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German Pages 369 [372] Year 2007
Hallesche Beitr ge zur Europ ischen Aufkl rung Schriftenreihe des Interdisziplinren Zentrums fr die Erforschung der Europischen Aufklrung Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg
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Yvonne Wbben
Gespenster und Gelehrte Die sthetische Lehrprosa G. F. Meiers (1718–1777)
n Max Niemeyer Verlag Tbingen
Herausgeber: Daniel Fulda, Ulrich Barth, Rainer Enskat, Gabriela Lehmann-Carli, Monika Neugebauer-Wçlk, Jrgen Stolzenberg, Heinz Thoma, Sabine Volk-Birke Wissenschaftlicher Beirat: Wolfgang Adam, Roger Bartlett, Gunnar Berg, Reinhard Brandt, Lorraine Daston, Wilhelm Khlmann, Wolfgang Levermann, Jean Mondot, Jrgen Osterhammel, Alberto Postigliola, Paul Raabe, Peter Hanns Reill, Heiner Schnelling Redaktion: Ulrich Diehl unter Mitarbeit von Grit Neugebauer Satz: Kornelia Grn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-81034-1
ISSN 0948-6070
C Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, Hbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier. Printed in Germany. Druck und Einband: Laupp & Gçbel GmbH, Nehren
Danksagung
Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2004 im Fachbereich Sprache, Kunst und Literatur der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Die nach Abgabe publizierte Forschungsliteratur konnte nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Entstanden ist die Studie im Rahmen des Giessener Graduiertenkollegs „Klassizismus und Romantik“, sie wurde durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Ich danke meinen Betreuern Herrn Prof. Dr. Friedrich Vollhardt (München) sowie Herrn Prof. Dr. Ansgar Nünning (Gießen) für zahlreiche Hinweise und dem Giessener Kolleg für anregende Diskussionen. Mein Dank gilt ferner jenen, die die Arbeit mit anhaltendem Interesse verfolgt und zahlreichen Hinweisen unterstützt haben, namentlich den Professoren PeterAndré Alt (Berlin), Hans-Jürgen Schings (Berlin), Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) und Klaus Weimar (Zürich). Verpflichtet bin ich nicht zuletzt den Herausgebern der Reihe, besonders Herrn Professor Manfred Beetz, der die Arbeit zur Publikation angenommen hat, sowie Herrn Dr. Ulrich Diehl und Frau Kornelia Grün für die redaktionelle Betreuung und Geduld. Die Möglichkeit, die historischen Bestände der Berliner und Münchener Staatsbibliothek sowie der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel zu nutzen, war eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung dieser Arbeit. Mein Dank gilt den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren für zahlreiche hilfsbereite Auskünfte. Ohne die Unterstützung von Freunden und Kollegen wäre dieses Buch nicht entstanden. Herzlich gedankt sei Mark-Georg Dehrmann (Osnabrück), Christiane Frey (Chicago), Alexander Košenina (Bristol), Alexander Nebrig (München), Bianca Schwindt (Wiesbaden), Meike Steiger (Berlin) und Uwe Wirth (Gießen).
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Inhalt
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Gespenster und Aufklärung: Zur Relevanz eines Wissensfeldes im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Vorschlag zu einer kontextbezogenen Lektüre von G. F. Meiers Gedancken von Gespenstern (1747) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Johann Georg Walch: Fünf Meinungen zu Gespenstern (1726) . . . . . . .
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3. Die Braunschweiger Gespensterepisode (1746) . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Nebel, Dünste, Aufklärung: Ein Gespenst im Braunschweiger Kolleg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Johann Gottfried Höfers „Augenzeugenbericht“ . . . . . . . . . . 3.3. Von der Peripherie ins Zentrum der Gelehrsamkeit . . . . . . . . 3.4. Die „göttliche Komödie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Das Gespenster-Fluidum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Der Brief des „Herrn Professor Oeder“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Das Self-Fashioning eines Empirikers . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8. Adeisidaimon: Harenberg als Initiator der Gespenster-Polemik 3.9. Von Braunschweig nach Halle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil I:
Wissen und Erfahrung. Gespensterlehre um 1740
Teil II: Georg Friedrich Meiers Gedancken von Gespenstern (1747) 4. Georg Friedrich Meiers Gedancken von Gespenstern (1747) . . 4.1. Vorüberlegungen zum Halleschen Diskursfeld . . . . . . . . 4.2. Gespenster als Problem der Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Versuch in einer neuen Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Pedanten und Schwärmer: Ein Ungleichgewicht zwischen Sinnlichkeit und Verstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. „Phaenomena“. Wege des Empirismus? . . . . . . . . . . . . . 5. Die erste Meinung: Meiers Angriff auf die cognitio sensitiva 5.1. Die Anwendung auf die Gespenster . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Der Rückgriff auf Locke: Unzulänglichkeiten einer pädagogischen Gespensterkritik . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Empirie? Goblins and complex ideas . . . . . . . . . . . . .
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5.4. Logik der Phantasie: Zur Unterscheidung von lex und coincidentia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Perspicacia versus Phantasia: Die Gespenstervorstellung als Produkt vernunftanaloger Seelenvermögen . . . . . . . . . . . . . 5.6. Analogon rationis: Der Einsatzort der Ästhetik . . . . . . . . . . . . . 5.7. Ästhetik als ‚Erfahrungs-Instrument‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8. Der Angriff auf den Sensualismus: das epistemische praejudicum der Gespensterseher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9. Hallenser gegen den esprit fort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10. Die Sempronius-Episode als Modell ästhetischer Illusionserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.11. Cognitio clara et confusa: Zur Kopplung von Furcht und Empfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.12. Natürlicher und poetischer Nutzen der Gespensterfurcht . . . . . . 5.13. Worterklärungen und „Hypothesen“: Ästhetisches Philosophieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.14. Meiers Gespensterkritik im Kontext des „Kleinen Dichterkriegs“ (1746–1749) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15. Das Gespenstersehen in Moralischen Wochenschriften . . . . . . . 5.16. Zusammenfassung der ersten Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die zweite Meinung: Platonisches Geistersehen . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Die zweite Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Anti-platonische Schwärmerkritik – platonische Schwärmerei . 6.3. Böhme, Edelmann und die Weltvergötterung: Zur Transformation anti-platonischer Deutungsmuster . . . . . . . 6.4. Am Beispiel Böhme: Spekulative und rationalistische Umdeutungen neuplatonischer Weisheitskonzeptionen . . . . . . 6.5. „Muthwillige Abstrakzionen“ und „wirkende Geister“: Transformationen frühaufklärerischer Schwärmerkritik in Wielands Geschichte des Agathon (1766/67) . . . . . . . . . . . . . 6.6. Space and spirit: Anne Conways Prinzipien und die Geister der sichtbaren Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7. Böhmes Astralleibtheorie und Walchs rezeptionssteuernde Paraphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8. Zwei Formen von Aufklärung? Die „Geisterlehre eines ächten Materialisten“ in Wielands Geschichte des Agathon (1766/67) . 6.9. Melancholie und Wahn: Psychopathologische Konzepte in der Enthusiasmusdiskussion . 6.10. Aus Glas: Zur Funktion der Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.11. Poetologische Aspekte der Verrückung: Von der Satire zum Schwärmerroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII
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6.12. Literatur als habituelles Phantasma? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.13. Zusammenfassung der zweiten Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Die dritte Meinung: Nervengeister und Hirngespinste . . . . . . . . . 7.1. Die ‚wirkliche Empfindung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Spuk im Kopf: Mechanische und physiologische Empfindungskonzepte (Descartes, Willis) . . . . . . . . . . . . . 7.3. Keine Gelegenheit: Popularphilosophische Adaptationen von Malebranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4. Influxionismus und pelagianische Erfahrungsliteratur: Adam Bernds Konzept der imaginatio involuntativa . . . . . . . . . . . 7.5. Sinnestäuschung und Erkenntnisskepsis . . . . . . . . . . . . . . . 7.6. Inhalt oder Materie? Die idea materialis in der Halleschen Anthropologie . . . . . . 7.7. Zusammenfassung der dritten Meinung . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Die vierte Meinung: Gespensterspuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Die vierte Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Metempsychose als philosophische Unsterblichkeitslehre: Meiers doxographische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Die astronomische Auslegung der Metempsychose . . . . . . . 8.4. Meiers Kritik an vitalistischen Metempsychose-Deutungen . 8.5. Die Gilgul-Lehre und Archäenwanderung . . . . . . . . . . . . . 8.6. Leibniz und van Helmont zur Metempsychose . . . . . . . . . . 8.7. Der ätherische Leib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8. Physische Auslegung des ästherischen Leibs um 1740 . . . . . 8.9. Grundzüge des Monadenstreits um 1745 . . . . . . . . . . . . . . 8.10. Nachtmützen: Metempsychose in Braunschweig? . . . . . . . . 8.11. Oeder und Clavius: zwei Gelehrte gleicher couleur? . . . . . . 8.12. Die Gespensterkontroverse: ein polemischer Monadenstreit? 8.13. Der anthropologische Trieb: Meiers Positionierung in der Unsterblichkeitsdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.14. Zusammenfassung der vierten Meinung . . . . . . . . . . . . . . .
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9. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1. Historische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung
1.1. Gespenster und Aufklärung: Zur Relevanz eines Wissensfeldes im 18. Jahrhundert Im Herbst des Jahres 1747 ist im Halleschen Verlag Hemmerde ein kurzer deutschsprachiger Traktat erschienen, der sich auf gut vierzig Seiten mit einem fast ebenso intrikaten wie sonderbaren Gegenstand, nämlich mit Gespenstern, befasste.1 Obschon der Traktat, der dem Halleschen Aufklärer Georg Friedrich Meier zugeschrieben wird, eine zu seiner Zeit hitzige Kontroverse entfacht hat2 und bereits im zweiten Jahr eine Neuauflage erfuhr,3 ist er in der Forschungsliteratur bislang relativ unbeachtet geblieben.4 Dabei wurde die Gespensterliteratur des 18. Jahrhunderts eingehend untersucht. Bedeutend ist Meiers Schrift deshalb, weil sie Aufschlüsse über das verbreitete Interesse an Gespenstern, über die Kommunikationsregeln und die durchaus polemischen Umgangsformen der aufgeklärten Wissenskultur liefert. Denn unbestritten zeichnet sich kaum ein Jahrhundert durch eine ähnliche Faszination für Gespenster, spielerischen Betrug und Täuschung aus oder ist mit vergleichbarem Eifer gegen die so genannten „Augen von Hurereien“5 vorgegangen wie das auf Authentizität und Originalität so bedachte 18. Jahrhundert. Zwar gab man sich in den „Zimmern der Schönen“ und „Grazien“ gern als Gegner des ganzen „Friedhofsspuks“,6 das hielt zahlreiche Gelehrte dennoch nicht davon ab, sich im Verborgenen ihrer Studierkammer mit Gespenstern zu befassen. Dieses zuweilen nachhaltige akademische Interesse lässt sich zum einen auf die verbreitete Beschäftigung mit Kuriositäten,7 effektvollen Auftritten und techni1 2 3 4
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Georg Friedrich Meier: Gedancken von Gespenstern. Halle 1747. Georg Wilhelm Wegner: Philosophische Abhandlung von Gespenstern. Berlin 1747, Johann Georg Sucro: Widerlegung der Gedancken von Gespenstern. Halle 1748 u.a. Georg Friedrich Meier: Gedancken von Gespenstern. Halle 21748. Eine Ausnahme bilden Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik. Tübingen 1992 (Studien zur deutschen Literatur 119), S. 324–332, sowie Günter Schenk: Leben und Werk des halleschen Aufklärers Georg Friedrich Meier. Halle 1994, der in seiner Einschätzung im Wesentlichen Pott folgt. Johann Caspar Lavater an Johann Gerhard Hasenkamp im März 1772, in: Briefwechsel zwischen Lavater und Hasenkamp. Hg. v. Karl Ehmann. Basel 1870, S. 21. Immanuel Kant: Brief an Charlotte von Knobloch vom 10.8.1763, in: ders.: Werke. AkademieTextausgabe. Unv. Photomech. Abdruck des Textes v. d. Preußischen Akademie der Wissenschaften. 9 Bde. Berlin 1968ff. Bd. 10, S. 43. Lorraine Daston / Katharine Park: Wonders and the Order of Nature. New York 1998; Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung. Göttingen 2003.
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schen Reproduktionsmöglichkeiten bzw. Medien wie der laterna magica zurückführen.8 Es indiziert zum anderen eine gewisse Unentschlossenheit im Umgang mit frühneuzeitlichen Wissensbeständen sowie einen Korrekturbedarf. Dem entspricht das Bild, das Lexika, Enzyklopädien und die Traktatorik des 18. Jahrhunderts liefern. Darin werden Gespenster als Wissensgegenstände betrachtet,9 an denen sich die Selbstreflexivität der damaligen Wissenskultur entfalten konnte.10 Gelehrte nahmen das Thema mithin zum Anlass, Fragen der Gespensterlehre zu erörtern und zugleich dazu, die Maßstäbe ihrer am common sense und der Erfahrung geschulten Wissensweisen zu überdenken, zu korrigieren oder festzusetzen. Es ist also nicht verwunderlich, dass das 18. Jahrhundert in Fragen der Gespensterlehre ein so ausgesprochen heterogenes Bild aufweist, ja mehr noch, dass die heute aus der Mode gekommenen Gespensterseher – etwa der wahrlich nicht gut beleumundete Emanuel Swedenborg (1688–1772)11 oder sein ebenso berüchtigter Adept Alessandro Cagliostro (1743–1795)12 – einen Gegenstand von besonderer „kulturgeschichtlicher Bedeutung“ darstellten, wie Eugen Sierke bereits 1874 vermerkte.13 Gemessen an den zum Teil gut aufbereiteten Quellenbeständen ist deren wissensgeschichtliche Einordnung jedoch nach wie vor mit Schwierigkeiten behaftet. Schon ein kursorischer Blick auf die Forschung zeigt, mit welchen Herausforderungen die Erfassung eines derart verzweigten Diskursfeldes einhergeht, das am Übergang zur Moderne offenbar eine wesentliche Neugewichtung erfahren hat. Georg Friedrich Meiers Traktat eignet sich als erster Orientierungsfaden, der durch ein vielstimmiges Labyrinth an Positionsversuchen führt. Meier kann nicht nur als profunder Kenner der Diskussion angesehen werden. Er agiert zudem von einem bedeutenden Gelehrtenzentrum seiner Zeit, der Halleschen Universität, wo er sich 8 9
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Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Berlin 2002. Johann Georg Theodor Graesse: Bibliotheca magica et pneumatica oder wissenschaftlich geordnete Bibliographie der wichtigsten in das Gebiet der Zauber=, Wunder=, Geister= und sonstigen Aberglaubens vorzüglich älterer Zeit einschlagende Werke. Mit der Angabe der aus diesen Wissenschaften auf der köngl. Sächs. Dess. Bibliothek zu Dresden. Leipzig 1832, S. 81–96, Wilhelm Risse: Bibliographia philosophica vetus. Repertorium generale systematicum operum philosophicum […]. Pars I. Philosophia generalis. Hildesheim / New York / Zürich 1998 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 45.1). Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1990, S. 167f. Ähnliches gilt für das ästhetische Feld, das sich, wie Linda Simonis: Kunst des Geheimen. Esoterische Kommunikation und ästhetische Darstellung im 18. Jahrhundert. Heidelberg 2002, gezeigt hat, im Bereich der performativen Kultur der Geheimorden entfaltet. Rudolf Leonhard Tafel: Documents concerning the life and character of Emanuel Swedenborg. Collected, Translated and Annotated. 2 Bde. London 1877; Ernst Benz: Emanuel Swedenborg als Wegbereiter des deutschen Idealismus und der deutschen Romantik, in: Eberhard Zwing (Hg.): Emanuel Swedenborg – Naturforscher und Kundiger der Überwelt. Stuttgart 1988, S. 116–121; Ernst Benz: Swedenborg in Deutschland. F. C. Oetingers und Immanuel Kants Auseinandersetzung mit der Person und Lehre Emanuel Swedenborgs. Frankfurt/M. 1947. Klaus H. Kiefer (Hg.): Cagliostro – Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus. München 1991. Eugen Sierke: Schwärmer und Schwindler zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1874, S. 5.
eine zentrale Position erstritten hatte. Sein Traktat ist beispielhaft für eine Anzahl weiterer Aneignungen: Um 1750 entstand im Aufklärungsfeld eine Serie kürzerer Traktate, die philosophische Fragen wie die nach der Substanz und Existenz von Gespenstern auf populäre Weise behandelten.14 Von hier aus lassen sich Bezüge zur späteren philosophischen Geister- und Gespensterliteratur ziehen, wie sie z.B. mit Immanuel Kants vorkritischem Text Träume eines Geistersehers erläutert durch Träume der Metaphysik (1766) vorliegt. Auch diese Schrift ist keineswegs ein singuläres Ereignis, sondern aus einem Diskussionszusammenhang hervorgegangen, in den Meiers Text ebenso wie die Abhandlung des Göttinger Philosophen Georg Christoph Lichtenberg über Poltergeister zu situieren ist. Die Kontextualisierung dieser Schriften liefert nicht nur Aufschlüsse über das um 1750 verfügbare Gespensterwissen, sondern rekonstruiert zudem den Verstehenshorizont der Zeit, der eine wichtige Vorraussetzung für die Analyse literarischer Adaptationen darstellt. Diese Adaptationen reichen von der verbreiteten Schauerliteratur bis zu (vor)klassischen Hochplateautexten. Denn Autoren literarischer Texte wie Popularphilosophen haben sich intensiv mit Geistersehern befasst: darunter Friedrich Schiller in seinem Romanfragment Der Geisterseher, Karl Philipp Moritz mit den Fragmenten aus dem Tagebuche eines Geistersehers sowie schließlich Johann Wolfgang von Goethe in seiner Faust-Tragödie. Die vorliegende Arbeit wird Ausblicke auf diese literarischen Adaptationen liefern. Zunächst wird sie jedoch nach den genuinen historischen Schaltstellen fragen, nach den Traditionslinien, Textformationen und Verstehenshorizonten, in welchen die Gespensterdiskussion anzusiedeln ist. Wie kann die Ökonomie dieses Wissens beschrieben werden und welche Funktion nimmt der Gespensterdiskurs15 in der Geschichte des Wissens ein? Führt er ein an sich heterogenes Wissensfeld zusammen, ist er ein Marktplatz des Wissens oder vielmehr ein Reibungsfeld, an dem verschiedene Positionen generiert wurden?
1.2. Forschungsüberblick Wie die eingangs zitierte Schrift Sierkes dokumentiert, waren bei der Erschließung der Schwärmer- und Geisterseherei des 18. Jahrhunderts mitunter Etikettierungen wie ‚aufgeklärter Rationalismus‘ oder ‚romantischer Irrationalismus‘ leitend. Diese 14
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Christoph Böhr: Philosophie für die Welt. Die Popularphilosophie der deutschen Spätaufklärung im Zeitalter Kants. Stuttgart 2003 (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung Abteilung II: Monographien 17). Ich verwende den Begriff ‚Diskurs‘ nicht im Sinne Michel Foucaults: Archäologie des Wissens. Frankfurt/M. 1981, S. 33–47, sondern meine damit eine umschriebene Anzahl an Textereignissen, die einen (mehr oder weniger einheitlichen) Gegenstand behandeln, zeitnah zueinander publiziert wurden und dazu beitragen, dass Wissen zirkuliert bzw. modifiziert wird.
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auch in der Aufklärungsforschung der 1980er Jahre noch wirksamen Deutungskategorien speisten sich vielfach aus Quellentexten der Berliner Spätaufklärer16 und übernahmen teilweise unkritisch deren Selbstzuschreibungen. Letztere beriefen sich in ihrer Gespensterkritik oftmals auf Christian Thomasius,17 den Johann Gottfried Herder nicht ohne Ironie als „Gespensterhelden“ des gesamten Jahrhunderts bezeichnete.18 Damit ging eine frappierende Marginalisierung der mittleren Aufklärung einher, die sich in der Forschungsliteratur zuweilen in der Tendenz spiegelte, einige aus den Texten der Früh- oder Spätaufklärung abgeleitete Epochenkriterien auch auf dieses Zeitsegment zu applizieren.19 Die Gespensterkritik der Aufklärung wurde dabei besonders zum Gegenstand jener Arbeiten, welche die Konstellation ‚Aufklärung‘ nicht durch positiv konnotierte Ideologeme wie Toleranz und Denkfreiheit definierten,20 sondern vielmehr durch polemische Kampfideen wie solche der Aberglaubenskritik.21 In diesen Arbeiten blieb der Aberglaubensbegriff jedoch oft unterbestimmt, wie der Philosophiehistoriker Martin Pott in seiner Studie Aufklärung und Aberglaube eindrücklich darlegen konnte.22 Zwar zeigte er, dass sich um 1750 eine Akzentverschiebung von religionstheoretischen bzw. religionshistorischen hin zu medizinisch-anthropologischen bzw. erkenntnistheoretischen Argumentationsbeständen verzeichnen lässt, insgesamt bestehe diese allerdings aus einem Geflecht äußerst disparater Ideenkonglomerate, welches sich gleichermaßen aus Religions-, Autoritäts- oder auch Vernunftkritik zusammensetzt. ‚Aberglauben‘ konnte demnach eine häreti16
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Mit dem Geisterseher Swedenborg befassen sich u. a.: [Franz Okely]: Nachricht zur Verbreitung des Wunderglaubens in England, in: BM 6 (1785), S. 267–273; [Anonym]: Das neue Jerusalem auf Erden, in: BM 11 (1788), S. 4–38; [Anonym]: Aufschlüsse über eine Geistererscheinungsgeschichte von Swedenborg. I. Brief eines angesehenen Kavaliers an die Herausgeber II. Eine andere Erzählung über nemliche Geschichte, in: BM 11 (1788), S. 303–319; Karl Gottfried Schröder: Wiederum ein Beispiel von trauriger Schwärmerei aus Aberglauben, in: BM 3 (1784), S. 263–267; [M. R.]: Neue Aufklärung einer alten sächsischen Gespenstergeschichte, in: BM 6 (1785), S. 561–567; [Anonym]: Der König Mikita, eine ganz neue Geistergeschichte, in: BM 13 (1789), S. 542–550. Vgl. dazu Peter Weber: Berlinische Monatsschrift als Organ der Aufklärung, in: ders. (Hg.): Berlinische Monatsschrift (1783–1796). Auswahl. Leipzig 1986, S. 356–452. Johann August Eberhard: Über den Ursprung der Fabel von der weißen Frau, in: BM 1 (1783), S. 5–21; Friedrich Gedike: Nachtrag zur Legende von der weißen Frau, in: BM 1 (1783), S. 22–38. Johann Gottfried Herder: Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in: Sämtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Berlin 1877–1913 (Reprint Hildesheim / Zürich / New York 1967/68), Bd. 8, S. 165–235, hier S. 234. Norbert Hinske: Einleitung, in: ders. (Hg.): Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift. In Zusammenarbeit mit Michael Albrecht ausgewählt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen. Darmstadt 31981, S. XIII–LXIX. Ernst Cassirer: Die Philosophie der Aufklärung. Mit einer Einleitung von Gerald Hartung und einer Bibliographie der Rezensionen von Arno Schubbach. Hamburg 1998, S. 54f. Norbert Hinske: Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Versuch einer Typologie, in: Raffaele Ciafardone (Hg.): Die Philosophie der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung. Stuttgart 1990, S. 407–458. Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 4.
sche Religionspraktik, z.B. eine Götzenverehrung, eine nicht durch die Vernunft oder Offenbarung gestützte Annahme oder schlicht ein Fehl- bzw. Vorurteil bezeichnen.23 Selbst eine atheistische Position, als welche z.B. die Gespensterkritik des Niederländers Balthasar Bekker von einigen Autoren angesehen wurde, ließ sich zuweilen als ‚abergläubisch‘ etikettieren. Bei den Berliner Aufklärern fungierte der Begriff dagegen vor allem als Kampfbegriff (Hinske), der sich bezeichnenderweise gegen Augenzeugenberichte wendete und die vermeintliche Beglaubigung von Gespenstern durch Dritte kritisierte.24 Im Verlauf des gesamten 18. Jahrhunderts avancierten die Etiketten ‚Aberglaube‘ und ‚Vernunft‘, wie Panajotis Kondylis schließlich vermerkte, zu Leerformeln,25 deren polemische Zielrichtung wie sachlicher Gehalt oftmals nur in mikroskopischer Detailanalyse rekonstruiert werden können und die sich als Epochenzuschreibungen daher kaum eignen. Je intensiver die Bemühungen um die Rekonstruktion aufklärerischer Wissensbestände ausfielen, desto schwieriger wurde die Identifizierung zentraler Basistheoreme, die das Zeit-Raum-Segment ‚Aufklärung‘ prägnant kennzeichneten. ‚Aufklärung‘ sollte entweder eine intellektuelle Haltung, eine sozialhistorische Konstellation oder eine vorherrschende ideengeschichtliche Formation bezeichnen.26 Mehr noch: Das Dilemma von revisionsbedürftigen und nützlichen Klischees ließ sich wohl an keinem Bereich so plastisch skizzieren wie an der Aufklärungsforschung. Die Rede vom „gespensterkritischen Jahrhundert“ (Adorno / Horkheimer)27 scheint aus heutiger Perspektive jedenfalls ebenso aktuell und revisionsbedürftig wie die von der „Nachtseite“ oder dem „Anderen der Vernunft“.28 Wurde die Gespensterkritik des 18. Jahrhunderts über lange Zeit als emanzipatorischer Akt (Habermas), als „Kampf gegen den Supranaturalismus“ (Troeltsch)29 23 24
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Werner Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik. Studien zur Geschichte der Vorurteilslehre. Stuttgart-Bad Cannstatt 1983. Norbert Hinske: Die Aufklärung und die Schwärmer – Sinn und Funktion einer Kampfidee, in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhundert und seiner Wirkungsgeschichte. 3.1 (1988), S. 1–6 sowie ders.: Artikel ‚Aufklärung‘, in: Staatslexikon. Hg. v. der Görres-Gesellschaft. Bd. I. Freiburg / Basel / Wien 71985, S. 397. Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Hamburg 2002, S. 24. Zur Problematik von Epochenbegriffen allgemein: Michael Titzmann: Probleme des Epochenbegriffs in der Literaturgeschichtsschreibung, in: Karl Richter / Jörg Schönert (Hg.): Klassik und Moderne. Die Weimarer Klassik als historisches Ereignis und Herausforderung im kulturgeschichtlichen Prozeß. Stuttgart 1983, S. 98–131; Hans-Ulrich Gumbrecht / Ursula Link-Heer (Hg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Frankfurt/M. 1985; Ansgar Nünning: Kanonisierung, Periodisierung und Konstruktionscharakter von Literaturgeschichte, in: ders. (Hg.): Eine andere Geschichte der englischen Literatur. Trier 1996, S. 1–24. Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Zur Theorie der Gespenster, in: dies: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. 1969, S. 226. Hartmut Böhme / Gernot Böhme: Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants. Frankfurt/M. 1985. Ernst Troeltsch: Die Aufklärung, in: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, in: Gesammelte Schriften. Bd. 4. Tübingen 1925, S. 338–374, hier S. 339; differenzierter, aber
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oder als ‚Entzauberung der Welt‘ (Max Weber) und damit letztlich als Säkularisierungsprozess gedeutet, so scheinen auch diese Zugriffe die historischen Konstellationen oft nur unzureichend zu beschreiben.30 Entweder beschränkten sie sich auf einige mehr oder weniger repräsentative Kanontexte, ließen dabei jedoch die Kräftefelder, in denen diese generiert wurden, außer Acht. Oder sie unterschätzten die Verhaftung der philosophischen Aberglaubenskritik an den Vorgaben der christlich-kirchlichen Orthodoxie. Bereits 1969 monierte Hermann Bausinger daher in seiner Tübinger Antrittsvorlesung die Tendenz, „Aufklärung durch ihre Gegenpositionen zu definieren“,31 und wandte sich damit gegen eine allzu selektive Epochenbestimmung. Ebenso kritisierte Monika Neugebauer-Wölk das über Jahrzehnte gleich gebliebene „Grundkonzept“, das in der Definition von Aufklärung „als Selbstgebrauch der Vernunft“ bestehe. Sie plädierte in diesem Zusammenhang für die breitere Einbeziehung nicht kanonischer Texte, deren Denkweise sich – wie die der hermetischen Tradition – keinesfalls nur mit dem Postulat eines Selbstgebrauchs der Vernunft in Übereinstimmung bringen ließen, und führte den Begriff ‚Esoterik‘ als heuristisches Konzept ein.32 Damit öffnete sie den Blick für das hermetische Diskursfeld, dessen Erforschung einerseits für das Verständnis des 18. Jahrhunderts insgesamt, andererseits für die ideengeschichtliche Verortung des Gespensterwissens neue Perspektiven eröffnete.33 Unterdessen hat sich das Aufklärungsverständnis durch die stärkere Einbeziehung dieser Kontexte sowie durch die Anbindung der Aufklärungs- an die Moderne- und Frühe-Neuzeit-Forschung stark modifiziert,34 so dass das vormals auf einer Zäsur gegründete Aufklärungsverständnis hinfällig erscheint. Vor allem die erneute Beschäftigung mit der so genannten clandestinen Literatur hat Impulse
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auch in Anlehnung an diese These Lorraine Daston / Katharine Park: Wonders and the Order of Nature, S. 331: „[…] eighteenth-century naturalists abandoned wonders as part of a more global reaction against the political, religious, and aesthetic abuses of prodigies and marvels.“ Sandra Pott / Jörg Schönert: Einleitung, in: Sandra Pott: Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Medizin, Medizinethik und schöne Literatur. Studien zu Säkularisierungsvorgängen vom frühen 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Tübingen 2005, S. 1–45. Hermann Bausinger: Aufklärung und Aberglaube, in: DVjs 37 (1963), S. 345–362, hier S. 345. Monika Neugebauer-Wölk: Die Geheimnisse der Maurer. Plädoyer für die Akzeptanz des Esoterischen in der historischen Aufklärungsforschung, in: Das 18. Jahrhundert 21.1 (1997), S. 15–32. Monika Neugebauer-Wölk: Esoterik im 18. Jahrhundert – Aufklärung und Esoterik. Eine Einleitung, in: dies. / Holger Zaunstöck (Hg.): Aufklärung und Esoterik. Hamburg 1999 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 24), S. 1–37, hier S. 1. Zur Kritik an Neugebauer-Wölk vgl. Anne-Charlotte Trepp: Hermetismus oder zur Pluralisierung von Religiositäts- und Wissensformen in der Frühen Neuzeit: Einleitende Bemerkungen, in: dies. / Hartmut Lehmann (Hg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 171), S. 7–15, hier S. 10. Harro Zimmermann, Robert Darnton, Jean Mondot und Werner Schneiders im Gespräch über Aufklärung und Aufklärungsforschung, in: Das achtzehnte Jahrhundert. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 20 (1996), S. 137–149.
geliefert,35 die für die literarhistorische Betrachtung fruchtbar gemacht werden konnten, da sie ihr Augenmerk besonders auf die Literarizität der hermetischen Textformation richteten.36 Jene Wissensbestände zu rekonstruieren, die den Umgang mit Gespenstervorstellungen im 18. Jahrhundert bestimmten, hat im Anschluss an Jean-Claude Schmitts mentalitätsgeschichtliche Studie37 der Bielefelder Historiker Diethard Sawicki unternommen. Er begreift die Geisterseher des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht mehr als Resistenzphänomen des Ancien Régime oder des Obskurantismus, sondern als Wegbereiter eines neuen Jenseitsglaubens, der sich bis ins spiritistische 19. Jahrhundert fortsetze.38 In genauen Einzelanalysen hat Sawicki jenes Wissen rekonstruiert, das in den Praktiken des Gespensterglaubens, in den zahllosen Beschwörungen zum Tragen kam. Er belegte, dass das Gespensterzitieren ebenso wie das Goldherstellen und Prognostizieren zur hermetischen Alltagspraxis gehörte und ganz selbstverständlich in die Wissenskontexte der Zeit eingebunden war. Sawicki operiert in Ansätzen mit einem durch Quellentexte gesättigten Hermetismus-Begriff.39 Er konzentriert sich vor allem auf die Schriften Emanuel Swedenborgs sowie auf das Kompilat Georg von Wellings Opus magocaballisticum, die Ausschnitte des disparaten Feldes repräsentieren. Bislang konnten jedoch die Schnittstellen zwischen dem gelehrten Wissen und den verbreiteten Praktiken nicht im Detail herausgearbeitet werden. Das mag auch mit der Diskrepanz zwischen Alltagspraktiken und der akademischen Wissensproduktion zusammenhängen. Denn eine effektive Diffusion von Wissen entlang eines Gefälles findet im 18. Jahrhundert allenfalls in breiten Sektoren der medizinischen Volksaufklärung statt.40 Viele Schriften der so genannten ‚hermetischen‘ Tradition waren dagegen nicht breiter zugänglich. Emanuel Swedenborgs Arcana Coelestia dürften bei der Ausbildung von Wissenshorizonten dörflicher Gemeinden also
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Martin Mulsow: Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland (1680–1720). Hamburg 2002, S. 262. Wilhelm Kühlmann: Der ‚Hermetismus‘ als literarische Formation. Grundzüge seiner Rezeption in Deutschland, in: Scientia Poetica 3 (1999), S. 145–157. Jean-Claude Schmitt: Ghosts in the Middle Ages. The Living and the Dead in Medieval Society. Chicago 1998, S. 245 und Christian Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung: zu Literatur und Bewusstseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/M. 1987, S. 261: „Die Gestalten des traditionellen Aberglaubens reduzieren sich zu bloßen Phantasmen.“ Diethardt Sawicki: Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland (1770–1900). Paderborn / München / Wien / Zürich 2002, S. 10; ders.: Die Gespenster und ihr Ancien Régime. Geisterglauben als ‚Nachtseite‘ der Spätaufklärung, in: Aufklärung und Esoterik, S. 364–395. Wilhelm Kühlmann: Der ‚Hermetismus‘ als literarische Formation, S. 145–157; zu den Überschneidungen mit naturtheoretischen Texten Brian P. Copenhaven: Natural Magic, Hermetism, and Occultism in Early Modern Science, in: Reappraisals of the Scientific Revolution. Hg. v. David C. Lindberg / Robert S. Westman. Cambridge u.a. 1990, S. 261–301. Holger Böning / Reinhart Siegen: Volksaufklärung. Bibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850. Hg. v. Holger Böning. Die Genese der Volksaufklärung und ihre Entwicklung bis 1780. Stuttgart-Bad Cannstatt 1990.
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allenfalls über Vermittlungsprozesse eine Rolle gespielt haben, die jedoch zuerst zu rekonstruieren wären. Darüber hinaus dokumentieren literaturwissenschaftliche Arbeiten wie die des Bonner Germanisten Richard Alewyn, dass sich die Germanistik über lange Zeit eng an den Kategorien der Aufklärungsforschung orientierte,41 indem sie etwa in der Gespensterkritik eine denkgeschichtliche Vorraussetzung sah, welche die ästhetische Aneignung des Gespensterwissens (z.B. im Rahmen der Schauerliteratur) erst ermöglichte.42 Die anthropologiegeschichtlich ausgerichtete Literaturwissenschaft hat sich dagegen intensiv um die Erschließung transdisziplinärer Diskursfelder bemüht und damit einen Beitrag zur Erstellung dichter Kontextbezüge geleistet.43 Zwar galt als ihr Manko, dass sie oft widerspiegelungstheoretisch argumentierte: Demnach transportiere und adaptiere Literatur lediglich das Wissen, das in anderen Bereichen (wie der Medizin) bereits etabliert sei.44 Erst durch die Einbeziehung breiter Diskurskontexte konnten jedoch die zahlreichen Anspielungen auf die vermeintliche Melancholie der Geisterseher nachgewiesen werden. Für die Analyse der Gespenster- und Geisterliteratur hat die Herstellung dieser Wissenskontexte deshalb neue Deutungshorizonte eröffnet: Sei es, dass die medizinische, philosophische und naturwissenschaftliche Theoriebildung Aufschlüsse über die Bewertung der Gespensterseher ermöglichte, sei es, dass sie ein Instrumentarium lieferte, die unterschiedlichen Nuancierungen einzelner literarischer Adaptationen zu erfassen.45 Gegenüber primär gattungsgeschichtlichen und textphilologischen Untersuchungen führte die anthropologisch-kulturwissenschaftliche Orien-
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Richard Alewyn: Die Lust an der Angst, in: ders.: Probleme und Gestalten. Frankfurt/M. 1974, S. 307–330, hier S. 328; Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Zur Theorie der Gespenster, S. 226f.; Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung; bes. S. 126–135; Liliane Weissberg: Geistersprache. Philosophischer und literarischer Diskurs im späten achtzehnten Jahrhundert. Würzburg 1990; Gero v. Wilpert: Die deutsche Gespenstergeschichte. Motiv, Form, Entwicklung. Stuttgart 1994, S. 98. Dieser These implizit folgend: Terry Castle: Geisterhafte Politik. Der Glaube an Erscheinungen und die romantische Imagination, in: Nach der Aufklärung? Beiträge zum Diskurs der Kulturwissenschaft. Hg. v. Wolfgang Klein / Waltraud Neumann-Beyer. Berlin 1995, S. 67–95, hier S. 72; in ähnlicher Weise auch Barbara Naumann: Geistererscheinungen. Wiederholung und Symbolisierung in Goethes Roman ‚Wilhelm Meisters Wanderjahre‘, in: Dasselbe noch einmal: Die Ästhetik der Wiederholung. Hg. v. Carola Hilmes / Dietrich Mathy. Opladen / Wiesbaden 1998 (Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur), S. 38–61. Wolfgang Riedel: Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung. Skizze einer Forschungslandschaft, in: IASL Sonderheft 6 (1994), S. 93–157; siehe ferner Walter Erhart: Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, in: IASL 25 (2000), S. 159–168. Wolfgang Riedel: Literarische Anthropologie, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearb. des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Hg. v. Harald Fricke, gemeins. m. Georg Braungart / Klaus Grubmüller / Jan-Dirk Müller / Friedrich Vollhardt / Klaus Weimar. Bd. II: H-O. Berlin / New York 2000, S. 432–434. Monika Schmitz-Emans: Zwischen wahrem und falschem Zauber: Magie und Illusionistik als metapoetische Gleichnisse. Eine Interpretation zu Schillers ‚Geisterseher‘, in: Georg Guntermann (Hg.): Klassik, modern. Für Norbert Oellers zum 60. Geburtstag. Berlin 1996 (Zeitschrift für deutsche Philosophie, Sonderheft), S. 33–45.
tierung ferner zu einer Veränderung des Epochenverständnisses. Das von einzelnen Wissenschaftlern entworfene Bild des rationalistischen Zeitalters konnte durch die Einbeziehung jener Textzeugnisse revidiert werden, die der affektiven Seite des Gespensterglaubens, vor allem der Gespensterfurcht, Rechnung trugen.46 Die Furcht wurde von Autoren literarischer Texte und Philosophen des 18. Jahrhunderts jedenfalls als integraler Bestandteil der affektiven Konstitution des Menschen und seiner psychisch-physischen Doppelnatur erkannt und sogar als wesentlich für die Selbsterhaltung des Individuums begriffen.47 Keineswegs ließ sich im 18. Jahrhundert – wie noch Christian Begemann im Anschluss an Norbert Elias’ zivilisationsgeschichtliche Studien in den 1980er Jahren annahm – eine allgegenwärtige Affektunterdrückung zum Zweck der Disziplinierung verzeichnen.48 Im Gegenteil: Die offenbar gegen vernünftige Belehrungen resistente Gespensterfurcht wurde zunächst als Problem, dann zunehmend als anthropologische Besonderheit aufgefasst, die angeblich zeigte, dass der Mensch, auch in Abgrenzung zum Tier, mit einem Sinn fürs Übernatürliche ausgestattet sei.49 Die Wechselbeziehung zwischen Literatur und Wissenschaft war hingegen Gegenstand der in den letzten Jahrzehnten konjunkturell aufstrebenden Literature and Science Studies.50 Sie erlaubte, Rückschlüsse über die mögliche Bedeutung der schönen Literatur für den Geltungsverlust einzelner Wissenssysteme wie z.B. des so genannten Hermetismus zu ziehen. Von Interesse war dabei unter anderem die Frage, inwiefern historische Geisterseher als Vorlagen für literarische Adaptationen von Gotthold Ephraim Lessing bis Johann Wolfgang von Goethe fungierten, inwiefern sie für einen bestimmten, z.B. polyhistorischen Gelehrtentypus Pate standen.51 Die von Geistersehern wie Swedenborg oder Cagliostro vertretenen kosmologischen Lehren waren jedenfalls Gegenstand satirischer und parodistischer
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Im Anschluss an Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, vor allem Hans-Jürgen Schings (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert DFG-Symposium 1992. Stuttgart 1994. Friedrich Vollhardt: Aspekte der germanistischen Wissenschaftsentwicklung am Beispiel der neueren Forschung zur „Empfindsamkeit“, in: Aufklärungsforschung in Deutschland. Hg. v. Holger Dainat / Wilhelm Vosskamp. Heidelberg 1999 (Beihefte zum Euphorion 32), S. 49–78. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt/M. 1997, für die höfische Gesellschaft bes. S. 380f. Daran anknüpfend Christian Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Christoph Martin Wieland: Über den Hang der Menschen an Magie und Geistererscheinungen zu glauben, in: ders.: Gesammelte Schriften. Hg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften. I. Abt. Bd. 4. Hg. v. Wilhelm Kurrelmeyer. Berlin 1909, S. 322–331; Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. Nach der Ausgabe v. Norbert Miller. Hg. u. textkritisch durchgesehen u. eing. v. Wolfhart Henckmann. Hamburg 1990, S. 98. Karl Richter / Jörg Schönert / Michael Titzmann: Die Literatur und Wissenschaft (1770–1930). Stuttgart 1997. Conrad Wiedemann: Polyhistors Glück und Ende. Von Daniel Georg Morhof zum jungen Lessing, in: Festschrift für Gottfried Weber. Hg. v. Heinz Otto Burger / Klaus v. See. Bad Homburg 1967, S. 215–235.
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Überschreibungen,52 die sich auch als Indikatoren für die Transformation von Wissensstandards begreifen lassen.53 Darüber hinaus wies das naturkundliche SelfFashioning der Geisterseher an sich ein hohes Maß an Literarizität aus,54 welches ohne die Rekonstruktion des primär in anderen Bereichen der kulturellen Produktion angesiedelten Gespensterwissens nur unzulänglich analysiert werden kann. Kulturwissenschaftliche Ansätze bezogen entsprechend den Bereich des Imaginären enger in die Wissensgeschichte ein und analysierten einschlägige Textcorpora mit Blick auf Körpergeschichte,55 diskursive Substitutionsprozesse und subjektkonstitutive Machttechniken56 oder mediengeschichtliche Transformationen.57 Mit einer auffälligen Besonderheit des Gespensterdiskurses befassten sich unlängst Moritz Baßler, Bettina Gruber und Martina Wagner-Egelhaaf. Sie untersuchten am Beispiel des mit ‚Gespenst‘ assoziierten Wortfeldes die diskursiven Bedingungen von Realitätskonstitutionen. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Wort ‚Gespenst‘ zum universellen Losungswort für etwas avancierte, dessen ontologischer und epistemischer Status zweifelhaft war, scheint sich die doppeldeutige Präsenz, das Widersprüchliche und Nichtexistente, bereits im 18. Jahrhundert in das semantische Wortfeld eingeschrieben zu haben und wesentlich auf Formen medialer Evidenzerzeugung (Sprache, Bild, Tonträger) Bezug genommen zu haben.58 Die Metaphorisierung des Ausdrucks ,Gespenst‘ als ,Nichts‘ auf der einen oder als ,Omnipräsentes‘ auf der anderen Seite stellt zweifellos eine Besonderheit dar, die, wie die vorliegende Arbeit zu zeigen versucht, mit der Transfor-
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Walter Müller-Seidel: Cagliostro und die Vorgeschichte der deutschen Klassik, in: Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. FS. f. Richard Brinkmann. Tübingen 1981, S.136–161; Klaus Kiefer: Okkultismus und Aufklärung aus medienkritischer Sicht. Zur Cagliostro-Rezeption Goethes und Schillers im zeitgenössischen Kontext, in: Klassik und Moderne. Die Weimarer Klassik als historisches Ereignis und Herausforderung im kulturgeschichtlichen Prozeß. Hg. v. Karl Richter / Jörg Schönert. Walter Müller-Seidel zum 65. Geburtstag. Stuttgart 1983, S. 207–227, und Michael Rohrwasser: Coppelius, Cagliostro, Napoleon. Frankfurt/M. 1991. Martin Mulsow: Berichte und Kritik. Kulturkonsum, Selbstkonstitution und intellektuelle Zivilität. Die Frühe Neuzeit im Mittelpunkt des kulturgeschichtlichen Interesses, in: Zeitschrift für Historische Forschung 25 (1998), S. 529–547. Stephen Greenblatt: Hamlet in Purgatory. Princeton 2001. Elisabeth List / Erwin Fiala (Hg.): Einleitung, in: Leib Maschine Bild. Körperdiskurse der Moderne und Postmoderne. Wien 1997. Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 1999, S. 10. Für eine in diesem Sinn diskursanalytische Anthropologie plädieren: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. Frankfurt 1996; Claudia Benthien / Hans Rudolf Velten: Einleitung, in: dies. (Hg): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Hamburg 2002, S. 7–34. Friedrich Kittler: Draculas Vermächtnis, in: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig 1993, S. 11–57, hier S. 18f. Moritz Baßler / Bettina Gruber / Martina Wagner-Egelhaaf: Einleitung, in: dies. (Hg.): Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien. Würzburg 2005, S. 9–21.
mation von historischen Wissensbeständen zusammenhängt. Ein ‚Nichts‘, dessen Wiederkehr und unheimliche Präsenz frappiert, sind Gespenster schon für Christian Thomasius, der Spott und Enthaltung im Umgang mit ihnen empfiehlt.59 Dieses ,Nichts‘ bleibt wohl gerade deshalb präsent, weil es einen Sonderfall oder einen Störfall von Kommunikation darstellt.
1.3. Vorschlag zu einer kontextbezogenen Lektüre von G. F. Meiers Gedancken von Gespenstern (1747) Die vorliegende Studie setzt bei der Analyse eines einzigen Textes an, nämlich bei Georg Friedrich Meiers 1747 publiziertem Traktat Gedancken von Gespenstern, den sie einer ausführlichen Kommentierung unterzieht. Einen breiten Raum nimmt zunächst die Rekonstruktion der Argumentation ein, ehe in einem zweiten Schritt die relevanten Kontexte ermittelt und Meiers Position verschiedenen Wissensfeldern – der Physik, Psychologie, Optik, Medizin und Theologie – zugeordnet wird. Im Anschluss daran geht es um die Situiertheit des Traktats im intellektuellen Kräftefeld der Zeit, in dem ein Wissenskonflikt seine dynamischen Kräfte entfaltet. Über weite Strecken wird sich die Analyse auf die Einordnung des Textes in den problemgeschichtlichen Horizont der Zeit fokussieren. Namensnennungen und Stellungnahmen in publizierten Texten Meiers ermöglichen ferner, relevante Vorläufer-, Nachfolge- und Nebentexte zu identifizieren und damit ein dichtes Netz wahrscheinlicher Kontexte zu rekonstruieren. Da Meiers Nachlass als verloren gilt60 und nur einzelne Briefzeugnisse überliefert sind, bleibt diese Rekonstruktion auf öffentliche Äußerungen beschränkt. An diese Kontextualisierung sollen sich ferner Überlegungen zur wissensgeschichtlichen Funktion des Textes anknüpfen. Denn der Traktat ordnet Gespensterwissen nicht nur unterschiedlichen Fächern oder Wissensfeldern wie der Physik und Medizin zu bzw. rekurriert nicht nur auf diese Bereiche, um Gespenster zu erklären. Die Gespensterdiskussion scheint darüber hinaus ein geeigneter Ort, um das jeweils bemühte Fachwissen zu vermitteln. In dieser Funktion partizipiert der Text, wie zu zeigen ist, an einem Popularisierungs- oder Distributionsprozess, der im 18. Jahrhundert einsetzt und mit einer weitreichenden Transformation von Wissensbeständen einhergeht.61
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Christian Thomasius: Vom Laster der Zauberei. Hg. u. mit e. Einl. vers. v. Rolf Lieberwirth. München 1986 [Nachdruck der Ausgabe von 1967]. Riccardo Pozzo: Georg Friedrich Meiers „Vernunftlehre“. Eine historisch-systematische Untersuchung. Stuttgart-Bad Cannstatt 2000 (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung. Abteilung II: Monographien 15), S. 63. Carsten Kretschmann: Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel. Berlin 2003.
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Zwar ist die populäre, literarische wie nicht-literarische Wissensvermittlung bislang eher im Bezug auf das ausgehende 19. Jahrhundert erforscht (vornehmlich als Wissenschaftspopularisierung)62 und dort insbesondere für die Naturwissenschaften beschrieben worden. Zunehmend zeichnet sich jedoch eine Ausweitung der Popularisierungsforschung auf andere Zeit- und Raumsegmente sowie auf nicht im strengen Sinn naturwissenschaftliches Expertenwissen ab. Formale und inhaltliche Popularisierungstendenzen lassen sich im Gespenstertraktat in verschiedenster Hinsicht nachweisen: zum einen an der gegenstandsspezifischen Vermittlung von Fachwissen (nicht nur bei Georg Friedrich Meier, sondern auch bei Moses Mendelssohn);63 zum anderen an formalen Präsentationsstrategien. Wie zahlreiche Autoren bemüht sich Meier um eine möglichst verständliche Darstellung und orientiert sich dabei am rhetorischen Ideal der ‚ars bene dicendi‘. Zudem schränkt er seine Gegenstandswahl auf jene Bereiche ein, die für die Alltagserfahrung relevant erscheinen.64 Der Traktat ist damit repräsentativ für eine um 1750 verbreitete Tendenz. Zu den populären Gattungen, die spätestens zu diesem Zeitpunkt als Vermittlungsinstanzen für Gespensterwissen fungieren, zählen neben essayistischen Traktaten auch Magazine und Zeitschriften. Insgesamt liefern sie einen Einblick in Popularisierungsstrategien einer Zeit, in der Wissen zu einem Konsumgut avanciert und in der es zur Mode wird, eine Meinung zu haben.65 Das gilt auch dann, wenn der Popularisierungsschub erst sukzessive zur Transformation der Wissensdistribution und des Wissenkonsums beigetragen hat.66 Andere Aspekte von Popularisierung lassen sich z.B. an der Thesaurierung von Gespensterwissen ablesen, deren Signifikanz für die innerakademische Wissensvermittlung kaum zu überschätzen ist. Oft werden einschlägige Passagen aus Lexika-Artikeln wörtlich in Gespenstertraktate übernommen, ohne dass deren Herkunft explizit ausgewiesen würde. Diese Aneignung trägt wesentlich zur autordezentrierten Zirkulation von spezifischen Theoremen bei, die für den populären
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Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit (1848–1914). München 1998. Moses Mendelssohn: Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, in drei Gesprächen, in: ders.: Gesammelte Schriften. Nach den Originaldrucken und Handschriften. Hg. v. G. B. Mendelssohn. 7 Bde. Bd. 2. Leipzig 1983 (Hildesheim 1972), S. 65–206. Popularphilosophisch orientiert ist auch: Justus Christian Hennings: Von Geistern und Geistersehern. Hg. vom Verfasser der Abhandlung von den Ahndungen und Visionen. Leipzig 1780. Christoph Böhr: Philosophie für die Welt, S. 18–36. Neil McKendrick / John Harold Plumb: The Birth of Consumer Society: The Commercialisation of Eighteenth Century England. Bloomington / Indiana 1982. Roy Porter (Hg.): Consumption and the World of Goods. London 1993. Diese Transformation geht mit der Lockerung von Reglementierungen einher: Carlo Ginzburg: High and Low. The Theme of Forbidden Knowledge in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Past and Present 73 (1976), S. 28–41, und führt zu einer Veränderung der primär höfischen Wissenschaftskultur, dazu Mario Biagioli: Galileo, Courtier. The Practice of Science in the Culture of Absolutism. Chicago 1993.
Diskurs nahezu typisch scheint. Die Funktion der populären Gespenstertraktate, die ohne Frage auch den Status rhetorischer Übungen hatten, besteht daher keineswegs nur darin, neues oder zweifelhaftes Wissen auszuweisen bzw. zu autorisieren, sondern bereits anerkanntes, etabliertes Wissen gebündelt zu präsentieren. Paradoxerweise wird der Eindruck, dass es sich bei dem präsentierten um etabliertes Wissen handelt, durch den Verzicht auf auktoriale Autorisierungsformen erzielt (was auch den Ausweis von Vorlagen erschwert). Potentiellen Lesern kommt eine zentrale Bedeutung bei der Wissensproduktion zu.67 Erfahrungsberichte, die in zahlreichen Gespenstertraktaten enthalten sind, stellen jedenfalls oft eine Scharnierstelle für einen Wissenstransfer dar, der nicht mehr strikt hierarchisch organisiert ist. Beide Gruppen, Rezipienten wie Produzenten, treten in eine (zwar nicht immer unmittelbar nachweisbare, aber doch zumeist indirekt zu erschließende) Kommunikation, wie an der so genannten Braunschweiger Gespensterepisode gezeigt werden kann. Zumindest konnten sich Leser und Autor indirekt über die Auswahl und Aussagekraft einzelner Anschauungsexempel verständigen. Die mit dieser Auswahl verbundene Durchsetzung bestimmter Wissensbestände ließe sich in diesem Sinn als Resultat eines symmetrischen Kommunikationsprozesses begreifen.68 Geht man von den komplexen medialen Voraussetzungen und Distributionsmechanismen aus, die für die sich zunehmend spezialisierende Wissenskultur typisch sind, ist festzuhalten, dass die vorliegende Studie einen Bereich der Intermediärkultur bzw. der ‚Third Culture‘ des 18. Jahrhunderts untersucht, in dem fachspezifisches Wissen vereinfacht, gebündelt und breiteren Schichten von gelehrten Rezipienten zugänglich gemacht wird.69 Texte vom Typ des Gespenstertraktates lassen sich vor diesem Hintergrund als Wissenstransformatoren bzw. -generatoren verstehen, da sie in eine näher zu beschreibende Interdependenz zum gesamten Bereich kultureller Wissensproduktion treten.70 Folgt man dem Wissenssoziologen Niklas Luhmann, weist die Rede über Gespenster zudem einige für das moderne Wissenschaftssystem zentrale Merkmale auf. Dazu zählen der Modus der Beobachtung, die Unterscheidung zwischen Wis-
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Richard Whitley: Knowledge Producers and Knowledge Acquirers. Popularisation as a Relation Between Scientific Fields and Their Publics, in: Terry Shinn / Richard Whitley (Hg.): Expository Science: Forms and Functions of Popularisation. Dordrecht / Boston / Lancaster 1985 (Sociology of the Science 9), S. 3–28, bes. S. 3–10. Zur Kritik an hierarchischen Distributionstheorien vgl. Roger Cooter: The Cultural Meaning of Popular Science. Phrenology and the Organization of Consent in Nineteenth-Century Britain. Cambridge 1984 (Cambridge History of Medicine 13). John C. Burnham: How Superstition Won and Science Lost. Popularizing Science and Health in the United States. New Brunswick / London 1987. Zur Funktion des Trivialen in der Wissenschaftskultur: Peter N. Miller: Citizenship and Culture in Early Modern Europe, in: Journal of the History of Ideas 57 (1996), S. 725–742. Hans Erich Bödeker / Peter H. Reill (Hg.): Wissenschaft als kulturelle Praxis (1750–1900). Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 154).
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sen und Wahrheit, die Einführung einer Beobachtungsinstanz zweiter Ordnung sowie die Selbstreferenz.71 Die Existenz von Gespenstern wird meist durch den Augenschein beglaubigt, wie auch an der weiten Verbreitung des Genres der Augenzeugenberichte abzulesen ist. Die Berichte machen in einem hohen Maß deutlich, dass Gespensterwahrnehmungen von den jeweiligen Unterscheidungen bestimmt werden, die ein Beobachter verwendet. Diese Unterscheidungen sind von einem Netzwerk geltender propositionaler Setzungen abhängig, das von Gespensterkritikern wie ihren Befürwortern eingehend reflektiert wird. Die Reflexion stellt wiederum ein Moment der Selbstreferentialisierung von Beobachtung dar, das gleichermaßen konstitutiv für die anthropologische Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts wird. Beobachtungen werden von einem kohärenten Netzwerk getragen, sie werden aber zugleich als durch Wissen modulierte verstanden, die wiederum auf die Beobachtung rückwirken.72 Das Gespräch über Gespenster ist zudem an Wahrheitsentscheidungen orientiert. Gespenstertraktate präsentieren Wissen, dessen Wahrheitsstatus von Lesern überprüft werden soll. Die dem Leser damit zur Disposition gestellte Entscheidung wird durch den Kommunikationsprozess stabilisiert bzw. verworfen.73 In der Gespenstertraktatorik kommt daher eine für das moderne Wissenschaftssystem konstitutive, binäre Codierung von ‚wahr‘ und ‚unwahr‘ (bzw. ‚wahrscheinlich‘ und ‚unwahrscheinlich‘) zum Tragen. Diese Codierung hat eine strukturelle Entsprechung im Ordnungsprinzip der Gespenstertraktate, welche nach affirmativen bzw. negierenden Positionen unterteilt sind. Dass Prüfungsverfahren in seltensten Fällen zur nachhaltigen Wissensstabilisierung beitragen, sondern einen Erkenntnisprozess anstoßen, an dessen Ende keine eindeutige Lösung präsentiert wird, ist symptomatisch für das offene Verfahren der Wissensmodulierung. Es eignet in diesem Sinn auch für eine literarische Adaptation und leistet dem Wissenstransfer in die schöne Literatur Vorschub.74 Mit der binären Codierung und der Unterscheidung von Wahrheit und Wissen geht eine weitere Besonderheit einher. „Wissen und Wahrheit unterscheiden zu wollen, hat nur Sinn“, so Luhmann,
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Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 83. Ebd., S. 83. Ebd., S. 168. Annegret Völpel: Literarisierungsprozeß der Volksaufklärung des späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Dargestellt anhand der Volksschriften von Schlosser, Rochow, Becker, Salzmann und Hebel. Mit einer aktualisierten Bibliographie zu Volksaufklärungsschriften. Bern / Berlin / Frankfurt a.M. / New York / Paris / Wien 1996 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur 1568), zur Popularisierung der Gespensterliteratur bzw. zum umfangreichen Material: Gero v. Wilpert: Die deutsche Gespenstergeschichte, S. 49f.; Christoph Daxelmüller: Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie. Zürich 1993, S. 318.
wenn man einen Beobachter zweiter Ordnung voraussetzt: einen Beobachter, der den Beobachter beobachtet […] Historisch gesehen lag der Anlass für die Einrichtung einer Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung in den Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Sinneswahrnehmungen.75
Bezeichnenderweise tritt der Beobachter zweiter Ordnung in den hier behandelten Gespenstertraktaten hervor, z.T. in Leseranweisungen, mit denen er korrigierend und rezeptionssteuernd auf den Prozess der Meinungsbildung einwirkt. Selbstreferenz stellt mithin ein weiteres Moment des Gespensterdiskurses dar, das für die Wissensproduktion des 18. Jahrhunderts zunehmend kennzeichnend ist. Durch die Pluralisierung, den exponentiell anwachsenden Rekurs auf disziplinäres Wissen, das in den Traktaten entweder explizit oder implizit enthalten ist, wird ein Wechsel von einer Ebene objekt-bezogener Unterscheidungen auf eine Reflexionsebene der Wissenssicherung vollzogen. Die Verifizierung des Wissens bleibt dabei oft auf die diskursive Ebene immanenter Bezugnahmen beschränkt. Bezeichnenderweise lassen sich also dort, wo man es am wenigsten vermutet, nämlich in der Gespensterliteratur, deren Produktion keiner spezifischen disziplinären Logik oder Kontrolle unterliegt, Sedimente der Ausdifferenzierung einer modernen wissenschaftlichen Methodik ablesen. Darüber hinaus folgt der Traktat Regeln, die sich aus seiner gesamtgesellschaftlichen Funktion ableiten lassen, Wissen zu bündeln und breiteren Gruppen bereit zu stellen. Damit wird ferner ein zum spezifizierten Wissenschaftssystem komplementärer Resonanzbereich ausgebildet. Die für diesen Sektor typische asymmetrische Wissensdistribution dient mitunter der Ausbildung von Experten- und Resonanzrollen, welche die gesamtgesellschaftliche Rückbindung des in den einzelnen Sektoren produzierten Spezialwissens ermöglichen. Parallel zur Evolution des modernen Wissenschaftssystems erfolgt nach Luhmann die Abweisung einer vormodernen Wissenskultur, die sich am Gespensterdiskurs ebenso ablesen lässt. War das hermetische Diskursfeld der Frühen Neuzeit ein zentraler Bezugsrahmen für das Gespensterwissen, verlor es im 18. Jahrhundert deutlich an Geltung. Das hängt wesentlich mit dem Theoriedesign und der Art des Geltungsanspruches der hermetischen Philosophie zusammen. Letztere differenzierte nicht zwischen Wissen und Wahrheit, sondern verstand Wissen als Weisheit, die an die Kenntnis eines arbiträren göttlichen Willens oder einer geheimen Schriftüberlieferung gebunden war. Zudem ging sie von der Einheit des Wissens aus und konnte deshalb dem sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts abzeichnenden Ausdifferenzierungsdruck kaum standhalten.76
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Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 167ff. Martin Mulsow: Epilog: Das schnelle und das langsame Ende des Hermetismus, in: Martin Mulsow (Hg.): Das Ende des Hermetismus. Historische Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance. Tübingen 2002, S. 305–310; Martin Mulsow: Reaktionärer Hermetismus
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Die hier aufgeführten Besonderheiten der intermediären Wissensvermittlung sollen exemplarisch anhand von Meiers Traktat ermittelt werden. Dementsprechend gliedert sich die Arbeit in sieben weitere Hauptkapitel. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Thesaurierung von Gespensterwissen und folgt der Annahme, dass Lexika einen repräsentativen Einblick in das um 1750 verfügbare Wissen liefern. Sie bilden den gelehrten Kommunikationsrahmen, innerhalb dessen Reden über Gespenster überhaupt Erfolg versprechend war. Das dritte Kapitel geht auf den aktuellen Anlass ein, der Meiers Traktat vorausging. Angeregt wurde die Schrift durch die so genannte Braunschweiger Gespensterepisode, die sich innerhalb einer Lehranstalt zugetragen haben soll und in zahlreichen Augenzeugenberichten überliefert ist. Diese Berichte lösten einen zunächst auf Halle beschränkten Gelehrtenstreit aus, welcher in der Folge Kreise bis zur Berliner Akademie der Wissenschaften zog und dessen Ausläufer sich noch bis ins ausgehende 18. Jahrhundert nachweisen lassen. Das Kapitel versucht, den Streit, seinen Anlass und die Resonanzräume zu rekonstruieren und situiert ihn ins Hallesche Umfeld. Die folgenden Kapitel sind ausschließlich Meiers Gespenstertraktat gewidmet, mit dem der Hallenser auf die Braunschweiger Episode reagiert. Sie orientieren sich eng an der Disposition des Textes, der, vergleichbar anderen Texten der Zeit, noch gleichberechtigt sechs verschiedene Meinungen zum Gespensterglauben nebeneinander stellt. Diese Meinungen beziehen sich auf unterschiedliches Fachwissen bzw. Fächer: unter anderem auf die Psychologie, Theologie, Ästhetik, Optik und Kosmologie, aber eben auch auf die hermetische Philosophie. Einen breiteren Raum erfährt zunächst, wie zu vermuten, die psychologische Erklärung der Gespensterwahrnehmung. Sie wird von Meier keineswegs ausschließlich auf die Pathologie der Einbildungskraft zurückgeführt, sondern als Resultat einer gestörten Interaktion gänzlich unterschiedlicher psychologischer Vermögen begriffen. Meier entwirft dabei eine komplexe Illusionstheorie, die sich nur unter Hinzuziehung der zeitgenössischen Vermögenspsychologie aufschlüsseln lässt. Hier ergeben sich Bezüge zur innerästhetischen Auseinandersetzung mit Johann Christoph Gottsched sowie zur Begründung einer neuen philosophischen Gattung – der ästhetischen Lehrprosa. Der Modulierung, die das Gespensterwissen in Meiers ästhetischer Wochenschrift Der Gesellige erfährt, widmet sich ein letzter Abschnitt des Kapitels. Einen ebenso wichtigen Teil nimmt Meiers Auseinandersetzung mit dem Platonismus ein, die das sechste Kapitel behandelt. Die Schnittstellen zum Gespensterdiskurs bilden die platonische Imaginationslehre und Emanationstheorie. Mit der Implementierung der Platonismuskritik in den Gespensterdiskurs werden zahlreiche aus der Frühaufklärung tradierte theologische Argumentationsmuster übervor 1600? Zum Kontext der venezianischen Debatten um die Datierung von Hermes Trismegistos im Veneto, in: Martin Mulsow (Hg.): Das Ende des Hermetismus, S. 161–188.
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nommen, präsent gehalten und unter Modifikationen in die Spätaufklärung vermittelt. Dabei lässt sich die Transformation einer primär theologischen Platonismuskritik in eine anthropologische Schwärmerkritik nachzeichnen. Wie die einzelnen Abschnitte zu Christoph Martin Wielands Schwärmerroman Geschichte des Agathon zeigen, greift die Literatur auf diese zurück und bildet sie auf aporetischen Konstellationen ab.77 Den anthropologischen Leitfaden nimmt das siebte Kapitel auf. Es widmet sich dem neu konfigurierten Wissensfeld der Physiologie bzw. Optik und zeigt, in welchem Umfang Meier auf die sinnesphysiologische Theoriebildung zurückgreift, die sich in der Halleschen Medizin, so bei Johann August Unzer und Johann Gottlob Krüger, etablierte. Hier deuten sich bereits zentrale Differenzen zwischen der philosophischen Erkenntnistheorie und einer primär medizinischen Wahrnehmungslehre an. Sie betreffen vor allem den Skeptizismus und die Frage nach dem Konstruktionscharakter von Wahrnehmungen. Nicht gänzlich unberührt von der Schwärmerkritik diskutiert das achte Kapitel schließlich verschiedene mit der Gespenstertheorie assoziierte naturtheoretische, physikalische und kosmologische Probleme. Sie umfassen die mögliche Beschaffenheit bzw. Konstitution von Gespensterkörpern, ihre Entstehung, Beseeltheit sowie den Verbleib der Seelen nach dem Tod. Als Theorielieferant fungieren dabei Physik und Kosmologie, insbesondere aber Verbindungen zwischen Isaac Newton und der Monadologie Leibniz’. Das letzte Kapitel setzt Meiers Position schließlich zu anderen alternativen Entwürfen der Zeit, besonders zur Metempsychose-Lehre, in Beziehung und ermittelt den tiefer liegenden Anlass des Gelehrtenstreits. Es unternimmt den Versuch, die bereits in der Braunschweiger Gespensterkontroverse ablesbaren Themen und polemischen Muster auf einen überregionalen, wissenschaftstheoretischen Streit zurückzuführen.78 Mit Ausnahme des Kapitels zur Braunschweiger Gespensterepisode beschränken sich alle Kapitel auf die im engeren Sinn akademische Wissensproduktion. Sie blenden breite Bereiche der Alltagskultur aus. Diese Ausblendung erweist sich als ein den historischen Konstellationen angemessenes und durchaus legitimes Verfahren. Es reflektiert eine historische Diskrepanz, die zwischen dem konkreten Um77
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Ziel der vorliegenden Arbeit ist auch, mit Blick auf die Moralischen Wochenschriften und auf Wielands Schwärmerroman einen Beitrag zum Feld der Literature and Science Studies zu leisten. Dabei soll es vor allem um die Bezugnahmen und Modifikationen von Wissensangeboten in und durch (schöne) Literatur gehen. Mit dem Begriff ‚Polemik‘ wird keine eigene, im 18. Jahrhundert nachweisbare rhetorische Gattung bezeichnet. Ich benutze den Begriff im Folgenden im Sinne von Jürgen Stenzel: Rhetorischer Manichäismus. Vorschläge zu einer Theorie der Polemik, in: Der Literaturstreit. Hg. v. Franz Joseph Worstbrock / Helmut Koopmann. Tübingen 1986 (Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985; 2), S. 3–11; vgl. dazu ferner Georg Objartel: Die Kunst des Beleidigens. Materialien und Überlegungen zu einem historischen Interaktionsmuster, in: Dieter Cherubim / Helmut Henne / Helmut Rehbock (Hg.): Gespräche zwischen Alltag und Literatur. Beiträge zur germanistischen Gesprächsforschung. Tübingen 1984 (Germanistische Linguistik 53), S. 94–122.
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gang mit Gespenstern in Dorfgemeinschaften und der gelehrten Wissensproduktion besteht.79 Das gilt auch dann, wenn mit den Veränderungen des Buchmarktes eine umfangreichere Wissensdistribution einsetzt,80 die eine selektive Verbreitung von Gelehrtenwissen in breitere Rezipientenschichten ermöglicht. Historische Rezipientengruppen werden in diesem Distributionsprozess allerdings kaum greifbar. Gegenüber anderen Ansätzen wird die vorliegende Arbeit das Diskursereignis, soweit möglich, ohne Rückgriff auf eine Epochenzuschreibung rekonstruieren und anhand konkreter texuteller Indizien bzw. zuweilen äußerst elliptischer Bezugnahmen im Wissensgefüge der Zeit situieren. Dabei soll zunächst gefragt werden, in welchem Maße stereotype Redeweisen in der Diskussionsökonomie zum Tragen kommen. Was gehört zum topischen Inventar und wie sind die gelehrten Diskursstrategien voneinander zu unterscheiden? Wie werden unterschiedliche hermeneutische Zugangsweisen in einem konkreten Ereignis greifbar? Und was passiert schließlich, wenn z.B. John Lockes Gespenstertheorie auf Diskurselemente trifft, die der Tradition der Mirakelliteratur angehören?
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Hans-Christoph Rublack: Luthertum und Aberglauben. Die theologische Abhandlung des Aberglaubens des Georg Christoph Zimmermann, in: Problems in the Historical Anthropology of Early Modern Europe. Edited by Ronnie Po-Chia Hsia / Robert W. Scribner. Wiesbaden 1997 (Wolfenbütteler Forschungen 78), S. 93–109, Eva Labouvie: Wider Wahrsagerei, Segnerei und Zauberei. Kirchliche Versuche zur Ausgrenzung des Aberglaubens und der Volksmagie seit dem 16. Jahrhundert, in: Richard van Dülmen (Hg.): Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle. Frankfurt/M. 1990 (Studien zur historischen Kulturforschung III), S. 15–55. George Sebastian: Science Books and their Readers in the Eighteenth-Century, in: Isabel Rivers (Hg.): Books and their Readers in Eighteenth-Century England. Leicester 1982, S. 197– 255.
Teil I: Wissen und Erfahrung. Gespensterlehre um 1740
2. Johann Georg Walch: Fünf Meinungen zu Gespenstern (1726)
Unter dem Lemma ‚Gespenst‘ findet man in den heute üblicherweise konsultierten Konversationslexika meist nur knappe Einträge. So ist Meyers Grossem Lexikon von 1987 lediglich zu entnehmen, dass Gespenster „unheilverkündende, grauenerregende“ Erscheinungen in „menschlicher Gestalt“ seien, die dem Bereich des Volks- und Aberglaubens angehörten.1 Ein kursorischer Blick in das 1726 vom Jenenser Philosophieprofessor Johann Georg Walch publizierte Philosophische Lexikon liefert dagegen ein gänzlich anderes Bild.2 Walchs Eintrag beläuft sich auf knapp dreizehn Spalten und entwirft ein eindrückliches Panaroma von diversen im 18. Jahrhundert verbreiteten Auffassungen zu Gespenstern. Wie sein Nachfolger setzt Walch mit einer kurzen Bestimmung ein. Er definiert Gespenster als „sichtbare empfindliche Gestalten“, die „von den Menschen gesehen, gehöret, auch durch das Anrühren und Fühlen empfunden werden.“ Walch unterscheidet einen engen und einen weiten Begriff, der auch solche Gestalten umfasst, die sich, wie Kobolde, lediglich dem Hör- oder Tastsinn darböten.3 Mit der Definition sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Lexikographen allerdings erschöpft. Denn Walch belässt es nicht bei einer kurzen Bestimmung. Er trägt auf breitem Raum fünf geläufige Meinungen zu Gespenstern vor, die hier nicht nur deshalb vorgestellt werden sollen, weil sie über das um 1740 verfügbare Gespensterwissen informieren,4 sondern auch deshalb, weil sie einen Einblick in die am Übergang zur mittleren Aufklärung nachweislichen Akzentverschiebungen liefern. Wie Thomasius ordnet Walch Gespenster zunächst dem wahrscheinlichen Wissensbereich zu; ihre Existenz kann mittels der Vernunft weder bewiesen noch geleugnet werden.5 In einer ersten Übersicht versucht er daher, die diesbezüglich wichtigsten (d.h. die am meisten verbreiteten oder anerkannten) Meinungen auf ihre vermeintlichen Urheber zurückzuführen und durch ein Ensemble von Basistheoremen zu differenzieren. Letztere werden in einem zweiten Schritt auf ihre
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Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden. 2. neu bearb. Auflage. Bd. 8: Gart – Grie. Mannheim / Wien / Zürich 1987, S. 168. Artikel ‚Gespenst‘, in: Johann Georg Walch: Philosophisches Lexikon. Leipzig 1740 [zuerst 1726], Sp. 1292–1305, in der späteren Ausgaben von Walchs Philosophischem Lexikon von 1775, Sp. 1737–1752; zu Walch siehe Dagmar von Wille: Johann Georg Walch und sein Philosophisches Lexicon, in: DAJ 22 (1998), S. 31–39. Artikel ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp.1292. Wissen ist im Sinne von ,deklarativ-semantischem Wissen über die Welt‘ zu verstehen. Artikel ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp.1293.
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jeweilige Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben bzw. mit verbreiteten theologischen Lehrmeinungen geprüft. Greift man Günther Lottes’ Klassifikation der im 18. Jahrhundert verbreiteten Wissensweisen auf, kann Walch als Vertreter einer normativ-referentiellen Wissensweise angesehen werden, der Wissen in Bezug auf Antike und Bibel organisiert, indem er diese Schriften als autoritative Normvorgaben anführt.6 Dabei wird klar ersichtlich, dass seine Präsentation der Meinungen von diesen Normvorgaben gesteuert ist, dass sich hier bereits selektive Rezeptionsmuster ausbilden, die einzelne Erklärungen der Gespenster abweisen, wie folgende Überlegungen verdeutlichen. In seinem Artikel setzt Walch zunächst bei der vermeintlich ältesten Auffassung an, die er als heidnisch ausweist. Dieser Auffassung zufolge handle es sich bei Gespenstern um verstorbene menschliche Seelen, die sich angeblich den Lebenden auf Erden zeigten: Erstlich haben einige dafür gehalten, daß die an und vor sich unsterbliche Seelen der Verstorbenen zurück kämen, und sich zuweilen den Menschen auf Erden zeigten. Vor Alters stunden die Platonici in diesen Gedancken.7
Diese Meinung bestehe in einer auf Platon zurückführbaren Auffassung. Als Referenzpassage gibt Walch eine Stelle aus dem mittleren Dialog Phaidon an, in der Sokrates die Erscheinung eines Gespenstes beschreibt.8 Diese Auffassung wird als antik pagane Unsterblichkeitsvorstellung abgewiesen und damit zugleich als Aberglauben etikettiert. Zu den Anhängern dieser Meinung zählt Walch jedoch nicht mehr nur antike Platoniker, sondern auch „Papisten“, „Cabbalisten“ sowie die in jüngster Zeit zur Geltung gelangten englischen Platoniker der Cambridger Schule, namentlich Henry More.9 Diese hätten die Vorstellung von Wiederkehrern aktuali-
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Günther Lottes: „The State of the Art“. Stand und Perspektiven der „intellectual history“, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.): Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag. Paderborn / München / Wien / Zürich 1996, S. 27–45, hier S. 43f. Daneben wäre eine traditional-glossarische Wissensweise zu unterscheiden, „welche die Herausforderung der Wirklichkeit durch Kommentare und Traditionen zu bewältigen versucht.“ Ein Beispiel für einen glossarischen Umgang mit Geisterwissen stellen die zahlreichen Exempelsammlungen und einige theoretische Monographien dar, die sich durch über Strecken kaum veränderliche Wissensbestände und eine gleich bleibende Semantik auszeichnen und in denen Wissensinnovationen zumeist in Fußnoten zu finden sind. Das betrifft vor allem die immer wieder neu aufgelegten Schriften von Balthasar Bekker, Christian Thomasius, Peter Goldschmid und Justus Christian Hennings. Artikel ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp.1292. Plato: Phaidon 81d, S. 83. Als Stellennachweis führt Walch die von Christian Knorr von Rosenroth herausgegebene lateinische Übersetzung des Buchs Zohar an. Er nennt in diesem Zusammenhang ebenfalls Rabbi Ben Menasses De resurrectione und Joseph Glanvilles Saducismus Triumphatus. Vgl. dazu Stefan Weyer: Die Cambridge Platonists. Religion und Freiheit in England im 17. Jahrhundert. Frankfurt a.M. / Berlin / Bern / New York / Paris / Wien 1993 (Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 540), S. 90; Serge Hutin:
siert und zudem mit einer Emanationstheorie metaphysisch zu begründen versucht, indem sie die Existenz eines Reiches zwischen Erde und Himmel annahmen. Anstoß nimmt Walch an dieser „platonischen Grille“,10 weil sie „schnurstracks“ der Heiligen Schrift widerspreche: Denn es widerspricht dieser Meynung schnurstracks die heil. Schrift, welche erstlich von den Seelen der Frommen und Gerechten bezeuget, daß sie in Ruhe und Friede leben, folglich muß es eine unstreitige Wahrheit seyn, daß sie nicht herum wandern, oder Botenweise laufen. 11
Den möglichen Einwand, dass die in der Bibel kolportierte Samuel-Episode12 als Beleg für eine derartige Wiederkehr gedeutet werden könne, weist Walch mit dem Hinweis zurück, die Stelle müsse als Warnung vor verwerflichen Beschwörungspraktiken verstanden werden. Die Auffassung, Illuminierte könnten Geister sehen, wird von Walch ebenfalls unter Verdacht gestellt. Die in Lukas 23,43 („Heute wirst du mit mir im Paradies sein“) beschriebene Verheißung der unfrommen Seelen spreche ferner gegen ihr Verweilen auf Erden. Wichtiger als theologische Implikationen der Geistphilosophie ist an dieser Stelle jedoch die Ausbildung spezifischer Erzählstrategien und Rezeptionsmuster, die sich insbesondere an Walchs Fallbeispielen ablesen lässt. Aus dem reichen Materialfundus greift er eine verbreitete Gespenster-Geschichte heraus, in die der berühmte Florentiner Platoniker Marcilio Ficino verwickelt war. Er soll angeblich seinem Freund Michael Mercator kurz nach seinem Tod leibhaft erschienen sein, und zwar, um den Überlebenden von der Wahrheit der platonischen Unsterblichkeitslehre zu ‚überzeugen‘. Walch gibt diese Episode auf breitem Raum wieder und spart dabei nicht an dramatisierenden Elementen: Baronius erzählet wie der Marsilius Ficinus mit dem Michael Mercato, seinem guten Freund ein solch Bündnis geschlossen, und als einst der letztere seinen philosophischen Meditationen nachgehangen, habe er unvermuthet gehöret, daß ein Pferd vor seiner Thür stille gehalten, und der Marsilius geruffen: o Michael, o Michael, vera sunt illa, damit zu verstehen gebend, daß es wahr sey, was man von dem Zustande der Seelen nach dem Tode sage. Hierauf sey er aufgestanden, habe zum Fenster hinaus gesehen, und den Marsilium auf einem weissen Pferde reitend erblicket, dem er auch bey seinem Nahmen nachgeruffen, sey aber vor seinen Augen verschwunden, und nachdem er sich des Marsilii wegen, welcher sich zu Florenz aufgehalten, erkundiget, habe er in Erfahrung gebracht, daß er in eben der Stunde gestorben, in welcher er ihn auf diese Weise gehört und gesehen.13
Ohne Frage handelt es sich hierbei um eine rezeptionssteuernde entstellende Paraphrase, die, wie zu zeigen ist, dem Gespensterglauben ein zentrales Fundament, das visio-Konzept, entzieht. In seinem Traktat Immortalitas Animae (1659) geht More
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Henry More. Essai sur les doctrines théosophiques chez les Platoniciens de Cambridge. Hildesheim 1966 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 2). Artikel ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1739. Ebd. Samuel 1, 28 und 2, 12. Artikel ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1295.
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zwar in der Tat auf die Möglichkeit ein, dass die anima separata den Lebenden erscheine14 und führt in diesem Kontext das Ficino-Beispiel an. More unterscheidet dabei jedoch zwei distinkte Erscheinungsweisen: erstens die Erscheinung im Schlaf („per somnium fit“) sowie zweitens die Erscheinung per Vision („per visionem claram“). Anders als Walch differenziert More spectra und visio. Er bezeichnet mit spectra ausschließlich sinnliche Gestalten und Figuren und lehnt eben diese Gespensterauffassung – auch in Abgrenzung zu Girolamo Cardanus – ab.15 Bezeichnenderweise wird in Walchs Paraphrase diese für More zentrale Differenz eingeebnet. Denn Walch suggeriert, dass Ficino Erscheinungen als körperliche Manifestationen und nicht etwa als Visionen begriffen habe.16 Seine Deutung kommt einer Reduktion der More’schen Imaginationslehre gleich, da sie das Konzept der Weltseele gänzlich unerwähnt lässt.17 Diese Auslassung hängt wohl mit Walchs eigener Position zusammen. Hier affirmativ auf Mores Konzept der visio zurückzugreifen, würde für ihn zugleich bedeuten, sich in Widersprüche zum autoritativen Bibelzeugnis zu begeben. Denn bei More bezeichnet visio einen Zustand, in dem neue Erkenntnisse produziert werden können, die sich durchaus von der Überlieferung ablösen und innovatives Wissen beinhalten. Walchs Darstellung trägt zur Ausbildung spezifischer kritischer Rezeptionsmuster bei, die noch in der Geisterkritik der Berliner Aufklärung wirksam sind und an denen sich bereits der partielle Geltungsverlust der platonischen Wissensordnung ablesen lässt. Zu diesen Rezeptionsmustern zählt vor allem die Desavouierung imaginativer Erkenntnistechniken (vgl. dazu das fünfte Kapitel) im Geiste anthropologischer Schwärmerkritik. Bei Walch ist Mercator, als ihn die visio ereilt, nämlich nicht etwa seinen Studien nachgegangen, wie es noch bei More heißt. Mercator habe sich vielmehr in „philosophischen Meditationen“ geübt. Mit diesem Ausdruck wird eine Technik beschrieben, welche die Herabsetzung äußerer Sinnesreize bedinge und zu einer Verkennung der Realität führe. Indem er auf die übermäßige Phantasietätigkeit als mögliche Fehlerquelle im Erkenntnisprozess aufmerksam macht, weist Walch die bei More zugestandene Wirklichkeit der Erscheinung als Täuschung aus. 14 15
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Mit „vera sunt illa“ sind wohl die Unsterblichkeitsüberlegungen gemeint, mit denen sich beide zuvor befasst hatten. Zur Verbreitung dieser Vorstellung siehe unter anderem Johann Gottlob Krüger: Träume. Halle 1754, 107. Traum, S. 394f.: „Mir träumte, daß ich zu einem Menschen kam, welcher im Bette lag, und mit vielen andern Leuten umgeben war. Macht nur das Fenster auf, rief eine Weibsperson, denn es ist aus, der gute Mann ist tod. Ach ia, schrie seine Frau, macht lieber zwey Fenster auf, daß die arme Seele hinaus kann.“ Eine weitere Rezeptionskonstante ist das Erscheinen in der Todesstunde. Wie More betont Walch, dass sich die Erscheinung in der Todesstunde zugetragen hat und dass ihr ein Pakt vorausgegangen war. Möglicherweise greifen beide auf dieselbe Vorlage zurück. Plato: Phaidon 81d, S. 83. Es fehlt eine genauere Angabe bei Walch, vgl. Artikel Gespenster, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1740 und dazu Erasmus Francisci: Der höllische Proteus oder Tausendkuenstige Versteller [...] Nürnberg 1708, S. 17.
Die Abwertung wird mit diversen sprachlichen Mitteln vollzogen. Sie zeichnet sich an der Verwendung zahlreicher Konjunktive ab, mit denen sich Walch deutlich von der Ficino-Episode distanziert. Mercator habe ein Geräusch gehört, heißt es bei Walch, während More den Perfektindikativ wählt. Neben der Verwendung von Konjunktiven stellt die Fokalisierung ein weiteres Mittel der Distanzierung dar. Walch schildert die Geschichte ausschließlich aus Mercators Sicht und verzichtet auf externe Referenzpunkte oder Beglaubigungen Dritter. Die Fokalisierung suggeriert, dass Mercator von der Authentizität seiner ‚Erfahrung‘ überzeugt ist. Das soll letztlich auch die Verwendung direkter Rede bezeugen. Der Übergang zu diesem dramatischen Erzählmodus ist mit der Fokalisierung und der Verwendung von Konjunktiven ein zentrales sprachliches Mittel, um einerseits die Unmittelbarkeit und Subjektivität des Erlebens zum Ausdruck zu bringen und sie andererseits zugleich als Täuschung auszuweisen. Plausibilisiert wird die Täuschungsannahme durch Überlegungen zur Funktion der Einbildungskraft. Trotz dieser eindeutigen Distanzierungen eröffnet Walchs Text eine doppelte Lesart. Die Gespenstererscheinung wird aus der Innenperspektive einer Figur wiedergegeben, der Bruch mit dieser Perspektive zugleich durch die Erzählerposition vollzogen. Zwar ist die Wahrheit des Visionsanspruchs durch die Erzählperspektive abgewiesen. Mit der doppelten Perspektivierungstechnik konstruiert der Text jedoch eine Innensicht, die den Leser zum Betrachter und verstehenden Mitwisser eines scheinbar authentischen innerseelischen Vorgangs werden lässt. Diese für die anthropologische Literatur typische Erzählkonstruktion ist gleichermaßen von Distanzierung und Annäherung geprägt. Indem Walch die Geisterseherei als Eigenerfahrung kategorisch abweist, das ihr inhärente Faszinationspotential aber als Fremderfahrung zulässt, liefert er ein Modell literarischer Ambiguität, wie es sich in späteren literarischen Adaptationen wiederfindet.18 Nach Walch ist die platonische Tradition eine wesentliche Diskursformation, innerhalb derer sich die Lehre von der Wiederkehr und dem Verbleib der Toten fortgesetzt und die durch den Cambridger Platoniker More eine Aktualisierung erfährt (siehe dazu ausführlicher das sechste Kapitel). Um diese Lehre abzuweisen, bezieht sich Walch auf die Heilige Schrift sowie auf ein anthropologisches Wissen über die Pathologie der Einbildungskraft. Darüber hinaus stellen doppelte Perspektivierung und Dramatisierung narrative Verfahren der Wissensmodulation dar, die auf der hierarchisch übergeordneten Erzählebene zum einen Distanzsignale setzen, das Gespenstersehen zugleich als subjektives Erlebnis darstellen und damit eine Innensicht konstruieren. Gegenüber der auf Plato zurückgeführten Geisterlehre, die von Walch aufgrund ihrer Inkompatibilität mit der Heiligen Schrift abgelehnt wurde, basiert die zweite 18
Lottes: „The State of the Art“, 43f. Seine Klassifikation wäre um spezifisch literarische Wissensweisen zu ergänzen, die, das gilt besonders für die Zeit um 1750, neben anderen an der Wissensmodulation teilhaben.
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Meinung auf der Annahme, Gespenster seien Astralgeister (corpora spiritualia). Sie lasse sich doxographisch bei Paracelsus, Jacob Böhme, Robert Fludd und Andreas Rüdiger nachweisen und gründe sich auf der Auffassung einer dreifachen Prinzipienentfaltung im Menschen. Nach der so genannten triadischen Anthropologie bestehe der Mensch aus kosmischen Teilen: einem Geist, der zu Gott zurückkehrte (a), einem Leib, der aus den Elementen Erde und Wasser bestehe (b) und einem Astralgeist, der aus Luft und Feuer entstehe (siderischer Leib) (c). Der nach dem Untergang des irdischen weiter existierende feinstoffliche Astralleib (oder siderische Leib) umfasse auch die individualisierten Seelenteile, die Begierden und das Gedächtnis. Er sei für die Fortexistenz der individuellen Seele nach dem Tod verantwortlich. Anders als bei More wird die Totenerscheinung hier also nicht auf die Impression der Weltseele, sondern auf eine Veränderung innerhalb des menschlichen Körpers zurückgeführt. Bei Jacob Böhme und Paracelsus werden Astralleiber jedoch nicht mit Gespenstern gleichgesetzt. Ihre Theorie lässt zunächst offen, ob der feinstoffliche siderische Leib überhaupt durch die Sinne wahrnehmbar ist. Die Übertragung der Theorie auf die Gespensterlehre könne – so Walch – allerdings bei Robert Fludd und Andreas Rüdiger nachgewiesen werden.19 Sie basiert im Wesentlichen auf einer adämonistischen Interpretation. Rüdiger und Fludd versuchten mit der Theorie vom siderischen Leib mithin Erscheinungen zu erklären, die zuvor auf den Teufel zurückgeführt wurden (wie z.B. das Poltern, Hautläsionen, Besessenheit etc.). Sowohl Rüdiger als auch Fludd lehnten eine direkte Beteiligung des Teufels an diesen Erscheinungen ab. Hier lassen sich Bezüge zu Thomasius herstellen. Denn auch der von Thomasius herausgegebene Webster führt die Theorie des Astralleibs als so genannte natürliche Erklärung für Gespenstererscheinungen an und distanziert sich damit ebenfalls von dämonistischen Auffassungen.20 Diese Modelle und Thomasius’ physica mosaica fanden in die Gespensterlehre paradoxerweise auch deshalb Eingang, weil sie sich gegen den Dämonismus anführen ließen.
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Walch bezieht sich hier auf Rüdigers Physica divina sowie auf Johann Rozacks Discursus physicus. Webster führt Gespenster auf den Astralleib zurück. Vgl. Johann Webster: Untersuchung der vermeinten und so genannten Hexereyen [...]. Aus d. Engl. ins Teutsche übers. u. nebst e. Vorr. des Christian Thomasius wie auch vollst. Summarien u. Reg. Halle 1719, sowie auch Francisci Hutchinson: Historischer Versuch Von der Hexerey. In einem Gespräch zwischen einem Geistlichen, einem Schottländischen Advocaten und Englischen Geschwornen. Nebst zwey vortrefflichen Predigten, und einer Vorrede des Raths Thomasii. Aus dem Englischen ins Teutsche übersetzet von Theodor Arnold. Leipzig 1726. [Original von 1718 als Historical Essay concerning witchcraft erschienen]; vgl. dazu auch den von Thomasius konsultierten Johann Beaumont: Historisch-Physiologisch- und Theologischer Tractat Von Geistern, Erscheinungen, Hexereyen und andern Zauber-Händeln: Darinnen Von denen Geniis oder Spiritibus familiaribus wahrgenommen [...] Anbey D. Bekkers bezauberte Welt Nebst andern Scribenten, die sich dergleichen Glaubwürdigkeiten wiedersetzt, wiederlegt wird. Aus der Englischen Sprache in die Teutsche [...] übersetzt von Theodor Arnold. Nebst einer Vorrede Des Geheimbden Raths Thomasii, Wie auch neuen Summarien und vollständigen Registern. Halle 1721.
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Anstoß nimmt Walch weniger an der Astralleibkonzeption als vielmehr an der damit verbundenen Verwesungslehre. Er kritisiert an diesen Vorstellungen die Annahme eines sich nach dem Tod in verschiedene Elemente zersetzenden Leibes. Diese Auffassung sei mit der christlichen Lehre von der Wiederauferstehung nicht kompatibel. Letztere setze nämlich die Integrität und Unversehrtheit des Körpers voraus. Den Referenzrahmen, vor dessen Hintergrund die Abweisung der hermetischen Anthropologie vollzogen wird, stellt auch hier wiederum die Heilige Schrift dar. Als dritte Meinung nennt der Jenenser die These, Gespenster stellten Ausdünstungen verwesender Körper dar. Diese relativ knapp abgehandelte Auffassung wird doxographisch auf Seneca und Plinius zurückgeführt. In neuerer Zeit hätte sich damit auch der schon genannte Cardanus befasst, der von der Formentsprechung postmortaler Dünste mit der Gestalt der Verstorbenen ausgegangen und diese auf eine besondere Hitzeentwicklung zurückgeführt habe. Auch weil der Artikel auf Vollständigkeit angelegt ist, werden hier Wissensbereiche (die Frage nach der Verwesung des Leibes) einbezogen, die wissensgeschichtlich der Naturhistorie bzw. der physischen Anthropologie zuzuordnen sind. Zur Diskussion stehen dabei allgemeine medizinische und naturtheoretische Todesvorstellungen sowie die Frage, wann Leben und Bewegung aufhören. Diese Meinung findet bei Walch nur eine kurze Erwähnung und wird nicht eingehender kommentiert. Ausführlicher befasst er sich wiederum mit der vierten Meinung, die sich von den vorangehenden dadurch unterscheidet, dass sie Gespenster nicht als post-mortale Erscheinung begreift, sondern als nicht-menschliche Wesen, als Wasser- und Erdgeister.21 Dass im 18. Jahrhundert Lemuren, Manen, Genii, Wassergeister, Berg-Kobolde, Vampire und andere nicht menschliche Totengeister22 unter den Gattungsbegriff ‚Geist‘ subsumiert werden, weist bereits auf die Breite des Gegenstandsspektrums hin. Wie selbstverständlich rekurriert Walch auf Wissensbestände, die heute primär in den ästhetischen Feldern kultureller Produktion situiert sind. Für das 18. Jahrhundert gilt diese Zuordnung jedoch nicht ohne weiteres, wie ein kursorischer Blick auf das hierzu einschlägige Material erahnen lässt.23 Neben einer eigenen Traktatorik und umfangreichen monographischen Abhandlungen lassen sich zahlreiche akademische Schriften, theologische wie philosophische Disputationen nachweisen, die sich ausführlich mit nicht-menschlichen Geistern befassen. Für die in der vorliegenden Abhandlung untersuchten Traktate ist dieser 21 22
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Walch verweist hier auf Henricus Nollius’ Physica sacra, die der hermetischen Tradition zugerechnet wird. Siehe die dazu einschlägigen Einträge in Zedlers Universallexikon: Artikel ‚Lemuren‘, in: Bd. 17: Leis-Lm, Leipzig / Halle 1738, Sp. 75; Artikel ‚Manes‘, in: Bd. 19: M-Ma, Leipzig / Halle 1739, Sp. 934–936; Artikel ‚Wassergeister‘, in: Bd. 13: Was-Weh, Leipzig / Halle 1747, Sp. 580–582; Artikel ‚Bergmänngen‘, in: Bd. 3: B-Bi, Leipzig / Halle 1733, Sp. 1275–1277; Artikel ‚Vampyre‘, in: Bd. 46: V-Veq, Leipzig / Halle 1745, Sp. 474–482. Graesse: Bibliotheca magica et pneumatica oder wissenschaftlich geordnete Bibliographie, S. 81–96.
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Wissensstrang jedoch nicht weiter einschlägig, weshalb die vierte, von Walch vorgestellte Meinung durchaus vernachlässigt werden kann. Als erstaunlich bleibt zu vermerken, dass Walch der Wirklichkeit böser Geister breite Aufmerksamkeit schenkt. Er subsumiert die Gespenster explizit unter die dämonischen Erscheinungen und führt als Indiz ihre Leiblosigkeit an, um sie damit nochmals von der leiblichen Erscheinung Christi (‚habet carnem et ossa‘) zu unterscheiden.24 Bezeichnend ist ferner, dass sich Walch in diesem Zusammenhang gegen die Leugnung der geistigen Substanz bei Thomas Hobbes, Balthasar Bekker und Baruch de Spinoza richtet und auch Christian Thomasius’ moderateren Vermittlungsversuch kritisiert. In seiner lexikalischen Aufbereitung des Gespensterwissens, die über weite Strecken von den Vorgaben der lutherischen Orthodoxie geprägt bleibt, lassen sich mithin drei Tendenzen verzeichnen: erstens eine anti-platonische Schwärmerkritik, zweitens eine Abwehr hermetischer Theoriemodelle sowie drittens eine kaum zu übersehende anhaltende Dämonisierungstendenz.25 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wird sich zeigen, dass Walchs Versuch, das diversifizierte Wissen in den Rahmen einer normativen Vorlage, den der Heiligen Schrift, einzubinden und es vor diesem Hintergrund abzuweisen, nicht erfolgreich ist. Im Zuge der Ausdifferenzierung erodiert diese Wissensklammer zunehmend und sprengt schließlich den vorgegebenen Deutungsrahmen. Diesen Prozess versucht das nächste Kapitel zu skizzieren, welches sich der Braunschweiger Gespensterepisode widmet.
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In der Frühen Neuzeit war die Etablierung eines Zusammenhangs von Gespenstern und Teufeln durchaus nicht unüblich, in Anlehnung an Augustin: Gottesstaat, 8–10, vgl. dazu Wolfgang Neuber: Die Theologie der Geister in der Frühen Neuzeit, in: Moritz Baßler / Bettina Gruber / Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.): Gespenster. Erscheinungen, Medien, Theorien. Würzburg 2005, S. 25–37, hier S. 31. Ich danke Wolfgang Neuber für die Einsicht in die Manuskriptfassung. Zum Teufelsstreit der 1760er und -70er Jahre, in den auch Georg Friedrich Meier: Philosophische Gedanken von den Wirkungen des Teufels auf Erden. Halle 1763, eingreift, vgl. Karl Arner: Theologie der Lessingzeit. Halle 1929 (Hildesheim 1964), S. 234–252. Ferner: Ferdinand Sterzinger: Sympathie, ein Universalmittel wider alle Teufeleien, zum Behulfe der neuen Philosophie und alten Religion. o.O 1775; ders.: Die aufgedeckten Gaßnerischen Wunderkuren. o.O. 1775. Vgl. dazu auch die Reihe „Wissen und Kritik“, einen kurzen Einblick hierzu liefert Horst Walter Blanke: Schriften zum so genannten Teufelsstreit der Jahre 1772ff. – Hinweis auf eine wenig bekannte Reprintreihe aufklärerischer Quellen, in: Das 18. Jahrhundert 26.1 (2002), S. 104–107.
3. Die Braunschweiger Gespensterepisode (1746)
3.1. Nebel, Dünste, Aufklärung: ein Gespenst im Braunschweiger Kolleg In der Nacht zum 21. Dezember des Jahres 1746 ereignete sich im Collegium Carolinum zu Braunschweig Berichten zufolge eine für das 18. Jahrhundert nicht ungewöhnliche Gespenstergeschichte. Auf seiner nächtlichen Visite durch den Schlaftrakt der Eleven sah der in Braunschweig ansässige Magister der Philosophie Johann Gottfried Höfer (1719–1796) offenbar einen Toten, und zwar seinen ehemaligen Kollegen Carl Melchior Dörrien, der kurz zuvor an einem Brustfieber verstorben war.1 Höfer erzählte anderen Mitgliedern des Kollegs von dieser merkwürdigen Begebenheit und deutete damit an, dass Gespenster nicht nur Gegenstände gelehrter Abhandlungen und naturtheoretischer Überlegungen waren, sondern in die konkrete Lebenswelt einbrechen konnten. Blickt man auf die zahlreichen Berichte von Gespenstererscheinungen, die das 18. Jahrhundert hervorgebracht hat, ist Höfers Begegnung kein Einzelfall gewesen. Zeitgenossen irritierte daher auch nicht das Ereignis als solches. Bemerkenswert fand man lediglich den Umstand, dass sich das Gespenst nicht an einem einschlägigen locus suspectus, etwa auf einem Friedhof, gezeigt hatte, sondern ausgerecht in einem Kolleg, das – wie nicht ohne Ironie vermerkt wurde – eben erst zur Verbesserung des Verstandes und der Sitten eingerichtet worden war.2 Das vom Wolfenbütteler Herzog Karl I. gegründete Lehrinstitut, welches unter der Schirmherrschaft des einflussreichen Protestanten und Neologen Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem geführt wurde, war in der Tat das pädagogische Flaggschiff des Herzogtums und stand bereits zur Gründungszeit in hohem Ansehen.3 Es wurde als fortschrittliches reformerisches Institut wahrgenommen, welches in 1 2
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[Anonym]: Vorläufige Nachricht von dem Collegio Carolino zu Braunschweig. Zweyte Ausgabe. O.O. und J., S. 3. [Anonym]: Vorläufige Nachricht von dem Collegio Carolino zu Braunschweig, in: Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste, 1. Bd., 4. Stück. Leipzig 1745, S. 74–96. Johann Joachim Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini in Braunschweig (1745–1808). Berlin / Stettin 1812 [Photomechanischer Nachdruck 1974], S. 2f. Es handelte sich dabei um eine einflussreiche Institution, dort lehrte Andreas Fabricius, der wie Jerusalem zeitweise zu den Kuratoren zählte. Der später durch seine Beziehungen zu Cagliostro bekannte Graf Medem war seit 1766 Eleve in Braunschweig, und der ebenfalls an der Episode beteiligte Georg Philipp Westphal war Sekretär des Herzogs Ferdinand und begleitete diesen in den Siebenjährigen Krieg.
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Lehre und praktischer Ausbildung einen neuen Ansatz verfolgte. Neben einer engen Betreuung der Eleven in einem eigens dafür eingerichteten Gebäude legten die Kuratoren besonderen Wert auf den naturkundlichen Unterricht, auf die Physik, Mathematik und Optik, die im Zuge der Realienbewegung zunehmend an Bedeutung gewonnen hatten.4 Umso besorgter waren zahlreiche Mitglieder, dass die Gespenstergeschichte dem Ruf des neu gegründeten Instituts erheblich schaden würde, ja mehr noch, dass sie den Erfolg des gesamten Unternehmens massiv gefährden und das Projekt im Keim ersticken könnte.5 Denn an der Episode war nicht nur der eingangs genannte (eher unbekannte) Magister Höfer beteiligt. Auch berühmtere und angesehene Kollegsmitglieder wurden in die Affäre involviert. Zu ihnen zählte z.B. der Mathematikprofessor Johann Ludwig Oeder, der eine wichtige Funktion im Kolleg einnahm. Ihm oblag – zusammen mit Höfer – die Betreuung der Naturaliensammlung, die zu den neu erworbenen Besitztümern des Instituts gehörte.6 Oeder lehrte Mathematik, Naturkunde und Physik, drei Fächer, die neben der traditionellen philologischen Ausbildung zum festen Lehrprogramm der Schule zählten und in gewisser Weise die New Sciences des 18. Jahrhunderts repräsentierten. Bevor er nach Braunschweig kam, hatte er an der unlängst gegründeten Göttinger Universität studiert, einem wichtigen Zentrum der aufkommenden Experimentalkultur. Beim Professor für Physik und Medizin, Andreas von Segner, war er mit einer Arbeit zur Quantifizierung von Kräften promoviert worden.7 Dieser wurde mit seinen Turbinenkonstruktionen berühmt, durch den Einfluss Eulers erlangte er eine bedeutende Stellung in der damaligen Gelehrtenrepublik. Kein Wunder also, dass der Pietist Heinrich Jung-Stilling noch sechzig Jahre später in seiner Theorie der Geisterkunde auf die Episode Bezug nimmt – aller-
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Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft, S. 122. Johann Joachim Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii, S. 143f. Carl Michael Marx: Die physikalische Sammlung des Herzoglichen Collegii Carolini in Braunschweig. Braunschweig 1831 sowie Johann Joachim Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii, S. 74; vgl. auch [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 17. Johann Ludwig Oeder studierte in Göttingen, er promovierte zunächst bei Heumann mit der Dissertation Prodromus historiae Bogomilorum. Es folgten die naturtheoretischen und -kundlichen Schriften De mensura virium (1745) und De Vibratione chordarum (1746). Der Mathematiker stammte aus einer Ansbacher Gelehrtenfamilie. Oeders Vater Georg Ludwig (1694–1760) war Doktor der Theologie, er wurde in Jena promoviert. Er war ab 1736 Superintendent in Ansbach und in Fragen der Theodizee als dezidierter Anti-Wolffianer hervorgetreten. Mit Salomon Geßner und dem später ebenfalls mit Wolff in eine Kontroverse verwickelten Sigmund Ferdinand Weißmüller war er bereits in Ansbach bekannt. Zu seinen Schriften zählen u.a. die Freye Untersuchung über einige Bücher des Alten Testaments (1771) sowie De raptu non Pauli in tertium caelum, Conjecturarium de difficilibis locis centuria (1733), Miscellanae sacrae (1739), zu weiteren Schriften vgl. Gottlob Wilhelm Meyer: Geschichte der Schrifterklärung seit der Wiederherstellung der Wissenschaften. Bd. 5: Von Ernesti [...] bis auf die Schriftforscher des 19. Jahrhunderts. Göttingen 1809 (Geschichte der Künste und Wissenschaften, Abt. 11, Theil IV), S. 614.
dings unter gänzlich anderen Vorzeichen.8 Er beruft sich auf einen im Magazin des Wundervollen erschienenen Bericht, der die Authentizität der Geschichte belege. Anders als der Jenaer Popularphilosoph Justus Christian Hennings in seinem Traktat Von Geistern und Geistersehern (1780)9 stilisiert sie Jung-Stilling zum Präzedenzfall einer unzulänglichen Aufklärung. Er versteht sie als Beleg für ihr Scheitern und die Geisterkritik des 18. Jahrhunderts als Zeichen einer „durch Luxus und Weichlichkeit abstrapazierten“ Epoche.10 Mit dieser Interpretation entwirft er zugleich ein Epochenbild, das sich, wie auch Eugen Sierkes eingangs zitierte Äußerung indiziert, im 19. Jahrhundert verfestigt. Damit trägt Jung-Stilling zur Ausbildung eines wirkungsmächtigen Deutungsmusters bei, das Aufklärung mit Rationalismus und Geisterkritik gleichsetzt, das aber den historischen Konstellationen kaum gerecht wird. Der folgende Abschnitt differenziert dieses Epochenklischee, indem er zunächst das eigentliche Interesse beleuchtet, das mit der Gespensterepisode um 1750 verbunden war. Diese führt nämlich nicht, wie man zunächst annehmen könnte, in die theologische Gelehrtenkultur des 18. Jahrhunderts. Sie stellt auch keinen Sonderfall von Aufklärung dar. Hinter der Braunschweiger Episode steht vielmehr ein manifester Wissenschaftskonflikt, der sich zwischen den Zentren Braunschweig und der Universität Göttingen ausgebildet hat und den stellvertretend zwei Protagonisten verkörpern: Johann Ludwig Oeder und Johann Christoph Harenberg, auf den Letzteren wird noch einzugehen sein. Der vorliegende Abschnitt untersucht somit die historischen Konstellationen und die in der Diskussion zum Tragen kommenden Interessenkonflikte sowie die wissenschaftlichen Profile einzelner Akteure. Die mikrologische, auf das ZeitRaum-Segment um 1750 beschränkte Rekonstruktion soll darlegen, in welche Deutungskontexte die Affäre zu situieren ist. Erst auf der Basis dieser Kontexte lassen sich schließlich Differenzen und Gemeinsamkeiten ermitteln, die zwischen der Mitte des 18. Jahrhunderts und den späteren Rezeptionslinien liegen, wie sie etwa bei Jung-Stilling greifbar werden.
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Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geisterkunde; oder was von Ahndungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müßte. Nordlingen 1987, §§ 217– 224, Jung-Stilling gibt als Quelle das 5. Stück im 2. Band des Museums des Wundervollen an. Auch in seiner Geschichte des Collegiums verweist Eschenburg auf verschiedene, um 1805 gedruckte Quellen: u.a. auf das 17. und 18. Stück des Morgenblattes (1809), in dem ein Aufsatz von Hofrath Erath veröffentlicht wurde, der den Kuratoren des Collegiums damals über den Vorfall berichtet hatte. Erwähnt wird auch das 115. Stück des Allgemeinen Anzeigers der Deutschen (1809), in dem sich eine Antwort auf Jung-Stillings Erwähnung der Geschichte findet. Ein weiterer Aufsatz findet sich in dem 72. und 79. Stück des Allgemeinen Anzeigers der Deutschen (1811); vgl. Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii; zur Braunschweiger Gespenstergeschichte allgemein: S. 135–144, hier S. 135. Justus Christian Hennings: Von Geistern und Geistersehern. Hg. v. dem Verfasser der Abhandlung ‚Von den Ahndungen und Visionen‘. Leipzig 1780, S. 76. Jung-Stilling: Theorie der Geisterkunde, §§ 217–224, hier S. 285–298.
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Der folgende Abschnitt basiert auf der Analyse einer Textsammlung, die zeitnah zum fraglichen Ereignis publiziert wurde und ein breites Spektrum von Meinungen, Einschätzungen und Intentionen repräsentiert. Sie wurde 1747 veröffentlicht und liefert erste Aufschlüsse über die an der Kontroverse beteiligten Akteure, die meist anonym publiziert haben. Einzelne Texte der Sammlung berichten aus je unterschiedlicher Perspektive über das Ereignis und ermöglichen Rückschlüsse auf die Intentionen ihrer Verfasser. Die Sammlung besteht aus vier voneinander unabhängigen Einzelschriften und zwar aus einem vermeintlichen Augenzeugenbericht, der dem Magister Höfer zugeschrieben wird und unter dem Titel Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit die sich 1746 den 21. December mit Herr M. H.== in dem Carolino zu Braunschweig zugetragen und von ihm beschrieben und aufgesetzt erschien. Ferner enthält sie einen Auszug aus einem Schreiben, das angeblich von einem externen Sachverständigen aus Wolfenbüttel verfasst wurde, der in der Sache um Rat gebeten worden war. Das Gutachten wurde unter dem Titel Extract eines Schreibens von Wolffenbüttel den 27. März 1747 publiziert. Als weiterer Text ist ein mutmaßlich von Oeder verfasster Brief beigefügt, der an einen nicht weiter benannten Göttinger Professor adressiert ist und diesen über die Ereignisse informiert.11 Die Sammlung setzt sich mithin aus vier unterschiedlichen Textsorten zusammen: einem vermeintlichen Augenzeugenbericht, einem Gutachten, einem möglicherweise fingierten Brief und einem Briefkommentar. Ihre Heterogenität, die Spanne von Texttypen und -funktionen sowie die wechselnde bzw. anonyme Verfasserschaft machten sie zu einem polyphonen Geflecht kaum zu entwirrender Aussagen. Es führt durch ein Gewirr kolportierter Episoden, wahrscheinlicher bzw. mehr oder weniger glaubwürdiger Versionen, deren tatsächliche Autoren sich oft ebenso wenig identifizieren lassen wie ein gemeinsamer Kern des Ereignisses. So ist es durchaus fraglich, ob die Texte überhaupt als authentische Belege anzusehen sind oder ob es sich dabei nicht um fingierte ‚Dokumente‘ handelt, die keine zuverlässigen Aussagen über die Faktizität des Ereignisses, also darüber, ob es überhaupt stattgefunden hat, zulassen. Da die erhaltenen Aktenbestände des Kollegs hierüber ebenfalls keine Auskunft liefern,12 kann es bei der vorliegenden Analyse nicht um die Rekonstruktion eines möglichen faktischen Gehaltes oder 11
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[Anonym]: Unpartheiische Beurtheilung einer neulich unter dem Titul gedruckten Schriften Sammlung einiger Nachrichten von auf dem Braunschweigischen Carolino vielmals erschienenen Gespenst. Nebst einer kurtzen Beantwortung derer darüber gemachten Anmerckungen aufgesetzt von einem Freunde der Wahrheit. Braunschweig 1747 (im Monat April), S. 16–28. Die Sammlung besteht aus: I. Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit die sich 1746 den 21. Decembr. mit Herr M. H.== in dem Carolino zu Braunschweig zugetragen und von ihm beschrieben und aufgesetzt, S. 16–19; II. [Anonym]: Extract eines Schreibens von Wolffenbüttel den 27. März 1747, S. 19–21; III. Extract aus einem Briefe des Herrn Prof. Oeders aus Braunschweig, S. 21, sowie den Anmerckungen zu den Schreiben, S. 21–28. Vgl. den diesbezüglich relevanten Aktenbestand des Niedersächsischen Staatsarchivs, Faszikel 43 Alt 3, der lediglich Kostenabrechnungen und Unterrichtsverzeichnisse enthält.
etwa um die Ermittlung einer allen Texten gemeinsamen histoire gehen; folgender Abschnitt konzentriert sich vielmehr auf die Frage nach den narrativen Mitteln und Inszenierungstechniken sowie auf die spezifischen Erzählweisen der Akteure, die Rückschlüsse auf ihre Positionierungen und Profile ermöglichen. Schließlich verweist das Arrangement der Sammlung auf die Perspektivität von Erfahrungen und Erzählungen bzw. auf die daraus resultierenden Interpretationsprobleme und kennzeichnet sie als kommunikative Besonderheiten eines mit historischen Wahrheiten befassten Genres. Insbesondere die formalästhetischen Merkmale der Sammlung scheinen diese Diskursbesonderheiten zu reflektieren. Die Analyse der Sammlung wird in vier Schritten erfolgen: Der erste umfasst die Rekonstruktion des Wissenshorizontes, in dem Sprechen über Gespenster möglich und Erfolg versprechend war (1). Der zweite berücksichtigt die unterschiedlichen Erzählperspektiven und versucht, Deutungsalternativen zu ermitteln (2). Drittens wird es um die Positionierungen der Akteure im Gelehrtenfeld gehen (3). Abschließend soll der Exemplarizität der gesamten Sammlung für die mittlere Aufklärung nachgegangen werden. Dabei gilt zu fragen, inwiefern die Sammlung Charakteristika aufweist, die für das Zeit-Raum-Segment der mittleren Aufklärung insgesamt symptomatisch sind und an denen sich generelle wissenshistorisch relevante Transformationsprozesse ablesen lassen (4).
3.2. Johann Gottfried Höfers „Augenzeugenbericht“ Der erste, bereits 1746 erschienene und dem Magister Johann Gottfried Höfer zugeschriebene Text berichtet vorderhand über die Ereignisse.13 Höfer soll auf einer nächtlichen Visitation14 im Wohnhaus des Kollegs eine Gestalt gesehen und sie – auf den ersten Blick – für den jüngst verstorbenen Hofmeister Melchior Carl Dörrien (1721–1746) gehalten haben.15 Er konnte die Figur aufgrund der Kleidung, genauer aufgrund einer Nachtmütze und eines Schlafrockes, die die Gestalt angeb13
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[Anonym]: Sammlung der Nachrichten, mit Anmerckungen, worauf vorhergehende unpartheiische Beurtheilung berichtet ist, in: [Anonym]: Unpartheiische Beurtheilung einer neulich unter dem Titul gedruckten Schriften Sammlung einiger Nachrichten von auf dem Braunschweigischen Carolino vielmals erschienenen Gespenst. Nebst einer kurtzen Beantwortung derer darüber gemachten Anmerckungen aufgesetzt von einem Freunde der Wahrheit, S. 16–28. Zu Höfer vgl. Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini, S. 74. Zu Karl Melchior Dörrien, Student der Rechte in Göttingen und späterer Hofmeister, der an einem „Brustfieber“ gestorben war, vgl. Eschenburg: Entwurf einer Geschichte, S. 63: „Dieser Mann ist dadurch noch nach seinem Tode einigermaßen merckwürdig geworden, daß er bei der im Januar [sic] 1747 im Collegio vorgefallenen und vorgeblichen Gespenstergeschichte, die damals viel Aufsehen machte und selbst einige sonst vernünftige Männer täuschte, die Hauptrolle spielen sollte.“ Siehe auch die Leichenpredigt zu Karl Melchior Dörrien (1721–1746): Studiosae in Collegio Carolino Iuventutis per aliquot tempus morum Magister gestorben am 25.06.1746, Todesursache: „febris exanthematica seu purpura rubra“, Trauerrede, Braunschweig am 26.06.1746 [HAB: Db 1086].
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lich trug, identifizieren. Bestätigt wurde diese Vermutung dadurch, dass es Höfer gelang, die Gestalt mit einer Laterne näher auszuleuchten und ihr ins Gesicht zu sehen. Das Ausleuchten brachte ihn zu dem Schluss, dass es sich bei der Figur nicht etwa um eine optische Täuschung oder ein Trugbild, sondern um die wahrhafte Erscheinung eines Toten handelte: Als ich aber noch ohngefehr 20. Schritte von dem Zimmer entfernt war, welches einer von meinen Collegen bewohnet hat [...]: da sehe ich mit Entsetzen die völlige Gestalt des sel. Hofmeisters sitzen, und zwar in dem Schlafrocke, den er sonst gewöhnlich getragen, und in seiner weissen Nachtmütze. Ob ich nun gleich über diese unvermuthete Erscheinung sehr erschrocken war, und mir alle Haare zu Berge stunden, so fast ich doch das Hertz, die Sache genauer zu untersuchen, ob es etwann Blendwerck sey oder nicht. Ich gieng daher bis auf drey Schritte vor ihm hin, streckte meine rechte Hand aus, worinnen ich eine kleine Laterne hatte, und beleuchtete ihn sehr genau, da ich denn zwar überzeuget wurde, daß es kein Blendwerck wäre.16
Neben dem faktualen Gehalt – den Angaben von Ort, Zeit, der Beschreibung des Raums und der Nennung der handelnden Personen – zeichnet sich die hier kolportierte Geschichte durch ihre fiktionale Gestaltung aus. Der Augenzeugenbericht ist in der Ich-Form geschrieben und konzentriert sich im Wesentlichen auf die Begegnung mit der Erscheinung bzw. die sich unmittelbar daran anschließenden Vorkommnisse. Einerseits bemüht sich der Text messbare Sachverhalte (wie die Entfernung etc.) zu vermitteln und setzt damit Objektivitätssignale. Andererseits konzentriert er sich auf die Darstellung psychologischer Prozesse wie die Beschreibung von Affekten. Zugleich liefert Höfer mit dem Bericht eine Deutung der Ereignisse, die über die Rekonstruktion des rein faktischen Sachverhaltes hinausgeht. Er rekurriert dabei, wie sich vor allem an der Wortwahl und ihren Bezügen ablesen lässt, auf drei verschiedene Wissensfelder: auf die psychologische Affektlehre John Lockes (1), auf christliche Tugendlehren (2) sowie auf die Dämonologie (3). (1) Ausführlich erwähnt Höfer, welch furchtbaren Eindruck die Erscheinung auf ihn gemacht habe. Zugleich betont er, dass Furcht ihn nicht in die Flucht geschlagen habe. Obschon in Angst versetzt, habe er den Entschluss gefasst, die Gestalt näher zu betrachten. Das hier beschriebene Verhältnis von Furcht und Mut wird zunächst affektpsychologisch begründet. Höfer unterscheidet deutlich zwischen Angst und Mut oder besser zwischen Schrecken und Herzhaftigkeit und knüpft daran die Überlegung, ob es sich bei dem Gespenst um ein Trugbild oder eine wahre Erscheinung handelt. Die Erzählung basiert somit auf einer zweifachen Unterscheidung: zum einen auf der Differenz von Täuschung versus wahre Erscheinung, zum anderen auf der zwischen Angst und Mut. Dass rationale Überlegungen und affektive Grundstimmung als zwei geradezu verschränkte Faktoren im Erkenntnisprozess dargestellt werden, könnte bereits als Beleg für die empirischanthropologische Grundierung erkenntnistheoretischer Positionen um 1750 gedeutet werden. Eine konkrete Vorlage für die hier ausgeführte Beschreibung liefert 16
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[Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 16.
z.B. der englische Philosoph John Locke, dessen Schriften am Braunschweiger Kolleg gelehrt wurden.17 Eine Anspielung auf Locke ist die Erwähnung der Gewohnheit, die Höfer gleich mehrfach als Besonderheit des Anblicks hervorhebt („den er gewöhnlich getragen“). Denn Höfer hat den Hofmeister eben deshalb erkennen können, weil er ihm zur üblichen Zeit und in gewohnter Montur erschien. Die Gewohnheit kann aber auch Ursache von Trugbildern sein. In seiner Schrift über die Erziehung weist Locke Trugbilder jedenfalls als Resultat spezifischer Gedächtnisfunktionen bzw. -dysfunktionen aus. Demnach gründen sich trügerische Bilder und Imaginationen auf einen Assoziationseffekt, der durch die Wiederholung gebahnt wurde. Die trügerische Wahrnehmung verweist also nicht notwendig auf etwas außerhalb ihrer Existierendes, sondern lediglich auf einen im Gedächtnis gespeicherten Erinnerungseindruck, der aktiviert wurde, weil die Umstände jenen ähnlich waren, unter denen der Wahrnehmungseindruck normalerweise entstand. Die Wahrnehmung eines unlängst Verstorbenen wird dabei aus dem Umstand erklärt, dass Erinnerungen an die Person (d.h. die gespeicherten materialen Bilder) noch aktuell im Gedächtnis verhaftet sind und in konkreten Alltagssituationen evoziert werden können. Unter Rückgriff auf dieses Modell ließe sich die Gespenstererscheinung also psychologisch erklären. Zugleich kann die Erscheinung als Exempel für den Trug der Gewohnheit dienen und damit als quasi empirische Bestätigung der Lockeschen Erklärung fungieren. Als ein weiteres hier genanntes Erfahrungselement, das die Gültigkeit des Modells belegen würde, ist die Nacht anzusehen, die solche Aktivierungsprozesse förderte. Hinzu kommt der Umstand, dass allein Höfer (und niemand sonst) die Erscheinung wahrgenommen hat. Ein weiterer Bezug liegt in der Erwähnung der Furcht und der Furchtüberwindung, die als Regulativ der Lockeschen Tugendlehre zu entnehmen ist. Das Ausleuchten des Gespenstes sollte zunächst Gewissheit über seine Unwirklichkeit erbringen. Es sollte die Furcht abschwächen, die sich als erste, unmittelbare physische Reaktion auf die Erscheinung einstellte und natürlicherweise mit einem Fluchtimpuls einherging. Die Bewältigung der natürlichen Angstreaktion entspricht dem Tugendideal des Mutes und der Herzhaftigkeit. Sie stellt einen idealtypischen Umgang mit einem Affekt dar. Demnach gilt die Überwindung der Furcht und nicht etwa die (oftmals unangemessene) Furchtlosigkeit als vorbildlicher Umgang mit Affekten.18 Die Furchtreaktion stellt sich als natürliches physiologisches Zeichen ein, das dem kognitiven Erkenntnisprozess vorangeht und sich insofern als eine affektive vorrationale Verhaltensanweisung deuten lässt. Dass die Schreckreaktion nicht in
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Vgl. Anzeige der Vorlesungen und Uebungen welche in dem Collegio Carolino zu Braunschweig […] von Michaelis 1745 bis Ostern 1746 werden angestellet. Braunschweig 1745– 1746, S. 4. Zu Lockes Erkenntnistheorie vgl. ausführlicher das fünfte Kapitel. Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung, S. 21f.
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eine sofortige Flucht mündet, spricht hier für den ausgesprochenen Mut und für die hervorragende Besonnenheit des Gespenstersehers, der sich damit als idealtypischer Gespensterskeptiker präsentiert. (2) Ebenso wie in die Lockesche virtus-Lehre ließe sich Höfers Bericht in die Tradition christlich-moralischer Exempelsammlungen einordnen, die um 1750, aber später auch bei Jung-Stilling noch einen prägnanten Deutungshorizont ausbilden. Diese Sammlungen thematisieren den Umgang mit dem vermeintlich Wunderbaren, Ungewöhnlichen und Numinosen sowie dessen Einbruch in die Alltagswelt. In diesem Kontext spielt die Gewohnheit eine gleichermaßen zentrale Rolle, da sich der Einbruch des Wunderbaren erst vor dem Hintergrund der Gewohnheit (und dem von ihr konstituierten Erwartungshorizont) als Erfahrung der Differenz erfassen lässt. Die Abweichung besteht in der Irritation eines Erwartungshorizontes, die durch das plötzliche Erscheinen der tot geglaubten Person ausgelöst wurde und nun eine Verhaltensanpassung erfordert. In diesem Sinn wäre Höfers „Hertzhaftigkeit“ als Beispiel für einen normgerechten christlichen Umgang mit Erscheinungen zu verstehen. Dafür spricht, dass Höfer die Begegnung mit dem Gespenst nicht aus eigener Initiative aufsucht, was einer verbotenen Geisterbeschwörung gleichkäme; ferner, dass er nicht primär seinen Mut unter Beweis stellen möchte, was einer allzu kühnen und geradezu vorwitzigen Haltung entspräche. Auch ergreift er beim Anblick der Erscheinung nicht die Flucht, was schließlich auf eine abergläubische Disposition hinweisen könnte. Höfer agiert vielmehr mustergültig im Sinne christlicher Tugendlehren. Er verhält sich prüfend und abwartend, wodurch er seine Besonnenheit unter Beweis stellt. „Der wahre Christ“, heißt es auch bei Jung-Stilling, meidet unnöthige Gefahren, aber [fürchtet] ausserdem auch nichts: er bleibt auf seinen Berufswegen, und wenn ihm so etwas begegnet, so prüft er mit Vorsicht, und findet er Wahrheit, ist es ein Geist, so weist er ihn mit liebreichem Ernst im Namen Jesu Christi an seinen Ort, wohin er gehört.19
(3) Unabhängig von der moral-christlichen Dimension deutet das Wortfeld auf einen weiteren Wissensbereich. Die Ausdrücke „Blendwerck“ und „Schreckreaktion“ sind indes der Dämonologie zuzuordnen.20 Die von Höfer beschriebene Reaktion ließe sich demnach dämonologisch deuten. Allerdings bleibt dieser Kontext ausgesprochen vage, denn der Ausdruck „zu Berge stehende Haare“ könnte schlicht eine natürliche physiologische Angstreaktion indizieren, die durch die irreleitende Wahrnehmung – also durch das „Blendwerck“ der Sinne – befördert wurde und somit als rein physiologisches Affektzeichen (ohne Beteiligung des Teufels) anzusehen ist. Höfer spielt mit den Worten „Blendwerk“ und „Haare zu Berge stehen“ sowie mit der Nennung der „Gewohnheit“ also auf drei Wissenshorizonte an. Seine einleitenden Ausführungen ermöglichen keine konkreten Zuordnungen, sondern blei-
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Jung-Stilling: Theorie der Geisterkunde, S. 285. Ludwig Lavater: De spectris, Lemuribus […]. Zürich 1570.
ben zunächst mehrdeutig. An die Stelle einvernehmlicher Erklärungen treten vielmehr Vermutungen und Annahmen, von denen keine eindeutig privilegiert wird. Es bleibt somit dem Leser überlassen, diese Leerstelle auszufüllen, d.h. sich für die empirische, ethische oder dämonologische Deutung zu entscheiden. Das Ausleuchten der Erscheinung leitet jedoch einen Wendepunkt in der Geschichte ein. Die eingängige Inspektion trägt nämlich nicht zur Bestätigung der anfänglichen Zweifel bei. Der zuvor erzeugten Erwartungshaltung entsprechend hätte die Prüfung die Erscheinung als Trug entlarven sollen. Das Gegenteil ist nun jedoch der Fall: Das Ausleuchten der Gestalt bezeugt nach Höfer die Wirklichkeit der Erscheinung. Damit wird nicht sie als Betrug, sondern die anfängliche Skepsis als Irrtum entlarvt. Die beiden Möglichkeiten, dass die Erscheinung ein Teufelswerk oder eine Sinnestäuschung sei, schließt Höfer mit der Schlusswendung des Absatzes aus („da ich denn überzeugt wurde, daß es kein Blendwerck wäre“). Der Verlauf der Geschichte bestätigt somit von den zunächst eröffneten (dämonologischen und affekttheoretisch-philosophischen) Deutungsmöglichkeiten allein die Auslegung der Erscheinung als wirkliches Phänomen. In Folge des Ausleuchtens tritt nun ferner eine Läsion an der Hand auf, die Höfer nachträglich als Resultat seines Vorwitzes deutet: [ich] muste aber diesen Vorwitz [das Ausleuchten – Y. W.] theuer genug bezahlen, indem mir den Augenblick die rechte Hand krumm, und auch zu schwellen anfieng. [...] Die gantze Nacht habe ich indessen kein Auge zuthun können, und konnte nicht einmal wegen der empfindlichen Schmertzen an der Hand im Bette bleiben. Ich nahm unterschiedene Doctores, und sonderlich einen geschickten Regimentsfelscherer an. Dieser letzte zertheilete zwar nach einiger Zeit die Geschwulst an der rechten Hand, doch blieben die Finger krumm, und die Geschwulst trat nunmehro in die lincke Hand, daß ich also beyde nicht brauchen konnte. Nach einigen Wochen trat nun auch die Geschwulst in den lincken Fuß, daß ich also in recht elende Umstände gesetzet wurde. Ich konnte weder schlafen noch essen, sondern muste Tag und Nacht die empfindlichsten Schmertzen ausstehen. Jetzt, da ich dieses schreibe, kann ich die Hand zwar etwas brauchen, der Schmertz aber in denen Gelencken ist noch sehr heftig, so, daß ich nicht über 6. Loth aufheben, und noch keinen Schlüssel umdrehen kann.21
Der Passus lässt offen, wer diese Bestrafung hätte veranlassen und mit welchen Mitteln sie hätte durchgeführt werden können. Höfers Deutung bedarf deshalb einer weiteren Auslegung, die erhellt, warum er der Beschreibung der Läsion derart viel Raum verleiht. Dass Gespenster oder andere numinöse Erscheinungen Läsionen als Wunderbeweise hinterlassen, ist gemessen am Wissenshorizont der Zeit gar nicht abwegig und unter anderem der noch weit verbreiteten Mirakel- und Mirabilienliteratur zu entnehmen.22 Auch die Erwähnung der admiratio, des staunenden Schreckens und
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[Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 16 Vgl. Wolfgang Haubrichs: Artikel ‚Mirakel‘, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. II. Berlin / New York 2000, S. 608–613; zur Differenz von Mirakel und Mirabilien siehe auch Jean-
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der Verwunderung, zählt zu den gattungsspezifischen Charakteristika einer Begegnung mit dem Wunderbaren. Höfers Deutung wirft jedoch die Frage nach der Existenz einer moralischen Instanz bzw. nach möglichen Motiven für eine Bestrafung auf. Die Wahl des Wortes „Vorwitz“ liefert hierüber weitere Aufschlüsse. Demnach wäre die Verletzung als Strafe für unerlaubtes Vordringen des Intellekts in eine übergeordnete Welt- und Wissensordnung zu begreifen und als Ahndung einer falschen Hybris zu verstehen. Problematisch an dieser Deutung ist allerdings die damit einhergehende Annahme, höhere strafende Mächte könnten unmittelbar auf die Natur einwirken. Diese Auslegung ist nur bedingt mit der vernünftigen Kosmologie der Frühaufklärung in Einklang zu bringen. Anders als in der Mirabilienliteratur wird die Läsion deshalb nicht als ein praeternaturales oder supernaturales Ereignis bezeichnet. In Höfers Verzicht auf eine derartige Erklärung kündigt sich bereits ein Bruch mit der Mirabilien- bzw. Mirakelliteratur an. Das gilt nicht nur für direkte Eingriffe höherer Instanzen, sondern auch für das unmittelbare Wirken von Geistern oder spirituellen Substanzen in der körperlichen Welt. Eine solche Möglichkeit hatte Christian Thomasius in einem bereits um 1715 (ebenfalls in Halle) ausgetragenen Streit um einen Steine werfenden Kobold (= spiritus familiaris) verworfen.23 Auch Jung-Stilling richtet sich gegen eine derartige Möglichkeit. Er erwähnt noch 1808, dass die Entstehung von Geschwüren oftmals auf „schwarze, gefährliche Geister“ zurückgeführt werde, dass diese Auffassung jedoch häretisch sei.24 Die Annahme, Geister könnten direkt auf menschliche Körper einwirken, war nicht nur dem Wissenskontext der schwarzen Magie zu entnehmen, wie Jung-Stilling andeutet, sondern auch dem so genannten Okkasionalismus des französischen Paters Nicolas de Malebranche. Er wird in einer populären Version bis weit ins 18. Jahrhundert tradiert und beschreibt die Möglichkeit geistiger Wirkungen auf andere geistige Substanzen (darunter sind nicht nur Geister im engeren Sinn, sondern
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Claude Schmitt: Ghosts in the Middle Ages, S. 79. Die Mirabilien verstoßen im Gegensatz zu Mirakeln nicht gegen die Naturgesetze, lediglich der Rezipient versteht ihre Ursache nicht. Jeremias Heinisch: Das Zeugniß der reinen Wahrheit von den Sonder= und wunderbahren Würckungen eines insgemein sogenannten Kobolds, Oder unsichbarehn Wesens in der Pfarr= Wohnung zu Gröben, nebst einem zur Prüfung übergebenen Versuch wie weit in der Erkäntniß dieser Sache zu gelangen? Auf inständiges Begehren abgestattet von des Orts Predigern. Jena 1723. Relevant in diesem Kontext ist vor allem die Kontroverse in Halle um 1715. An ihr beteiligten sich u.a. der Mediziner Friedrich Hoffmann sowie der Chemiker Sincerus Renatus. Vgl. dazu Friedrich Hoffmann: Eines berühmten Medici Gründliches Bedencken und physicalische Anmerckungen von dem tödlichen Dampff der Holtz=Kohlen Auf Veranlassung der in Jena beym Ausgang des Jahres 1715 vorgefallenen traurigen Begebenheit. Halle 1716, sowie Sinceri Philaleti Gründliches Sendschreiben und Physicalisch-Judicium von dem giftigen Räucher-Pulver und tödlichen Dampff, oder Gas sulphureo subtilissimo der Holtz=Kohlen, und hierauff erfolgten Tod Derer in den Heuchlerischen Weinberge zu Jena Gefundenen zwei Bauern 1716. Jung-Stilling: Theorie der Geisterkunde, S. 285.
auch die Seele zu verstehen) oder auf Körper. Demzufolge kann eine geistige Substanz durch einen umschriebenen Mechanismus in einem Körper wirken, sei es, dass der Eindruck, den das Gespenst auf Höfer hinterlassen hat, sich indirekt über die Einbildungskraft in seinem Köper fortsetzt und sich dort auch äußerlich materialisiert, sei es, dass das Gespenst einen derartigen Effekt direkt auslöst. Auch in der anthropologischen Literatur um 1750 wird – unter Ausblendung der okkasionellen Ursache – eine derartige Wirkungsmöglichkeit beschrieben. Meist wird hier die zweite Variante, also die Wechselwirkung zwischen Einbildungskraft und Körper, favorisiert.25 Ein bekanntes literarisches Beispiel einer derartigen Wirkung lässt sich in Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften (1809) finden. Gemeint ist hier die auffallende Ähnlichkeit von Charlottes Kind mit dem Hauptmann, die implizit mit der Wirkung der mütterlichen Einbildungskraft auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes erklärt wird. Um 1750 stellte dieses Wissensmodell eine durchaus noch tragfähige Erklärung dar. Zugleich könnte Höfers Vermutung, mit der Läsion für einen Vorwitz bestraft worden zu sein, als geistreich-witzige Anspielung auf einen (im wörtlichen Sinn) menschlichen Urheber der Erscheinung gelesen werden. Sie könnte darauf deuten, dass es sich beim Gespenst in Wirklichkeit um einen verkleideten Menschen handelt. Mit der Formulierung „wirkliche Erscheinung“ wäre demnach nicht dem Gespenst Wirklichkeit beigemessen, sondern der Erscheinung. Sie selbst wäre real, nur ihre Gespensterhaftigkeit unwirklich, also eine betrügerische Maskerade. Das verkleidete Gespenst hätte zudem ein handfestes Motiv, Höfer durch die Verletzung an der Kolportage der Geschichte zu hindern. Die Verletzung könnte als Maßnahme verstanden werden, welche die Aufdeckung des Betrugs abwenden sollte. Eine andere natürliche Erklärung für die Läsion liefert ein weiterer Text der Sammlung, in dem es in Bezug auf Höfer heißt: M. Höfer ein Hofmeister allhier, hat ihn Tages vorher um 12. Uhr zur Nacht in einem Winckel vor seinem ehemaligen Zimmer sitzend gefunden, als er die Stuben seiner Untergebenen visitirte, und demselben ist bis dato die Hand, womit er die Laterne hingehalten, starck geschwollen, welches wol seine natürliche Ursache haben mag.26
Hier wird suggeriert, Höfer habe sich beim Ausleuchten der Gestalt unbemerkt an der Laterne verbrannt und leide nun unter entzündeten Brandwunden: eine nicht seltene Komplikation im 18. Jahrhundert. Der Entzündungsherd könnte, so legt es der Passus ferner nahe, durch den unsachgemäßen Eingriff des oben erwähnten Chirurgen zu einer Streuung und Sepsis, d.h. zur Ausbreitung der Verletzung auch auf andere Körperteile, geführt haben. 25
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„Wollen wir daran zweiffeln“, heißt es in diesem Kontext z.B. bei Heinisch, „daß ein Geist und immaterielles Wesen in einem Cörper und Materie würcken könne? Haben wir nicht das Exempel der Seele, die in unserm Leibe würcket?“ Heinisch: Das Zeugniß der reinen Wahrheit, S. 42. [Anonym]: Extract aus einem Briefe des Herrn Prof. Oeders, S. 21.
