Realität dort finden, wo Inaktivität zur Arbeitsscheu führen, damit Genuss und Freude bedrohen könnte. Doch solche finster-undefinierbare Sorgen haben noch nie die Ausstrahlungskraft großer Ziele entscheidend schwächen können; sie unterbrechen den Genuss nur durch Anstrengungen, sich ihn zu erhalten, zu steigern. So ist denn die Gewalt abbauende Volksherrschaft eine Staatsform des Hedonismus, in ihren letzten Zielvorstellungen glückseliger Zustände, sie sind es, die sie prägen, nicht bedauerliche Zwischenzustände auf diesen Wegen.

b) Kirche: Vergnügen als Sünde Kirchliches Denken, religiöse Grundüberzeugungen weisen da, und dies seit Jahrhunderten, ganz andere Wege. Ihre Ideale waren, von christlichen Anfängen an, ein klösterliches Leben, eine Askese, die in radikaler Negation irdischer Vergnügen gipfelte. Diese wurden geduldet, im „übrigen Leben“, stets aber mit einem Unterton des verzeihenden Verständnisses für menschliche Schwächen, und auch dann nur als menschliche Pflichterfüllung gegenüber göttlichem Gebot. Christliche Kirchlichkeit ist keine Welt freudigen Genießens auf Erden; die Freude des Auferstandenen ist kein Genuss im Sinne materiellen Wohllebens. Stoische, nicht epikuräische Philosophie wird hier fortgesetzt; Freude wird im Vater Unser nicht erbeten, sondern Schutz vor dem Bösen, dem Übel. Tiefe kirchliche Überzeugung ist es, dass es ein Paradies auf Erden nie geben wird, jenen Ort des heiteren Genusses. Sündigkeitsgefühl trägt unwiderruflich alles christliche Denken, nicht nur in der Gebrochenheit des protestantischen Menschen. Durch Hedonismus wird all dies verdrängt, er versperrt damit den Weg zu Gott. Denn Seine Gnade bleibt Geschenk, weit entfernt von einem Recht auf zwangsfreies, demokratisches Genießen. So ist denn für die Kirche nicht alles, wohl aber sind zentrale Freuden für Menschen der Gegenwart doch nichts anderes als Sünde. Dies führt denn auch zur Unvereinbarkeit kirchlicher Sexualmoral, in weiten Bereichen, mit einem in der säkularisierten Demokratie sich verbreitenden Verhalten. Die Kirche sieht sich hier bereits weit zurückgedrängt, entscheidend mit dem Heraufkommen der Demokratie: Ihre Klöster schließen, schrittweise muss sie Vergnügen nicht nur verzeihen, sondern entsünden. Viel mag sich noch in nächster Zeit bewegen, doch eine grundsätzliche Antithetik wird immer bleiben: Freude mag die Kirche begrüßen als Potenzierung menschlicher Kräfte zum Jenseits, zu ihrem Gott; doch immer wird dies auf dem Hintergrund einer sündigen menschlichen

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Unvollkommenheit geschehen, welche nur durch Erlösung überwunden und im Jenseits aufgehoben werden kann. c) Letzte Zieldivergenzen: verschiedene Wertigkeiten irdischer Zustände So laufen denn die Beurteilungen idealer diesseitiger Zielvorstellungen, die Bemühungen um bestimmte Zustände letztlich doch auseinander zwischen Kirche und Demokratie. In der Haltung zum Vergnügen wird dies ganz deutlich, doch bereits bei der Beurteilung von Elend und Armut, Streben nach deren Überwindung, zeigen sich, bei aller verbalen Übereinstimmung, tiefe Unterschiede kirchlicher und demokratischer Teleologie. So sind denn im Letzten Gotteswerte eben doch nicht Volkeswerte, jene stehen nicht nur jenseits, sondern höher als diese – gerade das aber kann der Volkssouverän nicht hinnehmen. Gemeinsam sind so manche Wege, welche Kirche und Demokratie gehen, doch ihre Fernziele berühren sich nicht, und so werden und müssen sie sich immer wieder trennen. Eine Wertekorrektur des Diesseits durch das Jenseits mag das Volk hinnehmen, ein umgekehrter Vorgang fügt sich nicht in kirchliches Denken. Nachgiebigkeit und Verzeihen im Einzelfall darf nicht zur Aufgabe von Grundüberzeugungen führen, auf welchen das andere Reich des Religiösen aufruht. Dies muss der Volksherrschaft bewusst sein; sie hat denn auch ganz andere „Toleranzen“, ja eine grundsätzliche Flexibilität in größerer „Toleranz“, in welcher sie kirchlichen Überzeugungen entgegenkommen kann. Etwas wie eine „Werteduldung des Kirchlichen“ zerstört nicht zugleich das Reich der Volkssouveränität, es kann sich sogar berufen auf eine Freiheit, welche hier über allem steht. Von der Kirche aber kann all zu weites Entgegenkommen auf diesen gemeinsamen Wegen nicht erwartet werden. Deshalb ist es Möglichkeit und Pflicht der Demokratie, dass ihre weltliche Macht hier mehr als in jeder anderen Staatsform kirchlichen Überzeugungen entgegenkommt, welche zugleich die eines großen Teiles ihrer Bürgerschaft sind. Und selbst ein entsprechender Minderheitenschutz bleibt eine der demokratischen Grundnormen, schon aus dem Mehrheitsprinzip heraus, während die Kirche, einer jenseitig-absoluten Wahrheit verpflichtet, hier nur begrenzte Bereiche räumen kann. Dies alles mögen allgemeine Wege zu einer praktischen Konkordanz sein, sie heben aber die grundsätzliche Antithese nicht auf, welche beide Partner hinzunehmen haben, aus der heraus sie stets handeln werden: Demokratie ist eine optimistische Staatsform: sie glaubt an die Erkenntniskraft des Volkes wie an seine Fähigkeit, nicht nur geführt zu werden, sondern sich selbst zu führen, auf Wegen des Fortschritts zu immer neuen und besseren politischen Zuständen im Diesseits. Dies alles beurteilt eine Kirche stets in letztem Pessimismus, welcher nur das Reich der mit Gott zu versöhnenden, zu erlösenden sündigen Menschen sehen kann. Die Kirche wird daher stets Leiden (an)erkennen, die der demokra-

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tische Staat nicht dulden darf, und sie wird andererseits auf Positionen der Strenge beharren, die aber für das Volk einwechselbar sind gegen irdisches Vergnügen. An Elend und Vergnügen scheiden sich eben doch die Geister: dem Volk sind sie Skandal und Wert, der Kirche nur Versuchungen, denen widerstanden werden muss. Letzte Zieldivergenz wird hier also die beiden Reiche immer trennen, die Stimmen aus ihnen, die Vox Populi und die Vox Dei schallen und verlieren sich in verschiedene Richtungen – und doch werden sie von denselben Menschen gehört; sie führen nicht zu gemeinsamen Zielen, wohl aber verkünden sie Strecken gemeinsamer Wege. 6. Friede: gemeinsames Ziel von Kirche und Staat? „Friede“ ist die größte aller Harmonieformeln zwischen Gegensätzlichem, ein Wort für die Beendigung von Antithetik, wenn auch nicht in ihrer Auflösung in einer Synthese. Friede bedeutet dauernde Harmonie, mehr als Waffenstillstand auf Zeit. Können Kirche und Staat im Namen des Friedens zueinander finden, kann dann auch in Seinem Namen – Friede herrschen zwischen den beiden Reichen auf Dauer? Ist es nicht gerade die Demokratie, die friedlichste der Staatsformen, welche schon auf Erden jenen Zustand schaffen will, den der Schöpfergott seinen Gläubigen verspricht und hinterlässt? Für Viele ist dies eine naive Sicherheit in der Gegenwart, in diesem Zusammenklang sollen Kirche und Staat zusammenfinden tagtäglich in neuem Mühen. Doch wo Harmonieformeln auftauchen, ist der Formelkompromiss nicht weit, Verständigung über Floskeln ohne Inhalte. Dass gerade die Demokratie eine friedliche Staatsform sei, trotz all ihrer Verfassungsbeteuerungen, weckt Zweifel, schon aus ihrer blutig-revolutionären Vergangenheit, ihrem universalistischen Expansionsdrang oder ihrem missionarischen Eifer in der Gegenwart bis hin zur Gewalt. Dies ist eben doch die Staatsform, die keine anderen RegimeGötter auf dieser Welt neben sich dulden will, ihnen jede Legitimität abspricht, sie daher im Letzten bekämpfen muss. In ihren inneren Strukturen ist sie ebenfalls die Staatsform der geistigen Meinungskämpfe, der Auseinandersetzungen bis zur Straßendemonstration und zum Generalstreik. Allenfalls ist dies ein Raum kurz dauernder interner Friedensschlüsse, in Parteien, Koalitionen oder Tarifverträgen, die rasch wieder in den flutenden Wogen ihrer Dynamik untergehen, nach neuen Auseinandersetzungen durch neue Friedensschlüsse ersetzt werden. Frieden zwischen Herrscherfamilien konnten dauern, wie auch ihre Fehden; der Friedensfürst war immerhin eine feudale Idealvorstellung, und als ein solcher wurde auch der Schöpfergott vorgestellt. Der aber hat seiner Kirche einen Frieden versprochen „nicht wie die Welt ihn gibt“, einen Frieden der Herde, die von ihrem göttlichen Hirten geweidet wird –

III. Die beiden Reiche: Ziele und Werte – Glückseligkeiten

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dann aber hat er doch wieder den Friedfertigen verheißen, sie würden das Land besitzen. In der ewigen Ruhe, im Frieden des Herrn schlummern die toten Gläubigen. In seinem Namen sollen Schwerter in Scheiden gesteckt werden, damit ihre Träger auf Erden durch sie nicht umkommen. Dieser geheimnisvolle, aus menschlicher Sicht so oft widersprüchliche Ewige Friede, so unendlich wie alles, was die Kirche verheißt, – entspricht er der demokratischen Idealvorstellung von einer kanalisierten geistigen Auseinandersetzung, in der Hoffnung, Revolutionen zu vermeiden? Hier zeigt sich, dass irdische Zustände aus der Sicht der Ewigkeit ganz anders gesehen werden als „die Welt sie gibt“, die Demokratie sie in ihrer politischen Welt schaffen kann. Soll die Kirche wirklich Kriege um demokratisch-irdischer Ideale willen segnen, wie sie dies vordemokratischen Regimen gegenüber so oft und viel-kritisiert getan hat, oder soll sie der Volksherrschaft einen Quietismus verordnen, den diese Staatsform politischer Dynamik letztlich nicht kennen darf? Und dann ist da noch die Frage nach dem Preis des Friedens. Um jeden Preis darf ihn die Kirche nicht schließen, nicht einmal wünschen. Wo der Angriff sich gegen die Zentren des jenseitigen Reiches richtet, ihre tiefsten religiösen Überzeugungen, da müssen sich ihre Jünger steinigen lassen und martern, in der Hoffnung nicht auf einen Frieden der Religion mit ihren Feinden, sondern auf ihren Sieg: In hoc signo vinces. Die Volksherrschaft dagegen ist weit freier zum Friedensschluss. Wenn ihr auch nur etwas von ihrer großen Freiheit bleibt, darf und muss sie Frieden schließen, selbst um einen schweren, schmerzlichen Preis; die deutsche Demokratie hat ihn in Versailles und nach 1945 bezahlt. Die Friedensliebe der Volksherrschaft mag zweifelhaft sein und nicht immer ehrlich; doch immerhin ist dies eine Staatsform, welche Pazifismus aushält, wenn auch vielleicht nicht immer fordert, sie kann viel weiter als eine Kirche vor ihm zurückweichen. Zur Friedensbereitschaft kann und muss die Kirche aufrufen, doch Friedensschluss als Selbstverleugnung, als Selbstaufgabe ist diesem jenseitigen Reich nie zuzumuten, da es einem Höheren gehört, der am Ende der Zeiten sein Gericht abhalten wird, nicht Frieden verbreiten über Gute und Böse. Friede ist gemeinsame Hoffnung zwischen Staat und Kirche, wie zwischen allen Menschen und all ihren Zusammenschlüssen. Hier wird die Ruhe aller Auseinandersetzungen angemahnt, und dies gilt wohl nirgends so eindeutig wie im Verhältnis zwischen den beiden Reichen. Doch eine ganz andere Frage ist die nach dem erstrebenswerten Frieden im Diesseits, und hier können sich Demokratie und Kirche nur begegnen in einem Pazifismus über das, was noch verhandelbar ist, was preisgegeben werden darf, nicht um eine absolute Ruhe des Friedens als Selbstwert zu schaffen. Für die Demokratie ist irdischer Friede wohl noch weit mehr wert als für eine Kirche, in der er allenfalls Gläubigen die Ruhe der Gotteserkenntnis und Gottesgefolgschaft belässt. So ist denn der Friede mehr ein überdachter Weg zwischen den Reichen als eine feste Brücke

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zwischen ihnen. Einfach im Pazifismus finden können sich die beiden Reiche nicht, ihr Friede ist nicht derselbe, nicht einmal der gleiche. Doch so viel sollte er zwischen ihnen schaffen auf Erden, dass nicht eine Trennung von Staat und Kirche, wie so viele Trennungen, eben doch alsbald umschlägt in Krieg und Hass. Ein Zustand religiöser Befriedung in Versöhnung auf dieser Welt ist daher wirklich ein gemeinsames Fernziel. Diese Betrachtungen über Ziele und Werte der beiden Reiche, über Zustände in der Annäherung an sie, haben viele Antithesen offengelegt, mehr aber noch an Berührungen aufzeigen können. Viele gemeinsame Wege wurden sichtbar, die sich dann aber auch wieder trennen müssen und nur in diesem Bewusstsein gegangen werden dürfen. So endet denn auch die Teleologie des Aufrufs zu praktischem Handeln in ähnlichen und tiefen Andersartigkeiten und Unterscheidungen zwischen beiden Reichen – aber eben doch auch in einer Vorstellung von Wegen, die sie beide verbinden. Dass diese nicht unterbrochen werden, streckenweise gemeinsam gegangen werden können – wäre dies nicht jene Partnerschaft, welche letztlich die beiden Reiche verbinden kann, in oft schmerzlicher, letztlich aber doch in glückhafter Verschiedenartigkeit?

IV. Grundhaltungen des Menschen in kirchlicher und demokratischer Gemeinschaft 1. Die zwei Optimismen: Kirche: Erlösung im Jenseits; Demokratie: Fortschritt im Diesseits a) Grundoptimismus: Aktivierung des Gemeinschaftsbürgers In welchem Reich, in welcher Ordnung immer der Mensch sich aufhält und tätig wird, welche Ziele immer ihm dort gesetzt werden, damit zugleich die Wirksamkeit der Zielvorstellung – all dies hängt entscheidend ab von einer Grundhaltung: Optimismus oder Pessimismus. Das Verhalten in der Gemeinschaft vor allem ist immer dadurch geprägt: der optimistische Bürger wird stets Aktivitäten entfalten, welche Kontakte zu seinesgleichen verstärken, damit gemeinsame Aktivitäten – Aufgaben und Befugnisse der Gemeinschaft. Optimismus ist als solcher gemeinschaftsgestaltend, Pessimismus endet nur zu oft in isolierendem Individualismus, in einer Endstimmung, welche schon alle Zwischenschritte orientiert. Ein Reich, eine Bürgergemeinschaft ohne einen letzten, einen Grundoptimismus ist nicht vorstellbar, nichts verbindet stärker als er auch grundsätzlich getrennte Reiche. Hier öffnet sich von vorneherein eine eigenartige Gemeinsamkeit zwischen Kirche und politischer Demokratie, wenn beide diesen Grundoptimismus fördern, wie sich im Folgenden zeigen wird. Beide können nicht wirken, sich nicht entwickeln auf ihre Ziele hin, liegen sie nun in dieser oder einer anderen Welt, wenn nicht ein tiefer Optimismus der Erwar-

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tungs- und Aktivitätshaltung ihre Bürger bewegt, in beiden Reichen. Und dabei treibt gerade dieser Optimismus den einen Menschen, den Bürger beider Reiche, vom einen hin zum anderen. Der Gläubige mag sich in seiner politischen Welt unverstanden fühlen, unerfüllt bleiben, in pessimistischer Resignation – und zugleich, vielleicht gerade deshalb seiner Religion nahe sein, seiner Kirche, die ihm Erlösung verheißt und ein besseres Jenseits; so wird sein diesseitiger Pessimismus zu einem besonders stark wirkenden, verschobenen Optimismus mit Blick auf das Jenseits. Der entschieden Nicht-Gläubige wird hier in Pessimismus verharren, aber gerade deshalb seine Aktivitäten auf dieser Welt verstärken in Diesseitsoptimismus. Entscheidend ist also die Phasenverschiebung der jeweiligen Erwartungen in der einen Grundhaltung des Optimismus: Sind sie nahe oder ferne der jeweiligen Gegenwart, in der es zu handeln gilt, so werden sie sich in der kirchlichen und in der demokratischen Gemeinschaft jeweils unterschiedlich auswirken. Selbst ein gewisser zeitweiliger, zeitlich begrenzter Pessimismus lässt sich einordnen in dieses Verständnis eines größeren, übergreifenden Gemeinschaftsoptimismus: wenn sich aus pessimistischer Grundhaltung Kräfte entbinden, welche weiter entfernte optimistische Hoffnungen bieten. So ist denn jeder Optimismus zu betrachten in seinen Erwartungshorizonten, näheren oder ferneren, und in diesen, aus diesen heraus, aus seinen Hintergründen wird er wirken, aktivierend, beruhigend, lähmend. Eine optimistische Grundhaltung mag sich dann auch geradezu wenden gegen eine andere, diese schwächend, oder sie umgekehrt verstärken, schon in einem eigenartigen Vorgriff, welcher das künftig Erreichbare dem Zugriff des Augenblicks öffnet. In dieser bisher wenig erkannten Perspektive sollen nun Kirchlichkeit und Demokratie betrachtet werden. b) Kirchlicher Optimismus: aus dem Jenseits ins Diesseits Den großen Gegenwartsreligionen des Monotheismus, in deren Licht hier Kirchlichkeit vor allem betrachtet werden muss, ist eines jedenfalls gemeinsam: eine Jenseitserwartung, die einer anderen und besseren Welt, und dies ist ein entscheidender kirchlicher Grundoptimismus. Es gibt zwar eine solche Welt des ewigen Glücks nicht für jeden Bürger des Diesseits, der politischen Ordnung in dieser Welt: Auch die Höllenvorstellung ist all dieser Kirchlichkeit, im weitesten Sinne, gemeinsam. In ihr kommt der fürchterlichste Pessimismus zum Ausdruck der überhaupt für Menschen vorstellbar ist: die ewige Verdammnis, unendliche Leiden – das Schlimmste eben, wie es sich Pessimismus nur vorstellen kann. Wenn diese Hölle ihre Verzweiflung ins Diesseits trägt, so bleibt nur der Selbstmord des Judas, jede Gemeinschaft hört auf. Doch diese Hölle der monotheistischen Religionen ist nur vorstellbar als ein Hintergrund, der so entsetzlich

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sich aufbaut, dass er dem Menschen die Kraft verleiht, sich in einem letzten Optimismus, und sei es der der Verzweiflung, eben doch in den Optimismus der Möglichkeit zu werfen, diesem grauenhaften Ende zu entgehen. Daher löst sich der kirchliche Pessimismus der Hölle, nicht erst letztlich, sondern von Anfang an selbst in eine Art von Erwartungs- und Handlungsoptimismus auf: der von den Geistern des Bösen Getriebene, vom Geist, der stets verneint, wird in die Bejahung gejagt, nur in ihr kann er existieren. Darin liegt eine ungeheuere, als solche noch kaum erkannte Kraft, welche monotheistische Gemeinschaftsgläubigkeit auf alle Staatlichkeit ausstrahlt und zu allererst auf die Demokratie: Denn wenn diese, wie sich im Folgenden zeigen wird, die optimistische Staatsform par excellence ist, so findet sie in ihren gläubigen Bürgern eine menschliche Grundhaltung vor, welche nur aus Hoffnung vorstellbar ist, welche Erwartung schafft, von dort den Weg zum aktiven Handeln suchen und finden muss. Eine solche Religion auf dem Hintergrund der Hölle ist dann eben gerade nicht Opium für das Volk. Kirchliche wie demokratische Herrschende sollten erkennen, wie wahrhaft unendlich wichtig dieser infernalische Hintergrund für ihre Herrschaft ist: nur auf ihm ist der barmherzige Gott vorstellbar, der Anbetungswürdige; nur aus solchem Optimismus heraus, der Höllenangst überwindet, kann diesseitige Politik aus der Erwartung ihrer Bürger leben, dass sich hier etwas verbessern lässt, weil eben alles besser, am Ende vielleicht gar gut werden kann. Monotheistische Religiosität lebt aus einer Vorstellung der Erlösung, welche nach einem Tal der Tränen die Pforten des Himmels öffnet. Etwas dazu beitragen vermag Jeder in seinem diesseitigen Tun, ein Stück Selbsterlösung durch gute Werke wird jede Religion der Gegenwart dem Bürger der beiden Reiche anbieten und versprechen. Wieweit immer er dennoch sündig bleiben mag, in einer Vorstellung von Erbschuld, gebrochen in einer Idee des protestantisch-sündigen Menschen, der nur auf Gnade hoffen darf aus seinem Glauben heraus – dies alles schließt eben doch Hoffnung nicht aus, Erwartung, Aktivität. Eines ist zwar gemeinsam und sicher für die großen Religionen der Gegenwart, für all ihre Kirchlichkeit: Das Diesseits ist unvollkommen und daher nicht in vollem Optimismus zu erfassen; ein solcher strahlt aber aus dem Jenseits ins Diesseits bereits hinein, in jene platonischen Höhlen beschränkter Erkenntnis, aus der heraus der Mensch wenn nicht erkennen, so doch erwarten darf, dass es die Lichtgestalten des kirchlichen Jenseits gibt. Die in Erlösungsglauben gesteigerte Jenseitshoffnung des Christentums ist in diesem Sinn eine Höchstform des österlichen Optimismus, der Auferstehung, die den Tod überwindet und dies bereits im Diesseits. So kann also der Bürger einer solchen Kirche hier bereits als ein Erlöster leben, in einer Sicherheit des möglichen glücklichen Jenseits für sich. Dies ist ein wahrhaft gewaltiger, ganz großer Optimismus. Aus ihm heraus haben sich die Bürger der christlichen Staatengemeinschaft politisch die Erde

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untertan gemacht, vor allem aber geistig. Mit dieser ihrer erlösten und erlösenden Geistigkeit haben sie auch die ganze heute absehbare nächste Zukunft der Menschheit entscheidend geprägt; daran wird keine andere Religiosität mehr Wesentliches ändern. Und in diesem großen, letzten Gesamt-Optimismus der christlichen Aktivität, wie ihn Max Weber gültig in seiner Analyse des schweizerisch-calvinistischen plutokratischen Kapitalismus beschrieben hat, tritt gerade die demokratische Staatsform als eine eminent christlich-kirchliche in Erscheinung: Das Jenseits wird sein wie das Diesseits, der Bürger der beiden Reiche darf religiös vertrauen, dass sein diesseitiger Lebenserfolg schon ein Vorgriff war auf sein jenseitiges Glück. Selbst der Sozialist darf hoffen, dass die Leiden der diesseitigen Welt des ungerechten Kapitalismus, welche er schon hier durch seine Mehrheitsdemokratie lindern kann, gute Werke sind, welche ihm in einem noch besseren Jenseits erst recht belohnt werden. Mit dieser großen Jenseitserwartung, die ins Diesseits ausstrahlt, bekehrt christliche Kirchlichkeit einen alten Gegner, jenen Sozialismus, der hier in Solidarismus ihr neuer Verbündeter wird: in Hoffnung.

c) Demokratischer Fortschrittsoptimismus – Diesseitshoffnung Solchen Grundoptimismus strahlt erst recht die Staatsform der Demokratie aus. Das demokratische Volk ist der Souverän des Diesseits, es kennt nur Erwartungen dieser Welt. In ihr aber ist die Demokratie zutiefst optimistisch gestimmt. Die staatliche, in der Demokratie auch die gesellschaftliche Ordnung muss sich das Volk als eine verbesserbare vorstellen – wofür sonst sollte es absolute demokratische Macht eingerichtet haben, diesseitige Allmacht der Gesetzgebung? Nur aus deren Aufgaben kann die Demokratie ihre Legitimation ableiten, aus Verbesserungen, Fortschritten für „das Volk“; sie müssen möglich sein, zum Greifen nahe, wozu sonst Demokratie? Diese Staatsform der ständigen, der ewigen Reformen, des laufenden Fortschritts des Volkes von einer Gesetzgebung zur anderen, ist die Staatsform des Optimismus schlechthin. Im Namen dieser Hoffnung, die sich zum staatsrechtlichen Programm verdichtet, ist die Demokratie historisch angetreten, nach ihrer Grundidee, dem Herrschaftsvertrag. Nach vielen Jahrhunderten eines finsteren Mittelalters, verschütteter Volksrechte, hat etwas begonnen wie die Archäologie der Freiheiten. Stück um Stück werden sie ausgegraben aus feudalem, vordemokratischem Schutt ans Licht gehoben, welches die Fackel der Freiheitsstatue verbreitet. Dies war die historische Tat der Französischen Revolution, diesen Optimismus hat sie nicht nur jenem Volk, sondern allen Menschen mitgegeben, jenen vor allem, welche sie mit dem Amerikanischen Traum in die neue Welt getragen haben, in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – und zugleich in dieses „Gottes eigene Land“. Hier gewann und gewinnt noch immer der demokrati-

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sche Optimismus geradezu religiöse, kirchliche, wenn auch mehr und mehr freikirchliche Dimensionen. In diesem Denken, in dieser großen Transatlantik, hat die Demokratie die Technik entdeckt, welche die Gegenwart beherrscht, gegründet auf einen unzerstörbaren, täglich neu sich bestätigenden Optimismus. Rechtlich findet er seine Grundkategorien in Optimierung, in Annäherung, in der unbrechbaren Vorstellung des unendlichen Fortschritts. Die neugewonnene demokratische Freiheit kann sich nicht ewig in sich drehen, ihre Spiralen greifen nach außen, in den Weltraum und in den ebenso unendlichen Mikrokosmos. Die Demokratie als Staatsform der Technik ist erst recht und endgültig die Staatsform der sicheren Hoffnung, der greifbaren Erwartungen. In diesem Fortschrittsdenken, mit all seinen Annäherungen und Unsicherheiten ist dies die mächtigste Ordnung der bekannten Geschichte geworden, in einem wahrhaft unstillbaren Optimismus. Mittel und Formen hat sich diese Staatsordnung der Demokratie in ihrer Freiheit entwickelt, in ihrer Wirtschaft, auf ihren Märkten. Die Demokratie als Staatsform der Marktwirtschaft, im täglichen Plebiszit des Kaufens und Verkaufens, gründet sich auf dem zweiten tiefen Optimismus neben dem der produzierenden Technik: auf dem der erfolgreichen Geschäfte auf funktionierenden Märkten. Vom feudalen Grundeigentümer ist der Bürger zum kalkulierenden, zum erwartenden, zum hoffenden Geschäftsmann geworden, in allem und jedem. Der Demokrat muss als Mensch und Bürger handeln, nicht wie der Eigentümer, der liegt und besitzt – und fürchtet, sondern wie der Berufstätige und Gewerbetreibende, der letztlich immer spekuliert à la Hausse: Baisse ist ein zeitweises Unglück, das überwunden werden kann, vergessen werden wird. Der künftige Gewinn steht vor Augen, im Mittelpunkt des Denkens, nicht der konsolidierte Besitz. Da mag Verfassungsrecht noch so vorsichtig sein, zurückhaltend in seinem Schutz – auf künftigen Erfolg gründet der Optimismus der Demokratie die ganze Gemeinschaft. So ist demokratischer Optimismus klare Grundstimmung dieser Staatsform in dieser Welt der Gegenwart; und wie der der Kirche, der vom Jenseits kommt, reicht auch er „semper in infinitum . . .“, dies verstanden als ein offener, ein endloser Satz, der eine unendliche Geschichte einleitet. d) Die Begegnung der beiden Optimismen: Aktivität ohne Ende Nirgends wohl so deutlich wie hier begegnen sich religiöses Denken christlicher und ihr verwandter Kirchlichkeit und demokratische Staatsüberzeugung: in einem wahrhaft endlosen Fortschrittsoptimismus, der alles motiviert und als Grundhaltung das gesamte Leben der Bürger prägt in beiden Reichen. Für die Kirche mündet er in ein in Bescheidenheit mit-verdientes Jenseits, für Demokraten gewinnt er eine eigentümliche diesseitige Unendlichkeit, in welcher sie

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ihr Ende im Tode ignorieren, handeln, als gäbe es nur und immer business as usual. Gerade hier ist es, als habe die Demokratie Jenseitsdimensionen in ihr Diesseits einfließen lassen: in der Aktivität ihrer Bürgerschaft, in deren ständiger und ungebrochener Hoffnung, es werde doch immer besser werden, im Einsatz ihrer Mechanismen, im Namen ihrer Freiheiten. So ist ein Reformdenken ihr geistiges Schicksal: hört sie auf zu reformieren, so ist sie bereits tot, glaubt ihr Volk nicht mehr an die Reformfähigkeit ihrer Institutionen, die Reformfreude ihrer Politiker, so endet sie in Anarchie. Dieser unendliche Aktivitätsoptimismus ist es, in dem sich jüdische und christliche Religiosität mit demokratischem Grundverständnis untrennbar verschmelzen. Beiden bleibt nur zu oft allein der Glaube, dass es diesen Fortschritt geben werde und so wird selbst die Demokratie zur Staatsform des Glaubens, bis hin zum credo quia absurdum. Und deshalb hat eine Kirche, deren uralter heiliger Vater zu verdämmern droht, eine ungeahnte, bisher wirklich unerkannte Chance, in dieser Staatsform mit ihrem Glauben zu überleben, welcher eben auch die Volksherrschaft trägt. Wäre dies nicht eine große Begegnung der beiden Reiche? Kann nicht gar sie allein schon – alles tragen? 2. Die Gegensatz-Gefahr: kirchliches Verehren – demokratisches Fordern a) Die Kirche: Welt der Verehrung Alle Kirchlichkeit, jedenfalls die des Monotheismus, lebt aus einer Grundhaltung der Verehrung. Ihr allmächtiger, ewiger Gott kann nur gedacht werden als ein Wesen, welches Verehrung mit den Menschen verbindet. Dies ist weit mehr als irgendein achtungsvolles Verhalten, wie es der Mensch gegenüber Seinesgleichen oder der Schöpfung stets beobachten sollte. Die Verehrung steigert sich als Rechtsgebot in hohe und strenge Dimensionen: Sie verlangt Gebotsunterwerfung, Annahme von Fremdbestimmung in allem Entscheidenden. Sie mag in Freiheit erfolgen, doch ihr Ergebnis ist und bleibt unbedingte Unterwerfung unter den Willen des Allmächtigen. Nicht passive Unterwerfung allein, kein Kadavergehorsam ist kirchliche Grundhaltung, hier wird das Bitten gelehrt; in ihm darf der Mensch seine Wünsche äußern, sie einbringen in einen Dialog mit dem Ewigen – doch auch dieses Bitten bleibt Gebotsunterworfenheit, sie findet in dieser einen eigentümlich „zusammen-wirkenden“ Ausdruck: Dieser Bürger des kirchlichen Reiches ist nie allein, er ist aber auch als solcher keine mitbestimmende Instanz. Er bleibt ein Vorbringender, sich schon darin Unterwerfender, er bittet eben in Verehrung, in dankbarer Annahme von allem was kommt, von oben. Diese Verehrung erfolgt in der großen, allumfassenden Intention und Intensität des Gebetes, welches alle Verbindungen des Menschen zum Jenseits durch-

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wirkt. Letztlich sind sämtliche Beziehungen des Menschen im kirchlichen Raum etwas wie ein großes Gebet, eingebunden in die betende Unterworfenheit gegenüber dem Allmächtigen, darin gewinnen sie eine eigene, eine unendlich intensive, sonst nirgends bekannte Intensität. Da ist weit mehr als ein letztes Nachgeben, eine Haltung, die sich schließlich, nach hartem Revoltieren, eben doch unterwirft. Der Schöpfergott setzt nicht etwas ein wie ein letztes Gewaltmonopol staatlicher Polizei, mit dem er den unfolksam-unfolgsamen Kirchenbürger zur göttlichen Raison bringt. Er will angebetet werden in allem und jedem, in einer wahrhaft immerwährenden Verehrung, nicht nur in letzter Unterdrückung aufbegehrender Kritik. In all dem liegt das Wesen jener Kirchlichkeit, welche man die der theistischen Verehrungsreligionen nennen kann. Es mag sich selbst in polytheistischen Überzeugungen finden lassen, in der Verehrung großer welt-geistiger Abläufe; überall dort eben, wo ein Mensch sich eingebunden fühlt in Ordnungen höherer Mächte. Solche Grundhaltungen wirken aber, weit darüber hinaus, auch dort noch, wo im Namen einer wie immer begründeten Moral, eines wie immer verstandenen Humanismus der Mensch, der Erdenbürger, sich allgemein-menschlichen Regeln unterworfen fühlt, mag er sie auch allein aus seinem eigenen Inneren schöpfen wollen. Abgesehen davon, dass solcher ethischer Solidarismus ohne jenseitige Verankerung letztlich nur schwer vorstellbar ist – selbst wenn er aus überzeugtem Atheismus erwächst, zeigt er sich als eine eigenartige Form der Selbstunterwerfung, als ein sich Ausliefern an Gesetze und Mächtigkeiten, ohne welche dieses menschliche Wesen eben doch nicht existieren kann, in denen es sich gewissermaßen selbst verehrt, den Schöpfergott in seine Brust verlegt. Dem Diesseits erwächst dann daraus letztlich doch nicht ein alles verneinender und zerstörender Anarchismus, sondern eher eine Bereitschaft unbedingter Unterwerfung unter eine diesseitige Macht, welche eben alles tun soll und leisten wird, was überhaupt möglich ist. Dies ist die Haltung jenes kommunistischen Atheismus, der dann in innerer Gesetzmäßigkeit führen musste zur Vergöttlichung von Partei, Staat und Führung. So gibt es vielleicht letztlich niemanden, der sich dieser letzten kirchlichen Verehrung entziehen kann auf dieser Welt; sie ist eine Grundhaltung, mit welcher die Demokratie auch dann rechnen muss, wenn sie die Gegenstände und Formen menschlicher Verehrung freigibt, in laizistischer Staatlichkeit nicht eintritt ins stille Kämmerlein des Religiösen. Diese Grundhaltung der Verehrung für „etwas Heiliges im Diesseits“ entfaltet nun aber – und dies muss hier noch hinzugefügt werden, als eine entscheidende Ausstrahlung – Wirkungen weit hinaus über die Beziehungen des Bürgers des jenseitigen Reiches zum großen Gegenüber, zum Gegenstand seiner Verehrung, zum Schöpfergott. Eine solche Verehrung ist dann nicht nur Ihm geschuldet, sondern Seinen Vertretern auf Erden, allen Instanzen und Organisationen, wel-

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che nach kirchlicher Überzeugung in Seinem Namen sprechen, ohne welche Er der stumme, der tote Gott bliebe. Hier, in dieser Wirkung des Denkens in Verehrung, erweist sich jede Kirche als solche, alle religiöse Gemeinschaft, als etwas wahrhaft Göttliches, sie nimmt teil an der unendlichen Macht aus dem Jenseits. In deren Namen ist ihr Gebotsunterwerfung geschuldet, wird sie Partner des Bittens, kommt sie nahe im Beten, ist sie nicht entrückt in der Zurückhaltung der Kritik. Hier gilt geradezu eine eigenartige, aber letztlich entscheidende Je-desto-Formel: Je mehr es eine Kirche versteht, in ihren Inhalten und vor allem ihren äußeren Formen etwas widerzuspiegeln von der goldschimmernden Unendlichkeit eines Gottes, desto mehr ist ihr gleiche Verehrung geschuldet wie Jenem. Hier öffnet sich das Geheimnis des Weges der Liturgie zur Göttlichkeit. Und diese Grundhaltung einer Verehrung, über welche allein kirchlicher Optimismus die Menschen glücklich zu machen verspricht – soll sie sich nun einfügen können, in etwas wie eine demokratische Verehrung, mit ihr überhaupt vereinbar sein? b) Die respektlose Forderungsdemokratie Die Volksherrschaft ist die Staatsform der Libertät, der Ablehnung jeder Unterwerfung und Fremdbestimmung. Ihre Freiheiten hat sie nicht zuletzt, sondern zuallererst durchgesetzt gegen die Kirche und deren vermeintlichen Gott im Namen des selbstbewussten Bürgers. Die Demokratie kennt nur sich selbst, sie verehrt nur ihr Volk und ihre weltlichen Instanzen, wenn hier überhaupt noch von Verehrung die Rede sein kann. Sie erkennt sie, sie braucht sie nicht anzuerkennen, denn diese volksgetragene Staatlichkeit ist ihre Voraussetzung, nicht ihr Gegenüber, nicht ihr Ziel, das sie zu verfolgen hätte. Volksherrschaft denkt in all ihren Ordnungen in Rechtskategorien, aber nur in solchen eines Rechts, welches sie selbst setzt, das ihr nicht von außen vorgegeben, an sie herangetragen wird. Demokraten bitten und beten nicht, sie gewähren und fordern. Dies ist eine Staatsform der Ansprüchlichkeit, nicht der anerkannten Rechte, nicht der irgendwann erworbenen Rechtspositionen, der verbrieften uralten Privilegien, sondern der stets auf Märkten gehandelten Werte, welche in die wert-vollsten Hände tagtäglich gelangen. Hier herrscht, um es rechtlich auszudrücken, wesentlich ein forderungsbegründetes, ein obligatorisches Rechtsdenken, nicht dingliche Ordnungsvorstellungen, welche vor Erreichtem in Achtung Halt zu machen hätten. Die Demokratie ist groß geworden und wird immer größer als Staatsform der Verteilung, nicht des Eigentums eines Gottes, von dem es im Te Deum heißt: „Alles ist sein Eigentum“. Die Höchstform der Demokratie findet sich nicht in einem Menschen, der im Gebet versunken ist, sondern im aktiven Wahlbürger, der sich mit seiner Entscheidung machtbegrenzend gegen alle wendet, die ihm anderes auferlegen

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wollten als seinen eigenen Willen. Die Demokratie gedeiht in Forderungsmentalität, nicht in bittender Unterworfenheit. Ihr Ideal ist der Bürger, der bereit ist, mit jedem Mächtigen zu rechten, warum nicht mit dem Mächtigsten von allen, dem Gott der Kirchen? Sein Wahlakt, die Speerspitze seiner Souveränität, ist etwas wie ein diesseitiger Schöpfungsakt, etwas wie ein „gewonnener Generalprozess“ gegen jede andere Macht, welche der Bürger über seine Gewählten in Schranken weist, die er allein setzt. Der demokratische Bürger fordert und er erringt, sein Zentralwort ist nicht das Gottesgeschenk, sondern die Errungenschaft. Überall ist in der Demokratie diese Forderungsmentalität gegenwärtig, vom Sozialrecht bis zum Strafrecht, vom Verfassungsrecht bis in den letzten Verwaltungsprozess. Was nicht erstritten werden kann über Anspruch und Recht, hat keinen Wert für Demokraten, in der Demokratie existiert es nicht, weil es nicht zur Disposition der Bürgerfreiheit steht, nicht aus ihr erwächst, aus ihr nicht die einzige Wertigkeit empfängt, welche die Volksherrschaft anerkennt: die des selbstbewussten Menschen. All dies steigert sich zur eigentümlichen Streitkultur der Demokratie, von ihr zur Kampfmentalität dieser Bürger des Diesseits. Die vielkritisierte Forderungsmentalität, Reichenkritik aus Anspruchsdenken, ist ein Zentrum der Demokratie, ohne sie ist ihre Freiheit nicht vorstellbar, die täglich erkämpft sein will. Das Blut der Tyrannen säubert die Furchen, welche die Arbeit der Freien zieht, so proklamierte es die Marseillaise, so singt es die Internationale. Blut statt Verehrung, Sieg statt Gebet – gibt es da noch Brücken? Aktivität – ist dies nicht nur ein überwölbendes Wort ohne Inhalt, wenn es gänzlich verschiedene Aktivitäten zusammenfassen soll: die des Gläubigen, der im Verdienst des Gehorsams sein Jenseits gewinnt, und die des kampfbereiten Demokraten, der schon die um so viel schwächeren Mächte des Diesseits nie hinzunehmen bereit sein wird? c) Kann Kirche fordern – Demokratie verehren? Der Gegensatz der beiden Reiche in all dem, worin ihr gemeinsamer Optimismus sich ausprägen sollte, scheint unüberbrückbar. Kann hier eine Macht auch nur einiges lernen von der anderen? Wie sich so oft in diesen Betrachtungen zeigte, ist auch hier mehr Nähe, als überspitzende Antithese es erwarten ließe, und dies geradezu aus Grundsätzlichem heraus. Der Kirche und ihren Gläubigen sind Forderung und Kampf nicht fremd. Jene milde Süßholz-Kirche, welche nichts anderes mehr vor sich herträgt als Barmherzigkeit ihres Gottes, der sie noch eigene Milde hinzufügen will – dies alles ist ein Zerrbild der strengen, der großen monotheistischen Religiosität. In

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der Gegenwart mögen ihre geistlosen Vertreter glauben, dass sie auf solchen Wegen eines niedrigen demokratischen Demagogismus das Absinken ihrer Gläubigenzahlen aufhalten können. Die Tradition ihrer strengen monotheistischen Kirchlichkeit ist eine ganz andere. In der Römisch-kirchlichen Tradition jedenfalls, weithin auch in staatskirchlichem protestantischem Denken, hat sich stets eine Rechts-Kirche normativ organisiert, durchaus mit wachem Sinn für durchsetzbare Ansprüchlichkeit. Bei aller Öffnung zum höheren, göttlichen Recht – es hat immer etwas gegeben wie eine kirchliche Rechtstaatlichkeit, in Vielem ist sie Vorbild geworden und geblieben für den demokratischen Rechtsstaat. Diese christlichen Kirchen, wie auch die jüdischen Gemeinschaften, waren, und sind stets bereit, „in Forderung zu denken“ in dieser Welt, gerade weil sie sich einem höheren Willen im Letzten beugen. Ihre und ihrer Gläubigen Freiheit auf dem Weg zum Jenseits hat die Kirche mit größtem Nachdruck stets gegen den Staat verteidigt wie gegen mehr oder weniger gleichgeordnete Dritte. Die streitbare Kirche hat eine lange religiöse Tradition. So wie es über ein Jahrhundert lang ein verfassungsrechtliches Zusammenleben gab im Konstitutionalismus zwischen Gottesgnadentum von oben und Volksmacht von unten, beides laufend durchgesetzt in rechtlicher Ansprüchlichkeit, so können auch Demokratie und Kirche eine gemeinsame Sprache des Rechts finden in beiderseits entwickeltem Anspruchsdenken. Es ist nicht diese Grundhaltung, welche die beiden Reiche prinzipiell unüberschreitbar gegeneinander abgrenzt. Allenfalls eine letzte Verehrung ist es, in welche das kirchliche Denken dann eben doch einmündet. Doch hier darf nicht vergessen werden, dass jenes Wort des Allmächtigen, dem sich die Kirche im Letzten unterwirft, welchen sie bittend verehrt – formuliert wird gerade von ihr selbst, von ihren eigenen Instanzen. Die Kirche lehrt Verehrung – doch gerade deshalb wird auch sie verehrt, im Namen ihres Gottes. Darin wirkt sogar etwas, das bereits als menschliche Selbstverehrung im Humanismus erkannt wurde, weit entfernt von kirchlichem Denken. Allenthalben sind hier also doch weite Brücken des Denkens; und wenn Demokraten erkennen, dass eben auch in der Kirche Menschen sprechen, Gebote verkünden und befolgen, wenn auch vielleicht mit anderer Unverbrüchlichkeit als der einer Herrschaft im Diesseits, so werden Unterschiede immer kleiner, weniger im Grundsätzlichen verhaftet, zwischen der verehrenden Kirche und dem befehlend-herrschenden Volk. Die Kirche mag ihre Gebote auf anderen Wegen erlassen und durchsetzen als die Volksherrschaft, eines aber ist beiden Reichen gemeinsam: ein Grund-Sinn für juristisches Denken, für Ansprüchlichkeit, Durchsetzbarkeit, Streitbarkeit. Brückenbauten sind aber wohl noch weit mehr angesagt von demokratischen Ufern aus; diese Staatsform sollte deutlicher als bisher zurückfinden zu einer Verehrung, aus welcher die Kirche ihre Legitimation zieht – damit auch sie sich aus solcher „Verehrung der Staatsform“ begründen kann.