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Der zweite Teil des Höfer zugeschriebenen Augenzeugenberichts eröffnet also erneut eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten, von denen wiederum keine eindeutig privilegiert wird. Weil der Text über weite Strecken auf explizite kausale Belehrungen verzichtet (eventuell auch um einen Belastungseifer zu kaschieren), überlässt er es dem Leser erneut, diese Leerstelle zu füllen. Aus dem kolportierten Geschehen wird nicht, wie etwa innerhalb der literarischen Gattung der Fabel üblich, eine explizite moralische Lehre abgeleitet. Zwar sind die Wiedergabe des Geschehens in Figurenperspektive sowie der weitestgehende Verzicht auf eine externe Erzählerinstanz an sich Besonderheiten des so genannten Augenzeugenberichts. Hier liegt jedoch ein perspektivischer Erzähltext vor, der durchaus literarische Qualitäten, z.B. narrative Dramatisierungen aufweist und sich von anderen Augenzeugenberichten durch ein höheres Literarizitätspotential auszeichnet. Der Höfer zugeschriebene Bericht folgt indes einer Zweigliederung, die auch für die spätaufklärerische Geistergeschichte typisch wird.27 Er zeichnet sich durch ein Erzählmuster aus, dessen narrativer Spannungsbogen auf einer Enthüllungslogik bzw. dem abrupten Wechsel von Erklärungsmodellen gegründet ist. Anstelle eindeutiger Kausalerklärungen tritt ein Erzählmodell, das vorschnelle Kausalitätsannahmen durch den Wechsel der Bezüge in Frage stellt. Dadurch wird eine Erklärungslücke sichtbar, die erst im zweiten Schritt mit Kontextwissen ausgefüllt wird. Der analysierte Text zeichnet sich somit durch eine relativ moderne Erzähltechnik aus, die zudem im anthropologischen Roman des ausgehenden 18. Jahrhunderts Konjunktur hat. Exemplarisch verstanden, thematisiert der Bericht einen Erkenntnisprozess, der von erfahrungsunabhängigen Vorannahmen und deren Revisionen gesteuert wird. Die Geschichte stellt den Gang einer an der Welt orientierten Selbstaufklärung dar, die den Leser dadurch in den Erkenntnisprozess einbezieht, dass sie ihm verschiedene Deutungsräume offeriert. Die Sammlung markiert damit den Übergang von belehrenden Literaturgattungen – als Aufklärung über etwas – zur Literatur als Medium der Erkenntnis bzw. Selbsterkenntnis,28 die sich im Rahmen von wechselnden Bezugssystemen und Deutungskontexten konstituiert. Zahlreiche Passagen sprechen zudem für den satirischen Charakter des Textes. Sie machen einmal mehr auf den spielerischen Einsatz einzelner Akteure in einem kontroversen Wissensfeld aufmerksam. Denn offenkundig wurde der Bericht verfasst, um Höfer zu denunzieren. Der Autor bedient sich dabei einer nicht-fiktionalen Textsorte, die Behauptungssätze über die Welt enthält. Er scheint das Genre jedoch weniger zur Aufklärung eines Sachverhaltes zu benutzen, als vielmehr dazu, Höfer lächerlich zu machen. Damit scheint sich eine gewisse Akzentverschiebung abzuzeichnen, in deren Rahmen der Authentizitätsanspruch zugunsten einer Diffamierungsabsicht aufgegeben wird. 27 28
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Wilpert: Die deutsche Gespenstergeschichte, S. 98–183. Riedel: Literarische Anthropologie, S. 432.
Insgesamt werfen die unsichere Verfasserschaft und der durchaus fragwürdige Anspruch auf Authentizität die Frage auf, wer an derartigen Fälschungen ein Interesse gehabt haben könnte. Wer also könnte der Verfasser der Schrift gewesen sein? Wer steht hinter dem höchstwahrscheinlich fingierten Bericht und welches sind mögliche Motive für den Textbetrug?
3.3. Von der Peripherie ins Zentrum der Gelehrsamkeit Der Höfer zugeschriebene Augenzeugenbericht belastet vor allem seinen Kollegen, den schon erwähnten Professor der Mathematik Johann Ludwig Oeder, und legt damit eine Spur ins eigentliche Zentrum der Kontroverse. Dem ,Augenzeugenbericht‘ ist mithin zu entnehmen, dass Höfer gleich am Tag nach der Erscheinung den aufsichtspflichtigen Professor über die Angelegenheit informierte.29 Höfer charakterisiert Oeder als einen „gelehrten Mann“ und „guten Freund“,30 der der Sache gewissenhaft nachgegangen sei. Oeder habe im Anschluss an die erste nächtliche Erscheinung das Gespenst selbst inspiziert, mit „Entsetzen, ob er gleich sonst nicht furchtsam ist“. Zwar habe Oeder anfangs „nichts von solchen Dingen [Gespenstern – Y. W.] gehalten“, er sei jedoch, nachdem er das Gespenst zum ersten Mal in Anwesenheit eines dritten Zeugen, des Braunschweiger Professors für Philosophie Johann Wilhelm Seidel,31 in Augenschein genommen hatte, von der „Würcklichkeit der Erscheinung“ überzeugt worden.32 Höfer betont an dieser Stelle – und dies weist deutlich auf den satirischen Ton der Schrift hin –, dass das Gespenst mit einer „Tobacspfeiffe im Maul“ erschienen sei: Es nähert sich wieder zu seinem Bette, worauf der Herr Professor um sich schläget, und spricht: es sollte ihn doch nicht mehr beunruhigen; was es denn wollte? ob es etwan Schulden hätte, die noch nicht bezahlet wären? So bald er dieses gesaget, so richtet es sich auf die Höhe, und tritt einige Schritte zurück, streicht sich auch zugleich einige mal über den Mund mit der Hand. Der Herr Professor meynte, es zielte damit auf den Bart, und fragte: Ob etwa der Barbier noch nicht bezahlet sey? Darauf es aber ein Zeichen mit dem Kopfe giebet, daß solches bereits geschehen sey. […] Er fragte weiter, weil es die Pfeiffe im Munde hatte: Ob es Toback schuldig wäre? welches es denn durch ein Zeichen mit dem Kopf würcklich bejahet, worauf es wieder verschwindet. […] Den andern Tag ist der Herr Professor alsbald zu des sel. Herrn Hofmeisters Dörrien Schwester, als Erbin gegangen, und hat ihr gesaget, sie möchte die Schulden ihres verstorbenen Bruders bezahlen […] Seitdem aber hat es sich nicht wieder blicken lassen.33
Die „Tobackspeiffe“ wird im Verlauf zum Zeichen für den eigentlichen Anlass der nächtlichen Wiederkehr. Oeder deutet sie jedenfalls als Hinweis auf mögliche Schulden, die der plötzlich verstorbene Hofrat hinterlassen habe. Seine anfängli29 30 31 32 33
[Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 17. Ebd. Vgl. dazu Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii, S. 87. [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 17. Ebd., S. 18f.
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chen Versuche, das Gespenst zu vertreiben, münden schließlich in Oeders Bereitschaft, die Schuldenzahlung zu veranlassen. Durch eine Schwester des Verstorbenen, die, weil sie die Auktionserlöse erhielt, als eigentliche Erbin des Hofmeisters gilt,34 werden die Gläubiger schließlich ausbezahlt.35 Darauf kehrt die Erscheinung nicht wieder zurück. Die hier kolportierte Episode liefert Aufschlüsse über eine mentalitätsgeschichtliche und sozialhistorische Dimension der Geister- und Gespensterliteratur, der Diethardt Sawicki in seiner Studie Leben mit den Toten nachgegangen ist. Sawicki befasste sich darin mit den konkreten Praktiken und sozialen Motiven, die der Aneignung „geisterkundlichen Wissens“ zugrunde lagen. Er fragte nach „schwelenden Konflikten“,36 die bei Séancen und Geistererscheinungen von Mitgliedern sympathetischer Gruppen (Marcel Mauss) artikuliert wurden,37 und zeigte, dass sich hinter den prätendierten Jenseits-Kontakten, hinter den zahlreichen Schatzgräber- und Geistergeschichten des 18. Jahrhunderts oftmals politische oder persönliche Interessen verbargen. Damit verortete er die Jenseitserfahrung in den Bereich von Interessen- und Machtkonflikten, die von den jeweiligen Protagonisten verfolgt bzw. ausgetragen wurden. Auch die Braunschweiger Gespenstererscheinung könnte einer konkreten Interessengruppe, den Gläubigern des verstorbenen Hofrates, Profit verschafft haben. Höfers Bericht nennt mit der Tabaksschuld jedenfalls ein mögliches Motiv für den Gespensterbetrug. Der Text spricht die Möglichkeit eines solchen Betrugs zwar nur indirekt aus. Die Identifizierung möglicher Profiteure und ihrer Motive legt diese Vermutung jedoch nahe und wirft damit die Frage auf, wie der Gespensterbetrug überhaupt möglich war und ob die vermeintlichen Profiteure zudem als mögliche Verfasser der Textsammlung in Erwägung zu ziehen sind. Aufschlüsse über diese Fragen liefert der Hinweis, dass das Gespenst „bey dem Fortgehen nicht einen Fuß nach dem andern fortgesetzet hat, sondern die Beine steif geblieben [sind]“.38 Diese Umschreibung hat einen historischen Index und bedarf daher einer Kommentierung bzw. Explikation. Dass Gespenster „rutschen“ – so auch in Dantes Göttlicher Komödie –, ließe sich auf den Umstand zurückführen, dass sie über keinen festen Körper verfügen. Der gespenstische Gang weist Anklänge an den „Ingressum Deorum“ auf, der als spezifisches Differenzmerkmal
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Vgl. zur Schwester des Hofrats Dörrien Holger Bönning (Hg.): Deutsche Presse. Biobibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815. Bd. 3: Presse der Regionen Braunschweig / Wolfenbüttel / Hildesheim. Bearb. v. Britta Berg / Peter Albrecht, Teil 2: Blankenburg / Clausthal / Goslar / Hildesheim / Schöningen / Wolfenbüttel. Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, S. 960f. Zur Erbschaftsgeschichte siehe Walch: Artikel ‚Gespenster‘, Sp. 1293. Sawicki: Leben mit den Toten, S. 357f. Ebd., S. 33. [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 19.
gilt. Vor allem antike Götter gingen, ohne ihre Füße anzuheben, und unterschieden sich dadurch von sterblichen Menschen.39 Im 18. Jahrhundert setzte sich jedoch eine andere Deutung dieser auffälligen Gangart durch. Gespenster, die durch optische Medien erzeugt wurden, bewegten sich ebenfalls auf diese Weise fort. Mit Hilfe der laterna magica ließen sich zwar Gespensterbilder erzeugen, koordinierte Bewegungen aber nicht imitieren. Bei den Vorführungen mit diesem Medium konnte indes der Eindruck entstehen, die projizierten Gestalten „rutschten“ von einem zum anderen Ort. Entlang der Wand verschobene Bilder verursachten somit einen ähnlichen optischen Effekt wie der, der von Höfer beschrieben wird.40 Sie produzierten eine Devianz, die als Zeichen dilettantischer Darstellungsweisen begriffen wurde oder auf die mimetische Begrenztheit optischer Medien hindeuten konnte. Dass optische Darstellungsverfahren in betrügerischer Absicht zum Einsatz kamen, legt ein weiterer Hinweis nahe. Bezeichnenderweise blieb die Gespenstererscheinung so lange aus, wie der „Herr Professor und ich [Höfer – Y. W.] des Nachts Licht brennen“ ließen.41 Dass Gespenster bei Dunkelheit und nicht bei hellem Licht erschienen, zählt ohne Frage zum topischen Bestand der Gespensterliteratur. Aber auch die durch eine laterna magica erzeugten Projektionen waren nur in abgedunkelten Räumen möglich. Die technische Produktion von Gespenstern war somit an einschränkende äußere Bedingungen geknüpft, die mit dem topi39
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[Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig nebst denen von diesem Gespenste gesammelten Nachrichten ans Lichte gestellet von Adeisidaimone. Braunschweig 1749, S. 6–17, hier S. 13. Ebd. In einem Gutachten, das der Berliner Popularphilosoph Moses Mendelssohn in einer anlässlich der Schröpfer’schen Geisterbeschwörungen veröffentlichten Schriftensammlung 1776 publizierte, finden sich ähnliche Hinweise. Auch hier wird die gleitende Fortbewegungsart der Gespenster beschrieben. Sie ist für Mendelssohn allerdings ein Hinweis auf einen möglichen Betrug mit der laterna magica. Vgl. dazu: Herrn Moses Mendelssohns Anmerkungen über einen schriftlichen Aufsatz die Wunderthaten des berüchtigten Schröpfers betreffend, in: Johann Salomo Semler (Hg.): Samlung von Briefen und Aufsätzen über die Gaßnerischen und Schröpferischen Geisterbeschwörungen mit eigenen vielen Anmerkungen. Erstes Stück. Halle 1776, S. 67–80, hier S. 79: „In der Vermuthung einer Zauberlaterne bestärken mich vornemlich auch folgende Umstände: Die Geister schienen sich zu bewegen, ohne einen Fuß zu regen, nur als schwebend. Durch die Fortrückung des Bildes in der Zauberlaterne kann man die Erscheinung fortschweben lassen, aber den Füssen keine besondere Bewegung mittheilen. Dieser Umstand scheinet mir von nicht geringer Wichtigkeit zu seyn. Aus eben der Ursache werden auch wohl die Geister Arme und Hände auf die Brust geschlagen getragen haben, wie in dem Aufsatz erzählt wird [...]. Die Gesichter der Geister sehen wie ein geformter Dunst aus, welches vermittelst des Rauchs gar leicht zu bewerkstelligen ist.“ Vergleiche der durch die Laterne erzeugten optischen Eindrücke mit Gespenstern sind älter; vgl. dazu Andreas Gärtner: Kurtzer Bericht, Von denen unlängst gantz neu-erfundenen Höltzernen Parabolischen Brenn-Spiegeln, Und deren seltzamen Gantz Wunderbaren Wirkungen […]. Dresden 1712, zitiert nach Hermann Hecht: Pre-Cinema-History. An Encyclopaedia and Annotated Bibliography of the Moving Image Before 1896. London 1993, S. 32. Sawicki ist skeptisch, ob mit der magischen Laterne wirklich Aufführungen durchgeführt wurden. Er hält das eher für eine nicht belegbare Vermutung, Sawicki: Leben mit den Toten, S. 57. [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 19.
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schen Bestand der Geisterliteratur in Einklang standen. Für eventuell optisch erzeugte Geister gilt wie für ihre Vorgänger, dass deren Auftritte und Inszenierungsmöglichkeiten an Dunkelheit gebunden sind.42 Mit der Möglichkeit ihrer technischen Reproduzierbarkeit haben Gespenstervorstellungen ohne Frage eine Konjunktur erfahren. Vergleicht man die beiden Auftritte des Braunschweiger Gespenstes, die nächtliche Erscheinung auf dem Gang mit dem umrisshaften Auftauchen der Gestalt in der Luft, gilt, dass optische Medien offenbar einen Realismuseffekt erzeugten, der letztlich auch den Erfolg des Betrugs erklären soll. Somit deutet der Text an, dass die Täuschung mit Hilfe eines technischen Mediums gelingt und dass die Gläubiger als mögliche Initiatoren des Gespensterspuks anzusehen sind. Darüber hinaus haben Gespenstervorstellungen durch den Einsatz optischer Medien einen neuen Verbreitungsgrad erhalten, die Einführung der laterna magica dürfte also ihrerseits ein Imaginationspotential freigesetzt haben, das zur Aktualisierung einschlägiger Deutungstraditionen beigetragen hat. Es ist in der Tat verwunderlich, dass okkultistische Tendenzen und Gespenstervorstellungen oftmals mit der Einführung neuer Medien koinzidieren, dass sie zu dieser Zeit eine aufstrebende Konjunktur erleben und zugleich die Vorstellungen von Gespenstern verändern. Auch die Einführung der Photographie belegt einen derartigen Konnex.43 Einerseits setzt das Medium Deutungen frei bzw. bindet diese in neue Kontexte ein. Andererseits stellen traditionelle, bereits verfügbare kulturelle Deutungsmuster einen Bezugsrahmen dar, der auch die Verwendung neuer Medien reguliert. Dass dabei erstaunlich oft okkultistische und spiritistische Wissensbereiche aktiviert werden,44 hängt möglicherweise mit dem epistemischen Modellcharakter eines technischen Mediums zusammen. Es bemisst sich auch danach, ob sein Einsatz eine Ausweitung bestehender Wissensräume ermöglicht. Gemessen an derartigen Erkenntnispraktiken, zeugt Höfers Bericht von einem eher konservativen Umgang mit dem Medium. Indem er die Vorführung des Gespenstes als Täuschung und Betrug entlarvt, weist er die andernorts durch die mediale Neuerung freigesetzten Imaginationen als Irrtum aus. Höfer hält damit nicht nur am Deutungsparadigma des Betrugs fest. Er bekräftigt diese Deutung mit einem Erzählschema, das sich bis in die Gespenstergeschichte der Spätaufklärung fortsetzt.45 Indem er auf das Betrugsschema rekurriert, inszeniert der Text zudem einen medialen Umbruch. Er vollzieht einen Wechsel zwischen zwei optischen Medien: der 42
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Im Übrigen soll der verstorbene Hofmeister Dörrien sogar eine laterna magica besessen haben, die von den Betrügern möglicherweise entwendet und dann in betrügerischer Absicht zur Durchsetzung ihrer Ansprüche eingesetzt wurde, vgl. Jung-Stilling: Theorie der Geisterkunde, § 219, der auf eine Deutung eingeht, dass Dörrien keine Ruhe gefunden habe, weil er zu Lebzeiten Bilder der magischen Laterne entwendete. George Didi-Hubermann: Superstition, in: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotographie und Wissenschaft, Kunst und Technologie. Hg. v. Peter Geimer. Frankfurt/M. 2002, S. 434–440. Kittler: Draculas Vermächtnis, S. 19. Wilpert: Die deutsche Gespenstergeschichte, S. 83–198.
konventionellen, mit einer Kerze ausgestatteten Laterne und ihrem magischen Pendant. Bezeichnenderweise zählen beide zum Bildbereich der hier entworfenen Aufklärungsmetaphorik. Das Aus- und Beleuchten eines irritierenden locus numinosus wird jedenfalls zum Exempel für eine an der Welt orientierte Erkenntnisweise, die ihre Gegenstände durch den Akt der Selbstvergewisserung bestimmt. Wie das Fernrohr und das Mikroskop zählt die laterna magica zu denjenigen optischen Medien, welche die Darstellbar- und Wahrnehmbarkeit von Welt verändern. Epistemisch betrachtet, basiert dieses Verfahren wie die zuerst genannten auf der Erzeugung eines Augenscheins.46 Das gilt auch dann, wenn im ersten Fall die Natur, im zweiten Fall ein Abbild zur Darstellung kommt. Der Einsatz optischer Medien führt sowohl bei Oeder als auch bei Höfer zur Revision der anfangs vertretenen Auffassung, dass es sich bei dem Gespenst um eine Täuschung handelt. Das Instrument irritiert die geläufigen Existenzannahmen und bringt damit tradierte Wissensbestände ins Wanken. Es stellt die Grenze zwischen Realem und Imaginärem in Frage, indem es etwas Unbestimmtes in einen bestehenden Wissensraum einführt. Fraglich ist nun jedoch, welche Interessen sich mit einer derartigen Darstellung verbanden. Wer könnte hinter dieser Konstruktion stehen, in der es offenkundig nicht primär um die Gläubiger oder die Entlarvung eines Betrugs, sondern vor allem um die Inspektion des Gespenstes durch den Augenschein geht? Bezeichnenderweise wird Oeder in der Geschichte als Opfer porträtiert. Er erahnt zunächst aufgrund hervorstechender Indizien die Intention, die sich hinter der täuschenden Erscheinung verbirgt. Es ist jedoch gerade der mit dem Gespenst aufgenommene Dialog, der ihn zum Opfer oder Instrument der betrügerischen Intentionen werden lässt. Wie auch immer Oeders Rolle in der Episode zu bewerten ist, der Text rückt ihn ins Zentrum der Überlegungen und leitet damit auf die eigentliche Schlüsselfigur der Episode hin. Der Professor der Mathematik ist in der Tat das veritable Zielobjekt der Sammlung. Er findet auch in anderen Spotttexten Erwähnung. Dieser Umstand wirft die Frage auf, warum und aufgrund welcher Disposition Oeder zum Gegenstand derartiger Invektiven avancierte.
3.4. Die „göttliche Komödie“ Dass der Gespensterdiskurs ein geeignetes Medium des Spottes und Scherzes darstellt, wird nicht nur von zahlreichen Zeitgenossen konstatiert,47 sondern bereits durch eine dritte der Sammlung beigefügte Schrift deutlich. Das Extract eines 46 47
Jan-Henrik Witthaus: Fernrohr und Rhetorik. Strategien der Evidenz von Fontenelle bis La Bruyère. Heidelberg 2005, S. 12–22. [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, davon die eine in 4. die andere in 8.1747 vor weniger Zeit herausgekommen sind, ohne Benennung der Verfasser, jene zu Leipzig, diese zu Halle, in: Critische Bibliothek. Leipzig 1748, S. 37–69.
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Schreibens von Wolffenbüttel, welches auf den 27. März des Jahres 1747 datiert ist und angeblich ein externes Gutachten darstellt, kennzeichnet die Gespenster-Erscheinung gleich in der ersten Zeile als „phantasma“48 und nimmt damit auf einen Gegenstandsbereich der Satire Bezug. Der im Gutachtenstil verfasste Text schildert die Ereignisse zunächst aus Höfers Perspektive (‚ex ipsius narratione‘). Er weicht jedoch in verschiedenen Details sowie in den Namens- und Ortsangaben von dessen angeblichem Augenzeugenbericht ab. Deutlicher als Höfers Bericht bedient er sich nun der Mittel der Satire, um auf Oeders Schwäche hinzuweisen und auf einen möglichen Betrug aufmerksam zu machen. Zu den satirisch überzeichnenden Mitteln zählt zum einen die Verunglimpfung von Namen. Der Magister hieß eben nicht „Höbeln“, wie im Schreiben behauptet wird, sondern Höfer. Dazu zählen ferner Komposita wie „Gespensternachrichtensammler“, „Gespensterseherpatron“ und „Erscheinungshaberverfechter“,49 und dazu zählt schließlich die Schilderung des Gespenstes. Aufschlussreich ist dabei insbesondere die Darstellung seiner galanten Verhaltensweisen. Es wird nämlich berichtet, dass es bei seinen nächtlichen Besuchen vornehm an Oeders Schlafkammertüre geklopft habe und „mit vielen Verbeugungen“ hereingekommen sei. Es habe darauf zu sprechen versucht und wollte den Professor „embraßiren“. Zuletzt habe es „die Augen gegen den Himmel aufgeschlagen“ und sei „hierauf in der Luft verschwunden“.50 An dieser satirischen Version, die vor allem Oeder lächerlich machen soll,51 sticht der ausgesprochen höfliche Auftritt einer scheinbar galanten Figur hervor.52 Auch deren unangemessen devot wirkendes Verhalten könnte als Indikator einer satirischen Überzeichnung zu lesen sein, die auf einen seit Addison verbreiteten Typus der Gespensterdarstellung zurückgreift.53 Demgegenüber fallen Oeders eigene Hilflosigkeit, seine offenkundige Eitelkeit sowie seine Ängstlichkeit auf, die ihn zur Leichtgläubigkeit geradezu prädestinieren. Dabei wird ein stereotyper Topos eingesetzt, um einen Geisterseher zu verspotten, der ebenso ungalant wie unbeholfen im Umgang mit Menschen und Ge48 49 50 51
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[Anonym]: Extract eines Schreibens von Wolffenbüttel den 27. März 1747, in: Unpartheiische Beurtheilung, S. 19–21, hier S. 19. [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen allhier in Braunschweig, S. 36. [Anonym]: Extract eines Schreibens von Wolffenbüttel den 27. März 1747, S. 20. Zur Gelehrtensatire Gunter E. Grimm: Letternkultur. Wissenschaftskritik und antigelehrtes Dichten in Deutschland von der Renaissance bis zum Sturm und Drang. Tübingen 1998 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 60); Leonard Forster: „Charlataneria eruditorum“ zwischen Barock und Aufklärung in Deutschland. Mit dem Versuch einer Bibliographie, in: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, Bd. 1. Hg. v. Sebastian Neumeister / Conrad Wiedemann. Wiesbaden 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 14), S. 203–22. Das Interesse an elektrischen Vorführungen war im populären und höfischen Milieu lokalisiert, vgl. Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft, S. 45–48. Joseph Addison: Taste and the Pleasures of the Imagination (19. Juni – 3. Juli 1712), in: Critical Essays from ,The Spectator‘ by Joseph Addison with four Essays by Richard Steele. Edited by Donald F. Bond. Oxford 1970, S. 172–209, hier S. 201.
spenstern ist. Erst in der Verbindung von höfischer Schein- und geisterseherischer Betrugswelt gelangt die Satire zu ihrer vollen Wirksamkeit. Neben der allgemeinen Darstellung menschlicher Schwächen, z.B. übermäßiger Furcht, wird ferner auf Situationen angespielt, die Anklänge an Audienz- oder Beichtszenen aufweisen. Der zum Himmel gehende Blick des Gespenstes weist möglicherweise auf eine katholische Märtyrer-Ikonographie hin. Er ließe sich entsprechend als Verunglimpfung mit konfessionellem Hintergrund deuten. Die Satire bediente sich dabei eines religionskritischen Topos, um das auch von Christian Hollmann beschriebene „neue Gespenstersehen“ in den Kontext der katholischen Märtyrologie zu stellen.54 Sie greift eine mögliche religionshistorische Deutung von Gespenstervorstellungen auf. Demnach wird Märtyrern wie Gespenstern eine Vermittlerrolle zwischen Diesseits und Jenseits zugewiesen.55 Zentral ist hier jedoch, dass die satirische Überzeichnung auf einen naturtheoretischen Zusammenhang hinweist. Sie legt nahe, dass sich der Mathematiker hinsichtlich der Körperlichkeit des Gespenstes irrt, weil er dessen Körper zunächst für undurchlässig hält,56 diese Auffassung nach der gründlichen Inspektion allerdings revidiert. Denn das Gespenst entfernt sich keinesfalls auf eine für feste, unverwandelbare Körper übliche Weise. Es transformiert sich vielmehr, löst sich in Luft auf, indem es seinen Festigkeitsgrad verändert und erweist sich dabei als veritabler Verwandlungskünstler. Der Schluss des Berichts leitet somit zu naturtheoretischen Fragen über, die ins Zentrum der eigentlichen Kontroverse führen.
3.5. Das Gespenster-Fluidum Neben anderem richtet der Text das Augenmerk auf den durchaus kuriosen Abgang des galanten Gespenstes. Dessen Hochfahren in die Luft wird vom Verfasser mit dem Aufsteigen von „Effluvia“ aus einem Kohlenfeuer verglichen: Diesemnächst aber wird er [Oeder – Y. W.] ungeduldig, und vielleicht durch eine sehr natürliche Furcht bewegt. Er fängt es [das Gespenst – Y. W.] also an zu verfluchen und zu vermaledeyen, da es denn sehr erbärmlich die Hände gerungen, die Augen gegen den Himmel aufgeschlagen, und hierauf in die Luft verschwunden; gleich als von einem Kohlfeuer bey kalter Witterung die Effluvia auszugehen pflegen.57
Der Text parallelisiert verglühende Feuerfunken, die beim Verbrennen von Kohle entstehen, mit der Transformation eines Gespenstes in der Luft und wirft damit zu54
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[Anonym]: Von neuen Geister=Erscheinungen, S. 105–111, in: Der Zerstreuer, 14. Stück, 8. April, Göttingen 1737 und 15. Stück, 15. April; [Anonym]: Gedancken über die letzt gedachte Geisterhistorie, S. 113–120. So auch Jean-Claude Schmitt: Ghosts in the Middle Ages, S. 88. Dass Gespenster wie antike Dämonen dieselbe Mittlerfunktion wie katholische Märtyrer und Heilige übernahmen, ist eine schon in Augustinus’ De civitate Dei überlieferte Auffassung. [Anonym]: Extract eines Schreibens von Wolffenbüttel, S. 20. Ebd.
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nächst die Frage auf, welche Gemeinsamkeiten um 1750 zwischen der Gespensterund der so genannten effluvium-Theorie bestanden. Zwar bleibt offen, ob es sich bei dem effluvia-Vergleich um eine möglicherweise von Oeder selbst präferierte Deutung handelt, oder vielmehr um ein Bild, das der Erzähler verwendet, um den Abgang des Gespenstes zu beschreiben. Der durchaus erklärungsbedürftige Vergleich ist aber dem Oeder vertrauten Feld der Naturlehre entnommen.58 Der Autor des hier vorliegenden Berichts spielt damit jedenfalls auf eine Diskussion an, die durch die Elektrizitätslehre einen Aufschwung erfahren hatte und sowohl von der Berliner Akademie der Wissenschaften59 als auch in den Universitätszentren Leipzig,60 Halle61 und Göttingen62 geführt wurde. Zwar war die effluvium-Theorie zu diesem Zeitpunkt als mögliches Erklärungsmodell für Elektrizität nicht mehr unumstritten. Ein Blick auf die Abhandlung des in Halle ansässigen Mediziners Christian Gottlieb Kratzenstein zeigt,63 dass die 58
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Nach dem Kenntnisstand der Zeit stellte das effluvium einen Ausfluss oder eine Ausdünstung dar, die als elektrische Entladung interpretiert werden konnte. Allgemein wurde die effluviumTheorie (wie die Äther- oder Feuertheorie) als Erklärungsmodell für Veränderungen in Körpern oder Elementen, z.B. für Wärmezu oder -abnahmen, herangezogen. Wie mit der Ätheroder Feuertheorie konnte damit eine Vielzahl von Phänomenen aus einer gemeinsamen Ursache erklärt werden. Das galt um 1740 nicht nur für Wärmephänomene und für Funkenbildungen, sondern gleichermaßen für elektrische Reibungsversuche, bei denen auch Funken erzeugt wurden. Die Eröffnungssitzung der Berliner Akademie von 1744 unter Friedrich II. beginnt mit einem elektrischen Experiment, nämlich mit dem Anzünden einer brennbaren Substanz durch einen elektrischen Funken. Im August 1744 wird die Preisfrage nach der „Ursache von der Elektricität der Körper“ ausgesetzt. Daniel Gralath: Nachricht von einigen Electrischen Versuchen, in: Versuche und Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig 1 (1747), S. 506– 534. Mit der Leidener Flasche experimentierte im deutschen Sprachraum zuerst Ewald v. Kleist, dann die Danziger Gesellschaft 1743 und die Stettiner Alethophilische Gesellschaft 1743. Von Kleist führte in Kammin (Pommern) 1745 elektrische Verstärkungsschläge mit der Flasche aus, darüber wird die Berliner Akademie in Kenntnis gesetzt, vgl. Rudolf Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Physik in Deutschland (1740–1890). Frankfurt/M. 1984, S. 264. Parallel dazu wurden in Leyden Experimente durchgeführt, Informationen darüber gelangten über Pieter van Musschenbroek in einem Brief an René-Antoine Reaumur und Jean Allaman an die Akademie, Abbé Nollet nimmt darauf Bezug. Vgl. Mémoire de l’Academie Royale des Sciences de l’année 1746. Weitere Protagonisten sind Georg Matthias Bose und Christian August Hausen. Vgl. Johann Heinrich Winkler: Gedanken von Eigenschaften, Wirckungen und Ursachen der Electricität. Leipzig 1744; ders.: Die Staerke der Electrischen Kraft des Wassers in gläsernen Gefäßen. Leipzig 1746; ders.: Grundriß zu einer ausführlichen Abhandlung von der Electricität. Leipzig 1750, sowie ders.: Anfangsgründe der Physik. Leipzig 1754. Zu Andreas v. Segner, Samuel Christian Hollmann und Albrecht v. Haller vgl. Rudolf Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 264. Zu Gottfried Sellius, Johann Gottlob Krüger, Christian Gottlieb Kratzenstein und Christian Wolff vgl. Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 262. Vgl. dazu sowie zum Seelen- und Körperbegriff eine in Halle von Heinrich Friedrich Delius und Kratzenstein vertretene Position, auf die auch Georg Friedrich Meier Bezug nimmt. Christian Gottlieb Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electrizität in der Arzneywissenschaft. In einem Schreiben an Georg Friedrich Faber. Halle 21745; ferner Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue. In einem Schreiben an Heinrich Friedrich Delius am 7.
Theorie zunehmend durch alternative Entwürfe ersetzt wurde.64 Dennoch war sie als Modell in der Diskussion präsent. In Kratzensteins Abhandlung über Elektrizität von 1745 heißt es dazu: Der letzte Knoten bei diesem Lehrbegrif von der Electricität ist die Ursach: Warum man die Cörper nicht durch blosses Erwärmen über einem Kohlfeuer electrisch machen kann. Wenn man einen Cörper electrificiren will, so muß man dahin sehen, dass sich die electrische Materie starck um denselben häufe […] Erweget man aber, daß nicht die blosse Wärme, sondern vielmehr eine Menge subtiler Schwefeltheilchen, welche aus denen electrischen Cörpern herausgejaget werden muß, zur Electricität gehöre, so siehet man leicht, dass man solches nicht durch blosses Erwärmen, sondern durch Reiben erhalten muß.65
Obschon Kratzenstein die alte Lehre durch einen Schwefelverweis ersetzt, wird mit der Nennung der aus Kohlen entstehenden effluvia dennoch ein direkter Bezug zu der seinerzeit virulenten Elektrizitätsdiskussion hergestellt. Daraus lässt sich auch ein indirekter Bezug zwischen Elektrizitäts- und Gespenstertheorie ableiten. Wie die folgenden Ausführungen veranschaulichen werden, haben beide eine gemeinsame konzeptionelle Basis in der Elementenlehre.66 Bereits der erwähnte Hermetiker Heinrich Nollius hatte eine Gespenstertheorie vorgelegt, der zufolge Gespenster als Ausdünstungen von Elementen zu begreifen wären. Ebenso wie das Kohlfeuer seine Eigenschaften durch die Verbindung und die Ablösung vom effluvium verändere, würden sich auch physikalische Eigenschaften menschlicher Körper mit dem Tod modifizieren. Die Körper könnten sich in luftige Ausdehnungen, d.h. in Gespenster, verwandeln. Der auch von Walch zitierte Nollius befasst sich in seiner Physica Hermetica ausführlich mit dieser These, er deutet Gespenstererscheinungen als Ausdünstungen bzw. Dämpfe verwesender Körper und stützt seine Annahme auf die paracelsische Elementenlehre.67 Nicht nur die lexikographische Tradition kennt diese hermetischen Quellentexte.
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Oktober 1744; ders.: Fortsetzung der Beweise: Daß die Seele ihren Cörper baue. Zweites Schreiben am 14. Oktober 1744; die dritte Auflage dieser Schriften erscheint unter dem Titel Physicalische Briefe 1746 in Halle, sie enthält ein Antwortschreiben von Heinrich Delius. Die vierte Auflage erscheint 1772 ebenfalls unter dem Titel Physicalische Briefe, vgl. dazu Andreas Kleinert: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin, in: Carsten Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung. Tübingen 2001, S. 91–102, hier S. 92. Stichweh: Zur Entstehung, S. 129. Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 9. Zur Bedeutung der Elektrizitätslehre für die Anthropologie der Aufklärung vgl. Koschorke: Körperströme, S. 121; Marielene Putscher: Pneuma, spiritus, Geist. Vorstellungen vom Lebensantrieb in ihren geschichtlichen Wandlungen. Wiesbaden 1973; Ernst Benz: Theologie der Elektrizität. Zur Begegnung und Auseinandersetzung von Theologien und Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Wiesbaden 1971; Karl Rothschuh: Von der Idee bis zum Nachweis thierischer Elektrizität, in: Sudhoffs Archiv für die Geschichte der Medizin 44 (1960), S. 25–44. Artikel ‚Gespenster‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1746f. Als Anschauungsbeispiel wählt er so genannte Friedhofserscheinungen, die er mit natürlichen Verdampfungsprozessen bei Körperverwesungen erklärt.
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Einige ihrer Theorieangebote werden im Elektrizitätsstreit präsent gehalten, wie ein Blick auf die im Umfeld von Kratzenstein veröffentlichten Schriften zeigt. Nollius’ Elementar- und Kratzensteins Elektrizitätslehre beziehen sich gleichermaßen auf die Wirkung von Schwefel- bzw. Salzelementen als mögliche Auslöser für Veränderungen in Körpern. Sie rekurrieren auf nicht-aristotelische Naturlehren und haben hierin einen gemeinsamen Bezugspunkt. Zwar liefert Kratzenstein keine Gespenstererklärung. Mit seiner von der Akademie in Bordeaux ausgezeichneten Preisschrift von 1743, der Théorie de l’élévation des vapeurs et des exhalations, démonstrée mathématiquement lag aber eine Erklärung der Dampfentwicklung vor. Sie führt die Ausdünstungen und Dämpfe auf belebte Partikel der Materie zurück, die nach dem Zerfall irdischer Körper in ihre ursprünglichen Elemente zurückkehrten,68 und liefert somit eine Theorie, die durchaus an Nollius erinnert. Fraglich scheint jedoch, ob die effluvia-Theorie hier bemüht wird, um eine natürliche Erklärung der Gespenster zu liefern, oder ob nicht umgekehrt die Gespenster bemüht werden, um die Elektrizitätslehre zu verspotten. Als wahrscheinlicher und dem satirischen Ton der Schrift angemessener bietet sich zunächst die letztgenannte Vermutung an. Entsprechend würde sich hinter dem satirischen Impuls der anonymen Schrift ein impliziter Angriff auf die Elektrizitätslehre verbergen, der mit einer unser heutiges Aufklärungsverständnis irritierenden Beobachtung einhergeht. Jung-Stillings Zuweisung, der zufolge sich die Aufklärungsepoche durch massiven Gespensterspott bzw. eine deutliche Gespensterkritik auszeichne, lässt sich auf diese Kontexte nicht übertragen. Im Gegenteil: Der Gespensterspott wurde gegen Naturkundige 68
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Vgl. Christian Gottlieb Kratzenstein: Théorie de l’élévation des vapeurs et des exhalations, démontrée mathématiquement. Bordeaux 1743; deutsch: ders.: Abhandlung von dem Aufsteigen der Duenste und Daempfe. Halle 1744 (sowie 21746); ders.: Theoria electricitatis. Halle 1746; ders.: Abhandlung von der Erzeugung der Wuermer im menschlichen Körper. Halle 1748, vgl. ferner Arina Völker: Christian Gottlieb Kratzenstein (1723–1795) und die Anfänge der Elektrophysiologie, in: Wolfram Kaiser / Hans Hübner (Hg.): Hallesche Physiologie im Werden. Hallesches Symposium 1981. Halle 1981 (Wissenschaftliche Beiträge der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg 39) S. 55–62; Egill Snorrason: C. G. Kratzenstein, professor physices experimentalis Peropol. et Havn. and his Studies on electricity during the eighteenth century. Odense 1974 (Acta historica scientiarum natualium et medicinalium 29); Eduard Jacobs: Christian Gottlieb Kratzenstein. Der Naturforscher, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Alterthumskunde 14 (1881), S. 133–160; Wolfram Kaiser: Christian Gottlieb Kratzenstein (1723–1795) und die Anfänge der Elektrotherapie, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 2 (1995), S. 41–53. Kratzenstein lehnte sich mit seiner Elemententheorie von der Rückkehr und Genese der Materie offenkundig an Abraham Trembleys und Charles Bonnets in den 1740er Jahren publizierte Ergebnisse zur Insektenforschung und Parthenogenese, d.h. zur nicht geschlechtlichen Reproduktion, an, auf welche auch bis in die 1780er Jahre einflussreiche Geisterseher und Magier wie Cagliostro noch Bezug nahmen. Vgl. dazu: Virginia Dawson: Nature’s enigma. The Problem of the Polyp in the Lettres of Bonnet, Trembley and Réaumur. Philadelphia 1987. Kratzenstein wird von Euler protegiert, vgl. dazu Kratzenstein an Euler, den 14. März 1747, in: Die Berliner und Petersburger Akademie der Wissenschaften im Briefwechsel Leonhard Eulers. Hg. u. eingeleitet v. Adolf Pavlovic Juskevic / Eduard Winter, Bd. 3. Berlin 1976, S. 177.
eingesetzt, die sich um eine scheinbar natürliche Erklärung der Gespenster bemühten und nach heute üblichen doxographischen Konventionen durchaus zur Aufklärungsformation zu zählen wären. Den wissensgeschichtlichen Einsatzpunkt der untersuchten Gespenster-Polemik stellten demnach die nicht-aristotelische Elementenlehre und Newtons Kräftephysik dar. Hinter der Gespensterkontroverse steht, wie die Satire belegt, vordergründig das auflebende Interesse an elektrischen Phänomenen, an Lichterscheinungen, Wärmeregulationen und am Magnetismus und damit also an einem Phänomenbereich, „der seit Newtons ,Optics‘ den Kern der Experimentalphilosophie des 18. Jahrhunderts ausmacht“.69 Die Kontroverse ist somit in einen naturtheoretischen Streit einzuordnen, der weit über den hier diskutierten Einzelfall hinausreicht und sich zu kosmologischen Kontroversen des 18. Jahrhunderts – wie z.B. dem Berliner Monadenstreit – in Bezug setzen ließe. Er betrifft die gesamte Organisation von Wissensbeständen bzw. geltenden Wissensordnungen.70 Wieso aber wurden ausgerechnet Gespenster um 1750 zum Gegenstand, an dem sich weiterreichende naturtheoretische und kosmologische Fragen erörtern ließen? Hängt dieser Geltungsgewinn möglicherweise mit dem sich um diese Zeit herum neu formierenden Wissenschaftssystem zusammen? Mit der um 1750 einsetzenden Neuorganisation von Wissensbeständen hat sich ausführlich der Systemtheoretiker und Wissenschaftshistoriker Rudolf Stichweh befasst. Er ist besonders den epistemischen Umstrukturierungsprozessen nachgegangen. Dabei hat er sein Augenmerk auf die so genannten Imponderabilien gelegt, d.h. auf nicht weiter kategorisierbare und klassifizierbare Naturphänomene. Zwar untersucht Stichweh die Imponderabilien stellvertretend für das gesamte Theorieinventar der Naturlehre insbesondere hinsichtlich eines Ausdifferenzierungsprozesses. Für den vorliegenden Kontext ist die Lehre deshalb entscheidend, weil sie Hinweise auf das wissensgeschichtlich relevante tertium comparationis liefert, das dem Vergleich von Gespenstern und effluvia zugrunde liegt. Von der mathematisierbaren Hydraulik, von der Hydrostatik oder Fluidummechanik abgegrenzt, bezeichnen Imponderabilien nicht nur Trägersubstanzen, die sich mit Körpern verbinden und das Auftreten beobachteter Phänomene erklären sollen, sondern die auch ähnliche physikalische Eigenschaften (Durchlässigkeit, Undurchsichtigkeit) aufweisen wie Gespenster. Sie stellen überdies eine Herausforderung für das deduktiv-klassifizierende Wissenssystem (der Wolffschen Schule) dar, weil sie – z.B. aufgrund ihrer Transformationseigenschaften – jedes Kategoriengefüge sprengen. Auch Gespenster sind in diesem Sinn Imponderabilien mit epistemischer Sprengkraft. Sie sind Zwischenwesen ohne positive Substanzeigenschaften und lassen sich schon deshalb nicht klassifizieren. Damit markieren sie die Grenzen des geltenden Systems. Die Persistenz, mit der Zeitgenossen Ge69 70
Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 116. Vgl. dazu ausführlicher das achte Kapitel.
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spenster zunehmend nicht mehr nur als Testfall für den Glauben, sondern vor allem als Testfall des Wissens wahrnehmen, macht letztlich auf ein Manko dieses Wissenssystems aufmerksam und trägt wohl zu dessen weiterer Erosion bei. Um die fragliche Materialität bzw. Körperlichkeit der Gespenster zentrieren sich entsprechend zahlreiche Texte der zitierten Sammlung. Bereits der Höfer zugeschriebene Bericht lässt ein signifikantes Interesse an der physis sowie den Bewegungseigenschaften des Gespenstes erkennen. In der einleitenden Beschreibung werden dessen Sprachlosigkeit sowie seine Fähigkeit hervorgehoben, durch verschlossene Türen zu gehen und dabei den Sichtbarkeitsgrad zu verändern.71 Mit dem Hinweis auf die verschlossenen Türen greift Höfer einen biblischen Topos auf, die auf die Propheten und Christus hinweist. Sie werden ferner zu zentralen Argumenten in der durch Balthasar Bekker ausgelösten „spiritus non habet carnem et ossa“-Diskussion.72 Auch in der vorliegenden Sammlung wird dieser semantische Apparat aktualisiert. Dabei steht jedoch nicht der fragliche Status des Gespenstes als numinose Erscheinung, sondern vor allem seine Deutbarkeit als Naturphänomen im Vordergrund.73 In einer 1749 herausgegebenen Sammlung, die ebenfalls auf die Braunschweiger Episode reagiert, wird der Nutzen der Erscheinung darin gesehen, dass er Rückschlüsse auf Übergangszonen von sichtbarer und unsichtbarer Körperlichkeit liefert und dass er Anweisungen enthält, wie diese Zonen eingegrenzt und interpretiert werden können.74 Für deutliche Überlagerungen mit der Elektrizitätsdiskussion sprechen also nicht nur die bereits erläuterten systemkritischen Gemeinsamkeiten, sondern auch epistemische Praktiken, mit denen Übergänge von Körperlichkeit und Nicht-Körperlichkeit dargestellt wurden. Auffällig an Höfers Bericht sind ferner die detaillierten Schilderungen der Aufund Abtritte des Gespenstes, wobei er nach verschiedenen Arten des Abgangs unterscheidet. Nach dem ersten Kontakt mit Oeder „verschwindet“ das Gespenst lediglich. In der zweiten Episode „retiriret“ es sich und „verschwindet“ im Anschluss daran. In der dritten Begegnung kann es sogar durch verschlossene Türen treten, um im Vorsaal erneut zu erscheinen. In der vierten und letzten Episode ist es schließlich „auf einmal unsichtbar“. Deutlich lässt sich an dieser Aufzählung eine Steigerung ablesen, die vom nicht näher beschriebenen Verschwinden hin zu seiner von Oeder offenbar beobachteten Entmaterialisierung in der Luft reicht. Der Abgang durch verschlossene Türen, der mit den Gesetzmäßigkeiten mechanischer Festkörperphysik nicht in Einklang steht, deutet erneut auf die permeablen oder subtilen Körpereigenschaften des Gespenstes hin.75 Sie kommen bezeichnenderweise erst im Verlauf der gesamten Episode zur Entfaltung, und zwar durch die Art 71 72 73 74 75
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[Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 19. Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 222f. [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 19. [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen allhier in Braunschweig, S. 14. [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 19.
und Weise, wie Oeder die Situation gezielt variiert. Die Kommunikation mit dem Gespenst scheint also nicht nur dessen (endgültiges) Verschwinden zur Folge zu haben, sondern zunächst die verborgenen Aspekte seiner physischen Verfassung zu Tage zu bringen. Gerade hierin liegt offenbar der größte vermeintliche Nutzen der Begegnung. So heißt es auch in dem bereits erwähnten späteren Bericht: Diese sonderbare Erfahrung kann in der Lehre von den Geistern von grossem Nutzen seyn, zumal wenn man die Anmerkungen des Herrn Prof. Oeders in reife und genaue Betrachtung ziehet. Die vornehmsten derselben sind folgende: […] 6) Sind alle Bewegungen sehr langsam gewesen, und eben so ist er [der Geist – Y. W.] auch verschwunden, nicht auf einmahl, sondern nach und nach, als man endlich gar nichts mehr sehen können.76
Die Begegnung erbringt somit neue Erkenntnisse; am Ende der Episode weiß Oeder mehr über die materialen Eigenschaften des Gespenstes als zuvor. Hinsichtlich ihrer Rahmen- und Verlaufsbedingungen weist die Begegnung mit dem Gespenst durchaus Bezüge zu den im 18. Jahrhundert durchgeführten Naturbeobachtungen und elektrischen Experimenten auf. „In Wahrheit!“, vermerkt ein kritischer Beobachter: Solche herzhafte Gespenster erscheinen nicht alle Jahre: und man muß also eine so merkwürdige Begebenheit nicht unachtsam vorbeylassen. Warum sollte man sie also in einer ewigen Vergessenheit begraben, da man doch wohl gemeinere Dinge der Bekanntmachung würdig schätzt […]. Man beschreibt ja Sonn= und Mondfinsternisse, Ringe um Sonne und Mond, Nordlichter, electrische Versuche u.d.g. Warum sollte man nicht Erfahrungen gelehrter Männer aus dem Reiche der Geister für merkwürdig halten; und sie zu genauer Erklärung dieses wichtigen Theils der Weltweisheit, anzuwenden suchen.77
Zwar sieht der Autor die Gemeinsamkeit zwischen Experimenten, Beobachtungen und Gespensterseherei darin begründet, dass sie gleichermaßen „merkwürdig“ und nützlich für die Naturlehre seien. Zwar wird der Vergleich als Argument für die Bekanntmachung des Falls angeführt. Dennoch ist die Parallelisierung von elektrischem Versuch und Gespenstererfahrung aufschlussreich. So wie Höfer sie rekonstruiert, erinnert die Begegnung Oeders mit dem Gespenst nämlich noch in einer anderen Hinsicht an Experimentalpraktiken. Sie zeichnet sich durch den Akt der überprüfenden Wiederholung aus, den er unter konstanten und variierenden Bedingungen vollzieht. In geradezu pedantischer Manier richtet sich Oeders Blick dabei auf die jeweils beobachteten Besonderheiten der Erscheinung (z.B. die Pfeife, die Haltung etc.), wobei er die Haltung eines vermeintlich neutralen Beobachters einnimmt. Das gilt in ähnlichem Maß auch für Höfer, denn er notiert das örtliche und zeitliche Auftreten seiner Verletzung genau und beschreibt deren Ausbreitung im Detail.
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[Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen allhier in Braunschweig, S. 13f. Ebd., S. 26.
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Zudem hat die Erwähnung der Läsion einen konkreten historischen Bezug zu Elektrizitätsexperimenten, der auch erklären könnte, warum der Text diesen Umstand so ausführlich beschreibt. Die Läsion deutet auf Risiken und Verletzungsmöglichkeiten, die nicht nur im Umgang mit Gespenstern, sondern vor allem mit Elektrizität auftraten. Eine nahezu identische Verletzung war nämlich im selben Jahr nach einem Versuch mit Elektrizität beobachtet worden. Wie der Hallesche Experimentator und Professor für Physik Johann Gottlob Krüger in seiner Zuschrift berichtet, haben Funken, die er als die Wirkung einer subtilen Materie erklärte,78 bei Elektrizitätsversuchen schmerzhafte Hautläsionen und deren Streuung verursacht.79 Von diesem Fall berichtet ferner sein Schüler Christian Gottlieb Kratzenstein in den Halleschen Anzeigen.80 Auch die Affäre Richmann war, ungleich prominenter, noch in aller Munde. Ähnlich wie bei Geisterbeschwörungen wurde mit diesen Versuchen die Grenze zwischen Leben und Tod ausgelotet, wie sich z.B. an Reanimationsexperimenten ablesen lässt. Angeregt von Beobachtungen Daniel Bernoullis, versuchte zum Beispiel der Göttinger Physiologe Albrecht von Haller ein ertränktes Huhn wieder zu beleben, jedoch erfolglos.81 Trotz dieser Gefahren und Rückschläge führte die Aufbruchstimmung der 1740er Jahre offenkundig zur explosionsartigen Verbreitung von Elektrizitätsversuchen und lieferte damit einer Schaukultur Vorschub, die zugleich eine umfangreiche Spottliteratur nach sich zog. Die Gespensterkontroverse zielt unmittelbar in den Kernbereich dieser Experimentalkultur. Ein (möglicherweise fingierter) Brief Johann Oeders liefert darüber weitere Aufschlüsse. Ihm lässt sich entnehmen, dass Oeder offenbar ein Protagonist der Experimentalkultur war und dass genau dieser Umstand ihn zur Zielscheibe des Gespensterspotts gemacht haben könnte.
3.6. Der Brief des „Herrn Professor Oeder“ Ein weiterer der Sammlung beigefügter Text besteht aus einem angeblich von Johann Ludwig Oeder verfassten Brief an einen zunächst nicht näher benannten Göttinger Professor sowie einem einleitenden Kommentar dazu:
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Johann Gottlob Krüger: Geschichte der Erde in der aller ältesten Zeit. Halle 1746. Johann Gottlob Krüger: Zuschrift an seine Zuhörer Worinnen er Ihnen seine Gedancken von der Electrizität mittheilet, Paragraph 12 und 13. Hier zitiert nach Alfred Schmid: Zur Geschichte der Elektrotherapie vom Altertum bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: FS für Jacques Brodbeck-Sandreuter. Hg. v. A. Werthemann. Basel 1942, S. 73–121, hier S. 86: „Wenn nun die Electricität nicht nur Flecken auf der Haut zu erregen; sondern auch durch den ganzen Cörper sich fortzupflanzen vermögend ist: so wird man nicht zweiffeln, daß durch die Electrification auch in den verborgensten Theilen des menschlichen Leibes Veränderungen hervorgebracht werden können, sie mögen auch bestehen worinnen sie nur immer wollen.“ Postskript: Halle 21. Dezember 1743. Sie berichten 1744 auch von der Heilung Gelähmter, in den Halleschen Anzeigen erscheint ebenfalls eine Mitteilung von Johann Joachim Lange. Schmid: Zur Geschichte der Elektrotherapie, S. 94.
Er [Oeder] hat indessen diese Begebenheit den gelehrten Professoribus in Göttingen communiciret, welche insgesamt es vor den wichtigsten Casum halten, den sie in ihrem Leben gehöret. Daher sie nun auch gemeinschaftlich alle Untersuchungen anstellen, um wo möglich eine mehrere Erkenntniß in der Geisterlehre zu erhalten.82
Als Zweck des ominösen Briefes wird angegeben, er wollte ihm bekannte Gelehrte über den Fall unterrichten. Diese Intention wird durch die Bemerkung untermauert, Oeder habe vor, in einer so gewichtigen Materie „genauere Untersuchung“83 anzustellen. Er halte die Erscheinung für einen bedeutenden „casus“, durch den „mehrere Erkenntniß in der Geisterlehre zu erhalten sey“.84 Der Brief an einen Göttinger Professor85 setzt folgendermaßen ein: Ew. Hoched. muß hier eine curieuse Historie erzehlen, womit ich Sie, nach dem Credit, in dem ich mir schmeichele bey Ihnen zu stehen, auf andere Gedancken in der Geisterlehre und Gespenstergeschichte bringen würde, wenn Sie nicht zu scharfsinnig wären, um hierinn ein Thomasianer zu seyn.86
Der Hinweis auf die „Thomasianer“ hat Signalfunktion und soll zunächst Auskunft über Oeders intellektuellen Hintergrund liefern. Wie einer Rezension von Georg Friedrich Meiers Gedancken von Gespenstern zu entnehmen ist,87 fungiert die Bezeichnung nicht als Label für den ungläubigen Thomas, sondern als Chiffre für Christian Thomasius und damit für eine kritische Haltung gegenüber Geistern, d.h. zwar nicht für die Leugnung ihrer Existenz, wohl aber der Möglichkeit ihrer Wirkung in der Welt. Diese Auffassung wurde zwar als atheistisch gebrandmarkt, reagierte aber, das wird oftmals vergessen, apologetisch auf die Gespensterkritik des reformierten Theologen Balthasar Bekker. Letzterer argumentierte mit dem Ausschluss des Gegenteils, indem er deutlich machte, dass Gespensterbefürworter ihre Annahme ebenso wenig beweisen können wie deren Gegner. Um 1750 wird genau dieses Argumentationsmuster als problematisch erachtet. Der thomasianische Einwand gegen die unmögliche Wirkung von Geistern argumentiert allerdings ebenso erfahrungsunabhängig, insofern er die Unkörperlichkeit als definiens voraussetzt und daraus die Unmöglichkeit der Wirkung ableitet. Damit entzieht sich das Argument aber einer Überprüfung an der Welt. Thomasius’ kategorische Argumentation ist mit der um 1750 vollzogenen Hinwendung zur Erfahrungswelt deshalb nur bedingt kompatibel. Unter dem Empirisierungsdruck
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[Anonym]: Extract aus einem Briefe des Herrn Prof. Oeders aus Braunschweig, in: Unpartheiische Beurtheilung einer neulich unter dem Titul gedruckten Schriften Sammlung einiger Nachrichten, S. 19. [Anonym]: Nachricht von einer merckwürdigen Begebenheit, S. 17. Ebd., S. 19. [Anonym]: Extract aus einem Briefe des Herrn Prof. Oeders aus Braunschweig, S. 21. Demnach hatte Oeder noch nach seinem Studienabschluss Kontakt zum Göttinger Universitätsmilieu. Ebd. [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, S. 38f.
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gerät eben diese Position in die Kritik. Das deutet jedenfalls Georg Friedrich Meier in seiner 1749 publizierten Vertheidigung der Gedancken von Gespenstern an: Da nun der Herr Verfasser selbst gesteht, daß man die Gespenster nicht a priore demonstriren könne, so sind wir in diesem Stücke einerley Meinung. Alle unsere Erkenntnis a priore mus auf Erklärungen gegründet werden, und da uns nun diese bey den Gespenstern fehlen, so habe ich eben das gesagt, was der Herr Gegner bewiesen hat.88
Gerade weil man keinen Grund ihrer Wirkungsmöglichkeit angeben kann, lassen sich Gespenster nicht erfahrungsunabhängig beweisen. Daraus folgt aber nicht, dass ihre Existenz nicht empirisch bewiesen werden könne, vorausgesetzt natürlich, man weiß, wonach man sucht. Gespensterwissen kann sich an der Welt orientieren, wobei sich an diesem Beispiel nachdrücklich zeigen lässt, dass für die Orientierung in der Welt Konzepte notwendig sind, insofern sie ein Suchraster für die Beobachtung von Naturphänomenen darstellen. Aus der Forderung, die Konzeptbildung an der Welt zu orientieren, wird an dieser Stelle eine Modifizierung der Thomasianischen Position abgeleitet. Während ein anonymer Rezensent der Sammlung Thomasius noch für die Durchsetzung der juristischen Reform in Halle bzw. für die Abschaffung der Hexenprozesse wertschätzt89 und ihn gegen den Vorwurf des Atheismus in Schutz nimmt,90 verfolgt die oben zitierte Briefstelle ein anderes Argumentationsziel. Sie zeichnet sich durch eine kritische Distanzierung aus. Wenn der Adressat Thomasianer wäre – so heißt es, und dem Konjunktiv lässt sich bereits entnehmen, dass er es nicht ist –, könnte er durch die Nachricht in seiner gespensterkritischen Haltung umgestimmt werden. Der Adressat aber teilt die Thomasianische Position nicht. Er lehnt die Möglichkeit der Wirkung von Gespenstern in der Welt nicht grundsätzlich ab, weil diese Posi88 89
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Georg Friedrich Meier: Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern. Halle 1748, S. 6. [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, S. 38f.: „Man muß nicht eben ein Thomasianer seyn, wenn man an der Wahrheit vieler Teufeleyen und Gespensterhistorien zweifelt, daran haben ie und allewege vernünftige Leute gezweifelt. Thomasius hat nicht schlechterdings alle Gespenster geläugnet. Man muß Thomasii Schriften nicht gesehen haben, wenn man ihm dieses beymisset. Wir haben hier im Brandenburgischen Gott zu danken, daß dieser ehrliche Mann den Leuten die Nebelkappe abgezogen, da man vor seiner Zeit aller Orten Hexenprocesse hatte und es immer was zu verbrennen gab, so hat man, seit dem er in Halle gelehret, an keinem Orte unsers Vaterlandes, das geringste von Hexen und dergleichen Fratzen mehr erfahren.“ Gegen den Atheismusvorwurf richtet sich auch der anonyme Verfasser folgender Schrift: Zufällige Gedanken über die so genannte Unpartheyische Beurtheilung der gesammleten Nachrichten von dem Braunschweigischen Gespenste, in: [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig nebst denen von diesem Gespenste gesammelten Nachrichten ans Lichte gestellet von Adeisidaimone. Braunschweig 1749, S. 25–43, hier S. 42: „so handelt er [Oeder, der seine Kritiker Atheisten nennt – Y. W.] eben so unbillig, als man mit dem Tomasen vormals umginge; den einige Eiferer für einen Atheisten ausriefen, weil er die Hexereyen bestritt. Wir bedauren, daß diese Sitte itzo wieder aufkommen will. Muß man denn alle Geistermärchen glauben, um ein guter Christ zu seyn? Mit den biblischen Geschichten hat es eine ganz andere Bewandniß; wiewohl die Erscheinung des verstorbenen Samuels längst für ein blosses Blendwerk der Hexe zu Endor erkläret worden.“
tion mit seinem erkenntnistheoretischen Empirismus nicht kompatibel ist. Der gesamte Brief kennzeichnet Oeder in der Tat als einen Wissenschaftler der Erfahrung. Er hebt nicht nur dessen Neugierde als vorrangige Erkenntnishaltung hervor, sondern stellt auch seine Erkenntnismethode ins Zentrum des Interesses.
3.7. Das Self-Fashioning eines Empirikers Die Sammlung wirft auf Oeders ‚empirische‘ Verfahrensweisen jedoch ein durchaus fragwürdiges Licht. Der Brief an den Göttinger Professor enthält jedenfalls eine stilisierte, tendenziell prahlerische Selbstcharakterisierung, die, mit zahlreichen Manierismen versetzt, auf den fiktiven Charakter des Textes verweist. Zu den vermeintlich empirischen Verfahren, die dort erwähnt werden, zählen die Inspektion des Gespenstes mit eigenen Augen („hisce meis oculis“) und die genaue, durch Aufmerksamkeit gesteuerte Observation („attenté betrachten“). Zudem hebt der Mathematiker hervor, dass er ein „rechter Scepticus“ und eine Täuschung deshalb ausgeschlossen sei („Sie dürfen nicht glauben, daß etwan die Einbildung ihr Spiel dabey gehabt hat“).91 Auch habe er (zumindest beinahe) ein „Experiment“ gemacht, d.h. die Gestalt berührt, um zu eruieren, ob sie ein „bloßes Phantasma“ oder ein wirklicher Körper gewesen sei.92 Zwar habe Oeder sie nicht berühren, aufgrund eindeutiger physischer Merkmale den verstorbenen Hofmeister schließlich dennoch identifizieren („so gar die Pandecten konnte ich ihm noch aus dem Gesichte lesen“) und somit die Wirklichkeit der Erscheinung für erwiesen erklären können. Beschrieben wird damit nicht nur ein Identifizierungsverfahren, sondern vor allem die Art und Weise, wie sich Oeder in Szene setzt. Die neuen „experimentellen“ Methoden werden an dieser Stelle jedenfalls nicht als Erkenntnisverfahren, sondern als Inszenierungstechniken ausgewiesen, mit denen sich Wissenschaftler der Empirie profilieren, um ihre Erkenntnisräume wirkungsvoll zu besetzen und um sich dort selbst zu präsentieren. Entsprechend setzt das angebliche Zeugnis deutliche Distanzsignale. Zumindest ist die Diskrepanz zwischen dem mehr oder weniger belanglosen Untersuchungsergebnis, der wichtigtuerischen Durchführung (beinahe „ein Experiment“ gemacht) und dem naturwissenschaftlichen Vokabular auffällig. Als deutliches Ironiesignal ist anzusehen, dass es überhaupt nicht zur Durchführung des Experiments kommt (eine Berührung der Gestalt wäre notwendig gewesen, um einen Betrug auszuschließen), dass die Versuchsanordnung ins Leere läuft und der eigentliche Rückschluss auf die Wirklichkeit schließlich aufgrund morphologischer Kriterien getroffen wird. Maßgeblich für die Wirklichkeitsannahme ist nicht die Beschaffenheit des Körpers, seine Impermeabilität, sondern die physiognomische Ähnlichkeit 91 92
[Anonym]: Extract aus einem Briefe des Herrn Prof. Oeders aus Braunschweig, S. 21. Ebd.
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zwischen dem Gespenst und dem verstorbenen Hofmeister, die einen Betrug, so legt es der Brief nahe, angeblich ausschließt. Diese auffällige Unterbietung des verfügbaren Theorieangebots sowie der Rekurs auf ein durchaus fragwürdiges Identifikationsmerkmal könnten bereits auf eine satirische Absicht deuten. Die Vermutung wird durch die unmittelbaren Konstellationen bestätigt, die Oeder als Wissenschaftler der Empirie ausweisen. Erhellend ist an dieser Stelle ein Blick auf zwei Kontexte: Erstens auf den möglichen Adressaten des Briefes, zweitens auf Oeders Lehrtätigkeit am Kolleg. Zumindest aus seiner Anzeige der Vorlesungen und Uebungen, welche in dem Collegio Carolino zu Braunschweig zum Theil bereits ihren Anfang genommen haben. Von Michaelis 1745 bis Ostern 1746 ist zu ersehen, dass er nicht nur Mathematik und Physik las, sondern seine Vorlesungen auch mit praktischen Exempeln unterlegte: Bey der Physic, deren Nutzbarkeit einen eben so langen Zeitraum zu ihrem Vortrage erheischet, wird er diese Methode erwehlen, daß er die Grundsätze derselben, welche er in vier Stunden der Woche seinen Zuhörern, nach Anleitung und Ordnung der wolfischen hieher gehörigen Lehrbücher, theoretisch erkläret, in zwo andern Stunden, Mittwochens und Sonnabends durch angestellte Versuche bestätiget und mithin begreiflicher und annehmlicher macht: wie man denn überhaupt hiebey noch erinnert, daß auch diejenigen, welche nicht eigentlich studiren, sondern sich zu andern Ständen und Lebensarten zubereiten lassen wollen, in diesen mathematischen und physicalischen Collegiis grossen Nutzen finden, und aus eben dem Grunde mit dazu eingeladen werden: indem durchgängig die Lehrsätze mit practischen Exempeln erläutert und die Möglichkeit der Anwendung derselben im gemeinen Leben dargethan, insonderheit bey der Mechanik und Physic derjenigen theoretischen Wahrheiten und practischen Anwendungen derselben, die in der Verbesserung der Landesanstalten, der Policey, des Kriegshandwerks, der Handlung, der oeconomischen Stadt= und Landnahrungsgeschäfte den nähesten und größten Einfluß haben.93
Welche „Versuche“ Oeder im Einzelnen durchgeführt hat, lässt sich dieser Anzeige zwar nicht entnehmen. Mit der grundsätzlichen Ausrichtung auf die Experimentalkultur kam er jedoch dem in den Gründungsakten des Kollegs eingeforderten Praxisbezug nach.94 Über diese Zielsetzung informiert ein Artikel, der bereits 1745 in dem von Gottsched herausgegebenen Neuen Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste erschien. Darin wird auf der einen Seite das „Hof-
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Vgl. [Anonym]: Anzeige der Vorlesungen und Uebungen, welche in dem Collegio Carolino zu Braunschweig zum Theil bereits ihren Anfang genommen haben. Von Michaelis 1745 bis Ostern 1746. Braunschweig 1745–1746, S. 12. Die Schulreform steht im Kontext der Realienbewegung, in die auch die experimentelle Darstellung zu situieren ist. Aufschlussreich, dass sich bei Zeitgenossen z.B. bei dem Abbé Nollet: Leçons de Physique Experimentale. Bd. 1. Amsterdam 1745, S. 28, auch eine Reflexion über den pädagogischen Nutzen des experimentellen Darstellungsverfahrens findet: „Le moyen le plus sûr de captiver l’attention, & de faire naître promptement les idées, c’est […] de parler aux yeux des opérations sensibles.“ Zitiert nach Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft, S. 122, der diese pädagogische Ausrichtung vor allem auf die Adaptation von Lockes Erkenntnislehre zurückführt.
meistersystem“ der neuen „Pflanzschule“ hervorgehoben,95 das ähnlich wie das der später gegründeten Stuttgarter Karlsschule auf die strenge Überwachung von Lehre und Sitten ausgerichtet war. Das Institut stellte die Eleven aber nicht nur unter eine unmittelbare Observanz, es verfügte auf der anderen Seite über „kostbare“ Instrumente, die besonders in der Mathematik und beim Naturkundeunterricht eingesetzt wurden. Der naturkundliche Unterricht sollte mithin auf zwei Säulen aufgebaut sein: auf der „Erfahrung“ und auf dem Erlernen „allgemeiner Regeln.“ Die Erfahrung hat dabei wohl vor allem eine didaktische Funktion, insofern sie nicht so sehr zur Erkenntniserweiterung beiträgt, sondern primär der Veranschaulichung einzelner Theoreme dient.96 Sie hat darüber hinaus eine unterhaltende Funktion, weil sie zugleich die Sinne erfreut. Beide – die didaktische und die delektierende – Funktion scheint Oeder gewinnbringend umgesetzt zu haben. Wie die seines Lehrers Andreas von Segner97 stellten seine Experimente zu dieser Zeit offenbar eine Attraktion dar, zu der sich zahlreiche Schaulustige einfanden und die auch unter Vermarktungsaspekten als durchschlagender finanzieller Erfolg zu verbuchen war.98 Oeders Anzeige nimmt entsprechend auf jene Darstellungstechniken Bezug, die im Physikunterricht erprobt wurden und zu denen ebenso theatralische Effekte zählen. Dass es sich bei den Experimenten um eingängige Inszenierungen handelte, die zuweilen in spektakuläre Präsentationen mündeten, mag zum Renommee der praktischen Wissenschaften beigetragen haben und lässt sich noch den literarischen Adaptationen der Experimentalkultur um 1800 entnehmen, so z.B. E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann. Zur Beschreibung der wissenschaftlichen Schaustellung wird zuweilen dasselbe ästhetische Begriffsinventar bemüht wie zur Bewertung von Dramen und Schauspielen. Geschmack, Erhabenes und die Nützlichkeit der Wissenschaft bei der moralischen Erziehung fungieren jedenfalls als wesentliche Bewertungskategorien, die gleichsam zur Etablierung der Realienbewegung und der damit koinzidierenden wissenschaftlichen Praxis der Anschaulichkeit beigetragen haben.99 Hierbei handelt es sich um die Aneignung einer aus der 95
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[Anonym]: Vorläufige Nachricht von dem Collegio Carolino zu Braunschweig, in: Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste. Bd. 1, 4. Stück. Leipzig 1745, S. 74–96. Mit dem Begriff Veranschaulichung ist eine Vermittlungsstrategie und Form der öffentlichen Darstellung gemeint, vgl. dazu Roger Cooter / Stephen Pumfrey: Separate spheres and public places. Reflections on the history of science popularization and science in popular culture, in: History of Science 32 (1994), S. 237–266. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Hg. v. Karl Vorländer. Mit einer Bibliog. v. Heiner Klemme. Hamburg 1990, S. 171, zu Andreas v. Segner siehe auch Jan Assmann: Immanuel Kant und Friedrich Schiller über Isis und das Erhabene, in: Talismane. Klaus Heinrich zum 70. Geburtstag. Hg. v. Sigrun Anselm / Caroline Neubaur. Frankfurt/M. 1998, S. 102–113. Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 328; ders.: Technologie, Naturwissenschaft und die Struktur wissenschaftlicher Gemeinschaften: Wissenschaftliche Instrumente und die Entwicklung der Elektrizität, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 40 (1988), S. 684–705. Franz Pahl: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts. Leipzig 1913 (Handbuch des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts 1); Gerhardt
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Rhetorik übernommenen Terminologie, an der sich die Öffnung und Popularisierung des naturkundlichen Wissens und die zunehmende Vermarktung der Wissenschaftskultur ablesen lassen. Die Überschneidungen zwischen der naturkundlichen Inszenierungspraxis und den Geistervorführungen liegen somit auf der Hand: Beide stellen Attraktionen und Merkwürdiges zur Schau, beide wollen dabei sinnliche Evidenz erzeugen. Literarische Adaptationen dieser Affinitäten sind noch in Schillers Romanfragment Der Geisterseher nachweisbar,100 auch wenn sich diese Version bereits kritisch gegen die so genannten Schauexperimente richtet und damit die Ausdifferenzierung von Kunst und Wissenschaft reflektiert.101 Einen weiteren Hinweis auf den Kontext der Experimentalkultur, an die zunehmend strengere Kriterien angelegt wurden, liefert der nicht genannte Adressat des Briefes, über den vielfach spekuliert wurde. Jung-Stilling entnimmt seiner Quelle,102 dass der Brief an den in Göttingen lehrenden Professor der Mathematik Andreas von Segner verfasst wurde;103 andere halten den Mediziner Albrecht von Haller für den eigentlichen Adressaten.104 Ob der Brief nun an Segner oder Haller gerichtet sein sollte, in beiden Fällen macht er Oeders Verbindungen zum Göttinger Milieu deutlich. Oeder studierte an der Göttinger Universität. Daneben hatte er
Petrat: Schulunterricht. Seine Sozialgeschichte in Deutschland (1750–1850). München 1979; Andrew Pickering: From Science as Knowledge to Science as Practice, in: ders. (Hg.): Science as Practice and Culture. Chicago 1992, S. 1–26. 100 Als darstellerisches Verfahren, das bei Gespensterinszenierungen immer wieder zum Einsatz kommt, ist die Erzeugung von Funken durch den Elektrisierstab bzw. die Elektrisiermaschine belegt. Vgl. dazu nicht nur Schillers Romanfragment Der Geisterseher, sondern auch [Anonym]: Beweis, daß das Buch Saint Nicaise der Religion, allen öffentlichen Staaten und auch den guten Sitten zuwider sei, in: BM 2 (1786), S. 127–145, hier S. 148. Zu den dabei zum Einsatz kommenden Instrumenten wie der Elektrisiermaschine vgl. Heiko Weber: Die Elektrisiermaschinen im 18. Jahrhundert Berlin 2002 (Ernst-Haeckel-Haus-Studien. Monographien zur Geschichte der Biowissenschaften und Medizin 7). 101 Vgl. dazu Yvonne Wübben: Vom amusement raisonnable zur Experimentalphysik. Kants Fußnote zu Andreas v. Segners Naturlehre, in: Ästhetik von unten. Spekulation und Empirie in Wissenschaft und Kunst. Hg. v. Marie Guthmüller / Wolfgang Klein. Göttingen 2006, S. 95– 112. 102 Die Quelle war offenbar die apologetische Schrift: [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen allhier in Braunschweig, in: [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig nebst denen von diesem Gespenste gesammelten Nachrichten ans Lichte gestellet von Adeisidaimone. Braunschweig 1749, S. 6–17, hier S. 15. 103 Andreas v. Segner war in Göttingen Professor für Naturphilosophie und Mathematik und darüber hinaus der Lehrer von Johann Georg Lichtenberg, bevor er nach Halle berufen wurde. Vgl. ADB, Bd. 33: Schu-Sem, S. 609–610. Instruktiv für den vorliegenden Kontext (und ein möglicher Auslöser des Konfliktes) könnte der Umstand gewesen sein, dass Segner dem geometrischen Paradigma ein zweites zur Seite stellte, das – wie erwähnt – auf Newtons Untersuchungen zurückgriff. 104 Nach Emil Rössler: Die Gründung der Universität Göttingen. Entwürfe, Berichte und Briefe der Zeitgenossen. Hg. u. mit einer geschichtlichen Einleitung versehen. Göttingen 1855, S. 348 ging der Brief wahrscheinlich an Albrecht v. Haller, bei dem ein Bruder von Oeder studierte.
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einen Bruder, der bei Haller seinen Magisterabschluss ablegte.105 Zusammen mit Haller hatte Segner sich zudem auf dem Feld der Experimentalwissenschaften einen Namen gemacht, konkreter auf dem Gebiet der Elektrizität. Segner war zu diesem Zeitpunkt bereits durch den mathematischen Nachweis von Bildungs- und Bewegungsgesetzen nicht-solider Körper bzw. Flüssigkeiten hervorgetreten. Er hatte sich dabei zunehmend von dem Wolffschen System abgewandt. Gegenstand seines Konfliktes mit Wolff war offenbar die nicht weiter mathematisierbare Retraktionskraft in Flüssigkeiten. Die dem Gespenst zugeschriebene Fähigkeit, sich zu „retiriren“, könnte somit als Anspielung auf Segners hydraulische Untersuchungen gelesen werden, die auf der These der Retraktionskraft gründeten106 und elastischen Körpern wie auch Gasen zugesprochen wurden. Die Annahme, der elastische Körper des Verstorbenen vermöge bei erhaltener Form seine Konsistenz, Dichte und Ausdehnung zu ändern, verwiese somit auf dessen Gas- und Flüssigkeitsphysik. Ein weiterer Angriffspunkt der Polemik sind Versuche auf dem Gebiet der Hydraulik. Zusammen mit den Anticartesianern Christian Hollmann und Albrecht von Haller führte Segner bereits um 1750 Versuche mit Elektrizität durch.107 Zudem kann der Bezug zwischen Braunschweig und Göttingen durch weitere Hinweise erhärtet werden. Oeders Vorlesungsankündigung, die er am 7. Oktober 1745 publizierte108 und die in Aussicht stellte, das Lehrprogramm der Mathematik, Algebra und Geometrie an Segners Schriften zu orientieren, verweist auf seine anhaltende Orientierung nach Göttingen.109 Ferner hatte sich Oeder zum Zeitpunkt
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Georg Christian Oeder (geb. 1728) studierte 1746 in Göttingen bei Haller Medizin. Er fertigte seine Promotion bei Andreas v. Segner an. Vgl. Georg Christian Oeder: De derivatione et revulsione per venae. Göttingen 1749. 1754 wurde er Professor für Botanik an der Universität Kopenhagen, 1764 veröffentlichte er die Elementa Botanica, 1769 Nomenclator Botanicus, 1770 Enumeratio plantarum Florae Danicae. 1770 wurde er von Struensee nach Berlin berufen. Gerhard Anton v. Halem war sein Freund, der auch den Nachruf verfasste, vgl. ADB, Bd. 24: Noo-Ove (Nachdruck der Ausgabe 1887, Berlin 1970), S. 147–149. 106 Diese These vertrat schon Johann Bernoulli in Auseinandersetzung mit Newton. Dazu François De Gandt: Force and Geometry in Newtons’ Principia. Princeton 1995. Johann Bernoulli übersetzte die Propositionen 39–42 in einen Kalkulus; J. Bruce Brackenridge: The Key to Newton’s Dynamics: The Kepler Problem and the Principia. Berkeley 1996; Richard Westfall: Force in Newton’s physics: The science of dynamics in the seventeenth century. New York 1971. 107 Segner und Hollmann veranstalteten gemeinsam elektrische Experimente, vgl. dazu Albrecht v. Haller: Histoire des Nouvelles Découvertes faites, depuis quelques années en Allgemange, sur l’Electricité, in: Bibliotheque Raisonnée 34, S. 3–20; Johann Heinrich Winkler: Gedanken von den Eigenschaften der Elektrischen Materie und des Electrischen Feuers. Leipzig 1745. 108 Johann Ludwig Oederus: Lectiones Futuro Semestri Hiemali Habendas indicit simulque de Mensura Virium Pauca Commentatur, publiziert am 7. Oktober 1745, sowie ders.: Lectiones suas aestivales auditoribus suis indicat atquede Vibratione Chordarum Aliqua Praefatur. Johann Ludwig Oeder. Braunschweig 1746. 109 In Braunschweig lehrte Oeder Mathematik nicht nur nach dem verbreiteten Kompendium von Wolff, den Anfangsgründen der mathematischen Wissenschaft, sondern auch nach Segners Lehrbuch Elementa Arithmetica et Geometrica. Vgl. [Anonym]: Anzeige der Vorlesungen und Uebungen, S. 12.
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der Episode mit mehreren Publikationen in den Braunschweiger Anzeigen zu diesem Thema geäußert.110 In Einklang mit Segner verstand er Körper als Kraftaggregate, die ihren Zustand verändern können. Die hier erörterten Probleme deuten nun auf den im selben Jahr schwelenden Monadenstreit, auf den noch einzugehen sein wird.111 Auf diese naturphilosophische, monadologische Dimension der Kontroverse nimmt auch der anonyme Verfasser der Schrift Zufällige Gedanken über die so genannte Unpartheyische Beurtheilung der gesammleten Nachrichten von dem Braunschweigischen Gespenste Bezug. Er verweist die Tatsache, dass Gespenster aus „Sonnstäubchen“, d.h. Atomen, bestehen sollen, in das Reich der Dichtungen, oder, um mit Lukian zu sprechen, der „Philopseudes“, d.h. der Epikuräer.112 Der gegen Oeder erhobene Vorwurf der Gespensterseherei stellt somit ein mögliches Mittel der Degradierung dar, mit dem seine Person und seine naturwissenschaftliche Methode bzw. Theoriebildung verspottet wurden. Neben dem argumentum ad hominem, dem Verdacht auf Sinnestäuschung und Melancholie,113 basiert der Spott vor allem auf der Analogisierung des Gegenstandsbereichs der 110
Johann Ludwig Oeder: Von einigen Antiquonovis physicis, in: Braunschweigische Anzeigen, 48. Stück 1745, S. 776–786. Zum beginnenden Monadenstreit siehe Leonhard Euler: Gedancken von den Elementen der Körper, in welchen das Lehr-Gebäude von den einfachen Dingen und Monaden geprüfet, und das wahre Wesen der Körper entdecket wird. Berlin 1746; dagegen Henri Samuel Formey: Prüfung der Gedancken eines Ungenannten von den Elementen der Körper. Leipzig 1747. 112 [Anonym]: Zufällige Gedanken über die so genannte Unpartheyische Beurtheilung der gesammleten Nachrichten von dem Braunschweigischen Gespenste, in: [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen, S. 25–43 hier S. 37f.: „Unsers Befindens hat er keins von allem gethan: sondern nur gesagt, daß solches [dass die Erscheinung der Verstorbenen unmöglich sei – Y. W.] sich nicht erklären oder verstehen lasse; ingleichen daß ein Geist aus Sonnenstäubchen, Dämpfen und Dünsten eine dem menschlichen Körper ähnliche Gestalt in der Luft bilden könne, das habe zur Zeit noch niemand erklärt, und jeder werde es auch wohl künftig unerörtert lassen. […] Indessen meynt der Verfasser dieser Beurtheilung, er könne es gar wohl begreifen, daß aus allerley kleinen Theilchen, physikalischen Atomen (auf deutsch Sonnenstäubchen) oder Ausdünstungen verwesender Körper, solche subtile Ueberkleidungen erscheinender Geister entstehen könnten. Aber wie soll das zugehen? Sollen sie von sich selbst entstehen; oder von der Seele gebildet werden? Keins von beyden kann man sagen. Der blinde Zufall bauet solche menschliche Gestalten mit Tobackspfeiffen nicht: und die Seelen der Verstorbenen müßten sehr künstlich seyn, wenn sie das könnten; da sie im Leben kein Haar an ihrem Kopfe bilden, kein Sonnenstäubchen ausser sich bewegen können. Und wie? würde eine so lockere und staubigte Kreatur nicht durch die geringste Bewegung der Luft, durch den mindesten Hauch eines Menschen, wie ein Rauch zerflattern? In Wahrheit, die Kräfte verstorbener Seelen mögen wachsen wie sie wollen; so sieht man doch nicht ein, wie sie dieses sollten möglich machen können: es wäre denn, daß man Erdichtungen für Wahrscheinlichkeiten annehmen wollte. Unsere Erkenntniß ist unvollkommen; das ist bekannt: aber was hat man für ein Recht, uns, vermöge dieser Unvollkommenheiten, alles aufzudringen, wobey gar kein Schein der Wahrheit ist? Denn da solche Weltweisen wieder aufstehen, dergleichen Lucian in seinem Philopseudes ausgelachet hat: So wird auch wohl noch der Blocksberg wieder Mode werden; und die Unholde werden ihren alten Luftritt auf Ofengabeln und Besemstielen [sic!] wider anheben! Di! Prohibere minas!“ 113 [Anonym]: Einige Erinnerungen und Bedenklichkeiten über die wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig, in: [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen, S. 17–25, hier S. 22. 111
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Physik mit dem Gegenstandsbereich der Gespenstertheorie. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer Interesse an einer derartigen Verspottung gehabt haben könnte, wer also hinter der höchstwahrscheinlich untergeschobenen Textsammlung steckt.
3.8. Adeisidaimon: Harenberg als Initiator der Gespenster-Polemik Berechtigte Zweifel an der Authentizität der Braunschweiger Berichte wurden nicht erst 1812 mit Johann Joachim Eschenburgs Kollegsgeschichte lautbar. Bereits der anonyme Verfasser der 1747 publizierten Unparteiischen Beurtheilung hegte Bedenken gegen die Echtheit des Oeder zugeschriebenen Briefes und vermutete, dass zumindest einzelne Schriftstücke der Sammlung „untergeschoben“ und somit als Autorenplagiate zu bewerten seien.114 Für fingiert hält den Brief und alle weiteren Texte auch der anonyme Verfasser der Schrift Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern: Die erste Schrift anbelangend: Sammlung einiger Nachrichten von dem im Carolino erschienenen Gespenste, so bestehet dieselbige in Erzehlung einer Gespensterhistorie, und einigen Anmerkungen. Das erste ist ein Extract aus einem Briefe des Hrn. Prof. Oeders aus Braunschweig, darinn er eine Historie erzehlet, an deren Wahrheit ich gar sehr zweifele, und welchen Brief ich gar mit einander für untergeschoben halte, oder als im Scherze geschrieben zu seyn ansehe.115
Bereits dieser Absatz indiziert, dass es sich bei der Sammlung um Authentizitätsfiktionen handelt, die in diffamierender und polemischer Absicht verfasst worden sind. Dass die Sammlung die Reputation der Braunschweiger Gelehrten nicht gerade erhöht hat,116 lässt sich auch weiteren Schriften entnehmen. Einem 1812 von Eschenburg publizierten Bericht zufolge waren mit der Affäre angesehene Personen „beschimpft und lächerlich“ gemacht und dem Ansehen des Collegiums insgesamt massiv geschadet worden. So legt es jedenfalls ein angeblich aktenkundiger Hinweis nahe, in dem sich ein Betroffener, über die geflissentliche Bemühung einiger beim Collegio selbst in Dienst und Pflicht stehenden Personen [beschwert], dieß Gerücht [von der Erscheinung – Y. W.] immer mehr zu vertheidigen und zu verbreiten, und besonders über die gedruckte, oben angeführte Sammlung einiger Nachrichten, welche, wie sie sagen, nicht nur in Ansehung der Thatsachen, viele Erdichtungen und große Unwahrheiten enthalte, sondern auch einerseits manche Personen beschimpfe und lächerlich mache, und andrerseits dem Rufe des Collegii selbst zu nicht geringem Nachtheil gereiche.117
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[Anonym]: Unparteiische Beurtheilung, S. 4f. [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, S. 38. [Anonym]: Zufällige Gedanken, S. 28. Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii, S. 143f.
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„Es wäre schade,“ heißt es ferner – vielleicht nicht ganz ohne Häme – in den anonym publizierten Zufälligen Gedanken über die so genannte Unpartheiysche Beurtheilung der gesammleten Nachrichten von dem Braunschweigischen Gespenste, wenn ein so schöne Stiftung [nämlich das Kolleg – Y. W.], durch solche herumschleichende Gespensterhistorien, die sich auch ohne den Druck sattsam ausbreiten, in übeln Ruf kommen sollte. Von alten Klöstern, die voll finstrer Winkel sind, und ehemals zu vielen Werken der Finsterniß gedienet haben, ist man solche Erzählungen wohl gewohnt: aber von einem neuen Gebäude solche Geschichte in die Welt zu bringen, das ist für alle Urheber solcher Nachrichten unverantwortlich.118
Zeitgenossen zufolge haben die Berichte, und zwar unabhängig davon, ob sie kritisch oder apologetisch argumentierten, das Institut also diskreditiert. Nicht ohne Grund fühlte sich der in Braunschweig tätige Dozent Johann Ludwig Oeder durch die Berichte persönlich angegriffen. Die Diskussion wuchs sich nämlich zu einer Frage nach seinem Temperament und Charakter aus. Eine Fraktion verteidigte Oeder als „Naturlehrer“, der „frisch und gesund“ und „von keinem melancholischen Temperament“ sei.119 Die andere Fraktion kennzeichnete ihn hingegen als ängstlich und von allzu „großem Affect“.120 Ein Beiträger wundert sich sogar darüber, dass er „dem Publico noch gar keine Probe“ von seiner Naturlehre gemacht habe121 und stellte damit zugleich Oeders wissenschaftliche Eignung in Frage. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass letzterer die Anschuldigungen und deren Verbreitung in Druckschriften als einen gezielten publizistischen Affront gedeutet hat. Beleidigend war für ihn weniger die Behauptung, mit Gespenstern experimentiert zu haben. Gekränkt hat ihn vielmehr der Vorwurf der Melancholie und Sinnestäuschung, der, das wird hier bezeichnenderweise nicht erwähnt, im 18. Jahrhundert natürlich aufs engste mit dem Geister- und Gespenstersehen assoziiert war.122 Wie vernichtend diese Kränkung war, lässt sich noch an deren Nachhall ablesen. Er wirft letztlich ein Licht auf den vermeintlichen Initiator der Polemik, auf den möglichen Fadenzieher der gegen Oeder gerichteten Intrige. Auf seiner Gelehrtenreise durch Deutschland, die er unmittelbar im Anschluss an den Skandal unternimmt, trifft der Berliner Jurist Johann Karl Konrad Oehlrich (1722–1799)123 den Leidtragenden, Johann Ludwig Oeder, in Braunschweig und 118
[Anonym]: Zufällige Gedanken, S. 25 sowie [Anonym]: Einige Erinnerungen und Bedenklichkeiten über die Wahrhafte Geschichte, S. 17–43, hier S. 27. 119 [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen allhier in Braunschweig, S. 6–17, hier S. 14. 120 [Anonym]: Einige Erinnerungen und Bedenklichkeiten über die Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig, S. 23. 121 [Anonym]: Zufällige Gedanken über die so genannte Unpartheiyische Beurtheilung, S. 31. 122 Hans-Jürgen Schings: Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1977. 123 Oehlrichs Vater war Reformierter. Oehlrich war Doktor beider Rechte, kaiserlicher Hof- und Pfalzgraf sowie Ministerresident in Berlin. 1732 ging er auf das Joachimsthalsche Gymnasium, 1740 studierte er in Frankfurt, er hörte Logik bei Baumgarten und schöne Wissenschaften bei Westerman, Geschichte und deutsches Recht bei Gräven. 1748 legte er eine Dissertation mit
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berichtet über dieses Treffen ausführlich in seinem Reisetagebuch. Demnach glaubte Oeder an die Wirklichkeit der Erscheinung, verteidigte sich aber gegen die spöttischen Berichte: Hiernächst besuchte ich den Professor Oeder, der noch sehr für die Richtigkeit der Erscheinung eines Gespensts im Carolino […] eingenommen ist, und wider diejenigen, so daran zweifeln, loszieht. Er beschwerte sich unter andrem sehr über gedachten Probst, welcher die ganze Nachricht zu seiner Verkleinerung mit vielen falschen Umständen hat drucken lassen; eine von den gedruckten Nachrichten von dieser Erscheinung sey richtig, ausser einigen wenigen Nebenumständen, dem Prof. Segner habe er einen Bericht davon selbst abgestattet, dem auch gleiches wiederfahren sey. Auf den Grafen von Gotter, der von ihm gesprochen, daß die Erscheinung von seinem dicken Geblüt entstanden sey, und er solches nur abzapfen lassen möchte, war er übel zu sprechen, und sagte, daß wenn er ihn sprechen sollte, er ihm dagegen den Aderlaß am Kopf empfehlen würde.124
Der Bericht deutet zunächst darauf hin, dass Oeder in der Tat einen Brief verfasste, um sich in bezeichneter Angelegenheit an Andreas von Segner in Göttingen zu wenden. Aber auch Oehlrich vermutet, dass dieser Brief nicht mit dem in der Sammlung abgedruckten identisch sei. Oeder nutzte das Treffen mit Oehlrich vielmehr, um sich gegen den Vorwurf des Grafen Gotter zu verteidigen und eine weitere Person zu nennen, die ein Interesse an der Diffamierungskampagne gehabt haben könnte. Mit der Erwähnung des „Probst“ lieferte er Oehlrich jedenfalls einen entscheidenden Hinweis auf den möglichen Urheber des Streites, auf Johann Christoph Harenberg (1696–1774).125 Harenberg stand dem Kolleg nicht nur nahe; er war nicht nur bei seiner Gründung konsultiert worden und auch in seiner Funktion als Kurator weiterhin für dessen Belange zuständig.126 In den ersten Jahren lehrte der Probst sogar am Kol-
dem Titel De bonis nobilium juri detractus obnoxiis vor. Nach dem Abschluss des Studiums praktizierte er Recht. 1750 bereitete er sich auf die akademische Laufbahn in Frankfurt an der Oder vor. 1752 wurde er Professor der Rechte in Stettin. Er war Mitglied in zahlreichen gelehrten Gesellschaften: u.a. in Bremen, Leipzig, Berlin, Königsberg, Greifswald. Es gibt einen Bibliothekskatalog von Oehlrich sowie eine um 1800 verfasste Selbstbiographie. Siehe Karl Friedrich Köpke: Geschichte der Bibliothek des Joachimsthalischen Gymnasiums. Berlin 1831. Vgl. dazu ADB, Bd. 24: Noo-Ove, S. 318–319. 124 Johann Carl Conrad Oehlrich: Tagebuch einer gelehrten Reise 1750 durch einen Theil von Ober= und Nieder=Sachsen. Zweyte Abtheilung. Aus der Handschrift, in: Johann Bernoulli’s Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder= und Menschenkenntniß dienender Nachrichten. Jahrgang 1782. Sechster Band. Mit einer Kupfertafel. Berlin 1782, S. 30. 125 Der Probst war ein Günstling des Herzogs von Braunschweig, Lehrer der hebräischen und griechischen Altertümer am Collegium und wohl der vehementeste Gegner Oeders in der Debatte. Auch im Deutschen Biographischen Archiv findet sich an mehreren Stellen dieser Nachweis, dort ist die Sammlung im Eintrag zu Harenberg aufgeführt, allerdings ist auch hier die Quelle Oehlrichs Angabe. Vgl. S. 64 und 81. In Eschenburgs Entwurf einer Geschichte wird diese Angabe nicht bestätigt. 126 Rössler: Die Gründung der Universität Göttingen, S. 348.
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leg,127 er wird Oeder also persönlich gekannt haben und über die Angelegenheiten des Instituts genau informiert gewesen sein. 1749, drei Jahre nach der Erscheinung des vermeintlichen Gespenstes, tritt er zudem mit einer eigenen diesbezüglich einschlägigen Publikation an die Öffentlichkeit. Unter dem Titel Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig gibt er eine Schrift in Druck, die direkt auf die Episode Bezug nimmt.128 Sie setzt sich aus verschiedenen Einzelschriften zusammen: aus einem von ihm selbst verfassten Vorbericht; einer Schrift, die, ähnlich wie der Titel der Sammlung, Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen allhier in Braunschweig heißt; den so genannten Erinnerungen und Bedenklichkeiten von der Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig; den Zufälligen Gedanken über die so genannte Unpartheyische Beurteilung der gesammleten Nachrichten von dem Braunschweigischen Gespenste und schließlich einer Übersetzung von Lukians Dialog Philopseudes. Harenberg gilt nicht nur als Herausgeber dieser Sammlung, sondern zugleich als Verfasser der Zufälligen Gedanken, die sich explizit gegen Oeder richteten. Oeder hatte demnach allen Grund, in Harenberg einen möglichen Mitinitiator der bereits 1747 erschienenen Texte zu vermuten. Schon der Titel der zweiten von Harenberg veröffentlichten Sammlung deutet auf eine kritische Grundtendenz hin: „Wiewohl die Ueberschrift“, heißt es im Vorwort, „dieser kleinen Schrift, ihren Inhalt schon zur Gnüge an den Tag legt: so kann es doch nicht schaden, dem vernünftigen Leser eine deutlichere Nachricht von derselben und der Veranlassung dazu, zu ertheilen“.129 Harenberg teilt dem „vernünftigen Leser“ hier seine Absicht mit, den schriftlichen und mündlichen Nachrichten, die sich „gleich einem rollenden Schneeballe verstärken und vermehren“, dadurch Einhalt zu gebieten, dass er den „Quellen dieser Fabeln“ ihren „ehr127
Holger Böning (Hg.): Deutsche Presse. Biobibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815. Bd. 3: Presse der Regionen Braunschweig, Wolfenbüttel, Hildesheim. Britta Berg / Peter Albrecht, Teil 1, Braunschweig 2003, Teil 2, Blankenburg, Clausthal, Goslar, Helmstedt. Stuttgart-Bad Canstatt 2003, S. 960f. 128 [Anonym]: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig. Braunschweig 1749. Diese Gegenschrift wurde unter dem Pseudonym ‚Adeisidaimon‘ herausgegeben, was schon deshalb durchaus ungewöhnlich war, weil sich dahinter eine für die Zeitgenossen verständliche Anspielung auf den englischen Deisten Toland verbarg. Gerade diesen scheinbaren Widerspruch, Harenberg gilt als Deistenkritiker und Anti-Aufklärer, wertet Pott als Indiz für eine ‚Umkehrung der Aufklärung‘. Er versteht die Wahl des Pseudonyms als Zeichen einer Einverleibungstendenz, welche die Aufklärung desavouierte, indem sie sich ihrer Anonyma bediene. Potts Deutung bedarf hier jedoch einer Ergänzung, da der mögliche strategische Sinn dieser ‚Aneignung‘ durch Harenberg nicht unmittelbar auf der Hand liegt. Günter Gawlick: Der Deismus als Grundzug der Religionsphilosophie der Aufklärung, in: Reimarus. Ein „bekannter Unbekannter“ der Aufklärung in Hamburg. Vorträge gehalten auf der Tagung der Joachim Jungens Gesellschaft am 12. und 13. Oktober 1972. Göttingen 1973, S. 15–43; ders.: Die ersten deutschen Reaktionen auf A. Collins’ „Discourse of Free-Thinking“ von 1713, in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 1 (1986), S. 9–25. Vgl. auch Eschenburg: Entwurf einer Geschichte, S. 71. 129 [Anonym]: Vorwort, in: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen, S. 3–5, hier S. 3.
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würdigen Schein und Glanz“130 nehme. Mit „Quellen der Fabeln“ ist wohl Oeder gemeint, der von Harenberg als Urheber der Affäre angesehen wird und dessen „Glanz“ zur Verbreitung der Geschichte beitrug. Auch der Titel Wahrhafte Geschichte hat einen Hintersinn. Er orientiert sich im Wortlaut an einer in Braunschweig publizierten Schrift, die Oeder verteidigt hatte. Ihr Verfasser hielt die Gespenstererscheinung für wahr und glaubte, Oeders Experimente hätten tatsächlich Aufschlüsse über Gespenster geliefert. Harenberg war in dieser Sache allerdings anderer Meinung. Zwar hielt er die Textzeugnisse insgesamt für authentisch. Er nahm ferner an, dass es sich um eine wirkliche Erscheinung handelte, allerdings nicht um die eines Gespenstes, sondern eines Menschen,131 mithin um einen Betrug.132 Wenn er seine Textsammlung also Wahrhafte Geschichte nannte, so handelte es sich dabei geradezu um eine Gegenschrift. Im Unterschied zu Oeders Verteidiger bezeichnete er mit „wahrhaft“ zum einen die vermeintliche Authentizität der Texte und zum anderen die Wirklichkeit der Erscheinung.133 Von der war im Übrigen der Verfasser der Gedanken von zwo Schriften ebenfalls überzeugt, wenn er schrieb: Warum hat man nicht das Experiment gemacht und ihn [das vermeintliche Gespenst – Y. W.] angegriffen, wenn man ohne die mindeste Furcht hingegangen? […] Wenn ich in des Hrrn. Verfassers [„Höfers“ – Y. W.] Stelle gewesen wäre und mich nicht getrauet hätte, ihn anzugreifen, so hätte ich in alle Eil ein Commando von der Hauptwache erfodert [sic] und ihn lassen in Arrest nehmen. Ich bin versichert, man versuche es nur einmal auf solche Weise, man wird seine Lust sehen, wie die Gespenster fliehen.134
Ein Blick auf Johann Christoph Harenberg, dem seine Zeitgenossen nicht gerade die feinsten Sitten attestierten, liefert Aufschlüsse über mögliche Motive für seine Oeder-Kritik.135 Der Probst studierte von 1715 bis 1719 an der Helmstedter Universität. Er wurde bei dem Pietisten und Orientalisten Hermann von der Hardt ausgebildet, kannte den Philologen Johann Oldermann (1686–1723) und war auch mit Cornelius Diedrich Koch, dem Professor für Metaphysik und Poesie, be130 131
Ebd., S. 3f. [Anonym]: Zufällige Gedanken, S. 42: „Hätte man nur einen blossen Degen bey der Hand gehabt, oder ein blind geladenes Pistol dem Gespenst auf die Brust gesetzt, was gilts? es würde sich näher erklärt haben.“ 132 [Anonym]: Vorwort, in: Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen, S. 5. 133 [Anonym]: Zufällige Gedanken, S. 42: „Wenn er [Prof. Oeder – Y. W.] aber seinen Gegner deswegen für einen Freund der Freydenkerey schelten will, weil er an einem Gespenste mit Tobackspfeiffe zweifelt: so handelt er eben so unbillig, als man mit Tomasen vormals umginge; den einige Eiferer für einen Atheisten ausriefen, weil er die Hexereyen bestritt. Wir bedauern, daß diese Sitte itzo wieder aufkommen will. Muß man denn alle Geistermärchen glauben, um ein guter Christ zu seyn?“ 134 [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften, S. 40. 135 Dazu Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini, S. 71: „Uebrigens hatte er nicht die feinsten Sitten; und eben daher manche Streitigkeiten; auch besaß er zwar viele, aber wenig geordnete Gelehrsamkeit. Von seinen sehr zahlreichen Schriften geben Adelung und Meusel umständliche Verzeichnisse, und von seinem Leben handeln weitläufiger die daselbst nachgewiesenen Schriftsteller.“
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kannt.136 Bereits 1738 wurde er zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt. Grundlegend für diese Nominierung waren neben anderen seine Studien im Bereich der historisch-philologischen Bibelkritik.137 In Harenbergs intellektueller Biographie ist aber noch ein weiteres Ereignis von besonderer Bedeutung: seine breit rezipierte Auseinandersetzung mit dem „Religionsspötter“ Johann Christian Edelmann, gegen den er gleich mehrere Streitschriften verfasste.138 Mit diesen Invektiven geriet Harenbergs wissenschaftliches Renommee allerdings auf den Prüfstand. Vielen Zeitgenossen waren sie zu „philosophisch“. Insbesondere wurde der (angebliche) Lagerwechsel des ehemaligen Wolffianers zur Crusius-Fraktion skeptisch notiert. Mit den Edelmann-Repliken bezog Harenberg eine Position, die in Opposition zum Kreis um Siegmund Baumgarten und den aus ihm hervorgegangenen Anti-Edelmann-Schriften stand.139 Zwischen Harenberg und der Wolff-Baumgarten-Schule zeichnet sich also ein Konflikt ab.140 Für den Braunschweiger Gespensterstreit mit Johann Ludwig Oeder ist aber vor allem ein Beitrag maßgeblich, den Harenberg bereits in den 1730er Jahren in den Neuen Gelehrten Akten unter dem Titel Demonstratio de existentia et usu monadum, quae prima corporum sunt elementa veröffentlichte.141 Er befasste sich darin mit der noch 1745 relevanten Frage nach der möglichen Existenz von Monaden. Wie auch die Thomasianische Geisterkritik war die Monadenlehre seit den 1730er Jahren unter massiven Empirisierungsdruck geraten. Offen wurde nun nach ihrem Nutzen für die Naturlehre gefragt. Eine mögliche Applikation auf die Welt bestand 136 137
Vgl. Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 337–363. Johann Christoph Harenberg: Palestina. S. Terra Mose et Josua occupata et inter Judaeos distributa per tribus […]. Utrecht 1740; Harenberg vertrat darin die These, das Paradies läge im Nildelta und die Bewirtschaftung sei der ursprüngliche Gotteskult der Ägypter gewesen. 138 Für Harenbergs Position in der Unsterblichkeitslehre sind ferner relevant: ders.: Vernünftige Gedanken über die Vampirs, oder blutsaugende Todten, so unter den Türken und auf den Gräntzen des Servienlandes den lebenden Menschen und Vieh das Blut aussaugen sollen. Wolffenbüttel 1733. Eine Widerlegung von Michael Ranst: Abhandlung von dem Raunen und Schmatzen der Todten bei den Gräbern. Die Schriften wurden offenbar angeregt durch Johann Christoph Meinig: Besondere Nachricht von den Vampyren oder so genannten Blut-Saugern, wobey zugleich die Frage, ob es möglich daß verstorbene Menschen wiederkommen [...] gründlich untersuchet worden von Putoneo. Leipzig 1732. 139 Eintrag ‚Harenberg‘, in: DBA, S. 32: „So ein eifriger Verfechter der wolfischen Philosophie, der Herr Probst ehedem gewesen, so wenig stimmen die Begriffe, die er bey gegenwärtiger Widerlegung des edelmannschen Lehrgebäudes zum Grunde legt, mit den Begriffen gedachter Philosophie überein. Vielmehr folget er mehrentheils der Grundwissenschaft des Prof. Crusii in Leipzig, und entfernet sich gar selten von den gegründeten Lehrsätzen dieses großen Mannes.“ 140 In Bezug auf Harenbergs Edelmann-Schriften bemerkten Kritiker daher spöttisch, der Probst habe zwar ein „großes Gedächtnis, aber auch eine starke Einbildungskraft, da er in seiner Jugend auch Geister und Gespenster sah.“ Um Harenberg zu desavouieren, mobilisierten seine Gegner Topoi der Schwärmerkritik. Sie wiesen den vehementen Geisterkritiker als einen ehemaligen Geisterseher aus und griffen damit auf ein bereits in der Hobbes-Rezeption erprobtes Mittel der Diffamierung zurück. Ebd., S. 51. 141 Harenberg: Demonstratio de existentia et usu monadum quae prima corporum sunt elementa, in: Zusätze zu den Nova Acta Eruditorum (1748) Tom I, Sec. 4, S. 164–168.
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in der Erklärung der Elemente, die auf der Gleichsetzung der monas, der kleinsten unveränderlichen Einheiten der Leibnizschen Kosmologie, mit jenen Teilen oder Elementen bestand, aus denen feste und flüssige Körper zusammengesetzt seien. Harenberg argumentierte dezidiert gegen eine solche Anwendung auf die Naturlehre. Ihre Nützlichkeit, so der Probst, könne nicht auf diese Weise erwiesen werden, da die Elementenlehre als solche irrig sei. Harenberg weist sich damit als orthodoxer Leibnizianer und Theologe aus, der gegen den Atomismus argumentiert und damit zur Fraktion der vermeintlichen Empiriker in Opposition ging. Letztere meinten hingegen Belege für die Gültigkeit der Atomen- bzw. Elementenlehre gefunden zu haben. Diese entscheidende Differenz zwischen Harenberg und Oeder könnte ein Motiv für die Invektive geliefert haben. Zwar hat Oeder, soweit ersichtlich und wie auch Harenberg in den Zufälligen Gedanken spöttisch hervorhebt, keine eigene Naturlehre vorgelegt. In einer Serie von Publikationen, die in den Braunschweigischen Gelehrten Anzeigen erschienen, bezieht er zu dieser Frage jedoch Position. Von einigen antiquonovis physicis ist der Beitrag überschrieben, der eine Harenberg entgegengesetzte Meinung formuliert. Die Überschrift „antiquonovis physicis“ hat Signalfunktion. Gemeint sind damit Erkenntnisse von Naturkundigen wie „Democritus“, „Seneca“, „Euclides“ oder „Archimedes“,142 für die Oeder Partei ergriff und die er gegen die so genannten Aristoteliker in Schutz nahm. Oeders Indienstnahme der antiken Mathematiker – Pythagoras bezeichnet er sogar als einen „philosophischen Patriarchen“143 – hat eine strategische Funktion. Sie nobilitiert den antiken Atomismus und die damit verbundene Vakuumtheorie, so wie sie in Lukrez’ Lehrgedicht De rerum natura überliefert sein soll.144 Allerdings geht es Oeder weniger um die Adelung der Epikuräer als vielmehr um die Aufwertung der seit dem 17. Jahrhundert florierenden Experimentalkultur. Dabei fragt er nach dem neuen Beitrag, den diese Kultur geleistet habe. Er bestehe nicht nur im Beweis der Vakuumlehre und des Atomismus, der schon mit Lukrez vorgelegen habe, sondern auch in der Bestätigung der Polarabflachung durch den französischen Mathematiker Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759). Die Experimentalkultur sei daher eine notwendige Ergänzung zur antiken Physik, weil sie die antiken Schriftzeugnisse durch Experimente bestätige und damit zu ihrer Renaissance beigetragen habe:145 Es rechnet also die Physik ihr Alter vom Galilei an […] Nach ihm hat sie, durch des unsterblichen Newtons Erfindungen hauptsächlich in der Optik und Astronomie, eine rechte Gestalt angenommen. Inzwischen findet man doch Spuren von neuen Entdeckungen in den Schriften der
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Johann Ludwig Oeder: Von einigen antiquonovis physicis, in: Brauschweigische Anzeigen 48 (1745), Sp. 777–786, hier S. 777. Oeder: Von einigen antiquonovis, Sp. 781. Lukrez: De rerum natura. Welt aus Atomen. Lateninisch / Deutsch. Übersetzt u. mit einem Nachwort hg. von Karl Büchner. Stuttgart 2005, S. 257. 145 Oeder: Von einigen antiquonovis physicis, Sp. 780. 143 144
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Alten, welche mit ihren Muthmaßungen, dazu sie jedoch ofte schlechten Grund gehabt, auf solche Dinge gefallen seyn, so die Nachwelt durch Versuche in der Natur gegründet siehet.146
Oeder sieht in Pieter van Musschenbroeks (1692–1761) Vakuumversuchen sowie in Galileo Galileis Fallexperimenten also Bestätigungen, die mit den Inhalten von Lukrez’ Lehrgedicht kompatibel seien und letztere bewiesen. Unschwer ist hinter dieser Konstruktion eine Aufwertung der Experimentalkultur zu lesen, die – unter Zugrundelegung eines weiteren Begriffs von ,Experiment‘ – den Anordnungen und Beobachtungen in der Natur eine zentrale epistemische Funktion für die Theoriebildung zuspricht. Dass antike Schriftsteller, obschon sie nicht im selben Maß Experimente durchführten, in ihren Erkenntnissen mit heutigen Naturkundigen übereinstimmten, gibt Oeder Anlass zu weiteren Spekulationen. Oeder nimmt an, die Antiken hätten über ein Geheimwissen verfügt, das sie an ihre Nachfolger tradiert hätten. Er weist die zu seiner Zeit aktiven Wissenschaftler zugleich als Nachfahren einer Geheimgesellschaft aus und knüpft an die Fiktion einer naturwissenschaftlichen Arkanüberlieferung an. Zwar beruft er sich nicht explizit auf dessen Schriften, dennoch bestehen hier Parallelen zu einer Deutung, die Christian Kortholt unlängst mit seiner Geschichte der Royal Society geliefert hatte147 und auf die auch Harenberg Bezug nahm.148 Demnach handelte es sich bei der englischen Royal Society um eine auf vergangene Zeiten zurückgehende Geheimgesellschaft von Naturkundigen, die sich von Moses ableitete, die ihre Erkenntnisse in vorbiblischen Schriftzeugnissen verborgen und nur an Eingeweihte weiter überliefert hatte. Mit dem Beitrag bekennt sich Oeder zum Atomismus und einer Fraktion von Naturwissenschaftlern, die Harenberg in dem seiner Sammlung beigefügten Lukianischen Spottdialog verunglimpft. In seiner mit Lucians Gespräch mit den Philopseudes betitelten Schrift stellt er dar, wie die Epikuräer beim Versuch scheitern, Skeptiker von der Wahrheit ihrer Erfahrungen zu überzeugen. Sie berichten über merkwürdige Begebenheiten wie Höllenvisionen, Medusenerscheinungen und weiß gewandete Menschen. Weitere Bezüge zwischen diesem antiken und dem modernen Epikureismus bzw. Atomismus der Herren „Carolinisten“ finden sich in den Zufälligen Gedanken. Wenn Harenberg darin von form-bildenden „physikalischen Atomen (auf deutsch Sonnenstäubchen)“ spricht149 und sie zugleich als „Erdichtungen“ jener Philopseudes ausweist, stellt dies einen unmittelbaren Angriff auf die Braunschweiger Naturkundigen dar. Obschon er nicht direkt benannt wird, liegt es nahe, Oeder ebenfalls unter die verspotteten „Philopseudes“ zu subsumieren. Denn er 146 147
Ebd., Sp. 779. Christian Kortholt: Epistola de Societate Antiquarum Londinensi ad Virum Celebrissimum Johannem Erhardiem Kappium 1. Leipzig 1735, Sectio 9, besonders S. 429–432. 148 Harenberg: Demonstratio de existentia et usu monadum quae prima corporum sunt elementa, S. 166. 149 [Anonym]: Zufällige Gedanken, S. 38f.
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glaubt wie die Atomisten an die Autorität des Pythagoras und die Evidenzerzeugung durch Erfahrung und Experimente. Allerdings ist einschränkend zu vermerken, dass der Skeptiker außer Spott kein Argument an der Hand hat. Wenn dessen Position den Leser am Ende nicht zu überzeugen vermag, wird mit dem Dialog einmal mehr die Problematik des historischen Wissensbereiches berührt. Ein weiterer aktueller Anlass des Konfliktes dürfte die von Oeder angeführte Zeugungslehre gewesen sein, die nochmals deutliche Querverbindungen zum Gespensterstreit aufzeigt. In der zitierten Schrift beschreibt Oeder Geburt und Tod als Übergang von einem sichtbaren in einen unsichtbaren Zustand und versteht ihn als Änderung von Aggregatzuständen bzw. Partikelkonfigurationen. Der Tod des Körpers wäre in diesem Sinn als Transformation seiner Dichte zu verstehen und nicht etwa als Verwesungsprozess oder als Verfall. Genau diese Überlegungen könnten Oeder tatsächlich zu einem Befürworter der ‚Gespenster‘ gemacht haben, worunter nun die nicht-sichtbaren Leiber der Toten zu verstehen seien. Oeder wäre damit als Vertreter der New Science anzusehen. Genau dieser Ansatz könnte Harenbergs Polemik ausgelöst haben. Denn bereits in den 1730er Jahren hatte sich der „Petit-Maitre“150 in einem Bericht über Vampire mit dieser Materietheorie befasst und sie vehement verneint.151 Der Schnittpunkt der Vampirlehre und Monadentheorie berührte Materieauffassungen, insbesondere die Frage, ob aus Materie bzw. den Partikeln neue Substanzen entstehen könnten, wie einige nicht orthodoxe Leibnizianer behaupteten.152 Harenberg verspottete Oeder also zunächst vom orthodoxen Standpunkt der Leibniz-Wolff-Schule aus, wobei zumindest zwei Aspekte eine zentrale Rolle spielten: zum einen dessen empirische Methode, d.h. die Naturbeobachtung und das Experiment als wissenschaftliche Verfahren, zum anderen dessen Naturtheorie und möglicherweise seine natürliche Erklärung der Gespenster. Wenn Harenberg Oeders Experimente somit als Geisterseherei kritisiert, steht dahinter auch ein natur- und erkenntnistheoretischer Konflikt, der Oeders Atomismus betrifft und der sich auf die Perspektivität von Erfahrungen erstreckt. Eben diese war in der Gespensterdebatte konkret an den schon notierten Widersprüchen zwischen den verschiedenen Berichten zur Anschauung gebracht worden.153 Mit der Gegenüberstellung dieser 150 151 152 153
Vgl. dazu die Rezension in den Nova Acta Eruditorum, 1735, S. 164–168. Johann Christian Harenberg: Vernünftige Gedanken über die Vampirs. Michael Ranft: Tractat von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern. Leipzig 1734. So hebt Oeder in seinem Brief an den Göttinger Professor seine Furchtlosigkeit hervor, während Höfer Letzterem genau das Gegenteil attestiert. Bezeichnende Abweichungen sind zudem zwischen dem Wolfenbütteler Schreiben und dem oben dargestellten Bericht Höfers zu vermerken. Vgl. dazu [Anonym]: Extract eines Schreibens von Wolffenbüttel den 27. März 1747, S. 20: „Der Hofmeister Westphal ist kranck, bittet deswegen den Herrn M. Höbeln die gewöhnlichen Visitationes des Abends auf den Stuben vor ihn zu thun. Er übernimmt solche, und wie er auf den so genannten langen Gang kommt: so siehet er am Ende desselben jemand sitzen. Weil er sich nun vorstellet, es sey ein Studiosus, so achtet er sogleich nicht darauf; bis er nach der Reihe die Stuben visitiret, und also immer näher kommt; da er denn, weil solche Gestalt sich ferner nicht beweget, dieselbe mit einer in den Händen habenden Laterne näher be-
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Berichte wirft die Sammlung aber Zweifel an der Allgemeingültigkeit von Erfahrungen auf. Sie verdeutlicht, dass die jeweiligen Intentionen, die Anordnung, die Auswahl und Bewertung von Fakten je nach Verfasser entscheidend variieren. Gespensterberichte sind insofern exemplarisch für den Wissensbereich der historia, als sie die Ungenauigkeit von Erfahrungsberichten und damit die Dringlichkeit einer philosophischen Neubestimmung von Erfahrungserkenntnissen offenlegen. Hier wird also ein Erkenntnisbereich einer kritischen Revision unterzogen, den Erfahrungswissenschaftler seit einigen Jahrzehnten für sich zu reklamieren begannen.
3.9. Von Braunschweig nach Halle Überregionale Bedeutung erlangte die Braunschweiger Episode aufgrund der dichten Vernetzung der an ihr beteiligten Protagonisten. Die Involvierung weiterer akademischer Lehrer – wie des Hofraths Erath – und der äußerst geringe Erfolg disziplinarischer Maßnahmen führten nicht nur zu anhaltenden Beunruhigungen im Kolleg, sondern auch dazu, dass die Mitglieder des Kuratoriums und darüber hinaus der Wolfenbütteler Serenissimus benachrichtigt wurden. Die Beteiligung verschiedener Gelehrter, u.a. des berühmten Probsts Jerusalem, hatte die Verbreitung der Geschichte auch außerhalb der Grenzen des Collegiums zur Folge. Die Netzstrukturen erfassten ferner die Universitäten Halle und Göttingen und die kirchlichen Kuratorien. Außerhalb der Landesgrenzen wurde das Gerücht schließlich bis zur Akademie der Wissenschaften in Berlin kolportiert, wo Leonard Euler es nicht nur zur Kenntnis nahm, sondern – so teilt es jedenfalls Eschenburg mit – sogar die Publikation der ihm vorliegenden Akten in Erwägung zog.154 Der Weg zur Berliner Akademie der Wissenschaften führt von Oeder zunächst über Andreas von Segner zu Maupertuis bzw. zu Daniel Bernoulli (1700–1782).155 Dieser galt als Kenner der gesamten Wissenschaftsszene156 und stand in intensivem
leuchtet, und zu seinem grossen Schrecken gewahr wird, daß es würcklich die Gestalt des verstorbenen Hofmeisters Dörrien, in einem grünen Schlafrocke mit einer weissen Nachtmütze und theils untergesteckt, theils hervorragenden Haaren auch blasses Angesichts ist. Er, als guter Philosoph dencket, die Sinne betrögen ihn, leuchtet ihm desfalls recht unter die Augen, und siehet, daß sich das Bild mit dem Kopf zurück beuget, als ob es sich nicht an die Laterne stossen wollte. Hierauf gehet er hin und rufet den Professor Oedern.“ 154 Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii, zur Braunschweiger Gespenstergeschichte allgemein, S. 135–144, hier S. 135. 155 Ivo Schneider: Die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie von den Anfängen bis 1933. Berlin 1989; zur Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit bei Bernoulli, S. 62–68, vgl. auch Lisa Roberts: Science becomes electric, S. 684. 156 Seit seinem Aufenthalt in St. Petersburg und seiner Beteiligung an zahlreichen Ausschreibungen unterhält Bernoulli intensive Kontakte zur gesamten europäischen Wissenschaftsszene. Er beteiligt sich u.a. an der Pariser Akademiepreisfrage von 1734, die sich mit der Planetenbahnberechnung befasst und einer möglichen einheitlichen Ursache für gegenläufige Bewegungen nachgeht, sowie 1737 am Petersburger Problem. Nach dem Studium der Medizin in Heidelberg
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Briefkontakt mit dem Leiter der mathematischen Klasse Leonhard Euler.157 Auch er ist Repräsentant einer Wissenschaftsfraktion, die durch Euler und Maupertuis Auftrieb erhält. Sie solidarisierte sich unter dem zunehmenden Druck gegen das Wolffsche Lager, obschon sie sich zunächst um eine Vermittlung der Hydraulik mit den mathematischen Verfahren Wolffs bemühte. Die personellen Verflechtungen erhärten die Vermutung, dass die Braunschweiger Gespensterkontroverse einen Streit von eminenter wissenschaftstheoretischer und -politischer Dimension reflektiert. Dieser Umstand könnte jedenfalls das nachhaltige Interesse erklären, das die Episode erfahren hat. Es ist also nicht überraschend, dass man bald nach der Publikation der Unparteiischen Nachrichten auch in Halle von der Angelegenheit erfuhr. Als erster meldet sich der dort lehrende Baumgarten-Schüler Georg Friedrich Meier zu Wort. Er nimmt die Affäre zum Anlass, um sich 1747 mit einem längeren Traktat zu Gespenstern in die Diskussion einzuschalten. Ihm folgten eine Reihe von Repliken: 1747 antwortete Johann Georg Sucro, ein ebenfalls in Halle ansässiger Philosoph, der aus einer bekannten Gelehrtendynastie des 18. Jahrhunderts stammte und Bruder von Johann Josias Sucro war – Verfasser der Erfahrungen. Seine Schrift trug den Titel Widerlegung der Gedancken von Gespenstern. Daran schloss sich eine Entgegnung von Wilhelm Wegner an, die Philosophische Abhandlung von Gespenstern. Nicht aus dem unmittelbaren Halleschen Umfeld geht ein weiterer Text hervor, der 1747 unter dem Titel Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern erschien und ebenfalls auf Meiers Abhandlung antwortet. Er wurde 1748 in der von Johann Andreas Fabricius herausgegebenen Critischen Bibliothek publiziert und ist damit wohl offensichtlich aus dem Braunschweiger Kreis hervorgegangen. Auf diese Streitschriften reagierte Meier im darauffolgenden Jahr nochmals mit einer Replik, mit der Vertheidigung seiner Gedancken von Gespenstern. Obschon sie sich auf die Braunschweigerepisode beziehen, bilden diese Texte eine eigene Kontroverse aus, deren neues Gravitationszentrum die Universität Halle ist, wo man nun zur philosophischen Klärung des Erfahrungsbegriffes ansetzte. Das nächste Kapitel analysiert Georg Friedrich Meiers 1747 publizierten Traktat, indem es die Hauptargumentationslinien rekonstruiert, auf die formale Gestaltung der Schrift Bezug nimmt und sie zur Formation der Halleschen Ästhetik in Beziehung setzt. Die in Halle entwickelte Disziplin hat, so die These, unter ande-
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und Straßburg machte er sich mit einem Buch über die rekurrierenden Reihen einen Namen als Verteidiger seines Vaters und Onkel, vgl. ADB, Bd. 21: Bal-Bod, S. 478–481. Der Briefwechsel ist in der Correspondence mathématique et physique abgedruckt. Zitiert nach Heinrich Begehr (Hg.): Mathematik in Berlin. Geschichte und Dokumentation. 1. Halbbd. Aachen 1998, S. 3–31. Die Gespensterkontroverse fällt in die Zeit der Umstrukturierung der Berliner Akademie. Im Mai 1741 werden Maupertius und Leonhard Euler berufen. Leonhard Euler hat bei Johann Bernoulli studiert. Pierre Louis Moreau de Maupertuis ist Schüler Newtons. S’Gravesande lehnt den Ruf nach Berlin ab. 1746 wird Maupertius Präsident. Die Preisfrage von 1745 befasst sich mit der Elektrizität. Den Preis erhält Sigismund v. Waitz. 1746 erhält ihn D’Alembert für seine Schrift Über die Ursachen des Windes.
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rem auch die Entstehung einer neuen philosophisch-literarischen Gattung befördert, die sich durch eine spezifische Form der Wissensvermittlung auszeichnete. Daraus ist ferner die Bedeutung von Meiers Schrift für die spätaufklärerische Geister- und Gespensterliteratur abzuleiten. Sie wurde bislang kaum angemessen untersucht, obschon die Hallesche Ästhetik eine für die spätere anthropologische Literatur zentrale Diskursformation darstellt.158 Das folgende Kapitel geht zudem von der These aus, dass sich anhand der Gespensterdiskussion die interne Dynamik einer weitreichenden Gelehrtenkontroverse skizzieren lässt. Die Braunschweiger Episode ist als Präludium des Halleschen Streits zu lesen. Auf der einen Seite steht der als Crusius-Schüler bezeichnete Harenberg, auf der anderen die Fraktion um Oeder und Segner, die Wissenschaftler der so genannten Erfahrung, die mit dem Empirisierungsdruck zunehmend an Geltung gewinnen und eine ernsthafte Konkurrenz für den philologisch-philosophischen Gelehrtentypus darstellen.159 Kein Wunder also, dass Meier und seine Mitstreiter auf diese Herausforderung reagieren und ihrerseits einen Angriff auf den Erfahrungsbegriff der neuen Naturkundigen lancieren. In dieser Diskussion zeichnet sich zugleich der Geltungsverlust der Philosophie als Einheits- und Grundlagenwissenschaft und damit eine Transformation des Wissenssystems ab, die mit der disziplinären Ausdifferenzierung des universitären Fächergefüges einhergeht. Wie sich zeigen lässt, vollzieht sich in der Gespensterdiskussion der mittleren Aufklärung ein Bruch mit der vormodernen Gelehrtentradition.
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Zelle: Sinnlichkeit und Therapie, in: ders. (Hg.):‚Vernünftige Ärzte‘, S. 5–24. Hochadel: Öffentliche Wissenschaft, S. 13.
Teil II: Georg Friedrich Meiers Gedancken von Gespenstern (1747)
4. Georg Friedrich Meiers Gedancken von Gespenstern (1747)
4.1. Vorüberlegungen zum Halleschen Diskursfeld Unmittelbar im Anschluss an die Publikation der Braunschweiger Sammlung greift der Hallesche Aufklärer Georg Friedrich Meier (1718–1777) mit einer Monographie in die Debatte ein. Auf Anregung seines Lehrers, des Ästhetikers Alexander Baumgarten, publiziert er 1747 eine kleine Schrift mit dem Titel Gedancken von Gespenstern. Dieser kaum mehr als vierzig Seiten umfassende Text eignet sich für eine exemplarische Analyse, weil er als Bezugspunkt bei der Erschließung eines weit verzweigten Diskursfeldes dienen kann. Denn Meier bezieht sich mit der Schrift auf subtile Weise auf verschiedene zeitgenössische Positionen. Er äußert sich darin zum Materialismus, zur Unsterblichkeit, zur Rolle der Affekte im Erkenntnisprozess und erörtert somit jene für die Epochenkonstellation zentralen Themenfelder. Meier kann darüber hinaus als prototypischer Vertreter der mittleren Aufklärung und als Repräsentant einer akademischen Fraktion angesehen werden, die sich über weite Strecken an den Vorgaben der Wolffschen Schulphilosophie orientierte.1 Kurz vor der Publikation der Gespenster-Schrift wurde er in Halle zum Ordinarius für Philosophie an der Academia Fridericiana ernannt. Neben zahlreichen Dissertationen2 ist er durch mehrere kleinere deutschsprachige Schriften bekannt geworden, in denen er sich zu popularphilosophischen und wissensgeschichtlichen Themen geäußert hat. In diese Zeit fällt eine bereits 1743 publizierte Abhandlung mit dem Titel Beweiß, daß keine Materie dencken könne, die sich mit dem Materialismus vor Julien de LaMettries 1745 anonym publizierter Naturgeschichte der Seele auseinandersetzt. Meiers Schrift stellt ein frühes Dokument der deutschsprachigen 1
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Zu Meiers Leben vgl. Samuel Gotthold Lange: Leben Georg Friedrich Meiers. Halle 1778; daneben Axel Bühlers Kurzbiographie, in: Aufklärung 8.2 (19) (1994), S. 91–92; Günter Schenk: Leben und Werk des halleschen Aufklärers Georg Friedrich Meier, die Rezension von Riccardo Pozzo dazu in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 8.2 (1994), S. 118–122; auch ders.: Georg Friedrich Meiers „Vernunftlehre“. Eine historisch-systematische Untersuchung. Stuttgart 2000, bes. Kap. II, S. 63–87. Meiers Nachlass gilt als verloren, eine Standardbibliographie liefert Ferdinand Wiebecke: Die Poetik Georg Friedrich Meiers. Ein Beitrag zur Geschichte der Dichtungstheorie im 18. Jahrhundert Diss. (masch.) Göttingen 1967. Z.B. zum Schönheitssinn und den Leidenschaften vgl. Georg Friedrich Meier (Prases): Dissertatio philosophica inauguralis de origine ac sensu pulchritudinis pars prima. Halle 1768 sowie Meier (Praes.): Dissertatio philosophica de voluptate cum religione coniuncta. Halle 1749.
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Auseinandersetzung mit dem französischen Sensualismus dar, das zudem vor der Publikation von L’homme Machine (1748) einsetzt. Ebenfalls zur Zeit des Gespenstertraktats publiziert er eine Schrift zur prästabilierten Harmonie, mit der er sich in Fragen des commercium-mentis-et-corporis als Vertreter eines moderaten Parallelismus ausweist. Er vertritt darin die Auffassung, Seele und Körper seien zwei zwar voneinander unabhängige, aber dennoch koordinierte Funktionseinheiten. Eine weitere Schrift, die unter dem Titel Gedancken von Schertzen erschien, positioniert sich dagegen im so genannten „30 jährigen poetischen Krieg“3 und nimmt gegen Gottsched Stellung. Zu diesem Corpus gehört dessen Versuch über die Tierseele und schließlich eine affekttheoretische Abhandlung, die sich gegen René Descartes’ Passions de l’âme richtet und 1744 unter dem Titel Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen erschien. Sie legt ein Affektkonzept vor, das Teil der in Halle vollzogenen ästhetischen Aufwertung der Affekte bildet. In diesen kleineren literaturtheoretischen bzw. philosophischen Schriften entwickelt Meier (und zwar in kritischer Abgrenzung gegen sensualistische Wahrnehmungstheorien sowie gegen Gottscheds Poesiekonzept) eine eigene ästhetische Position, die im Feld der mittleren Aufklärung hervorsticht. Während seine Lehrbuchproduktion, vor allem die umfangreicheren ästhetischen Schriften hier insbesondere die Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften (1748–50)4 sowie seine Vernunftlehre und Hermeneutik,5 bereits eingehend analysiert wurden, haben die kleineren Schriften mit Ausnahme der frühen ästhetischen6 in der Forschung bis heute wenig Beachtung gefunden. Abgesehen von der Monographie Günter Schenks waren sie kaum Gegenstand ausführlicherer Untersuchungen, obschon sie für Meiers Profilbildung als mittlerer Aufklärer, für seine Positionierung im Halleschen Feld von kaum zu unterschätzender Bedeutung sind.
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Lange: Leben Georg Friedrich Meiers, S. 41. Zu Meiers ästhetischen Schriften: Ernst Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik durch Alexander Gottlieb Baumgarten und Georg Friedrich Meier. Leipzig 1911; Hans Böhm: Das Schönheitsproblem bei G. F. Meier, in: Archiv für die gesamte Psychologie 56 (1926), S. 177–252; Josef Schaffrath: Die Philosophie Georg Friedrich Meiers. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung. Eschweiler 1940; Ferdinand Wiebecke: Die Poetik Georg Friedrich Meiers, Wolfgang Bender: Rhetorische Tradition und Ästhetik im 18. Jahrhundert: Baumgarten, Meier und Breitinger, in: Zeitschrift für deutsche Philosophie 99 (1980), S. 481–506. Zur Hermeneutik u.a.: Werner Alexander: Hermeneutica generalis. Zur Konzeption und Entwicklung der allgemeinen Verstehenslehre im 17. und 18. Jahrhundert. Stuttgart 1993; Oliver Scholz: Die allgemeine Hermeneutik bei Georg Friedrich Meier, in: Unzeitgemäße Hermeneutik. Verstehen und Interpretation im Denken der Aufklärung. Hg. v. Axel Bühler. Frankfurt 1995, S. 158–191; Axel Bühler / Luigi Madonna: Vorwort, in: Georg Friedrich Meier: Versuch einer allgemeinen Auslegekunst. Hg. v. Axel Bühler u. Luigi Madonna. Hamburg 1996, S. 1– 45; Manfred Beetz: Georg Friedrich Meiers semiotische Hermeneutik, in: ders. / Guiseppe Cacciatore (Hg.): Hermeneutik im Zeitalter der Aufklärung. Köln / Weimar / Wien 2000 (Collegium Hermeneuticum 3), S. 17–30. Vgl. dazu jetzt die Ausgabe von Hans-Joachim Kertscher / Günter Schenk (Hg.): Georg Friedrich Meier. Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen. Teil 1–3. Halle 2000 (Texte & Dokumente).
Blickt man auf die textuelle Organisation des Gespensterwissens um 1750, stellt Meiers hier behandelte Abhandlung eine veritable Innovation dar. Sie steht am Beginn einer Reihe von popularphilosophischen Gespenster- bzw. Geistertexten, die – wie Immanuel Kants Träume eines Geistersehers und Georg Lichtenbergs Etwas über die Polter-Geister – disparate Positionen zum Geisterglauben vortragen, ohne dabei explizit eine der vorgestellten Positionen einzunehmen. Weil sie gegensätzliche Fraktionen, Befürworter wie Kritiker der Geisterseherei, gegenüberstellt und wie ein Lexikonartikel bemüht ist, einen Überblick über das Gespensterwissen zu vermitteln, lässt sich Meiers Schrift nicht umstandslos in das Schema einer psychologischen und physiologischen Aberglaubenskritik einordnen, wie bislang in der Forschung vermutet. Zwar ist es ein erklärter Zweck des Gespenstertraktats, eine ‚medicina mentis‘7 gegen die abergläubische Furcht zu liefern. Jedoch unterscheidet sich Meier von anderen Autoren, weil er nicht etwa den Glauben oder die Vernunft in Stellung gegen die abergläubische Furcht bringt, sondern Affekte und Vernunft in ein rechtes Verhältnis setzen will. Im Gegensatz zu aberglaubenskritischen Texten will Meier nicht korrigieren und belehren. Sowohl für den Gespenstertraktat als auch für Meiers 1744 publizierte Schrift Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt,8 die Pott als Exempel einer psychologischen Aberglaubenskritik interpretiert,9 gilt, dass sie erfahrungsunabhängige Wissensansprüche, von denen die frühaufklärerische Aberglaubenskritik maßgeblich getragen war, auf einer Metaebene reflektieren. Nicht mehr nur der Gegenstand, die Gespenster, stehen bei Meier im Vordergrund. Erprobt werden vielmehr bestimmte Argumentationsmuster bzw. Textverfahren.
4.2. Gespenster als Problem der Ästhetik Obschon die kleineren Schriften Meiers auf disparateste Themen Bezug nehmen, haben sie dennoch ein geheimes Wissenszentrum, das die Gespensterdiskussion ebenso steuert wie die Rezeption des französischen Sensualismus. Dieses Wissenszentrum ist die in Halle in der Entstehung begriffene Disziplin der Ästhetik. Schon Carsten Zelle hat auf die Bedeutung der Ästhetik für die zur gleichen Zeit einsetzende anthropologische Wissensproduktion aufmerksam gemacht. Er deutete 7
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So im Rahmen rationalistischer Vorurteilstheorien wie z.B. der vom reformierten Cartesianer Clauberg verfassten Logica vetus et nova (1654), wo die Logik als Medizin zur Befreiung von Vorurteilen und Unvollkommenheiten des menschlichen Geistes begriffen wird. Vgl. dazu Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik, S. 71. Georg Friedrich Meier: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt. Halle 1744, 21759 [= Nachdruck Frankfurt 1971], S. 96f. Fraglich ist, ob das für die Wolff gewidmete Schrift Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen gilt oder auch noch auf den Gespenstertraktat zutrifft, wie Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 327, und Schenk: Leben und Werk, S. 61, meinen. Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 324–332.