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Gewiss ist die Demokratie, so mag es immer wieder scheinen, die respektlose Staatsform an sich. Ganz offen ist sie gegründet auf jene Gleichheit, welche es ausschließt, sich vor dem Nächsten zu beugen. Doch sollte nicht auch sie mehr als bisher erkennen, dass man eine solche „Gleichheit in Anarchie“ nur abwehren kann, wenn über ihr Höheres bestehen bleibt, hohe Pfeiler gewissermaßen, welche die hängende Brücke der Gleichheit tragen? Die Volksherrschaft muss zur Verehrung finden, vielleicht sogar darin, dass sie ihrem Volk zutraut, wie ein Gott zu sprechen: Vox Populi – Vox Dei. In diesem Wort liegt eine Verehrung der Autorität, welche gerade deshalb überzeugend von oben herrscht, weil sie von unten kommt, in diesem Namen verpflichtend. Die Demokratie ist übrigens gerade an diesem Punkt immer wieder das Opfer antidemokratischer Kritik, die sie nicht abzuschütteln versteht: Der Volkswille wird von ihren Kritikern hingestellt als das Problematische schlechthin, das Ungeistige, wenn nicht Bedauerliche – und dann bald auch zu Belächelnde. Mehr Respekt vor der Majestät der Volksentscheidung, wie immer sie fällt, würde nicht nur die Demokratie als solche festigen, sondern sie auch dem kirchlichen Denken in dessen Vorstellungen von einem letzten, göttlichen Halt wieder näher bringen. Eine Demokratie, welche sich in Reformismus selbst überholt und überschlägt, in jeder ihrer Entscheidungen nur Abänderbarkeit durch eine nahe andere sehen will, ist nichts als verkappte Anarchie. Das Gerede vom dynamischen, ja vom schäumenden Volkswillen, der Vergleich mit den Wellen des Meeres, ist nichts als die Negation der Demokratie als Staatsform. Wenn sie wieder mehr zu ihren Normen findet, zu deren Festigkeit und Strenge, so wird sich hier auch erneut die Dimension einer Verehrung eröffnen für Rechte und Worte eines Volkes, für welche früher so Viele gestorben sind. Wenn in der Demokratie Kritik endlich wieder begriffen wird als ein Weg reiner Darstellung dessen, was dann auch verehrt werden kann, geläutert durch das Feuer der Diskussion, dann wird sich so mancher Graben auffüllen zwischen Kirche und Volksherrschaft, dann wird Diskussion in beiden Reichen zum Feuer der Reinigung dessen, was wahrhaft verehrungswürdig ist am Ende – vielleicht gar gemeinsam. In so vielen Einzelheiten ihrer Institutionen kann und muss die Demokratie wieder Verehrung lernen, den Blick nach oben, damit ihre Stimme wirklich wie die eines Gottes wahrgenommen wird auf Erden, und sei es auch nicht die des Schöpfers. Doch eben dann wird auch diese andere, ferne Stimme wieder, wenn nicht Gehör, so doch Verständnis finden in einer Volksgemeinschaft, deren Bürger etwas entwickeln wie ein einheitliches Organ für Verehrung. In heutiger Demokratie kann all dies nur wachsen aus einer Bejahung der Grundlagen staatlicher Ordnung, die es zu verteidigen gilt, auch in dogmatischer Streitbarkeit. Achtungsgebietende Führungsgestalten benötigt diese Staatsform, nicht Schauspieler zur Volksbelustigung; ihre Autorität sollte nicht immer nur Drohung mit Sanktionen sein, ihr Staatstheater in einem Ernst ablaufen, welcher Achtung verdient.

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Verehrung bedeutet im Letzten Indiskutabilität, Hinnahme, Hingebung. Von der nüchternen Kommerzialität der Gegenwart kann gewiss nicht mehr verlangt werden als die Akzeptanz des als unumgänglich Erkannten. Doch erkannt werden sollte, dass darin eines liegt: demokratische Verehrung. Auch darin begegnen sich die beiden Reiche des Jenseits und Diesseits in dem einen, selben Menschen: dass er zugleich verehren und sein Recht fordern soll, sein Recht im Namen dieser Verehrung. Von voller Überzeugung getragen ist dann die Devise jenes Königs, in dessen Land sich zuerst demokratische Strukturen entfalten konnten, jenes England, über dem steht: „Dieu et mon Droit“. Dies kann eine Einheit werden: Recht in Verehrung gegründet. 3. Gnade der Kirche – Recht der Demokratie Anbetung und Anspruch, wie sie eben gegenübergestellt und zusammengeführt werden sollten, bezeichnen Grundhaltungen des Bürgers der beiden Reiche, jedoch in einer sehr allgemeinen, abstrakt erscheinenden Grundstimmung. Weit deutlicher wird ihr Gegenüber und Miteinander in der Betrachtung der beiden Räume, in welchen der eine, gleiche Mensch lebt, zwischen Kirche und Demokratie: hier die Gnade, welche alle christliche Kirchlichkeit trägt, dort der Rechtsanspruch des mündigen Bürgers, den er durchsetzt vor seinen Gerichten. a) Gnade: Grundlage kirchlichen Lebens Kirche bedeutet eine Ordnung aus Gnade, die vom Schöpfer kommt, nicht aus einem Recht, welches der Gläubige Ihm gegenüber durchsetzen dürfe. Auch die Ordnung der kirchlichen Welt mündet zwar in Gebote des Rechts, doch ihre Quelle ist eben das Gottesgeschenk – Quelle des Volksgebots ist das Recht des Volkssouveräns auf Gesetzgebung und Letztes Wort. Etwas von der Verehrung ihres Schöpfergottes konnte die Kirche auch dem feudalen Fürsten erweisen, solange er sich nicht an Jenes Stelle setzte, an die Stelle des Jenseits. Schwerer hat es die Demokratie mit einer Bitte um Gnade, will sie diese an ihre eigene Rechtsquelle richten, an die Vielen, Unzähligen, Beliebigen. Kann in einer demokratischen Ordnung überhaupt in Kategorien der Gnade gedacht werden, wie sie ausgehen soll von einer großen Masse, ist sie nicht allenfalls vorstellbar im Bild von vielen Händen, die am Ende gerade einen loslassen, in ihrer Revolution, ihn nicht aufhängen am Laternenpfahl? Gott sei mir gnädig! wird jede Kirche stets sprechen und lehren – Volk sei mir gnädig! – wer könnte sich dies auch nur vorstellen? Ob Gnade allein der Schlüssel ist zum Paradies, ob nur sie, im Glauben verdient, dem Menschen seine Rechtfertigung schenkt vor Gott – diese theologische Grundsatzfrage zwischen Protestantismus und Katholizismus ist nicht Ge-

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genstand dieser Betrachtungen, und sie darf hier auch offen bleiben. Denn keine der großen Kirchen hat je leugnen wollen, dass menschliches Verhalten, Aktivitäten im Diesseits, Wege ebnen zu ihrem Schöpfer. Ob es nun gläubige Hingabe allein ist oder die gute Tat, welche bis ins Selbstbewusstsein der Werkgerechtigkeit führen mag – das Entscheidende muss für alle monotheistische Kirchlichkeit stets von Oben kommen, als „ein Geschenk des Vaters, der alles geschaffen hat“. Im Letzten bleibt für die Kirche das Unverdienbare, das Gottesgeschenk entscheidend, zu ihm führt Anbetung und Unterwerfung, eben zur Gnade. Der Moralist mag sich rechtfertigen aus der Befolgung seiner ethischen Gebote, daraus das „moralische Recht“ eben doch ableiten, eine wahre, eine nicht von Gott geschenkte Rechtfertigung. Doch wo immer Verehrungsreligion am Horizont auftaucht, da begrenzt dieser alles menschliche, alles weltliche Verdienen. Selbst der antike Polytheismus unterwarf in seiner Jenseitsvorstellung von der düsteren Unterwelt den Menschen mit all seinen diesseitigen Kräften und Verdiensten etwas wie einer unerbittlichen negativen Gnade des Jenseits, in seinem Reich der Schatten. Weiter lebt dies in dem fürchterlichen „Lasciate ogni speranza“ der christlichen Hölle; die monotheistischen Religionen haben ihren Gläubigen immerhin noch die Hoffnung auf Gnade geschenkt, bevor sie diese letzte Schwelle überschreiten müssen. Es bleibt aber dabei: der Mensch rechtet nicht mit seinem Gott, am Ende des Kampfes Jakobs mit dem Engel steht die glückliche Niederlage des Menschen in der Gnade. Der Ungläubige mag mit seinem Schicksal hadern, der Gläubige nimmt es hin, wie immer es ihm zufällt, als Gottesgeschenk.

b) Volksherrschaft: die gnadenlose Staatsform Der selbstbewusste Bürger der Demokratie bittet nicht um Gnade, er fordert sein Recht. In trotziger Überzeugung klagt er es ein vor seinen weltlichen Gerichten, die er ebenso zahllos und unübersehbar zu schaffen strebt, wie es die unzähligen Träger seiner Volkssouveränität in ihren unzähligen Streitigkeiten verlangen. Der Demokrat streitet mit jedem, zu allererst, so scheint es geradezu, mit seinem Staat, mit der höchsten Autorität, die er kennt. Verwaltungsgerichte weisen die bewaffnete Staatsmacht, die Polizei, in ihre Schranken, die Trägerin des Gewaltmonopols. Sogar gegen seine eigenen Vertreter, die von ihm gewählten Gesetzgeber, zieht der demokratische Bürger noch zu Felde vor seiner Verfassungsgerichtsbarkeit, im Namen von Prinzipien, die er sich in einer Art von naturrechtlicher Gottähnlichkeit selbst gegeben hat, vor denen jede irdische Gebotsgewalt Halt machen muss. Wo kommt in dieser demokratischen Leere ein Gott vor mit seiner unverdienbaren, unerstreitbaren Gnade? Warum darf es keinen Prozess geben gegen den Allmächtigen, keine Anklage, sondern nur einen Schrei aus profundis? Was überlässt die Staatsform des demokratischen Rechtsstaats mit ihren allgegenwärtigen Normen und Gerichten denn noch der

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Gnade einer irdischen Macht? Sie war einst ein Fürstengeschenk, aus seiner Verachtung ist Demokratie geworden. Das Volk als solches kennt keine Gnade, keine Vergebung, ja nicht einmal das Vergessen, die Größe der göttlichen Sündenvergebung. Amnestien waren immer ein unlösbares Problem für den Volkssouverän, nur mit größtem Widerwillen schafft er kleine Schritte zu ihnen, selbst in der kleinen Münze der Steuervergehen. Denn seine große Gleichheit scheint hier doch gebrochen zu werden, in solcher Verzeihung, welche den Steuersünder belohnt – und braucht nicht jede Verzeihung den Sünder, ihn, den selbstbewusste Volksherrschaft nicht kennt, nirgends findet? Wenn sie ihm ausnahmsweise einmal begegnen will, dann bleibt sie unbarmherzig: Wer sich versündigt gegen die Gesetze, wer Verbrechen begeht gegen ihre Menschlichkeit, darf nie rechnen auf das verzeihende Vergessen strafrechtlicher Verjährung, er wird ausgeschlossen aus ihrer zivilen Gemeinschaft, ihm bleiben nur die Keller der Terroristen. All dies erzwingt die strenge, im Grunde unbarmherzige Demokratie, im Namen ihrer unverrückbaren Gleichheit. Die Gnade selbst hat sie verrechtlichen wollen, ganz folgerichtig darin, dass sie ein Recht auf Gnadenverfahren, wenn schon nicht auf Gnadenerweis anerkennt, und dies gegenüber einem obersten Repräsentanten, der nichts repräsentiert an Macht und Recht – eben deshalb einen Rest von Gnade erweisen darf. Die quälenden Diskussionen um Begnadigung derjenigen, welche sich gegen die Heiligkeit der Demokratie versündigt haben, zeigen, dass diese Staatsform nicht lebt aus „Gnade vor Recht“, ja nicht einmal aus „Recht vor Gnade“: Sie kennt überhaupt nur Anspruch und Recht, und selbst der Schwerstverbrecher muss sich seine Gnade durch gutes Verhalten, durch Reue noch verdienen. Wo bleibt da die unverdienbare Gnade? Verlangt die Demokratie wirklich kirchlich-christliche Reue, die anbetende Hingabe an ihre Verfassungswerte, genügt ihr nicht die endlich erreichte Ungefährlichkeit des Attentäters? Wie immer man es wenden mag, es bleibt dabei: die Demokratie ist nicht die Staatsform der Gnade, wie sie das reine Recht eben nicht kennen kann, allenfalls an Rändern organisieren. Kann aus einer solchen Grundhaltung heraus ein Weg der Gnade mitgegangen werden von Demokraten, zu einem barmherzigen Gott? c) Begegnung von Kirche und Demokratie: im Schenken Doch vielleicht ist es wahr: Antithesen sind Menschen-Gedanken, Thesen die eines Gottes. Begegnungen, Versöhnungen gibt es gerade dort, wo Gegensätze sich ins Absolute zu steigern scheinen, ins Unendliche, in dem Parallelen sich schneiden. Hier ist es das Wort vom „Geschenk“, welches die geistige Brücke weist zwischen kirchlicher Gnade und demokratischem Recht.

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Die Kirche war stets eine Welt der Geschenke, und sie hat dies geradezu in die Höhe einer grundsätzlichen Ordnung gehoben. Sie konnte gesehen werden als ein Reich der Lex Charitatis, in einer Ordnung der Liebe. Wenn dieses Wort einer näheren Bestimmung zugänglich ist, so steht an deren Anfang der Verzicht auf Gegenleistung, wenn alle Tauschgerechtigkeit endet, bleibt nur das Geschenk. Die Geschenke der Kirche kommen, nach deren ganzem Wesen, in der Gnade von Oben, der Mensch gibt sie in seiner Nächstenliebe weiter, in einer Karitas, für die er nichts erwartet und nichts erhält, weil er nur das Gute will, nicht die Gegenleistung, nicht sein Recht kennen will und nicht das des Empfängers. So hat denn die alte katholische Kirche immer und wesentlich verteilt: Gnade und Verzeihung in ihren Beichtstühlen und Sakramenten, Brot an ihren Kirchentoren, in ihren Hospizien. Anspruch und Recht war ihr nur bedeutsam zur Erhaltung und Steigerung der Verteilungsmasse, dies ist eine Ordnung, eine Welt des Verteilens. Nach der Würde des Menschen wurde immer gefragt, nach seiner Würdigkeit für Geschenke niemals, sie lag eben bereits in der Würde der Gottesebenbildlichkeit. Diese Welt der Geschenke – ist es nicht gerade die der gegenwärtigen Demokratie? Traditionalisten mochten sich erstaunt fragen, in den letzten Jahrzehnten, wie denn christliche Kirchen, die viele Jahrhunderte nur lebten in einer Allianz mit Tüchtigen und Besitzenden, mit einem Mal ihr Herz so rasch und bis hin zur Schmeichelei entdeckten für die neue, die soziale Demokratie – wenn nicht gar für deren sozialistische Ausprägungen. Seichte Antworten lagen nahe: Findet christliche Kirche damit nicht zurück zu ihren Ursprüngen in der Sklavenreligion der Spätantike? Ist da nicht einfach nur die Demagogie von Vereinen, welche um Mitglieder buhlen? Nicht wenige Kirchenoberen mögen glauben, in solchen seichten Gewässern fischen zu können. Doch da sind tiefere Gründe, welche einen wunderbaren, einen wahrhaft christlichen Fischfang versprechen: es sind tiefe Wasser, aus denen Geschenke zu heben sind, und sie werden gehoben, von Kirche und Demokratie zugleich. Die Kirche setzt nur folgerichtig ihr Gutes Tun fort, in zahllosen organisatorischen Formen. Darüber hinaus sucht sie Grundhaltungen des Karitativen zu verstärken, den verdämmernden Gott in den bedürftigen Mitmenschen immer mehr sichtbar werden zu lassen. Dem Vorwurf der Gottvergessenheit muss sie sich gewiss stellen, wenn sie nichts mehr anderes abgibt, als eine schlechte, billige Kopie effizienterer staatlicher Leistungen; doch selbst dort kann sie sich noch immer darauf berufen, dass die Leistung gleich, die Grundhaltung aber, aus der sie erwächst, denn doch eine eigentümliche, eine religiös-kirchliche sei; und der Staat wird ihr dies dankbar abnehmen, sie nicht als Rivalin, sondern als Partnerin in diesem Tun begrüßen, in dem, was nun gerade seine Demokratie prägt: zur Volksherrschaft als Staatsform der Geschenke.

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Denn dies ist die neue, die politische Form der irdischen Gnade, und keine Staatlichkeit hat sie klarer und in härterer Folgerichtigkeit entdeckt und praktiziert als eben die Volksherrschaft. In dieser Herrschaft der souveränen Vielen herrscht ein sehr lebendiges Denken in Geschenken, und nicht nur in Rechten und Ansprüchlichkeit. In ihren lauten Reden versprechen Demokraten Ansprüche und Rechte überall, die Verwandlung von bisherigen Geschenken in durchsetzbare Rechtspositionen. Doch die Wirklichkeit hat sie eingeholt, gerade in den letzten Jahrzehnten: Ihre zahlreichen „Rechte auf . . .“, von der Arbeit bis zur Wohnung, bis zur Bildung, lassen sich eben nicht gewährleisten, in ebenso vielen unerfüllbaren Rechten auf Geschenke. Es bleibt der bittere Vorbehalt des Haushalts, heute wie zur Zeit des Scheiterns der Nationalwerkstätten der französischen Sozialisten der Revolution und des 19. Jahrhunderts. Nur das Vorhandene lässt sich verteilen, und es gilt der faktische wie rechtliche Primat der Gewinnung der Verteilungsmasse. Ihr, der Produktivität, ist alles letztlich unterzuordnen, sie verlangt viele Opfer von der Gleichheit, fordert Privilegien für den Kapitalisten, astronomische Gehälter für die Führer der Marktwirtschaft. Vor all dem hat in der Praxis gegenwärtige Demokratie längst kapituliert; gegenüber ihrer Verteilungsmasse sind ihre Bürger ebenso ohnmächtig wie Christen vor ihrem Schöpfergott: sie erwarten die Geschenke der Gnade, derer die reich sein dürfen, damit es überhaupt Geschenke gebe. Und Geschenke als moderne Gnaden verteilt die Demokratie immer mehr und am Ende, trotz aller Beteuerungen, mit immer weniger „Rechten auf . . .“, immer mehr allein in hoffnungsvoller Erwartung. Gerade hier nimmt der demokratische Staat das auf, was die Kirche so lange den Menschen geschenkt hat: die Gnade des materiellen Geschenks – in drei großen und typisch demokratischen Formen des Schenkens schon heute und in zahllosen anderen, die noch folgen werden: – Da ist eine sozialrechtliche Umverteilung, die sich geradezu verströmt, aus öffentlichen Haushalten und den Taschen glücklicherer Bürger in die der Bedürftigen. Doch dies alles bleibt Geschenk, etwas wie eine „soziale Gnade“, hängt es doch von jeweils Vorhandenem ab, zu Verteilendem. Erstritten können die Renten werden, aber nur in der jeweiligen Höhe, in welcher sie der souveräne und dem Bürger schon auf Erden geradezu heilige Sozialstaat gewähren will. Dass er nicht anders kann, während der allmächtige Schöpfergott der Gnade auch jederzeit anders könnte – das bleibt ein kirchliches Geheimnis, welches die irdische Demokratie nicht lüften kann. Doch ihr Bürger steht dem alles gewährenden, sein ganzes Leben bis zum Tode beherrschenden Sozialstaat in all seinen Ausprägungen letztlich, rechtlich definiert, kaum anders gegenüber als ein Gläubiger, dem nur eines bleibt: Gnade erbitten. Pointiert ausgedrückt: Die Grenze des faktisch Möglichen lässt das Recht zum

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Geschenk werden, den Anspruch zur Bitte. Die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung der Globalisierung dehnt dies auch noch aus auf alle privaten Beschäftigungsbezüge: Anspruchsdenken, Arbeitskampf, alles Pochen auf eigene Rechte findet eben seine faktischen Grenzen an jenen Möglichkeiten, welche anonym bestimmt werden, so unfassbar für den Einzelnen wie die Schicksalsentscheidung seines unsichtbaren Gottes. So nähert sich die soziale Demokratie auf Erden dem göttlichen Schenker der Gnaden. – Der Gott der Kirche ist gnädig, die Demokratie will gütig sein, den gütigen Staat errichten, mag dies auch gegen viele ihrer rechtsstaatlichen, gleichheitsgebundenen Grundprinzipien verstoßen. Sie lehrt und lernt verzeihen, nicht im rechtlichen Vergessen der Amnestie, wohl aber im großen menschlichen Verstehen, welches ihre ganze Rechtsordnung hält, vom Sozialrecht bis in ein Zivil-, ja in ein Strafrecht hinein, das sozialer wird, Schritt um Schritt. In ihm nimmt die Gesellschaft den gefallenen Sünder resozialisierend wieder auf, wie der Vater den reuigen Sohn. Täglich entwickelt die Volksherrschaft neue Formen verstehender Gnade, entgegenkommender Staatlichkeit. Sie wagt es, Abschied zu nehmen von ihrer strengen Gleichheit in unbürokratischem Helfen. Gelernt hat sie von einer Kirche, die von jeher „non sitit sanguinem“: auch sie dürstet nicht mehr nach dem Blut der Todesstrafe. Die Demokratie hat den verstehenden Staat hervorgebracht, und bald wird sie alle ihre Gefängnisse öffnen nicht nur am Wahltag, zum souveränen Freigang, wie Krankenhäuser, in denen Schwache und Irrende auf Zeit behandelt werden. Eine psychologische Staatsform des Volkes stellt Beichtstühle auf in ihren immer einfacheren Hallen, sie bittet den Bürger zum Gespräch und schirmt dieses ab in Datenschutz und Intimsphäre. Ombudsleute, Vertrauensmänner – was sind sie im Letzten anderes als Beichtväter des Volkssouveräns? Ihr Marsch ist der Verständnisstaat der Demokraten, vom Verstehen alles Menschlichen in die Integration aller Menschen in jede nähere Gemeinschaft. Und dies alles wären nicht Geschenke, Gnaden, sondern Rechte? Was ist letztlich das Recht des Reden-, des Kritisieren-Dürfens anderes als eine Erlaubnis mit ungewissen Folgen, mit Rechtsfolgen jedenfalls, welche nicht der „Dürfende“ setzt, in Händen hält, sondern die Gemeinschaft, an die sich seine Bitten richten – demokratisch „Anregungen“ genannt? – Neben dem sozialen Geben, dem nicht mehr strafenden Verzeihen, gibt es noch eine dritte neue Gnade der Demokratie, die immer mehr ihr Recht fordert in dieser Staatsform, sogleich aber immer mehr zur Gnade wird, zum Geschenk: die Bildung. Auf sie soll es nun ein Recht geben, doch es erschöpft sich darin, dass der Bürger andächtig zuschauen darf, wie sein Staat immer mehr Bildung für ihn organisiert, soweit er eben kann und will, von der Krippe bis zu den Lehrstühlen seiner Hochschulen. Viele werden aller-

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dings sagen, in all dem gebe er, schenke und verteile er am Ende immer weniger, immer mehr Gleiches, Zufälliges, in immer noch bestreitbarerer rechtsstaatlicher Prüfungsgenauigkeit. Eines kann diese Bildungsdemokratie ohnehin nie ändern: Bildung ist und bleibt Geschenk, eine Gnade, welche der allein voll aufnehmen kann, dem ein Organ dafür mitgegeben worden ist, oder der es unter glücklichen Umständen familiärer, sozialer Art entwickeln konnte. Bildung wird immer Angebot bleiben, nie voll erstreitbares Recht werden; dafür sorgt schon das letzte Belieben aller Prüfer. Demokraten wissen von jeher um diesen Geschenkcharakter einer Bildung, auf die sie doch so viel gründen in ihrem Staat, wenn letztlich nicht gar alles. So nennen sie dies eben ein „Angebot“ und bringen hier ihre große Freiheit ins Spiel, in welcher der Mensch sich, ganz kirchlich gedacht, den Weg ins Paradies des Denkens öffnen kann – oder in der Hölle unwissender Gottesferne wird verbrennen müssen. So hat sich denn auch die Demokratie dem Weg der Gnade geöffnet, auf immer neuen Straßen werden ihre Rechte zu Geschenken. Darin wird die Volksherrschaft größer, sie erhebt sich über ihre im Gleichheitsstaat schenkende Nivellierung in neue Macht – so wie der Schöpfergott über dem kleinen, sündigen Geschöpf nur immer noch größer gedacht werden kann. Geschenk erhöht den Schenker, macht ihn zum Souverän. Diese sich gegenseitig Beschenkenden – viele sind es auf Erden – handeln so wie in ihren Kirchen ihr Gott.

V. Das Fazit: Begegnung aus Ferne: Demokratie und Kirche in Räumen, auf Wegen der Versöhnung Dieser zentrale Teil der Betrachtungen sollte eines bringen: Gedanken zu Distanzen zwischen Volksherrschaft und Kirchen – aus denen sich aber doch Nähen entwickeln können, müssen. Das Ergebnis ist einfach und komplex zugleich, gegensätzlich und geistig doch einend: die Ziele, auf welche hin die Bürger beider Reiche unterwegs sind, mögen zutiefst verschieden sein, unendlich weit voneinander entfernt; doch ein großes, ein entscheidendes Stück Weg liegt im Diesseits, ist diesem und dem Jenseits gemeinsam, und auf diesem Stück Weg kann sich der Mensch nur in Gemeinsamkeiten bewegen zwischen Volksherrschaft und Kirche, will er denn beiden angehören, als ihr aktiver Bürger.

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1. Begegnungsräume Aus dieser Grunderkenntnis der unterschiedlichen Ziele und der konvergierenden Grundhaltungen, in denen der Lauf stattfindet auf jene hin, kann nur eine doppelte Grunderkenntnis folgen. Zunächst: Räume muss es geben – und sie sind schon gefunden – in denen beide Mächte gemeinsam tätig sind, in denen jede der anderen Freiheit lässt für ihr spezifisches Wirken, in denen sich aber beide immer wieder begegnen, auf Zeit. Diese Räume gilt es aufzufinden, wo nötig zu entzerren – und doch wieder ineinander zu fügen. Der Demokratie, dieser Staatsform und nicht mehr einem anonymen „Staat“, obliegt die Wahrung der äußeren Ordnung, der Freiheit, aus der heraus alle Zielverfolgung kommen muss. In diesem instrumentalen Raum muss auch der Gläubige untertan sein. Doch in ihnen darf und muss die Kirche reden und mahnen, das Innere des Menschen entfalten und nach außen kehren, damit es dort weiterlaufe in den instrumentalen Ordnungsformen der Volksherrschaft. Der Demokratie ist oft bescheinigt worden, sie sei die Staatsform des Redens – sie bleibt aber die Staatsform des Handelns, während das tiefere Ansprechen der Kirche vorzubehalten ist und ihrem Glauben. Deshalb wird der große „Versöhnungsraum“ von Kirche und Staat in der Demokratie stets abzugrenzen und im Inneren zu gestalten sein in einem großen, letzten Liberalismus, der nun wirklich Gott geben lässt, was Gottes ist. Gerade die Volksherrschaft vermag es aber, in ihre ureigenen Handlungsformen versöhnend die Worte der Kirchen einzubinden, sie vom Nebeneinander in den laufenden Dialog zu führen. An seinem Ende dürfen nie verletzte Gefühle sein, Unüberbrückbarkeiten. Radikaler Demokratismus hat im kirchennächsten Land Europas mit Katholiken den „Compromesso storico“ gesucht und lange Zeit, vielleicht auf Dauer, gefunden. In diesem Wort liegt mehr als ein politisches, zeitgebundenes Programm. Ein historischer Kompromiss zwischen Kirche und Demokratie allein kann diese Räume der Versöhnung abgrenzen und auch ausfüllen, wie sie hier gefordert und in so vielen Begegnungen belegt wurden. Das demokratische Kernwort des Kompromisses, mit all seinen schweren und oft so bitteren Folgen und Opfern muss hier Wirklichkeit werden. 2. Voneinander lernen a) Doch hier öffnet sich ein weiterer Betrachtungsraum in der zweiten entscheidenden Erkenntnis: Kirche und Staat können sich nur begegnen, versöhnen, zusammenwirken, wenn sie voneinander lernen. Gegenwärtige Technik verlangt eines vor allem: Kompatible Systeme. Sie weist den Weg darin, dass

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sie mit diesen vereinbaren Instrumenten nicht jeweils Gleiches bieten will, das eine vielmehr das andere weiterführt, jedes seine Wertigkeit behält. Dies ist angesagt zwischen Volksherrschaft und Kirche: dass sie ihre Grundhaltungen koordinieren, soweit es ihre Ziele gestatten, den Weg zu diesen weithin gemeinsam gehen; nur soweit können Abbildlichkeiten vom Diesseits ins Jenseits tragen. Im Mittelpunkt stehen hier die Grundhaltungen, von denen im Einzelnen bereits die Rede war. Zusammenfassend lässt sich dazu am Ende wohl doch noch so viel feststellen: – Die Kirche muss weit mehr als bisher setzen auf Kampf und Konfrontation, sich darin den rechtlich kämpferischen Mut der Demokraten zu eigen machen, auf ihre Kraft zur Konfrontation setzen. Sie darf nicht alles sogleich zu harmonisieren suchen, in einem irdischen Paradies ihr Jenseits vorwegnehmend. Aufgegeben bleibt ihr der Kampf gegen das Böse in dieser Welt und begegne sie ihm auch in den Formen demokratischer Politik. Vor allem aber muss sie auch diesen Kampf gegen das Böse in sich selbst führen. In dem ewigen Kampf der Kirchen gegen Häresien, wie ihn Katholiken führen und Protestanten, Mohammedaner wie humanistische Atheisten, liegt eine Daueraufgabe alles Kirchlichen, das eben nicht nur einen sicheren Hafen der Ankunft bieten kann, sondern den „Kampf der Demokratie ums Recht“ führen muss in einem „Kampf der Kirche um ihren Glauben“. So muss die Kirche wieder kämpfen lernen und nicht nur teilen und begütigen. – Demokratie aber muss wieder beten lernen – ein schweres Wort für die Enkel der Französischen Revolution; doch auch sie hatten bereits ihr „höchstes Wesen“ verehrt, ihre massonischen Nachfahren haben sich dessen nie geschämt. Diese Volksherrschaft muss lernen weniger als bisher zu kämpfen um des Kämpfens willen, in ihrer Streitkultur mehr Kultur sehen als Streit. Gerade ihr Staat braucht die politischen Grundentscheidungen, wie es ihn seine Theorie des Dezisionismus schon in Weimarer Zeit gelehrt hat, und er braucht einende Werte, welche das Volk gemeinsam verehrt, so wie es damals und später die Integrationslehre forderte. Demokraten haben einst einen Deutschen Kaiser belächelt; doch auch für sie muss es geben ein „Es ist erreicht“ – oder doch ein Gefühl, dass alles erreichbar sei, in Fortschrittsoptimismus. Die Demokratie der Gegenwart muss Verehrung stärken für ihre Symbole, Begeisterung zu wecken suchen für ihre ziellosen Freiheiten, von ihnen bis zu einer großen „Freiheit als Ziel“. Heute ist es die Demokratie, welche allenthalben kämpft, bis in blutige Konflikte, für ihre Ideale, während die Kirche Friedensfahnen entfaltet. Vielleicht muss sich in einer wahren Begegnung der beiden Reiche vieles von dem wandeln, umkehren und sich gerade darin finden: Eine Kirche, die Mut zeigt im

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B. Grundstrukturen der „Zwei Reiche‘‘: Distanzen und Versöhnungen

Namen ihres Gottes, eine Demokratie, die Unterwerfung lehren kann, und sei es in Verehrung von sich selbst. b) Doch nun fehlen noch einige wenige und vorsichtige Worte über die nächsten Schritte eines wahren „Voneinander-Lernens“; es können nurmehr Ansätze sein, Thesen vielleicht, Ideen zu dem, was heute täglich im Mittelpunkt steht: „Demokratisierung der Kirche“, „religionsoffene Volksherrschaft“. Dass nicht eine Vox Populi – Vox Dei aus beiden Herrschaftsräumen ertönen kann, ist schon klar geworden. In so manchem Organisatorischen, Instrumentalen aber können sie sich doch in gebotener Vorsicht annähern, kompatibler werden gerade dann, wenn sie sich nicht in einem falschen Frieden umarmen, da dieser, jedem von ihnen sein eigener, nur geschenkt sein kann. Die Diskussion vor allem um die Demokratisierung der Kirche ist bisher nur zu oft geführt worden in einer kaum zu überbietenden Oberflächlichkeit, und vielleicht war gerade dies notwendig: Hier standen und stehen sich nun wirklich Innen- und Außenstehende oft unversöhnlich gegenüber. Die Theologen sehen sich gefangen in ihren Systemen, oft Labyrinthen, in denen allein sie ihre Wahrheiten zu finden glauben und Ziele. Oswald Spengler bereits konnte das feine System der katholischen Dogmatik vergleichen mit der modernen n-dimensionalen Mathematik. Hier kann ein fallender Stein das Gewölbe zum Einsturz bringen, so scheint es doch. Außen aber ruft das Volk, nicht mehr gläubig und still wie einst in den großen Hallen der gotischen Kathedralen, sondern mit schrillen Stimmen hinein in das Allerheiligste der Sakramente und Priester. Dieses Volk kennt seine Rechte nur zu gut, die seiner Demokratie; es versteht und kennt immer weniger die Esoterik kirchlicher Dogmatik. In die Chorstühle will es eindringen, doch sie sind zu eng für seine Zahlen, zu schön vielleicht auch für sein einfach-banalisierendes Denken. So ist und bleibt hier harter, verständnisloser Kampf immer wieder angesagt. Doch gerade das Staatsrecht der Demokratie ist geeignet und aufgerufen, hier zu vermitteln. Den Rufenden, außen oder „unten“ kann es gerade aus Begriffen und Kriterien der ihnen so vertrauten Demokratie, die sie ins Allerheiligste tragen wollen, zeigen, wo dessen Stufen beginnen, nicht für jeden zu ersteigen. Deshalb ist das demokratische Staatsrecht ein Lehrstück für all das, was an Demokratisierung der Kirche, letztlich damit des Heiligen, gut ist und möglich – was aber andererseits auch nie wird gelingen können, was eben „Demokratie auf Erden“ bleiben muss. Dies ist Sinn und Programm des Folgenden.

C. „Demokratisierung“ der Kirchen I. Demokratische Wurzeln christlicher Kirchlichkeit 1. Demokratische Elemente und Entwicklungen im kirchlichen Raum Für alle christliche Kirchlichkeit ist historische Tradition von entscheidendem Gewicht: Für die katholische Kirche stehen ihre Inhalte als Glaubensgegenstand neben denen der Schrift, Protestanten „stehen hier“, können nicht anders als stehen bleiben in dieser ihrer historischen Grundüberzeugung. Was also von Anfang an war an Volkesstimme in der großen, langen Entwicklung christlicher Kirchlichkeit, was immer neu sich dort hat formieren können in Volksnähe, das ist und bleibt „Demokratie in der Kirche“; und eine solche Demokratisierung hat es von Anfang an gegeben und immer weiter. Manches muss die Kirche lernen vor der Volksherrschaft – davon wird noch zu sprechen sein. Doch viel genuin Demokratisches ist in ihrer Tradition angelegt, damit in ihrem Wesen, und es kommt aus längst „vordemokratischen“ Zeiten. a) Die alte Kirche: von der Basisbewegung zur Volksnähe der Ordensreligion Die katholische Kirche ist im spätaristokratischen Militärstaat der Römer entstanden und gewachsen, seinen Strukturen hat sie sich notwendig angenähert, von Anfang an, republikanische Plebs im politischen Sinne ist sie nie gewesen. Doch faktisch-soziologisch kommt der Katholizismus aus der Plebs Christi, aus der Untergrundreligion der Katakomben, aus der Subversion des Polytheismus in den militärischen Strukturen durch die Märtyrer-Offiziere, die am Ende den Militärstaat übernehmen. Überall ist Erfolg von unten, von allen Seiten. Die Eroberungsvölker werden sodann als solche bekehrt, wieder von Oben und von Unten zugleich, ansetzend an allen Punkten ihrer eigenartigen gefolgschaftlichen und in Vielem durchaus „demokratischen“, vor allem auch germanischen Strukturen. Im Osten schon früher und im Westen alsbald ist die große Bekehrungsbewegung getragen von einer Ordenskirchlichkeit, mit ihr verschmilzt die Kirche immer enger, fast bis zur Identität, in Großbewegungen der Benediktiner, sodann der Franziskaner und Dominikaner. Gewiss fließen soziale und politische Grundideen eines verbreiteten Gefolgschafts-Aristokratismus auch ein in diese,

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C. „Demokratisierung‘‘ der Kirchen

in die wesentlichen kirchlichen Strukturen. Doch in den Bettelorden rücken sie immer näher noch an das ganz kleine, an das arme Volk. Mit ihm können diese sprechen in den zwei demokratischen Grundsprachen: in der der Armut der Herrschenden, aber nicht persönlich Besitzenden, „sind“ sie einfach das Volk, in seiner wirtschaftlichen Enge; und in ihren Herrschaftsmechanismen wirken sie über Jahrhunderte in der unzerstörbaren Gleichheit klösterlicher Kollegialität; als sich dann die Ehelosigkeit ausbreitet, wird der Zölibat zur unüberschreitbaren Schranke familiengestützter Feudalisierung. Gegenwärtige Kritiker haben nie erkennen wollen, dass diese kirchliche Organisation eine der wichtigsten und grundsätzlichen Formen stets geboten hat, in denen sich im Ergebnis demokratische Kollegialität in Herrschaft verwirklichen konnte. So endete die große, alte Kirche bis in die Gegenwart nicht in einem flächendeckenden Geflecht monarchischer Herrschaften, trotz all ihren bischöflichen Strukturen, sie erhielt sich, mit der Idee des Collegiums, weit über alle Ordenskirchlichkeit hinaus, stets eine tiefe Basis-Gleichheit der Priester. Diese setzte sich durch auf allen Ebenen der Hierarchie, blieb historisch sogar weithin durchlässig von unten nach oben und regierte die Kirche auf all ihren Ebenen, von ihren ständigen Kapiteln bis zum seltenen Conclave. Schwer verständlich ist es, wenn nicht ein Zeichen von bewusstem Unverstand, dass diese Großorganisation stufengegliederter Räte – darin so nahe den Grundstrukturen des marxistischen Kommunismus – nicht erkannt wird und anerkannt als eine eigenartige Form gestufter Volksherrschaft, denn offen war sie immer zum Volk im freien Zugang zu all ihren Sakramenten, vor allem dem des Priestertums. Es war wohl vor allem die im Klosterreichtum verschüttete ursprüngliche Armut, welche nicht mehr als Brücke gesehen werden konnte zwischen dem in der neueren Zeit immer reicheren Volk und der eben noch reicheren Kirche. Dass aber in deren so langer Geschichte konstanter Demokratismus stets gewirkt hat, von dort in seinen Gremien, Abstimmungen und Wahlen übertragen werden konnte in den weltlichen Bereich, dass diese kirchliche Demokratie Grundstrukturen geradezu der gegenwärtigen Volksherrschaft hervorgebracht hat – wer wollte dies geschichtlich in Frage stellen? b) Der Protestantismus der Gemeinden und Synoden: Reform kirchlicher Demokratie Der Protestantismus war eine große kirchliche Demokratisierungsbewegung. Er kam herauf, als die mönchische Bewegung sich abschwächte, als sich Hierarchie verfestigte in spätmittelalterlichen Feudalismen. Sie hat er brechen wollen in seiner Kirche von unten, in seinem allgemeinen Priestertum, in seinem Volk, das in seinem Glauben seinen Gott gemeinsam von Unten bittet, ihn darin allein erkennt. In Deutschland rief er zwar die gepanzerten Reitergeschwader der Fürsten zur Hilfe gegen dieses wahrhaft auf-atmende Volk in seiner neuen

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Geistigkeit und seiner alten Armut. Doch sie konnten nur in festen Burgen befrieden, äußerlich, stehen blieben sie außerhalb alles Kirchlichen, als harte Protektoren des Glaubens; er entfaltete sich im Inneren dieser Festungen im verinnerlichten Christentum des Pietismus, in Deutschland durchdrang er mit Liedern und Lesungen das Volk, im kalvinistischen Freiheitsgeist kirchlicher Unabhängigkeit widerstand er dem neuen Papismus protestantischer Fürstlichkeit. In diesen beiden großen Grundformen des heutigen Protestantismus wirkte einheitlich die demokratisch-christliche Kirchlichkeit aller Christen. Wie im Katholizismus mit seinen Gremien und gleichen Abstimmungen so lebten auch im Protestantismus, der dies in Gleichheit auf das ganze Volk verbreitet hatte, gerade Prinzipien weiter, welche dann die moderne Demokratie konstituiert haben: die Gemeindeidee mit ihrem „Volk im Kleinen“, die Synodalidee der letztlich in Glaubenssachen beschließenden größeren und zum Volk geöffneten Convente. Der Katholizismus hatte die große alte konziliare Idee verfestigt, ja vereinmaligt in seinem Tridentinum, diese große kirchliche Versammlung als eine unüberschreitbare oligarchisch-demokratische Mauer aufgebaut gegen das Vordringen demokratisch erneuerter Kirchlichkeit der Protestanten. Ihre Bewegung war, aus demokratischer Sicht, eine wahre Reformation der alten Kirche auch darin, dass sie Konzilien, große Versammlungen stellten über Papst und Hierarchie, in all ihren religiösen Strukturen. So lebte hier verbreiterte und dem Volk geöffnete Hierarchie weiter; in den festen Burgen der evangelischen Fürsten herrschte kirchliche Demokratie jedenfalls im Grundsatz. Dies sei auch zum Verständnis und zur Verteidigung des viel gescholtenen Summepiskopats gesagt: Gesellschaftlich-soziologisch mag es in protestantische Kirchlichkeit hineingewirkt haben, hier aristokratisierende Züge verstärkend, welche sich ohnehin, über die Trennung vom organisierten Katholizismus hinweg, aus der gemeinsamen alten Kirchlichkeit stets erhalten hatten. Doch es war im Grunde eben nur ein aristokratisch geschützter Demokratismus, der hier überlebte und in dem sich auch der Aufstand des Geistes der Aufklärung müheloser noch entfalten konnte als in den festen tridentinischen Ordnungen der alten Kirche. Diese beiden Großentwicklungen, des Katholizismus in seiner alten antiken Weisheit, des Protestantismus in seiner wahrhaft reformierenden Öffnung – sie beide sind letztlich in ihrer Geschichtlichkeit Ströme alter und neuerer Demokratizität, und in dieser gerade könnten sie sich wohl auch in einer Ökumene treffen, deren katalysatorischen Raum die weltliche Demokratie ihnen schafft. Dies mag zurzeit noch Vision sein, doch neuere Bewegungen zeigen es bereits in Realität:

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c) Katholische Volksbewegungen In katholischen Volksbewegungen ist etwas wie eine neue, geistige Reformation herausgewachsen aus dem Zusammenbruch der katholischen Kirche in ihren Formen der ältesten Tochter der Kirche, wie er im aufgeklärten und revolutionären Frankreich erlebt wurde. Von da an, im Gefolge der großen geistigen Umwälzung der Nationalstaaten, hat sich gerade die alte Kirche mit der ganzen Kraft ihrer volksnahen Organisation besonnen auf ihr Volk. So geschah es in den von Priestern getragenen Aufständen in Spanien, in den Revolten der kirchentreuen Iren, im Widerstand der Polen aus ihren Kirchen heraus bis heute. Politische Sozialbewegungen waren dies stets, doch spät erst und nicht zuletzt in Deutschland sollten sie auch in die Grundsätzlichkeit einer kirchlich-politischen Sozialbewegung hinaufwachsen. In Deutschland hatte der Protestantismus Geist und Bildung weithin auf seine Seite gezogen, das Bürgertum, nicht aber das Volk. In einer wahren Geistigkeit, die allerdings nicht selten Züge intellektueller Überheblichkeit annahm über vermeintlichen katholischen Obskurantismus, begann sich nun aber dieser Protestantismus zu verlieren in massonischem Deismus, der nur mühsam über Bildungsprogramme noch das Volk zu erreichen versuchte. Dort entfaltete sich jedoch, gerade in Deutschland, in dem aus der geistigen Herrschaft des deutschen Idealismus zunächst verdrängten Katholizismus alsbald eine geistige Volksbewegung, neben der Arbeiterbewegung der Sozialisten, mit vergleichbarer BasisIntensität. Nicht zuletzt aus den katholischen Sozialwerken des 19. Jahrhunderts, aus einer Grundsatznähe zu Arbeitern und Bauern, entstand eine starke katholische politische Partei, welche der Kulturkampf nicht brechen sollte, sondern stärker werden ließ. Mit Leo XIII. kam auch hier die geistige Wende, die alte Kirche hatte das neue Soziale entdeckt, in ihm war sie auferstanden, wie allein sie es vermochte: ganz im Grundsätzlichen. Die großen Sozialenzykliken, die katholische Soziallehre entfalteten in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Grundlagen eines nicht nur Korporativismus, sondern eines wahren Demokratismus, der sich einfügen konnte in die neuen Massenbewegungen, welche der Sozialismus ausgelöst hatte. Im Faschismus mochte dies in Feudalisierungsversuchen enden, im Nationalsozialsozialismus bald in seiner rivalisierenden Gefährlichkeit vom Regime erkannt und bekämpft werden – es blieb insgesamt unverloren und hat gerade in Deutschland, von der Zentrumspartei bis zu den christlichen Demokraten, weltliche Demokratie hervorbringen, sich in ihrem Namen mit ihrer Parallelbewegung des demokratischen Sozialismus verstehen können. Die kirchliche Frontstellung des Katholizismus gegen die Demokratie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Exkommunikation eines Lammenais, ist in dieser großen Entwicklung eine theologisch begründete, im Grunde aber politische Parenthese ohne grundsätzliche Bedeutung geblieben. Hier wendete sich Rom