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sie im Sinne einer Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie und begriff damit die Entstehung des Faches als zentrale Bedingung für die Formation des anthropologischen Wissensbereiches bzw. für die Anthropologisierung des Wissens.10 Diese These aufgreifend, soll die Analyse des Gespenstertraktates ermitteln, inwiefern die Ästhetik als geheimes Wissenszentrum fungiert, das die spätaufklärerische Anthropologie ebenso generiert wie die Hallesche Textproduktion und zur Neuformierung tradierter Wissensbestände beiträgt. Um 1750 befindet sich die Disziplin Ästhetik in ihrer Entstehungsphase. Sie ist zu dieser Zeit sowohl als Wahrnehmungs- und Erkenntnislehre als auch als Theorie der Kunst konzipiert. Bislang wurde zwar der erste Aspekt, also die Entstehung der Ästhetik als Theorie der Wahrnehmung gleichermaßen untersucht. Dabei ging es jedoch weniger um deren Bezüge zur Popularphilosophie,11 d.h. zu einer philosophischen Richtung des 18. Jahrhunderts, die sich insbesondere mit Fragen der Wissensvermittlung auseinandersetzte. Ausgehend von der These, dass die Ästhetik als ,Kunst schön zu denken‘, nicht nur als eine spezifische Denkweise zu begreifen ist, sondern möglicherweise Bezüge zur Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts aufweist, soll die Analyse des Gespenstertraktats präzisieren, was ,ästhetisch schön Denken‘ meinen könnte bzw. was unter ‚ars pulchri cogitandi‘ im popularphilosophischen Sinn zu verstehen wäre und inwiefern diese Konzeption der Ästhetik mit der Verbreitung einer neuen philosophischen Gattung einhergeht.12 Denn zwischen 1745 und 1750 entstanden im Umfeld der Universität eine Anzahl kleinerer Schriften, die sich mit populären Themen wie dem Niesen, dem Seufzen, der Schönheit des Körpers oder auch mit Scherzen befassten. Weder thematisch noch unter formgeschichtlichen Aspekten lassen sich diese Texte zur akademischen Lehrproduktion im engeren Sinn zählen. Im Gegensatz zu Lehrbüchern erheben sie nicht den Anspruch, das gesamte Wissen eines Faches zu repräsentieren. Anders als Dissertationen oder Lehrbücher zeichnen sie sich meist auch nicht durch eine Paragraphenstruktur aus. Sie haben keine klare Disposition, sondern verbinden gelehrtes Wissen mittels lockerer Assoziationen. Dennoch orientieren sich diese Texte, die in erster Linie von Angehörigen der Universitätsfakultäten
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Carsten Zelle: Sinnlichkeit und Therapie. Zur Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie, in: ders. (Hg.): ,Vernünftige Ärzte‘, S. 5–24; ders: Vernünftige Ärzte. Hallesche Psychomediziner und Ästhetiker in der anthropologischen Wende der Frühaufklärung, in: Walter Schmitz (Hg.): Innovation und Transfer. Naturwissenschaften, Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Dresden 2004, S. 47–62. Eine Ausnahme bildet Christoph Böhr: Philosophie für die Welt. Georg Friedrich Meier: Von dem Gegenstand der menschlichen Erkenntnis, in: Der Mensch. Sechster Theil. Halle 1753, S. 387–402, hier S. 387. „Nimt man sie [die schönen Wissenschaften – Y. W.] ganz allein, so daß man nicht auf den würdigen Gegenstand derselben sieht, so beschäftigen sie sich mit einer besondern Art und Weise, eine Sache zu erkennen. Nämlich sie bemühen sich sämtlich, die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis, wenn es möglich ist, auf eine schöne und sinnlich angenehme Art zu erkennen.“
verfasst wurden, an den Lehrinhalten eben jener Fakultäten. Sie befassen sich mit Gegenständen der Alltagserfahrung, auf die sie Fachwissen anwenden bzw. die sie unter Hinzuziehung von Fachwissen erklären.13 Unter literatur- und dichtungstheoretischen Aspekten betrachtet, wurden diese Schriften oft der rhetorischen Dichtkunst zugeordnet14 und von einem sich später durchsetzenden psychologisch-anthropologischen Dichtungsbegriff abgegrenzt. Demgegenüber wird hier die These vertreten, dass sich die Hallesche Literaturproduktion von den rhetorischen und gattungsgeschichtlichen Vorgaben ablöst und dass mit den Texten das Gattungsspektrum der Poesie um die didaktische Prosa erweitert wird. Neben den traditionellen Gattungen der mittleren Aufklärung, dem Drama, der Idyllendichtung, der Fabel und dem Lehrgedicht, entsteht hier eine literarisch-philosophische Kurzprosaform, auf die sich der Begriff Dichtung -zumindest nach den poetologischen Vorgaben der Halleschen Ästhetiker – ebenfalls anwenden lässt. Diese Texte sind wie das Lehrgedicht in die Tradition philosophisch-literarischer Schriftstellerei einzuordnen. Sie folgen freien Formen, die einen philosophischen Lehrinhalt vermitteln wollen. Bezeichnend ist der Bezug zum Wissen und dessen Funktion.15 Denn die jeweils angebotenen Erklärungen haben in dieser Literatur keine explizit belehrende Funktion. Sie bilden Hintergrundwissen, das in die Konzeption von Charakteren oder Meinungen eingewoben wird. Diese Literaturform bezieht ihr Wissen nicht mehr nur aus topischen Systemen. Sie nimmt Erfahrungswissen auf, bezieht es auf verfügbare Theorien, verwertet es, ordnet es im Raum der Imagination an und misst ihm dabei einen eigenen empirischen Wahrscheinlichkeitswert bei. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass in Halle ein an der Erfahrungswelt orientierter und auf die kleineren Prosatexte anwendbarer Literaturbegriff entsteht.16 Der Ästhetik kommt eine zentrale Funktion für die Textproduktion zu. Sie liefert eine philosophische Begründung für die formale Ausgestaltung der kleineren Prosatexte, die sich am (ästhetischen) Kriterium der Mannigfaltigkeit orientieren.17 13
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Carsten Zelle: Erfahrung, Ästhetik und mittleres Maß. Die Stellung von Unzer, Krüger und E. A. Nicolai in der anthropologischen Wende um 1750, in: Reiz – Imagination – Aufmerksamkeit. Erregung und Steuerung von Einbildungskraft im klassischen Zeitalter. Hg. v. Jörn Steigerwald / Daniela Watzke. Würzburg 2003, S. 204–224; Tanja van Hoorn: Affektenlehre – rhetorisch und medizinisch. Zur Entstehung der Anthropologie um 1750 in Halle, in: Rhetorik 23 (2004), S. 81–94. Thomas Müller: Rhetorik und bürgerliche Identität. Studien zur Rolle der Psychologie in der Frühaufklärung. Tübingen 1990; Klaus Petrus: Genese und Analyse. Logik, Rhetorik und Hermeneutik im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin / New York 1997; Hermann Stauffer: Erfindung und Kritik. Rhetorik im Zeichen der Frühaufklärung bei Gottsched und seinen Zeitgenossen. Frankfurt / Bern / New York / Paris / Wien 1997. Christian Schärf: Literatur in der Wissensgesellschaft. Göttingen 2001; ders.: Geschichte des Essays: von Montaigne bis Adorno. Göttingen 1999. Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Halle Teil 1 (1754), Teil 2 (1755), Teil 3 (1759) (Olms Nachdruck 1976), vgl. vor allem den dritten Absatz „Vom Reichtum der ästhetischen Gedanken“. Georg Friedrich Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, S. 47.
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Wie die übrigen kleineren Prosaschriften ist auch der Gespenstertraktat in Einzelparagraphen und nach Positionen bzw. doxae gegliedert. Mit diesem Minimum an formaler Gestaltung soll eine Gleichstellung der präsentierten Meinungen indiziert und ihre Herauslösung aus weiterführenden Sachzusammenhängen und autoritativen Argumentationsverfahren signalisiert werden. Das formale Kriterium findet seinen Widerpart in einem scheinbar „unparteiischen“ und offenen Verfahren der Wahrheitsfindung.18 Hinter diesem Formprinzip könnte ein dem Horazschen Diktum In nullius verba iurare magistri verpflichteter und (gegenüber Autoritätsverweisen) indifferenter Gestus stehen.19 Dementsprechend würden alte und neue Meinungen ohne selektierende Auswahlkriterien und unter Verzicht auf das argumentum auctoritatis arrangiert.20 Dieses Arrangement, das zudem den prozessualen Charakter philosophischer Erkenntnisverfahren betont, könnte somit der Eklektik geschuldet sein.21 Es könnte ebenfalls auf einen methodischen Skeptizismus und dessen Inten-
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Allgemein zum eklektischen Denken der frühen und mittleren Aufklärung z.B.: Helmut Holzhey: Philosophie als Eklektik, in: Studia Leibnitiana XV.1 (1983), S. 20–29; Norbert Hinske (Hg.): Eklektik, Selbstdenken, Mündigkeit – drei verschiedene Formulierungen einer und derselben Programmidee, in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung der Europäischen Aufklärung 1.1 (1986), S. 4–7; Wilhelm Schmidt-Biggemann: In nullius verba iurare magistri. Über die Reichweite des Eklektizismus, in: Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung. Hg. v. Wilfried Barner u. Mitarbeit v. Elisabeth Müller-Luckner. München 1989 (Schriften des Historischen Kollegs 15), S. 297–314; Hans Martin Gerlach: Eklektizismus oder Fundamentalphilosophie. Die alternativen Wege von Christian Thomasius und Christian Wolff im philosophischen Denken der deutschen Frühaufklärung, in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 12.2 (1997), S. 9–25; Ulrich Johannes Schneider: Eclecticism and the History of Philosophy, in: Donald R. Kelly (Hg.): History and the Disciplines. The Reclassification of Knowledge in Early Modern Europe. Rochester 1997, S. 83–102. Falsche Autoritätsgläubigkeit ist ein entscheidender gegen Gottsched erhobener Vorwurf, vgl. dazu Wiebecke: Die Poetik Georg Friedrich Meiers, S. 47. Zur begriffsgeschichtlichen Präzisierung vgl. Michael Albrecht: Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994 (Quaestiones. Themen und Gestalten der Philosophie 5), S. 576. Zu diesem Problemkomplex siehe auch Meiers frühere Äußerungen in einer Schrift, die der regelgerechten Ausbildung des prototypischen „Weltweisen“ gewidmet ist. Meier lehnt sich an den Eklektikbegriff von Johann Gottlieb Heineccius an, der in Halle verbreitet war, vgl. Pozzo: G. F. Meiers „Vernunftlehre“, S. 49, sowie Böhm: Das Schönheitsproblem bei G. F. Meier, S. 186. Für Böhm (der hier dem ahistorischen Begriffsgebrauch folgt) besteht Meiers Eklektizismus schlicht in der „Vermittlung des empiristisch-sensualistischen und des idealistischen Systems“. Hier sei auf die Schwierigkeit hingewiesen, eine oftmals unspezifische und teilweise gänzlich ahistorische Verwendung des Eklektizismusbegriffs in der Forschungsliteratur von derjenigen im 18. Jahrhundert selbst zu unterscheiden. Vgl. dazu auch Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 310. Zurückhaltung ist also besonders dort geboten, wo keine historische Rekonstruktion des Terminus angestrebt wird und der Begriff ein überhistorisches Denkmodell (gar mit pejorativer Konnotation) bezeichnen soll, das mit unspezifischen und normativ überlagerten Epitheta (wie ‚autoritätskritisch‘) versehen ist. Mit einem weichen Eklektikbegriff wird die freie Aneignung der Tradition und kritische Überprüfung von Thesen und historischem Material bezeichnet. Meier verwendet den Begriff eher zurückhaltend. Bei Meier ‚genus cogitandi‘, dazu Pozzo: G. F. Meiers „Vernunftlehre“, S. 26. Das wird z.T. auch schon Wolff zugesprochen. Vgl. Erich Adickes: Kantstudien. Kiel / Leipzig 1927, S. 27.
tion verweisen, wichtige Wahrheiten auf zweifelhafte Art zu beschreiben. Die Anordnung koinzidierte entsprechend mit performativen Aspekten einer auf die Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten ausgerichteten philosophia in actu.22 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass, wie der folgende Abschnitt zeigt, die Aneinanderreihung von Meinungen dem ästhetischen Kriterium der Mannigfaltigkeit folgt und auf einem genuin empirischen Weg zur Wissenssicherung beitragen soll.
4.3. Versuch in einer neuen Gattung Die Gattungszugehörigkeit der Halleschen Traktate bereitet der Forschung bis heute Schwierigkeiten. Jutta Heinz hat sie unlängst in die Tradition des Essays zu stellen versucht.23 Schon in formalgeschichtlicher Hinsicht ist dieses Unternehmen nicht unproblematisch, da sich die beiden einschlägigen historischen Vorlagen (von Bacon und Montaigne) schon ihrem Umfang nach deutlich von den kleinen Halleschen Schriften unterscheiden.24 Deren ästhetisches Produktionsprinzip scheint – wie
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Zum Unterschied zwischen dem „philosophisch denken“ und der Philosophie als Disziplin siehe Walter Arnsperger: Christian Wolffs Verhältnis zu Leibniz. Weimar 1897, S. 62. Hinske: Die tragenden Ideen der deutschen Aufklärung, S. 407–458, bes. S. 428. Bei Stegmüller wird diese Haltung Verhaltensskepsis genannt, vgl. dazu Wolfgang Stegmüller: Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft. Berlin 1969, S. 374–449. Vgl. auch Schneiders: Vorurteilskritik und Aufklärung, S. 65; zu Meiers „skeptischer“ Methode Meier: Vom Zustand der Seele nach dem Tode, Vorrede, unpaginiert: „Der Zweifel betrifft nicht die Erkenntnis allgemein, sondern nur eine bestimmte Form, nämlich das Wissen um den Zustand der Seele nach dem Tod“. Dort heißt es weiter: „Jeder vernünftige Weltweise müsse, um der Schranken der Vernunft willen, hier Zweifler sein.“ Jutta Heinz: „Gedanken“ über Gott und die Welt. Die Erprobung der Anthropologie im Essay bei Meier, Krüger und Nicolai, in: Carsten Zelle (Hg.): ‚Vernünftige Ärzte‘, S. 141–153. Gegenüber einer gattungsspezifischen Beschreibung scheint mir die hier vorgenommene funktionstheoretische Überlegung den Vorteil zu besitzen, dass sie zwei unterschiedliche Vorlagen – Bacons Essays und die Montaignes – nicht als anthropologische Gattungen bezeichnen muss, um einen Bezug zu den Halleschen Lehrtexten herstellen zu können. Vgl. ebd. S. 145: „In beiden Fällen geht es um Menschen- und Welterkenntnis, und zwar vor allem der dunklen, nicht vernünftigen, alogischen Seite des Menschen.“ Die immer wieder angetroffene Vorstellung, die Ästhetik befasse sich mit der alogischen Seite des Menschen, ist zwar insofern zutreffend, als sie nicht die vernünftige, sondern die sinnliche Erkenntnis zum Gegenstand hat, aber zugleich irreführend, da ja, den Halleschen Ästhetikern folgend, die sinnliche Erkenntnisweise logisch bzw. logikähnlich ist. Nach Scholte nimmt der Titel ‚Versuch‘ eher auf die französische Tradition des Essais Bezug, vgl. Joachim Scholte: Die Entstehung und Entwicklung des deutschen Essays im 18. Jahrhundert. Phil. Diss. Freiburg 1988; Gerhard Haas: Essay. Stuttgart 1969; Heinrich Küntzel: Essay und Aufklärung. Zum Ursprung einer originellen deutschen Prosa im 19. Jahrhundert. München 1969; Ludwig Rohner: Der deutsche Essay. Materialien zur Geschichte und Ästhetik einer literarischen Gattung. Neuwied / Berlin 1966; Gerhard Haas: Studien zur Form des Essays und zu seinen Vorformen im Roman. Tübingen 1966. Bislang wurden die Anfänge des Essays für den deutschsprachigen Raum in der Forschungsliteratur vor allem auf die Spätaufklärung oder sogar Romantik (Haas) datiert.
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auch Klaus Bohnen vermerkt25 – vor allem der Witz zu sein. In der Tat reiht der Traktat verschiedene Meinungen systemkritisch und assoziativ aneinander. Geht man davon aus, dass der Witz als Formprinzip der Texte dient, ließen sich Parallelen zur Spotttradition ziehen, die auf der Aufdeckung des Ähnlichen im Unähnlichen zielt und deren Anliegen oftmals die Verunglimpfung von konträren Positionen oder Kontrahenten ist. Als weitere Vorlage wäre auf die gelehrte Kommunikationsform der iocosa-seriaTradition zu verweisen,26 welche sich durch spitzfindige und subtile Verspottung von Gegnern auszeichnet und weniger auf persönliche als vielmehr auf sachliche Gegenstände abzielt.27 Die kommunikationstheoretische Funktion besteht in der Vermittlung widerstreitender Wahrheiten sowie im Versuch, einen intersubjektiven Konsens zu erzeugen, wobei der Leser oft zur kritischen Instanz erhoben wird. Hier ergeben sich darüber hinaus Überschneidungen zur Polemik, die zwar keine eigene Gattung ist, sich aber durch Beschimpfung des Gegners auszeichnet. Ohne Frage enthält Meiers Traktat zahlreiche polemische Elemente.28 Zu ihnen zählen die zuweilen unsachliche Argumentation, die Reduktionen komplexer Sachverhalte auf einfache Thesen, die gezielte Verzerrung bzw. Produktion von Missverständnissen. Gegen diese Zuordnung spricht allerdings das Fehlen eines aggressiven Tons und eines klar gekennzeichneten polemischen Zielobjekts. Aufgrund seines argumentierenden Gestus lässt sich der Text von der Satire deutlich abgrenzen. Mit dem Anspruch auf Wahrheitsfindung tendiert Meier eher zur Gattung des philosophischen Traktats als zur Satire.29 Insgesamt ist der Gespenstertraktat nicht eindeutig in bestehende gattungsgeschichtliche Traditionen einzuordnen. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass hier 25 26
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Klaus Bohnen: Einleitung, in: G. F. Meier: Gedancken von Schertzen (1744). Kopenhagen 1977 (Text & Kontext 3), S. 9–34, hier S. 9. Schwierig ist mitunter die Abgrenzung von der akademischen Spottliteratur, für die der antike Ausdruck „an der Nase aufspießen“ verwandt wurde, vgl. dazu Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 121, sowie Peter Burke: Beleidigung und Gotteslästerung im frühneuzeitlichen Italien, in: Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock. Berlin 1986, S. 96–110. Hier liegen mögliche Bezüge zur Theorie der artes sermonicales und dem spätaufklärerischen Konzept ‚Aufklärung als Dialog‘. Zum Textanspruch siehe auch Meiers Überlegungen zur Kritik, die nicht nur die Lehre von Geschmacksurteilen meint, sondern eine Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit des Urteils und damit auch Erkenntnistheorie ist. Hermann Stauffer: Erfindung und Kritik. Rhetorik im Zeichen der Frühaufklärung bei Gottsched und seinen Zeitgenossen. Frankfurt a.M. / Bern / New York / Paris / Wien 1997. Vgl. Stenzel: Rhetorischer Manichäismus, S. 3–11. Nach Stenzel, der hier ein heuristisches Schema für die Analyse polemischer Texte entwirft, stellt die Polemik eine aggressive Rede dar, die unsachlich argumentiert und ein konkretes polemisches Objekt hat. Sie ist abwertend und verwandt mit der ‚tadelnden Rede‘ (als Gegenteil zur Lobrede – genus demonstrativum – Redegattung). Vgl. dazu auch Objartel: Die Kunst des Beleidigens, S. 94–122. Die logische Wahrscheinlichkeitstheorie war Meier durch seinen Lehrer Martin Kahle geläufig. Ludwig Martin Kahle: Elementa logicae probabilium methodo mathematica in usum scientiarum et vitae adornatae. Halle 1735, dazu Wilhelm Risse: Logik der Neuzeit. Bd. 2: 1640–1780. Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, S. 709 sowie Pozzo: G. F. Meiers „Vernunftlehre“, S. 58.
eine neue Gattung entsteht, deren konzeptionelle Begründung die Hallesche Ästhetik liefern soll. In diesem Sinn ist der Text als Wissensgenerator zu verstehen, der Wissen allgemein verständlich und in einer in literarischen Adaptationen der Spätaufklärung noch geläufigen Weise aufbereitet.30 Zunächst vermittelt er ein anschauliches Panaroma der um 1750 verfügbaren Positionen zum Gespenstersehen, geht aber, wie zu zeigen ist, in diesem Vorhaben weit über die lexikalische Aufbereitung des Gespensterwissens hinaus.
4.4. Pedanten und Schwärmer: Ein Ungleichgewicht zwischen Sinnlichkeit und Verstand? Schon im Vorwort des Textes beklagt Meier eine vorherrschende „Dogmatisierungstendenz“, die sich insbesondere innerhalb der zeitgenössischen Gespensterlehre abzeichne: Ich will von Gespenstern philosophiren […]. Leugne ich sie: so verderbe ich es mit allen denjenigen die Gespenster glauben, und derer sind die meisten. Behaupte ich sie: so werde ich von denen, die starck dencken wollen, verlacht.31
Meier teilt das Feld in zwei Positionen ein, in die der Gespensterkritiker und die der -verteidiger. Diese Positionen lassen sich auf frühaufklärerische Konstellationen abbilden. Zu den so genannten Gespensterkritikern zählt unter anderen der Reformierte Balthasar Bekker.32 Diese reformierte Position sei neuerdings in „Mode“ gekommen, wie Meier vermerkt.33 Mit einem polemischen Ausdruck aus der Kontroverstheologie kennzeichnet er diese Fraktion jedoch als „Gespensterstürmer“.34 In Anlehnung an den lutherischen Ausdruck „Bilderstürmer“ kritisiert er die Haltung insofern als dogmatisch, als sie sich nicht auf Erfahrungen stütze. Um den Gespensterleugner weiter zu kritisieren, verweist Meier auf eine literari30
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Die zahlreichen formalen Parallelen zwischen der Gattung des Essays und dem pädagogischen bzw. wirkungsästhetischen Anspruch der ‚Moralischen Wochenschrift‘ (wie u.a. die direkte Leseranrede, die Autorkennzeichnungen und die fingierten Autor-Leser Dialoge) hat bereits Joachim Scholte aufgezeigt und damit konkrete Hinweise auf das mögliche Zielpublikum geliefert. Diese gattungstheoretische Analyse erlaubt es, Meiers Gespenstertraktat in den weiteren Kontext der halleschen Publikationsstrategie zu stellen, die nicht nur von Philosophen, sondern auch von Ästhetikern und den dort lehrenden Medizinern verfolgt wurde. Diese Textstrategie zielte u.a. darauf ab, philosophische wie medizinische Erkenntnisse dem Alltagswissen zugänglich zu machen und sich dadurch einen breiteren Leserkreis zu erschließen. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 4. Dazu schon Balthasar Bekker: Die bezauberte Welt (1693). Mit einer Einleitung hg. v. Wiep van Bunge. Stuttgart-Bad Cannstatt 1997 (Freidenker der europäischen Aufklärung. Abteilung I: Texte 7.1), hier II. Buch, IV. Hauptstück: „Unterdessen kann man auch nicht beweisen, daß solche Geister nicht seyn, ob man schon ihre Wirckungen niemals vernommen.“ Adaemonisten werden den Atheisten zugerechnet, siehe Wiep van Bunge, Einleitung, S. 49. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 4. Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 329.
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sche Darstellung. Er bezieht sich auf die satirische Typisierung eines Gespensterleugners oder -stürmers und wechselt damit in den Bereich der Literatur. Eine berühmte Vorlage für diesen Typus lieferte die Komödie von Joseph Addison (1672–1719) The drummer and the haunted house (1716). Noch Georg Lichtenberg nahm im Göttingischen Taschenkalender von 1787 auf das Drama Bezug, das kurz vor der Publikation von Meiers Traktat von Johanna Gottsched übersetzt worden war. Es führt den prominent gewordenen formalisierenden Pedanten ein,35 der zwar nicht an Gespenster glaubt, aber, nachts von einem Geräusch heimgesucht, sich dennoch vor ihnen fürchtet. Gegenstand des Spotts ist das auch von Meier hervorgehobene affektive Ungleichgewicht zwischen rationaler Gespensterkritik auf der einen und einer habituellen Gespensterfurcht auf der anderen Seite. Die Verunglimpfung gründet sich auf ein eingefordertes Gleichgewicht zwischen Rationalität und Affekten. Vor dem Hintergrund einer Ästhetik der unteren Sinne scheint es nur konsequent, dass die affektive Seite hier hervorgehoben und auf eine beim Dogmatiker vorherrschende Inkongruenz zwischen den beiden Aspekten aufmerksam gemacht wird. Die erfahrungsunabhängige Gespensterleugnung stellt sich jedenfalls als eine für den humanen Kräftehaushalt nicht eben ertragreiche Position dar. Blickt man auf die frühaufklärerische Aberglaubenskritik, lässt sich an Meiers Zuschreibung ein Umbruch ablesen. Furchtsam ist nicht mehr derjenige, der an Gespenster glaubt, sondern gleichermaßen der, der sie leugnet, sich also zu einer vermeintlich vernünftigen, rationalistischen Position bekennt. Die Affektivität ist grundsätzlich kein Erkenntnishemmnis. Der ängstliche Gespensterleugner avanciert vielmehr zu einem negativen Exempel. An ihm lässt sich die Bedeutung der unteren Vermögen im Erkenntnisprozess ebenso darlegen wie die Notwendigkeit, Affekte und Verstand in ein Gleichgewicht zu setzen. Meier kritisiert nicht nur die Gespensterleugner, er richtet sich zudem gegen die Verteidiger, die ihr Wissen – wie die Leugner – nicht aus der Erfahrung, sondern aus ihrer affektiven Disposition, ihrer Hoffnung auf Unsterblichkeit, beziehen. Denn die schwärmerischen Verteidiger der Gespenster glaubten, in den Erscheinungen konkrete Beweise für die Unsterblichkeit der Menschen zu finden. Sie lassen sich – nicht viel anders als die Leugner – in ihren Überzeugungen ebenfalls von einem Affekt, von der Hoffnung, leiten, den sie gleichermaßen rationalisieren wie die Gespensterleugner ihre Furcht. In dieser Hinsicht können sie als Prototypen eines Ungleichgewichts von Verstand und Affekt fungieren. Sie bilden ein negatives Komplement, insofern das verschobene Verhältnis ebenfalls in den Gespensterglauben mündet.
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Erasmus Francisci: Der höllische Proteus / oder Tausenkuenstige Versteller / Vorrede, unpaginiert (Schookius-Episode). Vgl. auch den Bayle-Artikel ‚Hobbes‘, dem der Vorwurf gemacht wurde, zwar nicht an Gespenster zu glauben, sich aber vor ihnen zu fürchten. Zum Inventar dieser prototypischen Charakterisierung, deren genretypische Vorlage die Charaktere von Theophrast sind, auch Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 28.
4.5. „Phaenomena“: Wege des Empirismus? Meier spitzt die Diskussion über Gespenster nicht nur auf die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand zu. Er knüpft ferner erkenntnistheoretische Überlegungen daran, die das Verhältnis von Vorwissen bzw. Meinungen und Erfahrung betreffen.36 Bereits die einleitenden Worte spielen auf diese Zusammenhänge an: Ich will von Gespenstern philosophiren; einer Sache, die voller Dunckelheit, Verwirrung und Widersprüche ist. […] Bey so bewanten Umständen muß man in der That viele Herzhaftigkeit besitzen, wenn man von Gespenstern schreiben, sich aber dabey als einen vernünftigen Schriftsteller aufführen will.37
Das Motiv der „Hertzhaftigkeit“38 wendend, greift Meier ironisch auf die Vorstellung zurück, die nähere Beschäftigung mit Gespenstern, ganz gleich welcher Art, sei riskant. Die Schwierigkeit des Unterfangens ergibt sich aus dem Gegenstand und den Reibungskräften in einem intellektuellen Feld, das zwischen Gespensterleugnern und -befürwortern abgesteckt wurde. Für Meier ist diese Verhärtung symptomatisch und deutet auf ein Erkenntnisproblem.39 Denn keine der beiden Fraktio36
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Zur philosophischen Dogmenkritik siehe Joseph Glanvill: The Vanity of Dogmatizing (1690). Hildesheim / New York 1970 (Collected Works of Joseph Glanvill. Facsimile Editions Prepared by Bernhard Fabian. Bd. 1). Die Vorurteilskritik bei Meier kann sich gegen empirische und dogmatische Erkenntnis richten, Georg Friedrich Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen. Halle 1766, S. 15: „Wenn ein Menschen urtheilt, daß es keine Wunderwerke gebe, weil witzige Köpfe, durch ihre Spöttereyen, dieselben lächerlich machen: so ist sein Urtheil ein Vorurtheil. Folgt es wohl, daß dasjenige falsch sei, was lächerlich vorgestellt wird? Verwirft er aber Wunderwerke, weil er ein blindes Schicksal annimmt: so ist sein Urtheil kein Vorurtheil, weil in seinem Schlusse, eine richtige Folge und eine richtige Verbindung seiner falschen Grundsätze mit diesem seinem Urtheile, angetroffen wird.“ Abzugrenzen ist die Dogmenkritik auch von der Vorurteilskritik als einer vorgefassten Meinung oder bloßen opinio. Zwar liegt die Auseinandersetzung mit dem philosophischen Dogmatismus von Wolffs Verteidigung bis zu Kants Verurteilung noch weitestgehend im Dunklen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass der Begriff bei Christian Wolff vor allem zur Unterscheidung unterschiedlicher Aussagetypen – der singulären und universalistischen – verwendet und bei Kant schließlich metaphysikkritisch gebraucht wird. Die Genese dieser philosophischen Dogmenkritik ist für den hier vorliegenden Kontext relevant, weil sie die Überschneidung zwischen einer metaphysikkritischen Tendenz in der Seelenlehre und der Geisterdebatte erhellt. Vgl. Meier: Vorurteile, S. 15. Vgl. dazu Böhm: Das Schönheitsproblem bei Georg Friedrich Meier, S. 183f. Meier: Gedancken von Gespenstern. Halle 1747, S. 4. „Herzhaft“ meint, „sich Mut nehmen“. Der Ausdruck geht auf Richter 11, 29 zurück. Ähnlich wie der vorkritische Kant in seiner Schrift Träume eines Geistersehers kritisiert Meier zugleich eine erfahrungsunabhängige Philosophie. Die als dogmatisch ausgewiesenen Positionen werden als willkürliche Bindungen bzw. konsensfähige Sätze gedeutet, welche auf das jeweilige Paradigma der normal science verweisen. Sie werden zudem als epistemische Vorurteile gekennzeichnet, die innerhalb ihrer Zeit zunächst gestützt, dann aber zunehmend als systemexterne, vorgelagerte Meinungen begriffen werden, die der Empirie nicht standhalten. Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M. 1967, S. 71ff. In diesem Sinn wären Gespenster eine „subversive Anomalie“ bzw. ein Gegenstand, der sich nicht problemlos in das bestehende Paradigma integrieren lässt und den Rahmen der ‚normalen Wissenschaft‘ sprengt.
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nen, weder die Menschen, die an Gespenster glaubten, noch die kleine Gruppe von Philosophen, die sie bestritten, hätten überzeugende Argumente für sich in der Hand. Die Befürworter beriefen sich auf ihre eigene Erfahrung, um die Existenz von Gespenstern zu belegen. Diejenigen, die sie leugneten dagegen auf eine erfahrungsunabhängige allgemeine Vernunftwahrheit.40 Mit den Worten „vernünfftig“ und „dunckel“ charakterisiert Meier also nicht nur den Gegenstand, sondern auch die Art und Weise, wie über ihn verhandelt wird. Er überträgt die beiden Attribute zugleich auf verschiedene Denkweisen bzw. Erkenntnisquellen, die Vernunft und die Erfahrung, zwischen denen zu vermitteln das Ziel seiner Untersuchung ist. Denn weder erfahrungsunabhängige Vorannahmen noch Erfahrungszeugnisse reichten als überzeugende Belege aus. Das „vernünftige Philosophieren“ habe bislang kaum Klarheit in den Gegenstandsbereich gebracht und habe die Gespensterlehre nicht aufgehellt. Bezeichnend ist, dass Meier vom zentralen Selbstbeschreibungsinventar der Frühaufklärung Abstand nimmt, wie an seinem Verzicht auf die ansonsten einschlägige Aufklärungsmetaphorik abzulesen ist. Erst am Ende der Einleitung, und zwar im Anschluss an seine eigene Positionsbestimmung, greift er auf das Bild des Aufhellens zurück, indem er verkündet, „in der Lehre von den Gespenstern ein Licht anzuzünden“.41 Worin Meiers Alternativvorschlag besteht und inwiefern er sich von anderen Verfahren abgrenzt, soll der folgende Abschnitt erhellen. Dass die auf erfahrungsunabhängigen Vorannahmen basierende Geisterkritik um 1750 ins Wanken geraten war, hing nicht zuletzt mit dem Geltungsverlust von apriorischen Begriffsdefinitionen zusammen.42 Meier greift nicht etwa auf eine Namenserklärung zurück, er liefert auch keine wesenhafte Bestimmung der Gespenster, die sich an einem aristotelischen Substanz-Akzidenz-Schema orientierte. Er bezeichnet Gespenster nicht als geistige Substanzen, sondern lediglich als „Er-
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Ansatzpunkt wäre hier die Unterscheidung zwischen einer ‚veritas dogmatica‘ und einer ‚veritas aesthetica‘. Die Unterscheidung einer objektiv-formalen Wahrheitsdoktrin von einer erkenntnistheoretischen Wahrheit wird im Allgemeinen auf Locke zurückgeführt. Vgl. dazu Rainer Specht: John Locke. München 1989. Zu Wolffs erkenntnistheoretischer Logik: Jean Ecole: Logique formelle et logique de la vérité dans la Philosophia rationales sive logica, in: Filosofia oggi 4 (1981), Heft 3–4, S. 339–376; 5 (1982), Heft 1, S. 71–102. Dass Meiers Erkenntnistheorie zur Ausbildung von Kants Kritizismus beitrug, meint auch Giorgio Tonelli: Kant, dall’estetica metafisica all’estetica psicoempirica. Studi sulla genesi del criticismo (1754–1771) e sulle sue fonti. Turin 1995; ders.: La question des bornes de l’entendement humain au XVIIIe siècle et la genèse du criticisme kantien, particulièrement par rapport au problème de l’infini, in: Revue de Métaphysique et de Morale 64 (1959), S. 396–427. Vgl. dazu auch Meiers Schrift Betrachtung über die Schrancken der menschlichen Erkenntniß (1755). Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 6. Zur Destruktion distinkter Definitionen im Rahmen des Cartesianismus Carlo Borghero: La Certezza e la storia. Cartesianismo, pirronismo e conoscenza storica. Milano 1983; sowie die Sammelrezension von Martin Mulsow: Cartesianismus, Libertinismus und historische Kritik. Neuere Forschungen zur Formation der Moderne um 1700, in: Philosophische Rundschau 42 (1995), S. 297–314.
scheinungen“,43 die als „etwas“ verstanden würden, das sich „zuträgt“44 bzw. Menschen in den Affektzustand der Furcht versetzt. Die Minimalbeschreibung erhebt nicht etwa den Anspruch, eine gültige Sachbestimmung zu sein. Mit ‚Gespenst‘ bezeichnet Meier vielmehr einen nicht-distinkten Repräsentationsmodus der Monade, also eine Empfindung. Aus diesem Umstand leitet er dann die Notwendigkeit ab, sich überhaupt mit dem Gegenstand zu befassen. Seinen definitorischen Reduktionismus begründet er mit einem Argument, das nicht mehr nur die Unzulänglichkeit bisheriger Bestimmungsweisen aufzeigt, sondern seinen Einsatzpunkt in der empirischen Bewegung näher bestimmt.45 Danach lassen sich die Gespenster nicht „durch allgemeine Gründe der Vernunft“ erklären.46 Sein vorläufiges Resümee, das als Absage an distinkte Begriffsdefinitionen zu lesen ist, lautet: „Es mögen denn die Gespenster Dinge seyn, was für welche sie wollen“.47 Genau diesen Verzicht moniert ein Kontrahent Meiers, der bereits erwähnte Johann Georg Sucro, in seiner Schrift Widerlegung der Gedancken von Gespenstern. Diese liefert Aufschlüsse über mögliche Hintergründe von Meiers Position, weshalb hier kurz auf sie eingegangen wird. 43
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Mit dem Begriff ‚Erscheinungen‘ werden zwei unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet. Der Artikel ‚Erscheinung‘ in Zedlers Universallexikon bezeugt, dass das Wort erstens zur Bezeichnung eines supranaturalen göttlichen Ereignisses und zweitens zur Bezeichnung eines praeternaturalen Ereignisses (als Beispiel wird hier der Comet genannt) verwandt wird. Nur im engeren und ungebräuchlicheren Sinn meint das Wort ‚Erscheinung‘ eine sinnliche Vorstellung, die nicht wie der Comet als ungewöhnliches Naturphänomen gedeutet, sondern als Erscheinung göttlicher Boten (Dämonen, Heroen und Engeln) interpretiert werden kann. Zedler: ,Erscheinung‘, Bd. 8: E. Halle / Leipzig 1734, Sp. 1757–1759. Daneben ist das Wort ‚Erscheinung‘ die Übersetzung von ‚apparitiones‘ oder auch von ‚phaenomenon‘ und bezeichnet etwas, das durch die Sinne erscheint. Bei Leibniz wird es in diesem Sinn von der Monade unterschieden, vgl. Sonia Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum. Christian Wolffs Antwort auf die Herausforderung durch den cartesianischen Zweifel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991 (Forschungen und Materialien zur Aufklärung 5), S. 64. Vgl. Leibniz’ Schrift De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis. Das Phänomen ist demnach eine Erscheinungsform der Monade, das Bsp., das Leibniz wählt, ist der Centaur. Allerdings ist es nur bedingt auf den vorliegenden Kontext übertragbar, weil nicht viele Menschen einen Centaur gesehen zu haben behaupten. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 7. Das Wort „Erscheinung“, das hier als Übersetzung für „phaenomena“ gewählt wird, hatte offenkundig eine empiristische Konnotation. So auch Lange: Meiers Leben, S. 143. Vgl. Theda Rebock: Artikel ‚Phänomen‘, in: HWdPh, Bd. 7: P-Q. Basel 1989, Sp. 471–483, hier Sp. 471. Siehe auch die Bedeutung des Begriffs bei Alexander Gottlieb Baumgarten: Aesthetica. Hildesheim 1961, S. 7, § 18, sowie dazu Leonard P. Wessell: Alexander Baumgarten’s Contribution to the Development of Aesthetics, in: Journal of aesthetics and art criticism 30 (1972), S. 333– 342. Zum Phänomen vgl. Adam Bernd: Eigene Lebens-Beschreibung. Vollständige Ausgabe. Mit ein. Nachwort, Anmerkungen, Namen- und Sachregister hg. v. Volker Hoffmann. München 1973, S. 44. Mit der Betonung des phänomenalen Charakters seines Untersuchungsgegenstandes hatte Meier mehrere Vorentscheidungen getroffen. Er hatte auf metaphysische Klassifikationen, auf die Kategorien ‚Substanz‘, ‚Akzidenz‘, ‚Existenz‘ verzichtet und stattdessen einen Terminus gewählt, der im Umkreis des erkenntnistheoretischen Empirismus sogar kritisch gegen die aristotelische Definitionspraxis gewendet wurde. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 7. Ebd., S. 4.
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Wie Meier unterscheidet Sucro zwei Quellen der Erkenntnis, die Erfahrung und die allgemeinen Vernunftwahrheiten. Anders als Meier plädiert er für den Existenzbeweis aus der Erfahrung: Der Beweis aus der Erfahrung, wenn er seine Richtigkeit hat, giebt uns eine eben so zulängliche Gewißtheit als der aus allgemeinen Gründen; […]. Was ich sage wird durch ein Beyspiel noch klärer werden. Ich sehe, empfinde, und erfahre, dass eine gewisse Machine in richtiger Ordnung die Zeit nach Minuten und Stunden abtheile: daraus schliesse ich ganz zuverläßig, eine gewisse Machine ist im Stande dergleichen zu verrichten; oder daß es möglich ist. So lange ich aber noch so wenig die Triebfedern, nebst ihrer Wirkung, die Räder, nebst derselben Beschaffenheit, und Verhältnis gegeneinander, nebst ihrer Verbindung, sehe, empfinde und erfahre, so lange erfahre ich auch noch nicht, wie die gedachte Eintheilung der Zeit in einer Maschine möglich sey.48
Zwar kann die Erfahrung die Existenz einer Sache erweisen, aber nicht deren Gründe aufzeigen, d.h. deutlich machen, unter welchen Bedingungen sie möglich ist. Sucro führt damit den erfahrungsabhängigen Existenzbeweis an, den die Gespensterbefürworter für sich reklamieren. Zugleich weist er auf die Unmöglichkeit hin, aus der Erfahrung die Wesensbestimmung der Sache abzuleiten, d.h. sie distinkt zu bestimmen und damit zu beweisen: Eine Erklärung ist ein deutlicher und ausführlicher Begriff von einer Sache, der mir folglich hinlängliche Kennzeichen giebt dieselbe in allen Umständen, jederzeit von allen andern zu unterscheiden. Da die Wirklichkeit eines Dinges zufällig ist; in dem nicht alles auch wirklich ist, was möglich ist: folglich, die Kennzeichen einer Sache, die ich aus dem Daseyn derselben allein hernehme, nicht hinlänglich sind, sie in jedwedem Zusammenhange zu aller Zeit von allen andern Dingen zu unterscheiden: so giebt das Daseyn mir keine Erklärung: sondern ihr Wesen. Dergleichen Erklärungen ohne wesentliche Kennzeichen einer Sache, sind nichts als Beschreibungen. Ehe ich das Wesen derselben kenne, ist es mir ohnmöglich zu sagen, welche Sache wirklich sey, ob ich gleich weiß daß etwas wirklich ist; denn ohne das Wesen derselben, weiß ich nicht zu entscheiden, welche Wirklichkeit ihr zukomme, und ob ich gleich weiß, es ist etwas da, so kann ich doch nicht behaupten, dieß oder jenes Ding ist da. […] so wollen wir hier nur noch anmerken, daß wir auch selbst zu den Nahmenerklärungen in allen den Fällen unvermögend sind, wo wir mit einer Sache nicht so viel Experimente anstellen können, als nöthig ist, das wesentliche und zufällige in ihr zu bemerken. Denn eine Erklärung muss hauptsächlich ein deutlicher Begrif seyn: hier werden wir alsdenn nur verworrene haben. Siehe des Freyherrn von Wolff Vernunftlehre.49
Sucro nimmt hier Einschränkungen des Erfahrungsbegriffs vor. Im Gegensatz zu Meier lässt er den Existenzbeweis aus der Erfahrung zwar gelten, nicht aber die erfahrungsabhängige Wesensbestimmung. Sie ist deshalb nicht möglich, weil die aus Erfahrungen, d.h. sinnlichen Erkenntnissen,50 abgeleiteten Begriffe verworren 48 49 50
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Sucro: Widerlegung der Gedancken von Gespenstern, S. 6ff. Ebd., S. 9f. ‚Sinnliche Vorstellung‘ ist ein Begriff, den Baumgarten in der Ästhetik verwendet. Er betont jedoch das Abbildhafte von etwas, das in der Seele vorgeht. Constanze Peres: Cognitio sensitiva. Zum Verhältnis von Empfindung und Reflexion in A. G. Baumgartens Begründung der Ästhetiktheorie, in: Empfindung und Reflexion. Ein Problem des 18. Jahrhunderts. Hg. v. Hans Körner / Constanze Peres / Reinhard Steiner / Ludwig Tavernier. Hildesheim / Zürich / New York 1986, S. 7–40, hier S. 27.
bleiben. Namensdefinitionen müssten jedoch, hierin folgt er Wolff, auf distinkten und klaren Begriffen basieren. Anders argumentiert Meier. Konventionell lässt er den Existenzbeweis nur dann gelten, wenn er aus der Einsicht in die Möglichkeit einer Sache abgeleitet ist. Den sinnesabhängigen Existenzbeweis grenzt er mit dem Hinweis aus, er liefere oft nur unsichere Erkenntnisse, weil er meist von korrespondierenden Affektzuständen, hier der Furcht, begleitet sei: Und was würde es auch einem Weltweisen helfen, wenn er ein Gespenst sähe? Er würde doch ohne allen Zweifel nicht vermögend seyn, in demselben Zustande eine richtige und genaue Erfahrung anzustellen.51
Die sinnliche Erkenntnis kann demnach nicht zur „genauen Erfahrung“ gereichen. Zur Namensbestimmung einer Sache kann die Erfahrung, jetzt als historia oder Fremderfahrung verstanden,52 aber sehr wohl einen Beitrag leisten. Sie liefert nämlich konfuse, aber durchaus klare Einsichten, aus der nach Meier immerhin hypothetische Erklärungen abgeleitet werden könnten. Meier richtet an Erklärungen somit weniger strenge Anforderungen als Sucro, da sie nicht auf deutlichen Begriffen basieren müssen. Er hält Erfahrungsberichte grundsätzlich für geeignet, Erklärungen zu generieren. Sie können zwar nicht den Status eines Beweises erlangen, aber bei der Beweisfindung selbst hilfreich sein: Die allgemeinen Gründe der Vernunft geben uns, in der Lehre von den Gespenstern keine Gewißheit; weil wir nicht im Stande sind, eine richtige logische Erklärung von den Gespenstern überhaupt zu geben. [...] Man wird finden, daß man dazu nicht vermögend ist; man müste sich denn gleich in der Erklärung für eine oder die andere Hypothese erklären: welches aber unerlaubt ist. Ein vernünftiger Leser wird also erkennen, daß man von mir nichts anders als Hypothesen erwarten kann: weil ich über einer Sache philosophiren will, von der ich nicht einmal eine Erklärung zu geben im Stande bin. Vielleicht gebe ich mit meinen Gedancken Gelegenheit, dass man dieser Sache weiter nachdenckt. Die wichtigsten Entdeckungen haben ihren Ursprung blossen Meinungen zu verdancken.53
Hypothetische Erklärungen haben damit die epistemische Funktion, Phänomene bzw. Erscheinungen näher zu bestimmen,54 ebenso wie Erfahrungsberichte bestimmte Hypothesen wahrscheinlich machen. Zudem treten wahrscheinliche Erklärungen und erfahrungsunabhängige Beweise in ein wechselseitiges Explikationsverhältnis, das der Sicherung von Erkenntnissen dient. Der Beweis wirkt dann auf 51 52
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Meier: Gedancken von Gespenstern. S.7. Zu differenzieren sind zwei Erfahrungsbegriffe, ein an der kasuistischen Klugheitslehre orientierter und einen empirischer. Der empirische meint ‚experientia‘ im Sinne einer Erkenntnis, die man durch Sehen, Hören, Riechen, Schmecken erwirbt. Dieser Begriff ist erst ab 1775 lexikalisiert. Zum Erfahrungsbegriff: Werner Schneiders: Erfahrung im Zeitalter der Vernunft, in: Concilium 14.3 (1978), S. 149–153; sowie Helmut Holzhey: Artikel ‚Erfahrung‘, in: Werner Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa. München 1995, S. 103ff. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 7f. Cassirer: Philosophie der Aufklärung, S. 7f.
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den Erfahrungsraum zurück, indem er zur Modifikation der sinnlichen Eigenerfahrung führt. Der eigentliche Nutzen von Beweisen scheint für Meier nicht nur in der Erkenntniserweiterung, sondern auch in der Transformation der Furcht in Vergnügen (an der Ordnung der Schöpfung) zu liegen: Das dunckle, ungewisse und unerwartete macht sie vornemlich fürchterlich, und so bald man mit ihnen besser bekant geworden wird das fürchterliche gar bald verschwinden. Gleich wie man in den Zeiten der Unwissenheit die Cometen mit Augen ansahe, aus denen Angst und Verzweieflung hervorleichtete, nach dem man sie aber hat kennen lernen; ihre Erscheinung mit tausend Vergnügen ansieht: ebenso würde es mit den Gespenstern gehen.55
Da diese wirkungsästhetische Transformation, so lautet die optimistische Annahme, mit der Einsicht in die Gründe und Entstehungsbedingungen von Naturphänomenen korrespondiert, trägt die Wissenschaft zum Vergnügen bei, wie er unter Berufung auf einen Kometen zeigt.56 Obschon Meier weiterhin eine parallelistische Position vertritt, die durch ein autochthones selbstsuffizientes Monadenmodell gekennzeichnet ist, und obwohl sich sein Erfahrungsbegriff von dem anderer Empiriker unterscheidet,57 lässt sich seine Nähe zum Empirismus an dem Versuch ablesen, die historia als potentielle Quelle für distinkte Begriffsbestimmungen aufzuwerten und mit der Monadenlehre zu vermitteln. Die Vermittlung besteht in der Verbindung von Hypothesen und Erfahrung, die Mannigfaltigkeit erzeugt. Neben der Aufwertung eines fiktiven oder hypothetischen Möglichkeitsraums stellt sie somit die zweite Säule des ästhetischen Philosophierens dar. Somit ist festzuhalten: Das Philosophieren über Gespenster unterscheidet sich von anderen philosophischen Untersuchungen dadurch, dass es im Gegensatz zu jenen keine klaren und distinkten Begriffsdefinitionen zum Gegenstand hat. Meier gibt hier einen auf Distinktheit basierenden Wahrheitsanspruch zugunsten eines äs-
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 5. Meier bezieht sich auf einen 1744 erschienenen Kometen, zu dem auch Maupertuis Stellung nahm. Zum aktuellen Anlass siehe Wegner: Philosophische Abhandlung von Gespenstern, S. 13, dazu auch den Verleger und Herausgeber der Augsburger Intelligenz-Zettel Johann Andreas Maschenbauer: Über einen im Jahre 1744 erschienenen Cometen. Augsburg 1744; Olaf Briese: Die Macht der Metaphern. Blitz, Erdbeben und Kometen im Gefüge der Aufklärung. Stuttgart / Weimar 1998. Zur frühaufklärerischen Debatte vgl. die durch den Halleyschen Kometen ausgelösten Schriften: Balthasar Bekkers Ondersoek Van de Betekeninge der Kometen und Pierre Bayles Pensées diverses à l’occasion de la comète. Vgl. dazu den Artikel ‚Comet‘, in: Johann Heinrich Zedler: Grosses Vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 6. Halle / Leipzig 1735, Sp. 792–814 (Photomechanischer Nachdruck. Graz 1994]) bes. Sp. 811; Martin Pott: Aufklärung und Aberglauben, S. 159, sowie Gerhard Sauder: Bayle-Rezeption in der deutschen Aufklärung, in: DVjs 49 (1975), Sonderheft 18. Jahrhundert, S. 83–104, und Paul Hazard: Die Krise des europäischen Geistes (1680–1715). Aus dem Französischen übersetzt von Harriet Wegener. Hamburg 1939, S. 192–207. Peter L. Berger / Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/M. 1989.
thetischen Wahrscheinlichkeitsbegriffes auf. Darin scheint jedenfalls die Pointe des ästhetischen Philosophierens zu liegen, das sich nicht mehr nur dem logisch-rationalen Erkenntnisverfahren zuordnet, sondern sich an dunklen Erfahrungsgegenständen erproben will. Dass sich der Gegenstand deshalb zum ästhetischen Philosophieren eignet, weil er im Grenzbereich von wahrscheinlichem und nicht-sicherem Wissen zu situieren ist,58 macht auch ein Artikel in der von Samuel Gotthold Lange und Meier herausgegebenen Moralischen Wochenschrift Der Gesellige deutlich. Ihm ist zu entnehmen, dass Gespenster weder als Gegenstand historischen Wissens noch als Gegenstand philosophischer Theoriebildung allein gelten könnten. Dass Meier ausgerechnet einen Gegenstand wie die Gespenster wählt, um seine neue Methode, das ästhetische Philosophieren, im Erfahrungsbereich zu erproben, könnte man zwar als Ironiesignal und als implizite Kritik an empirischen Tendenzen verstehen.59 In der Tat liegt in seiner Wahl eine gewisse Ironie. Dennoch eignen sich die Gespenster gerade deshalb, weil sie, wie Meier sagt, „phaenomena“ sind, deren diskursive Bewältigung im Zeichen einer ästhetischen, auf Wahrscheinlichkeit ausgerichteten Philosophie steht. Auch unter publikationsstrategischen Gesichtspunkten sind Gespenster schließlich keine quantités négligeables, denn sie sind Gegenstand der menschlichen curiositas.60 Ist mit diesen Überlegungen der allgemeine Rahmen der Meierschen Schrift abgesteckt, macht die folgende Rekonstruktion vier verschiedener Meinungen zum Gespensterglauben das philosophische Verfahren sichtbar. Aus ihm lässt sich auch die Bedeutung des Textes als Schaltstelle für die späteren essayistischen bzw. literarischen Adaptationen ermessen.
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Zu Meiers Moralischer Wochenschrift vgl. Theodor Vetter: Der Spectator als Quelle der „Discurse der Maler“. Frauenfeld 1887; Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Stuttgart 1968; Pamela Curie: Moral Weeklies and the Reading Public in Germany: 1711–1750. Oxford 1968; Gerhard Sauder: Die Moralischen Wochenschriften, in: Grimminger (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 3.1: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. München 1980, S. 267–279; Meier / Lange: Der Gesellige, 43. Stück, S. 355f. Siehe dazu Ploucets Principia de substantiis et phaenomenis (1753). Darin geht es um den ästhetischen Schein, um Monadenkritik und Phänomenalismus, zitiert nach Sommer: Grundzüge einer Geschichte der Deutschen Psychologie und Ästhetik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller. Nach e. v. d. kgl. preuss. Akad. d. W. in Berlin preisgekr. Schrift des Verfassers. Würzburg 1892, S. 74–88. Wegner: Philosophische Abhandlung von Gespenstern, S. 7.
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5. Die erste Meinung: Meiers Angriff auf die cognitio sensitiva
Die erste von Meier referierte Erklärung führt Gespenster auf einen Irrtum der unteren Erkenntnisvermögen zurück. Sie weist sie als Betrug aus, der durch eine Fehlfunktion der unteren Sinne zustande kommt. Formaliter beschreibt Meier die Gespensterwahrnehmung als „Fehler des Erschleichens“ und bestimmt damit den zugrunde liegenden Irrtumstyp.1 Auf die möglichen psychologischen Erkenntnismechanismen und die Funktionsweisen des Wahrnehmungsapparates, in denen der Irrtum begründet liegt, nimmt er im Folgenden näher Bezug. Seine Argumentation verdeutlicht den Komplexitätsgrad, den die psychologische Wahrnehmungs- bzw. Fehlwahrnehmungstheorie der mittleren Aufklärung erreicht hat. Sie macht zudem ersichtlich, wie Baumgarten, Meier und ihre Anhänger auf die Erkenntniskritik John Lockes reagierten und wie sie sie in die Psychologie der unteren Seelenvermögen einzubinden versuchten. Die Erklärung ist auch deshalb aufschlussreich, weil sie Meiers eigener Position entspricht. Das Beispiel der Gespenster stellt einen Anschauungsfall für die ästhetische Lehre dar, vor allem für ihre wahrnehmungstheoretischen Aspekte. Dieses Exempel verdeutlicht ebenso die auf die Erfahrungswelt bezogene Ausrichtung der Disziplin wie ihre Bezüge zur Popularphilosophie, die mit der Abkehr vom Postulat distinkter Begriffsbestimmung einher geht. Die Kontextualisierung der Ästhetik fördert zugleich eine Dimension zu Tage, die in rein ästhetikgeschichtlich ausgerichteten Forschungsarbeiten meist unberücksichtigt bleibt. Blickt man auf die zeitliche Abfolge von Meiers Publikationen, lässt sich die Genese ästhetischer Konzepte nachvollziehen. Zwar bildet Baumgartens frühe Metaphysik von 1739 einen wichtigen Ausgangspunkt für Meier. Zentrale Theoreme werden jedoch, wie gezeigt werden soll, auf dem Feld der Gespensterkritik konturiert. Die Genese der Ästhetik verläuft über den Gespenstertraktat und Meiers Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen, Schriften, die damit als Vorläufertexte für die Ästhetikkonzeption zu verstehen sind. Ihre Analyse ermöglicht indes, Meiers Einsatz im ästhetischen Feld näher zu bestimmen, die ideengeschichtlichen Problemkonstellationen, aus denen er hervorgegangen ist, aufzuzeigen sowie zentrale Differenzen zwischen seiner ästhetisch-anthropologischen Konzeption und der der späteren Generation um Johann Gottfried Herder und Karl Philipp Moritz offen zu legen. 1
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 8: „Die erste Erklärungsart der Gespenster besteht darin, wenn man dieselbe aus dem Fehler des Erschleichens (vitium subreptionis) herleitet.“ Und: „Der Fehler wird begangen, wenn man […] diese hergeleitete Vorstellung für eine Empfindung hält.“
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5.1. Die Anwendung auf die Gespenster Das komplexe Zusammenspiel der unteren Erkenntnisvermögen verdeutlicht Meier zunächst anhand eines konkreten Fallbeispiels. Mit der Formel „Laßt uns die Anwendung auf die Gespenster machen“, leitet er eine detaillierte Situationsbeschreibung ein, die auch bei seinen Lesern Erinnerungen an Gespenstergeschichten wachgerufen haben dürfte: Dieser Mensch liegt des Nachts allein in seiner Kammer. Er hört vor der Kammerthür abgemessene starcke und langsame Schritte. Hier hat er eine klare Empfindung. Da er nun die Ursache dieser Schritte nicht klar empfindet: so schließt er, vermöge des ersten Vorurtheils, daß sie nicht würcklich sey. Wenn nun gleich dieses gehende Ding z.E. ein Hund gewesen wäre: so ist er so weit entfernt an einen Hund zu dencken, daß er vielmehr diese Ursach aufs halsstarrigste leugnet, weil er den Hund nicht gesehen. Da er nun überdies eine gantze Menge von Gespenstern aus der Erzählung anderer weiß, die des Nachts in den Häusern herumschleichen: als Mönche, Nonnen und dergleichen, so sieht er einige Aehnlichkeit zwischen seiner Empfindung und einem Gespenste; folglich hält er, vermöge des andern Vorurtheils, seine Empfindung für die Erscheinung eines Gespenstes. Hierauf wird seine Einbildungskraft erhitzt. Tausend fürchterliche Bilder stellen sich seinem Gemüthe dar. Sein Geblüt kommt in Unordnung, und er wird von den entsetzlichsten Gemüthsbewegungen hin und her getrieben. Fängt die Einbildungskraft einmal an zu schwärmen: so kann man ihr kaum Einhalt thun. Diese Vorstellungen erlangen dadurch einen solchen Grad der Klarheit und der Stärcke, daß sie für Empfindungen gehalten werden, und daß ein Mensch glauben kann, er habe Dinge gesehen und gehört, die blos in seinem Kopfe ihre Würcklichkeit haben.2
Diese Beschreibung perspektiviert das Geschehen gleich in doppelter Weise. Sie erfasst sowohl die äußeren Sachverhalte als auch einen inneren Wahrnehmungsprozess. Zu den äußeren Sachverhalten zählen unter anderem die Dunkelheit, die Einsamkeit und das abgeschlossene Zimmer. Der damit korrespondierende innere Prozess besteht dagegen in der akustischen Wahrnehmung von Schritten, einer Erinnerung, dem Wirken der Einbildungskraft und in Gemütsbewegungen. In dieser Passage greifen Darstellung und Erklärungsmuster aufs engste ineinander. Meier stellt ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Seelenvermögen dar, wie sich vor allem aus erläuternden Hinweisen wie „hier hat er eine klare Erfahrung“ ableiten lässt. Mit den Worten „Vorurtheil“, „Ursache“, „klare Empfindung“, „Vorstellung“, „Einbildungskraft“ beschreibt er die Gespenstererfahrung nicht mehr nur in der Umgangssprache. Er greift ferner auf das ihm verfügbare philosophische Fachvokabular zurück, um den psychologischen Mechanismus, der diesem Wahrnehmungsmuster zugrunde liegt, im Einzelnen zu erörtern. Bei der Fehlwahrnehmung wirken drei Elemente zusammen: Einbildungskraft, überliefertes Wissen und Vorurteile. Eingeleitet wird der fehlgeleitete Wahrnehmungsakt durch erkenntnisrelevante Vorurteile, zuvörderst durch das Vorurteil ‚Was ich nicht klar empfinde, ist auch
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Ebd., S. 10f.
nicht wirklich‘.3 Die Unkenntnis der wahrscheinlichen Ursache, dass zum Beispiel ein Hund die Geräusche verursacht habe,4 führt zur Abkehr von der Erfahrungswelt, zur Suche nach einer alternativen Ursache und folglich zur Belebung der erinnerten Erzählungen anderer. Der Abzug der Aufmerksamkeit von der Außenwelt aktiviert in Folge die Einbildungskraft. Für die Verkennung ist noch eine weitere Vorannahme ausschlaggebend. Das zweite Vorurteil („Was einer gewissen Sache ähnlich ist, das ist mit derselben völlig überein“) befördert im Gegensatz zum ersten, an das sich die Suche nach alternativen Ursachen anschloss, die Identifizierung der wahrgenommenen Situation, d.h. der Schritte in der Dunkelheit, mit einer bloß erinnerten Gespenstervorstellung. Der aus Gespenstergeschichten bekannte, überlieferte und jetzt erinnerte Sachverhalt, dass Gespenster nachts Geräusche verursachen können, wird auf die vorliegende Situation übertragen. Diese Übertragung resultiert im Fehlschluss, ein Gespenst sei im Raum anwesend. Damit ist der Sachverhalt einer – wie man heute sagen würde – illusionären Verkennung bezeichnet. In Ergänzung zu den Vorurteilen fungieren die Erziehungsbegriffe als weitere Faktoren. Mit dem Terminus „Erziehungsbegriff“ rekurriert Meier auf verschiedene, im Gedächtnis verankerte Gespenstervorstellungen, die keineswegs angeboren sind, sondern erst durch die Konvention ausgebildet werden. „Ein Mensch“, heißt es dazu, „hat sein Gedächtnis mit einer unzählbaren Menge von Gespenster=Historien angefüllt.“5 Damit greift er auf Überlegungen zurück, die zu Topoi der Aberglaubenskritik zählen und zugleich verdeutlichen, dass Gespenstervorstellungen einem virtuellen, im Gedächtnis gespeicherten Gegenstand entsprechen und nicht etwa in der Außenwelt vorhanden sind.6 Als ihre Urheber rangieren an vorderster Stelle die „ersten Lehrmeister“ sowie die „Ammen“ und die „Kinderwärterinnen“.7 Auch die Phantasie befördert das Gespenstersehen gleich auf zweifache Weise. Im Ensemble prädisponierender Faktoren fungiert sie als ein gewichtiger, wenngleich nicht alleiniger Faktor. Zum einen evoziert sie Vorstellungen vorangegangener Sinneseindrücke und Perzeptionen,8 stimuliert also das Gedächtnis. Zum anderen trägt sie unmittelbar zur Verwechslung von Vorstellung und Empfindung
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Ebd., S. 9. „Dazu [neben der Einbildungskraft – Y. W.] kommen noch einige Vorurtheile die diesen Fehler unterstützen.“ Zwar stellt der Hallenser über die eigentliche Ursache des Geräusches nur Vermutungen an, mit der Nennung des Hundes gibt er allerdings eine wahrscheinliche, alternative Ursache für die Schritte an. Die ‚natürliche‘ Erklärung bestünde somit in der Annahme, dass die Schritte durch einen Hund ausgelöst worden sind, den der Gespensterseher aufgrund der Dunkelheit (oder weil er sich außerhalb seines Gesichtsfeldes bewegte) gar nicht wahrnehmen konnte. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9. Hans Adler: Fundus Animae – der Grund der Seele. Zur Gnoseologie des Dunklen in der Aufklärung, in: DVjs 62 (1988), S. 197–220. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9. Ebd., S. 9.
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bei.9 Zwar kommt der Imagination damit eine entscheidende Funktion bei der Aktivierung von Vorstellungen zu; ohne das im Gedächtnis angelagerte Material, ohne die falschen Erziehungsbegriffe und die epistemischen Vorurteile würde der irrtümliche Wahrnehmungsakt jedoch nicht zustande kommen. Das Gespenstersehen beruht somit nicht nur auf der Pathologie der Einbildungskraft, sondern gleichermaßen auf falschen Erziehungsbegriffen und erkenntniskonstitutiven Vorurteilen. Aus diesen vorgegebenen und auch für die Aberglaubenskritik der Frühaufklärung zentralen Elementen entwickelt Meier nun seinen eigenen Ansatz, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
5.2. Der Rückgriff auf Locke: Unzulänglichkeiten einer pädagogischen Gespensterkritik Die erste von Meier referierte „Erklärungsart der Gespenster“ schließt sich über weite Strecken dem kritischen Argumentationskalkül Lockes an,10 indem sie die Gespenstererfahrung auf falsche Erziehungsbegriffe zurückführt. Meiers Auseinandersetzung mit Locke lässt sich nicht nur im Gespenstertraktat nachweisen, sie ist zudem durch den weiteren Werkkontext belegt. Auf Locke verweist er in den Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften; 1759 hält er eine Locke-Vorlesung, die allerdings wenig Anklang findet.11 Bereits die Wahl des Fallbeispiels indiziert Meiers Nähe zum englischen Empiristen. Die Überschneidung betrifft die situationsbedingten Begleitumstände: Die Nacht, die Dunkelheit und die Einsamkeit treten als Faktoren auf, welche die Illusionsbildung befördern und Angst erzeugen. Mit der Erwähnung der Nachtangst und der Erziehungsbegriffe rekurriert Meier auf eine dominante Position im 9
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Ebd., S. 10: „Hierauf wird seine Einbildungskraft erhitzt. Tausend fürchterliche Bilder stellen sich seinem Gemüthe dar. Sein Geblüth kommt in Unordnung […]. Diese Vorstellungen erlangen dadurch einen solchen Grad der Klarheit und der Stärcke, dass sie für Empfindungen gehalten werden.“ Zur Locke-Rezeption in der deutschen Frühaufklärung: Peter Petersen: Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. Leipzig 1921; Walther Bienert: Der Anbruch der christlichen deutschen Neuzeit, dargestellt an Wissenschaft und Glauben des Christian Thomasius. Halle 1934; Klaus P. Fischer: John Locke in the German Enlightenment, in: Journal of the History of Ideas 36 (1975), S. 431–446. Zu Meiers Locke-Rezeption vgl. Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 27; Dürbeck: Einbildungskraft, S. 287ff.; ferner Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Aesthetik, S. 42–57; Carl Knüfer: Grundzüge der Geschichte des Begriffs ‚Vorstellung‘. Von Wolff bis Kant. Halle 1911 (Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte 37), S. 22; Alfred Bäumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur ‚Kritik der Urteilskraft‘, nach der Auflage von 1976, S. 176: siehe auch die deutsche Locke-Übersetzung von Engelhard Poleyen. Friedrich der Große trug Meier auf, eine Locke-Vorlesung zu halten. Vgl. Göttinger Anzeiger von Gelehrten Sachen vom 24. Oktober 1754, zitiert nach Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 27.
philosophischen Feld, die, so lässt es sich aus zahlreichen Gespenstertexten ableiten, nahezu obligatorisch genannt wird. Locke ist im mainstream der deutschsprachigen Gespensterkritik angekommen. Keine Gespenstertheorie kann eine Referenz an dessen Erkenntnistheorie und Pädagogik umgehen. Die mit dem Namen Locke identifizierte Position zeichnet sich durch verschiedene Grundannahmen aus. Die erkenntnistheoretischen lassen sich vor allem Lockes Essay Concerning Human Understanding bzw. dessen französischer Übersetzung entnehmen. Als einschlägig galt die 1695 angefertigte autorisierte Übertragung von Pierre Coste.12 Bereits um 1705 lag sie in fünfter Auflage vor und wurde sogar in die Locke-Gesamtausgabe von 1714 übernommen. Einschlägig für die Gespensterlehre war zudem Lockes 1693 publizierte Schrift über die Erziehung. Der Text erschien in deutscher Übersetzung unter dem Titel Gedanken über Erziehung. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts war er durchaus weit verbreitet und gilt als wichtiger Referenztext der philanthropischen Schulreform und Realienbewegung.13 Seine hohe Auflagenzahl dokumentiert ein breites Interesse an Lockes pädagogischen Schriften, das, wie Christian Begemann vermutet, mit der Ausbildung einer eigenen, von bürgerlichen Tugendidealen bestimmten Pädagogik innerhalb der deutschsprachigen Aufklärung koinzidiert.14 Die Rezeption von Locke, die bei Begemann als bürgerlich etikettiert und in Anlehnung an Norbert Elias zivilisationsgeschichtlich in den Prozess einer zunehmenden Affektkontrollierung und disziplinierung eingeordnet wurde, soll im Folgenden präzisiert werden. Denn die mittlere Aufklärung reproduziert Locke nicht einfach, sondern versucht, ihn in ihre eigenen Ansätze zu integrieren. Dabei kristallisieren sich zwei Einsatzpunkte heraus, zum einen die Affekttheorie, genauer die Frage nach der Induktion von Furcht, zum anderen die nach willkürlichen Vorstellungen. Auch Meier modifiziert dessen Theorie an entscheidenden Stellen. Seine Basis ist zunächst das Verhältnis von affektiver, vernünftiger und sinnlicher Erkenntnis, das Locke in seinen Gedanken über Erziehung an prominenter Stelle erörtert hatte. Im Abschnitt zu spirits bzw. goblins heißt es dazu: [B]ewahre sein [des Kindes – Y. W.] zartes Gemüt unter allen Umständen vor allen Eindrücken und Begriffen von Geistern und Gespenstern oder irgendwelchen angsterfüllten Vorstellungen im Dunklen. Diese Gefahr droht ihm durch die Unbesonnenheit der Dienstboten, deren Art es gewöhnlich ist, Kinder zu erschrecken und sich gefügig zu machen […]. Wenn das zarte Kindergemüt einmal solche Schreckvorstellungen aufgenommen hat und von dem starken Eindruck der Furcht, die solche Vorstellungen begleitet, angegriffen worden ist, dann sinken diese tief ein und setzen sich so fest, daß sie, wenn überhaupt, nur schwer wieder vertilgt werden können; und solange sie vorhanden sind, suchen sie die Kinder häufig mit seltsamen Hirnge12 13
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Zur Textgeschichte der pädagogischen Schriften vgl. Heinz Wohlers: Nachwort, in: ders (Hg.): Locke: Gedanken über Erziehung. Stuttgart 1970, S. 275–282, hier S. 280. Erstmals erschienen ist die Schrift unter dem Titel Some Thoughts Concerning Education. Auf mögliche Anleihen Meiers an Lockes pädagogische Schriften geht auch Dürbeck ein, sie beruft sich dabei vor allem auf die Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, dort auf den § 387; vgl. Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 294. Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung, S. 37 und 65.
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spinsten heim und machen sie zu Feiglingen, wenn sie allein sind, und jagen ihnen für ihr ganzes späteres Leben Angst vor ihrem Schatten und der Dunkelheit ein. Denn man muß daran denken, daß die ersten Eindrücke sich am tiefsten im Gemüt der Kinder verankern und daß die Begriffe, die sie sich aneignen, solange sie jung sind, später durch noch so großen Fleiß oder durch noch so große Kunst kaum je ganz ausgelöscht werden können. Es haben mir gegenüber Männer Klage geführt, die man in ihrer Kindheit so behandelt hat; obwohl ihre Vernunft die falschen Vorstellungen korrigiere, die sie sich gebildet hätten, und obwohl sie überzeugt seien, es gebe keinen Grund, sich vor unsichtbaren Wesen im Dunkeln mehr als bei Tageslicht zu fürchten, so wollten diese Vorstellungen doch bei jeder Gelegenheit zuerst in ihrer voreingenommenen Phantasie hervorspringen und könnten nur mit Mühe wieder entfernt werden.15
Instruktiv für die eingeschränkte Radikalität und das christliche Potenzial der Lockeschen Geisterkritik ist hier die Unterscheidung von goblins und spirits. Zwar rät Locke, die Erwähnung von spirits bei der frühen Kindererziehung zu vermeiden. Ihre Existenz sollte aber nicht grundsätzlich geleugnet werden (zumal sie in der Bibel erwähnt werden). Obschon die pädagogische Warnung vor einer zu frühen Unterweisung in die christliche Geisterlehre nachhaltig ist,16 wird deren Nützlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt hervorgehoben. Sie besteht darin, einem Materialismus bzw. Atheismus vorzubeugen bzw. die Ausbildung eines nicht mechanistisch-materialistischen Naturverständnisses zu fördern.17 Lockes Geisterkritik ist schon deshalb als moderat zu bezeichnen, weil sie den pädagogischen Nutzen gegen den möglichen Schaden abwägt. Wie Locke macht Meier die Ammen zu Urheberinnen von Gespenstervorstellungen und geht er von der Lebhaftigkeit der ersten kindlichen Eindrücke und ihrer Persistenz bis ins hohe Erwachsenenalter aus. Bei der späteren Evokation bzw. Erzeugung von Vorstellungen weist er der Phantasie ebenfalls eine regulative Rolle zu. Sie führt dazu, dass besonders lebhafte Eindrücke nachhaltig gespeichert und erinnert werden. Vor allem der Affekt der Furcht kann als Indikator einer solchen Erinnerungsspur gelesen werden. Kindliche Gespenstervorstellungen können sich im Erwachsenenalter auch dann noch als Furcht vor der Dunkelheit manifestieren, wenn ihr Gehalt rational längst als Phantasma ausgewiesen wird. Trotz Meiers enger Anlehnung an Locke sind jedoch zahlreiche Differenzen zu verzeichnen, die die Rolle der Erziehung betreffen. Anders als Locke kommt Meier zu der Auffassung, dass Dienstboten nicht nur aus „Unbesonnenheit“, sondern vor allem aus Eigennutz zu Gespenstergeschichten greifen, um „Kinder zu erschrecken und sich gefügig zu machen“.18 Mit dem Vermerk, dass „Ammen und Kinderwärterinnen […] gar zu aufmerksam“ seien, als „daß sie es in diesem Stücke [der Gespensterlehre – Y. W.] ihres Unterrichts sollten ermangeln lassen“,19 nimmt Meier auf das Problem einer gezielten Affektinduktion als Disziplinierungsmaß15 16 17 18 19
Locke: Gedanken über Erziehung, S. 168f. Ebd. Ebd., S. 241. Ebd., S. 169. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 10.
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nahme Bezug. Während Locke die Kolportage von Gespenstergeschichten primär auf die Unbedarftheit der Ammen zurückführt, um den Erzieher positiv von jenen abzugrenzen, wirft Meier ihnen vor, ihren Eigennutz der Erfüllung eines pädagogischen Ideals voranzustellen. Er stellt sie damit unter Verdacht, pragmatischen gegenüber tendenziell ethischen Handlungsmotiven den Vorrang zu geben und wirft nicht zuletzt Zweifel an der praktischen Durchsetzbarkeit der Lockeschen Erziehungslehre auf. Obschon Meier die theoretischen Postulate der Pädagogik in Ansätzen übernimmt, bewertet er ihre Realisierbarkeit kritisch. Ferner unterstellt er den Ammen eine spezifische Affinität zu Gespenstergeschichten, die sich aus ihrem ästhetischen Wirkungsmoment ableitet. Dieser Vorbehalt, der sich auch bei Adam Bernd nachweisen lässt und dort als kritische Bilanzierung der Lockeschen Erziehungslehre gelesen werden kann, verbindet sich hier mit einem weiteren Argumentationsziel. Aus der Gespensterkritik wird, wie zu zeigen ist, ein Argument für die Notwendigkeit einer Verbesserung der unteren Sinnesvermögen gewonnen, die als Alternative zur primär pädagogischen Gespensterkritik fungiert und für welche die Ästhetik Regeln liefert. Während Lockes pragmatischer Ansatz vor allem auf die Erziehungspropädeutik bzw. conduiteLehre rekurriert, indem die Reform der Erziehung hier zur Eindämmung des Gespensterglaubens beitragen soll, hält Meier die Verbesserung der sinnlichen Erkenntnisse mit Hilfe der Ästhetik für das geeignete Instrument. Locke greift somit auf eine Erziehungs- und Verhaltenslehre zurück. Meier zielt dagegen auf eine Verbesserungsästhetik ab, die den Gebrauch der unteren Erkenntnisvermögen befördern soll und nicht auf eine spezifische Zielgruppe, etwa Kinder oder ihre Erzieher, beschränkt bleibt. Mit dem Hinweis auf die Erziehungsbegriffe verbindet sich also kein Plädoyer für ein pragmatisches, auf Vermeidung von Furcht ausgerichtetes Erziehungsprogramm. Im Gegenteil: Furchtinduktion durch Kolportage von Gespensterhistorien wird in Meiers Lehre von den Gemüthsbewegungen sogar als vorteilhafte Technik der Leidenschaftserregung dargelegt, der ein ästhetischer Nutzen inhärent ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich Begemanns Annahme, die Gespensterkritik diene maßgeblich der Affektdisziplinierung,20 als ein zu grobes Raster, das einer kritischen Revision zu unterziehen ist. In Bezug auf Meier trifft es offenbar nicht zu. Charakteristisch für Meiers Gespensterkritik ist vielmehr eine Tendenz zur Bilanzierung und ästhetischen Transformation der Lockeschen Erziehungslehre, die zu ihrer Geltung innerhalb des Gespensterdiskurses beiträgt.21 Zwar hat sie noch in Schillers Romanfragment Der Geisterseher Pate gestanden. Doch wenn Schiller auf dieses Modell zurückgreift, dann wohl weniger deshalb, weil es ein für seine Zeit noch gültiges Erklärungsmuster bereithält, sondern eher, weil der Lockeschen 20 21
Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung, S. 64. Zur ästhetischen Furchterfahrung auch Begemann: Furcht und Angst im Prozess der Aufklärung, S. 98ff.
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Gedächtnistheorie ein Determinismus inhäriert (das heißt hier, die Schwierigkeit, Kindheitseindrücke zu korrigieren), der eine strukturelle Entsprechung in der Romanhandlung findet.
5.3. Empirie? Goblins and complex ideas Lockes Auffassung von falschen Erziehungsbegriffen22 steht darüber hinaus im Kontext einer Kontroverse um den so genannten Empirismus und die eingeborenen Ideen. Gespenster wurden, wie gesehen, zum einen als willkürliche Vorstellungen ausgewiesen, die auf eine falsche Erziehung zurückzuführen seien. Zum anderen wurden sie gleichermaßen als eingeborene Ideen begriffen. Gegen diese Annahme richtete sich Locke mit dem Konzept der Erziehungsbegriffe. Was zuerst in der Erkenntnislehre entwickelt wurde, scheint sich besonders in der Pädagogik durchzusetzen.23 Das macht jedenfalls der Artikel ‚Kinder=Zucht‘ in Zedlers Universallexikon deutlich.24 Der Verfasser opponiert dort gegen die eingeborenen Ideen und bezieht sich konkret auf Lockes Kritik an denselben zu Beginn des Essays.25 Folgt man der Einordnung des Philosophiehistorikers Jürgen Engfer, ist das Verständnis, das die so genannten Empiristen von eingeborenen Ideen haben, oftmals als naiv zu kennzeichnen.26 Aus der Kritik an eingeborenen Ideen wird vor allem ein polemisches Distinktionspotenzial bezogen, das zur Positionierung im erkenntnistheoretischen Feld beiträgt. Aus ihr allein lässt sich jedoch noch keine empirische Position ableiten. Die Gleichsetzung von Empirismus, Kritik an eingeborenen Ideen und Gespensterkritik ist demnach verführerisch, scheint aber zu schematisch zu sein. Die Frage, ob die Gespensterkritik eine Affinität zu einer spezifischen erkenntnis22
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Dieser Ausdruck lässt sich, da er von den Vorurteilen abgegrenzt wird, nicht nur auf die z.B. von Thomasius in der Introductio ad philosophiam aulicam (1688) entwickelte Kritik an Autoritätspersonen (Lehrern und Eltern) lesen, vgl. Hans-Jürgen Engfer: Empirismus versus Rationalismus? Kritik eines philosophiegeschichtlichen Schemas. Paderborn / München / Wien / Zürich 1996, S. 257. Zu den Verhaltenslehren bzw. Erziehungsschriften, in denen sich eine Aufnahme dieses erkenntnistheoretischen Komplexes nachweisen lässt, zählen u.a.: Fénelon: Education des Filles. Paris 1687 (übersetzt von Francke: Halle 1698); Crousaz: Nouvelles maximes sur l’Education des Enfans. Amsterdam 1718; Thomasius: Entwurff der politischen Klugheit, § 48, Christian Wolff: Gedancken vom gesellschaftlichen Leben derer Menschen. Artikel ‚Kinder=Zucht‘, in: Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 15 K. Halle / Leipzig 1737, Sp. 654–662. „Freylich wird ein Kind die tieffsinnigen Beweise des Herrn Leibniz nicht einsehen; und muß derjenige, der die ersten Gründe von einer Sache legen will, freylich sich die Begriffe erst in das Gedächtniß fassen. Deswegen muß man die Beurtheilung nicht gantz und gar bey Seite setzen, und ist es gantz etwas anders, eine Sache aus denen ersten Anfangs=Gründen der Erkenntniß herzuleiten, und etwas aus denen nächsten Gründen herzuführen.“ Im Essay ist die Argumentation freilich umgekehrt, hier führt Locke die Unwissenheit der Kinder an, um die Annahme eingeborener Ideen zu widerlegen; John Locke: An Essay Concerning Human Understanding. Edited with a Foreword by Peter H. Nidditch. Oxford 1975, S. 49. Engfer: Empirismus versus Rationalismus?, S. 190f.
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theoretischen Position aufweist, ist also zu präzisieren. Jedenfalls verwehrt sich auch der italienische Philosoph Tonelli dagegen, Positionen von Aufklärungsphilosophen allein schon als empirisch zu klassifizieren, weil sie Vernunfterkenntnisse relativierten: „Practically all the eighteenth-century philosophers stated that reason not supported by experience is powerless“.27 Nicht nur verliert das Etikett ‚empirisch‘ in dieser breiten Verwendung seinen Distinktionswert, sondern die Orientierung an der Empirie ist zudem oftmals als Kritik an der speziellen Metaphysik zu lesen und nicht primär als erkenntnistheoretischer Empirismus: But, if the Enlightenment philosophers did stress the necessity of matching reason to experience, this was not because they saw any basic difficulty in it, but because of their polemical attitude towards some trends of the past; concerning the debauches of reason alone [...] and concerning the blindness of experience, the general term of reference was alchemy and the school of medicine related to it, iatrochemistry.28
Demnach wären die meisten Aufklärungsphilosophen nicht primär Anhänger des Empirismus, sondern vor allem Gegner Erfahrung übersteigender Disziplinen wie der Dämonologie, Angeologie und Unsterblichkeitslehre. Auch Locke und Meier haben sich an der Destruktion dieser Lehren beteiligt. Dabei wandten sie sich jedoch nicht dem radikalen Empirismus zu, wie die folgenden Überlegungen verdeutlichen sollen. Der sich anschließende Abschnitt rekonstruiert zunächst Lockes erkenntnistheoretische Position und diskutiert ihre etwaige Vorbildhaftigkeit für Meier, um im Anschluss daran zu erörtern, inwiefern das Label ‚empirisch‘ heuristischen Wert hat. Eine Gespenstervorstellung, so führt es Locke im Essay aus, ist nicht real, sondern vielmehr aus unterschiedlichen einfachen Vorstellungselementen („simple ideas“) zusammengesetzt. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von allgemeinen Vorstellungen („complex ideas“) wie Tisch oder Stuhl, deren Genese ebenso auf der verstandesabhängigen Kombinationsgabe basiert. Diese richtet sich nach den Assoziationsgesetzen, womit eine über Strecken kontingente, nicht natürliche Produktion von „complex ideas“ bezeichnet wird.29 Die „ideas [Vorstellun27 28 29
Giorgio Tonelli: The „Weakness“ of Reason in the Age of Enlightenment, in: Diderot-Studies 14 (1971), S. 217–244, hier S. 229 und 230. Tonelli: The Weakness of Reason in the Age of Enlightenment, S. 230. Lockes Differenzierung zwischen zwei Typen der komplexen Ideen, den ‚chimerical ideas‘ und den ‚archetypes‘, ist in der Forschung auch als gemäßigter Nominalismus verstanden worden. Locke: An Essay Concerning Human Understanding, S. 385. Im 32. Kapitel des zweiten Buches geht Locke schließlich der Frage nach, ob Vorstellungen überhaupt der Status von Wahrheit bzw. Falschheit zukommt. Zwar verneint er, dass Ideen an sich wahr oder falsch sein können, er erwähnt jedoch eine Tendenz, zwischen einem Menschen und einem Centauren hinsichtlich der „Conformity to what really exists“ zu unterscheiden. In diesem Fall wird Wahrheit zunächst als verité d’existence verstanden, die von komplexen Ideen im Einzelfall bejaht oder verneint werden kann. Diese Diskrepanz zwischen einer Existenzzuschreibung bzw. ihrer -verneinung ist im Anschauungsbeispiel rein deskriptiv, denn Locke beschreibt eine Gewohnheit, Ideen zu klassifizieren. Warum die Existenz eines Centaur von den meisten Menschen verneint wird, bleibt hier zunächst offen. Bei der Erläuterung greift er auf das Theorem einer unwillkür-
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gen – Y. W.] of goblins or ghosts“ zählen nach Locke zu den „fantastical or chimerical ideas“, die, anders als „complex ideas“, „imaginary combinations“ darstellen.30 Sie kommen durch bestimmte Gewohnheiten (z.B. durch die Erziehung) und willkürliche Kombinationen von „simple ideas“ (Farbe, Geruch usw.) zustande. Die „kombinierende Tätigkeit des Verstandes [scheint aber] sowohl für die Bildung willkürlicher als auch für die Bildung derjenigen komplexen Ideen verantwortlich zu sein, die der Vereinigung der Qualitäten in den äußeren Objekten selbst entsprechen sollen“.31 Inwiefern die „complex ideas“ den Qualitäten der äußeren Objekte entsprechen, führt Locke im Zusammenhang seiner Differenzierung zwischen den primären und sekundären Qualitäten aus, womit er nun das Verhältnis von Vorstellungen und Außenweltobjekten beschreibt. Als einzige sekundäre Qualitäten, die den Objekten realiter inhärieren, benennt Locke Ausdehnung und Solidität. Da diese Attribute nicht zu den Eigenschaften von Gespenstern zählen, ließe sich daraus ihre NichtExistenz ableiten. Dieser Beweis, auf den Locke sich nicht festlegt, würde einer erfahrungsunabhängigen Argumentation gleichkommen, die auf vorrangigen Bestimmungen sekundärer Qualitäten basierte,32 und schon deshalb nicht als empirisch zu bezeichnen wäre.33 Auch Meiers eigene Position ist nur in Ansätzen empirisch zu nennen. Dazu müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: erstens die Annahme der ‚tabula-rasa‘These und zweitens die Annahme, dass der Ursprung aller Begriffe, Ideen und Urteile sinnliche Erkenntnisse sind.34 Obschon Meier wie Locke die eingeborenen Ideen ablehnt, nennt er zwei Quellen der Erkenntnis und misst den willkürlichen, durch Konvention gebildeten Begriffen darüber hinaus eine Relevanz für Erfah-
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lichen Assoziationsfolge zurück, um habituelle Prägungen zu erklären. Die Assoziation wird mit dem Hinweis auf den Mechanismus neurophysiologischer Imprägnierungen erhärtet. Sie ist ein Verstandesvermögen (‚operation of the mind‘), dem ein körperlicher Prozess entspricht. Mit dem Konzept der Willkür und Arbitrarität, welche die Gespenstervorstellungen kennzeichnen, werden bei Locke darüber hinaus Antipathien (z.B. die Abneigung gegen die Dunkelheit sowie auch bestimmte Idiosynkrasien) begründet, die mithin die individuellen Varianzen erklären. Locke: Essay Concerning Human Understanding, S. 373. Engfer: Empirismus versus Rationalismus?, S. 197. Engfer geht auf die Bedeutung der einfachen und komplexen (sowie der partikularen und allgemeinen) Ideen für die Frage ein, was das grundlegende Material der Erkenntnis sei, das die Sinne dem Verstand liefern sollen. Dabei sieht er ein Problem in der zweifachen Bestimmung der grundlegenden Idee, die zum einen die einfache (Wärme, Weiße), zum anderen die partikulare, komplexe Idee (z.B. Tisch) ist. Dass Lockes Erkenntnistheorie trotzdem eine wesentliche Transformation innerhalb der aufgeklärten Ontologie – eine „neue Ordnung der Dinge“ – eingeleitet hat, wird in älteren Forschungsarbeiten behauptet, vgl. dazu Hazard: Die Krise des europäischen Geistes, S. 515; siehe auch Wohler: Nachwort, in: Locke: Gedanken über Erziehung, S. 278. Eine Radikalisierung der empirischen Position lässt sich bei Locke nicht nachweisen. Er nennt die Reflexion als zweite Quelle der Erkenntnis. Sie war der empirische Grund für Begriffe wie ‚Wissen‘, ‚Glauben‘ usw. Eine ähnliche Position findet sich bei Hobbes, siehe dazu Engfer: Empirismus versus Rationalismus?, S. 184–211. Peres: Cognitio sensitiva, S. 7–40. Vgl. Engfer: Empirismus versus Rationalismus?, S. 12.
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rungsprozesse bei. Schon aus diesen Überlegungen lässt sich ableiten, dass es hilfreich ist, empirische und rationalistische Positionen nicht anhand eines Entweder-oder-Schemas zu unterscheiden, sondern vielmehr als interdependente Stellungnahmen zu begreifen, die am Einzelfall präzisiert werden müssen. Die Gleichsetzung von Gespensterkritik und Empirismus scheint somit zu einfach.
5.4. Logik der Phantasie: Zur Unterscheidung von lex und coincidentia Meier unterscheidet sich von anderen Autoren sowohl hinsichtlich des Vermögens, das er der Kombination von Vorstellungen zugrunde legt, als auch hinsichtlich der dabei wirksamen Gesetzmäßigkeiten. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen zunächst die Assoziation und die Phantasie. Zwar kann an dieser Stelle nicht auf die disparaten Phantasiekonzeptionen der frühen und mittleren Aufklärung eingegangen werden, um Meiers Position zu konturieren. Dennoch sei auf einige um 1700 verfügbare Modelle verwiesen, auf die er hätte zurückgreifen können. Er hat sich zum Entstehungszeitpunkt des Gespenstertraktats, so auch in der Auseinandersetzung mit Breitinger und Bodmer, bereits ausführlich mit verschiedenen Konzeptionen der Einbildungskraft befasst, die eine Alternative zu den Entwürfen der Wolff-Baumgarten-Schule darstellten.35 Mit Sicherheit kannte er die Schriften Jean Le Clercs und Johann Franz Buddes, in denen die Einbildung als innere Seelenkraft des Menschen beschrieben und ihre anthropologische Wirkung auf den Körper dargestellt wurde.36 Budde und Le Clerc 35
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Zur Konzeptualisierung u.a. bei Christian Wolff: Deutsche Metaphysik. Halle 1751, § 235: „Die Vorstellungen solcher Dinge, die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildungen zu nennen. Und die Kraft der Seele dergleichen Vorstellungen hervorzubringen, nennet man die Einbildungs-Kraft“. Im Leibniz’schen Sinn, und zwar als Kraft der individuellen Substanz, hält sich diese Konzeption bis zu Baumgarten; vgl. dazu Mario Casula: A. G. Baumgarten entre G. W. Leibniz et Chr. Wolff, in: Archives de Philosophie 42 (1979), S. 547–574. Wolff distanzierte sich allerdings von zahlreichen Implikationen der Leibniz’schen Monadologie, die mit dem Begriff der Kraft verbunden waren. Sie waren Wolff durch die Theodizee sowie durch Leibniz’ Gnaden- und die Naturschrift bekannt. In der ersten Auflage der Deutschen Metaphysik (1720) richtet sich Wolff gegen die Konzeption der Monade als Spiegel, in dem das Universum repräsentiert wird. Er wendet sich zudem gegen die Theorie der prästabilierten Harmonie (die von der ersten Annahme abhängt) und gegen die Kraft als Ursache nicht klarer Repräsentationen der Welt. Vgl. auch die Anmerkungen zur zweiten Edition der deutschen Metaphysik (1724), zitiert nach Casula: A. G. Baumgarten entre G. W. Leibniz et Chr. Wolff, S. 555. In der rationalen Psychologie wird die Hypothese der prästabilierten Harmonie allerdings als wahrscheinlich ausgewiesen. Ebd. S. 556, so auch bei Baumgarten. Sabine Mödersheim: „Auch die furchtbarsten Bäume wollen beschnitten sein“. Georg Friedrich Meiers Konzept der Einbildungskraft und Dichtungskraft und die Kritik an Anna Louisa Karsch, in: Dichtungstheorien der deutschen Frühaufklärung. Hg. v. Theodor Verweyen. Tübingen 1995 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung 1), S. 37. Vgl. dazu den Artikel ‚Einbildungskraft‘, in: Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 8. Leipzig / Halle 1734, Sp. 533–538, sowie Schneiders: Vorurteilskritik, S. 124.
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grenzten sich damit von verbreiteten Konzeptualisierungen der Phantasie als einer Kraft ab, die auch in externen äußeren Objekten wirksam und von diesen wiederum beeinflusst sein sollte. Diese gegen den Dämonenglauben gerichtete Imaginationskritik wurde in der Forschungsliteratur bereits einschlägig beschrieben und prägnant als „Wechsel der Diskurse“ bezeichnet.37 Neben den theologischen Abhandlungen kannte Meier zudem Lockes Konzept der Assoziation, das ihm früh über Joseph Addison, besonders über die moralische Wochenschrift The Spectator vermittelt wurde. Dass er diese Diskussion mit Sicherheit zur Kenntnis genommen hat, bezeugen seine Ausführungen in der mit Samuel Gotthold Lange herausgegebenen Wochenschrift Der Gesellige.38 Locke hatte mit der Assoziation ein Theorem vorgelegt, das es ermöglichte, psychische Erkenntnisprozesse nicht nur in ihrer Allgemeinheit zu beschreiben, sondern vor allem ihre Interferenz mit spezifischen Wahrnehmungssituationen hervorzuheben. Nach Locke handelt es sich bei willkürlichen Vorstellungen um zusammengesetzte Einzelideen. Im Prinzip hätten die Gespenster „really [...] no more to do with Darkness than Light“.39 Die Verbindung dieser Vorstellungen wird mit dem Gesetz der raum-zeitlichen Kontiguität erklärt.40 Damit legt er nahe, wie willkürliche sekundäre Faktoren zur Genese einer Vorstellung beitragen können. Diese These erlaubte allerdings nicht, regelhafte und fehlgeleitete Assoziationen zu unterscheiden, da die Differenz vor allem deskriptiv erfasst wurde. Eine nicht-relativistische Unterscheidung zwischen normalen und nicht-normalen Assoziationen bot Locke nicht an.41
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Götz Müller: Wechsel der Diskurse. Annotationen zu Adam Bernd, Karl Philipp Moritz und Jean Paul, in: Hans-Jürgen Schings (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposium 1992. Stuttgart / Weimar 1994 (Germanistische Symposien. Berichtbände 15), S. 697–723, hier S. 703. Zur Addison-Rezeption C. Dewitt Thorpe: Addison and Hutcheson on Imagination, in: A Journal of English Literary History 3 (1935), S. 215–234. Meier war Leser der von Addison herausgegebenen Moralischen Wochenschrift The Spectator (1711–1712); er hat ihr zahlreiche Artikel entnommen und in der Zeitschrift Der Gesellige zusammen mit Joachim Lange herausgegeben. Locke: Essay Concerning Human Understanding, S. 397. Dazu auch Eckhard Lobsien: Kunst der Assoziation. Phänomenologie eines ästhetischen Grundbegriffs vor und nach der Romantik. München 1999, S. 14f. Die Verrücktheit ist demnach ein Zustand, der sich auf die inhaltliche Beziehung der Ideen, nicht auf die Form der Assoziation bezieht. Berührt sind dabei die Probleme des Zufalls, der Norm und der Gewohnheit, die diese Assoziationsketten bilden. Nicht nur am konkreten Fall der Gespenstervorstellung, auch bei anderen Gelegenheiten ließen sich nach Locke Automatismen der Assoziation beobachten. Ein weiteres für diesen Kontext einschlägiges Beispiel stellt die Erinnerung an Tote dar. Die bestehenden Automatismen sind in diesem Fall der Grund für anhaltende, nicht kontrollierbare, unwillkürliche „Repräsentationen“ verstorbener Personen, die sich von den Formen des rituellen Gedenkens u.a. durch die Unwillkürlichkeit unterscheiden. Locke: Essay Concerning Human Understanding, S. 398f. Ebendiese Erklärung bleibt für die psychologische (bzw. kompensationstheoretische) Geisterkritik der Spätaufklärung relevant. Zu den Lockeschen Assoziationsgesetzen vor allem das 33. Kapitel des 2. Buches. John Locke: Essay Concerning Human Understanding, S. 394–401.
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Dass Meier darüber hinaus avancierte, primär physiologische Assoziationstheorien kannte, wie sie mit David Hartleys Observations on Man, his Frame, his Duty, his Expectations (1749)42 vorlagen und von David Humes Treatise of Human Nature (1739/40) aufgenommen wurden,43 scheint an dieser Stelle nicht wahrscheinlich. Zumal Hartleys Aufsatz erst nach Meiers Traktat publiziert wurde und sich eine Hume-Rezeption bei ihm erst für einen späteren Zeitpunkt nachweisen ließ. 1748 lag auch die Schrift von Etienne Bonnot de Condillac (1715–1780) Über den Ursprung der menschlichen Erkenntnis (1746) vor.44 Darin griff er auf Lockes Assoziationstheorie zurück45 und versuchte, dessen Assoziations- und Einbildungskrafttheorie zu verbinden.46 Er lieferte eine Erklärung für die Entstehung von Vorstellungen, die zunächst von den äußeren Sinnen abhingen und dann in einem zweiten Schritt von der Einbildungskraft willkürlich zergliedert und kombiniert würden. Die Einbildungskraft wäre demnach nicht nur für die Evokation und die Kombination von Vorstellungen verantwortlich,47 sondern auch für ihre Projektion 42
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David Hartley: Observations on Man, his Frame, his Duty and his Expectations. 2 Bde. [ND der Ausgabe London 1749] Hildesheim 1967; dazu S. H. Ford: Coalescence: David Hartley’s ‚Great Apparatus‘, in: Christopher Fox (Hg.): Psychology and Literature in the Eighteenth Century. New York 1987, S. 199–223; Hartleys Schrift könnte eine wesentliche Vorlage für Meiers späteres Konzept der ‚temporary madness‘ gewesen sein. Vgl. zur um 1750 nachweisbaren Rezeption auch Albrecht von Haller: Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sich selbst. Erster Theil. Bern 1787, S. 78–91, hier S. 78: „Die Absicht des Verfassers ist auf eine mechanische Art zu erklären, wie alle Bewegungen des Leibes und alle Empfindungen und Würkungen der Seele geschehen, fast auf die Art, wie es vormals Hooke versucht, obwohl Hr. H. in der Ausführung von ihm weit abgeht. In dem ersten Buch ist also ein grosser Theil der Physiologie enthalten, und insbesondere die mechanische Art, wie die Empfindungen der Sinne von den Nerven angenommen, zum Hirn befördert, daselbst wiederum empfangen und aufbehalten, und aus denselben die Bewegungen des Körpers verursacht werden […]. Die Eindrücke der auswärtigen Körper erwecken in den Nerven, und nach diesem im Hirne eine zitternde Bewegung (Vibration).“ David Hume: Treatise of Human Nature. Ed. by Lewis Amherst Selby-Bigge [1888]. Reprint from the Original edition. Oxford 1967, Part I, Sect. IV, S. 10–13, sowie die spätere Überarbeitung: ders.: An Enquiry Concerning Human Understanding. Ed. by Tom Beauchamp. Oxford 1999. Hume kennt das Gesetz der Ähnlichkeit, der Kontiguität und der Kausalität. David F. Markus: Die Assoziationstheorien im XVIII. Jahrhundert [nach der Ausgabe Halle 1901]. Hildesheim / Zürich / New York 1985; John P. Wright: Association, Madness, and the Measures of Probability in Locke and Hume, in: Fox (Hg.): Psychology and Literature in the Eighteenth Century, S. 103–127; zu Hume Günter Gawlick / Lothar Kreimendahl: Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse und Rezeptionsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. So Lobsien: Kunst der Assoziation, S. 36. Der Essay enthält einen massiven Angriff auf die cartesianische Sinnlichkeitskritik, vgl. dazu: Etienne Bonnot de Condillac: Essai sur l’Origine des Connaissances Humaines. Ouvrage où l’on réduit à un seul principe tout ce qui concerne l’entendement humain. Tome Premier. Amsterdam 21756. Schon die Vorrede platziert das Werk in die erkenntnistheoretische Debatte der Zeit, nämlich zwischen Lockes empiristische und Descartes’ ineistische Erkenntnistheorie. Abgegrenzt wird diese Konzeption bei Condillac vor allem von der Reflexion als dem Vermögen, das Ideen (erinnerte Sinnesbilder) zu komplexen Ideen zusammensetzt, vgl. dazu auch Lobsien: Kunst der Assoziation, S. 37. In Anlehnung an Locke bezeichnet Condillac die sekundären Qualitäten der Dinge als lediglich in unserem Geist hervorgerufene Vorstellungen, die in den Körpern nicht real existieren. Alfred
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nach außen.48 Condillacs umfassender Erklärungsversuch zielte aber vornehmlich auf die Verwerfung der Phantasie. Seine tendenziell „realistische“ Abwertung der Phantasie, die primär die Degradierung der Imagination als Täuschungsquelle avisierte und der Phantasie eine ausschließlich hemmende Rolle bei der Erkenntnisgewinnung unterstellte, wird durch Meiers eigene Aufwertung dieses Vermögens kontrastiert.49 Meiers Ausführungen unterscheiden sich von den hier erwähnten Vorgaben in mehrfacher Hinsicht. Zum einen misst er der Phantasie (wie Budde, Locke und Condillac) eine evokative Funktion zu. In Anlehnung an eine verbreitete Vorstellung der Zeit beschreibt er sie als die Kraft, alte, vergangene Vorstellungen „von neuem zu erwecken“: Wer die Natur der Einbildungskraft versteht, der wird wissen, daß dieselbe uns bey einer jeden Empfindung eine andre Vorstellung von neuem erweckt, die beyde einige Merckmale und Theile mit einander gemein haben. So oft wir zwey Vorstellungen zugleich haben, die mit einander etwas gemein haben: so ofte verbinden wir ihre Merckmale, wodurch sie von einander unterschieden sind, und machen daraus eine dritte Vorstellung [...].50
Dass die Phantasie als aktives Vermögen konzipiert wird, lässt sich schon aus der Syntax erschließen. Die Einbildungskraft besetzt im vorliegenden Satz (im Gegensatz zu den übrigen Sätzen des Abschnittes) die Subjektstelle. Ihre Funktion besteht in der Evokation eines gespeicherten Bildes. Die Gespenstervorstellung stellt ein von der Phantasie evoziertes Erinnerungsbild dar, das in einer spezifischen Situation entstanden ist und nun erweckt wird. Ferner verbindet Meier Lockes Assoziationslehre mit der Vermögenspsychologie, indem er die Evokation auf
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Kühtmann: Zur Geschichte des Terminismus. Wilhelm v. Occam, Etienne Bonnot de Condillac, Hermann v. Helmholtz, Fritz Mauthner. Leipzig 1911, S. 39–50. Lobsien: Kunst der Assoziation, S. 24. Dazu siehe Casula: A. G. Baumgarten entre G. W. Leibniz et Chr. Wolff, S. 566f. Der Wahrheitsgehalt einer Vorstellung wird bei Meier nur dann für ungewiss erachtet, wenn er sich nicht am Kriterium der apriorischen Wahrheitsbestimmung der Widerspruchsfreiheit messen läßt, das ja auf die Gedankendinge in der Wolff’schen Ontologie appliziert und aufgrund dessen ihnen ein Realitätsstatus beigemessen wurde, der unabhängig von der extramentalen Existenz des vorgestellten Sachverhaltes bzw. ihrer Wirklichkeitsähnlichkeit galt. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9. Ausführlicher wird dieses Verfahren in der 1744 erschienenen Theoretischen Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 93f., beschrieben: „Ich will den gantzen Proceß aus einander wickeln. 1) Entsteht in der Seele eine Empfindung. Hier mache ich den Anfang [...]. 2) Bringt die Einbildungskraft, wozu auch das Gedächtniß kommen kan, bey Gelegenheit dieser Empfindung, eine oder mehrere vorhergehabte Vorstellungen oder Empfindungen wiederum in dem Gemüthe hervor, die mit der gegenwärtigen Empfindung eine Aehnlichkeit und Verwandtschaft haben. Es geht dieses so natürlich zu, daß dieses eben vermöge der Vorschrift geschieht, welche die Natur der Einbildungskraft in ihren Würckungen vorgeschrieben hat. 3) Diese Empfindung n.1. und die wieder erweckte Vorstellung n.2. vergleicht die Seele mit einander. Sie bemerckt die Stücke, wodurch sie von einander unterschieden sind, und macht aus diesen verschiedenen Theilen eine Vorstellung [...]. Man kan dieses dritte Stück durch einen ordentlichen Vernunftschluß erklären, und man kan sagen, daß die Seele bey dem vorhersehen einer zukünftigen Sache schliesse, ohne doch diese Kette der Vorstellung deutlich einzusehen.“
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Gesetzmäßigkeiten zurückführt, denen die Phantasie folgt. Er integriert Lockes Assoziationsgesetze, die letzterer als operation of the mind bezeichnete, in die Phantasietheorie, insofern er diese Gesetze nennt, welche die Evokation von Vorstellungen in einer bestimmten Situation regulieren. Von Locke unterscheidet er sich durch die Beschreibung dieser Assoziationsregelmäßigkeiten.51 Anders als Locke, der im Wesentlichen Raum-Zeit-Faktoren angab, nennt Meier als Gesetz ferner die Ähnlichkeit. Die Ausbildung einer in sich konsistenten Assoziationsreihe wird somit zum Funktionsprinzip der Einbildungskraft erhoben, die Vorstellungen nicht nach Raum-Zeit-Faktoren, sondern nach einer bestimmten, den Vorstellungsinhalten selbst inhärenten Ähnlichkeit aneinanderreiht. Die Verbindung von zwei sinnlichen Vorstellungen ist demnach keineswegs ein mehr oder weniger zufälliger äußerlicher Effekt, sondern beruht auf einem inhärenten Kriterium, das der situationsabhängigen Bestimmung ein weiteres Detail hinzufügt. Die beiden Ergänzungen oder besser Modifikationen der Lockeschen Assoziationstheorie konnte Meier schon den Ausführungen Addisons entnehmen.52 Auch 51
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Locke: An Essay Concerning Human Understanding, S. 396: „This strong combination of Ideas, not ally’d by Nature, the Mind makes in it self either voluntarily, or by chance.“ Zur Lehre der Assoziationstheorie siehe die Abhandlung des Göttinger Philosophen Michael Hissmann: Geschichte der Lehre von der Assoziation der Ideen. Göttingen 1777. Hissmann betont die Rolle Wolffs bei der Ausbildung der Assoziationstheorie. Wolff kennt zwei Gesetzmäßigkeiten, David Hume dagegen kennt neben der Ähnlichkeit und der raum-zeitlichen Kontinuität auch das Gesetz der Kausalität. Dazu Pietro Pimpinella: Imaginatio, Phantasia e Facultas Fingendi in Ch. Wolff e A. G. Baumgarten, in: Marta Fattori e Massimo Luigi Bianchi (Hg.): Phantasia-Imaginatio. V. Colloquio Internazionale. Roma 9–11, Gennaio 1986. Roma 1988, S. 379–414; sowie Markus: Die Associationstheorien im XVIII. Jahrhundert, S. 58f.; Hans Peter Herrmann: Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von 1670 bis 1740. Bad Homburg / Berlin / Zürich 1970 (Ars poetica. Texte und Beiträge zur Dichtungslehre und Dichtkunst 8); Silvio Vietta: Literarische Phantasie. Theorie und Geschichte: Barock und Aufklärung. Stuttgart 1986; Alfred Bäumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts. Halle 1923, und Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Hamburg 1949. Zur Assoziation der Ideen auch die Nummern 416 und 417 des von Addison herausgegebenen Spectator, zitiert nach Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 70. Dazu auch Martin Kalich: The Association of Ideas and Critical Theory in Eighteenth-Century England. A History of a Psychological Method in English Criticism. Den Haag / Paris 1970, sowie Alois Winter: Selbstdenken – Antinomien – Schranken. Zum Einfluß des späten Locke auf die Philosophie Kants, in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 1 (1986), S. 26–66. Eine Verschränkung von Assoziations- und Einbildungskrafttheorie lag bereits mit dessen Abhandlung in der Wochenschrift The Spectator vor, die hier als mögliche Vorlage diskutiert werden kann. Dabei interessiert in diesem Kontext weniger die bei Addison behandelte Frage nach der Lust bzw. Unlust als vielmehr die Lehre von den Assoziationsvorgängen als automatisierten „Erweckungen von Vorstellungen“. Addison: The Spectator Nr. 416, 417, spricht vor allem von ‚resemblance‘, ‚affinity‘, ‚analogy‘ und davon, dass „a single circumstance raises up the whole scene of imagery“. Siehe dazu Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 70. Breitingers Critische Abhandlung Von der Natur den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse (1740) nahm diese Gedanken ebenso auf wie die gemeinsam mit Johann Jacob Bodmer verfasste Schrift Von dem Einfluß und dem Gebrauche der Einbildungs=Krafft von
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dieser verknüpfte Assoziation und Phantasie, legte jedoch keine differenzierte Beschreibung der Wirkweisen der Einbildungskraft vor, die über die Annahme eines willkürlich produzierten „train“ des Bewusstseins hinausging. Addisons Ansatz zeichnete sich also durch seine relativ breite und unspezifische Deutung von imaginären Funktionsmechanismen aus. In Abgrenzung zu diesen Ansätzen gründet Meier die Annahme einer Assoziationsregelmäßigkeit (Kontiguität, Ähnlichkeit, Gewohntheit)53 auf das metaphysische Prinzip der lex continui sowie auf das Prinzip der ratio sufficiens. Es beschreibt nicht mehr Assoziationen, sondern die der Kaskade umschriebener psychologischer Mechanismen insgesamt zugrunde liegende Regelhaftigkeit. Diese Position ist für die Wolff-Baumgarten-Schule bezeichnend.54 Wenn Meier an dieser Stelle also auf die Assoziationstheorie Lockes rekurriert, um mit ihr einen situationsspezifischen Evokationsvorgang zu beschreiben, bleibt
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1727. Johann Jacob Breitinger: Critische Abhandlung Von der Natur den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse. Zürich 1740 (Nachdruck, Hg. v. Manfred Windfuhr. Stuttgart 1967), S. 6. Vgl. auch Bender: Rhetorische Tradition und Ästhetik im 18. Jahrhundert, S. 481– 506, hier S. 486. Vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, zur reproduktiven Einbildungskraft § 238 und § 799. Die Regel der Evokation ist hier die Ähnlichkeit und die raum-zeitliche Kontinuität. Die Assoziation kann auch unwillkürlich verlaufen, so im Traum, vgl. dazu ebd. § 244 und § 799. Sie muss zudem nicht logischen Regeln entsprechen. Vgl. dazu Gabriele Dürbeck: Fiktion und Wirklichkeit in Philosophie und Ästhetik. Zur Konzeption der Einbildungskraft bei Christian Wolff und Georg Friedrich Meier, in: Daniel Fulda / Thomas Prüfer (Hg.): Faktenglaube und fiktionales Wissen. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst in der Moderne. Frankfurt/M. 1997, S. 25–42. Über diesen Zusammenhang gibt erneut die Metaphysik Baumgartens Auskunft, in die auch die Lehre von der Assoziation Eingang gefunden hat. Die Ausbildung von Reihen innerhalb der unteren Seelenvermögen (der Empfindung und der Phantasie) wird dort jedoch als Gesetzmäßigkeit beschrieben, für die Baumgarten den Ausdruck lex reservierte. In Bezug auf die Empfindungen ist damit zunächst die Regel ihrer Hervorbringung in Folge bezeichnet. Dabei wird eine regelmäßige Abfolge der einzelnen Sensationen angenommen, die auf dem Satz des zureichenden Grundes und des Zusammenhangs aller Dinge basiert. Von dem Gesetz, das die sinnliche Reihe ausbildet, wird bei Baumgarten darüber hinaus das Gesetz der Phantasie abgegrenzt. Dieses Gesetz beschreibt das Vermögen der Einbildungskraft, singuläre Vorstellungen in einer Abfolge nacheinander zu präsentieren. Vgl. Peres: Cognitio sensitiva, S. 7–40, hier S. 8; Jürgen Mittelstraß: Die Begründung des principium rationis sufficientis, in: Studia Leibnitiana. Supl. III. Wiesbaden 1969, S. 136–148; Gertrud Kahl-Furthmann: Der Satz vom zureichenden Grund von Leibniz bis Kant, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 30 (1976), S. 107–122. Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica. Editio VII. Hildesheim 1963, § 541, S. 190: „Lex sensationis est: Ut sibi succedunt status mundi & status mei, sic sequantur se invicem repraesentationes eorum praesentium.“ Baumgarten: Metaphysica, § 561, S. 199: „Imaginatio & sensatio sunt singularium §§ 539, 534. hinc in universali nexu constitutorum, § 257. Vnde lex imaginationis: percepta idea partiali recurrit eius totalis § 306, 514. Haec propositio etiam associatio idearum dicitur“; Baumgarten: Metaphysica, S. 203. Ohne auf die Hintergründe hier näher eingehen zu können, sei erwähnt, dass die Annahme eines derartigen Kontinuums, d.h. die Annahme einer in sich konsistenten Reihe, der Ästhetisierung der Gespenstererscheinung zugrunde liegt. Die mangelnde rationale Erschließbarkeit der Erfahrung wird als ‚Manko‘ gedeutet, dessen Grund in der Endlichkeit des Verstandes und nicht etwa darin liegt, dass die unwillkürlich gebildete Kette aus dem ordo-Prinzip der Natur herausfiele.
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das theoretische Rahmenmodell, in das seine Überlegungen eingebettet werden, dennoch die Baumgarten-Wolffsche Vermögenspsychologie. Damit substituiert er die deskriptiven Modelle Lockes und Addisons durch eine in metaphysische Annahmen gegründete Vermögenspsychologie, ohne jedoch auf situationsspezifische Erklärungsmodelle der Assoziationsvorstellungen zu verzichten.55
5.5. Perspicacia versus Phantasia. Die Gespenstervorstellung als Produkt vernunftanaloger Seelenvermögen Die beschriebene Gespensterwahrnehmung entsteht nicht allein durch die Evokation alter Erziehungsbegriffe. Sie kommt durch die Übertragung des Erinnerungsbildes auf die wahrgenommene Situation zustande. Reproduktion und Identifikation gehen dabei Hand in Hand.56 Gemeinsam führen sie zur Annahme, es sei tatsächlich ein Gespenst im Raum. Wahrnehmungspsychologisch gesprochen, werden aktuelle Sinnesdaten dabei mit verschiedenen im Gedächtnis gespeicherten Eindrücken abgeglichen. Der zur Gespensterwahrnehmung führende Abgleich basiert nicht bloß auf der Aneinanderreihung verschiedener Vorstellungen, sondern ist als Wiedererkennungseffekt zu begreifen, der durch die Übertragung einer alten Vorstellung auf die vorliegende Situation zustande kommt. Neben der Reproduktion ist hier die Kombination von Vorstellungen notwendig, die erst zur Überblendung einer Empfindung mit einer Vorstellung und zur Entstehung der neuen Perzeption führt. Was der Ästhetiker als reproduktive (erinnernde) und kombinierende Funktionen beschreibt und als das seelische Vermögen bezeichnet, alte Vorstellungen zu aktivieren und mit aktuellen zu verbinden, scheint zunächst nicht mehr als ein Gemeinplatz der anthropologischen und ästhetischen Theoriebildung um 1750 zu sein. Ein Blick in ein verbreitetes Lehrkompendium der Frühaufklärung, das eine mögliche Quelle für die vorliegende Schrift gewesen sein könnte, zeigt, dass diese Unterscheidung zum Kanon psychologischer Theoriebildung gehörte. Bereits der Jenaer Theologe Johann Franz Budde, auf den Meier in anderem Kontext ausführlicher rekurriert, hat in seinen Institutiones theologiae moralis (1711) die Theorie einer in dem Sinn reproduktiven Einbildungskraft entworfen, dass sie aus alten Vorstellungen andere zusammensetzt. Er hat ihre kombinierende Funktion in den Vordergrund gerückt. Die Einbildungskraft bezeichnete Budde als Seelenvermö55 56
Böhm: Das Schönheitsproblem bei G. F. Meier, S. 192. Zu den Verbindungen des Evokationsprozesses mit den Affekten vgl. Meier: Gemüthsbewegungen, § 79, S. 105: „Man muß diese gantze Erscheinung [die Erregung der Gemütsbewegungen – Y. W.], für eine Würckung der Einbildungskraft halten. Diese Kraft erweckt, unsere vorhergehabte Vorstellungen, wiederum aufs neue. Sie kan demnach eben diejenige Erkenntniß wiederum ins Gemüth bringen, woher vor einiger Zeit die Gemüthsbewegung entstanden war“, sowie dazu auch § 80.
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gen, das er für den aktiven Vergleich von Vorstellungen sowie für ihre Identifizierung verantwortlich macht.57 Weiterhin entwickelte er dann eine neurophysische (noch zu erörternde) Theorie korrespondierender, zerebraler Nervenaktivitäten, die für Meiers dritte Erklärung (siehe unten) aufschlussreich ist.58 Zwar kann Buddes Text als wesentliche Vorlage angesehen werden, doch scheint es durchaus fraglich, ob Meier dessen Konzeption der Einbildungskraft übernimmt, ja ob er die reproduzierende Zusammensetzung und damit den Wiedererkennungseffekt überhaupt auf die Einbildungskraft zurückführt. Dagegen scheint ein Textbefund zu sprechen, der sich allerdings erst auf den zweiten Blick erschließt. In der bereits zitierten Passage fällt jedenfalls ein Perspektivenwechsel ins Auge, mit dem Meier klar indiziert, dass zwei an sich disparate Seelenvermögen für Evokation und Zusammensetzung zuständig seien. Fungierte die Einbildungskraft zunächst noch als Subjekt („Wer die Natur der Einbildungskraft versteht, der wird wissen, daß dieselbe uns bey einer jeden Empfindung eine andre Vorstellung von neuem erweckt, die beyde einige Merckmale und Theile mit einander gemein haben“), wird in unmittelbarem Anschluss ihre Stelle durch das Personalpronomen ‚wir‘ ersetzt: So oft wir zwey Vorstellungen zugleich haben, die mit einander etwas gemein haben: so ofte verbinden wir ihre Merckmale, wodurch sie von einander unterschieden sind, und machen daraus eine dritte Vorstellung.59
Dieser Perspektivenwechsel indiziert, dass nicht die Einbildungskraft für die Kombination verantwortlich gemacht wird, sondern ein anderes Vermögen. Von der Evokation der Gespenstervorstellung wird deutlich eine Vergleichsoperation abgegrenzt, die unterscheidet und verbindet, und schließlich zur Identifizierung der Erinnerung mit der aktuellen Wahrnehmungssituation beiträgt. Während die Ein57
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Die Syntheseleistungen der Einbildungskraft wurden nicht nur in der Wahrnehmungslehre, sondern auch in der Kunsttheorie behandelt. Die Unterscheidung von reproduktiver und produktiver Einbildungskraft ist von der Forschungsliteratur vor allem deshalb ausführlich zur Kenntnis genommen worden, weil sie für das Verhältnis von Regel und Talent und damit für die Kontroverse zwischen Regel- bzw. Genieästhetikern zentral war. Dieser Kontext ist für die hier behandelte Diskussion allerdings von untergeordneter Bedeutung, wie die nun folgenden Ausführungen verdeutlichen. Erstens spielt die Phantasie bei der hier beschriebenen Produktion von neuen Vorstellungen eine nur marginale Rolle. Zweitens hat die diskutierte Syntheseleistung an sich wenig mit dem produktiven Phantasievermögen zu tun, wie es am Ende des 18. Jahrhunderts diskutiert wird. Vgl. dazu die deutsche Übersetzung von Buddes Institutiones mit dem Titel Einleitung in die Moral-Theologie. Nebst den Anmerckungen des Herrn Verfassers ins Deutsche übersetzt: „Durch die einbildungs-krafft verstehen wir die krafft der seele, wodurch wir die bilder, so uns durch die äusserlichen sinne mit hülffe der lebens-geister eingedruckt worden, fassen, betrachten, unterscheiden, zusammensetzen, ordnen und auf andere Art damit umgehen.“ Budde greift dabei offensichtlich auf die Theorie der Nervengeister zurück, wie sie u.a. auch in Malebranches De la recherche de la vérité vorliegt. Zur Gesamteinordnung von Malebranche Gabriele Dürbeck: Einbildungskraft, S. 30. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9.
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bildungskraft (nur) Vorstellungen wachrufen und sie bis zur Empfindung steigern kann, basiert der Vergleich auf einem Vermögen, das sich von der Einbildungskraft deutlich durch die Kombinationsgabe abgrenzen lässt. Für dieses nicht näher benannte Vermögen könnte Meier bei seinem Lehrer Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) eine Vorlage gefunden haben. Baumgarten unterscheidet jedenfalls grundsätzlich zwischen der Einbildungs- und der Vorstellungskraft; für letztere verwendet er das lateinische Wort perspicacia.60 Auf den ersten Blick mag diese Unterscheidung sophistisch erscheinen. Hier überhaupt eine genaue vermögenspsychologische Zuordnung vornehmen zu wollen, scheint angesichts der popularisierenden und assoziativen Ausrichtung von Meiers Traktat wohl mehr als fragwürdig. Wie sich zeigt, orientiert sich Meier jedoch deutlich an Baumgarten. Ein Blick auf dessen Vorgaben lässt diese Bezüge offenkundig werden. Ein Rekurs auf die Lehre Baumgartens ist daher nicht nur sinnvoll, sondern auch für Meiers Irrtumspsychologie äußerst aufschlussreich. Meiers Anlehnung an seinen Lehrer lässt sich aus der Verwendung von Fachtermini ablesen, die der Baumgartenschen Psychologie entnommen sind. Für die Rekapitulation des Kenntnisstandes scheint dessen 1741 publizierte Metaphysik wegweisend, die auch eine empirische Psychologie enthält.61 Meiers Kenntnis dieses Textes kann ohne Frage vorausgesetzt werden.62 Er gilt nicht nur als Schüler und Popularisator Baumgartens, sondern legte 1766 eine eigene deutsche Bearbeitung der Schrift mit dem Titel Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysik vor.63 In seiner empirischen Psychologie unterscheidet Baumgarten zwischen drei unterschiedlichen sinnlichen Repräsentationsweisen: den Einbildungen (‚Imaginationen‘),64 den sinnlichen Vorstellungen (‚Perzeptionen‘) und schließlich den Empfindungen (‚Sensationen‘). Während Empfindungen65 Welt-Repräsentationen darstel-
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Erstere bezeichnete bei Baumgarten ein Vermögen, Vorstellungen zu vergleichen bzw. zu unterscheiden („Identitas diversitatesque rerum percipio. Ergo habeo facultatem identitates diversitatesque rerum percipiendi“). Die Synthese gänzlich neuer Vorstellungen wird dagegen auf die facultas fingendi zurückgeführt. Beide Vermögen werden in seiner empirischen Psychologie den unteren Seelenvermögen zugeschrieben. Zu Wolffs empirischer Psychologie als Erfahrungswissenschaft Norbert Hinske: Wolffs empirische Psychologie und Kants pragmatische Anthropologie. Zur Diskussion über die Anfänge der Anthropologie im 18. Jahrhundert, in: Die Bestimmung des Menschen. Hg. v. Norbert Hinske. Hamburg 1999 (Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 11.1), S. 97–107, hier S. 101ff. Zur empirischen Psychologie Baumgartens vgl. Wessell: Alexander Baumgarten’s Contribution to the Development of Aesthetics, S. 333–342. Böhm: Das Schönheitsproblem bei Meier, S. 193. Metaphysik, deutsch von G. F. Meier. Halle 1776, neue verm. Ausgabe. Hg. v. Johann August Eberhard. Halle 1783, auch in: Bernhard Poppe: A. G. Baumgarten, seine Stellung und Bedeutung in der Leibniz-Wolffschen Philosophie. Diss. Leipzig 1907. Der Ausdruck wird hier noch ‚neutral‘ verwendet; später nennt Meier die Einbildungen nicht mehr nur ‚erinnerte Vorstellungen‘, sondern ‚Fiktionen‘. Baumgarten: Metaphysica, S. 187, § 534: „Repraesentationes mei status praesentis seu sensationes sunt repraesentationes status mundi praesentis.“
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len, sind die Imaginationen wie bei Locke Repräsentationen vergangener Sensationen, die als solche (unabhängig von ihrem Inhalt) den Wirklichkeitsstatus von Phantasmen haben.66 Sie unterscheiden sich von Empfindungen jedoch durch das intrinsische Kriterium der Klarheit.67 Die Perzeptionen sind hingegen aus Sensationen und Imaginationen (!) abgeleitete Vorstellungen, die durch ein vergleichendes bzw. kombinierendes Verfahren erzeugt werden.68 Die Vorstellungskraft (perspicacia) ist nach Baumgarten ein Vermögen, das für die Wiedererkennung eines Eindruckes zuständig ist.69 Die zusammengesetzte Vorstellung basiert auf der 66
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Baumgarten: Metaphysica, S. 197, § 557: „Repraesentatio status mundi praeteriti, hinc status mei praeteriti, § 369, est phantasma (imaginatio, visum, visio).“ Dass die Phantasie kein Vermögen bezeichnet, welches neue Vorstellungen synthetisiert, signalisiert bereits der bei Baumgarten eingefügte Absatz, in dem er darauf verweist, dass die Imaginationen reproduzierte Perzeptionen von Gegenständen sind, die vorher in den Sinnen vorhanden waren. Damit richtet sich Baumgarten womöglich gegen neuplatonische Imaginationstheorien. Vgl. Baumgarten: Metaphysica, § 559, S. 198. „Iam imaginationibus producuntur sensa, § 558, hinc olim producta, § 542. post involuta, § 551. Ergo phantasia preceptiones reproducuntur, & nihil est in phantasia, quod ante fuerit in sensu.“ Baumgarten: Metaphysica, S. 199 und S. 201, zum Unterschied zwischen Phantasmen und Sensationen: „Imaginationes a sensationibus distinguo 1) gradu claritatis, § 562 2) status, quem sistunt, praeteriti, & praesentis, quem sensationes sistunt, impossibili coexsistentia. § 298. Hinc si imaginationes fortiores & debiliores sensationes sint, quantum observatur, claritate aequales, tamen restat discrimen alterum, circumstantiarum diversitas § 323. Ex quibus vbi patet ambas perceptiones non esse sensationes, illam pro sensatione habeo, in qua maximam compossibilitatem & nexum cum sensationibus sociis, imaginationibus, praesertim proxime praeviis & futurorum, praesertim instantium, perceptionibus clare perspicio § 544.“ Wie Meier sieht auch Baumgarten die Möglichkeit vor, dass sich Sensationen und Imaginationen in ihrer Klarheit und Stärke gleichen können. Als entscheidendes Differenzmerkmal bleibt dann jedoch neben der Kompossibilität ein ‚nexum cum sensationibus sociis‘ bestehen. Zu diesem Problem vgl. bes.: Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum, S. 175–178. Baumgarten: Metaphysica, S. 203f., § 572: „Identitas diversitatesque rerum percipio. Ergo habeo facultatem identitates diversitatesque rerum percipiendi, § 216. Prior facultas esset minima, si ad duorum tantum fortissime perceptorum, maxime eorundem, unicam minimam identitatem, inter maxime debiles socias & antecedentes perceptiones heterogeneas, debilissime repraesentandas sufficeret.“ Vgl. Baumgarten: Metaphysica, Sectio V, S. 203–207. Hier werden auch die Vermögen ‚Witz‘ und ‚Scharfsinn‘ verhandelt. Der Witz als Verstandesvermögen spielt eine besondere Rolle, bei Wolff hat er eine Kontrollfunktion über die Einbildungskraft. Vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, §§ 434–445. Dazu auch Joachim Birke: Christian Wolffs Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie: Gottsched, Scheibe, Mitzler. Berlin 1966, sowie Bäumler: Das Irrationalitätsproblem; Cornelis Anthonie Peursen: Ars inveniendi im Rahmen der Metaphysik Christian Wolffs. Die Rolle der ars inveniendi, in: Werner Schneiders (Hg.): Christian Wolff (1679–1754). Interpretation zu seiner Philosophie und deren Wirkung. Hamburg 1983, S. 66–88; Hans Werner Arndt: Rationalismus und Empirismus in der Erkenntnislehre Christian Wolffs, in: Schneiders (Hg): Christian Wolff, S. 33–47; Michael Jäger: Die Ästhetik als Antwort auf das kopernikanische Weltbild. Die Beziehungen zwischen Naturwissenschaft und der Ästhetik Alexander Gottlieb Baumgartens und Georg Friedrich Meiers. Hildesheim / Zürich / New York 1984 (Philosophische Texte und Studien 10); Hans Otto Horch / Georg-Michael Schluz: Das Wunderbare in der Poetik der Frühaufklärung. Gottsched und die Schweizer. Darmstadt 1986 (Erträge der Forschung 262). Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 21: „5) Weil viele Menschen Gespenster sehen, wenn sie allein an einem einsamen Orte sind; alsdenn aber mit diesen Erscheinungen nicht geplagt
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gespeicherten und der aktuellen Empfindung. Sie mündet in den Identifizierungsakt, führt zur Kombination einer dritten Vorstellung nach dem Muster A und ist unter B zu subsumieren. Wie Baumgarten unterscheidet Meier in dem eingangs zitierten Passus zwischen Empfindung,70 Perzeption und Einbildung71 und plädiert für eine strikte Trennung einzelner Vermögen und der ihnen zugewiesenen Rolle beim Erkenntnisprozess. Zwar nennt er die Vorstellungskraft in seinem Gespenstertraktat nicht explizit. Der dargestellte Erkenntnisakt weist jedoch deutliche Parallelen zu dem bei Baumgarten beschriebenen Vermögen auf. Auch hier werden zwei Vorstellungen miteinander verglichen und zu einer dritten kombiniert. Auch hier mündet der Akt in einer (falschen) Wiedererkennung. Weil sie zwischen perspicacia und phantasia unterscheidet, ist die Hallesche Ästhetik von späteren Konzeptionen abzugrenzen, die eine Aufwertung der produktiven Phantasie vollziehen. Die Phantasie ist hier nicht das zentrale Vermögen, das zur produktiven Erkenntnisgewinnung beitrüge oder an der Synthese neuer Vorstellungen beteiligt wäre. Bei Baumgarten ist es die Dichtungskraft (facultas fingendi), welche die Synthese neuer Vorstellungen hervorbringt. Sie wird als Kraft dargestellt, die für die Entstehung von Chimären (wie der Vorstellung eines Centauren) verantwortlich gemacht werden kann.72 Bezeichnend ist, dass der
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werden, wenn sie Gesellschaft bey sich haben. In Gesellschaft werden die Empfindungen bey ihrer gewöhnlichen Stärcke leicht erhalten; folglich kann die Einbildungskraft alsdenn nicht das Uebergewicht bekommen.“ Zum Repräsentationsbegriff äußert er sich hier allerdings nicht. Wie bei Baumgarten versteht er die Empfindung im Gegensatz zur Vorstellung als aktuelle Gegenstandsrepräsentation von Welt. Zudem nennt Meier die Imagination (Phantasia) das Vermögen, alte Sensationen von neuem zu erwecken. Er unterscheidet die Imaginationen von den Sensationen dadurch, dass sie vergangene Gegenstandsrepräsentationen darstellen und einen geringeren Klarheitsgrad erreichen. Meier lehnt sich in seiner Konzeption der Erkenntnismodi (über Baumgarten vermittelt) somit darüber hinaus an Christian Wolff an, der hierin wiederum Leibniz folgt. Vgl. dazu Wolfgang Proß: Nachwort, in: Johann Gottfried Herder: Werke. Hg. v. Wolfgang Proß. Bd. 2: Herder und die Anthropologie der Aufklärung. München 1987, S. 1128–1216, hier S. 1187ff., sowie Carl Knüfer: Grundzüge der Geschichte des Begriffs ‚Vorstellung‘ von Wolff bis Kant. Halle 1911, S. 11 und 19, und Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 36: Demnach benutzt Wolff den deutschen Begriff ‚Vorstellung‘ gleichermaßen für die lateinischen Begriffe idea, perceptio und repraesentatio. Baumgarten: Metaphysica, S. 211, § 589: „Combinando phantasmata & praescindendo, i.e. attendendo ad partem alicuius perceptionis tantum, fingo […] facultas fingendi per vim animae repraesentativam unversi actuatur.“ So auch schon Wolff, vgl. Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller, S. 14f. u. 16: Wolff kenne auch die Assoziation als „Neuschöpfung des Denkens“. Zur produktiven Einbildungskraft Wolff: Deutsche Metaphysik, § 242, PE § 146. Dort auch die Unterscheidung zwischen erdichtender (Künstler) und erfindender (Architekt) Phantasie. Produkt der erfindenden produktiven Phantasie sind die Centauren usw. Zum synthetisierenden Verfahren allgemein: Giorgio Tonelli: Analysis and Synthesis in the 18th Century, in: Archiv für Begriffsgeschichte 20 (1976), S. 178–213, bes. S. 193–203. Um die metaphysische Wahrheit von Phantasien zu beschreiben, hat die Wolff-Schule das transzendentale Wahrheitskriterium des Zusammenhangs eingeführt, mit dem sie zwischen Phantasma und Empfindung unterscheidet
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Phantasie auch nur eine mittelbare Rolle bei der Verkennung zukommt. Diese Einschränkung wirft wohl ein neues Licht auf die in der Forschungsliteratur gemeinhin verbreitete Auffassung, die Imagination sei das Kernstück der anthropologischen Gespensterkritik, weil sie als produktives Vermögen für die Gespenstervorstellung verantwortlich und darüber hinaus als psychisch-physisches Wechselvermögen konzipiert sei.73 Mit seiner Orientierung an Baumgartens Vermögenspsychologie fällt Meier nicht, wie Thomas Rosenmeyer konstatiert, hinter den bereits erreichten Theoriestand zurück. Zwar betont Rosenmeyer zu Recht, dass die „distributive Psychologie mit ihrer Vorstellung von säuberlich getrennten Fähigkeiten der Seele […] durch die Einsicht in die Untrennbarkeit von Fühlen und Denken“ langsam abgelöst wird.74 Er unterschätzt jedoch das innovative Potenzial, das in den sich aus der vermögenspsychologischen Konzeption ableitenden Bezügen zur ästhetischen Wahrnehmungstheorie liegt. Mit der Einführung der perspicacia und ihrer Abgrenzung von der phantasia wird zugleich der Einsatzort markiert, an dem sich die Hallesche Ästhetik in den Gespensterdiskurs implementieren ließ. Entscheidend ist die Differenz zwischen Einbildungs- und Vorstellungskraft also auch deshalb, weil sie die Nähe der hier dargestellten Erklärung zur Ästhetik indiziert.
5.6. Analogon rationis: Der Einsatzort der Ästhetik Mit der Erwähnung der Vorstellungskraft betreibt Meier die Implementierung der Ästhetik in die Gespensterkritik. Die perspicacia wird nicht nur den unteren Seelenkräften zugeordnet. Ihre Operationsweise wird zudem mit der der Vernunft verglichen: So oft wir zwey Vorstellungen zugleich haben, die mit einander etwas gemein haben: so ofte verbinden wir ihre Merckmale, wodurch sie von einander unterschieden sind, und machen daraus eine dritte Vorstellung; und dieses geschiehet entweder durch die Vernunft, oder durch die untern und sinnlichen Erkenntnißkräfte, die der Vernunft ähnlich sind.75
Die Analogisierung von perspicacia und ratio basiert auf einer beiden Vermögen eigenen Vergleichskraft.76 Mit dem Verweis auf die Ähnlichkeit indiziert Meier
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und aufgrund dessen sie sich vom Lockeschen Empirismus unterscheidet. Meiers Orientierung an Baumgarten wirft somit auch ein Licht auf seine Differenz zu Locke. Manfred Engel: Traumtheorie und literarische Träume. Eine Fallstudie zum Verhältnis von Wissen und Literatur, in: Scientia Poetica 2 (1998), S. 97–128, hier S. 102. Tomas G. Rosenmeyer: Φαντασια und Einbildungskraft. Zur Vorgeschichte eines Leitbegriffs der europäischen Aufklärung, in: Poetica 18 (1986), S. 197–248, hier, S. 198. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9. Das hier beschriebene Verfahren ist für die Bildung allgemeiner Vorstellungen notwendig. Im Gegensatz zur Sensation und Imagination, die Singularia darstellen und als unmittelbare Repräsentationen von Welt zu begreifen sind, stellen sich die Perzeptionen als Resultate einer identifizierenden und trennenden Vergleichsoperation dar, die wiederum auf die unmittelbare Wahr-
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jedenfalls, dass die unteren Sinnesvermögen wie die Vernunft operieren, dass sie wie diese vergleichen, unterscheiden und identifizieren. Unschwer kann in der Formulierung „die der Vernunft ähnlich sind“ ein Rückgriff auf die analogon-rationis-Hypothese gesehen werden. Damit meinte Baumgarten die funktionale Analogie und Autonomie von unteren und oberen Sinnesvermögen; er prägte in diesem Zusammenhang die Formel „ars analogi rationis“.77 Die Applikation der These lässt sich zunächst an der Verwendung zahlreicher logischer Termini ableiten, mit denen Meier die Operationsweise der perspicacia beschreibt. Die erste Erklärungsart der Gespenster besteht darin, wenn man dieselbe aus dem Fehler des Erschleichens (vitium Subreptionis) herleitet. Dieser Fehler wird begangen, wenn man aus einer Empfindung, eine andere Vorstellung, durch einen Schluß herleitet, und diese hergeleitete Vorstellung für eine Empfindung hält.78
So bezeichnet der Hallenser den Vergleich zwischen Empfindung und Vorstellung als einen „Schluß“, der auf Vordersätzen basiert. Mit dem logischen Begriff lässt sich sowohl der Normalfall eines sinnlichen Wahrnehmungsprozesses beschreiben als auch, wie an dieser Stelle, der irrtümliche Akt der Gespensterwahrnehmung, der sich hier genau genommen aus zwei ästhetischen Fehlschlüssen zusammensetzt. Der erste Fehlschluss liegt in der Identifikation an sich disparater Sachverhalte, hier der wahrgenommenen Schritte mit dem Gespenst. Er besteht aus folgenden Einzelelementen, die sich zu einem Schlussschema fügen lassen: erstens aus der Wahrnehmung von Schritten (ästhetischer Obersatz „Die Wahrnehmung sind Schritte“), zweitens aus der erinnerten Vorstellung von Gespenstern (ästhetischer Mittelsatz „Gespenster sind Wesen, die nachts Schritte verursachen“) sowie drittens aus dem ästhetischen Schlusssatz („Die wahrgenommenen Schritte stammen von einem Gespenst“). Der zweite Fehlschluss stellt demgegenüber einen Fehler des Erschleichens dar. Er resultiert aus der Verwechslung einer Vorstellung („Die wahrgenommenen Schritte stammen von einem Gespenst“) mit einer Empfindung („Was ich höre, sind die Schritte eines Gespenstes“). Die Identifizierung der aktu-
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nehmung rückwirken können. Sie machen auf der einen Seite den konstruktiven Anteil des sinnlichen Wahrnehmungsprozesses aus und sind somit zugleich eine mögliche Irrtumsquelle. Auf der anderen Seite ist das Vergleichsvermögen notwendig, um höhere Ordnungskategorien zu entwickeln, mit denen sich die allgemeinen unspezifischen Vorstellungen von Einzeldingen klassifizieren lassen. Baumgartens Bestimmung der Ästhetik als Wissenschaft der unteren, aber vernunftanalogen Erkenntnisvermögen findet sich auch in seiner Metaphysik von 1739: § 533: „Scientia sensitive cognoscendi & proponendi est aesthetica, Logica facultatis cognoscitivae inferioris, Philosophia gratiarum & musarum, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis.“ Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 8. Auch der juristische Kontext der Vorurteilslehre klingt hier an, denn außerhalb des logischen Bedeutungsfeldes meint ‚Subreption‘ auch das unrechtmäßige Erlangen eines rechtlichen Erfolges durch die Verstellung eines Sachverhaltes.