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nicht so sehr gegen die Idee eines politisch herrschenden Volkes im Diesseits, als vielmehr gegen einen Liberalismus, der damals und auch noch später in Frankreich antikirchlich-massonische Züge trug. Bis in die Gegenwart ist er in der Tat ein – wenn auch durchaus demokratischer – Gegenpol geblieben zu kirchlichen Demokratievorstellungen, wie sie hier angesprochen wurden. Denn eine Freiheit des Laissez faire kann nie die alleinige Grundhaltung in einem Reich sein, dessen Bürger die Unendlichkeit des Schöpfergottes erwarten, unter ihr leben. 2. Die Neue Demokratisierungsbewegung a) Übernahmen aus demokratischer Politik Nach dem weltweiten Durchbruch der politischen Demokratie in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und bereits vor dem Zusammenbruch ihres großen marxistischen Gegenüber, hat sich die christliche Kirche in all ihren Ausprägungen den neuen Formen der Volksherrschaft genähert, ja geöffnet. War sie es bisher, welche stets von neuem, von gegenwärtigen Demokraten darin wenig verstanden, demokratisierend, Volksstimmen aufnehmend in die Politik des Spätfeudalismus hineingewirkt hatte, so öffnete sie nun ihre Tore, und nicht selten allzu rasch und weit, der neuen, allein seligmachenden Staatsform auf Erden. Mit einer liturgischen Sprachentwicklung, welche nicht selten revolutionäre Züge annahm, näherte sie sich den vielen Sprachen der Völker. Sie entdeckte die von ihr generationenlang misstrauisch betrachtete Freiheit nicht nur in geistiger Diskussionsoffenheit, sondern vor allem in ihrer diesseitigen Grundsätzlichkeit, die hinaufreichen will in den Menschenrechten bis an die Grenzen der Transzendenz. In zahllosen sprachlichen, begrifflichen Begegnungen suchten Katholiken wie Protestanten Räume zu besetzen oder doch zu halten, in welche die neue Volksherrschaft vordrang, um in ihnen allerdings auch manche ihrer alten, wahrhaft teueren Privilegien sich zu erhalten in konkordatären Übergängen. Damit entstand in der großen Entwicklung eine neue Phase, eine wahre Wende: Statt kirchlichen Befruchtungen demokratische Übernahmen. Der Volksherrschaft war es gelungen, sich nicht nur mit ihrem Absolutheitsanspruch grundsätzlich neben der Kirche aufzubauen im Diesseits, mit einem allein seligmachenden geistigen Anspruch wollten viele überzeugte Demokraten die Stimme ihres Souveräns hinübertönen lassen in die alten Hallen der Kirche. Eindeutig zeigt sich seit Jahrzehnten: Da ist ein neuer Geist der Begegnung, nicht mehr nur einer Versöhnung aus dem Selbstbewusstsein einer Jahrtausende alten kirchlichen Tradition mit einer neuen politischen Strömung, sondern in einem oft geradezu atemlosen, ökonomischen und politischen Amerikanismus nachahmenden Wettlauf – um nicht zu sagen Nach-Lauf –, der auch in der Kirche die vermeintlich glückliche politisch-demokratische Zukunft des unend-

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lichen Fortschritts erstrebt. Traditionalisten in den Kirchen leiden unter ihrem schlechten Gewissen einer verkrusteten Vergangenheit, die nicht mehr historischer Gottesbeweis ist, sondern allenfalls noch Vorbote des Untergangs. Fortschrittliche Scamisados, im wahren Sinne des Wortes, streifen Kutten ab und Sutanen, wollen gleiche Bürger sein, zuallererst, in der großen Demokratie der Egalität. Hier sind Bewegungen im Lauf, die weit über das hinausgehen, was in diesen Betrachtungen gefordert wurde, zum Besten der Kirche wie der Demokratie. Es mag als ein Aufschäumen gesehen, aber es muss ernst genommen werden, grundsätzlich, für die nächsten Jahrzehnte.

b) „Kirche von Unten“ Dies ist nicht ein sektiererisches Gläubigengrüppchen, auf dessen Selbstauflösung die Kirche leichten Herzens warten, ja zählen dürfte. Eine Fortsetzung des größeren Volkskirchentums des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sucht sich hier Raum zu schaffen. Seine revolutionierenden Spitzen mögen sich unschwer immer wieder brechen lassen, es bleiben Grundüberzeugungen, welche weithin nur alte Prinzipien in neuen Kleidern präsentieren: konkret in einem durchgehenden Synodalismus bis in die Verästelungen religiöser Team-Arbeit hinein, Laienbewegungen im Kirchendienst in verwaisten Pfarreien und leeren Kirchen. All dies findet zusammen in einer geistigen Bewegung, welche Hierarchieabbau ebenso überzeugt und hartnäckig verfolgt wie Autoritätsabbau in der Demokratie die alten Herrschaftsstrukturen verändern soll. Hier werden nun neue Grundsatzfragen gestellt, nicht nur alte Bischöfe von selbstbewussten Laiengremien herausgefordert: Die große Demokratisierungsbewegung hat aus der Parteipolitik übergegriffen in die Gesellschaft; von dort soll sie die Kirche erreichen, formieren, verändern. Von der politischen Macht des Staates über die menschliche Macht der Gesellschaft soll nun in der Kirche die Demokratie erreicht werden, in einer eigentümlichen Begriffswandlung könnte man geradezu sprechen von einem neuen „Dritten Rom des Volkes“, nach der Alten Kirche und der Reformation vielleicht gar von einer zweiten Bewegung dieses Namens. „Mehr Demokratie wagen!“ – wenn dies auch im kirchlichen Raum gelten soll, so öffnen sich viele neue Wege ganz selbstverständlich, sie werden bereits beschritten im Laienpredigertum bis zum Religionsunterricht der Familienmütter, über den Kirchendienst der gleichberechtigten Frauen bis zum Steuerbewilligungsrecht der finanzgewaltigen Laien. All dies ist bereits weithin kirchliche Realität, der Weg lässt sich so weitergehen in den kleinen Prozessionsschritten vatikanischer Prälaten, wie in den großen Worten protestantischer Prediger. Bisher hat es den Niedergang christlicher Kirchlichkeit nicht aufzuhalten, ja nicht einmal zu verlangsamen vermocht. Doch Alternativen sind nicht in Sicht. Mit der größten Kraft der Volks-

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herrschaft, ihrer politischen Alternativlosigkeit, kann und wird wohl auch in den Kirchen, in allen, fortgefahren werden – vielleicht ver-fahren, in einer bedenklichen Doppeldeutigkeit des Wortes. Deshalb sollen hier aus staatsrechtlich-politisch-demokratischer Sicht doch noch Grenzen und Möglichkeiten einer solchen Demokratisierung der Kirche betrachtet werden, vor allem damit auch die Grenzen eines derartigen, oft schrankenlos erscheinenden Übernahme-Optimismus derer deutlich werden, welche an die Grenzen ihrer Religion zu stoßen meinen – und nun glauben, sie im großen demokratischen Sprung überwinden zu können.

II. Grenzen der Demokratisierung in Staat und Gesellschaft 1. Staat und Gesellschaft – eine demokratische Einheit Eine erste und wichtigste Erkenntnis, wo immer von Demokratisierung die Rede sein soll, muss zeigen: Aus der Sicht diesseitiger Volksherrschaft kann es eine solche nur in einer gegenseitig sich durchdringenden Gemeinsamkeit von Staat und Gesellschaft geben. Der demokratische Staat definiert sich allein und in letzter Grundsätzlichkeit daraus, dass er nicht „reines Recht“ setzt, aus normativen Elfenbeintürmen bewacht, was in rechtstechnischer Eigenständigkeit geschaffen wurde. Die politische Demokratie ist der große Ausgriff in eine Wirklichkeit, welche sie abzubilden unternimmt in ihrer Rechtsordnung. In einer wahrhaft globalen Wechselwirkung greift der politisch-institutionell geformte Wille über die durch Rechtsmacht beherrschten Räume hinaus ins Leben der freiheitlichen Gesellschaft hinein – und er empfängt aus diesem in Rückkehr oder erstmaliger Spontaneität, immer neue gesellschaftliche Impulse. Der demokratische Abgeordnete, Herzstück der Volksherrschaft der Gegenwart, lebt ebenso in zwei Reichen wie der gläubige Mensch: als Glied seiner Gesellschaft, aktiv in ihr in beruflichem Handeln und seinem ganzen menschlichen Verhalten – und dann wechselt er in den großen Konvent der politischen Volksherrschaft. In sich bewältigt er laufend diese Rollendualität. Daher ist er der wirkliche, ursprüngliche Demokrat, offen für die Doppelbürgerschaft des Menschen im Reich der Kirche und des Diesseits mit dessen beiden Reichen von Staat und Gesellschaft, die bereits eine Einheit geworden sind; und warum sollte dann nicht, nach diesem Bild und Gleichnis, auch die Einheit von Demokratie und Kirche kommen und noch viel tiefer? Diese Einheit der diesseitigen Reiche, Gesellschaft und Staat, sehen radikale Demokraten bereits als volle Einheit, während Vertreter der Freiheit eine Trennung zwischen ihnen betonen, welche dann Staatsmacht begrenzt, das Überwirken ihrer Prinzipien in die Gesellschaft aber nicht schlechthin ausschließt. Lässt

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man diese zwischen Demokraten bereits „ewige“ Frage der Einheit oder doch einer Trennung von Staat und Gesellschaft einmal im Grundsätzlichen offen, beschränkt man sich auf Überwirkungen des einen Reiches ins andere, zeigt doch bisherige staatspolitische Erfahrung hier notwendige Abläufe einer gewissen Osmose, in welcher auch die Gesellschaft durch demokratische Grundhaltungen geprägt wird. Dies beschränkt sich ja keineswegs auf die demokratische Staatsform; ähnliche Angleichungen an politische Grundentscheidungen hat es stets gegeben. In der Feudalordnung entsprach die starke Stellung des Familienmonarchen der des Fürsten im Staat; der Nationalsozialismus übertrug sein Führerprinzip auf die Wirtschaft und geistigen Strukturen seiner Volksgemeinschaft. Die Wirkung des Demokratischen in die Gesellschaft hinein, eine weit stärkere Bewegung als die umgekehrte gesellschaftlicher Entwicklungen auf die demokratische Staatlichkeit, ist also eine gesicherte Realität und eine legitime prinzipielle Entfaltung der Staatsform. Die Kirche muss sich diesen allgemeineren Entwicklungen und auch konkreten Anstößen schon deshalb stellen, weil sie im Diesseits bereits wirken konnten „von Reich zu Reich’“, vom Staat zur Gesellschaft, weil dieser demokratische Staat nicht ruhen wird, bis er seine Menschen endlich auch motiviert zu kirchlicher Demokratie. Dahinter steht ein Wort, welches Demokraten in der Politik immer teuer war, nicht nur in Frankreich: „Radikal“ soll aus dieser Staatsform heraus gehandelt werden, so nennen sich Parteien gerne und selbst dann, wenn sie in friedlicher Verbürgerlichung allen revolutionären Schwung bereits verloren haben. Begriffsinhalt des Radikalen in seinem ursprünglichen Verständnis bringt eine Dynamik in die hier erörterte Frage der Demokratisierung des Kirchlichen, mit der die Kirche rechnen muss: Sie muss wissen, dass ihr gegenüber Radikaldemokratismus sich immer wieder aufbauen wird, dass Demokratisierung der Kirche stets von Vertretern dieser genuin volksherrschaftlichen Grundhaltung als eine volle, als eine Radikaldemokratisierung verstanden werden wird. Gerade deshalb aber muss nun, aus kirchlicher Sicht, die Frage folgen, ob denn radikale Demokratisierung überhaupt möglich ist in Staat und Gesellschaft, wo dort bereits ihre Grenzen liegen – und ob sich nicht bereits daraus, und sodann erst recht, aus dem Wesen des Kirchlichen, Grenzen ergeben für alles, was hier Demokratisierung genannt werden kann. 2. Grenzen staatlich-gesellschaftlicher Demokratisierungen a) Staat: Ordnungsstatik gegen Dynamik – Verfassungsstabilität Bewegungen einer „Kirche von unten“, in welcher Form und auf welcher geistigen Ebene immer sie sich auf demokratisches Denken berufen, äußern sich nicht selten in einer Weise und mit Zielsetzungen, welche sich selbst auf politische Demokratie nicht mehr berufen können. Diese letztere hält stets einen

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gewissen Ordnungsrahmen aufrecht; sie kommt nicht aus einer menschlichen Grundstimmung, welche sich etwa in christlicher Karitas verströmen, in Mildtätigkeit und Verzeihen über bestehende Ordnungen hinweggehen wollte. Wenn im Bereich der Kirche schon „Demokratie gespielt“, in demokratischen Kategorien gedacht werden soll, so darf dies nicht in einer religiösen Grundstimmung geschehen, welche sogar der politischen Demokratie als solcher fremd ist. Jede Religion, die christliche zumal, kann es sich erlauben, zu menschlichem Verhalten in einer Intensität und Dynamik aufzurufen, welche sogar anarchische Züge annimmt, eben weil sie nicht von dieser Welt ist, in deren Ordnungen einen letzten, unverbrüchlichen Halt stets doch findet. Nicht selten aber geschieht es, dass im Namen der Demokratie in der Kirche mehr verlangt wird, als die politische Demokratie je zuzulassen bereit wäre. Dieses „überschießend Religiöse“ kann sich daher nie auf demokratische Vorbilder des Diesseits berufen und sollte daher immer religiösen Ordnungsvorstellungen zugleich Rechnung tragen, die eben ganz andere sind und daher auch unterschiedliche Gegengewichte einsetzen können gegen demokratische Anarchiegefahren, unter denen Volksherrschaften nur allzu sehr leiden. Christliche Demokraten müssen daher in ihren Kirchen von vorneherein aus ihren Forderungen jene Dynamik nehmen, welche der Kirche im religiös-Jenseitigen erlaubt ist, diesseits aber in der politischen Demokratie keine Rechtfertigung findet. Vieles entschärft sich dann bereits: politische Demokratie ist eben keine religiöse Sekte. Sie ist in allgemeiner Volks-Realität verwurzelt. Doch jenseits von solchen Erkenntnissen verlangt nun demokratisches Denken, will man es schon auf die Kirche übertragen, eine weitere Feststellung: Gerade jene Volksherrschaft, welche gewisse intellektuelle und andere Laienbewegungen in die Kirche tragen wollen, findet in so manchen staatsrechtlichen Organisationsformen der Volksherrschaft keine Entsprechung und in vielem auch deutliche, bald erreichte Grenzen: eine durchgehende Demokratisierung ist der politischen Demokratie in ihren rechtlichen Strukturen fremd, sie wird sich selbst dort, das lässt sich heute schon sagen, in absehbarer Zeit nicht verwirklichen lassen. An vier Grundsätzen heutiger Demokratie lässt sich dies verdeutlichen: – Gegenwärtige Demokratie ist, in Deutschland, in Europa jedenfalls, letztlich nur in der Form des Verfassungsstaates vorstellbar; dies gilt auch für Englands ungeschrieben praktizierte Verfassung. Höhere Mehrheiten, komplizierte Revisionsverfahren haben allenthalben zu einer weitgehenden Stabilität demokratischer Ordnungen geführt, um den Preis weitreichender Unabänderlichkeit der rechtlichen Prinzipien der Staatsorganisation. Daran ändert auch ein verbreiteter Verfassungswandel nichts; gerade in größeren, europäischen Zusammenschlüssen muss das Volk allenthalben die Prinzipien einer nun noch höheren, noch schwerer abänderbaren Normschicht achten. Solches Ver-

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fassungsdenken kann aber weder religiöser Gewissensfreiheit noch sozialer Verteilung in Nächstenliebe einfach freie Hand lassen, wie es so manche religiöse Dynamik wünscht. Das politische Verfassungsdenken der Demokratie rechtfertigt letztlich auch die Unverbrüchlichkeit höchster kirchlicher Grundsätze, ja es fordert sie, als ein jenseitiges Gegenstück zur diesseitigen Stabilität. Was der Demokratie im Diesseits nie gelungen ist – verfassungsloser Jakobinismus in einem täglichen Volks-Plebizit – das kann erst recht nicht aus einer Übertragung ihrer Prinzipien in den kirchlichen Raum gerechtfertigt werden. – Aller gegenwärtiger Verfassungsordnung ist das Grundprinzip Gewaltenteilung immanent. Sein rechtliches Wesen besteht darin, dass das eine Volk gerade nicht einheitlich alle Gewalt ausübt, dass dies vielmehr nur in jeweils speziellen mehr oder minder unmittelbar an eine Basis angebundenen Formen möglich ist. Die ständig wiederholten, nie überzeugenden, oft gequälten Versuche, alle drei Gewalten „möglichst nah an den Volkssouverän zu binden“, sie „demokratisch zu legitimieren“, waren bisher nie von dogmatischem Erfolg gekrönt; für Richter wie Verwaltung häuft diese „demokratische Legitimation“, wenn man von ihr noch sprechen will, über komplexe Mechanismen bis zum Volk, die es bereits fraglich erscheinen lassen, ob von diesem überhaupt noch als einem Souverän mit eigenem Willen die Rede sein kann. Wenn aber diesseitige politische Demokratie diesen Volkssouverän als einen einheitlichen gar nicht kennt, wenn ihre Gewalt weithin über volksferne Institutionen ausgeübt wird, nur darin überhaupt verwirklicht werden kann, so muss doch Demokratie-Begeisterung für eine Übertragung demokratischer Strukturen in die Kirchen diesen zumindest dieselbe Organisationsfreiheit belassen: Die Grundgesetze der Kirche dürfen dann eben angewendet, weiter entwickelt werden wie in der staatlichen Demokratie durch Amtsträger, welche verwalten und richten, darin dem Volk nicht, jedenfalls nicht unmittelbar verantwortlich. Gewaltenteilung als unüberschreitbarer Hürde der Volkssouveränität muss dann doch zumindest in der Kirche so sich auswirken dürfen, wie dies tägliche Praxis in der politischen Demokratie zeigt. Damit rechtfertigt sich aber von vorneherein eine gewisse Unabhängigkeit dieser kirchlichen Instanzen vom Willen einer wie immer definierten Stimme des Volkes. Kirchendisziplin, die Anwendung kirchlicher Gesetze ist nicht Sache des gläubigen Volkes. – Gegenwärtige Demokratie beruht in allen Staaten weithin, in vielen faktisch allein, auf dem Gedanken der Repräsentation. Volkswillen in Volksbegehren und Volksentscheid mag sich manche Ordnung leisten, trotz der bekannten Gefahren für die Stabilität der Institutionen; als grundsätzliche Gesetzgebungsform ist dies allenfalls ein marginales Korrektiv der Demokratie. Das muss sich nun jeder innerkirchliche Versuch entgegenhalten lassen, in diesem jenseitsgeprägten Raum gar noch weiter zu gehen, als es lange demokrati-

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sche Tradition bisher erlauben konnte, ohne ihre Ordnungen zu gefährden. Manche mögen denken, es solle dann sogar kirchliche direkte Demokratie, oder es sollten Formen religiöser Betroffenheitsdemokratie gar noch in den Staat getragen werden, wo sie doch zu vielen und schweren Problemen geführt haben. Ein solcher religiöser Glaube mag sich in Überzeugungsformen dieser Welt nicht überwinden lassen; in einem aber sollte er konsequent bleiben: Aus Erfahrungen des Diesseits im Staatsrecht der Volksherrschaft lässt sich eine direkte Kirchendemokratie nicht rechtfertigen, sie sprechen deutlich für das Gegenteil: Repräsentanten souveräner Gewalt mögen gewählt werden, wenn es um Gesetzgebungen geht, um sekundäre Normen, im Rahmen der höheren, grundsätzlichen Verfassung. Hier findet ein Synodalismus gewiss organisatorisch ausreichenden Raum, wie protestantische Erfahrungen beweisen, die aber nie die letzten Grundsätze ihres Glaubens diesen Gremien überantworten wollten. Dass eine Kirche diese Vertretung des Volkes – mag man sie denn auch so nennen – auf Lebenszeit Berufenen überträgt, sich damit weithin für ein Priester-Beamtentum entscheidet, bedeutet sicher eine noch andere Wahl, weiter entfernt von Grundströmungen gegenwärtiger Volksherrschaft. Doch ihnen würde im kirchlichen Raum bereits dann entsprochen, wenn die nachgeordneten, insbesondere disziplinarischen Normen mehr als bisher von Gremien gesetzt würden, in denen nicht-priesterliche Vertreter verstärkten Einfluss erhielten. Kirche als solche, in all ihren Grundprinzipien, einem Willen des Volkes zu überantworten – das verlangt auch politische Demokratie nicht. – Beachtet werden muss schließlich ein letztes Prinzip, welches sich in gegenwärtiger Volksherrschaft, jedenfalls in deren staatsrechtlicher Praxis, immer mehr durchsetzt: Mandate werden auf eine gewisse Dauer verliehen, sie lassen sich oft nahezu lebenslang immer wieder erneuern, und dies geschieht weithin in der Wirklichkeit. Der praktische Abstand zwischen lebenslangen kirchlichen Berufungen und derartigen zeitlich begrenzten Übertragungen mag noch immer beachtlich sein, sich auch noch weiter begrenzen lassen; Anfänge sind bereits in Altersgrenzen gemacht worden. Doch nichts spricht dagegen, dass die Kirche auch das längere Mandat kennen darf, vielleicht unter strengerer disziplinarischer Überwachung als sie je in einer Volksherrschaft gelingen konnte. Nimmt man all dies zusammen, so zeigt sich: Von „voller Demokratisierung“ ist die staatliche Ordnung weit entfernt, wie sie manche in kirchliche Strukturen übertragen wollen; dies wäre nur um einen durch nichts zu rechtfertigenden Preis der Begründung erreichbar, dass in der jenseitig orientierten Kirche etwas durchzusetzen wäre, was im Diesseits sich bisher niemals hat realisieren lassen. Demokratische Staatslehre kann also nur zur Zurückhaltung raten, ganz abgesehen davon, dass sie nicht wissen kann, ob selbst die gegenwärtigen Formen demokratisierender Volksnähe sich in einer oder mehreren Generationen verstär-

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ken oder ob sie sich nicht doch wieder abschwächen werden. Die Kirche aber muss auch derartige Zwistigkeiten überleben dürfen, und dies schon aus ihrer heutigen Sicht beachten. „Volle Basis-Demokratisierung“ ist also als solche kein gegenwärtiges StaatsProgramm für christliche Kirchen – nicht einmal ein Staats-Ziel. b) Demokratisierungsbewegungen Noch weit weniger als auf staatliche Strukturen und Entwicklungen können sich Demokratisierungsbewegungen innerhalb der Kirche auf solche Tendenzen im außerstaatlichen Bereich des Diesseits berufen. In der gegenwärtigen „Gesellschaft“ – wenn sich hinter diesem vieldeutigen Wort überhaupt eine fassbare Realität verbirgt –, verstanden in ihrer staatsfernen Beständigkeit, hat sich eine Demokratisierung nach staatlichem Vorbild nirgends vollständig, allenfalls in einzelnen Bereichen ansatzweise vollzogen: in der Familie, im Zuge der Gleichberechtigung der Geschlechter, und in einem Bildungssektor, in welchem ebenfalls verstärkt Gleichheitsvorstellungen wirksam sind. Doch allenthalben haben sich auch sogleich Grenzen ergeben, aus der Natur der Sache, der zu ordnenden Rechtsbeziehungen: Zwei Personen können eben nicht wirksam abstimmen, einigen mussten sie sich auch früher; und Bildung bleibt letztlich auf Wissensvermittlung gerichtet, nicht auf Abstimmung, allenfalls noch auf Entwicklung der Diskussionsfähigkeit. Die „Gesellschaft“ ist als solche nicht demokratisiert worden, sie lebt nicht aus Mehrheiten und Abstimmungsentscheidungen, sondern, in ihrer beherrschenden Wirtschaft, nach wie vor in Austausch und Ausgleich von Gütern und Interessen. Dass in der Gesellschaft heute allenthalben selbstbewusste Menschen tätig sind, mehr als in den früheren, höflich formalisierten zwischenmenschlichen Beziehungen, hat insoweit tiefere Veränderungen menschlichen Verhaltens oder gar gesellschaftlicher Strukturen nicht zur Folge gehabt. Gewisse Wirkungen wird diese allgemein-menschliche Entwicklung zwar auch innerhalb der Kirche entfalten: so manche äußere Formen früheren Gehorsams werden sich wandeln; doch all dies bringt letztlich keine andere Kirche oder gar eine andere Religion hervor. Sanktionen mögen schwächer werden, Inhalte aber behalten ihre Bindungswirkung. In der Gesellschaft sieht sich die Kirche ganz anderen Problemen gegenüber als denen eines demokratischen Selbstbewusstsein: sie muss ankämpfen gegen einen irdischen Materialismus, der weit weniger kommt aus antireligiösem Freiheitsstreben denn aus greifbar-wirtschaftlichen Erfolgen; mit ihnen aber setzt sich keineswegs mit Notwendigkeit antikirchliches Denken fort, allenfalls eine Gleichgültigkeit, die aber nicht durch Demokratisierung in der Kirche überwunden werden kann. Derartige gesellschaftliche Entwicklungen werden sogar, aller Voraussicht nach, immer häufiger den Staat, auch in seiner demokratischen Form, an der

III. Letzte kirchliche Grenzen aller Demokratisierung

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Seite der Kirche sehen, weil er nur mit ihrer Unterstützung überhaupt noch ideelle Gemeinschaftswerte zum Tragen bringen kann in der voll säkularisierten Gemeinschaft. In der Wertediskussion begegnen sich ohnehin jene beiden Reiche, die eben gerade hier tiefe Gemeinsamkeiten zeigen: ein letztes Bedürfnis und ein Gefühl für Hoheit und Ordnung, welche von Werten gehalten wird. Vielleicht wird man bald erkennen, dass der demokratische Staat die Autorität der Kirche braucht, um einer Demokratisierung Einhalt zu gebieten, welche die Volkssouveränität in Anarchie verwandeln könnte. Dann wird sich auch die Kirche weitreichenden Demokratisierungen öffnen, in ihren organisativen Strukturen und verfahrensmäßigen Abläufen. Sie wird aber dem demokratischen Staat zugleich letzten Halt leihen aus ihren Grundprinzipien. Aus dem Jenseits heraus sind sie doch sicherer und beständiger als eine selbst in Verfassungspatriotismus zuhöchst verehrte oberste Gesetzlichkeit von Werten. Dann kann gerade diese Demokratisierung der Kirche einen Weg der Begegnung, der Versöhnung, der Verbindung zwischen Volksherrschaft und Kirchlichkeit eröffnen.