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ellen Situation mit der erinnerten Gespenstervorstellung führt zum Fehlurteil, dass sich ein Gespenst im Raum befinde.79 Meier entwickelt dieses Schema in Anlehnung an Baumgartens Theorie des Sinnesbetrugs. Als Referenztext fungiert erneut die Metaphysik. Im Abschnitt über die sinnlichen Empfindungen erörtert Baumgarten derartige Sinnesirrtümer („Fallaciae sensuum“ / Trugschluss der Sinne) auf breitem Raum.80 Er referiert dort drei mögliche Arten: erstens den Betrug der Sinne („eaeque sensationibus ipsis“), zweitens den Fehlschluss, dessen erste Prämisse eine Empfindung ist („ratiocinia, quorum praemissa est sensatio“), sowie drittens die falsche Perzeption, die durch den Fehler des Erschleichens zustande kommt („vel perceptionibus pro sensationibus per vitium subreptionis habitae“). Meiers Beispiel der Gespensterwahrnehmung ist somit als eine Kombination aus dem zweiten und dritten Fehlschluss abzuleiten. Von der Vernunft unterscheiden sich die ästhetischen Schlussverfahren dadurch, dass sie auf sinnlichen Vergleichsoperationen basieren und z.T. unbewusste Prozesse sind, dass sie des Weiteren automatisch ablaufen können und bei jeder Identifizierung von Empfindungen mit Wahrnehmungsobjekten stattfinden. Bei der Wahrnehmung handelt es sich um einen unwillkürlichen und oft unbewussten Prozess, der auch zu einer fälschlichen Identifizierung, zu einer Fehlwahrnehmung führen kann. Er läuft primär auf der Ebene der unteren Sinnesvermögen ab, bleibt auf letztere beschränkt und deshalb nach Meiers Definition vorrational.81 Die Anwendung der analogon-rationis-These verfolgt an dieser Stelle mithin zwei Zielsetzungen: Erstens ermöglicht sie, die Illusion aus einem Schlussschema der unteren Erkenntniskräfte verständlich zu machen und sie somit als natürlichen Effekt der Sinne auszuweisen. Zum anderen liefert sie eine plausible Erklärung für die Abweichung, ohne den Irrtum als Außerkrafttreten der natürlichen Gesetzmäßigkeit zu interpretieren, ihn also auf die Willkür oder eine produktive Kraft der unteren Seelenvermögen zurückzuführen. Die Theorie der logikähnlichen Vergleichsverfahren substituiert hinsichtlich des systematischen Stellenwerts, den sie bei der Erklärung der Gespensterwahrnehmung erhält, zahlreiche Assoziationstheorien. Indem Meier die zeitgenössische Assoziations- und Imaginationslehre mit der Theorie der perspicacia verknüpft, grenzt er sich von Modellen anderer Erfahrungstheoretiker ab. Bei Locke wurde der Zusammenhang von Dunkelheit und Gespenstervorstellung einzig durch die Gewohnheit (‚custom‘) oder auch durch den Zufall (‚chance‘) erklärt und als will-
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 10. Baumgarten: Metaphysica, S. 192f. Verbunden mit dieser Vorstellung ist das Gefühl der Furcht. Auf ähnliche Weise wird die Reaktion bei anderen Sinneseindrücken beschrieben. Vgl. Anna Turmakin: Das Assoziationsprinzip in der Geschichte der Ästhetik, in: Archiv für Philosophie. I. Abtheilung: Archiv für Geschichte der Philosophie 12 (1899), S. 257–289.
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kürlich bzw. unnatürlich bezeichnet.82 Auch Addison griff diese Überlegungen auf, ordnete die Assoziation der Phantasie zu und beschrieb ihre Wirkweise u.a. mit dem Gesetz der Ähnlichkeit. Meier dagegen versucht mit dem Rekurs auf die perspicacia, die Gespensterwahrnehmung nicht mehr ausschließlich aus einer assoziativen Funktionsweise zu erklären. In Ergänzung dazu führt er ein quasi-syllogistisches Vernunftverfahren ein. Während bei Locke das Problem der Unterscheidung von falscher und richtiger Assoziation letztlich ungelöst blieb,83 ist mit der analogon-rationis-These eine mögliche Antwort auf diese Frage geliefert. Diese Überlegungen beantworten die eingangs formulierte Frage nach der exakten vermögenspsychologischen Verortung der Gespensterwahrnehmung sowie nach der Bedeutung der Ästhetik für die Gespenstertheorie. Das Einfallstor für die Anwendung der analogon-rationis-These stellt die perspicacia dar. Die Phantasie ist dafür nicht einschlägig.84 Die Applikation der analogon-rationis-Hypothese signalisiert zudem eine Transformation der Gespenstertheorie. Denn Meier begreift das Gespenstersehen nunmehr als Sonderfall einer illusionären Verkennung bzw. eines ästhetischen Illusionsprozesses, der exemplarisch für die Verwechslung einer Vorstellung mit einer Empfindung ist. Dass diese Verwechslung einerseits einen gewünschten ästhetischen Effekt erzielen kann, andererseits einen kardinalen Erfahrungsfehler darstellt, welcher durch die Ausbildung in Ästhetik vermieden werden soll, machen folgende Ausführungen deutlich. Sie erhellen einmal mehr, dass Meiers Gespenstertraktat unmittelbar in den Kontext der Formierung der Ästhetik bzw. einer ästhetischen Debatte um die Erfahrung zu platzieren ist.
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Zu differenzieren wäre bei Locke zwischen Assoziation und Rekombination, mit dem er die Genese komplexer Ideen wie ‚Tisch‘ u.a. erklärte. Vgl. Locke: Essay Concerning Human Understanding, S. 395. Vgl. dazu Lobsien: Kunst der Assoziation, S. 16. Dazu die Studie Gabriele Dürbecks: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 34–47. Demnach fehlten bei Wolff Überlegungen zum Einfluss des „Milieus“, d.h. Erwägungen der Umstände, die zur Evokation von Erinnerungsvorstellungen führen. Wichtiges Element der Wolff’schen Theorie sei zudem die Forderung nach der Kontrolle der Einbildungskraft durch die oberen Sinnesvermögen. Weitere Literatur dazu: Pimpinella: Imaginatio, Phantasia, S. 379–414; Lewis White Beck: Early German Philosophy. Kant and his Predecessors. Cambridge MA 1969, S. 278–288, auch zu Sulzer. Bei Wolff ist mit dem Attribut ‚produktiv‘ zunächst allgemein die „Kraft“ der Seele bezeichnet, Vorstellungen hervorzubringen. Es ist fraglich, ob sich der Akzent zunehmend von der Evokation auf die Zergliederung vergangener und auf die Synthese bzw. Kombination neuer Vorstellungen verlagert. Damit wird der Einbildungskraft ein Vermögen zugeschrieben, das nach der Wolff’schen Terminologie in dem ingenium (als einer oberen Erkenntniskraft) bestand.
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5.7. Ästhetik als ‚Erfahrungs-Instrument‘ Mit der Applikation der analogon-rationis-Hypothese auf die Gespenstertheorie nimmt Meier zunächst eine in ihrer Entstehung begriffene Tendenz auf. Er schließt sich Versuchen an, die Ästhetik als Disziplin zu etablieren und ihre Nützlichkeit gleichsam an einem Anschauungsfall zu erproben.85 In der Mitte des 18. Jahrhunderts von der Ästhetik als Wahrnehmungstheorie zu sprechen, mag an dieser Stelle zunächst wenig plausibel erscheinen; zur Entstehungszeit des Gespenstertraktats lagen weder Baumgartens noch Meiers eigenes Kompendium zur Ästhetik vor.86 1747 befindet sie sich, besonders was ihre theoretische Fundierung und Ausformung als Disziplin betrifft, noch in der Konstituierungsphase.87 Als einschlägige Quellentexte sind lediglich Baumgartens Magisterarbeit Meditationes Philosophicae de Nonnullis ad Poema Pertinentibus (1735), frühe Fassungen seiner Metaphysik (1739, 1742) sowie die Alexander Baumgarten zugeschriebene Wochenschrift zur Verbreitung der Wolffschen Philosophie Philosophische Brieffe von Aletheophilus (1741) zu nennen.88 Meiers eigene Ästhetik von 1748, die unter dem Titel Anfangsgründe aller schönen Wissenschaf-
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Zwar erscheint die „Ästhetik“ Baumgartens erst 1750, seit 1742 aber liest Meier nach dem Kolleg der von Baumgarten in Frankfurt gehaltenen Vorlesungen. Dazu Theodor Verweyen: „Halle, die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik“. Über das Konfliktpotential der anakreontischen Poesie als Kunst der „sinnlichen Erkenntnis“, in: Zentren der Aufklärung. Bd. 1: Halle, Aufklärung und Pietismus. Hg. v. Norbert Hinske. Heidelberg 1989 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 15), S. 209–239, hier S. 216. Auf die Arbeit Meditationes Philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (1735) folgen Baumgartens Vorlesungen zur Ästhetik im Wintersemester 1739/40. Dazu Johann Stephan Pütters: Selbstbiographie zur dankbaren Jubelfeier seiner 50jährigen Professorenstelle zu Göttingen, Bd. 1. Göttingen 1798, S. 39f. Alexander Gottlieb Baumgarten: Diss. qua existentiam corporum anglicorum probat. Frankfurt/O. 1741, zitiert nach Johann Georg Theodor Graesse: Bibliotheca Psychologica oder Verzeichniß der wichtigsten über das Wesen der Menschen= und Thierseelen und die Unsterblichkeitslehre handelnden Schriftsteller älterer und neuerer Zeit. Amsterdam 1968, S. 15, Werner Strube: Alexander Gottlieb Baumgartens Theorie des Gedichts, in: Theodor Verweyen (Hg.): Dichtungstheorien der deutschen Frühaufklärung, S. 1–25; zur Vorgeschichte bei Bilfinger, Bodmer und Breitinger vgl. Ernst Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 1–5. Alexander Gottlieb Baumgarten: Aesthetica. Frankfurt 1750. Vgl. dazu Paul Menzer: Zur Entstehung von A. G. Baumgartens Ästhetik, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 4 (1938), S. 288–296. [Alexander Gottlieb Baumgarten]: Philosophische Brieffe von Aletheophilus. Frankfurth / Leipzig 1741, der zweite Brief ist auch in: Hans Rudolf Schweizer (Hg.): Alexander Gottlieb Baumgarten. Texte zur Grundlegung der Ästhetik. Übersetzt und hg. von Hans Rudolf Schweizer. Hamburg 1983, S. 67–72, enthalten. Zur Zuschreibung vgl. Hans Rudolf Schweizer: Einführung, in: ders.: Alexander Gottlieb Baumgarten. Texte zur Grundlegung der Ästhetik, S. VII–XXII, hier S. XV. Vgl. dazu ferner Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 14f.; Friedhelm Solms: Disciplina aesthetica. Zur Frühgeschichte der ästhetischen Theorie bei Baumgarten und Herder. Stuttgart 1990 (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft 45), S. 15–78.
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ten publiziert wird, entsteht in zeitlicher Nähe zu diesen Schriften und zum Gespenstertraktat.89 Trotz der greifbaren Quellentexte kann von einer klaren und präzisen Bestimmung der Ästhetik oder gar von ihrer Etablierung als Disziplin um 1747 freilich noch nicht gesprochen werden. In seiner Magisterarbeit von 1735 (§§ 115–117) definiert Baumgarten sie als „scientia, quae facultatem cognoscitivam inferiorem dirigat“ oder „scientia sensitive quid cognoscendi“.90 Damit bezeichnet er die Wissenschaft von der Leitung der unteren Erkenntnisvermögen und der sinnlichen Erkenntnisweise. Ihr Ziel ist die poetische Ausbildung einer „perfectio cognitionis sensitivae, qua talis“, womit die Anwendungsmöglichkeit zunächst auf das Feld der Dichtung und Rhetorik beschränkt bleibt, in dem Meiers Gespenstertheorie ganz offensichtlich nicht situiert ist. In der Textfassung der Metaphysik von 1739 liegt ebenfalls eine doppelte Definition der Ästhetik als „scientia sensitive cognoscendi et proponendi est aesthetica, mediationis et orationis sensitivae vel minorem intendens perfectionem, rhetorica, vel maiorem poetica universalis“ vor. Sie indiziert eine wahrnehmungstheoretische Grundlage und eine rhetorische bzw. poetische Ausrichtung.91 Zudem enthält diese 89
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Zu den ästhetischen Schriften um 1750, die vor allem für die Gottsched-Kritik relevant sind, zählen ferner: Georg Friedrich Meier: Gedancken von Schertzen. Halle 1744; Meier: Abbildung eines Kunstrichters. Halle 1745; ders.: Verteidigung der Baumgartschen Erklärung eines Gedichts. Wider das 5. Stück des I. Bandes des neuen Büchersaals der schönen Wissenschaften und freien Künste. Halle 1746; ders.: Untersuchung einiger Ursachen des verdorbenen Geschmacks der Deutschen in Absicht auf die schönen Wissenschaften. Halle 1746; ders.: Beurtheilung der Gottschedschen Dichtkunst. Halle 1747–1748. 6 Stücke; ders.: Beurtheilung des Heldengedichts des Messias wider das 75. Stück der Halleschen Zeitungen. Halle 1749; ders.: Beurtheilung des Heldengedichts des Messias. Zweites Stück. Halle 1752; Meier: Vorstellung der Ursachen, warum es unmöglich zu sein scheint, mit Herrn Prof. Gottsched eine nützliche und vernünftige Streitigkeit zu führen. Halle 1754; ders.: Vorrede zu Samuel Gotthold Lange: Horazische Oden. Halle 1747; Meier: Vorrede zu Wieland: Die Natur der Dinge. Halle 1751; anonym erschienene Schriften: Versuch einer philosophischen Abhandlung von dem Mittelmäßigen in der Dichtkunst, in: Gottsched: Beiträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, Bd. VII, 26. Stück (1741), S. 242–286; ders.: Gedancken über die Frage, ob ein Kunstrichter seine Urteile jederzeit erklären und beweisen müsse, in: Greifswalder Critische Versuche zur Aufnahme der deutschen Sprache. 13. Stück (1744), S. 3–21; Meier: Untersuchung der Frage, ob Milton in der Wahl der Haupthandlung in dem verlorenen Paradiese glücklich gewesen, in: Greifswalder Critische Versuche zur Aufnahme der deutschen Sprache. 13. Stück (1744), S. 131–141; ders.: Gedancken von dem Werte der freien Künste und schönen Wissenschaften in Absicht auf die oberen Kräfte der Seele, in: Greifswalder Critische Versuche zur Aufnahme der deutschen Sprache. 14. Stück (1745), S. 131–141; ders.: Untersuchung der Frage, ob in einem Heldengedicht, welches von einem Christen verfertigt wird, die Engel und Teufel die Stelle der heidnischen Götter vertreten könne und müsse, in: Greifswalder critische Versuche zur Aufnahme der deutschen Sprache 15. Stück (1746), S. 179–200, vgl. dazu die Ausführungen weiter unten. Vgl. dazu Paul Menzer: Zur Entstehung von A. G. Baumgartens Ästhetik, S. 291. Zur Rezeption der Meditationes in den Greifswalder Critischen Versuchen von 1744 vgl. Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 12f. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt 2004 auch Werner Strube: Die Entstehung der Ästhetik als einer wissenschaftlichen Disziplin, in: Scientia Poetica 8 (2004), S. 1–20.
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Textfassung bereits einen Abschnitt, in dem die Ästhetik als ästhetische Logik, und zwar im Sinne einer philosophia instrumentalis, auszulegen ist.92 Blickt man auf diese Definitionsversuche, ist es durchaus verständlich, dass sich bereits im 18. Jahrhundert eine veritable Diskussion um die Ästhetik entzündet, die sich an Herders Viertem Kritischen Wäldchen ablesen lässt. Die Ästhetik ist nach Herder nämlich ein „Ich weiß nicht Was von Fertigkeit und Praktischer Anweisung, die Kräfte des Genies und Geschmacks anzuwenden [...]. Die eine ist ars pulcre cogitandi, die andere scientia de pulcro et pulcris philosophice cogitans.“93 Damit hatte Herder auf die unklare Stellung der Disziplin, ihren Gegenstandsbereich (das Schöne bzw. das schöne Denken) und ihre methodischen Verfahrensweisen (Regelkunst oder Analyse der Gründe) verwiesen. In der Forschungsliteratur besteht ebenso Unklarheit darüber, ob mit der Formel „ars analogon rationis“ sowie mit der Bezeichnung „logica facultatis cognoscitivae inferioris“94 überhaupt die Funktionsweise der unteren Erkenntnisvermögen oder die Stellung der Ästhetik innerhalb des philosophischen Wissenssystems gemeint ist.95 92
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Die Formel könnte sich auf die Stellung der Ästhetik als Instrumentalphilosophie (wie vormals die Rhetorik und Poesie bzw. die artes liberales) im Wissenssystem beziehen. Ihre Gleichstellung mit der Logik wäre in diesem Sinn aus ihrem Wissenschaftlichkeitsanspruch abzuleiten. So interpretiert Constanze Peres mit Blick auf den ersten Paragraphen der Ästhetik, in dem es heißt: „die Logik und philosophia instrumentalis werden nun nicht als Synonyma anzusehen sein.“ Constanze Peres: Cognitio sensitiva, S. 23. Dabei lehnte sich Baumgarten mit der Verwendung des Begriffs scientia offenbar an das Wolff’sche Wissenschaftsverständnis an. Demnach würde die Ästhetik als wissenschaftliche Disziplin verschiedene Kriterien zu erfüllen haben. Nach der Wolff’schen Theorie müsste sie sowohl eine Einsicht in die Gründe liefern als auch notwendig (also den Satz des zureichenden Grundes erfüllen) und zudem allgemein gültig sein. Insofern man die aeistetha als kontingente Singularia betrachtet, wären die Inhalte jener mit ‚Ästhetik‘ umschriebenen Wissenschaft an sich nicht wissenschaftsfähig. Johann Gottfried Herder: Sämtliche Werke. Hg. v. B. Suphan. Bd. 4: Viertes Kritisches Wäldchen, S. 22f. Vgl. dazu Peres: Cognitio sensitiva, S. 20. So in der zweiten Auflage der Metaphysik von 1742, § 533. Vgl. dazu Menzer: Zur Entstehung von A. G. Baumgartens Ästhetik, S. 292. Zentral für diese Diskussion sind vor allem folgende ältere Forschungsarbeiten: Oskar Paul Kristeller: Das moderne System der Künste, in: ders.: Humanismus und Renaissance Bd. 2: Philosophie, Bildung und Kunst. Hg. v. Eckhard Kessler. München [1980], S. 164–206; Ernst Bergmann: Die Begründung der Ästhetik; Johannes Schmidt: Leibniz und Baumgarten, ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Ästhetik. Halle 1875; Robert Zimmermann: Geschichte der Aesthetik als philosophischer Wissenschaft. Wien 1858. In die Tradition des Rationalismus ordnen Baumgarten vor allem Benedetto Croce: Ästhetik als Wissenschaft, in: ders.: Gesammelte philosophische Schriften in deutscher Übertragung. Hg. v. Hans Feist. Reihe 1: Philosophie des Geistes. Bd. 1. Tübingen 1930, S. 255, und René Wellek: A history of Modern Criticism. New Haven 1955, ein. Dazu auch Wessell: Alexander Baumgarten’s Contribution to the Development of Aesthetics, S. 334. Hans Rudolf Schweizer: Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis. Eine Interpretation der „Aesthetica“ A. G. Baumgartens mit teilweiser Wiedergabe des lateinischen Textes und dt. Übersetzung. Basel / Stuttgart 1973, S. 128 vor allem zur Wandlung des Gesamtgefüges des Wissenssystems durch die Integration der Ästhetik; wenig zu Baumgarten und Meier findet sich bei Gunter E. Grimm: Plädoyer für eine philosophische Wissenschaft. Gelehrsamkeitsverständnis und Wissenschaftskanon in der deutschen Frühaufklärung, in: Lessing Yearbook 16 (1984), S. 124–149; Bernhard Poppe: Alexander Gottlieb
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Mit der Metaphysik von 1742 und in der dritten Auflage von 1750 tritt der erstgenannte Aspekt, also die wahrnehmungstheoretische Gewichtung deutlicher in den Vordergrund.96 Die Ästhetik ist nun nicht mehr nur eine Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis und ihrer poetischen Gestaltung („oratio sensitiva perfecta“). Sie stellt vielmehr eine Wahrnehmungslehre dar, auf welche Poetik und Rhetorik als Künste zurückgreifen sollen. Die Priorisierung der Wahrnehmungslehre geht mit einer Konzeption der cognitio clara et obscura und der Begründung der Ästhetik als philosophischer Wissenschaft einher.97 Sie soll auch einen regulativen bzw. präskriptiven Teil aufweisen, der Vorschriften zur Verbesserung der Erfahrung enthält. Aufschlussreich für diesen Kontext sind zunächst die in zeitlicher Nähe zu Baumgartens Metaphysik veröffentlichten Philosophischen Brieffe von Aletheophilus (1741),98 in denen das Programm einer künftigen Ästhetik entworfen wird.
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Baumgarten. Seine Bedeutung und Stellung in der Leibniz-Wolff’schen Philosophie und seine Beziehungen zu Kant. Nebst Veröffentlichungen einer bisher unbekannten Handschrift der Ästhetik Baumgartens. Borna-Leipzig 1907; Albert Riemann: Die Ästhetik A. G. Baumgartens unter besonderer Berücksichtigung der ‚Meditationes Philosophicae de Nonnullis ad Poema Pertinentibus‘. Halle 1928; Alfred Bäumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Halle 1923, Bd. 1, bes. Kapitel 4, Baumgartens individualisierende Begriffsbildung; Armand Nivelle: Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik. Berlin 1960; Ursula Frank: Kunst als Erkenntnis. Zur Vermittlungsfunktion der Sinnlichkeit in der Ästhetik A. G. Baumgartens. Wiesbaden 1971 (Studia Leibnitiana, Supp. 9); Ferdinand Wiebecke: Die Poetik Georg Friedrich Meiers. Ein Beitrag zur Geschichte der Dichtungstheorie im 18. Jahrhundert. Diss. Göttingen 1967. Strube: Die Entstehung der Ästhetik, S. 21, bezieht Baumgartens Metaphysik ein, um zu zeigen, welche Attribute der schönen sinnlichen Erkenntnis beigelegt werden. Er geht aber auf die wahrnehmungstheoretische Konzeption nicht weiter ein. Daher bleibt ein weiterer Kontext, in den die Ästhetik situiert ist, eher unberücksichtigt. Damit kann er zwar nochmals betonen, dass sich die Ästhetik mit ihrer Konzeption des undeutlichen und klaren Erkenntnismodus gegen den Rationalismus Wolffs abgrenzt. Dass besonders Meier hieraus aber eine ästhetische Theorie und Wissenschaft von der Wahrnehmung entwickelt, die sich gegen die neuen sensualistischen Empiriker wendet, bleibt weitestgehend unerwähnt. Die primär wahrnehmungstheoretischen Aspekte, die sich an die Logifizierung der Sinne anbinden und damit zugleich gegen ein sensualistisches Alternativkonzept richten, bleiben unberücksichtigt; damit auch die Abgrenzung gegenüber dem erkenntnistheoretischen Sensualismus. Erst in der vierten Auflage von 1757 fügt Baumgarten dieser Bestimmung wieder die weiteren, heute geläufigen Definitionselemente bei. Er begreift die Ästhetik jetzt als „Logica facultatis cognoscitivae inferioris, philosophia gratiarum et musarum, gnoseologia inferior, ars pulchre cogitandi, ars analogi rationis“ und hebt damit wiederum ihren Bezug auf die Poesie bzw. ihren Status als ‚ars‘ hervor, auf dem auch die spätere Entwicklung der Ästhetik zur Kunsttheorie gründet. Vgl. dazu die Metaphysik in der vierten Auflage von 1757, § 533, zitiert nach Menzer: Zur Entstehung von A. G. Baumgartens Ästhetik, S. 292. Steffen W. Groß: Felix Aestheticus. Die Ästhetik als Lehre vom Menschen. Zum 250. Jahrestag des Erscheinens von Alexander Gottlieb Baumgartens „Aesthetica“. Würzburg 2001. Dem ist zu entnehmen, dass Baumgarten unter dem Pseudonym ‚Aletheophilus‘ publiziert. Obwohl der Verfasser des vermeintlichen Schreibens, auf das sich die Briefe beziehen, ungenannt bleibt, machen folgende Ausführungen ersichtlich, dass Baumgarten ebenfalls als Autor dieser Schrift angenommen werden kann. Die Tatsache, dass Baumgarten in den Briefen auf eine Schrift verweist, ohne sich als deren Autor zu kennzeichnen, ist hier nicht weiter verwunderlich. Das Verwirrspiel mit Selbstanzeigen und falschen Fremdzuweisungen kennzeichnet
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Sie wird an dieser Stelle zunächst als philosophische „Encyclopädik“ und „organische Philosophie“ ausgewiesen, in die sämtliche zur Philosophie gehörenden Wissenschaften eingegliedert werden sollen. Ihr kommt in dieser Anordnung gegenüber der Vernunftlehre eine besondere Bedeutung zu. Zum einen stellt die ästhetische Logik eine Ergänzung zur rationalen Logik dar. Diese Bedeutungszuweisung verbindet sich zugleich mit einer Kritik an letzterer, die, so lautet zumindest die Einschätzung des Ästhetikers, „mehr zu versprechen [scheint – Y. W.], als sie halte, wenn sie unsere Erkenntnis überhaupt zu verbessern sich anheischig macht, und nachher nur mit der deutlichen Einsicht und deren Zurechtweisung beschäftigt ist“.99 Demnach ist die ästhetische Logik nun vor allem zur Verbesserung der unteren Erkenntnisvermögen konzipiert und füllt somit eine Lücke, die die rationale Logik nicht einnehmen kann. In dieser Funktion stellt sie sich zugleich als ars der unteren Seelenvermögen dar. Der Nutzen, den sich der Verfasser von der Ausbildung der Ästhetik erhofft (daher die Dringlichkeit seines Anliegens), besteht in der Verbesserung der unteren Erkenntnisvermögen und der Vermeidung von Irrtümern. Auch bei Baumgarten spielt der Fehler des Erschleichens, der disziplinengeschichtlich zum festen Bestand frühaufklärerischer Logiken bzw. Fehlurteilstheorien zählte, eine entscheidende Rolle. Er wird wie bei Meier als sinnlicher reflexähnlicher Erfahrungsirrtum bezeichnet, der durch die Verbesserung des Verstandes allein nicht behoben werden kann,100 sondern allein durch die Ästhetik. Der Schnittpunkt zwischen Meiers Gespenstertraktat und Baumgartens ästhetischem Programm war, wie gesehen, das Konzept des Erfahrungsirrtums (Fehler des Erschleichens). Zu dessen Vermeidung soll die Ästhetik, die Kunst der Erfahrung, beitragen.101 Indem die Ästhetik also über die Täuschungsprozesse Auskunft gibt, kann sie vor einer falschen Identifika-
die in weiteren Strecken anonyme (und z.T. clandestine) Schrift- und Publikationskultur des 18. Jahrhundert. Dass es sich bei den fingierten Fremdzuweisungen und Unterschiebungen durch den eigentlichen Autor um eine offenkundig verbreitete Verhüllungs- und Geheimhaltungspraxis handelt, machte nicht zuletzt die von LaMettrie verfasste fingierte Vorrede zu seiner zweiten Auflage der Naturgeschichte der Seele deutlich, in der er die Schrift einem anonymen englischen Autor zuwies. Baumgarten wäre hier demnach nicht nur als Verfasser der Brieffe, sondern auch als Autor des Texts zu begreifen, auf den er selbst verweist und dessen Existenz möglicherweise fingiert ist. 99 [Baumgarten]: Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 6; dazu auch Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 14–20, sowie Horst-Michael Schmidt: Sinnlichkeit und Verstand. Zur philosophischen und poetologischen Begründung von Erfahrung und Urteil in der deutschen Aufklärung (Leibniz, Wolff, Gottsched, Bodmer und Breitinger, Baumgarten). München 1982 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen. Hg. v. Max Imdahl u.a.), S. 195–199. 100 Mögliche Vorlagen sind vor allem die Logiken von Budde, Wolff, Heineccius und Otto. Siehe dazu Riccardo Pozzo: Georg Friedrich Meiers „Vernunftlehre“, S. 89–106. 101 Vgl. dazu auch Meiers Ausführungen in den Anfangsgründen; Meier nennt dort verschiedene Arten, die Sinne zu verbessern. Man soll, heißt es, mit allen Sinnen einen Gegenstand, mit mehreren Sinnen verschiedene Gegenstände und durch jeden Sinn vieles empfinden. Vgl. dazu Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik, S. 41.
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tion bewahren. Sie kann auch dazu beitragen, dass der Fehler des Erschleichens eingeschränkt wird. Das Gespenstersehen stellt also einen nahezu exemplarischen Erfahrungsirrtum dar, zu dessen Abschaffung die Ästhetik einen Beitrag leisten soll. Welche historische Gruppierung von dem Erfahrungsinstrument profitieren soll, wird von Baumgarten bereits in den Brieffen dargestellt: Wenn iemand der im Nachdencken geübt ist die Rede des gründlichen Herrn von Musschenbroek / die er vor die wiederaufgelegten Versuche der Florentinischen Akademie druken ließ, des Wahrheit liebenden Boyle Schrifft vom mißlichen Erfolge der Versuche / des tieffsinnigen Malebranche erstes Buch von der Untersuchung der Wahrheit fast ganß, und den großen Baco de Verulamio in seinem 5ten Buch von denen Vermehrungen derer Wißenschaft / so wohl, als in seinem neuen Organon nachlieset, so wird ihm nicht unmöglich seyn, manche gemeine Gesetze der bloß sinnlichen Erfahrung fest zu setzen.102
Er nimmt hier auf Vertreter der New Science, unter ihnen Pieter van Musschenbroek, Robert Boyle, Nicolas de Malebranche und Francis Bacon (der Name Newton fehlt bezeichnenderweise) Bezug. Zwar stellt er damit einen Bezug der Ästhetik zum Kreis der Erfahrungswissenschaftler her. Jedoch grenzt er sich an einem entscheidenden Punkt von ihnen ab. Denn nicht etwa die aus der Empirie abgeleiteten Gesetze sind Gegenstand der Ästhetik, auch basiert sie nicht auf selbigen, sondern formuliert eine Logik der Wahrnehmung. Die Perfektionierung der sinnlichen Erkenntnis bedarf mithin eines geeigneten „Hülffs=Mittel[s], wodurch die Sinnen erhöht, und erweitert werden könnten“.103 Auch in § 544 der Metaphysik von 1757 verweist er auf die „experientia“ (= Erfahrung) in Form einer „cognitio sensu clara“, als Gegenstand einer zukünftigen Ästhetik, deren Zweck, wie es auch in den Brieffen heißt, die Darstellung und der Vergleich von Erfahrungserkenntnissen sein soll.104 Dass die Gründung einer Ästhetik, die als Kunst der Erfahrung einen Nutzen für die Medizin und Naturkunde hat, ausgerechnet in den 1740er Jahren zu einem dringlichen Unterfangen erklärt wird, könnte sich aus den historischen Konstellationen ableiten. Die Ästhetik ließe sich vor diesem Hintergrund auch als Reaktion auf die um 1740 florierende Experimentalkultur verstehen; sie reagiert damit entsprechend auf die empirischen Tendenzen der Zeit. Die Konstitution der Ästhetik als Disziplin antwortet somit auf die Empirisierung des Wissens,105 die bereits in der Braunschweiger Gespensterepisode Gegenstand der Kritik war. Der Historiker Johann Christoph Hoffbauer deutet in seiner 1805 veröffentlichten Geschichte der 102
[Baumgarten]: Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 6; Hans Detlef Feger: Logik ohne Dornen. Zum Zusammenhang von wissenschaftlicher Methode und sinnlicher Erkenntnis, in: Daphnis 22 Heft 2/3 (1993), S. 197–264. 103 [Baumgarten]: Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 6. 104 Baumgarten: Metaphysica, S. 192. 105 Allgemein ging es dabei, wie Theodor Verweyen gezeigt hat, um die „Theoriefähigkeit der Sinnlichkeit“ sowie um ihre „Aufwertung als Thema der Philosophie“. Vgl. Verweyen: „Halle, die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik“; S. 209–239.
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Universität Halle einen derartigen Zusammenhang ebenfalls an.106 Darin verzeichnet Hoffbauer einen massiven Bedeutungsabfall der artes liberales gegenüber der medizinischen und juristischen Fakultät sowie gegenüber den sich neu formierenden, vor allem in Göttingen stark vertretenen Experimentalwissenschaften (verkörpert durch Albrecht von Haller und Andreas von Segner, der 1755 nach Halle wechselt). Er suggeriert, dass die Gründung der Ästhetik diese Tendenzen aufgreift; dass sie auf die Empirisierung des Wissens auch deshalb mit einer eigenen vermögenspsychologischen Konzeption der ästhetischen Erfahrung antwortet, um dem drohenden Geltungsverlust der Artistenfakultät entgegenzuwirken.107 Meiers Anwendung der ästhetischen Lehre auf die Gespenstertheorie kann deren übergreifendes Anliegen entsprechend verdeutlichen. Sie zeigt nicht nur, wie die Ästhetik im Einzelfall zur Verbesserung der Erfahrung dienen kann, sondern erhellt auch, wie fraglich Erfahrungen sind. Der nächste Abschnitt greift diese Tendenz auf. Er macht deutlich, von welcher Gruppe von Wissenschaftlern sich Meier in seiner Gespensterlehre abgrenzt.
5.8. Der Angriff auf den Sensualismus: das epistemische praejudicum der Gespensterseher Trotz einer deutlichen Konzentration auf die unteren Erkenntnisvermögen weist Meier sie nicht als alleinige Quelle des Irrtums aus. Hinzu kommt das epistemische Vorurteil „Was ich nicht klar empfinde, ist auch nicht wirklich“.108 Die Erwähnung des Begriffs ‚Vorurtheil‘ ist hier nicht beiläufig zu lesen. Damit nimmt der Hallenser auf frühaufklärerische Lehren Bezug. Werner Schneiders, Manfred Beetz und Rainer Godel haben ihnen umfängliche Studien gewidmet, in denen sie die Relevanz der philosophischen Vorurteilstheorie für das bis in die Spätaufklärung nachweisbare Aufklärungsverständnis darlegten und eine Präzisierung der äußerst divergenten Vorurteilsdoktrinen innerhalb der Aufklärungsfraktion vornehmen konnten.109 Dabei transformiert sich der negative Vorurteilsbegriff, der an Des-
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Johann Christoph Hoffbauer: Geschichte der Universität zu Halle bis zum Jahre 1805. Halle 1805, S. 283. 107 Der ästhetischen Erklärung wird auch bei Baumgarten eine physiologische gegenübergestellt. Für diesen Irrtumstyp der Verwechslung bietet Baumgartens Metaphysik ebenfalls eine weitere mögliche Erklärung an. Die Differenz von ‚Phantasma‘ und ‚Sensatio‘ kann durch verschiedene physiologische Faktoren nivelliert werden. Baumgarten: Metaphysik, S. 192. 108 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9. 109 Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik, S. 14. Problematisch ist allerdings, dass Schneiders das kämpferische Selbstverständnis der Aufklärung in seiner Epochenbeschreibung übernimmt und z.B. Leibniz aus der Gruppe der Aufklärungsphilosophen mit dem Argument ausgrenzt, dass er auf Lockes Ineismus-Kritik mit einem positiven Vorurteilskonzept antwortet, ebd. S. 82; Manfred Beetz: Transparent gemachte Vorurteile. Zur Analyse der ‚praejudicia auctoritatis et praecipitantiae‘ in der Frühaufklärung, in: Rhetorik 9 (1982), S. 7–33, Rainer
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cartes’ Destruktion des Pseudowissens angelehnt ist,110 um 1750 zu einem pragmatisch-formalistischen Erkenntnismoment. Vor diesem Hintergrund ist auch Meiers Vorurteilslehre von 1766 zu interpretieren.111 Der Hallenser entwirft dort keine formale Irrtumslehre mehr, sondern eine Doktrin, die auf die Bedingungen von Erkenntnis Bezug nimmt. Er befasst sich primär mit der erkenntniskonstitutiven Funktion der Vorurteile, weshalb seine Lehre als Vorstufe von Kants transzendentaler Erkenntniskritik verstanden wurde.112 In seiner Vorurteilsschrift weist Meier dem pragmatischen Vorurteil die Stellung eines erkenntnistheoretischen Grundaxioms zu, das der Erfahrungserkenntnis vorangeht und deshalb (wie der Satz vom Widerspruch als wissenschaftstheoretischem Grundaxiom) als eine nicht verifizierbare Wahrheit gesetzt wird. Auch in den Gedancken von Gespenstern wendet er einen epistemischen Vorurteilsbegriff an. Er spricht hier vom praejudicium in einem grundlegenden erkenntniskritischen Sinn. Denn er meint damit kein spezielles Vor- bzw. Fehlurteil,113 sondern ein erkenntnistheoretisches Axiom, das dem Wahrnehmungsprozess vorgelagert ist: Dazu [zu dem Fehler des Erschleichens – Y. W.] kommen noch einige Vorurtheile die diesen Fehler unterstützen; und ich rechne dahin diese beyden Sätze: ‚Was ich nicht klar empfinde, das ist nicht würcklich; und was einer gewissen Vorstellung einigermaßen ähnlich ist, das ist mit derselben völlig einerley.114
Meiers Rekurs auf das erste Vorurteil „Was ich nicht klar empfinde, das ist nicht würcklich“ bezeugt zunächst nochmals seine enge Anlehnung an Baumgartens
Godel: Eine unendliche Menge dunkeler Vorstellungen. Zur Widerständigkeit von Empfindungen und Vorurteilen in der deutschen Spätaufklärung, in: DVjs76 (2002), S. 542-576. Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik, Kap. II., bes. S. 38–49. Setzte sich die negative Konnotation des Vorurteilsbegriffs innerhalb der Vorurteilslehren der Frühaufklärung weitestgehend durch, zeichnete sich für das Bedeutungsspektrum des Vorurteilsbegriffs keine Tendenz zur Einmütigkeit ab. Vielmehr kam es zur Ausbildung einer facettenreichen Bedeutungsvielfalt, die von der Konzeptionalisierung des Vorurteils als Grundirrtum (als Voreingenommenheit) bis zur bloßen Meinung im Sinne eines voreiligen Schlusses reichte. Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik, hierzu bes. S. 44f. 111 Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik, zu Meier S. 203–228. 112 Riccardo Pozzo: Prejudices and Horizons. Meiers Vernunftlehre and its relations to Kant, in: Journal of the History of Philosophy 43.2 (2005), S. 185–202. 113 Dies vollzieht sich in Abgrenzung zu einem zentralen Aspekt von Thomasius’ Aberglaubenskritik und als Kritik am praejudicium autoritatis. Vgl. dazu Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 110f. Zur Leichtgläubigkeit vgl. Christian Thomasius: Juristische Entscheidung der Frage, ob einer einem andern wegen der Furcht vor Gespenstern, die Haus-Miethe wiederauffsagen könne. Halle 1711. 114 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 9. Das erste Vorurteil bezieht sich zunächst auf die Klarheit der Empfindungen als Evidenz- bzw. Wahrheitskriterium und steht damit in Beziehung zur Theorie der Erfahrungserkenntnis. Das zweite Vorurteil betrifft die unzulässige Gleichsetzung ähnlicher Sachverhalte, im vorliegenden Fall die unzulässige Identifizierung nächtlicher Klopfgeräusche mit einem Gespenst. 110
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Metaphysik.115 Dort findet sich der als thomistisch ausgewiesene Satz „Was ich nicht klar empfinde, existiert nicht“.116 Auch an anderer Stelle hatte sich Meier mit dieser Position befasst.117 Bezeichnend für die Bewertung dieses Vorurteils sind jedoch die diesbezüglich relevanten Ausführungen in seiner Vorurteilsschrift. Dort greift er das Grundaxiom ebenfalls auf und kritisiert den Umkehrschluss bereits als empiristischen Reduktionismus. Mit Bezug auf das praejudicium der Gespensterseher heißt es: Zuvörderst entsteht daraus [aus dem ersten Grundvorurteil – Y. W.] das Vorurtheil, vermöge dessen wir dasjenige nicht für würcklich halten, was wir nicht empfinden, und dasjenige den Gegenständen unserer Empfindung absprechen, was wir an ihnen nicht empfinden. Sind etwa unsere Sinne allwissend? Es können demnach unendlich viele Dinge, Sachen und Veränderungen, in der Welt würcklich seyn, von denen wir weder eine klare Empfindung haben, noch eine solche Empfindung haben können.118
Die irrtümliche Grundannahme „Was ich nicht klar wahrnehme, existiert nicht“ entspricht demnach einem falschen Rückschluss von der fehlenden Erfahrung auf die Nicht-Existenz eines Gegenstandes.119 Dass von einem verneinenden Erfahrungssatz jedoch keine verallgemeinerbare Existenzaussage abgeleitet werden kann, gilt als Gemeinplatz der aufgeklärten Irrtumstheorien, wie Meier einräumt: Nun wissen alle Kenner der menschlichen Irrthümer, daß die verneinenden Erfahrungen, oder wenn wir glauben, wir könnten, empfinden, was ein Ding nicht sey, oder wenn wir dasjenige
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Beetz: Transparent gemachte Vorurteile, S. 7–33; ders.: G. F. Meiers semiotische Hermeneutik, in: ders. / Giuseppe Cacciatore (Hg.): Die Hermeneutik im Zeitalter der Aufklärung. Wien / Weimar / Köln 1999, S. 17–30. 116 Baumgarten: Metaphysica, S. 194: „Propositiones: Quicquid non experior seu clare sentio, § 544, non existit, s. praeiudicium thomisticum (= Vorurteil des Thomas) aut est impossibile.“ Die thomistische Formel wird in Baumgartens Metaphysik noch mit einer weiteren, klassifizierenden Einschränkung versehen. Denn mit dem zusätzlichen Adjektiv ‚clara‘ nennt er ein spezifizierendes Kriterium, das der sinnlichen Erkenntnis zugewiesen und von der Distinktheit abgegrenzt wird (siehe dazu unten). 117 Auch in der im selben Jahr entstandenen Kontroversschrift gegen den Spandauer Diakon Böldicken richtet sich Meier kritisch gegen das nun als thomistisch ausgewiesene Vorurteil ‚Nihil est in intellectu, quod non ante fuerit in sensu‘. Vgl. Georg Friedrich Meier: Beurtheilung des abermaligen Versuchs einer Theodicee. Halle 1747, S. 113f. 118 Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen des menschlichen Geschlechts. Halle 1766, S. 34. Der Schluss von der Erfahrung auf die Welt ist nach Meier ein unzulässiger Rückschluss von der Empfindung auf die Wirklichkeit (als Ursache der Empfindung): Das erste ‚empiristische‘ Vorurteil besteht nach Meier im Rückschluss von der sinnlichen Repräsentation eines empfundenen Gegenstands auf dessen Beschaffenheit, denn, so heißt es weiter S. 31: „man nimmt vermöge desselben [des Grundsatzes – Y. W.] an: daß unsere Empfindungen uns die Beschaffenheit und Grösse, oder eine innerliche Bestimmung der Gegenstände unserer Empfindungen, vorstellen.“ 119 Der Gespensterseher zeichnet sich freilich durch eine prä-reflexive Haltung aus. Diese Akzentverschiebung wirft die Frage nach der normativen Funktion der Vorurteilskritik auf. Die Pragmatisierung der Vorurteilslehre geht ja mit einer partiellen Anerkennung positiver, erkenntniskonstitutiver Aspekte von Vorurteilen einher.
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leugnen was wir nicht klar empfinden, fruchtbare Quellen vieler und grosser Irrthümer in aller unserer Erfahrungserkenntniß seyn.120
Den kritisierten Irrtum konnte Meier in Bacons Idolatriekritik oder bei Martin Knutzen nachlesen, der im selben Jahr seine Elementa Philosophiae rationalis seu logica (1747) publizierte.121 Seine Erwähnung im Kontext der Gespensterlehre und deren Kennzeichnung als ‚thomistisch‘ lassen sich als Kritik an Gespensterleugnern deuten, welche die Formel „nihil est in intellectu quod non ante fuerit in sensu“ falsch verstanden hätten. Denn nicht der von Meier ebenfalls referierte empirische Satz „Was ich klar empfinde, ist auch wirklich“ ist Grundlage der hier dargestellten epistemischen Haltung, sondern lediglich dessen Verneinung, also der Satz: „Was ich nicht klar empfinde, ist auch nicht wirklich“. Diese wäre jedoch nur dann zulässig, wenn der Erkenntnisgrundsatz eigentlich lautete: „Nur [!] was ich klar empfinde, ist auch wirklich.“ In der Zuspitzung entspricht das Axiom jedoch nicht einem moderaten Empirismus,122 sondern dem erkenntnistheoretischen Sensualismus, der die sinnlichen Erkenntnisse zur alleinigen Erkenntnisquelle und Grundlage von Existenzerkenntnissen erhebt. In seiner Zuspitzung lässt sich der Satz also als Axiom eines sensualistischen Empirismus identifizieren. Die Verneinung entspricht einer sensualistischen Radikalisierung des thomistischen Grundsatzes und gründet, so Meier, letztlich auf einer Fehlinterpretation des „nihil est in intellectu, quod non ante fuerit in sensu.“ Der durch sein Vorurteil als Sensualist ausgewiesene Gespensterseher begeht gleich in zwiefacher Hinsicht einen Erfahrungsirrtum. Erstens verkennt er die wahre Ursache eines natürlichen Ereignisses (die Schritte des Hundes). Zweitens begeht er den Fehler der Subreption, indem er von einer (unvollständigen) Erfahrung auf deren vermeintliche (falsche) Ursache schließt. Die Subtilität von Meiers Argumentation liegt im impliziten Ausweis der Sensualisten als Gespensterseher, der unser heutiges Verständnis irritiert, jedoch auf den polemischen Charakter der Diskussion hinweist. Dieser doppelte Irrtum kann nach Meier durch eine adäquatere erkenntnistheoretische Haltung sowie durch eine Verbesserung der unteren Erkenntnisvermögen vermieden werden. Die Ästhetik lässt sich somit als Antwort nicht nur auf die Kritik an der Unzuverlässigkeit der Sinne verstehen, also auf rationalistische Abwertungen der cognitio sensitiva, wie es in der Forschungsliteratur (so bei Kondylis) oftmals behauptet wird, sondern ebenso als Replik auf eine in Frankreich virulente Richtung. Die Verbesserung der ästhetischen Erkenntnis wird ja gegenüber 120 121
Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen, S. 35. Auch hier wird das Vorurteil als wesentliche Irrtumsquelle ausgewiesen und als falsches Erkenntnisprinzip von den übrigen Vorurteilen unterschieden, so Martin Knutzen: Elementa Philosophiae rationalis seu logica (1747). Hildesheim 1991 (Nach der Ausgabe Königsberg / Leipzig), S. 167: „Praeiudicium est principium falsum, quod tanquam verum admittitur, est propositio falsa, quae veri principii loco, neglecto examine debito assumitur.“ 122 [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, S. 46.
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einem Sensualisten vorgebracht. Die Ästhetik soll hier zur Ausbildung einer adäquateren Situationswahrnehmung verhelfen, d.h. zur Wahrnehmung der eigentlichen Ursache der Schritte führen, auf Grund derer das Gespenstersehen dann verhindert würde. Durch die Verbesserung der Sinne könnte nach Meier der Erfahrungsbereich selbst erweitert werden. Schon diese Kritik am Sensualismus macht deutlich, dass Versuche, Meier als Vertreter eines sensualistischen Subjektivismus auszuweisen, zu kurz greifen.123 Mit dem Angriff auf das sensualistische Vorurteil verfolgt Meier zwei Argumentationsziele. Er führt ein Argument gegen den empirischen Reduktionismus an, der die Wirklichkeit der Geister, wie der Sophist Hippias in Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathons, mit dem Hinweis ablehnt, dass wir sie nicht erfahren können. Meier deutet hier die mögliche Existenz nicht sinnlich erfahrbarer Dinge an und verleiht damit dem Raum des Möglichen einen eigenen, unabhängig von der Erfahrungserkenntnis gültigen Wirklichkeitsstatus. Die Geltung erfahrungsunabhängigen Wissens wird aus der eingeschränkten und korrumpierbaren Funktionsweise der Sinne abgeleitet. Meier bedient sich damit einer Sinneskritik, die zuvor bereits von den Rationalisten, unter anderem von Nicolas de Malebranche, vorgebracht wurde. Allerdings mündet seine Kritik nicht in eine grundlegende Skepsis gegenüber der sinnlichen Erkenntnisweise. Sie geht vielmehr mit einem Verweis auf ihre eingeschränkte Geltung einher. Grundsätzlich wird die Erfahrungserkenntnis nicht, wie noch bei Malebranche, als Täuschung ausgewiesen. Mit der Sinnenkritik nimmt Meier auf eine in seiner Zeit aktuelle Kontroverse Bezug, die auch den Streit um die wissenschaftliche Theoriebildung betraf: Alle Menschen z.E. haben eine Empfindung von dem Erdboden, sie sehen ihn täglich, und wandeln auf demselben herum. Nun ist unleugbar, daß kein Mensch, in dieser seiner Empfindung, zugleich die Bewegung des Erdbodens um seine Axe, und um die Sonne, klar empfindet. Wenn wir nun weiter nichts urtheilen, als daß wir keine Erfahrung von der Bewegung des Erdbodens haben: so würden wir, ein richtiges und gegründetes Urtheil, fällen. Allein wenn wir einmal vor allemal aus Uebereilung angenommen haben, daß eine Sache nicht anders beschaffen sey, als wie unsere Empfindung, die wir von derselben haben: so werden wir urtheilen, daß wir mit Augen sehen, daß der Erdboden stille steht.124
Die Erdbewegung nur deshalb für nicht real zu halten, weil sie sich nicht aus der Empfindung ableiten lässt, käme formal einem Fehlschluss von der fehlenden Wahrnehmung auf die Non-Existenz (des nicht wahrgenommenen Gegenstandes) gleich.125 Auf die Frage nach der Vermittlung des scheinbaren Widerspruchs zwi123
So z.B. Alfred Bäumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Halle 1923, sowie Böhm: Das Schönheitsproblem bei Meier, S. 187. 124 Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen, S. 34. 125 Die Perspektivität des ästhetischen Wissens ist auch Thema der an Bernard Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes (1686) orientierten Anfangskapitel von Meiers: Versuch eines Lehrgebäudes der Seelen der Thiere. Halle 1747. Gottscheds Fontenelle-Übersetzung erschien
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schen der Erfahrungstatsache und der errechenbaren Erdbewegung geht Meier an dieser Stelle weiter ein. Gegen die sensualistische Reduktion und Verabsolutierung der Erfahrungsperspektive führt er ein Argument aus dem Bereich der Kosmologie bzw. Astrologie an.126 Damit berührt er ein Problem, das die Erklärung komplexer Naturphänomene und ihr Verhältnis zum demonstrierbaren Wissen betrifft. Die mathematisch errechnete Erdumdrehung muss zum Erfahrungswissen in Beziehung gesetzt werden. Das fehlende Erfahrungszeugnis der Erdbewegung ist jedenfalls nur dadurch zu relativieren, dass die Erfahrung auf ein kohärentes Netz von Annahmen bezogen wird.127 Mit seiner Position vermittelt er also zwischen einer erfahrungsunabhängigen Wissensformation und der neuen Empirie. Meiers Überlegungen zur Ausbildung erkenntniskonstitutiver Vorurteilsstrukturen enthalten zudem eine Ablehnung der hyperskeptischen Position. Die Existenzverneinung aus mangelnder Erfahrung entspricht einer ultraskeptischen Haltung oder einem dogmatischen Zweifel, mit dem der eifrige Wahrheitssucher nicht nur das eigene Erfahrungswissen zur alleinigen Grundlage der Erkenntnis stilisiert, sondern zudem das fremde Erfahrungszeugnis ablehnt. Die Ablehnung des fremden Erfahrungswissens wird mit dem tendenziellen Unglauben der Radikalzweifler identifiziert und mit jener ultraskeptischen Position verglichen, die z.B. Tychiades in Lukians Dialog Philopseudes vertritt und die nach Meier auch der methodische Zweifel Descartes’ entwirft (wenn auch nicht dogmatisch durchführt).128 Antidogmatismus und Sensualismus gehen somit Hand in Hand. Ebenso wie dem Rückschluss von der mangelnden Erfahrung auf die Nicht-Existenz liegt der erfahrungsunabhängigen Ablehnung überlieferter Meinungen das Vorurteil zugrunde, historisches Wissen sei irrelevant für die eigene Urteilsbildung.129 1725, im Zentrum steht hier die Ausdehnung, mögliche andere Welten sowie die Stellung des Menschen. Vgl. dazu auch Michael Jäger: Die Ästhetik als Antwort auf das kopernikanische Weltbild. Die Beziehungen zwischen den Naturwissenschaften und der Ästhetik Alexander Gottlieb Baumgartens und Georg Friedrich Meiers. Hildesheim / Zürich / New York 1984 (Philosophische Texte und Studien 10), zu Meier S. 30–62. Jäger deutet Meiers Ästhetik als ‚Gegenmodell‘ zu einem naturwissenschaftlichen (d.h. bei ihm kopernikanischen) Welt- und Naturverständnis. Er versucht Meier für seine Kritik an Weltdeutungen zu vereinnahmen, die einseitig an den Naturwissenschaften orientiert seien. 126 Im Unterschied zur Erdbewegung lässt sich die Existenz der Gespenster nicht apriorisch beweisen. Die mangelnde Erfahrung der Erdbewegung ist im Gegensatz zur Gespenstererfahrung somit kein eigentliches Problem, weil die Tatsache der Erdbewegung als wissenschaftliches Faktum anerkannt ist. 127 Meier überträgt hier ein Problem, das vormals die Akkommodation der biblischen Lehre mit neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen betraf, auf den aktuellen Monadenstreit. Dazu Lutz Danneberg: Schleiermacher und das Ende des Akkommodationsgedankens in der hermeneutica sacra des 17. und 18. Jahrhunderts, in: 200 Jahre „Reden über die Religion“. Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft Halle. 14.–17. März 1999. Hg. v. Ulrich Barth / Claus-Dieter Osthövener. Berlin 2000, S. 194–246, hier S. 210f. und 219. 128 Trotz des cartesianischen Fundamentalangriffs auf die Sinneserkenntnis avanciert die Klarheit der Empfindung spätestens in der deutschen Frühaufklärung, so bei Wolff, zu einem entscheidenden Gewissheitskriterium sinnlicher Erkenntnis. 129 Die praejudicia autoritatis, antiquitatis und novitatis fallen unter diesen Vorurteilstyp.
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Seiner Klassifikation entsprechend stellt dieses praejudicium kein erkenntniskonstitutives Grundaxiom mehr dar, sondern entspricht dem Typus des „unechten Vorurteils“. Im Gegensatz zu erkenntnisrelevanten Grundvorurteilen steht das echte Vorurteil nämlich in keiner inhaltlichen Relation zum gefällten Urteil.130 Auch die dogmatischen Gespensterleugner lehnen das fremde Erfahrungszeugnis mit dem Verweis auf dieses Vorurteil ab. Meier kritisiert die Gespensterseher somit in zweifacher Weise. Das sensualistische Vorurteil „Nur (!) was ich klar empfinde, ist auch wirklich“ weist er als folgenreiches praejudicium aus, das – im Gegensatz zu dem erkenntnisrelevanten Vorurteil131 „Was ich klar empfinde, ist auch wirklich“ – keinen pragmatischen Nutzen hat, sondern lediglich der Erkenntnis schadet. Es führt sowohl zur Realitätsverkennung wie auch zur Hyperskepsis.
5.9. Hallenser gegen den esprit fort Meiers Kritik an der dogmatischen Leugnung der Gespenster, die den so genannten „starck denkenden“ Philosophen unterstellt wird, kann als impliziter Angriff auf die französische Erkenntnistheorie verstanden werden. Für den deutschsprachigen Raum ist eine Auseinandersetzung mit dem Sensualismus zwar erst in den 1760er und -70er Jahren gut belegt.132 Dennoch nimmt die Hallesche Aufklärung bereits in den späten 1740er Jahren nachweislich auf die französischen Radikalaufklärer Bezug. Ins Zentrum der Kritik rücken die Materialisten, wie Meiers Schrift Beweiß, daß keine Materie dencken könne dokumentiert. Er befasst sich darin mit der systematischen Ausrichtung und den historischen Ausläufern dieser Gruppe. Unter anderen beschäftigten ihn die Fragen, ob Erkenntnisse von materiellen Prozessen determiniert und ob die Sinne die alleinige Quelle der Erkenntnis sind. Damit greift er jene Aspekte der empirischen Erkenntnislehre auf, die als zentral für die Ausbil-
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Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen, S. 29. Diese Kritik ermöglicht es Meier, den skeptischen Gestus der Wahrheitssuche, der in der initialen Leugnung des gesamten überlieferten Wissensbestandes sowie im Rückzug auf das eigene Sinneszeugnis besteht, als ein schädliches Vorurteil auszuweisen: „Die Freygeister“, heißt es dazu weiter, „wollen also statt eines Vorurtheils ein anders auf den Thron setzen.“ 131 Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik, S. 209ff., hier bes. 217f. In der Vernunftlehre Meiers wird der nicht-sichtbare Horizont eine Grenzmetapher. 132 Johann Georg Sulzer: Zergliederung des Begriffs der Vernunft (1758), in: ders.: Vermischte philosophische Schriften. Bd. 1. Leipzig 1773; Johann Lossius: Physische Ursachen des Wahren. Gotha 1775; Nicolaus Tetens: Philosophische Versuche über die menschliche Natur. Leipzig 1777. Vgl. dazu Wolfgang Proß: „Meine einzige Absicht ist, etwas mehr Licht über die Physik der Seele zu verbreiten.“ Johann Georg Sulzer (1720–1779), in: Hellmut Thomke / Martin Bircher / Wolfgang Proß (Hg.): Helvetien und Deutschland. Kulturelle Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland in der Zeit von 1770–1830. Amsterdam 1994, S. 133– 148.
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dung des habituellen Vorurteils begriffen wurden, welches zum Gespenstersehen führe.133 Zur Entstehungszeit des Gespenstertraktats kannte er die aus dem französischen bzw. englischen Materialismusstreit134 hervorgegangene Locke-Adaptation des Aufklärers André-François Boureau-Deslandes.135 Auf dessen Pygmalion-Schrift bezieht sich Meier 1743 explizit.136 Deslandes wies in dem Text das Denken als Effekt der Materie aus und lehnte einen von materiellen Prozessen unabhängigen Erkenntnisakt ab, der sowohl von Locke wie 1746 auch noch von Condillac eingeräumt wurde.137 Boureau-Deslandes’ kurzer, anonym erschienener Traktat Pigmalion ou la statue animée (1741),138 der am 14. März 1742 in Dijon wegen seines
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Gegen die von den Empiristen favorisierte Reduktion der menschlichen Erkenntnis auf die Sinne als einziger Quelle wie auch gegen die Hypothese der physischen Verursachung von Vorstellungen wird Meier Jahre später seine Einwände formulieren, vgl. Meier: Betrachtung über die Schrancken der menschlichen Erkenntniß. Halle 1755. 134 Die Auseinandersetzung wurde zwischen Dodwell und Clarke geführt, dabei ging es um die Frage, ob die Seele ausgedehnt sei. Rezipiert wird sie in der Bibliothèque Choisie. 1713, Partie II, Artikel III–XI. Spiritualität und Ausdehnung werden als Attribute der Seele begriffen. Die Spiritualität wird hier nicht mehr mit Immaterialität gleichgesetzt. 135 Vgl. Artikel ‚André-Francois Boureau-Deslandes‘, in: Biographie Universelle Ancienne et Moderne. Nouvelle Edition. Publiée sous la direction de M. Michaud. 10. Bd. Paris 1854 [Unveränderter Abdruck. Graz 1966], S. 512–513. 136 Georg Friedrich Meier: Beweiß: daß keine Materie dencken könne. Halle 1743, S. 74f., § 49: „Diejenigen aber, welche die Seele als eine Bestimmung unsers Körpers annehmen, halten die Gedanken für die feinsten Bewegungen des Gehirns, oder überhaupt der zärtesten Theile unsers Körpers. Nur neulich hat ein ungenannter Verfasser in einer kleinen Französischen Schrift, die den Titel führt: Pigmalion ou statue animée, die von mir oben angeführte Fabel des Ovidius weiter ausgeführt, um darzuthun, daß die Gedancken nichts anders als die feinsten Bewegungen der Materie sind. Wenn ich ihn als einen arthigen Schriftsteller beurtheilen wollte, so würde ich seiner Schrift unmöglich die Schönheit absprechen können, die in derselben enthalten. Da ich ihn aber als einen gründlichen Schriftsteller ansehen will, so kann ich nicht eher behaupten, daß er gründlich gedacht, bis erwiesen worden, daß die Dreistigkeit, ohne Beweiß etwas zu behaupten und zu verwerfen, eine Gründlichkeit sei.“ 137 Etienne Bonnot de Condillac: Essai über den Ursprung der menschlichen Erkenntnisse Hg. u. aus d. Franz. übers. von Ulrich Ricken. Leipzig 1977, S. 101–105. In diesem Abschnitt führt Condillac die Reflexion sowie die Aufmerksamkeit als Vermögen ein, die Gedanken zu lenken. Die Reflexion und die voluntaristische Konzeption der Aufmerksamkeit können die Seele aus der Abhängigkeit gegenüber den Gegenständen lösen. Im strikten Sensualismus gibt es kein von der unmittelbaren Gegenstandsrepräsentation unabhängiges Denken. Als sensualistische Position bezeichnet wird ferner die Auffassung einer wechselseitigen Genese von Denken und Zeichenverwendung (Sprache). Dazu: Hans Aarsleff: The Tradition of Condillac. The Problem of the Origin of Language in the Eighteenth Century and the Debate in the Berlin Academy before Herder, in: Studies in the History of Linguistics. London 1974; Allan Dickson Megill: The Enlightenment Debate on the Origin of Language. New York 1997. Daneben auch die These der Quäker, die hinsichtlich der Genese von Denken und Sprechen dem Sensualismus nahe steht und impliziert, dass Gott den Menschen von Geburt an mit dem Vermögen zur eigenständigen Perfektionierung des Denkens und Sprechens ausgestattet hat. Dazu auch Joachim Gessinger: Auge & Ohr. Studien zur Erforschung der Sprache am Menschen (1700–1850). Berlin / New York 1994, S. 19–70. 138 Zitiert nach Claudia Weiser: Pygmalion. Vom Künstler und Erzieher zum pathologischen Fall. Eine stoffgeschichtliche Untersuchung. Frankfurt a.M. / Berlin / Bern / New York / Paris /
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latenten Materialismus auf den Index gesetzt wurde,139 greift die später bei den Sensualisten Condillac und Diderot prominent gewordene Fiktion einer erkennenden Statue auf.140 Die Schrift rückt den Menschen als künstlichen Organismus ins Zentrum eines erkenntnistheoretischen Experiments. Sie bedient sich, darin durchaus LaMettries Abhandlungen verwandt, diverser Metaphern, die aus einem medizinischen Kontext übernommen und materialistisch aufgeladen werden.141 Seine Belebungsfiktion weist unmittelbare Affinitäten zu kosmologisch-magischen Naturauffassungen auf.142 Bezeichnenderweise reagiert Deslandes mit seinem Gedankenexperiment auf die 1740 entdeckten und 1745 publizierten Ergebnisse des Genfer Naturforschers Charles Bonnet (1720–1793) zur Insektenforschung,143 in der es um die non-fertile Reproduktion geht. Deslandes unterhielt unmittelbare Kontakte zu Fontenelle, Diderot und LaMettrie.144 Mit dessen Adaptation des PygmalionWien 1998 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I. Deutsche Sprache und Literatur 1673), zu Boureau-Deslandes bes. S. 32–35, hier S. 33. So Friedrich Albert Langen: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Iserlohn 1866, S. 163–186. Ungeachtet der Frage, dass sich der Autor im vorliegenden Text vom Belebungsversuch des Phantasten Pygmalion distanziert, indem er offen lässt, ob die Belebung glückt oder als Phantasieprodukt auszuweisen ist, wurde die Schrift indexiert. 140 Zur innerästhetischen Debatte sowie zur stoffgeschichtlichen Tradition vgl. (in Auswahl) Annegret Dinter: Der Pygmalionstoff in der europäischen Literatur. Heidelberg 1979; Rainer Hendel: Pygmalion. Das Motiv der Liebe zur Puppe in Texten von Goethe bis Lem, in: Altsprachlicher Unterricht. Bd. 26.1 (1983), S. 56–68; Matthias Meyer: Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur. Freiburg 1997; Monika Schmitz-Emans: Der neue Pygmalion und das Konzept negativer Bildhauerei. Zu Varianten des Pygmalionstoffes in der modernen Literatur, in: ZfdPh 112.2 (1993), S. 167–187; Marc A. Bernier: Mécanique des sensations et conception du marriage dans Pigmalion ou la statue animée, in: Sexualité, marriage et famille au XVIIIe siecle. Sous la direction de Olga B. Cragg. Québec 1988, S. 147– 157; Anne Desneys-Tunney: Le roman de la matière dans Pigmalion, in: Béatrice Fink, Gerhardt Stenger (Hg.): Etre matérialiste à l’1âge des Lumières. Paris 1999, S. 93–108. 141 Zur Zirkulation materialistischer Texte vgl. Olivier Bloch: Le matérialisme du XVIIIe siècle et la littérature clandestine. Paris 1982; Robert Darnton: Literaten aus dem Untergrund. Lesen, Schreiben und Publizieren im vorrevolutionären Frankreich. München 1985; ders.: Forbidden Best-sellers of Pre-Revolutionary France. New York 1995; Gottfried Stiehler (Hg.): Materialisten der Leibniz-Zeit. Ausgewählte Texte. Berlin-Ost 1966; Boureau-Deslandes: Pigmalion ou la Statue animée (1741), zitiert nach Rolf Geißler, der die Schrift editiert hat. Rolf Geißler: Boureau-Deslandes. Ein Materialist der Frühaufklärung. Berlin 1967, S. 117–130, hier S. 137ff.; sowie Jean Macary: Masque et lumières au XVIIIe siècle. André-François Deslandes: „citoyen et philosophe“ (1689–1757) La Haye 1975 (Archives internationales d’histoire des idées 78); Rolf Geissler: Boureau-Deslandes lecteur de manuscrits clandestins, in: Olivier Bloch: Le matérialisme du XVIIIe siècle et la littérature clandestine. Paris 1982, S. 227–234. 142 Die Belebungsfiktionen waren jenen naturphilosophischen Spekulationen aus dem Umkreis der physica sacra et mosaica ähnlich, die sich auf das Genesis-Buch beriefen. Diese bildeten nämlich einen weiteren Strang der Demokrit-Rezeption, vgl. dazu Kap. 8. 143 Charles Bonnet: Traité d’insectologie. 1: Ou Observations sur les pucerons. Paris 1745, 2: Ou Observations sur quelques espèces de vers d’eau douce, qui coupés par morceau, deviennent autant d’animaux complets. Paris 1745. Réaumur beschrieb Regenerationsprozesse von Insekten, wie z.B. die Reproduktion von Rippen bei den Krustazeen. 144 Zu Ammans Methode, die Taubstummen zu unterrichten, vgl. Langen: Geschichte des Materialismus, S. 176. Er verzeichnet verschiedene Quellen, die LaMettrie in der Naturgeschichte der 139
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Stoffes in der Naturgeschichte der Seele (1745) liegt ebenfalls ein materialistischer Monismus vor, der Erkenntnisse auf materielle Grundlagen von Wahrnehmungsprozessen reduzierte und eine Kritik an substanziellen Formen vorlegte.145 Historisch lassen sich Meiers Überlegungen somit als Reaktion auf eine spezifische Ausformung des erkenntnistheoretischen Empirismus deuten, die im Kontext der Berliner Akademie-Kontroversen verortet ist. Die grundlegenden Differenzen zwischen ihm und den hier vorgestellten Vertretern der französischen Aufklärungsphilosophie liegen auf der Hand. Meiers Erklärung der Gespenstererfahrung richtet sich explizit gegen eine Variante des Empirismus, die in der Akademie Aufschwung erhalten hat. Boureau-Deslandes war assoziiertes Mitglied, wie auch LaMettrie und Condillac, der 1749 aufgrund seiner Schrift Traité des sensations ebenfalls in die Akademie aufgenommen wurde.146 Seele verwendet, dazu Voltaire: Eléments de la philosophie de Newton, Kapitel 6; der Bezug auf Locke findet sich auf S. 97f., vgl. dazu Wolfgang Pross: Herder und die Anthropologie der Aufklärung, in: Johann Gottfried Herder. Werke II. Darmstadt 1978, S. 1128–1216. 145 Die Einordnungen LaMettries differieren. Innerhalb der deutschsprachigen Theologie und Schulphilosophie hat er keine hitzige Kontroverse ausgelöst, vgl. dazu Friedrich Vollhardt: „Verweltlichung“ der Wissenschaft(en)? Zur fehlenden Negativbilanz in der apologetischen Literatur der Frühen Neuzeit, in: Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit. Bd. 2: Zwischen christlicher Apologetik und methodischem Atheismus. Wissenschaftsprozesse im Zeitraum von 1500 bis 1800. Hg. v. Lutz Danneberg / Sandra Pott / Jörg Schönert / Friedrich Vollhardt. Berlin / New York 2002, S. 67–93. In Siegmund Baumgartens Geschichte der Religionspartheyen wird LaMettrie nur kurz erwähnt, dort wird sein Materialismus allerdings lediglich als grob gekennzeichnet, weil er die „Sittenlehre verleugne“. Vgl. Siegmund Jacob Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1766, S. 39. Baumgarten subsumiert LaMettrie unter jene Skeptiker, die vorgeben, „daß der Mensch in allen Dingen, die zum natürlichen Leben gehören, an dem instinctu naturali einen Bestimmungsgrund seines Verhaltens habe, nach welchem also mit einem genugsamen Grunde verfahren werden könne“. LaMettries Psychologie wurde dagegen in philosophischen Kreisen diskutiert Vgl. dazu: LaMettrie’s L’homme machine. A study in the origins of an idea. Critical edition with an introductory monograph and notes by Aram Vartanian. Princeton 1960, S. 14. Sie löste eine Debatte aus, in die auch Samuel Hollmann verwickelt war. Zu den Akteuren der Debatte zählen: Adam Wilhelm Franzen: Widerlegung der französischen Schrift: L’homme machine nebst dem Beweis der Gegensätze. Leipzig 1749; Franz Neumayr: Frag, ob der Mensch weiter nichts seye als eine Maschine? Beantwortet wider die Freydenker und Materialisten. Augsburg 1761; Charles Albert de Pury: Pensées pur et contre les écrivains mécréants, à l’occasion de deux écrits nouveaux, intitulés. L’un, l’Homme machine, l’autre Discours sur le bonheur. Neuchatel 1752, Samuel Christian Hollmann: Göttingische Zeitung von Gelehrten Sachen (1748): Lettre d’un anonyme pour servir de critique ou de réfutation au livre intitulé: L’homme machine. Ab 1749 erscheinen verschiedene Pamphlete, u.a.: Epître à mon Esprit ou l’Anonyme persiflé: Epître à Mlle A. C. P. ou la „Machine terrassée“; Père Hayer: La spiritualité et l’immortalité de l’âme. Paris 1757; Balthasar Tralles: De machina et anima humana prorsus a se invicem distinctis commentatio. Breslau 1749 sowie in verschiedenen Journalen; Pierre Roques: Nouvelle bibliothèque germanique. Tome 2, partie 1748–49. Amsterdam 1750. Zitiert nach Aram Vartaniam (Hg.): LaMettrie’s L’homme machine, S. 114–138. 146 Auch Condillac vertritt in seinem Essai über den Ursprung der menschlichen Erkenntnis (wie LaMettrie) die These einer ausschließlich sinnlichen Ideengenese (S. 70f.). Er hält dabei an dem Unterschied zwischen Körper und Seele fest und knüpft zunächst an die okkasionalistische Version der commercium-Hypothese an, um diese dann durch die Theorie des Sündenfalls zu ersetzen.
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Meiers Traktat stellt einen Angriff auf diese Erfahrungstheorien und den ihnen inhärenten Materialismus dar.147 Er antwortet auf Versuche, ästhetische Funktionsweisen allein in der medizinischen, physischen und physiologischen Theoriebildung aufzulösen und dabei auf eine logische Rekonstruktion innerästhetischer (nach Meier eben nicht ausschließlich physiologisch beschreibbarer) Gesetzmäßigkeiten zu verzichten. Indem er diesen physiologischen Reduktionen die empirische Logik gegenüberstellt, richtet er sich gegen die Vereinnahmung der sinnlichen Erkenntnistheorie durch primär physiologische Funktionsbeschreibungen. Dagegen setzt Meier auf seine poetische Theorie des Geistersehens, die der Einbildungskraft einen Nutzen bei der Induktion ästhetischer Affekte beimisst.
5.10. Die Sempronius-Episode als Modell ästhetischer Illusionserzeugung Der Wahrnehmungsmodus des Gespenstersehens ist bereits Gegenstand der 1744 erschienenen Theoretischen Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, einer Schrift, in der sich Meier mit der cartesianischen Anthropologie auseinandersetzt (vor allem mit der Leidenschaftstheorie der Passions de l’âme).148 Hier findet sich ein Passus zur Gespensterwahrnehmung, der zahlreiche Parallelen zu dem bereits referierten Erklärungsmodell aufweist, sich aber durch eine neue Poetisierungstendenz auszeichnet und zum Modell für eine ästhetische Illusionserzeugung avanciert. In der Forschungsliteratur wurde die so genannte Sempronius-Episode vor allem in Zusammenhang mit der Aberglaubenskritik gelesen. Demnach komme hier ein Argumentationsmuster zum Tragen, das „rein psychologisch“ sei und somit als Dokument einer umfassenden, bis ins ausgehende 18. Jahrhundert tragfähigen „Psychologisierung des Aberglaubens“149 gedeutet werden könne. Diese über weite 147
So auch der Angriff Condillacs auf die cartesianische Kritik der Sinnenerkenntnis. Vgl.: Essai sur l’Origine, § 10. Ursula Franke: Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik Alexander Gottlieb Baumgartens. Wiesbaden 1972 (Studia Leibnitiana Supplementa IX), S. 42. 148 Zu den Gemütsbewegungen zählt Meier alle Bewegungen der Sinne, die Begierden oder Verabscheuungen entsprechen. Damit meint er Affekte im engeren Sinn und nicht mehr bloß Perzeptionen. Gegen Descartes führt er an, dass die Gemütsbewegungen Kräfte und keine Leiden sind. Leidenschaften sind keine Bewegungen des Körpers. Leidenschaften sind auch keine Perzeptionen. Als Synonym für die Seelenlehre verwendet Meier hier den Begriff der Geisterlehre, die sich auf alle „endlichen Geister“, also auch auf die Tiere bezieht. Die Gemütslehre zählt Meier zur ästhetischen Lehre, welche als Lehre von der sinnlichen Erkenntnis konzipiert ist. Gemütsbewegungen haben einen Anteil an der sinnlichen Erkenntnis: entweder als Leidenschaften im engeren Sinn oder als Affektationen der Seele (d.h. als Erregungen durch äußere Gegenstände). 149 Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 189, die darin Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung, S. 173ff. folgt. Siehe dazu auch Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 329f. Diese Interpretationen berufen sich auf eine schon im 18. Jahrhundert vorge-
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Strecken zutreffende Analyse wird allerdings dem Komplexitätsgrad des hier vorliegenden Illusionsmodells sowie den daraus ableitbaren Bezügen zur Ästhetik nur zum Teil gerecht. Sie sollen im vorliegenden Abschnitt erläutert werden. Er arbeitet die deutlichen Überlagerungen zur Poetik heraus, die im Gespenstertraktat auf den ersten Blick nicht sichtbar werden. Das von Meier entworfene Einteilungsschema lässt die These fragwürdig erscheinen, dass es sich bei der Sempronius-Episode um eine psychologische Aberglaubenskritik handelt. Zunächst wird der Untersuchungsgegenstand dem ästhetischen Teil der Affekttheorie zugeordnet, der von dem psychologischen abgegrenzt ist. Den referentiellen Rahmen für die Deutung der Gespensterepisode liefert hier nicht die Psychologie, sondern die Ästhetik der Affekte. Allgemein gesprochen, wird die Ästhetik in der Theoretischen Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt in Anlehnung an Baumgarten erneut als „Wissenschaft der sinnlichen Erkenntniß und des Vortrages der Erkenntniß“ definiert. Von der Psychologie und Wahrnehmungstheorie unterscheidet sich die ästhetische Affektenlehre dadurch, dass sie nicht nach dem „Wesen der Leidenschaften und ihrer Eigenschaften“ fragt bzw. deren „Gründe“ aus der Natur der Seele ableitet,150 sondern sich mit Affekten befasst, insofern sie Gegenstand der sinnlichen Erkenntnisse, d.h. wahrnehmbar sind. Leitet die Psychologie die Affekte (als Teil der Metaphysik) also systematisch aus apriorischen Bestimmungen der Seele ab und fragt nach ihrem Grund, ist die ästhetische Affekttheorie demgegenüber als Lehre von den Affekten zu verstehen, insofern sie aus äußeren körperlichen (und sinnlich wahrnehmbaren) Zeichen (Errötung, Herzschlag usw.) erschlossen werden können.151 Sie ist damit einer empirischen Semiotik der Affekte gleichgestellt. Mit Ästhetik der Affekte meint Meier jetzt nicht mehr nur die Wissenschaft von der Wahrnehmung, also die empirische Logik, sondern eine Lehre der Affekte, insofern sie sich auf Wahrnehmungen gründet. Zu dem bereits bekannten Begriffsumfang von Ästhetik tritt dadurch ein neuer Aspekt hinzu. Mit Ästhetik ist nicht mehr die wahrnehmungspsychologische Begründung der Affekte gemeint, auch nicht ihre Anwendung auf die Empirie zur Verbesserung der Erfahrung. Hier bezeichnet ‚ästhetisch‘ die Quelle, aus der die Erkenntnisse gewonnen werden, also die äußerlichen Zeichen der Affekte und deren Kopplung mit wahrnehmungstheoretibrachte Deutung von Karl Heinrich Heydenreich: Psychologische Entwicklung des Aberglaubens. Leipzig 1798. 150 Meier: Gemüthsbewegungen, S. 7. 151 Dies stellt eine zentrale Differenz dar, die es auch bei der Ordnung der Wissenschaften zu berücksichtigen gilt. Vgl. Johann Georg Sulzer: Kurzer Begriff aller Wissenschaften. Leipzig 1745, zweite ganz veränderte und sehr vermehrte Auflage. Leipzig 1759. Vgl. dazu Wolfgang Riedel: Erkennen und Empfinden. Anthropologische Achsendrehung und Wende zur Ästhetik bei Johann Georg Sulzer, in: Schings (Hg.): Der ganze Mensch, S. 411–439; dazu auch Carsten Zelle: Experimentalseelenlehre und Erfahrungsseelenkunde. Zur Unterscheidung von Erfahrung, Beobachtung und Experiment bei Johann Gottlob Krüger und Karl Philipp Moritz, in: ders (Hg.): ‚Vernünftige Ärzte‘, S. 173–185.
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schen Grundlagen. Erst aus der Kombination der unterschiedlichen Betrachtungsebenen ergibt sich eine genuin anthropologische Perspektivierung, die wissenschaftstheoretisch jedoch nicht unproblematisch ist. Die ästhetische Affektenlehre bildet den Rahmen, in den die Gespenstererfahrung gefasst wird. Der Fokus liegt auf der Leidenschaftserzeugung, wie sie aus der ästhetischen Affekttheorie abgeleitet wird. Die empirische Beobachtung der Leidenschaften soll praktisch für Rhetorik und Poesie genutzt werden, deren gemeinsames Ziel in der Erregung von Leidenschaften besteht. Wie in der Gespensterschrift konzentriert sich Meier vornehmlich auf die Entstehung der Illusion. Nach dem bereits erläuterten Modell wird die Gespensterwahrnehmung als Resultat einer falschen Kombination verstanden. Im Zentrum des beschriebenen Prozesses steht nun jedoch die Bildung einer Assoziationskette, die zur „Ausmalung einer Geschichte“ führt. Nicht mehr nur die Wahrnehmung des Gespenstes ist Thema, sondern vielmehr ein Handlungskomplex.152 Am Fall des Gespenstersehers Sempronius führt Meier diese Zusammenhänge plastisch vor Augen: Sempronius geht um Mitternacht über einen Kirchhof. Er erblickt an einer Mauer, eine Menge weissen Kalcks in einer unordentlichen Figur. Hier hat er also 1) eine Empfindung 2) Seine Einbildungskraft erweckt ihm den Augenblick, eine unzählige Menge ähnlicher Vorstellungen, die er vorher gelesen oder gehört hat, und die man mit dem Namen der Gespenster belegt. Hieraus schließt er 3) seine Empfindung sey ein Gespenst, und seine Dichtungskraft stelt ihm das, was er sieht, als eine lange weisse Frau oder wer weiß was, vor. Da sieht er nun vorher, daß das Gespenst auf ihn zukommen, ihn umfassen und unzälige andere Dinge mehr. 4) Diese Vorstellung bemeistert sich seiner gantzen Aufmecksamkeit, er hört und sieht nichts anders als das erschienene Gespenst. Die Worte fehlen ihm. Wenn er gleich schreyen wolte, so ist ihm der Mund verstopft. Seine Vorstellung ist unendlich verworren aber anschauend. 5) Alle seine untere Erkenntnißkräfte bemühen sich, recht um die Wette ihn zu betrügen, und seine Vorstellung zu vergrössern. Er fühlt schon wie ihm die Hacken zu lang werden, die Haare zu Berge stehen, ja er solte drauf schweren, daß der weisse Anstrich der Mauer auf ihn zukomme, und er sieht mit vieler Scharfsinnigkeit unendliche Merckmaale, bis auf die Schleife an den Sterbekittel dieser verstorbenen Frau.153
Auffallend ist der bereits aus dem Gespenstertraktat bekannte Rückgriff auf zahlreiche philosophische Fachtermini, die der Baumgartenschen Psychologie entnommen sind und den Prozess einer illusionären Verkennung umreißen. Meier beschreibt die Gespensterwahrnehmung und -furcht als „Zusammenspiel verschiedener Seelenvermögen“, die oft „in ihren Wirkungen […] empirisch nicht mehr unterscheidbar sind“.154 Theoretisch unterscheidet er präzise zwischen Empfin152
Diese Tendenz ließe sich auch auf die Kontroverse mit Gottsched übertragen. Sie stünde in Einklang mit Meiers gegenüber Gottsched vorgebrachter Festlegung des Imitatio-Postulats auf die Handlung, vgl. dazu Friedrich Vollhardt: Die Grundregel des Geschmacks – zur Theorie der Naturnachahmung bei Charles Batteux und Georg Friedrich Meier, in: Dichtungstheorien der deutschen Frühaufklärung. Hg. v. Theodor Verweyen. Tübingen 1995 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 1), S. 26–36, hier S. 29. 153 Meier: Gemüthsbewegungen, S. 96f. 154 Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 189.
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dung, Einbildungskraft und dem auf der perspicacia gegründeten Fehlschluss. Der Fehlschluss resultiert schließlich im Fehler des Erschleichens und verleitet Sempronius zu dem Urteil, der wahrgenommene weiße Fleck an der Wand sei ein Gespenst. Der Mechanismus der illusionären Verkennung, für den sich in der Literatur der mittleren Aufklärung zahlreiche weitere Beispiele finden,155 stellt einen Rahmen für den heute verwendeten Rorschach-Test sowie Justinus Kerners Geistererfahrung dar und bezeugt einmal mehr die Übernahme ästhetischer Theoreme (nach Meier sind sie der empirischen Logik entnommen) in die Illusionskritik. In Ergänzung zu den bereits erwähnten Täuschungsmechanismen kommen in der vorliegenden Episode weitere Aspekte hinzu: Zu nennen sind an dieser Stelle die ‚Prävision‘, die ‚Dichtungskraft‘ und die ‚Aufmerksamkeit‘.156 Zur Erklärung dieser Begriffe kann Baumgartens Metaphysik wiederum als einschlägige Vorlage herangezogen werden. Die facultas fingendi zählt dort zu den Vermögen, Vorstellungen zu kombinieren, während die praevisio die Fähigkeit des Vorhersehens beschreibt.157 Der Prozess der Vorhersehung meint die praktische Fertigkeit, alltägliche Handlungsweisen vorauszudeuten. Er führt zur Ausbildung einer Geschichte bzw. zur Ausmalung einer Bedrohung. An der Illusionsbildung, die durch die Wahrnehmung des vermeintlichen Gespenstes in Gang gesetzt wird, ist ferner die Dichtungskraft beteiligt. Sie bewirkt die Ausschmückung einer Geschichte bzw. die Entwicklung der Vorstellung, das Gespenst könne sich auf Sempronius zubewegen.158
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Gleich zwei anschauliche Beispiele einer illusionären Verkennung finden sich z.B. in [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, S. 44: „Mir ist ein gewisser gelehrter Mann bekannt, der aber gewiß in dergleichen Fällen [von Gespenstererscheinungen – Y. W.] ein unerschrockenes Herz hat, dieser wurde des Nachts in seiner Kammer bey einem schwachen Mondenlichte etwas einem Menschen ähnliches gewahr, und in der Meynung es sey ein Dieb, ergreift er ein Pistol und schiest darnach, trifft aber zu seiner Verwunderung seinen eigenen Perruckenstock, den er über den Haufen schiesset. Mein eigner Stubenpursche wachte in der Nacht einmal auf, und wurde ein langes weisses Ding gewahr, bey ebenfalls schwachem Mondscheine, welches sich noch dazu bewegte. Er kroch unter das Deckebette und schwitze vor Angst heftig, bis der Tag anbrach, da sahe er, daß es sein eignes Hemde, welches er sich des Sonntags weiß anzuziehen, an einem aufgemachten Flügel des Fensters Abends vorher aufgehangen hatte, gewesen war, dafür er sich gefürchtet hatte, und welches die Luft in einige Bewegung gesetzet hatte.“ 156 Eine einschlägige Deutung der Aufmerksamkeit findet sich bei Albrecht von Haller: Anfangsgründe der Phisiologie. Aus dem Lateinischen übersetzt. Berlin / Leipzig, Bd. V, S. 1095ff. David Braunschweiger: Die Lehre von der Aufmerksamkeit in der Psychologie des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1899. Damit ist ein Zustand beschrieben, der als Anspielung auf die Innerlichkeit der Schwärmer gelesen werden kann. Dass die Aufmerksamkeit (hier negativ als Realitätsrückzug) ein habituelles Merkmal der Religionsschwärmer sei, das den Fanatismus und die Schwärmerei befördere, ist ein Topos der Schwärmerkritik, den auch Meier mit Blick auf die Herrnhuter hier aufgreift. 157 Baumgarten: Metaphysica, S. 214. 158 Weniger als die Dichtungskraft macht Meier in den Gedancken von Gespenstern vor allem die erhitzte Einbildungskraft für die Evokation von „tausend fürchterliche[n] Bilder[n] vor dem Gemüthe“ verantwortlich (S. 10).
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In der Sempronius-Episode befasst sich Meier ausführlicher mit der physisch nachweisbaren Angstreaktion, die das Gespenstersehen begleitet und die in einem Wechselverhältnis mit dem Dichtungsvermögen steht. Vermittels seiner Wortwahl beschreibt er plastisch die Angstreaktion. Da ist die Rede von „fehlenden Worten“, dem „verstummten Schrei“, von einer „Lähmung“ und davon, dass dem Gespensterseher die „Hacken zu lang werden“ und die „Haare zu Berge“ stünden. Das „Erstarren“, das „Verstummen“ sowie die Aufstellung der Haare lassen sich eindeutig als körperliche Anzeichen von Furcht deuten. Bewusst wird die Beschreibung dieser körperlichen Reaktionen in die Darstellung der Episode eingeflochten. Sie geht mit dem zuvor bekundeten Interesse am Mechanismus ästhetischer Leidenschaftserregung einher. Bei der Gespensterwahrnehmung handelt es sich mithin um einen eingebildeten Prozess, der durch ein Zusammenspiel von Vorstellungs-, Dichtkraft und Affekt zustandekommt. Mit dem Sempronius-Beispiel konstruiert er einen Anschauungsfall, der die Wechselwirkung zwischen einer Fiktion und dem sie begleitenden Affekt darlegen soll. Die Schilderung weist zahlreiche nüchterne Beobachtungen auf, die einen Realismuseffekt erzeugen. Sie suggeriert die Korrespondenz eines äußeren Sachverhalts (die Angstreaktion mit physischen Zeichen) mit einem spezifischen Vorstellungsinhalt (Gespenst), indem sie wahrnehmungsinterne und externe Zeichen als aufeinander bezogen beschreibt. Durch die Erzählweise wird somit nahegelegt, das Anschauungsbeispiel entspräche einer Erfahrung, d.h. einer konkreten Beobachtung am Menschen, aus der Rückschlüsse auf die Mechanismen der Affekterzeugung gezogen werden könnten. Mit dem Exempel des Gespenstersehers wird nicht nur ein Anschauungsfall für eine Illusionsbildung konstruiert. Anhand des Beispiels werden darüber hinaus jene Mechanismen freigelegt, die mit der ästhetischen Theoriebildung (der empirischen Logik) koinzidieren. Losgelöst von ihrer tatsächlichen epistemischen Funktion innerhalb der Affektenlehre, suggeriert Meier durch seine Kombination einer Theorie mit einem Anschauungsfall, dass hier nicht nur ein Anschauungsfall für, sondern auch ein empirischer Beleg der ästhetischen Theoriebildung vorliegt.
5.11. Cognitio clara et confusa: Zur Kopplung von Furcht und Empfindung Wie an der Sempronius-Episode ersichtlich, beschreibt Meier die Gespensterwahrnehmung als „unendlich verworren aber anschauend“.159 Damit wählt er einen Ausdruck, bei dem es sich um die deutsche Übersetzung eines ästhetischen Termi-
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Meier: Gemüthsbewegungen, S. 96f.
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nus handelt.160 Mit der Bezeichnung cognitio clara et confusa (also dem Gegenteil von distinkt) kennzeichnete bereits Baumgarten den ästhetischen Erkenntnismodus. Auch die Formulierung „unzählige Menge an Vorstellungen“ weist die Gespenstererfahrung als Typus einer klaren, aber verworrenen Erkenntnis aus. Mit dieser Beschreibung lehnt Meier sich offenkundig an Baumgartens ästhetische Erkenntnislehre an. Er nimmt darüber hinaus, wie Baumgarten, auf das Leibnizsche Konzept des fundus animae Bezug. Weil Baumgartens ästhetische Erkenntnistheorie ein wichtiger Rahmen nicht nur für Meiers Gespensterlehre, sondern auch für das Konzept des ästhetischen Philosophierens ist, sollen die wesentlichen Grundzüge dieser Theorie kurz resümiert werden. Mit dem Kriterium der Klarheit wurde ein Erkenntnismerkmal etabliert, das sich in zwei weitere Komponenten zergliedern ließ: in die intensive und in die extensive Klarheit. Bezeichnete die intensive Klarheit die exakte Erkenntnis einzelner Teile, wurde mit der extensiven Klarheit eine Kategorie entwickelt, die sich auf die Wahrnehmung möglichst vieler Einzelelemente bezieht. Setzt sich eine Empfindung aus vielen verschiedenen Teilen zusammen, so wird durch die Dichte der angeordneten Teile die extensive Klarheit der Empfindung gesteigert.161 Die extensive Klarheit führt Meier nun als Kriterium der sinnlichen Erkenntnis ein, und zwar vor dem Hintergrund eines holistischen Perfektibilitätsideals,162 das auf die Erfassung der Fülle ausgerichtet ist. Die These von einer (im sinnlichen Erkenntnismodus erfassten) Fülle ist für die Umdeutung der cognitio sensitiva zentral, die noch bei Wolff als „defectus perceptionum“ degradiert wurde. Ihre Aufwertung vollzieht sich über das exorbitante Vorstellungsreservoir im fundus animae. Im Rahmen des ästhetischen Erkenntnismodus verzichtet werden kann auf die begrifflich distinkte Analyse der empfundenen Fülle, auf die exakte Einordnung der Gegenstände in ein logisch-begriffliches Ordnungsschema: „Ein Gegenstand, der für den Verstand nicht klar ist, kann den 160
Dass Meiers Aufgabe darin bestand, eine Verdeutschung dieser Theorie zu liefern, macht seine Schrift Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt deutlich: Darin heißt es auf S. 56f.: „Eine verworrene Vorstellung ist eine solche, deren Merckmaale dunckel sind. Ein jedes Merckmaal ist auch eine Vorstellung, und der verworrene Begriff ist als ein gantzes auszusehen, welches aus einer Menge vieler Merckmaale, als seinen Theilen, zusammengesetzt ist. Ich behaupte demnach, daß ein jeder verworrener Begriff, als ein Zusammenfluß vieler duncklen Vorstellungen, müsse betrachtet werden. Die duncklen Vorstellungen machen den Grund der Seele aus, sie sind das Chaos, welches die Seele bearbeitet, und daraus, die klaren Begriffe und Bilder von dieser Welt in sich durch eine Art der Schöpfung hervorbringet. Gleichwie eine unzälige Menge einzelner Feuertheilchen, an sich und in ihrer Zerstreuung, unsichtbar sind, aber sichtbar werden, wenn sie an einander gedrengt werden; so verhält sichs auch in der Seele. Die einzeln dunckeln Vorstellungen sind nicht klar, so bald aber viele derselben, in einer hinlänglichen Anzahl, zusammenstossen und eine Vorstellung ausmachen, so bald verursachen sie das Licht der Seele, die Klarheit des Begriffs.” Meier lehnt sich nicht nur an den Begriff der extensiven Klarheit an, sondern zudem an die fundus animae-Theorie. 161 Vgl. dazu Meier: Gemüthsbewegungen, S. 55; dazu Wessell: Alexander Baumgarten’s contribution to the Development of Aesthetics, S. 339; Verweyen: „Halle, die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik.“ 162 Gottfried Horning: ‚Perfektibilität‘, in: Archiv für Begriffsgeschichte 24 (1980), S. 221–273.
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Sinnen klar erscheinen, insofern er hinreicht, um ihn von anderen zu unterscheiden.“163 In diesem Sinn wäre mit dem Ausdruck ‚Ästhetisierung‘ an dieser Stelle die Aufwertung eines spezifischen Erkenntnismodus gemeint, der von dem cartesianischen oder rationalistischen Erkenntnisideal (der Klarheit und Deutlichkeit) abzugrenzen ist.164 Schon Baumgarten hatte in seiner Ästhetik den „dogmatischen Rationalismus“ Descartes’ moniert. Auch er distanzierte sich vom cartesianischen Ideal der „cognitio clara et distincta“ und kritisierte, dass Descartes die sinnliche Erkenntnis als obskur und konfus klassifizierte und damit „als Negation von Wahrheitserkenntnis“ ausschloss.165 Mit der Reformulierung erkenntnisrelevanter Wahrheitskriterien vollzieht Baumgarten die Etablierung einer veritas aesthetica, die in der Forschung bereits ausführlich dokumentiert wurde.166 163
Verweyen: „Halle, die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik“, S. 219f. Auch die Unterscheidung von zwei Klarheitsbegriffen wird von Meier übernommen; vgl. dazu: Gemüthsbewegungen, S. 55, dort unterscheidet Meier zwei Begriffe der Klarheit: Einmal die Klarheit in der Ausdehnung, wenn sie viele Merkmale besitzt, und einmal die größere Klarheit der Merkmale selbst. Die Ausdehnung ist entscheidend für die Größe der Leidenschaft. 164 Im Verbund mit Baumgarten führt Meier gegenüber Wolff eine Innovation ein, die es ihm erlaubt, die Klarheit als Kriterium der ästhetischen Erkenntnis zu bestimmen, indem er zwischen extensiver Klarheit und intensiver Klarheit unterscheidet. So auch Baumgarten: Metaphysica § 521. Rationale Psychologie, S. 63ff. Eine Schwierigkeit bei der Rekonstruktion dieser Entwicklungen innerhalb der frühaufklärerischen Erkenntnistheorie ergibt sich aus dem Verweisungsrahmen des jeweiligen Systems. Ohne die systematischen Zusammenhänge hier behandeln zu können, scheint es für die Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Transformation des Empfindungsbegriffes relevant, auf die Wolff’sche Theoriebildung zu verweisen. Die erste Schwierigkeit betrifft die terminologischen Verschiebungen des Wahrnehmungsbegriffes (perceptio): Hier bleibt festzuhalten, dass Descartes mit ‚perceptio‘ noch die Tätigkeit der sich selbst bewussten Seele meint, dass er die ‚perceptio‘ von der ‚idea‘ primär durch die Quelle der Erkenntnis, der Sinne oder der Imagination, unterscheidet. Demgegenüber trifft Wolff die Unterscheidung der ‚Sensationen‘ hinsichtlich der Quellen und nach den Modalitäten ‚simpliciter‘ und ‚compositum‘. Eine Konstruktion, die es ihm erlaubt, die Sensationen als ‚compositum in simpliciter‘ von der materiellen Imagination als ‚compositum in compositum‘ zu unterscheiden. Vgl. Wolff: Rationale Psychologie, in: Gesammelte Werke. Hg. u. bearb. v. Jean Ecole, Abteilung II: Lateinische Schriften. Bd. 6, S. 66f. Die sinnliche Idee hingegen ist eine Ordnung der sinnlichen Präsentation nach bestimmten Schemen (wie z.B. Figur, Ort, Bewegung und Größe). Wenn diese Kriterien in sinnlichen Ideen unterschieden werden, ist nach Wolff von einer distinkten Sensation zu sprechen. Dann entsprechen die Sensationen auch Perzeptionen. Wenn diese Qualitäten nicht unterschieden werden können, dann ist die Sensation konfus. Wenn die Qualitäten z.T. erkannt und z.T. nicht erkannt werden, dann ist sie konfus und distinkt (also gemischt). Die Klarheit der sensuellen Idee hängt dagegen nicht von der Distinktheit sinnlicher Qualitäten ab, sondern von den Umständen und der Art ihrer Repräsentation, d.h. ihrer materialen Präsentation innerhalb der Sinnesorgane. Es ergeben sich somit graduelle Abstufungen der materiellen Präsentationen hinsichtlich ihrer Klarheit, d.h. nach dem Ausmaß und der Anzahl ihrer Teilrepräsentationen in den Sinnen, vgl. dazu ebd. S. 67f. und 100; sowie Krüger: Christian Wolff und die Ästhetik. Berlin 1980. 165 Peres: Cognitio sensitiva, S. 9. 166 Baumgarten: Ästhetik, § 429. Dass die Klarheit überhaupt als Vollkommenheitskriterium auch der sinnlichen und nicht nur der rationalen Erkenntnis fungieren konnte, ist wohl zunächst eine entscheidende Innovation der Wolff’schen Psychologie. Diese Innovation besteht in der Übertragung der cartesianischen Erkenntniskriterien (clare et distincte cognoscere bzw. pecipere) auf den sinnlichen Erkenntnisbereich. Innerhalb des Wolff’schen Modells sind dabei die Emp-
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In Meiers Gespenstertheorie finden sich Niederschläge dieser Akzentverschiebung. Die hier beschriebene Gespensterwahrnehmung nimmt ihren Ausgang von einer sinnlichen Wahrnehmung, die zur Bildung einer verworrenen, aber klaren und deshalb durchaus erkenntnisrelevanten Vorstellung führt. Fraglich scheint jedoch, welchen Status die ästhetische Erkenntnis innerhalb eines auf Wahrheit ausgerichteten wissenschaftlichen Systems hat. Genau auf dieses Problem geht der unmittelbar auf die Sempronius-Episode folgende Abschnitt der Theoretischen Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt weiter ein. Im Anschluss an diese Darstellung werden verworrene Vorstellungen als „dunkle Vorstellungen“ bezeichnet, die das „Chaos der Seele“ ausmachen. Sie können aber zugleich „lebhafte Vorstellungen“ werden, insofern sie sich aus vielen verworrenen Vorstellungen zusammensetzen. Klar sind diese Perzeptionen vor allem deshalb, weil sie „die Seele erschüttern“, indem sie einen Affekt erzeugen. Um diese Wirkung zu erzeugen, müssen die Vorstellungen keine Deutlichkeit beanspruchen. Auch Wahnvorstellungen, so fährt er fort, erzielen den gewünschten Effekt der Leidenschaftserregung. In Abgrenzung zu einem distinkten Wahrheitsideal betont Meier an dieser Stelle, dass Sempronius’ Vorstellung für diesen selbst gewiss und somit subjektiv wahr sei. Die verworrene und klare Erkenntnis bezeichnet er als subjektive (d.h. im Subjekt vorhandene) Wahrheit und somit als Bewusstsein von einer sinnlichen Gewissheit (die er zugleich als scheinbare Gewissheit kennzeichnet).167 Für die rhetorische und poetische Funktion168 der ästhetischen Erkenntnis ist die Frage nach ihrer möglichen Deutlichkeit zu vernachlässigen. Hier steht vor allem der Mechanismus der Affekterzeugung im Vordergrund. Denn Meier konstatiert eine Korrelation zwischen der Verworrenheit der Erkenntnis und der Intensität der Leidenschaft.169 Je verworrener eine ästhetische Erkenntnis, desto stärker ist der sie begleitende Affekt. Meier scheint an einer negativen Korrelation von Affekt und Erkenntnis nur insofern festzuhalten, als sie am Ideal der Deutlichkeit gemessen wird. Für diese haben Leidenschaften eine Erkenntnis hemmende Wirkung. Gleichzeitig lässt sich aus dieser Konstruktion der Nutzen der verworrenen Erkenntnisse für die poetische und rhetorische Affekterzeugung ableiten.170 findungen (sensationes) noch von den Wahrnehmungen (perceptiones) abzugrenzen, eine Differenz, die bei Meier wegfällt, weil zwischen den verschiedenen Stufen der Bewusstwerdung nicht mehr unterschieden wird. Vgl. dazu Sommer: Grundzüge der Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik, S. 65ff. 167 Meier: Gemüthsbewegungen, S. 58ff. Vgl. dazu auch Böhm: Das Schönheitsproblem bei G. F. Meier, S. 177–252. 168 Gemeint ist hiermit die auf Gattungen, auf Funktionen dieser Gattungen und ihren Zweckbestimmungen basierende Dichtungstheorie. 169 Uwe Möller: Rhetorische Überlieferung und Dichtungstheorie im frühen 18. Jahrhundert. Studien zu Gottsched, Breitinger und G. F. Meier. München 1983, S. 84. 170 Bender: Rhetorische Tradition und Ästhetik im 18. Jahrhundert, S. 482 zu Baumgarten, S. 489 zum Postulat der ‚claritas extensive major‘ als rhetorischer Verfahrensweise; Klaus Dockhorn: Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesge-
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In der rhetorischen Tradition hat der von Meier skizzierte ästhetische Erfahrungstyp einen zentralen Stellenwert. Die Beschreibung einer inkommensurablen Erfahrung, die sich sinnlich klar präsentiert, sowie seine physiologisch bis ins Detail erörterte Furchtreaktion weisen eine Analogie zur ästhetischen Kategorie des Erhabenen auf,171 mit der (wenn auch in modifizierter Form) die Divergenz von sinnlicher Gewissheit und mangelnder Deutlichkeit ausgedrückt wird.172 Die Grundmuster dieser Kategorie liegen mit Meiers Beschreibung der Gespenstererfahrung vor. Zu ihnen zählen die erwähnte Diskrepanz zwischen deutlicher und sinnlicher Gewissheit, der Verweis auf eine wahrgenommene Unendlichkeit (hier eine extensive Fülle) sowie das sie begleitende Gefühl der Furcht. Gegenüber den spätaufklärerischen Deutungen dieses Erfahrungstypus173 schließt sich Meier offenbar an eine Tradition des Erhabenen an, die auch Thomas Rosenmeyer skizziert hat. In seiner Arbeit zur Einbildungskraft konnte er zeigen, dass zwischen dem Akt der bloßen Vergegenwärtigung und der Konstruktion von wahrscheinlich oder definitiv Nicht-Existierendem in der poetischen und rhetorischen Tradition bereits vor der Romantik unterschieden wurde. Darauf wird noch einzugehen sein.174 Allerdings ordnet Meier die komplexe Gespensterwahrnehmung auch hier nicht der Phantasie, sondern dem Dichtungsvermögen zu und differenziert damit zwischen der bloßen Reproduktion (phantasia), der Kombination (perspicacia) und der Konstruktion (facultas fingendi). Die Gespensterwahrnehmung stellt sich bei ihm keinesfalls als produktiver Akt eines aktiven Dichtungsvermögens dar, das eine zweite, hinsichtlich der in ihr geltenden deutlichen Wahrheitskriterien autonome Welt erzeugen würde. Vielmehr ist sie Resultat einer Realitätsverkennung, bei der unterschiedliche Elemente kombiniert werden. Sie lässt sich aus den situativen Begleitumständen ebenso erklären wie die Nachtillusion. Neben dem Versuch, die Gespenstererfahrung durch ihre Einbettung in erkenntnistheoretische und ästhetische Kontexte der Zeit zu erhellen und sie aus ihren schichte, in: Josef Kopperschmidt (Hg.): Rhetorik. 2 Bde. Darmstadt 1991. Bd. 2: Wirkungsgeschichte der Rhetorik, S. 37–59. Mit Boileaus Übersetzung von Pseudo-Longin und dem ‚erhabenen Stil‘, mit dem „je ne sais quois“ als Kennzeichen des inkommensurablen erhabenen Werkes hat sich Meier auseinander gesetzt. Zur Rezeption der klassizistischen Kunstdoktrin vgl. Böhm: Das Schönheitsproblem bei Meier, S. 197f. 172 Zur ästhetischen Bildung zählt zugleich die Ausbildung der höheren Erkenntnisvermögen, vgl. Möller: Rhetorische Überlieferung und Dichtungstheorie, S. 86. 173 Bei Kant verweist die Erhabenheitserfahrung auf die menschlichen Erkenntnisschranken. Sie stellt eine bedingte Unendlichkeitsahnung dar. Bei Jean Paul wird sie wiederum als quasi-objektiver Erkenntnisgrund gedeutet. Heinrich Jakob Hoffmann: Die Lehre vom Erhabenen bei Kant und seinen Vorgängern. Diss. Halle 1913; Carsten Zelle: Nachwort, in: Carsten Zelle (Hg.): Carl Grosse: Über das Erhabene (1788). St. Ingbert 1990, S. 79–87; Christian Begemann: Erhabene Natur. Zur Übertragung des Begriffs des Erhabenen auf Gegenstände der äußeren Natur in den deutschen Kunsttheorien des 18. Jahrhunderts, in: DVjs 38 (1984), S. 74– 110; Carsten Zelle: „Angenehmes Grauen“. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im 18. Jahrhundert. Hamburg 1987 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 10). 174 Rosenmeyer: Φαντασια und Einbildungskraft, S. 229. 171
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psychologischen Entstehungsmechanismen zu begreifen, ist Meiers Schrift durch eine Tendenz zur Typisierung gekennzeichnet. Die Sempronius-Episode scheint für seine Affekttheorie vor allem deshalb relevant, weil sich an ihr sowohl eine komplexe Wahrnehmungstheorie als auch der Mechanismus der Illusionserzeugung verdeutlichen. Sie hat eine exemplarische Funktion, insofern sie zu einem Beispiel für die poetische Illusionsinduktion avanciert. Aufschlussreich für diese Deutung sind die zahlreichen Analogien zwischen der Sempronius-Episode und der theatralischen Illusionserzeugung. Die Verdunklung sowie die Fokussierung auf die personae dramatis (hier das Gespenst) zählen zu den Eigentümlichkeiten, die beide Situationen gleichermaßen charakterisieren. Sowohl die ästhetische als auch die theatralische Illusionsbildung basieren auf einer Fokussierung. Sie befördern die Illusionsbildung dadurch, dass sie störende, sekundäre Sinnesreize ausblenden, die Dichtungskraft bündeln wie auch der Assoziation freien Raum lassen. Wie gezeigt ist der Gespensterseher Sempronius ein Beispiel für eine autochthone Affektinduktion, das die Möglichkeit poetischer Illusionserzeugung impliziert.175 Obschon für Meier die Kopplung von ästhetischen und poetischen Illusionsvorgängen vorrangig und damit die Kunsttheorie am Prozess natürlicher Illusionsbildung orientiert bleibt,176 hat die Sempronius-Episode dennoch eine wichtige Bedeutung für die Illusionstheorie der späteren Ästhetiker. Obwohl die Gespenstererfahrung bei Meier primär als Beispiel ästhetischer Illusionserzeugung fungiert, zeichnet sich bereits hier eine Tendenz ab, nicht die Gespenstererfahrung als Illusion, sondern umgekehrt die Illusion (wie im ausgehenden 18. Jahrhundert) als Gespenstererfahrung zu benennen. In dieser Verwendung verliert das Wort ‚Gespenst‘ seine konkrete Bedeutung. Es wird zu einem ‚Nichts‘ bzw. zum Bild für poetische Illusionserzeugung, die um 1800 mit der weitestgehenden Ablösung von Mimesis-Postulaten koinzidiert.177 Die Transformation des oben beschriebenen Beispiels zur Metapher für einen Illusionsprozess ließe sich demnach auch vor dem Hintergrund einer weitestgehenden Autonomisierung der Literatur deuten und
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Fortsetzungen der bei Meier formulierten Tendenz, selbst induzierte Illusionsprozesse als Anschauungsfall einer poetischen Illusionserzeugung zu begreifen, lassen sich in der Diskussion der Spätaufklärung, so bei Schiller, nachweisen. Im Unterschied zum hier beschriebenen Sachverhalt zeichnet sich die spätaufklärerische Diskussion jedoch durch eine Akzentverschiebung aus. Im selbstreferentiellen Literatursystem des ausgehenden 18. Jahrhunderts wird der Geisterseher zu einem Motiv, mit dem Literatur auf ihre autopoetische Tendenz reflektiert. 176 Die sich hier ergebenden Überschneidungen mit den medizinischen Wissensbeständen und Forschungsinteressen reduzieren sich zunächst auf das gemeinsame Objekt Mensch. Dass der Mensch als psychologisch-physische Doppelnatur zu verstehen ist, wird von Meier vorausgesetzt. Überlegungen zu den möglichen Wirkmechanismen zwischen beiden Teilen der menschlichen Natur oder zur Kausalitätsproblematik finden sich an dieser Stelle nicht, so dass eher von einer Vernachlässigung des commercium zu sprechen wäre. 177 Zu Meiers Auseinandersetzung mit dem aristotelischen Mimesis-Modell, das Batteux vertrat, siehe Vollhardt: Die Grundregel des Geschmacks, S. 26–36 sowie Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik, S. 31.
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signalisierte dann deren Abkopplung von Wissensfeldern.178 Dass die Gespenstererfahrung in der Spätaufklärung im Zusammenhang mit der Kunstautonomie thematisch wird, lässt sich an Schillers Romanfragment Der Geisterseher ablesen. Schiller greift darin drei nicht autonome Formen der Illusionsbildung, den medialen und ästhetischen Betrug sowie die Projektion, auf. Auch vor diesem Hintergrund erhält das Konzept der Kunstautonomie seine Konturen.
5.12. Natürlicher und poetischer Nutzen der Gespensterfurcht Avanciert die Gespenstererfahrung in der Spätaufklärung zur Metapher für ein autonomes Literatursystem, spricht Meier den ästhetischen Affekten noch einen konkreten Nutzen zu. In der Theoretischen Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt verzichtet er bezeichnenderweise auf eine moralisierende Bewertung der Furcht. Er beschreibt sie vielmehr als sinnvollen Erregungszustand und legitimiert sie teleologisch, wie folgende Überlegungen erhellen. Mit seiner anthropomorphisierenden Deutung unterstellt der Gespensterseher dem Gespenst zunächst ein gezieltes Handlungskalkül. In seiner Imagination belebt er das Objekt, indem er dessen vermeintlich böse Absichten antizipiert und schließlich für eine sinnlich gewisse Tatsache hält. Die bloße Gespenster-Vorstellung wie auch der imaginierte Angriff des Gespenstes werden als Furchtauslöser beschrieben. Die Antizipation einer aggressiven Handlung steigert daneben Sempronius’ Aufmerksamkeit und führt zur Bündelung sinnlicher Erkenntnisvermögen. Die erhöhte Aufmerksamkeit ist für die ästhetische Illusionserzeugung wesentlich. Sie resultiert in der Ausblendung anderer äußerer Sinnesdaten und hat ein ästhetisch erwünschtes Missverhältnis von inneren und äußeren Empfindungen zur Folge. Die Furcht begleitet und steigert die Illusionserzeugung. Dass hier keine moralische Bewertung des Affekts erfolgt,179 hängt wohl auch mit dieser ästhetischen Perspektivierung des Illusionsproblems zusammen.180 Darüber hinaus hat die Furcht einen konkreten pragmatischen Nutzen, da sie zur Fokussierung auf eine mögliche Gefahr und über die Furchtreaktion zur Aktivierung von Fluchtreflexen führt. Aus dem mangelnden Deutlichkeitsgrad der Erkenntnis und der damit verbundenen physischen Reaktion ergeben sich Limitierungen für die ästhetische Empirie,181 wie Meier bereits in der Einleitung des Gespenstertraktats vermerkt: 178
Ulrich Hohner: Zur Problematik der Naturnachahmung in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Erlangen 1976 (Erlanger Studien 12). 179 Eine Auslassung, die sich möglicherweise auf den im Vorwort erklärten Verzicht auf eine moralische zugunsten einer theoretischen Betrachtung zurückführen lässt. Meier: Gemüthsbewegungen, S. 7. 180 Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung, passim. 181 Meier: Gemüthsbewegungen, S. 56.
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Ein Gespenst mag seyn was es will: so erfüllt es das Gemüth eines Menschen mit schrecklichen Empfindungen […]. Und was würde es auch einem Weltweisen helfen, wenn er ein Gespenst sähe? Er würde doch ohne allen Zweifel nicht vermögend seyn, in demselben Zustande eine richtige und genaue Erfahrung anzustellen.182
Der Affekt des Schrecklichen (Empfindung und Affekt werden zuweilen synonym gebraucht) sowie eine klare und undeutliche Empfindung, aus der keine „richtige Erfahrung“ resultiert, lassen sich jedoch als vorreflexive und vorrationale Handlungsanweisung mit durchaus nützlichem Zweck deuten. Die Fluchtreaktion stellt im Gesamtkontext einer unterstellten sinnvollen Einrichtung der Natur eine natürliche und gewünschte Reaktion dar, die unter dem Aspekt der Gefahrenvermeidung auch dann zweckmäßig wäre, wenn ihr konkreter Nutzen sich im Einzelfall nicht unmittelbar erschließen ließe. Aus dieser Konzeption wird ersichtlich, warum die Furcht ein nützlicher Affekt und warum die Kopplung von Affekt und undeutlichem sinnlichen Erkenntnismodus sinnvoll ist. Meier betont wie Locke, dass die „Furcht uns als Mahner gegeben worden, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken und uns vor drohendem Übel auf der Hut sein zu lassen“.183 Obschon er dem Vergnügen einen höheren Stellenwert beimisst und ihn zum eigentlichen Ziel des glücklichen Lebens erhebt, verzichtet Meier auf eine grundsätzliche Kritik am Affekt der Furcht. An anderer Stelle befasst sich Meier ausführlicher mit der Rolle der Affekte bei der Ausbildung der menschlichen Glückseligkeit. Dabei gilt ihm die Regulierung bzw. Verbesserung der Affekte als zentrales Anliegen der Individualethik und menschlichen Glückseligkeit. Wenn es in Meiers Morallehre um die Erlangung von Furchtlosigkeit geht, dann ist das Mittel, dieses Ziel zu erreichen, zudem nicht primär die rationale Logik, sondern die Verbesserungsästhetik, d.h. die Verbesserung der sinnlichen Erkenntnisweise. Von einer ausschließlich negativen Bewertung der Furcht kann auch hier nicht gesprochen werden. Die natürliche Deutung der Illusions- und Affektvorgänge bleibt die gemeinsame Basis, auf die Ästhetik und Ethik zurückgreifen.
5.13. Worterklärungen und „Hypothesen“: Ästhetisches Philosophieren Im ersten Abschnitt geht es Meier ferner um die Wahrscheinlichkeit der vorgestellten Meinung: „Unterdessen“ – heißt es dazu – „kann man doch verschiedene Gründe anführen, wodurch dieselbe [die dargestellte Meinung – Y. W.] wahrscheinlich wird: 1) Weil der Fehler des Erschleichens so sehr gewöhnlich, so schwer zu vermeiden ist, und die allerseltsamsten Vorstellungen zu erzeugen im
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 7. Locke: Gedanken über Erziehung, S. 137.
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Stande ist.“184 Wahrscheinlich wird sie dadurch, dass sie sich grundsätzlich auf die meisten Menschen anwenden lässt. Die breite Anwendbarkeit lässt sich mit der von Meier konstatierten allgemeinen Fehlerhaftigkeit der unteren Erkenntnisvermögen begründen. Sie wird als demoskopisch relevanter Faktor angesehen, der angeblich dazu beiträgt, dass „die allerverständigsten Leute öfters sich, vor dem Fehler des Erschleichens nicht in acht nehmen können“.185 Als weiteren Beleg für die hohe Wahrscheinlichkeit der Meinung führt er Erfahrungsberichte an, die Elemente wie Nacht, Einsamkeit und Dunkelheit enthalten. Für eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht ferner die nachweisbare Koinzidenz von Aberglauben und der hohen Anzahl von Gespensterberichten. Sie wird mit dem Verbreitungsgrad falscher Erziehungsbegriffe in „abergläubischen Zeiten“ begründet.186 Die Häufigkeit der Historien zu abergläubischen Zeiten wertet Meier als Indiz dafür, dass sich diejenigen, „die Gespenster sehen und hören, […] vor dem Fehler des Erschleichens nicht in acht nehmen können.“187 Wenn Meier von Wahrscheinlichkeit der Erklärung spricht,188 scheint es ihm nicht um die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses zu tun zu sein. Theoretisch könnte die Gespenstererfahrung mit einer bestimmten Häufigkeit eintreten und grundsätzlich quantitativ zu erfassen sein. Somit ließe sich die Verkennungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der individuellen Disposition und von Umweltfaktoren (d.h. den situationsspezifischen Begleitumständen wie Dunkelheit, Einsamkeit) ermessen. Zwar nennt Meier einen approximativen Zahlenwert von 99 (berechnet auf 100),189 um diese Möglichkeit zu quantifizieren. Der (geschätzte) Wert ergibt sich jedoch nicht aus der Eintrittswahrscheinlichkeit im konkreten Fall, sondern aus der ungefähren Anzahl von Berichten, die Elemente wie Nacht und Dunkelheit aufweisen und sich deshalb eignen, die Gespensterwahrnehmung aus dem Fehler des Erschleichens zu erklären. Mit den Worten „verbreitet“ und „gewöhnlich“ klingt hier ein topischer Wahrscheinlichkeitsbegriff an. Eine Besonderheit von Meiers Argumentation ist die scheinbare Interdependenz von Erfahrungsbericht und Erklärung. Einerseits wird die Erklärung auf einen Einzelfall angewandt bzw. aus ihm entwickelt. Andererseits wird die Wahrschein184 185 186 187
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 11. Ebd., S. 9. Ebd., S. 13. Ebd., S. 13. Als letztes führt Meier noch ein zivilisationsgeschichtliches Argument an. Er konstatiert nämlich einen Zusammenhang zwischen dem zivilisatorischen, technischen Entwicklungsstand einer Nation bzw. eines Staates und der Erscheinungshäufigkeit der Gespenster. So lässt sich eine negative Korrelation von Zivilisationsgrad (mangelhafter nächtlicher Beleuchtung) und der Häufigkeit der Gespenstererscheinungen verzeichnen. 188 Gemeint ist hier also nicht die poetische Wahrscheinlichkeit oder die Wahrscheinlichkeit möglicher Welten, sondern ein empirischer Wahrscheinlichkeitsbegriff. Zum modalen Wahrscheinlichkeitsbegriff auch in Bezug auf Fontenelle bei Meier siehe Sommer: Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik, S. 39. 189 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 12.
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lichkeit der Erklärung wiederum an der Verbreitung von Einzelfällen, d.h. jenen Erfahrungsberichten abgelesen, die Parallelen zum gewählten Anschauungsfall aufweisen.190 Dient der erste Schritt der Entwicklung einer Hypothese, wird die Hypothese im zweiten durch bestimmte Erfahrungsberichte wiederum bestätigt. Zeitgenossen haben darin ein Vorgehen gesehen, das einem Zirkelschluss nahezu gleichkäme. Ein Kritiker, dessen Name sich nicht ermitteln ließ, der aber dem Umfeld des Braunschweiger Kollegs entstammt und offenkundig Andreas Fabricius nahe steht, greift in seiner Schrift Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern Meiers Methode an. Er beanstandet, ähnlich wie Sucro, das Fehlen einer Namenserklärung. In Meiers Verzicht auf eine Definition („mögen die Gespenstern seyn, was sie wollen“) sieht er jedenfalls ein Problem für das gesamte Anliegen der Abhandlung: Ich habe bis p. 8 gelesen, ehe ich etwas zur Sache dienliches fand, aber auf dieser Seite stutzte ich, als ich laß, der Herr Verfasser wolle von einer Sache philosophiren, von der er nicht einmal eine Erklärung zu geben im Stande sey. Dabey fiel mir ein guter Freund ein, der zu seinem Stubengesellen sagte: Bruder ich habe eine Predigt gemacht, gieb mir nun auch den Text dazu. Was in einer Predigt der Text ist, das ist in einer Philosophischen Abhandlung die Erklärung, und es wäre sehr gut gewesen, wenn der gelehrte Herr Verfasser nicht eher sich von den Gespenstern zu philosophiren eingelassen hätte, bis er uns davon eine Erklärung, wenigstens eine Worterklärung gegeben hätte, denn eine Sacherklärung kann hier erstlich gegeben werden, wenn die Wirklichkeit der Sache ausgemacht, oder eine Hypothese davon wahrscheinlich ist.191
Die Namenserklärung stelle einen für die Klärung der Existenz notwendigen Ausgangspunkt jeder gründlichen philosophischen Untersuchung dar: Die Aristotelischen Weltweisen erfordern, ehe sie demonstriren können, was etwas sey? daß man erstlich Gewißheit habe, ob etwas sei? […] Doch forderten sie auch vor der Untersuchung, ob etwas wirklich sey? eine richtige Worterklärung, was man darunter verstehe, dessen Wirklichkeit man untersuchen wolle, damit dessen Begriff richtig und deutlich bestimmt würde.192
Unabhängig von dem Streit um eingeborene Begriffe und sensualistische Erkenntnislehren scheinen Meier und sein Kontrahent hinsichtlich ihrer Anforderungen an die philosophische Methode zu differieren. Da für Meier „Gespenster“ Synonyme für einen nicht-distinkten Repräsentationsmodus sind, an den sich andere Vorstellungen anlagern können, scheint ihm auch die Worterklärung vorab unmöglich. Nach Meier lassen sich lediglich Meinungen, d.h. bestimmte Auffassungen davon anführen, was der an sich nicht-distinkte Repräsentationsmodus sachlich beinhalten 190
Markus Völkel: ‚Pyrrhonismus historicus‘ und ‚fides historica‘. Die Entwicklung der deutschen historischen Methodologie unter dem Gesichtspunkt der historischen Skepsis. Frankfurt a.M. / Bern / New York 1987 (Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 313)., S. 205f., vermerkt zwischen 1730 und 1750 eine zunehmende Festigung des erkenntnistheoretischen Status’ der historischen Wahrscheinlichkeit. Meiers Methode wäre hier kennzeichnend für eine Integration der Skepsis in die historische Methode. 191 [Anonym]: Gedanken über zwo Schriften von Gespenstern, S.52. 192 Ebd., S. 46.
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könnte. Dass die Gespenstererklärung das Kriterium einer „ausgemachten“ Erfahrung per se nicht erfüllen kann, liegt in der Sache begründet und stellt einen problematischen Sonderfall der empirischen Erkenntnisweise dar. Das zum Einsatz kommende Verfahren des Meinungsabgleichs basiert hier ebenfalls auf diesen Überlegungen. Aus ihm leitet sich Meiers Begriff des ästhetischen Philosophierens ab, das sich von dem abstrakt-begrifflichen schon dadurch unterscheidet, dass es auf vorrangige Definitionen verzichtet. Meiers Nennung des Wortes „Hypothese“ hat seinen Gegner dazu bewogen, in der astronomischen Methode ein Vorbild für die Form des ästhetischen Philosophierens zu vermuten, um sie dann von jenem abzugrenzen. Hernach kam es mir sehr bedenklich für, daß der Herr Verfasser uns Meynungen stat der versprochenen Hypothesen darleget, ohne die geringste Erfahrung oder ein einiges ausgemachtes Phaenomenon voran zu setzen, da es vernünftiger Weise nicht möglich ist, von einer Sache zu philosophiren und Hypothesen zu formuliren, wo man nicht gewisse Erfahrungen und Phaenomena voraus setzet und feste stellet. […] Wenn die Astronomi die hypothesin Copernicanam vortragen, so setzen sie erstlich ausgemachte Erfahrungen und Phaenomena, hernach halten sie die verschiedenen Meynungen dagegen, und versuchen, ob sie alle Phaenomena aus einer oder andern begreiflich erklären können. Wenn sie dann finden, daß die Copernicanische dergestalt beschaffen ist, so machen sie folgenden Schluß: Aus welcher Hypothesi sich alle Phaenomena verständlich erklären lassen, dieselbige ist den andern Meynungen die alsdann nur Meinungen bleiben und keine Hypotheses werden können, vorzuziehen und als wahr anzunehmen: Nun aber ist die Copernicanische also beschaffen: Folglich ist sie als wahr anzunehmen. Dabey hüten sie sich sorgfältig, kein erdichtetes Phaenomenon anzunehmen, sondern lauter ausgemachte Erfahrungen zum Grunde zu legen, welche auch ihre Gegner als unstreitig einräumen, auf solche Weise philosophiren sie gründlich und ordentlich.193
Das Anschauungsbeispiel macht eine weitere Differenz zwischen beiden Autoren deutlich, welche die Unterscheidung von Erklärung und Hypothese betrifft. Während eine „Meinung“ Meiers Kontrahent zufolge nur eine mögliche Einordnung einer Erfahrung in ein kohärentes Bezugssystem ist (Sonnenumrundung der Erde), stellt die „Hypothese“ demgegenüber eine „Meinung“ dar, die es erlaubt, alle sinnlichen Erkenntnisse zu erklären. Demgegenüber spricht Meier von Meinung als opinio. Er bezeichnet damit auch die Einordnung einer Erfahrung in ein Bezugssystem, aber nicht in eines, das von ihr unabhängig ist, sondern in ein solches, das bereits in die Deutung der Erfahrung eingeht. Darüber hinaus legt er einen Wahrscheinlichkeitsbegriff zugrunde, der mehrere Meinungen als gleichberechtigt nebeneinander gelten zu lassen erlaubt. Meier lehnt sich mit dem Wort „Hypothese“ in der Tat also an den Bildbereich der Astronomie und New Science an. Er tut dies jedoch nicht in der vom Kontrahenten behaupteten Weise, was sich aus einem weiteren Unterschied ablesen lässt. Meier nimmt hier nämlich nicht auf Kopernikus Bezug, sondern auf das Beispiel des Kometen, das er mit Gespenstern in Bezug auf die dem Gegenstand eigenen Überlieferungsformen analogisiert. Wie „Gespenster“ fanden sich Berichte über 193
Ebd., S. 53.
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„Kometen“ in zahlreichen Kuriositäten- und Raritätensammlungen. Die Erwähnung hatte einen aktuellen Anlass. Euler hatte 1744 eine Schrift über den Kometenschweif publiziert.194 Diese Sammlungen sind jene Quellentexte, aus denen sich Meiers Überprüfungsverfahren speist. Sie enthalten subjektive Erfahrungen (also divers gedeutete Empfindungen) und nicht etwa „ausgemachte“ Empfindungen, wie sie der Kontrahent anführt. Erst eine hohe Anzahl von Erfahrungsberichten ermöglicht es, wahrscheinliche Erklärungen zu finden. Meiers methodisches Vorgehen ist also nicht empirisch im modernen Sinn, sondern am Ideal des Sammelns und der Mannigfaltigkeit orientiert. Es weist damit konzeptionelle Bezüge zur ästhetischen Vollkommenheit auf. Wie die ästhetische Erfahrung erzeugt das Verfahren Mannigfaltigkeit und genügt zugleich dem Kriterium der extensiven Klarheit. Durch den Abgleich einzelner Meinungen mit Erklärungen will Meier somit keine deutlichen Erkenntnisse, sondern Klarheit generieren, d.h. verschiedene Aspekte einer weitestgehend unbekannten Sache einbeziehen. Anders gesprochen, versucht er damit seinen Gegenstand durch den Einschluss verschiedener Einzelerfahrungen, also über dessen Extension zu bestimmen, d.h. von einem Wortbefund ausgehend (und unter Umgehung der Namensbestimmung) zu einer Sachbestimmung zu gelangen. Dieses Verfahren kann man am ehesten als ästhetisches Philosophieren bezeichnen.
5.14. Meiers Gespensterkritik im Kontext des „Kleinen Dichterkriegs“ (1746–1749) Poetologische Akzente erfährt der Gespensterstreit vor allem in Meiers Auseinandersetzung mit Johann Christoph Gottsched. Sie fand im Rahmen des so genannten „Kleinen Dichterkriegs“ statt,195 der um 1740 zwischen den Universitätszentren Halle und Leipzig ausgetragen wurde. Auslöser der gut dokumentierten ästhetischen Kontroverse196 waren Alexander Baumgartens Meditationes philosophicae sowie die Philosophischen Brieffe, die vom Gottschedianer Johann Quistorp im 5. Stück des 1. Bandes des Neuen Büchersaals der schönen Wissenschaften und 194
Euler: Physicalische Untersuchung über die Ursach und den Schweif des Cometen, des Nordlichts und des zodicalischen Scheins zitiert nach: [Anonym]: Histoire de l’Academie Royale des Sciences et Belles Lettres (1746), in: Christian Ernst von Windheim (Hg.): Philosophische Bibliothek worinnen Nachrichten von den neusten Schriften der heutigen Weltreisen und anderen Umständen derselben, wie auch kurze Untersuchungen mitgetheilet werden. 1. Bd. 1. Stück Hannover 1749, S. 93–101, hier S. 95. 195 Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 90–109. 196 Vgl. dazu die nun vorliegende, ausgesprochen hilfreiche Quellensammlung: Georg Friedrich Meier: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der deutschen in drei Teilen. Teil 2. Der „kleine Dichterkrieg“ zwischen Halle und Leipzig. Mit Textkommentaren, Zeittafeln und einem Nachwort hg. v. Hans-Joachim Kertscher und Günter Schenk. Halle 2000 (Texte & Dokumente).
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freyen Künste kritisch rezensiert wurden. Bereits 1746 publizierte Meier eine Vertheidiung der Erklärung eines Gedichts, die auf besagte Rezension reagierte und eine Apologie der Baumgartenschen Poesiedefinition enthielt.197 Darin behandelte er unter anderem die Frage nach den Gegenständen der Poesie. Während Gottsched die Darstellung von Geistern als „tiefsinnige Metaphysik“ monierte198 und dabei insbesondere Miltons von Bodmer übersetztes Epos Paradise lost vor Augen hatte,199 setzt Meier zur partiellen Rechtfertigung dieser Schrift an, indem er den poetischen Gegenstandsbereich erweitert. Als potentiell poetische Gegenstände versteht er insgesamt solche, die Resultate sinnlicher Erkenntnisprozesse sind und daher, in wahrnehmungsästhetischem Sinn, entweder schön oder auf formal schöne Weise dargestellt werden. Diese Neubewertung zeichnet sich bereits in seiner Beurtheilung der Gottschedschen Dichtkunst ab, die 1747 erschien. In dem Kapitel, das sich mit der poetischen Wahrscheinlichkeit befasst, geht Meier ausführlich auf Gottscheds poetischen Wahrscheinlichkeitsbegriff ein.200 Diese Auseinandersetzung kann hier nur kursorisch skizziert werden. Wesentlich ist vor allem Meiers Kritik an Gottscheds Wahrscheinlichkeitsdefinition. Sie scheint ihm deshalb problematisch, weil sie sich in Anlehnung an Aristoteles auf die Nachahmung einer Fabel (oder die von wirklichen Gegenständen im Gottschedschen Sinn) beschränke und daher von einem limitierten Nachahmungsbegriff ausgehe. Meier erweitert den Nachahmungsbegriff zunächst um allgemeine physikalische und metaphysische Wahrheiten und lehnt die Poesie damit stärker didaktischen Gattungen wie dem Lehrgedicht an:
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Meier: Vertheidigung der Baumgartschen Erklärung des Gedichts, in: Frühe Schriften. Teil 2, S. 35f. 198 Johann Christoph Gottsched: Replik auf Meiers Vertheidigung der Baumgartschen Erklärung eines Gedichtes, in: Frühe Schriften, S. 54. 199 In einer polemischen Zuspitzung abzulesen an Wielands Ankündigung einer Dunciade für die Teutschen, zitiert nach Johann Gottfried Gruber: Wielands Leben. Hamburg 1984, S. 205: „Wie wenig es Herrn Gottsched koste [...], Streiche von dieser Art zu machen, davon hat er in einem vor zwei Jahren herausgekommenen Werckchen unter dem Titel: Briefe, nebst andern poetischen und prosaischen Stücken, eine neue und unerhört unverschämte Probe gegeben. Diese Schrift, welche einen verdienstvollen schwäbischen Freiherrn zum Urheber hat, wurde ohne Bekanntmachung eines Namens in Leipzig gedruckt. Herr Gottsched war damals Censor. Er fand bei Durchgehung des Manuskripts in einem Briefe über die Neigung zum Wunderbaren eine Stelle, welche er mit geringer Mühe so verändern zu können glaubte, daß sie anstatt eines Lobes der Messiade und des Noah, wie die Urschrift wolle, den verächtlichsten Tadel derselben enthalten würde. Das Manuskript des Verfassers hatte folgende Stelle: Fragen Sie einmal Ihren Buchhändler, was für Bücher am meisten abgehen? Er wird Ihnen gewiß zwanzig Hexenhistorien, Robinsons, Geistergeschichten und dergleichen Starteken statt einer einzigen Ausgabe des Messias oder Noah, nennen. Herr Gottsched, welcher die Schrift zur Censur bekam, fand für gut, mit einer kleinen Versetzung der Worte diese Stelle zu verfälschen, und dem Freiherrn von G(emmingen) die Ehre anzuthun, ihn zu einem Duns umzuschaffen. Er setzte, wie man in besagter Schrift lesen kann. Er wird Ihnen gewiß zwanzig Hexenhistorien, Robinsons, Geistergeschichten des Messias oder Noah, und dergleichen Starteken, statt einer einzigen Ausgabe alter Schriftsteller nennen.“ 200 Meier: Beurtheilung der Gottschedschen Dichtkunst. Halle 1747, S. 137f.
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Allein da ein Dichter ofte allgemeine abstrackte Wahrheiten vorträgt, wie aus allen Lehrgedichten erhellet, so besteht die poetische Wahrscheinlichkeit derselben in etwas gantz andern, als in der Aehnlichkeit mit demienigen, was würcklich geschieht. Folglich hat der Herr Professor die allgemeinen Quellen der poetischen Wahrscheinlichkeit, und das Wesen samt der Natur derselben überhaupt, gar nicht entdeckt. Meines Erachtens kan man in dieser Sache nicht gründlicher und gewisser verfahren, als wenn man der Metaphysik folgt. Die metaphysischen Begriffe haben eine allgemeine Wahrheit, und müssen in allen andern Wissenschaften zum Grunde gelegt werden. Nun wird in der Metaphysick bewiesen, daß eine Sache wahr sey, wenn sie mit den allgemeinen Grundsätzen der menschlichen Erkenntniß übereinstimt, oder wenn sie möglich ist und einen hinreichenden Grund hat. Die poetische Wahrheit besteht also, in der Uebereinstimmung einer Sache mit diesen Grundätzen, in so fern dieselbe sinnlich schön oder poetische erkant werden kann. Oder ein Gedancke ist poetisch wahr, in so ferne wir durch die untern Kräfte unserer Seele nichts widersprechendes und ungegründetes in demselben gewahr werden.201
Während nach Meier als Wahrheitskriterien Widerspruchslosigkeit und der hinreichende Grund gelten, bestehe die besondere Aufgabe der Poesie nicht nur in der sinnlichen Darstellung dieser Wahrheiten – zum Beispiel in Form eines Gleichnisses –, sondern in ihrem Abgleich mit bzw. ihrer Überprüfung durch die Erfahrung. In dieser Wendung liegt nun ein genuin empirisch-ästhetisches Moment seines Dichtungsbegriffes.202 Denn erstens kann die Poesie demnach grundsätzlich jeden Gegenstand behandeln, der sich den unteren Erkenntniskräften präsentiert, wenn er nur schön ist oder auf schöne Weise dargestellt wird. In Ergänzung dazu ermittelt zweitens die empirische Ästhetik,203 die sich auch mit Gespenstern befasst, welche Wahrscheinlichkeit dem dargestellten poetischen Gegenstand außerhalb der Poesie zukommt. Mit diesem auf sinnliche Gegenstände erweiterten empirischen Literaturbegriff löst sich Meier auf der einen Seite von einer primär gattungstheoretischen Bestimmung ab; auf der anderen plädiert er für eine Erweiterung des poetischen Gegenstandsbereiches, wie sich am Beispiel der Lehrprosa, zu der schließlich auch der Gespenstertraktat zählt, erkennen lässt. Im Streit um die Gegenstände der Literatur nimmt er somit eine Stellung ein, die zwischen der ‚idealistischen‘ Wesensbestimmung der Poesie durch Breitinger und Bodmer und dem so genannten ‚aristotelischen‘ Realismus Gottscheds anzusiedeln ist. Diese Tendenz lässt sich auch an Meiers Beurteilung von Klopstocks Messias ablesen, mit der er nochmals auf die Diskussion der frühen 1740er Jahre zurückgreift. Darin beanstandet Meier nicht so sehr die Darstellung des Teufels oder von Geistern überhaupt, sondern den Umstand, dass Figurenkonzeptionen in Widerspruch zu theologischen Lehren der Wiederbringung stehen.204 Damit richtet er sich nicht grundsätzlich gegen eine literarische Darstellung von Gespenstern, sondern nur gegen eine spezifische Adaptation. 201 202 203 204
Ebd., S. 136f. Ebd., S. 138. Ebd., S. 139. Meier: Beurtheilung des Heldengedichts der Messias, S. 98.
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Die ästhetische Lehrprosa zählt hingegen zu jenen von Meier bevorzugten literarischen Gattungen, die zur Präzisierung von Erfahrungsbegriffen beisteuern können. Indem sie sinnliche Erfahrungen mit allgemeinen Wahrheiten abgleicht, trägt Literatur ferner zur Stabilisierung wahrscheinlicher Wissensbestände bei. Dieser erweiterte Literaturbegriff ließ sich aus Meiers Wahrnehmungskonzept und der damit aufs engste verbundenen Wissenspraktik des ästhetischen Philosophierens ableiten (siehe die vorangehenden Abschnitte). Neben den ästhetischen Schriften greift auch der Gespenstertraktat die Gottsched-Kritik auf. Hinter Meiers Verunglimpfung von Gespensterleugnern verbirgt sich höchstwahrscheinlich ein gezielter Angriff auf Ersteren. Für die Figur des gespensterkritischen Pedanten, den Meier in der Einleitung seiner Schrift porträtiert,205 könnte jedenfalls der Leipziger Pate gestanden haben. Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden liegen auf der Hand. Sie bestehen in der Vehemenz, mit der sie die Darstellungen von Geistern, Engeln und dem Wunderbaren als gefährlich ausgewiesen haben. Meier entlarvt dieses Verdikt letztlich als psychologisch motiviert. Demnach stellt die Leugnung der Gespenster keine ernstzunehmende intellektuelle Position dar, sondern ist ein Zeichen allzu großer Ängstlichkeit und Furcht. Wie Theodor Verweyen in seiner Studie zur Halleschen Literaturpolitik gezeigt hat, sind die innerliterarischen Debatten um 1750 ferner von der Frontstellung zwischen Aufklärern und Pietisten überlagert, obschon ihre Hauptvertreter, Meier und Lange, als diplomatische Vermittler auftraten. Der Streit um die Anakreontik ließe sich demnach als gezieltes Literaturprogramm deuten, das an einer Glückseligkeits- und Geselligkeitsdoktrin orientiert war und sich in diesem Sinn als Gegenmodell zum pietistischen Trauergebot verstand.206 Während die Anakreontik positive Affekte darstellt, tritt in Meiers Theoretischer Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt auch die Nützlichkeit negativer Affekte in den Vordergrund. Nicht nur die geselligen eudämonistischen Affekte werden durch die Poesie befördert bzw. reguliert, sondern auch der Affekt der Furcht, der auf natürliche Weise mit der Illusionserzeugung verbunden ist. Diese Umakzentuierung wirft ein Licht auf die von den Aufklärern im Kampf gegen pietistische Praktiken erprobten Strategien. Der Antagonismus betrifft die Bewertung und vermeintliche Nützlichkeit einzelner Affekte (z.B. Eudämonie versus Trauer). Er betrifft ferner die Funktion rein ästhetischer versus religionspraktisch ausgerichteter Affektbeeinflussung. Die Ästhetisierung der Furcht koinzidiert in auffälliger Weise mit Meiers Beobachtung, dass die von Aufklärern bekämpften Gruppierungen, also die Pietisten, angeblich eine Poetisierung und Ver-
205 206
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 5. Siehe dazu auch Meiers Hinweis, in Fragen der Glückseligkeit eine epikureische Position einzunehmen. Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern, S. 5, Verweyen: „Halle, die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik“, passim.
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sinnlichung der Religion vorantrieben. Die Pietisten – so jedenfalls behaupten es ihre Gegner – operierten mit Gleichnisreden und bedienten sich einer allgemeinen metaphorischen und antirationalistischen Rhetorik bei der Missionierung.207 Auch Meiers Konzept geselliger Lebensführung bedient sich einer Theorie der Sinnlichkeit, die an die Stelle der Verstandeslogik eine Verbesserungsästhetik setzt und damit zugleich die herausragende Rolle der Literatur und Kunst im Kampf gegen die Pietisten zu begründen versucht.208 Diese strategischen Überlegungen werden gleichermaßen in der von ihm herausgegebenen Moralischen Wochenschrift Der Gesellige aufgegriffen.
5.15. Das Gespenstersehen in Moralischen Wochenschriften Literarisierte Formen von Gespensterberichten finden sich seit Beginn der 1720er Jahre in zahlreichen moralischen Wochenzeitschriften der Frühaufklärung, zunächst in den Monathsgesprächen von Christian Thomasius und später auch in Gottscheds Biedermann.209 Nicht nur die Literarizität dieser Berichte und das Spiel 207 208
Meier: Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern, S. 14. Bereits die sozialwissenschaftliche Aufklärungsforschung der 1970er Jahre hat auf die Bedeutung der Literatur im ‚Kulturkampf‘ mit dem Pietismus hingewiesen. Horst Albert Glaser (Hg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 4: Zwischen Absolutismus und Aufklärung. Hamburg 1980, S. 106–108; Rolf Grimminger (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 3. München 1980, S. 564–568; Michael Böhler: Soziale Rolle und ästhetische Vermittlung. Studien zur Literatursoziologie von A. G. Baumgarten bis F. Schiller. Bern / Frankfurt a.M. 1975, S. 115–116; Gerhard Schmalenberg: Pietismus – Schule – Religionsunterricht. Die christliche Unterweisung im Spiegel der vom Pietismus bestimmten Schulordnungen des 18. Jahrhunderts. Bern / Frankfurt a.M. 1974. Siehe dazu auch die früheren Schriften von Verweyen: Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko? Zur ästhetik-theoretischen Grundlegung und funktionsgeschichtlichen Rechtfertigung der deutschen Anakreontik, in: Germanisch-romanische Monatsschrift 25 (1975), S. 276–306. Angeregt wurde Verweyen von Konrad Baer: Der junge Gleim und die Hallesche Schule. Erlangen 1924; zu pragmatischen Aspekten der Aufklärung siehe auch Werner Schneiders: Emanzipation als moralisches Problem. Zur Beantwortung der Frage: wie ist Aufklärung praktisch möglich? In: Rechtstheorie 9.2 (1978), S. 201–216; Wolfram Mauser: Horaz in Halle. Johann Peter als Anwalt bürgerlichen Lebensstils, in: ders (Hg.): Konzepte aufgeklärter Lebensführung. Literarische Kultur im frühneuzeitlichen Deutschenland. Würzburg 2000, S. 124– 136; ders.: Anakreon als Therapie? Zur medizinisch-diätetischen Begründung der Rokokodichtung, in: ders (Hg.): Konzepte aufgeklärter Lebensführung, S. 301–329; Carsten Zelle: „Logik der Phantasie“ – Der Beitrag von Immanuel Jacob Pyra zur Dichtungstheorie der Frühaufklärung, in: Verweyen: Dichtungstheorie der Frühaufklärung, S. 55–72. Zum Literaturkampf der Pietisten weiterhin Carl Hinrichs: Der Hallesche Pietismus als politisch-soziale Reformbewegung des 18. Jahrhunderts, in: Jb. f. Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 2 (1953), S. 177–189; Rolf Dannenbaum: Joachim Lange als Wortführer des Halleschen Pietismus gegen die Orthodoxie. Diss (masch.), Göttingen 1951; Wolfgang Schmitt: Die pietistische Kritik der ‚Künste‘. Untersuchungen über die Entstehung einer neuen Kunstauffassung im 18. Jahrhundert. Diss. Köln 1958. 209 Dergleichen Beschreibungen finden sich u.a. im Patriot, im 14. Stück sowie im Spectator, vgl. Gottsched: Der Zuschauer, 159. Stück, 2. Teil. Leipzig 1740, sowie in Gottsched: Der Bieder-
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mit literarischen Formen stechen dabei ins Auge, sondern Zeitgenossen benutzen auch das Genre zu Bilanzierungen der Gespensterlehre, wie ein Blick auf den vom Göttinger Philosophen Samuel Christian Hollmann herausgegebenen Zerstreuer verdeutlicht. Darin konstatiert Hollmann einen Zusammenhang zwischen der Dämonenkritik und der Verbreitung des Gespensterglaubens210 und kommt zu der überraschenden Einschätzung, dass sie den Gespensterglauben nicht beseitigt, sondern geradezu befördert habe. Es sind vor allem drei ideengeschichtlich signifikante Akzentverschiebungen, die er ausführlicher beschreibt: (1) die Umdeutung der Geisterkommunikation als Zustand einer ekstatischen Selbsterhöhung bzw. als Öffnung eines sensus communis für Religionswahrheiten, (2) die so genannte ‚Ästhetisierung‘ der Gespenstererscheinung und schließlich (3) den Umstand, dass Geister angeblich Schätze anzeigen könnten.211 Alle drei Tendenzen indizieren insgesamt einen Umbruch im Wissenshaushalt der Zeit, der sich einschlägig an der Verbreitung von neuen kulturellen Deutungsmustern ablesen lässt und sich im Medium der Moralischen Wochenschriften vollzieht. Jedenfalls kommt dieser Gattung grundsätzlich eine Funktion bei der Vermittlung empirischer Wissensbestände und der Verbreitung der angelsächsischen moral-sense-Philosophie zu. Hier verbinden sich Theoriemodelle zu einer Melange und tragen damit zur breitenwirksamen Reorganisation des Gespensterwissens bei.212 Zwar bildet sich die in Moralischen Wochenschriften greifbare ästhetische Überformung keineswegs einheitlich aus, sondern vollzieht sich unter disparaten Vorzeichen. Insgesamt konzentrieren sich Beiträger ab 1750 aber auf den möglichen Nutzen angeblicher Gespenster-Erfahrungen für die diesseitige Welt. Sie befassen sich ferner mit der Funktion, die vermeintliche Gespenster-Erfahrungen bei der Etablierung einer auf die Welt ausgerichteten Moralität haben könnte; z.B. mann. 2. Teil. Leipzig 1729, 77. Blatt. S. 105–108; vgl. auch Martens: Die Botschaft der Tugend, S. 33–42. 210 Vgl. [Anonym]: Von neuen Geister=Erscheinungen, in: Der Zerstreuer. Hg. v. Christian Hallmann. 14. Stück. 8. April, Göttingen 1737, S. 105–111, hier S. 105. 211 Ebd. und 15. Stück, 15. April, [Anonym]: Gedancken über die letzt gedachte Geisterhistorie, S. 113–120. Möglicherweise lässt sich diese Tendenz ebenfalls im Blick auf die neue Konsumkultur des 18. Jahrhunderts erläutern vgl. Iwan Rhys Morus: Current from the underworld: Electricity and the Technology of Display in Early Victorian England, in: Isis 84 (1993), S. 50– 69; Simon Schaffer: The Consuming Flame: Electrical Showmen and Tory Mystics in the World of Goods, in: Consumption and the World of Goods. Hg. v. Roy Porter. London 1993, S. 489–526; Neil McKendrick / John Brewer / John Harold Plumb (Hg.): The Birth of Consumer Society: The Commercialisation of Eighteenth Century England. Bloomington / Indiana 1982. 212 Dabei findet ein semantischer Umbau statt, der mitunter auf die Doppeldeutigkeit der englischen Vorlage, also des Begriffs spirits, zurückzuführen ist. Autoren Moralischer Wochenschriften, die auf englischsprachige Vorlagen zurückgreifen, bieten oft uneinheitliche Übersetzungen an. Spirits bezeichnet im Englischen nicht nur ‚Geister‘ im pneumatischen Sinn, sondern auch Elementarwesen, Lebensgeister und schöne Geister. Bezeichnenderweise sind unter diesen Begriff jedoch keine Gespenster zu subsumieren, für die das englische Wort ghost zur Verfügung stand. Im Deutschen verlaufen die Grenzen in der Regel unschärfer. So ergeben sich hier mögliche semantische Überlagerungen.
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im Hinblick auf die Frage nach der Bestimmung des Menschen sowie nach der möglichen Integration der Gespensterfurcht in die für die Selbsterhaltung notwendige Affektnatur.213 Konkrete Sedimente der hier diskutierten Braunschweiger Gespensterkontroverse lassen sich in Meiers Moralischer Wochenschrift Der Gesellige nachweisen; sie verdeutlichen, mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck die Gespensterdiskussion um 1750 popularisiert wurde und wie sich diese Tendenz zu Meiers ästhetischem Programm in Beziehung setzen lässt. Diesbezüglich einschlägig ist das 94. Stück, das im Jahr 1748 erschien. Die formale und sprachliche Nähe des Beitrags zu Meiers Traktat ist bemerkenswert. Sie lässt sich insbesondere an der ästhetischen Gestaltung, z.B. an den für die Moralischen Wochenschriften insgesamt typischen Leseransprachen, der indirekten Rede oder an verzerrenden Vergleichen ablesen.214 Indem der Verfasser ironisch bemerkt, dass sein „Lehrgebäude“ bisher „ungegründete Vorfälle […] in ein ungemein helles Licht“ setzen könne,215 spielt er auf eine Entwicklung innerhalb der Naturlehre des 18. Jahrhunderts an. Unter dem Begriff „Geist“ versteht er nämlich einen „materialischen“ Körper, der „so fein ist, daß er ohnmöglich in die Augen fallen kann.“216 Er bezieht sich deutlich auf Abraham Trembleys Versuche mit dem Polyp und die dadurch ausgelöste Kontroverse über die Regenerationsfähigkeit von Körpern.217 Nicht ohne Witz vermutet er hinter der These vom unsichtbaren Leib eine natürliche Erklärung der Gespenster.218 Anders als Meier rechnet er die Naturkundigen allerdings zu den Gespenstergegnern, zu den so genannten „Aspectristen“ und stellt sie den „Spectristen“ gegenüber.219 Dass er ihnen unterstellt, Gespenster erklären zu wollen, ist an sich schon als Ironiesignal zu verstehen. Bezüge zur Naturlehre werden ferner durch den Verweis auf ihre angeblichen epistemischen Verfahren hergestellt. Ihr Ziel soll nämlich sein, aus der Erfahrung gewonnene „Hypothesen“ (wie Gespenster) mit allgemeinen Wahrheiten der „Natur- und Geisterlehre“ zu vergleichen und ihnen dadurch einen „hohen Grad der Wahrscheinlichkeit“ zuzuweisen.220 Ähnlich wie Meier
213
Friedrich Vollhardt: Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2001, S. 244f. 214 Vgl. [Anonym / Vapronius Dunst]: 94. Stück, in: Samuel Gotthold Lange / Georg Friedrich Meier (Hg.): Der Gesellige. Eine moralische Wochenschrift. Halle 1748–1750. Hildesheim / Zürich / New York 1992 (Neudruck hg. v. Wolfgang Martens), 2. Theil 1748, S. 801–808. 215 Ebd., S. 806. 216 Ebd., S. 803. 217 Dazu Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, in: ders.: Abhandlung von dem Aufsteigen der Dünste und Dämpfe. Halle 1744, S. 27–41, hier S. 35. 218 [Anonym / Vapronius Dunst]: 94. Stück, in: Der Gesellige, S. 804 bzw. 806. 219 Ebd., S. 803. 220 Ebd., sowie S. 804: „Da nun alles übrige, was man bey Gespenstern antrift, auf meine Geschichte passet: so erhält ihre Möglichkeit einen grossen Grad an Wahrscheinlichkeit, und wird
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verspottet der anonyme Verfasser damit eine Wissenschaftskultur, die, wie Abraham Trembley oder Christian Gottlieb Kratzenstein, aus Beobachtungen am Polypen weitreichende Thesen zur Entwicklung von Körpern oder seelischen Vermögen ableitete. Moralische Wochenschriften wurden von Zeitgenossen offenkundig als Genre wahrgenommen, in dem Erfahrungswissen kritisch revidiert werden konnte. Ferner belegt der Artikel, dass dieses (vermeintliche) Wissen zugleich zum Gegenstand einer Methoden- bzw. einer allgemeinen Wissenschaftskritik wird, die sich gegen zwei Seiten des Spektrums richtet: sowohl gegen die systematische erfahrungsunabhängige Beweisführung als auch gegen die empirische Hypothesenbildung. Überzeugungskraft gewinnt die Position letztlich durch eine literarische und rhetorische Wissensmodulierung, d.h. durch fingierte Briefe, Dramatisierung und Veranschaulichung, die zur Meinungsbildung, zur Anerkennung und Ablehnung von Wissen, beitragen.221 Ein weiteres Stück der Zeitschrift kann sogar als direkte Umsetzung von Meiers eigener Methode, dem ästhetischen Philosophieren, begriffen werden. Im 43. Stück plädiert ein anonymer Autor, möglicherweise Meier selbst, für eine ästhetische Begriffsbestimmung und greift dabei auf den Anschauungsfall der Geister zurück: Keine Definition ist ein schöner Begrif, folglich muß ein Frauenzimmer seine gelehrten Begriffe mit vielen Worten […] beschreiben können. Wenn ich ein Frauenzimmer frage, was ein Geist sey, so gefält es mir, wenn es ohngefähr antwortet: ein Geist sey ein Wesen, welches würcksam und geschäftig ist, welches denken kann, Verstand und Vernunft besitzt, und mit einer Freyheit zu handeln ausgeschmückt ist. Ein tiefsinniger Logicus wird Ach und Weh über diese Erklärungen schreien.222
An die Stelle einer distinkten Definition tritt hier das Plädoyer für eine extensive „schöne“ Bestimmung, die möglichst viele Attribute berücksichtigt und, da sie dem Kriterium der Mannigfaltigkeit folgt, als Versuch einer ästhetischen Begriffsdifferenzierung angesehen werden kann. Somit lässt sich festhalten, dass die von Meier herausgegebene Moralische Wochenschrift Der Gesellige wichtige Tendenzen des Gespenstertraktats aufgreift. Sie unterscheidet sich von frühaufklärerischen Zeitschriften wie Gottscheds Der Biedermann durch ihre popularphilosophische Ausrichtung und dadurch, dass sie die Gespensterlehre als Medium benutzt, um über verschiedene Formen der Wissensproduktion zu reflektieren und damit eine neue Methode, das ästhetische Philosophieren, zu erproben.
endlich höchst gewiß, wenn die Wahrheiten der Aspectristen sich vollkommen anwenden lassen.“ 221 Den näheren Kontext der Ästhetik und schönen Literatur behandelt Wolfgang Martens: Zur Thematisierung von „schöner Literatur“ in Samuel Gotthold Langes und Georg Friedrich Meiers Moralischen Wochenschriften ‚Der Gesellige‘ und ‚Der Mensch‘, in: Dichtungstheorien der deutschen Frühaufklärung. Hg. v. Theodor Verweyen in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Kertscher. Tübingen 1995 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 1), S. 133–145. 222 [Anonym]: 43. Stück, in: Der Gesellige. Teil 1 1748, S. 353–358, hier S. 355.
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5.16. Zusammenfassung der ersten Meinung Die der Phantasie zugewiesene Rolle im Erkenntnisprozess stellte bislang einen Schwerpunkt der mit dem 18. Jahrhundert befassten Anthropologie- und Melancholie-Forschung dar. Die bei Aufklärern und Autoren literarischer Texte nachweisliche Pathologisierung der Phantasie wurde dabei als Formel gedeutet, die sich gegen verschiedene Formen des Gespenstersehens und der Schwärmerei richtete und ein bis in die Spätaufklärung verbreiteter Topos der Religionskritik blieb. Neben der Abwertung der Einbildungskraft im Zusammenhang mit der Schwärmerkritik wurde in der Kunsttheorie jedoch zugleich ihre Aufwertung als ästhetisches Vermögen verzeichnet, so z.B. in der Genieästhetik um 1770. Gerade diese doppelte anthropologische wie ästhetische Konzeptualisierung der Phantasie galt als Spezifikum der kulturellen Produktion223 und hat verschiedenen Deutungsmöglichkeiten Raum eröffnet. Die poetische Konzeptualisierung der Phantasie, die ihr zugewiesene produktive Rolle im ästhetischen Erkenntnisprozess wurde zum einen kompensatorisch gedeutet, zum anderen als literarisches Gegenprogramm diskutiert, das auf eine Versinnlichung der Religion reagierte. Ein Blick auf Meiers Traktat zeigt, wie diese Linien am Einzelfall präzisiert werden können bzw. differenziert werden müssen. Meiers Rückgriff auf die Phantasie als einer wesentlichen Irrtumsquelle für das Gespenstersehen ist zunächst in die Phantasiekritik des 18. Jahrhunderts einzuordnen.224 Gerade die „Verwechslung von Empfindungen und Einbildungen“ gilt als ein Hauptproblem der Phantasie, das „mit den harmlosen Folgen von Schwärmerei und Phantasterei oder hartnäckigeren Formen von Wahnsinn und Raserei“225 einhergehen konnte. Dass der Imagination in der Gespensterdebatte allerdings ein besonderer Stellenwert zukäme, kann nicht ohne weiteres behauptet werden. Meiers Irrtumspsychologie ist weitaus komplexer. Nicht nur die Phantasie, sondern zahlreiche weitere Vermögen haben daran Anteil (a). Erst das Zusammenspiel von diversen Erkenntnisvermögen wirft ein Licht auf die Mechanismen des Irrtums. Zur Erklärung greift Meier wesentlich auf Baumgarten zurück. Gegen die Phantasie bringt er das Vorstellungsvermögen (perspicacia) als wichtige Irrtums- und Fiktionsquelle in Stellung (b), was ihn auch von späteren Ästhetikern um Johann Gottfried Herder unterscheidet. Diese Konzeption macht den Ort deutlich, an dem die ästhetische Theorie in der Gespensterlehre 223
Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 4; so auch Magdalena Boettcher: Eine andere Ordnung der Dinge. Zur Ästhetik des Schönen und ihrer poetologischen Rezeption um 1800. Würzburg 1998 (Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Studien. Reihe Literaturwissenschaft 236), S. 53ff. befasst sich mit der frühen „Eindämmung“ der Einbildungskraft bei Kant und mit der späteren Kritik an dieser „anthropologischen Reduktion“ bei Herder u.a. 224 Herrmann: Naturnachahmung und Einbildungskraft; Silvio Vietta: Literarische Phantasie; Karl Barck: Poesie und Imagination. Studien zu ihrer Reflexionsgeschichte zwischen Aufklärung und Moderne. Stuttgart / Weimar 1993; Claus Oettinger: Phantasie und Erfahrung. Studien zur Erzählpoetik Christoph Martin Wielands. München 1970. 225 Dürbeck: Einbildungskraft, S. 6.
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Anwendung findet (c). Denn die Vorstellungskraft ist ein vernunftähnliches Vermögen, das ebenso wie der Verstand durch regelhaften Gebrauch verbessert werden kann (d). Zugleich offenbart die Kontextualisierung von Meiers Schrift einen polemischen Akzent der Ästhetik, der ansonsten oft übersehen wurde. Als Erfahrungsinstrument ist die Ästhetik ein Verbesserungsorgan, das sich vor allem an die Wissenschaftler der New Science richtet. Sie werden zusammen mit den Sensualisten als potentielle Gespensterseher entlarvt, auch wenn diese Zuordnung unser heutiges Verständnis irritiert (e). Gemeint ist damit, dass sie aufgrund ihrer Vorurteile besonders anfällig für Erfahrungsirrtümer sind. Im Rahmen der Ästhetik, genauer der empirischen Logik als Wissenschaft von den unteren Erkenntnisvermögen, wird ein Erfahrungstyp konzipiert, mit dem nicht nur Gespenster erklärt werden sollen, sondern der auch, wie sich an Meiers Affektenlehre zeigen ließ, Bezüge zu poetischen Formen der Affektinduktion aufweist (f). Die Gespenstererfahrung wird in dieser Diskussion zugleich zum Modell für eine ästhetische Erfahrung, die sich durch Klarheit und Extensivität auszeichnet (g). Zuletzt bildet die empirische Logik den Ausgangspunkt für Meiers eigenen philosophischen Ansatz, der auf distinkte Begriffsdefinitionen verzichtet (h). Aus der strukturellen Entsprechung zwischen dem nicht-distinkten Repräsentationsmodus (der sinnlichen Empfindung) und einem philosophischen Verfahren der Hypothesenbildung leitet sich eine neue Form des Philosophierens ab. Sie weist Überschneidungen zur Popularphilosophie auf, unterscheidet sich von letzterer jedoch durch ihre erfahrungstheoretische Konzeption. Meiers ästhetisches Philosophieren zeichnet sich demnach nicht nur durch die Öffnung zur Welt aus und dadurch, dass es sich einem rhetorischen Verständlichkeitsideal sowie einer populären Wissensvermittlung verpflichtet hat. Im Gegensatz zu anderen Popularphilosophen orientiert sich sein Verfahren an der Ästhetik. Er geht von undeutlichen, nicht-distinkten Empfindungen aus und versucht über das Kriterium der Mannigfaltigkeit eine Fülle von Weltbezügen herzustellen. Mit dem ästhetischen Philosophieren nimmt er nicht nur auf die Wissenschaft von der Empfindung oder sinnlichen Wahrnehmung Bezug, aus der er eine Kunst der Erfahrung sowie eine Affekttheorie ableitet. Er will darüber zudem eine wahrscheinliche Erklärung von Gespensterwahrnehmungen gewinnen, die auf der Prüfung von Erfahrungen basiert.
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6. Die zweite Meinung: Platonisches Geistersehen
6.1. Die zweite Meinung Im zweiten Abschnitt befasst sich Meier mit der Meinung, „Gespenster“ seien ein Phantasma und ließen sich auf eine vorübergehende Verwechslung von Einbildungen und Empfindungen zurückführen. Mit „Gespenst“ meint er auch an dieser Stelle den Modus einer Verwechslung (Kant und Wieland benutzten dafür das Wort „Hirngespinst“) und nicht primär die Meinung einiger Phantasten, mit Toten gesprochen, sie gehört oder gesehen zu haben. Diesmal wird die Verwechslung allerdings nicht – wie im ersten Anschauungsfall – durch äußere Umstände wie Nacht und Dunkelheit befördert, sondern durch eine innere Disposition bedingt, die einen Fehler im Repräsentationsmodus (Empfindung / Einbildung) zur Folge hat: Ein Phantast ist ein Mensch, der im Wachen einige seiner Einbildungen für Empfindungen hält […]. Diese gantze Verwirrung entsteht, so ofte die Einbildungskraft zu hitzig wird und die Empfindungen zu schwach werden, wie z.B. durch eine Kranckheit des Körpers geschehen kan […]. Vermöge des vorhergehenden kann man also annehmen, daß die Gespenster, aus einem Paroxysmus einer vorübergehenden Phantasterey und Verrückung ihren Ursprung nehmen.1
Als mögliche Ursachen fungieren eine „erhitzte Einbildungskraft“ sowie eine „Schwächung der Nerven in Krankheiten“.2 Während die erhitzte Einbildungskraft die Stärke und Klarheit einzelner Einbildungen erhöht, geht die Schwächung der äußeren Nerven mit einer Verringerung ihrer Klarheit einher. Um die Entstehung von Phantasmen zu erläutern, greift Meier auf ein Nervenmodell zurück, welches das Verhältnis von äußerem sensuellen Input und innerer Nervenaktivität als ein Ungleichgewicht beschreibt. Dieses homöostatische Modell bildet die Grundlage einer (neuro)psychologischen Phantasma-Kritik, die sich mit philosophiegeschichtlichen und religionskritischen Tendenzen der Frühaufklärung verbindet.3 In auffälliger Weise stellt das Wort „Phantast“ einen Schlüsselbegriff des gesamten Absatzes dar. Meier rekurriert hier auf die seit der Renaissance nachweisbare Nobilitierung der Phantasie, verwendet den Begriff allerdings in erster 1 2 3
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17. Ebd. Der Artikel ‚Einbildung‘ in Zedlers Universallexikon enthält einen Verweis auf die Pneumatologie, bes. die Engellehre, während der Artikel ‚Einbildungs=krafft‘ vor allem auf die philosophische Imaginationstheorie bzw. -kritik eingeht. Im Artikel ‚Erscheinung‘ werden die Grundzüge der griechischen Geister-Lehre referiert, die unmittelbar als platonisch bzw. pythagoreisch ausgewiesen und auf die ägyptischen Mysterienkulte zurückgeführt wird.
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Linie in einer kritischen Konnotation. Obschon sich die doppelte Bedeutung von Phantasma als göttlicher Einbildung vor dem inneren Auge und bloßer Einbildung lexikographisch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nachweisen lässt,4 bezeichnet Meier damit vor allem das Resultat einer pathologisch erhöhten Einbildungskraft. Die negative Verwendung wird durch verschiedene Argumentationsmuster gestützt, die sich im kritischen Umgang mit der Phantasie ausgebildet haben und in der Forschung bereits eingehend beschrieben wurden.5 Für diesen Umgang spielt erstens die theologische Desavouierung der so genannten Religionsschwärmer eine zentrale Rolle. Sie nimmt ihren Ausgang bei einer komplexen Rezeption neuplatonischer Trinitäts- und Illuminationslehren in der Frühaufklärung.6 Bedeutsam ist zweitens die weitreichende Pathologisierungstendenz bzw. Medizinalisierung der Phantasie, die sich in Meiers Traktat am Rückgriff auf das Nervenmodell sowie am Vergleich psychischer mit physischen Krankheiten ablesen lässt. Drittens wird mit der Phantasmakritik die Frage nach wahren und falschen Empfindungen gestellt. Sie berührt das philosophische Außenweltproblem und bildet eine Schnittstelle, an der die theologische Illuminationskritik in eine philosophische Idealismuskritik mündet. Die Anwendung der Phantasmakritik auf die Gespensterlehre macht diese Umakzentuierung deutlich. Zunächst scheint die theologische Illuminationskritik dabei in den Hintergrund zu treten. In Meiers Traktat lässt sie sich explizit nur noch an den gewählten Beispielen für Phantasmen (mit Gott und den Engeln zu reden) und am Rekurs auf historische Berichte (von Schwärmern, Quäkern und Inspirierten) ablesen. Obschon auf die theologischen Wissenskontexte nicht weiter Bezug genommen wird, bildet eben diese Diskussion dennoch einen eminenten Bezugsrahmen der philosophischen und medizinischen Phantasmakritik. Dass sich in dieser durchaus theologische Rezeptionsmuster fortsetzen und bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert weiter tradieren, lässt sich unter anderem an der von den Berliner Spätaufklärern Friedrich Nicolai und Erich Biester geführten Diskussion erkennen. Ohne die Kenntnis der Transformationen, die die Schwärmerkritik in der popularphilosophisch ausgerichteten mittleren Aufklärung erfahren haben, sind die spätaufklärerischen Adaptationen kaum angemessen zu erfassen. Ausgehend von der These, dass Meiers Gespenstertraktat eine wichtige Schnittstelle für sie darstellt, wird sich der nächste Abschnitt mit der Schwärmer- und Illuminationskritik der Frühaufklärung (Colberg, Bücher) befassen. In einem weiteren Schritt werden
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Der Artikel ‚Einbildung‘ in Zedlers Universallexikon (Sp. 533) unterscheidet verschiedene Typen der Einbildung: Die sinnliche Imagination betrifft Gegenstände, die den „Augen vorschweben” (Abbilder von den Sachen des Gesichts) oder aber auch Urteilsbildungen über Einbildungen, welche in der Regel die futura contingentia betreffen. Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, passim. Winfried Schröder: Artikel ‚Schwärmerey‘, in: HWdPH, Bd. 8, Sp. 1478–1483; Sicco Lehmann-Brauns: Weisheit in der Weltgeschichte. Philosophiegeschichtsschreibung zwischen Pietismus und Aufklärung. Tübingen 2004.
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die anti-platonischen Wissenskontexte (Thomasius, Budde, Gundling) rekonstruiert, auf die Meier Bezug nimmt, ihre jeweilige Gewichtung ermittelt und die sich in der Edelmann-Kontroverse vollziehenden Transformationen dargestellt. Dabei spielt die Applikation der Schwärmerkritik auf vitalistische bzw. pantheistische Naturtheorien eine zentrale Rolle. Diese Umbrüche lassen sich auch an der Entstehung einer neuen literarischen Gattung, dem Schwärmerroman, ablesen. Sie gehen ferner mit dem Geltungsverlust der Satire als einem literarischen Mittel der Schwärmerkritik einher.
6.2. Anti-platonische Schwärmerkritik – platonische Schwärmerei Blickt man auf einschlägige Lexikoneinträge zum Begriff ‚Schwärmer‘ oder ‚Enthusiast‘, springt zunächst das breite Spektrum der mit den Begriffen assoziierten Themenfelder ins Auge. Es reicht von philosophischer bis zu religionskritischer Schwärmerkritik. In der Tat scheint die Schwärmer-Diskussion der mittleren Aufklärung kaum mehr überschaubar, das gleiche gilt für die diesbezüglich relevante Forschungsliteratur. Religionskritische Implikationen lassen sich an Meiers Gespenstertraktat zunächst am Rekurs auf jene historischen Berichte erkennen, welche die Wahrscheinlichkeit der referierten Erklärung belegen sollen: Diese Meynung wird durch folgende Gründe wahrscheinlich. 1) Weil das Exempel der Phantasten, Wahnwitzigen, Verrückten, Enthusiasten, Schwärmer, Quäcker, Inspirierten, Träumer u.s.w. beweist, wie natürlich leicht es der Seele sey, ihre Einbildungen mit Empfindungen zu verwechseln, zumal da die Gespensterhistorien eine so ungemeine Aehnlichkeit und Uebereinstimmung, mit den Erscheinungen der vorhin angeführten Leute haben.7
Die Religionsgruppierungen: Quäker, Schwärmer und Inspirierte werden hier mit Träumern und Phantasten verglichen und unter dem Etikett „Gespensterseher“ subsumiert. Allerdings erscheint der Vergleich dieser an sich disparaten Gruppierungen zunächst erklärungsbedürftig. Während Schwärmer ihre Seelenbewegungen nämlich als Effekt einer unmittelbaren direkten göttlichen Wirkung auszeichneten und sich dabei auf ihre Illumination beriefen, meinten Gespensterseher in der Regel die extramentale Existenz (die Erscheinung) einer verstorbenen Person wahrgenommen zu haben.8 Trotz dieser Differenz werden beide Gruppen von Meier gleichermaßen unter dem Etikett „Gespensterseher“ subsumiert. Dabei scheint für ihn kaum relevant, ob es sich um die vermeintliche Präsenz eines Verstorbenen außerhalb der eigenen Wahrnehmungssphäre oder um ein innerlich empfundenes göttliches Offenbarungsfaktum handelt.9 Der folgende Abschnitt liefert Auf7 8 9
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 20. Die Esoterik der Frühen Neuzeit hat dagegen kaum Berichte über Gespenster hervorgebracht. Eine Unterscheidung zwischen engem und weitem Begriffsgebrauch lässt sich auch bei dem Bekker-Gegner Peter Goldschmid verzeichnen. Im vierten Kapitel des Traktats, in dem ein
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schlüsse über die Genese dieser Gleichsetzung, die, so die These, mit der Ausrichtung des Wissens an der Welt koinzidiert bzw. im epistemischen Stellenwert der Erfahrung zu suchen ist, welche mit dem Geltungsverlust eines transempirischen Realitätsmodells einhergeht. Die Gleichsetzung von Illumination und Phantasma (als Missverhältnis von Einbildung und Empfindung) scheint zunächst antiplatonisch motiviert. Eine mögliche Vorlage für dieses Argumentationsmuster liefert die Schwärmerkritik der Frühaufklärung, die in der Kontroverstheologie des 17. Jahrhunderts ihre Konturen erhalten hat.10 Maßgeblich für die Ausbildung dieser Muster war die von Ehregott Daniel Colberg (1659–1698) verfasste Schrift Das Platonisch-Hermetisches (!) Christentum (1690/91). Auch wenn sich ihre konkrete Rezeption bei Meier nicht nachweisen lässt, ist Colbergs Schrift für den vorliegenden Kontext dennoch aufschlussreich, weil sie, wie Meiers Traktat, unterschiedliche Religionsgruppierungen unter einem systematischen Gesichtspunkt fasst. Der Stralsunder Theologe versuchte darin nämlich, disparate häretische Bewegungen auf die „platonische“ Theologie zurückzuführen und orientierte sich dabei an der Konkordienformel von 1580. Ins Zentrum seiner Betrachtungen rückte die Frage nach einer direkten göttlichen Illumination, die auf dem „platonischen“ Teilhabeprinzip und auf einer dreifaltigen Anthropologie basierte. Dieser Lehre zufolge wurden drei Prinzipien im Menschen unterschieden: Seele, Geist und Körper. Die Annahme einer Illumination gründete sich letztlich auf den Geist, der nach der „platonischen“ Auffassung in einem emanativen Zusammenhang mit der göttlichen Substanz steht. Wichtig für Meiers Gespenstertraktat ist weniger die schwärmerkritische Argumentation im Einzelnen, sondern vielmehr die Subsumtion von Quäkern, Inspirierten und Schwärmern unter das Label ‚platonische Theologie‘,
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Beweis der Geister aus den Erscheinungen geführt wird, kommt Goldschmid zunächst auf die Äquivokation des Wortes ‚Gesicht‘ zu sprechen, das nicht nur Erscheinung des Numinosen, sondern zugleich bloße Einbildung meint. Er kritisiert allerdings diese zweite Bedeutung von ‚Gesicht‘ und beanstandet die oftmals allzu „weitläufige” Übertragung des neutestamentarischen Wortes ‚orama‘. Vgl. Peter Goldschmid: Höllischer Morpheus, welcher kund wird Durch Die geschehenen Erscheinungen derer Gespenster und Poltergeister So bißhero zum Theil von keinem einzigen Scribenten angeführet und bemercket worden sind. Daraus nicht allein erwiesen wird / daß Gespenster seyn / was sie seyn / und zu welchem Ende dieselbigen erscheinen / Wider die vorige und heutige Atheisten / Naturalisten / und Nahmentlich D. Beckern in der Bezauberten Welt Aus allen aber des Teuffels List / Tücke / Gewalt / heimlich Nachstellungen und Betrug / handgreiflich kan ersehen und erkandt werden. Hamburg 1698, S. 97. Bei Goldschmid wird der Begriff ‚Gespenst‘ im Sinne von Vorstellung gebraucht, die lediglich eine Imagination bzw. Einbildung, d.h. eine Vorstellung mit fraglichem Wahrheitswert ist. Genau diese von Goldschmid in seiner Verteidigung der Gespenster kritisierte Identifizierung wird von Meier aufgegriffen. Im Gegensatz zu Goldschmid, der die Äquivokation von ‚orama‘ als Vision und bloße Einbildung beklagt, operiert Meier mit eben jener Gleichsetzung. Das innere Sehen (als Begreifen oder Vor-Augen-Stellen) wird zur bloßen Einbildung erklärt und von dem äußeren Sehen als Wahrnehmungsakt, der auf die Welt bezogen bleibt, abgegrenzt bzw. im Fall der Verwechslung als fälschliche Identifikation ausgewiesen. Zu Bücher und Brucker vgl. Lehmann-Brauns: Weisheit in der Weltgeschichte, dem ich für die Einsicht in das Manuskript danke.
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die sich bis in die Spätaufklärung nachweisen lässt.11 Trotz der popularphilosophischen Annäherung an den Platonismus verliert das Label bis in die 1780er Jahre kaum an polemischem Wert, wenn es gilt, Kabbalisten, Magier und Hermetiker zu degradieren. Und zwar auch dann, wenn die Begründungsmuster und Bezugsfelder variieren und auch die Konkordienformel nicht mehr den Rahmen der Illuminationskritik bildet. Wegweisend für die Argumentationsmuster der mittleren Aufklärung ist jedoch noch ein weiterer Text: die Schrift des Danziger Theologen Friedrich Christian Bücher. Sie liefert Hinweise auf die Zuordnung der „platonischen“ Geistervorstellungen zur Lehre von der intellegiblen und sinnlichen Welt. Zugleich leitet sie den Umbruch von einer primär religionskritischen zu einer philosophischen PhantasmaKritik ein. Büchers Schrift erschien 1699 unter dem clandestin anmutenden Titel Plato mysticus in Pietista redivivus.12 Anders als Colberg nimmt er darin keine Bewertung der gesamten häretischen Bewegung vor, sondern konzentriert sich vor allem auf den Pietismus.13 Im Vorwort rückt Bücher von polemischen Intentionen ab. Er bekundet, keine polemische „Lästerschrift”, sondern eine systematische Widerlegung vorzulegen, die das „gantze Corpus oder Haupt=Wesen des Pietismi“ angreife.14 Bücher reduziert dieses Hauptwesen auf drei „platonische“ Elemente: erstens auf das Emanationssystem, zweitens auf die daraus abgeleitete Enthusiasmustheorie sowie drittens auf das Postulat der Restitution der Seelen in Gott. Er entwirft zudem eine nicht dämonisch zu verstehende Zwischenwelt, in der Geister angeblich lokalisierbar und als sinnlich-geistige Wesen für den Menschen erfahrbar seien. Im Gegensatz zu Colberg wird der Umgang mit Zwischenwesen nicht nur
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Diese Schematisierung wird über den Budde-Schüler Brucker vermittelt. In dessen Philosophiegeschichte rangiert Böhme unter der Rubrik der pythagoreisch, platonisch, kabbalistischen Philosophen, die mit Spinoza verbunden sind. Friedrich Christian Bücher: Plato Mysticus in Pietista Redivivus, Das ist: Pietistische Übereinstimmung mit der heydnischen Philosophia Platonis. Und seiner Nachfolger / Besonders in der Lehre von denen so genandten Himmlischen Entzuckungen / Alle und jede / Welche die wahre Gottseligkeit lieben / für der Teiffe des Sathans zu warnen / In dem Augenscheinlichen Parallelismo / Richtig gezeiget / Schrifftmäßig erörtert / und dem Urtheil der Evangelischen Kirchen übergeben: Dabey auch Dem Praeposito zu Neuen H. Balthasar Köpken / Beyläuffig geantwortet wird / Vom Friedrich Christian Büchern / Prediger an der Altstädtischen Pfarr=Kirchen zu S. Catharinen in Danzig. Danzig 1699. Der aktuelle Anlass von Büchers Schrift macht deutlich, dass im Zentrum dieser Kritik vor allem ein exegetisch-hermeneutischer Streit stand. Bücher benutzt diese Kontroverse als Gelegenheit, um Speners Auffassung von der Heiligen Schrift zu kritisieren, der die Korrumpiertheit der Heiligen Schrift in actu primo behauptete. Dass auch er auf Colberg rekurriert, macht sein Eingangskapitel „Pietistischer Platonismus“ deutlich, in dem Bücher den gesamten Pietismus abwertend als moderne Form des häretischen Platonismus kennzeichnet. In der Rubrik Ob Aristoteles in der Philosophia dem Platoni für zu ziehen sey greift er auf die postulierte Identifizierung unterschiedlicher Traditionen als platonisch zurück. Bücher: Plato Mysticus in Pietista Redivus, Vorrede, unpaginiert.
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auf die Kabbala oder schwarze Magie zurückgeführt,15 sondern auch mit einer Mittelreichthese begründet.16 Im Zustand der Seelenerhebung könne der Mensch demnach in Kontakt mit der Zwischenwelt treten und so zu seinem eigentlichen Ursprung in Gott zurückkehren. Die durch meditative Praktiken – das Nosce te ipsum17 – erzielte Rückkehr entspricht dem Zustand der Illumination. Büchers Kritik an der Konzeption besteht in der Parallelisierung der Lehre mit einer psychologisch gedeuteten Schwärmerei. Die Lehre vom Abzug der Seele von materialen Bildern (als äußeren Schalen) sowie die Konzentration auf die inneren Eingebungen durch den Genios18 werden als Seelenzustand der Verwirrung bezeichnet. Bücher greift dabei auf die Pathologie der Einbildungskraft zurück, führt sie aber nicht als zentrales Argument gegen die Pietisten an. Die erhitzte Einbildungskraft gilt nur im Einzelfall als Indiz, das bei der Unterscheidung von wahrer oder pathologischer Illumination herangezogen werden kann. Sie stellt kein verallgemeinerbares, gegen die Pietisten vorgebrachtes Argument dar. Um letztere der falschen Illumination zu beschuldigen, bedient sich Bücher vielmehr des Fanatismus-Vorwurfs,19 mit dem er das gesamte pietistische System als ein weder auf die Vernunft noch auf die Offenbarung gegründetes Gedankengebäude ausweist.20 Antiplatonische Rezeptionsmuster lassen sich im Gespenstertraktat an zwei Stellen nachweisen. Mit der Subsumption verschiedenster Religionsströmungen unter die Bezeichnung „Phantasten“ bedient Meier ein doxographisches Schema, das Ehregott Colberg entwickelt hat. Dabei spart er jedoch den von Colberg vorgebrachten Häresievorwurf aus und perspektiviert seine Kritik psychologisch.
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Ebd., S. 6: Gegenüber der passiven Suche nach einer Seelenerhebung, manifestiere sich die „leidige Enthusiasterey” in „einer verdammlichen Curiosität oder Fürwitz”, „durch verbothene Belials=Künste / oder Gemeinschaft mit den Seelen=Geistern verborgene Dinge zu erforschen”. Das platonische Wissen wird als dämonisch ausgewiesen. Als Exempel eines dämonischen Begriffs von Illumination führt er die dem Sokrates nachgesagte Gemeinschaft mit „den Geniis” an, die auch den „Hierophanten in Aegypten”, „denen Zoroastraeis und Pythagoreis” gemeinsam ist. Ebd., S. 61. Ebd., S. 35. Ebd., S. 37. Vgl. dazu Robert Spaemann: ‚Fanatisch‘ und ‚Fanatismus‘, in: Archiv für Begriffsgeschichte 15 (1971), S. 256–274, hier S. 260. Mit ‚Enthusiastisch‘ bezeichnet Bücher offenbar das Phänomen der Erleuchtung bzw. der unmittelbaren Offenbarung, während er mit dem Begriff ‚Fanatismus‘ die Möglichkeit einer echten Erleuchtung ausschließt. Der Systematisierungsversuch des Danziger Theologen ist für die mittlere Aufklärung einschlägig, weil er Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem ‚platonischen Gespenstersehen‘ als Anschauung von Dämonen und Geistern im Zustand der Seelenerhebung und einer christlichen Visionssemantik liefert. Dem platonischen Gespenstersehen wie auch den pietistischen Visionsberichten liegt demnach die Auffassung zugrunde, die Seele könnte durch bestimmte Meditationstechniken erhoben werden und in diesem Zustand mit Geistern, Engeln, Dämonen und anderen abgeschiedenen Seelen kommunizieren. Das platonische Gespenstersehen bestünde in der Wahrnehmung abgeschiedener, vom Körper getrennter Geister, die jedoch nicht in der Außenwelt, sondern in einem Zwischenreich erscheinen.
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Ferner richtet sich Meier gegen eine Auffassung von Illumination, die ihre Vorlage in der von Bücher rekonstruierten und dem Pietismus zugewiesenen DreiWelten-Lehre hat. Vor allem in seiner psychologischen Perspektivierung nimmt Meier auf diese Lehre Bezug. Zunächst bildet er die Unterscheidung von sinnlicher Welt und sinnlich-intelligibler Zwischenwelt auf verschiedene Repräsentationszustände der Monade ab. Dem Zustand der Empfindung entspricht die sinnliche Welt, die sinnlich-intelligible Zwischenwelt der Geister wird hingegen als Repräsentationsmodus der Verwechslung, also als Phantasma verstanden. Büchers Rekonstruktion der Drei-Welten-Lehre ist für die psychologische Charakterisierung der Schwärmer wichtig, die in der Gleichsetzung von Illuminierten mit Gespenstersehern ihren Ausdruck findet. Wie Bücher verwirft auch Meier die Möglichkeit eines Zwischenreiches. Für ihn spielt es daher eine nur untergeordnete Rolle, ob Schwärmer einen Geist (in der Zwischenwelt) wahrzunehmen glauben oder ihre Einbildungen auf einen göttlichen Ursprung zurückführen. Für die philosophische Gespensterkritik boten Büchers Systematisierungsversuche auch deshalb einen geeigneten Ansatzpunkt, weil sie auf die Vernunft und die Offenbarung rekurrierten und nicht vor dem Hintergrund der Konkordienformel argumentierten. Büchers Kritik an der Zwischenweltlehre leitet somit den Umbruch von einer primär religionskritischen zu einer philosophischen Phantasma-Kritik mit ein. Meier greift auf Büchers Unterscheidung zurück, transformiert dessen Fanatismuskritik jedoch in eine primär psychologische Argumentation. Wie Bücher kennzeichnet er vermeintliche Illuminationen als Einbildungen und führt die erhitze Einbildungskraft als Argument an. Anders als Bücher spricht Meier jedoch nicht vom Fanatismus, sondern benutzt den psychologischen Begriff der Verrückung. Trotz zahlreicher Parallelen unterscheidet er sich von Bücher und Colberg hinsichtlich der Bedeutung, die er dem psychologischen Argument beimisst. Erst bei Meier wird es systematisch entfaltet und in eine philosophische Willkürkritik überführt. Dennoch gewinnt sein Argument auch dadurch an Überzeugungskraft, dass es sich implizit nochmals an die Muster einer orthodoxen Illuminationskritik anlehnt. Neben dem Illuminations-Vorwurf wird die Gespenster-Diskussion von einer weiteren frühaufklärerischen Auseinandersetzung bestimmt. Sie betrifft die Platonismuskritik, setzt aber beim Vorwurf einer atheistischen „Weltidolatrie“ an, die nach Auffassung von Theologen wie Budde ebenso wie die Schwärmerei auf einem letztlich „platonischen“ Fundament basiere. Diese Diskussion stellt offenbar die Grundlage für den von der Spätaufklärung (so bei Schiller) noch diagnostizierten Pendelumschlag von einer schwärmerischen Geisterseherei in den Atheismus dar und lässt sich in Meiers Traktat insbesondere an der Erwähnung von Jacob Böhme nachweisen.
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6.3. Böhme, Edelmann und die Weltvergötterung: Zur Transformation anti-platonischer Deutungsmuster Neben der Illuminationskritik befassten sich frühaufklärerische Autoren mit möglichen atheistischen Implikationen des (neu)platonischen Emanationssystems. Auch von dieser Seite wurde die neuplatonische Ideen- und Geisterlehre einer Destruktion unterzogen, an der Meiers Gespenstertraktat maßgeblich partizipiert. Zwar kann die „komplexe Lage der Einschätzung des Platonismus in Halle“21 an dieser Stelle nur angerissen werden. Es geht auch nicht um den Nachweis konkreter Einflüsse und gezielter Anleihen, sondern darum, die nachhaltige Wirksamkeit einer ideengeschichtlichen Konstellation zu skizzieren. Sie hat zur Ausbildung von Rezeptionsmustern geführt, die sich an Meiers scheinbar beiläufiger Erwähnung von Jacob Böhme ablesen lassen. Böhme zählt zu den wenigen historischen Personen, die Meier im Gespenstertraktat namentlich erwähnt. „Jacob Böhme“ heißt es, „hat sich steif und fest eingebildet, dass er eine Stimme gehört, einen Engel gesehen und gesprochen, und ist doch ein Phantast gewesen“.22 Und weiter: „Ein Phantast ist ein Mensch, der im Wachen einige seiner Einbildungen für Empfindungen hält dergleichen der vorhin angeführte Jacob Böhme gewesen“.23 Meiers Kennzeichnung von Böhme als Phantast ist nicht weiter überraschend.24 Wie auch dem Eintrag „Böhme“ in Zedlers Lexikon zu entnehmen ist,25 galten dessen Illuminationslehre, seine Natursprachentheorie, seine alchemistische Bibelexegese und die angeblich atheistische Schöpfungslehre um 1750 insgesamt als
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Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 291. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 16. Ebd., S. 17. Böhmes Name bleibt in der gesamten Aufklärungsdebatte präsent und lässt sich um 1780 noch in Adelungs Geschichte menschlicher Verwirrungen und Narrheiten nachweisen. Zur BöhmeRezeption siehe Sibylle Rusterholz: Jacob Böhme und seine Anhänger, in: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa. Hg. v. Helmut Holzhey / Wilhelm Schmidt-Biggemann unter Mitarb. v. Vilem Murdoch. Basel 2001 (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neubearbeitete Ausgabe. Hg. v. Helmut Holzhey), S. 61–105, hier bes. S. 83, sowie Michael Hall: Die Böhme-Rezeption, in: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 3: England. Hg. v. Jean-Pierre Schobinger. Basel 1988 (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe), S. 75–83. Vgl. [Anonym]: Artikel ‚Jacob Böhme‘, in: Zedlers großem Universallexikon Bd. 4. Halle / Leipzig 1733, Sp. 356–358. Meist richtet sich das Interesse auf den ‚Mystiker‘ Jacob Böhme, der angeblich Erleuchtungs- und Visionserfahrungen gehabt hat. Siehe dazu Arbeiten bzw. Werkausgaben von Will-Erich Peukert / August Faust (Hg.): Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Theosophia relevata oder Alle Göttlichen Schriften. Stuttgart 1955; Ernst Benz: Der Prophet Jakob Boehme. Eine Studie über den Typus nachreformatorischen Prophetentums. Mainz 1959; Gehard Wehr: Geistige Schau und Christuserkenntnis. Schaffhausen 1976; Christian Steineck: Grundstrukturen mystischen Denkens. Würzburg 2000.
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„phantastisch“26 bzw. als platonisch.27 Schon das breite Spektrum unterschiedlicher Lehren, die sich mit dem Namen Böhme verbinden, zeigt, dass er einer Vielzahl disparater Traditionen zugeordnet wurde. Meiers knapper Hinweis auf Böhmes angebliches Zwiegespräch mit Engeln könnte zunächst als Anspielung auf dessen Zugehörigkeit zur mystischen Tradition gelesen werden. Meiers Lehrer Siegmund Baumgarten nimmt in seiner 1766 erschienenen Geschichte der Religionspartheyen auf Böhme Bezug, ordnet ihn dort unter die mystischen Theologen und geht auch auf die Böhmisten um Portage ein.28 Hinter Meiers Nennung von Böhme steht jedoch ein konkreter Anlass, der sich aus dieser Einordnung allein nicht erschließt. Im Erscheinungsjahr der Gespensterschrift hatte sich Meier zu einem berüchtigten Enfant terrible der mittleren Aufklärung geäußert. Gemeint ist Johann Christian Edelmann,29 der bei Budde in Jena studierte und durch seinen Lagerwechsel von den Radikalpietisten zu den so genannten Rationalisten berühmt wurde. Bereits 1742 war er mit dem Buch Die Göttlichkeit der Vernunft hervorgetreten, kurz darauf zirkulierte das ungedruckte Manuskript Der unbekannte Gott. 1748 musste er – trotz der Protektion Friedrichs II. – aus Preußen fliehen. Im Erscheinungsjahr des zweiten Gespenstertraktats, also 1748, publiziert Meier eine kurze gegen Edelmann gerichtete Streitschrift unter dem Titel Vertheidigung der christlichen Religion wider Herrn Johann Christian Edelmann.30 Mit ihr nimmt 26
Als eine wesentliche Quelle gibt Zedler folgende Schrift an: Karl Gottfried Engelschall: Seculi Moderni Nonnulla Praejudicia de Capitibus Fidei: Das ist: Nichtige Vorurtheile der heutigen Welt in Glaubens-Lehren […]. Leipzig 1719, zu Böhme S. 580–651, bes. S. 591, 594 und 625. 27 Lehmann-Brauns: Weisheit in der Weltgeschichte, S. 100ff. 28 Siegmund Jacob Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1766, S. 1277ff. Neben den englischen Behemisten führt Baumgarten eine weitere Gruppe von so genannten ‚Separatisten‘ an, die ebenfalls Böhme rezipiert haben sollen. 29 Zu Edelmann und der konservativen Aufklärung siehe Jonathan Israel: Radical Enlightenment. Philosophy and the Meaning of Modernity (1650–1750). Oxford 2001, S. 659. Johann Peter Süßmilch veröffentlichte 1748 einen Traktat, in dem er Edelmanns Spinozismus angreift. Zu den Edelmann-Kritikern zählt auch der schon erwähnte Probst Johann Christoph Harenberg: Die Gerettete Religion. Oder Gründliche Widerlegung des Glaubensbekentnißes welches Johann Christian Edelmann [...]. Braunschweig / Hildesheim 1747 (2. Teil). Vgl. dazu Grossmann: Johann Christian Edelmann. From Orthodoxy to Enlightenment. Den Haag / Paris 1976. Demnach habe Edelmann für mehr Tumult gesorgt als Stosch, Lau, Wachter, Knutzen. Auf Meiers Rezeption geht Schenk: Das Leben Georg Friedrich Meiers, S. 66, ein. Meier hat das Glaubensbekenntnis von 1746 sowie Edelmanns Schrift Moses mit aufgedecktem Angesicht zur Kenntnis genommen. Edelmanns Moses-Schrift zirkulierte offenbar seit den 1740er Jahren. Vgl. Benedictus Schriftlieb: Der verlorene und wieder gefundene Moses oder Widerlegung der Schrift Moses mit aufgedecktem Angesichte. Erster Anblick. In einem Gespräche abgefasst v. o.O. 1745; Peter Hanssen: Anmerckungen über Johann Christian Edelmanns Irrthümer von der Seelen=Leyden Jesu, welche derselbe in einer Schrift genannt: Göttlichkeit der Vernunft. Lübeck 1745; Johann Eberhard Rau: J. Ch. Edelmann eines leichtisinnigen Freydenckers und Religionsspötters dieser Zeit Glaubens-Bekänntnis und desselben kurze doch gründliche Widerlegung. Franckfurt / Leipzig 1746. 30 Georg Friedrich Meier: Vertheidigung der christlichen Religion wider Herrn Johann Christian Edelmann. Halle 21749 [erste Auflage 1748].
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er auf das Glaubensbekenntnis Edelmanns Bezug, das letzterem den Ruf als „Deist“, „Origenist“,31 „Indifferentist“ und „Sozianer“ eingebracht hatte. Meier kennzeichnet Edelmann als einen Phantasten, der wie Böhme, Gott und die Geister für sinnlich erfahrbar hielt. Er bezeichnet ihn aber nicht als Illuminierten, sondern subsumiert ihn, wie auch Harenberg und Süßmilch, unter die Spinozisten. Bezeichnenderweise wendet er den Begriff ‚Phantasma‘, der auch für den Gespensterseher Böhme reserviert war, an dieser Stelle nicht an, um Edelmanns vermeintliche Zwiegespräche mit Engeln zu deklassieren. Er bezieht sich damit vielmehr auf Edelmanns Gottesbegriff, genauer auf dessen Gleichsetzung von Gott mit ‚Geist‘ und ‚Kraft‘.32 Mehr noch: Meier nennt Edelmann nicht nur einen an Böhme erinnernden Phantasten, sondern vergleicht dessen Gottesbegriff in der Vertheidigung der christlichen Religion sogar mit demjenigen Böhmes und scheint damit auf einen gänzlich anderen Aspekt der Böhme-Rezeption zu rekurrieren: Bald sollte ich glauben, daß Herr Edelmann den Stein der Weisen suche, denn er redet die Sprache eines erleuchteten Adepten. Jacob Böhme und seine Aurora trägt dergleichen vor. Die Auffassung beruht darauf, daß Gott das Sein aller Dinge ist.33
Dass „Gott das Sein aller Dinge“ sei, ist eine Umschreibung für Edelmanns Pantheismus. Konkret dürfte sich dieser Vorwurf auf Edelmanns Dreifaltigkeitslehre beziehen, die den Korruptionsgedanken umkehrt und den Christen vorwirft, den heidnischen Gottesbegriff dadurch „verdorben“ zu haben,
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Der Streit um die Wiederbringung aller Dinge, der auch von Petersen aufgenommen worden sei, wurde von Jane Lead angezettelt, vgl. Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen, S. 1277–1281, § 212, hier S. 1277: „Die Meinung von dem so genannten ewigen Evangelio oder der Wiederbringung aller Dinge durch die endliche Aufhebung aller Höllenstrafen der verdamten Menschen und Teufel, ist ebenfall vor dem vom Petersen 1700 herausgegebenen ewigen Evangelio der allgemeinen Widerbringung aller Creaturen […] behauptet. […] Von dieser Meinung ist nicht nur die Lehre der Socianer vom Ende der Höllenstrafen, und der Papisten vom Fegefeuer, sondern auch der Griechen vom Mittelzustand nach dem Tode unterschieden“, sowie S. 1278: „Die vorläufige Behauptung 1) in älteren Zeiten ist dergleichen sowohl am deutlichsten und unstreitigsten vom Origine behauptet worden […] 2) In den folgenden Zeiten ist von manchen theosophischen Schriftstellern, dem Jac. Böhme und seinen Anhängern, sonderlich in England und Holland von der so genannten philadelphischen Gesellschaft dergleichen vorgegeben worden, aus deren Schriften und Meinungen Petersen eigentlich seine vorgegebene göttliche Offenbarung dieser Geheimnisse hergenommen.“ Als „prophétesse Boehmiste“ bekannt, hatte Jane Leade eine Vorrede zu Portages Theologia mystica verfasst, in der sie sich explizit auf Böhmes Lehren berief. Dass Meier Böhme hier als Visionisten bezeichnet, der Engel sieht und mit Gott spricht, mag auch diesem Aspekt der Böhme-Rezeption Rechnung tragen. Vgl. Rusterholz: Jacob Böhme und seine Anhänger, S. 61–105, hier S. 84. Dazu insgesamt auch Johanna Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung in Preußen im 18. Jahrhundert. Das Leben und Werk Ernst Georg Stahls. Tübingen 2000 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 13), S. 62ff. Meier: Vertheidigung der christlichen Religion wider Herrn Johann Christian Edelmann, S. 204. Ebd., S. 165.
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daß sie aus dem, was jene Kräffte und Eigenschaften nannten, Personen ertraumt, und also dem unaussprechlichen Wesen Gottes einen Begrif angedichtet, den sie mit weiter nichts, als mit ihren blossen Sagen begründeten.34
Wendet sich Edelmann hier gegen die Identifizierung der neuplatonischen Hypostasen mit den christlichen Personen, nimmt er demgegenüber eine Offenbarung an, „nach welcher sich Gott selbst in der ganzen Natur zu erkennen giebet“.35 Schon vor diesem Hintergrund ist es einleuchtend, dass er von seinen Zeitgenossen nicht nur als Deist, sondern als Pantheist wahrgenommen wurde. Zudem bezieht er sich an dieser Stelle auf die drei „chimischen“ Prinzipien der Natur, auf „Sal“, „Sulphur“ und „Mercurius“.36 Genau in dieser Prinzipienlehre, die als Dreifaltigkeit der Natur ausgewiesen und mit Gott gleichgesetzt wird, besteht nach Meier nun Edelmanns Anlehnung an Böhme. Demnach seien geistige Prinzipien als Wirkungen in der Welt zu verstehen und könnten als solche, in Unkenntnis der eigentlichen Ursachen, empfunden, erkannt und betrachtet werden.37 Anklänge einer kritischen Auseinandersetzung mit der Prinzipienlehre finden sich ebenfalls in Meiers Gespenstertraktat. Sie scheinen auf der Gleichsetzung von Edelmann und Böhme zu basieren. Wieso es hier jedoch zu einer Identifizierung von Pantheismus und Geisterseherei kommen kann, ob damit etwa die immanente Wendung einer pantheistischen Auslegung der Geister als Wirkprinzipien gemeint ist, erhellt ein Blick auf die frühaufklärerische Diskussion. Die Logik dieser Zuweisung speist sich nämlich ebenso wie der Illuminationsvorwurf aus einer frühaufklärerischen Platonismuskritik. Die als atheistisch bezeichnete Auffassung der Prinzipien bzw. der Hypostasen stammt nicht von Edelmann. Sie wurde bereits im 1700 anonym erschienenen Buch Platonisme devoilé des Hugenotten Jacques Souverain diskutiert. Souverain hatte zunächst platonisierenden Deutungen des Johannesevangeliums, besonders des Logos, den Boden entzogen, indem er das Wort ‚Logos‘ als Übersetzung des hebräischen behar (Kraft) verstand. Er interpretierte es als Ausdruck eines unmittelbaren göttlichen Schöpfungsbefehls, der keiner Zwischenstufe und keiner primordialen Weisheitswelt bedurfte. Damit war nicht nur die Existenz einer platonischen Geisterwelt, einer Zwischenwelt, wie Bücher sie dargelegte, verworfen. Zugleich lag ein massiver Angriff auf den trinitarischen Gottesbegriff vor, der in seiner radikalen Variante (der subordinitianischen Auslegung) zur Identifizierung der Welt mit Gottes Sohn (und letztlich in den Pantheismus) führen konnte.38 Ob34
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Johann Christian Edelmann: Abgenöthigtes Jedoch Andern nicht wieder aufgenöthigtes Glaubens-Bekentniß. Faksimile-Neudruck der Ausgabe 1746 mit e. Einl. v. Walter Grossmann, in: ders.: Sämtliche Schriften in Einzelausgaben. Hg. v. Walter Grossmann. Bd. 9. Stuttgart-Bad Cannstatt 1969, S. 36. Ebd., 37. Ebd., S. 36. Ebd., S. 41. Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, Kap. VI: „Die Destruktion des christlichen Platonismus“, S. 261–307.
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schon die innertrinitarischen Spekulationen für die vorliegende Fragestellung nicht unmittelbar relevant sind, bildet sich im Zuge dieser Diskussion ein Argumentationsmuster aus, das Meiers Edelmann- und Böhme-Kritik gleichermaßen zugrunde liegt: Der Identifizierung des Geistersehens aus Illumination mit dem so genannten pantheistischen ‚Sehen‘ geistiger Prinzipien. Beide Formen der Geisterseherei wurden als Varianten ein und desselben Fundaments, nämlich des Platonismus, verstanden, obschon sie auf jeweils unterschiedlichen Deutungen des Hypostasenverhältnisses basierten. Meier waren diese Zusammenhänge über Vermittlerfiguren bekannt. Die antiplatonische Atheismus-Diskussion fand im lokalen Milieu der Halleschen Frühaufklärung Anklang. Eine exponierte Stellung nahm der Hallenser Professor für Jurisprudenz Nikolaus Hieronymus Gundling ein.39 Der Schüler von Christian Thomasius, bis 1732 Professor der Rechte an der juristischen Fakultät,40 griff Souverains These bereits 1713 auf und projizierte sie sogar auf Plato zurück. Ich habe vor einiger Zeit im Vorübergehen Platon zur Klasse der Atheisten geschlagen […] Vielen hat meine Meinung nicht gefallen [...]. Diese Welt, die Gottes Erstgeborener genannt wird, führt er ein, auf daß sie als psychikos und logistikos hervorgeht, das heißt als beseelt und vernünftig. Aus der Vernunft oder dem Intellekt gehen unzählige Ideen hervor, die mit den Namen von Intelligenzen, Geistern und Göttern bezeichnet werden, und sie treten gleichsam als Mittelwesen zwischen den Seelen, die aus der Weltseele hervorgehen, und der Materie hervor; und bringen schließlich jene Leiter hervor, auf der man von der Materie zur Seele, von der Seele zur Idee bzw. zum Intellekt, vom Intellekt zu jener ersten, einzigen und besten Natur emporsteigt.41
Die zweite Hypostase wird demnach nicht nur mit der Vernunft identifiziert, sondern zugleich mit einem Beseelungsprinzip (psychikos). Aus diesem (auch als Kraft zu verstehenden) Prinzip emanieren platonische Zwischenwesen. Sie formieren sich als beseelte Geister zu einer eigenen Geisterwelt, die zwischen den Weltseelen und der Materie anzusiedeln sei. Liegt mit dieser Annahme zunächst das Konzept einer lebendigen Geisterwelt vor, so erweist sich für die Identifizierung Platos als Atheisten noch ein weiterer Kontext als zentral. Eine diesbezüglich relevante Vorlage fand Gundling nämlich in Wachters gegen Spinoza gerichteter Schrift, die 1699 unter dem Titel Der Spinozismus im Judenthumb (1699) erschien42 und nicht Plato, wohl aber Spinoza als Atheisten auswies. Wachter kam es vor allem auf Spinozas Identifizierung der Hypostasen mit den spinozistischen
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Nikolaus Hieronymus Grundling: Velitatio posterior de atheismo Platonis, in: Gundlingiana 44 (1729), S. 281–360; ders.: Plato atheos, in: Neue Bibliothek. 31. Stück. Halle 1713; ders.: Von Platonis Atheisterey, in: Gundlingiana 32. Halle 1724, S. 103–146. Zu Gundling: Carl F. Hempel: Vollständige Geschichte der Gelahrheit. Frankfurt / Leipzig 1736. Johann Christoph Hoffbauer: Geschichte der Universität zu Halle bis zum Jahre 1805. Halle 1805, S. 103. Gundling: Plato atheos, S. 7, zitiert nach Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 289f. Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 281: In der frühen Schrift war Wachter Cudworths Vorwurf der Weltidolatrie gefolgt.
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Attributen an.43 Genau aus dieser Denkfigur leitet auch Gundling Platons Atheismus ab, der nun explizit mit dem Spinozismus gleichgesetzt wird: Wie nämlich Spinoza sein Numen vor allem aus zwei Eigenschaften, Denken und Ausdehnung errichtet hat, so kennen auch die Platoniker auf der Seite GOTTES zwei Hypostasen, deren eine die ausgedehnte und beseelte Materie, deren andere die denkende oder logoshafte ist. Was Platon in rhetorischer Weise Hypostase oder Prinzip nennt, das heißt bei Spinoza ungeschminkt und in cartescher Terminologie Attribut. Es reicht, daß Platon und Spinoza darin übereinstimmen, daß die Natur eine ist; daß aus den Eingeweiden der Einheit die Materie hervorgegangen ist, der Intellekt hervorgegangen ist, die wirkende Seele hervorgegangen ist […]: was möchte ich doch wissen, ist das, wenn das nicht Atheismus?44
Besonders aus der Auffassung, die Attribute und Gott bildeten eine Einheit (Natur), aus der letztlich ‚alles‘ – auch die Geister – hervorgegangen sei, stellt den Ansatzpunkt für den Atheismusvorwurf dar. Die Plato unterstellte Gleichsetzung von Geist, Gott und Welt weist deutliche Bezüge zu dem von Meier gegen Edelmann gerichteten Vorwurf auf.45 Meier hat Edelmann ja nicht nur unterstellt, zur Abschaffung der Höllenstrafen beigetragen zu haben und ein Vertreter des NeoOrigenismus zu sein,46 sondern auch, einen pantheistischen Gottesbegriff zu vertreten. Edelmann griff in seiner Schrift auf Souverains Logos-Übersetzung zurück,
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Vgl. Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 288. In der unveröffentlichten Theologia Martyrium von 1712 vertrat Wachter die These, die prisca-sapientia sei keine Offenbarungstradition, sondern eine Tradition der reinen Vernunft, eine Auffassung, die auch als Variante der Cudworthschen Vorstellung von der offenbarungsunabhängigen monotheistischen Tradition interpretiert werden konnte. Zu Johann Christian Edelmanns Schriften vgl. Walter Grossmann: Johann Christian Edelmann; Annegret Schaper: Ein langer Abschied vom Christentum. Johann Christian Edelmann (1698–1767) und die deutsche Frühaufklärung. Marburg 1996. Anschlussstellen sieht Mulsow in Edelmann, der den vornizianischen Logos-Begriff mit den Lehren Spinozas parallelisiert. Vgl. dazu Winfried Schröder: Einleitung, in: ders. (Hg.): Johann Georg Wachter. Der Spinozismus im Judenthumb. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994 (Freidenker der europäischen Aufklärung. Hg. v. Winfried Schröder. Abteilung I.: Texte 1). Gundling: Plato atheus, S. 7f., zitiert nach Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 290f. Der Atheismusvorwurf leitet sich bei Gundling aus der Parallele zwischen der platonischen und der spinozistischen Gottesidee ab, die dem bei beiden Autoren nachweisbaren Emanationsmodell bzw. der Theorie der Substanzenvermischung zugrunde liege. Im Vordergrund steht dabei der Vorwurf, die platonisch-spinozistische Gottesidee basiere auf der Vorstellung von Gott als einer sinnlich-intelligiblen Hypostase, die implizit mit der Welt gleichgesetzt werde. Dabei greift Gundling jedoch weniger auf die Publikationen aus dem arminianischen Milieu als vielmehr auf die oben skizzierte Vorstellung zurück, die sich bei ihm noch mit einem (in Einklang mit Bayle stehenden) fideistischen Anliegen verbindet. Zu den Protagonisten der Halleschen Aufklärung, die sich um eine Vermittlung radikaler, anti-trinitarischer Positionen und platonisierender Logos-Interpretationen bemühten, zählte neben Gundling vor allem der von Mulsow als moderat bzw. konservativ bezeichnete Budde. Johann Franz Budde: Institutiones theologiae moralis. Leipzig 1727. Zwar sei der platonische Einfluss zuweilen schädlich gewesen, aber im Platonismus stecke die Wahrheit der natürlichen Theologie. Die Mittelposition Buddes in Bezug auf Platon operiert mit zwei Argumenten: 1. mit der Trennung Platons von den Neuplatonisten 2. mit der Legitimation von Platons Philosophie als natürlicher Theologie. Zu den Differenzen zwischen Gundling und Budde siehe Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, Kap. VII. Vgl. Meier: Vertheidigung der christlichen Religion wider Herrn Johann Christian Edelmann, S. 163.
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die den Ausgangspunkt der Hypostasenkritik und der Gleichsetzung der wirksamen Kraft mit der Materie und mit Gott bildete. Der Vorwurf der Geisterseherei wurde somit je nach Kontext auf unterschiedliche Ausformungen des Platonismus bezogen. Je nachdem, welche Hypostasenauslegung jeweils vorlag, konnte er sich auch gegen so genannte Radikalaufklärer wie Edelmann richten und meinte dann die Annahme von Kräften und geistigen Prinzipien, die in der Welt erfahrbar seien. Stellte das Geisterreich in Büchers Rekonstruktion eine transempirische Welt dar, die nur unter den Bedingungen der Illumination, also durch die Abstraktion von der Erfahrungswelt, zugänglich wurde, ist die „Geisterwelt“ Edelmanns, so will es jedenfalls die Polemik, als wirksames Prinzip der empirischen Welt anzusehen. Eben dieses Verständnis von Geisterseherei scheint sich zugleich aus BöhmeDeutungen abzuleiten. Dass dessen Texte Anhaltspunkte für eine pantheistische Gleichsetzung von „Kraft“ bzw. „Geist“, Materie und Gott lieferten, hatte bereits Jacob Thomasius behauptet.47 Schon zu Ende des 17. Jahrhunderts, und zwar vor der Publikation von Spinozas Ethik, hatte er nach möglichen Vorlagen für die Gleichsetzung gesucht und war u.a. bei Jacob Böhmes prima materia-Konzept fündig geworden, auf das sich auch Edelmann bezieht. Franz Buddes Dissertation von 1701 De Spinozismo ante Spinozam greift diesen Gedanken ebenfalls auf und der bereits erwähnte Gundling übernimmt ihn gleichfalls.48 Er führt die Reihung von pantheistischen Atheisten avant la lettre sogar noch weiter aus. Wenn Meier Edelmann und Böhme in Bezug auf ihren Pantheismus gleichsetzt, nimmt er nicht nur auf diese Kontroverse Bezug. Wie Gundling fügt er der Reihe mit Edelmann ein neues Element bei und setzt sie damit (wenngleich unter anderen Vorzeichen) fort.49 Das so genannte pantheistische „Gespenstersehen“ weist er ebenfalls als Phantasma aus. Hintergrund dieser Kritik ist jedoch nicht das Konzept einer pathologisch erhöhten Einbildungskraft, wie im Fall des Gespenstertraktats, sondern es sind die willkürlich gebildeten Begriffe. Mit Willkür bezeichnet Meier an dieser Stelle eine Form der Begriffsbildung, die auf den Verstandesoperationen basiert und eine allzu weit gefasste Abstraktion bezeichnet. Damit ist eine philosophische
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Jacob Thomasius: An Deus sit materia prima. Zitiert nach Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 295. Spezifisch für das Hallesche Milieu war somit nicht nur die bei Thomasius und Bayle nachweisbare Deutung der anti-trinitarischen (und subordinaristischen) Tendenzen als Wiederbelebung eines naturphilosophischen Atheismus, der seine Wurzeln in der Antike – z.B. bei Hippokrates – hatte. Mit dieser Deutung verbindet sich zudem eine Kritik am spinozistischen Gottesbegriff, dem sich auch Budde ausführlicher widmet. In seiner Schrift De Spinozismo ante Spinozam (1708) geht es ihm um die Historisierung dieser Gedanken. Darin führt er die Emanations- und Zwischenweltlehre auf die antike Philosophie zurück, u.a. auf Hippokrates, den auch Gundling in seiner Schrift erwähnt hatte. Franz Budde: De Spinozismo ante Spinozam. Halle 1701; Nikolaus Hieronymmus Gundling: Hippokrates atheos, in: Otia. Halle 1706, S. 82f. Israel: The Radical Enlightenment, zu Edelmann S. 659f.
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oder rationalistische Alternative zur psychologisch gedeuteten Schwärmerei entworfen, die mit einem epistemologischen Argument gestützt wird: Wenn wir uns durch unsere Sinne, und durch die Abstraktion, einen grossen Vorrath von Begriffen gesamelt haben, so nehmen wir bald diesen bald jenen Begriff, und bilden daraus einen neuen Begriff, den wir nicht ganz empfinden können, den wir aber auch nicht durch die blose Abstraktion bekommen. So erlangen wir den Begriff von der Substanz, von einem Geiste, und v. unzählichen anderen Dingen.50
Dieser Meiers Edelmann-Invektive entnommene Passus macht auf eine weitere Parallele zwischen Edelmann und Böhme aufmerksam. Die Argumentation weist nun deutliche Bezüge zur bereits bekannten Destruktion des Gespenstersehers auf, die Meier im Rahmen der ersten Meinung entwickelt hat. Nimmt man die Baumgartensche Metaphysik als Referenztext, dürfte es vor allem die willkürliche Kombinationsfähigkeit des Verstandes sein, die für die Bildung derartiger Begriffe verantwortlich ist. Mit seiner psychologischen Kritik setzt Meier nicht mehr nur bei den unteren Sinnesvermögen bzw. deren Fehlfunktionen an, sondern erweitert den Phantasma-Begriff durch einen erkenntniskritischen Aspekt, der Parallelen zu Lockes Destruktion des Substanz- bzw. Geistbegriffs aufweist.51 Dass der Vorwurf willkürlicher Abstraktion eine entscheidende zweite Säule der Schwärmerkritik bildet, zeigt eine spätere literarische Adaptation. In Karl Philip Moritz’ Anton Reiser lernt der Protagonist unter dem Einfluss des Quietismus nicht nur, seine Sinne zu „ertöten“. Wenn er in seiner Abgeschiedenheit mit Gott spricht oder zumindest, was seinem Alter angemessener erscheint, mit dessen Sohne in der „Schiebekarre“ spielt,52 verweist der Erzähler kommentierend auf den Einfluss einer „sonderbarste[n] Ideenkombination, die wohl je in einem menschlichen Gehirn mag existiert haben“.53 Dabei bilden psychologische und anti-idealistische Phantasma-Kritik ein Amalgam. Sie stellen nicht nur zwei Aspekte der mystischen Schwärmerei dar. Blickt man auf die Texte von Gundling und Thomasius, lässt sich festhalten, dass beide Varianten aus unterschiedlichen Akzenten der Platonismuskritik entwickelt wurden. Die anti-idealistische Variante entsteht primär in Auseinandersetzung mit einer pantheistischen Auslegung der Hypostasen, während die psychologische Variante in Abgrenzung zu einem schwärmerischen Illuminationsanspruch und der Zwischenreichlehre ihre Konturen erhält. Dass beide Versio50 51
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Meier: Vertheidigung der christlichen Religion wider Herrn Johann Christian Edelmann, S. 98. Locke: Essay Concerning Human Understanding, Book 2, Chap. 13, S. 316, § 36f. Eine andere als negative Erkenntnis des separaten Geistes war nach Locke schon deshalb nicht möglich, weil alle Ideen von den sinnlichen Ideen der Körper ihren Ausgang nehmen, die sich von den geistigen Substanzen definitorisch unterscheiden. Jede positive Bestimmung des Geistes (‚spirit‘) ist deshalb das Produkt einer arbiträren Begriffsbildung. Ein ‚Gespenst‘ unterscheidet sich konzeptionell von diesem reinen, durch die willkürliche Zusammensetzung positiv bestimmten Geistbegriff lediglich dadurch, dass es für sinnliche Realität gehalten wird. Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. Ein psychologischer Roman, in: ders.: Werke in zwei Bänden. Hg. v. Heide Hollmer / Albert Meier Bd. 1. Frankfurt/M. 1999, S. 85–518, hier S. 102. Ebd., S. 104.
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nen um 1750 kaum mehr systematisch unterschieden werden und meist gleichberechtigt nebeneinander stehen, verweist auf eine Eklektisierung des frühaufklärerischen Bezugssystems. Zudem steht bei Meier nicht primär der Atheismus- oder Häresievorwurf im Zentrum der Argumentation. Es ist auch nicht der Fanatismus, sondern vielmehr die erfahrungsabhängige Begriffsbildung sowie die unregelmäßige Assoziation und Kombination, die hier unter Willkürverdacht gerät. Dass beide Versionen in der Platonismuskritik eine gemeinsame Basis haben, wird bei Meier nicht mehr explizit gemacht. Dennoch tradiert sich diese Basis in der Figur des Pendelumschlags weiter. Sie wirkt ferner in Deutungen von historischen Übergangsfiguren wie Edelmann fort, deren Fraktionswechsel als Wechsel von einer Extremposition, der Schwärmerei, in eine andere, den Atheismus, gedeutet wird. Die ideengeschichtliche Gemeinsamkeit dieser beiden Positionen ist ihr Bezug zur Hypostasentheologie. Obschon ihr Einsatzpunkt nicht primär der Atheismusvorwurf ist,54 kann Meier vor diesem Hintergrund dennoch als Vertreter einer moderaten Aufklärung angesehen werden,55 der Glaubensfragen mit philosophischen Positionen vermittelt, dabei aber in zentralen Fragen wie der der Unsterblichkeit einen Vernunftagnostizismus vertritt.
6.4. Am Beispiel Böhme: Spekulative und rationalistische Umdeutungen neuplatonischer Weisheitskonzeptionen Meiers Phantasma-Kritik richtet sich nicht nur gegen Edelmann und den Illuminationsanspruch von Separatisten, sondern gleichermaßen gegen eine primär philosophische Weisheitstradition. In diesem Zug bildete sich ein Amalgam von äußerst disparaten philosophiehistorischen Traditionen, die ebenfalls mit dem Label Schwärmerei versehen worden sind. Über die neuplatonische Weisheitstradition gibt zunächst ein Eintrag aus Siegmund Baumgartens bereits erwähnter Geschichte der Religionspartheyen Auskunft. Im § 186 beschreibt er dort eine Gruppe von Separatisten, die er „theosophische Parthey“ nennt56 und zu der er neben Böhme auch Michael Maier, Robert Fludd, Johann van Helmont, Christian Knorr von Rosenroth und van Helmonts Sohn Mercurius zählt. Letzterer habe in den Paradoxaldiscursen mit der Unterscheidung von der „grossen und kleinen Welt […] Para-
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Meier: Vertheidigung der christlichen Religion wider Herrn Johann Christian Edelmann, § 34. Der Ausdruck ‚moderate Aufklärung‘ bezieht sich auf John G. A. Pocock: Clergy and Commerce. The Conservative Enlightenment in England, in: Età dei Lumi. Studi storici sul Settecento europeo in onore di Franco Venturi. Neapel 1985, S. 525–562 sowie ders.: Post Puritan England and the Problem of Enlightenment, in: Perez Zagorin (Hg.): Culture and Politics. Los Angeles 1987. Gemeint ist damit ein Verständnis von Aufklärung, das seine Legitimität nicht auf der Gegenüberstellung von Vernunft und Religion bezieht, sondern die Grundlagen des naturrechtlichen Zeitalters adaptiert hat, ohne sie gegen die Religion zu wenden. Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen, S. 1085.
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celsi und Böhmens und der Cabbalisten Meinungen und Lersätze zusammengetragen“.57 Mit der Nennung van Helmonts liefert Baumgarten einen entscheidenden Hinweis auf die Böhme-Rezeption im Rahmen des Cambridger Platonismus, die neben der mystischen Tradition ein – wenn nicht das – wesentliche Vermittlungszentrum von Böhmes Philosophie in der deutschsprachigen Aufklärung war und gleichermaßen zur Ausbildung von antiidealistischen Rezeptionsmustern beigetragen hat. Von der als platonisch bezeichneten Hypostasenspekulation und dem aus ihr abgeleiteten Gottesbegriff ist ein philosophischer Platonismus zu unterscheiden, wie er mit Ralph Cudworths Schriften vorliegt. Dieser rekonstruiert in seinem mehrbändigen Werk The True Intellectual System of the Universe, das der mittleren Aufklärung durch Mosheims Übersetzung vermittelt wurde, eine theosophische Offenbarungstradition, die sich auf die Vernunft stützte. Radikale Ausleger wie Wachter spitzten diese Weisheitskonzeptionen – so in seiner späten unveröffentlichten Schrift Theologia Martyrum (1712)58 – dahingehend zu, dass sie in der prisca sapientia nicht mehr eine Offenbarungstradition, sondern eine Tradition der reinen Vernunft sahen.59 Diese Tendenz lässt sich auch an der Böhme-Rezeption der Cambridger Neuplatoniker nachweisen;60 seine Schriften waren jedenfalls ins Englische übersetzt und im englischsprachigen Raum insgesamt relativ gut greifbar.61 Am Beispielfall Böhme wird von dort eine philosophische Nobilitierung von Phantasten vollzogen, wie sich unter anderem an den Schriften des Cambridger Philosophen Henry More ablesen lässt.62 In seinen Dialogi Divini tritt er jedenfalls als Böhme-Apologet hervor und führt den Görlitzer darin als Musterbeispiel eines philosophisch-spekulativen Philosophen ein, der – so hieß es ja auch bei Meier –
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Ebd., S. 1088f. Neben den Goldmacherkünsten wird hier auf die Metempsychose Bezug genommen, wie sie im Seder Olam vertreten wurde. Schon dieser Kontext verdeutlicht, dass die Hallenser die auch von Serge Hutin beschriebene Böhme-Rezeption im Umkreis der Rosenkreuzer und auch der Royal Society nicht nur wahrgenommen, sondern gleichermaßen unter die theosophischen Irrtümer (als philosophischen Enthusiasmus) gerechnet haben. Serge Hutin: Les Disciples anglais de Jacob Boehme aux XVIIe et XVIIIe siècles. Paris 1960, S. 77–79. Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 281. Vgl. dazu Winfried Schröder: Einleitung, in: ders. (Hg.): Johann Georg Wachter. Der Spinozismus im Judenthumb. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994 (Freidenker der europäischen Aufklärung. Abt. I: Texte 1). Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 387. Nach der Übersetzung von Sparrow und Ellingstone ist auch eine englische Werkausgabe angefertigt worden, die zwischen 1645 und 1663 erschien. Serge Hutin: Les Disciples anglais de Jacob Boehme aux XVIIe et XVIIIe, S. 77–79. Allerdings wurde More primär wegen seiner Enthusiasmus-Kritik rezipiert, vgl. [Anonym]: Von der Gräfin Conway, nebst einem gelegentlichen Beitrage zur Geschichte des animalischen Magnetismus vor Mesmer, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1786), S. 154–166, hier S. 164. In diesem Kontext wird Conway als „schwärmende Philosophin“ (160) und Heilerin bezeichnet, die mit More bekannt war.
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mit den Engeln rede.63 Mores eigenem Enthusiasmusschema folgend, ließe sich die Fähigkeit, mit Engeln zu sprechen, unter die göttlichen subsumieren.64 Diesem Enthusiasmusbegriff wird jedoch ein „philosophisch-spekulativer“ entgegengesetzt, der zur Verteidigung Böhmes dient.65 More kennzeichnet Böhme indes als einen „wahren Philosoph“,66 der über ein primordiales, prä-adamitisches (von der Schriftoffenbarung unabhängiges) Schöpfungswissen verfüge, wie es auch in der Genesis und der pythagoreischen Philosophie überliefert sei.67 Damit war Böhme der Tradition der prisca philosophia zugeordnet, womit nun eine rationale philosophische Weisheitstradition gemeint war. In der mittleren Aufklärung gewinnt dieses Böhme-Bild unter anderem durch die Schriften des Leibnizianers Michael Gottlieb Hansch Profil.68 Hansch gilt nicht nur als wesentlicher Vermittler der Leibnizschen Philosophie, sondern führt in seinem Traktat Diatriba de Enthusiasmo auch eine intensive Auseinandersetzung mit Mores positivem Enthusias-
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More: Dialogi Divini. Per Autorem Latinè redditi. Disquisitiones varias et Instructiones continentes de Attributis et Providentia Dei, in: ders.: Opera omnia. II: Opera Philosophica. Tomus 1. Hildesheim 1966 (Nach der Ausgabe London 1679), S. 639–772, hier S. 719f. Vgl. Zedler: Artikel ‚Vernunft‘, Bd. 47, Sp. 1389–1495. In der Übersetzung von Johann Friedrich Mayer: Merici Casauboni de Enthvsiasmo commentarius, quem ex anglico latine reddi edique cvravit. Greifswald 1708, S. 9. Henry More: Philosophiae Teutonicae censura sive Epistola privata ad Amicum quae responsum complectitur ad quaestiones quinque de philosopho teutonico jacobo behmen iliúsque philosophia. Ab Autore Latinè reddita. London 1679, in: Opera omnia. II. Opera Philosophica. Tomus I. S. 531–561, S. 540: „Caeterum si inspiratus non esset, ut eum continuò Maniacum concludamus, nullam video necessitatem. Debemus quidem agnoscere Enthusiasten esse, quippe qui tam confidenter seipsum inspiratum autumat, cùm reverà non sit, in rebus putà speculationis Philosophicae. Et pone quidem Divinationem & Enthusiasmum tam crassè hallucinatum, an non videmus nonnullos qui ingenii ac Rationis plusquam ordinariae privilegium sibi vendicant, magìs crasse ac periculose erasse.“ Zwar lehnt More die Möglichkeit ab, dass Böhme wahrhaft inspiriert gewesen sei, doch hält er seine Abhandlungen für die eines philosophischen Genius. Demnach herrscht in Böhmes Schriften ein spiritus, der aber weder ein diabolischer noch ein göttlicher ist, sondern eine philosophische Erleuchtung. Zentrale Aspekte von Mores Lehre erlaubten, ihn in Anlehnung an den Subordinarismus der Cambridger Neuplatoniker als Verfechter einer Naturphilosophie zu propagieren, die sich gegen Thomas Hobbes und Pierre Gassendi anführen ließ. Darin mag seine Attraktivität für die Aufklärung bestanden haben. Dass er sich dabei auf die Trinitätsspekulationen Böhmes berief, ist nicht weiter verwunderlich, denn er gilt – im Gegensatz zu den Deisten und Alchemisten – als dezidierter Trinitarier, der die Trinität subordinaristisch deutet. More: Philosophiae Teutonicae, S. 544. Hutin: Henry More, S. 108–111. Es ist dieser theologische Enthusiasmus bonam partem, den Hansch gegen den pejorisierenden Gebrauch der Zeit stark zu machen versucht, Michael Gottlieb Hansch: Diatriba de Enthusiasmo Platonico. In qua sublimia Platonicorum de ultimo animae humanae in divinam essentiam reditu philosophemata methodo facili atque evidenti ex suis principiis deducuntur, in originem & progressum eorundem inquiritur media quoque obteniendi redunitionem illam mentis nostrae cum Deo exponuntur, singula optimorum auctorum fide uberius confirmantur atque illustrantur, omnia denique ad rectae rationis normam exiguntur. Leipzig 1716; Zedler: Artikel ‚Enthusiasmus‘, Sp. 1286: „zu unseren Zeiten [wird] […] das Wort Enthusiasterey allemal im bösen Verstand genommen.“
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mus-Konzept und diskutiert in diesem Zusammenhang, ob sich Religionswahrheiten wie die Unsterblichkeit mit dem lumen naturale begründen ließen. Bezeichnenderweise scheint die mittlere moderate Aufklärung Mores Aufwertung nicht zu übernehmen. Unter Beibehaltung der These, dass die Weisheitstradition eine philosophische sei, kehrte sie dessen Legitimationsschema um, und zwar, indem sie sich auf Wahnwitz, falsche Schlüsse und Einbildung als mögliche Quellen eines falschen Enthusiasmus berief. Gegen die philosophische Nobilitierung Mores mobilisiert sie eine Idealismuskritik, die sich mit der Begriffsbildung sowie mit der Unterscheidung von heuristisch nützlichen Fiktionen und willkürlichen Abstraktionen auseinandersetzte. In dieser Auseinandersetzung wurde die Transformation eines Idealismus, der sich nicht mehr primär auf das Außenweltproblem bezog, greifbar. Dabei vollzog sich eine Orientierung des Wissens an der Welt. Als idealistische Philosophie wird diese philosophische Weisheitstradition einer erkenntnistheoretischen Kritik unterzogen.69
6.5. „Muthwillige Abstrakzionen“ und „wirkende Geister“: Transformationen frühaufklärerischer Schwärmerkritik in Wielands Geschichte des Agathon (1766/67) Sedimente der oben skizzierten erkenntniskritischen und psychologischen Phantasmakritik haben in Christoph Martin Wielands philosophischen Schwärmerroman Geschichte des Agathon Eingang gefunden. Wenngleich der Text fast zwanzig Jahre nach Meiers Traktat erschien und Wielands Gespenster- und Geisterkritik dort von empfindsamen Diskursmomenten bestimmt ist, die für Meier noch keine Rolle spielen, weist er doch deutliche Parallelen zu den oben beschriebenen Schematisierungstendenzen auf. Sie lassen sich, wie der vorliegende Abschnitt zeigen möchte, insbesondere an den Hauptfiguren Agathon und Hippias nachweisen. Mit beiden hat sich die Forschungsliteratur bereits eingehend auseinandergesetzt. Sie wurden z.B. als abstrakte „Variationen philosophischer Grundhaltungen“ begriffen,70 die allgemeine „philosophische Weltanschauungstypen“71 (Idealismus, Agnostizismus, Hedonismus) verkörpern. Oder man verstand sie als Repräsentanten 69
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Bereits hier lässt sich also die anti-idealistische Konnotation der Gespensterkritik ablesen, die noch in Friedrich Nicolais gegen Fichte gerichtetem Vorwurf der phantastischen Geisterseherei (der auf einer missverständlichen Auslegung des Ichs basiert) nachklingt. Friedrich Nicolai: Beispiel einer Erscheinung mehrerer Phantasmen; nebst einigen erläuternden Anmerkungen. Vorgelesen in der Akademie der Wissenschaften d. 28. Hornung 1799, in: Berlinische Monatsschrift 5 (1799), S. 321–360, hier S. 357. Jan-Dirk Müller: Wielands späte Romane. Untersuchungen zur Erzählweise und zur erzählten Wirklichkeit. München 1971. Horst Thomé: Menschliche Natur und Allegorie sozialer Verhältnisse. Zur politischen Funktion philosophischer Konzeptionen in Wielands „Geschichte des Agathon“ (1766/67), in: Jb. der dt. Schillergesellschaft 22 (1978), S. 105–234.
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konkreter historischer Positionen im philosophischen Feld. Obschon die Forschung diese ideengeschichtlichen Konstellationen (Sensualismus, moral-sense-Empfindsamkeit) umfassend rekonstruiert hat,72 ist, wie auch Martin Mulsow vermerkt,73 die frühaufklärerische Platonismuskritik bislang nicht in gebührendem Maß als Deutungsrahmen für die Wielandsche Figurenkonstellation wahrgenommen worden. Indem er diesen Zusammenhängen nachgeht, versucht der vorliegende Abschnitt, ein für den Roman wichtiges Fundament, den Antiplatonismus, freizulegen. Ohne Frage ist Agathon nicht nur ein Idealist, sondern auch ein Schwärmer neuen Typs. Schon in der Eingangsepisode erweist er sich als Held, der angesichts des Schauspiels der Natur sich selbst vergisst. Bereits zu Beginn kippt sein empfindsamer Habitus in Schwärmerei um, die, der Erzähler deutet es an, auf einem Missverhältnis von Einbildung und Empfindung basiert.74 Auch das spätere Philosophengespräch mit dem Sophisten Hippias bestätigt diesen Eindruck. Darin greift Agathon, als er zur Rechtfertigung seiner Geistphilosophie ansetzt, auf eine konkrete historische Position, nämlich auf die moral-sense-Philosophie, zurück:75 Die Rede ist hier nicht davon, sich selbst muthwillig, durch willkürliche Abstrakzionen zu betrügen, sondern die Wahrheit zu suchen; und wenn es dein Ernst wäre, die Wahrheit zu suchen, wie wär’ es möglich, sie zu verfehlen; sie, die sich dem allgemeinen Gefühl der Menschheit aufdringt?76
Agathon antizipiert in diesem Passus zunächst mögliche Einwände gegen seine Geistphilosophie und pariert diese mit dem Verweis auf sein moralisches Gefühl, das ihm als Beleg für die Existenz der Geisterwelt gilt. Er rekurriert damit auf ein Legitimationsschema, das ihm die englische moral-sense-Philosophie an die Hand geliefert haben könnte. In der Formulierung „muthwillige Abstrakzionen“ klingt zudem eine Erkenntniskritik an, die sich nicht nur aus diesem Kontext speist, sondern auf eine Auseinandersetzung mit dem frühaufklärerischen Platonismus deutet. Meier hatte den Vorwurf der „willkürlichen Abstrakzionen“ gegen Edelmann erhoben. Er meinte mit diesem Etikett zunächst jene Begriffe, die nicht durch regelmäßige Verstandesoperationen gebildet werden und daher mit Erfahrungsbegriffen nicht kompatibel seien. Gegen eben diese Willkürkritik verteidigt sich Agathon mit dem Argument, seine Philosophie bedürfe überhaupt keiner abstrakten Begründung, da 72 73 74 75 76
Walter Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung. Christoph Martin Wielands „Agathon“Projekt. Tübingen 1991, S. 110 und 140f. Martin Mulsow: Monadenlehre, Hermetik und Deismus. Georg Schades geheime Aufklärungsgesellschaft. Hamburg 1998 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 22), S. 31f. Vgl. Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 100. Vermittelt z.B. über Johann Joachim Spalding, vgl. dazu Walter Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 110. Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon, in: ders.: Sämmtliche Werke. Hg. v. der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Bd. 1. Hamburg 1984, S. 90.
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sie nicht auf „Vernunftschlüssen“, sondern allein auf dem Gefühl basiere.77 Ideengeschichtlich gesprochen übertrumpft er damit Meiers Willkürkritik. Er greift jedenfalls einen von Meier gegen den Schwärmer Edelmann vorgebrachten Einwurf auf, widerlegt ihn und spinnt diesen Faden weiter, indem er nun das Gefühl gegen den möglichen Willkürverdacht anführt. Dass Agathon auf die Schwärmerkritik der mittleren Aufklärung, wie sie z.B. durch Meier repräsentiert wird, reagiert und sich gegen sie verteidigt, ist auch einem weiteren Passus zu entnehmen. Zu seiner Rechtfertigung bringt er nämlich eine kosmologische Begründung an, die auf den allgemeinen Weltzusammenhang rekurriert: Was ist dieses grosse Ganze, welches wir die Welt nennen, anders als ein Inbegriff von Wirkungen? Wo ist die Ursache davon? Oder kannst du Wirkungen ohne Ursache, oder zusammenhängende, regelmässige, sich aus einander entwickelnde, und in Einem Zweck zusammenstimmende Wirkungen ohne eine verständige Ursache denken?78
Die Deutung der Welt als „Inbegriff von Wirkungen“ sowie der Versuch, Gott als Ursache der Welt in der Welt zu erkennen, mutet zunächst deistisch an. Darüber hinaus scheint Agathons Erwähnung des „grosse[n] Ganze[n]“ und weiter unten der „wirksame[n] Geister“ bemerkenswert, weil sie sich nicht umstandslos oder nur ausschließlich einer deistischen Position zuordnen lässt. Sie scheint zudem auf hermetisch-pantheistischen Theoremen zu basieren, wie sich durch folgende Überlegungen erhellen lässt. Blickt man auf Edelmanns Glaubensbekentniß, fallen weitere Parallelen zwischen jenem und Agathons Position ins Auge. Wie Agathon führt Edelmann Erscheinungen und Bewegungen auf geistige Prinzipien zurück und hält Gott für deren letzte Ursache. Empfinden / erkennen / betrachten / beschauen und bewundern können wir Gott und seine Wercke wohl: Aber wer kann wissen / was alles dasjenige […] eigentlich seiner Natur und Beschaffenheit nach sei […] [A]ls Frey=Städte der menschlichen Unwissenheit / dahin wir zu fliehn genöthiget werden, wenn wir sonst nicht weiter kommen können, und die nächste Ursache, die wir noch zur Noth bey einem oder dem andern angeben, setzt entweder allemahl noch eine andre Ursache voraus, die wir nicht wissen.79
Anders als Agathon räumt Edelmann zunächst ein, die letzte Ursache nicht aus der Welt erkennen zu können. Anstatt dieses Argument nun als Beleg für die Grenzen der Vernunfteinsicht zu verstehen, überführt Wielands Schwärmer diesen Agnostizismus in eine moral-sense-Philosophie. Er setzt an die Stelle der Vernunft das Gefühl und versucht erneut, Gottes Existenz abzuleiten. Trotz der Differenzen knüpft er damit an Edelmanns Argumentationsduktus an.
77 78 79
Ebd., S. 91. Manfred Frank: Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2002, S. 76. Wieland: Geschichte des Agathon, S. 90. Edelmann: Glaubensbekentniß, S. 42.
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Eine weitere Parallele zwischen Agathon und Edelmann besteht in ihrem jeweiligen Rekurs auf ein neuplatonisches Emanationssystem, das einen weiteren Pfeiler ihrer jeweiligen Geistphilosophie darstellt. In Ergänzung zu anderen philosophischen Positionen heißt es bei Edelmann zunächst, dass sich Gott „auf dreifache Art offenbahret“.80 Damit spielt er auf die drei Prinzipien bzw. die drei platonischen Hypostasen an. Auch Agathon nimmt auf diese Idee Bezug. Im Unterschied zu Edelmann spricht er allerdings von einem „Ausflusse“ der Geister und nicht von einer Offenbarung.81 Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, dass der oberste Geist, dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übrigen Geister sind, ein Wesen zerstören werde, das er fähig gemacht hat, so glücklich zu seyn, als ich es schon gewesen bin. 82
Je nach Definition des „Ausflusses“, also dem unterstellten Verhältnis der Geister zu Gott, eröffnet der Passus grundsätzlich eine pantheistische Lesart und bietet damit eine Angriffsfläche für einen Vorwurf, der auch gegen Edelmann erhoben wurde. Er betraf allgemein das Verhältnis von Gott und Attributen und lässt sich gleichermaßen auf Agathon übertragen. Obschon diese möglichen Vorwürfe bei Wieland im Verlauf des Philosophengesprächs nicht weiter entfaltet werden und ihnen im Roman auch sonst keine entscheidende Rolle zukommt, spielt Wieland an dieser Stelle auf die Platonismusdiskussion seiner Zeit an, auf deren Basis sich die Aporien entfalten. Dafür spricht ein weiterer Umstand. Zwar ist nicht anzunehmen, dass Wieland Edelmanns Schrift oder Meiers Invektive als konkrete Vorlagen für die Ausarbeitung seines Gesprächs dienten. In den 1750er Jahren hat er aber Meiers Karriere verfolgt und einige seiner ästhetischen Hauptschriften zur Kenntnis genommen. Jedenfalls schickte Wieland Meier gegen Ende der 1740er Jahre das Manuskript seines Lehrgedichtes Die Natur der Dinge anonym zu. Meier versah es mit einer einleitenden Vorrede und gab es zum Druck, angeblich weil es den „Teutschen noch bis jetzt an großen Original-Lehrgedichten fehle“.83 Mit dem Braunschweiger Milieu war Wieland gleichermaßen in Kontakt gekommen. 1752 bemühte er sich um eine Anstellung an dem von Herzog Karl gegründeten Kolleg.84 Sein Biograf Gruber nennt einige Gründe für diese Präferenz; das Interesse habe offenbar mit der literarischen Produktion der 1750er und der Bedeutung Braunschweigs als einem Weimar avant la lettre zu tun gehabt. Möglicherweise erhoffte sich Wieland darüber Kontakte zu den Herausgebern der Bremischen Beyträge, zu Ebert und Gärtner, die am Kolleg lehrten.85 80 81 82 83 84 85
Ebd., S. 36. Wieland: Geschichte des Agathon, S. 90. Ebd., S. 86. Gruber: C. M. Wielands Leben, S. 85. Ebd., S. 120. Ebd.
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Schon diese personalen Verflechtungen und inhaltlichen Bezugnahmen lassen erahnen, dass sich Wieland mit der naturphilosophischen und erkenntniskritischen Schwärmerdiskussion bereits in den 1750er Jahren, also vor seiner Rezeption der moral-sense-Philosophie, befasst hat und dass diese Zusammenhänge auch für seinen Schwärmerroman noch maßgeblich sind. Jedenfalls bezeugt sein 1750 entworfenes Lehrgedicht Die Natur der Dinge, dass er sowohl die neuplatonischen Vermittlungslinien als auch die antiplatonische Kritik der Frühaufklärung in einem von der Forschung bislang kaum registrierten Maß zur Kenntnis nahm. Im zweiten Buch der Natur der Dinge äußert er sich zu diesem Komplex ausführlicher, indem er Hermes Trismegistos, Plotin und Böhme erwähnt: Doch wie wirkt diese [die göttliche] Kraft? Wie weit wird’s uns gelingen, Ins Unermessliche mit schwachem Blick zu dringen? Der ältesten Weise Schaar, vom Trisgemist gelehrt, Hat jenen Wahn gezeugt, den noch der Indus ehrt, Den einst Plotin erneut, Jochaides verdunkelt, Und der mit blassem Schein in Böhms Aurora funkelt. Die allzu furchtbare, zu warme Fantasey Ist die Gebärerin von dieser Schwärmerey; Sie mischt und wechselt stets die Bilder mit den Sachen Die durch die Bilder uns Witz soll sichtbar machen.86
Die Gleichsetzung der Kräfte mit Gott nennt Wieland zunächst ein Phantasma, das er, wie Meier, psychologisch als Verwechslung von Einbildung und Empfindung begreift. Auch seine Wortwahl („Wahn“, „Witz“) lässt eine Anlehnung an Meier erkennen. Den Zielpunkt seiner Kritik bildet eine Gruppe von so genannten „ältesten Weisen“, zu denen Hermes Trismegistos wie auch Plotin und Jacob Böhme gezählt werden. Diese Reihung folgt einem historiographischen Schema, das Cudworth in seinem True Intellectual System entworfen hatte, welches aber von der Frühauklärung durchaus kritisch gewendet wurde. Das Muster der Kritik – die Reihung und die Subsumption der oben genannten Philosophen unter das Label „Phantasten“ – bleibt bei Wieland ebenfalls dem Vorwurf der Weltidolatrie verhaftet, den bereits Gundling erhoben hatte. Obschon er im Gegensatz zu anderen Autoren sehr wohl zwischen Platon und den „unächten Platonisten“ unterscheidet und sich hierin bereits eine Rehabilitierung der platonischen Tradition ankündigt,87 deutet die Nennung der Autoren in einem Zug gleichwohl auf die Ausbildung und Stabilisierung eines relativ stereotypen Rezeptionsschemas, das einen gewissen Spezifitätsverlust im Umgang mit der (neu)platonischen Tradition indiziert. Wielands Rückgriff auf die um 1750 aktuelle Diskussion lässt sich gleichfalls an der Figur des Hippias ablesen. Bereits zu Beginn des Gesprächs quittiert dieser 86
87
Christoph Martin Wieland: Die Natur der Dinge, in: ders.: Sämtliche Werke. Hg. von der Hamburger Stiftung der Förderung von Wissenschaft und Kultur. Bd. 2. Hamburg 1984, S. 68. Dazu auch Mulsow: Monadenlehre, Hermetik und Deismus, S. 66. Wieland: Die Natur der Dinge, S. 104.
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Agathons ,Emanationstheorie‘ mit der Bemerkung: „Ein neues Vielleicht? Woher kennst Du diesen obersten Geist“?88 „Vielleicht“ ist in der Tat eines von Agathons Lieblingsworten, das den hypothetischen Status seiner Geistphilosophie kennzeichnen soll und vom Sophisten als Willkürindiz gelesen wird. Hippias bezeichnet Agathons Schwärmereien nämlich als „Hirngespinste“ (Phantasmen), die nicht nur auf einer psychologisch verstandenen „lebhaften Einbildungskraft“ basierten, sondern zugleich auf einer Erkenntnishaltung. Sie sei für seine falsche „Denkungsart“ geradezu symptomatisch und verleite ihn, nur „idealische Wesen“ zu sehen. „Was soll man“, schließt Hippias, „mit einem Menschen anfangen, der Geister sieht“?89 – der nur Geister sieht, könnte man anfügen. Denn mit Geistern meint Hippias an dieser Stelle Wesen, die man, so der Materialist, nicht eigentlich sehen könne, weil sie nicht wirklich seien. In seinem Lehrgedicht Die Natur der Dinge benutzt Wieland das Wort ‚Geist‘ bzw. ‚Gespenst‘ in gleich lautendem antiidealistischen Sinn. Idealische Wesen sind solche, die nicht bzw. nur in der Einbildung existierten und deshalb auch als Gespenster zu benennen seien: In Ätnas tiefem Bauch, in Gründen voller Grauen, Schließts’ ein Palast ihn ein, in dichtem Fels gehauen. Hier leb’ er so wie einst im Hain Brosseliand Merlin verzaubert lag von Vivianens Hand; Nichts als Gespenster seh’ in schwarzen Marmorzimmern, Sein ungewisses Aug’ an glatten Wänden flimmern. Er kenne nicht den Reitz der Mannigfaltigkeit, Den süssen Unbestand, der unser Aug’ erfreut; Ein blasses Schattenspiel einförmiger Ideen Blieb unverändert stets vor seiner Stirne stehen.90
Wenn Wieland hier die Abgeschiedenheit des Einsiedlers beschreibt, mischen sich in diese Paraphrase verschiedene Momente der Schwärmerkritik, die von antiidealistischen Elementen getragen werden. Denn das „Schattenspiel einförmiger Ideen“ ist als Resultat eines Projektionsvorgangs zu lesen, der zu einer Verwechslung von Einbildungen und Empfindungen führen kann. Speist sich dieses Bild aus dem platonischen Höhlengleichnis, ist es geradezu als eine Umkehrung desselben zu lesen, so wird später die laterna magica zum epistemischen Modell für diese psychologisch gedeutete Projektion. Dass der Projektionsvorgang zugleich eine Haltung idealistischer Philosophen kennzeichnet und diese damit polemisch deklassiert, illustriert deutlich die negative Verwendung des Wortes ‚Gespenst‘. Denn diejenigen Gespenster, die der verzauberte Merlin sieht, werden mit dem „blasse[n] Schattenspiel einförmiger Ideen“ gleichgesetzt.
88 89 90
Wieland: Geschichte des Agathon, S. 86. Ebd., S. 94. Wieland: Die Natur der Dinge, S. 21.
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Die Rede vom Schattenspiel wirft ein Licht auf Wielands Idealismusbegriff. Wenn er das Schattenspiel als Projektion ausweist und als negative Schablone benutzt, dann lässt sich daraus auf seinen Idealismusbegriff schließen. Denn im Vordergrund steht an dieser Stelle nicht die Frage nach Begriffsbildungen, sondern das Außenweltproblem. Es ist also nicht primär der erkenntnistheoretische AntiIdealismus der Empiristen, der eine Kritik an der willkürlichen Konzeptbildung impliziert, sondern vor allem der Skeptizismus und Solipsismus, auf den er Bezug nimmt und für den Platons Höhlengleichnis steht.91 Vor diesem Hintergrund wäre ferner zu überlegen, wie sich Hippias’ Position charakterisieren ließe. Ist Hippias überhaupt als Sensualist oder Empirist im modernen Sinn anzusehen? Wenn er Agathon mit einem „Blindgeborenen“ vergleicht, dessen „Seele in einer beständigen Bezauberung, in einer Abwechslung von quälenden und entzückenden Träumen“ schwebt,92 scheint er damit zunächst an eine sensualistische Position, genauer an Diderot, anzuknüpfen.93 In seinem Brief über die Blinden hatte dieser auf das Molyneux-Experiment angespielt und es als Beleg für die Eigenständigkeit des haptischen Sinnessystems (auch bei abstrakter Begriffsbildung) in Anschlag zu bringen versucht. Hippias greift diesen Aspekt überraschenderweise allerdings nicht auf. Es geht ihm bei seinem Vergleich mit Blinden zwar um das Verhältnis von idealer Welt und Sinnlichkeit, nicht jedoch um die Begriffsbildung oder um die funktionelle Unterscheidung einzelner Sinnessysteme oder etwa um die Priorisierung des Haptischen gegenüber dem Visuellen.94 Offenbar verzichtet er hier auf ein wesentliches Argument des sensualistischen Empirismus. Seine Rede vom Blindsein wird an dieser Stelle durch einen anderen Kontext aufgeladen, der auch bei Diderot vorkommt. Für Hippias ist der Blinde ein Bild, das für eine bestimmte Erkenntnishaltung steht, genauer für ein „System“ oder einen Idealismus. Denn „Idealisten“, heißt es dazu, nennt man jene Philosophen, die sich nur ihrer eigenen Existenz und der Empfindungen, die in ihrem eigenen Innern aufeinander folgen, bewußt sind und deshalb nichts anderes gelten lassen. Ein närrisches System, das seine Entstehung, wie mir scheint, nur Blinden zu verdanken hat!95
Allerdings bezieht sich das Blindsein allein auf das Außenwelt- und Existenzproblem und nicht auf andere Kontexte. Hippias’ Argument gegen Agathons Schwärmerei wird daher nicht vom Standpunkt des Sensualismus oder des erkenntnistheoretischen Empirismus aus entwickelt. Es bleibt vielmehr am egozentrischen Idea-
91 92 93 94 95
Vgl. ebd., S. 21. Wieland: Geschichte des Agathon, S. 94. Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 106. Vgl. Denis Diderot: Brief über die Blinden, in ders.: Philosophische Schriften. Erster Band. Berlin 1961, S. 73. Ebd.
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lismus orientiert und hat einen deutlich pragmatischen Akzent, insofern die Erfahrung nicht primär das Mittel zur Erkenntnis ist, sondern die „Kunst gibt, die Mittel zur Glückseligkeit zu erwerben“.96 Diese Akzentuierung wird auch in der moralphilosophischen Gewichtung des Solipsismusproblems manifest. Hippias kritisiert Agathons Einsamkeit vor allem deshalb, weil sie der auf sinnlichem Vergnügen basierenden Geselligkeit gegenübersteht. Das Paradigma seines Schwärmerbildes ist somit der idealistische Solipsismus, mit dem er den um 1750 aktuellen Diskussionstand aufnimmt. Ideengeschichtlich gesprochen ist Agathon als Rezipient der moral-sense-Philosophie Hippias in gewisser Hinsicht voraus. Gerade weil er nicht auf dem Stand der historischen Diskussion argumentiert97 und Agathons Position nicht adäquat zu rekonstruieren vermag, hat er diesem auch keine nachhaltigen Argumente entgegenzusetzen. Aus diesem Umstand könnte schließlich sein Erstaunen darüber rühren, dass „Agathon für einen Schwärmer ausgezeichnet räsoniert“.98 Das philosophische Gespräch scheitert aber nicht zuletzt deshalb, weil beide Gesprächspartner ihrem eigenen Vorverständnis folgen. Auch Wieland führt im Medium des Romans die Perspektivität von Fremd- und Eigenwahrnehmung vor und knüpft damit an die ebenfalls von Meier entwickelte Grundproblematik an. Die Dialogform entfaltet ihre Aporie aus erkenntnistheoretisch notwendigen Vorurteilsstrukturen, welche Meier auf einer höheren Abstraktionsebene als eine Form der Geisterseherei bezeichnete (siehe dazu das fünfte Kapitel).99 Wenn Hippias Agathon im Verlauf des Romans durch eine sinnliche Verführung auf die Probe stellt, entspricht dies einer Wendung von einer theoretischen Reflexionsebene zu einem pragmatischen Experiment, mit dem er seine Position erneut zur Geltung zu bringen versucht. Bemerkenswert ist Hippias’ Charakterisierung der gegnerischen Position. Er beschreibt Agathons Haltung im Folgenden nämlich als „morgenländische Schwärmereyen, die uns von etlichen Griechischen Müßigängern aus Ägypten und Kaldäa zurückgebracht worden sind“.100 Mit der Nennung „Ägyptens“ spielt er auf Platons vermeintliche Ägyptenreise an, auf der dieser, wie offenbar vor ihm Moses, in eine antike Weisheitstradition eingeweiht wurde. Diese These verweist deutlicher als seine Idealismuskritik auf ein (neu)platonisches Deutungsmuster. Denn Hippias skizziert hier offenbar eine Weisheitstradition, die Ralph Cudworth in seinem True Intellectual System beschrieben hatte und auf die Wieland bereits in seinem Lehrgedicht rekurrierte.101 Demnach war Platon ein in eine uralte Philosophie Einge96 97
Wieland: Geschichte des Agathon, S. 102. Erhart: Aufklärung und Selbstentzweiung, S. 105, der Diderots Schrift Rameaus Neffe in diesem Kontext diskutiert. 98 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 96. 99 Erhart: Aufklärung und Selbstentzweiung, S. 105. 100 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 95. 101 Wieland: Die Natur der Dinge, S. 250.
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weihter, d.h. ein zentraler Vermittler jener prisca theologia oder philosophia, die seit der Renaissance einen konjunkturellen Aufschwung erlebt hatte. Die Einordnung in diese Tradition hatte ihm nicht nur den Namen „Moses attizans“102 eingebracht. Wie dieser soll er darüber hinaus Kenntnisse einer mündlich-biblischen Offenbarung (kabbala ist in diesem Kontext zunächst als mündlich zu verstehen) gehabt haben. Hippias’ beschwichtigender Einwand, dass Agathons Schwärmerei eine „Thorheit“ der „ersten Jugend“ sei,103 könnte daher als eine ironische Anspielung auf das Aciennitätsprinzip dieser Tradition, des Hermetismus, gelesen werden. Wenn er in Agathons Philosophie nicht eine alte Weisheitstradition, sondern eine jugendliche Schwärmerei sieht, greift er damit ein hermetisches Legitimationsschema an. Der Umstand jedenfalls, dass Hippias Agathon als Platoniker bzw. als Vertreter einer Weisheitstradition ansieht und seine Schwärmerei vor diesem Hintergrund als philosophischen Idealismus kritisiert, dürfte keine bloße Koinzidenz sein. Hippias knüpft damit an einen auch von Wieland erhobenen Vorwurf an, mit dem er bereits im Lehrgedicht auf Cudworth’ Konstruktion reagierte. Der Antiplatonismus des Lehrgedichts scheint also ein auch für Wielands späteren Roman noch entscheidender Deutungskontext zu bleiben; der Roman greift den frühaufklärerischen Antiplatonismus auf und trägt damit nachhaltig zur Ausbildung eines kritischen Rezeptionsmusters bei. Bezeichnenderweise mündet Hippias’ Schwärmer-Porträt schließlich in einen für Agathon zu jenem Zeitpunkt kaum akzeptablen Vorschlag: „Ein wenig Gelehrigkeit ist alles was du nöthig hast, um von dieser seltsamen Art von Wahnwitz geheilt zu werden, die du für Weisheit hältst. Überlass es mir, dich aus den unsichtbaren Welten in die wirkliche herabzuführen“.104 Der Sophist skizziert damit einen Weg, den auch die Geistphilosophie des 18. Jahrhunderts genommen hat.
6.6. Space and spirit: Anne Conways Prinzipien und die Geister der sichtbaren Welt Für die Vermittlung der im engeren Sinn theosophischen Lehren in die deutschsprachige Aufklärung ist nicht nur Mores philosophische Rehabilitierung des Enthusiasten wegweisend, sondern zudem ein Text der mit ihm befreundeten Philosophin Anne Conway.105 Sie publizierte 1690 unter dem Titel Principia Philosophiae 102 103 104 105
Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 273. Wieland: Geschichte des Agathon, S. 95. Ebd. [Anonym]: Von der Gräfin Conway, nebst einem gelegentlichen Beitrag zur Geschichte des animalischen Magnetismus, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1786), S. 154–166, hier S. 160. In der englischen Fassung Anne Conway: The principles of the most ancient und modern philosophy. Ed. and with an introduction by Peter Loptson. Dordrecht 1982 (Archives internation-
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Antiquissimae & Recentissimae De Deo, Christo & Creatura id est De Spiritu & Materia in genere eine viel beachtete Schrift. Die durchaus nachhaltige Wirkung dieses Textes lässt sich an einem 1786 in der Berlinischen Monatsschrift erschienenen Artikel ablesen.106 Er rechnet mit der „schwärmenden Philosophin“ und der gesamten „neuplatonischen Schule“ ab und nimmt dabei auf die schon erwähnten Principia Bezug. Diese werden als Gründungsmanifest einer spekulativen Naturphilosophie begriffen, aus der sich verschiedene Heilverfahren ableiteten. In den Fokus der Kritik geraten die magnetischen Kuren Lavaters und anderer Wunderheiler. Die Parallelisierung erscheint auf den ersten Blick durchaus verwunderlich. Sie wird jedoch verständlich, wenn man auf die Vermittlungslinien in der mittleren Aufklärung schaut. Offenbar sieht jedenfalls der Verfasser des Artikels eine Analogie zwischen den magnetischen Heilverfahren und jener spekulativen Philosophie aus dem Umfeld des Cambridger Platonismus.107 Anne Conway greift in ihren Schriften zunächst Böhmes Trinitätsspekulationen auf, um sie gegen die Philosophie der so genannten Mechanisten anzuführen.108 Der entscheidende Einsatzpunkt dieser Gegnerschaft ist Conways Geisterphysik. In Abgrenzung vom latenten Pantheismus des spinozistischen Systems begreift Conway das Verhältnis von Gott und der geschaffenen Welt (natura naturata) als das einer unwandelbaren Essenz zu veränderlichen Kreaturen. Sie sieht eine graduelle Abstufung zwischen der essenziellen und der geschaffenen Natur vor, die mit den primordialen Wesenheiten oder den substanziellen Formen gleichgesetzt wird.109 Ohne auf die Subtilitäten dieser Konzeption näher eingehen zu können,110 richtete sich Conway damit gegen einen essenziellen Unterschied zwischen Geist (anima) ales d’histoire des idées 101); Marjorie Hope Nicolson: The Conway letters: the correspondance of Anne, Viscountess Conway, Henry More, and their friends (1642–1684). Oxford 1992. 106 [Anonym=Anna Conway]: Principia Philosophiae. Antiquissimae & Recentissimae De Deo, Christo & Creatura id est De Spiritu & Materia in genere. Quorum beneficio resolvi possunt omnia problemata, quae nec per Philosophiam Scholasticam, nec per commune modernam, nec per Cartesianam, Hobesianam, vel Spinosianam resolvi potuerunt. Opusculum Posthumum. Amsterdam 1690. 107 Conway: Principia, S. 126f. Die in der Berlinischen Monatsschrift erwähnte Schrift Conways versteht sich erklärtermaßen als Versuch, diejenigen Prinzipien darzulegen, welche die cartesianische, die hobbessche und die spinozistische Philosophie unbeachtet gelassen hatten. 108 Im Gegensatz zu spekulativen Begründungen dieser Naturphilosophie, deren Muster bis in die romantische Naturphilosophie nachweisbar sind, stützt Conway ihre Überlegungen auf das Anciennitätsprinzip, d.h. auf das Alter der Kabbala. 109 Conway: Principia, S. 131. 110 Böhmes (in der Ausgabe von 1682 enthaltene und 1730 erneut publizierte) Schrift Mysterium Magnum, oder Erklärung über Das erste Buch Mosis, Von der Offenbarung Göttlichen Wortes setzt ebenfalls mit einer Deutung der Hypostasen als „drei Principia des Göttlichen Wesen (Wille, Gemüth und Geist)“ ein. In seiner Aurora hat Böhme die Existenz einer prima materia angenommen, die er angeblich mit Gott gleichsetzt. Die Ableitung der Naturphilosophie aus der Logos-Theologie und Conways Rekurs auf die Genesis sind aufgrund ihrer Nähe zur Weltidolatrie kritisiert worden. Zu der für diesen Kontext jedoch zentralen Unterscheidung zwischen eingeborenem und erstgeborenem Sohn siehe Conway: Principia, S. 31.
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und Körper (corpus) in den kreatürlichen Wesen (=Attributen).111 Sie legt hier einen Mittelbegriff vor, dessen Geltung in der medizinischen Theoriebildung, auch in der commercium-Diskussion noch um 1750 nachhaltig ist. Die Nivellierung der essentiellen Differenz geht nicht nur mit einer Modifikation des Materiebegriffs einher, sondern legt zudem den Grundstein für ein Modell der Lebens- und Bewegungskraft112 sowie für die Theorie der Transmutation.113 Weil diese Nivellierung für spätere Adaptationen zentral ist, soll sie hier zunächst erläutert werden. Unter spiritus versteht Conway zum einen den „spiritus omnium animalium“, der als Band (vinculum) zwischen Körper und Geist fungiert. Er gibt der Materie ihre Form und wird als bildende Kraft verstanden. Auch Christoph Martin Wieland nimmt – wie andere Autoren – in seinem 1751 erschienenen Lehrgedicht Die Natur der Dinge auf dieses Konzept Bezug, wenn er von „gewisse[n] Naturis plasticis“ spricht, „welche weder Geist noch Materie seyn, sondern nur die letzteren zu beleben und zu bilden geschaffen seyn sollen“.114 Nach Conway stellt der spiritus der einzelnen Lebewesen zugleich eine subtile Materie dar, die der materielle Träger der Veränderung und der Involutionsbewegung ist.115 In Abgrenzung zu Hobbes’ Materialismus und zur Reduktion der Materie auf die Ausdehnung und Undurchdringlichkeit fügt Conway ihr somit die Attribute spiritus und vita hinzu.116 Mit Conways Schrift, und das macht sie so zentral, liegt eine Unterscheidung von drei disparaten Formen des spiritus vor. Hier entfaltet sich eine eigene spiritus-Lehre, die auf jeder der angenommenen Emanationsebenen abgebildet werden kann,117 auch auf der untersten Emanation, der natura naturata. Dort avanciert der spiritus zu einem Aspekt von Welt. Den attributiven spiritus weist Conway zudem als sichtbar und undurchdringlich aus, womit ein grundsätzlich für die Sinne zugänglicher Gegenstand beschrieben ist. Auch damit liegt eine Mischkonzeption vor, die sich als theosophische Variante in alchimistischen Praktiken spiegelt, d.h. dort in Versuchen ihren Widerpart findet, mit dem spiritus zu experimentieren und reinere Substanzen zu destillieren.
111 112 113 114 115 116
Ebd., S. 70. Ebd., S. 113. Ebd., S. 110. Wieland: Die Natur der Dinge, S. 250. Conway: Principia, S. 123. Die Identifizierung von Körper, vita und spiritus weist Parallelen zu vitalistischen Seelenkonzeptionen auf. Vgl. Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 190f. sowie Conway: Principia, S. 132. 117 Ebd., S. 68: Auf der Ebene der ersten Hypostase wird der spiritus omnium, auf der Ebene der zweiten die präexistierenden Formen (species) sowie auf der Ebene der dritten die natura naturata angenommen. Bereits 1668 vertritt Jacob Thomasius (1622–1684) die Auffassung, Böhme nehme in Einklang mit anderen antiken Platonikern an, Gott sei eine prima materia. Jacob Thomasius (Praeses) / Johann Friedrich Hekel (Resp.): Theses philosophicae, quas de quaestione: An Deus sit materia prima? Leipzig 1672, zitiert nach Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 292.
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Conways Konzeptionalisierung bildet den Ausgangspunkt auch für spirituelle Auslegungen alchemistischer Prozesse, wie sie dann von den Spätrosenkreuzern unternommen wurden. Sie haben eine gemeinsame Wissensbasis mit den Heilversuchen Lavaters, auf den der eingangs zitierte Artikel der Berlinischen Monatsschrift Bezug nimmt. Für die Spätaufklärung ist die vitalistische und alchemistische Auslegung der spiritus-Philosophie entscheidend, d.h. die Kappung der in der Trinitätsphilosophie zugrunde gelegten metaphysischen corpus-spiritus-Relation. Ein wesentlicher Vertreter einer vitalistisch-alchimistischen Auslegung jener Geistphysik, der bereits zu Conways Zeiten lebte, war Thomas Vaughan. Seine Texte fanden um 1700 höchstwahrscheinlich unter dem Pseudonym Eugenus Philalethes Eingang in das Hallesche Aufklärungsmilieu und sind dort unter anderem von Samuel Richter rezipiert worden.118 Andernorts bildeten sie, wie in Swifts Tale of a Tub, zumeist einen Gegenstand des Spottes (siehe unten). Als weiterer, in vielfacher Hinsicht ebenso, wenn nicht noch wichtigerer Vermittler der spiritusPhilosophie fungierte Jacob Böhme.
6.7. Böhmes Astralleibtheorie und Walchs rezeptionssteuernde Paraphrase Freilich kann die Rezeptionsgeschichte der vitalistischen Geisterphilosophie in der deutschsprachigen Aufklärung hier nur kursorisch und anhand ausgewählter Beispiele erfolgen. Sie lässt sich in groben Zügen am Leitfaden der Böhme-Rezeption
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Alchimistisch ließ sich vor allem Böhmes 22. Theosophischer Brief, Sp. 3784 lesen: More lehnt eben jene Thesen Böhmes ab, insbesondere die bei Böhme angetroffene These über die Entstehung des Feuers aus den Sternen und der Sonne. Damit grenzt er sich von Thomas Vaughan und anderen Böhme-Adepten im Umkreis der Royal Society ab. Vaughan wie auch Joseph Glanvill kategorisierten More dagegen als Psychopyristen. Sie richteten sich mit diesem Etikett gegen die Auffassung, die Essenz aller produzierten Geister sei das Feuer. Vgl. Serge Hutin: Henry More. Essai sur les doctrines théosophiques chez les Platoniciens de Cambridge. Hildesheim 1960 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 2), S. 95. Zu weiteren Schriften siehe More: An Answer to a Letter of a Learned Psychopyrist Concerning the True Notion of a Spirit, in Joseph Glanvill: Saducismus Triumphatus (1681). Hildesheim / New York 1987, S. 189–253; gegen Vaughan: Observations upon Anthroposophia Theomagica and Anima Magica abscondita. London 1650. Publiziert wurde diese Schrift unter dem Pseudonym ‚Alazonomastix Philalethes‘. Vaughans Antwort: The Man-mouse taken in a Trap and tortured to death for gnawing the margins of Eugenius Philalethes. London 1650; sowie die Antwort Mores: The Second Lash of Alazonomastix, conteining a solid and serious reply to a very uncivill answer to certains observations upon Anthroposophia Theomagica, and Anima Magica Abscondita. Cambridge 1651; und Vaughan: The Second Wash, or More scourged once more. London 1651. Dazu auch Vaughan: Works. Hg. v. A. E. Waite. London 1919, vgl. Frederic Burnham: The More-Vaughan Controversy. The Revolt against Philosophical Enthusiasm, in: Journal of the History of Ideas 35 (1974), S. 33–49. Dazu die spätere Rezeption der Feuer-These bei Geistersehern wie Cagliostro.
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rekonstruieren.119 Für dessen Kennzeichnung als Gespensterseher spielen jedenfalls vitalistische Deutungen des Geist-Begriffes eine eminente Rolle. Justus Hennig rubriziert den Görlitzer in seiner 1777 besorgten Auflage von Walchs Philosophischem Lexikon nicht nur unter die Verteidiger des Gespensterglaubens, die eine dreigliedrige (platonische) Anthropologie vertraten und meinten, der „Mensch bestünde aus Seele, Geist und Leib“. Er betont zudem, Böhme habe „Gespenster für Geister“ gehalten, „welche auch Astralleiber genennt werden“,120 und verweist mit Böhmes Konzept des Astralleibs so in den Bereich der Gespensterlehre. Als Referenztext für die so genannte Astralleibtheorie und deren vitalistische Umdeutungen fungieren die Theosophischen Send=Briefe, in denen Böhme die Transformation eines menschlichen in einen elementarischen Körper beschreibt.121 Walchs Gleichsetzung von Astralleibern mit Gespenstern mag an dieser Stelle überraschen. Sie scheint jedoch durch Böhmes eigene Ausführungen gerechtfertigt zu sein. Blickt man auf die Send=Briefe122 wird jedenfalls deutlich, dass Böhme in der Tat zwischen Geistern, Gespenstern und Astralleibern nicht immer kategorisch unterscheidet. Die Astralleibtheorie dient ihm unter anderem dazu, das Auftreten von Wasser am Leichenstein zu erklären.123 Böhme deutet die beobachtbaren Wasserrückstände als Hinweis auf die Präsenz einer Verstorbenen und erklärt sie mit der Affinität zwischen ihrem siderischen Leib und dem des Steins.124 Unter Ausblendung der Korrespondenztheorie suggeriert Walch in seiner Paraphrase der Send=Briefe allerdings, Böhme habe den Astralleib (oder den siderischen Leib) als unmittelbare figürliche Ausdehnung begriffen.125 Er rekurriert
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Zur philosophisch-historischen Interpretation vgl. Julius Hamberger: Die Lehre des deutschen Philosophen Jakob Böhme. München 1844; Alexandre Koyré: La Philosophie de Jacob Böhme. Paris 1929; Herman Vetterling: The illuminate of Görlitz or Jakob Böhme’s life and philosophy. Hildesheim 1978 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1932). 120 Artikel ‚Gespenst‘ in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1737–1752, hier Sp. 1742f. Zu Paracelsus vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt/M. 1998, zu Paracelsus S. 288–296, sowie Ernst Wilhelm Kämmerer: Das Leib-Seele-Geist-Problem bei Paracelsus und einigen Autoren des 17. Jahrhunderts. Wiesbaden 1961. 121 Eine Applikation auf die Gespensterlehre findet diese Theorie, so Walch, auch bei Robert Fludd (ohne Stellenangabe) sowie bei Johann Sophronius Rozack und Andreas Rüdiger. 122 Gerhard Wehr: Jakob Böhme. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten zusammengestellt. Hamburg 2002, S. 122. 123 Das Wort ‚Leichen=Stein‘ wird möglicherweise synonym für Grabstein verwendet. Berücksichtigt werden müsste auch der Brauch, Leichensteine an der Stelle aufzustellen, an der jemand umgekommen ist bzw. ermordet wurde. Vgl. dazu: Artikel ‚Grabstein‘, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3. Hg. v. Hanns Bächtold-Staubli unter Mitw. v. Eduard Hoffmann-Krayer. Berlin / New York 2000, Sp. 1108–1110, hier Sp. 1108 (Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe 1931). 124 Copenhaven: Natural Magic, Hermetism, S. 261–301. 125 Eine Parallelstelle aus Böhmes Schrift Aurora und der weitere Kontext deuten an, dass es ihm auf eine natürlich-magische Erklärung ankommt, insofern die Wirkungen auf den „Ster-
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dabei auf eine nicht näher bezeichnete Theorie der subtilen Materie (die sich bei Böhme in dieser Form allerdings nicht findet), welche die individuelle Fortexistenz der Verstorbenen begründen sollte. Zwar behandelt Böhme auch den Fall einer konkreten Materialisierung des siderischen Leibs, wie sie Walch unterstellt.126 Diese Materialisierung stellt nach Böhme jedoch nicht den Regelfall, sondern vielmehr eine Ausnahme dar, die sich auf eine Übergangssituation gründet und mit der Verwesung des irdischen Leibs beendet ist. Und so es nun ist / daß die Sele hat ihre Begierde etwan in zeitliche Dinge eingeführet / und sich damit gepresset / so hat sie desselben Dinges Eigenschaft in ihre Begierde geimpresset / und [sic] hält es magisch / als hätte sie es leiblich / den Leib kan sie zwar nicht halten / verstehet den Elementischen / aber den syderischen Leib hält sie / bis ihn das Gestirne auch verzehret. Und geschihet ofte / dass sich Leute lassen nach ihrem Tode sehen in Häusern mit ihrem eigenen Leibe; aber der Leib ist kalt / todt und erstarret / und der Selen=Geist ziehet den nur durch den Sternen=Geist an sich / also lange bis der Leib faulet: es wird auch mancher Leib vom Sternen=Geist also sehr eingenommen durch der Selen=Begierden / daß er langsam verweset.127
Walch setzt Böhmes Astralleib an dieser Stelle gegen dessen eigenes Verständnis mit dem subtilen Leib gleich, der durch spätere Adaptationen, so bei Charles Bonnet oder Johann Caspar Lavater, geläufig wird. Dieses Missverständnis mag mit Walchs dualistischer Anthropologie und den auf ihr basierenden Individualitätsvorstellungen zusammenhängen, welche mit Böhmes triadischer Konzeption wiederum wenig kompatibel sind. Es mag auch damit zusammenhängen, dass die Korrespondenz- und Signaturenlehre, welche die Naturdeutung bei Böhme steuert, sich Walchs Deutungshorizont bereits entzogen hat. Höchstwahrscheinlich kannte Walch auch diesen Aspekt von Böhmes Lehre, rekonstruiert ihn aber unter seinen eigenen Systemvorgaben verkürzend. Seine verknappende Auslegung der Astralleibtheorie ist für den vorliegenden Kontext mithin signifikant, weil sie mit einer nicht-orthodoxen Auslegung der Leibnizschen Monadenlehre (vgl. das achte Kapitel) koinzidiert und sich um 1700 mit der Theorie der verschiedenen monadischen Materialisierungsgrade überlagert. In Walchs Böhme-Rezeption kündigt sich eine Lesart der spiritus-Lehre an, die strukturelle Gemeinsamkeiten mit der bei Conway angetroffenen körperlich-geistigen (vitalistischen) Materiekonzeption aufweist. Die epistemische Basis der vitalistischen (und später auch magnetistischen) Auslegungen ist, wie sich aus dem zitierten Artikel der Berlinischen Monatsschrift ablesen lässt, die mit Conways Schriften vorliegende Theorie der Prinzipienentfaltung in allen drei, auch der niednen=Geist“ zurückgeführt werden, der in Verbindung mit den (nicht von der Begierde gelösten) „Seelen=Geistern“ im elementarischen Bereich wirke. 126 Böhme bestreitet, dass sich die abgeschiedene Seele in ihrem elementarischen Leib zeige. Epistolae theosophicae oder Theosophische Send-Briefe. Enthaltende allerhand Gottseliger Ermahnungen zu wahrer Buß und Besserung [...] geschrieben Anno 1618 bis 1624. o.O. 1715, Sp. 3786. 127 Ebd., Sp. 3785.