III. Letzte kirchliche Grenzen aller Demokratisierung 1. Beide Reiche: auf Fels gebaut Demokratisierung steht weit bescheidener auf der Tagesordnung politischer Entwicklung als viele meinen; von Alters her findet sie im kirchlichen Raum stärkere Anknüpfungspunkte als heute bewußt ist. Konvergenz zwischen den beiden Reichen ist hier also schon deshalb kein eigentliches Grundsatzproblem. Dennoch muss sich die letzte Eigenständigkeit der beiden Räume, in denen sich der Mensch bewegt, auch hier bewähren, sie trennt nicht, sie ergänzt und kann vollenden. Unverzichtbarkeiten kennt jedes dieser Reiche, jeder Ordnung sind sie eigen, Unantastbarkeiten von Positionen festen Besitzes, unverlierbarer Überzeugung. Ohne ein solches letztes geistiges Eigentum würde, um mit Augustinus zu sprechen, der Staat zur Räuberbande, die Kirche zur Gehirnwäsche rücksichtsloser Macht. Ohne ein letztes „Ich kann nicht anders“ gibt es für Menschen weder Kirche noch Gott. In demokratischem Überschwang mochten Vertreter des souveränen Volkes im 19. Jahrhundert mit Léon Bourgeois sprechen „Wenn wir nicht diskutabel sind, sind wir nicht wahr“. Doch dies konnte nur ein Bekenntnis zu dem Weg bedeuten, auf welchem eine auch für die Demokratie unwandelbare Wahrheit zu finden sei. Es war dies nicht ein Bekenntnis zu ihrer Negation. Grundlagenlose, überzeugungsarme Demokratie ist ein Widerspruch in sich; die gequälten Diskussionen um die „streitbare Demokratie“ zu Beginn der neuen deutschen Republik konnte im Letzten immer nur über Wege geführt werden, nicht über höchste Inhalte, welche die Staatsform halten. Wer auch sie noch in ein Meer

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grenzenlos flutender Meinungsbeliebigkeit wirft, verliert demokratische Staatsform. Darüber kann es heute keinen Zweifel mehr geben: wie immer man die letzen gemeinsamen Überzeugungen nennen mag, Verfassungsgrundlagen, Konsens oder Gemeinsamkeiten der Demokraten – es muss sie geben, sie sind zu verteidigen, mit allen Mitteln dieser Welt. In diesem Sinn ist auch die Volksherrschaft eine feste Wagenburg von Menschen und, man mag es so nennen oder nicht, sie ist auf einem Felsen gebaut, genauso wie es der Gründer des Christentums seiner Kirche versprochen hat. Dieses sein Wort muss aber noch viel fester die Kirche halten, sie kann ihre letzten Grundlagen zu niemandes Disposition stellen, auch nicht zu der der Demokratie. Der Wandelbarkeit des Irdischen, bis hin zu dessen Verfassungswandel, kann sie nur absolute Unwandelbarkeit letzter Werte gegenüberstellen – oder es gibt sie nicht mehr, sie hat vielleicht nie existiert. Dies sind die letzten unüberschreitbaren Grenzen, an denen auch jede Demokratisierung der Kirche Halt machen muss. 2. Kirchliche Unverzichtbarkeiten a) Das Heilige – das Dogma In der Kirche sind letzte, höchste Überzeugungen heilig, im Sinne des auf immer, in allem und jedem Unwandelbaren. Diese Kategorie ist selbst der Volksherrschaft, gerade ihr nicht unbekannt, obwohl sie das Heilige nicht kennen will. Demokraten waren die ersten, welche 1884 die republikanisch-demokratische Staatsform der III. Französischen Republik erklärten; deutsche Verfassungsbegeisterung hat dies in der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 des Grundgesetzes für ihre Staatsform, ja sogar für tragende einzelne Säulen derselben aufgenommen. In diesem Sich-Beugen vor hohen Strukturen und höchsten Werten ist also die Volksherrschaft der Heiligkeit des Kirchlichen nahe. Die Kirche hat diese ihre letzten Überzeugungen verfestigt in der Form des Dogmas, einem viel kritisierten und viel missverstandenen Wort, in dem sogar noch demokratische sprachliche Inhalte mitschwingen: Dogma ist doch nach seinem griechischen Ursprung das, was „als Wahrheit erschien“, was Wahrheit zu sein schien – wem? Denen die dies formulierten. So verstanden müsste das Wort eigentlich für den Inhalt jeder demokratischen Entscheidung gelten können, zu allererst für jedes Gesetz: Das Gesetz „erscheint“ dem Gesetzgeber als richtig, als das zur Zeit Beste. Eine Problematik des Dogmas für Demokraten mag darin liegen, dass hier allzu klar, schneidend und trennend, Prinzipien formuliert werden, die als solche, nach juristischem Verständnis, immer nur in Annäherung zu verwirklichen sind, von denen auch immer vielfältige Ausstrahlungen ausgehen. Ein Jahrtausende langes Ringen um Klarheit juristischer Formulierungen hat die Römische Kirche auf dem Weg der klarsten aller Sprachen zu

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solchen Festlegungen im Dogma geführt, vielleicht verführt. Doch in ihrer langen Geschichte hat sie jene Vorsicht nie verlernt, welche sich, auch dem Dogma gegenüber, letztlich alles vorbehält; und gerade deshalb hält sie an ihrem Lehramt fest, welches ihr so vieles offen hält – auch das Heilige, gerade in seiner fernen Strahlkraft, der sie sich nicht allzu sehr nähern darf, damit sie von ihr nicht verbrannt werde. So zeigt denn die nähere Betrachtung des Heiligen – wenn es sich überhaupt betrachten lässt – dass sich in seinem Namen und in seiner Achtung Demokratie und Kirche viel leichter, wahrhaft zwanglos annähern, vielleicht gar finden können, als es vielen ihrer radikaleren Vertretern heute scheinen mag. Unverbrüchlichkeiten kennen beide Reiche, auf bruchlosem Felsen müssen sie sich beide errichtet sehen. Vielleicht können wahrhaft radikale Demokraten die Kirche schon deshalb verstehen, ja einbeziehen in ihr Denken, weil sie zwar deren Gott nicht verehren, wohl aber unter einem irdischen Gott stehen – ihrem Volk, das sein will wie Er – aber nicht notwendig gegen Ihn. Gemeinsame Sprache – selbst mit Worten des Heiligen?

b) Das Amt – das Letzte Wort Diese Nähe des demokratischen und kirchlichen Denkens im Namen des unverbrüchlich Heiligen führt zugleich zu einer zweiten unwandelbaren Grundlage, und auch hier haben beide Reiche zwar nicht gleiche inhaltliche Grundlagen, in ihnen herrscht aber ein Denken in letztlich gemeinsamen Kategorien: in denen des Amtes der Wächter und Lehrer, ohne welche es weder Volksherrschaft geben kann noch Kirchlichkeit. Heiligkeit ist nicht vorstellbar ohne eine Instanz, welche sie den Menschen eröffnet, die sie annehmen und verehren. Sie muss so unbedingt sprechen und sodann sanktionierend handeln können, wie die heiligen Inhalte Verehrung verlangen. Und wieder ist diese Kategorie keiner Staatsform derart gemeinsam eigen mit der Kirche wie gerade der Volksherrschaft. Über all ihren flutenden Diskussionen, den unendlichen Vielseitigkeiten des Handelns ihrer Bürger muss es eine Instanz des Letzten Wortes geben, das nicht vom Volke kommt, aber zum Volke gesprochen wird, in seinem Namen. Es ist dies der Richter in all seinen Erscheinungs- und Äußerungsformen, vor allem in der ihnen allen gemeinsamen Endgültigkeit seines Spruches. Ihm unterwirft sich die diesseitige Macht umso schneller, vollkommener und bedingungsloser, je mehr sie sich zur Demokratie bekennt. Es ist kein Zufall, dass die größte Demokratie der Gegenwart auf totaler Gerichtsunterworfenheit gegründet ist, bis in das tagtägliche Leben ihrer Bürger. Die Rechtfertigung dafür liegt nicht allein, ja nicht einmal vornehmlich in einer Volksnähe, welche angelsächsisches Gerichtstheater nun keineswegs in besonderer Weise widerspiegelt. Hier wird sogar in einer treuen

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Anknüpfung an vergangene Entscheidungen judiziert, die doch dem heutigen, aktuellen Willen des Volkssouveräns keineswegs mehr entsprechen müssen. Dieses Letzte Richterwort ist nichts anderes als die politische Form demokratischer, diesseitig-rechtlicher Endgültigkeit – und all dies findet sich in der letzten Entscheidung der Kirche, sei sie nun Verzeihung oder Verdammnis. Dies kann nur aus einer Amts-Vorstellung heraus gedacht sein, in welcher sich die Heiligkeit der Inhalte personifiziert und instrumentalisiert, fassbar wird täglich allen Bürgern beider Reiche. Diese Amtsgewalt muss also die Kirche für das Diesseits dem Staat lassen, seinen Gerichten, die Demokratie der Kirche in ihrer letzten Lehr- und Entscheidungsbefugnis. Wenn es hier zu Gegensätzen kommt zwischen solchen Letzten Worten, so müssen die Herrschenden in den beiden Reichen dies hinnehmen, sich ihrem jeweiligen Spruch verpflichtet fühlen, wie zwei souveräne Staaten, deren Gerichte unvereinbar entscheiden: Sie werden dann aber, wie es im Völkerrecht täglicher Brauch ist, auf beiden Seiten und in all ihrem hoheitlichen Verhalten, Unvereinbarkeiten abzumildern suchen bei der Anerkennung fremder, diesseitiger oder jenseitiger Souveränität. Dies alles muss geschehen in einem Geist des tieferen gemeinsamen Verstehens der anderen Seite, in der Erkenntnis, dass es diese überhaupt nur geben kann in einem solchen Letzten Wort. Priester werden Strafen geduldig hinnehmen müssen, wie ihre Heiligen Schriften sie ihnen verheißen haben, Demokraten die Exkommunikation; eines Tages wird all dies aufgehoben sein. Auf ihre letzte Amtsgewalt kann und wird die Kirche keiner Demokratisierung gegenüber verzichten können, kommt sie doch nicht aus den Stimmen vieler Menschen, sondern aus dem Jenseits, von ihrem Gott. Vox Populi – Vox Dei bedeutet dann: Die Vertreter der Heiligen Gewalt, die Priester und Vorsteher des Volkes, werden stets hören auf das Wort dieses Volkes, aber es wird sie nicht binden als Wort Gottes; es ist dies die Kirche des Rates von Unten und vielleicht gar von Oben: denn wie oft scheint doch auch dieser ferne Gott seinen Vertretern auf Erden nicht viel mehr zu geben als – Ratschlag. Sowenig demokratische Gesetzgeber sich den Waffen von Jakobinern beugen dürfen, welche sie von ihren Tribünen herab bedrohten, heute aus Medien, die außerhalb ihrer Bannmeilen ihnen zurufen – so wenig kann und wird je eine Kirche, die diesen Namen verdient, ihre Amtsgewalt in die Hände eines solchen Volkes legen. c) Die letzte Unwandelbarkeit des Kirchlichen Um eine letzte Grenze, welche sie von der Kirchlichkeit trennt, muss alle Demokratie jedoch immer wissen: Ein Gottesreich hat sich als wesentlich unwandelbar zu verstehen. Es ist auf ein Jenseits gerichtet, von dem seine Vertreter und seine Bürger nur wissen, was ihnen geoffenbart worden ist, nichts Näheres, was sie befähigen könnte, einen Rahmen abzustecken, in welchem sol-

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cher Kirchlichkeit Wandlungen gestattet seien oder gar sich anbieten könnten. Gerade das große, unbekannte Jenseits ist es, welches in dieser seiner Verhülltheit Unantastbarkeit und daher Unwandelbarkeit fordert, unbedingt. Denn sonst könnten Menschen, Vertreter menschlicher Kirchlichkeit, auf Erden über dieses Reich des Jenseits etwas aussagen, was Menschen verborgen bleiben sollte. Festhalten muss daher die Kirche an ihren Offenbarungen um jeden Preis, sie stehen nicht zu ihrer Disposition, gerade weil sie selbst fern und unnahbar erscheinen, Interpretationen ausgesetzt, aber nicht Veränderungen. Die Volksherrschaft des Diesseits sieht sich nicht vor solchen Schranken. Ihre Gesetzgeber und Bürger wissen, in welchen Rahmen der Wirklichkeit sie sich bewegen, sie können es zumindest abschätzen, erahnen. In ihnen werden sie dann handeln, verändern; weil sie mehr wissen über ihr Reich, dürfen sie mehr verändern in ihm. Der Kirche ist dies versagt, da ihr Reich ihr von Oben geschenkt ist, in Ferne gezeigt. Die Volksherrschaft muss also wissen, dass Unveränderlichkeiten, Unabdingbarkeiten im kirchlichen Raum weit fester und tiefer verankert sind als in ihren staatsrechtlichen Strukturen. Da lässt sich nicht korrigieren und rückgängig machen, was Gegenstand eines tieferen Glaubens war. „Mit leichtem Herzen“ mag die Demokratie so manches Experiment wagen, von der Kirche etwas erwarten, was diese aber nicht unternehmen darf, weil sie nicht sicher sein kann, einen Irrtum hier je korrigieren zu können. Wenn sie aber irrt, auch nur in einem wesentlichen Punkt, so könnten und müssten ihre Bürger ihr sogleich die Frage stellen, ob nicht alles an ihr Irrtum sei, nachdem sie ihnen so wenig jenseitige Sicherheiten bieten kann. Die große Kraft der Volksherrschaft ist es, dass sie irren darf, reparieren kann. Der Kirche ist das Recht auf Irrtum nur in solchen Bereichen eröffnet, welche sich in der Nähe irdischer Politik bewegen, und auch hier sollte sie mit Entschuldigungen sich zurückhalten – nicht weil dies historisch nicht berechtigt, ja sogar ein Zeichen besserer Erkenntnis sein könnte, sondern weil allzu rasch darin von dort aus auf Fehlsamkeit und Verirrbarkeit in ganz anderen, in zentralen religiösen Fragen geschlossen wird. So ist denn dieses kirchliche Bekenntnis zur Unwandelbarkeit nicht Ausdruck eines diabolischen Hochmuts, sondern eine Vorsicht, welche weiß, wie wenig sie wissen, wie leicht sie also irren kann, vielleicht gar mit einer allzu raschen Bitte um Verzeihung.

IV. Demokratisierung also der Kirche in vielem – ja, kirchliche Demokratie als solche – nein An dieser schwer sichtbaren und doch unüberschreitbaren Grenze berühren sich die beiden Reiche. Was kann, muss sich „demokratisch ändern“ in der Kirche?

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Solche Betrachtungen dürfen nicht schließen, ohne aus den Höhen kirchlicher und staatsrechtlicher Grundsätzlichkeit herabzusteigen zu dem, was diese ja praktisch trägt: tägliches Handeln und Erwartungen in naher Zukunft. Eines kann hier als gesichert gelten: Immer hat es Räume gegeben, und es gibt sie in der Volksherrschaft erst recht, in denen sich Kirchlichkeit in ihrem eigenen Namen und dem ihres Jenseits den Volkströmungen dieser Welt hat öffnen, auf die Stimmen ihres Volkes hat hören können, ohne die Unwandelbarkeiten ihrer Unendlichkeit, ihres Schöpfers zu verraten. Dazu hier einige abschließende Gedanken. 1. Demokratie und Kirchendisziplin Die Kirche muss Worte und Gebote ihres allmächtigen Schöpfers umsetzen und sanktionieren in dieser Welt. Trennen muss sie sich von denjenigen, welche jene ablehnen und andere auf ihrem Weg zum kirchlich bestimmten Heil gefährden. Auf diesen Wegen der Kirchendisziplinen und der Sanktionen hat die alte Kirche von Anfang an ein ausgebautes Rechtsystem entwickelt; ihr Kanonisches Recht war in so vielem der Ausgangspunkt der rechtlichen Ordnung des Staates, zusammen mit einem Römischen Recht, welchem die Kirche ihre Legitimation der fortgesetzten Antike lieh. In vielem erreichte dies allerdings nicht die Perfektion späterer Jahrhunderte im freiheitlichen Rechtstaat. Im kirchlichen Recht lebte weiter ein Prinzip, welches ihm rechtstechnisch nicht selten zur Versuchung wurde, ja zur Gefahr übersteigernder, einseitig autoritärer Disziplin: Es gilt, die Gebote eines unendlichen, eines allmächtigen Gottes durchzusetzen; wenn es dabei um ewige Seligkeit oder Verdammnis geht, so drohen nur zu oft menschliche Freiheit und das Gewissen des Einzelnen an Gewicht zu verlieren, in erzwungener Unterordnung unter angebliche oder wahre ewige Wahrheiten. In dieser Gefahr stand Kirchendisziplin stets und auf allen Ebenen, von der harten Ordnung der Klöster bis zur Qual des Beichtstuhls und der Exkommunikation. Diese Entwicklung war immer verständlich, wenn auch selten nur zu billigen, schon aus den eigentlichen Grundprinzipien der Kirche heraus, für welche die Ewigkeit in freier Entscheidung nur erlangt werden kann. Hier, in diesem gesamten Bereich der Kirchendisziplin kann und muss die Kirche lernen von der Demokratie und ihrer technisch hoch entwickelten Rechtsstaatlichkeit; ihre Strafen und Prozesse müssen zurückfinden, in vielen Einzelheiten und in einer Grundstimmung des wahrhaft fairen Prozesses, zu dem, was der Herr der christlichen Kirche der schwachen Gerechtigkeit des Diesseits entgegenhielt: „. . . so beweise mir mein Unrecht. Habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ Der allmächtige Schöpfergott lässt nicht mit sich rechten in seinen letzten Geboten, wohl aber will er es selbst auch nach der Überzeugung seiner Kirche dort, wo es um die Formen ihrer Durchsetzung geht.

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Nur zu oft sind Unvollkommenheiten und Fehler dieser Kirchendisziplin in Grundsatzkritik an der Kirche hochgespielt worden, obwohl es doch gar nicht um deren Prinzipien geht, sondern um sekundäre, abänderbare inhaltliche Verständnisse und Modalitäten ihrer Durchsetzung. Kirchliche Starrheit, die sich zu rasch hinter unabänderliche Glaubenswahrheiten zurückzieht, Disziplin nicht bereit ist auszuprozessieren in dieser Welt, verliert die Glaubwürdigkeit eines Rechts, das sie doch selbst immer so hoch gehalten, so weit vorgeschoben hat, vor sich her. Liberale Kirchlichkeit ist gefordert, in liberaler Rechtlichkeit und Prozessbereitschaft, darin kann sie von Demokratie lernen und ihr begegnen.