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rigen Emanationsstufe.128 Entscheidend ist jedoch ferner, dass in vielen späteren Adaptationen nicht mehr grundsätzlich zwischen drei Emanationsstufen unterschieden wird und sich dagegen die Vorstellung eines graduellen Übergangs sowie einer geistigen Durchwebung und Belebung der gesamten Natur durchsetzt. Die Kassierung der Differenz der Emanationsstufen (vor allem die zwischen dem erst- und eingeborenen Sohn) geht mit einer alchimistischen Variante der Geistphilosophie einher, wie sich an der schon zitierten Geschichte der Religionspartheyen von Siegmund Baumgarten ablesen lässt. Diese erwähnt neben anderen Rezeptionssträngen alchemistische Böhme-Deutungen im Umkreis der Royal Society, sieht aber auch in Böhmes Schriften Anhaltspunkte für eine derartige Auslegung:129 Die gröste Zahl seiner [Böhmes] Schriften ist auch ins Englische übersetzt und in England prächtig herausgegeben worden; auch ist die ganze Samlung ins Holländische übersetzt worden; dazu viel beygetragen, daß die tiefsinnigen Sätze von den Ausgeburten und Entwicklungen der Dinge den meisten Goldsuchern und Goldmachern bequem erschienen, ihre Sätze daraus herzuleiten, daher sie ihn für einen adeptum gehalten. Balth. Walther, ein Medicus, aus Glogau gebürtig, ist viele Jahre herumgereiset, hat sich auch in den morgenländischen Gegenden lange aufgehalten, und aus Syrien und Palästina seiner Meinung nach manche Geheimnisse in der Naturlehre und Artzneykunst mitgebracht, und sich hernach zu Dresden aufgehalten, da er denn ein sehr genauer Freund vom Böhme gewesen, und aller Wahrscheinlichkeit nach an seinem Lehrbegriff viel Antheil gehabt, indem Böhme die chymischen und medicinischen Ausdrücke und Terminologien sowol als besondern Sätze von demselben erlernet. Sonderlich ist die lange Schrift, 40 Fragen von der Seelen Urstand, Essenz etc. was sie von Ewigkeit zu Ewigkeit sey, eigentlich von diesem Walther ausgefertigt, und vom Böhme nur beantwortet worden. 130
Mit der Erwähnung Balthasar Walters (1587–1624), eines Vertrauten und Förderers von Böhme, meint Baumgarten einen Urheber der chemischen und medizinischen Umdeutung der Astralleibtheorie gefunden zu haben; die Worte „Ausgeburten“ und „Entwicklungen“ beziehen sich vor allem auf die Entstehungstheorien (wie die spätere Präformationslehre und Epigenesistheorie).131 Die dezidiert alchimistische Auslegung, welche Böhmes nicht näher bezeichnete Schriften erfahren haben sollen, seien durch „Goldsucher“ und „Goldmacher“ tradiert worden, von denen sich Baumgarten, das kündigt jedenfalls das Wort „tiefsinnig“ an, an dieser Stelle deutlich distanziert. Mit dem Wort spielt er zudem auf ein Exegese-
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Ebd., Sp. 3784. Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen, S. 1089. Ebd., S. 1074. Der Liegnitzer Arzt Walter, Alchemist und Kenner der Kabbala unternahm nicht nur wie der legendäre Christian Rosenkreuz eine mehrjährige Orientreise. Er hatte dort auch Kenntnisse in der Chemie und Kabbala erlangt, die er Böhme vermittelt haben soll. Vgl. Rusterholz: Jacob Böhme, S. 69.
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verfahren an, das von Böhme-Adepten angeblich angewandt wurde, um die „Geheimnisse in der Naturlehre“ zu dechiffrieren.132 In Zedlers Eintrag zu Böhme wird dieser exegetische Zusammenhang aufgegriffen und weiter ausgeführt: Der anonyme Verfasser vermerkt dort, dass sich die alchimistischen Adepten bei der „tiefsinnigen“ Auslegung besonders an Böhmes Schrift Mysterium magnum oder Erklärung über das Erste Buch Mosis133 orientierten.134 Wenn Zedler den dunklen Stil dieser Schrift moniert, ist dies nicht etwa als Anspielung auf eine mystische Schreibweise zu verstehen, sondern als Hinweis auf eine Dechiffrierungstechnik, mit der in der Bibel enthaltene Naturwahrheiten entziffert werden sollten. Nicht ohne Ironie bemerkt der Artikel ferner, Böhmes Schriften seien so dunkel,135 dass sie nicht einmal der Verfasser einer berühmten, im 18. Jahrhundert entstandenen Geschichte der hermetischen Philosophie habe lesen können. Gemeint ist hier der französische Abbé Lenglet du Fresnoy, mit dem Zedler einen wichtigen Hinweis auf ein weiteres doxographisches Bezugsfeld der spiritus-Philosophie liefert. Er spielt damit auf die hermetische Tradition an.136 Unter dem Begriff hermetische Tradition oder besser Hermetismus ist im 18. Jahrhundert ein mehr oder weniger fixes Gefüge weltanschaulicher Grundannahmen und Theoreme – wie z.B. das Urchaos, der Stein der Weisen, die prima materia oder die Vier-Elementen-Lehre – gemeint.137 Nur zum Teil sind diese Theoreme dem hermetischen Corpus im engeren Sinn entnommen; zum Teil werden sie von anderen Wissensbereichen gespeist. Neben den Schriften von Samuel Richter fällt unter den Hermetismus im weiteren Sinn auch die Theoria philosophica hermetica von Heinrich Nollius,138 die bis weit ins 18. Jahrhundert rezipiert wurde. In seiner Geschichte der Hermetik subsumiert Abbé du Fresnoy, der Meiers Gespenstertraktat ins Französische übersetzen ließ, Nollius ebenso wie Paracelsus und
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Baumgarten nennt an dieser Stelle auch Thomas Vaughan, bei dem sich eine intensivere Auseinandersetzung mit Böhme nachweisen lasse. Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen, S. 1075. 133 Jacob Böhme: Mysterium Magnum oder Erklärung über das Erste Buch Mosis. Von der Offenbarung Göttlichen Worts durch die drey Principia, Göttliches Wesen, auch vom Ursprung der Welt und der Schöpfung, Darinnen das Reich der Natur und das Reich der Gnaden erkläret wird; Zu mehrerem Verstande des Alten und des Neuen Testamens […] vollendet im Jahr 1623. 134 Erwähnt werden Colbergs Hermetisch-Platonisches Christentum, Arnolds Ketzerhistorie und Erasmus Franciscis Gegen=Strahl der Morgenröthe. Allerdings hat der Verfasser des Artikels ,Böhme‘ dessen Aurora mit Felgenhauers Morgenröte verwechselt, vgl. Artikel ‚Böhme‘, in: Zedlers grosses vollständiges Universallexikon, Bd. 4, Sp. 356–358, hier Sp. 358. 135 Ebd., Sp. 356. 136 Ebd., Sp. 358. Neben diesem naturphilosophischen Rezeptionsstrang tritt der häretische, religionskritische Schwärmervorwurf deutlich in den Hintergrund. Bezeichnenderweise distanziert sich auch der Zedler-Artikel von kontroverstheologischen Argumentationsmustern – wie dem verbreiteten, gegen Böhme gerichteten Häresie-Vorwurf. Er kennzeichnet diesen Vorwurf als diskursive Strategie der Böhme-Förderer. 137 Kühlmann: Der ‚Hermetismus‘ als literarische Formation, S. 145–157. 138 Heinrich Nollius: Theoriae Philosophiae Hermeticae. Septem Tractatibus. Hannover 1617.
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den schon genannten Philalethes (wohl ein Pseudonym für Thomas Vaughan) unter die Hermetiker.139 Böhme, der häufig dieser Tradition zugeordnet wird, fehlt jedoch. Dennoch machte Zedlers spöttischer Hinweis deutlich, dass Böhme und seinen Adepten von einigen Zeitgenossen zumindest Affinitäten zur hermetischen Philosophie nachgesagt wurden. Ein Ansatzpunkt für die Zuweisung dürfte dessen Auslegung des spiritus-Begriffs gewesen sein. Das 1758 von Antoine-Joseph Pernety publizierte Dictionnaire Mytho-Hermétique verzeichnet unter dem Eintrag „esprit“: Les Philosophes Hermétiques n’entendent pas par ces termes une substance immatérielle, mais une substance extrêmement tenue, subtile, pénétrante, répandue dans tous les mixtes, & spécifiée dans chacun d’eux suivant sa nature, sa qualité, & le régne.140
Mit dem spiritus der hermetischen Tradition sei eine immaterielle subtile Substanz gemeint, die Überschneidungen mit Böhmes Astralleibkonzept aufweist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Böhme der hermetischen Tradition zugeordnet wird. Vor allem die Subtilität des spiritus kann als entscheidendes Distinktionsmoment angesehen werden, das eine derartige Zuordnung nach dem Verständnis der Zeit nahelegte. Neben der spiritus-Lehre ist zudem eine rationalistische Mythenallegorese für die hermetische Tradition bezeichnend. Meiers eigene Referenz auf Böhme lässt sich jedenfalls in diesem Sinn deuten. Böhmes vermeintliche Zwiegespräche mit Engeln sind nämlich nicht nur als Anspielung auf die angebliche Illumination des Theosophen zu lesen, sondern könnten gleichermaßen auf dessen Natursprachentheorie und Exegeseverfahren bezogen sein. Demzufolge ermöglicht die Kenntnis eines primordialen Schöpfungswissens nicht nur, natürliche Objekte gemäß ihrer wesenhaften Eigenschaften zu benennen, sondern sie ermöglicht ferner, einen verborgenen Schriftsinn der Heiligen Schrift oder auch anderer Texte der arkanen Tradition (wie etwa Ovids Metamorphosen oder Abraham Calovs Genesis-Kommentar) zu rekonstruieren. Böhmes naturphilosophische Weltentstehungstheorie verstand sich als Rekonstruktion eines spezifischen Schriftsinns. Dass es ein nachhaltiges, bis weit ins 18. Jahrhundert reichendes Interesse an diesen Dechiffrierungsmethoden gab, erhellt unter anderem eine Passage in der Allgemeinen Weltgeschichte des Göttinger Universalhistorikers August Ludwig Schlözer. Letzterer nennt Böhme darin einen Verrückten, der „nicht über Genes. I. zum Narren geworden, hätte er nur die Ast-
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Abbé Lenglet du Fresnoy: Histoire de la Philosophie Hermétique. Accompagnée d’un Catalogue raisonné des Ecrivains de cette Science. Avec le Véritable Philalèthe, revû sur les Originaux. Paris 1742, S. 402ff. 140 Antoine-Joseph Pernety: Dictionnaire Mytho-Hermétique. Dans lequel on trouve les Allégories Fabuleuses des Poetès, les métaphores, les énigmes et les termes barbares des philosophes hermétiques expliqués. Paris 1758, S. 106.
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ronomie gekannt“.141 Er spielt die Vertreter der New Science an dieser Stelle gegen Böhme aus, dessen naturkundliche Verfahren er als obsolet und närrisch bezeichnet. Der Gegensatz dürfte allerdings weniger kategorisch sein, als Schlözer selbst vermutet. Denn zumindest einige Vertreter der New Science hielten um 1700 noch am Paradigma der Heiligen Physik fest (siehe Kapitel drei). Schlözers Zuschreibung ist vor diesem Hintergrund als Resultat eines sich modifizierenden (natur)wissenschaftlichen Selbstverständnisses zu verstehen, in dessen Rahmen historische Textzeugnisse und (damit verbunden) auch hermeneutisch-exegetische Verfahren an Geltung verloren.142 Als ein literarisches Dokument dieser Transformation kann Lessings Stück Der junge Gelehrte angesehen werden (siehe Kapitel acht).143 Dass alchimistische Verfahren zunehmend Gegenstand des Spotts wurden, lässt sich ferner an zahlreichen satirischen Adaptationen erkennen. In Swifts Tale of a Tub wird Böhme zum Beispiel als Repräsentant eines „Lehrbegriffs“ verstanden,144 der den angeblichen Kabbalisten „Homer“ übertreffe und zudem mit Vaughan zu vergleichen sei.145 Im Zug dieser Kontroverse bilden sich Rezeptionsschemata aus, die einem negativ populären Verständnis von Alchimie Vorschub leisten und dazu führen, dass diese Wissenschaft wesentlich mit Reinigungsverfahren, Goldsucherei, elementarischen Transformationen (auch des toten menschlichen Leibes) und der Exegese vermeintlicher Arkantexte konnotiert wird. Dieses Muster tradiert sich unter anderem in Wielands Geschichte des Agathon fort.
6.8. Zwei Formen von Aufklärung? Die „Geisterlehre eines ächten Materialisten“ in Wielands Geschichte des Agathon (1766/67) Gleich zu Beginn des Kapitels, in dem Hippias als Gegenspieler des Schwärmers Profil gewinnt, bezeichnet der Erzähler ihn als einen „ächten Materialisten“.146 Wenn Hippias im Folgenden von der „Zauberkraft des Goldes“ und „vom rohen Menschen“ spricht,147 scheint diese Rede mit der intellektuellen Ausstattung der Sophisten zunächst allerdings wenig gemein zu haben. Hier überrascht jedenfalls eine Wendung, die einen an der antiken Vorgabe orientierten Erwartungshorizont 141
August Ludwig Schlözer: WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange von August Ludwig Schlözer, Hofrath und Prof. in Göttingen. Erster Theil: Einleitung, I. UrWelt, II. Dunkle Welt, III. VorWelt. Göttingen 1785, S. 14. 142 Ebd., S. 16. 143 Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 337. Damis hieß ein angeblicher Gefährte des Apollonius von Thyana. Vgl. Artikel ‚Apollonius Thyaneus‘, in: Zedlers grosses vollständiges Universallexikon, Bd. 2, Sp. 895–897, hier Sp. 896. 144 Ebd. 145 Cloß: Jakob Böhme in England, S. 8. 146 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 125. 147 Ebd., S. 134 und 135.
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irritiert. Diesen Irritationsmomenten geht der nächste Abschnitt nach, indem er versucht, Hippias’ Geisterlehre in den Kontext der frühaufklärerischen Platonismuskritik zu stellen und vor diesem Hintergrund mögliche Überschneidungen zwischen beiden Figuren, zwischen Agathon und Hippias, freizulegen. Im Kapitel des dritten Buches, das mit „Geisterlehre eines ächten Materialisten“ überschrieben ist, fasst Hippias die schwärmerische Philosophie Agathons prägnant zusammen und fügt ihr, scheinbar en passant, ein neues Moment hinzu. Wenn er mit dem Stichwort „Plato homerisiert“ die Glückseligkeitslehre der Schwärmer kassieren möchte, spielt er konkret auf eine Stelle in Platons Dialog Phaidros an.148 Im Rahmen seiner Unsterblichkeitslehre hatte Sokrates elf Geisterzüge des Zeus und den Aufstieg der Seele in den Himmel beschrieben. Zunächst wurde diese Vorstellung im 18. Jahrhundert mit der Idee von der Wesenskette amalgamiert, die durch Joseph Addison und Alexander Pope popularisiert wurde.149 Hippias nimmt mit dem Stichwort „Plato homerisiert“ und dem „geflügelten Wagen Jupiters“ jedoch noch auf einen anderen Aspekt von Agathons Schwärmerei Bezug. Mit dem Stichwort ‚Homer‘ weist er auf allegorische Auslegungen der Natur sowie auf die Deutung des Himmelswagens als Emblem der Unsterblichkeit hin. Es ist jedoch nicht nur die Anspielung auf den Wagen als Emblem der Unsterblichkeit, die sich hinter der Homer-Referenz verbirgt. Denn Homer-Anspielungen, besonders Odysseus-Allegorien, zählen ferner zum festen Bestand der Naturlehren des 17. und 18. Jahrhunderts;150 das gilt vor allem für die mythologisch-hermetische Alchimie.151 Wie andere antike Vorbilder fungierte Homer als einer der poetischen Arkanautoren, dessen Texte angeblich chiffrierte alchimistische Lehren enthielten. Homers Epen zeichneten sich in den Augen von Hermetikern aufgrund ihrer Anciennität aus,152 und traten in dieser Hinsicht gleichberechtigt neben die Bibel bzw. Platos Schriften. Dass Hippias durchaus Affinitäten zu diesem naturalistischen Traditionsstrang aufweist, macht ein einführender Hinweis des Erzählers deutlich. Bevor letzterer zur Darlegung der eigentlichen „Filosophie des Hippias“ übergeht, weist er seine Leser auf den „geheime[n] Verstand“ der nun dargelegten Lehre hin, der den „buchstäblichen an Wichtigkeit noch weit übertreffe“. Er schließt diese Einleitung mit der Bemerkung, dass „der wahre und unfehlbare Prozess, den Stein der Weisen zu finden, darin verborgen liege“.153 Zwar betreibt der Herausgeber an dieser Stelle wie andernorts eine subtile Demontage seiner Figuren. Gleichwohl ist die Nennung 148 149
Plato: Phaidros, in: Werke in acht Bde. Hg. v. Gunther Eigler, Bd. 5. Darmstadt 1990, S. 73. Arthur Lovejoy: Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens. Frankfurt/M. 1993, S. 17–19 sowie 221–291. 150 Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 343. 151 Plato: Phaidros, S. 11 [=229b–d]. 152 Kant nimmt ebenfalls auf die Exegeseprinzipien dieser Tradition Bezug, wenn er Swedenborg zuschreibt, den „geheimen Sinn“ der ersten zwei Bücher Mosis“ zu dechiffrieren; Kant: Träume eines Geistersehers, S. 973. 153 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 106.
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des „Steins der Weisen“ als deutliche Allusion auf den alchimistischen Hermetismus zu verstehen. Obschon man dies zunächst nicht vermuten würde und obwohl Hippias in der Regel als Sophist, Sensualist oder zumindest als Epikureer bezeichnet wurde, lassen sich an seinem Wortfeld Sedimente der hermetisch-alchimistischen Tradition ablesen. Den Aufstieg der Seelen beschreibt Hippias zudem als „Entkörperung“, als „Absonderung“ und „Reinigung“,154 bei der sich die chemische Zusammensetzung des Körpers ändere. Dass er diesen Reinigungsprozess im Gegensatz zu den meisten Hermetikern allerdings nicht spiritualistisch, sondern materialistisch verstanden wissen will und die Absonderung ätherischer Teile für irrig hält, indiziert seine Formulierung: „Je besser wir die Körperwelt kennen lernen, desto enger werden die Grenzen des Geisterreichs“.155 Diese Bemerkung deutet nicht nur auf eine definitorische Schwierigkeit hin, Körper und Geist zu bestimmen, womit sie einen Topos der Geisterkritik aufgreift. Sie suggeriert auch, dass die Geisterlehre in toto eine Täuschung sei, und wendet sich damit gegen jedwede spiritualistische Deutung derselben.156 Betrachtet man Hippias als einen materialistischen Alchimisten, lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass er eine dezidiert atheistische Version der Reinigungsund Transformationsvorstellung vertritt und diese auf einen Kraftbegriff gründet, der den alten Geistbegriff zu ersetzen scheint. Indem er auf diesen verzichtet und somit von der Hypostasenlehre Agathons Abstand nimmt, überführt er dessen Geistphilosophie in einen Materialismus. Unmittelbar im Anschluss an die Überlegungen zu den „Grenzen der Geisterwelt“ bezeichnet der Erzähler die Geisterlehre ferner als Herrschaftsinstrument einer „Priesterschaft“ und nimmt damit auf eine weitere Deutungstendenz Bezug: Ich will jetzt nichts davon sagen, ob es nicht wahrscheinlich sey, dass die Priesterschaft, die von jeher einen so zahlreichen Orden unter den Menschen ausgemacht, bald genug die Entdeckung machen musste, was für grosse Vortheile man durch diesen Hang der Menschen zum Wunderbaren von ihren beiden heftigsten Leidenschaften, der Furcht und der Hoffnung, ziehen könnte.157
Die Vermutung, dass zahlreiche „Orden“ aus dem „Hang der Menschen zum Wunderbaren“, besonders aus den damit verbundenen Affekten Furcht und Hoffnung, 154 155 156
Ebd., S. 127. Ebd., S. 128. Dass sich die Geisterkritik der mittleren Aufklärung gegen beide Versionen richtet, lässt sich auch an Kants Schrift Träume eines Geistersehers ablesen. Besonders der Abschnitt mit dem Titel Ein Fragment der geheimen Philosophie die Gemeinschaft mit der Geisterwelt zu eröffnen geht auf alchimistische Reinigungsvorstellungen ein. Eine materialistische Wendung, die nochmals auf die gemeinsame semantische Basis von Alchimie, medizinischer Melancholietherapie und Hexenverbrennung verweist, verleiht ihr Kant mit dem Ratschlag, man solle die „Adepten des Geisterreichs“ lieber „purgieren“ als „brennen“, um ihnen die „fieberhaften Schwärmereien“ auszutreiben. Kant: Träume eines Geistersehers, S. 959. 157 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 128f.
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„Vortheile“ zögen, könnte sich, wie die Forschung angenommen hat, über weite Strecken zunächst aus der religionskritischen Literatur der frühen und mittleren Aufklärung speisen. Aktualisiert wurde die These, Religion sei ein Herrschaftsmittel, das der Unterdrückung und Manipulation dient, um 1760 unter anderem mit Claude Adrien Helvetius’ Schrift De l’esprit (1758), die Wieland kannte und als deren aufmerksamer Leser sich auch Hippias erweist. In der Tat baut dessen Philosophie auf einem zentralen Grundpfeiler von Helvetius’ Kritik auf, der sich gegen den „Geist“ als Konstrukt betrügerischer Priester und in diesem Zusammenhang überhaupt gegen die Vergeistigung als schädlicher Kontemplationspraktik richtet.158 Der Betrugsthese der Religionskritiker verleiht er damit eine überraschende Wendung. Nicht die Sinnlichkeit des Menschen, also dessen Affektivität, gilt ihm, wie sonst üblich, als Schwachstelle und Angriffspunkt, der sie für Manipulationen anfällig mache. Im Gegenteil: Wer seine Sinne abzutöten versuche, sei den Herrschaftstechniken der Priester und Religionsbetrüger umso stärker ausgeliefert. Hippias’ eigenes, aus der deistischen Religionskritik angereichertes Plädoyer für ein sinnliches Leben scheint sich über weite Strecken aus Helvetius’ Schrift zusammenzusetzen. An einigen Stellen weist sie jedoch über diese hinaus. Denn der Sophist nimmt nicht nur auf die Sinnlichkeit Bezug. Er rekurriert ferner auf die These der Geheimorden als einem wichtigen sozialen Ort des Betrugs, die eine spätere Schrift Wielands aufnimmt. 1781 führt Wieland die von Hippias vorgetragene Priesterbetrugsthese weiter aus. Sein im Teutschen Merkur erschienener Text Über den Hang der Menschen an Magie und Gespenstererscheinungen zu glauben kann diese Zusammenhänge erhellen. Er spielt schon mit dem Titel auf den Einwand des Erzählers an, indem er die Rede vom Wunderbaren nun durch die Worte „Magie“ und „Gespenstererscheinungen“ präzisiert. Ferner spricht Wieland dort wie Hippias von „der magischen Filosophie der Weisen“, denn die (wie sie noch bis auf diesen Tag thun) versprachen nichts geringers als die größte Veredelung der Menschheit, Erhöhung ihrer natürlichen Kräfte bis zur Gemeinschaft mit der göttlichen Natur.159
Gemeint ist mit „magischer Philosophie“ allerdings die Arkanlehre, die sich im 15. und 16. Jahrhundert unter dem „Nahmen eines Hermes Trismegistus, Zoroaster, Orfeus, Pythagoras, Platon […] in Ansehen hielt“.160 Mit der Nennung eines geheimen Ordens rekurriert Wieland auf jene fiktive Gesellschaft der frühneuzeitlichen Rosenkreuzer, die sich um 1781 in Form der Spätrosenkreuzer historisch realisiert hatte und zu eminenter politischer Geltung gelangt war. Wie auch der Erzähler des 158 159
Claude-Adrien Helvétius: De l’Esprit (1759). Paris 1988, S. 128. Martin Christoph Wieland: Über den Hang der Menschen an Magie und Geistererscheinungen zu glauben, in: ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1909ff. I Abt. Bd. 4. Hg. von Wilhelm Kurrelmeyer 1928, S. 322–331, hier S. 323f. 160 Ebd., S. 324.
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Agathon vermutet, waren „Geistererscheinungen“ zu den „Kunstgriffen“ eines geheimen Ordens zu zählen, mit denen sie den Kreis ihrer Adepten zu erhöhen versuchten und zwar, indem sie deren Hoffnung auf Unsterblichkeit für sich zu nutzen wussten. Der Name Hermes Trismegistus verweist darüber hinaus konkret auf eine ägyptische Mysterienkultur, mit der Wieland über Ralph Cudworth in Kontakt gekommen war. Im ersten Band des True Intellectual System heißt es dort im Kapitel zur Arkantheologie: That there was anciently amongst the Egyptians such a man as Thot, Theut, or Taut, who, together with letters, was the first inventor of arts and sciences, arithmetic, geometry, astronomy, and of the hieroglyphic learning.161
Demnach war Hermes ein alter ägyptischer Gott und Vorsteher einer Geheimlehre, die in Form der Hieroglyphen verschlüsselt vorlag. Für Cudworth spielten die Hieroglyphen eine zentrale Rolle bei der Rekonstruktion einer kontinuierlichen Überlieferungstradition, die er gegen Isaac Casaubons Rückdatierung der hermetischen Schriften aufrecht hielt: And the Egyptian hieroglyphics, which were figures not answering to sounds or words, but immediately representing objects and conceptions of the mind, were chiefly made use of by them to this purpose, to express the mysteries of their religion and theology, so that they might be concealed from the profane vulgar.162
Die Deutung der Hieroglyphen als verschlüsselte Theologie, die auch Moses gekannt haben soll,163 bildet ferner einen theoretischen Grundpfeiler für die Konstruktion einer bis auf Wielands Zeit fortdauernden Überlieferungstradition, die in der Frühen Neuzeit durch die fiktiven Rosenkreuzer repräsentiert wurde. Wieland befasste sich mit diesen Fragen nicht erst 1781, d.h. zu einer Zeit, als sie durch die Spätrosenkreuzer wieder aktuell wurden, sondern bereits um 1750 in seinem Lehrgedicht Die Natur der Dinge. Darin nimmt er zunächst auf die Bedeutung der Hieroglyphen als Arkanzeichen Bezug.164 Er kritisiert die These, in den Mysterien, besonders denen der Isis, sei eine Arkantheologie überliefert. Wenn die Romanfigur Hippias an dieser Stelle von „Priestern“ und einem „Orden“ spricht, spielt sie damit ebenfalls nicht nur auf die deistische Betrugsthese an, für die die Orden keine so gewichtige Rolle spielten. Vielmehr hat sie eine Geheimtradition im Sinn. Mit den Ordensangehörigen sind daher höchstwahrscheinlich jene Eingeweihten in die ägyptische Mysterienreligion gemeint.
161
Ralph Cudworth: The True Intellectual System of the Universe. Volume I. Bristol 1995 (Reprint of the first three Volumes of the 1845 Edition), S. 543. 162 Ebd., S. 357, 163 Ebd. 164 Wieland: Die Natur der Dinge, S. 104.
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Nun ist nicht nur der Hang zum Wunderbaren, der Agathon unterstellt wird, ein Ansatzpunkt für die Kritik des Erzählers. Auch Hippias scheint, wie folgende Überlegungen erhellen, mit der Arkantradition in Berührung gekommen zu sein. Er könnte, so legt es der Herausgeber nahe, als Emissär eines Geheimordens bzw. als ein in die Mysterien Eingeweihter verstanden werden, dessen Funktion nun darin bestand, Agathon in die „ächte“ Geheimlehre einzuweisen. Mit dieser Einordnung würde Wieland nicht mehr nur an Cudworth’ Deutung der Mysterien und dessen Überlegungen zur Überlieferungstradition anknüpfen. Er rekurriert an dieser Stelle ferner auf William Warburton, genauer auf dessen Schrift über die göttliche Gesetzgebung Moses, mit der er die Deisten auf der Basis ihrer eigenen Argumente widerlegen wollte.165 Darin entwickelte Warburton die These, dass ägyptische Gesetzgeber die Unsterblichkeitslehre erfanden, um damit das Volk nicht bloß zu täuschen, sondern es ferner zu schützen. Die Repräsentanten der ägyptischen Geheimkultur vertraten demnach eine doppelte Lehre, die sich nach Warburton auf zwei Initiationsgraden der Mysterien abbilden ließ. Während die niedere in der Vermittlung einer schwärmerischen Unsterblichkeitslehre durch Priester bestand, basierte die höhere Einweihung hingegen darauf, die Initiation als Trick und Kunstgriff zu entlarven, auf deren Basis Gesetze etabliert wurden bzw. überhaupt erst etabliert werden konnten.166 Die Parallelen dieser Konstruktion zu der von Wieland dargestellten Kommunikationssituation liegen auf der Hand. Denn offenkundig bewegt sich Hippias im Rahmen einer arkanen Desillusionslogik, wenn er Agathon den wahren Zweck der Geisterlehre darlegen und sie damit als Herrschaftsinstrument ausweisen will. Er bewegt sich zudem im Rahmen der Desillusionslogik, wenn er Agathon von seiner Schwärmerei zu befreien versucht und ihn dazu verleitet, die Unsterblichkeitslehre durch eine andere atheistische und materialistische Philosophie zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund erweist sich Hippias als Emissär eines Ordens, dessen Aufgabe in der Einweihung von Schwärmern in eine höhere Initiationsstufe besteht. Hippias’ Rede von der Jugendschwärmerei erhält somit eine neue Wendung: Sie bezeichnet eine für Novizen entwickelte provisorische Lehre, die bestenfalls eine erzieherische Funktion hatte, und strukturell schon deshalb nicht von Bestand sein kann, weil sie nach der Logik der Einweihung in der nächsten Initiationsstufe als Täuschung entlarvt werden muss. Im Gespräch zwischen Hippias und Agathon werden somit Kommunikationsstrukturen, Initiationsverläufe, Herrschaftstechniken und Usancen von Geheimgesellschaften (auch die Royal Society rangierte unter
165
William Warburton: The Divine Legation of Moses Demonstrated on the Principles of a Religious Deist. London 1742, Preface. 166 Ebd., S. 349.
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dieser Kategorie) reflektiert, die für die Erzählmuster und Themenfelder des späteren Entwicklungsromans durchaus wegweisend sind.167 Hier eröffnet sich somit ein neuer Blick auf die von Hippias und Agathon vertretenen Positionen.168 Hervor tritt nicht mehr nur deren Gegensätzlichkeit, in der die aporetische Struktur des Romans begründet liegt und die sich gegen das aufstrebende Modell der Mysterienkultur richtet, sondern zugleich ihre Komplementarität. Die Gemeinsamkeit beider Figuren besteht demnach in ihrer Zugehörigkeit zu einem imaginären Orden, der ihre Kommunikationsweisen steuert, sowie in der strukturellen Nähe ihrer Positionen. Hippias alchimistische Version kann nämlich als materialistisches Komplement von Agathons Schwärmerei verstanden werden, die sie gezielt substituieren will. Wie Agathon strebt Hippias nach Höherem. Er spricht von den „rohen Menschen“, vom „wahren Stein der Weisen“ und dem „Goldsuchen“,169 um seine Kunst zu beschreiben, und zielt damit auf eine substanzielle Verbesserung ab.170 In diesem teleologischen Modell sind zwar das vormals erstrebte Gut sowie das Verhältnis zwischen Priester und Initianten ersetzt. Es finden sich jedoch zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten. Hippias gründet seinen Herrschaftsanspruch nicht mehr auf eine Geisterphilosophie und eine Unsterblichkeitslehre, dafür aber auf einen Eudämonismus von materiellem Gut, Glück und Jugend. Auf diese mit der materialistischen Alchimie verbundenen Hoffnungen spielt noch Goethe in seinem 1790 publizierten Revolutionsdrama Der Groß-Cophta an, das den historischen Stoff der so genannten Halsband-Affäre aufgreift.171 Darin stellt er den vermeintlichen Grafen Alessandro Cagliostro als Magier vor, der sich bei Hof durch seine alchimistischen Künste beliebt macht, indem er potentiellen Adepten Unsterblichkeit und Reichtum in Aussicht stellt. Ist bei Goethe der spöttische Unterton gegenüber diesen Praktiken kaum zu überhören, kündigt sich bereits in Wielands Adaptation des Stoffes eine deutliche ironische Distanzierung an. Vor diesem Hintergrund ist Hippias nicht nur als Repräsentant einer sensualistischen Aufklärungsphilosophie zu verstehen, wie es die Wieland-Forschung im Anschluss an Panajotis Kondylis beschrieben hat, sondern ebenfalls als Vertreter der Mysterienkultur. Beide Romanfiguren sind damit letztlich Repräsentanten
167
Vgl. Yvonne Wübben: Moses als Staatsgründer. Schiller und Reinhold über die Arkanpolitik der Spätaufklärung, in: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 15 (2003), S. 125–158. 168 Jamblichus: Theurgia or The Egyptian Mysteries: Reply of Abammon, the teacher, to the letter of Porphyry to Anebo, together with solutions of the questions therein contained. Translated from Greek by Alexander Wilder. New York 1911, der Abschnitt 18 zu Eudamonia, or the True Success. 169 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 134f. 170 Ebd. 171 Johann Wolfgang v. Goethe: Der Groß-Cophta, in: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Hg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert Göpfert, Norbert Miller u. Gerhard Sauder. Bd. 4.1. München 1988, S. 10 f.
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zweier unterschiedlicher Formen des Platonismus, der in der Mysterienkultur gleichermaßen wirksam war: einer atheistischen und einer schwärmerischen Variante. Beide Haltungen können deshalb, so wird es am Radikalpietisten Edelmann wahrgenommen, ineinander umschlagen, weil sie von Anbeginn eine strukturelle Affinität aufweisen. Die zwischen Agathon und Hippias verhandelten Positionen (Schwärmerei und Atheismus / Materialismus) werden von Wieland konsequenterweise als zwei ineinander übergehende Haltungen ausgewiesen. Zumindest scheint Hippias mit seiner Verführungsstrategie vorerst erfolgreich zu sein und Agathon umstimmen zu können. Wieland skizziert damit einen Pendelumschlag von Schwärmerei in Materialismus, den auch Albrecht von Haller in seinem Lehrgedicht Über Vernunft, Aberglauben und Unglauben vorführt, und den Schiller wiederum in seinem Romanfragment Der Geisterseher aufgreift. Nach Haller generiert die Kommunikationsstruktur der Mysterienkultur diesen Umschlag vom falschen Glauben (Aberglauben) in Unglauben (Atheismus). Bei Wieland ist es wohl der beiden Figuren gemeinsame Platonismus. Diese Interpretation wirft ein kritisches Licht auf die eingangs zitierte mögliche Zuordenbarkeit der Figuren zu unterschiedlichen Aufklärungsformen oder -fraktionen. Fraglich erscheint, inwiefern sie überhaupt Vertreter der Aufklärung sind oder zwei Formen von Aufklärung widerspiegeln, z.B. eine empirisch-kausale und eine normativ-moralisierende.172 In diesen Deutungen bleiben die alchimistische Dimension von Hippias’ Philosophie sowie seine arkane Kommunikationstechnik meist unberücksichtigt. Zudem gerät die strukturelle Komplementarität der Positionen aus dem Blick. Der heuristische Wert eines formal-philosophischen Aufklärungsverständnisses für die historische Analyse wäre hier also mit Einschränkungen zu versehen. Er kann nämlich die Breite der zum Teil äußerst verdeckten Kontextbezüge nicht abbilden. Jedenfalls erlaubt das Aufklärungsverständnis nicht, das gesamte Spektrum von Anspielungen und aufgegriffenen Theoremen in ihren jeweiligen Feindifferenzierungen zu erfassen. Mit der Blickeinschränkung hängt womöglich zusammen, dass einige Quellentexte bei der Interpretation des Romans – wie Albrecht von Hallers Lehrgedicht Über Vernunft, Aberglauben und Unglauben – bislang nicht oder nur am Rande konsultiert wurden, während andere Texte, wie einige von Diderots Schriften, oft zur Interpretation herangezogen wurden.173 Zum Teil wird dabei das eigentlich innovative Potential von Wielands Positionierung übersehen, z.B. der Umstand, dass er sein eigenes Aufklärungskonzept in Abgrenzung zum Platonismus entwickelt. Zwar zielt der weitere Handlungsverlauf darauf ab, zwischen beiden Figuren zu vermitteln. Dieser Vermittlungsversuch zeigt jedoch zuerst das Ungenügen der Positionen auf. Er bestätigt somit eine Ausgangskonstellation, deren Fundament im Antiplatonismus der Frühaufklärung liegt. Der Pendelumschlag beschreibt daher zunächst eine Dialektik des 172 173
Erhart: Aufklärung und Selbstentzweiung, S. 105. Ebd.
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Platonismus, an deren Destruktion, so paradox das erscheinen mag, Wielands Roman partizipiert.
6.9. Melancholie und Wahn: Psychopathologische Konzepte in der Enthusiasmusdiskussion Zur Destruktion des Gespenstersehens hat gleichermaßen eine medizinisch-philosophische Enthusiasmuskritik beigetragen, die sich nicht nur aus dem frühaufklärerischen Antiplatonismus speiste, sondern in stärkerem Maß bei der physiologischen Ausstattung des Menschen ansetzte.174 Die Enthusiasmuskritik zeichnet sich durch einen Transfer zwischen den Wissensformationen Philosophie und Medizin aus und kann daher insgesamt als ein Wissensfeld betrachtet werden, das die Konfiguration einer modernen Anthropologie befördert hat. In der anthropologischen Literatur erhält der Schwärmerbegriff jedenfalls eine dezidiert psychopathologische Bedeutung, wie sich wiederum am Beispiel Jacob Böhmes zeigen lässt: „Böhme gehörte denn auch zu den Schwärmern, an denen man das oben entwickelte Melancholie-Konzept mit nachhaltigem Erfolg erprobte“.175 Er bildet einen Gegenstand medizinisch-philosophischer Schwärmerkritik, deren „leitende[s] Prinzip” die „natürliche Erklärung“176 ist und an dem der „Enthusiasmus aus Melancholie“ als „schlüssiges Konzept“177 entwickelt wird. Meier partizipiert offenbar an diesem Prozess und greift damit in breitem Maß auf die Quellen des 17. Jahrhunderts und der Frühaufklärung zurück. Eine an der Melancholie orientierte Enthusiasmuskritik lag bereits mit Meric Casaubons Treatise concerning Enthusiasm (1655) vor. Der auf Englisch verfasste Text entstand im Umfeld des Cambridger Platonismus und fand in der lateinischen Übersetzung von Johann Friedrich Mayer 1708 Eingang in die deutschsprachige Aufklärung.178 In diesem Sinn war Böhme ein Melancholiker, der nach der Auffassung der Zeit unter einer unvorteilhaften Mischung der Säfte litt. Mit dem Wort „hitzig“ scheint Meier auf diese Zusammenhänge anzuspielen.179 Die hitzig erregte Einbildungskraft gibt er jedenfalls als einen möglichen Grund für 174
Lawrence E. Klein: Enthusiasm and Enlightenment in Europe (1650–1850). San Marino / California 1998; zur Geschichte des Begriffs: Peter Spoo: Enthusiasm, in: Europäische Schlüsselwörter. Wortvergleichende und wortgeschichtliche Studien. Hg. vom Sprachwissenschaftlichen Colloquium (Bonn), Bd. II: Kurzmonographien. I. Wörter im geistigen und sozialen Raum. München 1964, S. 50–67; Hans H. Schulte: Zur Geschichte des Enthusiasmus im 18. Jahrhundert, in: Publications of the English Goethe Society 33 (1969), S. 85–122. 175 Schings: Melancholie und Aufklärung, S. 167. 176 Ebd., S. 162. 177 Ebd., S. 161. 178 Johann Friedrich Mayer: De Pietatis Ecclesiae Veteris Commentatio [...] Accessit Dissertatio Merici Casauboni de Enthvsiasmo. Hamburg 1698. 179 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17.
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die Verwechslung von Einbildung und Empfindung an. Dahinter verbirgt sich ein ätiologisches Modell, das um 1750 zum pathophysiologischen Gemeingut zählt und in die Literatur als melancholia adusta aufgenommen wurde. Die übermäßige Erhitzung der Einbildungskraft wird physiologisch auf fehlgesteuerte Verbrennungs- und Verwertungsvorgänge zurückgeführt. Sie konnte angeblich ebenso wie die Schwächung der äußeren Nerven eine Störung zwischen Einbildung und Empfindung bedingen. Meier knüpft an diese Tendenz an, auch wenn sie für ihn nur eine untergeordnete Rolle spielt. Daneben tritt ein anderes Erklärungsmodell, das zum einen erlaubt, graduelle Übergangsformen zu unterscheiden und sie als ein zeitlich begrenztes Ungleichgewicht zu konzeptualisieren, zum anderen, das breite Spektrum psychopathologischer Phänomene – wie Wahnwitz, Verrückung, Raserei, Wahnsinn, ausschweifende Einbildungskraft, Träumerei, Milzsucht – zu systematisieren. Eine Vorlage für diese Systematisierung fand Meier ebenfalls im 17. Jahrhundert, jedoch nicht primär bei der medizinischen Theoriebildung. In Ergänzung zu Casaubon setzte Henry More im Enthusiasmus triumphatus (1656) zu einer Enthusiasmuskritik an,180 die deutlicher als Casaubon auf die Einbildungskraft, genauer auf ein Missverhältnis zwischen Sinnen und Einbildung rekurriert. More betreibt die Naturalisierung des Enthusiasmus nicht nur unter Zuhilfenahme humoralpathologischer Modelle,181 sondern bedient sich auch eines systematischen Arguments. Eingang in die Aufklärung hat dieses Modell über die Schrift Examen theologicae mysticae des Tübinger Professors für Theologie Johann Wolfgang Jäger (1647–1720) gefunden, der sein Enthusiasmuskonzept in Auseinandersetzung mit More entwickelte. Neben den grundsätzlichen definitorischen Anleihen, welche die Differenz zwischen wahrer Inspiration und Enthusiasmus betreffen,182 finden sich bei beiden Autoren ausführliche Angaben der natürlichen Ursachen sowie eine detaillierte
180
Henry More: De Jacobo Boehmio Judicium [...] Cum Judicio in utrumque Io. Wolfgang Jaeggeri, in: Johann Wolfgang Jaeger: Examen Theologiae Mysticae. Frankfurt / Leipzig 1709, S. 401–443. Vollständiger Text bei: Opera omnia, Bd. II.1. Hildesheim 1966 (Nachdr. d. Ausg. London 1674–1679), S. 529–561. Hier zitiert nach Schings: Melancholie und Aufklärung, S. 381. Siehe auch Thomasius’ Böhme-Kritik sowie Erasmus Francisci, der sich offenbar nicht auf die Morgenröte Böhmes, sondern die eines anderen Mystikers bezieht. 181 Auch Bücher greift dabei auf Mores Enthusiasmuskritik zurück, er richtet sich gegen dessen Naturalisierung, stellt More selbst unter Verdacht des Enthusiasmus und aktualisiert nochmals die Dämonenkritik, um sich von den Enthusiasmus-Deutungen aus dem Umkreis der Cambridger Neuplatoniker abzugrenzen. Vgl. Schings: Melancholie und Aufklärung, S. 157 und 167. More bezieht sich hingegen vor allem auf Burtons Anatomy of Melancholy. 182 More: Enthusiasmus Triumphatus: Sive de Natura, Causis, Generibus & Curatione Enthusiasmi. Brevis Dissertatio, S. 188: „Nam Enthusiasmus nihil aliud est quàm falsa cujusvis de se opinio, quod sit Inspiratus, Jam veró Inspirari, est modo quodam extraordinario moveri per vim Divinam Deíve Spiritum, ad agendum, loquendum, cogitandúmve quod sanctum est, justum atque verum. Atque hinc facilè intelligitur quid sit Enthusiasmus, nimirum Plena sed falsa persuasio in homine quoquiam, quòd sit Inspiratus.“
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Klassifikation.183 Bezeichnend ist, dass Jäger wie More die Erhöhung der Einbildungskraft vor allem auf eine Abkehr von der Welt zurückführt. Ins Zentrum der Kritik rücken, das überrascht nicht, meditative Praktiken wie die contemplatio und die daraus abgeleiteten falschen Begriffsbildungen und „unordentlichen Abstractionen”.184 Jäger nimmt wie Meier ein Ungleichgewicht von äußeren Daten und inneren Bildern an.185 In dem von Meier favorisierten Erklärungsmodell wird das Phantasma mithin auf ein Ungleichgewicht zwischen peripheren Sinneseindrücken und Einbildungskraft zurückgeführt. Dazu heißt es: Die Erfahrung lehrt ja, daß dieses [die Verwechslung von Einbildung und Empfindung – Y. W.] bey Phantasten und Verrückten würcklich eintreffe. Der eine denckt, er ist von Butter, und will nicht an die Wärme gehen, aus Furcht, er möge zerschmeltzen. Der andere bildet sich ein, er sey von Glas, und bittet jedermann mit ihm säuberlich umzugehen, damit er nicht zerbreche.186
Für dieses Ungleichgewicht wählt Meier den Ausdruck Verrückung. Eine ähnliche Terminologie findet sich beim Mediziner Antoine le Camus. In seiner Schrift Imagination dérangée beschreibt letzterer die Verrückung als Extremfall, der dem Zustand der rage entspricht und der von der Tobsucht (phrenesie) bis hin zu Formen des Wahnwitzes (mania) ein weites Spektrum an Erkrankungen umfassen kann.187 Obschon die Vorstellung des Übergangs für Meier eine gewichtige Rolle spielt, ist es ihm an dieser Stelle nicht um eine Differenzierung zu tun. Denn er skizziert die Verrückung ausschließlich schematisch und führt sie in einem zweiten Schritt sinnesphysiologisch auf eine Schwächung der Nerven bzw. auf eine Erhöhung der Einbildungskraft zurück.188 183
Ebd., S. 189f. und 200f. More unterscheidet den prophetischen, politischen, philosophischen und theosophischen Enthusiasmus. In die deutsche Frühaufklärung wurde diese Kritik durch den bereits erwähnten Tübinger Theologieprofessor Johann Wolfgang Jäger bzw. durch seine Schrift Enthusiasmus modernus (1709) implementiert, die eine maßgebliche Quelle für Meiers Traktat war. Darüber hinaus hat sich der Hallenser Professor für Moral und spätere Professor für Theologie in Jena, Johann Franz Budde, in seinen Institutiones Moralis Theologiae (1712) eingehender mit dem Enthusiasmus-Komplex befasst. 184 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17. So wörtlich bei Henry More: De Enthusiasmo brevis Dissertatio, in: ders.: Opera omnia II. Opera Philosophica. Tomus 2. London 1679, S. 187–226, hier S. 187: „Nam ut Insomnia Imaginationes sunt dormientium, ità Imaginationes nihil aliud sunt nisi Insomnia Vigilantium“, sowie S. 188: „Distincti gradus naturaeque suarum facultatum.“ 185 Artikel ‚Raserey‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 44, Sp. 899–903, sowie Johann Wolfgang Jaeger: Examen theologicae mysticae, S. 401–443. 186 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 18. 187 Antoine le Camus bezeichnet die Erkrankung Imagination dérangée ‚Verrückung‘ heißt sie bei Wolff in der deutschen Metaphysik, Dürbeck: Einbildungskraft, S. 38, Wolff: Deutsche Metaphysik, § 444 und 533. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17. 188 Anders Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. Mit einem Vorwort v. Werner Schneiders. Hildesheim 1968 (Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Halle 1692), S. 69f.: „Ferner närrische und rasende Leute haben wahrhafftig Vernunft / sie gedencken würcklich (und wenn sie auch nicht gedächten / so bewegte sich doch ihre menschliche Seele in ihnen / wie in
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Diese ganze Verwirrung entsteht, so ofte die Einbildungskraft zu hitzig wird, und die Empfindungen zu schwach werden z.B. durch eine Krankheit des Körpers geschehen kann. Denn da unsere Empfindungen ordentlicher Weise klärer und stärcker sind, als alle übrigen Vorstellungen: so haben alle Menschen sich angewöhnt, diejenigen Vorstellungen für Empfindungen zu halten, die bey ihnen die klärsten und stärcksten sind. Wenn die würcklichen Empfindungen entweder durch die Schwächung der Nerven in Kranckheiten, oder durch eine unordentliche Abstraction von demselben, ausserordentlich geschwächt und verdunckelt werden: so hat die Einbildungskraft keine Hindernisse mehr, und sie fängt an, sich gewaltig hervor zu thun.189
Die Erklärung erlaubt, ein Symptom an ein breites Spektrum von möglichen Ursachen zu koppeln, das sich von kulturellen Praktiken wie der Meditation („unordentliche Abstraction“) über eine Schwächung der Nerven bis zur pathologischen Erhöhung der Einbildungskraft erstreckt. Das eher schematisierende Konzept tritt somit an die Stelle einer unspezifischen Melancholie, die zuvor als Ursache für das Gespenstersehen herhielt. Um eine Verrückung zu illustrieren, beruft sich Meier an dieser Stelle auf zwei Fallbeispiele: zum einen auf den „gläsernen Ökonom“, als dessen historisches Vorbild der Gelehrte Casparus Barlaeus (1584–1684) firmierte,190 zum anderen auf den so genannten „Mann aus Butter“. Beide finden sich zwar in einem auch im 18. Jahrhundert noch verbreiteten Melancholietraktat, in Robert Burtons Anatomy of Melancholy (1621).191 Im Gegensatz zu Burton, bei dem die Melancholie das Leitparadigma war, unter das diverse Formen der Täuschung – Sehstörungen aller Art und auch das Geistersehen – subsumiert wurden, ist hier nicht mehr die Melancholie, sondern die Verrückung das Leitkonzept, das die Argumentation steuert. Die Substitution mag mit dem Geltungsverlust zusammenhängen, den die humoralpathologische Melancholielehre durchläuft.192
denen kleinen Kindern und harte schlaffenden) aber sie gedencken verwirrt und närrisch / weil die kleinen Theile im Gehirne verrückt seyn / oder wegen anderer Ursachen. Und solchergestalt schickt sich dieses Exempel wieder nicht darzuthun / daß ein Mensch ohne Bewegung der Seele leben könne.” Die Zusammenführung der anti-platonischen Geisterkritik mit verschiedenen medizinischen Argumentationsfiguren verdankt sich – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – einer Systematisierungs- bzw. Formalisierungstendenz. Sie könnte die argumentative Basis sein für die Überschneidung von medizinischer Melancholietheorie und theologischer Schwärmerkritik. 189 Meier: Gedancken von Gespenstern, S.17. 190 Schings: Melancholie und Aufklärung, S. 59; Alexander Košenina: Gläserne Brust, lesbares Herz: Ein psychopathographischer Topos im Zeichen physiognomischer Tyrannei bei Chr. H. Spieß und anderen, in: German Life and Letters 52 (1999), S. 151–165. 191 Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Volume I: Text. Edited by Thomas C. Faulkner / Nicolas K. Kiessling / Rhonda L. Blair. With an introduction by J. B. Bamborough. Oxford 1989, S. 426. Dort findet der Fall einer Geistererscheinung Erwähnung, Burton begründet sie wie Locke mit Gewohnheit und Phantasie: „The thickness of the aire may cause such effects, or any object when not discerned in the darke, feare & phantasie will suspect to be a ghost.“ Eben diesen Anschauungsfall hatte Meier im Rahmen der ersten Meinung diskutiert. 192 So konstatiert Meier mit Blick auf die Verlaufsform der Erkrankung einen engen Zusammenhang zwischen Gespenstererscheinung und Melancholie: „[M]an kann“ – so Meier – zahlreiche „Exempel anführen, daß die Verrückung, Raserey, Phantasterey und Melancholie eines Men-
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Vor diesem Hintergrund wäre zunächst zu fragen, warum um 1750 das Konzept der Verrückung gegenüber anderen privilegiert wird, um die Gespenster zu erklären. Welchen Distinktionswert hat es und was leistet es bei der Neuorganisation von Wissensbeständen? Die unterschiedlichen Erklärungen der Verrückung ermöglichen es Meier zunächst, auch harmlosere Formen des Gelehrtenphantasmas zu berücksichtigen.193 Gleich zu Beginn betont er, dass Phantasten und Verrückte nicht wesenhaft, sondern allein graduell voneinander unterschieden seien. Der Verrückte ist demnach ein Wahnwitziger, der alle Einbildungen für Empfindungen hält. Der Phantast hält hingegen nur einige Einbildungen für Empfindungen. Das Verrückungskonzept geht hier – so würde man heute sagen – mit einer Anwendung auf die Normalpathologie einher, die Meier ironisch eine Strategie nennt, dem „Anfall von der Verrückung“ eine „höflichere Gestalt“ zu geben. Vermöge des vorhergehenden kann man also annehmen, daß die Gespenster, aus einem Paroxysmus einer vorrübergehenden Phantasterey und Verrückung, ihren Ursprung nehmen. Diese Meynung scheint ein wenig grob und unhöflich zu seyn; denn, wenn jemand sagte er habe ein Gespenste gesehen, so hiesse das eben so viel, als, er habe einen Anfall von der Verrückung bekommen. Wir wollen uns also bemühen, dieser Meynung eine höflichere Gestalt zu geben.194
Zur Übertragung auf die Normalpathologie trägt primär die physische Krankheitslehre entscheidend bei. Dabei bedient sich Meier der Idee des Paroxismus, der den Zustand einer vorübergehenden Verrückung beschreibt und die kategoreale Unterscheidung zwischen Vernunft und Verrückung temporalisiert. Meier versteht das Gespenstersehen vor diesem Hintergrund als temporären Zustand, vor dem niemand gefeit ist. An die Stelle von Zustands- und Wesensbeschreibung (wie amentes oder dementes) tritt das Modell des Anfalls. Als weitere aus dem Katalog der physischen Erkrankungen entnommene Metapher firmiert das Fieber, denn die Verrückung wird von Meier zudem als „geistliches Fieber“ bezeichnet.195 Meier bedient sich dabei einer Wendung, die Karl Philipp Moritz später in seinem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde ausführt. Auch er verweist auf physische Krankheiten, um seelische Prozesse nicht nur zu beschreiben, sondern damit der Erfahrungsseelenkunde ein besseres Ansehen zu verleihen.196 Die Krankheitsmetapher hat bei Meier freilich nicht diese weitreichende Funktion. Gleichwohl soll sie die allgemeine Akzeptanz der Verrückung erhöhen und
schen sich [sic] damit angefangen, daß ihm Gespenster erschienen“. Vgl. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 20 193 Wie bei Zedler: Artikel ‚Raserey‘, Bd. 44, Sp. 899–903 beschrieben. 194 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 18. 195 Ebd., S. 19. 196 Karl Philipp Moritz: Vorschlag zu einem Magazin einer Erfahrungs-Seelenkunde, in: Dichtungen und Schriften zur Erfahrungsseelenkunde. Werke in zwei Bde. Hg. v. Heide Hollmer / Albert Meier. Bd. 1. Frankfurt/M. 1999, S. 793–809, hier S. 793.
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damit einen Beitrag zur Transformation kultureller Deutungsmuster leisten. Denn „es können auch dem allervernünftigsten Mann bisweilen Verrückungen anwandeln, und er hat nicht nöthig, sich dieses allgemeinen Schicksals der Menschen zu schämen.“197 Mit dem Ausweis des Gespenstersehens als Alltagserlebnis wird jedenfalls an die Selbstanschauung appelliert, die zwar nicht unmittelbar zur positiven moralischen Bewertung des Phantasten führt, aber letzteren zumindest vom Makel der Vernunftlosigkeit befreit und ihn anleiten soll, das psychopathologische Konzept als Moment anthropologischer Selbstbeschreibung aufzugreifen. Die Deutung des Gespenstersehens als Verrückung koinzidiert zum einen mit einer Ausweitung des Konzepts auf die Normalpathologie und macht zum anderen eine systematische Betrachtung von Einzelfällen möglich, wie der folgende Abschnitt zeigt.
6.10. Aus Glas: Zur Funktion der Beispiele Um das Gespenstersehen als Verrückung zu illustrieren, rekurriert Meier auf zwei historische Vorbilder: zum einen auf Jacob Böhme, zum anderen auf den genannten „gläsernen Ökonomen“, den Gelehrten Casparus Barlaeus (1584–1684). Dabei lehnt er sich an den bereits zitierten Traktat von Robert Burton an, der – scheinbar gleichberechtigt – eine Anzahl von Exempeln aus der schönen Literatur den historischen gegenüberstellt.198 Burtons Text wird in der Forschung zuweilen zur Gründungsschrift moderner Kognitionswissenschaft erhoben, weil er, wie Meiers Text, physische und psychische Aspekte des Geistersehens verbindet und somit zur anthropologischen Theoriebildung beiträgt. Unter diesem Aspekt wäre als ein Vorläufer von Meier auch der Gespenstertraktat des Gelehrten Erasmus Francisci zu betrachten, der ausführlich auf verschiedene Beispiele von Geistersehern eingeht: Zu Abydo, einer Asiatischen Stadt / pflag / wie Aristoteles bezeugt / ein wahnwitziger Mensch sich in das ledige Schauspielhaus zu begeben / allda nieder zusetzen / und mit Haend=Klopfen anzudeuten / daß ihm alles wolgefiele; nicht anders / als ob wuercklich eine Comedie / oder trauriger Aufzug / ausbuendig=wol gespielt wuerde. Zu Argis in Griechenland lebte einer / der gleiches Gehirns war / und / wie in den poetischen Episteln Horatii gedacht wird / eben so thorricht sich ergoetzte / wann er ins Comedien=Haus kam / und ob gleich kein Spiel gehalten ward / dennoch / in seinem Gehirn / allerley spielende Personen bildete / nachmals auch / da ihn die Medici, auf Begehren seiner Verwandten / durch fleissige Chur von solcher wahnsichtigen 197
198
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 19. Burton: The Anatomy of Melancholy, S. 424. In der dritten Sektion des ersten Teils finden sich unter der Rubrik The Symtoms of Melancholy diverse historische Beispiele von „phantasmas, Chimeraes, noyses, visions“, die allem voran eines belegen sollen: Nämlich, dass „their [der Melancholiker – Y. W.] corrupt phantasie makes them see and heare that which indeed is neither heard nor seene.“ Michael McDonald: Mystical Bedlam. Madness, Anxiety, and Healing in Seventeenth-Century England. Cambridge 1981; Roy Porter: A History of Madness in England from the Restoration to the Regency. Cambridge 1987.
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Phantasey erledigten / mit demselben maechtig=uebel zu frieden war / daß sie ihn solcher Lust beraubt haetten; sie versichernd / er haette nie so vergnueg= und behaeglich gelebt / als zur Zeit seiner Thorheit / und phantastischen Einbildung.199
Francisci greift ebenfalls auf medizinische Theorien zurück, auch er diskutiert einen Fall von Gespenstersehen medizinisch und perspektiviert das Geschehen doppelt – in physischer und psychologischer Hinsicht. Dennoch würde man den Gelehrten kaum zum Vertreter einer modernen Anthropologie erheben wollen. Die physische Perspektivierung des psychischen Geschehens allein scheint ihn dazu nicht zu qualifizieren. Im Gegenteil, letztere kann vielmehr als Topos der Gespensterliteratur angesehen werden, der sich schon in der Antike findet. Deshalb ist es sinnvoll, die Frage nach der anthropologischen Theoriebildung, an der ein Traktat jeweils partizipiert, von der physischen Perspektivierung losgelöst zu betrachten und den Blick auf formale Aspekte sowie die epistemische Funktion der Beispiele oder den Wissenstransfer zu richten. Hinsichtlich der epistemischen Funktion der Exempel unterscheidet sich Meiers Text maßgeblich von seinen historischen Vorläufern. Die Sammlung Franciscis veranschaulicht den Wahn zwar anhand einzelner Fälle, sie liefert aber keine Erklärung für das psychopathologische Phänomen. Während auch bei Burton eine Erklärung des Wahns fehlt bzw. dieser sich zuweilen auf eine bloße Aufzählung beschränkt und Franciscis Ordnungsprinzip die rein äußerliche Ähnlichkeit bleibt, finden sich in Meiers Text Ansätze zur systematisierenden Theoriebildung. Zumindest reflektiert er formale Gemeinsamkeiten, die den Vergleich des „Manns aus Butter“ mit den Gespenstersehern plausibilisieren sollen. Zudem wendet er seine Erklärung auf historische Berichte an200 und leitet aus ihnen wiederum systematische Wahnkriterien ab, wie sie sich am „Mann aus Butter“ nachweisen lassen. Nach der Terminologie der Zeit stellte die Idee, aus Butter zu sein, nicht nur eine Verrückung dar. Als ihr besonderes Merkmal galt ferner, dass sie sich nicht durch die Vernunft korrigieren ließ. Auf die Unkorrigierbarkeit des Irrtums verweist Meier mit der Bemerkung, dass die jeweilige Vorstellung „steif und fest” behauptet werde.201 Damit ist ein auch heute noch gültiges psychopathologisches Merkmal des Wahns benannt, das neben der formalen Beschreibung der Verwechslung als
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Francisci: Der höllische Proteus / oder Tausenkuenstige Versteller, Vorrede 4r. Nicht nur Franscisci, auch der erwähnte Goldschmidt greift diese Argumentation auf, vgl. Goldschmid: Höllischer Morpheus, S. 98. 200 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 18: „Man sage einmal einem solchen Menschen [der sich einbildet, aus Glas zu sein – Y. W.], daß er sich betrüge; es [sic!] ist so weit entfernt, daß er seinen Irrtum erkennen sollte, daß er sich vielmehr auf das Zeugniß seiner Sinne beruft. Haben nicht viele Phantasten unter den Schwärmern behauptet, daß ihnen ein Engel erschienen, daß sie mit Gott geredet, daß sie im Paradiese gewesen? Es ist unnöthig weitläuftiger zu beweisen, daß es durch Phantasterey und Verrückung möglich sey, daß jemand die allerwunderbarsten, seltsamsten und unbegreiflichsten Erscheinungen haben könne.“ 201 Ebd., S. 16.
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ein zentrales Kriterium rangiert.202 Die von Meier gewählten Beispiele sollen also eine systematische Erklärung der Verrückung stützten. Sie werden als authentische Belege angesehen, die ein Erklärungsmodell wahrscheinlich machen (wenn auch freilich nicht beweisen können) und haben damit mehr als eine rhetorisch veranschaulichende Funktion. Im Unterschied zu illustrierenden Aneinanderreihungen einzelner Fälle (wie bei Francisci) liegt hier ein Vergleich vor, der sich auf eine formale Analogie gründet. Das dabei applizierte Täuschungsmodell lässt sich in drei Elemente zergliedern: in einen sinnesphysiologischen, einen erkenntnistheoretischen und einen psychopathographischen Anteil. Zwischen den einzelnen Bereichen fungiert das Beispiel ferner als Schnittstelle, die den Transfer reguliert. Es ist der Knotenpunkt, an dem Erkenntnistheorie (Phantasmakritik als Idealismuskritik), Sinnesphysiologie (innerer und äußerer Input) und psychologische Merkmale des Wahns (Unkorrigierbarkeit) zusammenlaufen. Die spezifische Leistung des Konzeptes scheint genau darin zu bestehen, dass es sich aufgrund seiner formalen Kriterien für einen Theorietransfer zwischen einzelnen Fächern eignet. In der medizinischen Theoriebildung beginnt sich das Konzept der „Verrückung“ gleichermaßen durchzusetzen.203 Das belegt jedenfalls die in zeitlicher Nähe zu Meiers Traktat entstandene Schrift seines Hallenser Kollegen und Arztes Ernst Anton Nicolai. In dessen 1758 erschienenen Gedancken von den Verwirrungen des menschlichen Verstandes beschreibt er die „Verrückung“ nicht nur als Verwechslung zwischen Einbildung und Empfindung. In Ahnlehnung an Meier nimmt er dort das Gespenstersehen in den Katalog der Wahnbildung auf: Der eine glaubt, er wäre von Butter, Fett oder Wachs, und will nicht an die Wärme gehen, aus Furcht, er möchte zerschmelzen. Der andere bildet sich ein, er wäre von Glas und bittet jedermann, mit ihm fein säuberlich und zärtlich umzugehen, damit er nicht zerbreche [...] der fünfte glaubet, er sähe ein Gespenst, den Teufel, oder wer weiß was bey sich [...].204
Er erweitert den Gegenstandsbereich der idée fixe um das Beispiel des Gespenstersehens und greift damit zugleich auf Meiers formale Theorie der Wahnbildung zurück.205 Auch in Nicolais Schrift lässt sich eine Zusammenführung unterschiedlicher Exempel vermerken, die nicht nur das Gespenstersehen umfasst, sondern sich auf disparateste Formen des Irrtums erstreckt. Ausschlaggebend bleibt dabei ein gestörtes Gleichgewicht zwischen peripheren Nerven und Einbildungskraft, das 202
Antoine le Camus: Médicine de l’esprit. Paris 1769. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17. Ernst Anton Nicolai: Gedancken von der Verwirrung des Verstandes, dem Rasen und dem Phantasiren. Kopenhagen 1758, S. 34. 205 Möglicherweise greifen Nicolai und Meier auf dieselbe Quelle zurück wie die berühmte Beschreibung Julien Offray de LaMettries: Der Mensch eine Maschine. Aus der französischen Übersetzung von Theodor Lücke. Nachwort von Holm Tetens. Stuttgart 2001, S. 23. Die gemeinsame Vorlage könnte die Schrift von Theodor Johann Quistorp, Der Hypochondrist (1745), gewesen sein. 203
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eine physische Krankheit, ein spezifischer Lebensstil oder auch eine „unordentliche Abstraction”206 (Askese und Einsamkeit) auslösen kann. Bezeichnenderweise verbindet Meier mit der Gespensterkritik keine moralische oder physiognomische Bestimmung des Geistersehers, wie sie etwa auf dem typisierenden Titelkupfer von Burtons Anatomy of Melancholy zu erkennen ist.207 Die zu moralischen Typisierungen neigende Humoralpathologie erwies sich als nur begrenzt kompatibel mit neueren neurophysiologischen und anatomischen Erkenntnissen über die Funktion des Sinnesapparates. Das gilt auch dann, wenn der Hallesche Mediziner Johann August Unzer einen Versuch unternimmt, zumindest die antike Temperamentenlehre mit der Sinnesphysiologie zu verbinden.208 Das alte Melancholiekonzept verliert als Modell für den Wahn offenbar auch deshalb an Geltung, weil es die zunehmend an das anthropologische Wissensfeld gestellten Transferanforderungen nicht leistet.209 Ist mit diesen Überlegungen Meiers Beitrag zur Ausbildung eines wissenschaftlichen Wahnkonzeptes umrissen und konnte so gezeigt werden, inwiefern der Gespenstertraktat sich von humoralpathologischen Wahnkonzepten abgrenzt, sei abschließend nochmals nach dem Einsatz der schönen Literatur in diesem Transformationsprozess gefragt.
6.11. Poetologische Aspekte der Verrückung: Von der Satire zum Schwärmerroman An der Entwicklung, Verbreitung und Stabilisierung des Konzeptes der Verrückung hat die schöne Literatur einen nicht unerheblichen Anteil, wie sich an den literarischen Gattungen des Schwärmerromans und der Satire ablesen lässt. Dass mit der Pathologisierung von moralischen Alltagsphänomenen zugleich eine Reha206
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17. Vgl. dazu Krüger, in: Unzer: Neue Lehre von den Gemüthsbewegungen, Vorrede: „Es war beynahe mit denen Temperamenten so weit gekommen, daß sie aus der Weltweisheit Abschied nehmen solten, weil man wegen der vielen und verschiedenen Meinungen fast gar nicht mehr wuste, was man daraus machen solte. Der eine nennte einen Menschen melancholisch, welcher geitzig war; der andre verstund dadurch einen Betrübten; der dritte einen solchen, der dickes Blut hat; der vierte den, dessen Puls langsam und heftig schlägt. Der fünfte den, welcher viel irrdische Theile in seinem Blute hätte; der sechste, einen Menschen, welcher blaß und erdfarbig aussahe. Wer hat nun von diesen allen Recht? Ich sage alle mit einander. Denn alle diese Merckmaale lassen sich aus der Beschaffenheit seiner Nerven herleiten. Und so ist es auch mit den übrigen Temperamenten, wie ich in meiner Physiologie gezeigt habe.“ 208 Erich Schöner: Das Viererschema in der antiken Humoralpathologie. Wiesbaden 1964 (Sudhoffs Archiv. Beiheft 4). 209 Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 369. In Halle versucht man dagegen, die Neuromechanik mit der Temperamentenlehre zu kombinieren. Vgl. dazu Johann August Unzer: Neue Lehre von den Gemüthsbewegungen mit einer Vorrede vom Gelde, begleitet von Herrn Johann Gottlob Krüger. Mit Texkommentar, Zeittafel und einem Nachwort hg. v. Carsten Zelle. Halle 1995 (Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte), S. 25ff. 207
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bilitierung des Schwärmers vollzogen wurde, an der die Literatur beteiligt war, ist unterdessen hinlänglich bekannt.210 Fraglich bleibt nur, wie sich diese Rehabilitierung im Einzelnen vollzieht und welche epistemische Funktion der Literatur dabei zukommt. Gegenüber der traditionellen Auffassung, die anthropologische Literatur im 18. Jahrhundert rekurriere lediglich auf medizinisches Wissen (a), wird zunehmend die epistemische Eigenleistung der Literatur betont.211 Insofern Wissen vom Menschen in und durch Literatur generiert wird, fungiert sie als genuiner Ort anthropologischer Wissensproduktion (b).212 Sie liefert zumindest Vorgaben für Selbstdeutungen, die im Rahmen anthropologischer Funktionsbestimmung als Selbstkenntnisse (nosce te ipsum) verstanden werden. Von anderen Wissensformationen zeichnet sich die anthropologische Literatur durch eine Tendenz zur Perspektivierung der menschlichen Doppelnatur aus und verändert auf diesem Weg kulturelle Zuschreibungsprozesse.213 Ferner partizipiert sie im weitesten Sinn an wissenschaftlichen Konzeptbildungen (c), wobei in der Regel das Feld der Psychologie und Psychiatrie als besonders einschlägig gilt. Unter Anwendung eines erweiterten Literaturbegriffs erfüllt Meiers Traktat nach seinem eigenen Selbstverständnis diese Kriterien durchaus. Er greift auf medizinisches Wissen zurück, trägt damit zur ‚Selbsterkenntnis‘ bei und perspektiviert das Gespenstersehen in psychologischer und physischer Hinsicht. Darüber hinaus trug der Traktat zur wissenschaftlichen Konzeptbildung bei. Auch wenn sich die Psychiatrie als Fach erst im 19. Jahrhundert etabliert hat, zeigt Meiers Traktat dennoch, dass sich im Medium der Gespensterdiskussion schon zuvor eine Ausdifferenzierung moderner psychopathologischer Konzepte wie dem des Wahns vollzog. An der Ausbildung dieser Konzepte hat die schöne Literatur einen wesentlichen Anteil, wie sich bereits an der literarischen Schwärmerfigur Don Quichote skizzieren ließe.214 Von den verschiedenen anthropologischen Gattungen, die zum Bereich der schönen Literatur im engeren Sinn zu zählen sind, spielen bei der Modifikation des Schwärmerkonzeptes insbesondere die Satire und der Schwärmerroman eine zentrale Rolle. Auch Meier greift in diesem Kontext auf eine Satire zurück. Er leitet sein Argument mit dem Verweis auf den französischen Dichter Nicolas Boileau 210
Manfred Engel: Die Rehabilitation des Schwärmers. Theorie und Darstellung des Schwärmens in Spätaufklärung und früher Goethezeit, in: Schings (Hg.): Der ganze Mensch, S. 469–498. 211 Nicolas Pethes: Literatur- und Wissenschaftsgeschichte. Ein Forschungsbericht, in: IASL 28.1 (2003), S. 181–231. 212 Wolfgang Riedel: Anthropologie und Literatur in der Spätaufklärung, S. 93–157; ders.: Literarische Anthropologie, S. 432–434. 213 Schings: Der anthropologische Roman. Seine Entstehung und Krise im Zeitalter der Spätaufklärung, S. 247–275, oder auch Engel: Traumtheorie und literarische Träume im 18. Jahrhundert, S. 97–128. 214 Harald Weinrich: Das Ingenium Don Quijotes. Ein Beitrag zur literarischen Charakterkunde. Münster 1956 (Forschungen zur Romanischen Philologie 1).
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(1636–1711)215 ein und nimmt damit auf dessen satirische Schrift A M. l’Abbé Le Voyer Bezug. In ihr hatte letzterer die Verrückung als Alltagsphänomen und condition humaine bezeichnet: Wir sind alle Menschen, Tous les hommes sont fous, et malgré tous leurs soins ne different entre eux que du plus ou du moins. Boileau216
Mit dem Hinweis auf die Verrücktheit bedient Boileau nicht nur einen Topos der Satire, sondern aktualisiert zugleich ein antiplatonisches Deutungsmuster.217 Er richtet sich hier gegen eine so genannte griechische Weisheitstradition, gegen die Annahme einer unmittelbaren Teilhabe des Menschen an einem perfekten göttlichen Wissen.218 Er verspottet das zentrale platonische Theorem der Illumination und deutet es ästhetisch, um in der Querelle unter Rückgriff auf die Antiken gegen die ästhetische Aufwertung der Phantasie durch die so genannten Modernen zu polemisieren.219 Den gattungsspezifischen Konventionen folgend, trägt er zur Degradierung von Enthusiasten bei, indem er sich medizinischer Theorien bedient.220 Boileau führt den Enthusiasmus indes auf dickes Geblüt, auf Milzsucht zurück und kennzeichnet ihn als Sonderfall einer melancholischen Realitätsverkennung.221 Vom Standpunkt der um 1750 aktuellen Wissensproduktion aus betrachtet, scheint dieser Melancholie-Rekurs allerdings nicht mehr zeitgemäß. Die Erwähnung der Milzsucht entspricht zwar der physiologischen Destruktion des Enthusiasmus, partizipiert jedoch nicht unmittelbar an der Wissensproduktion. In diesem Sinn wäre der Rekurs auf die Melancholietheorie bzw. die Naturalisierung in physiologicis nicht mehr als legitimatorischer Rekurs auf die Wissensformation Medizin, sondern als gattungsspezifischer Topos zu lesen, der vor allem zur Ausbildung eines rhetorischen Musters geführt hat.
215 216 217
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 19. Ebd. Boileau war von Johann Christoph Gottsched in seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) als Autorität angeführt worden. Vgl. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst, in: ders.: Schriften zur Literatur. Hg. v. Horst Steinmetz. Stuttgart 1972, bes. S. 36–57, hier S. 50: „Ich kann also nicht unterlassen, abermal eine Stelle aus dem Boileau herzusetzen, worin er seine poetischen Lehrlinge vermahnet, die gesunde Vernunft nie aus den Augen zu setzen.“ Meiers Hinweis auf Boileau ließe sich als Kritik an Gottscheds Position lesen. 218 Die vorangehenden Zeilen heißen: „N’en déplaise à ces fous nommés sage de Grèce / En ce monde il n’est point de parfaite sagesse: Tous les hommes sont fous, et, malgré tous leurs soins“. 219 Hinter Meiers Rekurs auf Boileau könnte sich zudem eine Anspielung auf eine aktuelle, mit Bodmer und Breitinger geführte Debatte um die ästhetische Bewertung der Phantasie verbergen. 220 Jörg Schönert: Roman und Satire im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1969, S. 54. 221 Ebd.
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Höchstwahrscheinlich ist es eben diese Abkopplung und die primär rhetorische Ausrichtung der Satire, die auch zu ihrem Bedeutungsverlust beigetragen haben. Zwar nehmen die Berliner Aufklärer um Moses Mendelssohn noch in den 1770er Jahren auf die Satire Bezug. Sie diskutieren, ob sich Swifts Tale of a Tub (1704) eignet, um Illuminierte als Verrückte und Melancholiker zu kennzeichnen. Obschon sie auch auf anderen Feldern eingesetzt wird, steht die Satire damit letztendlich in der von Meier bereits abgelehnten Tradition des Rationalismus.222 Ihre Geltung gründet sich jedenfalls nicht unwesentlich auf den so genannten „test of ridicule“. Shaftesbury empfahl ihn, um vom Standpunkt der Vernunfttranszendenz zwischen wahrem und falschem Enthusiasmus zu unterscheiden.223 So verstanden verfolgt die Satire den externen Zweck der Wahrheitsfindung durch Spott. Sie erfährt eine Funktionalisierung, die sich von derjenigen unterscheidet, welche Meier seinem eigenen Traktat beimisst. Zwar soll auch der Gespenstertraktat der Wahrheitsfindung dienen, seine Methode ist jedoch die eines ästhetischen Philosophierens. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Meier sich eben nicht der Satire bedient, sondern seine Gespensterdestruktion im Genre der ästhetischen Lehrprosa vollzieht. Sie entspricht den formalen Anforderungen einer perspektivischen Erläuterung eher und erlaubt, aktuelle medizinische Theorien und Historie aufeinander zu beziehen. Eine zentrale Differenz zwischen Boileau und Meier besteht also in ihrem gattungsabhängigen Rekurs auf medizinisches Wissen. Während Boileau die Milzsucht als Ursache des Enthusiasmus bezeichnet, sich dabei aber eines satirischen Topos bedient, versucht Meier das medizinische Wissen produktiv anzuwenden, indem er verschiedene Hypothesen an der Erfahrungswelt überprüft. Meier entwirft damit nicht nur ein neues Verfahren, das zu der satirischen Verunglimpfung in Konkurrenz tritt. Er rekurriert auf Boileau, um sich implizit von diesem und damit zugleich von den humoralpathologischen Erklärungsmodellen abzugrenzen, auf welche die Satire oftmals Bezug nimmt. Das ist zum einen an der Funktion der von ihm gewählten Beispiele und zum anderen am argumentierenden Gestus seines Textes zu ersehen. Während die Satire auf einfache und gängige Schemata zurückgreift, argumentiert Meier perspektivisch. Er gewichtet verschiedene Erklärungen und richtet sich explizit gegen die Fokussierung auf eine Naturalisierung des Gespenstersehens. Gegenüber dem relativ einfachen Schema der Naturalisierung trägt er damit einer Perspektivierung und Pluralisierung des Wissens Rechnung, wie sie sich um 1750 nachweisen lassen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Meiers psychologische Phantasma-Kritik auch Eingang in die im engeren Sinn schöne Literatur gefunden hat.
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Schings: Melancholie und Aufklärung, S. 177. Engel: Rehabilitation des Schwärmers, S. 470.
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Worin bestehen möglicherweise Affinitäten zwischen seinem Modell der Verrückung und späteren literarischen Adaptationen? Paradoxerweise ist es zunächst das auffällige Fehlen literarischer Wahn-Beispiele, das über diese Affinitäten Aufschluss gibt. Meier nennt drei Beispiele für eine zeitlich begrenzte oder partielle Verrückung. Für den Fall des habituellen Phantasten, der alle Einbildungen für Empfindungen hält, sieht er indes kein Beispiel vor. Einen Hinweis auf die literarische Figur Don Quichote spart er aus. Das ist insofern verwunderlich, als dieser Edelmann, der sich einbildet, in einer Ritterwelt zu leben, dem bei Meier beschriebenen habituellen Phantasten im Detail entspricht. Denn er ersetzt eine in sich geschlossene gegen eine andere, ebenso in sich geschlossene Welt, in der sich alle Aussagen auf das Paradigma ‚Ritterwelt‘ beziehen lassen. Warum also verzichtet Meier auf dieses literarische Exempel? Offenbar nicht, weil er es für ungeeignet hält, eine historische Argumentation zu bekräftigen. Diese Einschätzung würde eine Differenzierung von schöner Literatur und historischen Berichten implizieren, die sich so bei Meier nicht findet bzw. durch andere Textstellen, an denen er ausführlich auf literarische Figuren Bezug nimmt, konterkariert wird. Sein Verzicht gründet sich deshalb nicht auf Überlegungen zur eingeschränkten Authentizität literarischer Beispiele. Im Gegenteil: Die Begründungslogik wird an dieser Stelle offenbar umgekehrt. Es ist nicht die mangelnde Authentizität, die Don Quichote als Beispiel disqualifiziert. Vielmehr ist es das Konzept des habituellen Phantasmas, aus dem die mangelnde Authentizität der Figur abgeleitet wird und das, wie der nächste Abschnitt zeigen soll, zum Fiktionalitätsmodell avanciert. Don Quichotes Schwärmerei ist, wie erwähnt, dadurch gekennzeichnet, dass er eine in sich geschlossene Welt durch eine andere, ebenso in sich geschlossene zu ersetzen versucht. Er bezieht Aussagen über die aktuelle Welt auf das Paradigma einer Ritterwelt, die außerhalb seiner Fiktion nicht existiert. Diese geschlossene Substitution einer Welt durch eine andere ist jedoch in der Realität unwahrscheinlich, ebenso unwahrscheinlich wie die fiktive Welt unwirklich. Vor diesem Hintergrund scheint der habituelle Phantast also vor allem zu einem ästhetischen Paradigma zu avancieren. Erstens imaginiert er eine Welt, zweitens wird dieser Imaginationsprozess (d.h. die Generierung einer in sich geschlossenen Welt) zum Modell für literarische Fiktionalität, wie zu zeigen ist. Meier orientiert sich bei der Unterscheidung von ‚real‘ und ‚fiktiv‘ zunächst am transzendentalen (hier im vorkantischen Begriffsgebrauch) Wahrheitskriterium des Zusammenhangs, das für die Wolff-Baumgarten-Schule ein wichtiges Argument gegen die skeptische Herausforderung darstellte. Sie reagierte damit auf die provokante Frage nach der Unterscheidbarkeit von Traum und Wahrheit. Gegen diese skeptische These setzte sie die Annahme der Folge bzw. des Zusammenhangs von Vorstellungen. Mit ‚Folge‘ war dabei primär eine zeitliche Verkettung von Vorstel-
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lungen gemeint und nicht etwa der Bezug der Vorstellungen zu den Kategorien.224 Meiers Rekurs auf diese Tradition lässt sich an der Kennzeichnung der Phantasien als „Träume der Wachenden“225 ablesen. Allerdings fehlt eine explizite Nennung dieses Wahrheitskriteriums im Gespenstertraktat, obschon er sich andernorts durchaus der Wolffschen Widerlegung des skeptischen Traumarguments anschließt. Moniert wird Meiers Verzicht bereits in der unmittelbaren Replik eines seiner engen Vertrauten, des Hallensers Johann Georg Sucro. Bereits 1748 antwortete letzterer auf Meiers Traktat mit einer Gegenschrift, der so genannten Widerlegung der Gedancken von Gespenstern. Dort setzt sich Sucro kritisch mit der zweiten Meinung auseinander,226 indem er neben dem Gewissheitskriterium der Klarheit auch das zweite Kriterium des Zusammenhangs anführt.227 Mich dünkt dieß beweise, zu den Kennzeichen der Empfindungen gehöre auch das Bewußtseyn, des Zusammenhanges derselben mit unserm vorigen äussern Zustande sowol als dem innern. Ich weiß, daß ich dieß schreibe, nicht allein deswegen, weil diese sinnliche Vorstellung bey mir die klärste ist; sondern auch, weil ich mir bewust bin, daß ich zu meinem Schreibtisch gegangen bin, daß ich die Feder in der Hand habe, meine Hand bewege, das Pappir mit Buchstaben und Worten anfülle usw.228
Trotz seiner grundsätzlichen Zustimmung zum transzendentalen Wahrheitskriterium, die man wohl voraussetzen kann, hält Meier auch in seiner Replik auf Sucro an der Möglichkeit einer absoluten Täuschung fest.229 Diese Aussparung bedarf einer weiteren Differenzierung.
6.12. Literatur als habituelles Phantasma? Höchstwahrscheinlich weist Meier das Kriterium des Zusammenhangs an dieser Stelle ab, um es, so die These, in ein Illusionsmodell zu überführen, das nicht nur 224 225 226
Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum, zu Meier S. 180–183. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 19. Sucro: Widerlegung der Gedancken von Gespenstern, S. 38: „Die zweyte Meinung, ein Gespenst, so zu erklären, daß es kein vor sich und ausser uns bestehendes Ding sey, besteht darin, daß man die Gespenster für Ausgeburten einer ausschweifenden Phantasie hält.“ 227 Siehe dazu Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum, S. 66f. 228 Sucro: Widerlegung der Gedancken von Gespenstern, S. 39f. 229 Genauer hält Meier an der Möglichkeit einer nicht abwendbaren, temporären Verrückung fest. In seiner Vertheidigung der Gedancken von Gespenstern betont er erneut die Möglichkeit eines nicht zu umgehenden Betrugs. Gegen Sucros Einwand des Zusammenhangs als Wahrheitskriterium hebt Meier hervor, dass man im Zustand der Furcht nicht auf den allgemeinen Zusammenhang achte. Er zitiert nochmals den Topos, dass alle Menschen zuweilen verrückt seien, den er nun mit einer Horazstelle belegt (§ 11). Zur philosophischen Traumtheorie der WolffSchule vgl. auch eine zur Entstehungszeit des Traktats veröffentlichte Schrift: Jean Henri Samuel Formey: Essai sur les songes. Mélanges philosophiques, Bd. 1. Leiden 1754, zuerst in Mémoires de l’Académie de Berlin; vgl. zum Traumwissen des 18. Jahrhunderts Lester G. Crocker: L’analyse des rêves au 18e siècle, in: Studies on Voltaire and the 18th century 23 (1923), S. 271–310; Engel: Traumtheorie und literarische Träume, S. 97–128.
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zum Moment ästhetischer Erfahrung, sondern zugleich zu einem modernen Fiktionalitätsmodell avanciert. Abzulesen ist diese Transformation anhand von Christoph Martin Wielands Schwärmerroman Geschichte des Agathon. Wieland war mit dem literarischen Phantasten, wie ihn Meier skizziert, bereits durch Cervantes’ Romane vertraut. Er kannte dessen Schwärmerfigur Don Quichote und hat ihr in seinem Roman Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva ein literarisches Denkmal gesetzt. Darin figuriert Rosalva als Nachfolger Quichotes, der, wie jener, ein strukturelles Phantasma aufweist. Auch über die medizinisch-philosophischen Aspekte der Verrückung ist Wieland informiert. Das lässt sich unter anderem am Sophisten Hippias ablesen, der kritisch vermerkt: Wie kannst du beweisen, dass du nicht gerad in diesem Punkte [die Ursache zu empfinden – Y. W.] krank bist? Frage die Ärzte: man kann in einem einzigen Stücke wahnwitzig, und in allen übrigen klug seyn […]. Der rasende Ajax sieht zwey Sonnen, ein doppeltes Thebe. Was für ein untrügliches Kennzeichen hast du, das Wahre von dem, was nur scheint, das was du wirklich empfindest, von dem was du dir nur einbildest, das was du richtig empfindest, von dem was eine verstimmte Nerve dich empfinden macht, zu unterscheiden?230
Obschon Hippias bei der Beschreibung der Nervenfunktionen auf das Modell der Stimmung zurückgreift,231 das Meier nicht erwähnt, liegen die Parallelen zur zweiten Meinung auf der Hand. Sie betreffen die formale Struktur der Verrückung (also die Verwechslung) sowie die neurologischen Veränderungen. Das medizinische Konzept des Wahns oder der partiellen Verrückung liefert hier ein entscheidendes Argument, um Agathon zu widerlegen. Das Scheitern dieses Unternehmens bestätigt das Wahnmodell noch, denn es führt ein weiteres Kriterium desselben, die Unkorrigierbarkeit, vor Augen. Gleichwohl unterliegt Agathon im Unterschied zu Don Quichote keinem durchgehenden Phantasma.232 Blickt man ferner auf den berühmten Herausgeber-Vorbericht der ersten Ausgabe (1766), ergibt sich an dieser Stelle eine zusätzliche Überschneidung. Wie von der Forschung gezeigt,233 setzt die Vorrede zur Legitimation von schöner Literatur an, indem sie das Authentizitätskriterium zugunsten einer poetischen Wahrheit abwertet. Diese Umdeutung koinzidiert mit der Zweckbestimmung des Romans, der „den Leser mit einem Karakter, welcher genau gekannt zu werden würdig wäre, in einem mannigfaltigen Lichte und von allen seinen Seiten bekannt zu machen“234 sich vornimmt. Der fiktive Herausgeber versichert gleichwohl, der „Welt keine Hirngespinste für Wahrheit zu verkaufen“.235 Als Wahrheitskriterien werden 230 231
Wieland: Geschichte des Agathon, S. 91f. Caroline Welsh: Hirnhöhlenpoetiken. Theorien zur Sinneswahrnehmung in Wissenschaft, Literatur und Ästhetik um 1800. Freiburg 2003. 232 Wieland: Geschichte des Agathon, S. 92. 233 Erhart: Aufklärung und Entzweiung, S. 87f. 234 Wieland: Geschichte des Agathon, Vorbericht, S. XI. 235 Ebd.
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aber nicht mehr die Authentizität, sondern die „Folge“ und die „besondere Bestimmung der zufälligen Begebenheiten“236 genannt, die gleichermaßen an die Stelle der vormaligen Authentizitätsfiktion treten. Die in der Forschung über längere Zeit verbreitete Deutung der „Folge“ als einen empirisch-induktiven Kausalzusammenhang,237 der für die moderne literarische Anthropologie wegweisend gewesen war,238 ist mit dem Hinweis auf die Verhaftung der inneren und äußeren Handlungsführung an literarischen Gattungsschemata sowie mit dem Verweis auf die normativ-pragmatische Ausrichtung des anthropologischen Romans relativiert worden.239 Deutet man die „Folge“ nun vor dem Hintergrund der transzendentalen Wahrheitslehre der Wolff-BaumgartenSchule, ergibt sich daraus eine neue Interpretationsperspektive. In Meiers Bestimmung ist „Folge“ nicht als postulierter empirisch-kausaler Zusammenhang zu verstehen, sondern als temporales Moment, das sich im Akt des Erzählens, Denkens und Meinens entfalten kann. Übertragen auf den Roman hieße dies, dass sich die „Folge“ im Erzählakt konstituiert. Der Erzähler ,irrt‘ sich wie der literarische Schwärmer in allen Aussagen über die wirkliche Welt. Seine habituelle Verrückung (nicht mehr die der Figuren) wird damit zum Fiktionalitätsmoment, das nun jedoch über den Erzählakt Kohärenz stiftet. Das Prinzip des Romans basiert demnach auf dem Postulat eines in sich schlüssigen Zusammenhangs von Vorstellungen, das zum Kohärenzmoment der Schwärmergeschichte avanciert und sich im Erzählakt manifestiert. Deutet man die „Folge“ in diesem Sinn, stellt die zu beobachtende Unterbrechung der Kausalität kein Problem dar, weil „Folge“ nur als formales Kriterium der Erzählsituation zu verstehen ist und nicht als inhaltliche Bestimmung, die an einer wie auch immer zu präzisierenden empirischen Kausalität orientiert wäre.240 Die „Folge“ wird demnach erst durch den Erzählakt konstituiert, der zugleich eine Lektüreanweisung erhält, nämlich die, den Roman als eine in sich geschlossene Welt zu verstehen. Die „Folge“ charakterisiert damit primär eine Erzählhaltung, die ihre formale Entsprechung im Postulat einer geschlossenen Komposition und Handlungsstruktur findet. Die fiktive Rahmung spricht dabei weder gegen die Einlösbarkeit dieses Postulats noch gegen das Modell einer innerliterarischen Kohärenzerzeugung. Die Affinität von Meiers Verrückungs-Modell zur anthropologischen Literatur ließe sich somit in einem ersten Schritt aus der Konstruktion des literarischen 236 237
Ebd. Horst Thomé: Roman und Naturwissenschaft. Eine Vorgeschichte zur Klassik. Frankfurt/M. 1978. 238 Riedel: Literarische Anthropologie, S. 432–434. 239 Zur Kritik vgl. Michael Ansel: Lichtenberg und das Verhältnis der Literatur und Anthropologie in der Spätaufklärung. Vortag gehalten auf dem Deutschen Germanistentag in München vom 12.15. September. Ich danke Michael Ansel für die Einsicht in sein Manuskript. 240 Wolfgang Preisendanz: Die Auseinandersetzung mit dem Nachahmungsprinzip in Deutschland und die besondere Rolle der Romane Wielands (Don Sylvio, Agathon), in: Hans Robert Jauß (Hg.): Nachahmung und Illusion. München 1969, S. 72–95, S. 196–203.
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Schwärmers ableiten. Das Verrückungskonzept wird in einem zweiten Schritt erweitert und auf die Erzählsituation des anthropologischen Romans übertragbar. Indem der habituelle Wahn bei Meier systematisiert und zum literarischen Erzählmoment wird, bereitet er die Neubestimmung einer poetischen Wahrheit und die Ablösung der Literatur vom Authentizitätspostulat vor, wie sich an Wielands Herausgeberbericht ablesen lässt. Meier trägt damit einerseits zur Differenzierung von schöner Literatur und Wissen bei, andererseits zur Bestimmung eines Schnittbereichs zwischen Medizin und Literatur. Sein psychologisch-systematisches Wahnkonzept ist entsprechend für die medizinische Theoriebildung und für die Ausbildung der anthropologischen Literatur gleichermaßen wegweisend. Anders als die Satire zielt der Schwärmerroman nicht primär auf Verspottung durch Naturalisierung. Er konstruiert die Fiktion einer in sich kohärenten Welt, die strukturelle Affinitäten zum wissenschaftlichen Wahnkonzept aufweist. Bezeichnenderweise geht dieses Fiktionalitätskonzept nicht oder nur bedingt aus den theoretischen Stellungsgefechten einzelner ästhetischer Schulen hervor; es erhält seine Konturen in einem Diskurs, der sich zunächst außerhalb des ästhetischen Feldes etabliert. Meier generiert einen Verrückungsbegriff, der mit der Ablösung vom Authentizitätskriterium einhergeht und die zunehmende Autonomisierung des literarischen Feldes indiziert.
6.13. Zusammenfassung der zweiten Meinung Im zweiten Abschnitt der Gedancken von Gespenstern erklärt Meier die Gespenstererscheinung aus dem Zustand der „Phantasterei” bzw. „Verrückung”241 und kennzeichnet sie als Effekt einer phantastischen Disposition. Der Abschnitt stellt eine kritische Auseinandersetzung mit platonischen bzw. neuplatonischen Imaginationslehren dar, die zur Ausbildung zahlreicher bis in die Spätaufklärung wirksamer Argumentationsmuster beitrugen. In diesem Zug werden, wie an Wielands Roman Geschichte des Agathon abzulesen ist, kontroverstheologische erkenntniskritische, medizinische, naturphilosophische und alchimistische Tendenzen zusammengeführt und zu einem Schwärmertyp amalgamiert,242 der für das ausgehende 18. Jahrhundert paradigmatisch bleibt. Auch die führenden Vertreter der Berliner Aufklärung verbinden die medizinische und theologische Schwärmerkritik,243 um eine Vielzahl von Phänomenen unter einen Begriff zu subsumieren. Denn unter die so genannten Schwärmer und Geisterseher werden in ihrem Publikationsorgan, der Berlinischen Monatsschrift, spekulative Theosophen, Anhänger von geheimen Wissenschaften und Hermetis241 242 243
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 17. Ebd. Schings: Melancholie und Aufklärung, S. 270ff.
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mus ausgegrenzt244 und diversen Formen sektiererischer Religionsbewegungen zur Seite gestellt. Ob dabei Lavaters Magnetismus und seine Desorganisation,245 die als Nachweis einer qualitas occulta („Qualität einer unentdeckten Naturkraft“)246 fungieren sollte, oder die geheimen Wissenschaften eines Cagliostro im Vordergrund standen, wurden in der Berlinischen Monatsschrift diverse Operationen als religiöse Naturschwärmerei und Geisterseherei bezeichnet, hinter denen man ein gezieltes Betrugsvorhaben vermutete.247 Offenbar bezieht die Berliner Schwärmerkritik ihr Potential aus einem kumulativen Effekt, der in der mittleren Aufklärung entstanden ist und sich aus der Amalgamierung theologischer,248 erkenntniskritischer, psychologischer und naturmystischer249 Aspekte der Schwärmerkritik ableiten lässt. Dabei ist keine der jeweiligen Gewichtungen herausragend oder zeitlich vorrangig. Dem Begriff ‚Schwärmer‘ inhäriert von „Beginn an eine naturmystische, hermetische Komponente“, die das „ganze 18. Jahrhundert hindurch präsent blieb“.250 Bei der Suche nach den Ideenkonstellationen, welche diese Muster generierten, wird man in der Frühaufklärung fündig. Erstens bei der orthodoxen Schwärmerkritik von Bücher oder Colberg,251 die zur Ausbildung anti-platonischer Muster beisteuerte, indem sie verschiedene Religionsgruppierungen unter dem Label Platonismus vereinte. Des Weiteren vermitteln Budde und Gundling Gedankenfiguren der clandestinen Aufklärungsbewegung, vor allem der sozianischen Antitrinitarier. Sie generieren damit ein Argumentationsschema, das erlaubt, sowohl Pantheisten als auch andere mystische Formen des Separatismus als Varianten des Platonismus zu begreifen. Auf diesem Schema fußt die Beobachtung des Pendelausschlags zwischen Atheismus und Schwärmerei, der, so in Schillers Romanfragment Der 244
Rolf Christian Zimmermann: Das Weltbild des jungen Goethe, Bd. 1. München 1969; Kühlmann: Der ,Hermetismus‘ als literarische Formation, S. 145–157. [Anonym]: Magnetische Desorganisation. Aus der Schweiz, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1786), S. 76–81. 246 [Anonym]: Beweis, daß das Buch Saint-Nicaise der Religion, allen öffentlichen Staaten und auch den guten Sitten zuwider sei, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1786), S. 127–145, hier S. 166; August Buck (Hg.): Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Wiesbaden 1992. 247 Markus Herz: Die Wallfahrt zum Monddoktor in Berlin, in: Berlinische Monatsschrift 4 (1783), S. 368–385. 248 Eric Gritsch: Luther und die Schwärmer: Verworfene Anfechtung? in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 47 (1976), S. 105–121; Anthony J. La Vopa: The Philosopher and the Schwärmer: On a Carrier of a German Epithet from Luther to Kant, in: Huntington Library Quarterly 60.1/2 (1998), S. 85–115. 249 Christian Zimmermann: Naturmystik. Versuch einer Einleitung, in: Antione Faivre / Rolf Christian Zimmermann (Hg.): Epochen der Naturmystik. Hermetische Traditionen im wissenschaftlichen Fortschritt. Grands Moments de la Mystique de la Nature. Mystical Approaches to Nature. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter des In- und Auslandes. Berlin 1979, S. 9–23. 250 Wilhelm Schmidt-Biggemann: Artikel ‚Schwärmer / Schwärmergeister‘, in: Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa. Hg. v. Werner Schneiders. München 1995, S. 373–375, hier S. 374. 251 Schmidt-Biggemann: Artikel ‚Schwärmer‘, betont die Bedeutung der Confessio Augustana für die Entstehung des Schwärmerbegriffs. 245
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Geisterseher, zahlreiche literarische Adaptationen erfahren hat und sich mit dem Erzählmuster des supernatural explained verbindet. Daneben sind als zentrales ideengeschichtliches Bezugsfeld die philosophischen Debatten zu nennen, die der deutschsprachigen Aufklärung vor allem über die Rezeption der Cambridger Platoniker (wie Henry More)252 vermittelt werden. Eine zentrale Schaltstelle ist Mosheims Übersetzung von Ralph Cudworths True Intellectual System of the Universe, das die Vorlage für die Entstehung einer philosophischen Idealismus-Kritik bildet.253 Diese Kritik koinzidiert mit der Durchsetzung eines anti-idealistischen Wirklichkeitsverständnisses und trägt zur Formalisierung des Phantasma-Paradigmas als Verrückung bei. Die Formalisierung und antiidealistische Konnotation lässt sich an der zunehmend verbreiteten Bezeichnung des ‚Gespenstersehens‘ als ‚Hirngespinst‘ ablesen. Als dritter wichtiger Bereich, der ebenfalls unter das Label Platonismus fällt, ist der alchimistisch-spirituelle Rezeptionsstrang zu betrachten, der deutliche Affinitäten zur hermetischen Fraktion aufweist und sich, soweit ersichtlich, vor allem in Halle über die Schriften von Samuel Richter, über die Böhme-Rezeption wie auch über Eugenius Philalethes vermittelt. Dieser Strang wird unter anderem von den Hochgradsystemen, den Spätrosenkreuzern aufgegriffen, aber auch schon von dem Pietisten Christoph Oetinger in seiner Schrift Swedenborg und anderer irrdische und himmlische Philosophie. Vor allem in diesem Bereich bildet sich eine alternative religiöse Spiritualität aus, die für die esoterischen Religionsphänomene wie die Seancen des ausgehenden 18. Jahrhunderts wegweisend ist.254 Die mittlere moderate Aufklärung, wie Meier sie repräsentiert, sieht das gemeinsame Fundament dieser Theoriebildungen in den vom Platonismus durchsetzten innertrinitarischen Debatten, ohne deren Kenntnis die spätere Kritik am Illuminations- und Naturbegriff kaum angemessen zu verstehen ist. Meiers Traktat kann als Knotenpunkt begriffen werden, der diese Wissensbestände rezeptionssteuernd vermittelt. An der exemplarischen Einzelanalyse eines Vertreters der Halleschen Aufklärung konnten die Rezeptionsmuster schematisch nachgezeichnet werden. Sie werfen ein Licht auf die Selbstverständlichkeit, mit der sich die popularphilosophische Aufklärung der Schwärmerkritik bedient. Erst die um 1750 einsetzende Formalisierungstendenz erlaubt, diverse historische Phänomene unter die nun oftmals synonym verwendeten Obergriffe des Geistersehens, des Phantasmas oder der Schwärmerei zu subsumieren. Sie trägt damit zur Verfestigung von Re252
Allerdings wurde More primär wegen seiner Enthusiasmus-Kritik rezipiert vgl. [Anonym]: Von der Gräfin Conway, nebst einem gelegentlichen Beitrage zur Geschichte des animalischen Magnetismus vor Mesmer, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1786), S. 154–166, hier S. 164. In diesem Kontext wird Conway als „schwärmende Philosophin“ (160) und Heilerin bezeichnet, die mit More bekannt war. 253 Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 387. 254 Monika Neugebauer-Wölk: Esoterik und Christentum vor 1800. Prolegomena zu einer Bestimmung ihrer Differenz, in: Aries. Journal for the Study of Western Esotericism 3 (2003), S. 127– 165.
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zeptionsmustern bei, aus denen sich die Berliner Aufklärung speist. Wenn die „Astralmedizin“ in der Berlinischen Monatsschrift als ‚schwärmerisch‘ etikettiert wird, ist darin die bei Walch anzutreffende antiplatonische Kritik wirksam. Sie bildete die Schablone, vor deren Hintergrund bestimmte medizinische Praktiken ausgegrenzt wurden.255 Auch in der Kritik am Geisterseher Cagliostro256 sind diese Anklänge deutlich.257 In diesem Zug wird, wie auch Hinske vermerkt,258 der Schwärmer-Begriff zu einem scheinbar entleerten Kampfbegriff, der seine Spezifität verloren hat. Woraus er als negativer Begriff dagegen seine Durchsetzungskraft bezieht, ließ sich mit Blick auf die mittlere Aufklärung nachvollziehen. Indem sie diverse historische Phänomene unter den Oberbegriff Phantasma subsumiert, schließt sich die Spätaufklärung jedenfalls der schematisierenden Tendenz an und trägt zur Komplexitätsreduktion des Rezeptionsmusters bei. Bezeichnenderweise scheint die Verhaftung an diesen Denkmustern einerseits einer Pluralisierung von Meinungen Raum zu verschaffen, die andererseits offensichtlich nur auf der Basis einer Abgrenzung möglich war. So stellen die Berliner Aufklärer mit ihrer Schwärmer-Kritik nicht etwa zentrale Aufklärungspostulate wie Toleranz wieder kritisch in Frage,259 indem sie sich gegen die andernorts vollzogene Rehabilitierung des Schwärmers260 – so in Wielands Teutschem Merkur – richten. Vielmehr knüp255
Erich Biester: Der Monddoktor in Berlin, in: Berlinische Monatsschrift 4 (1783), S. 353–367; Charlotta Elisabeth von der Recke: Nachricht des berüchtigten Cagliostro Aufenthalte in Mitau, im Jahre 1779, und von dessen dortigen magischen Operationen, in: Kiefer (Hg.): Cagliostro – Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus, S. 20–143, hier bes. S. 117ff. 256 [Anonym]: Der Pseudo-Graf Cagliostro, in: Berlinische Monatsschrift 4 (1784), S. 536–539, weiterhin einschlägig für diesen Kontext sind die Artikel Elisa von der Reckes, die von Cagliostros Geisterzitationen in Mitau berichten und damit Prinz Eugen von Württemberg in die Debatte verwickeln. Zur Cagliostro-Kontroverse vgl. folgende Artikel: Gräfin Elisabeth von der Recke, geb. Gräfin von Medem: An Herrn J. M. Preißler, in: Berlinische Monatsschrift 7 (1786), S. 385–398; [Anonym]: Cagliostros ägyptische Pyramide, in: Berlinische Monatsschrift 7 (1786), S. 566–568; Heinrich Friedrich Eugen Prinz von Württemberg / Oels: Über Elisens Aufsatz im Mai der Berliner Monatsschrift 1786, in: Berlinische Monatsschrift 8 (1786), S. 1– 8; Bernhard Bekker: An Elisa, in: Berlinische Monatsschrift 8 (1786), S. 35–43; Elisabeth von der Recke: Elisens Antwort an Prinz Eugen von Württemberg, in: Berlinische Monatsschrift 8 (1786), S. 197–207; [Anonym]: Ein Pommerscher Cagliostro, in: Berlinische Monatsschrift 8 (1786), S. 269–276; Ernst Wilhelm Cuhn: Der Cagliostro des vorigen Jahrhunderts, in: Berlinische Monatsschrift 10 (1787), S. 346–350; Erich Biester: Cagliostro, in: Berlinische Monatsschrift 10 (1787), S. 449–458; Bernhard Bekker: An Elisa als sie mir die russische Übersetzung ihres Buches über Cagliostro zuschickte, in: Berlinische Monatsschrift 11 (1788), S. 209–216; [Anonym]: Über Herrn Schlossers Vertheidigung des berüchtigten Cagliostros, in: Berlinische Monatsschrift 11 (1788), S. 282–294; Katharina von Russland: Schreiben an Frau von der Recke, in: Berlinische Monatsschrift 12 (1788), S. 129–131. 257 Schmidt-Biggemann: Artikel ‚Schwärmer / Schwärmergeister‘, in: Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung, S. 375. 258 Hinske: Aufklärung und die Schwärmer, S. 1–6. 259 Moritz Johann Schwager: Noch ein neuer Messias, in: Berlinische Monatsschrift 3 (1783), S. 266–276; [Akatholikus Toleranz]: Falsche Tolerenz in einigen Märkischen und Pommerschen Städten in Ansehung der Einräumung der protestantischen Kirchen zum katholischen Gottesdienst, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1784), S. 180–192. 260 Engel: Die Rehabilitation des Schwärmers, passim.
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fen sie an eine Abgrenzungsbewegung an, die sich in der Frühaufklärung etablierte und dort bereits die Grenzen der Toleranz markierte. Ganz offensichtlich speist sich die Platonismuskritik zunächst aus verschiedenen Faktoren: aus der philosophiehistorischen Trennung einer paganen Philosophie von einem christlichen Glauben (a), aus dem dadurch vollzogenen Bruch mit den Denkmustern der philosophia perennis (b),261 aus dem schon gegen die Kirchenväter vorgebrachten Korruptionsgedanken (der Hellenisierung des Christentums)262 bzw. aus dessen Übertragung auf häretisch-mystische Strömungen innerhalb des Christentums (c).263 In der mittleren Aufklärung verfestigt sich vor allem der Antiidealismus. Dass der gemeinsame Grundtenor der Kritik die Etablierung antiidealistischer Stereotypen bildet, ist auch am Ausweis der vermeintlich idealistischen Positionen als „italienisch“264 abzuleiten. Darin wirkt ein Rezeptionsmuster fort, das Scheffer in seiner Geschichte der italienischen Philosophie bereits ausgebildet hat und das sich über Brucker fortsetzt. Der Zedler-Eintrag zur Einbildung macht deutlich, dass mit „italienisch“ zum einen die pythagoreische platonische Philosophie bzw. platonische Sekte bezeichnet wurde, dass diese Philosophie zum anderen jedoch als ‚idealisch‘ deklassiert wird. Eben dieselbe Gruppierung bildet auch das Zielobjekt von Meiers Phantasma-Kritik, die der Platonismuskritik ebenfalls eine antiidealistische Wende verleiht und dafür das Etikett ‚Geistersehen‘ einführt.265 Der Antiplatonismus liefert auch die Konstellation, die Wielands Schwärmerroman Geschichte des Agathon vorführt und die, wie am Schwärmergespräch gezeigt wurde, ohne die Kenntnis der frühaufklärerischen Rezeptionslinien kaum angemessen gedeutet werden kann. Wielands Roman greift antiplatonische Tendenzen nicht nur auf, sondern gewichtet zudem die Figuren Agathon und Hippias kritisch. Darüber hinaus weist der von Meier in der Auseinandersetzung mit den Phantasten entwickelte Täuschungs- und Wahrheitsbegriff strukturelle Gemeinsamkeiten zum Fiktionalitätskonzept auf, das der Herausgeber in dem Vorbericht (1766) entwickelt und das auf dem postulierten (fiktiven) Zusammenhang von Vorstellungen und Handlungen der Figuren beruht. Als transzendentales Wahrheitskriterium war es von Meier mit dem (lediglich hypothetisch möglichen) habituellen Phantasma gleichgesetzt worden.
261
Vgl. dazu Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis; Charles B. Schmitt: Perennial Philosophy: From Agostino Steuco to Leibniz, in: Journal of the History of Ideas 27 (1966), S. 505– 532. 262 Walter Glawe: Die Hellenisierung des Christentums in der Geschichte der Theologie von Luther bis auf die Gegenwart. Berlin 1912 (Nachdruck Aalen 1973). 263 Vgl. dazu Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 262. 264 [Anonym]: Beweis, daß das Buch Saint-Nicaise der Religion, allen öffentlichen Staaten und auch den guten Sitten zuwider sei, S. 148. 265 Auf religionskritische Aspekte des Phantasma-Begriffs nimmt Meier mit dem knappen Hinweis auf die Schwärmer Bezug. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 18.
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7. Die dritte Meinung: Nervengeister und Hirngespinste
7.1. Die ‚wirkliche Empfindung‘ Im dritten Abschnitt führt Meier Gespenster auf eine ‚wirkliche‘ Empfindung zurück, der allerdings kein extramentaler Gegenstand entspricht. So will ich noch eine dritte Meynung vortragen, bey welcher man dem ohnerachtet leugnen kann, daß die Gespenster etwas ausser dem Menschen würckliches seyn. Man kann nemlich annehmen, daß alle die Gespenster, die keine Einbildungen sind, würckliche äusserliche Empfindungen sind, die aber keinen Gegenstand ausser dem Menschen haben.1
Anders als in den vorangehenden Abschnitten erklärt Meier das Gespenstersehen hier ausschließlich mit einer Bewegung der Sinnesorgane bzw. Nerven und stellt es als physisch verursacht dar. Der referierte neuro-anatomische bzw. neuro-physiologische Vorgang beschreibt zunächst den Normfall einer Empfindung: Die Sache verhält sich folgender Gestalt. Wenn wir Dinge ausser uns äusserlich empfinden: so würcken diese Körper in die Werckzeuge unserer Sinne. Aus dem Gehirn gehn Nerven bis in die Werckzeuge der Sinne. Folglich wird in diesem Falle dasjenige Ende der Nerven zuerst bewegt, welches in der Oberfläche des Körpers ist, oder doch in den äusserlichen Theilen desselben. Diese Bewegung wird einwärts fortgesetzt, bis ins Gehirne; und alsdenn entsteht eine äusserliche Empfindung. Die Seele stellt sich in dieser Empfindung zunächst die Bewegung im Gehirne vor; daraus schließt sie den Anfang dieser Bewegung, und daraus den äusserlichen Körper, der diesen Anfang verursacht hat.2
Schon mit Begriffen wie „Werckzeuge“ bezieht er sich auf mechanische Empfindungstheorien. Demnach nimmt der normale Empfindungsprozess seinen Ausgang von einer Stimulation äußerer Nervenenden durch einen extramentalen Gegenstand. Dort löst der äußere Gegenstand eine Bewegung aus, die sich über die Nervenfasern kontinuierlich bis ins Gehirn fortsetzt, wo sie endet.3 Im Fall der Gespensterwahrnehmung wird diese Hirnbewegung jedoch nicht durch einen äußeren Gegenstand verursacht, sondern durch einen inneren Vorgang. Dazu heißt es: Nun kann ich aus der Erfahrung beweisen, daß manchmal eben eine solche Bewegung in den Nerven entsteht, die aber von inwendig heraus entsteht. Ist diese Bewegung nun unmercklich von jener unterschieden: so ist es natürlich nothwendig, daß die Seele betrogen wird, und daß sie bey diesen Bewegungen eben so wohl, als bey den gewöhnlichen, dencken muß, sie müsste
1 2 3
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 22f. Ebd., S. 23. Wie diese Bewegungsübertragung begriffen werden kann, ob sie als Schwingungsimpuls oder als Stoßübertragung zu verstehen ist, darauf nimmt Meier an dieser Stelle nicht weiter Bezug.
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denn durch Hülfe der Vernunft und langen Erfahrung den Fehler entdecken, daß ausser ihr ein Gegenstand vorhanden sey, der von ihrem Körper verschieden.4
Obschon die Empfindung „von inwendig heraus“ entsteht, unterscheidet sie sich nicht merklich von einer durch einen äußeren Gegenstand ausgelösten Empfindung. Schon deshalb muss sie nach Meier zu einer notwendigen Täuschung der Seele führen. Nun scheint es nicht abwegig, in diesem Empfindungsmodell ein Halluzinationskonzept avant la lettre zu sehen. Zumindest liegt damit eine physiologische Perspektivierung des Empfindungsgeschehens vor, deren Reduktionismus geradezu modern wirkt. Auffällig scheint ferner die Bedeutung, die dem Gehirn dabei als einem Organ beigemessen wird, an dem die von der Peripherie ankommenden Bewegungen zusammengeführt, verarbeitet und von der Seele als „äußere Empfindungen“ erkannt werden. Auch wenn das Gehirn nicht mit eigener Sehkraft ausgestattet ist, firmiert es dennoch als Vermittler zwischen Peripherie und Zentrum und stellt somit ein materielles Kommunikationsmedium dar. Es trägt jedenfalls zur Generierung einer seelischen Empfindung bei. Mit dieser These perspektiviert Meier das Empfindungsgeschehen in doppelter Hinsicht und koppelt es von anderen rein seelischen Erkenntnisvorgängen ab. Das physische Geschehen schildert er als unabhängig von jeglicher seelischen Intervention und auch von einer äußeren Ursache. Mit der Abkopplung geht eine Fokussierung auf die äußeren Sinnesorgane und das Gehirn einher, die einer physischen Betrachtung des Geistersehens gleichkommt und die Sinnessysteme stärker als in der zweiten Meinung einbezieht. Auf welche Vorläufer Meiers Erklärung zurückgreift, wie sie sich in die Hallesche Anthropologie einordnen lässt und wie sich schließlich der Übergang von metaphysischen zu neurophysiologischen Empfindungskonzepten im Einzelnen vollzieht, soll Gegenstand der nun folgenden Erörterungen sein. Die Kontextualisierung dieses Abschnittes zeigt, in welchen disparaten Diskussionszusammenhängen das Wahrnehmungsmodell rezipiert wurde. Neben der medizinischen Anatomie und Physiologie ist es die pietistische Gnadenlehre, in die Meiers Halluzinationsmodell Eingang findet. Hier treten somit die Schnittbereiche zutage, in denen die Sinnesphysiologie um 1750 situiert ist. Wie im sechsten Kapitel spielt dabei der zwischen den Fächern Philosophie, Theologie und Medizin einsetzende Wissenstransfer eine zentrale Rolle.
4
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 23.
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7.2. Spuk im Kopf: Mechanische und physiologische Empfindungskonzepte (Descartes, Willis) Vorlagen für die dritte Meinung, von der Meier nicht ohne Ironie vermerkt, dass sie ihm „ungemein gefällt“,5 liefert die mechanische Anatomie und Anthropologie des 17. Jahrhunderts, die sich auf die zentrale heuristische These einer Funktionsanalogie von Mensch und Maschine stützte. Sie perspektiviert das Empfindungsgeschehen in einem Impuls-Bewegungs-Schema als Abfolge, die nach einer Gesetzmäßigkeit verläuft. Als Schlüsseltext für diesen Ansatz kann der 1662 publizierte Traité de l’homme von René Descartes angesehen werden, der Empfindungsprozesse unter Rückgriff auf das Mensch-Maschine-Modell beschrieb. Demnach setzt sich ein am Nervenende entstandener Impuls über die Nervenfasern bis ins Gehirn fort und wird dort verarbeitet.6 Soweit sich das anatomische Feld überblicken lässt, wird das Modell ausgesprochen breit rezipiert. Selbst Descartes-Gegner wie der bis ins 18. Jahrhundert Schule machende Hirnanatom Niels Stensen gestehen ein,7 dass niemand sonst „alle Tätigkeiten des Menschen und vor allem des Gehirns mechanisch erklärt hat […] und uns eine Methode gibt, die Funktion aller Körperteile mit der gleichen Klarheit zu erforschen“.8 In die deutsche Aufklärung wird die Sinnesmechanik unter anderem über Hermann Boerhaave und Albrecht von Haller vermittelt, in Halle wird sie von dort ansässigen Medizinern wie Johann August Unzer rezipiert.9 Allerdings kann Descartes’ Theorie nur in Ansätzen als Vorlage für Meier gelten. Denn ersterer 5 6
7
8 9
Ebd., S. 25. René Descartes: Traité de l’Homme (1662), in: ders.: Oeuvres. Ed. Ch. Adam et P. Tannery. Bd. 7. Paris 1909, S. 293–497 oder auch Thomas Hobbes: Leviathan (1651). Edited by C. B. Macpherson. London 1968, Kap. 1. S. 85f. Descartes’ anatomische bzw. wahrnehmungstheoretische Hypothesen sind im medizinischen Feld schon unmittelbar nach der Publikation des Traité de l’homme auf Widerspruch gestoßen. Eine frühe Kritik kam aus den Reihen der Anatomen. Sie wird dem Kopenhagener Mediziner Nils Stensen zugeschrieben. Stensens bereits 1664 in Paris vorgetragener Discours sur l’anatomie du cerveau hegte Bedenken gegen Descartes’ Thesen zur Pinealdrüse und verwarf in diesem Zug (zudem mit Blick auf Willis) dessen Spekulationen zur Lebensgeistertheorie, Carl Henrik Koch: Kritik am Cartesianismus: Niels Stensen, in: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 4.2: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa. Hg. v. Helmut Holzhey / Wilhelm Schmidt-Biggemann. u. Mitarb. v. Vilem Murdoch (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Hg. v. Helmut Holzhey). Basel 2001, S. 1253–1255. Die Abhandlung fand ein unmittelbares Echo in der Pariser Wissenschaftsszene und stieß bei Descartes-Kritikern auf große Resonanz. Dazu Richard A. Watson: The Downfall of Cartesianism (1673–1717). Dordrecht / Boston / Lancaster 1966 (Archives internationales d’histoire des idées 11); Adolf Faller: Wertschätzung von Stensens ‚Discours sur l’anatomie du cerveau‘ im Verlaufe von drei Jahrhunderten. Aarau / Frankfurt a.M. / Salzburg (Veröffentlichungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 35), S. 13–16. Zur Kritik an Descartes vgl. Rothschuh: Ausgabe des Traité de l’homme, sowie Dürbeck: Aufklärung und Einbildungskraft, S. 91. Nils Stensen: Opera Philosophica. Vol. 2. Hg. v. Vilhelm Maar. Kopenhagen 1910, zitiert nach Faller: Wertschätzung von Stensens ‚Discours‘, S. 11. Unzer: Neue Lehre von den Gemüthsbewegungen, S. 23–25.
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legte zwar eine Mechanik der Wahrnehmung, aber kein Halluzinationskonzept vor, so dass sein Traité de l’homme kaum als einziger Bezugstext für die dritte Meinung in Anschlag zu bringen ist. In Ergänzung zu Descartes legte der in Oxford lehrende Professor für Naturphilosophie Thomas Willis (1621–1675) eine Theorie der so genannten „inwendigen Bewegung“ vor, die in der Tat als Halluzinationskonzept avant la lettre gelesen werden kann und daher auch für Meier wegweisend ist.10 Zunächst unterschied er sich von Descartes insofern, als er nicht von Impulsen, sondern von physiologischen Prozessen ausging. Er nahm an, dass sich Sinneseindrücke (species) als vollständige Bilder vermittelten, die von der Seele erkannt würden („rei iconem ibi depictam“) und sich im Kortex zu vollständigen Eindrücken formierten („sensui imaginatio succedit“).11 Kernstück dieser Theorie waren die spiritus animales;12 sie hatten bei ihm jedoch keinen Modellcharakter, sondern waren als physische Wirkprinzipien und materiale Träger des Empfindungsgeschehens zu verstehen. Nach Willis bestehen Lebensgeister aus ätherischen Substanzen, die Körper verwandeln und Empfindungsakte bzw. Bewegungen im Gehirn auslösen können,13 indem sie in die so genannten plicae – die Falten – des Kortex fließen. Dort aktivieren sie optische und akustische Eindrücke. Zwar wird dieser Prozess nach Willis in der Regel bewusst gesteuert.14 Im Ausnahmefall kann er jedoch auch unwillkürlich ausgelöst werden.15 Die Evokation eines vergangenen Eindruckes ist bei ihm durchaus als Refex äußerer Kortexschichten zu deuten, der nicht unbedingt willentlich gesteuert sein muss. Damit lag eine physiologische Theorie der Reflexerinnerung, einer mémoire automatique vor, die den Lebensgeistern eine zentrale Bedeutung zubilligte. Willis’ Lebensgeisterkonzept erklärte somit autonome Funktionsweisen des Nervensystems16 und wurde für die Beschreibung unwillkürlicher Gedächtnisakte wie dem musikalischen Gedächtnis angewandt.17 10
11 12 13 14 15
16
17
Thomas Willis: The Anatomy of the Brain and Nerves. Ed. by William Feindel. Montreal 1965, sowie Hansruedi Isler: Thomas Willis. Ein Wegbereiter der modernen Medizin (1621–1675). Stuttgart 1965 (Grosse Naturforscher 29), S. 77. Einschlägig war Willis’ 1664 erschienener Traktat Cerebri Anatome. Vgl. Donal Sheehan: Discovery of the Autonomic Nervous System, in: Archives of Neurology and Psychiatry 35 (1936), S. 1081–1115, hier S. 1186f. Willis: The Anatomy of the Brain, S. 96. Gerhard Klier: Die drei Geister des Menschen. Die sogenannte Spirituslehre in der Physiologie der frühen Neuzeit. Stuttgart 2002 (Sudhoffs Archiv. Beihefte 50), S. 127f. Ebd., S. 128. Willis: The Anatomy of the Brain, S. 110f. Gegenüber den im Großhirn lokalisierten komplexen psychischen Erkenntnisfunktionen wie ‚Imagination‘, ‚Memory‘ und ‚Discourse‘ hält Willis das cerebellum für den Ort, an dem die unwillkürlichen Bewegungen generiert werden. Willis: Anatomy of the Brain and Nerves, S. 95f. Willis zählte zu diesen Funktionen den Herzrhythmus, die Verdauung, die Atmung und andere komplexere Bewegungen. Komplexe Reaktionen, wie die im Kleinhirn generierte Schreckreaktion, müssen dagegen über die Großhirnrindenfunktionen vermittelt werden. Willis: Anatomy of the Brain, S. 118 Kapitel XVII, dort spricht Willis dem Kleinhirn eine maßgebliche Funktion für das musikalische Erinnern zu.
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Für Meier war diese Theorie bedeutsam, weil sie nicht willentliche Gedächtnisleistungen auf eine neurophysiologische Grundlage stellte.18 Denn Willis’ neuroanatomisches Modell ließ sich auf Sehprozesse übertragen. Optische Halluzinationen konnten demnach als Effekt unwillkürlicher Richtungsänderungen von Animalgeistern begriffen werden, die vom Gehirn ihren Ausgang nahmen, Bilder aktivierten und Impulse in umgekehrter Richtung in die Peripherie lenkten. Mit dem Lebensgeisterkonzept lag ein Modell vor, welches physiologische Vorgänge zu fassen erlaubte. Willis’ Beschreibungen blieben nicht auf die Physis beschränkt, sondern er zog auch Parallelen zum psychischen Geschehen und kann in diesem Sinn als Anthropologe verstanden werden.
7.3. Keine Gelegenheit: Popularphilosophische Adaptationen von Malebranche Meier wird die physiologische Empfindungslehre höchstwahrscheinlich nicht über die medizinische und naturphilosophische Literatur vermittelt, sondern durch eine philosophisch-theologische Schrift. Für seinen Gespenstertraktat ist Malebranches zwischen 1674 und 1675 erschienenes mehrbändiges Kompendium De la Recherche de la Vérité einschlägig, wie sich an der Phantasiekonzeption und der Wahl seiner Beispiele ablesen lässt (siehe unten). Malebranche griff im zweiten Buch seiner Recherche ausführlich auf Willis’ Cerebri Anatome, besonders dessen Lebensgeistertheorie zurück.19 Wie Willis geht er von einer möglichen Richtungsänderung beweglicher Partikel in Nervenfasern aus und erörtert so die Entstehung innerlicher und äußerlicher Sehbilder. Hierin orientiert er sich über weite Strecken an dessen Funktionsbeschreibung des Klein- und Großhirns; wie jener erklärt er die physische Eigenschaft von Lebensgeistern zum Auslöser für Bilder.20 Das Kernstück seiner physiologischen Theorie ist jedoch die Einbildungskraft, was ihn maßgeblich von Willis unterscheidet.21 Bei Malebranche ist sie nicht als rein 18 19
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So auch Unzer: Neue Lehre von den Gemüthsbewegungen, S. 23–25. Nicolas de Malebranche: Von der Wahrheit, oder von der Natur des menschlichen Geistes und dem Gebrauch seiner Fähigkeiten, um Irrthümer in Wissenschaften zu vermeiden. Aus dem Französischen übersetzt, und mit Anmerkungen herausgegeben von einem Liebhaber der Weltweisheit. 6 Bde. Halle 1776–1780, S. 113f.: „Die kleinen Fibern scheinen mir gleich kleinen Kanälen, hohl und besonders im Wachen von Lebensgeistern durchströmt zu werden, welche, dann, so bald ihr äußerstes Ende erschüttert wird, diese Bewegung bis ins Gehirn bringen, welche sie von aussen leiden. Ob nun aber die Würkung der fremden Körper durch eben diese Bewegung und Geschwindigkeit der Lebensgeister, oder durch eine bis zum Gehirne fortgesetzte Erschütterung demselben mittheile, mag ich hier nicht genau untersuchen. Es sey genug zu wissen, daß es auf eine, oder die andere, oder auf beyde Arten zugleich geschehe.“ Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 92–110. Michael Sonntag: „Gefährte der Seele, Träger des Lebens.“ Der medizinische Spiritus im 18. Jahrhundert, in: Gerd Jüttemann / Michael Sonntag / Christoph Wulf (Hg.): Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland. Weinheim 1991, S. 165–179; Edwin Clarke: The Doctrine of the
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psychisches Vermögen konzipiert,22 das dem „Befehl der Seele“ untersteht.23 Vielmehr agiert die Phantasie autonom auf den Körper – eben durch die Vermittlung der Lebensgeister. Somit versteht er sie als Wirkkraft und die Willischen Lebensgeister als ihre psycho-physischen Vermittlungsinstanzen. Sein Modell korrespondiert mit der Annahme eines wechselseitigen influxus – sowohl vom Körper in die Seele als auch von der Seele in den Körper. Das heißt, Malebranche geht von der Möglichkeit aus, dass Vorstellungen durch körperliche Einflusse generiert werden und sich umgekehrt auch Vorstellungen (oder Einbildungen) im Körper materialisieren können – wie am Beispiel der durch Einbildungskraft ‚verursachten‘ Geschwüre abzulesen ist. Mit dieser Konzeption reagierte er auf Aporien in Fragen des commercium-mentis-et-corporis. Denn bei Malebranche gründet sich die durchaus strittige Wechselwirkung zwischen Seele und Körper auf eine physisch und psychologisch verstandene Einbildungskraft. Sie basierte jedoch auf der metaphysischen Annahme der Visio in Deo,24 aus der gleichermaßen das Konzept okkasioneller Ursachen abgeleitet wurde. Obschon dies nicht in der Philosophie Malebranches selbst angelegt ist, galt der Okkasionalismus als ad-hoc-Lösung des cartesianischen Leib-Seele-Problems,25 die zuweilen sogar Descartes zugesprochen wurde.26 Aber bereits Johann Georg Walch kritisierte sie in seiner Schrift De arte aliorum animos cognoscendi als falschen Rückschluss von einer Beobachtung auf eine Ursache (und ließ sie weder als causa proxima noch als causa remota gelten).27 Obschon der Okkasionalismus vehement kritisiert und Malebranches System insgesamt durch die Schriften Lockes, Leibniz’ und Spinozas verdrängt wurde, waren Teile desselben in einer populären Version um 1750 durchaus noch greifbar.28 Auch Meier rezipiert Malebranches Lehre unter Kappung des Konzeptes
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Hollow Nerves in the Seventeeth and Eighteenth Centuries, in: Lloyd Greenfell Stevenson / Robert P. Multhauf (Hg.): Medicine, Science and Culture. Historical Essay in Honor of Owsei Temkin. Baltimore / Maryland 1968, S. 123–141. Mit der doppelten (der seelisch-körperlichen) Konzeption der Einbildungskraft reagiert Malebranche auf die commercium-Frage, die nun innerhalb seines okkasionalistischen Systems eine spezifische Begründung erfährt. Malebranche: Von der Wahrheit, 2. Buch, S. 187. Anders argumentiert Dürbeck: Aufklärung und Einbildungskraft, S. 94f., die bemerkt, dass Malebranche die „Veränderungen in den Nerven und die Vorstellungen in der Seele als parallele Bewegungen angelegt“ habe, obschon „die Seele keine Kenntnis von den Erschütterungen der Lebensgeister hat.“ Steven Nadler: Malebranche on Causation, in: ders. (Hg.): The Cambridge Companion to Malebranche. Cambridge 2000, hier S. 116. Descartes wurde in der deutschsprachigen Anthropologie oft als Okkasionalist bezeichnet. Siehe dazu Unzer: Gedancken vom Einfluss der Seele auf ihren Körper. Halle 1746, S. 19, sowie Ernst Platner: Anthropologie für Ärzte und Weltweise. Leipzig 1772, S. 91. Zitiert nach Artikel ‚Temperament‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 42, Sp. 770. Stuart Brown: The Critical Reception of Malebranche, from his Own Time to the End of the Eighteenth Century, in: Nadler (Hg.): The Cambridge Companion to Malebranche, S. 262–287, hier S. 264.
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okkasioneller Ursachen.29 Dessen Ursachentheorie ist für ihn im Vergleich zu dessen Ursachentheorie kaum mehr von Bedeutung.30 Meiers Anlehnung an Malebranche lässt sich zunächst an seinem Rückgriff auf die Phantasiekonzeption ablesen. Seine Kenntnis derselben ist einer scheinbar beiläufigen Randbemerkung zu entnehmen. Im Abschnitt, der die Wahrscheinlichkeit der dritten Meinung diskutiert, erwähnt Meier eine angeblich durch ein Gespenst entstandene Druckstelle. Die vorgestellte Theorie soll erklären, „warum mancher […] sichtbare Flecken von dem Drucke eines Gespenstes lange Zeit behalten hat“.31 Je nach Auslegung der Worte „Druck eines Gespenstes“ bieten sich wohl zwei alternative Deutungsmöglichkeiten an. Damit könnten Wahrnehmungsbilder gemeint sein, die so genannten eidola nämlich, die Zedler mit dem Wort ‚Gespenst‘ übersetzt. Entsprechend würde Meier hier auf die epikureische Wahrnehmungslehre anspielen, die noch bis 1750 verbreitet war. Demnach gehen von den aus Atomen zusammengesetzten Gegenständen Formen oder Bilder (eidola) aus, die sich den Augen der Menschen imprägnieren und dort Wahrnehmungsbilder auslösen. Noch Christoph Martin Wieland bezieht sich in seinem Lehrgedicht Die Natur der Dinge von 1751 auf eben diese These, wenn er von Bildern spricht, „welche stets aus allen Körpern fließen, Und sich mit sanftem Druck in unser Aug ergies-
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Die okkasionalistische Verursachungstheorie und die Visio in Deo wurden nicht erst in Halle, sondern bereits von den französischen Jesuiten mit dem Vorwurf des erkenntnistheoretischen Egoismus desavouiert. Von dort hat sie wohl auch Wolff übernommen. Schon deshalb ist es äußerst fraglich, ob die hier referierte Position von Meier geteilt wird. Eine wesentliche Differenz zwischen beiden Autoren betrifft die Konzeption der Einbildungskraft sowie das damit verbundene Lebensgeistermodell. Malebranche: Von der Wahrheit 1. Bd., 2. Buch, S. 185f.: „Diese kleinen Fibern können auf eine doppelte Art bewegt werden, entweder daß der Anfang davon an dem äussersten Theile der im Gehirne ist, oder an dem welcher ausserhalb sich befindet, gemacht wird. Die Bewegung kann nun nicht bis ins Gehirne gehen, wenn die Seele nicht etwas gewahr wird; fängt sie von dem Eindruck an, den die äusserlichen Gegenstände auf die Oberfläche der Fibern in den Nerven machen, geht sie bis zum Gehirne, so empfindet und urtheilt die Seele, das was sie empfinde, sey ausser ihr, oder sie stellt sich den Gegenstand als gegenwärtig vor. Werden aber blos die innern Fibern, durch den Lauf der Lebensgeister, oder auf einige andere Art nachlässig erschüttert, so bildet die Seele sich ein, und urtheilt das, was sie sich einbildet, sey nicht ausser ihr, sondern im Gehirne selbst, so stellt sie sich einen Gegenstand als abwesend vor. Das ist der Unterschied zwischen der Empfindung und der Einbildung, freylich setzt der Eindruck der äusseren Gegenstände die Fibern im Gehirne, mehr und stärker in Bewegung als der Lauf der Lebensgeister; daher ist die Seele auch durch den Körper von aussen, welchen sie für gegenwärtig und für fähig hält, ihr Vergnügen oder Schmerz empfinden zu lassen, weit mehr gerührt, als durch den Lauf der Lebensgeister. Indessen giebt es doch Menschen deren Lebensgeister durch Fasten, durch Wachen, in einem hitzigen Fiber oder sehr heftigen Leidenschaft, in dem hohen Grade beweget worden sind, daß sie die innern Fibern in ihrem Gehirne mit eben der Gewalt erschüttern, als die äussern Körper – so daß diese Leute empfinden, was sie sich nur einbilden sollten, und vor ihren Augen zu sehn glauben, was blos in ihrer Einbildungskraft sich befindet.“ Bei Malebranche fehlt jedoch das Theorem der inversiven Bewegung. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 26.
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sen“.32 Auch Meier kannte die Wahrnehmungslehre, die wortgeschichtliche Bezüge zur Gespenstertheorie aufweist. Denn nicht nur Zedler übersetzt eidola, einem Vorschlag Ciceros folgend, mit Gespenst (siehe unten). Wahrscheinlich paraphrasiert Meier mit der Formulierung „Druck des Gespenstes“ an dieser Stelle jedoch Malebranches Theorie geistiger Wirkungen. Danach konnten sich geistige Substanzen wie Gespenster in Körpern materialisieren. In diesem Sinn gedeutet, ließe sich der Passus zudem auf die Braunschweiger Gespensterepisode beziehen und wäre eine Anspielung auf die Hautläsion, die das Gespenst angeblich an Höfers Hand ausgelöst hat. Wie ein Kommentator nahelegt, kann eine anhaltend stimulierte Einbildungskraft derartige Läsionen auslösen – z.B., indem sie die Nervengeister in jenen Regionen aktiviert, welche die Durchblutung des Hautabschnittes regulieren. Die Deutung entspräche mithin Malebranches Theorie physisch-psychischer Wechselwirkung.33 Sie erlaubte, physische Manifestationen auf eine Phantasietätigkeit zurückzuführen. Verbreitung fand diese Auffassung als so genannte Theorie der Versehung bei physischen Erklärungen bestimmter Merkmalsausbildungen. Demnach konnten sich schreckliche Sinneseindrücke während der Schwangerschaft negativ auf die Entwicklung eines Kindes auswirken. Erklärt wurde diese Wirkung mit der psychisch-physischen Imprägnierung einer vis imaginativa. Bekannte literarische Adaptationen des Modells finden sich in Laurence Sternes Tristam Shandy oder auch Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften. Allerdings basierten diese Darstellungen auf einer Verkürzung oder wurden in schlichter Unkenntnis der Unterscheidung von Erstund Zweitursachen auf Malebranche zurückgeführt.34 Sie lassen sich daher als populäre Varianten verstehen, die unter Kappung systematischer Argumentationszusammenhänge für bestimmte Alltagserfahrungen in Gebrauch genommen wurden.35 Bezeichnend ist Meiers Aussparung einer im engeren Sinn physiologisch-kausalen oder auch metaphysischen Begründung von Gespenster-Halluzinationen. Er spricht an dieser Stelle lediglich von einem „unbekannten Zusammenhang im Kör32 33
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Wieland: Die Natur der Dinge, S. 24. Auch für die medizinische Einbildungskrafttheorie und -kritik ist Malebranches Vorgabe zentral. Vgl. dazu Michael Alberti: Medizinische Betrachtung von den Kräften der Seelen nach dem Unterschied des Leibes und dessen natürlicher Gesundheit oder Krankheit, als eine Fortsetzung der Philosophischen Gedanken von dieser Untersuchung kürzlich entworfen. Halle 1740; Christoph Süssenbach: De therapia imaginaria. Von Menschen die aus Einbildung gesund werden. o.O. 1721; Ernst Anton Nicolai: Wirkung der Einbildungskraft in den menschlichen Körper. Halle 1744; dazu Geyer-Kordesch: Pietismus, Aufklärung und Medizin, S. 157; Heike Elisabeth Lauer: Ernst Anton Nicolai (1722–1802). Untersuchungen zu Leben und Werk, seiner Zeugungslehre und Auffassung vom Versehen der Schwangeren unter besonderer Berücksichtigung der Entstehung von Missbildungen. Med. Diss. Tübingen 1996. Marie Hélène Huet: Monstrous Imagination. Cambridge MA / London 1993, zu Malebranche S. 45–55. Ernst Anton Nicolai: Gedanken von den Würckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Körper. Halle 21751.
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per“ durch den „geschehe, daß dieses Bild den Gesichts- oder Gehörsnerven anstößt.“36 Anders als Malebranche führt er nicht die Einbildungskraft als mögliche „Ursache“ der Geisterbilder an, sondern spart die Frage nach ihrer konkreten Verursachung aus. Diese Aussparung ist auch deshalb brisant, weil sie die commercium-mentis-et-corporis-Frage betrifft, die sein Hallenser Kollege Johann August Unzer in der Schrift Gedancken vom Einfluß der Seele in ihren Körper (1746) auf breitem Raum erörtert. Darin führt Unzer die Meinung der so genannten Harmonisten aus, die behaupteten, „daß bey einer Veränderung des Körpers oder der Seele, der Grund davon allein in der Kraft des einen oder der andern zu suchen wäre“.37 Die Position entspricht scheinbar Meiers eigener parallelistischen Auffassung. Jedenfalls macht der dritte Abschnitt deutlich, dass er seelische und körperliche Bewegungen als zwei voneinander unabhängige Geschehnisse untersucht, sich bezüglich ihrer Wechselwirkung einer Aussage enthält. Die Bewegungen des Gehirns werden den Vorstellungen der Seele schlicht gegenübergestellt. Somit beruft sich Meier auf das Konzept einer inwendigen Bewegung, entwickelt daraus eine Halluzinationstheorie, ohne jedoch seinen Vorlagen (Malebranche und Willis) in allen Punkten zu folgen. Er schließt sich weder der Lebensgeisterlehre noch der Konzeption der Einbildungskraft oder auch der Theorie einer seelisch-körperlichen Wechselwirkung an. Diese Auslassung ist bezeichnend, denn sie deutet auf Meiers Stellung in der commercium-Debatte, der im Folgenden nachzugehen sein wird. Seine eigene parallelistische Position ermöglicht ihm, so zunächst die hier vertretene These, neue Tendenzen der neurophysiologischen Theoriebildung aufzugreifen, ohne sich dabei mit spezifischen Adaptationen auseinandersetzen zu müssen, wie sie z.B. bei den Radikalpietisten vorlagen, die gleichermaßen auf das Halluzinationsmodell rekurrierten.
7.4. Influxionismus und pelagianische Erfahrungsliteratur: Adam Bernds Konzept der imaginatio involuntativa Eine für Meier ebenso aktuelle wie problematische Anwendung hatte Malebranches Konzeption in den Schriften des abtrünnigen Pietisten und Leipziger Predigers Adam Bernd (1676–1748) erfahren.38 Dieser war dem Aufklärungsmilieu vor
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 25. Unzer: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper, S. 37; vgl. Ingo Müller: Mechanismus und Seele – Grundzüge der frühen Halleschen Medizinschulen, in: Günter Jerouschek / Arno Sames (Hg.): Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694–1806). Hanau / Halle 1994, S. 245–261; zu Unzer Hans-Peter Nowitzki: Der wohltemperierte Mensch. Aufklärungsanthropologien im Widerstreit. Berlin 2003, S. 87–162. Zunächst stand Adam Bernd August Hermann Francke nah, den er 1708 in Glaucha besuchte. Sein Lehrer in Breslau war der ebenfalls dem Pietismus nahestehende Caspar Neumann (1648–
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allem durch die berüchtigte Melodius-Affäre bekannt. 1728 hatte er sich mit seiner Schrift Einfluß Der Göttlichen Wahrheiten in den Willen den Vorwurf des Pelagianismus zugezogen;39 Siegmund Baumgarten ging diesem Skandal in seiner Geschichte der Religionspartheyen nach.40 Und damit nicht genug: Trotz Publikationsverbots veröffentlichte Adam Bernd 1738 eine weitere, diesmal autobiographische Schrift mit dem Titel Eigene Lebens-Beschreibung,41 die Malebranches Phantasiekonzeption in eine theologische Willensdiskussion überführt und zeigt, auf welche Abwege der Okkasionalismus und die Sinnestheorie geraten waren.42 Mit Bernds Publikationen lag vorderhand eine Aktualisierung von Malebranches Einbildungskrafttheorie vor, die zugleich gespensterkritische Argumentationsmuster Lockes aufgreift.43 Bernd weist Gespenster, Dämonen und Hexen als Effekte einer erhöhten Einbildungskraft aus44 und erläutert dies anhand seiner eigenen Erfahrungen. Unter Rückgriff auf die Terminologie der Leibniz-Wolff-Schule unterscheidet er „klare und deutliche“ Erscheinungen einiger Feuer- und Schatzgeister, die er unter heftigsten Angstreaktionen wahrgenommen haben will.45 Die Gespensterwahrnehmungen seien eine „Sache, so von meiner starken Imagination und Phantasie zeugen kann.“46 Entscheidend ist vor allem Bernds Neugewichtung der Phantasie, die durch die Einordnung der Gespenster unter die Kategorie des „Curieuse[n]“ vorbereitet wird.47 Er stellt die Phantasie keineswegs als Irrtumsquelle dar, wie Locke, sondern bezeichnet sie in Anlehnung an Malebranche als göttliches Vermögen: Aus dergleichen und andern Träumen mehr, die noch von größerer Merkwürdigkeit sind, und die ich besser unten erzählen werde, erhellte zum wenigsten so viel, daß der Mensch in unzähligen Dingen noch ein unauflöslich Rätsel sei: daß Gott mit Fleiß viel Dinge in Dunkelheit und lauter Nacht lasse, den Menschen Gelegenheit zu geben weiter nachzudenken, und andern wichtigen Dingen Beifall zu geben, so er uns in seinem Worte zu glauben vorleget: ja daß übernatürliche Würkungen in der Welt, und unter den Menschen sich ereignen; oder Gott doch,
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1715). In seiner Sittelehre von 1733 schloss sich Bernd dann allerdings bereits der orthodoxen Kritik am Halleschen Pietismus an. Die Schrift trägt den vollen Titel Einfluß Der Göttlichen Wahrheiten in den Willen / und in das gantze Leben der Menschen. Helmstedt / Leipzig 1728, Bernd hatte sie unter dem Pseudonym ‚Christianus Melodius‘ herausgegeben. Siegmund Jacob Baumgartens Geschichte der Religionspartheyen. Hg. v. D. Johann Salomo Semler. Halle 1766, hier bes. S. 1290. Adam Bernd: Eigene Lebens-Beschreibung. Vollständige Ausgabe. Mit einem Nachwort, Anmerkungen, Namen- und Sachregister hg. v. Volker Hoffmann. München 1973, dazu Max Dessoir: Geschichte der Psychologie, S. 305–311, Marianne Verhas: Die Persönlichkeit Adam Bernds nach seinen autobiographischen Schriften. Diss. (masch.). Bonn 1955. Vgl. dazu auch Geyer-Kordesch: Pietismus, Aufklärung und Medizin in Preußen, S. 194. Bernd: Eigene Lebens-Beschreibung, S. 39. Ebd., S. 43. Er kritisiert damit die Auffassung, die Dämonen könnten direkt auf die Menschen wirken. Ebd., S. 48ff. Ebd., S. 50. Ebd., S. 49.
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was insonderheit die Träume anbetrifft, die menschlichen Seelen so erschaffen, daß sie zu diesen, oder jenen Zeiten solche Phantasien in der Nacht bekommen müssen, welche den Menschen, das was ihnen begegnen wird, zuvor abbilden und andeuten.48
Zwar orientiert sich Bernd in diesem Passus durchaus an Konzepten der zeitgenössischen Schulpsychologie. Im Gegensatz zu Wolff räumt er die Möglichkeit eines direkten Einflusses Gottes auf die menschliche Seele ein und kennzeichnet ihn als metaphysischen Grund der beschriebenen Vorhersehungsgabe. Seine Ergänzung stellte den metaphysischen theologischen Rahmen dar, auf dem auch die berühmten Ausführungen zum Selbstmord basierten. Sie sind unter dem Begriff ‚Autochirie‘Diskurs in die Forschung eingegangen.49 Auf über hundert Seiten liefert er dem Leser eine Detailbeschreibung seiner Phantasien, die auf seiner spezifischen Erinnerungstheorie basieren: Dienstags frühe kunte ich vor Schwermut nicht zu Hause bleiben, sondern lief vor Angst in das Philosophicum [Philosophievorlesung], und in die Disputation, so gehalten wurde. Es war mir höchst heiß um den Kopf, und das Herze auf das höchste zusammen gepreßt. Ich stehe, und höre der Disputation zu; und, siehe, ehe ich michs versehe, so kriege ich die Idée, und das Bild eines Messers, das mir an die Gurgel gesetzt wird. Nicht, als ob ich (wie Menschen etwan aus Ungedult, die des Lebens überdrüssig sind, zuweilen tun mögen,) bei guter Überlegung gedacht und beschlossen hätte: Weil du in so schrekliche Not und Angst geraten, so willst du dich umbringen, so kommst du der Marter los. Keinesweges, sondern dies begegnete mir schnelle, wie ein Pfeil, ohne alles Denken, Raisonniren, ohne allen Schluß.50
Im Mittelpunkt dieser Episode steht das mehrfach wiederkehrende Bild eines Messers. Es wird, hier lehnt sich Bernd erneut an Malebranche an, als ein aktiver Erinnerungseindruck gedeutet, der zwar nicht die Qualität einer Empfindung erfährt, sich aber dennoch spontan und unwillentlich ereignet.51 Offenkundig liegen hier Spezifika einer Idée fixe vor, deren physiologisches Korrelat ein mechanischer Erinnerungsprozess ist.52 Bernds Erinnerungstheorie orientiert sich am Modell
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Ebd., S. 48. Helmut Pfotenhauer: Literarische Anthropologie. Selbstbiographien und ihre Geschichte – am Leitfaden des Leibes. München 1992, S. 65–70. Bernd: Eigene Lebens-Beschreibung, S. 127f. Ebd., S. 128. So stark, so unvermutet, und lebhaftig diese Idée und Einbildung war, so tief schnitte sie in das Gehirne ein, und legte einen Grund zu den Gedanken, und zu der Furcht, das zu tun, wofür [wovor] ich doch den größten Abscheu hatte.“ Bernd: Eigene Lebens-Beschreibung, S. 152. „Man hat beinahe den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit, daß die menschliche Seele ihren Haupt-Sitz im Gehirne habe, und daß sie da empfinde, sehe, höre, rieche, schmecke, oder daß ihr daselbst die nächste Gelegenheit und Ursache zu empfinden, zu hören, zu sehen und zu schmecken gegeben werde. Denn ich wüßte sonst nicht, warum die Nerven und Fibren [Nervenfasern], welche durch die Lebens-Geister, oder durch das Fluidum nerveum [Nervenflüssigkeit], wie es etliche nennen, das in denselben ist, beweget, aufgeblasen, und ausgedehnt werden, von den Organis sensoriis und sinnlichen Werkzeugen an, (welche durch die äußerlichen Objecta, durch Licht, Luft und andere subtile materialische Ausflüßungen der Dinge berühret werden), bis in das Gehirn hinauf giengen, und sich bis dahin erstreckten, so daß diese Nerven und Fibren alle im Gehirne oben zusammen stoßen, und sich endigen.“
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physiologischer Mediatoren, worunter er die Lebensgeister subsumiert.53 Diese steuern bei Bernd Vorstellungen „mechanice und physica necessitate“.54 Bilder und Handlungsimpulse treten geradezu natürlich und notwendig auf, ebenso wie bei Meier das Gespensterbild. In der Genese des Bildes sowie der Beschreibung eines inneren, nicht willentlich steuerbaren Mechanismus bestehen zentrale Parallelen zu Meiers dritter Erklärung.55 Das mechanische Gespenstersehen bezeichnet Bernd gleichermaßen als ein natürliches Geschehen (inwendige Bewegung), das mit einer notwendigen Täuschung einhergeht. Bernds ,Autochirie‘-Diskurs kann somit als paradigmatisch für eine spezifische Erinnerungsmechanik verstanden werden, deren physiologische Basis das Lebensgeistermodell ist und die auch im Gespenstertraktat angeführt wird. Für letzteren ist Bernds Lebens-Beschreibung also ein wesentlicher Referenzrahmen. An die Stelle von Meiers Auslassung tritt bei Bernd jedoch der göttliche Einfluss, der direkt für das unwillkürliche Erinnerungsbild verantwortlich sein soll. Die These eines direkten Einflusses liegt Bernds Umdeutung der Täuschung als Anfechtung zugrunde, bei der die rationalen Vermögen wie auch die unmittelbare willentliche Kontrolle ausgeschaltet sind.56 Die Attraktivität des automatischen Erinnerungsmodells bestand für Bernd in der gnadentheologischen Umdeutungsmöglichkeit.57 Erst die göttlich bedingte Ausschaltung des Wollens führt den Menschen demnach zu einer Überwindung seiner rationalen Willenssteuerung und damit auf den Weg zu Gott. Bernds Willenskritik stellt somit eine Zuspitzung dar, die sich als Adaptation des Malebranche’schen visio in deo und des influxus divinus begreifen läßt. Sie deutet die Entstehung von Erinnerungsbildern (wie dem Messer) als unmittelbare göttliche Wirkung auf die Seele, als eine innerhalb eines okkasionalistischen Systems beschriebene Substanzenkommunikation, und verbindet sie zudem mit pelagianischen Gnadenkonzeptionen. Nun scheint es gerade vor diesem Hintergrund ausgesprochen fraglich, dass Meier eine Anlehnung an diese gnadentheologische Wendung suchte. Denn an ihr nahm die theologische Orthodoxie Anstoß, wie sich der schon zitierten Geschichte 53 54 55
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Malebranche: Von der Wahrheit, 2. Buch, S. 186. Bernd: Lebens-Beschreibung, S. 137. Im Gegensatz zu Bernd fügt Meier diesem Modell neben dem Automatismus und der Notwendigkeit noch einen weiteren Aspekt hinzu, indem er die Möglichkeit einer endogen erzeugten Nervenbewegung in Betracht zieht und damit die Differenz von Erinnerung und Sensation sowohl in neurophysischer als auch in psychischer Hinsicht zu nivellieren scheint. Bei Bernd wird das Erkenntnisvermögen der Seele als eine Kraft konzipiert, die ihrerseits Bewegungen ausführen kann und die auf einen direkten göttlichen Einfluss zurückzuführen ist; Bernd unterstellt ferner einen physischen influxus in den Willen, vgl. Bernd: Eigene LebensBeschreibung, S. 131. Dagegen argumentierte schon der Leipziger Professor für Naturlehre und spätere Inhaber des Lehrstuhls für Physik Friedrich Menz (1673–1749). Er formuliert das Problem in seinen Meditationes philosophicam de temperamenti von 1722 folgendermaßen: „Gesetzt es wären in dem Geblüthe solche Theilgen enthalten, so wäre doch was wunderliches, daß man daher den Unterschied der Kräffte des Verstandes und Willens leiten wollte.“
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der Religionspartheyen entnehmen lässt.58 Darin übt Siegmund Jakob Baumgarten an der These Kritik, es gebe einen „notwendigen Einfluss in den Willen“.59 Der Vorwurf betrifft eine mit der Willens- und Urteilsfreiheit nicht kompatible Auslegung des Erinnerungsmodells. Auch Meier hat über Baumgarten von der Melodius-Affäre Kenntnis genommen. Schon vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, warum er Bernds Reflexerinnerung nicht folgte und wieso sie mit seinen eigenen Konzepten kollidiert. Mit Bernds influxionistischem Ursachenverhältnis hatte sich Meier in seiner Schrift Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung ausführlich auseinandergesetzt und darin einen reellen Einfluss abgelehnt.60 Meiers Kritik am Influxionismus vollzieht sich im Rahmen eines in seiner Gespensterschrift nicht weiter explizierten Parallelismus,61 mit dem die Unabhängigkeit der vernünftigen Seelenkraft von physischen Determinationen betont und jeder unmittelbare Einfluss der Seele in den Körper abgelehnt wird.62 Meier zählt mithin zu jenen Parallelisten, die nach Unzer einen „idealischen Einfluß behaupten“ und meinten, „daß die Seele alle ihre Veränderungen, wie der Körper die seinigen durch eigene Kraft gantz allein hervorbringe“.63 Blickt man auf Bernds Aneignungen, erscheint Meiers oben beschriebene Auslassung in einem neuen Licht. Meiers eigene parallelistische Position stellt jedenfalls ein Distinktionsmoment dar, das seine Distanz auch gegenüber derartigen theologischen Adaptationen signalisiert. Meier deutet die inwendige Bewegung nämlich weder influxionistisch, noch äußert er sich überhaupt über ihr Zustandekommen. Die brisante Einbeziehung mechanisch-naturalistischer Erinnerungstheorien in eine theologische Gnadentheorie und in die introspektive Religionsliteratur könnte die Zurückhaltung erklären, die Meier gegenüber scheinbar modernen commercium-Lösungen einnahm. Für unser heutiges Verständnis mag es irritierend sein, dass ein modernes Konzept wie das der Halluzination in Diskussionszusammenhängen breiten Anklang fand, die zum äußersten Spektrum möglicher theologischer Positionierungen zählten. Mit dem Halluzinationsmodell verband sich jedoch nicht nur eine gnadentheologische Auslegung. Damit war zugleich ein zweites Themenfeld eröffnet, nämlich
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Siegmund Jacob Baumgartens Geschichte der Religionspartheyen, hier bes. S. 1290. Ebd., S. 1291: „Er [Adam Bernd] […] hat aber bald darauf seinen Lebenslauf herausgegeben, darin er beynahe eben dieselben Irrthühmer [die er schon im Einfluss vertreten hat – Y. W.] wieder aufgewärmet, und vorgegeben, daß er mit beständigen Zweifeln umgehen, auch dabey die Versuchungen zum Selbstmord gemeldet, ja die wirklichen Versuche, die er deshalb vorgenommen, vertheidiget, so daß diese seine in 2. Theilen herausgegebene Lebensbeschreibung unter die allerparadoxesten und irrigsten auch zum Theil gefährlichsten Schriften zu rechnen ist.“ Meier: Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung. Halle 1743, § 13. Meier: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 39. Ebd. Unzer: Gedancken vom Einfluß der Seele in ihren Körper, S. 36.
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die mit der Sinnesphysiologie des Sehens zusammenhängende Skeptizismusfrage. Auch sie markiert eine ideengeschichtliche Ausrichtung, von der die dritte Meinung zum Gespenstersehen geprägt wird, wie insbesondere an Meiers Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten Johann Georg Sucro deutlich wird.
7.5. Sinnestäuschung und Erkenntnisskepsis Bereits in seiner 1748 erschienenen Replik auf Meiers Gedancken von Gespenstern macht der schon erwähnte Baumgarten-Schüler Johann Georg Sucro auf die Affinitäten der dritten Meinung zu skeptischen Positionen aufmerksam: Die dritte Meynung, ist nach meiner Einsicht, zwar sehr verfänglich, aber doch mit hinlänglichen Kennzeichnen versehen, zu beweisen, daß sie falsch ist. Sie besteht darin, daß die Gespenster wirklich äussere Empfindungen, aber solche seyn sollen, die keinen äussren Gegenstand haben. Sie sollen also ein Mittelding seyn, zwischen einer wirklichen Erfahrung und einer Phantasterey. Wir erfahren etwas und wir erfahren doch nichts, wir sehen Gespenster und sehen doch keine. Laßt uns sehen, ob wir die Gespenster auch aus dieser Gefahr zu retten vermögend sind! Entweder ist es möglich auch diesen Irrthum zu vermeiden; oder es ist uns unmöglich. Ist es möglich: so weiß ich nicht was uns bewegen soll, zu glauben, daß alle diejenigen, die Gespenster erfahren, sie mögen auch noch so vernünftig seyn, dennoch diesen Betrug ihrer Nerven nicht vermeiden können. Behauptet man aber das letzte, daß es nemlich unmöglich sey, so wird dadurch von neuem eine völlige Ungewißheit aller Erfahrungen eingeführt, die nichts als die größte Unordnung wirken kann.64
Neben dem Vorwurf des „Mitteldings zwischen einer wirklichen Erfahrung und einer Phantasterey“, der sich hier höchstwahrscheinlich auf Malebranches Mischkonzeption der Phantasie bezieht und in Schillers früher Dissertation anklingt, spielt Sucro auf die Skeptizismusdiskussion der 1730er Jahre an, auf die fides historica und sinnliche Erkenntnis. Mit dem Hinweis „völlige Ungewißheit“ beschreibt er eine ultraskeptische Position. Seine Formulierung „von neuem einführen“ lässt darüber hinaus vermuten, dass er eine Aktualisierung des Skeptizismusproblems im Rahmen der Gespensterdiskussion befürchtet. Sucros Befürchtung ist nicht gänzlich unbegründet. Meier rekurriert an dieser Stelle in der Tat auf den sinnlichen Erkenntnisskeptizismus, genauer auf das Außenweltproblem. Diese Bezugnahme hat ein Fundament in den Sehtheorien der Zeit, wie sich vor allem an seiner Wahl der Beispiele ablesen lässt. Die Möglichkeit einer Sinnestäuschung wird zunächst mit Blick auf optische Fragestellungen entfaltet. Ein zentrales Paradigma, das die Täuschungsanfälligkeit der Seele und ihre Abhängigkeit von der Unversehrtheit der Sinne vor Augen führt, sind die so genannten Nachbilder, auf die auch Meier Bezug nimmt:
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Sucro: Widerlegung der Gedancken von Gespenstern, S. 47.
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Wenn man in die helle Sonne gesehen hat: so schwebt einem lange Zeit nachher das Bild der Sonne vor den Augen. Man kann mit Fingern den Ort weisen, wo ausser uns dieses Bild ist: da es doch gleichwohl nur eine blosse fortdaurende Bewegung des Gesichtsnerven ist.65
Diskutiert wird hier der Fall einer Sinnestäuschung, die im Gegensatz zu einer Gespensterwahrnehmung zwar durch einen äußeren Gegenstand hervorgerufen wird, aber, wie jene aus Bildern besteht, denen zum Zeitpunkt der Wahrnehmung keine reellen Gegenstände mehr entsprechen.66 Neben Meier haben der berühmte Physiologe Albrecht von Haller, der Arzt Julien de LaMettrie und der bereits zitierte Adam Bernd dieses prominente Beispiel aufgegriffen, um irrige Wahrnehmungsmechanismen zu erläutern. Bereits Malebranche thematisiert die Nachbilder67 im zweiten Buch der Recherche und deutet sie als eine (durch extreme Lichtexposition ausgelöste) opticus-Irritation: Man gehe, wenn man die Sonne angesehen hat, mit offenen Augen in ein sehr verdunkeltes Zimmer, so wird die durch die Sonnenstrahlen verursachte heftige Erschütterung in den Fibern des Sehnervens sich nach und nach verändern und verringern. Das sind nun alle Veränderungen in den Fibern der Netzhaut, man müsste denn dahin noch einige kleine Verzuckungen rechnen, die sich in einem jeden verwundeten Nerven zeigen. Unterdessen erkennt dies alles die
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 24. Bei Meier heißt es dazu: „Ein Menschen, der die Gelbesucht hat, glaubet, daß alle Dinge ausser ihm gelb sind; weil seine Gesichtsnerven, durch die verdorbenen Safte, inwendig eben so gerührt werden, als es von aussen durch die gelben Lichtstralen geschieht.“ Das Beispiel kommt schon bei Lukrez vor, siehe Jesús M. Montserrat / Luis Navarro: The Atomistic View of Heat in Lucretius, in: Centaurus 42 (2000), S. 2–20, hier S. 2. In Anlehnung an Malebranche auch Albrecht von Haller zum Problem sinnlicher Wahrnehmung: First Lines of Physiology. Translated from the Latin Edition printed under the Inspection of William Cullen and compared with the edition published by Wrisberg. 2 Bde. New York / London 1966. (Reprint 1786, Sources of Science 32). Chap XVIII „Of the internal senses“, S. 32f.: „We know nothing more than that new thoughts are thus excited in the mind whenever such a change produced upon any organ of sense, is conveyed to the first origin of the nerve which receives the impression. For thought is not the expressed image of the object, by which the sentient nerve affected. What in common has the idea of redness with a slightly refrangible ray, separated from the seven portions of the whole ray?“ Bezug nimmt Malebranches Abhandlung u.a. auf die optischen Versuche im Umkreis Newtons, die einerseits für die Ausdifferenzierung der Sinnes- bzw. Sehtheorie von Bedeutung waren, andererseits den Gegnern des Empirismus zentrale Argumente wider die Verlässlichkeit der Sinne zur Hand gaben. Rezeptionsgeschichtlich sind das von Meier zitierte Beispiel des ‚Gelbsehens‘, sowie die erwähnten Nachbilder von Bedeutung. Sie zählen zu den prominenten Beispielen, die sich u.a. schon bei Daniel Sennert, bei Boerhaave, Haller und auch in LaMettries Naturgeschichte der Seele findet. Zum Sinnesskeptizismus vgl. auch Albrecht von Haller: First Lines of Physiology, S. 29f.: „But the mind not only receives a representation of the image of the object by the eye impressed on the retina, and transferred to the common sensory or seat of the soul, but the mind learns or adds many things from mere experience; which the eye, itself does not really see, and other things the mind considers or interprets to be different from what they appear to her by the eye. And, first, the magnitude of an object is judged of by an optical angle intercepted; as basis of a triangle betwixt the cornea, and as the point of a cone betwixt the radiant object. Form hence, things very near seem large, and remote objects seem small.”
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Seele nicht, sie sieht blos ein weisses und gelbes Licht, und daraus entsteht ihr zweyter Irrthum, das Licht, was sie sieht, in ihren Augen oder in einer nahe gelegenen Mauer zu suchen.68
Nach Malebranche liegt der notwendige Sinnesirrtum im Umstand begründet, dass sich uns nicht die Körper selbst zeigen, sondern lediglich ihre Wirkungen auf die Nerven. Ähnlich formuliert Meier, wenn er anfügt, dass wir nicht „de[n] unmittelbare[n] Gegenstand der äusseren Sinne“ sehen, sondern „Veränderungen in unserem Körper“, d.h. Veränderungen auf der Netzhaut wahrnehmen.69 Nicht die Gegenstände, sondern lediglich ihre Wirkung auf die Sinne lösten derartige Eindrücke aus und seien erfahrbar. Schon in dieser Formulierung kündigt sich das für Meier zentrale Außenweltproblem an, das primär die Frage nach dem Verhältnis von Empfindung und extramentaler Existenz der empfundenen Sache berührt. Lässt sich bereits an Malebranches Deutung der Nachbilder eindrücklich ableiten, wie sich der Sonderfall einer Täuschung, weil er einen Erklärungsbedarf produziert, zu einer generellen Diskussion um die Zuverlässigkeit sinnlicher Erkenntnis ausweitet, so wird das Gespenstersehen im Zuge dieser Diskussion nicht mehr nur als Spezialfall dieser Täuschung betrachtet; es avanciert zum Modus sinnlicher Täuschung überhaupt, wie folgende Überlegungen verdeutlichen sollen. Die skeptische Frage betrifft sowohl die qualitative Entsprechung von Wahrnehmungen und realen Gegenständen als auch die vérité d’existence. Malebranche hatte beides zunächst anhand der Lokalisationsfrage entfaltet. Daran wird wohl keiner zweifeln, daß unsre Seelen, wenn ich gerade annehmen wollte, sie wären ausgedehnt, nicht einen so weitern Raum einnehmen, als der zwischen uns und den Fixsternen, folglich ist es sehr augenscheinlich, daß sie nicht am Himmel sind, wenn sie die Sterne sehen, eben so wenig kommt es mir glaublich vor, daß sie sich nur tausend Schritt von ihren Körpern entfernten, um die Häuser in gewisser Entfernung zu sehn. Da nun die Seele nicht aus dem Körper geht, und doch die Sterne und die Häuser ausser demselben erblickt, so muß sie solche da sehn, wo sie nicht sind, weil ferner diejenigen Sterne, welche mit der Seele unmittelbar verbunden, und die einzigen bleiben, welche sie erblicken kann, sich nicht am Himmel befinden, so folgt auch daraus, daß alle die, welche am Himmel Sterne gewahr werden, und überzeugt zu seyn denken, daß sie am Himmel würklich wären, ein doppeltes unrichtiges Urtheil, ein natürliches und ein freyes fällen, denn es ist ein Urtheil der Sinne oder eine zusammengesetzte Empfindung, welche in uns, ohne unser Zuthun so gar wider unsern Willen entsteht, nach der wir gar nicht urtheilen sollten. Das andere ist ein freyes Urtheil im Willen, das man unterlassen kann, das man also nie fällen muß, wenn man den Irthum verhüten will.70
Bei Malebranche ist der Sinnesirrtum ein konstitutives Element des sinnlichen Erkenntnismodus überhaupt. Seine Wahrnehmungskritik speist sich aus der Differenz von locus apparens und locus objecti71 und erfährt mit der visio in deo eine 68 69 70 71
Malebranche: Von der Wahrheit, 2. Buch, S. 158. Meier: Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern, S. 31. Malebranche: Von der Wahrheit, 2. Buch, S. 150. Malebranche beschreibt hier ein Problem, das auch in der Molyneux-Debatte verhandelt wurde. Siehe dazu auch Malebranche: De la Recherche de la Vérité, où l’on traite de la Nature, de l’Esprit, de l’Homme et de l’Usage qu’il en doit faire pour éviter l’Erreur dans les Sciences. Edité par Geneviève Rodis-Lewis. Avant-Propos de Henri Gouhier. Livres 1-3. Paris 1962
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metaphysische Lösung, die jedoch in einer generellen Abwertung sinnlicher Erkenntnis resultiert. Denn nach Malebranche kann der notwendige Sinnesbetrug allein durch eine meditative Abkehr von der sinnlichen Welt und eine Konversion in Gott überwunden werden. Die Annahme, extramentale Gegenstände existierten, wird von Malebranche darüber hinaus als Idee ausgewiesen. Genau diese Meinung führte dazu, dass er in der Frühaufklärung nicht nur als Skeptiker, sondern zugleich als Egoist (im erkenntnistheoretischen Sinn) rezipiert wurde.72 Während Malebranche und Descartes das skeptische Problem systemimmanent lösten – Descartes mit der optimistischen Annahme eines Deus non-deceptor,73 Malebranche mit der visio in deo – entfaltet der pyrrhonische Radikalzweifel an der sinnlichen Erkenntnis sein eigentliches Potential zunächst mit dem Zusammenbruch des cartesianischen Systemgedankens. Ein radikaler Angriff auf die sinnliche Erkenntnis lag der deutschsprachigen Aufklärung mit der 1723 posthum erschienenen Schrift Pierre-Daniel Huets (1630– 1721), Traité Philosophique De la Foiblesse de l’Esprit Humain, vor.74 Sie zeigt die fideistischen Wege, welche die Malebranche-Rezeption eingeschlagen hat. Malebranches Problematisierung der Sinneserkenntnis, vor allem das Problem der möglichen „ressemblance“ von „image“ und „objet exterieur“, dienen hier als Folie für skeptische Einwände.75 Einschlägig für den vorliegenden Kontext ist insbesondere das dritte Kapitel von Huets Buch. Im Anschluss an eine fundamentale Kritik der sicheren Vernunft-Erkenntnis führt er den „seconde preuve“ gegen die Möglichkeit einer „certitude perfaite &
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(Œuvres de Malebranche. Bd. 1), I, Cap. 9; William Molyneux: Dioptrica nova – A Treatise on Dioptricks. London 1692; Vgl. auch Désirée Park: Locke and Berkeley on the Molyneux Problem, in: Journal of the History of Ideas 30 (1969), S. 253–260; Judith Jarvis Thomson: Molyneux’ Problem, in: Journal of Philosophy 71 (1974), S. 637–650; Michael J. Morgan: Molyneux’s Question. Cambridge 1977. Zu dem Problem auch George Berkeley: Versuch über eine neue Theorie des Sehens und Die Theorie des Sehens oder der visuellen Sprache […] verteidigt und erklärt. Übers. u. hg. v. Wolfgang Breidert unter Mitarb. v. Horst Zehe. Hamburg 1987. Anhang S. 91ff. Vgl. Emmy Allard: Die Angriffe gegen Descartes und Malebranche im ‚Journal de Trévoux‘ (1701–1715). Halle 1914 (Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte 43). Die Frage nach der Möglichkeit sinnlicher Gewissheit ist im cartesianischen System bezeichnenderweise nicht innerhalb der anatomischen oder anthropologischen Argumentation des Traité de l’homme zu finden, sondern in den Meditationen. René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia (1641), in: Oeuvres. Publ. Par Charles Adam et Paul Tannery. Bd. 7, Paris 1909, S. 1–90. Pierre-Daniel Huet: Traité Philosophique de la Foiblesse de l’Esprit Humain. Amsterdam 1723 (Nachdruck der Ausgabe Amsterdam) Hildesheim / New York 1974; Germain Malbreil: Les droits de la raison et de la foi, la dissociation de la raison, la métamorphose de la foi, selon Pierre-Daniel Huet, in: XVIIe Siècle 37.2 (1985), S. 119–133; Suzanne Guellouz (Hg.): PierreDaniel Huet (1630–1721). Actes du Colloque de Caen (12./13. Novembre 1993). Paris / Seattle / Tübingen 1994 (Papers on French Seventeenth Century Literature); Geneviève Rodis-Lewis: Huet lecteur de Malebranche, in: XVIIe Siècle 37.2 (1985), S. 169–189; Elena Rapetti: Pierre-Daniel Huet: Erudizione, Filosofia, Apologetica. Milano 1999 (Scienze Filosofiche 65), S. 231–307. Huet: Traité philosophique de la Foiblesse, S. 35–38.
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entière“ an.76 Die verité d’existence sei mithin von vier Annahmen abhängig: erstens von der Gewissheit, „que cette espece, ou image, est portée entiere aux organes des Sens“;77 zweitens von der Gewissheit, „que les organes des Sens après avoir été ébranlez par l’abord de cette espece, lors qu’ils vont avertir le cerveau de cet ébranlement, par le moyen des fibres du corps“;78 drittens davon, „que lors que le cerveau excité par cet avertissement, fait connoître à l’Ame qui lui est jointe l’avis qu’il a reçu“;79 und schließlich viertens von der Annahme, „que le jugement que forme son Ame sur ce raport du cerveau, est juste & sûr.“80 Huets kleinschrittige Zergliederung des Wahrnehmungsprozesses, die der Weiterentwicklung der Sehtheorie Rechnung trägt, liefert der skeptischen Herausforderung Vorschub. Wichtige Angriffspunkte für das Zweifelargument ließen sich nun auf den vier beschriebenen Ebenen finden. Sie konnten folgende Schritte betreffen: erstens die Vermittlung von Bildern an die äußeren Sinnesorgane, zweitens die Aufnahme derselben durch die Organe und ihre Vermittlung ans Gehirn, drittens die Erregung im Gehirn und die Kenntnisnahme der Seele sowie viertens den Schluss der Seele von den Veränderungen im Gehirn auf die Existenz des Wahrgenommenen. Obschon Huet mit der Annahme einer grundsätzlichen Täuschungsmöglichkeit Parallelen zu Meier aufweist, unterscheidet er sich deutlich von letzterem. Die Differenz ist für die Profilierung von Meiers eigener Position relevant und soll deshalb hier ausgeführt werden. Zunächst sind in Huets Paraphrase wie bei Meier deutliche Anleihen an mechanische Wahrnehmungstheorien von Descartes oder Malebranche erkennbar. Dennoch unterscheiden sich seine Ausführungen von letzteren an einem entscheidenden Punkt, nämlich in Bezug auf die so genannten Bilder („image“ / „espèce“). Bei Huet kommen sie als natürliche Bilder bereits an den äußeren Sinnesorganen an und werden keineswegs erst durch innere Sinnesvorgänge konstruiert, wie unter anderem Locke oder auch Meier annehmen. In Huets Wortwahl espece oder image deutet sich bereits seine Nähe zu einer Wahrnehmungslehre an, die im frühen 18. Jahrhundert mit dem Atomismus assoziiert war und als epikureisch klassifiziert wurde. Die engen semantischen Bezüge dieser Wahrnehmungstheorie zur Gespensterdiskussion macht der erwähnte Eintrag ‚Gespenster‘ in Zedlers Lexikon deutlich. Der Artikel setzt mit einer knappen Definition ein:
76 77 78 79 80
Ebd., S. 32. Ebd., S. 33. Ebd. Ebd., S. 33f. Ebd., S. 34.
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Spectrum, sagt Cicero lib. 15 epist. 16 n. 3. quae Democritus eidola, Catius Epicureus spectra nominat, das ist sichtbarlich empfindliche Gestalten, weil sich die Gespenster in verschiedenen Gestalten, unsren äußerlichen Sinnen darstellen.81
Der Hinweis stellt freilich keinen locus classicus frühneuzeitlicher Gespenstertheorie dar. Mit dem Ausdruck „Spectrum“82 – als lateinische Übersetzung von Gespenst – sind hier eidola gemeint, also jene Wahrnehmungs- bzw. Erinnerungsbilder, die Huet espece nennt. Sie sind feinstoffliche Partikel (von Lukrez in De natura rerum als effluvia bezeichnet),83 welche durch Poren unmittelbar in die Sinnesorgane der Menschen gelangen, oder sich dort zu Bildern formieren sollten. Die Wahrnehmung basiert demnach „in rerum simulacra, quasimembrana“, d.h. in häutchenartigen Abbildern der äußeren Gegenstandswelt, die den Atomen nicht entsprechen.84 Mit Huets Auffassung der sinnlichen Erkenntnis wird also zugleich eine antike eidola-Lehre aktualisiert.85 Sie betraf auch die Frage nach der Vermittlung von Bildern oder – insofern man sich nicht der umstrittenen eidola-These
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Artikel ‚Spectrum‘, in: Zedlers grossem Universallexikon, Bd. 38, Sp. 1372–1383, hier Sp. 1372. Zedler folgt im Wortlaut dem Eintrag ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon. Leipzig 1740, Sp. 1292–1305. Es findet sich kein eigener Artikel ‚Gespenst‘ in Zedlers Lexikon, nur der Verweis auf den Artikel ‚Spectrum‘ unter diesem Lemma. Vgl. Eintrag ‚Gespenst‘, in: Zedlers grossem Universallexikon, Bd. 10, Sp. 1294. Zur Bestimmung des Wortes ‚spectrum‘ war der Verweis auf Cicero allerdings geläufig. Vgl. den Eintrag ‚spectrum‘, in: Ausführliches Lateinisches Handwörterbuch. Lateinisch-Deutsch. Angefertigt und kommentiert von Karl Ernst Georges. 11. Auflage. 2. Bd. Hannover 1962, Sp. 2752, dort findet sich derselbe Hinweis. Marcus Tullius Cicero: Vom Wesen der Götter. Lateinisch-Deutsch. Hg., übersetzt und kommentiert von Olof Gigon und Laila Straume-Zimmermann. Zürich 1986. Lukrez: De rerum natura, IV, S. 30ff. Hier offenbart sich eine naturphilosophische Deutung der Formen, die als Abbild-Bild-Theorie ausgelegt wurde, Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 352. Diese Konzeption ließ sich auch Stahls Theoria medica vera (1707) entnehmen. Für den erkenntnistheoretischen Kontext: Paul A. Bogaard: The Status of Complex Bodies in Epicurean Atomism, in: Studies in History and Philosophy of Science 6 (1975), S. 315–329; Jesús M. Montserrat / Luis Navarro: The Atomistic View of Heat in Lucretius, S. 1–20. Die spectra bilden demzufolge eine zufällige Ansammlung einzelner Atome ab, denen keine substanziellen Formen inhärent sind. Gerade diese, mit dem Namen ‚Demokrit‘ verbundene Erkenntnislehre und quantitative Auffassung von der Materie wurde bekanntlich mit Gassendi aktualisiert und hatte das aristotelische Formproblem zum Gegenstand der naturphilosophischen Diskussion werden lassen. Dass Epikurs eidola-Lehre in der Rezeption des 18. Jahrhunderts als ‚abergläubisch‘ tituliert wurde, macht auch der Eintrag ‚Epicurus‘ in Zedlers Universallexikon deutlich. Die etymologische Nähe von eidolon zum Wort ‚Idolatrie‘ dürfte offenkundig sein. Idolatrie wird in der weiteren Bedeutung von ‚falscher Religion‘ zur Leitkategorie der Aberglaubenskritik. ‚Idolatrie‘ meint in diesem Kontext aber ‚falsches Wahrnehmungsbild‘ oder ‚falscher Realitätszugriff‘. Vgl. Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 57. Vgl. auch den Artikel ‚Epikuros‘, in: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen. Hg. v. Georg Wissowa. Elfter Halbband Ephoros – Entybos. Stuttgart 1907, Sp. 132–155, zur Prolepsis Sp. 151 sowie Johannes Franz Budde: Theses theologicae de atheismo et superstitione. Jena 1717, sowie Günther Gawlick: Cicero and the Enlightenment, in: Studies on Voltaire 25 (1963), S. 657–682.
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anschließen wollte86 – nach dem Ort von Wahrnehmungsbildern und wies darin Verbindungen zum Skeptizismus auf.87 Meier beschreibt den Wahrnehmungsprozess anders als Huet. Er geht nicht von einer Ereigniskette aus, die bei den äußeren Sinnen beginnt und bei der Wahrnehmung einer inneren Gehirnbewegung bzw. beim Schluss der Seele auf die extramentale Existenz eines Gegenstandes endet. Vielmehr fasst er das Problem innerseelisch, wie schon seine Formulierung „die Seele stelle sich in dieser Empfindung eine Bewegung vor“88 verrät. Demnach nimmt die Seele nicht etwa eine Bewegung im Gehirn wahr, wie Huet suggeriert, sondern stellt sich diese Bewegung (nur) vor. Während Huet also von einer realen Wahrnehmung (und ev. Existenz) einer Hirnbewegung ausgeht und Fragen nach der verité d’existence an die wahrhaftige Wahrnehmung einer Hirnbewegung knüpft, bleibt dieser Zusammenhang bei Meier offen bzw. wird mit einem Parallelismus gelöst. Die Differenz zwischen der sinnesphysiologischen Konzeption Huets und der psychologischen Meiers lässt sich auch terminologisch an der Unterscheidung von „Vorstellung“ (Meier) und „Bildern“ (Huet) festmachen. Sie ist für das Verständnis des Gespenstersehens als Halluzination ebenso wichtig wie für die Bewertung des Skeptizismusproblems. Denn anders als Huet vertritt Meier keine skeptische Position. Das Halluzinationsmodell, mit dem er das Gespenstersehen erklärt, bildet bei ihm kein Einfallstor für einen Skeptizismus, sondern für eine ästhetische Wahrnehmungstheorie, wie folgende Ausführungen verdeutlichen. Nach Meier ist eine wahre durchaus von einer falschen Empfindung unterscheidbar, wenn auch nicht im Zustand der Empfindung selbst. Diese Einschränkung ist allerdings doppeldeutig. Sie könnte, wie ja auch Sucro vermutet, zunächst auf die Unfähigkeit von Gespenstersehern deuten, zwischen Realität und Halluzination zu unterscheiden und bliebe demnach auf den Zeitpunkt des Irrtums beschränkt. Im Zustand des Gespenstersehens wäre die Urteilsfähigkeit demnach derart beeinträchtigt, dass eine angemessene Einordnung der aktuellen ‚Empfindung‘ nicht möglich ist. Genau diese Disposition kennzeichnete bereits den phantastischen Gespensterseher, auf den Meier an dieser Stelle offenbar anspielt.
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Eine Kritik, die sich gegen die These von den Sinnen als einziger Quelle der Erkenntnis und gegen die Identifizierung von sinnlichen und intellektuellen Seelenfunktionen richtet. Vgl. dazu Malte Hossenfelder: Stoa, Epikureismus und Skepsis. München 1985; Dieter Klinck: Studien zur Aufnahme und Verbreitung des Epikureismus zur Zeit Ciceros und im franz. 17. Jahrhundert. Kiel 1967; Fritz Jürss: Die epikureische Erkenntnistheorie. Berlin 1991; Magret Osler: Atoms, pneuma and tranquility. Epicuraen and Stoic themes in European thought. Cambridge 1991. Zum Skeptizismusproblem vgl. Pierre Gassendi: De apparente magnitudine solis humilis atque sublimis epistolae quatuor. Paris 1642, in: Opera. Lyon 1658 (Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, T. III.), S. 420–477, sowie René Descartes: Dioptrice VI, in: Oeuvres VI, S. 145 bzw. 612; Thomas Hobbes: De Homine. Kap. 7, § 7, in: Opera Latina. Ed. G. Molesworth, London 1839–1846 (Nachdruck Aalen 1966) S. 62–64; ders.: De Corpore, IV. Kap. 27, § 14. Meier: Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern, S. 32.
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Aus seiner Replik an Sucro geht jedoch hervor, dass die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Empfindung nicht nur im Sonderfall des Gespenstersehens unmöglich ist, sondern im Zustand des Empfindens überhaupt. In diesem Zustand, so legt es Meier jedenfalls nahe, wird der Mensch seine sinnliche Empfindung immer für wahr halten, unabhängig davon, ob ihr ein extramentaler Gegenstand entspricht oder nicht. Diese Zuspitzung könnte zunächst seine Nähe zum erkenntnistheoretischen Skeptizismus indizieren. Wie auch seine später verfasste Vorurteilsschrift belegt, wird der Skeptizismus von Meier jedoch durch eine Überlegung abgewiesen, in der sich eine transzendentale Wende des Erkenntnisproblems ankündigt.89 Der Rückschluss von der Wahrnehmung auf die Existenz stellt nach Meier nämlich einen pragmatisch sinnvollen Erkenntnisprozess dar und wird nicht wie bei Malebranche in eine radikale Sinnenkritik überführt.90 Denn in seiner Vorurteilskritik bezeichnet Meier den Schluss von der Wahrnehmung der Existenz als einen wichtigen Rückschluss der Seele, unabhängig davon, ob die Bewegung von innen entstanden oder durch einen äußeren Gegenstand verursacht wurde. Die sich angesichts der Täuschungsmöglichkeit aufdrängende Frage nach der Wahrhaftigkeit der Empfindung sei eben nicht durch die Wahrnehmungstheorie oder die Erfahrung selbst, sondern allein durch eine Kritik der Erkenntnisquellen zu lösen und könne nicht unabhängig davon entschieden werden.91 Nur die ästhetische Philosophie gäbe dem Gespensterseher wahrscheinliche Gründe an die Hand, eine wirkliche Empfindung von einer Täuschung zu unterscheiden. Diese Unterscheidungskompetenz obliegt primär der ästhetischen Reflexion. Knüpft Meier mit dieser Überlegung nochmals an die schon im fünften Kapitel vorgestellte Position an, so ist hier vorerst der wissenssystematische Ort des Sinnenskeptizismus benannt, das skeptische Problem an sich jedoch noch nicht grundsätzlich gelöst. Die Korrespondenz zwischen der Existenz eines Gegenstandes und der Vorstellung einer Hirnbewegung wird bei ihm nämlich durch die metaphysische Annahme eines harmonischen Parallelismus zwischen Körper und Seele gelöst;92 eine Position, die der schon zitierte Unzer als idealistisch beschreibt.93 Sie 89 90 91 92 93
Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheile, § 32 allerdings unter Ausblendung des Problems der verité d’existence. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 25. Meier: Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern, S. 32, vgl. auch: ders.: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen, S. 60. Meier: Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung, zur Kritik an den gelegentlichen Ursachen, S. 104–121, zur eigenen Position S. 122f. Unzer: Gedancken vom Einfluß der Seele in ihren Körper, S. 37: „Ein Harmonist von der ersten Art, behauptet daß bey einer Veränderung des Körpers oder der Sele, der Grund davon allein in der Kraft des einen oder der andern zu suchen wäre, und daß dieses gantz allein hinreiche die Veränderung zur Würcklichkeit zu bringen. Zum Exempel: Wenn ich meinen Fuß fortbewege; so ist diß eine Veränderung meines Körpers, welche von seiner eignen Kraft, hier kan man das Wort: Monaden substituieren, lediglich gewürckt worden, und dazu hat der Willen der Seele oder eine andere Kraft derselben nicht das geringste beygetragen.“
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gründet auf der Annahme einer Gleichförmigkeit zwischen Körper und Seele, die letztlich als modifizierte Version der prästabilierten Harmonie verstanden werden kann. Demnach gilt: Findet eine Bewegung im Gehirn statt, so stellt sich auch die Seele eine Empfindung vor, selbst wenn dieser kein extramentaler Gegenstand entspricht. Der Empfindende kann dabei keine Unterscheidung zwischen innerlich und äußerlich verursachter Bewegung treffen;94 der Metaphysiker nimmt allerdings eine Entsprechung an und kann daher für die Mehrheit der Fälle – insbesondere für solche Wahrnehmungen, die verschiedene Menschen zugleich haben – die extramentale Existenz des wahrgenommenen Gegenstandes voraussetzen.95 Meier bietet somit eine Lösung an, die zugleich auf einem intersubjektiven Kriterium gegründet ist, das er in die Betrachtungen einfließen lässt. Von seinen Zeitgenossen wurde diese Lösung durchaus kritisch rezipiert. Im Zuge dieser Rezeption avancierte das Gespenstersehen zur Chiffre für ein derartiges Empfindungskonzept. Denn im Rahmen dieses Modells kann die notwendige Täuschung zwar einerseits den Spezialfall des Gespenstersehens erklären, das durch eine inwendige Bewegung entstanden ist. Andererseits könnte eine Täuschung hypothetisch bei jeder Normalempfindung vorliegen: das gilt besonders, insofern Meiers Postulat der Harmonie nicht geteilt wird. Genau daran übt sein Kollege Johann August Unzer Kritik. In seinen Gedancken vom Einfluß der Seele diskutiert er die Möglichkeit, dass die „Seele eben diese Vorstellung [hier die vom Essen – Y. W.] hätte, ohne dass etwas ausser ihr vorhanden wäre, das ihr gegenwärtig ist“.96 Er ordnet diese Position dem Harmonismus zu und wirft damit die Frage nach der vérité d’existence auf. In einem gleichgeschalteten parallelen System von sinnlicher Vorstellung und körperlicher Empfindung gibt es nach Unzer kein intrinsisches Kriterium für die Übereinstimmung. Sie bleibt eine Erkenntnisannahme, die bei Meier zwar den Status eines erkenntniskonstitutiven Vorurteils hat, die aber von Unzer, der keine harmonistische Position vertritt, ironisch als eine Form des ,Gespenstersehens‘ ausgewiesen wird.97 Meier waren diese Problemhorizonte durchaus bekannt. Jedenfalls bemüht er sich, den „üblen“ Vorwurf des Skeptizismus zu entkräften, und kann sich dabei auf Jean-Pierre de Crousaz’ Examen du pyrrhonisme ancien & moderne und die Schriften von Albrecht von Haller berufen.98 Beide hatten den Pyrrhonismus abge94
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Zur aristotelischen Sinnestheorie Wolfgang Welsch: Aisthesis. Grundzüge und Perspektiven der Aristotelischen Sinneslehre. Stuttgart 1987; Gérard Simon: Der Blick und die Erscheinung in der antiken Optik. München 1992. Meier: Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung, S. 122. Johann August Unzer: Gedancken vom Einfluß der Seele in ihren Körper, S. 39. Ebd.: „Wie ich schon gesagt habe, es wäre auch möglich, dass die Sele eben diese Vorstellung auch haben könte, wenn der Körper auch nichts genösse.“ Jean-Pierre de Crousaz: Examen du pyrrhonisme ancien & moderne. La Haye 1733, als Reaktion auf Pierre-Daniel Huet: Traité de la Foiblesse de l’Esprit Humain (1723), ferner Johannes Egger: De viribus mentis humanae disquisitio philosophica anti-huetiana. Bern 1735, sowie die deutsche Übersetzung: Christoph Friedrich Gross: Von der Schwachheit und Unvollkommen-
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wiesen. Ihre Schriften sind wohl zugleich eine wesentliche Vorraussetzung dafür, dass auch der Rückgriff auf Malebranche wieder unproblematisch war. Denn Meier schließt mit seinen Überlegungen zum notwendigen Fehlschluss eng an Malebranche an. Wie letzterer geht er von einer notwendigen Täuschung aus, die aber nicht unmittelbar der Unvollkommenheit der sinnlichen Erkenntniswerkzeuge zu Lasten gelegt wird. Die Attraktivität von Malebranche kann zudem darin bestanden haben, dass letzterer eine Theorie der sinnlichen Erkenntnis vorgelegt hatte, die auf deren Relativität verwies.99 In diesem Sinn lobt Alexander Baumgarten Malebranche in den Brieffen von Aletheophilus als prominenten frühneuzeitlichen Theoretiker der sinnlichen Erkenntnis und empirischen Ästhetiker avant la lettre.100 In seiner Funktion als Kritiker der Erfahrungswissenschaft wird Malebranche von Baumgarten nämlich zum frühneuzeitlichen Begründer einer empirischen Ästhetik erhoben, und genau dieser Status dürfte ihn für Meier erwähnenswert gemacht haben.101 Meiers Argumentation impliziert eine Abwehr der skeptischen Herausforderung, die jedoch nicht in eine generelle Kritik am sinnlichen Erkenntnismodus mündet.102 In Meiers Vorschlag kündigt sich vielmehr eine transzendentale Lösung des Außenweltproblems an, die sich von der okkasionalistischen bzw. fideistischen Version unterscheidet103 und nochmals die Bedeutung einer empirischen Ästhetik unterstreicht. Das Gespenstersehen wird im Rahmen seiner parellelistischen Position zu einem Modell für die Wahrnehmung, in dem die Möglichkeit einer notwendigen Täuschung allein durch eine Korrespondenzannahme ausgeschlossen und insgesamt als ein für die sinnliche Erkenntnis konstitutives pragmatisches Vorurteil begriffen wird.
heit des menschlichen Verstandes in Erkänntnüß der Wahrheit. Aus dem Französischen in das Teutsche übersetzt, und mit nötigen Anmerckungen erläutert. Franckfurth am Mayn 1724. Dazu auch Richard Popkin: Skeptizismus and the Enlightenment. Dordrecht 1997 (Archives internationales d’histoire des idées 152). 99 Malebranches Sinnenkritik hat angesichts der um 1750 aktuellen Wiederbelebung des Atomismus eine Konjunktur erfahren. Malebranche war als Kritiker Pierre Gassendis aufgetreten. 100 Baumgarten: Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 6. 101 Dass es sich hierbei möglicherweise eher um eine beschönigende Referenz handelt als um eine autoritative Nennung, macht schon die entscheidende Differenz zwischen den Hallensern und Malebranche deutlich, die in der radikalen Sinneskritik liegt. Vgl. Malebranche: Von der Wahrheit, 2. Buch, S. 162. 102 Skeptischer äußert sich Johann Heinrich Samuel Formey: Prüfung der Gedancken eines Ungenannten von den Elementen der Körper. Leipzig / Halle 1747 siehe dazu [Anonym]: Fortsetzung der Geschichte von den Monaden. Das zweite Hauptstück, in: Göttingische philosophische Bibliothek, Bd. 2, 1. Stück. Hannover 1749, S. 4–64, hier S. 31. 103 Zur fideistischen Tradition in Folge Bayles vgl. Wieland: Die Natur der Dinge, S. 131, der Bayle den „Sextus unserer Zeit“ nennt.
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7.6. Inhalt oder Materie? Die idea materialis in der Halleschen Anthropologie Mit der dritten Meinung berührt Meier auch Fragen des commercium-mentis-etcorporis, hier insbesondere den Zusammenhang von Nervenbewegungen und psychischen Vorstellungen. Um die Verbindung zwischen der Hirnbewegung und der Gespenster-Vorstellung zu erläutern, rekurriert er auf das Konzept einer materiellen Idee. Am Beispiel eines materiellen Hirnbildes erläutert er zunächst das Zustandekommen einer Halluzination: Nun kann man annehmen, ohne einen absoluten Widerspruch und eine Ungereimtheit zu begehen, daß sich ein solch materielles Bild von meinem verstorbenen Freunde, in meinem Gehirn lange erhalte, auch so gar bis nach dem Tode desselben. Es kann also durch einen mir unbekannten Zusammenhang in meinem Körper geschehen, daß dieses Bild den Gesichts- oder Gehörsnerven anstößt.104
Unter „materiellem Bild“ (idea materialis) versteht er ein im Gehirn vorhandenes Bild, das z.B. einen verstorbenen Freund repräsentieren kann. Als Ikone verstanden oder auch als Spur vergangener Nervenbewegungen gedeutet, hat dieses Bild bei Meier ein materielles Substrat. Zumindest seine Formulierung „anstoßen“ legt nahe, dass es sich bei den Bildern um etwas Materielles handelt. Meiers Rückgriff auf materielle Bilder ist keinesfalls beiläufig zu lesen. Er nimmt damit auf ein Kernstück der Anthropologie und physiologischer Gedächtnistheorien Bezug, das für die commercium-Frage zentral war. Ohne Frage stellt die idea materialis ein eminent wichtiges Konzept dar, dessen Transformation überdies mit einer hirnphysiologischen Akzentuierung der Erkenntnislehre zusammenfallen kann. Zumindest avancierte es zu einem Schlüsselkonzept, an das sich verschiedenste Gedächtnislehren anlagerten.105 Descartes legte damit zunächst ein Erinnerungsmodell vor, demzufolge Abdrücke im Gehirn gespeichert werden und von dort wieder aktualisiert werden konnten.106 Allerdings war dieses Modell zu seiner Zeit umstritten. Der bereits zitierte Stensen vermerkt dazu: Man darf deshalb Herrn Descartes nicht verurteilen, wenn seine Gehirnmechanik nicht ganz den Erfahrungstatsachen entspricht. Die Schärfe seines Geistes, die besonders in seiner Abhandlung über den Menschen hervortritt, ist bedeutender als die Irrtümer seiner Hypothesen.107
Stensen kritisiert hier eine „Gehirnmechanik“, die Descartes’ Ausführungen zur Zirbeldrüse umfasste.108 Er kritisiert zudem eine konkrete Auslegung der idea
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 25. Nowitzki: Der wohltemperierte Mensch, S. 346. Descartes: Traité de l’Homme, S. 110. Stensen: Opera Philosophica, zitiert nach Faller: Die Wertschätzung von Stensens ‚Discours‘, S. 11.
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materialis. Denn er moniert die Unbestimmtheit des Konzeptes, das offen lässt, ob mit Gehirnbildern Empfindungen materiellen Inhaltes (also etwa Vorstellungen von sinnlichen Gegenständen) oder tatsächliche Bewegungen der Gehirnsubstanz (wie sie nach Descartes durch Animalgeister erzeugt werden konnten) gemeint sind. Während sich die Verwendung des Begriffs „materielle Idee“ bei Descartes höchstwahrscheinlich auf den Inhalt der Idee bezieht, womit er sinnliche Empfindung meint und nicht etwa ein materielles Korrelat der Idee im Gehirn, zeichnet sich in der anthropologischen Literatur der mittleren Aufklärung die Tendenz ab, das Wort ‚materiell‘ mit Materie zu übersetzen und damit das Substrat einer konkreten Idee zu bezeichnen. Die Umdeutung wird oftmals, so bei LaMettrie, unter Rückgriff auf die Wolffsche Terminologie vollzogen. Dabei liegt jedoch eine gezielte Transformation des Wolffschen Konzepts vor, der es in ähnlicher Weise verwendet wie Descartes.109 Auch in der Forschung besteht Unklarheit über die jeweilige Auslegung des Terminus. Albrecht Koschorke versteht unter ‚materieller Idee‘ grundsätzlich ein im Gehirn nachweisbares und mit einer Vorstellung korrespondierendes materielles Substrat und setzt diese Wortbedeutung bereits bei Descartes voraus.110 Er richtet sich damit gegen die ansonsten verbreitete Auffassung, der Ausdruck ‚material‘ sei als scholastischer Begriff zu verstehen, der im Gegensatz zu ‚formaliter‘ Gegenständliches meinte. Vor dem Hintergrund der Descartes’schen Substanzenbestimmung stellt der Begriff in der Tat ein Problem dar, impliziert er doch eine Verbindung der an sich distinkten Substanzen. Genau darin könnte seine Brisanz für die mittlere Aufklärung bestanden haben, die sich von den cartesianischen Systemvorgaben löste oder sogar auf diesen Begriff rekurrierte, um deren Aporien vor Augen zu führen. Fraglich ist nun, ob sich auch Meier mit seiner Erwähnung der idea materialis dieser Tendenz anschließt. Eine noch radikalere Adaptation hatte das Konzept in der These erfahren, die Idee selbst sei materiell bedingt. Eine derartige Auslegung des Begriffs lässt sich u.a. bei Julien de LaMettrie nachweisen,111 der sich dieser Wendung jedoch vor allem in polemischer Absicht bedient, um damit gegen bestimmte Ausformungen der Philosophie, besonders gegen Teile der rationalen Seelenlehre, zu polemisieren. Die zu Bildern bzw. materiellen Ideen geformten Sensationen setzt LaMettrie bezeichnenderweise mit dem Wolff’schen Konzept der 108
Stensens Kritik gründet sich vor allem auf seine Schnittmethode, vgl. Nikolaus Stenoni / Niels Stensen: Discours sur l’anatomie du cerveau (1669), in Stensen: Opera Philosophica. Vol. 1, 264ff. 109 Christian Wolff: Psychologia Rationalis. Edition Critique avec Introduction, Notes et Index par Jean Ecole, in: Gesammelte Werke. Hg. u. bearb. v. J. Ecole / J. E. Hoffmann / M. Thomann / H. W. Arndt. II. Abteilung: Lateinische Schriften, Bd. 6. Hildesheim / New York 1972, § 87. 110 Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 360. 111 LaMettrie: Traité de l’âme, in: Œuvres Philosophiques. Nouvelle Edition, Précédée de son Eloge Par Frédéric II, Roi de Prusse. Tome Premier. Berlin / Paris 1796, S. 65–228, Kap. 10, § 11.
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idea materialis gleich. Auch hierbei handelt es sich wahrscheinlich um eine Verkürzung. Jedenfalls dürfte LaMettrie kaum entgangen sein, dass ersterer mit ‚materiellen Ideen‘ weder Eindrücke noch etwa in bestimmten Gehirnarealen lokalisierte Spuren meinte.112 Obschon das Konzept in der mittleren Aufklärung vor allem eine polemische Karriere durchläuft, scheint es vor dem Hintergrund des Lokalisationsparadigmas der 1870er Jahre oder auch der bildgebenden Verfahren der aktuellen Hirnforschung geradezu modern. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Anthropologen schließt sich Meier jedoch einer gemäßigten Position an. Er meint mit ‚materieller Idee‘ ein materielles Substrat. Gleichwohl geht er im Gegensatz zu LaMettrie nicht etwa von einer Dependenz im physiologischen oder psycho-physiologischen Sinn aus, sondern vertritt, wie gesehen, eine parallelistische Konzeption. Beide Aspekte des Gespenstersehens, der physiologische und psychologische, stehen dabei gleichgewichtig nebeneinander. Zwar äußert sich Meier zu diesen Fragen nur mit einer äußerst knappen Bemerkung: „es kann also durch einen unbekannten Zusammenhang geschehen“.113 Sie ist aber schon deshalb aufschlussreich, weil sich darin eine Stimmenthaltung zur mutmaßlichen Wechselwirkung von körperlichen und geistigen Prozessen ausdrückt. Vor diesem Hintergrund wird auch ersichtlich, warum Meier auf das physiologische Modell der Lebensgeister verzichtet, die in der Regel für die Reaktivierung vergangener Eindrücke verantwortlich gemacht und zugleich als Mediatoren zwischen Seele und Körper gedeutet wurden.114 An anderer Stelle wendet er sich sogar explizit gegen die These von Mittlersubstraten wie den spiritus animales.115 Die 112
Wolff hatte sich in seiner empirischen Psychologie ausführlich mit der idea materialis befasst, vgl. Sommer: Grundzüge einer Geschichte der Deutschen Psychologie und Ästhetik, S. 6. Angriffe auf diese Lehre finden sich in Sonderheit in: [Anonym / LaMettrie]: Histoire Naturelle de l’âme. Traduite de l’Anglois de M. Charp, Par feu M. H. *** de l’Academie des sciences. Participem lethi quoque convenit esse. Nouvelle Edition revue fort exactment, corrigée de quantité de fautes qui s’étoient glissés dans la première, & augmentée de la Lettre Critique de M. de LaMettrie à Madame la Marquise du Chattelet. A Oxford Aux dépends de l’Auteur. 1747, S. 5f. 113 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 25. 114 Unzer: Neue Lehre von den Gemüthsbewegungen, S. 66f.; Klier: Die drei Geister des Menschen, S. 112. 115 Dieser Forderung liegt mithin die Annahme zugrunde, die Seele selbst sei der ‚Grund‘ unterschiedlicher psychischer Phänomene bzw. Seelenbewegungen. In Anlehnung an diese Grundkonzeption definiert Meier nicht nur den Verstand, sondern auch die Begierde als Kraft der Seele, Vorstellungen hervorzubringen. Aus der Erzeugungskraft der Seele, aus ihrer spezifischen Vorstellungskraft leitet er zudem das Postulat ihrer Autonomie gegenüber dem Körper ab, die nun gegen influxionistische oder gar monistische Theorien geltend gemacht wird. Meier: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen, S. 21. Der Parallelismus wird (ganz im Sinne Wolffs) als methodische Prämisse einer rationalen wie einer empirischen Seelenlehre zugrunde gelegt, die der anthropologischen Betrachtung bzw. Erörterung des commercium vorauszugehen habe; abgegrenzt von der Sittenlehre (als praktischer Seelenlehre), die wiederum in eine ästhetische (die sich mit dem Redner und Dichter befasst) und eine psychologische zerfällt.
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von ihm als cartesianisch bezeichnete Konzeption der Wechselwirkung greift er bereits in der Theoretischen Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt (1744) an. Nicht der Modellcharakter dieser Lehre wird moniert, auch nicht deren weitestgehende Inkompatibilität mit hirnanatomischen Befunden. Vielmehr richtet sich Meier gegen ihre moralphilosophischen Implikationen; vor allem gegen die damit verbundene Hypothese, Wille und Verstand seien durch das „Geblüt“ – wie es zunächst heißt – determiniert.116 Den (bei Descartes freilich keineswegs implizierten) physiologischen Reduktionismus kritisiert er als „handgreiflichen Fehler“117, der eine fälschliche ‚Identifikation‘ von zwei an sich disparaten Substanzen, nämlich Körper und Geist, impliziere. Er greift damit einen bereits von Hobbes und Spinoza sowie im Journal de Trévoux formulierten Einwand auf, der nachweislich auch in Halle Schule gemacht hat.118 Die neuen Adepten Descartes’ hatten unterdessen die Identität des Verschiedenen postuliert und sich damit, so Meier kritisch, als Vertreter eines magischen Denkstils erwiesen: Cartesius gehört abermals hieher, der in den oben angeführten Stellen, die Bewegung der Lebensgeister, für die Ursach der Gemüthsbewegung angibt. Man wird leicht begreiffen, wenn man die Stellen selbst nachlesen will, daß Cartesius keine Beweise davon geführt, und daß er offenbar geirret, weil er die Veränderung des Körpers, die mit den Gemüthsbewegungen verbunden sind, für die Ursach derselben angenommen, und keinen weitern Grund dazu gehabt hat, als weil die heftige Bewegung der Lebensgeister iederzeit die Gemüthsbewegungen begleitet. Einige von den ältesten Weltweisen haben in diesem Stücke einen seltsamen Einfall gehabt, dessen Erzehlung eine Wiederlegung ist. Pythagoras, und sein Affe Appollonius Tyanaeus, hielten die Kranckheiten des Körpers, nebst den Gemüthsbewegungen, für Leiden, die der Teuffel verursachte.119
Der Hallenser weist an dieser Stelle auf eine Strukturanalogie zwischen cartesianischer spiritus-animales-Theorie und dämonischen Verursachungsmodellen hin.120 Neben dem vehementen Vorwurf der Substanzenvermischung (eigentlich vertrat Descartes einen Substanzenmonismus) richtet er sich auch gegen solche Deutungen des commerciums, wie sie u.a. bei Johann August Unzer und bei Johann Gottlob 116
Meier: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen, 40: „Vermöge des vorhergehenden Absatzes irren demnach alle dieienigen, welche die Gemüthsbewegungen für eigentliche Leiden der Seele halten, bey welchen sie sich gar nicht thätig und geschäftig bewiese.“ 117 Ebd., S. 37f. 118 Johann August Unzer: Kritik eines neuen Beweises von der Immaterialität der Seele, in: Sammlung kleiner Schriften. Zur speculativen Philosophie. Leipzig 1766; dazu Stefan Bilger: Üble Verdauung und Unarten des Herzens. Hypochondrie bei Johann August Unzer (1727–1799). Würzburg 1990. 119 Meier: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen, S. 37. Hinter Meiers Auffassung, die vernünftige Seele bringe sowohl sinnliche Vorstellungen (perceptiones) als auch Affekte hervor, verbirgt sich zugleich ein Affront gegen Descartes’ Theorie der Perzeptionen, die er als passiones den Leiden der Seele zuordnete und auf körperliche Ursachen zurückführte. Eine primär physiologische Erklärung der Affekte und Vorstellungen ist für Meier, wie folgende Passage erhellt, grundsätzlich ausgeschlossen. 120 Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 340f.
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Krüger nachzuweisen sind.121 Zwar kann hier nicht auf die komplexen Rezeptionswege eingegangen werden, welche die commercium-Frage in der mittleren Aufklärung genommen hat. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Meier den Leitfaden der physiologischen Naturalisierung nicht aufgreift und sich dadurch von influxionistischen Anthropologen abgrenzt.122 Zudem gilt zu vermerken, dass der Influxionismus keineswegs immer einer modernen Anthropologie Vorschub leistete, wie sich am Beispiel Adam Bernds deutlich nachweisen lässt.123 Halten wir also fest: Zwar orientiert sich Meier in der dritten Erklärung des Gespenstersehens in breiterem Maße an anatomischen Studien, besonders an der Neuroanatomie, und vollzieht damit einen Theorietransfer zwischen den Disziplinen Philosophie (der philosophischen Psychologie) und Medizin. In diesem Sinn trägt er auch zur Konfiguration eines anthropologischen Wissensfeldes bei. Jedoch geht er nicht von einer physischen Verursachung seelischer Vorstellungen aus. Seine ästhetische Anthropologie bleibt auf eine pragmatische Zeichenlehre beschränkt, womit er sich an den philosophischen Moral- und Verhaltenslehren der Frühaufklärung orientiert.124 Der Wissenstransfer umfasst bei Meier ein breites Fächerspektrum: Er reicht von der Physiologie, Anatomie, Physik bis zur empirischen Psychologie (besonders der Empfindungs- und Affektenlehre). Allerdings beinhaltet dieser keineswegs die rationale Psychologie. Auch für die Methode der Introspektion, für die individuelle Gedankenführung als Fokus anthropologischer Selbstbeobachtung – wie sie in den anthropologischen Roman Eingang gefunden hat –, liefert Meier keine Vorlage.125 Obschon er Seele als eine sich selbst be-
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Johann Gottlob Krüger: Versuch einer Experimental=Seelenlehre. Halle / Helmstedt 1756, § 119, hier wird ein wechselseitiger Influxionismus vertreten. Vgl. dazu Zelle: Experimentalseelenlehre und Erfahrungsseelenkunde, S. 173–185, hier S. 175. 122 Anders Carsten Zelle: Sinnlichkeit und Therapie, S. 5–24. 123 Im Einzelfall erweist es sich als schwierig, einen aristotelischen Influxionismus von einer modernen Vorstellung des Wechselverhältnisses zwischen Seele und Körper zu unterscheiden: vgl. dazu Yvonne Wübben: Limitierte Anthropologie. Grenzen des medizinisch-philosophischen Wissenstransfers am Beispiel von Johann August Unzer, in: Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologieforschung im 18. Jahrhundert. Hg. v. Manfred Beetz, Heinz Thoma und Jörn Garber. Göttingen 2007, S. 51–67. 124 Die Einführung physiologischer bzw. psychophysischer Kategorien in die Morallehre war seit Christian Thomasius’ (1655–1728) 1692 publizierter Einführung zur Sittenlehre geläufig. Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. Mit ein. Vorw. v. Werner Schneiders. Repographischer Nachdruck der Ausgabe Halle 1692. Hildesheim 1968, S. 70. Darin setzt sich der Hallenser Aufklärer ausführlicher mit der cartesianischen Lebensgeistertheorie und dem Bewegungsmodell auseinander. Anti-mechanistisch getönt ist die Erwähnung des motus tonicus vitalis, der Herzbewegung, vgl. Karl E. Rothschuh: Geschichte der Physiologie. Mit 123 Abbildungen. Berlin / Göttingen / Heidelberg 1953, S. 115–117 sowie Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 30. 125 Riedel: Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung, S. 93–157; Hans Robert Jauß: Zur Marginalität der Körpererfahrung in Kants „Anthropologie” und der ihr vorgegebenen moralistischen Tradition, in: Rudolf Berehns / Roland Galle (Hg.): Leib-Zeichen. Körperbilder. Rhetorik und Anthropologie im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1989 (Bochumer Romanistenkolloquium).
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wusste Einheit definiert, umfasst der Repräsentationsmodus nicht die Selbsterkenntnis der Seele, er bleibt auf die in der Seele vorhandenen Vorstellungen beschränkt, die von ihr verschieden sind. Demnach erkennt die Seele anderes, aber nicht sich selbst. Auch aufgrund seiner Vorbehalte gegenüber einer introspektiven Seelenanalytik lässt sich Meier nicht umstandslos in jene anthropologische Bewegung einordnen, wie sie für die Spätaufklärung beschrieben wurde.126 Eine (wesentlich weiterreichende) Kritik an der sich selbst erkennenden Seele lässt sich im Göttinger Umfeld nachweisen. Sie wurde bereits 1724 in radikaler Form vom Göttinger Philosophen Samuel Christian Hollmann vorgebracht.127
7.7. Zusammenfassung der dritten Meinung Im dritten Abschnitt führt Meier die Gespensterwahrnehmung auf eine inwendige Nervenbewegung zurück. Damit legt er eine Sehtheorie vor, die auf eine physiologische und psychologische Basis gestellt wird. Die Gespensterwahrnehmung korrespondiert demnach mit einer Aktivität der inneren Seh- und Gehirnnerven, der kein Gegenstand entspricht, die aber zu einem notwendigen Fehlschluss der Seele führt. Meier rekurriert dabei auf verschiedene physiologische Sehtheorien, die sich im Anschluss an die mechanische Funktionsbeschreibung des Wahrnehmungsapparates (als motus und materia) u.a. auch in Anlehnung an René Descartes’ Optik ausgebildet haben.128 Zudem erörtert er diese Theorien im Rahmen der skeptischen Herausforderung, wobei sich hier eine transzendentale Wendung des Außenweltproblems ankündigt. Neben dem physiologischen Vorgang widmet er sich zudem dem psychischen Akt der Wahrnehmung und rekurriert mit dieser doppelten Perspektivierung auch auf das Problem des Zusammenhangs zwischen physis und psyche. Es zählte um 1750 zu den zentralen Problemen der anthropologischen Diskussion und wurde von den mit Meier befreundeten Halleschen Medizinern Johann August Unzer und 126
Schings: Der anthropologische Roman, S. 247–276 (Studien zum 18. Jahrhundert 3) oder Jutta Heinz: Wissen vom Menschen und Erzählen vom Einzelfall. Untersuchungen zum anthropologischen Roman der Spätaufklärung. Berlin / New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 6). 127 Samuel Christian Hollmann (Praeside): Dissertatio Philosophica Prior de Stupendo Naturae Mysterio sibi ipsi ignota. Wittenberg 1724, S. 10f., sowie ders.: De Stupendo Naturae Mysterio, Anima Humana sibi ipsi ignota. Dissertationis Posterioris. Sectio Secunda. Wittenberg 1724, S. 43; dazu Konrad Cramer: Die Stunde der Philosophie. Über Göttingens ersten Philosophen und die philosophische Theorielage der Gründungszeit, in: Zur geistigen Situation der Zeit der Göttinger Universitätsgründung 1737. Eine Vortragsreihe aus Anlaß des 250jährigen Bestehens der Georgia Augusta. Hg. v. Jürgen v. Stackelberg. Göttingen 1988 (Göttinger Universitätsschriften 12), S. 101–143, hier S. 118f. 128 Reinhard Brandt: Historisches zur Genese des dreidimensionalen Sehbildes, in: Ratio 17 (1975), S. 171f.; sowie Wolfgang Breidert: Einleitung, in: ders. (Hg.): George Berkeley: Versuch über eine neue Theorie des Sehens. Hamburg 1987, S. 7–30.
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Johann Gottlob Krüger gleichermaßen intensiv behandelt.129 Bereits aus dem Gespenstertraktat wird deutlich, dass Meiner im Gegensatz zu jenen eine parallelistische Position vertritt und von einer jeweils unabhängigen Funktionsweise von Seele und Körper ausgeht. Nur in begrenztem Umfang können demnach neurophysische Vorgänge psychische Aspekte der Wahrnehmungsakte – zum Beispiel des Gespenstersehens – erklären. Zwischen beiden besteht keinesfalls eine kausale Relation. Meier legt mit dieser Position eine Absage an bestimmte anthropologische Theorien und Konstruktionen des commerciums vor.130 Zu den influxionistischen Thesen einiger Mediziner geht er jedenfalls ebenso auf Distanz wie zu Adam Bernds Seelenmechanik. Dieser Abschnitt zeigte zudem, dass sich die Bewertung anthropologischer Positionen bezüglich ihrer Modernität am Einzelfall durchaus facettenreich gestaltet. So vertrat Adam Bernd einen Influxionismus, der (insofern er an ein Lebensgeistermodell gekoppelt ist) in der Regel als modernes Konzept angesehen wird. Er wendet es jedoch gnadentheologisch. Bezeichnenderweise wird in diesem Kontext das Wort ‚Gespenstersehen‘ wiederum metaphorisch – und zwar in einem anti-idealistischen Sinn – verwendet. Nach Auffassung einiger Kritiker bezeichnet es in Meiers parallelistischer Konstruktion den Normalfall einer sinnlichen Empfindung, da für letzteren die Empfindung immer wahr ist und er keine zuverlässigen wahrnehmungsinternen Kriterien an die Hand gibt, beide Empfindungen, die vermeintlich falsche von der wahren, zu unterscheiden.
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Unzer: Gedancken vom Einfluss der Seele in ihren Körper; Johann Gottlob Krüger: Versuch einer Experimental=Seelenlehre. Halle / Helmstedt 1756. 130 Vor allem gegen die Unzers: Gedancken vom Einfluss der Seele in ihren Körper, S. 34.
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8. Die vierte Meinung: Gespensterspuk
8.1. Die vierte Meinung Die vierte Meinung unterscheidet sich von den bereits referierten hinsichtlich des Wirklichkeitsgrades,1 den sie Gespenstern beimisst: „Laßt uns nunmehr voraussetzen“, heißt es zu Beginn des vierten Abschnittes, „daß ein Gespenst ein Wesen sey, welches würcklich vor sich bestehet, und ausser demjenigen vorhanden ist, dem es erscheint“.2 Bereits die einleitenden Worte indizieren, dass die Vertreter dieser Position die extramentale Existenz von Gespenstern annehmen.3 Von den verschiedenen Möglichkeiten diskutiert Meier zunächst die Annahme, Gespenster seien Seelen Verstorbener. Doxographisch subsumiert er die Meinung unter Seelenwanderungslehren (Metempsychose) und stellt sie ins Zentrum des vorliegenden Abschnittes. Mit Metempsychose meint er drei Aspekte. Erstens die Möglichkeit, dass sich Seelen Verstorbener in irdische Körper (re)inkarnierten, zweitens, dass sie sich einen neuen Körper bildeten oder drittens, dass sie mit Teilen des alten Körpers auch nach dem Tod der Erde verhaftet blieben. Meiers ausführliche Behandlung der Frage scheint an dieser Stelle verwunderlich. Nach unseren heutigen Zuschreibungskonventionen passt die Metempsychose-Lehre jedenfalls kaum oder nur bedingt ins Profil der Aufklärungsphilosophie. Um 1750 stellt sie jedoch, wie zu zeigen ist, eine keineswegs marginalisierte Auffassung dar.4 Im Gegenteil: Im Rahmen der Unsterblichkeitsdiskussion des 18. Jahrhunderts wurde sie nicht nur breit diskutiert, sondern als eine (von der
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 27. Ebd. Ebd. Zwar liegt mit Meiers Gespenstertraktat keine ausführlichere Bestimmung des Wirklichkeitsbegriffes vor. Aus Fallbeispielen lässt sich indirekt ableiten, dass Wirklichkeit an die Erfüllung von zwei Kriterien gebunden ist: Gespenster sind dann wirklich, wenn sie für sich und wenn sie außerhalb der menschlichen Vorstellung existieren. Die von Meier angeführten Wirklichkeitskriterien umfassen somit die extramentale Existenz sowie die unabhängige Subsistenz in der Außenwelt („wirklich vor sich bestehen“). Damit ist noch nicht bestimmt, ob die Erscheinungen Realität im Sinn von Wahrheit beanspruchen oder nur Repräsentationen sind. Siehe dazu Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 387. Johann Georg Theodor Graesse: Bibliotheca psychologica oder Verzeichniß der wichtigsten über das Wesen der Menschen= und Thierseelen und die Unsterblichkeitslehre handelnden Schriftsteller älterer und neuerer Zeit. Amsterdam 1968. Johann Adolf Hartmann: Metempsychosis Pythagorea ab imputationibus absurdis liberata. Marburg 1733; Wilhelm Irhoven: De palingenesia veterum seu Metempsychosi sic dicta Pythagorica Libri III: Quibus Num Pythagoras Animarum humanarum de corpore uno in aliud corpus crassum vel Hominis vel Bruti [et]c. transmigrationem adseruisse […]. Amsterdam 1733, bes. Kap. 36, sowie Artikel ,Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 36, Sp. 1172–1173, hier Sp. 1172.
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Frühaufklärung bis zu Lessing)5 durchaus ernst zu nehmende Unsterblichkeitsvorstellung, ja sogar als eine potentielle Vernunftwahrheit verstanden, die offenbarungsunabhängig war und als seriöse philosophische Alternative zur christlichen Unsterblichkeitsvorstellung angesehen werden konnte.6 Für die über das gesamte 18. Jahrhundert anhaltende Wirksamkeit der Metempsychose-Lehre lassen sich zahlreiche Rezeptionszeugnisse anführen. Wenn z.B. der Berliner Aufklärer Moses Mendelssohn anlässlich der Schröpferschen Geisterbeschwörungen in Leipzig 1776 spottet, er habe nichts gegen die metaphysische Möglichkeit einzuwenden, dass „der Kayser von China mit seinen Mandarinen jetzt auf [s]einer Kinderstube Blindekuh spielte“,7 wird der heutige Leser in dieser Behauptung kaum eine konkrete Anspielung auf die philosophische Unsterblichkeitsdiskussion vermuten. Er wird sie allenfalls als kritischen Hinweis auf die Absurdität einiger Vernunfthypothesen verstehen.8 Dennoch hatte schon Leibniz in seinem zu Lebzeiten unveröffentlichten Discours de Métaphysique (1686) – und zwar im Zusammenhang mit der antiken Metempsychoselehre – die Möglichkeit einer Reinkarnation beim König von China erwähnt.9 Zwar liegen zwischen Leib5
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Dass sich bei Lessing Vorstellungen der Metempsychose nachweisen lassen, ist seit längerem bekannt. Sein Fragment Daß mehr als fünf Sinne für den Menschen seyn können sowie die geschichtsphilosophische Vervollkommnungslehre in der Erziehung des Menschengeschlechts (§§ 90–100), mit der Lessing auf Reimarus’ Offenbarungsangriff antwortet, wurden jedenfalls metempsychotisch gedeutet. Zu Lessing Walther Arnsperger: Lessings Seelenwanderungsglaube kritisch beleuchtet. Diss. Heidelberg 1893; Heinrich Kofink: Lessings Anschauungen über die Unsterblichkeit und Seelenwanderungslehre. Strassburg 1912; Gottfried Fittbogen: Lessings Anschauungen über die Seelenwanderung, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 6 (1914), S. 632–655; Alexander Altmann: Die Trostvolle Aufklärung. Studien zur Metaphysik und politischen Theorie Moses Mendelssohns. Stuttgart-Bad Cannstatt 1982 (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung 3), S. 109. Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa. Alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute. Darmstadt 1999; Martin Mulsow: Vernünftige Metempsychosis. Über Monadenlehre, Esoterik und geheime Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Aufklärung und Esoterik. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarbeit von Holger Zaunstöck. Hamburg 1999 (Studien zum 18. Jahrhundert), S. 211–273, hier S. 211 sowie Ernst Benz: Die Reinkarnationslehre in Dichtung und Philosophie der deutschen Klassik und Romantik, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 9 (1957), S. 150–175. Herrn Moses Mendelssohns Anmerkungen über einen schriftlichen Aufsaz die Wunderthaten des berüchtigten Schröpfers betreffend, in: Johann Salomo Semler (Hg.): Samlung von Briefen und Aufsätzen über die Gaßnerischen und Schröpferischen Geisterbeschwörungen mit eigenen vielen Anmerkungen herausgegeben von Johann Salomo Semler. Erstes Stück. Halle 1776, S. 67–80, hier S. 80. Zur Möglichkeit der Seelenwanderung und ihrem Nutzen siehe auch Artikel ,Seelen= Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Sp. 2355: „Soviel erkennet man wohl, daß die Seelen-Wanderung nichts unmögliches seye, und also nichts widersprechendes in sich halte, man mag die Sache auf Seiten der Seelen, oder auf Seiten GOttes ansehen.“ Gottfried Wilhelm Leibniz: Metaphysische Abhandlung, in: ders.: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Übersetzt und hg. v. Artur Buchenau, mit einer Einleitung und Anmerkung v. Ernst Cassirer. Teil II, in: Philosophische Werke in vier Bänden. Zusammengestellt von Ernst Cassirer. Bd. 2. Hamburg 1996, S. 343–388, hier S. 384, § 34: „Angenommen ein Privatmann sollte plötzlich Kaiser von China werden, unter der Bedingung aber, alles, was er zuvor gewesen, so vollständig zu vergessen, als wenn er soeben von neuem geboren wäre; läuft
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niz’ Text und Mendelssohns Bemerkung fast hundert Jahre, in denen nicht nur die Seelenwanderungslehre an philosophischer Geltung verloren hat, sondern auch die Destruktion der speziellen Metaphysik, unter anderem der rationalen Psychologie (innerhalb derer die Metempsychose behandelt wurde), vollzogen wurde.10 Dennoch interessierten sich Aufklärer wie Mendelssohn nachhaltig für diese, mit der rationalen Psychologie verbundene Unsterblichkeitsvorstellung, auch wenn sie sich zugleich vom „umständlichen Distinktionssystem“ der Wolff’schen Philosophie abgrenzen.11 Ein Blick auf die Spätaufklärung belegt indes, dass psychologisch versierte Leser der Berlinischen Monatsschrift – trotz der methodischen Abgrenzung der späten von den Frühaufklärern – mit der Metempsychose-Lehre vertraut waren und mit ihr ein Ensemble an konkreten Fragen und Problemstellungen assoziieren konnten. In seinem 1792 erschienenen Text Über die Seelenwanderung liefert der hessische Hofrath Christoph Gottfried Bardili12 einen Überblick über sechs mit dieser Lehre zusammenhängende Felder;13 er steht geradezu paradigmatisch für die Transformation, die die Lehre um 1750 erfahren hat und soll deshalb kurz erörtert werden. Unter anderem diskutiert Bardili die Ableitung des Unsterblichkeitsgedan-
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das nicht praktisch und mit Rücksicht auf alle bewußten Wirkungen auf dasselbe hinaus, wie wenn er vernichtet und ein Kaiser von China in demselben Augenblicke an seiner Stelle geschaffen werden sollte?“ Hinske: Wolffs empirische Psychologie und Kants pragmatische Anthropologie, S. 97–107. Moses Mendelssohn: Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen (1767), in: ders.: Schriften zur Philosophie und Ästhetik. III.1. Bearbeitet von Fritz Bamberger / Leo Strauss. Faks.-Neudr. der Ausgabe Berlin 1932. Suttgart-Bad Cannstadt 1972 (Moses Mendelssohn Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 3.1), S. 7–128 vgl. dazu Alexander Altmann: Moses Mendelssohn. A Biographical Study. London 1973; Ulrich im Hof: Mendelssohn und Iselin, in: Moses Mendelssohn und die Kreise seiner Wirksamkeit. Hg. v. Michael Albrecht / Eva Engel / Norbert Hinske. Tübingen 1994 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 19), S. 61–92; Wolfram Mauser: Prussorum Socrates. Mendelssohn Phädon, oder: die Kraft der gesunden Vernunft, in: ders. (Hg.): Konzepte aufgeklärter Lebensführung. Literarische Kultur im frühmodernen Deutschland. Würzburg 2000, S. 419–433, hier bes. S. 425–433. Christoph Gottfried Bardili: Ursprung der Begriffe Unsterblichkeit und Seelenwanderung, in: Berlinische Monatsschrift 2 (1792), S. 106–128; Franz Wolfgang Garbeis: Bibliographie zu Christoph Gottfried Bardili. Aus den Quellen ermittelt und historisch-kritisch erläutert. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979 [zuerst erschienen in: Wiener Jahrbuch 1974]. Bardili stellt zwei Modelle der Seelenwanderung zur Diskussion, ein zyklisches, an die Vorstellung kosmologischer Revolutionen gebundenes und das davon abgegrenzte lineare, teleologische Vervollkommnungskonzept der Stufenleiter. Vor allem im Rahmen des ersten Modells wurde auch die Möglichkeit der Geistererscheinung als Erscheinung des im Tod transformierten subtilen Körpers diskutiert. Bei Bardili ist die Funktion des Unsterblichkeitsgedankens an die Sozialisationsform gebunden: die heroischen Gesellschaftsformen bedienen sich dieses Gedankens, um die besonderen Vorfahren zu beehren; in despotischen Regierungsformen instrumentalisieren sie diesen Gedanken zu kompensatorischen Zwecken oder zur Furchtinduktion. Vgl. dazu Bardili: Ursprung der Begriffe, S. 109f.
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kens aus einem anthropologischen Selbsterhaltungstrieb14 (1), er bemüht sich um eine Unterscheidung zwischen einer natürlichen (d.h. idealen und privaten) und einer willkürlichen (d.h. im Dienst der Politik stehenden, moralischen)15 Auffassung der Seelenwanderung (2). Zugleich lehnt er die Möglichkeit der Reinkarnation als Bestrafung ab (3). Ferner führt er ein an Herder angelehntes Stufenmodell an (4) und grenzt sich schließlich von der so genannten Archäenwanderungslehre ab (5). Bardilis Text zeigt, welche Teilaspekte der Lehre um 1780 vermittelbar waren. Neben dem Stufenmodell als einem verbreiteten Theorem der Aufklärungsphilosophie, das mit der Einführung einer horizontalen Verzeitlichung verbunden ist,16 sind es vor allem der anthropologische Trieb und kosmische Unendlichkeitsvorstellungen (Seelenrotation), die eine unmittelbare Schnittstelle zwischen Gelehrtendiskurs und Metempsychoselehre aufweisen. Auf fruchtbaren Boden fielen diese Lehren insbesondere in spezifischen sozialen Organisationsformen wie den seit 1740 florierenden Geheimgesellschaften. Vor allem das metempsychotische Unsterblichkeitsmodell wies nämlich strukturelle Affinitäten zur Organisationsform der Geheimbünde auf. Es war mit ihren Stufenbildungen und Transformationslogiken kompatibel. Solche Unsterblichkeitsvorstellungen gewannen zunehmend in einem Sektor an Geltung, in dem sich alternative Religionskonzepte etablierten und der traditionell in den Bereich der Esoterikforschung fällt. Das gilt insbesondere für perfektibilistische Unsterblichkeitsvorstellungen, für die kosmo-
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Ähnlich bei Johann August Unzer: Gedanken von der Seelenwanderung, in: Sammlung kleiner Schriften. Rinteln / Leipzig 1766, S. 181–188, hier S. 181f.: „Ich wollte darauf wetten, daß viele von denen, die auf das strengste beweisen, daß die Seelenwanderung etwas ungereimtes sey, heimlich wünschen, dass sie wahr seyn möchte. Wir sind für die Unsterblichkeit der Seele auf die angnehmste Weise von der Welt eingenommen; und es liegt uns gemeiniglich wenig daran, wie wir fortdauern werden, wenn wir nur die Versicherung haben, fortzudauern. […] Nimmermehr würde dieses geschehen seyn, wenn nicht diese Meynung etwas angnehmes bey sich hätte, das unsern Wünschen schmeichelt, und das mit der allgemeinen Art zu denken des menschlichen Herzens übereinstimmet. Selbst die Irrthümer, die das Herz befriedigen, und unsern Wünschen angenehm sind, verdienen eine gewisse Hochachtung, die wir alle den Sachen schuldig sind, die unsere Ruhe und unser Vergnügen befördern, wenn sie es auch gleich nur dem Scheine nach thun sollen.“ Bardilis Kulturgeschichte umfasst die Heroenverehrung, den Ahnenkult antiker Völker sowie Überlegungen zur politischen Funktion der Metempsychose in den ägyptischen Mysterien. Zu der auch bei Meier nachweislichen Rolle der Temporalisierung bei der Ausbildung dieses Konzeptes vgl. Wilhelm Vosskamp: Perfectibilité und Bildung. Zu den Besonderheiten des deutschen Bildungskonzeptes im Kontext der europäischen Utopie- und Fortschrittsdiskussion, in: Europäische Aufklärung(en). Einheit und nationale Vielfalt. Hg. v. Siegfried Jüttner / Jochen Schlobach. Hamburg 1992 (Studien zum 18. Jahrhundert 14), S. 117–126, hier S. 119; Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1980, Bd. 1, S. 213, sowie Frederic C. Turbach: Perfectibilité. Der zweite Diskurs Rousseaus und die deutsche Aufklärung, in: Etudes Germaniques 15 (1960), S. 144–151; Günther Buck: Selbsterhaltung und Historizität, in: Subjektivität und Selbsterhaltung. Beiträge zur Diagnose der Moderne. Hg. u. eingel. v. Hans Ebeling. Frankfurt/M. 1976, S. 208–302.
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logische Stufenlehre und die Theorie von der Wesenskette,17 die oftmals als aufgeklärte Varianten der Seelenwanderung18 oder als „vernünftige Metempsychose“ verstanden wurde.19 Für das Verständnis dieser späteren Aneignungsformen und Rezeptionsmuster sind die Vermittlungswege der frühen und mittleren Aufklärung wichtig. Als zwei wesentliche Resonanzböden der Metempsychose-Lehre, die zunächst zu ihrer Implementierung ins Aufklärungsmilieu beigetragen haben, wären bestimmte Ausformungen der Leibniz-Wolffianischen Philosophie sowie diverse pantheistische Strömungen der radikalen Frühaufklärung zu nennen.20 Zwar kann an dieser Stelle kein umfassender Einblick in die Implementierungswege der Metempsychose geliefert werden. Unabhängig von den doxographischen Schwierigkeiten, die sich bei der Erschließung der kaum zu überblickenden historischen Quellenbestände ergeben,21 ermöglicht die mikrologische Analyse des Halleschen Umfeldes aller17
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In diesem Kontext ist zudem Johann Georg Schlossers 1781 erschienene Schrift Über die Seelenwanderung zu erwähnen, auf die Herder wiederum im Teutschen Merkur mit einer ausführlichen Kritik antwortete. Johann Georg Schlosser: Über die Seelenwanderung. Basel 1781, wieder abgedruckt in: ders.: Kleine Schriften. 6 Bde. Basel 1779–1793. Bd. 3. Basel 1783, S. 1–46 sowie S. 51–72; Johann van der Zande: Bürger und Beamter. Johann Georg Schlosser (1739–1799). Stuttgart 1986, siehe auch Johann Gottfried Herder: Über die Seelenwanderung, in: ders.: Werke in zehn Bänden. Hg. v. Günter Arnold / Martin Bollacher / Jürgen Brummack u.a. Bd. 4. Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Alterum (1774–1787). Hg. v. Jürgen Brummack / Martin Bollacher. Frankfurt/M. 1994, S. 425–473; hier S. 431: „Was brauchen wir Poltergeister und Revenants, da ja diese edlere Form, wahre eigentümliche Menschenform ist, von der wir eben nur durch Abartungen, die sich leider so natürlich erklären lassen, unglücklicher weise abgekommen sind, und uns vielleicht immer mehr entfernen? […] Ich sehe durchaus nicht, warum wir eben die Toten stören und den Propheten Samuel im Schlafrock hervorbringen müßten, nur damit wir ausrufen können: Ich sehe Götter aufsteigen aus der Erde! – Sehen sie die Menschheit menschlich an, und sie wird Ihnen menschlich erscheinen.“ Zum naturphilosophischen Kontext vgl. Hugh Barr Nisbet: Herder and the Philosophy and History of Science. Cambridge 1970; Emil Bock: Wiederholte Erdenleben. Die Wiederverkörperungsidee in der deutschen Geistesgeschichte (1932). Stuttgart 61975. Als aufgeklärter Prototyp gilt Lessings Lehre, vgl. Ronald Zürrer: Reinkarnation. Die umfassende Wissenschaft der Seelenwanderung. Zürich 1989; Mulsow: Vernünftige Metempsychosis, S. 247ff. Zu vernünftigen Metempsychose-Modellen, die als hermetisch gelten, siehe ebd., S. 215–225. Zur Palingenesie der Überblicksartikel von Rudolf Unger: Zur Geschichte des Palingenesiegedankens im 18. Jahrhundert, in: DVjs 2 (1924), S. 257–273. Mulsow: Vernünftige Metempsychosis, S. 211–273, hier S. 215. Um einige zu nennen: Johann Matthias Gessner: Dogma de perenni animarum natura per sacra praecipique Eleusinia propagata. Göttingen 1755; Guillaume-Lambert Godard: La Physique de l’âme humaine. Berlin 1755; Johannes Melchior Goeze: Betrachtungen über den Zustand der Welt und der Menschen nach dem jüngsten Gericht. Breslau / Leipzig 1753; Johann Siegmund Baumgarten (Praeses) und Friedrich August Schubart (Resp.): Dissertatio theologica de immortalitate Christi et Christianorum. Halle 1755; Christian Krause: Disputatio Physica de homine non machina. Leipzig 1752; [Anonym]: Vénus métaphysique ou Essai sur l’origine de l’âme humaine. Berlin 1752; Samuel Gotthold Lange: Versuch des von G. F. Meier in seinen Gedanken vom Zustand der Seele nach dem Tode geläugneten mathematischen Beweises der Unsterblichkeit der Seelen. Bernburg 1749; M. Gotthard Haffner: Diss. metaphys. de transmigratione animarum, quatenus ex lumine rationis cognosci potest. Altona 1746; Georg Friedrich Meier: Philosophische Lehre vom Zustand der Seele nach dem Tode. Halle 1746; Johann And-
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dings, einige der unterschiedlichen Meinungen zu rekonstruieren, den Transfer zwischen akademischem bzw. populärem Diskurs nachzuvollziehen und die Ausformung von Popularisierungen zu beleuchten, die die Unsterblichkeitslehre erfahren hat. Mit der vorliegenden Rekonstruktion soll zudem eine Lücke zwischen der frühen und späteren Aufklärung geschlossen werden. Leitend ist dabei die These, dass Meiers Traktat einen Umbruch von der gelehrten Diskussion zur späteren Popularisierung markiert. Nach 1750 scheint die akademische Metempsychoselehre jedenfalls an Bedeutung zu verlieren.22 Auch wenn das „Jahr 1750 […] keine markante Zäsur in der Reinkarnationsdebatte“ darstellt, wie Helmut Zander bemerkt, ist gleichwohl „auffällig, dass die Zahl der deutschsprachigen und auf den nichtakademischen Bereich zielenden Veröffentlichungen seitdem zunimmt“.23 Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, ob Meiers Traktat ferner an der Zersetzung bestimmter Formen des Wolffianismus teilhat und eben damit einer Popularisierung Vorschub leistet. Seine Anspielungen auf die um 1750 aktuelle Diskussion liegen wiederum im Detail verborgen und lassen sich nur unter Rückgriff auf die breitere Gelehrtenliteratur ermitteln. Was zunächst als eine wenig überraschende und schematische Position anmutet, stellt sich indessen als Resultat eines komplexen Transformationsprozesses dar, der die Entstehung alternativer Religionskonzepte ebenso betraf wie das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung. Die folgenden Überlegungen werfen ein Licht auf diesen Prozess. Sie nehmen besonders das Hallesche Diskussionsfeld in den Blick. Eine eingehende Analyse der vierten Meinung zeigt, unter welchen Vorgaben und mit welchen Abgrenzungstendenzen im Halleschen Aufklärungsmilieu alternative Unsterblichkeitskonzeptionen entwickelt wurden und inwiefern sich in diesen philosophischen Diskussionen Erlösungs- und Auserwähltheitsvorstellungen weiter tradieren, die bis zur Spätaufklärung wirksam sind.
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reas Jäger: Kurze Anzeige, was die Meynung von der Präexistenz der menschlichen Seele im Schilde führe. O.O. 1743, Friedrich Christian Baumeister: Programma de quaestione, num anima post mortem in corpore adhuc commoretur? Leipzig 1742; Martin Knutzen: Systema causarum efficientium seu Commentatio Philosophica De commercio mentis et corporis per influxum physicum [...]. Leipzig 1745; Christoph Gottlieb Kluge: Anmerkungen über den Vorbericht und die Vorrede zu den Rheinbeckischen Gedanken von der vernünftigen Seele und ihrer Unsterblichkeit. Wittenberg 1740; Johann Adolf Hartmann: Metempsychosis Pythagorae ab imputationibus absurdis liberata. Marburg 1736; Johann Christoph Harenberg: De tribus partibus hominis s. schematologia sub nomine J. C. Trichorii. O.O. 1729; Johann Caspar Löscher: Diss. de metempsychosis Pythagorica. Leipzig 1666; Israel Ben Menasse: De resurrectione Mortuorum. Libri III, quibus animae immortalitas et corporis contra Zaducaeos comprobatur. Amsterdam 1636. Zu Lessing und Herder vgl. Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 356–388. Ebd., S. 331.
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8.2. Metempsychose als philosophische Unsterblichkeitslehre: Meiers Versuch einer doxographischen Verortung Gleich zu Beginn des Abschnittes nimmt Meier eine wissensgeschichtliche Einordnung der Metempsychose-Lehre vor, indem er sie zunächst dem Gegenstandsbereich der Philosophie zuordnet: „Die Vernunft“, heißt es dazu, „gibt uns einige Meynungen an die Hand, woraus auch dieses [die Wirklichkeit der Gespenster – Y. W.] sich erklären läßt.“24 In Anspielung auf den Offenbarungsstreit indiziert er hier, dass nicht etwa die Theologie, sondern die Philosophie Auskunft über die Lehre gebe.25 Die Nennung der Vernunft als möglicher Quelle26 wird jedoch zugleich mit dem einschränkenden Hinweis versehen, dass sie „uns einige Meynungen an[gibt]“,27 worunter „auch diese“, also die Lehre von der Seelenwanderung, zu zählen sei. Der Ausdruck „auch diese“ ist offenkundig negativ konnotiert – selbst die unwahrscheinlichsten Meinungen, so könnte man ergänzen.28 Zu den Gegnern der philosophischen Metempsychose zählt Meier zu Anfang die Anhänger des Aristoteles (und Averroes), die sich gegen die Unsterblichkeit der individuellen Seele ausgesprochen hätten.29 Davon ist eine Gegenfraktion („andere
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Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 27. Zur Differenz und Gemeinsamkeit der Funktion philosophischer und theologischer Lehren siehe Gerhard Ruhbach: Unsterblichkeit und Auferstehung – Überlegungen zu zwei Grundeinstellungen, in: Unsterblichkeit. Hg. v. Friedrich Niewöhner / Richard Schaeffler. Wiesbaden 1999 (Wolfenbütteler Forschungen 86), S. 33–43. Meier nimmt hier bezeichnenderweise nicht auf die Offenbarung Bezug. Er ordnet sich der Gruppe zu, welche den Gespensterglauben, im Gegensatz zur ausführlichen Dämonen- und Engellehre, nicht durch die Heilige Schrift bezeugt sieht. So vermerkt auch Semler in der bereits zitierten Sammlung: Vorrede unpaginiert, in: ders. (Hg.): Samlung von Briefen und Aufsätzen über die Gaßnerischen und Schröpferischen Geisterbeschwörungen mit eigenen vielen Anmerkungen herausgegeben von Johann Salomo Semler. Zweites Stück. Halle 1776: „das schaale rohe Gewäsche mit christlicher Aufmerksamkeit ferner zubeehren, wenn jemand solche Geisterbuden dadurch retten und schützen wil, daß ja in diesen und jenen Stellen der heiligen Schrift, von leiblichen oder sinnlichen Wirkungen der Geister geredet worden seie. Und dis ist doch die alte Leier, welche Gaßner und seine Vertheidiger hören lassen; von den Daimoniacis, deren in der Lebenszeit Christi gedacht wird, von einer Beschreibung, die im Buch Hiob vorkommt, etc.“ Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 27. So argumentiert einige Jahre zuvor der Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 36, Sp. 1172–1176, Sp. 1175: „Betrachtet man die Sache nach der Vernunft, so siehet man die Seelen=Wanderung vor eine leere Einbildung an. Soviel erkennet man wol, daß sie nichts unmögliches sey, und also nichts widersprechendes in sich halte, man mag die Sache auf Seiten der Seelen; oder auf Seiten GOttes ansehen. Denn da die Seele ein Geist ist, so kan sie sich wol auch mit andern Cörpern vereinigen, und da GOtt einmal selbige mit einem Leibe verknüpfet, so kan er dieses noch mehrmahl thun. Allein, eine Möglichkeit ist noch keine Würcklichkeit, und wenn man gleich dencken kan, es sey möglich, daß die Seele von einem Cörper zum andern wandere, so folgt dann doch noch nicht daraus, daß dieses auch würcklich geschehe.“ So auch Gottfried Wilhelm Leibniz: Versuche in der Théodicée über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen
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weniger von Aristoteles abhängige Autoren“)30 zu unterscheiden, die mit der Weltseele ein Konzept vorlegte, das zugleich die noch nicht näher präzisierte individuelle Seelenwanderung beweisen sollte. Nach ihrer Herkunft kennzeichnet Meier die Metempsychose-Lehre als Auffassung der „allerältesten Weltweisen“.31 Demnach war Ägypten ihr Ursprungsort; von dort sei sie über Pythagoras an die Griechen weiter vermittelt worden. Plato habe sie in seinem Dialog Phaidon schließlich aufgegriffen und moralisch gedeutet. Anders als Pythagoras sprach er nicht von einer Reinkarnation, sondern von einer unvollständigen Ablösung der Seele vom Leib und von ihrer Verhaftung an eine sinnlich-körperliche Welt. Bei der Rekonstruktion der platonischen Traditionslinien orientiert sich Meier nun an einer philosophiehistorischen Einordnung, die er Johann Jacob Brucker entnehmen konnte. Dieser nennt in seiner Historia critica philosophiae die Wiederverkörperung in Tieren als wesentlichen Aspekt der antiken Metempsychose,32 die Pythagoras aus Ägypten nach Italien importiert habe.33 Mit dem Hinweis auf die „Alten“ und die „allerältesten Weltweisen“34 greift Meier diese These auf und nimmt damit eine Einordnung vor, die zum Gemeingut der damaligen Zeit zählte. Auch Hermann Wit vertratt sie in seiner Schrift Aegiptica (1683) und vollzog mit ihr einen Primatwechsel von Griechenland nach Ägypten.35 Jedoch verzichtet Meier an dieser Stelle darauf, die Metempsychose explizit auf die Lehren des ägyptischen Gottes Hermes Trismegistos zurückzuführen und grenzt sich damit von anderen Autoren ab, die eine solche Zuordnung vornahmen. Für einen derartigen Versuch stand z.B. Ralph Cudworth’ Schrift The True Intellectual System of the Universe, der Hermes’ Schriften als ägyptische Arkantheologie ansah36 und sich damit apologetischen Argumentationsmustern anschloss, wie sie der Renaissance-Platoniker Ficino in seiner Schrift De triplici vita ausführt.37 Obschon diese Tendenz um 1700 eine gewisse Aktualität hatte,38 orientiert sich Meier nicht an Cudworth’, sondern folgt Bruckers Argument. Dieser hatte den
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von Artur Buchenau, in: Philosophische Werke in vier Bänden. Zusammengestellt von Ernst Cassirer. Bd. 4. Hamburg 1996, S. 38. Ebd., S. 39. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 27. Johann Jacob Brucker: Historia critica Philosophiae a tempore resuscitatarum in occidente literarum ad nostra tempora. Tom I. IV Pars I. Leipzig 1743, S. 1092: „redituque animae in aliud corporis“, „non in humana tantum, sed & bruta corpora migrare animas decernendum erat.“ Ebd., S. 989. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 29. Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 301. Das führt möglicherweise zu den partiellen Rehabilitierungen Pythagoras’ im Rahmen der theologischen Unsterblichkeitsdiskussion, vgl. dazu Johannes Georg Abicht (Praeses): Disputatio theologica de Animabus Humanis post mortem corporis vivis. Wittenberg 1735, S. 17: „Pythagoras ex revelationis ignorantia vero falsum admiscuit.“ Neugebauer-Wölk: Aufklärung und Esoterik, passim. Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 273.
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Rückgriff auf Hermes als irriges Legitimationsschema der „pythagoreisch-platonisch-cabbalistischen“ Philosophie entlarvt,39 das quellenphilologisch nicht gestützt werden könne. Mit der Nennung der „Alten“ greift Meier eine weitere auch bei Brucker anzutreffende Tendenz auf, die pythagoreische Lehre unter den allgemeinen Oberbegriff „italienische Philosophie“ zu subsumieren.40 Neben Pythagoras fungierte dort auch Platon als Vertreter einer antiken Seelenwanderung.41 Gestützt wurde diese Identifizierung durch textgeschichtliche Bezüge, genauer durch die Unsterblichkeitslehre des Timaios. Dieser Frage ist bei Brucker ein eigener Abschnitt im Pythagoras-Kapitel gewidmet.42 Einschlägige Stellennachweise finden sich ferner in den mittleren Dialogen Phaidon, Phaidros und Staat.43 Damit setzt er die Parallelisierung von platonischer und pythagoreischer Philosophie fort, die der schon zitierte Theologe Colberg in seinem Buch Platonisch-Hermetisches Christentum vornahm und der ebenfalls Johannes Franz Budde in seiner Introductio ad historiam philosophiae Hebraeorum (1720)44 nachgegangen war.45 Indem Meier auf die Muster der frühaufklärerischen Aberglaubenskritik zurückgreift, kennzeichnet er die Metempsychose als antiken Paganismus. Sie weise auf den mangelnden Vernunftgrad heidnischer Völker hin. Denn die Alten, fährt er fort, konnten „nicht begreiffen, wie ein endlicher Geist, ohne mit einem Körper in Gemeinschaft zu stehen, würcklich seyn könne“,46 und hätten deshalb die Metempsychose erfunden. Während Vertreter der Spätaufklärung wie Mendelssohn, Bardili und Schlözer also in stärkerem Maß dazu tendieren, zwischen einer platonischen und einer pythagoreischen Variante der Unsterblichkeitslehre zu unterscheiden und dabei die platonische Seelenwanderung als Ablösungs-, Reinigungs- oder Verfeinerungspro39 40 41
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Brucker: Historia critica, S. 982. Ebd. Zu Platons Seelenwanderungslehre vgl. Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa, S. 74–81. In sieben Dialogen finden sich für diesen Kontext relevante Stellen: Gorgias, Menon, Phaidon, Phaidros, Staat, Timaios und die Gesetze. Brucker: Historia critica, S. 1041. Plato: Der Staat, in: ders.: Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch. Hg. v. Gunther Eigler. Bd. 4, Darmstadt 1990, hier 10. Buch. 620a, S. 871; erwähnt auch bei Zedler: Artikel ‚Seelen=Wanderung‘ sowie bei dem Theologen Osiander (Praeses): Dissertatio Psychologica de Transmigratione Animarum Humanarum Ex suis Coporibus in alia Corpora. Tübingen 1742, S. 30. Dazu Walter Sparn: Auf dem Wege zur theologischen Aufklärung in Halle. Von Johann Franz Budde zu Siegmund Jakob Baumgarten, in: Zentren der Aufklärung I, Halle, Aufklärung und Pietismus. Hg. v. Norbert Hinske. Heidelberg 1989 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 15), S. 71–89, hier S. 71–77. Dazu auch Daniel Ehrenfried Colberg: Das Platonisch-Hermetisches Christentum (1690/91). Leipzig 1710, S. 608–614, Kap. VIII, S. 8, hier zitiert nach Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 760. Zu Jacob Thomasius siehe Ralph Häfner: Jacob Thomasius und die Geschichte der Häresien, in: Christian Thomasius (1655–1728). Hg. v. Friedrich Vollhardt. Tübingen 1997, S. 141–164. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 29.
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zess metaphorisch deuten bzw. von einer „abgeschmackten“ pythagoreischen Variante abgrenzen, ist diese Differenz bei Meier nicht in gleichem Maß nachweisbar.47 Er folgt stärker der Gleichsetzung von Platonismus und Pythagoreismus und orientiert sich dabei noch in höherem Maße an den historiographischen Mustern und religionskritischen Tendenzen der Frühaufklärung. Allenfalls in der Formulierung „allzu genau bestimmen“ könnte sich bereits ein erster Differenzierungsversuch andeuten. Der Hinweis lässt sich als Anspielung auf die mögliche Tierinkarnation verstehen, die zum Differenzierungsmoment zwischen Plato und Pythagoras avancierte. Sie wurde jedenfalls zunehmend nicht nur vom Platonismus ab-, sondern auch aus dem Kanon der Seelenwanderung ausgegrenzt.48 Auch wenn sie zuweilen Anhänger fand und Gegenstand ernsterer Abhandlungen war,49 wurde die Tierreinkarnation, die vor allem den PythagorasViten der Neuplatoniker Porphyrios, Jamblich und Diogenes Laertius zu entnehmen war,50 zu einem beliebten Gegenstand von Satiren, die sich zum Teil an den berühmten Spottvers des Xenophanes anlehnten.51 Die Verspottung fand ihren Widerpart in der philologischen Kritik, welche die Viten für nicht authentisch ansah.52 Für die meisten zählten sie zu den unzuverlässigen Quellen und kaum gültigen Belegstellen einer pythagoreischen Philosophie.53 47
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Bezeichnend ist zumindest, dass in dem knappen Eintrag ‚Metempsychose‘ in Zedlers Lexikon sofort der Name Pythagoras fällt, während er im Artikel ‚Seelen=Wanderung‘ nur unter anderen erwähnt wird. Vgl. Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 36, Sp. 1172–1176, sowie Artikel ‚Metempsychosis‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 20, Sp. 1279 [darin ein Verweis auf Bulsrode und Helmont]. Christlob Mylius: Gedanken ueber das Alter und den Ursprung der Furcht unsers Pöbels vor den Gespenstern, besonders was die sogenannten Erscheinungen der Verstorbenen anbelanget. Bey Gelegenheit einer Stelle aus dem Plato, in: ders.: Vermischte Schriften gesammelt von Gotthold Ephraim Lessing (1754) . Frankfurt/M. 1971 (Athenäum Reprints), S. 205–210. Siehe dazu Johann Friedrich Scholz: Beweis, daß es eine Seelenwanderung bei den Thieren gebe. Helmstedt 1753; Georg Friedrich Meier: Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere. Halle 1749, zur Inkarnation und Seelenwanderung besonders S. 97. Auffällig an der Pythagoras-Rezeption um 1750 ist mithin die zuweilen ungebrochen positive Bewertung des Philosophen, der als Verfechter der Unsterblichkeit auch dann geradezu gefeiert wird, wenn seine Lehre (wie bei Meier) häretisch genannt wurde. Die zwar nicht durchweg nachweisbare, aber in Ansätzen durchaus positive Charakterisierung Pythagoras’ ist wohl das Resultat einer Kontrastierung seiner Lehren mit den neuplatonischen. Vgl. Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Plato. Nürnberg 1962 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 10), S. 86–97. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Bd. VIII, 36 [übersetzt von Otto Apelt]. Hamburg 1921, S. 127: „Als er [Pythagoras], des Weges gehend, ein Hündchen mit Schlägen bedacht sah, ließ er, von Mitleid erfasst, gleich sich vernehmen, wie folgt: Weg mit der Peitsche, mein Freund ist’s ja, dessen Seele du quälest; An ihrer Stimme hab’ ich deutlich sie wieder erkannt.“ Artikel ‚Pythagorische Philosophie‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 29, Sp. 1864– 1869: „Es stehet aber um die Historie derselben sehr schlecht und elend, indem Dunckelheit, Ungewissheit, ungereimte Histörgen, offenbare Fabeln, vielfältige Widersprechungen, verdächtige, ja wohl gar augenscheinlich verwerffliche Erzählungen den meisten Theil derselbigen ausmachen.“ Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione, S. 15.
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Wenn Meier die Seelenwanderungslehre „abgeschmackt“ und „erdichtet“ nennt,54 aktualisiert er einerseits den gegen Pythagoras gerichteten Enthusiasmusverdacht („enthusiasmo philosophico“).55 Andererseits klingt im Ausdruck „erdichtet“ noch eine weitere Dimension an. Die neuplatonischen Pythagorasviten wurden als „Erdichtungen“ bezeichnet, die zum gezielten Zweck des Betrugs erfunden worden seien.56 Als Belegstelle für diese These gilt der im Dialog Der Staat entwickelte Mythos von der Seelenwanderung. Dem Mythos wird eine politische Funktion zugesprochen. Somit greift Meier also implizit die Frage nach dem politischen und gesellschaftlichen Nutzen von Unsterblichkeitsvorstellungen auf und spielt damit auf die Debatte über die Funktion der Religion im Staat an. Wie andere Autoren57 nimmt er – trotz des verbreiteten Betrugsvorwurfs – die metaphorisch-moralische Lesart der Seelenwanderung weniger kritisch auf.58 Sie liegt seiner Auffassung zufolge vor allem mit Platons Schriften vor.59 Auch hier kündigt sich eine Differenzierung von pythagoreischer und platonischer Lehre an. Als metaphorische Seelenwanderung wurde jedenfalls eine schon zitierte Stelle des Phaidon gedeutet, die keine Seelenwanderung im engeren Sinn, sondern die unvollständige Ablösung der Seele vom Körper beschrieb.60 Die Ablösung der Seele vom Leib war zudem ein Topos der ars-moriendiLiteratur, die sich mit einer stoischen Morallehre amalgamiert.61 In seiner Schrift Gedancken von Schertzen begreift Meier das Sterben ebenfalls als (mehr oder weniger) gelungene Ablösung der Seele vom Leib, ohne dass diese Vorstellung
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Vgl. dazu auch Meier: Beyträge zur Lehre von den Vorurtheilen, S. 79. Das bezieht sich besonders auf die Emanationsvorstellung, vgl. Artikel: ,Pythagoreische Philosophie‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 29, Sp. 1837. Ebd., Sp. 1856. Brucker: Historia critica, Sp. 1092. Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione, S. 13: „§ XIII De transmigratione animarum metaphorica tantùm Pythagoram fecisse verba, putant. Galenus [apud Morhofium 1, S. 18], Rhodius [Extract ejus Dialogus de transmigratione animarum Pythagorica], Pufendorfius [Elementa Jurispruden. Univ.]." Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione, S. 27. Mylius: Gedanken ueber das Alter und den Ursprung der Gespensterfurcht, S. 208. Plato: Phaidon, S. 83: „Wenn sie aber, meine ich, befleckt und unrein von dem Leibe scheidet, weil sie eben immer nur mit dem Leibe verkehrte und ihn gepflegt und geliebet hat […] meinst du, daß eine so beschaffene Seele sich werde rein für sich absondern können? […] Und dies, o Freund, muß man doch glauben sei unbeholfen und schwerfällig, irdisch und sichtbar, so daß auch die Seele, die es an sich hat, schwerfällig ist und wieder zurückgezogen wird in die sichtbare Gegend aus Furcht vor dem Unsichtbaren der Geisterwelt, wie man sagt, an den Denkmälern und Gräbern umherschleichend, an denen daher auch allerlei dunkle Erscheinungen von Seelen sind gesehen worden.“ Vgl. Artikel ‚Gespenst‘, in: Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1738.: „Erstlich haben einige dafür gehalten, daß die an und vor sich unsterblichen Seelen der Verstorbenen zurück kämen, und sich zuweilen den Menschen auf Erden zeigten. Vor Alters stunden die Platonici in diesen Gedanken, wie aus dem Phaedone des Platonis selbsten […].“ Brucker moniert deren Verwechslung mit der stoischen Metemsomatosis-Lehre, dazu Brucker: Historia critica philosophiae, S. 1093.
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allerdings als platonisch ausgewiesen und in den Kontext einer antiken Reinkarnationslehre gestellt wird.62 Bezeichnenderweise spart er insgesamt einen wichtigen Aspekt der antiken Seelenlehrewanderungslehre aus. Der theurgischen Auffassung zufolge soll Pythagoras mit „Geistern“ in Verbindung gestanden haben.63 Besonders die Schriften von Porphyrius und Jamblich gehen darauf ein. Welch breite Wirkung dieser bei Meier ausgesparte Aspekt neuplatonischer Pythagoras-Deutungen im 18. Jahrhundert hat, kann an diversen paramasonischen und freimaurerischen Schriften der Spätaufklärung abgelesen werden.64 Im Anschluss an Jamblichs De vita Pythagorae wurde Pythagoras nicht nur als Vertreter der Metempsychose-Lehre und Archeget einer göttlichen Weisheit begriffen,65 sondern nicht selten als Theurg und Zauberer verstanden.66 In dieser Funktion avancierte er zu einer Legitimationsfigur, auf die sich im 18. Jahrhundert prominent gewordene Geisterseher wie Schröpfer und Cagliostro beriefen. Zu den theurgischen Adepten des Pythagoras zählte auch der sagenumwobene Apollonius von Thyana, der von Jamblich als Wundermann beschrieben wird und – ähnlich wie Pythagoras – angeblich zaubern konnte.67 Ein literarisches Zeugnis dieser Pythagoras-Rezeption findet sich, das sei 62 63 64
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So deutete sie Ambrosius Rhodius: De Transmigratione animarum Pythagoram (vgl. Zedler: Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, Bd. 36, Sp. 1172). Artikel ,Pythagoreische Philosophie‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 29, Sp. 1856. [Anonym]: III. Allgemeine Betrachtungen über einige philosophische Wörter, in: Archiv für Freimäurer und Rosenkreuzer. Zweiter Theil. Berlin 1785, S. 33–125, hier S. 52. Der Autor zählt eine Reihe theurgischer Traditionen auf: Die Magie der Chaldäer und Perser hat ebenso zur Entstehung der Theurgie beigetragen wie die der Ägypter, bei denen Hermes Trismegistos der Überlieferer ist. Diese Schrift wurde in der Kommentierung und Übersetzung des Johannes Acerius Theodoretus Frisius im 18. Jahrhundert verbreitet. Iamblichos: De vita Pythagorae & Protepticae orationes ad philosophiam libri II. Hg. v. Johannes Acerius Theodoretus Frisius. Heidelberg 1958, vgl. dazu Danton B. Sailor: Moses and Atomism, in: Journal of the History of Ideas 25 (1964), S. 3–6; Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 339. Z.B. geht Bücher auf die Metempsychose des Pythagoras ein und wendet sich gegen deren allegorisch-moralische Deutung mit dem Argument, dass sie eigentlich ein Werk der bösen Zauberei sei. Christian Friedrich Bücher: Plato Mysticus in Pietista Redivivus, S. 7: „Ich kann demnach mich nicht genugsam verwundern über einige Gelehrte unserer Kirchen / welche die Metempsychosis oder Seelen=Wechsel der Pythagoreer Allegorisch von denen Sitten der Menschen verstehen / da doch eben diese Lehre von der Ausfahrt der Seelen aus einem Leib in den andern / oder daß sie ausser dem Leibe seyn / und verborgene Dinge an anderen Orthen erfahren könne / das fürnehmste Fundament der Zauberischen Abgötterey gewesen / welche der Teufell unter den Aegyptiern in Africa; unter die Araber / Chaldeer / Perser / Indianer in Asia / unter die Druiden oder gelehrten Gallos und Thracier in Europa / daß ich der Griechen und Italiaener in der Schulen Pythagorae und Platonis nicht gedencke / und als in der gantzen Welt ausgebreitet.“ Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 36, Sp. 1173: „Auch dieses glaubte Pythagoras, daß die Seelen der Menschen ihren Aufenthalt in den thierischen Cörpern nehmen; nur scheinet dieser Unterschied zwischen ihnen [den Egyptiern und Pythagoras] gewesen zu seyn, daß die Egyptier sagten, es müste eine jede Seele erst in den Cörpern der Thiere herum wandern, wenn sie ihren Lauf vollendet, so käme sie wieder in einen menschlichen Cörper; da hingegen Pythagoras meynte, dass die Selen mancher Menschen un-
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hier nur am Rande vermerkt, in Schillers Romanfragment Der Geisterseher. Darin tritt ein mysteriöser Armenier auf, der nicht nur als Emissär des Jesuitenordens begriffen, sondern zudem mit Apollonius von Thyana verglichen wird. Meier scheint diesen dämonisierenden Rezeptionsstrang nicht weiter zu verfolgen. Möglicherweise greift dieser Verzicht auf die Schrift von Gabriel Naudé zurück,68 eine Apologie, die Pythagoras vom Vorwurf der Zauberei und Dämonie zu befreien versuchte. Höchstwahrscheinlich hängt er jedoch mit einem Aktualitätsbezug zusammen. Meier konzentriert sich an dieser Stelle indes auf jene Aspekte der Metempsychose-Lehre, die seiner Auffassung zufolge Affinitäten zur Leibnizschen Philosophie aufwiesen. Die pythagoreische Theurgie und Zauberei finden dabei keine Beachtung. Vermehrt diskutiert werden sie jedoch wieder um 1800, zu einem Zeitpunkt also, als die Arkansysteme der Spätaufklärung eine wichtige politische Rolle zu spielen beginnen. Von der antiken ist eine zu Meiers Zeit aktuelle Seelenwanderung abzugrenzen. Meier folgt hier zunächst der Wolff-Schule, genauer der Konzeption seines Lehrers Alexander Baumgarten. Letzterer legte mit seiner Metaphysik von 1779 eine Metempsychose-Konzeption vor, die von einer über den Tod fortbestehenden Repräsentationskraft der Monade ausging.69 Auch Baumgarten grenzte sich in diesem Zusammenhang von der antiken Metempsychose als immediater Reinkarnation ab.70 Hinweise auf die protestantische Bewertung der Metempsychose liefert auch die Schrift des Tübinger Theologen Adam Osiander, die die Wiederverkörperung nicht als grundsätzlich häretisch einordnet,71 sondern lediglich die Annahme einer Wiederverkörperung vor dem Tag des Jüngsten Gerichts. Verketzert wurde demnach vor allem die Meinung, die Seele ginge unmittelbar nach dem Tod in einen
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mittelbar in andere menschliche Cörper, einige aber in viehische Cörper führen.“ Ideengeschichtlich signifikant an der theurgischen bzw. magischen Pythagoras-Rezeption ist ihr Verhältnis zur hermetischen Philosophie, wie sie seit der frühen Neuzeit mit Ficino überliefert ist. Zur Eigenständigkeit der Pythagoras-Rezeption des 18. Jahrhundert vgl. Brian Copenhaver: Natural Magic, Hermetism, and Occultism in Early Modern Science, S. 261–301, hier S. 268. Gabriel Naudé: Apologie pour tous les grands personnages qui ont ésté faussement soupçonnez de magie. La Haye 1653. Baumgarten: Metaphysik, § 785, Artikel ‚Monade‘ in: HdPh, Bd. 6: Mo–O, Sp. 114–125, hier Sp. 120. Mulsow: Monadenlehre, Hermetik und Deismus, S. 149. Christliche Auferstehungsvorstellungen wurden auch als Wiedervereinigung der anima separata mit ihrem Körper gedeutet. Vgl. [Anonym]: Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, S. 36, Sp. 1172–1176. In der umfangreichen Literatur zum status animae separatae hatten sich innerhalb der orthodoxen Lehrtradition jedenfalls verschiedene Meinungen ausgebildet. Im Zusammenhang mit der Lehre von der Unsterblichkeit setzt sich die Meinung durch, dass die Seele post mortem corporis nicht nur „supermanet et separatim vivit“, sondern auch „cogitat, percipit, intelligit etc.“
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irdischen Körper über („ex suis corporibus in alia corpora“).72 Auch Meier weist die antike Lehre mit dem Verweis auf die sofortige Wiederverkörperung ab:73 Diejenigen also, welche die Unsterblichkeit der Seele glaubten, nahmen zugleich an, daß die Seele, nachdem sie durch den Tod von dem Körper […] getrennt worden, gleich wiederum mit einem andern Körper vereiniget werde. Die Alten versahen es darin, daß sie diesen Körper zu genau bestimmen wollten, und sie erdichteten die abgeschmackte Seelenwanderung. Nachher haben die meisten behauptet, daß die abgeschiedenen Seelen gleich wiederum Körper bekämen.74
Es ist also nicht die Vorstellung von der Wiederverkörperung überhaupt, sondern vor allem die Vorstellung von der unmittelbaren Wiederverkörperung, welche innerhalb der Orthodoxie auf Kritik stößt. Meiers Anlehnung an diese Kritik lässt sich an einem semantischen Detail ablesen: „gleich wiederum“. Mit ihm signalisiert er seine Distanz gegenüber antiken Ausformungen, hält aber zugleich an der Möglichkeit einer im christlichen Sinn orthodox zu verstehenden Auferstehung fest.75 Entscheidend ist nun aber, dass sich Meier der antiken Metempsychose bedient, um damit zugleich aktuelle Unsterblichkeitslehren zu bewerten. In bestimmten Aneignungen des Leibnizianismus sieht er nämlich eine moderne Version der antiken Lehre, die er vor dem Hintergrund eines aberglaubenskritischen Schemas deutet und als Aktualisierung eines vorchristlich-paganen Theologoumenon begreift.76 Die neue Unsterblichkeitsvorstellung werde von einer Fraktion der Leibnizianer vertreten, die Meier ironisch als „seine ächten Schüler“77 bezeichnet. Sie gingen davon aus, die Seele erhalte unmittelbar nach dem Tod einen neuen Körper, der mit ihrem irdischen Körper in einer Ähnlichkeitsbeziehung stehe. Damit vertraten sie – so Meier – eine häretische Annahme. Obschon er an dieser Stelle den Häresieverdacht aufgreift, sei darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff ‚Häresie‘ die spezifische Dynamik der im Folgenden skizzierten Diskussion nur unzureichend beschrieben ist. Der Begriff impliziert ein einseitiges oder unausgewogenes Kräfteverhältnis bzw. eine Deutungshoheit, die um 1750 nicht mehr in gleicher Weise 72
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Johann Adam Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione, S. 6. Dazu Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 763, der als Namen Johann Adam angibt. Gemeint ist damit nicht der Tübinger Osiander, der 1697 in Tübingen starb. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 27 und 33. Ebd., S. 27. Zwar ist sie auch eine im christlichen Rahmen vertretbare Auffassung. Sie bleibt dort allerdings Heiligen oder Propheten vorbehalten, die nicht in einen irdischen, sondern in einen ihnen von Gott verliehenen „corpus gloriosus“ zurückkehren. Osiander: Dissertatio Psychologia de Transmigratione Animarum, S. 6. Ebd. Für die Argumentation ist die Opposition von Einbildung und wahrer Erfahrung zentral. Hierin liegt ein Unterschied zu frühneuzeitlichen Gespensterauffassungen, wie sie z.B. noch mit Ludwig Lavaters Traktat De spectris vorliegt. Jener hatte nämlich das Erscheinen der Gespenster damit erklärt, dass sie gehört oder gesehen oder gefühlt werden, ohne dabei allerdings auf ihre körperliche Existenz einzugehen. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 28.
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gegeben ist wie noch im 17. Jahrhundert. Wenn Meier sich an dieser Stelle mit der Metempsychose kritisch befasst, dann greift er keineswegs eine durch den Druck der Orthodoxie marginalisierte Fraktion an, sondern richtet sich gegen eine ausgesprochen virulente Form frühneuzeitlicher Religiösität.78 Die „ächten Schüler“ hätten den Satz der Seelenwanderung nun nicht nur als metaphysische Möglichkeit angenommen, sondern ihn darüber hinaus zu beweisen versucht. Sie applizierten einige Grundaxiome des Leibniz’schen Systems wie die These vom Zusammenhang („die Natur macht keinen Sprung“). Meiers Kritik an der modernen Variante der Metempsychose ist zunächst erklärungsbedürftig. Sie lässt sich nicht angemessen erfassen, ohne dass zuvor die historischen Referenzen, auf die er Bezug nimmt, erläutert werden. Die Aktualisierung vollzieht sich insbesondere auf drei Wissensfeldern: zum einen dem der Astronomie und in vitalistischen Deutungen der Seelenwanderung, zum anderen in der jüdischen Reinkarnationslehre. Diese sollen hier kurz dargestellt werden, um die Schnittstellen und ideengeschichtlichen Vorrausetzungen zu verdeutlichen, die die Implementierung der Metempsychose-Lehre in die Aufklärung ermöglichten.
8.3. Die astronomische Auslegung der Metempsychose Die Parallelen, die Meier zwischen der ‚leibnizianischen‘ und einer antiken Metempsychoselehre sieht, werfen vorab die Frage auf, worin genau ihre Anschlussfähigkeit um 1750 bestanden hat und inwiefern diese Lehre in der fachwissenschaftlichen Diskussion aktualisiert wurde. Die wegweisende Arbeit von Francis Yates subsumierte dieses ideengeschichtliche Feld unter den Hermetismus, der, so Yates, ein zentraler Bezugspunkt für die Formierung der New Science sei.79 Auch wenn die neuere Forschung eher dazu tendiert, den Atomismus als ideengeschichtliche Basis für die Formierung der New Science in Anschlag zu bringen,80 hat Yates mit ihren Arbeiten auf einen Kontext hingewiesen, der für Astronomen und andere Wissenschaftler eine konzeptionelle Bedeutung und eine strategische Relevanz hatte. Aufschlüsse über mögliche Implementierungswege der Seelenwanderungslehre ins akademische Milieu liefert eine im Umfeld von Mathematik, Astronomie und Medizin situierte Schrift, die vom Wittenberger Gelehrten und Astronomen Ambrosius Rhodius verfasst wurde. Rhodius, seit 1608 Professor der Mathematik, legte nicht nur eine kommentierte Euklid-Ausgabe vor,81 sondern befasste sich 78 79 80 81
Anne-Charlotte Trepp: Einleitende Bemerkungen, in: dies. / Hartmut Lehrmann (Hg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis, S. 9. Francis Amelia Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition. London 1964. Copenhaver: Natural Magic, S. 261. Ambrosius Rhode: Euclidis Elementorum libri 13. Succincitis et perspicuis demonstrationibus comprehensi à Ambriosio Rhodio. Wittenberg 1661.
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ausführlich mit der Metempsychose und ist zumindest den Lexikographen seit 1700 wohl als Vertreter eben dieser Lehre bekannt.82 Sein breit rezipierter Vorstoß – unter dem Titel Dialogus de transmigratione Pythagorica 1639 in Kopenhagen erschienen83 – setzte mit einer spezifischen Interpretation des Seelenwanderungsbegriffes ein, der auf dem Prinzip der Teilhabe, der Weltseele und einer universalen Lebenskraft basierte. Rhodius bemühte sich dabei um den Ausweis kosmischer Rotationskräfte, mit denen sich Planetenbewegungen erklären ließen. Rezeptionsniederschläge dieser Theorie finden sich in Walchs Artikel zur ‚Seelen-Wanderung‘ sowie im gleichnamigen Eintrag in Zedlers Lexikon. In der schon zitierten Passage heißt es mit Bezug auf Rhodius: Nur ist man nicht einig, wie solche Wanderung der Seelen zu verstehen sey. Denn einige legen dieser Lehre einen verblümten Verstand bey, als hätte Pythagoras nur seinen Schülern ein Bild vorstellen wollen, und damit gesucht, selbige von den Lastern, und insonderheit von den Wollüsten abzuhalten, dergleichen allegorischen Sinn unter anderen dieser Meinung beygelegt haben Ambrosius Rhodius de transmigratione animarum Pythagorica.84
Die Zedler-Passage erklärt Rhodius nicht nur zum Vertreter einer allegorischen Auslegung, sondern, und das macht sie so instruktiv, spart zudem zentrale Elemente seiner Lehre aus. Weniger als um eine moralische Deutung der Tierinkarnation ging es Rhodius indes um den so genannten symbolisch-philosophischen Gehalt, vor allem um die pythagoreische Sphärentheorie und Planetenlehre. Er deutete die Metempsychose vor diesem Hintergrund als planetarische Revolutionstheorie.85 Zwar sind Rhodius’ Schriften nicht ähnlich breit rezipiert worden wie die Keplers und Galileis. Der Aufklärung wird er jedoch über Daniel Georg Morhofs Polyhistor vermittelt. Morhof nimmt Rhodius’ Traktat zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Metempsychose-Lehre, die er dezidiert von der pythagoreischen absetzt.86 Zugleich entwirft er ein Gelehrsamkeitsideal, das neben dem Plädoyer für eine möglichst breite Aneignung tradierten Wissens die Auslegungskunst der alten Poeten umfassen sollte.87 In Lessings Komödie Der junge Gelehrte wird eben 82
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Vgl. ADB, Bd. 28. Berlin 1970, S. 392; ferner: Christian Gottlieb Poggendorff: Biographisch=litterarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften. 2. Bd. Leipzig 1863, Sp. 621; Johann Christian Jöcher: Allgemeines Gelehrten=Lexikon. 3. Bd. Leipzig 1751, S. 2050. Vgl. dazu Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 299. Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 36, Sp. 1172. Zu den allegorischen Auslegern der Lehre zählt auch Whitelocke Bulstrode, der unmittelbar nach Rhode genannt wird. Der Artikel ,Pythagoreische Philosophie‘, in: Zedlers grosses Univerallexikon, Bd. 29, Sp. 1862, erwähnt noch zwei weitere zentrale kosmologische Theoreme: die These der Erdrotation um die Sonne sowie die Auffassung, die Sterne seien Planeten. Rhodius wird von Morhof in seiner Schrift Polyhistor. Literarius Philosophicus et Practicus (1688/1692). Lübeck 1747, Bd. II, S. 18, erwähnt. Zitiert nach Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 757. Dazu auch [Anonym]: Artikel ‚Polyhistorie‘, in: Zedlers grosses Universallexikon. Bd. 28. Leipzig / Halle 1741, Sp. 1319.