2. Mitsprache der Gläubigen, des Volkes Das Volk der Gläubigen hat sich nie von der Kirche gänzlich den Mund verbieten lassen und die Hände zähmen in gehorsamer Untätigkeit. Immer hat es mitgesprochen und mitgehandelt. Gerade dies wurde von verständigen Vertretern der Kirche begrüßt, während einseitig-hartherzige nur allzu willkommene Ziele antireligiöser Kritik werden konnten. Überzeugungen des gläubigen Volkes hat die Kirche stets in ihrer Geschichte aufgenommen, bis in die Höhe ihrer Dogmen hinauf, nicht selten ist sie gerade hier kritikabel geworden, wie die Übernahmen von Volksverehrungen und Wunderglaube belegen. Die Kirche bedarf also nicht so sehr einer Lektion der Öffnung ihrer Institutionen, in denen sie die Stimmen ihres gläubigen Volkes vernehmen kann, diese Vox Populi ist und bleibt immer allgegenwärtig. Dieses flutende Meer der Überzeugungen und der geglaubten Inhalte, bis hin zum Aberglauben, wird immer das Schiff der Kirche tragen und zugleich gefährden. Doch lernen kann sie auch hier, in organisatorischen Bereichen im weiteren Sinn, von einer Demokratie, welche politische Mitspracherechte des Volkes in hoch entwickelter Technik verfeinert hat. Nichts im Raum christlicher Kirchen steht grundsätzlich einer erweiterten Mitsprache von Laien entgegen, gerade wenn man Verkündung höchster Wahrheiten, Bewahrung letzter Geheimnisse Priestern anvertraut. Und auch ein allgemeines Priestertum von Laien, wie es der Protestantismus vorsieht, wird hier stets letzte Grenzen wahren. Der Kirchenstaat ist Vergangenheit. Und mit ihm verschwinden die historischen Legitimationen ausschließlicher Priesterentscheidungen in reinen Dingen dieser Welt, von den Finanzen bis zu den Bildungsinhalten, welche über das religiöse Gebot hinausreichen. Gerade aus kirchlicher Sicht ist hier der Laie gefordert und berechtigt, in seiner Brückenfunktion vom Jenseits in die politische Welt der Demokratie hinein, in welcher er Formen und Lehren des Diesseits aufnehmen und in den kirchlichen Raum übertragen kann. Mitsprache von Laien ist eine der legitimen, ja notwendigen Formen der Demokratisierung, aber auch sie erreicht ebenso wenig oder verletzt gar das Grundsätzliche des Glau-

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bens, wie dies für die kirchliche Disziplin nicht zutrifft. Weil diese Mitsprache des Volkes eine tägliche ist, notwendig und fassbar, daher diskutabel weit mehr als kirchliche Wahrheiten, deshalb kann sich ein „Denken in Laizität“ immer wieder stoßen und reiben an aller Kirchlichkeit. Die Kirche muss und kann hier nicht einfach nur zürückweichen, wohl aber offener werden, ja entgegenkommen aus ihren eigenen Prinzipien heraus, auf Wegen und Ebenen, auf denen es nicht um das Heil von Menschen, sondern um Mittel, die es zu ihm zu gebrauchen gilt. Die Kirche muss nicht ihre goldenen Gewänder ablegen, wohl aber ihre Rechnungen offen legen, der rechnerischen Vernunft dieser Welt. Sie wird erkennen, dass sie hier in vielem gefehlt hat, dies aus keineswegs kirchlichen oder gar religiösen Gründen, sondern nur zu oft aus dem Machtstreben, aus der Eitelkeit von Mönchen, Predigern und Prälaten. So manches Opfer, welches ihnen ihre Kirche auferlegte, wollten sie kompensieren in Macht und diesseitiger Verehrung. Wenn sie hier zur Mitsprache finden, vielleicht ganz einfach zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen Theologie und Ökonomie – welche übriges auch auf unwirtschaftliche Barmherzigkeitsbegeisterung verzichtet – dann haben Kirche und Demokratie zu einer entscheidenden Nähe gefunden.

3. Gleichberechtigung – Gleichheit Ein Grundprinzip der Demokratie stand immer wieder zwischen ihr und vor allem christlicher Kirchlichkeit: die Gleichheit, jene unzerstörbare, unzähmbare Grundkraft aller Volksherrschaft. Sie hat deren Distanz zur Kirche bereits in den Fragen der Disziplin allzu groß werden lassen. Diese Gleichheit wurde nicht hinreichend in Mitsprache hergestellt, sie findet nun in der Gegenwart eine drängende Dynamik in der Gleichberechtigung der Geschlechter, wie sie gerade die alten Kirchen so nicht aufnehmen wollen, wie sie für die Demokratie aber immer selbstverständlicher wird. Hier eröffnen sich Problemfelder, welche bis in die Grundsätzlichkeit des Theologischen hinaufreichen. Vertretern der Demokratie muss klar sein, dass ihre Gedanken hier nicht ohne weiteres als Gottes Gedanken von der Kirche übernommen und gelehrt werden können. Wie weit diese Kirchen hier entgegenkommen, ob sie gar lange Geübtes und Geglaubtes aufgeben können, kann nicht aus politisch-demokratischer, noch weniger aus staatsrechtlicher Sicht beurteilt werden. Hier gilt das letzte kirchliche Wort. Demokratische Überzeugung muss sich übrigens in diesem Bereich bewusst bleiben, dass volle Gleichheit der Geschlechter und Durchsetzung in allen Bereichen des Rechts auch von keiner Demokratie je wird realisiert werden können. Die Volksherrschaft kennt und anerkennt die naturgegebenen Unterschiede; sie trägt ihnen in vielen Ausprägungen Rechnung. Was sie anstrebt, ist ein ausgewogener „Gesamtstatus“ von Männern und Frauen, welche in gleicher sozia-

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ler Würde die Gemeinschaft tragen; und darüber kann, wird und muss es immer neue Diskussionen und Meinungen geben, entsprechend dem Wandel wirtschaftlicher Lagen und des sozialen, vor allem des bildungsmäßig bestimmten allgemeinen Bewusstseins. Diese Gesamt-Grundsätze sind es, denen sich die alten Kirchen der modernen Demokratie öffnen müssen; die gleiche Würde der Geschlechter muss auch für sie eine Selbstverständlichkeit werden, den Gesamtstatus in Gleichheit der beiden Geschlechter müssen auch sie halten, und sei es in oft nicht leichten kompensatorischen Lösungen. Dies kann hineinreichen bis in liturgische und Verkündungs-Formen; und vielleicht muss manches traditionelle Wertungs-Urteil besserer Erkenntnis weichen. Doch all dies sind Entwicklungen, deren eine Theologie fähig sein muss ohne Aufgaben ihrer Grundprinzipien, soll sie weiterhin jene geistige Beweglichkeit zeigen, ohne welche sie auf Dauer Menschen ohnehin nicht erreichen kann. Hier sollte nicht vorschnelle laizistische Kritik jede Annäherung der alten Kirchen und der modernen Demokratie ausschließen, sie in Trennungen einschließen. Die Grenzen zur Dogmatik werden immer Problem bleiben; wann hat es denn auch im Diesseits je Grenzen gegeben ohne Grenzstreitigkeiten. Dass diese aber nicht zu Kriegen werden müssen, das sollte eine in Gleichheit demokratisierte Kirche erkennen, wenn sie sich ihrer ganzen historischen Größe und Vielfalt bewusst bleibt, welche noch ganz anderes aufnehmen konnte und bewältigen. Demokratisierung der Kirche ist also kein staatliches Reizwort für Theologen, sondern eine Lehrstunde der Demokratie für sie, solange es denn diese Volksherrschaft der Gegenwart gibt und sie mit staatsrechtlicher Überzeugungskraft ihrem Volk zu befehlen vermag im Diesseits, ihre Kirche zu lehren für deren Jenseits. Wenn aber der Kirche etwas eigen ist von der Ewigkeit ihres Gottes, sollte sie schon deshalb an dieser Demokratisierung nicht verzweifeln, weil sie dann ja überzeugt sein muss, nicht nur sein darf, dass eines Tages auch nach dieser heutigen Volksherrschaft und Volksherrlichkeit wieder andere Mächte heraufkommen, Herrschaft ja Herrlichkeit für sich in Anspruch nehmen werden. Eines kann die Kirche auch dort trösten, wo sie sich in der Gefahr sehen mag, in diesen Demokratisierungen könnten „neue demokratische Kirchlichkeiten“ sie überrollen: Wenn kirchlicher Glaube so stark ist, wie allein er diese Form diesseits-jenseitiger Herrschaft tragen kann, so muss er vor allem von einem überzeugt sein und überzeugen: von seiner jenseitigen Eigenständigkeit, davon, dass um ihn herum immer wieder Neues geschehen wird in dieser Welt, dem er sich öffnen muss, dass dies aber auch immer wieder vergehen muss. Demokraten werden diese Botschaft ungern nur hören; sie sollten sich eingestehen, dass sie nur zu oft von einer ungeschichtlichen Überzeugung ihrer eigenen Höchstwertigkeit ausgehen und daher auch das nicht übersteigern soll-

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ten, worin sie die lehrende Kirche ihrerseits durchaus zu Zeiten lehren können: in Demokratisierung. Aufgabe der Kirche in diesem ihrem Lernprozess von ihren irdischen Lehrmeistern muss es aber bleiben, stets eine Kontinuität bei allen Übernahmen zu bewahren, in denen sie auf wechselnde Staatsformen reagiert und damit auch auf die gegenwärtige Demokratie. Und sie sollte sich bewusst bleiben, dass in diesem großen Wort der Volksherrschaft viele, oft gegensätzliche Grundsätze und Lehren, ganze Abfolgen von Staatsformen verborgen sind, die alle und immer wieder auch auf die Kirche wirken werden. Zwischen jakobinischer Radikaldemokratie, liberaler Repräsentativdemokratie und präsidenzieller, vielleicht gar autoritärer Volksherrschaft mögen Welten des Staatsrechts liegen. Mit ihnen allen muss die Kirche leben, von ihnen allen sich befruchten lassen – demokratisieren, doch immer in der einen großen Kontinuität ihrer Offenbarung, die sich als solche nicht wandelt. Wenn sie dessen nicht fähig ist, so war sie ein großer fruchtbarer, ein schöner – Irrtum. Solange es ihr gelingt, trägt sie ihren großen Anspruch auf ihr Jenseits weiter in dieser Welt.

D. Die religionsoffene Demokratie Viel wird seit langem über die Demokratisierung der Kirche gesprochen; Verchristlichung der Demokratie ist nie mehr gewesen als das Programm einer politischen Partei. Hier nun verlangt die Demokratie, fordert das demokratische Staatsrecht ein neues Bewusstsein: Die Kirche, die Religion, welche hinter ihr steht, ist nicht ein Verein, wie ihn französisch-revolutionäres Trennungsdenken in massonischen Zeiten sich vorstellte. Es ist dies das in diesen Betrachtungen schon viel beschworene andere Reich des Jenseits, welches aber hineinreicht in den einen Menschen, den Bürger der Volkssouveränität, gerade auch in dessen demokratische Staatsform. Daher bedeutet diese Kirchlichkeit etwas ganz anderes als Gesundheitspflege oder Sportbegeisterung, Vereinsform für derartige Gemeinschaftsziele. Da es sich hier um Grundüberzeugungen des Menschen handelt, die sein ganzes Wesen erfassen wollen, muss sich im Namen jener Meinungsfreiheit, welche für die Demokratie schlechthin konstitutiv ist, gerade diese Staatsform in besonderer Weise aller Kirchlichkeit öffnen und Religion. Wenn das viel gebrauchte und missbrauchte Wort von der offenen Verfassung und Staatsform auch nur irgendeinen Sinn haben soll, so hier und in einer Weise, welche jede vollständige Trennung ausschließt, Übernahmen, Verschränkungen und Gemeinsamkeiten verlangt, wie sie eine lange Geschichte als möglich und im Letzten doch immer wieder als fruchtbar erwiesen haben. In einigen und schon fast thesenhaften, zusammenfassenden Forderungen mag dies, und damit ein zentrales Ergebnis dieser Betrachtungen, hier nochmals verdeutlicht werden.

I. Das Wertebekenntnis der Demokratie Eine Volksherrschaft kann nicht getragen sein allein nur vom faktischen Willen des jeweiligen Volkes der Gegenwart, in seinen zufälligen Zusammensetzungen, täglich wechselnden Meinungen. Wertebekenntnis ist die Grundlage aller Volksherrschaft, gerade weil diese Staatsform alle anderen legitimierenden Grundlagen aufgegeben hat, Familie und historische Tradition. Nur darin gewinnt die Demokratie eine geistige Überlegenheit über Feudalismen und reinen Ordnungs-Autoritarismus, dass sie zu etwas steht und für etwas, was hinaufreicht über die faktische Macht abzählbarer Menschenmassen. Wer der Volksherrschaft die materiale Wertethik schlechthin verbietet, aus ihr Kategorien wie Bekennen und Unverbrüchlichkeit herausnimmt, der lässt sie letztlich nurmehr

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D. Die religionsoffene Demokratie

als eine Staatsform der Zufälligkeit gelten; und wenn er dies auch noch als notwendig bezeichnet, so ist eine begeisterungslose staatsrechtliche Depression – so muss man dies dann nennen – nicht weit. Nun hat sich die Volksherrschaft stets als Regime der vielen und großen Worte, der allzu großen vielleicht, gefeiert – mit Recht: Nur als eine solche kann sie ihre ohnehin schon wenig gefüllten Parlamente noch präsentieren, die Medien erreichen. Doch hinter diesen Worten muss mehr stehen, „Groß“ sind sie überhaupt nur aus den Inhalten heraus, aus Wertigkeiten, die sie ansprechen. So wenig der Appell als solcher ein fassbarer Begriff sein kann im demokratischen Staatsrecht, so deutlich steht seine undefinierbare Kraft hinter allem, was dort geboten wird und verboten. Nie ist so viel von Werten gesprochen worden wie in der Gegenwart, sollte es da nicht selbstverständlich sein, dass man sich derjenigen Instanz erinnert, sich ihr öffnet, welche nur im Namen von Werten gedacht werden kann – der Kirche?

II. Freiheit: des Demokraten – des Christenmenschen Die Volksherrschaft stellt Freiheit in den Mittelpunkt ihres Staatsrechts, und dies wird stets im Letzten die Freiheit des Einzelmenschen sein, so wie es ihre Grundrechte der Welt verkündet haben. Von dieser Freiheit gehen ihre Verfassungen aus, stützen sie gegen Staats- und Gesellschaftsgewalt. Das staatsrechtliche Grundproblem der Volksmacht liegt gerade darin, dass sie wenigstens etwas von dieser Freiheit schützen muss, um jeden Preis, gegen stets bedrohliche Mächte des Staates und aller anderen Gemeinschaften. Hier begegnet der demokratische Staat der Kirche, in welcher Ausprägung auch immer, als einer Gemeinschaft, deren Glieder schon darin frei sind, dass sie sich zu jeder Stunde von ihr abwenden können; das religiöse Bekenntnis monotheistischer Religionen und all ihrer Kirchlichkeit gründet auf der unbedingten Entscheidungsfreiheit des Menschen für oder gegen den fernen und doch so nahen Schöpfer. Die Freiheit eines Christenmenschen wurde einst vor allem geistlicher Autorität entgegengehalten; sie gilt aber ganz wesentlich – die Geschichte religiöser Dissidenten hat es immer wieder gezeigt – auch und heute vor allem gegenüber allen Trägern staatlicher Gewalt, welche diesseitige Ideologie gegen individuelle Entscheidungsfreiheit einsetzen will. Keinen Verein, keinen Verband gibt es in der demokratischen Gemeinschaft, der in gleicher Weise wie die Kirche gerade diese Entscheidungsfreiheit zum letzten Ziel all seiner Veranstaltungen erklärt hätte, bei dem alles menschliche Verhalten nur aus solcher Freiheit heraus vorstellbar wäre. Dem Staat ist eben dies unbequem, weil sich solche Freiheitlichkeit alsbald auch gegen ihn richten kann, vielleicht in erster Linie. Gerade

III. Achtung vor der Jenseitsdimension religiöser Gefühle

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deshalb aber, und weil die Demokratie aus dieser selben Freiheit heraus lebt, all ihre Kraft nur in ihr findet, muss ihr Staat sich dieser „Freiheitsorganisation Kirche“ öffnen. Wie viel immer der demokratische Staat unter kirchlicher Kritik, ja Gegnerschaft leiden mag – stets wird er daraus auch belebendes Kraftgefühl, Legitimation und tägliche Dynamik gewinnen, welche sich aus der Freiheit eines Christenmenschen entbinden.

III. Achtung vor der Jenseitsdimension religiöser Gefühle Die Kirche ist mehr als ein Verein mit bestimmten Zielen, welche der Staat in das von ihm zu ordnende Gemeinschaftsleben einbeziehen, daraufhin beurteilen und bewerten könnte. Ihr Gegenstand ragt aus der Demokratie dieser Welt heraus, in eine ganz andere hinein, welche es nach der Überzeugung der Gläubigen geben soll. Für denjenigen, der solches glaubt, ist diese Jenseitsdimension von einer derartigen Bedeutung, schon in seinem diesseitigen Leben, dass sie sich mit keiner anderen Zielsetzung in irgendeinem sonstigen Zusammenschluss auch nur entfernt vergleichen lässt. Die intensivst verfolgten Interessen vergleichbar bedeutender Zusammenschlüsse in der Demokratie sind aus dieser Sicht geradezu ein Nichts gegenüber kirchlichen Zielen und Wertigkeiten für den gläubigen Bürger der Volksherrschaft. Dieses „wahrhaft ganz andere“ Gewicht religiöser Überzeugungen, in dem eben der Gott der Kirche als „der ganz Andere“ in Erscheinung tritt, muss die Demokratie nicht nur in eine achtungsvoll weite Distanz zu einem solchen Reich drängen, sie muss sich dem zugleich nähern in einer solchen Achtung, ja Verehrung. Die Volksherrschaft hat es gelernt, die Gefühle der Menschen zu achten, ihre Verletzung durch sie selbst und durch andere zu verhindern. Dem gerade dienen die zahlreichen und immer feiner ausgestaltenden Innenräume des Menschlichen, welche die Demokratie in ihren Grundrechten achtet. Stets geht es ihr darum, dass Gefühle ihrer Bürger nicht verletzt werden, dass daraus nicht Widerstandswille entsteht oder doch Gleichgültigkeit gegenüber politischer Herrschaft. Der Bereich der religiösen Gefühle ist, staatsrechtlich-formal, nur einer dieser Innenräume menschlicher, unverletzlicher Intimität; doch in der menschlichen Realität sind diese Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit des Glaubens und Bekennens, die darauf noch aufbauende besondere Freiheit der Kirche gerade in Deutschland denn doch etwas eindeutig Besonders, unvergleichbar in ihrer Wertigkeit mit dem Schutz anderer Grundrechte. Deren Verletzung mag zu Irritationen führen, zu verärgertem Widerstand. Verletzung religiöser Gefühle ist etwas ganz anderes, für die Demokratie weit Gefährlicheres, allein schon das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es bewiesen. Hier muss Demokratie eine Sensibilität zeigen, welche ordnendes Eingreifen noch viel rascher und überzeugter Halt machen lässt als in irgendeinem anderen Bereich. Religionsoffenheit der

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Volksherrschaft bedeutet gerade dies: Die Staatsform, welche alle Interessenlagen ihrer Bürger aufnehmen, abbilden und sodann schützen will, soweit ihre Kräfte reichen – sie gerade muss dem besonderen Gewicht religiöser Gefühle einen Lauf lassen, welche der des ganzen Menschen, ihres ganzen Bürgers ist, ihn auch in der Demokratie bewegt und hält. Eine Demokratie, welche religiöse Gefühle verletzt, zerstört sich selbst darin, dass sie die wichtigsten menschlichen Interessen in ihrem Gewicht nicht mehr erkennen will, daher auch andere Belange ihrer Bürger nur verfälschend abzubilden, zu ordnen, zu schützen vermag.

IV. Kirche: „Religiöse Minderheit“ in der Demokratie Eine Besonderheit des Kirchlichen, des Religiösen überhaupt liegt darin, dass sie sich in Zahlen kaum erfassen lässt, von zahlenden Mitgliedern, Kirchgängern, Kirchenverbundenen. Hier geht es um innere Bereiche, um das „Intimste des Intimen“, was ein Mensch nie bei Umfragen preisgeben wird in der Art einer politischen Meinung. Das augustinische Wort von den fideles infideles, das nicht einmal eine Kirche lüften kann, geschweige denn der Staat, von jenen Ungläubigen, die gerade in diesem ihrem Zweifel besonders tiefgläubig sind – es steht über aller Kirchlichkeit, und wie oft haben nicht Kirchen zuzeiten aus tiefen Überzeugungen gerade von Häretikern gelebt. Demokratie muss also davon ausgehen, dass die Religions- und Kirchenverbundenheit ihrer Bürger viel weiter reicht als sich dies in administrativ-erfassbarem Zahlenmaterial niederschlägt. Sie erlebt immer wieder, dass bei Verletzung religiöser Gefühle sogleich eine sonst unbemerkte, eine schweigende Mehrheit jenen zur Seite tritt, weil sie eben doch mehr mit dieser Kirchlichkeit verbindet, als sie selbst in „normalen Zeiten“ sich einzugestehen wagt. Ein bedeutsamer Unterschied zwischen Kirche und Demokratie liegt gerade darin, dass in dieser die politischen Überzeugungen mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, aber auch Wandelbarkeit, nach außen getragen werden, während sie im Religiösen nun wirklich im „stillen Kämmerlein“ nicht nur bleiben sollen, sondern tatsächlich bleiben, mehr als es vielleicht einem demokratischen Staat lieb sein mag, der auch hier auf Transparenz setzt, oder einer Kirche mit ihrem Anruf zu öffentlichem Bekennen. Wenn das genuin demokratische Wort von der schweigenden Mehrheit einen fassbaren Inhalt bekommen kann, so gerade in dem Verhalten der Bürgerschaft zu ihrer Kirche, zu ihren religiösen Überzeugungen. Ein grundlegender, auch staatsrechtlicher Fehler ist es also, Kirchlichkeit und Religiosität allein zu beurteilen nach den Kategorien von Parteibüchern, öffentlich-bekundeter Meinungen, wirksamer Auftritte in den Medien. Von dort lässt sich auch nicht „hochrechnen“ auf Zahlen von Anhängern, die zunicken oder widersprechen. Die Demokratie wird nie wissen, mit keinem ihrer staatsrecht-

IV. Kirche: „Religiöse Minderheit‘‘ in der Demokratie

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lichen Instrumente erheben können, wie stark in ihr die Kirche ist, wie zahlreich wirklich ihre Gläubigen sind. Sie muss es sich daher auch versagen, leichthin ihre gängigen Kategorien von Minderheiten und deren Schutz auf die Kirchen zu übertragen, oder auf sie Vorstellungen anzuwenden, welche für ethnisch-religiöse Einwanderungsgemeinschaften zutreffen mögen; hier ist die rechtlich- politische Erfassbarkeit weit höher als in einer traditionell kirchennahen, einer insoweit „alten“ Bürgerschaft. Demokratie kann sich also nie wirklich sicher sein, ob eine Kirche noch Mehrheit bedeutet, politische Mehrheiten herstellen (helfen) kann – oder schon eine Minderheit ist, die dann in besonderer Weise ihren rechtlichen Schutz verdient. Selbst wenn also die großen Kirchen absinken sollten in kleinere Gemeinschaften, ohne die erwähnten, kaum fassbaren Ausstrahlungen in die gesamte Gemeinschaft, so wäre es doch vorschnell, sogleich von Kirchen als Sekten zu sprechen; hier würde das verkannt, was solche Gemeinschaften noch immer und wohl für viele Generationen von herkömmlicher Kirchlichkeit unterscheidet: jene Verankerung im Traditionellen, wie sie gerade zu der erwähnten Unfassbarkeit von religiösen Ausstrahlungen auf Unzählige führt. Jenseits von all dem muss sich aber eine Demokratie, sollte sie sich denn wirklich einer kirchlichen Gemeinschaft als deutlicher Minderheit gegenübersehen, erst recht auf eine der Zentralkategorien jeder Volksherrschaft besinnen: auf den Minderheitenschutz. In kaum einem anderen Bereich des Staatsrechts hat er eine so lange, eine so leidvolle aber auch deutliche Tradition wie gerade im Religiösen, welches sich zur Kirchlichkeit verfestigt. Kirchen stellen Minderheiten dar, und zwar ganz besonderer Art, in intensivierter Festigkeit ebenso wie in flächendeckender, das ganze Menschsein umfassender Inhaltlichkeit. Minderheitenschutz ist im Staatsrecht zu allererst rechtlich praktiziert worden in religiosis. Von dort ist er später auf ethnische Gemeinschaften von gleicher rechtlicher Fassbarkeit übertragen worden. Minderheitenschutz in religiösen Dingen weist auch eine besondere Nähe auf zu jenem Mittelpunkt aller Volksherrschaft, in welchem die Minderheit als Trägerin einer politischen Überzeugung geschützt wird. Ohne eine solche Sicherung heutiger Minorität wird aber die Mehrheitsentscheidung der Demokratie zur Tyrannei; diese Grundüberzeugung der Gegenwart bedarf keines staatsrechtlichen Beleges. Gerade die Demokratie ist es denn auch, welche religiös begründeten Minderheitenschutz bis in die elementare Intensität der Existenzsicherung gehoben und intensiviert hat, in der Anerkennung eines Begriffes des religiösen Existenz-Minimums. Nicht als ob dies allein nun die Kirche für sich beanspruchen könnte und ihre Gläubigen jene Minimal-Freiheit der Gottesverehrung im Verborgenen; die Kategorie als solche aber zeigt bereits die elementaren Bezüge, welche die Volksherrschaft anerkennt in ihrem Minderheitenschutz zwischen dem Menschen und seinem jenseitigen Gegenüber. Was sie irgendwelchen, beliebigen Zuwanderern zuerkennt, darf sie in ganz anderen Größenordnungen,

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D. Die religionsoffene Demokratie

wenn auch aus denselben Grundlagen heraus, ihren alten kirchlichen Gemeinschaften nicht versagen – aus ihren letzten, staatsrechtlichen Eigenüberzeugungen heraus. Minderheitenschutz ist nicht ein großzügiger Gnadenerweis, in welchem Überlebensgrundlagen verteilt werden, nicht staatsrechtliche Barmherzigkeit. Hier muss sich in der Demokratie eine achtungsvolle Anerkennung politischer Mächtigkeit beweisen, Gemeinschaften von Bürgern gegenüber: dass sie nicht nur Teile des Volkssouveräns sind, sondern dessen allmächtigen Willen im Diesseits möglicherweise morgen allein als Mehrheit oder doch mit anderen zusammen als eine solche herstellen könnten. Demokratie kann sich nur als eine Staatsform begreifen, in welcher das auch nur Mögliche bereits virtuelle Realität ist. Minderheitenschutz – dieser demokratische Kernbegriff lässt sich nicht in Laizität auflösen, in seinem Namen wird nicht ignoriert, sondern protegiert. Hier zeigt sich, dass das Staatsrecht an seinen Bürgern im Diesseits nicht vorbeischaut, sie nicht dahingestellt sein lässt, sondern sie immer abbildet und einbezieht in allem, was ihnen Wert ist in dieser Welt. So ist der Minderheitenschutz ein weiter, ein entscheidender Ausblick auf ein religionsoffenes Demokratieverständnis, in ihm begegnen sich heute Kirche und Staat – und erst recht morgen, sollte sich Kirchlichkeit weiter zurückziehen müssen.