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dieser Gelehrtenstil in der Figur des Damis vorgeführt und verspottet. Ein historisches Vorbild der Persiflage ist, so berichtet es auch Hoffbauer in seiner Geschichte der Universität, in der Halleschen Szene zu finden. Gemeint war damit ein 15-jähriger Student der Mathematik, der profunde Kenntnisse über diverse frühneuzeitliche kosmologische Traktate angesammelt hatte und als Genie seiner Wissenschaft gefeiert wurde. Dieses Vorbild dürfte auch Meier noch geläufig gewesen sein.88 Die zunehmende Verspottung des polyhistorischen Gelehrtenideals, wie es sich mit Lessing ankündigt und auch in Goethes Faust-Dichtung noch nachweislich ist, koinzidiert im 18. Jahrhundert wohl nicht zufällig mit der Abkehr von bestimmten Ausformungen der Monadologie und dem Geltungsgewinn der Empirie. Die mit dem polyhistorischen Ideal verbundene Auffassung von der Unwandelbarkeit und Einheit des Wissens, die in gleichem Zug an Bedeutung verliert, scheint dem Ausdifferenzierungsdruck des Wissenssystems nur bedingt standgehalten zu haben.
8.4. Meiers Kritik an vitalistischen Metempsychose-Deutungen Während mit der Pythagoras-Rezeption Rhodius’ und ihrer Implementierung ins deutschsprachige Aufklärungsfeld eine kosmologisch-symbolische Auslegung der Seelenwanderung vorlag, die den Pythagoreismus unter Rückgriff auf ein bestimmtes Exegeseverfahren zu erneuern versuchte, ist für den Halleschen Kontext eine weitere Adaptation nicht minder bedeutend. Sie wird vom niederländischen Theologen Johannes Gerardus Vossius (1577–1649) in seiner 1700 posthum erschienenen Abhandlung De Idolatria Gentili vertreten.89 Die Abhandlung wird im deutschen Sprachraum vielfach wahrgenommen,90 das gilt besonders für das Kapitel zum möglichen Verbleib der Seele post mortem. Vossius vertritt darin die Auffassung, Seelen könnten sich nach dem Tod mit anderen Körpern verbinden und in ihre irdischen Elemente, aus denen sie zusammengesetzt seien, zurückkehren.91 88
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Vgl. dazu Charles Borden: The Original Model for Lessing’s ,Der junge Gelehrte‘, in: University of California Publications in Modern Philology 36 (1952), S. 113–127, sowie Wiedemann: Polyhistors Glück und Ende, S. 215–235. Johann Gerard Vossius: De Idolatria Gentili. Amsterdam 1700, Buch 3, Kapitel 40, S. 930. Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione Animarum Humanarum, S. 4f. „Ita lego apud GERARDUM IOANNEM 1) VOSSIUM, fuisse quosdam, qui animarum transmigrationem sic docuerint, ut animam inferiorem, diversam a nobiliore, communem nobis cum multis animantibus, in suam abire materiam dicerent, non secus a corpora, ex elementis composita, in sua vereantur.“ Osiander zitiert auch Gothard Haffners Diss. metaphys. de Transmigratione animarum quatenus ex Lumine Ratione cognosci potest. Er erwähnt die Auffassung von der Seelenwanderung, in deren Rahmen ein seelisches Belebungsprinzip vorausgesetzt wird, das allen Lebewesen gemein ist. Zweitens geht er auf die Debatte ein, ob die Seele in den organischen Teilen des Körpers, mit denen sie verbunden war und die auch nach dem Tod noch bestehen, ebenfalls koexistiert. Vossius: De Idolatria Gentili, Buch 3, Kapitel 40, S. 930.
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Demnach waren die niederen, materiellen und elementaren Seelenteile, die primär eine Belebungsfunktion hatten, von höheren kognitiven (geistigen) Anteilen unterschieden. Im Tod trennten sich die in die Elemente zurückkehrenden niederen Teile von der rationalen kognitiven Seele. Diese Konzeption wies durchaus Ähnlichkeiten zu der auch von Paracelsus und Böhme vertretenen auf; wie diese sah sie ein dreistufiges Modell vor (Körper, Seele, Geist).92 Dass sich dabei mögliche Überschneidungen zu Seelenauffassungen und Entstehungstheorien ergeben, die später mit Bonnets Palingenesie aktualisiert wurden, ist wahrscheinlich, kann hier jedoch nicht näher untersucht werden.93 Mit der Differenzierung rationaler und niederer Seelenanteile und mit der Beschränkung der Transmigration auf die unteren Lebensteile scheint die Reinkarnationslehre jedenfalls in einem naturphilosophischen Kontext adaptierbar. Zeigen diese mathematischen und (im weitesten Sinn) vitalistischen Deutungen der Metempsychose die grundsätzliche Kompatibilität der Lehre mit frühneuzeitlichen Wissensbeständen, dürfte für die Zuweisung der Metempsychose zur Leibnizschen Philosophie noch ein anderer Kontext zentral sein.
8.5. Gilgul-Lehre, kabbalistische und Archäenwanderung Mit den Worten „daß die abgeschiedenen Seelen gleich wiederum einen Körper bekämen“ 94 grenzt Meier nicht nur antike von christlichen Wiederverkörperungsvorstellungen ab. Die scheinbar beiläufig angeführten Worte „gleich“ und „wiederum“ haben in diesem Zusammenhang eine weitere Signalfunktion.95 Denn die Auffassung einer unmittelbaren Transformation war um 1700 nicht zuletzt mit jüdischen Reinkarnationsvorstellungen verbunden.96 Mit der knappen Formulierung „gleich wiederum“ paraphrasiert Meier eine als modern verstandene Transformationslehre, die seit Reuchlins De arte cabbalistica einen wesentlichen Be92 93
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Siehe auch Oeder: Von einigen antiquonovis physicis, S. 784. Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 305, subsumiert Stahl nicht unter die Vitalisten. Zur möglichen Adaptation der Lehre in Halle um 1700 vgl. Heinrich Henrici (Praes.) / Johann Michael Glaschke (Resp.): De animarum transmigratione. Diss. Halle 1699. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 28. Der Hinweis „gleich“ und „wiederum“ ist instruktiv, weil er nach Meier eine Differenz zwischen der christlichen Wiederverkörperungslehre und der antiken Metempsychose markiert. Mit der christlichen Auferstehungslehre harmonisieren ließ sich die antike Seelenwanderungsdoktrin nur, wenn die Möglichkeit einer immediaten Reinkarnation ausgeblendet werden konnte. Innerhalb der jüdischen Gilgul-Lehre ließ sich die Migration verschieden auslegen. Sie erfolgte entweder entlang einer horizontalen Achse oder vertikal als Aufstieg. Das erste Modell diente der genealogischen Sicherung der Prophetenreihung von Adam über David bis zum Messias. Das zweite Modell wurde durch die Vorstellung eines Involutions- bzw. Sublimierungsprozesses getragen. Es betraf den Übergang der individuellen Seele und den Aufstieg zu einer höheren, d.h. dem Ursprung näheren Emanationsstufe.
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standteil des (neu)platonischen Pythagoreismus darstellt. Um diese Zusammenhänge zu erhellen und um zu zeigen, inwiefern sich die frühneuzeitlichen Rezeptionsmuster in die mittlere Aufklärung tradiert haben, ist ein Blick auf die in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Meiers Traktat entstandene Dissertation des Jenaer Theologen Jacob Wilhelm Blaufus aufschlussreich. Dort heißt es zu diesem Kontext: De Gilgul in sensu strictiori hic nobis erit agendum; atque quid de hoc credant Iudaei euoluendum. Iuxta illud credunt illam animam, quae est fundamentum vitae, migrare post mortem corporis prioris in aliud eo ipso formatum momento, quo e priori corpore discedit. Anima autem omnis iuxta plurimorum Kabbalistarum sententiam volui debet per corpora. Homo sive pius sit, sive impius, migrare debet, eoque ipso iam differunt ab illa Pharisaeorum metempsychosi, de qua Iosepum loqui probabile est, hi enim tantum iustorum animas migrare existimarunt.97
In Blaufus’ Paraphrase der jüdischen Unsterblichkeitslehre (Gilgul) spielt die Annahme einer unmittelbaren Formierung eines neuen Körpers (formatum momento) eine gewichtige Rolle – auch im Zusammenhang mit den Wiederbringungs- und Erlösungslehren. Zwar wird der Formationsprozess in der Regel nicht näher beschrieben,98 doch finden sich hier bereits Transformationsvorstellungen, die (wie auch die vitalistischen Auslegungen) von einer Reinkarnation im engeren Sinn zu unterscheiden sind.99 Als Quelle der jüdischen Inkorporationslehre fungiert Josephus Flavius; ein locus classicus ist ferner die kabbalistische und prä-lurianische Seelenwanderungslehre, wie sie im mittelalterlichen Buch Sohar vermittelt wird. In einer lateinischen Version liegt das Buch dem 18. Jahrhundert in der Cabbala Denudata Christian Knorr von Rosenroths vor.100 Zwar hat der Begriff „Gilgul“ im Aufklärungsmilieu keine sonderliche Karriere gemacht, er hängt jedoch aufs engste Jacob Wilhelm Blaufus (Praes.) / Christoph Heinrich Kirchner (Resp.): [ גלגול נשמותGilgul nesamot] sive Transmigratio animarvm praesertim secvndvm iudaeorvm explicationem. Dissertatio Historico-Philologica Posterior. Quam Deo adiuvente Rectore magnificentissimo Serenissimo Principe Ac Domino, Domino Ernest Augusto Duce Saxoniae ivliaci cliviae montivm angariae et guestphaliae [...]. Jena 1745, S. 11; siehe dazu Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 765 sowie 315. 98 Eine Ausnahme bilden Jacob Wilhelm Blaufus (Praes.) / Christoph Heinrich Kirchner (Resp.): [ גלגול נשמותGilgul nesamot] sive Transmigratio animarvm, S. 10. 99 Gershom Scholem: Artikel ‚Gilgul‘, in: Encyclopaedia Judaica. Vol. 7. Jerusalem 1971, Sp. 573–577, hier Sp. 576. Die Transmigration wurde von frühen Kabbalisten als eine Bestrafung angesehen, die, so im Buch Bahir, 1000 Jahre dauern sollte. „Perhaps this version of the doctrine of gilgul should be seen as an answer to philosophical criticism based on the Aristotelean definition of the soul as the ‚form‘ of the body which consequently cannot become the form of another body.” 100 Christian Knorr von Rosenroth: Kabbala Denudata Seu Doctrina Hebraeorum Transcendentalis et Metaphysica atque thoelogica opus Antiquissimae Philosophiae Barbaricae variis speciminibus refertissimum […] Sulzbach 1677, vgl. Scholem: Artikel ‚Gilgul‘, Sp. 574; Alison P. Coudert: The Kabbala Denudata. Converting Jews or Seducing Christians? in: Jewish Christians and Christian Jews. Hg. v. Richard H. Popkin / Gordon M. Weiner. Dordrecht 1994, S. 73–96; dies.: A Cambridge Platonist’s Nightmare, in: Journal of the History of Ideas 36 (1975), S. 633–652; Arnold Fuchs: Christian Knorr von Rosenroth. Ein Beitrag zu seinem Leben und seinen Werken, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 35 (1914), S. 548–583. 97
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mit der breit rezipierten „Archaeus“-Theorie zusammen,101 die nun in der Tat Aufschlüsse über die von Meier näher in den Blick genommene Gruppierung liefert. Die Erneuerung der jüdisch-kabbalistischen Unsterblichkeitslehre ist um 1700 besonders mit dem Namen Mercurius van Helmont verbunden. Er unterhielt enge Kontakte zu den Cambridger Platonikern und wurde der deutschsprachigen Aufklärung unter anderem über Leibniz bekannt.102 Van Helmont galt als Modernisierer der kabbalistischen Metempsychose; diesbezüglich einschlägig waren seine anonym erschienene Schrift De Revolutione Animarum (1684) sowie das so genannte Seder Olam von 1693.103 In diesen Schriften rekurriert er ausführlich auf die jüdische Kabbala.104 De Revolutione Animarum referiert die Hauptgedanken zur Seelenwanderung, die dem angeblich orientalischen Manuskript des Kabbalisten R. T. Tischak Loriensis [= Isaac Luria] entnommen waren.105 Wichtig für den vorliegenden Kontext sind insbesondere die Problemata 189–195, welche die antike Metempsychose-Lehre von Pythagoras und Platon diskutieren. Van Helmont, der die Metempsychose gleich zu Beginn des Absatzes ebenfalls als häretisch bezeichnet, führt an dieser Stelle eine Unterscheidung zwischen Metempsychosis und Metemsomatosis ein.106 Während die Metempsychose die Reinkarnation 101 102 103
Scholem: Artikel ‚Gilgul‘, Sp. 575. Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa, S. 272f. Osiander (Praes.): Dissertatio Psychologica de Transmigratione Animarum, S. 86: „Errorem Pythagoricum sub finem prioris seculi renovasse HELMONTIUM, refert Grapius, Theol. recens controversa absoluta p. 122 seqq. Dicitur ille affirmasse, animas defunctorum, nisi in fide decesserint, ex uno corpore devolvi in aliud, & duodecim distinctis vicibus in hunc mundum renasci.“ Osiander zählt van Helmont allerdings nicht zu den Erneuerern der kabbalistischen Tradition, obschon er sich mit dieser ebenfalls auseinandersetzt. In den §§ 84f. wird die kabbalistische Wiederverkörperungslehre als blasphemisch bezeichnet, Osiander meint damit vor allem die Seelenwanderung der Unfrommen sowie die Reinkarnation von Adam und David in den Messias. Vgl. ebd. S. 57f. 104 Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 381. 105 Hier van Helmont: De Revolutione Animarum Humanarum Quantana sit Istius Doctrinae Cum Veritate, Christiane Religionis Conformitas [...]. Problematum Centurae duae. London 1684. Schon van Helmonts Wortwahl weist Parallelen zu dem eingangs von ihm zitierten Manuskript Isaac Lurias auf. Das Kompendium Knorrs enthält nicht nur einen Abdruck des erwähnten Manuskripts, bei dem es sich um das Liber Drushim Lurias handelt, sondern auch eine ausführlichere Darstellung der Vier-Welten-Lehre. Vgl. dazu Tractatus I. Libri Drushim, seu Introductio Metaphysica ad Cabbalam Autore R. Jizchak Loriense, in: Christian Knorr von Rosenroth: Kabbala Denudata, Seu Doctrina Hebraeorum Transcendentalis et Metaphysica […]. Bd. 1. Sulzbach 1677, S. 28–51, hier S. 44: „Alibique expositum est, quodomo ista Nekuddim sint Notio septem Regum Edomiticorum; qui mortui sunt, & postmodum restituti, & postquam rectè constituti fuerunt, inde facta est Notio 4. Mundorum Emanationis, Creationis, Formationis & Factionis.“ Vgl. dazu auch die Anmerkungen Mores: Quaestiones & Considerationes paucae brevesque in Tractum promum Libri Drushim. Sive Introductionem Metaphysicam ad Cabbalam Genuinam, Autore R. Isaaco Loriensi, in: Knorr: Kabbala Denudata, S. 62–72, hier S. 64: „Caeterum quod quatuor Mundos attinet, videe. Emanationis, Creationis, Formationis, & Factionis, equidem non intelligo aliorum ab aliis distinctionem.“ 106 Van Helmont: De Revolutione Animarum, Problema CXCII, S. 137: „licet enim Pythagoras, Platoque multique alii inter Philosophos quam maxime celebres, etiam statuerent revolutionem quandam non tam erat Metempsychosis sive transanimatio, quam Metemsomatosis sive trans-
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in Tieren meint, versteht er unter Metemsomatosis eine Transformation der Monade. Die Unterscheidung basiert auf einer Konzeption der Monas als einer ihrem Wesen nach unveränderlichen seelisch-körperlichen Einheit, die eine direkte Teilhabe als Mensch-Monade an der göttlichen aufweist.107 Als weiteres Spezifikum von van Helmonts Restitutionslehre galt ihre doppelte Ausrichtung; sie basierte auf geometrischen Überlegungen und trug zu einer Schematisierung des Modells bei. Die Seelenwanderung ließ sich demnach sowohl vertikal-transzendent als auch horizontal-immanent deuten. In van Helmonts geometrischer Abbildung entsprach die horizontale Restitution einer rectilinearen Figur, die vertikale dagegen einer cirkulären Figur. Beide zusammen machten das so genannte pythagoreische Tetractys aus. Das vertikale Modell war wesentlich für die Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Welt sowie für die Revolution der Seele in mögliche reelle Welten zuständig. Es folgte zugleich einem apologetischen Interesse108 und stellte eine Auseinandersetzung mit der christlichen Verdammungslehre dar.109 Die horizontale Interpretation diente van Helmont hingegen zur Deutung der Prophetenreihe von Adam bis Christus. Die Reihenbildung ließ sich als Reinkarnationsmodell oder – metaphorisch – als Traditionszusammenhang begreifen.110 Damit schien ein Kon-
corporatio, prout dici solet, illorum tamen opinio quam plurimum differebat ab opinione hic proposita.“ Auf die gleichsam vitalistisch wie materialistisch deutbare Nivellierung der essenziellen Differenz von spiritus und corpus, die schließlich auch einen Angriff auf personale bzw. individuelle christliche Unsterblichkeitsvorstellungen darstellte, geht er nicht ein. Vgl. Mercurius van Helmont: Seder Olam Sive ordo Seculorum, Historia, Enarratio Doctrinae. O.O. 1693, S. 3: „Quia Deus tantum unus est, nomina trium Personarum improprie admodum Mysterio Patris, Verbi & Spiritus Sancti applicantur“, sowie S. 8: „Spiritus igitur & corpus contrarias sibi invicem essentias non habent, ut falso & vanè affirmatur a multis, omnis enim spiritus creatus corporeus est, veram corporis essentiam & naturam in se habens, nempe ut sit ens extensum, finitum, locatum, mobile & c.“ sowie ebd.: „Et ideo anima humana (quae & spiritus est) corporea est, veram corporis naturam & essentiam in se complectens, angeli quoque purrissimi & spirtudissimi corporei sunt, & corpora quasi spiritualia.“ 108 Van Helmont: De Revolutione Animarum, Problema CIVL, S. 109: „Cum Atheismus morbus videatur istius aevi endemicus: Satanasque singulari studio inter Nationes populorum ista nunc seminet zizania, eò quod tempus perfectioris reformationis instet, quae ex uberiore Dei cognitione mox oritura est: Cumque porro unum ex ordinario Atheisticorum spirituum axiomatibus, quibus Atheistica sua principia compluribus suis mirum in modum inculcant, sit hoc: quod communem Dei ideam ex hoc conceptu infinitae damnationis involvere dicant contradictionem in adjecto; liceat, quaeso, hoc ipsum paulo profundius examinare; Ita autem argumetantur: Deus communiter dicitur esse Amor; item esse immutabilis; atque amasse omnes creaturas suas.“ 109 Peter Harison: Animal Souls, Metempsychosis, and Theodicy in Seventeeth-Century English Thought, in: Journal of the History of Philosophy 31 (1993), S. 519–544, hier S. 535. 110 Mit dem Begriff ‚Tradition‘ wird hier eine Kontinuität suggeriert, die freilich kaum bestanden hat. 107
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zept vorzuliegen,111 das zugleich eine Herrschaftsübertragung oder auch eine Tradierung von Geheimwissen umfasste. Zwar differenziert van Helmont zwischen Gott, der Formenwelt und der geschaffenen Welt und damit auch zwischen kreierter und fabrizierter Welt. Den Revolutionsprozess der Seele beschreibt er aber als Rückgang von der faktischen in die reelle Welt,112 ihr Zusammenhang wird oft als Archäenwanderung begriffen. Inwieweit van Helmont mit dem „Archäus“ an eine Weltseele bzw. an eine spiritus-mundi-Konzeption anknüpft, die in der Tradition der hermetischen Physik auch als Bewegungsprinzip gedeutet wurde,113 sei dahingestellt. Unabhängig von den primär theologischen Fragen ist van Helmonts Schrift jedoch deutlich in einem naturphilosophischen und kosmogenetischen Kontext situiert. Die Schrift De Revolutione nimmt jedenfalls eine Bestimmung der individuellen Substanz, der Unendlichkeit des Raums, der Vakuumtheorie und der Planetenbahnenberechnung vor. Mit seinem Traktat positioniert er sich in der spatium-Kontroverse und diskutiert zudem kritisch, so im Seder Olam, die Creatio ex nihilo. Eingang in das Aufklärungsmilieu fanden seine Schriften über kritische Rezensionen.114 Bereits im Erscheinensjahr der Quaestiones richtet sich Pierre
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Van Helmont: De Revolutione Animarum, S. 74, geht es um die Inkarnation in einen anderen Körper, in den Körper Christi, sowie um die Folge der Propheten Christus, Elias und Johannes. Van Helmont: De Revolutione Animarum, Problema CLVI, S. 117f.: „Nonne clarissimum est, quod fabricatio hujus mundi, quam describit Moses Gen. 1, praesupponit mundum alium ante hunc: cum ibi nulla fiat mentio, primo, creationis Angelorum; nec secundo; Animarum humanarum, quae tamen sunt primariae Dei creaturae, nec tertio; aquarum; nec tenebrarum quarto: Quippe quae jam praesupponuntur praeexistitisse? Adde quod Moses etiam nullibi dicat; mundum hunc immediatè creatum esse ex nihilo, Autorque in Epistola ad Hebr. Cap 11:3. dicat expressis verbis: mundum formatum esse ex non apparentibus: Nonne igitur merito concludere possumus, mundum hunc, qui describitur Gen. I. stricte loquendo, non esse mundum creationis, sed mundum factionis, sive fabricationis.” 113 So bei Nollius: Theoria Physica Hermetica, vgl. dazu Artikel ,Archäus‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 2, Sp. 1211–1217, hier Sp. 1214. 114 [Anonym]: De libro sapientiae, in: Observationes halenses. Bd. V. Halle 1702, S. 405–432, hier S. 423; weitere Rezensionen: [Anonym]: Rez. Beantwortung der Schein=Gründe, welche in dem neuen Seder Olam zum Beweiß der Seelen=Wanderung vorgebracht werden, in: Unschuldige Nachrichten von Alten und Neuen Theologischen Sachen. Leipzig 1704, S. 753–759; [Anonym]: Rez. Van Helmont: Seder Olam, in: Unschuldige Nachrichten Auff dass Jahr 1704, o.O. 1708, S. 650–654; Christian Krause: Recentiores de anima controversiae. Diss. Wittenberg 1717, S. 21, siehe Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 759. Bemerkenswert ist ferner, dass kurz zuvor in den Halleschen Observationes anonym eine Verteidigung des Pythagoras erschienen war, die auf die Degradierung Pythagoras’ zu einem Lügner reagiert. Gegen den Bischof von Worcester, der zwischen Pythagoras und anderen spätantiken Autoren unterschied, wurde dort ein Argument angeführt, das auch Meier übernimmt: nämlich die Vorstellung, die Reinkarnation, im Sinne einer leiblichen Erscheinung Verstorbener auf Erden, sei durchaus möglich. Vgl. [Anonym]: Apologia Pythagorae, praesertim contra episcopum Worcestriensem, in: Observationum selectarum ad rem litterariam spectantes. 10 Bde. Halle 1700–1705, Additamentum zu Bd. II (1700), S. 199–231, hier S. 216, zitiert nach Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 304; zu Thomasius siehe Martin Pott: Thomasius’ philosophischer Glaube, in: Christian Thomasius (1655–1728). Hg. v. Werner Schneiders. Hamburg 112
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Bayle vehement gegen van Helmonts Thesen. Wie Meier versteht er – so zumindest in der zweiten Besprechung der Quaestiones 200 (1690) – vor allem das horizontale Revolutionsmodell als eine neue Variante der antiken Metempsychose, wie er auch im Artikel ,Rorarius‘ ausführt. Er dürfte für Meier eine entscheidende Vorlage gewesen sein.115 Für die Ausbildung schematisierender Rezeptionsmuster ist aber in erster Linie die akademische Auseinandersetzung mit van Helmonts Schrift von Bedeutung, die besonders auf das Hypostasenproblem eingeht. Bereits 1699 reagierte der Theologe Johannes Schmid auf van Helmonts Seder Olam, indem er zunächst die Identität des Autors publik machte, einen Überblick über die Metempsychse-Lehre vermittelte und sie mit dem biblischen Schriftzeugnis zu widerlegen versuchte. Schmid griff in seiner Dissertation die Seelen-Revolution sowie die mit ihr verbundene Vorstellung einer zwölffachen Wiederkehr auf. Die Paraphrase erörterte – unter Auslassung der van Helmontschen Hypostasenspekulation – eine reale Reinkarnation in die Welt (hic mundus) und prägte damit eine Lesart, die eine physische Umdeutung der Helmontschen Archäenwanderung vornahm und zu ihrer Herauslösung aus dem emanationstheoretischen Rahmen geführt hat.116 Schmid richtete sich insbesondere gegen van Helmonts innertrinitarische Ableitung der Archäenwanderung und lieferte gerade dadurch, dass er den metaphysischen (neu)platonischen Rahmen kappte, einer naturphilosophisch-physischen Auslegung Vorschub, wie sie auch in die Leibniz-Rezeption Eingang gefunden hat.117
1989, S. 223–247. So auch Nicolas Hieronymus Gundling: Observationes selectae ad rem litterariam spectantium. 3 Bde. Halle 1737, §§ 33–37, S. 197–199. 115 Peter Baylens Historisches und Critisches Wörterbuch. Nach der neuesten Auflage von 1740. Leipzig 1741–1744, in einer kurz zuvor erschienenen Rezension hatte er offenbar keine Überschneidungen mit antiken Seelenwanderungskonzepten gesehen. Vgl. Nouvelles de la république des lettres, April 1684, in: Œuvres de Mr. Pierre Bayle. 4. Bd. Den Haag 1727–1731, I, S. 40f., zweite Besprechung I, S. 55–58. 116 Johannes Schmid: Exercitatio theologica inauguralis de multiplici Animarum reditu in Corpora. Autori Anonymo Tractatus Seder Olam opposita. Leipzig [ohne Angabe eines Praeses] 1699, Vorrede unpaginiert: „Autor Anonymus, praeter alia ingenii fanatici commenta, Metempsychosin quandam Orbi Christiano rursus obtrudere, atque animas defunctorum nisi in fide decesserint, ex suo corpore devolvi in aliud, & duodecim distinctis vicibus in hunc mundum renasci, ut satis interim temporis agendi seriam & sufficientem poenitentiam ipsis suppetat, quinquaginta ampluis argumentis probare non tantum sustinuit, sed isto quoque dogmate omnibus fere Christianae Religionis Mysteriis magnam accendi lucem, aliis persuadere voluit.” 117 Als Nachwirkung einer frühneuzeitlichen Tendenz Wilhelm Schmidt-Biggemann: Die Historisierung der ‚Philosophia Hebraeorum‘ im frühen 18. Jahrhundert. Eine philosophischphilologische Demontage, in: Aporemata. Kritische Studien zur Philosophiegeschichte 5 (2000), S. 103–128; ders.: Die philologische Zersetzung des christlichen Platonismus am Beispiel der Trinitätstheologie, in: Ralph Häfner (Hg.): Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher „Philologien“. Tübingen 2001, S. 265–302.
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8.6. Leibniz und van Helmont zur Metempsychose Leibniz, der mit van Helmont auf verschiedenen Wegen in Kontakt kam, kannte die oben skizzierte Diskussion. Seine Schriften weisen zahlreiche Referenzen auf van Helmont aus. Die Auseinandersetzung mit Letzterem dürfte sogar zur Ausbildung eines weiteren Rezeptionsstrangs beigetragen haben und wirft ein Licht auf die von Meier kritisierten, so genannten „ächten Schüler“. Relevant für diesen Kontext ist die Verbindung bestimmter monas-Konzepte mit dem horizontalen Transformationsmodell. Zwar sind Quellenlage und Rezeptionswege nicht durchgängig transparent und es lag der mittleren Aufklärung um 1750 lediglich eine umschriebene Auswahl von Leibnizens Schriften vor, doch lässt sich die von den Zeitgenossen mit dem Namen Leibniz assoziierte Position in etwa rekonstruieren. Dabei kommt vor allem der Monadologie eine zentrale Rolle zu. Die 1710 veröffentlichte Theodicée, die verschiedene Abschnitte zur Präexistenzlehre enthält,118 ist für diesen Kontext allerdings nur bedingt aussagekräftig, da sie noch keine ausgearbeitete Monadenkonzeption aufwies. Leibniz’ Monadologie, die 1714 in Frankreich verfasst wurde und zunächst ausschließlich in privaten Kreisen zirkulierte, erschien in ihrer heutigen Version erst um 1840. Sie wurde der mittleren Aufklärung über die 1720 vorgelegte Edition von Pierre DesMaizeaux, die so genannten Recueil des diverses pieces, sur la philosophie, la religion naturelle, l’histoire, les mathématiques119 vermittelt. Diese enthält einige Auszüge der Nouveaux Essais, Leibnizens Antwort auf Bayles Artikel ‚Rorarius‘, Auszüge aus der Korrespondenz mit Samuel Clarke, die einschlägigen Principes de la nature & de la grace, fondés en raison120 sowie die Reflexions de mr. Leibnitz sur l’Essai de l’entendement humain de mr. Locke. Von Bedeutung für die zwischen van Helmont und Leibniz ausgetragene Metempsychose-Diskussion ist hier das Konzept der individuellen Substanz. Deutlich hatte sich Leibniz dazu in den von 1703 bis 1705 verfassten Nouveaux Essais geäußert. In ihnen nimmt er kritisch auf van Helmonts Reinkarnationslehre Bezug: Der jüngere van Helmont glaubte, daß die Seelen von Körper zu Körper wandern, hierbei aber immer in ihrer Art verbleiben, so daß es stets dieselbe Zahl von Seelen derselben Art und folglich dieselbe Zahl Menschen und Wölfe geben müßte, und die Wölfe, wenn sie in England vermindert oder ausgerottet werden, sich anderswo entsprechend vermehren müßten.121
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Gottfried Wilhelm Leibniz: Versuche in der Theodicée über die Güte Gottes, S. 144f. Pierre Des Maizeaux: Receuil des diverses pieces, sur la philosophie, la religion naturelle, l’histoire, les mathématiques, &c. par mrs. Leibniz, Clarke, Newton, & autres auteurs célèbres. Amsterdam 1720. 120 Siehe dazu im Kontext des Monadenstreits [Anonym]: Entwurf einer kurzen Geschichte der Schriften von den Monaden, in: Göttingische Bibliothek. Bd. 2.1. Hannover 1749, S. 473. 121 Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen übe den menschlichen Verstand, in: Philosophische Werke in vier Bänden. In Zusammenstellung von Ernst Cassirer. Bd. 3. Hamburg 1996, S. 227, hier S. 219.
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Im Zentrum der Diskussion steht, ähnlich wie bei Schmid, das horizontale Transformationsmodell, das einen Übergang von einem geschaffenen Körper in einen anderen vorsah. Leibniz nennt diese Version der Metempsychose auch Transmigration. Das vertikale Stufenmodell, das die Transformation in eine höhere Monade implizierte und auf der Differenz zwischen kreiertem und fabriziertem Körper basiert, wird an dieser Stelle weder unter dem Stichwort Reinkarnation verhandelt noch als Metempsychose verstanden, was dafür zu sprechen scheint, dass es ein für Leibniz grundsätzlich akzeptables Erlösungsmodell darstellte. Wie van Helmont befasst sich Leibniz mit der Entstehung bei der Geburt und der Destruktion im Tod. Dabei hielt er wie ersterer wesentlich am Postulat der Subsistenz im Tod fest.122 Während van Helmont die Unsterblichkeitsfrage numerisch ‚löste‘, und zwar mit dem Verweis auf die Unveränderlichkeit Gottes, basiert Leibnizens metaphysische Bestimmung der Monade auf dem Universalkalkül. Bei van Helmont umfasst die Unveränderlichkeitsannahme und ihre Abbildung auf einer rein numerischen Bestimmung der Spezies die Gleichsetzung dieser beiden Größen. Die numerische Kontinuität (bzw. die Unveränderlichkeit der bestehenden Anzahl) der Monaden innerhalb einer Spezies spielt für van Helmonts Kontinuitätsauffassung eine wichtige Rolle. Leibniz löst die Subsistenz der individuellen Monade dagegen nicht numerisch, wie eine Passage aus den Nouveaux Essais erhellt: Was die sachliche Frage betrifft, so kann die Identität ein und derselben individuellen Substanz nur durch die Fortdauer derselben Seele aufrecht erhalten werden, denn der Körper ist in einem beständigen Fluß, und die Seele wohnt nicht in bestimmten, ihr zugehörigen Atomen, noch in einem kleinen unverweslichen Gebein, wie in dem Luz der Rabbiner. Indessen gibt es keine Seelenwanderung, in der die Seele ihren Körper gänzlich verläßt, um in einen anderen überzugehen. Sie behält immer, selbst im Tode, einen organisierten Leib, einen Teil des früheren, obgleich das, was sie behält, stets der Möglichkeit ausgesetzt ist, sich unmerklich zu zerstreuen und sich wiederherzustellen, ja zu gewisser Zeit eine große Veränderung zu erleiden. So findet also statt einer Seelenwanderung eine Umbildung, Ein- oder Auswickelung, kurz ein steter Fluß des Körpers dieser Seele statt.123
Leibniz vertritt hier die Auffassung, zur Aufrechterhaltung der individuellen Seelensubstanz sei kein physischer Körper notwendig, sondern ein organisierter. Die transformierte Monade stellt bei Leibniz also ein metaphysisches Modell dar, das sich kaum auf Form-Materie-Konzepte übertragen lässt und damit auch keine Anbindung an eine (wie auch immer verstandene) physische Monadologie rechtfertigt.124 Gleichwohl wurde genau diese Möglichkeit im Rahmen späterer Adaptationen erörtert und von einer Gruppe Monadisten angestrebt, die Leibnizens Modell 122
Hans Poser: Zum Begriff der Monade bei Leibniz und Wolff, in: Metaphysik, Ethik, Ästhetik, Monadenlehre. Akten des 2. Internationalen Leibniz-Kongresses, Bd. 3. Hannover 1972, S. 383–395. 123 Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 219. 124 Nikolaj Lossky: Leibniz’ Lehre von der Reinkarnation als Metamorphose, in: Archiv für die Geschichte der Philosophie 40 (1931), S. 214–226.
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als idealistisch verwarfen und die metaphysische Theorie des organisierten Leibs physisch umdeuteten. Dass es um 1740 zahlreiche Versuche gab, Leibnizens Monadologie mit der physischen zu kombinieren, ist von der Forschung bereits ausführlich beschrieben worden.125 Trotz der oben genannten Differenzen wurde Leibniz von seinen Zeitgenossen unmittelbar mit dieser Theorie in Zusammenhang gebracht.126 Allerdings blieb die Zuordnung umstritten. In der Kontroverse kristallisierten sich jedenfalls zwei Lager heraus, zum einen die Verteidiger Leibnizens, die ihn vom Vorwurf der Metempsychose freisprechen wollten,127 zum anderen seine Kritiker, die in ihm einen Vertreter des horizontalen Modells sahen.
8.7. Der ätherische Leib Wie einige seiner Zeitgenossen geht auch Meier von der Annahme aus, Leibniz hätte mit seiner Lehre vom organisierten Leib eine moderne Version der antiken Metempsychose-Lehre vertreten („bis endlich Leibniz diesen Satz angenommen [hat]“).128 Er zählt somit zu den Kritikern Leibnizens bzw. nimmt seine Lehre nach den Vorgaben einer physischen Monadologie wahr. Unter drei Bedingungen war 125 126
Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 384. Krüger: Träume, S. 34–41, hier S. 36f.: „Fragt nur einen unsterblichen Leibniz […]. Ich setze die Vollkommenheit der Welt in die Harmonie, er in die Uebereinstimmung des Mannigfaltigen […]. Selbst die Seelenwanderung nehmen seine Nachfolger an; indem sie behaupten daß die Seelen nach dem Tode einen neuen Leib bekommen. Ihr aber, meine lieben Söhne, ihr verdienet meine ächten Schüler genennet zu werden, ihr seyd es, welche meine Lehrsätze von der Seelenwanderung rein und unverfälschet aufbehalten habet; Kehret euch nicht daran daß ihr mich in einer menschlichen Gestalt erblicket, denn wisset mein gütiges Schicksal hat es gewolt, daß ich, als der größte Weltweise, in kein geringeres Thier als einen Menschen verwandelt würde; gleichwohl ist dieser Leib, welchen ihr hier sehet, nicht der, den ich hatte, als ich noch in der Oberwelt war. Es ist der Leib des Basilius Valentinus, eines Weltweisen und berühmten Goldmachers [...]. Ihr seht also die Seele des Pythagoras in dem Leib des Valentins: Welcher Leib wäre auch würdiger gewesen, daß ich ihn zu meiner Wohnung erwählt hätte, als eben dieser.“ Krüger nimmt hier ironisch Bezug auf das Inkarnationsmodell, das nun auch auf einen Transmissionsmodus, nämlich der Reinkarnation des Gelehrten, übertragen wird. Hinter der Anspielung „echt“ verbirgt sich ein ironischer Verweis. Auch Krüger nimmt auf den mathematischen Nachweis der Seelenwanderung und der kosmologischen Weltkörperlehre spöttisch Bezug. 127 Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione Animarum, S. 67: „LEIBNITIUS evitaturus saltum, transmigrationem animarum rejicit. Quantum, inquit, ad metempsychosin, puto ordinem rerum illam non admittere. Requirit enim ille, ut omnia explicari possint distincte, & nihil fiat per saltum. Sed transitus animae ex uno corpore in aliud foret saltus mirificus & inexplicabilis. Idem semper accidit in animali, quod nunc quoque contingit, id est, corpus est in perpetua mutatione instar fluvii, atque id, quod nos generationem dicimus, vel mortem, non est nisi mutatio & major & celerior, quam sit ordinarie, qualis fere est saltus vel cataracta fluminis. Sed hi saltus non sunt absolute tales, quales rejicio; ut si quod corpus perveniret ex uno loco in alium sine transitu per media. Ejusmodi saltus rejectanei sunt in omni rerum ordine & veritatibus.” 128 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 28.
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Leibniz’ Vorstellung vom organisierten Leib als Metempsychose deutbar: Erstens, dass die Natur keinen Sprung mache („nihil fiat per saltum“), dass zwischen dem Körper des Toten und seinem organisierten Leib eine Kontinuität bestand. Zweitens musste gewährleistet sein, dass die Seelen mit ihren neuen Körpern bis zum jüngsten Tag auf der Erde verweilten. Drittens musste der neue Körper dem vorherigen ähnlich sein (dass der „neue Körper dem abgelegten in einem höchsten Grade ähnlich sei“).129 Von den drei Vorgaben geht er zunächst detaillierter auf die Kontinuitätshypothese ein und erläutert sie anhand eines moralischen Beispiels: Man sezte, daß ein Geitzhals, der in seinem Leben sich seinen Geldkasten am stärcksten, häufigsten, klärsten und lebendigsten vorgestellt, stirbt. […] Weil in der Seele kein Sprung vorgeht: so wird er vermuthlich, auch nach dem Tode, diese Vorstellung seines Geldes noch behalten. Die gröste Sehnsucht treibt ihn an, sein Geld zu sehen. Sein neuer Körper steht mit der Seele in der genauesten Verbindung, und nimmt harmonische Bewegungen vor. Er wird sich also seinem Geldkasten nähern; und da ein Körper Bewegungen verursachen kann, die empfunden werden können: so wird es bey dem Geldkasten spuken.130
Die Annahme einer „Harmonie“ bzw. einer „genauesten Verbindung“ dient hier zur Erklärung einer Spukerscheinung, wie sie auch in der popularphilosphischen Literatur durchaus verbreitet war.131 Erörtert wird die Möglichkeit, dass Tote an Orte zurückkehrten, zu denen sie schon zu Lebzeiten eine besondere Affinität gehabt hätten. Eine weitere Anspielung auf diese Lehre besteht in Meiers Verweis auf den so genannten ätherischen Körper: Um diese Sache [die Seelenwanderung – Y. W.] noch begreiflicher zu machen, darf man nur annehmen, daß vor dem jüngsten Tage, die abgeschiedenen Seelen nebst ihren neuen Körpern, nicht von diesem Erdboden entfernt werden. Man darf also nicht die ungereimte Meynung annehmen, als wenn die abgeschiedenen Seelen sich alsdenn, wenn sie erschienen, einen Körper aus Luft bildeten. Alle Schüler der Naturlehre wissen, daß die Luft nicht sichtbar werden kann; und einen organischen Körper in der Geschwindigkeit zu bilden, übersteigt aller Vermuthung nach die Kräfte endlicher Geister.132
Mit der Erwähnung des „Körpers aus Luft“ spielt Meier offenbar auf den ätherischen Leib an, der mit dem organisierten Körper, von dem Leibniz sprach, gleichgesetzt wurde, aber nicht im engeren Sinn zur physischen Erfahrungswelt gehörte. Da er nicht aus einer wahrnehmbaren ‚Materie‘ oder auch aus feinen Partikeln besteht, fällt er nach Meier aus dem Gegenstandsbereich der Naturlehre heraus. Allerdings spricht er an dieser Stelle nicht nur vom Luftleib, sondern auch von 129 130 131
Ebd. Ebd., S. 29. Christlob Mylius: Gedanken ueber das Alter und den Ursprung der Furcht unsers Pöbels vor den Gespenstern; besonders was die sogenannten Erscheinungen der Verstorbenen anlanget. Bey Gelegenheit einer Stelle aus dem Plato, in: Vermischte Schriften. Gesammelt von Gotthold Ephraim Lessing (1754). Frankfurt/M. 1971 [= Athenäum Reprints]. Siehe dazu auch die von 1747 bis 1748 erscheinende popularphilosophische Zeitschrift Naturforscher, eine physikalische Wochenschrift. 132 Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 28.
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einem organischen Leib und indiziert damit nun die physische Wendung, die die Diskussion genommen hat: Man sagt, daß die Gespenster durch verschlossene Thüren gehen können. Ihr Körper muß sich also, entweder augenblicklich bald in einen Punct zusammen ziehen, bald aber gewaltig wieder ausdehnen können, oder seine Theile müssen im Augenblicke wie die Lufttheile getrennet werden, damit sie durch die Zwischenräumlein des Holtzes durchkommen können, und alsdenn sich wieder vereinigen […]. Ein organischer Körper, dergleichen die Körper der Verstorbenen seyn müssen, ist eine viel zu künstliche Maschine, als daß man dieses begreiffen könnte.133
Meier greift hier auf Vorstellungen von der Zusammenziehung und Ausdehnung einzelner Körper zurück. Sie sollen begreifbar machen, wie ein Körper durch verschlossene Türen entweichen könne. Jedoch lehnt er die mögliche Anziehung der Teile und ihre Verdichtung zu einer Gestalt ab und beruft sich dabei auf die Künstlichkeit der Leibmaschine.134 Implizit schließt er sich damit einer mechanischen Körperauffassung an, welche die zentralen Postulate der Festkörperphysik bei der Deutung des menschlichen Körpers zu Grunde legte. Auch andere Zeitgenossen monierten die Retraktionsmöglichkeit organischer Körper. So der Pastor Wilhelm Wegner, der sich in der Gespensterdiskussion zu Wort meldet, und eine Reorganisation des toten Körpers durch Expansions- und Retraktionskräfte für wenig wahrscheinlich hält.135 Zudem erweist sich auch der Kommentator der Sammlung der Nachrichten, mit Anmerckungen als Vertreter einer impulsmechanischen Bewegungstheorie und mechanischen Festkörperphysik.136 133 134 135
Ebd., S. 30f. Ebd., S. 30. Wegner: Philosophische Abhandlung von Gespenstern, S. 38; Osiander: Dissertatio de Transmigratione Animarum, S. 5. 136 [Anonym]: Sammlung von Nachrichten, mit Anmerckungen, in: Unparteiische Beurtheilung, S. 16–28, hier S. 23: „Eine andere Frage ist es, ob die von den Leibern getrennten Seelen sich in sichtbarer Gestalt nach Belieben offenbaren können? Denn entweder haben sie einen gewissen subtilen Körper, auch nach Ablegung des gröbern zu ihrer Behausung; oder sie haben keinen. Ist das Letzte, so sind sie völlig unsichtbar, und man kann sich gar keinen Begrif machen, wie ein ganz reiner Geist, in sichtbarer Menschengestalt erscheinen könnte. Denn daß sie sich aus Luft, oder aus andern subtilen Sonnenstäubchen einen zarten Körper bilden sollten; das ist zwar leicht gesagt, läßt sich aber gar nicht erklären, oder verstehen. Die Luft ist an sich vollkommen unsichtbar, und wenn sie gleich noch so dicht zusammen gedruckt wird, so fällt sie an sich selbst, ohne Dünste und Dämpfe betrachtet, doch niemals in die Augen. Wie aber aus Sonnenstäubchen, Dünsten und Dämpfen, von einem reinen Geiste, ohne alle Werckzeuge und Hülfe, eine dem itzigen menschlichen Körper ähnliche Gestalt, in der Luft gebildet werden könne, das hat noch zur Zeit niemand erklärt, wird es auch wohl künftig unerörtert lassen. Haben aber die Seelen, gleich bey ihrer Trennung vom gröbern Körper, dünnere und zärtere Leiberchen, zu ihren Diensten: so ist es doch gewiß, daß diese sehr unsichtbar seyn müssen. Wäre dieses nicht: so würde man ja den Abschied der Seelen von den Leibern bey iedem Sterbenden erblicken, oder wenigstens an denen Orten, wo viele Todten begraben worden, dergleichen oftmals gewahr werden müssen. Dieses geschieht aber nicht: und also bleibt nichts übrig, als daß sich die Seelen mit diesen ihren Körperchen nur wenn es ihnen beliebt, sollen sichtbar machen können. Wie nun das zugehe, das will man sich gern von denen belehren lassen, die es behaupten, und so lange das Stillschweigen erwählen.“ Vgl. auch Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini in Braunschweig, S. 136.
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In dieser Diskussion zeichnen sich zwei zentrale Tendenzen ab: erstens die Umdeutung des organisierten Leibes, von dem Leibniz sprach, in einen organischen, der aus einzelnen Teilchen bestünde. Auf sie reagieren Meier sowie die anderen beiden Autoren. Sie richten sich damit offenbar gegen eine konkrete Position, die von ihren Kontrahenten vertreten wurde. Ein anonymer Verteidiger der Gespenster, wahrscheinlich der Professor für Physik Seidler, schreibt zu diesen Belangen jedenfalls: Es muß ja diese subtile Ueberkleidung nicht nothwendig aus bloser Luft, die freylich unsichtbar ist, bestehen, sondern sie kan aus allerhand kleinen Theilgen, aus physicalischen Atomen oder wohl gar aus denen vielen Ausdünstungen ihrer eigenen in die Verwesung eingehenden Körper zusammen gesetzet seyn.137
Der Verfasser greift an dieser Stelle die bereits von Meier erwähnte Luftkörperthese auf, deutet sie jedoch um. Denn er versteht unter Luft keineswegs den Äther. Unter Abweisung der Ätherhypothese nennt der Verfasser Luftkörper vielmehr „kleine Theilgen“ und deutet sie damit offenbar als physische Bestandteile eines subtilen Körpers. Der Begriff „kleine Theilgen“ oder „physicalische Atomen“ verweist zudem direkt auf den Kontext des Atomismus, wie er im Anschluss an die Newton-Rezeption mit der Vorstellung von einem organisierten Leib einherging.138 Die atomistischen Thesen fanden in der Tat zahlreiche Anhänger im Aufklärungsmilieu, die Meier offenbar als „ächte Schüler“ des Leibniz begreift.139 Fraglich ist nun, auf welchen historischen Konstellationen sich Meiers Deutung abbilden lässt und wer mit den „ächten Schülern“ gemeint sein könnte.
8.8. Physische Auslegung des ätherischen Leibs um 1740 Bereits die Erwähnung der Teilchen macht den Zusammenhang der Gespensterdiskussion mit dem Monadendisput deutlich, der in der Regel in zwei Phasen unterteilt wird: eine erste, die die 1720er Jahre umfasst, sowie eine zweite, die um 1745 durch die Monadenfrage der Akademie beginnt. Ohne die Kenntnis beider Phasen ist die physische Umdeutung des organisierten in einen organischen Leib ebenso wenig zu verstehen wie die Position der so genannten „ächten Schüler“ des Leibniz, auf die Meier rekurriert. Bereits in den 1720er Jahren ging es um physische Aspekte der Monaden, d.h. der kleinsten Einheiten. Im Gegensatz zu Leibniz hatte Wolff angenommen, sie entsprächen den Elementen der Körper und seien nicht beseelt:
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[Anonym]: Unparteiische Beurtheilung, S. 8. Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 387. Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 31.
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ein Monadist [ist] ein solcher der einfache untheilbare Dinge für die Elemente der Körper annimmt. Legt er diesen eine Vorstellungskraft bei, so ist er ein Leibnizscher Monadist. Thut er das nicht, so kann er schlechthin ein Monadist, oder ein Wolfscher Monadist, ein Simplicist genennt werden.140
Nun ging die Fraktion der so genannten „ächten Schuler“ keineswegs aus dem Lager der Monadengegner hervor, zu dem prominente Philosophen wie Johann Christoph Gottsched,141 Christian Hollmann, Johann Georg Wachter oder der Hugenotte Pierre Crousaz zählten. Vielmehr gehörten sie zu den Befürwortern der Monaden, darunter Johann Christian Harenberg, Georg Bernhard Bilfinger oder auch der Leibnizianer Michael Gottlieb Hansch. Einen einflussreichen Systematisierungsversuch der Leibniz’schen Monadenlehre, der um 1740 noch relevant war, stellt die 1728 erschienene Schrift des Wiener Mathematikers Michael Gottlieb Hansch (1684–1749), Principia philosophiae more geometrico demonstrata, dar.142 Hansch, der seit 1703 mit Christian Wolff und später auch mit Leibniz persönliche Bekanntschaft machte, war nicht nur als Herausgeber einer Kepler-Ausgabe, sondern auch durch verschiedene Publikationen auf mathematischem und chemischem Gebiet (u.a. in den Acta Eruditorum) hervorgetreten. Zentraler Streitpunkt ist die Frage nach der Identifizierbarkeit der zusammengesetzten Körper der Elemente / Monaden mit den Atomen. Hansch lehnt die Identifizierung ebenso ab wie die Vorstellung, die KörperSeele-Einheit würde mit dem Tod eine Transformation erfahren (z.B. durch eine Aggregat-Veränderung in Kräftefeldern).143 Er unterscheidet zwei Formen der Monaden, die realen (derivativen) und die idealen Monaden,144 er ist insofern ein 140
[Anonym]: Entwurf einer kurzen Geschichte der Schriften von den Monaden oder Elementen der Körper von den Zeiten Leibnizens bis auf die itzigen, in: Göttingische philosophische Bibliothek. Hg. v. Christian Ernst v. Windheim. Bd. 1, 2. Stück. Hannover 1749, S. 469–506, hier S. 473. 141 Vgl. Gotscheds 1721 verfasste Dissertation mit dem Titel Dubia circa monades Leibnizianas quatenus ipsae. 142 Das erste Theorem seiner Schrift setzt zur Demonstration der Monaden bzw. ihrer Existenz an. Es beweist zunächst die Existenz der composita aus der Erfahrung und aus den composita die Existenz unendlicher, nicht erkennbarer entia simplicia, die Hansch mit den Monaden gleichsetzt. Michael Gottlieb Hansch: Principia philosophiae, more geometrico demonstrata; Godefridus Guilielmus Leibnitius. Theoremata metaphysica de proprietatibus [...] ex philosophia Leibnitiana pariter selecta et geometrice demonstrata. Nec non: Meditatio philosophica de unione mentis et corporis. Frankfurt / Leipzig 1728, S. 64. 143 Hansch: Principia philosophiae, S. 77. 144 Vgl. auch Hansch: Principia philosophiae, S. 78f. Er unterscheidet zunächst zwischen der inneren und äußeren Determination: „Composita existunt alterum extrà alterum per Experientiam, Ratio autem sufficiens existentiae compositorum extra se invicem est in monadibus, in composita actu ingredientibus, per theor. 6 & proinde etiam Monas una existit extra altera, per ax. I. Sed quae extrà se invicem existunt, illa non sunt eadem, per. cor. def. 35, consequ. in illis intrinsecae determinationes non sunt eadem, sed quaedam dantur, quibus à se invicem distingui possunt, per ax. 1. Ergo in Monadibus derivativis quaedam dantur determinationes intrinsecae, quibus à se invicem distingui possunt. At in quibus quaedam dantur determinationes intrinsecae, quibus inter se distingui possunt […] illa certis quibusdam qualitatibus sunt praedita, per. def. 42. Quamnobrem Monades etiam derivatae certis quibusdam qualitatibus sunt praeditae.
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Dualist. Sein Modell stieß jedoch innerhalb der Wolffianischen Fraktion auf vehemente Kritik. Einer seiner Kritiker, der für die Umdeutung des Leibes eine wichtige Rolle spielte, war der Wolff-Schüler Sigmund Ferdinand Weißmüller (1700–1748), der sich 1727 mit der Dissertation Specimen physicum, ad theologiam naturalem adplicata, sistens notionem intellectus divini, per opera naturae illustratam bei Wolff in Halle promovierte.145 Ferdinand Weißmüller veröffentlichte 1737 die französische Schrift L’Analyse des êtres simples et réels, ou la Monadologie de feu Msr. Baron de Leibnitz demasquée et idéalisme renversé.146 Schon ihr Titel lässt erahnen, dass Weißmüller auf idealistische Tendenzen innerhalb der Monadenlehre reagiert. Zwar entwickelt er seine Monadologie gegen Leibniz und Hansch, nach seinem Selbstverständnis handelt es sich dabei jedoch um eine Leibniz-Exegese, die den Philosophen gegen die grassierenden Fehldeutungen der Zeit verteidigen will. Hierin könnte zunächst der ironische Bezug Meiers auf die so genannten „ächten Schüler“ liegen. Weißmüller kritisierte Hanschs Modell als Idealismus und führte einen Kraftbegriff ein, mit dem er einen geometrisch-metaphysischen Punkt physisch deutete.147 Schon vor diesem Hintergrund scheint es angemessen, seine Position näher zu untersuchen, da sie ein Licht auf mögliche Umdeutungen des bei Leibniz nachweislichen Konzeptes organisierter Körper wirft. Aufschlussreich für diesen Kontext ist ein am 6. September 1736 von Weißmüller an Wolff gerichteter Brief, der im Anhang eine kleine Schrift mit dem Specimen Scholion 1. In hoc Theoremate fundatur DIFFERENTIA MONADUM CREATURAM A PUNCTIS GEOMETRICIS. enim GEOMETRICI Idea obtinetur, si ab Idea Monadis realis abstrahatur sola partium carentia, & seorsim à reliquis qualitatibus confideretur.” Für die erfahrbaren, existierenden Monaden gilt eine intrinsische Bestimmbarkeit (das gilt wohl nicht für die möglichen Monaden). 145 Christian Wolf (Praeses) / Siegmund F. Weissmüller (Resp.): Specimen physicae, ad theologiam naturalem adplicata, sistens notionem intellectus divini, per opera naturae illustratam. Halle 1719, Wiederabdruck bei Philipp Thümmig: Meletemata varii et rarioris argumenti, in unum volumen collecta. Leipzig 1727, siehe Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 364; zu Weißmüller auch Carl Günther Ludovici: Zu Weißmüllers Schrift „L’Analyse“, in: ders.: Ausführlicher Entwurff einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie. Bd. 1.2. Hildesheim / New York 1977 (Christian Wolff Gesammelte Werke. Materialien und Dokumente. Hg. v. Jean Ecole / Joseph Ehrenfried Hofmann u.a. Bd. 1.2), S. 601. 146 Vgl. dazu Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, passim. Siegmund Ferdinand Weißmüller: L’Analyse des êtres simples et réels, ou la Monadologie du feu Msr. Baron de Leibniz demasquée et l’idéalisme renversé, avec la progression de la détermination pour les forces primitives de L’univers et la quadrature du cercle exacte, dediée aux Assemblées Illustres des Academies pour l’accroissement des sciences dans l’Europe par un Philosophe Franc S. F. W. D. à W. Nürnberg 1736. 147 Weißmüller: Analyse, S. 11: „Je nomme la determination la force derivative issue immediatement de la force primitive pour le mouvement, & nous voyons sans peine, que l’ordre réel est la determination du point vers le mouvement à l’infini, l’espace, ou l’ether (dont vous conoisses la subtilité merveilleuse) etant la continuation simultanée de cette détermination à l’infini“, zitiert nach Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 370. Eine Rezension der Analyse findet sich in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen, 1736, Stück 75.
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definitorum philosophiae pythagoricae enthält. Ein näherer Blick auf diesen von Mulsow edierten Traktat macht eine auffällige Zweiteilung sichtbar. Der erste, offenbar an Euklids Geometrie orientierte Abschnitt referiert die guten Geister (recta linea), worunter die Monaden fallen, und beschreibt ihre Entstehung innerhalb von Kräftefeldern. Dabei lehnt er sich an van Helmonts Konzept einer kreierten idealen Welt an. Ganz anders ein zweiter Teil, der die „bösen und die gefallenen Geister“ behandelt. Weißmüller ordnet die „gefallenen Geister“ – eine Verbindung von Geist und Materie – der empirischen Welt zu. Sie werden durch krumme Linien repräsentiert. Wie van Helmont unterscheidet Weißmüller zwischen einer produzierten, einer faktischen und einer materiellen Welt, die über einen Emanationszusammenhang miteinander verbunden bleiben. Zudem ist Weißmüllers Traktat als Geometrisierung von van Helmonts Vier-Welten- und Archäen-Lehre zu lesen, die besonders dem Verhältnis von horizontalen Transformationsgesetzen und dem vertikal-transzendenten Stufen- bzw. Transformationsmodell nachgeht. Sie unterscheidet sich von van Helmonts Darstellung allerdings durch die Einführung der Kraft als einer metaphysischen und physischen Größe. Ein entscheidendes Ziel seiner Schrift besteht darin, die Verbindung zwischen den gekrümmten Linien (den fabrizierten Monaden) und den geraden Linien aus den Wirkungsprinzipien der Kräfte mathematisch zu beweisen. Mit Weißmüllers Schrift liegt somit ein Versuch vor, die Welt der Formen mit der Welt der Phänomene aus der Kraft als einer mathematisierten Größe zu erklären.148 Mittels des Konzeptes der substanziellen Kraft werden die Veränderungen der Monade als graduell verstanden. Ein Blick auf die letzten Paragraphen bezeugt, dass Weißmüllers Erklärung des Übergangs der Monaden in andere Existenzzustände nach diesem Modell zu begreifen ist und dass sie deshalb eine Vorlage für die echten Schüler gewesen sein könnte: Die Strafe (poena) für einen gefallenen Geist ist das Zerbrechen (fractio) der zuvor vereinten Kräfte, ihre Zerstreuung (dispersio) und Anheftung (agglutinatio) an die kleinen Linien der unendlichen Materie, auf daß der Raum mit ewigen Kurven angefüllt werde.149
Auch hier lassen sich ideengeschichtliche Schnittstellen zu Meiers Gespenstertraktat ableiten. Mit dem ‚Tod‘ des irdischen Leibes transformieren sich demnach monadische Kräftefelder. Die Restitution bzw. die Erlösung findet erst mit dem
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Seit 1740 sind Versuche, Leibniz’ Monadentheorie mit der Kraftmetaphysik Newtons zu verbinden, geläufig, vgl. Mulsow: Vernünftige Metempsychosis, S. 217. Zu Swedenborg in diesem Kontext: Marsha Keith Schuchard: Swedenborg. Jacobinism, and Freemasonry, in: Erland J. Brook (Hg.): Swedenborg and his Influence. Bryn Athyn 1988, S. 359–379, Ethan Allen Hitchcock: Swedenborg, a Hermetic Philosopher. New York 1858. Swedenborg hat die Theorie der Archäenwanderung angeblich in seinen Principia rerum (1734) und in dem Aufbau der animalischen Welt (1741) vertreten. 149 Weißmüller: Specimen, Def. 37, zitiert nach Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 394.
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eigentlichen Tod statt, den er als Wiederherstellung der ursprünglichen Kräfte deutet.150 Dass Meier Weißmüllers Traktat bei der Ausarbeitung seines Textes vorlag, kann allerdings als unwahrscheinlich gelten. Erstens gehörte Weißmüller einer anderen Gelehrtengeneration an, zweitens zählte er im akademischen Milieu eher zu den Außenseitern. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Meier jedoch verschiedene mit Weißmüller assoziierte Personen gekannt und als eine eigene Fraktion im Aufklärungsfeld wahrgenommen, die besonders durch den Monadenstreit nochmals Aktualität erhielt.
8.9. Grundzüge des Monadenstreits um 1745 Im Jahr 1747 (am 9. Juni 1746 wurde die Frage offiziell adoptiert) setzte die Königliche Sozietät der Wissenschaften in Berlin die so genannte Monaden-Preisfrage aus,151 bei deren Beantwortung verhandelt werden sollte, inwiefern die Monadologie geeignet sei, Phänomene des Universums und sogar die Bewegung der Körper zu erklären.152 Der einschlägige Aktenbestand der Berliner Akademie gilt zwar als verloren, die Monadendiskussion ist, was ihre Beiträger und deren Fraktionsbildung angeht, jedoch eingehender erforscht.153 Zur Diskussion stand vor allem der 150 151
Weißmüller: Specimen, Def. 38, zitiert nach ebd., S. 395. Adolf von Harnack: Geschichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 2 Bde. Berlin 1990; zum Kontext der Fragestellung vgl. Bd. I/1, S. 402f. [Anonym]: Fortsetzung der Geschichte von den Monaden. Das zweite Hauptstück, in: Göttingische philosophische Bibliothek. 2. Bd. 1. Stück. Hannover 1749, S. 4–64. 152 Siehe dazu auch Thomas Leinkauf: Artikel ‚Monas‘, in: Enzyklopädie Philosophie. Hg. v. Hans Jörg Sandkühler. Hamburg 1999, S. 870–881. Die Möglichkeit, Bewegung durch substanzielle Kräfte, die sich von einem Körper auf den anderen übertrugen, zu erklären, schloss Leibniz aus. Sie sollten nur für deren Ausdehnung und Härte verantwortlich sein. Bei Newton waren dagegen alle Körper elastisch. Helmut Plute: Das Prinzip der kleinsten Wirkung und die Kraftkonzeption der Rationalen Mechanik. Eine Untersuchung zur Grundlegungsproblematik bei Leonhard Euler, Pierre Louis Moreau de Maupertuis und Joseph Louis Lagrange. Stuttgart 1989 (Studia Leibnitiana. Sonderheft 19), S. 24f. 153 Leonhard Euler: Différentes pièces sur les Monades, in: ders.: Opera Omnia, Ser. III. Bd. 2. St. Petersburg 1960, S. 416–429; Roberto Palaia: Berlino 1747. Il dibatito in occasione del concorso dell’academia delle scienze, in: Nouvelles de la République des Lettres 1 (1993), S. 91– 119; Irving Polonoff: Force, Cosmos, Monads. Bonn 1973; Hans Poser: Der Begriff der Monade bei Leibniz und Wolff, in: Metaphysik, Ethik, Ästhetik, Monadenlehre. Akten des 2. Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover 1972. Bd. 3. Wiesbaden 1975, S. 383–395; Cornelia Buschmann: Die philosophische Preisfrage und Preisschriften der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert, in: Wolfgang Förster (Hg.): Aufklärung in Berlin. Berlin 1989, S. 165–228; Enrico Pasini: La prima recezione della Monadologia. Dalletesi di Gottsched alla controversia sulla dottrina della monadi, in: Studi settecenteschi 14 (1994), S. 107– 163; Barbara Bauer: Die Anfänge der Berliner Académie Royale des sciences im Urteil der gelehrten Öffentlichkeit, in: Europäische Soziatätsbewegung und demokratische Tradition: die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Renaissance und Spätaufklärung. Hg. v. Klaus Garber / Heinz Wissmann. Bd. 2. Tübingen 1996, S. 1413–1453.
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Nutzen bzw. die Validität der „doctrine des Monades“; allerdings nicht ihr Wert als ein in sich geschlossenes, deduktives System, sondern ihr Nutzen für die Erklärung von Naturphänomenen.154 Über diesen Streit war Meier höchstwahrscheinlich durch den Halleschen Professor für Mathematik Johann Friedrich Stiebritz unterrichtet, der nicht nur in Halle lehrte, sondern aufgrund seines Monadenbeitrags für die von Ernst Christoph von Manteuffel und Johann Gustav Reinbeck gegründete Gesellschaft der Aletheophilen vorgeschlagen wurde.155 Der Professor war ein Gegner der so genannten physischen Monadologie. Er vertrat die Auffassung, Körper seien nicht aus Monaden zusammengesetzt.156 Auch sein Kollege Christian Albrecht Körber schloss sich dieser Meinung an und behauptete, die Körper entsprängen den Monaden „so wie ein Kind aus seinen Eltern entspringt“.157 Vor diesem Hintergrund scheint es nicht abwegig, auch die „ächten Schüler“ des Leibniz unter den Monadenbeiträgern zu vermuten. Sucht man dort nach einer Fraktion, auf welche das Etikett echte Leibnizianer im Zusammenhang mit der Metempsychose passen könnte, wird man möglicherweise bei den Nachfolgern Sigmund Weißmüllers fündig. Als wesentlicher Protagonist der durch Weißmüller vertretenen Fraktion ist der Wolffianer Andreas Clavius zu nennen, der sich wie Weißmüller um die „Quadratur des Kreises“ bemühte.158 Clavius war ebenfalls in Halle ausgebildet worden. 1740 legte er eine diesbezüglich relevante Schrift, den so genannten Prodromus vor. 1747 beteiligte er sich aktiv an der Monadenpreisfrage und versuchte in einer nicht mehr zugänglichen Dissertation an die oben skizzierte Tradition anzuknüpfen. Selbst wenn Meier dessen Schriften nicht kannte, wird er deren Rezensionen
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Den Preis erhielt Johann Heinrich Georg Justi am 1. Juni 1749 für seine Schrift Untersuchung von der Lehre von den Monaden und einfachen Dingen, worinnen der Ungrund derselben gezeiget wird. Vgl. Eduard Winter (Hg.): Die Register der Berliner Akademie der Wissenschaften 1746–1766. Berlin 1957, S. 112. 155 Mulsow: Vernünftige Metempsychosis, S. 216, sowie dazu Detlef Döring: Beitrag zur Geschichte der Aletheophilen in Leipzig, in: ders. / Kurt Nowack (Hg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820). Stuttgart u.a. 2000, S. 95–150. 156 Johann Friedrich Stiebritz: Widerlegung der Gedanken von den Elementen der Körper, in welchen das Lehrgebäude von den einfachen Dingen und Monaden geprüft, und das wahre Wesen der Körper entdeckt werden soll. Franckfurt / Leipzig 1746. 157 Christian Albrecht Körber: Gegenseitige Prüfung der Gedanken eines ungenannten von den Elementen der Körper, in welchem das Lehrgebäude von den einfachen Dingen und Monaden geprüft wird. Franckfurt / Leipzig 1746. 158 Zu Clavius vgl. Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 341–363, sowie ders.: Vernünftige Metempsychosis, S. 217–220. Seine Schriften: Dissertatio de Monadibus (1746) (verloren); ders.: Philosophiae antiquissimae et recentissimae prodromus, definitiones notionum universalium et principium, axiomata, theoremataque, totius philosophiae, fundamentis actualis essentia demonstrata continens. Celle 1740; ders.: Das harmonische Verhältniß, wonach alle regulären Vielecke geometrice erwiesen, und in einem Circkel beschrieben werden, als den Grund der widerrechtlich verhasseten und verruffenen artihmetischen Quadratur des Circkels, untersuchet und erweiset zum Vorschmacks. Franckfurt / Leipzig 1755.
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Zeitungen entnommen haben,159 deshalb lohnt zunächst ein kurzer Blick auf Clavius’ Profil. Wie für Weißmüller spielte für Clavius die so genannte „Quadratur des Kreises“ eine eminente Rolle, von der er sich die Lösung der Monadenfrage versprach. Damit ist eine mathematische Operation bezeichnet, mit der die irrationale Zahl pi entschlüsselt werden sollte. Übertragen gebraucht, steht die „Quadratur des Kreises“ nicht nur für pi, sondern wurde zudem als mathematischer Beweis für die Deckungsgleichheit von Kreis und Rechteck verstanden. Interpretiert man diese mathematische Fragestellung vor dem Hintergrund von Weißmüllers Monadentheorie, sollte mit der Quadratur zugleich ein Zahlenwert für die ideale Monade (Kreis) und ihr Analogon (Rechteck) gefunden werden. Diese Spekulationen, die eine Lösung für die bei Hansch noch offene Frage nach der Relation zwischen Formen und Monaden bzw. in Weißmüllers Terminologie zwischen den geraden, idealen und den gekrümmten, realen Monaden anstrebten, sollten den Beweis eines Übergangs der reellen zu idealen Monaden und somit den Beweis der Metempsychose erbringen. Deutlicher werden die Zusammenhänge, wenn man auf einen weiteren Protagonisten des Feldes blickt. Im Jahr 1748 wurde der Holsteiner Jurist Georg Schade in der Monadenfrage aktiv. Er hatte von Formey nicht nur die Liste der Einsender erhalten, sondern trat darüber hinaus mit Clavius in Kontakt160 und gründete Anfang 1750 eine „Allgemeine Gesellschaft der Wissenschaft“. 1760 erschien Schades Schrift Vernünftige Metempsychose sowie die 1760 publizierte Unwandelbare Religion der ältesten Naturforscher und Adepten. Darin vertritt er nochmals die These, die menschliche Seele erhalte nach dem Tod einen aus subtilen Partikeln bestehenden Leib. Freilich sind diese späten Textzeugnisse für Meiers Publikationen nicht einschlägig. Schade hatte allerdings mehrfach an Meier und Baumgarten anzuknüpfen versucht und später (1759) sogar Johann Christian Edelmann, der eigentlich Schreibverbot hatte, für sich arbeiten lassen.161 Trotz zahlreicher Unterschiede bezeugt er, dass Meier mit den „ächten Schülern“ eben diese Fraktion im Blick haben könnte.162
8.10. Nachtmützen: Metempsychose in Braunschweig? Könnten mit den „ächten Schülern“ also hier Weißmüller und Clavius gemeint sein, stellt sich nochmals die Frage nach dem Bezug dieser Position zum Braunschweiger Milieu, auf das Meier im vierten Abschnitt seiner Schrift deutlich an159
Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen. Leipzig Feb. 1748, Stück 10; sowie Euler: Différentes Pièces sur les Monades, S. 416. 160 Den erhaltenen Briefwechsel datiert Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 351 auf 1750–51. 161 Mulsow: Vernünftige Metempsychosis, S. 224. 162 Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 354.
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spielt. Von der bislang erprobten ‚Methode‘ enthaltsamer Darstellung weicht er an dieser Stelle nämlich in signifikanter Weise ab.163 Im Anwendungsteil diskutiert er den Fall, dass ein Gespenst anhand seiner Nachtmütze erkannt wird. Die Verstorbenen lassen sich sehen in ihren Nachtmützen; Schlafröcken und Kleidungen, die sie in diesem Leben gehabt. Gemeiniglich erscheinen sie in den Sterbehemden, die man ihren verblichenen Körpern angezogen. Wer kann aber wohl ohne Lachen sagen, daß die Verstorbenen, auch nach dem Tode, solche Nachtmützen u.s.w. hätten, die denjenigen ähnlich sind, die sie in diesem Leben gehabt?164
Die Erwähnung der Nachtmütze deutet direkt auf das Braunschweiger Collegium Carolinum. An der Nachtmütze, welche der verstorbene Hofrath Dörrien angeblich trug, will Höfer, so unterstellen es die Spottschriften, das Gespenst jedenfalls identifiziert haben. Auch im wohl fingierten Brief des Braunschweiger Professors Oeder werden „Schlafrocke“ und „Nachtmütze“ erwähnt und als entscheidende ‚Erkennungsmerkmale‘ angegeben.165 Der Verfasser der Zwei Schriften von Gespenstern macht sich ebenfalls über die Nachtmütze lustig, die ihm nicht nur als ein Beleg für die Absurdität und Komik der Geschichte, sondern zugleich als deutliches Betrugsindiz gilt. Schließlich sei auf Samuel Gotthold Lange verwiesen. Er spielt in seiner Biographie Leben Georg Friedrich Meiers (1778) auf den „Schlafrock“, die „Schlafmützen“ und überhaupt „auf den Lerm“ an, den das „so gennannte Braunschweigische Gespenst im Carolino machte“.166 Bereits daraus geht hervor, dass die Nachtmütze auf das Braunschweiger Milieu verweist und dass Meier dort offenkundig Anhänger der modernen ‚Leibnizschen‘ MetempsychoseLehre vermutete. Denn er diskutiert den Braunschweiger Anschauungsfall als ein Exempel, das als vermeintlicher Beleg für die Leibnizsche Metempsychose angesehen wurde. Die Nachtmütze ließe sich – so rekonstruiert es Meier spöttisch und nicht ohne Ironie – entsprechend als Indiz der Kontinuitätshypothese verstehen, der zufolge der alte Körper mit dem neuen eine Ähnlichkeit aufweisen müsse. Auch der Umstand, dass Gespenster durch Türen gehen könnten, kann als Anspielung auf die Braunschweiger Geschichte gelesen werden. Meier greift damit zunächst Oeders Bericht auf, der eben jene Möglichkeit erörterte: Man sagt, daß die Gespenster durch verschlossene Thüren gehen können. Ihr Körper muß sich also, entweder augenblicklich bald in einen Punct zusammen ziehen, bald aber gewaltig wieder 163
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 30: „Wenn man diese Sache auf eine andere Art betrachtet: so ist keine Meynung unwahrscheinlicher, als diejenige, die ich jetzo erwäge.“ Ebd. [Anonym]: Unpartheiische Beurtheilung einer neulich unter dem Titul gedruckten Schrift Sammlung einiger Nachrichten Von dem auf dem Braunschweigischen Carolino vielmals erschienenen Gespenst, III. Extract aus einem Briefe des Herrn Prof. Oeders aus Braunschweig, S. 21: „Den Hofmeister Dörrien, der vor einem halben Jahr allhier verstorben, habe ich vor ein paar Tagen hisce meis oculis in seinem Schlafrocke und Nachtmütze gesehen, und ziemlich attentè betrachtet.“ 166 Lange: Leben Georg Friedrich Meiers, S. 143. 164 165
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ausdehnen können: oder seine Theile müssen im Augenblicke wie die Lufttheile getrennet werden, damit sie durch die Zwischenräumlein des Holtzes durchkommen können, und alsdenn sich wieder vereinigen. Credat Judaeus apella!167
Richtet dieser Abschnitt den Fokus auf die Braunschweiger Protagonisten, ist Oeder die ausgemachte Zielscheibe des Spotts, fragt sich, inwieweit auf Letzteren das Etikett „Leibnizianer“ appliziert werden kann. Vordergründig betrachtet, zählte Oeder nicht zur Fraktion der Leibnizianer. Er war vielmehr Atomist; ob er die Monadologie als Lehre gewertet hat, die mit dem Atomismus kompatibel war, sei zunächst einmal dahin gestellt.168
8.11. Oeder und Clavius: zwei Gelehrte gleicher couleur? Blickt man auf diese beiden Gelehrten, scheinen Oeder als Vertreter eines Atomismus und Clavius als Vertreter einer vernünftigen Metempsychose zunächst an jeweils entgegengesetzten Enden des Spektrums zu verorten zu sein. Obschon sie höchstwahrscheinlich unterschiedliche Körper- bzw. Monadenkonzepte vertraten, zeichnen sie sich gleichwohl durch eine Gemeinsamkeit aus. Je nach Auslegung von Clavius’ Monadologie ergeben sich Anschlussmöglichkeiten an den antiken Atomismus. Auch bei Oeder ließen sich Monaden als Kraftaggregate deuten, auch bei ihm setzten sich die (belebten und seelischen) Körper aus Letzteren zusammen. Wichtiger scheint hier jedoch der Umstand, dass sich beide jeweils auf antikes bzw. historisches Wissen beziehen. Im bereits zitierten Beitrag aus den Braunschweigischen Anzeigen bemüht sich Oeder um eine Vermittlung zwischen antiken und modernen naturtheoretischen Positionen. Zwar soll dies primär der Aufwertung von Experimentalwissen dienen, doch zeichnet dieser Rekurs auch Clavius aus. In seinem Bericht von dem Gefährlichen Vorurtheile worin die Lehre von den Elementen der Körper zu dieser Zeit gerathen bezieht er sich ebenso auf antike Textzeugnisse, genauer auf die hermetische Tradition. Er beruft sich auf eine „uhralte Weltweisheit“169 und knüpft damit noch einmal an den von Cudworth beschriebenen Bezug zwischen Pythagoras und dem Atomismus an.170 Bezeichnend ist also, dass beide – Philosoph und Physiker – ihr Wissen über die Natur durch antike Textzeugnisse absichern, die sie dem durch Beobachtung und Erfahrung gewonnenen Wissen zur Seite stellen. Darüber hinaus ergeben sich diverse historische Verbindungslinien zwischen Johann Ludwig Oeder und Andreas Clavius, die Meier möglicherweise bekannt 167 168
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 30f. Johann Ludwig Oeder: Von einigen antiquonovis physicis, in: Brauschweigische Anzeigen 48 (1745), Sp. 777–786, hier S. 777. 169 [Anonym]: Bericht von dem Gefährlichen Vorurtheile, worin die Lehre von den Elementen der Körper zu diesen Zeiten gerathen. O.O. 1748, S. 123. 170 Cudworth: True Intellectual System, S. 20.
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waren. Oeders Vater war nämlich ein enger Vertrauter von Weißmüller, mit ihm gemeinsam gab er 1730 den ersten Band der Poesie der Franken heraus,171 eine physiko-theologische Lehrdichtung hermetischen Stils, die die Lyrik Hinrich Brockes und Albrecht von Hallers zum Vorbild hatte.172 Eine weitere personelle Verflechtung lässt sich über einen Tagebuch-Eintrag rekonstruieren, der dem schon zitierten Johann Karl Konrad Oehlrich (1722–1799) zugeschrieben wird. Der Historiker und Doktor beider Rechte, der in Frankfurt an der Oder Logik bei Baumgarten hörte und auf seiner Reise durch Sachsen auch Johann Ludwig Oeder traf, liefert in seinen Reisebeschreibungen einen entscheidenden Hinweis auf Clavius. Oehlrich war mit ihm persönlich zusammengetroffen, weil er über dessen „Quadratur des Kreises“ in den Journalen gelesen hatte.173 Das Tagebuch dokumentiert nicht nur den allgemeinen Bekanntheitsgrad von Clavius’ Schriften und seine prekäre Rolle im Monadenstreit, sondern stellt zudem einen Zusammenhang zwischen Clavius und Oeder her, indem Oehlrich andeutet, dass sich beide wahrscheinlich kannten. Oeders Beziehungen zum Göttinger Milieu um Andreas Segner weisen ihn zudem als Vertreter einer Krafttheorie aus (vgl. dazu das dritte Kapitel),174 die das Theorem einer möglichen (Re)Konfiguration der Körper nach dem Tod implizieren konnte. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass Clavius und Oeder als zwei Vertreter der Metempsychose galten, die an den entgegengesetzten Enden des Spektrums angesiedelt waren. Dass die Differenzen zwischen Clavius’ mathematischem Beweis und Oeders so genannter empirischer Methode auf der Hand liegen, tut dem keinen Abbruch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kannte Oeder, der in Göttingen bei Andreas von Segner studiert hatte und mit der spezifischen Adaptation des Atomismus vertraut war, die 1741 vorgelegte Dissertation des Göttingers Ernestus von Münchhaussen.175 Sie zählt zu den Monadenapologien, die wie Weißmüllers Schrift mit 171
[Anonym]: Poesie der Franken. Erste Sammlung. Frankfurt / Leipzig [Nürnberg] 1730, zitiert nach Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 368. Der von Weißmüller erwähnte Schweizer Schriftsteller, das legen seine Beziehungen und die Oeders nach Göttingen nahe, ist möglicherweise nicht Johann Jakob Bodmer, sondern Albrecht v. Haller. Vgl. Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 367. 173 Johann Carl Conrad Oehlrich: Tagebuch einer gelehrten Reise 1750 durch einen Theil von Ober= und Nieder=Sachsen. Zweyte Abtheilung. Aus der Handschrift, in: Johann Bernoulli’s Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder= und Menschenkenntniß dienender Nachrichten. Jahrgang 1782. Sechster Band. Mit einer Kupfertafel. Berlin, zu Oeder S. 29, zu Clavius S. 25. 174 Johann Georg Oeder: Lectiones futuro semestri hiemali habendas indicit simulque de Mensura Virium pauca commentatur. Braunschweig 1745; ders.: Lectiones suas aestivales auditoribus suis indicat, atque Vibratione Chordarum aliqua praefatur. Braunschweig 1746, zitiert nach Eschenburg: Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini, S. 149. 175 In diesen Kontext ist auch die Göttinger Dissertation zu situieren. Vgl. Ernst Friedemann Münchhaussen: Dissertatio Philosophica de Elementis Corporum sive Atomis naturae. Göttingen 1741, S. 72: „Superest ut de transitu ex classe una in aliam quaedam moneamus, talem transitum possibilem esse primus nisi fallor sibi persuasit Leibnitius, hoc solum indecisum re172
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der Bestimmung der Linie und des Punktes einsetzt. Sie bemüht sich um eine parallelistische Lösung, die eine Differenz zwischen der spirituellen und der reellen Monade annimmt und über weite Strecken an Wolffs Kosmologie und Psychologie angelehnt ist. Auch Münchhaussen beruft sich auf die so genannte Empirie. Im letzten Abschnitt diskutiert er die Möglichkeit einer Transgression von Monaden auf höhere Stufen und legt ein Modell vor, bei dem sowohl der Körper wie auch die Seele transformiert und durch die Elevation vor allem die sensitive Seele zu einer perfekteren Perzeption fähig würde.176 Er stützt seine Kosmologie („spiritualitas dependet a statu corporum“)177 mit einem Modell, das in den Beobachtungen der neuen „Physici“ offenbar eine Bestätigung findet.178 Münchhaussen beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse zur Generationsforschung, die Leeuwenhoek und Swammerdam vorgelegt hatten,179 ohne im Einzelnen auf sie einzugehen. Entscheidend ist jedoch, dass er eine Theorie der Transgression vorlegt, die eine Verfeinerung der Sinnesorgane annimmt und eine Erweiterung des Perzeptionsradius der menschlichen Seele vorsieht.180
liquit & dubium supernaturaliter natura literve id fiat Th. §§ XCI […] Dicitur autem transire substantia simplex ex una classe in aliam, quando v. g. Loco repraesentationum clararum, inter quas antea substitit, & propter quod sensitiva saltim vocabatur, distinctas habere incipit, & sic ad gradum rationalitatis evehitur. Cum autem hoc differentia in repraesentationibus fundata non nisi accidentalis sit, nulla operatione divina multo minus transcreatione opus est, ad talem transitum actuandum. Etenim status simplicium, vi cujus repraesentationes vel obscurae sunt, vel clarae, & eorum spiritualitas dependet a statu corporum, ita ut pro structura corporum varient gradus claritatis, & obscuritatis, & mutato statu corporum, etiam mutatur status animae, pro proportione mutati corporis.“ 176 Ebd., S. 72: „Elevatio animae sensitivae ad perfectiorem gradum repraesentationum sit, ita muto corpore, ut hic limitandi ex ejus statu conceptibilis sit.“ 177 Ebd. 178 Ebd., S. 72f.: „Recentiores Physici, quorum numero Loewenhoek, Schwammerdam, Hartloeker, aliique sunt, ex observationibus quas instituerunt, homines, ceteraque omnia animalia non ex confusa massa generari, sed ex animalculis jam dudum animatis, quae, in semine virili degant, & per generationem evolvantur, concluserunt, idem ex principiis, huc usque a nobis demonstratis, prono fluit alveo. Etenim dum aima nostra numero subst. simplicium finitarum est, copore nunquam destituta erit, ideoque nec antequam corpori humano uniatur, per generationem autem novo corpori uniri potest, id enim rediret ad migrationem animarum, quae absurda est & contraria.“ 179 Dies wäre ein Beispiel dafür, dass die Naturwissenschaft in den Dienst einer Apologetik gestellt wurde, siehe auch den Briefwechsel Lavaters. Vgl. dazu Leonora Cohen Rosenfield: From Beast-Machine to Man-Machine. Animal Soul in French Letters from Descartes to LaMettrie. New York 1968; sowie Anton von Leeuwenhoek: Opera Omnia sive Arcana naturae ope exactissimorum microscopiorum detecta. Leiden 1715–1722. 180 Zur weiteren Karriere des Gedankens vgl. Rudolf Unger: Zur Geschichte des Palingenesiegedankens im 18. Jahrhundert, in: DVjs 2 (1924), S. 257–273. Die Begriffe ‚Metempsychose‘, ‚Palingenesie‘ und ‚Transmigration‘ sind nicht immer scharf zu trennen. Pythagoras soll den Begriff ‚Palingenesie‘ verwandt haben, vgl. Karl Kerényi: Pythagoras und Orpheus, in: ders.: Werke in Einzelausgaben. Bd. 1: Humanistische Seelenforschung. München / Wien 1966, S. 15–51, hier S. 29; ‚Metempsychose‘ wird erst später verwandt, vgl. Willy Theiler: Forschungen zum Neuplatonismus. Berlin 1966, S. 16; Ivan Gobry: La doctrine phythagorienne de l’âme, in: Diotima 7 (1979), S. 81–85. ‚Palingenesie‘ wird oft für die Vorstellung einer Involu-
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Meiers eigenes Interesse an Oeder und Clavius lässt sich am ehesten über seine Verbindung zu Johann Christoph Harenberg rekonstruieren. Harenberg, der sich bereits als einer der zentralen Kontrahenten Oeders ausgewiesen hat, kritisierte dessen Atomismus. Er bezeichnete letzteren als Gespensterseher, der behauptete, mit dem Tod ändere sich der Aggregatzustand des Körpers. Vor allem gegen die atheistische Implikation dieser Spekulationen haben sich sowohl Harenberg als auch Meier mit zahlreichen Schmähschriften gewandt. Einschlägig für diesen Kontext, der hier nur kursorisch dargelegt werden kann, ist Harenbergs EdelmannInvektive, die sich gegen dessen Unschuldige Wahrheiten wendet.181 Harenberg moniert darin zwar keine ‚Leibnizianische‘ Metempsychose, sondern eine pantheistisch-origeneische Variante derselben: Er [Edelmann] vergönnet den Leibern der Menschen keine Auferstehung des Fleisches. Er läßt die Geister der Verstorbenen durch alle Elemente der Welt bis in alle Ewigkeit fort spatzieren. Was ihm nicht sichtbarlich in die Sinnen fällt, das hält er vor keine Offenbahrung. Er wird also am besten wissen, wo und wenn ihm die abgeschiedenen Geister auf ihrer ewigen Herumschweifungsreise sichtbarlich vorgekommen seyn und sich ihm unter einer andern Positur bis in alle Ewigkeit dargestellet haben. Er muß mit einer unglaublichen Schärfe der Augen in das Ewige hinein sehen können. Er erkennet keinen Richter der Welt, als die sichtbare Obrigkeiten, deren Stand er in die größeste Unsicherheit stürzt.182
Hier liegt ein immanentes elementarisches Modell der Seelenwanderung vor, das pantheistisch war183 und zeigt, dass der Transformationsgedanke auch die hermetische Anthropologie184 und die zuweilen von Pythagoras abgeleiteten hermetischen monas-Konzepte betraf.185 Jedenfalls grenzt Meier die ‚echten‘ Leibnizianer von tion des Körpers nach dem Tod verwandt, vgl. Rudolf Unger: Zur Geschichte des Palingenesiegedankens, S. 257–273. 181 Johann Christian Edelmann: Unschuldige Wahrheiten Fünfzehendes und Letztes Stück. Von der Sündlichkeit der Wiedergebohrenen. 1743 (Sämtliche Schriften. Hg. v. W. Grossmann. Bd. VI. Stuttgart-Bad Cannstatt 1970). 182 Johann Christoph Harenberg: Die Gerettete Religion. Oder Gründliche Widerlegung des Glaubensbekentnißes welches Johann Christian Edelmann in kleiner und hernach in weitläuftiger und erläuterter Form vernünftigen Gemüthern vorzulegen ihm unterstanden. Dem gedachten Herrn Edelmann wiederum vorgelegt von Christoph Harenberg Probsten des Klosters S. Laurenti vor Schöningen, Herzoglichen Schulaufseher, durch das Fürstenthum Braunschweig Lüneburg=Wolfenbüttel, und Ehrenmitglied der Königlichen Academie der Wissenschaften zu Berlin, wie auch der Lehrer im Hochfürstl. Carolino zu Braunschweig. Braunschweig / Hildesheim. Verlegt s. Lud. Schröder / Gottfr. Merchwitz 1747; zur Metempsychose S. 453, zu Gespenstern S. 730. 183 Johann Christoph Harenberg: Die Gerettete Religion, S. 450: Edelmann behauptet die Echtheit der Bücher, dagegen wendet Harenberg ein, dass die echten Bücher von Hermes verloren sind, und bezieht sich dabei auf Johannes Albertus Fabricius. „[D]ie Bücher Hermetis [sind] von den griechischen Weltweisen übersezet und von dieser eigenen Meinungen geschwängert.“ 184 [Anonym / Eugenius Philaletha]: Anthroposophia theomagica, das ist / Eine Rede von der Natur des Menschen / und seinem Zustande nach dem Tode an Seines Schöpfers erste Chymie gegründet / und durch eine mit der Hand verrichtete Untersuchung derer Anfänge der grossen Welt bekräfftiget. O.O. 1704. 185 Thomas Stanley: Historia Philosophiae […] ex Anglico sermone in Latinum translata. Leipzig 1711, S. 766.
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jenen Naturphilosophen ab, welche die Rückkehr der Seelen in den Äther oder in Elemente annahmen.186 Mit dieser Schlusswendung unterscheidet er die vierte Meinung deutlich von jenen elementarischen Transformationsvorstellungen Böhmes oder Mores, die Gegenstand des sechsten Kapitels der vorliegenden Arbeit waren.187 In eingeschränktem Maß spielte sie für die Metempsychose-Lehren, die sich in den späten 1770er und -80er Jahren im Anschluss an die breitere BonnetRezeption in den Kreisen der Illuminaten verbreiteten, eine Rolle.188 Dieser Rezeptionsstrang (der der Medizin und des Vitalismus) wäre jedoch eigens zu untersuchen.
8.12. Die Gespensterkontroverse: ein polemischer Monadenstreit? Wie aber lassen sich Meiers Interesse an der Metempsychose und seine eigene Position in dieser Diskussion erklären? Zunächst wurde deutlich, dass Meier und andere Zeitgenossen das Etikett ‚Gespensterseher‘ in äußerst ironischer Weise verwendeten, um eine bestimmte Gruppierung im Monadenstreit herabzusetzen. Es wäre sogar umgekehrt zu vermuten, dass die Braunschweiger Gespenstergeschichte nicht deshalb ein derart breites öffentliches Interesse erfuhr, weil man sich von der Episode Aufklärung bezüglich der Gespenster erhoffte, sondern weil sie sich vor allem als Mittel der Verspottung und Satire eignete. Jedenfalls lieferte sie Raum für Witz und Herabsetzung, die in der ansonsten auf höfliche Umgangsformen ausgerichteten Wissenschaftskultur eher unüblich waren. Neben diesen thematischen Schnittpunkten und der auffälligen zeitlichen Koinzidenz (beide Kontroversen wurden zwischen 1744 und 1748 ausgetragen) belegen die personellen Überschneidungen die Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Gespenster- und Monadenstreits gibt, wohl am eindeutigsten. Zahlreiche Protagonisten der Gespensterdebatte nahmen an der Akademie186
Meier: Gedancken von Gespenstern, S. 30: „Alle Schüler der Naturlehre wissen, dass die Luft nicht sichtbar werden kann; und einen organischen Körper in der Geschwindigkeit zu bilden, übersteigt aller Vermuthung nach die Kräfte endlicher Geister.“ Vgl. Artikel ‚Aether‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 1, Sp. 701: „Aether, heist die subtile Himmelsluft, die durch die gantze Welt ausgetheilet ist, und allen Platz zwischen den grossen und festen Welt=Cörpern anfüllet. Von denenjenigen, die unsere Erde in die Mitte der Welt unbeweglich setzen, wird Aether die Gegend, und die in solcher Gegend befindliche subtile Materie genennet, so über unserer elementarischen Lufft sich befindet. Daher auch die Welt in die elementarische und aetherische Gegend eingetheilet wird, in deren ersten die Elemente, in der andern aber die Sterne, Planeten, und anderer Phaenomena anzutreffen.“ 187 Direkte Nachweise der von ihm konsultierten Quellen liefert Bardili: Ursprung der Begriffe Unsterblichkeit und Seelenwanderung, nicht. Als Schrift erwähnt er Irhovens De palingenesia, der er die Ausführungen zur elementarischen Wiederverkörperungslehre entnommen hat. Bardili bezieht sich zudem auf Knapps Schrift Epochen der philosophischen Begriffe sowie auf Herders Abhandlung. 188 Mulsow: Vernünftige Metempsychosis, S. 225–240.
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Ausschreibung teil. Eine Teilnehmerbeschreibung findet sich in Eulers Notiz und in der bereits zitierten (von Christian Ernst von Windheim herausgegebenen) Göttingischen philosophischen Bibliothek: Unter den Beiträgern war der Germendorfer Prediger Georg Wilhelm Wegner,189 der zu den Gegnern Leibniz’ gehörte und auch im Rahmen seiner Gespensterschrift an einem cartesianischen Materiebegriff festhielt. Ferner der von Meier angefeindete Etienne de Condillac.190 Sein Beitrag ist unter dem Titel Les Monades publiziert und widerlegt die These der Fensterlosigkeit. Möglicherweise hat sich Meier ebenfalls in die Diskussion eingeschaltet. Darauf deutet zumindest ein Eintrag Eulers, der das Stück 23, ein „pièce latine pour les monades“, einem „écolier de Mr. Baumgarten“ zuweist.191 Während Euler diese Position für relativ belanglos und diskussionsunwürdig hält, geht die Göttingische philosophische Bibliothek näher auf besagte Schrift ein. Ihr ist zu entnehmen, dass der anonyme Beiträger ebenso zwischen Phänomenen und Vorstellungen unterscheidet wie zwischen dunklen und klaren Erkenntnissen. Zudem geht er von der Möglichkeit aus, durch die Verbesserung der Sinne dunkle in klare Erkenntnisse umwandeln zu können.192 Diese Position weist deutliche Parallelen zu der von Meier vertretenen auf. Wie jene plädiert sie für eine Verbesserung der Sinne und unterscheidet den sinnlichen vom vernünftigen Erkenntnismodus, ohne ersteren abzuwerten. Sie steht diametral zu der Auffassung des Akademiepräsidenten Samuel Formey, der dunkle Erkenntnisse in toto abwertet.193 Diese personellen Überschneidungen legen nahe, dass es sich bei der Gespensterkontroverse um ein polemisches Seitengefecht des Monadenstreits oder doch wenigstens um eine Auseinandersetzung handelt, die wesentlich von der Dynamik des Monadendisputs bestimmt wird. Hier scheint es also nicht nur um den konkreten Gegenstand, um Gespenster, zu gehen. Durch die Brisanz des Monadenstreits gewinnt der vermeintlich unwissenschaftlichere und auf den ersten Blick alltäglichere Gespensterdisput an Tragweite.194 Auf diesem Nebenschauplatz bezieht Meier, wenn auch indirekt, zu zentralen Fragen der Zeit Stellung.
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Zu Wegners Widerlegung der Leibnizschen Monadologie und der einfachen Dinge siehe: Dissertation qui a remporté le prix proposé par l’Académie royale des sciences et belles lettres sur le systeme des monades avec les pièces qui ont concouru. Berlin 1749. Weiterhin beteiligt sind Samuel König Systema Mundi wie auch Ploucet. Vgl. Euler: Opera omnia, Différentes pièces, der zahlreiche Stücke zur Publikation in den Akademiebänden vorgeschlagen hatte sowie die Philosophische Bibliothek, S. 59. 190 Zu Condillac vgl. die Einleitung von Laurence Bongie (Hg.): Les Monades. Oxford 1980. 191 Euler: Opera omnia, Différentes pièces, S. 426; so auch Etienne Bonnot de Condillac: Les Monades. Edited with an introduction and notes by Laurence L. Bongie. Oxford 1980, S. 27f. 192 [Anonym]: Fortsetzung der Geschichte der Monaden, in: Göttingische philosophische Bibliothek (1749), S. 4–63, hier S. 52–56. 193 Jean Henry Samuel Formey: Prüfung der Gedanken eines ungenannten von den Elementen der Körper. Leipzig 1747. 194 [Anonym]: Fortsetzung der Geschichte, S. 25.
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8.13. Der anthropologische Trieb: Meiers Positionierung in der Unsterblichkeitsdebatte In seiner Auseinandersetzung mit dem so genannten Religionsspötter Edelmann artikuliert Meier grundsätzliche Vorbehalte gegen dessen Unsterblichkeitslehre. Seine Kritik fokussiert sich ebenfalls auf die Annahme einer substanziellen Kraft, die als universales Prinzip allen Seins begriffen wurde.195 Die Metempsychose dürfte schon deshalb im Brennpunkt seines Interesses gestanden haben, weil sie von ihren Vertretern als quasi natürlicher Beweis der Unsterblichkeit angeführt wurde. Gegen diese und ähnliche ‚Beweise‘ nimmt Meier mit drei Schriften Stellung. Zunächst in seinen 1746 erschienenen Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode,196 einer Schrift, die sich explizit gegen den Berliner Propst und Gründer der Gesellschaft der Aletheophilen, Johann Gustav Reinbeck, sowie gegen den Tübinger Dekan und Professor der Metaphysik Israel Gottlieb Canz197 richtet. Aufschlussreich sind vor allem die bei Canz entstandenen Dissertationen, die nicht nur die Möglichkeit der Metempsychose einräumen,198 sondern das System der prästabilierten Harmonie als mit der Unsterblichkeit der Seele nicht ver195
Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa, S. 329. Nach Zander bezieht sich Meier mit seinen Äußerungen zur Seelenwanderung vor allem auf Johann Ernst Schuber: Von der Seelenwanderung nach dem Tode. Jena 1746, einen konkreten Nachweis liefert Zander an dieser Stelle allerdings nicht. 196 Georg Friedrich Meier: Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode. Halle 1746, S. 14. 197 Christian Volz / Joachim Martin Reus (Resp.) / Israel Gottlieb Canz (Praeses): Dissertationis de Immortalitate Animae, Pars I. Eristica. Dubia Verterum et Recentiorum Quorundam Discutiens. Tübingen 1740; Christoph Friedrich Faver / Johann Georg Schneck (Resp.) / Israel Gottlieb Canz (Praeses): Dissertationis de Immortalitate Animae, Pars II. Historica. Nonnullorum Veterum et Recentiorum Sententias Expendens. Tübingen 1740; Christian Philipp Kling / Johann Ulrich Daniel (Resp.) / Israel Gottlieb Canz (Praeses): Dissertationis de Immortalitate Animae, Pars III. Dogmatica Prior. Animae Immortalitatem Probans ex Principio interno. Tübingen 1740. 198 Israel Gottlieb Canz (Praeses): Dissertationis de Immortalitate, Pars I, S. 8f.: „Primo non male Lucretio huic Lactantius non incelebre inter ecclesiae patres nomen, (o) respondit. (p) Saepe morientes non conqueri, verum ultro adire, ut fata volunt mortem. Subiicit: hanc Epicuri doctrinam Pythagorae scitis repugnare, qui animos ex corporibus in corpora migrare docuerit. Statuo his responsionibus debitum quo per naturam valent, pretium. Quia tamen optime compositos animos, mortis metu saepenumero perterrefiere, & multo cum fudore, ac agnore in aeternas illas sedes emigrare, testatur experientia; idcirco LACTANTII responsio quodam egere complemento videtur. Quod enim nonnulli e corpore laeti exeant: id forsan antagonistae deliberationi magis diu ante mortem agitatae, quam naturae instinctui, ex quo tamen vno, quid animam post fata maneat, cognosci possit, tribuent. Meas ego rationes ita subduco. Saepe adpetitui rationali, sensitivus vehementer contrarius est. Qui morbo affectus, medicinam capit, ab eius amaritudine abhorret, toto corpore: sed num quis propterea, vanam recuperandae valetudinis spem esse, concludat? Mors medicina aeterni vigoris restituendi est, in illis amimabus, quae suum DEO obsequium praestitere: num tu ex horrore, quo anima, ante fata corripitur, vigoris aeterni exspectationem irritam esse, iudicabis? Hoc inde colligas vere: ea, in quae fertur adpetitus rationalis, saepe sensitivo ingratissima esse. Vnde huic ipsi argumento omnis de morte consolationis fundamenta veteres superstruxerunt.”
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einbar begreifen.199 Auch wenn Einzelheiten dieser Diskussion hier unerwähnt bleiben müssen, gewinnt Meiers Position vor diesem Hintergrund ihr Profil. Generell lehnt er einen vernünftigen Unsterblichkeitsbeweis zunächst ab und zählt sich zu den methodischen Zweiflern, ohne dabei die fideistische Lösung zu wählen. Meier prägt hier die Leitformel von den „Grenzen der Vernunft“. In Abgrenzung zu den oben dargelegten Metempsychose-Vorstellungen betont er in einer weiteren Schrift von 1748, die Fortexistenz der Seele könne nicht bewiesen werden, sondern nur formal aus der Seelendefinition erfolgen.200 Damit ist zugleich ein entscheidender Unterschied zwischen Meier und den oben skizzierten Vertretern der Metempsychose genannt. Wie entzündbar die Diskussion war, lässt sich daran ersehen, dass ihm eben diese Kritik den Ruf eines Leugners der Unsterblichkeit eingebracht hat. Unter zunehmendem Druck revidiert er seine Auffassung von 1746 bzw. 1748. Ganz anders liest sich seine nur wenige Jahre später zu demselben Thema veröffentlichte Schrift, die sich nochmals auf Canz bezieht und den Positionswechsel schon programmatisch mit dem Titel Beweis, daß die menschliche Seele ewig lebt ankündigt.201 Der entscheidende Wandel wird durch den Verweis auf die ästhetische Gewissheit eingeleitet, welche den ästhetischen Genuss, den der Gedanke der Unsterblichkeit impliziert, der mathematischen Gewissheit gegenüberstellt und auf einen natürlichen Trieb zurückführt: Der Trieb meiner Natur nötiget mich zum Vergnügen, ich tue alles um des Vergnügens willen, der Verdruß hindert meine gantze Natur in ihren natürlichen Würckungen, er macht meinen Geist kraftloß und meinen Körper schwach und kranck. Sollte ich also wohl meiner Natur ge-
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Canz: Dissertationis de Immortalitate, Pars I, S. 33–40. Die praestabilierte Harmonie wird mit Blick auf die Seelendefinition als Kraft, die Welt zu repräsentieren, verworfen. 200 Georg Friedrich: Vertheidigung der Gedanken vom Zustand der Seele nach dem Tode. Halle 1748, S. 1. Meier bezieht sich auf die anonym publizierte Lettre d’un Conseiler du Roi à Mr… de l’immortalité de l’âme prouvée par la raison humaine, où il est traité en même temps de la vraie obligation naturelle (Meier kennt den Autor, nimmt aber nicht explizit auf ihn Bezug. Die Argumente des Verfassers werden kurz rekapituliert), S. 11: „Ich habe behauptet, daß das geistliche Leben der Seele ohne das sinnliche nicht statt finden könne, und diesen Gedancken hat der Herr Verfasser kürzlich am Ende seines Werkes zu wiederlegen gesucht. Dieses sind also die beyden Stücke, in welchen ich mit dem Verfasser einer Meinung bin.“ 201 Georg Friedrich Meier: Beweis, daß die menschliche Seele ewig lebt. Halle 1751, S. 40: „Ich habe in meinen Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode behauptet: ein mathematischer Beweiß aus der Vernunft, daß die Seele ewig leben werde, sey unmöglich, und ich habe auch die Schwäche der bekanten Beweise dieser Wahrheit zu entdecken mich bemüht. Jetzo will ich selbst einen solchen Beweiß versuchen, und da ich mir also selbst öffentlich widerspreche, so werde ich mich aufs neue verschiedenen Urtheilen bloß stellen […]. Da ich mich bemühe aufrichtig zu seyn, und ohne Heucheley zu reden, so ändre ich auch gerne meine Sprache, wenn ich das bessere erkenne.“ Diese Schrift wurde wiederum von dem in Halle lehrenden Professor für Physik Stiebnitz widerlegt: Vermischte Abhandlungen, welche sich mit allerley wichtigen Wahrheiten zur Aufnahme der Wissenschaften und Befestigung der Religion beschäfftigen, ans Licht gestellet. Halle 1752, siehe auch Unzer: Untersuchung der Beweise von der Unsterblichkeit der Seele, in: Sammlung kleiner Schriften. Zur speculativen Philosophie. Leipzig 1766, S. 285–375, hier S. 321.
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mäß dencken, wenn ich glauben wollte, meine Seele werde nicht ewig leben? Nein, ich will diesen Glauben einem finstern Kopfe überlassen, der die Kunst nicht versteht, vergnügt zu leben.202
Auch der gefühlsbetonte Stil, der lockere Argumentationsduktus unterscheidet die Schrift von den früheren Versuchen. Auffällig ist zudem die Häufung der Worte ‚Gefühl‘, ‚Antizipation‘, ‚Trieb‘, ‚Vergnügen‘, ‚erhabene Empfindung‘ [pulchre et sensitiva].203 Meier hat damit eine Transformation vollzogen, die sich bis zur Spätaufklärung – z.B. an Bardilis Konzept des Triebs – nachweisen lässt. Der Gedanke des ästhetischen Nutzens der Empfindung gründet sich auf eine Anthropologie der Selbsterhaltung sowie auf ein moralisches Gefühl. Sie reagiert auf die zunehmende Zersetzungen einer rationalen und systematisch gestützten Metempsychoselehre und leitet damit eine Wende zu popularphilosophischen Konzeptionen der Seelenwanderung ein.
8.14. Zusammenfassung der vierten Meinung Für die Spätaufklärung sind Meiers Ausführungen zur Metempsychose wegweisend, weil sie zur Stabilisierung spezifischer Rezeptionsmuster beigetragen haben. Dabei bilden sich folgende Kristallisationspunkte heraus: Zunächst wird die These vom so genannten ägyptischen Primat der Metempsychose abgewiesen. Meier geht darauf noch mit der Formulierung „allerältesten Weltweisen“ ein. Er weist jedoch die These zurück, dass Pythagoras der eigentliche Begründer der Metempsychose war und will damit zur Destruktion der philosophia perennis beitragen. Darüber hinaus zeichnet sich hier eine positive Bewertung der metaphorischen Seelenwanderung ab, die sich in der Popularphilosophie in der Unterscheidung von pythagoreischen und platonischen Aspekten tradiert. Während Pythagoras’ Lehre verworfen wird, gelangt die platonische vor allem mit Blick auf ihren moralischen Gehalt bzw. Nutzen zu Bedeutung.204 Obschon sein Traktat populär argumentiert, entfaltet Meier seine Thesen vor dem Hintergrund der akademischen Dissertationsliteratur.205 Diese Anlehnung lässt sich an Signalwörtern wie „gleich nach dem Tod wieder“ ablesen, die konkret
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Meier: Beweis, daß die menschliche Seele ewig lebt, S. 12. So gibt auch Johann August Unzer Meiers Lehre wieder: Vgl. dazu Johann August Unzer: Gedancken von der Seelenwanderung, in: Sammlung kleiner Schriften: Zur speculativen Philosophie. Leipzig 1766, S. 181–188, sowie seine Deutung des Begriffs ‚Zusammenhang‘. Johann August Unzer: Untersuchung über den Meierschen Beweis der Unsterblichkeit der Seele, S. 285–375. 204 Artikel ‚Seelen=Wanderung‘, in: Zedlers grosses Universallexikon, Bd. 36, Sp. 1172f. 205 Friedrich Nikolaus Alrich: Disputatio theologica de animabus humanis post mortem corporis vivis quam sub praesidio Johannis Georgii Abicht: Prof. der Theologie Generalsuperintendent. Wittenberg 1735.
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einer bei Blaufus entstandenen Dissertation entnommen sein könnten.206 Als wichtige Referenztexte sind neben Blaufus die Schrift des Tübinger Theologen Johann Adam Osiander207 und Gottlieb Haffners Abhandlung über die Transmigration zu nennen.208 Mit der synoptischen Darstellung der Metempsychose-Lehre erweist sich Meier ohne Frage als profunder Kenner einer akademischen Diskussion, die auch für die späteren moralphilosophischen und anthropologischen Unsterblichkeitsvorstellungen bedeutsam wird. Auch in formaler Hinsicht ist sein Traktat innovativ, zeichnet er sich doch durch Techniken populärer Wissensvermittlung aus. Auffällig ist die knappe und anspielungsreiche Paraphrasierung einzelner Thesen, die mit prägnanten Signalwörtern belegt werden und informierten Leser ausreichen, um spezifische Theoreme der gelehrten Diskussion aufzurufen. Bezeichnend ist ferner die vereinfachende Ausblendung komplexer Diskussionszusammenhänge, wie z.B. in dem Satz „die Natur macht keinen Sprung“, der auf das Universalkalkül und die Annahme vom zureichenden Grund anspielt. Die Ausblendung der im engeren Sinn philosophischen Begründungen lässt sich indes nicht allein auf die pragmatische Ausrichtung zurückführen. Dahinter steht oftmals ein diffamierendes bzw. satirisches Interesse, das sich der Vereinfachung und Verzerrung bedient. In gewisser Hinsicht stellt der Abschnitt zur Metempsychose-Lehre sogar das geheime Zentrum des gesamten Traktats dar. Denn deutlicher als die anderen Abschnitte richtet er sich gegen eine historische Fraktion und verfolgt damit ein konkretes polemisches Interesse. Dieses speist sich aus dem zur gleichen Zeit virulenten Monadenkonflikt. Zwar signalisiert die Nähe von Autoren wie Clavius zur Wolff-Fraktion, dass bestimmte Ausformungen des Wolffianismus einerseits ein Einbruchstor für die Metempsychose-Lehre in die Aufklärung bildeten. Andererseits sind diese Positionen deutlich von solchen abzugrenzen, die etwa von Wolff-Schülern wie Baumgarten und Meier vertreten wurden. Alexander Baumgarten hält zwar an der Fortdauer der empfindsamen Monade nach dem Tod und damit implizit auch an einem Transformationsmodell fest. Dabei unterscheidet er jedoch zwischen idealen und wirklichen Monaden und hat keinesfalls die physische Inkarnation im Blick.209 Im Gegensatz zu anderen war Baumgarten, so legt Meier es nahe, kein Verfechter der groben Reinkarnation.210 Die populäre, auf Gespenster bezogene Vermittlung der Metempsychose geht signifikanterweise mit ihrer Ablösung von der rationalen Psychologie einher. Obschon Meiers Argumentation dem Baumgarten-Wolff’schen System verhaftet bleibt und sich zudem gegen eine physische oder emanationstheoretische Interpre206 207 208
Blaufus (Praeses) / Kirchner (Resp.): (Gilgul nesamot) sive Transmigratio animarvm. Osiander: Dissertatio Psychologica de Transmigratione Animarum Humanarum. Haffner: Diss. de transmigratione animarum in Europa, siehe Zander: Geschichte der Seelenwanderung, S. 765. 209 Baumgarten: Metaphysica, § 785. 210 Mulsow: Pythagoreer und Wolffianer, S. 341–363.
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tation der Metempsychose-Doktrin richtet, kommt ihm auch hierbei eine Brückenfunktion zu. Wie die späteren Popularphilosophen löst er einzelne Aspekte aus ihrem jeweiligen Systemzusammenhang und überführt sie in einen populären Diskurs. Obschon Meiers Schrift als anti-systematischer populärer Vermittlungsversuch anzusehen ist und obwohl er eine entscheidende Schaltstelle für die Spätaufklärung bildet, besteht eine zentrale Differenz zwischen ihm und der späteren Generation. Meiers Ablehnung gegenüber jeglichen Aneignungen metempsychotischer Vorstellungen macht zunächst einen grundlegenden Unterschied zum eingangs zitierten Bardili aus. Dieser beruft sich auf einen anthropologischen Selbsterhaltungstrieb, setzt zur partiellen Platon-Apologie an und kommt zu einem positiveren Begriff der Metempsychose.211 Bardili verleiht einem abstrakt philosophischen Unsterblichkeitsbegriff Konturen, der von Raum- und Zeitvorstellungen unabhängig ist. Mit dem Verweis auf einen anthropologischen Selbsterhaltungstrieb leistet er einer Umdeutung der Metempsychose Vorschub, die sich in Meiers späterer Schrift jedoch anbahnt. Der fehlende direkte Rekurs Bardilis auf Meier spricht keinesfalls gegen die Nachhaltigkeit seines Popularisierungsversuches. Im Gegenteil, diese lässt sich deutlich an der Etablierung und Verankerung allgemeiner Rezeptionsmuster ablesen, die mit einer Abkehr von autorzentrierten Autorisierungsstrategien koinzidiert. Das Fehlen einer Referenz ist also auf die spezifische Vermittlungsform zurückzuführen und spricht nicht gegen die nachhaltige Wirkung seiner populärwissenschaftlichen Argumentation. Ideengeschichtlich hat der hier unternommene Einordnungsversuch keine grundlegend neuen Erkenntnisse bezüglich der Metempsychoselehre der mittleren Aufklärung vermittelt. Betrachtet man sie ausschließlich nach ihrem Gehalt, ist Meiers Position keineswegs originell zu nennen. Dennoch ermöglichte die mikroskopische Rekonstruktion der Halleschen Diskussion Einblicke in die Diskursstrategien, den Wissenshaushalt und die Kommunikationsgepflogenheiten der mittleren Aufklärung.212 Dabei rückten textuelle Verfahren in den Blick, die den Übergang von einer gelehrten zu einer popularphilosophischen Diskussion markieren. Im Vordergrund stand hier die Frage, wie sich Meiers ebenso anspielungsreicher wie assoziativer Text zu den Grundmustern etablierter Deutungs- und Traditionslinien verhält.
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Zum Problem der Differenz zwischen Sokrates-Figuren und Platon-Rezeption in der Spätaufklärung vgl. Mauser: Prussorum Socrates. Mendelssohns Phädon, S. 420. 212 Zander spricht allerdings davon, dass die Seelenwanderungslehre um 1700 kein besonderes Thema ist. Er belegt die nur marginalen Äußerungen dazu von Colberg aus: Platonisch-Hermetisches Christentum, Kap. 13, 8, bei Zander, S. 304.
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9. Schlussbetrachtung und Ausblick
Die vorliegende Untersuchung hat eine umfassende und seinen zeitgenössischen Kontext ausführlich würdigende Analyse von Georg Friedrich Meiers Gespenstertraktat unternommen. Sie konnte das diskursive Ereignis in den wissensgeschichtlichen Horizont der Zeit stellen und somit die Bedingungen sichtbar machen, unter denen Aussagen über Gespenster um 1750 Erfolg versprechend waren. Meiers Deutungsangebote wiesen ein breites Spektrum auf. Sie reichten von einer psychologisch-wahrnehmungstheoretischen Erklärung der Gespenster bis hin zu spekulativen Unsterblichkeitsvorstellungen. Praktisch gleichberechtigt standen sich dabei Täuschungstheorie und Metempsychoselehre gegenüber. Die Psychologisierung der Gespensterwahrnehmung nahm, wie zu vermuten war, einen breiten Raum ein; sie folgte jedoch durchaus komplexen Argumentationsmustern, die sich aus unterschiedlichsten Wissensbereichen speisten: aus der Erkenntnislehre ebenso wie aus Psychologie, Wahrnehmungsphysiologie und Ästhetik. In Ergänzung zu geläufigen Einschätzungen1 wird die Gespenstererfahrung nicht ausschließlich auf eine Pathologie der Einbildungskraft zurückgeführt, sondern als Interaktion disparatester psychologischer Vermögen begriffen, die sich nur unter Hinzuziehung der zeitgenössischen Vermögenspsychologie aufschlüsseln ließen. Mit der Erstellung von Kontextbezügen zwischen dem Gespensterwissen und der Halleschen Ästhetik bzw. Wahrnehmungslehre konnte die vorliegende Studie in einem ersten Schritt an die Arbeiten von Werner Strube und Theodor Verweyen anschließen. Bereits Strube hat in seiner Untersuchung zu Baumgarten die schulphilosophische Ausrichtung der Halleschen Ästhetik hervorgehoben und sie von der sensualistischen französischen Theoriebildung des ‚Je ne sais quoi‘ abgegrenzt.2 Die Kontextualisierung der Ästhetik hat darüber hinaus eine neue, bislang kaum diskutierte Deutungsperspektive eröffnet, die in rein ästhetikgeschichtlichen Rekonstruktionen nicht zu Tage tritt und sich auch anhand der jüngst vorgelegten Auswahlausgabe nicht ohne Weiteres erschließt.3 1 2 3
Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung. Strube: Alexander Gottlieb Baumgartens Theorie des Gedichts, S. 1–25, sowie Verweyen: Halle, die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik, S. 209–237. Das von Günter Schenk verfasste Nachwort der jüngst vorgelegten Ausgabe porträtiert Meier vor allem als Anthropologen, Begründer einer ästhetischen Erziehung und Wegbereiter der klassischen Autonomieästhetik. Vgl. dazu Georg Friedrich Meier: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen. Teil 1: Das Streben nach den philosophischen Grundsätzen einer neuen deutschen Dichtung. Mit Textkommentar und Nachwort. Hg. v. Günter Schenk. Halle 2000 (Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte. Texte und Dokumente) sowie die Rezension von Ernst Stöckmann in: DAJ 25.1 (2001), S. 160–161.
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Als Lehre von der Perfektionierung der sinnlichen Erkenntnis steht die Ästhetik im Kontext der New Science, gegen die sie sich zuweilen polemisch richtet.4 In Abgrenzung zu ihr entwickelt sie einen ästhetischen Erfahrungsbegriff, der mit der Ausweitung literarischer Gattungen auf kürzere Prosatexte einhergeht und von popularphilosophischen Überlegungen flankiert wird. Der Erfahrungsbegriff hängt in Halle mit der Begründung einer neuen Gattung zusammen, die man ästhetische Lehrprosa nennen kann und die sich am Kriterium der Mannigfaltigkeit orientiert. Zwischen den Vertretern der moderaten Aufklärung und einzelnen Protagonisten der New Science bildete sich eine Frontstellung aus, die ein kritisches Licht auf den bereits von Troeltsch beschriebenen angeblichen Pakt der Aufklärung mit der neuen Empirie wirft.5 Im Halleschen Milieu stellt sich diese Konstellation differenzierter dar: Gelehrte wie Meier richten sich gegen den Impuls der New Science, aus einzelnen Beobachtungen weitreichende Schlüsse über das Wesen der Körper bzw. die Ursache der Bewegung zu ziehen oder darin Bestätigungen für einzelne metaphysische Konzepte (wie das der Seele) zu finden.6 Was also auf den ersten Blick als äußerst kompliziertes und auf zahlreiche Nebenaspekte verteiltes Rekonstruktionsverfahren erscheinen mochte, erwies sich bei näherer Betrachtung als sinnvolle Decodierung eines komplexen Argumentationsgeflechtes, in dem die Wissensformation ‚Ästhetik‘ generiert wird.7 Die Entzifferung lieferte jedenfalls tragfähige Aufschlüsse über Meiers Position; sie verdeutlichte eine Differenz zwischen der Schulästhetik, der New Science und der New Generation von Ästhetikern um Johann Gottfried Herder und Karl Philipp Moritz. Darüber hinaus partizipiert Meiers Traktat an einem Prozess, der sich als Zersetzung des Platonismus und universeller Weisheitskonzepte wie der philosophia perennis beschreiben lässt. Gerade hier zeichnet sich die Ausbildung von Rezeptionsmustern ab, die bis in die Spätaufklärung wirksam sind und in denen sich eine zunehmende Aufweichung bzw. selektive Steuerung ankündigt. Diese Muster finden zudem Eingang in Christoph Martin Wielands Schwärmerroman Geschichte des Agathon, für den sie einen entscheidenden Deutungshintergrund bilden. Somit hat die vorliegende Arbeit zugleich einen Verstehenshintergrund rekonstruiert, der für die literarische Analyse zentral ist. Auch für die späteren popularphilosophi-
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Anders argumentiert Böhr: Philosophie für die Welt, S. 40 und S. 44. Die ‚freie‘ (nicht zensierte) Art zu studieren bleibe auf die Artistenfakultät beschränkt. Aufschlussreich dazu aber Hoffbauer: Geschichte der Universität zu Halle, S. 112f., der von einer zunehmenden Marginalisierung spricht. So schon Troeltsch: Die Aufklärung, S. 338–374, aber auch Daston / Park: Wonders and the Order of Nature. Die Relation von Aufklärung, Aberglaube und ‚Science‘ mag sich in anderen Regionen wiederum anders darstellen, hier wäre also erneut für eine regionale Begrenzung der Untersuchungen zu plädieren. Hochadel: Öffentliche Wissenschaft, S. 110. Der jeweilige Grad der universitären Integration müsste in der Ästhetikgeschichte stärker berücksichtigt werden, so wie dies in Ansätzen zu vermerken ist bei Solms: Disciplina Aesthetica, der allerdings die breiteren Wissenskontexte der Sinnesphysiologie wiederum ausblendet.
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schen Aneignungen des Gespensterwissens, wie sie mit Immanuel Kants Schrift Träume eines Geistersehers oder auch mit Georg Christoph Lichtenbergs Etwas über Poltergeister vorliegen, bietet Meiers Traktat eine maßgebliche Vorlage. Hier bildet sich eine rhetorisch-philosophische Gattung aus, die Erfahrungswissen ästhetisch organisiert. In Ergänzung zu den wissensgeschichtlich relevanten Differenzierungen einzelner Positionen hat die Arbeit ferner zeigen können, dass sich im populären Gespensterdiskurs, also dort, wo man es am wenigsten vermutet, deutliche Sedimente einer hoch spezialisierten Gelehrtendiskussion finden, die einen konkreten historischen Anlass hatte. Die Gespensterkontroverse ließ sich als Nebendiskussion oder Rückansicht eines tragenden Konfliktes, des Monadenstreits, interpretieren, der die Gelehrtenwelt um 1750 intensiv beschäftigte. Damit konnte nicht nur eine bislang gründlich erforschte, durchaus polemische Seite der aufklärerischen Wissenschaftskultur beleuchtet und die Kontroverse, aus der auch die ästhetische Theoriebildung hervorging, rekonstruiert werden. Zudem ließen sich hier Rückschlüsse auf diverse, um 1750 verbreitete Formen der Wissensvermittlung ziehen. Bezeichnenderweise findet die Wissensvermittlung in Meiers Traktat keineswegs entlang eines hierarchischen Produzenten-Rezipienten-Gefälles statt; vielmehr ist sie horizontal organisiert. Die Debatte diente nicht zuletzt dazu, innerhalb einer sich zunehmend spezialisierenden Wissensgesellschaft theoretische ‚claims‘ abzustecken und Zurückweisungen vorzunehmen. In gewisser Hinsicht widerspricht dieser Befund dem zum Teil noch verbreiteten Epochenklischee, Aufklärung sei als vertikale Vermittlung von Wissen entlang eines Wissensgefälles zu verstehen. Meiers Traktat stellte vielmehr den exemplarischen Fall einer intermediären Wissensvermittlung dar. Die Diffusion naturphilosophischer Fragestellungen in den Bereich der ‚Third Culture‘ geht mit der Ausbildung von Kompetenz- und Komplementärrollen einher, die hier auf die Gelehrtenkultur beschränkt bleibt, für die moderne Wissenskultur jedoch wegweisend wird. Die Analyse der Halleschen Gespensterkontroverse erbrachte mithin wissensgeschichtliche Präzisierungen. Die ad hoc-Diffusion von Theoriemodellen in die praktische Wissensvermittlung und ihre Anwendung auf den konkreten Fall warf ein Licht auf Kommunikationsgepflogenheiten der damaligen Gelehrtenrepublik. Vor diesem Hintergrund ließ sich Aufklärung als Praktik der Wissensvermittlung begreifen, die ein klassisches Untersuchungsfeld der ‚Expository science‘ darstellt. Hierbei zeichnet sich – mit all ihren Folgen – eine Transformation von Wissensbeständen ab, die mit einer zunehmenden Reflexivität der Wissenskultur einhergeht.
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Menasse, Ben Israel: De resurrectione Mortuorum. Libri III, quibus animae immortalitas et corporis contra Zaducaeos comprobatur. Amsterdam 1636. Mendelssohn, Moses: Anmerkungen über einen schriftlichen Aufsatz die Wunderthaten des berüchtigten Schröpfers betreffend, in: Johann Salomo Semler (Hg.): Samlung von Briefen und Aufsätzen über die Gaßnerischen und Schröpferischen Geisterbeschwörungen mit eigenen vielen Anmerkungen. Erstes Stück. Halle 1776, S. 67–80. – Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen (1767), in: ders.: Schriften zur Philosophie und Ästhetik. III.1. Bearbeitet von Fritz Bamberger und Leo Strauss. Faks.Neudr. der Ausgabe Berlin 1932. Suttgart-Bad Cannstadt 1972 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 3.1), S. 7–128. – Soll man der einreißenden Schwärmerey durch Satyre oder durch äußerliche Verbindung entgegenarbeiten? in: ders.: Kleinere Schriften. I. Bearbeitet von Alexander Altmann, mit einem Beitrag von Fritz Bamberger. Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 6.1), S. 137–141. – Manasseh Ben Israels Rettung der Juden, in: ders.: Schriften zum Judentum II. Bearbeitet von Alexander Altmann. Stuttgart-Bad Cannstatt 1983 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 8), S. 1–72. – Crusius über Schröpfer. in: ders.: Rezensionsartikel in Allgemeine deutsche Bibliothek (1765– 1784). Literarische Fragmente. Bearb. v. Eva Engel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger, H. Borodianski u.a. Bd. 5.2), S. 222–226. – Kant, Träume eines Geistersehers, in: ders.: Rezensionsartikel in Allgemeine deutsche Bibliothek (1765–1784). Literarische Fragmente. Bearb. v. Eva Engel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 5.2), S. 73. – Mendelsohn über Schröpfer, in: ders.: Rezensionsartikel in Allgemeine deutsche Bibliothek (1765–1784). Literarische Fragmente. Bearb. v. Eva Engel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 5.2), S. 226–230. – G. Schades „Unwandelbare und ewige Religion der ältesten Naturforscher“, in: ders.: Rezensionsartikel in Briefe, die neueste Litteratur betreffend (1759–1765). 131. Brief vom 20. November 1760. Bearb. v. Eva Engel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 5.1), S. 303–306. – G. Schades „verbesserte Monadenlehre“, in: ders.: Rezensionsartikel in Briefe, die neueste Litteratur betreffend (1759–1765). 89.–91 Brief vom 13. März 1760. Bearb. v. Eva Engel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. (Moses Mendelssohn Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe in Gemeinschaft mit F. Bamberger / H. Borodianski u.a. Bd. 5.1), S. 152–161. Molyneux, William: Dioptrica nova – A Treatise on Dioptricks. London 1692. More, Henry: The Second Lash of Alazonomastix, conteining a solid and serious reply to a very uncivill answer to certains observations upon Anthroposophia Theomagica, and Anima Magica Abscondita. Cambridge 1651. – Dialogi Divini. Per Autorem Latinè redditi. Disquisitiones varias et Instructiones continentes de Attributis et Providentia Dei, in: ders.: Opera omnia. II: Opera Philosophica. Tomus 1. Hildesheim 1966 (Nach der Ausgabe London 1679), S. 639–772. – Enthusiasmus Triumphatus: Sive de Enchiridion Metaphysicum sive, de Rebus Incorporeis Succincta & luculenta Dissertatio, in: ders.: Opera omnia. II: Opera Philosophica. Tomus 1. Hildesheim 1966 (Nach der Ausgabe London 1679), S. 133–334. – Enthusiasmus Triumphatus: Sive de Natura, Causis, Generibus & Curatione Enthusiasmi Brevis Dissertatio, in: ders.: Opera omnia. II: Opera Philosophica. Tomus 2. Hildesheim 1966 (Nach der Ausgabe London 1679), S. 187–226. – Observations upon Anthroposophia Theomagica and Anima Magica abscontida. London 1650. – Philosophiae Teutonicae censura sive Epistola privata ad Amicum quae responsum complectitur ad quaestiones quinque de philosopho teutonico jacobo behmen illiúsque philosophia. Ab
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11.
Register
Addison, Joseph 46, 86, 106, 109, 110f., 119, 197 Adorno, Theodor W. 5 Alighieri, Dante 42 Alewyn, Richard 8 Aristoteles 66, 209, 261 Bacon, Francis 83, 125, 129 Bardili, Christoph Gottfried 257f., 263, 299, 301 Barlaeus, Casparus 207, 209 Baßler, Moritz 10 Baumgarten, Alexander Gottlieb 77, 95, 113ff., 120f., 123ff., 127, 137f., 141f., 151f., 159, 169, 247, 267, 289, 292, 296, 300, 303 Baumgarten, Siegmund 68, 175ff., 193, 234, 237 Bausinger, Hermann 6 Bayle, Pierre 277 Begemann, Christian 9, 99 Beetz, Manfred 126 Bekker, Balthasar 5, 28, 52, 55, 85 Bernd, Adam 101, 233ff., 239, 252, 254 Bernoulli, Daniel 54, 72 Biester, Erich 162 Bilfinger, Georg Bernhard 284 Blaufus, Jacob Wilhelm 273, 300 Bodmer, Johann Jakob 105, 152f. Böhme, Jacob 26, 167ff., 172, 174ff., 183, 188ff., 204, 209, 222, 272, 295 Boerhaave, Hermann 227 Boileau, Nicolas 213 Bonnet, Charles 134, 192, 272, 295 Boureau-Deslandes, André-Francois 133, 135 Boyle, Robert 125 Breitinger, Johann Jacob 105, 153 Brockes, Hinrich 297 Brucker, Johann Jacob 224, 262f. Budde, Johann Franz 105, 108, 111f., 163, 167, 169, 174, 221, 263
Bücher, Friedrich Christian 162, 165ff., 171, 221 Burton, Robert 207, 209f. Cagliostro, Alessandro 2, 9, 202, 221, 223, 266 Calov, Abraham 195 Camus, Antoine le 206 Canz, Israel Gottlieb 297f. Casaubon, Meric 204f. Casaubon, Isaac 200 Cervantes, Miguel de 218 Cicero, Marcus Tullius 232, 243 Clarke, Samuel 278 Clavius, Andreas 288f., 291ff., 300 Colberg, Ehregott Daniel 162, 164f., 221, 263 Condillac, Etienne Bonnot de 107f., 133ff., 296 Conway, Anne 187ff., 192 Coste, Pierre 99 Crousaz, Jean-Pierre 246, 284, Cudworth, Ralph 177, 183, 186f., 200f., 222, 262, 291 Descartes, Réné 78, 131, 142, 227f., 230, 241f., 248f., 251, 253 Diderot, Denis 134, 185, 203 Dörrien, Carl Melchior 29, 33, 41, 290, Edelmann, Johann Christian 68, 168ff., 180f., 203, 216, 289, 294, 297 Elias, Norbert 9, 99 Engfer, Hans-Jürgen 102 Eschenburg, Johann Joachim 63, 72 Euklid 286 Euler, Leonhard 30, 72f., 151, 296 Ficino, Marcilio 23, 24, 262 Flavius, Josephus 273 Fludd, Robert 26, 176
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Fontenelle, Bernard 134 Formey, Johann Heinrich Samuel 289, 296 Francisci, Erasmus 209, 210f. Fresnoy, Abbé Lenglet du 194 Friedrich II 169 Gärtner, Andreas 182 Goethe, Johann Wolfgang von 3, 9, 39, 202, 232, 271 Gottsched, Johann Christian 16, 58, 78, 151ff., 158, 284 Gottsched, Johanna 86 Gruber, Bettina 10 Gruber, Johann Gottfried 182 Gundling, Nikolaus Hieronymus 163, 172ff., 183, 221 Habermas, Jürgen 5 Haffner, Gottlieb 300 Haller, Albrecht von 54, 60f., 126, 203, 227, 239, 246, 292 Hansch, Michael Gottlieb 178, 284f., 289 Hardt, Hermann von der 67 Harenberg, Johann Christoph 31, 63, 65ff., 74, 170, 284, 294 Hartley, David 107 Helmont, Johann van 176f. Helmont, Mercurius van 176, 274ff., 278f., 286 Helvetius, Claude Adrien 109 Hennings, Justus Christian 31 Herder, Johann Gottfried 4, 95, 122, 159, 258, 304 Hermes Trismegistos 183, 199f., 262f. Herzog Karl I 29, 182 Hinske, Norbert 5, 223 Hobbes, Thomas 28, 189, 251 Höfer, Johann Gottfried 29f., 32ff., 52f., 67, 232, 290 Hoffbauer, Johann Christoph 125f., 271 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 59 Hollmann, Samuel Christian 47, 61, 156, 284 Homer 196f. Horkheimer, Max 5
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Huet, Pierre-Daniel 241ff., 244 Hume, David 107 Jäger, Johann Wolfgang 205f. Jamblich, von Chalkis 264, 266 Jerusalem, Friedrich Wilhelm 29, 72 Jung-Stilling, Heinrich 30f., 36, 38, 50, 60 Kant, Immanuel 23, 79, 127, 161, 305 Kerner, Justinus 139 Klopstock, Friedrich Gottlieb 153 Knutzen, Martin 129 Koch, Cornelius Diedrich 67 Kondylis, Panajotis 5, 129, 202 Kortholt, Christian 70 Kratzenstein, Christian Gottlieb 48ff., 54, 158 Krüger, Johann Gottlob 17, 54, 252, 254 Laertius, Diogenes 264 LaMettrie, Julien de 77, 134f., 239, 249f. Lange, Samuel Gotthold 93, 106, 154 Lavater, Johann Caspar 188, 190, 192, 221 Le Clerc, Jean 105 Leibniz, Gottfried Wilhelm 17, 69, 141, 178, 192, 230, 256, 267, 272, 274, 278f., 288, 290f., 296 Lessing, Gotthold Ephraim 9, 196, 256 Leeuwenhoek, Anton van 293 Lichtenberg, Georg Christoph 3, 79, 86, 305 Locke, John 18, 34ff., 58, 95, 98ff., 106ff., 175, 230 Lottes, Günther 22 Luhmann, Niklas 13ff. Lukian 62, 66, 70, 131 Lukrez, Titus Lucretius Carus 69f., 243 Luria, Isaac 274 Maier, Michael 176 Malebranche, Nicolas de 38, 125, 130, 229ff., 245, 247 Manteuffel, Ernst Christoph von 288 Mauss, Marcel 42
Mayer, Johann Friedrich 204 Mendelssohn, Moses 12, 215, 256f., 263 Mercator, Michael 23ff. Milton, John 152 Montaigne, Michel Eyquem de 83 More, Henry 22ff., 177ff., 187, 205f., 222, 295 Morhof, Daniel Georg 270 Moritz, Karl Philipp 3, 95, 175, 208, 304 Münchhaussen, Ernestus von 292f. Mulsow, Martin 180 Musschenbroek, Pieter van 70, 125 Naudé, Gabriel 267 Neugebauer-Wölk, Monika 6 Newton, Isaac 17, 51, 69, 125, 283 Nicolai, Ernst Anton 211 Nicolai, Friedrich 162 Nollius, Heinrich 49, 50, 194 Oeder, Johann Ludwig 30ff., 41f., 45f., 52ff., 57f., 74, 290ff., 294 Oehlrich, Johann Karl Konrad 64f., 292 Oetinger, Christoph 222 Oldermann, Johann 67 Osiander, Adam 267, 300 Ovid (Publius Ovidus Naso) 195 Paracelsus 26, 194, 272 Pernety, Antione-Joseph 195 Philalethes, Eugenius 190, 195, 222 Platon 22, 172f., 263, 265, 274 Plinius 27 Plotin 183 Pope, Alexander 197 Porphyrios 264 Pott, Martin 79 Pythagoras von Samos 69, 71, 199, 251, 262ff., 270f., 274, 291, 294, 299 Quistorp, Johann 151 Reinbeck, Johann Gustav 288, 297 Rhodius, Ambrosius 269ff. Richter, Samuel 190, 194, 222 Rosenmeyer, Thomas 116, 144
Rosenroth, Christian Knorr von 176, 273 Rüdiger, Andreas 26 Sawicki, Diethard 7, 42 Schade, Georg 289 Schenk, Günter 78 Schiller, Friedrich 3, 60, 101, 146, 167, 203, 221, 238, 267 Schlözer, August Ludwig 195f., 263 Schmid, Johannes 277, 279 Schmitt, Jean-Claude 7 Seidel, Johann Wilhelm 41 Segner, Andreas von 30, 59ff., 65, 72, 74, 126, 292 Seneca, Lucius Annaeus 27, 69 Shaftesbury, Anthony Earl of 215 Sierke, Eugen 2, 31 Sokrates 22, 197 Souverain, Jacques 171ff. Spinoza, Baruch de 28, 172ff., 230, 251 Stensen, Niels 227, 248 Stiebritz, Johann Friedrich 288, 298 Strube, Werner 303 Sucro, Johann Georg 73, 90f., 149, 217, 238 Süßmilch, Johann Peter 170 Swammerdam, Jan 293 Swedenborg, Emanuel 2, 7, 9 Swift, Jonathan 190, 196, 215 Thomasius, Christian 4, 11, 21, 26, 28, 38, 55f., 155, 163, 172 Thomasius, Jacob 174f. Thyana, Apollonius von 266f. Tonelli, Giorgio 103 Trembley, Abraham 157 Troeltsch, Ernst 5, 304 Unzer, Johann August 17, 212, 227, 233, 237, 245f., 251, 253 Vaughan, Thomas 190, 195f. Verweyen, Theodor 154, 303 Vossius, Johannes Gerardus 271 Wachter, Johann Georg 172, 177, 284
359
Wagner-Egelhaaf, Martina 10 Walch, Johann Georg 21ff., 49, 190ff., 223, 230, 270 Walter, Balthasar 193 Warburton, William 201 Weber, Max 6 Wegner, Georg Wilhelm 73, 282, 296 Weißmüller, Sigmund Ferdinand 285ff., 292 Wieland, Martin Christoph 17, 130, 161, 179ff., 189, 196, 199ff., 218, 220, 223f., 231, 304
360
Willis, Thomas 227ff., 233 Wit, Hermann 262 Wolff, Christian 61, 73, 90f., 141, 235, 249, 283ff., 293 Xenophanes von Kolophon 264 Yates, Francis 269 Zelle, Carsten 79