V. Demokratie in Verehrung Dieses Wort war es, welches in den Betrachtungen immer wieder begegnete, als ein Stein des Anstoßes für Demokraten mit Blick auf die Kirche, aber als ein Zentralbegriff aller Kirchlichkeit. Dann erst wird das Verhältnis der beiden Reiche, in denen der Mensch steht, der Bürger, in ein wahres, ein kondominiales Verhältnis kommen und sich dort nach so vielen Kämpfen und Missverständnissen beruhigen, wenn nicht nur die Kirche in ihren staatsnah-rechtstechnischen Ausdrucksformen sich demokratisiert, sondern wenn vor allem auch die Demokratie Verehrung lernt, zu begreifen beginnt, was Anbetung bedeuten kann. Verehrende Demokraten, anbetende Bürgerrechtler – dies mögen Visionen sein, die vielen als absurd erscheinen; Vertreter der Bürgerfreiheit in dieser Welt, welche für ihre Überzeugungen zu sterben bereit waren, hat es immer gegeben, solange werden sie geistig die Volksherrschaft legitimieren, wie diese Staatsform wirken kann. Das kirchliche Wort vom „Blut der Märtyrer – Samen der Christen“, muss auch für Staatsformen gelten: Ein Reich kann nur sein, wofür es sich zu sterben lohnt. Demokratisches Unverständnis gegenüber Selbstmord-Attentätern zeigt nicht höhere, freiere Geistigkeit, sondern menschlichen demokratischen Niedergang, der solcher Überzeugungstaten nicht mehr fähig ist.

V. Demokratie in Verehrung

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So viel an Mut und Begeisterung wird der Volksherrschaft nicht einmal abverlangt werden in der Gegenwart, wohl aber die menschliche Überzeugungskraft, aus der dies letztlich erwächst: die Fähigkeit zu verehren, die weit mehr umfasst als Tatsachenlagen, von denen der Mensch erkenntnismäßig überzeugt sein kann – vielleicht gerade noch. Was in früherem Zusammenhang schon angesprochen wurde, soll hier am Ende nochmals wiederholt werden: Die Demokratie kann sich auf Wegen der Verehrung bewegen und aufsteigen; sie, welche die unsichtbare Freiheit und den unfassbaren Volkswillen vor sich herträgt, darin gerade aller Kirchlichkeit nahe – eben ihr ist es auch nicht nur gegeben, sondern eine Notwendigkeit für sie, Erscheinungen nicht nur zu sezieren, sondern sie zu integrieren, zusammenzufassen in einer Größe, in der sie dann als wahrhaft verehrungswürdig erscheinen. Es mag dies eine stumme, eine unpathetische Verehrung sein, wie sie mit gesenkten Häuptern vor Richterbänken zum Ausdruck kommt, in einer schweigenden Zurückhaltung, welche eine letzte Majestät der Staatsgewalt hinnimmt, sich vor ihr zurückzieht. Sie kann sich aber auch – und es wurde immer wieder erlebt – in der Begeisterung flatternder Fahnen ausdrücken, hier mit einem Mal Menschen in irrationaler Begeisterung zusammenführen. Dass dies gerade in politikfernen Räumen erlebt wird, spricht nicht gegen die Volksherrschaft, es ist ein Beweis für ihre Stärke: sie greift eben aus mit ihren Symbolen in das Bürgerleben, auch dort, wohin sie sonst mit ihren oft so ermüdenden täglichen Verbesserungsparolen niemals vordringen kann. Darin aber wird im Diesseits Verehrung gelernt, sie kann, um eine gängige Wendung aufzunehmen, nun wirklich vom Pathos zum Ethos der Demokratie werden, in einer Stille, welche am Ende sogar an die des kirchlich-Heiligen erinnert. Nie darf die Volksherrschaft Menschen verehren wie Götter; die Divinisierung ist für sie die große und im Letzten nicht vermeidbare Gefahr der Persönlichen Gewalt, der gerade schwache Volksherrschaften immer wieder zum Opfer fallen, wenn ihre Bürger den Gegenstand diesseitiger Verehrung in Kraft, Macht und am Ende dann Herrlichkeit ihrer menschlichen Führer suchen. Dieses Ende des Vater Unser, diese Steigerung in Verehrung muss die Demokratie im Letzten dem Reich der Kirche überlassen; doch die ersten Stufen ihrer Altäre kann sie noch immer mitersteigen – in diesseitiger, in staatsrechtlicher Verehrung.

E. Ausblick: also doch Vox Populi – Vox Dei? Das erste Ziel dieser Betrachtungen war es, die beiden Reiche der Kirche und der Volksherrschaft in ihren großen und grundsätzlichen Abständen zu zeigen, sie einander gegenüberzustellen in ihrer letzten Unvereinbarkeit. Dann öffneten sich eben doch immer mehr und immer breiter Straßen vom einen Reich und seinen Zentren zu denen des anderen, sie endeten nicht in Peripherien. Gemeinsame Wegstrecken können gegangen werden, für die Menschen im Diesseits entscheidende, zu dann aber „ganz anderen Zielen“, die in der Ferne erscheinen oder auch nur locken. Trennung von Kirche und Staat im Sinne strenger Laizität kann nicht die Lösung sein im Verhältnis zwischen Volksherrschaft und Kirche; doch es kann auch nicht ein Weg zurück in Formen eines verbundenen Staatskirchentums gefunden werden. Beide Reiche müssen nebeneinander stehen bleiben in dieser Welt, ihre Distanzen so ernst nehmen wie zugleich, ja vor allem ihre inneren Nähen. Auch in der Demokratie leben weiter die großen Gedanken transpersonaler Staatsrechtlichkeit, gerade in einem Begriff des Volkes, der über dessen viele Glieder hinausreicht, in einer Verehrung, die auch hier nicht nur möglich, sondern in staatsrechtlichen Strukturen bereits angelegt ist. Tägliche Praxis des Staats-Kirchen-Rechts wird nur in ständiger vorsichtiger Achtung des jeweils anderen Reiches einen wahren Frieden mit diesem halten können, in dem sich keine Macht mit ihrer Gebotsgewalt den Grenzen allzu sehr nähert. Partnerschaft ist hier gewiss ein schönes, wenn auch in angelsächsischer Virtualität ein glücklich-ungenaues Wort. Eines darf sie nicht bedeuten: dass beide Mächte, der demokratische Staat wie die Kirche immer mehr „dasselbe leisten“ wollen, nicht nur in äußeren Formen, sondern auch aus inneren Antrieben. Sie würden damit versuchen, sich gegenseitig zu ersetzen, sie könnten leicht überflüssig werden in den Augen und im Geist ihrer gemeinsamen Bürger. Dies würde Kirchlichkeit zerstören, Demokratie schwächen, denn auch sie könnte nicht aus denselben menschlichen Urgründen heraus ihre Leistungen den Menschen erbringen, welche die Kirche tragen. So münden denn diese Betrachtungen in eine doppelte, eine strenge Forderung: Der künftige Weg kann nicht der einer politisierenden Kirche sein, die nurmehr Leistungen anbietet, wie sie der Staat besser, vollständiger erbringen kann, welche nur seine Gebote nachspricht, sie mit Weihwasser übergießt und segnet. Wenn sie ihre Gläubigen wirklich nur mehr auf solchen Wegen errei-

E. Ausblick

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chen kann, so ist ihre Zeit vorüber, dann wird Demokratie sie ganz einfach ersetzen, an die Stelle ihrer Güte und Nächstenliebe ihre Solidarität aufbauen. Stets haben wahre Gläubige sich gegen politisierende Kirchenmänner gewendet, immer wieder musste die Kirche sich warnen lassen, sie möge sich nicht in der Diesseitigkeit verlieren. Deren Probleme mögen gewiss zugleich auch religiöse Dimensionen aufweisen. Doch wenn dann Lösungen und Leistungen nichts anderes sind als das, was der demokratische Staat auch vermag, und besser als jede Kirche, so hat diese ausgedient im wahren Sinn dieses harten Wortes. Dieselbe strenge Erwartung richtet sich aber auch an die Volksherrschaft. Sie ist als eine ideologiebeladene Staatsform entstanden, nicht zuletzt aus Kirchlichkeit heraus und im Gegensatz zu ihr. Wenn nun eine ideologisierende Demokratie glaubt, Kirche oder gar Religion ersetzen zu können in diesseitiger normativer Unverbrüchlichkeit, bis hin zur Heiligkeit, so wird sie ebenso scheitern und aus denselben Gründen wie eine Kirche, welche handeln wollte wie der Volkssouverän auf Erden. Die vergangene östliche Macht war wirklich als eine extrem demokratische gedacht, in ihrem Stufenaufbau der Räte, ihrer vollen Gleichheit in allem und jedem. Als Demokratie hätte sie vielleicht überleben können, als staatsrechtliche Grundform war sie ernst zu nehmen. Gescheitert ist sie nicht nur im Ökonomischen, sondern an dem, was hinter diesen von ihr nicht zu bewältigenden Wirklichkeiten stand: an der Negation der Freiheit, welche in harter, pseudokirchlicher Ideologie ersetzt werden sollte durch eine radikal-demokratische Kirche des Diesseits. Der rational kaum verständliche rasche Zusammenbruch dieser wahrhaft gewaltigen Macht muss jeder Volksherrschaft, und sei sie noch so gemäßigt, stets zur Lehre dienen: Nie darf sie versuchen, über ihr Diesseits hinauszugreifen, ein Jenseits zu besetzen und damit nicht nur einen Gott zu vertreiben, der vielleicht längst nicht mehr von allen geglaubt wird, sondern eine Freiheit, in der Er eben doch noch immer, und vielleicht nur umso stärker weiterlebt. Für die Demokratie ist dies ein schwerer Weg, muss sie sich doch trennen von so mancher Grundüberzeugung, ja geradezu von Methoden ihres grundsätzlichen Denkens, das immer wieder hindrängt zu kirchlichem Absolutismus. Doch so wenig wie die Kirche sie verdrängen kann, nutzlos werden lassen in sozialen Leistungen, so wenig kann es je der Demokratie gelingen, das Kirchliche in seiner Transzendenz zu besetzen. Kondominium ist so vielleicht auch nicht eigentlich das Wort für ein Nebeneinander der beiden Reiche, die sich eben letztlich doch nicht überschneiden in den Urgründen ihrer jeweiligen Mächtigkeit. Das eine beginnt jeweils dort zu wirken, wo die Macht des anderen aufhört, ihre Kräfte weisen weithin in gleiche, nie aber in dieselbe Richtung.

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E. Ausblick

In dieser Grundkonzeption der friedlichen Koexistenz zweier Reiche, welche für ihrer beider Bürger zu wirklichen Alliierten werden können in dieser Welt, gewinnt das Ausgangswort dieser Betrachtungen einen Sinn, den es vielleicht im Grunde immer haben sollte: Vox Populi – Vox Dei wurde ja schon in der Antike so verstanden, dass auch die Stimme der Vielen etwas zum Ausdruck bringt, was über deren politisch-reale Macht in dieser Welt hinausgeht: In wahrhaft demokratischen Entscheidungen des Volkes spricht dieses mit einer diesseitigen Stimme, welche aber ein eigenartiges Echo der jenseitigen eines Gottes wiedergibt. Nicht als ob Formen und Inhalte dieselben oder auch nur die gleichen wären; aber sie stehen nicht gegeneinander, sie stellen gegenseitige Spiegelungen dar, in einer gegenseitigen Achtung, die auch so manchen Widerspruch nicht ausschließt. Ihn aber kann die jeweilige Gegenseite in der ihr eigenen Ruhe eines Selbstandes hinnehmen, verarbeiten, für ihr Reich auch überwinden. So wie jedes Echo verzerrt ist, wie bereits antike Orakel dunkel bleiben mussten, Quellen von Wahrheiten und Irrungen, so gilt dies einerseits für die Stimme Gottes, zum anderen für die eines Volkes, welche eben doch immer auch Antwort bleibt. Das demokratische Volk verkündet keine göttlichen Offenbarungen, und die Stimme Gottes bleibt auf Erden Appell, nicht Befehl. Doch in dieser letzten Zurückhaltung beider Reiche, nicht zuletzt auch in ihrem gemeinsamen Respekt vor ihrem gemeinsamen Bürger, dem einen Menschen, kann die Demokratie alles leisten, was ihr tägliche Politik an Aufgabenerfüllung vorgibt; der Kirche aber muss sie von ihrer großen Freiheit das überlassen, worin der Gläubige selbst über seinen Weg zu seinem Heil entscheidet. Zwei Stimmen also – zwei Reiche – Konsonanz, nicht Unisono. Demokratie war stets von politischem Sterben bedroht, durch politische Gewalt Einzelner, durch die Fahnenflucht ihres Volkes. Die Volksherrschaft kennt dieses Ende, es gehört zu ihren politischen Erfahrungen, wenn auch nicht zu ihren staatsrechtlichen Kategorien. Dieses Ende mag sie normativ wegdefinieren, juristisch wegjudizieren; damit lässt es sich nicht aufhalten, mag es auch nicht zu ihrem endgültigen Schicksal werden. Vielleicht ist es Ausdruck der Größe dieser Staatsform, dass die Volksherrschaft mit sich selbst nicht nur ihren Staat untergehen zu sehen – bereit ist, sondern den Staat schlechthin, da sie einen anderen nicht zu denken vermag. Heutige Demokratie will einem solchen Tod, im Abfall ihres Volkes, nicht ins Auge schauen, viele in ihr glauben aber mit ähnlicher Sicherheit zu sehen, dass er auch der Kirche naht. Dass diese Form der religiösen Gemeinschaft, dass vor allem ihr christlicher Ausdruck der Kirchlichkeit vergehen könnte, dass vielleicht die Agonie der Kirche schon begonnen hat – das mögen laizistische Hoffnungen sein, die Ängste gläubiger Bürger. Dass es nicht die demokratische Staatsform sein muss, die all dies beschleunigt, sollten diese Betrachtungen zeigen. Sollte da aber wirklich

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etwas sein wie kirchliche Agonie, so kann Demokratie sie auch nicht aufhalten und Demokratisierung. Es müsste sich dann aber so vieles verdüstern – für alle: Mit dem Sterben der Kirche endet dann nicht nur Jenseitshoffnung, für viele Menschen die größte und einzige Hoffnung überhaupt; zugleich verlöre ihr Staat, ihre Volksherrschaft entscheidend an Kräften im Diesseits, an Kraft zu einem Reich, dem ein Gegenüber verloren ginge, an dem sie stets gewachsen sind. Der Ausblick ginge dann ins Dunkel, „mit der Kirche könnte untergehen ein Denken in Demokratie“, vielleicht gar „ein Denken in Staatlichkeit“, wenn die beiden Stimmen zugleich verstummen, Vox Dei und Vox Populi. Dann hört ja der Mensch auf in Reichen zu denken und in ihrem Recht – in Ordnung. Diese Betrachtungen wurden immer begleitet vom Optimismus der Kirche, der Hoffnung auf ihr Jenseits. Sollte sie sterben, so gibt es nichts mehr als Endlichkeit, nichts mehr als Ende . . .

Sachwortverzeichnis Absolutismus 27 f., 45, 55, 66, 80, 82 Aktivbürger 64 Amerikanismus s. auch Vereinigte Staaten Amt 145 f. Analogie – im Recht 74 f. Analogia entis 74 f. Anarchie 106, 139 Askese 106 Aufklärung 29, 34 f., 68 Barock 70 Besatzung 44 Bildung 100 f., 126 f. Cäsaroapismus 17, 28, 34, 43, 78 Christentum 25 ff. und passim Civitas Dei 77 ff., 104 Demokratie, passim – Betroffenheitsdemokratie 49 – Demokratisierung der Kirche(n) 131 ff. – direkte 49, 140 f. Demokratisierung – der Kirche(n) 131 ff. – in Staat und Gesellschaft 137 ff. Dogma 144 f. Eigentum 100, 143 Erbrecht 82 f., 85 Ethik 39 f., 56 – als Minimum 39 f. – Wertethik, materiale 96, 154 Eudämonismus 98 f., 105 ff.

Feudalismus 15 f., 60 f., 88, 97, 99, 121 Fortschritt 110 ff. Freiheit 36, 45, 59, 66, 81, 95 ff., 105, 117, 123, 154 f. Freikirchen 18 ff. Frieden 18, 39, 108 ff. Gehorsamspflicht 64 ff. Gesellschaft 142 Gewaltenteilung 140 Gewissen(sfreiheit) 31, 59 Glaube 69 f. Glaubensfreiheit 29, 33 Gleichberechtigung – in der Kirche 150 f. Gleichheit 48 ff., 75, 83, 100, 104 – in der Kirche 150 f. Glückseligkeit 97 ff. Gnade 121 ff. Gottesbeweise 72 ff., 78 Gottesgnadentum 16 Gottesstaat 28

76, Hedonismus 63, 105 ff. Herrschaft 55 Herrschaftsvertrag 113 Hierarchie 132 Jesuiten 65 f. Kapitalismus 113 Karitas 104 ff., 124 f. Kirche(n), passim – und Amt 145 f. – Begriff 18 ff. – Demokratisierung 131 ff., 147 ff.

Sachwortverzeichnis – Disziplin 148 f. – Mitsprache der Gläubigen 149 ff. – Organisationsgewalt 140 – Tradition(en) 157 – „von unten“ 138 f. – und Wandel 146 f. Kirchenvertrag s. Konkordat Kommunismus 22, 34 f. Konkordat 30 ff. Konstitutionalismus 41 Kontinuität 86, 91 ff., 152 Konzilien 133 Kulturstaatlichkeit 100 f. Laien – Mitsprache, Mitwirkung 149 f. Lex Charitatis 124 Liberalismus 34, 135

Märtyrertum 57 f., 158 Marktwirtschaft 46, 114 Marxismus 59, 61 ff., 132, 161 – s. auch Kommunismus Materialismus 142 Medien 25 Mehr-Ebenen-Demokratie 53 Menschenwürde 37, 96, 105 Mildtätigkeit 102 Minderheitenschutz 107 – religiöser 156 f. Monarchie – und Kirche 42 – s. auch Absolutismus, Feudalismus Norm 88 f. Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen 31 Ökumene 133 Offenbarung 34 Orden 131 f.

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Pazifismus 109 f. Persönliche Gewalt 50 Pietismus 133 Priester(tum) 14 f., 141 Propheten 14 Radikale Parteien 138 Radikalisierung 47 ff. Rationalismus 68 f. Rechtsstaatlichkeit 148 Reich – Zwei Reiche, passim Relativismus 90 f. Religion, passim Repräsentation 44, 140 f. Richtertum 145 f. Scholastik 68, 73 Sexualmoral 106 Skandal 39 Solidarität 102 Soziallehre, katholische 134 Sozialstaat 101 ff. Sozialzwang 24 Staat – und Gesellschaft 137 f. Staatselemente 54 ff. Staatsgebiet 54 Staatskirche 18 ff. Staatszielbestimmungen 99 ff. Staatsvolk 54 Subsidiarität 75 ff. Summepiskopat 25, 133 Synodalismus 136 Tod 79 ff. Todesstrafe 57, 92 Toleranz 22, 107 Trennung von Kirche und Staat 27 ff. Umverteilung 124 – als Geschenk 125 ff.

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Sachwortverzeichnis

– und Sozialstaat 102 ff., 125 f. – durch Umweltschutz 99 f. Umweltschutz 99 f. Ungeborenes Leben 84 Vereinigte Staaten 20 f., 29, 62, 98, 113 f., 135 Verfassung 75 f., 89, 144 – offene 153 Verfassungsstaat 139 f. Vergnügen 105 ff. Versöhnung 17 f., 127 ff. Volk, passim

Volkssouveränität 41 ff. und passim Vox Populi 161 ff. und passim Wahrheit – und Dogma 144 f. – und Glaube 19 f. Wahlen – politische und Kirchen 32 Werte 93 ff., 143, 154 Wirklichkeit, Abbildung der 90 Zwei-Reiche-Lehre 27 und passim